Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die Sitzung ist eröffnet.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich der Kollegin Ingrid Holzhüter zu ihrem 60. Geburtstag, den sie am 12. November beging, nachträglich im Namen des Hauses ganz herzlich gratulieren.
Sodann müssen einige Mitglieder in Gremien neu gewählt werden: Durch Änderung des Gesetzes vom 20. August 1996 zur Errichtung einer Stiftung „Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland" sind acht statt bisher sechs Mitglieder des Deutschen Bundestages in das Kuratorium zu entsenden. Dadurch erhalten die Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und F.D.P. je ein ordentliches und ein stellvertretendes Mitglied.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen schlägt hierfür als ordentliches Mitglied den Kollegen Werner Schulz und als stellvertretendes Mitglied die Kollegin Dr. Angelika Köster-Loßack vor. Von der Fraktion der F.D.P. werden als ordentliches Mitglied der Kollege Dr. Guido Westerwelle sowie als stellvertretendes Mitglied der Kollege Dr. Max Stadler benannt. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Damit sind die genannten Kollegen in das Kuratorium der Stiftung „Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland" entsandt.
Die Fraktion der F.D.P. hat mitgeteilt, daß Dr. Jürgen Schmieder aus dem Beirat beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR ausscheidet. Als Nachfolger wird der ehemalige Kollege Konrad Felber vorgeschlagen. Sind Sie auch damit einverstanden? - Das ist der Fall. Damit ist Herr Konrad Felber in den Beirat beim Bundesbeauftragten gewählt.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt.
2. Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerd Poppe, Amke Dietert-Scheuer, Dr. Angelika Köster-Loßack und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Lage der Albaner im Kosovo - Drucksache 13/5752 -
3. Beratung des Antrags der Abgeordneten Andrea Gysi, Ulla Jelpke, Dr. Heidi Knake-Werner und der Gruppe der PDS: Schutz der Menschenwürde bosnischer Bürgerkriegsflüchtlinge und Umsetzung des zivilen Teiles des Daytoner Abkommens - Drucksache 13/6085 -
4. Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren
Beratung des Antrags der Abgeordneten Petra Bläss, Dr. Heidi Knake-Werner und der Gruppe der PDS: Sozialversicherungspflicht für jede bezahlte Arbeitsstunde - Drucksache 13/6090 -
5. Weitere abschließende Beratung ohne Aussprache
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 29. Mai 1996 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Russischen Föderation zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen - Drucksachen 13/5686, 13/6062 -
6. a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur stärkeren Berücksichtigung der Schadstoffemissionen bei der Besteuerung von Personenkraftwagen - Drucksachen 13/4918, 13/5360, 13/6112 -
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Rainder Steenblock, Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn), Gila Altmann (Aurich), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Umlegung der Kraftfahrzeugsteuer auf die Mineralölsteuer - Drucksachen 13/2420, 13/6112 -
7. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Dagmar Enkelmann, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS: Nichterhebung der Kfz-Steuer für überzählige Kraftfahrzeuganhänger abschaffen - Drucksachen 13/827, 13/3645 -
8. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Fremdenverkehr und Tourismus zu dem Antrag der Abgeordneten Halo Saibold und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Imagekampagne „Urlaub in Deutschland" - Drucksachen 13/ 1016, 13/5026 -
9. Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Dokument vom 31. Mai 1996 zur Änderung des Vertrags vom 19. November 1990 über konventionelle Streitkräfte - Drucksachen 13/5889, 13/6111 -
10. a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Mutterschutzrechts - Drucksachen 13/2763, 13/6110
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Marliese Dobberthien, Christel Hanewinckel, Ingrid Becker-Inglau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Gleichstellung von Hausangestellten im Mutterschutzgesetz - Drucksachen 13/3533, 13/6110 -
11. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertragswerk vom 17. Dezember 1994 über die Energiecharta - Drucksachen 13/5742, 13/6029 -
Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit es bei einzelnen Punkten der Tagesordnung und der Zusatzpunktliste erforderlich ist, abgewichen werden.
Des weiteren soll die Beratung des Gesetzentwurfs zur Regelung der Altschulden, dessen erste Lesung am Freitag vorgesehen war, bereits heute nach der Ozon-Debatte, also nach dem Tagesordnungspunkt 10, stattfinden.
Außerdem mache ich darauf aufmerksam, daß die Beratung der Gesetzentwürfe zum Ersten und Zweiten Gesetz zur Neuordnung der gesetzlichen Krankenversicherung in der Tagesordnung fälschlicherweise für heute vorgesehen ist. Sie findet, wie verabredet, am Freitag als erster Tagesordnungspunkt statt.
Schließlich weise ich darauf hin, daß die Vorlagen unter Tagesordnungspunkt 12a, die das Nutzerschutzgesetz betreffen, und die Beschlußempfehlung dazu unter Tagesordnungspunkt 12 b abgesetzt werden sollen. Sind Sie mit den Vereinbarungen einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Bevor ich die Tagesordnung aufrufe, möchte ich auf der Ehrentribüne ganz herzlich den Präsidenten der Nationalversammlung der Republik Mali, Herrn Professor Dr. Ali Nouhoum Diallo, und seine Delegation ganz herzlich begrüßen.
Herzlich willkommen!
Ich sage heute morgen im Parlament noch einmal: Wir verfolgen mit Respekt und Bewunderung den von Ihnen eingeschlagenen Weg der Demokratie nach der Diktatur. Wir verfolgen auch, in welcher Weise Sie durch Dialog, Verhandeln und Friedfertigkeit eine alte Tradition dieses kultur- und traditionsreichen Landes wieder aufnehmen und fortsetzen, um auf diese Weise multiethnisch friedlich zusammenzuleben.
Wir bewundern, in welcher Weise Sie zur Marktwirtschaft übergehen und Selbsthilfe als den Ihnen eigenen Weg suchen. Wir wünschen Ihnen auf diesem Weg alles Gute. Sie können sicher sein, daß die deutsch-malischen Beziehungen so gut bleiben, wie sie in der Vergangenheit waren.
Herzlich willkommen!
Nun rufe ich die Tagesordnungspunkte 2 a bis 2 d auf:
a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Uwe Jens, Anke Fuchs , Hans Berger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Innovationspolitik in Deutschland - Drucksachen 13/2159, 13/3602 -
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Thierse, Jörg Tauss, Doris Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Deutschlands demokratischer Weg in die Informationsgesellschaft
- Drucksache 13/5197 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Innenausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Gesundheit
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Post und Telekommunikation
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Manuel Kiper, Elisabeth Altmann , Manfred Such, Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ein ökologischer, sozialer und demokratischer Weg in die Informationsgesellschaft III
- Drucksache 13/5777 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Innenausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Post und Telekommunikation
d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Bierstedt, Gerhard Jüttemann, Rolf Kutzmutz, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS
Demokratische und soziale Antworten auf die Herausforderungen der neuen Informationstechnologien
- Drucksachen 13/2740, 13/4429 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Martin Mayer Jörg Tauss
Dr. Manuel Kiper
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann
Wolfgang Bierstedt
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Dazu gibt es keinen Widerspruch.
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat als erster der Kollege Wolfgang Thierse.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! 1970, im ersten Amtsjahr des Bundeskanzlers Willy Brandt, gab es erstmals Bundesmittel für „Neue Informations- und Kommunikationstechniken" - so der Haushaltstitel. Damals, vor 26 Jahren, stellten Sozialdemokraten die ersten Weichen zum Informationszeitalter. Begriffe wie Multimedia oder Informationsgesellschaft waren allerdings noch nicht erfunden, aber die Aufgabe war erkannt.
Damals hieß es: „Diese Seite der Datenverarbeitung erfordert mehr Mittel ... ", und es sei notwendig, „Methoden des politischen Entscheidungsprozesses über Forschungsprioritäten zu entwickeln, die heute kaum in den Anfängen vorhanden sind".
Das sind durchaus prophetische Sätze, die aus der Regierungserklärung von Willy Brandt vom Oktober 1969 stammen, Worte ins Stammbuch des heutigen sogenannten Zukunftsministers; denn Ihre Bilanz ist durchaus bescheiden, um nicht zu sagen beschämend.
Sie ziehen den Staat immer mehr aus der Verantwortung heraus. Dabei brauchen wir zur Gestaltung des Wandels nicht weniger Politik, sondern klare politische Konzepte. Wir brauchen eine Vorstellung davon, ein Leitbild, wie die Informationsgesellschaft der Zukunft aussehen soll. Sonst bewältigen wir den Wandel nicht, sondern vollziehen ihn in anarchischem Wildwuchs auf der Grundlage des Rechts der Stärkeren.
Seit Beginn der 80er Jahre, solange Sie regieren, habe sich hinsichtlich der Schwächen und Stärken der Bundesrepublik Deutschland im internationalen Wettbewerb um neue Technologien, insbesondere Information und Kommunikation, nichts Wesentliches verändert. So erklären es mir Experten aus Wirtschaft und Wissenschaft. Man muß den Satz langsam wiederholen: Seit Beginn der 80er Jahre habe sich nichts Wesentliches verändert. Das ist die Bilanz der Regierung Kohl, die doch Deutschland, wie hieß es so schön: „fit machen will" für das nächste Jahrtausend.
Ihr CDU-Parteifreund Lothar Späth findet schlicht: „Als Innovationsstandort macht Deutschland keine gute Figur." Der Mann kennt die Mängel gut. Er empfiehlt, ,,... daß Staat und Gesellschaft umfassend und konzeptionell und nicht nur sektoral und punktuell gefordert sind. Wir brauchen eine Politik, die liberalisiert und lenkt", so Späth.
Ich zitiere noch einmal eine sozialdemokratische Quelle:
In den Zukunftsbereichen, den Informations- und Kommunikationssystemen, der Bio- und Gentechnik, den neuen Werkstoffen und der Mikrosystemtechnik werden wir Forschung und Entwicklung verstärken und auf eine sorgfältige Technikfolgenabschätzung achten. Wir werden dafür sorgen, daß die modernen Datenautobahnen allgemein zugänglich sind, sie systematisch für moderne Lernsysteme genutzt werden und der Datenschutz gesichert ist. Die wirtschaftliche Umsetzung von Forschungsergebnissen muß beschleunigt werden. Der Umwelttechnik und Umweltforschung werden wir eine höhere Priorität einräumen. Produkte, Produktionsprozesse, Infrastruktur und die Energiesicherung sind in Richtung einer Kreislaufwirtschaft weiterzuentwickeln.
Das war das Wahlprogramm der SPD aus dem Jahre 1994 - von wegen Technikfeindlichkeit der SPD, wie Sie sie uns immer vorzuwerfen belieben!
Im Gegenteil: Wir scheuen den Wettbewerb der Parteien um überzeugende Innovationspolitik nicht. Wir haben als erste Fraktion ein Multimediakonzept vorgelegt. Wir haben Vorschläge für mehr Wagniskapital gemacht, um industrielle Innovation und Forschung zu fördern. Wir haben diese Debatte zur Innovationspolitik herbeigeführt. Und auf die konkreten Anstrengungen sozialdemokratischer Landesregierungen können wir durchaus mit Stolz verweisen.
Für diese Bundesregierung ist dagegen Zukunft eher ein PR-Gag für Parteitage - mehr nicht. Wie anders läßt es sich erklären, daß der Etat für Bildung und Forschung Jahr für Jahr zurückgefahren wird, zuletzt um 4,5 Prozent bzw. um 700 Millionen DM? Die privaten Forschungsaufwendungen sinken natürlich gleich mit.
Wie anders läßt es sich erklären, daß die steuerliche Förderung von Forschungsaktivitäten nahezu abgeschafft ist? Aus gutem Grund ist sonst kein einziger der G-7-Staaten diesem Beispiel für orientierungslose Finanz- und Innovationspolitik gefolgt.
Wie anders läßt es sich erklären, daß unsere großen Forschungseinrichtungen im nächsten Jahr Personal abbauen und Projekte abbrechen müssen? - Doch nicht mit einer Politik, die Deutschland auf das kommende Jahrtausend vorbereitet.
Statt dessen betreiben Sie jene unsägliche Standortrhetorik, damit sie als Begründung für die Beschneidung des Sozialstaats und die Minderung der Arbeitnehmerrechte herhalten kann. Wo sind die wirklich nennenswerten Programme, die die Serienproduktion von Solartechnologie vorantreiben und sie damit bezahlbar machen? Wo sind die Anreize und Regulierungen, die ein nachhaltiges Wirtschaften, eine ressourcen- und energieschonende Produktionsweise herbeiführen? Außer Privatisierung und Liberalisierung, außer dem Verweis auf die Zuständigkeit der Unternehmen fällt dieser Regierung dazu fast nichts ein. Der Zukunftsminister wird auf eine
Wolfgang Thierse
Art Pressesprecher zu Fragen der schönen neuen Welt zurückgestutzt.
An den deutschen Wissenschaftlern, Forschern und Technikern liegt es nicht. An den Unternehmen liegt es leider zu oft, daß Klagen über Nachteile Deutschlands im Wettbewerb der Zukunft berechtigt sind. Vor allem aber muß man sich an diese Bundesregierung wenden. Sie selber schafft die Stagnation, die sie dann wortreich beklagt.
Meine Damen und Herren, Deutschland hat Probleme bei der Produktentwicklung und Markteinführung. Diese Probleme sind weder durch den Wegfall der Vermögensteuer noch durch die Kürzung der Lohnfortzahlung aus der Welt zu schaffen und erst recht nicht durch Kürzungen bei Fortbildung und Umschulung, die Sie Anfang dieser Woche verkündet haben. Dabei wissen Sie doch selbst, daß der Arbeitsmarkt der Zukunft vor allem hohe Qualifikationen erfordert.
Berufliche Weiterbildung erhalten aber heute ohnehin schon vorzugsweise diejenigen, die einen Arbeitsplatz haben. Wer seine Arbeit verliert, verliert auch die wirkliche Chance auf berufliche Weiterbildung.
Die letzten Reformen der Berufsbilder und Ausbildungsordnungen stammen noch aus sozialliberaler Regierungszeit. Jetzt brüsten Sie sich damit, wie viele Ausbildungsordnungen gleichzeitig erneuert werden. Das ist aber kein Ruhmesblatt, sondern nur Beweis dafür, daß Sie einen Reformstau ohne Beispiel verursacht haben.
Bildung und Ausbildung sind aber neben Forschung und Entwicklung die Investitionen in die Zukunft.
Herr Minister Rüttgers, Ihre Kampagne „Schulen ans Netz" ist mit nur 60 Millionen DM ein Tropfen auf den heißen Stein. Sie reicht nicht aus, die Jugend auf die Informationsgesellschaft vorzubereiten.
Warum organisieren Sie nicht eine große Gemeinschaftsanstrengung, eine Bildungspartnerschaft von Bund, Ländern, Gemeinden, Netzbetreibern, Computerherstellern und Software-Entwicklern als gemeinsame Investition in die Informationsgesellschaft, deren Zukunft doch schon längst begonnen hat?
Die USA haben im übrigen bewiesen, daß sich öffentliche Gelder zur Entwicklung von Informationstechnologien auszahlen. Keines der heute weltweit führenden amerikanischen IuK-Unternehmen ist am Anfang ohne staatliche Förderung ausgekommen. Keines benötigt heute auch nur einen Dollar öffentlichen Geldes. Ihre Wachstumsraten liegen zwischen 15 und - sage und schreibe - 75 Prozent. Ihre Nettorenditen betragen bis zu 25 Prozent. Sie sorgen für beträchtlichen Beschäftigungszuwachs. Die Löhne und Gehälter, die dort gezahlt werden, gehören zur
Weltspitze. Die Leistungen dieser Unternehmen als Arbeitgeber und Steuerzahler haben die Aufwendungen der öffentlichen Hand längst um das Zigfache übertroffen. Das ist ein Vorbild, hinter dem Ihre Politik weit zurückbleibt.
Es geht nicht allein um wirtschaftlichen Wandel, nicht nur um Humankapital. Es geht um die berechtigten Ansprüche der Mitmenschen auf soziale Sicherheit und auf Partizipation. Das aber sind wohl nicht so sehr Ihre Ziele. Um die absehbaren gesellschaftlichen Folgen des Wandels drücken Sie sich entweder herum, oder - schlimmer noch - Sie verstärken sie.
Die technologischen und ökonomischen Wandlungsprozesse stürzen mit einer Geschwindigkeit und Massierung auf die Menschen ein, daß viele sie als Verlust an Sicherheit und Verläßlichkeit, als Ursache für Massenarbeitslosigkeit empfinden, was zum Teil stimmt und in der Natur der Sache liegt.
Aber die Natur der Sache ist auch, daß sie ungeheure Chancen für unser Land bieten. Wir können diese Chancen verpassen, wenn sich die Politik ihren Gestaltungsaufgaben entzieht.
Nicht Technikfeindlichkeit oder Beharrungskräfte in der Bevölkerung sind Ursachen für die Langsamkeit, mit der sich bei uns Innovationen durchsetzen, sondern Ihre Politik. Sie haben in 14 Jahren keine Vorstellung davon entwickelt, wie die Gesellschaft der Zukunft aussehen könnte.
Es kann doch keine Begeisterung wecken, wenn die Botschaft aus Bonn immer nur lautet: Wir müssen den Gürtel enger schnallen wegen Maastricht, wegen der Globalisierung. So verpassen Sie der großen europäischen Idee und der profanen, aber erfolgreichen westeuropäischen Praxis ein negatives Etikett, das Europa nicht verdient.
Und Sie wecken Furcht vor der Globalisierung statt Hoffnungen auf deren Chancen und die Bereitschaft, diese auch zu ergreifen; denn Sie versprechen keinen Nutzen. Sie versprechen jedenfalls nur denjenigen Nutzen, die heute schon die Qualifikation haben, um in der Informationsgesellschaft Arbeit zu finden, und denjenigen, die damit als Unternehmer, Aktionäre oder Spekulanten Geld verdienen. Was geschieht mit allen anderen?
Wie schaffen wir die Voraussetzungen für eine gerechte Informationsgesellschaft, für eine beschäftigungswirksame Informationsgesellschaft, für eine demokratische Informationsgesellschaft? Das sind die sinnvollen, die attraktiven Ziele, um die es gehen muß.
Bertolt Brecht schrieb 1932: „Der Rundfunk wäre der denkbar großartigste Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens, ... wenn er es verstünde, nicht nur auszusenden", sondern auch zu empfangen, also den Zuhörer nicht nur hören, sondern auch
Wolfgang Thierse
sprechen zu machen und ihn nicht zu isolieren, sondern ihn in Beziehung zu setzen.
Wir können diese konkrete Utopie von damals heute verwirklichen.
Daraus ergeben sich viele Aufgaben, etwa die Regelung der Folgen für das Urheberrecht, für möglichst hohen Datenschutz, für informationelle Selbstbestimmung.
Die Informationsgesellschaft bedeutet eben nicht zuletzt, möglichst allen Menschen den Zugang zu Informationen zu erleichtern. Sie bedeutet einen potentiellen Fortschritt für die Teilhabe der Menschen am politischen Diskurs. Aber es bedarf politischer Gestaltung, damit das mögliche Mehr an Mündigkeit, an Selbst- und Mitbestimmung auch wirklich entsteht. Es folgt nicht schon aus der technologischen Entwicklung selbst.
Uns kommt es darauf an, die Chancen zu nutzen, und zwar mit den Menschen und nicht über deren Köpfe hinweg. Unsicherheit, Orientierungslosigkeit und Instabilität sind die schlechtesten Voraussetzungen, die man sich für einen entschlossenen Schritt in die Zukunft nur denken kann.
Die wichtigste Aufgabe ist die Sicherung der Beschäftigung, die Überwindung der Massenarbeitslosigkeit. Wir stehen an einem Scheideweg: Entweder eine Gesellschaft, in der es weiter wachsende Langzeitarbeitslosigkeit mit allen ihren Folgen geben wird, eine Gesellschaft, die sich spaltet in diejenigen, die Zugang zu allen wichtigen Informationen haben, und in diejenigen, die sich diesen Zugang nicht verschaffen können.
Wir können aber auch alte Menschheitsträume von gleichem Wohlstand, gleicher Freiheit, gleicher Sicherheit anzustreben versuchen, eine Gesellschaft, in der sich Erwerbsarbeit, Arbeit in Ehrenämtern, Arbeit beider Geschlechter in der Familie und Bildungsphasen abwechseln, ohne daß damit eine Bedrohung der materiellen Existenz des einzelnen einhergeht. Die Arbeitszeitgestaltung, die Einführung von Telearbeit, von Telelearning und deren nötige Absicherung durch Sozialpolitik sind auch Felder, auf denen diese Entscheidungen über unsere Zukunft getroffen werden.
Meine Damen und Herren, ehrlich wäre zu sagen, daß die neuen Technologien heute auch Arbeitsplätze vernichten, denn sie dienen der Erhöhung der Produktivität, selbstverständlich. Trotzdem haben wir gar keine andere Wahl mehr, als darauf zu setzen, daß - wenn auch mit zeitlicher Verzögerung - genügend Arbeitsplätze entstehen werden. Prognosen sagen, der Bereich der Information und Kommunikation werde bis etwa 2010 um die 300 000 Arbeitsplätze schaffen. Das ist gut, aber zuwenig, da wir doch mit jetzt schon über vier Millionen Arbeitslosen in diese Zukunft gehen.
Wir wissen zudem genau, daß neue Arbeitsplätze fast nur für Hochqualifizierte entstehen werden. Wir müssen den Menschen sagen, daß sich nur durch Leistung, durch Anstrengung, durch Ausbildung eine Perspektive gewinnen läßt. Aber wir müssen
dann auch die Strukturen anbieten, in denen diese Leistung erbracht, diese Ausbildung erworben werden kann. Das ist ein zentrales Problem wirklicher Innovationspolitik.
Die Systeme der sozialen Sicherheit, hört man von interessierter Seite immer öfter, seien nicht zu halten. Das klingt so, als müßten sie der Zukunftsfähigkeit geopfert werden. Es gibt aber in Wirklichkeit keinen Grund, warum die Politik zulassen sollte, daß es in Zukunft keine gesicherte Altersversorgung, keine ausreichende Sicherheit bei Krankheit und keinen Kündigungsschutz, statt dessen vor allem Selbständigkeit, Scheinselbständigkeit und private Vorsorge geben sollte.
Weder die Informationsgesellschaft noch die Globalisierung erzwingen das.
Gewiß werden wir Regeln ändern müssen. Der Europäische Gerichtshof hat den rechtlichen Rahmen etwa für Arbeitszeitregelungen soeben abgesteckt. Die Systeme der sozialen Sicherheit müssen neu geordnet werden. Aber abschaffen und zerstören müssen wir sie nicht.
Wir brauchen Netzwerke zwischen universitärer, außeruniversitärer und Industrieforschung einerseits sowie mit und zwischen den innovationsfreudigen Betrieben andererseits. Diese innovationsfreudigen Betriebe sind überwiegend kleine und mittlere Betriebe.
Die Forschungsaufträge der deutschen Industrie werden übrigens zunehmend ins Ausland vergeben. 1995 hatten sie ein Volumen von 1,4 Milliarden DM; das waren 40 Prozent mehr als vier Jahre zuvor. Das ist alarmierend.
„Unser Rückstand läßt sich nur aufholen, indem wir als Unternehmer und Wissenschaftler dazu anregen, innovative Netzwerke zu bilden und gemeinsam Innovationspotentiale zu erschließen." - Noch einmal Lothar Späth, und er hat recht damit.
Die Aufgabe, die sich hier stellt, wäre ideal durch ein Innovationsministerium zu erfüllen; an Stelle des Wirtschafts-, Forschungs- und des Umweltministeriums würde ein Minister daran arbeiten, Forschungsprojekte zu fördern und die Kommunikation zwischen den Forschungsbereichen und der Nachfrage der Produzenten zu gewährleisten. Die sachkundigen Mitarbeiter müßten nicht mehr gegeneinander - hier für den F.D.P.-Wirtschaftsminister, dort für den CDU-Forschungsminister oder seine Kollegen aus dem Umweltministerium -, sondern miteinander die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft fördern und könnten die heute enormen Reibungsverluste vermeiden.
Ein solcher Vorschlag, vermute ich, dürfte bei Ihnen, Herr Kollege Rüttgers, durchaus auf offene
Wolfgang Thierse
Ohren stoßen, aber Sie haben ja einen Koalitionspartner, mit dem das eben nicht geht.
Immer mehr Arbeitnehmer begreifen die Informationsgesellschaft als Chance zu selbstbestimmten Arbeiten und begrüßen die Möglichkeiten der Telearbeit. Diese Zustimmung müssen wir unterstützen, indem diejenigen Unternehmen zum Vorbild genommen werden, die auf die langfristigen Vorteile dieser Entwicklung in Form von höherer Produktivität und besserer Motivation setzen, statt denjenigen politisch entgegenzukommen, die nur kurzfristige Gewinnmaximierung auf dem Rücken der Arbeitnehmer betreiben.
Es gibt keinen Zwang, für Telearbeit das traditionelle Arbeitnehmerverhältnis aufzulösen. Im Gegenteil, es ist sicherzustellen, daß dabei die Bindung an den Betrieb und an die soziale Interaktion dort erhalten bleibt. Die Gewerkschaften sind längst bereit, gemeinsam mit der Wirtschaft an einem funktionsfähigen, kostensparenden, aber sozial verantwortbaren Fundament für die Informationsgesellschaft zu arbeiten. Durch Mitbestimmung kann ein neues Erfolgsmodell entstehen, nicht durch Schwächung der Gewerkschaften und der Mitbestimmung.
Die Veränderung der Medien vollzieht sich mit großer Geschwindigkeit. Wir müssen deshalb das duale Rundfunksystem aus öffentlich-rechtlichen und privaten Anbietern zu einer dualen Informationsordnung ausbauen. Selbst der bayerische Ministerpräsident hat inzwischen begriffen, daß der Platz von ARD und ZDF darin gesichert bleiben muß. Wir wollen Deutschland nicht bloß zu einem Land des variantenreichen Programmangebots, sondern zu einem Produktionsstandort von Programmangeboten machen.
Die Medienwirtschaft gehört mit zu den Zukunftsbranchen, die wir benötigen.
Das Internet ist keine Bedrohung, sondern eine Chance. Wir brauchen dort keine Zensur, sondern freiwillige Selbstkontrolle der Anbieter.
Wir brauchen eine Ausstattung und Ausbildung der Polizei, um Straftaten im Internet verfolgen zu können.
China - zweifellos eine Diktatur - setzt auf Kontrolle und Zensur, auf Beschränkung des Zugangs zum Internet. Dort weiß man, warum man es tut. In Deutschland und Europa haben wir aber die demokratischen Möglichkeiten dieses Mediums noch lange nicht ausgeschöpft. Der Ruf nach der Zensur ist also schlichtweg falsch.
Der gleichberechtigte und bezahlbare Zugang aller ist eine wesentliche Voraussetzung. Ein Universaldienst muß die flächendeckende und preisgünstige Versorgung mit hochwertigen Informationen auf dem jeweils neuesten Stand der Technik sicherstellen.
Meine Damen und Herren, der Wettbewerb der Zukunft wird über Forschungs- und Entwicklungsleistungen entschieden. Dem dafür zuständigen Minister kürzt man die Mittel; Forschungseinrichtungen müssen Personal abbauen und ganze Standorte schließen.
Der Wettbewerb der Zukunft wird auf dem Gebiet der Qualifikation der Arbeitnehmer entschieden. Dem zuständigen Bildungsminister und dem für Umschulung und Fortbildung zuständigen Arbeitsminister kürzt man die Mittel.
Der Wettbewerb der Zukunft wird auf dem Gebiet der Nachhaltigkeit entschieden. Dafür interessiert sich der Wirtschaftsminister wenig, der Finanzminister auch nicht; die anderen, Rüttgers, Frau Merkel, Wissmann, haben weder Ideen noch Mittel dafür.
Der Wettbewerb der Zukunft wird auf dem Gebiet der Umwelttechnologien und der Kreislaufwirtschaft entschieden. Der Finanzminister hält die ökologische Steuerreform für Unsinn.
Der Wettbewerb der Zukunft wird auf dem Gebiet internationaler sozialer Standards entschieden. Der Kanzler verhindert eine europäische Beschäftigungspolitik, und der Außenminister hat die Aufgabe noch gar nicht begriffen.
Der Wettbewerb der Zukunft wird durch die Art entschieden, wie wir die tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen hin zur Informationsgesellschaft verkraften und gestalten. Wir Sozialdemokraten wollen die in diesen Veränderungen liegenden Chancen für demokratische Erneuerung und soziale Sicherheit und Gerechtigkeit nutzen.
Ich danke Ihnen für das Zuhören.
Als nächster spricht der Kollege Dr. Martin Mayer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn der Kollege Thierse vorhin davon gesprochen hat, es habe sich zuwenig verändert, was die Informationstechnik und die Biotechnik in Deutschland anbelangt, dann muß man doch einmal die Frage stellen: Wer sitzt denn im Bremserhäuschen, wenn es darum geht, Bürokratie in bezug auf die Gentechnik abzu-
Dr. Martin Mayer
bauen? Ich sage: Wer mit einem Finger auf einen anderen zeigt, zeigt mit drei Fingern auf sich zurück.
Wer sitzt denn im Bremserhäuschen, wenn es darum geht, mit dem Forschungsreaktor München neue Technik nach Deutschland zu bringen? Wer sitzt denn im Bremserhäuschen, wenn es darum geht, Arbeitszeit zu flexibilisieren und Bürokratie abzubauen?
Das einzige, was die SPD kann, ist ein phantasieloses Fordern von mehr Geld. Aber Sie werden die Unternehmensgründungen, die Sie hier beschworen haben, nicht dadurch erreichen, daß Sie die Unternehmer weiterhin als Ausbeuter beschimpfen,
daß Sie sich dem Abbau der Unternehmensbesteuerung widersetzen. Ich nenne nur einmal das Stichwort Gewerbekapitalsteuer.
- Das wollen Sie nicht gerne hören, aber das ist die Wahrheit.
Haben Sie denn nicht zur Kenntnis genommen, welche Initiativen die Bundesregierung - auch die Länder haben hier vieles geleistet - ergriffen hat, um die Versorgung mit „venture capital" und die Gründung von jungen Unternehmen zu erleichtern?
Wenn mein Vorredner beklagt, daß deutsche Forschungseinrichtungen ins Ausland abwandern, dann sage ich: Er soll sich einmal erkundigen, wie es um die bürokratischen Hemmnisse beispielsweise bei Tierversuchen bestellt ist, wie viele Mediziner und Pharmazeuten dadurch zur Abwanderung ins Ausland gezwungen worden sind. Auch das wollen Sie nicht hören. Ich meine, diese Frage muß man hier auch einmal stellen.
- Die Beispiele kann ich Ihnen gerne einmal schriftlich geben.
Heute beschäftigen wir uns ja überwiegend mit dem Thema Informationstechnik.
Die Informations- und Kommunikationstechnik ist unser Zentralthema; denn es geht um die entsprechenden Anträge der SPD. Ich möchte einmal feststellen, daß es in bezug auf die Analyse und die allgemeinen Ziele eine weitgehende Übereinstimmung gibt. Die Analyse lautet: Es wird gewaltige Veränderungen geben. Es wird auch immer schwieriger, daß die Nationalstaaten ihre Ziele durchsetzen. Die Ziele lauten, das Wohl der Mitbürger in Deutschland und in der Welt im Auge zu haben und einen besseren Schutz von Natur und Umwelt zu garantieren.
Aber es gibt beachtliche Unterschiede im Weg und in der Gewichtung von Teilzielen. Der größte Unterschied liegt in der Beurteilung des Umfangs des staatlichen Handelns. Wir müssen im Auge behalten, daß der Weg in die Informationsgesellschaft, der Weg mit den neuen Info- und Teletechniken in die Wissensgesellschaft, ein Weg in unbekanntes Land, in Neuland, ist. Dabei redet die SPD immer von der Verantwortung der Gesellschaft. Für uns steht die Verantwortung des Bürgers als Nutzer, als Unternehmer und als Anbieter von Diensten und Techniken im Vordergrund. Die Hauptverantwortung muß bei den Handelnden bleiben.
Das gilt im übrigen auch für die Nutzer. Wenn Sie in Ihrem Antrag von einem „gesellschaftlichen Bedarf" sprechen, dann verwenden Sie einen Begriff aus der Mottenkiste der sozialistischen Planwirtschaft.
Ich meine, der mündige Bürger ist auch als Konsument ein mündiger Bürger. Der Staat hat nicht das Recht, ihm vorzuschreiben, ob er nun seichte Unterhaltung oder tiefschürfende Philosophie aus der Infobahn zieht.
Allerdings gibt es auch Übereinstimmungen, und zwar darin, daß der Staat eine besondere Verantwortung für kulturelle Angebote im Rundfunkbereich hat. Entgegen den Unterstellungen und Behauptungen sage ich hier: Wir von der Unionsfraktion und den beiden Unionsparteien stehen auch in Zukunft klar zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
Es gab in der Enquete-Kommission unterschiedliche Auffassungen über den Umfang der Werbung. Das werden letztlich die Ministerpräsidenten auch in Zukunft entscheiden. Sie haben es im Rundfunkstaatsvertrag entschieden. Sie haben im übrigen auch in der Frage der Monopolisierung kluge Entscheidungen in dem Rundfunkstaatsvertrag getroffen, der unterzeichnet ist und der zur Ratifizierung ansteht. Sie haben nämlich die Grenze so weit gezogen, daß die beiden großen Medienkonzerne - der eine in Bayern, der andere in Nordhein-Westfalen - davon nicht betroffen sind. Sie haben damit recht, weil nämlich die Gefahr nicht von den Großen in Deutschland, sondern von den Time-Warners, den Murdochs und den großen internationalen Gesellschaften droht. Deshalb meine ich, daß dieses Vorgehen vernünftig ist.
Dr. Martin Mayer
Die SPD spricht in ihrem Antrag von der Entwicklung des dualen Rundfunksystems zu einem dualen Informationssystem. Dabei muß man allerdings die Frage stellen: Soll das bedeuten, daß es neben T-Online, Compuserve, AOL und den anderen Online-Diensten auch einen ARD- und ZDF-Online-Dienst gibt? Oder soll das bedeuten - diese Frage sollten Sie beantworten -, daß es dann auch öffentlich-rechtliche Zeitungen in größerem Umfang gibt?
Unabhängig von der Frage, in welchem Umfang sich öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten an Online-Diensten beteiligen, steht für uns fest: Diese Dienste sind etwas völlig Neues. Sie sind einfach aus sachlichen Erwägungen etwas völlig anderes als Rundfunk. Sie sind etwas anderes im Gebrauch. Ich habe nicht nur die Möglichkeit, zwischen 20 oder vielleicht in Zukunft 100 oder 200 Programmen zu wählen, sondern ich habe auch die Möglichkeit, aus einer Fülle von Inhalten, ähnlich wie beim Zeitungsmarkt, mir das auszuwählen, was ich gerade in dem Augenblick, in dem ich es wissen will, brauche.
Es gibt einen weiteren fundamentalen Unterschied. Ich bin nicht nur ein Nutzer und ein Konsument, sondern ich kann auch Anbieter sein. Jeder, der einen Online-Anschluß hat - egal, ob das nun TOnline oder Compuserve ist -, kann selbst ein Angebot ins Netz geben: in Schrift, Bild und Sprache.
- Das soll ihm nicht verboten sein.
Ich möchte in diesem Zusammenhang eine Kritik an den Ländern anbringen, nämlich, daß sie bei der Ausarbeitung zu dem Entwurf des Multimedia-Staatsvertrags ständig darauf bestehen, alles, was von einem Punkt an viele geht, in die Länderregelung einbeziehen zu wollen. Ich meine, Sie sollten eine wichtige Gesetzgebung nicht mit solchen Spitzfindigkeiten verzögern.
Rechtssicherheit für alle Beteiligten, zum Beispiel für die Nutzer, ist besonders wichtig.
Diese Rechtssicherheit wird in dem kommenden Informations- und Kommunikationsdienstegesetz geschaffen werden. Zu Einzelfragen werden viele Diskussionen notwendig sein. Der Minister hat der Öffentlichkeit einen Referentenentwurf vorgestellt. Wir werden zu gegebener Zeit zu den einzelnen Fragen des Datenschutzes, des Jugendschutzes, der Sicherheit, des Verbraucherschutzes usw. Stellung nehmen. Ich kann mir das heute sparen.
Aber ich möchte noch ein paar Anmerkungen zum Jugendschutz und zur Bekämpfung strafbarer Inhalte machen. Beim Jugendschutz liegt die erste Verantwortung bei den Eltern und auch bei den Online-Diensten.
- Bei den Eltern zuerst und bei den Online-Diensten insofern, als sie die entsprechenden Angebote machen.
Aber es wird nicht möglich sein, das Internet sozusagen jugendfrei zu halten. Vielmehr wird es notwendig sein, für diejenigen, die die Inhalte den Jugendlichen nicht zumuten wollen, eine Sperrmöglichkeit einzubauen. Es ist eine Riesenchance für die Online-Dienste, spezielle Angebote zu haben, die auch für Kinder oder für Jugendliche geeignet sind.
Bei der Bekämpfung strafbarer Inhalte im Netz sehe ich keine allzu großen Unterschiede zwischen uns. Es darf im Internet keine Zensur geben. Aber es müssen alle Anstrengungen unternommen werden, um die strafbaren Inhalte durch Stichproben zu erkennen und aus dem Netz zu nehmen. Dazu gibt es viele Möglichkeiten. Wenn es im Netz Suchmaschinen gibt, die innerhalb von Minuten oder Sekunden Tausende von Quellen zu einem Begriff nennen, dann muß es doch auch Suchmaschinen geben, mit denen sich beispielsweise diese strafbaren Inhalte aufspüren und bekämpfen lassen.
Ich möchte noch eine Nachfrage an die SPD richten, nämlich was sie unter „kulturunabhängiger" Definition von internationalen Vereinbarungen bei der Bekämpfung strafbarer Inhalte versteht. Wer soll da seine Kultur verleugnen? Sollen das die Asiaten oder die Afrikaner sein? Oder müssen auch wir unsere Kultur verleugnen? Ich möchte vor solchen Formulierungen warnen.
Ich meine, internationalen Vereinbarungen muß eine Wertediskussion vorausgehen; erst dann können wir zu solchen Vereinbarungen kommen. Das ist eine große Herausforderung. Die Infobahn verstärkt nämlich nicht nur den wirtschaftlichen Wettbewerb, sondern sie zwingt uns auch, uns mit anderen Kulturen auseinanderzusetzen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es geht bei dieser Diskussion nicht nur um kulturelle Werte, sondern es geht auch und in erster Linie um Arbeitsplätze. Da besteht insofern Übereinstimmung, daß es Verlierer gibt und daß es Gewinner geben kann. Deshalb meine ich auch, daß wir uns nicht so sehr, wie es im SPD-Antrag gefordert wird, mit den Prognosen auseinandersetzen sollten; die sind im Zweifelsfall sowieso falsch. Vielmehr sollten wir uns damit beschäftigen, was wir tun können, um neue Arbeitsplätze bei uns zu schaffen. In diesem Zusammenhang sind die SPD-Rezepte falsch.
Sie schreiben in Ihrem Antrag, daß eine positive Beschäftigungsbilanz vom erreichten Grad der Grundversorgung abhängt; das ist mehr als fraglich. Indem Sie das Recht auf Grundversorgung in ein Grundrecht auf Information umwandeln, schaffen Sie keinen einzigen neuen Arbeitsplatz - vielleicht in der Verwaltung und bei den Gerichten, aber nicht einen einzigen kreativen, produktiven Arbeitsplatz.
Wenn die SPD eine „Mitbestimmungspflichtigkeit der Auftragsvergabe" fordert, dann ist festzustellen,
Dr. Martin Mayer
daß das ein Programm zur Vernichtung von Arbeitsplätzen in Deutschland ist. Das darf nicht geschehen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der SPDAntrag ist geprägt von Mißtrauen gegenüber dem Markt und der Deregulierung. Er hat im Zweifelsfall die Tendenz, sofort nach dem Staat zu rufen. Das fördert nicht das Klima, in dem Unternehmensgründer bereit sind, unternehmerischen Mut zu zeigen.
Auch die Forderung nach breiter Ausstattung, nach einer Grundversorgung, die jedermann auf Kosten der Allgemeinheit zustehen soll, führt zu neuen, komplizierten Vorschriften und ist mit Sicherheit kein Beitrag für neue Arbeitsplätze in Deutschland. Natürlich ist es ein politisches Ziel, den Schwächeren zu helfen. Aber bevor wir den Kuchen verteilen können, muß er gebacken werden.
Im übrigen besteht Übereinstimmung darin, daß es wichtig ist, Schulen, Universitäten und Bibliotheken mit den neuen Techniken hervorragend auszustatten. Aber diese Botschaft sollten Sie auch einmal an die Adresse der Zuständigen, nämlich der Länder, Städte, Landkreise und Gemeinden, richten, die sonst immer sehr eifersüchtig auf ihre Kompetenzen achten.
Herr Dr. Mayer, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Wolf?
Wenn die Zeit nicht angerechnet wird.
Nein, sie wird nicht angerechnet. - Bitte.
Herr Kollege Mayer, da Sie gerade darauf hingewiesen haben, daß auch die Länder etwas tun müssen - zum Beispiel im Rahmen des Programms „Schulen ans Netz"; Sie kennen dieses Stichwort -, spreche ich Sie einmal auf Ihre Staatsregierung an: Bayern hat ein großes Programm ausgerufen und behauptet, Bayerns Schüler würden für das High-Tech-Zeitalter fit gemacht.
Nun hat der Präsident des Bayerischen Städtetages, Deimer - ein Parteikollege von Ihnen -, in der „Süddeutschen Zeitung" vom 2./3. November beklagt, daß die Bayerische Staatsregierung zwar behauptet, sie wolle, daß die Schulen ans Netz kommen, aber die Mittel dazu verweigert. 40 Millionen DM werden dazu gebraucht. Aber die Bayerische Staatsregierung stellt nur 10 Millionen DM zur Verfügung.
Wie verstehen Sie das? Propaganda alleine nützt den Schulen doch nichts, und die Städte sind überfordert. Könnten Sie mir einmal sagen, wo die Bayerische Staatsregierung da ihre Verantwortung wahrnimmt? Sie als CSU-Abgeordneter sollten hier einmal klären, wieso Sie die Mittel den Schulen nicht zur Verfügung stellen.
Das ist ja eine schöne Frage. Es freut mich, auch einmal für die Bayerische Staatsregierung antworten zu dürfen: Erstens dürfte es wohl nicht sein, daß die Städte und Gemeinden zwar für die Bauhöfe, für Feuerwehren, für Schwimmbäder und Bürgerhäuser genügend Geld haben, aber plötzlich zu knausern anfingen
- Gott sei Dank tun sie es nicht -, wenn es darum geht, die Schulen auszustatten. Die Sachausstattung ist in Bayern Aufgabe der Städte, Landkreise und Gemeinden.
Zweitens. Die Bayerische Staatsregierung wird in der Frage der Förderung der neuen Informations-und Kommunikationsdienste mit ihrem Programm „Bayern Online" von keinem anderen Land in Deutschland übertroffen.
Drittens. Der Bundesminister für Forschung und Technologie hat, obwohl er nicht originär zuständig ist, mit dem Programm „Schulen ans Netz" eine großartige Initiative ergriffen, die einen Wettbewerb der Ideen in Gang gebracht hat. Das ist notwendig in diesem Bereich.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluß noch folgendes sagen: Der Weg in die Informationsgesellschaft ist gleichzeitig eine kulturelle, politische, wirtschaftliche und soziale Herausforderung. Zur Bewältigung dieser großen Aufgabe ist Dreierlei nötig:
Erstens. Wir brauchen Mut und Verantwortungsbewußtsein der Beteiligten, um die Angst zu überwinden und auch die Angstlichkeit, die ihren Ausdruck in den vielen Reglementierungen findet.
Zweitens. Wir brauchen Sorgfalt gegenüber Gefahren. Über die Abwehr von Gefahren werden wir uns bei der Debatte über das Informations- und Kommunikationsdienstegesetz ausführlich unterhalten.
Drittens. Wir brauchen Begeisterung für das Ziel. Es muß heißen: Die Weichen stellen und den Freiraum schaffen, damit sich Talente und schöpferische Fähigkeiten entwickeln und entfalten können. Denn nur dann kann Deutschland durch aktive Gestaltung der neuen Techniken und der Informations- und Teledienste Wohlstand und sozialen Ausgleich im eigenen Land sichern und einen Beitrag zur Lösung der Probleme in der Welt leisten.
Dr. Martin Mayer
Dazu fühlen wir uns verpflichtet.
Als nächsten Redner rufe ich Dr. Manuel Kiper auf.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Mayer hat keinen tollen Beitrag zur Innovationsdebatte geleistet, sondern vor allen Dingen zum Kuchenbacken und hat hier ordentlich Backpulver verschossen.
Er hat zur Innovationssituation vor allen Dingen ein paar verbale Pöbeleien gegen die Opposition verschossen und dabei nur wieder den Forschungsstandort Deutschland schlechtgemacht,
wobei er natürlich die Stichworte aufgegriffen hat, die Herr Minister Rüttgers ihm geliefert hat.
Ich möchte behaupten, daß der sich selber so gern als Zukunftsminister bezeichnende Herr Rüttgers eine Blockade für Innovationen in diesem Lande geworden ist und sich immer mehr als ein Innovationsrisiko erweist. Sie, Herr Rüttgers, haben zu Beginn dieses Jahres den Forschungs- und Technologiestandort Deutschland einfach schlechtgeredet. Sie waren der Auffassung, daß die technologische Innovationsfähigkeit in Deutschland am Ende sei. Sie schockierten uns alle, die Wirtschaft, die Forschungslandschaft, mit der Hiobsbotschaft, aus Deutschland komme nichts Neues mehr. Das technologische Erbe sei verspielt.
Herr Minister, die Situation ist eine ganz andere. Die in den Zukunftsbranchen tatsächlich zu konstatierenden Innovationsschwächen liegen eindeutig nicht im Forschungsbereich, sondern in der industriellen Umsetzung wirtschaftlich zukunftsträchtiger Entwicklungen.
- Da Sie schon wieder „BioRegio" rufen: Ich kann Ihnen dazu etwas sagen, was die Forschung anbelangt. Selbst in dem in unserer Gesellschaft umstrittensten Bereich, dem der Gen- und Biotechnologie, liegen acht der weltweit 50 führenden großen Forschungseinrichtungen in Deutschland. Es liegt also nicht an der Forschung. Deshalb ist es auch völlig an der Sache vorbeigeredet und überhaupt nicht zweckdienlich, wenn der Forschungsstandort Deutschland schlechtgeredet und als Problem dargestellt wird.
Meine Damen und Herren, der Bericht, auf den sich der Herr Minister seinerzeit stützte, zeichnet ein ausgesprochen differenziertes Bild der technologischen Leistungsfähigkeit hierzulande. Ich darf zitieren:
Der Bereich der höherwertigen Technik bleibt die Domäne Deutschlands. Dort weist Deutschland als einziges Land selbst gegenüber den USA und Japan überdurchschnittlich gute Marktergebnisse auf.
Nach Auffassung der Wirtschaftsforschungsinstitute ist nicht die Forschungslandschaft das Problem. Vielmehr komme es auf - ich zitiere aus diesem Bericht - „ein besseres Zusammenspiel von Wissenschaft und Wirtschaft in dynamischen Kooperationsnetzwerken, die Bereitstellung von mehr Innovationskapital, Unternehmensgründungen in technologie- und wissensbasierten Bereichen und eine konsequente Verbesserung der Entfaltungsmöglichkeiten für neue Technologieanwendungen" an.
Dies ist etwas anderes als das, was Herr Rüttgers sagt. Es geht nicht darum, den Forschungs- und Technologiestandort Deutschland unnötig schlechtzureden, sondern es geht damm, die Voraussetzungen für zukunftsfähige Innovationen in diesem Lande zu schaffen. Herr Rüttgers, hierfür sind Sie bedauerlicherweise ein schlechter Lobbyist.
Wir haben gestern im Forschungs- und Technologieausschuß ausführlich über die neue Haushaltssituation debattiert. Herr Rüttgers, Sie leiden unter der typischen Krankheit junger Technologieunternehmen. Sie haben versucht, mit frischen Ideen zu starten, und dann gab es kein Geld mehr.
Sie und Ihr Haushalt werden in besonderer Weise vom Bundesfinanzminister gefleddert. Es ist so, daß in Ihrem Haushalt nicht proportional gespart werden muß, sondern daß Sie ganz besonders zur Kasse gebeten werden. Das hat nichts mit Zukunftsinvestitionen zu tun, sondern bei Bildung, Wissenschaft und Forschung wird vorrangig gespart. Das ist ein Zeichen in die verkehrte Richtung.
Herr Rüttgers, ich möchte Ihnen zum Vorwurf machen, daß Sie nicht Innovationen für morgen betreiben, sondern in den Sackgassen von gestern hängenbleiben. Ich erinnere an den Transrapid: Letzte Woche ist bekanntgeworden, daß Sie aus Ihrem Haushalt, dem Zukunftshaushalt, mit 200 Millionen DM zur Kasse gebeten werden, die die Industrie nicht zu zahlen bereit ist, damit der Transrapid im Emsland weiter auf der Versuchsstrecke fahren kann. Das hat nichts mit Zukunftsinvestitionen zu tun.
Herr Rüttgers, Sie setzen auf den Wendelstein, Sie binden die Zukunftsgelder in die Fusionsforschung, statt in die Sonnenenergie, obwohl Sie zugeben müssen, daß aus der Fusionsforschung frühestens in 50 Jahren möglicherweise Energie gewonnen werden kann.
Herr Rüttgers, Sie setzen weiterhin auf die bemannte Weltraumstation, auf die bemannte Weltraumfahrt. Ich möchte an das erinnern, was für die CDU-Fraktion offensichtlich für Innovationen Leitbild ist, und an das, was Kollege Rachel in unserer
Dr. Manuel Kiper
letzten Innovationsdebatte im Juni ausführte: „Wenn wir über Innovationen reden, reden wir von Raumfahrt." Nicht im All wird Innovation betrieben, sondern hier in Deutschland.
Die Technologiepolitik der Koalitionsfraktionen leidet selbst bei so jungen Mitgliedern wie dem Kollegen Rachel offensichtlich unter einem Verkalkungssyndrom.
Herr Rüttgers, Sie wachsen sich zu einem Scheinriesen aus. Wir sind uns in diesem Hause einig, daß die Informationstechnologien eine Zukunftschance darstellen und wir auf I- und K-Technologien setzen müssen. In Ihrem Etat aber muß beispielsweise die Zukunftsbranche Informationstechnik mit durchschnittlich 9 Prozent weniger auskommen. Die langfristig angelegte Forschung in neuen Basistechnologien der Informationstechnik wird in Ihrem Haushalt sogar um 40 Prozent zurückgefahren.
Ihr Versäumnis, Herr Minister, ist es, daß Sie sich nicht von veralteten Technologielinien trennen. Sie müßten die Mittel effektiv für nachhaltige Zukunftstechnologien einsetzen. In der Solartechnologie verliert die Bundesrepublik den Anschluß. Sie haben für die Solartechnologie eine 18prozentige Kürzung in Ihrem Haushaltsentwurf vorgenommen.
In der Umwelttechnik, über die in diesem Hause eine große Übereinstimmung besteht, sie als Zukunftsinnovation, als Zukunfstechnologie gemeinsam zu befördern, haben uns die USA im letzten Jahr überholt; Japan wird das voraussichtlich in diesem Jahr tun. Das hängt damit zusammen, daß in Deutschland der Innovationsprozeß von Forschung und Entwicklung nicht auf nachhaltige Entwicklungen ausgerichtet wird und die Weichen nicht richtig gestellt werden.
Herr Minister, Umweltforschung wird vom ganzen Hause begrüßt. Das letzte Umweltforschungsprogramm ist 1994 beendet worden. Bis heute hat Ihr angebliches Zukunftsministerium kein neues Umweltforschungsprogramm aufgelegt.
Wir brauchen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, eine Neuausrichtung des Innovationsprozesses von Forschung und Technologie auf nachhaltige Entwicklungen. Nachhaltige Entwicklung muß zur strategischen Leitlinie des gesamten Innovationsprozesses werden. Hierzu müssen ganz klare staatliche Rahmenbedingungen gesetzt werden. Es geht nicht immer nur um Deregulierung, sondern es geht darum - zum Beispiel oder vielleicht sogar vor allen Dingen -, mit Ökosteuern die richtigen Rahmenbedingungen zu setzen.
Was die Ökosteuern anlangt, Herr Rüttgers, haben Sie sich diesbezüglich selber ein Gutachten anfertigen lassen. Darin kommen die Fachleute zu dem Ergebnis, daß Beziehungen zwischen Ökosteuern, Innovation und nachhaltiger Entwicklung existieren und Ökosteuern notwendig sind, um Innovationen für eine nachhaltige Entwicklung in Gang zu setzen.
Herr Minister, noch eine Bemerkung zu den Arbeitsplätzen, weil Kollege Mayer vor allen Dingen auf die Frage der Arbeitsplätze eingegangen ist. Sie reden so gerne von Millionen von Arbeitsplätzen, die durch Biotechnologie und Gentechnik geschaffen werden. Erst vor einem Monat sprach der Herr Minister, der es ja besser wissen müßte, davon, daß durch Gen- und Biotechnologie 9 Prozent der Bruttowertschöpfung und 8 Prozent der Beschäftigung in Europa im Jahre 2000 entstünden. Meine Damen und Herren, schauen Sie sich doch einmal die nüchternen Zahlen an; Sie laufen hier Hirngespinsten nach. Die nüchternen Zahlen besagen: Gegenwärtig gibt es in ganz Europa in dieser Branche 17 200 Arbeitsplätze. Das ist die aktuelle Zahl. Sie müssen also Ihre Innovationsvorstellungen auf den Prüfstand stellen.
Die Rahmenbedingungen für Innovation und junge innovative Unternehmen müssen verbessert werden. Die Bundesregierung hat dazu 14 Jahre Zeit gehabt, die F.D.P. sogar 25 Jahre. Sie haben es offensichtlich nicht geschafft, den Risikokapitalmarkt und die Kapitalmarktfinanzierung für neue Technologien in Deutschland durchzusetzen, um jungen Technologieunternehmen eine Chance zu geben. Kleine Technologieunternehmen müssen gefördert werden. Aus dem Forschungshaushalt werden hingegen vor allem Firmen wie Siemens und Daimler-Benz gefördert.
Die steuerliche Absetzbarkeit ist vor allen Dingen beim Schiffbau und bei Immobilien gegeben, nicht aber bei Forschung und Technologie. Die Patentgebühren für Erfinder, die das Europäische Patentamt erhebt, müssen gesenkt werden. Ich möchte hier ganz klar sagen, daß Ihre Patentkonzeption, Herr Rüttgers, an diesem Punkt zumindest zum Teil richtige Vorstellungen enthält und Vorschläge macht, die in die richtige Richtung gehen.
Meine Damen und Herren, in Deutschland muß die mangelnde Dialogorientierung überwunden und ein offener und demokratischer Technologie- und Innovationsdiskurs etabliert werden. Im Augenblick wird in der Bundesrepublik Gensoja eingeführt. Niemand weiß, wofür wir es benötigen. Es wird nicht gekennzeichnet. Dies entspricht nicht einem offenen Technologiedialog, einem Diskurs über das, was wir in diesem Land an Innovation und an Zukunftstechnologie benötigen.
Es entspricht auch nicht dem Prinzip des Diskurses, wenn man Menschen in diesem Lande, die auf die Felder gehen und sagen, wir wollen keine risikobehafteten Freisetzungen, in die kriminelle Ecke stellt, wie das der Herr Minister tut. Wir brauchen in dieser Gesellschaft einen Konsens über innovative Technologien.
Ich fasse zusammen:
Erstens. Der Innovationsprozeß muß auf eine nachhaltige Entwicklung ausgerichtet werden.
Zweitens. Mit Ökosteuern muß umgesteuert werden.
Dr. Manuel Kiper
Drittens. Ein Risikokapitalmarkt als Existenzgründungsvoraussetzung für innovative Technologieunternehmen muß geschaffen werden.
Viertens. Eine Innovationskultur muß gelebt werden. Sie bedarf nicht der verordneten Ruhe oder teurer Akzeptanzkampagnen, sondern der Vernetzung, der Kommunikation, des kritischen und demokratischen Diskurses über Leitbilder und Leitprojekte.
Ich möchte nun noch etwas zu den Anträgen zur Informationsgesellschaft sagen, die auf der heutigen Tagesordnung stehen. Die SPD hat dazu ein bißchen spät einen Antrag vorgelegt; wir haben unseren diesbezüglichen Antrag bereits vor einem Jahr eingebracht. Der SPD-Antrag ist gut. Er enthält sehr viele gute Komponenten. Er kommt nur, wie gesagt, ein bißchen spät.
Kollege Thierse, was den Universaldienst anlangt: Die in Ihrem Antrag enthaltene Forderung ist sehr gut und richtig, aber bedauerlicherweise haben die sozialdemokratischen Kolleginnen und Kollegen, die sich mit der Postpolitik beschäftigen, den Universaldienst in eine andere Richtung gedrängt.
Zum PDS-Antrag ist zu sagen: Auch dort gibt es Forderungen zu einer demokratischen und sozialen Gestaltung der Informationsgesellschaft.
Dieser Antrag ist nicht völlig unbrauchbar.
Unser grüner Antrag zur Informationsgesellschaft ist bereits der dritte Antrag in dieser Richtung.
Er ist konkret auf das Internet bezogen. Es kommt nicht auf die Euphorie an, mit Hurra in die Informationsgesellschaft einzusteigen. Es kommt jetzt darauf an, Voraussetzungen für eine selbstbestimmte breite Nutzung der Netze zu schaffen.
Wir haben hierzu einen Antrag vorgelegt. Wir brauchen keine neuen Strafgesetze. Was wir brauchen, ist Datenschutz, Verbraucherinnen- und Verbraucherschutz, ein breiter Informationszugang und Datensicherheit. Wir brauchen Preistransparenz, wir brauchen Rechtssicherheit für Kunden, wir brauchen eine Haftungsregelung, wir brauchen Schutz vor Fälschungen, wir brauchen auch Maßnahmen zum Jugendschutz - Herr Kollege Mayer, hier stimme ich Ihnen zu -, wir brauchen die Ausbildung zu Medienkompetenz, wir brauchen eine intensivere Forschung an Verschlüsselungsverfahren.
Jetzt brauchen wir die Einhaltung der Redezeit.
Ich komme zum Schlußsatz.
Unter diesen Voraussetzungen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, könnten wir die Informationsgesellschaft und das Internet zum Innovationsmotor für die weltweite Kommunikation werden lassen und für die Arbeitsplätze der Zukunft beitragen.
Ich danke Ihnen.
Das Wort erhält der Kollege Professor Hans Laermann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Thierse, ich möchte vorweg eine Bemerkung machen. Was Sie gesagt haben, ist Ihnen nicht übelzunehmen. Aber ich gehöre diesem Hohen Hause schon seit einigen Jahren an. Ich erinnere mich sehr gut an die Diskussionen Ende der 70er Jahre mit den Kollegen von der SPD-Fraktion, die erhebliche Widerstände gegen die Verkabelung und auch gegen die Einführung der EDV und gegen den PC hatten. Das Wort „Jobkiller" machte damals die Runde. Ich saß mit Ihnen in einer Koalition. Ich weiß um diese Diskussion.
- Ich wollte nur sagen: Sie haben auf 1970, auf Willy Brandt abgehoben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD - „Innovationspolitik in Deutschland" - ist nach meiner Auffassung umfassend und macht deutlich, wie vielfältig die Faktoren sind, die Innovation und Strukturwandel beeinflussen und fördern, aber auch - das darf nicht verschwiegen werden - behindern können. Diese Antwort macht aber auch deutlich, daß der Staat allein nicht in der Lage ist, den Strukturwandel zu gestalten. So verstehe ich auch die Ausführungen von Herrn Späth, Hen Thierse. Sie sollten sie daraufhin noch einmal überprüfen.
Wir haben es mit äußerst dynamischen Prozessen zu tun, die ganz wesentlich von denen getragen werden müssen, die einerseits das Wissen und die Erkenntnisse erbringen, die andererseits aber auch den Erkenntniszugewinn in Produkte, in Produktionsverfahren umzusetzen willens und in der Lage sind.
Schon die alten Griechen hatten Probleme mit der Innovation. Von Aristoteles stammt der Satz: „Es genügt nicht zu wissen, sondern man muß das Wissen auch in die Tat umsetzen. "
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann
Ich weiß nicht, ob dieser Grundgedanke von Aristoteles bei der Formulierung der Antwort auf die große Anfrage Pate gestanden hat. Mein Eindruck ist allerdings der, daß dieser Grundgedanke wie ein roter Faden die innovationspolitischen Ansätze, Maßnahmen und Instrumentarien der Bundesregierung durchzieht.
Die Bundesregierung hat auch mit erfreulicher Klarheit dargelegt, daß das Ziel der Technologie- und Innovationspolitik nicht sein kann, Marktentwicklungen zu antizipieren und auf dieser Basis interventionistische Industriepolitik zu betreiben, sondern daß die Bundesregierung in erster Linie die effektiv Handelnden aus Wissenschaft und Wirtschaft zum fruchtbaren Dialog zusammenführt. Herr Kiper, die Bundesregierung macht genau das, was Sie gefordert haben. Sie sollten sich vielleicht einmal um die Vorgänge und das, was geschieht, wirklich kümmern.
Staat und Politik übernehmen hier die Funktion eines Katalysators, und aus dem Dialog ergeben sich die Handlungsfelder und die Handlungsnotwendigkeiten für staatliches Handeln. Das heißt, hier müssen die Rahmenbedingungen geschaffen werden, die sich aus diesem Dialog mit Wirtschaft und Wissenschaft entwickeln.
Wir erkennen an, daß erfreulich viele Initiativen zur Förderung der Innovationsprozesse bereits auf den Weg gebracht wurden, zu einem großen Teil auch schon umgesetzt wurden. Ich erwähne beispielhaft, daß sich aus der Erkenntnis heraus, daß Überregulierungen und bürokratische Überperfektionierung Wissenschaft und Forschung behindern und ebenso zu einer Gefährdung der wirtschaftlichen Dynamik, zur Beeinträchtigung der Innovationsfähigkeit führen, eine Reihe von Vorschlägen zur Deregulierung in der Umsetzung befinden. Da stehe ich im Gegensatz zu Ihnen, Herr Kiper. Wir sollten uns dieser Frage wirklich ernsthaft annehmen.
Seit einigen Jahren verfügen wir über die Einrichtung der Technikfolgenabschätzung; ich sage: eine gute Einrichtung. Wir sollten, wie gerade vor wenigen Tagen wieder vom Bundespräsidenten vorgeschlagen, aber auch zur Gesetzesfolgenabschätzung kommen. Vor allen Dingen - das möchte ich hiermit anregen - sollten wir eine Vielzahl von Gesetzen und Vorschriften auf ihre Relevanz für Wissenschaft und Forschung dahin gehend kritisch überprüfen, ob und inwieweit sie die Forschung behindern oder unter Umständen sogar verhindern.
Ich gehe davon aus, daß Einigkeit darüber besteht, daß die Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft, daß unsere Wirtschaftskraft und vor allem - um das nachdrücklich zu betonen und zu unterstreichen - daß neue, in der Zukunft sichere Arbeitsplätze und damit einhergehend das soziale Sicherungssystem nur durch neue, intelligente Produkte, Produktionsverfahren, neue Technologien, auch Dienstleistungstechnologien gesichert werden können, die natürlich auch den Anforderungen an eine nachhaltige Entwicklung genügen müssen. Da müssen wir nicht Eulen nach Athen tragen, da darf von Rednern und Kollegen der Opposition auch nicht so getan werden, als ob dies alles für uns kein Thema wäre. Wir wissen, was unsere Verantwortung ist.
Eine wichtige Voraussetzung für verbesserte Innovationsbereitschaft und Innovationsdynamik ist aber auch ein Klima gesellschaftlicher Aufgeschlossenheit gegenüber Zukunftstechnologien. Eines ist unbestreitbar: Die technischen Entwicklungen beeinflussen die geistigen und gesellschaftlichen Entwicklungen, beeinflussen unsere Kultur, unsere Wertevorstellungen, unsere Verhaltensnormen und schließlich auch die demokratischen Prozesse. Ich halte es deshalb für unverzichtbar, die Öffentlichkeit über neue technische Entwicklungen umfassend und verständlich zu informieren, den offenen Dialog über neue Entwicklungen, ihre Chancen und Risiken zu führen, Diskussions- und Meinungsbildungsprozesse zu nutzen, um Akzeptanzprobleme zu überwinden. Nur wenn neue Technologien von der Bevölkerung verstanden und angenommen werden - ich betone das Angenommenwerden -, werden die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ziele erreichbar sein.
Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort mit begrüßenswerter Deutlichkeit dargestellt, daß sie und wie sie der Notwendigkeit eines solchen gesellschaftlichen Dialogs entspricht und neue Formen dafür entwickeln will.
Ich möchte mich, weil es einen unmittelbaren inhaltlichen Zusammenhang gibt, mit dem Antrag der SPD-Fraktion „Deutschlands demokratischer Weg in die Informationsgesellschaft" auseinandersetzen. In diesem Antrag gibt es einen ganzen Katalog von Forderungen, die, wenn wir ihnen folgen sollten, den Weg in eine Informationsgesellschaft zunächst einmal blockieren. Die Menschen in unserem Land, aber erst recht in der ganzen Welt werden sich durch solche Forderungen nicht davon abhalten lassen, den Weg in die Informationsgesellschaft zu gehen. Ich bin nachdrücklich der Auffassung, wir sind längst drin, wir haben den Weg schon ein gutes Stück zurückgelegt. Tun wir doch nicht so, als ob wir jetzt erst am Anfang einer Entwicklung stünden! Man muß nur mit offenen Augen durch das Land und durch die Welt ziehen, und dann sieht und erlebt man, was in diesem Bereich alles passiert.
Ich denke auch, wir brauchen keinen Weg in eine demokratische Informationsgesellschaft vorzuzeichnen. Viele Menschen begeben sich von selbst auf diesen Weg, und das ist sicherlich der demokratischste Prozeß überhaupt.
Ich will nun keineswegs bestreiten, daß ein gewisser Regulierungsbedarf besteht,
aber bitte entwicklungsbedingt und erfahrungsorientiert.
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann
Es sollte sich um einen Rahmen handeln, der Gestaltungsmöglichkeiten erlaubt. Der Entwurf eines Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetzes - den Namen müßte man vielleicht überdenken -, den Bundesminister Rüttgers vor einigen Tagen der Öffentlichkeit vorgestellt hat, bildet einen solchen Rahmen. Der Entwurf beschränkt sich erfreulicherweise darauf, was auf Grund der Vorsorgepflicht des Staates vorweg und dringlich geregelt werden muß, ohne die weiteren Entwicklungen unnötig zu behindern.
Eine Feststellung ist mir wichtig: Dieser Rahmen, auf den die Länder nicht je nach ihrem Gusto daraufsatteln dürfen, muß bundeseinheitlich sein. Es wird zu prüfen sein, ob und inwieweit die vorgesehenen Regelungen mit den internationalen Entwicklungen kompatibel sind.
Herr Thierse, ich muß Ihnen nachdrücklich widersprechen, wenn Sie behaupten, die Bundesregierung habe keine Vorstellungen entwickelt, wie die Gesellschaft nach dem Jahre 2000 aussehen könnte. Die Frage ist: Ist das die Aufgabe einer Bundesregierung? Es ist nämlich eine Illusion zu glauben, mit Gesetzen und staatlichen Reglementierungen seien Wertevorstellungen und Verhaltensweisen, seien die gesellschaftlichen und geistigen Entwicklungen zu steuern. Solche Versuche sind bisher allesamt gescheitert.
- Herr Tauss, wir könnten schon durch unser persönliches Verhalten und Handeln einen wichtigen Beitrag zur Fortentwicklung von Wertevorstellungen und Verhaltensnormen leisten. Wir sollten uns daher beispielhaft benehmen.
Schönen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wolfgang Bierstedt.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu den vorliegenden Anträgen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, die Informationsgesellschaft betreffend, möchte ich folgende Bemerkung machen: Ich halte beide Anträge, Herr Kollege Kiper, für eine brauchbare Bereicherung der laufenden Diskussion, die sich zunehmend auf die Enquete-Kommission ,, Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft - Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft" fokussiert, in der diese Anträge sicherlich Beachtung finden werden. Ich möchte mich aber in meinen Ausführungen auf den Bericht des Ausschusses zum Antrag der PDS und auf einige Aspekte dieses Antrages selbst beschränken.
Die Berichterstatter von SPD und Koalition im federführenden Ausschuß haben unter anderem Widersprüche in den von uns geforderten Gesetzesinitiativen ausgemacht. Wenn Sie sich die bisherige Diskussion in der Enquete-Kommission „Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft - Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft" verdeutlichen, werden vielleicht auch Sie feststellen, daß die Behandlung der von uns gesetzten Themenkreise von deutlichen Widersprüchen. begleitet wurde. Auch die bisherigen öffentlichen Anhörungen brachten mehr Widersprüche ans Tageslicht, als wir jemals in unseren Antrag hätten schreiben können. Bisher wurden diese Widersprüche jedoch ausschließlich durch Mehrheiten und nicht durch Diskussionen aufgelöst.
Nun zum Vorwurf der teilweise alten Klassenkampfparolen. Ich habe bisher im Gesamtmaterial nur zwei Hinweise, die deren verdächtig sind, gefunden. Zum ersten wird ausgerechnet im vorliegenden SPD-Antrag auf der ersten Seite von „revolutionären Veränderungen" gesprochen. Ich hoffe nicht, daß diese Bemerkung gleich zur pauschalen Ablehnung Ihres Antrages führt.
Zum zweiten könnte man eigentlich einen ziemlich deutlichen Denkansatz im ersten Zwischenbericht der Enquete-Kommission, vorgelegt von CDU/CSU, wie folgt zusammenfassen: Mediennutzer aller Länder, vereinigt euch bei Kirch und Bertelsmann!
Aber Spaß beiseite. Können Sie sich vorstellen, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Koalition, daß wir mit der Warnung in unserem Antrag vor Medienmachtkonzentration und Medienmanipulation nicht nur die früheren Allianzen des israelischen Geheimdienstes Mossad mit einem der größten Medienmogule, die mediengerecht vorbereitete politische Machteroberung eines Berlusconi und die nachweislich manipulierte Berichterstattung über den Golfkrieg gemeint haben, sondern durchaus auch selbstkritisch das Meinungsführungsmonopol unserer Vorgängerpartei in der früheren DDR? Und tun Sie nicht so, als ob die bundesdeutschen Größen dieser Branche alle in einem Kloster leben!
Lassen Sie mich noch einen wichtigen Aspekt unseres Antrages erwähnen. Gerade für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation der öffentlichen Kommunikation ist es notwendig, auch über die Herausforderungen an die Kommunikationsfähigkeit der Gesellschaft und über die Kultur ihrer öffentlichen Kommunikation zu reden, die aus den tiefgreifenden und weltweiten Umbruchprozessen der modernen Gesellschaft, aus ihren strukturell angelegten, sich rasch verschärfenden, zunehmend existenzbedrohenden sozialen und ökologischen Widersprüchen erwachsen.
Wie diese Widersprüche sich im einzelnen auch immer entfalten, wie schnell, wie kompliziert und für die Gesellschaft bedrohlich ihre Entwicklung auch verläuft oder welche Chancen sie eröffnen, als Her-
Wolfgang Bierstedt
ausforderung an die Kultur der öffentlichen Kommunikation haben sie einiges gemeinsam. Sie wirken global und zugleich regional, national sowie lokal differenziert. Sie betreffen unmittelbar und einschneidend die Produktionsweise der ganzen Gesellschaft wie auch die alltägliche Lebensweise jedes einzelnen. Sie fordern Entscheidungen für individuelles wie kollektives Handeln in kürzeren Fristen und zugleich auf weitere Sicht als bisher gewohnt. Dies alles verlangt öffentliche Kommunikation, die für alle und nicht mehr nur für eine Minderheit der Gesellschaftsmitglieder eine komplexere und differenziertere soziale Orientierung ermöglicht und die sich viel stärker als bisher nicht so sehr an äußerlich aktuellen, die Aufmerksamkeit reizenden Erscheinungen als vielmehr an Bedingungen der Problemlösung vorwärtsbewegt.
Die Widersprüche lassen sich in der Regel mit herkömmlichen Mitteln nicht lösen, sondern verlangen Vordringen in geistiges und praktisches Neuland. Das verlangt öffentliche Kommunikation, die hilft, das ganze geistige Potential der Gesellschaft, das ganze Spektrum des Wissens und der Erfahrung zu erschließen. Dies wiederum bedingt, daß alle Teilbereiche der Gesellschaft gleichberechtigt und in gegenseitiger Achtung an ihr teilnehmen, daß sie in der Tendenz alle Mitglieder der Gesellschaft an aktiver und kreativer Teilnahme interessiert und sie auch dazu befähigt. Die bisherige Praxis wird diesem Anspruch leider nicht gerecht.
Bevor ich zu einigen Aspekten der Großen Anfrage der SPD zur Innovationspolitik in Deutschland aus Sicht der PDS komme, möchte ich generell unsere Auffassung unterstreichen, daß in der staatlichen Forschungs- und Technologiepolitik eine radikale Umorientierung und neue Prioritätensetzung erforderlich ist, um die notwendige soziale, ökologisch orientierte und wirtschaftspolitische Wende in der Innovationspolitik zu erzielen.
Hier stimmen wir der SPD in dem zu, was sie in ihrem Entschließungsantrag auf Drucksache 13/3511 wie folgt formuliert:
Deshalb ist eine Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft überfällig, die die Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen, den Erhalt der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit, die gerechte Verteilung von Arbeit, Einkommen und Lebenschancen als gleichrangige Ziele verfolgt.
Diese Bundesrepublik ist nicht nur als Wirtschaftsstandort, sondern auch als Arbeits- und Lebensstandort zu erhalten. Die Aktivitäten der Bundesregierung konzentrieren sich augenscheinlich nur auf den ersten Teil. Eine Gesellschaft kann ohne Wirtschaft nicht existieren; aber Wirtschaft ist eben nur ein Teil dieser Gesellschaft.
Zurück zur Großen Anfrage. Aus Zeitgründen kann ich mich nur zu drei Gesichtspunkten des Komplexes II äußern. Erstens. Wie schätzt die PDS die derzeitige Förderarchitektur ein? Zweitens. Welchen Veränderungsbedarf sehen wir bei den Förderstrukturen? Drittens. Welche Vorschläge unterbreiten wir,
bzw. welchen Vorschlägen können wir uns anschließen?
Zu erstens. Ähnlich wie die gesamte Förderarchitektur ist die Förderung von Forschung und Technologie zersplittert. Allein auf Bundesebene werden 14 Förderprogramme der indirekten Forschungsförderung mit zahlreichen Unterprogrammen angeboten. Daneben gibt es eine Vielzahl auf ausgewählte Technologiekomplexe ausgerichtete Fachprogramme. Fast jedes Bundesförderprogramm findet sich in modifizierter Form als Landesprogramm, teilweise als EU-Programm wieder, so daß wir es aus Sicht von Antragstellern mit über 200 Förderprogrammen allein für Forschung und Technologie zu tun haben. Damit verbunden ist ein hoher Verwaltungsaufwand für den Antragsteller. Oft gehen die Mittel an die Antragsteller, die sich am besten in der Verwaltungspraxis und Förderlandschaft auskennen, anstatt an diejenigen Unternehmen und Einrichtungen mit einem hohen Innovationspotential; von der Lobbywirtschaft möchte ich gar nicht reden.
Zu zweitens. Die Veränderung bestehender Förderprogramme aller Ebenen sollte sich deshalb von folgenden Hauptgesichtspunkten leiten lassen: Überwindung der ressortmäßigen Verwaltung der Förderung von Bund, Ländern und EU sowie schrittweiser Übergang zur Durchgängigkeit der Förderung über die verschiedenen Ebenen für bestehende Förderstrukturen; Verbindung von Forschungs- und Wirtschaftsförderung zur integrierten Innovationsförderung für ausgewählte Technologie- und Ökologiebereiche, insbesondere für Existenzgründer, sowie zur Stabilisierung technologieorientierter KMU; nachhaltige Förderung der Forschungskooperation zwischen Einrichtungen der Industrieforschung, der universitären und der außeruniversitären Forschung und den Unternehmen, dabei insbesondere orientiert auf die KMU; Durchsetzung der Mittelfristigkeit der Förderung sowie Stärkung der Eigenkapitalbasis innovativer Einrichtungen und KMU; Wiedereinführung der steuerlichen Förderung von Forschung und Technologie durch Innovationszulage und Sonderabschreibungen für forschungsintensive Unternehmen; zielgerichteter Mitteleinsatz durch Konzentration der Förderprogramme auf Aufgaben zum ökologischen Umbau der Wirtschaft und zur Schaffung von Arbeitsplätzen; und nicht zuletzt Ausbau der Förderung des FuE-Potentials, insbesondere in den neuen Bundesländern, zum Erhalt und zum Wiederaufbau der Industrieforschung in Ostdeutschland.
Zu drittens. Neben der Vereinfachung der Verwaltungspraxis bezüglich Richtlinienumfang, Umfang und Länge der Antragsphase sowie bezüglich der Erhöhung der Komplexität des Fördergegenstandes steht aus unserer Sicht unter anderem folgendes zur Diskussion: Zusammenfassung der Förderprogramme „Industrielle Gemeinschaftsforschung" und „Marktvorbereitende Industrieforschung" zum Förderprogramm „Industrieforschung im vorwettbewerblichen Bereich" für die neuen Bundesländer; Ausbau des Förderprogrammes „Forschungskooperation" für die Realisierung von Verbundprojekten sowie zur Förderung der Auftragsvergabe der westdeutschen Wirtschaft an ostdeutsche Forschungsein-
Wolfgang Bierstedt
richtungen; Erhöhung der Komplexität des durch das BMBF angekündigten neuen Förderprogrammes FUTOUR zur Förderung der Existenzgründung technologieorientierter KMU im Sinne einer komplexen Innovationsförderung durch die volle Einbeziehung der Markteinführungsphase bei Existenzgründern in die Förderung sowie Bereitstellung von Risikokapital für die Stabilisierung junger innovativer Unternehmen durch stille Beteiligungen; Installation eines Paketes steuerlicher Entlastungen für forschungsintensive Unternehmen, wobei wir natürlich die militärische Forschung ausnehmen.
Es ließe sich ein Vorschlag an den anderen reihen. Angesichts meiner Redezeit aber will ich mich zum Schluß noch der Frage des notwendigen Geldaufkommens widmen. Natürlich kostet dies alles unendlich viel Geld. Ich denke aber, daß all das eine Frage der Prioritätensetzung ist. Gestatten Sie mir folgendes Zitat: „Das Kapital hat dem Menschen zu dienen und nicht der Mensch dem Kapital. " Das ist kein Zitat aus dem PDS-Programm; das können Sie - auf beiden politischen Seiten - ohne weiteres mit ein bißchen Mühe bei Ihren geistigen Vorvätern nachlesen.
Danke.
Das Wort hat jetzt der Bundeswirtschaftsminister, Dr. Günter Rexrodt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Innovationsförderung und Innovationspolitik sind Bestandteile und Kernstücke unserer Politik zur Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen.
- Herr Schwanhold, diese Politik muß breiter angelegt sein. Ich frage aber mit allem Nachdruck: Was nutzen uns Kostensenkungen in den Betrieben, die unumgänglich sind, was nutzt uns eine Steuerreform oder eine Reform zur Sicherung der Altersversorgung, was nutzt uns der Abbau der Bürokratie, also weniger Regelwerke, wenn wir trotz dieser Maßnahmen nicht gleichzeitig in der Lage sind, uns mit unseren Produkten und Dienstleistungen von dem abzuheben, was in anderen Ländern und Regionen angeboten wird?
- Von Ihnen kommen leider immer nur laute Töne mehr nicht, Herr Tauss.
Wir können nicht die Preise erwirtschaften und erzielen, die notwendig sind, um unseren Wohlstand zu erhalten und ein Hochlohnland und Sozialstaat zu bleiben, wenn wir bei Innovationen und der Modernität unserer Produkte und Dienstleistungen nicht vorne liegen.
Ich sage mit allem Nachdruck: Innovationen betreffen nicht nur Produkte und Dienstleistungen, sondern umfassen auch die Organisationsstrukturen unserer Unternehmen, die Modernität unserer Infrastruktur, die Organisation unserer Verwaltung sowie öffentlichen und privaten Einrichtungen. All das muß neuem, modernem Stand entsprechen, wenn wir erfolgreich sein wollen.
Deshalb gehört zur Innovation und ihrer Förderung auch mehr als die Förderung von Forschung und Entwicklung durch Geld, nämlich die Erhaltung einer Forschungsinfrastruktur.
Ich füge hinzu: Die Bereitstellung des Geldes muß dabei ein Bestandteil sein und hohes Gewicht haben.
Wer meint, daß die Modernität und Zukunftsorientierung einer Gesellschaft nur die Förderung von Forschung und Entwicklung durch staatliche Fonds bedeute, springt zu kurz. Innovation ist weit mehr. Dazu sind die Unternehmen und der Staat auf allen Ebenen, also Bund, Länder und Gemeinden, verpflichtet. Wir müssen die Rahmenbedingungen setzen, damit die Dinge stimmen. Die gesellschaftlichen Gruppen - die Tarifparteien - sind gefordert.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schwanhold?
Bitte, gerne.
Herr Minister, Sie haben zu Recht gesagt, daß nicht nur Geld wichtig ist. Aber ohne Geld geht es auch nicht. Darf ich aus Ihren Ausführungen ableiten, daß Sie dafür Sorge tragen, daß die Kürzungen in Höhe von 260 Millionen DM, die Ihnen auferlegt worden sind, genau in jenem Bereich, der innovativ ist und die mittelständischen Unternehmen betrifft, nicht wirksam werden? Ich darf diese Frage stellen, zumal die Kolleginnen und Kollegen der Union gestern im Wirtschaftsausschuß nicht bereit waren, diese Botschaft zu unterstützen. Wollen Sie sich ausdrücklich über diese nicht gegebene Botschaft der Unionskollegen hinwegsetzen?
Herr Kollege Schwanhold, ich werde bei der Anwendung der pauschalen Minderausgabe die Ausgaben so zu steuern versuchen, daß der Bereich Innovation, Forschung und Entwicklung und der investive Bereich möglichst wenig getroffen werden. Bei der Forschung liegt mir besonders daran, daß die Zuwendungen, die wir für die Institutionen und für die Un-
Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
ternehmen in den neuen Bundesländern vorgesehen haben, möglichst unangetastet bleiben.
Meine Damen und Herren, ich möchte aufgreifen: Innovation als Verpflichtung für Unternehmen und Staat gleichermaßen. Was die Unternehmen angeht, so sind wir noch in der Lage, mitzuhalten und eine führende Rolle in Forschung, Entwicklung und Innovation zu spielen. Unsere Produktions- und Dienstleistungsstruktur ist breit gefächert. Wir sind in der Lage, weltweit vom Schraubenzieher bis zum Satelliten nahezu jedes Produkt anzubieten. In forschungsintensiven Branchen werden in Deutschland 13,5 Prozent des Sozialproduktes erarbeitet, in den USA sind es nur 8,5 Prozent. In einer ganzen Reihe von Technologien, auch und gerade in der Umwelttechnologie und in den Verkehrstechnologien sind wir führend. Aber wir sind in wichtigen Technologien auch zurückgefallen: in der gentechnologischen Produktion, in einigen Bereichen der Elektronik, bei Dienstleistungen, und zwar insbesondere dann, wenn es um die Vermarktung bestimmter Dienstleistungen geht.
Mir liegt hier in den wenigen Minuten, die ich Redezeit habe, besonders daran, deutlich zu machen, daß ich interessiert bin und alles daransetzen werde, damit unsere Klein- und Mittelbetriebe in Forschung, Entwicklung und Innovation eine Chance bekommen, auch durch staatliche Hilfe, durch Rückenwind, durch entsprechende Programme.
Ich glaube, wir brauchen uns nicht zu verstecken mit dem, was wir tun - auch was die Volumina angeht - bei Existenzgründungen und Eigenkapitalhilfsprogrammen, bei ERP-Förderungen, bei Meister-BAföG, bei den Beteiligungsfonds für die Unternehmen im Osten und anderem mehr und zunehmend auch beim Risikokapital. Wir sind uns da ja einig; da muß etwas geschehen.
- Sie haben ja keine Vorstellung, was Risikokapital ist, Herr Fischer. Für Sie ist Risikokapital das Bereitstellen von Staatsknete.
Das ist eben nicht der Fall. Wir müssen die Rahmenbedingungen - davon verstehen Sie wenig - ändern, und dabei sind wir: durch entsprechende Änderungen der Ansparförderung, durch die rechtlichen Änderungen, die wir vorgenommen haben, die kleine Aktiengesellschaft, das Gesetz über Kapitalbeteiligungsgesellschaften, Unternehmensbeteiligungsgesellschaften. Dazu gehört das neue Marktsegment, das durch die Börse eingerichtet wird. Dazu gehören Informationssysteme, die durch uns gefördert werden, und anderes mehr. Gucken Sie doch die Fakten an, dann urteilen Sie!
Schieben Sie die Fakten nicht weg! 21 Maßnahmen sind unterwegs, um die Rahmenbedingungen für Risikokapital zu verbessern.
Lautes Schreien wird das nicht aus der Welt schaffen. Was Sache ist, ist Sache.
Herr Minister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Bury?
Ja, die letzte bitte.
Herr Rexrodt, ich nehme Sie ausnahmsweise beim Wort: Lassen Sie uns die Fakten anschauen. Wie bewerten Sie denn beim Thema Risikokapital, daß wir in diesem Jahr in Deutschland gerade neun Neuemissionen hatten und daß es im Vergleich dazu an der amerikanischen Computerbörse NASDAQ über 650 sind?
Das ist eine Tatsache. Aber was Sie meinen, sind ja Zugänge zum sogenannten geregelten Markt. Es gibt ja auch andere Formen. Wenn Sie NASDAQ ansehen - sofern Sie etwas davon verstehen, verehrter Herr Kollege -,
werden Sie wissen, daß NASDAQ ein anderes System ist. Über das System, das wir derzeit in Deutschland computergestützt aufbauen, werden eben nicht nur neun, sondern viel mehr als neun, nämlich Dutzende von Unternehmen die Chance haben, an Risikokapitalgeber heranzukommen.
Daß der Börsengang in Deutschland insgesamt zu kompliziert und zu langwierig ist, wissen wir. Deshalb haben wir eine Neuordnung des „going public", der Publizitätspflichten, der Haftungsvorschriften für die emittierenden Banken und vieles mehr in Gang gesetzt. Da sind ungeheuer viele Entwicklungen im Gange, um einen Rahmen zu schaffen, der es bestehenden Unternehmen leichter ermöglicht, an die Börse zu kommen, und der es kleinen Unternehmen über den nicht geregelten Markt und über andere Formen des Marktes ermöglicht, an Risikokapital heranzukommen. Ich bin gerne bereit, Ihnen die ent-
Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
sprechenden Informationen über mein Ministerium zur Verfügung zu stellen.
Ich möchte in bezug auf die staatlichen Aufgaben auf Grund der knappen Zeit weniger zu Bildung und Technikakzeptanz sagen, sondern zwei Technologien ansprechen, von denen ich überzeugt bin, daß sie die Basistechnologien für die nächsten Jahrzehnte sind: Das sind die Gentechnologie und die Informationstechnik.
Zur Gentechnologie nur soviel: Gott sei Dank haben wir im Bereich der gentechnisch erzeugten oder behandelten Pharmazeutika einen Wandel im Bewußtsein der Menschen erreicht, so daß Akzeptanz entstanden ist. Sie ist bei der grünen Gentechnologie nicht vorhanden. Wir müssen und werden die Ängste und Vorurteile ernst nehmen. Ich setze mich, wie die gesamte Bundesregierung, entschieden dafür ein, daß gentechnisch behandelte Produkte umfassend gekennzeichnet werden.
Nur durch umfassende Information sind wir in der Lage, diese Ängste abzubauen. Diese Kennzeichnung muß aber auch Informationswert haben und praktikabel sein und darf am Ende nicht darauf hinauslaufen, daß 90 oder 95 Prozent der Lebensmittel gekennzeichnet sind und der Informationsgehalt gegen Null absinkt.
Noch einmal sage ich: Wir müssen uns gegen ein Klima wehren, das die Gentechnik aus ideologischen Gründen verdammt und in die Ecke stellt. Mit aller Deutlichkeit sage ich: Wer Felder zertrampelt, auf denen es Freisetzungen gibt, der zertrampelt die Arbeitsplätze in Deutschland.
In bezug auf die Informationstechnik haben wir in Deutschland gute Ausgangspositionen. Wir haben die Märkte liberalisiert. Damit werden wir dafür sorgen, daß eine Vielzahl von kleinen und mittleren Anbietern und Nutzern Zugang zu den Netzen haben. Wir sind gut in der Produktion von Hardware; wir sind in weiten Bereichen mit modernster Breitbandtechnik verkabelt. Ich bin davon überzeugt, daß es uns gelingen wird - so wie es prognostiziert ist -, während der nächsten zehn Jahre mehr als 1 Million Arbeitsplätze netto - es wurde richtig gesagt, daß auch Arbeitsplätze verschwinden - in diesem Bereich in Deutschland zu schaffen.
Ich erkenne sehr wohl an - das findet seinen Niederschlag auch in den entsprechenden Berichten und Veröffentlichungen der Bundesregierung -, daß Informationsgesellschaft mehr als nur die Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen beinhaltet, sondern daß es hier auch gesellschaftspolitische Problematik gibt und es am Ende dieses Diskussionsprozesses auch Regelwerke geben muß. Im Bildungsbereich, in der Verkehrstechnologie, im medizinischen Bereich, beim Einkauf und bei der Schaffung von Telearbeitsplätzen gibt es ungeheure Chancen zur Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze, aber auch Fragen und am Ende Regelungsbedarf.
Wer sagt Ihnen eigentlich - das ist vorhin gesagt worden -, daß wir, wenn wir über Telearbeit sprechen, die Rechte der Gewerkschaften zurückdrängen wollen. Das ist doch überhaupt nicht richtig. Wir sprechen mit den Gewerkschaften über die Fragen der Sicherung der Sozialsysteme, über die Beteiligung der Gewerkschaften und anderes mehr.
Die Fragen der Selbständigkeit und der Scheinselbständigkeit müssen geklärt werden, aber in abgewogener Weise und nicht schon vorab mit Scheuklappen. Deshalb haben der Kollege Rüttgers und ich auch das „Forum 2000" eingerichtet. Das ist keine einmalige Veranstaltung; vielmehr wird über anderthalb Jahre hinweg diskutiert, was im Zusammenhang mit der Informationsgesellschaft zu beachten und zu regeln ist.
Aber - das ist mein letzter Satz -: Regelwerke gehen in Ordnung; sie müssen sein; das gilt auch für die gesellschaftliche Diskussion. Aber in diesem Prozeß können und wollen wir eines nicht vergessen, nämlich daß der Suchprozeß des Marktes auch in bezug auf diese neuen Technologien nicht ausgeschaltet werden kann. Der Computer ist heute für die Menschen nicht deshalb erschwinglich, weil ihn ein Staatsprogramm verordnet hätte, sondern er ist erschwinglich, weil Wettbewerb und technischer Fortschritt zur Senkung der Produktionskosten geführt haben; der Wettbewerb ist dafür verantwortlich.
Das muß so bleiben.
Wir werden in unserer Innovations- und Forschungspolitik weiterhin Anreize und Hilfen durch Förderung, durch Geld zur Verfügung stellen. Aber wir werden nicht zulassen, daß Bürokraten über die technischen Strukturen des nächsten Jahrhunderts befinden. Wir werden Regelwerke finden, die abgewogen und klar sein müssen. Aber wir werden den Suchprozeß des Marktes, und den technischen Fortschritt, die von unseren Unternehmen getragen werden, nicht aushebeln.
Als nächster spricht in dieser Debatte Professor Dr. Uwe Jens.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Rexrodt, ich meine, Sie dürfen sich in Ihrer Innovationspolitik nicht nur auf diejenigen Technologien konzentrieren, die schon lange auf dem Markt sind, auf die Informationstechnologie, die Gentechnologie, also auf die Technologien, bei denen wir Deutschen nachweisbar einen Rückstand haben. Vielmehr sage ich Ihnen: Hecheln Sie nicht hinterher; das ergibt keinen Sinn.
Kümmern Sie sich um Innovationen, die wirklich neu sind; nur so schaffen wir ein modernes, neues Deutschland.
Wir diskutieren heute über die Große Anfrage zur Innovationspolitik. Sieben Monate hat es gedauert, bis die Bundesregierung sie beantwortet hat; jetzt hat es noch einmal neun Monate gedauert, bis sie im Deutschen Bundestag diskutiert werden konnte. Aber ich will darauf hinweisen: Etwa 20 Überlegungen und Anregungen aus der Großen Anfrage sind seitens der Bundesregierung mittlerweile aufgegriffen worden. Dazu muß ich Ihnen sagen: Wir Sozialdemokraten finden es sehr schön, wenn die Bundesregierung immer das tut, was wir wollen.
Aber obwohl Sie auf diesem Feld etwas tun - Sie sehen, da ist Handlungsbedarf -, verhält es sich zweifellos so: Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland einen erheblichen Rückstand in bezug auf die wirtschaftliche Entwicklung zu verzeichnen. Wir sind bei High-Tech-Produkten deutlich schlechter als die Japaner, als die Vereinigten Staaten. Wir haben leider immer noch einen Vorsprung nur bei den Produkten, die am Anfang dieses Jahrhunderts entwickelt wurden, bei Automobilen, beim Maschinenbau und bei chemischen Erzeugnissen. Aber das wird nicht die Zukunftsfähigkeit dieser Republik sichern. Aus meiner Sicht sage ich: Wir müssen uns um das wirklich Neue kümmern. Wenn Sie das nicht begreifen, dann verspielen Sie wirklich unsere Entwicklung.
Sicherlich ist es so - da sollten wir uns nichts vormachen -, daß die Bundesrepublik Deutschland mittlerweile eine reife Volkswirtschaft - die Engländer sagen: eine „mature economy" - geworden ist. Das hat Folgen. Selbst in Singapur stellt man mittlerweile fest, daß es dort nur noch ein Wachstum von 3,7 Prozent gibt, und man wundert sich darüber, daß die Bäume nicht mehr in den Himmel wachsen. Auch wir müssen eben registrieren, daß wir in Zukunft keine großen Wachstumsraten mehr zu verzeichnen haben. Wir Deutschen haben allerdings - das will ich hervorheben - in den 60er Jahren den Weltmarkt aufgerollt und haben mit unseren Produkten gewissermaßen den Weltmarkt beherrscht. Das tun jetzt die Japaner oder andere Südostasiaten. Das muß man im Gedächtnis behalten: Wir hatten damals einen supermodernen Produktionsapparat, wir hatten hochmoderne Produkte, und wir hatten zweifellos eine unterbewertete Währung, eine Tatsache, die mit dazu beigetragen hat, daß wir in den 60er Jahren
und Anfang der 70er Jahre weltweit so vorbildhaft waren. Jetzt sind wir leider zurückgefallen. Ich meine, die Weichen müssen neu auf Expansion gestellt werden. Das ist die entscheidende Aufgabe in der augenblicklichen Zeit.
Ein berühmter amerikanischer Ökonom, Mancur Olson, hat vor kurzem einmal gesagt: Wir müssen begreifen: Eine reife Volkswirtschaft wächst nicht mehr so. Aber die beste Makropolitik ist zur Zeit eine gute Mikropolitik.
Völlig falsch ist es, wenn wir denen nachgeben, die unsere Probleme etwa mit Protektionismus lösen wollen. Diese glauben, wir könnten die Schotten zumachen und unser eigenes Süppchen kochen und würden auf diese Art und Weise unsere Probleme lösen. Das ist zweifellos völlig falsch. Aber, Herr Rexrodt, ich meine, wir müssen eben verstärkt überlegen, wie wir in der gesamten Volkswirtschaft Innovation anregen können. Ich will überhaupt nicht etwa in Dirigismus machen.
Ein bekannter Innovationsforscher unserer Zeit, Hans-Jürgen Warnecke, hat gesagt: Es fehlt an Kommunikation, wenn es um Innovation geht. Ein anderer, Erich Staudt, hat gesagt: Es fehlt an Kompetenz, wenn es um Innovation geht. Er meint damit: Kommunikation - das hatten Sie angesprochen -; Wissenschaft, Wirtschaft und meinetwegen auch Politik müssen sich zusammensetzen, um die Probleme aufzugreifen. Wo finden wir noch Neuerungen, die wir anpacken und vorantreiben können?
Es fehlt an Kompetenz. Es gibt zweifellos sehr viele, die forschen. Herr Rüttgers ist dafür zuständig. Es gibt auch viele in der deutschen Wirtschaft, die hervorragend Produkte verkaufen können. Aber es gibt kaum Leute, die herausfinden, wo es neue marktgängige Produkte gibt. Auch diese müssen wir aus meiner Sicht zusammenbringen.
Warum fällt uns nicht ein, ganz informell so etwas wie Innovationszirkel oder -kreise zu bilden, nicht nur bei Ihnen, sondern auch auf regionaler Ebene? Dann bringen wir das, was dort an wirklich neuen Produkten herauskommt, auch in die Wirtschaft, oder wir suchen uns neue Unternehmer, die damit beglückt werden, und können so die Sache vorantreiben. Warum machen Sie das nicht? Wenn Sie das nicht vorantreiben und wenn Sie das nicht auch auf regionaler Ebene vorantreiben, dann passiert das eben nicht. Auf diesem Felde muß eben viel mehr getan werden, als das bisher der Fall ist.
Ich will hinzufügen: Auch in der Wirtschaft sind die Weichen noch falsch gestellt. Vor allem die Verbandsfunktionäre reden immer noch davon, daß die Produktion „lean" sein muß, also schmal. Das bedeutet: Kosten reduzieren und Leute hinausschmeißen. Das ist für viele noch immer das Gebot der Stunde. Aber auf diese Art und Weise lösen wir nicht unsere Probleme, sondern wir müssen endlich begreifen, daß statt „lean production" „total innovation management" das Gebot unserer Zeit ist. Wir müssen die Produktion und auch das Management auf innovative Führung umstellen. Das ist notwendig, das ist
Dr. Uwe Jens
dringend erforderlich. Das begreifen auch einige wenige Unternehmen. Aber leider ist das noch nicht gang und gäbe.
Leider ist es auch noch nicht so, daß diese Regierung begriffen hat, daß es auf Innovationen ankommt; denn bei dieser Regierung werden leider die Weichen falsch gestellt.
Sie jäten noch immer, würde Karl Schiller sagen. Sie hacken gewissermaßen mit dem Rasenmäher alles weg. Aber Sie säen nicht. Sie müssen säen, damit unsere Zukunft gesichert wird. Darauf kommt es an.
Wenn ich sehe, daß im Ressort von Herrn Rüttgers wieder gekürzt wird, dann ist das für mich völlig unverständlich. Wir machen damit im Bereich Forschung und Entwicklung, der mit Zukunft zu tun hat, vieles wieder kaputt. Das ist völlig unverständlich. Mit der Politik, die Sie betreiben, sind Sie nicht in der Lage, unsere Zukunft zu sichern.
Wir haben eine Fülle von Vorschlägen auf den Tisch gelegt, um auch gerade im Mikrobereich die Weichen in Richtung Innovation zu stellen. Mit dem Risikokapital - das wurde eben schon angesprochen - ist auch das so eine Sache. Wenn es immer noch günstiger ist und wenn es immer noch stärker als alles andere gefördert wird, in Beton und in Schiffbau zu investieren, dann muß man sich doch nicht wundern, wenn die Kapitalgeber für solche Entwicklungen, die für unsere Republik ganz entscheidend sind, nichts zur Verfügung stellen.
Warum greifen Sie den alten sozialdemokratischen Vorschlag nicht endlich auf, den wir auch mit Erfolg praktiziert haben, kleinen und mittleren Unternehmen Lohnkostenzuschüsse für Forschung und Entwicklung zu gewähren? Damals, als es dies gab, gab es keine arbeitslosen Ingenieure, Chemiker und Physiker. Da fanden sie alle einen Job. Die Innovationskraft der kleinen und mittleren Unternehmen wurde gewaltig gesteigert.
Aus der Großen Anfrage geht hervor: Sie packen zu den 670 verschiedenen Programmen, die es in dieser Republik gibt, noch eines dazu. Dann gibt es 671. Keine Sau ist in der Lage, da durchzuschauen.
Sie schaffen wieder ein zusätzliches Programm, mit dem Innovationshilfen über die Kreditanstalt für Wiederaufbau gegeben werden.
Warum kommen Sie nicht endlich auf die Idee, die wir seit langem propagieren, nicht nur Forschung und Entwicklung im Rahmen der AIF, der Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvorhaben, sondern auch die Umsetzung der Forschungsergebnisse in marktgängige Produkte zu unterstützen? Darauf
kommt es doch entscheidend an. Aber daran hapert es wieder einmal bei Ihnen.
Es gäbe sicherlich noch viel zu sagen. Märkte fallen übrigens nicht vom Himmel. Das haben Sie noch nicht begriffen. Märkte müssen manchmal auch gemacht werden. Wir müßten die kleinen und mittleren Betriebe mehr unterstützen, wenn es darum geht, im Exportbereich - auch in Südostasien - Fuß zu fassen. Da passiert das eine oder andere, aber das ist völlig unzureichend.
Vor allem auch beim Umweltschutz und im Bereich der Dienstleistungen müssen die Weichen so gestellt werden, daß endlich mehr Arbeitsplätze geschaffen werden. Darauf kommt es entscheidend an.
Es ist doch ein Skandal, daß in den letzten Jahren keine neuen Ausbildungsordnungen zustande gekommen sind. Da muß Herr Rexrodt mal ein bißchen Druck machen; er muß mal dafür sorgen, daß neue Ausbildungsordnungen zustande kommen. Das passiert aber leider nicht bei Ihnen, meine Damen und Herren.
Die Wirtschaft neigt dazu, zu sagen: Die Gewinne sind immer zu niedrig. Wenn Sie die Tageszeitungen lesen, werden Sie feststellen: Das ist häufig ausgemachter Unsinn. Unternehmen wie VEBA, BASF, Bayer und Hoechst haben Riesengewinne gemacht, so hohe Gewinne, wie sie sie noch nie zuvor gemacht haben. So pauschal kann diese Aussage, die Gewinne seien immer zu niedrig, also auf alle Fälle nicht richtig sein.
Ich glaube allerdings auch, daß in Südostasien und auch in Südamerika mehr verdient wird und daß es leider auch so ist, daß mit Finanzinvestitionen leichter mehr Geld verdient werden kann als mit Sachinvestitionen. Da sind die Weichen falsch gestellt. Da müßten Sie wirklich etwas tun, damit sich das ändert.
Im übrigen - lassen Sie mich das sagen -: Unternehmer sind nicht nur dazu da, „shareholder value" zu machen. Das ist wirklich eine Schnapsidee.
Unternehmer sind in erster Linie dazu da, dafür zu sorgen, daß die Zukunft ihres Unternehmens gesichert wird und daß ihre Mitarbeiter eine Perspektive haben. Auch diese Aspekte müssen beachtet werden.
Meine Damen und Herren, ich glaube, Sie haben die Herausforderung unserer Zeit noch nicht richtig erkannt. Es kommt darauf an zu jäten; aber es kommt auch darauf an zu säen. Es kommt jetzt konkret darauf an, im konsumtiven Bereich zu kürzen und bei den Investitionen und bei den Forschungsausgaben mehr Geld - nicht weniger - zur Verfügung zu stellen. Wenn wir wollen, daß die Dynamik der Wirtschaft wieder zunimmt, dann müssen wir über diese Punkte verstärkt diskutieren und sie auch endlich realisieren. Das, was wir heute an Forschung, an
Dr. Uwe Jens
neuen Innovationen versäumen, können wir morgen nicht wieder aufholen. Sie haben eine große Verantwortung auf sich geladen.
Ich hoffe sehr, meine Damen und Herren - das ist eigentlich meine letzte Hoffnung -, daß Sie doch noch zur Einsicht kommen und die Weichen auf Expansion stellen. Die Wahlen sind nicht mehr so ganz weit weg. 1998 werden Sie von den Wählern getestet.
Wenn es dann weiterhin 6 Millionen Menschen gibt, die in diesem Lande einen Arbeitsplatz suchen, aber leider keinen finden, dann wird es um Ihre Zukunft düster bestellt sein. Ich vermute sehr stark, daß Sie zusammen mit der Wirtschaft dafür sorgen werden, daß die Arbeitslosenquote ein wenig sinkt. Aber das bekommen Sie nur hin, wenn Sie mit Ihren Sparorgien aufhören, wenn Sie mit dem Durchwursteln aufhören und endlich Prioritäten setzen. Das ist die eigentliche Politik. Wir brauchen wieder Visionen. Wir brauchen wieder eine zukunftsorientierte Politik.
Herzlichen Dank.
Bevor ich das Wort weitergebe, stelle ich nur fest: Herr Professor Jens, Sie sind mit mir einer Meinung, daß wir hier keine „Säue" haben, die etwas nicht durchschauen können?
Also lassen wir die „Säue" weg.
Herr Kollege Ruck, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann eigentlich nahtlos an das anschließen, was Professor Jens gesagt hat. Nur, was mir bei Ihnen aufgefallen ist, Professor Jens: Sie haben bei Ihrer Kritik an der Innovationspolitik immer zur falschen Seite geschaut. Denn die Vorwürfe, die Sie uns gemacht haben, hätten Sie an die Seite der SPD richten müssen.
Ein Stichwort am Rande, Herr Tauss: Den Abbau der Subventionen für den Schiffsbau haben bestimmt nicht wir blockiert; das war die SPD in den Ländern.
- Die wollten wir ja abbauen, aber Sie, Herr Tauss - wenn auch natürlich nicht Sie persönlich -, haben es verhindert.
Wir sind uns einig: Innovationspolitik in Deutschland und für Deutschland zu machen, das heißt in der Tat, die Weichen zu stellen für ein nachhaltiges, sich selbst tragendes Wirtschaftswachstum und für einen langfristigen, spürbaren und ehrlichen Abbau der Arbeitslosigkeit in Deutschland an der Wende zum nächsten Jahrhundert. Die Große Anfrage der SPD
zu diesem Thema ist schon deshalb begrüßenswert, weil auch die SPD endlich einmal die Schaffung neuer hochwertiger und wettbewerbsfähiger Arbeitsplätze in den Mittelpunkt stellt, anstatt immer zu versuchen, den Verlust alter Arbeitsplätze besser zu verteilen.
Auch wenn die Anfrage schon mehr als ein Jahr alt ist - Sie haben es erwähnt - und auch die Antwort der Bundesregierung nicht sehr viel jünger ist, so gilt doch unsere gemeinsame Sorge dem Umstand, daß die deutsche Wirtschaft in vielen Technologie- und Hochtechnologiebereichen keinen Spitzenplatz einnimmt und manche schnell wachsenden Technologiebereiche an der Exportnation Deutschland vorbeizu wachsen drohen. Wir leben aus der Substanz, so auch das Ergebnis des vom Zukunftsministerium in Auftrag gegebenen Berichts zur technologischen Leistungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland.
Die deutschen Erfinder und Wissenschaftler sind dabei keineswegs dümmer geworden. Die Zahl Ihrer Patentanmeldungen sowohl beim Deutschen als auch dem Europäischen Patentamt hat in den letzten zwei, drei Jahren sogar zugenommen und sich auf höherem Niveau stabilisiert.
Es geht auch nicht darum - wie die SPD-Anfrage vielleicht suggerieren möchte -, daß wir versäumt haben, die Technologiefelder der Zukunft zu definieren. Die Bundesregierung hat, so glaube ich, das, was möglich ist, getan, zum Beispiel durch die Einrichtung des Technologierates. Es fehlt tatsächlich an der Umsetzung einer hochwertigen Erfindung in ein deutsches Produkt, das einen Markt findet, Erträge abwirft und Arbeitsplätze schafft. Bei diesem Innovationsprozeß steckt Sand im Getriebe, und zwar auf allen Ebenen: in der Wissenschaft, in der Wirtschaft, bei den Genehmigungsbehörden.
Die Politik muß versuchen, dieses Getriebe wieder flottzumachen. Die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien im Deutschen Bundestag haben diese Herausforderung mit Tatkraft und Ernst angenommen. Deswegen kann ich auch in keiner Weise nachempfinden, wie Herr Thierse zu dem Schluß kommen kann, es geschehe nichts, während Professor Jens gleichzeitig die Bundesregierung ausdrücklich dafür lobt, daß sie sogar SPD-Vorstellungen verwirklicht hat, gar nicht zu reden von den eigenen Vorstellungen, die wir zusätzlich verwirklicht haben.
Lassen Sie mich kurz auf die meiner Ansicht nach wichtigsten Problembereiche eingehen. Erstens. Wir müssen unseren erfinderischen Geistern in der Wissenschaft wieder bessere Entfaltungsmöglichkeiten bieten.
Dr. Christian Ruck
Dies bedeutet eine klare Absage an schulische und universitäre Gleichmacherei und ein Bekenntnis zum gegliederten Bildungs- und Schulsystem. Dies bedeutet die Wiederherstellung des Hochschulzugangs nach den Kriterien der Eignung und Leistungsfähigkeit. Dies bedeutet die Entzerrung von Forschung und Lehre an den Hochschulen und damit die stärkere Pflege unserer jungen Spitzenforscher, die wir im Lande halten wollen. Dies bedeutet auch mehr Gestaltungsspielraum für die Unis und die Möglichkeit, mit anderen Universitäten in den Wettbewerb um das beste Angebot, die besten Studenten und die besten Professoren aus dem In- und Ausland zu treten.
Professor Jens, in dem Zusammenhang möchte ich etwas korrigieren: Sie sagten, wir hätten im letzten Jahr im Bereich der Berufsausbildungsverordnungen nichts getan. Ich darf Ihnen sagen, daß wir allein im letzten Jahr 45 Ausbildungsverordnungen neu herausgebracht bzw. aktualisiert haben. Das ist wesentlich mehr - ich glaube, hier ist uns ein großer Durchbruch gelungen - als in vielen Jahren vorher. Auch Sie wissen, woran das liegt.
Zweiter Punkt. Es ist in fast allen Redebeiträgen bereits angeklungen: Wir müssen junge oder junggebliebene Technologieunternehmen durch die Zufuhr von Wagniskapital gezielt fördern. Hier sind wir uns weitgehend einig; hier gibt es auch Initiativen Ihrer Partei. Diese jungen Technologieunternehmen sind in der Tat für uns alle die Hoffnungsträger, die wir hegen und pflegen müssen - dies um so mehr, als bei uns aus vielerlei Gründen der Zugang zum Wagniskapital für Leute, die zunächst kaum mehr an Sicherheit bieten können als eine Idee, ihren Mut und ihre Tatkraft, wesentlich schwieriger als beispielsweise in den USA ist.
Hier tritt Gott sei Dank bei wichtigen Akteuren ein gewisser Sinneswandel ein, zum Beispiel bei den Banken.
Ich möchte etwas erwähnen, was mit der Verbindung zwischen einer Erfindung und der unternehmerischen Praxis zu tun hat. Es gibt inzwischen hervorragende Beispiele regionaler Wagnisfonds, wo sich die Kammern, die lokalen Politiker und die lokalen Bankenvertreter zusammensetzen, einen regionalen Pool bilden und ganz gezielt ihren lokalen jungen Technologieunternehmen helfen, und zwar nicht nur durch die Zufuhr von Geld, sondern auch - das ist etwas ganz Wichtiges - durch die Zufuhr von Ratschlägen, zum Beispiel dazu, wie man eine gute Idee in der Praxis umsetzt, beim Marketing und in der Geschäftsführung. Das ist oft das Problem: Man setzt eine gute Idee in den Sand, weil man keine Ahnung von der Betriebsführung hat.
Man kann natürlich beklagen, daß es zu viele europäische, Bundes- und Landesprogramme gebe, die man koordinieren müßte. Wir sind dabei, das zu tun. Aber ich möchte auf einige Programme hinweisen, die für meine Begriffe in dieser Hinsicht sehr erfolgreich sind, wo es auch darum geht, Marktnähe und Praxisnähe zu vermitteln. Ich nenne zum Beispiel die industrielle Gemeinschaftsforschung, das Forschungskooperationsprogramm oder das neue ERP-Innovationsprogramm.
Allerdings sind wir - wir haben es auch am letzten Freitag in der Debatte gesehen - bei dem Thema Wagniskapital noch längst nicht am Ende. Wir müssen zum Beispiel auch an eine Reform des Stiftungswesens und des Gesetzes über Unternehmensbeteiligungsgesellschaften herangehen, um die Attraktivität des Finanzplatzes Bundesrepublik Deutschland allgemein zu erhöhen. Auch da ist vieles in Bewegung; das kann niemand leugnen. Ich erwähne in diesem Zusammenhang das Finanzmarktförderungsgesetz.
Der dritte Punkt ist noch wichtiger. Wir müssen die allgemeinen Rahmenbedingungen für Investitionen grundlegend verbessern. Investitionen sind das notwendige Vehikel für die Innovationen. Die Investitionen sind besorgniserregend unzureichend. Die Investitionen aus dem Ausland sind angeblich sogar negativ. Die Gründe hierfür und mögliche Abhilfemaßnahmen haben wir hier und anderswo ausführlich diskutiert. Wir haben landauf, landab die im internationalen Vergleich hohen Produktionskosten, die unattraktiven direkten und indirekten Steuern, die dünne und fallende Eigenkapitalquote und die Verzerrung bei den verschiedenen Kapitalanlagemöglichkeiten beklagt.
Sicher ist: Wer Innovationen in Deutschland will, muß vor allem dem Mittelstand wieder mehr Luft dazu verschaffen,
zum Beispiel durch eine weitere Deregulierung und Flexibilisierung, etwa im Planungs- und im Arbeitsrecht, zum Beispiel durch ein Ende der Fehlleitung gigantischer Steuermittelsummen in völlig veraltete Industriebranchen und zum Beispiel durch eine Senkung der ertragsabhängigen und eine Abschaffung der ertragsunabhängigen Steuern. Es wäre wirklich ein absoluter Irrsinn, wenn die SPD über die Bundesratsmehrheit aus reiner Freude am Destruktivismus
dafür sorgt, daß die Gewerbekapitalsteuer auch gegen die hochverschuldeten Unternehmen in den neuen Bundesländern eingesetzt wird, um ihnen häufig endgültig den Garaus zu machen.
- Herr Tauss, wenn das eine alte Leier ist, bin ich der erste, der sich darüber freut.
Dr. Christian Ruck
Vierter Punkt. Wer Innovationen will, muß auch öffentlich in unserer Gesellschaft für Forschung und Technologie und dafür, den Herausforderungen an einen modernen Wirtschaftsstandort gerecht zu werden, werben.
Unser größtes Handicap ist wahrscheinlich nicht so sehr das Kostenniveau, sondern eine weitverbreitete Mentalität, das Erreichte abzusichern und abzukapseln, statt mutig neue Zukunftsmöglichkeiten in Angriff zu nehmen. In den USA zum Beispiel werden 62 Prozent des Risikokapitals in Biotechnologie, Telekommunikation, Software und Elektronik investiert, in Deutschland sind es gerade einmal 12 Prozent. Das hat auch etwas mit der unterschiedlichen Stimmungslage in beiden Nationen zu tun.
Auch wir können letztendlich niemanden zum Jagen tragen, keinen Wissenschaftler im Elfenbeinturm, keinen nichts unternehmenden Unternehmer, keinen ewig gestrigen Gewerkschafter. Aber wir werben und kämpfen dafür, Technologie nicht nur als Risiko, sondern auch als Chance zu sehen,
als Chance, die zum Risiko werden kann, wenn man sie verpaßt.
Herr Kollege Jens, Sie und Ihre Kollegen haben in der Großen Anfrage zur Investitionspolitik in Deutschland eine Auffassung vertreten, die vielfach diametral dem widerspricht, was andere, auch führende Kreise in Ihrer Partei jahrelang an Technologiefeindlichkeit geschürt haben. Das war eine Technologiefeindlichkeit, die dazu geführt hat, daß die sicherste Nukleartechnik der Welt verschwindet, unsere jungen Genforscher ins Ausland abgewandert sind und selbst der Transrapid als Teufelszeug bekämpft wird.
Sagen Sie den andersdenkenden Genossen bitte auch: Ein Streit um das BAföG ersetzt die Hochschulreform nicht,
der Kampf gegen das Ladenschlußgesetz nicht die nötige Wirtschaftsreform, und wer meint, Technologiepolitik erschöpfe sich im Kampf gegen die Kernkraft, der betreibt keine Innovationspolitik in Deutschland.
Herr Thierse, ich fand es bizarr, daß Sie uns den Reformstau unterjubeln wollten. Stimmen Sie als SPD in Bundestag und Bundesrat zumindest unseren steuerlichen Reformvorhaben zu, und Sie werden sehen, daß ein Innovations- und Investitionsschub durch unser Land geht wie lange nicht mehr.
Das ist im Interesse unserer Bürger und sollte daher auch in Ihrem Interesse sein.
Das Wort hat der Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Normalerweise ist es nicht üblich, laufende Debatten zu kommentieren, aber nach dem Erleben dessen, was hier heute morgen abgelaufen ist, erlauben Sie mir eine Bemerkung. Ich frage mich die ganze Zeit, was Zuhörer unserer Debatte, die als Innovationsdebatte angekündigt wurde, von dieser Debatte mitnehmen.
- Lieber Kollege Fischer, seien Sie ein bißchen ruhig. Sie sind viel zu spät gekommen, um zu hören, was aus Ihrer Fraktion bisher vorgetragen worden ist.
Genau das ist auch der Punkt: Eigentlich sollte eine Debatte, die sich mit Zukunft und Innovationen beschäftigt, auch in der Lage sein, den einen oder anderen innovativen Gedanken zu fassen.
Der Kollege Jens hat natürlich recht: Es ist ein Problem der Debattenplanung, wenn eine Große Anfrage, die vernünftige Themen anspricht, von der Bundesregierung ausführlich beantwortet worden ist, oder Anträge, die zur Informationsgesellschaft vorgelegt werden, erst ein Jahr später in der Kernzeitdebatte behandelt werden. Man fragt sich dann, was das soll.
Eigentlich könnte man sowohl das Thema Große Anfrage wie auch den Antrag zur Informationsgesellschaft inhaltlich relativ leicht abhandeln. Der Kollege Jens hat gerade gesagt, vieles von dem, was er angesprochen hat, sei inzwischen von der Bundesregierung aufgegriffen worden. Die Frage ist: Warum debattieren wir noch darüber?
Der Kollege Mosdorf hat in Sachen Informationsgesellschaft vorgestern eine Pressemitteilung verteilt, in der er gesagt hat, er begrüße das, was die Bundesregierung - Stichworte: Multimedia-Gesellschaft, Info 2000 - macht. Warum debattieren wir? Worüber debattieren wir?
Diese Fragen stelle ich mir vor allem vor dem Hintergrund der Rede von Herrn Thierse, der bekanntermaßen der SPD-Fachmann für das Allgemeine ist. Lieber Herr Thierse, Sie haben heute ganz sicher unter Ihrem Niveau geredet. Ich weiß nicht, ob vielleicht nicht ein klein wenig Sachverstand geholfen hätte. Als Konzeption war es wirr, was Sie gesagt haben, als Feuilleton war es schwach. Ich will das belegen.
Sie sagen zum Beispiel: Die Regierung weckt Furcht vor der Globalisierung. Heilige Einfalt! Wer ist denn derjenige in diesem Land, der dauernd er-
Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
klärt, es gebe gar keine Globalisierung, respektive wenn es sie denn gäbe, dann dürften wir uns auf keinen Fall von ihr beeinflussen lassen? Es ist doch Ihr Parteivorsitzender, der damit durchs Land zieht.
Was ist das denn für eine Politik von seiten der SPD, auf Parteitagen die Internationale zu singen und im Anschluß daran gegen die Globalisierung zu kämpfen? Das muß einem erst einmal beigebracht werden.
Es wird Zeit, daß wir endlich einmal mit all diesen Schlagworten aufhören
und sagen: Ein deutsches Unternehmen, das im Ausland investiert, stärkt den Standort Deutschland und schwächt ihn nicht. Wir müssen uns auf den Märkten behaupten, wenn wir die Arbeitsplätze in Deutschland sichern wollen.
Deshalb, meine Damen und Herren, wird es Zeit, daß wir auch die Debatten hier anders führen und nicht so, wie Herr Thierse es getan hat. Herr Thierse hat gefordert: Schulen ans Netz. Er wirft der Regierung vor, obschon es richtig sei, daß die Schulen ans Internet kommen, dafür zuwenig Geld zur Verfügung zu stellen. Ich frage Sie, Herr Thierse: Wer ist denn in Deutschland dafür zuständig? Wir tun dies doch nur deshalb, weil die Länder versagt und nichts für die Schulen getan haben.
Ich lasse mir von Ihnen nicht vorwerfen, 59 Millionen DM seien zuwenig. Ich bin froh, daß überhaupt etwas in Gang gekommen ist. Sagen Sie nicht wie die Landeskultusminister: Der Bund soll sich heraushalten, der Bundesbildungsminister ist gar nicht zuständig. Sorgen Sie dort, wo Sie regieren bzw. mitregieren - beispielsweise in Brandenburg oder in Nordrhein-Westfalen - dafür, daß auch die restlichen Schulen einen Anschluß ans Netz erhalten. Dann dürfen Sie hier Kritik üben.
Herr Thierse stellt sich hier hin und erklärt: Wir brauchen im Internet keine Zensur. - Heilige Einfalt! Haben Sie überhaupt einmal in den Referentenentwurf zum Multimediagesetz geschaut? Was steht dort? Wer kämpft denn seit Monaten gegen die Länder dafür, daß keine Bürokratie, keine Genehmigungen erforderlich sind, sondern allein der Gewerbeschein genügt, um diese Netze zu nutzen?
Das größte Stück ist, daß sich Herr Thierse hier hinstellt und behauptet, wegen der Bundesregierung müßten Forschungseinrichtungen sogar Standorte
schließen. Lieber Herr Thierse, ich bin ja bereit, manches zu ertragen.
- Herr Fischer, schreien Sie nicht so herum! Sie können gerne eine Frage stellen, wenn Sie wollen; aber von dieser Thematik haben Sie ja keine Ahnung!
Zu dem Vorwurf bezüglich der Forschungseinrichtungen will ich Ihnen zunächst einmal sagen: Innovation bedeutet die Fähigkeit, auch einmal etwas Neues zu tun. Das gilt auch für Forschungseinrichtungen. Forschungseinrichtungen können nicht dauernd nur deshalb weiter mitgeschleppt werden, weil sie vor 30 Jahren einmal gegründet und von Beamten weitergeführt worden sind. Nicht derjenige, der ein Reagenzglas in die Hand nimmt, ist auch ein Forscher, sondern ein Forscher ist derjenige, der einen neuen Gedanken hat und auch einmal ein neues Produkt schafft.
Herr Kollege Rüttgers, ich muß Sie fragen: Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Odendahl?
Aber natürlich, gern.
Herr Minister Rüttgers, nachdem Sie hier einen so temperamentvollen Auftritt liefern,
den wir sonst so nicht gewohnt sind, frage ich Sie: Dürfen wir damit rechnen, daß Sie mit demselben Engagement und demselben Temperament weiteren Kürzungsabsichten bezüglich des Etats Ihres Hauses dem Haushaltsausschuß und auch dem Finanzminister gegenüber in Zukunft entgegentreten werden?
Das ist ja der alte Trick: Wenn einem ein Thema unangenehm ist, stellt man eine Frage aus einem anderen Bereich. Ich lasse mich im Hinblick auf meinen Haushalt unter jedem Kriterium messen. Ich stehe dazu: Es muß gespart werden. Kein Minister kann sagen: Jawohl, wir müssen sparen, für Euro, für Arbeitsplätze und für Konsolidierung, aber bei mir kann nicht gespart werden. - Schizophren bin ich nicht. Auch in meinem Haushalt muß gespart werden. Wenn man weniger Geld zur Verfügung hat, muß man das Geld aber intelligenter einsetzen. Exakt das tue ich. Mit diesem Maßstab kann sich mein Haus jederzeit messen lassen.
Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
Ich komme zurück zu den Forschungseinrichtungen. Ich finde es mehr als bedenklich - ich sage das hier, damit es auch außerhalb dieses Hauses gehört wird -, daß eine Institution wie die Max-Planck-Gesellschaft, die über viele Jahre nicht genügend getan hat, um ihre Institute, die Zukunftsthemen und die Qualitätsmaßstäbe dem internationalen Standard anzupassen, jetzt kommt, nachdem es brennt und etwas geschehen muß, und sagt: Das ist deshalb so, weil die Bundesregierung nicht genügend Geld zur Verfügung gestellt hat.
Die Wahrheit ist, daß schon seit langem die neuen Institute in den neuen Bundesländern gegründet sein müßten, wie es versprochen war und wofür auch das Geld zur Verfügung gestellt wurde.
Wahr ist auch, daß die Max-Planck-Gesellschaft trotz aller Restriktionen im nächsten Jahr 5 Prozent mehr Geld bekommt, während wir anderswo kürzen. Ich finde, unter diesen Umständen mit dem Finger auf die Bundesregierung zu zeigen ist schlichtweg nicht in Ordnung.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Bulmahn?
Herr Minister Rüttgers, Sie haben sich in den Leitlinien zur Forschungspolitik dafür ausgesprochen, daß den Forschungsorganisationen mehr Flexibilität und Eigenverantwortung zugeordnet wird. Halten Sie es für mit diesem Grundsatz - den ich für richtig und den wir von seiten der SPD für notwendig für die Zukunft halten - vereinbar, wenn wir auf der einen Seite die politische Vereinbarung und den Beschluß haben, daß die Max-Planck-Gesellschaft zusätzliche Mittel erhält, der sogenannte „Fünf-mal-fünf-Beschluß", der von Ihrem Haus, von Ihrer Seite der Bundesregierung mitgetragen worden ist und für richtig gehalten wird, wir aber auf der anderen Seite einen Bundesfinanzminister bzw. eine Bundesregierung haben, die der Max-Planck-Gesellschaft verordnet, 1,5 Prozent ihrer Stellen zu streichen, ohne danach zu fragen, ob hierfür eine wissenschaftliche Bewertung vorhanden ist? Halten Sie es für richtig, wenn auf der einen Seite eine theoretische Forderung auf dem Papier formuliert wird, den Forschungsorganisationen mehr Flexibilität einzuräumen, Sie aber auf der anderen Seite einen SPD-Antrag, der genau diese Forderung umsetzt, indem der Finanzansatz beibehalten wird, aber die Max-Planck-Gesellschaft das Recht erhält, darüber zu verfügen, wie diese Mittel eingesetzt werden, indem der Stellenplan aus dem Bundeshaushalt verschwindet und indem die Max-Planck-Gesellschaft von dieser generellen Kürzung ausgenommen wird - das war unser Antrag -, im Ausschuß ablehnen? Halten Sie es für die Schaffung von mehr Flexibilität, wenn Sie einen Antrag ablehnen, der genau dies ermöglicht?
Entschuldigen Sie, Frau Kollegin, Sie verwirren mich. Ich weiß nicht mehr, was Sie wollen. Die Lage ist relativ einfach. Die Max-Planck-Gesellschaft bekommt seit sechs Jahren jedes Jahr jeweils 5 Prozent mehr Geld. Das sind Millionenbeträge. Mit diesem Geld sollte nur eine einzige Aufgabe gelöst werden, nämlich Institute in den neuen Bundesländern aufzubauen.
Die andere Sache ist, daß jede öffentliche Einrichtung - das ist richtig - ihren Personalbestand überprüfen und sehen muß, daß er zurückgeführt wird. Das machen die Bundesministerien, das machen die Bundesoberbehörden, das macht das Fraunhofer-Institut und das machen die Großforschungszentren. Es gibt überhaupt keinen Grund, warum die MaxPlanck-Gesellschaft das nicht machen sollte.
Wenn die Max-Planck-Gesellschaft auf Grund fachlicher Kriterien der Auffassung ist, daß in einer bestimmten Einrichtung die Arbeit fortgeführt werden soll, hat die Max-Planck-Gesellschaft jede Freiheit, dort die notwendigen Stellen zu schaffen und diese Arbeit zu machen. Sie muß dann nur sagen, wo an anderer Stelle eingespart wird.
Dies hat die Max-Planck-Gesellschaft - das ist kein Satz, der sich an den jetzigen, neuen Präsidenten richtet - über Jahre versäumt. Es kann nicht sein, daß ein Institut einen bestimmten Stand hat, dann ein Forscher exzellente Arbeit leistet und zum Beispiel den Nobelpreis bekommt, das Institut über Jahre aufgebaut worden ist, dann die Emeritierung erfolgt und ein junger, neuer und natürlich auch qualifizierter Direktor kommt und sagt: Was der Kollege Nobelpreisträger gehabt hat, nehmen wir nun als Bestand, und jetzt satteln wir obendrauf.
Die Zeit des Obendraufsattelns ist in Deutschland ein für allemal vorbei. Wir müssen uns auf den Weltmärkten mit anderen Kriterien behaupten.
- Entschuldigen Sie einmal, Frau Bulmahn. Was soll das denn? Es liegt ein Konzept vor, das die größten Anstrengungen unternimmt, die seit der Nachkriegszeit gemacht worden sind, um den Forschungsinstituten jetzt unter den neuen Bedingungen endlich die Freiheit zu geben, die sie brauchen.
Stimmen Sie doch über die von Ihnen regierten Länder zu. Dann ist das ganze Problem in einem halben Jahr ausgeräumt. Dann können die Institute mit der Budgetierung, mit den Stellenplänen, mit der Privatisierung dort arbeiten, wo sie am Markt sind.
Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
Meine Damen und Herren, was ist notwendig? Es gibt zwei Megatrends, denen sich unsere Gesellschaft ausgesetzt sieht. Das eine ist der Trend zur Globalisierung. Wir müssen uns auf den Märkten behaupten, weil wir sonst von den Märkten verschwinden werden. Das andere ist der Trend zur Wissensgesellschaft. In den nächsten vier Jahren werden so viele Forscher auf dieser Welt arbeiten, wie in den letzten 2 500 Jahren der Menschheitsgeschichte zusammen.
Diese beiden großen Trends - der Herr Kollege Jens hat es zu Recht angesprochen - setzen natürlich voraus, daß sich etwas ändert. Wenn es in Deutschland so bleiben soll, wie es ist, muß sich etwas ändern. Dies ist eine große Anpassungsleistung, die wir den Menschen abverlangen. Ich gebe zu, daß das schwierig ist.
Wir haben in den letzten sechs Jahren nach der Wiedervereinigung schon viele Veränderungen in Deutschland erlebt. Es ist natürlich und menschlich, daß man sagt: Jetzt muß einmal Ruhe sein. Jetzt kommt die Politik mit einer neuen Zumutung und sagt: Es muß sich etwas ändern. Es ist aber auch so, daß Deutschland kein Notstandsgebiet ist. Wir verfügen über alles Wissen dieser Welt. Wir sind eines der ganz wenigen Länder, die das von sich behaupten können. Jetzt müssen wir die Chancen nutzen.
Lieber Herr Kiper, es wird Zeit, daß wir mit diesen manisch-depressiven Debatten nach dem Motto „Genpflanzen sind der Tod, Solarstrom ist die Rettung, das Dreiliterauto ist ein Wunder, der Transrapid ein Wahnsinn" aufhören. So kann man Zukunft nicht gestalten.
Deshalb bin ich fest davon überzeugt, daß es drei große Reformprojekte gibt, die jetzt angepackt werden müssen.
Das eine ist die Hochschulreform, weil natürlich die Hochschulen noch immer der Kern unseres Wissenschafts- und Forschungssystems sind. Auch die Hochschulen brauchen mehr Freiheit. Ich bin dankbar dafür, daß wir uns mit den Ländern darüber geeinigt haben, dieses Projekt in den nächsten Monaten anzupacken.
Das zweite Projekt ist die Reform der außeruniversitären Forschungszentren. Die Vorschläge liegen auf dem Tisch. Sie sind im Gespräch. Ich hoffe, daß wir sie im nächsten Jahr umsetzen können.
Das dritte, Herr Kollege Jens, ist genau der Punkt, den Sie ansprechen. In Deutschland ist alles Wissen dieser Welt vorhanden. Nur müssen wir aus diesem Wissen mehr machen, und zwar vor allen Dingen schneller, und auch Produkte machen. Deshalb muß die Kette von der Grundlagenforschung bis zum Produkt geschlossen werden, und sie muß gemeinsam angepackt werden. Deshalb werde ich noch in diesen Tagen zusammen mit den Wissenschaftsorganisationen und den Wirtschaftsorganisationen das neue System der Leitprojekte vorstellen, bei dem im Wettbewerb Ideen ausgeschrieben werden, bei dem
im Wettbewerb Wissenschaft und Wirtschaft sagen können: Wir wollen von der Grundlagenforschung bis zum Produkt gemeinsam arbeiten. Dies ist nötig, um die Hindernisse, die wir über viele Jahre zugegebenermaßen hatten und die schon zu Ihrer Zeit wie jetzt zu unserer Zeit beklagt worden sind, zu überwinden und um Innovation in Deutschland auch in Zukunft sicherzustellen.
Meine Damen und Herren, es gibt überhaupt keinen Grund, etwa zu nörgeln. Es gibt überhaupt keinen Grund, depressiv zu sein. Wir haben in Deutschland alle Chancen. Wir müssen sie nur ergreifen.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Edelgard Bulmahn.
Herr Minister Rüttgers, Sie haben in Ihrer Antwort auf meine Frage den Eindruck erweckt, daß es das Anliegen der SPD-Fraktion sei, die finanziellen Mittel für die Max-PlanckGesellschaft über die 5-mal-5-Prozent-Regelung aufzustocken. Das ist nicht richtig. Das war nicht der Inhalt unseres Ausschußantrags, und es war auch nicht der Inhalt meiner Frage.
Sie haben zweitens den Eindruck erweckt, daß die Max-Planck-Gesellschaft schon jetzt völlige Freiheit in der Stellenbewirtschaftung hätte. Auch das ist nicht richtig. Sie haben mit dem Föderalen Konsolidierungsprogramm der Max-Planck-Gesellschaft vorgeschrieben, pro Jahr bis zum Jahr 2000 ihre Stellen um 1,5 Prozent zu senken. Das bedeutet ganz konkret, daß die Max-Planck-Gesellschaft bis zum Jahr 2000 einen Stellenabbau in Höhe von 740 Personen durchführen muß. Das ist angesichts des gleichzeitigen Auftrags und Beschlusses, in Westdeutschland drei Institute aufzubauen und den Aufbau in Ostdeutschland durchzuführen, nicht möglich.
Wir haben deshalb von unserer Seite aus gesagt - das ist der Kern des Streites, um den es geht -, daß wir es nicht für richtig halten, die Max-Planck-Gesellschaft genauso wie ein Bundesamt, eine Bundesverwaltung oder ein Bundesministerium zu behandeln.
Von daher fordern wir erstens, daß die MaxPlanck-Gesellschaft von der generellen Stellenkürzung, die für die Bundesbehörden und Bundesverwaltungen vorgesehen ist, ausgenommen wird, weil man zwischen einer Verwaltungsbehörde und einer Forschungseinrichtung oder Forschungsorganisation wie der Max-Planck-Gesellschaft unterscheiden muß.
Wir fordern zweitens, daß der Stellenplan der MaxPlanck-Gesellschaft nicht mehr in den Bundeshaushalt aufgenommen werden soll, weil es überhaupt keine sachliche Begründung dafür gibt. Ich finde, es
Edelgard Bulmahn
ist an der Zeit, daß man diese antiquierte Regelung endlich ad acta legt und sich davon verabschiedet.
Herr Minister Rüttgers, wollen Sie antworten? - Das ist nicht der Fall.
Dann hat jetzt der Kollege Jörg Tauss, SPD, das Wort.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrter Herr Präsident! Gerade kam der Zwischenruf: „Jetzt kommt der Rambo von Bruchsal!" Ich weiß nun nicht, ob. das sonderlich parlamentarisch ist. Ich habe mir, weil er nicht zum erstenmal kommt, neulich einmal einen Rambo-Film angesehen, Herr Kollege. Ich habe festgestellt, der Rambo ist immer auf seiten der Sieger und immer auf seiten der Gerechten. Da fühle ich mich sichtbar wohl.
Kommen wir nun zu dem Thema, das wir hier heute diskutieren. Herr Schäuble ist leider weggegangen, auch Herr Glos.
- Das ist prima.
Risikokapital war das Stichwort. Ich kann vieles von dem unterstreichen, was hier vorgetragen worden ist. Ich frage mich nur: Wo ist Ihr Antrag zum Risikokapital, den wir hier beraten könnten, Herr Schäuble?
Wo ist das Gesetz, das wir hier beraten könnten, Herr Glos? Sie sind alle nicht da. Wahrscheinlich sind sie auf der Suche,
wie der Kanzler, der von seinem Technologierat aufgefordert ist, hier einen Gesetzentwurf vorzulegen.
Kommen Sie Ihrem Geschäft nach! Dann können Sie hier wieder Sonntagsreden halten. Aber nur noch Sonntagsreden zu halten, anstatt Politik zu machen, das machen wir nicht mehr mit,
zumal, wenn es dann noch von der Presse gelegentlich als erfolgreiche Politik gefeiert wird. Das aber endet ja auch.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, dem Forschungsminister fällt zum Internet der Gewerbeschein ein. Dazu fällt mir gar nichts mehr ein.
100 Millionen Dollar für neue Software-Entwicklungen in den USA; das ist großartig.
Aber immerhin - ich finde das bemerkenswert -: Es gab wenig Kritik an unserem Antrag. Das wundert mich nicht; unsere Anträge sind gut. Die wenigen Kritikpunkte, die Sie vorgebracht haben, basieren zum Teil darauf, Herr Kollege Laermann, daß Sie den Antrag nicht gelesen haben. Das finde ich außerordentlich schade. Es ärgert mich ein bißchen, weil ich gerade von Ihnen im Vergleich zu Ihrem Laden etwas anderes gewohnt war.
Herr Mayer ist etwas konkreter geworden. Ich will darauf mit zwei Sätzen eingehen.
Nicht jede Information, Herr Kollege Mayer, muß kostenlos sein. Das haben wir nicht gefordert; das steht nicht im Antrag. Denken Sie an die öffentlichen Bibliotheken. Wir haben sie eingerichtet, weil kein Mensch beispielsweise die 70 000 Bücher, die im letzten Jahr neu erschienen sind, kaufen kann. So ähnlich ist es mit den neuen Angeboten.
Wir müssen uns überlegen: Welche Angebote sind öffentlich sinnvoll? Was ist gesellschaftliche Aufgabe?
So wie wir vor Jahrzehnten Bibliotheken eingerichtet haben, so haben sich hier die Aufgaben gewandelt. Darüber besteht wahrscheinlich überhaupt kein Streit.
Es muß erschwinglich sein, nicht kostenlos, wie die Bibliotheken.
Das gilt im übrigen auch für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Auch er ist nicht kostenlos, auch er ist erschwinglich. Wir hatten, Herr Kollege Mayer, damit hier kein Mißverständnis entsteht, keinen Streit wegen der Technik, was den Rundfunkbegriff anbelangt. Aber es geht um das hohe verfassungsrechtliche Gut des Art. 5 unseres Grundgesetzes. Da ist die zentrale Frage: Gibt es das, was Art. 5 vorschreibt und was das Bundesverfassungsgericht ausgefüllt hat, auch im Bereich der neuen Medien? Darüber geht unser Streit.
Sie haben gesagt: Art. 5 soll mit diesem Bereich nichts mehr zu tun haben. Wir sind anderer Auffassung. Ich halte das gesellschaftspolitisch für richtig.
- Wenn das falsch ist, dann ist unser einziger Streit, außer der Werbegrenze, wahrscheinlich auch nicht mehr vorhanden. Dann können wir uns darauf einigen, Herr Kollege Mayer.
Jörg Tauss
Ich denke, das wäre eine sinnvolle Geschichte. Unsere Angebote haben wir gemacht.
„Wer sagt Ihnen, wo die Zukunft liegt?", fragte dieser Tage eine deutsche Wirtschaftszeitung. Wenn man dem Technologierat glaubt, könnte man denken, es hätte mit einer technischen Revolution zu tun. Der Technologierat hat nicht unrecht. Wir haben es durch das Zusammenwachsen von Telekommunikation und Computern mit einem erheblichen wirtschaftlichen und technischen Umwandlungsprozeß zu tun. Das verändert.
Nur, Herr Rüttgers, ich wundere mich sehr darüber, daß Sie gegen den Parteivorsitzenden der SPD polemisieren, der im übrigen völlig berechtigt zentrale Fragen der Globalisierung anspricht.
Herr Geißler - ich sehe ihn heute leider nicht - war kürzlich in meinem Wahlkreis. Er ist ein interessanter Mensch; deshalb verfolgt man auch, was er zu sagen hat. Er sagte - ich zitiere -:
Wir dürfen in der Globalisierung unsere Wirtschafts- und Sozialkultur nicht aufs Spiel setzen.
- Er hat recht, da kann auch ich nur klatschen.
Weiter sagte Herr Geißler, daß wir die soziale Marktwirtschaft ethisch internationalisieren müssen. Für Herrn Lambsdorff wäre dies natürlich eine Art Marxismus und würde zu was weiß ich führen.
Sie merken doch wohl selbst, daß die Globalisierungsantworten, die Sie geben, überhaupt keine Bedeutung haben, sondern daß es tatsächlich darum geht, die Fragen, die Sie in Sonntagsreden aufwerfen, nicht nur in Bruchsal, sondern auch hier im Deutschen Bundestag einmal zu stellen und nicht so zu tun, als ob nur wir diejenigen wären, die die Frage der Globalisierung - vernünftigerweise - ansprechen.
Das ist eigentlich Ihr Job, angesichts der Herausforderungen, vor denen wir stehen.
Das Forum 2000, Herr Minister Rüttgers, ist gekommen, nachdem wir berechtigterweise kritisiert haben, daß Sie die gesellschaftspolitischen Kräfte nicht eingebunden haben. Noch heute fehlen in diesem Gremium die Informatiker. Das können wir noch nachholen; Sie haben es versäumt. Ich sage nur: Die Bundesregierung muß sehr schnell lernen, daß das, was wir als Wandel in der Informationsgesellschaft bezeichnen, die Gesellschaft in allen Bereichen nachhaltig verändern wird. Unser Antrag gibt darauf die geeignete Antwort.
Im übrigen fordere ich an dieser Stelle all diejenigen auf, die sich noch nicht mit dem Computer beschäftigt haben, das Internet nicht länger als rechtsfreien Raum hinzustellen. Ich könnte immer kichern, wie die Regulierer in der Bundesregierung hier fröhliche Urständ feiern. Wenn man dem mehrstimmigen
Chor von Herrn Schmidt-Jortzig, Herrn Kanther, Frau Nolte, Herrn Rüttgers und Herrn Rexrodt lauscht, hört man völlig Unterschiedliches.
Herr Rexrodt hat sogar angekündigt, er wolle im nächsten Jahr einen internationalen Kongreß zum Thema Internet mit dem Schwerpunkt - ich kann es kaum aussprechen - Pornographie durchführen. Meine 79jährige Mutter muß langsam den Eindruck gewinnen, daß ich mich von morgens bis abends mit „Schmuddelkram" beschäftige. Ich weiß nicht, ob ein internationaler Kongreß über das Internet mit Schwerpunkt Pornographie auf Grund der vielen anderen Probleme, die wir haben, sinnvoll ist und wir mit hochgeschlagenem Mantelkragen dort hingehen sollten. Mit dieser Sensationsmacherei, Herr Minister, werden Sie dem eigentlichen Problem nicht auch nur ansatzweise gerecht.
Frau Nolte hat sich bei allen Fachleuten lächerlich gemacht. Die „Süddeutsche Zeitung" hat ihr die entsprechenden Worte ins Stammbuch geschrieben. Ich brauche sie an dieser Stelle nicht zu wiederholen.
Herr Minister Rüttgers, Sie haben gesagt, die Leitungen seien bei uns in Ordnung. Es geht aber nicht nur um Leitungen - Sie kommen mir vor wie ein Wasserwerksdirektor, der immer sagt: Die Leitung ist in Ordnung, der sich aber nicht um das Wasser kümmert -; es geht vielmehr um die Inhalte. Es geht um das, was wir in diesen Leitungen überhaupt transportieren; es geht darum, was die Informationsgesellschaft ausmacht. Herr Kollege Mayer, über die Inhalte in den Netzen wird die Frage nach zukünftigen Arbeitsplätzen in diesem Bereich entschieden werden. Durch Inhalte wird erst der Schub gegeben, damit mit unseren Netzen etwas passieren kann. In diesem Punkt bin ich mit vielen, Ihnen nahestehenden Leuten - Herrn Professor Bullinger und andere muß ich erst gar nicht erwähnen - einig.
Herr Rüttgers hat angedroht, er wolle mit seinem Gesetzentwurf eine Schneise für Multimedia schlagen. Die Schneisen von Herrn Rüttgers hinterlassen bei mir immer furchtbare Eindrücke, wenn ich die Zerstörungen und Verwüstungen in der Forschungspolitik betrachte. Jetzt wütet das Orkantief „Jürgen" auch noch im zarten Informationswald. Ach du meine Güte!
Ihr Gesetzentwurf ist in vielen Punkten scheinheilig und nur in einigen Punkten sehr gut, woran man erkennen kann, daß er zum Teil von Fachleuten geschrieben worden ist. Aber leiten Sie uns diesen Gesetzentwurf erst einmal offiziell zu; wir haben ihn überhaupt noch nicht. Ich kenne ihn aus der Presse und habe ihn im übrigen aus dem Internet abgerufen. Was hier gemacht wird, ist also ein wenig Pseudopolitik.
Herr Kanther - er ist noch gekommen; das finde ich prima - ist drauf und dran, gemeinsam mit Herrn Rüttgers die Kryptographie zu verbieten. Das Verbot
Jörg Tauss
der Kryptographie bedeutet, daß Sie den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes das, was sie in dieser Informationsgesellschaft brauchen - nämlich Datensicherheit - vorenthalten. Das wollen Sie eigentlich erreichen. Sie sind die Bedenkenträger. Sie mißtrauen den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes, wollen sie kontrollieren und akzeptieren damit, daß Kriminelle die technische Möglichkeit zum Ausweichen haben. Die Kriminellen lachen über dieses Vorgehen und mißbrauchen weiterhin das Netz. Dann halten Sie dieses noch für eine innovative Politik. Ich kann darüber nur kichern.
„Wer sagt Ihnen, wo die Zukunft liegt?" hat kürzlich das „Handelsblatt" gefragt. Diese Frage kann ich beantworten: Die Zukunft liegt in unseren Anträgen, die wir heute eingebracht haben.
Sie liegt nicht in Ihrer Symbolpolitik. Herr Mayer, denken wir nur an das Programm „Schulen ans Netz", wogegen sich der Städtetag in Bayern massiv gewandt hat. Wir müssen etwas tun, um die Schulen ans Netz zu bekommen. Tausende von jungen Leuten arbeiten nicht am PC, weil sie keine Chance haben, einen Zugang zu finden. Das wäre eine Aufgabe: Organisieren Sie eine Bildungspartnerschaft, wie sie in unserem Antrag gefordert wird! Tun Sie etwas, und halten Sie nicht nur Reden! Vorschläge dazu finden Sie in unserem Antrag, Herr Kollege Laermann. Nur schade, daß Sie ihn nicht gelesen haben. Aber, ich denke, in der weiteren Debatte werden wir noch die Chance haben, die eine oder andere Bildungslücke auf Ihrer Seite zu schließen.
Es ist nicht akzeptabel, Initiativen zum Risikokapital, zur Innovation und zur Informationsgesellschaft immer nur anzukündigen. Blubber, Blubber, Blubber! Es kommt kein einziger Antrag, kein vernünftiges Papier, das wir hier einmal diskutieren können. Das ist Ihr Problem und nichts anderes.
Das Wort hat der Kollege Dr. Michael Meister, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst einmal meine Verwunderung zum Ausdruck bringen, daß die Kollegen von SPD und Grünen hier einen parlamentarischen Diskussionsprozeß in Gang setzen wollen, den sie eigentlich vor über einem Jahr mit einem Antrag zu einer EnqueteKommission schon auf den Weg gebracht haben. Ich frage mich, wie es zusammenpaßt, wenn man zunächst eine Enquete-Kommission fordert, also Sachverstand beizieht, und dann gleichzeitig hier Ergebnisse einfordert. Vertraut man etwa nicht dem dort versammelten eigenen Sachverstand? Vertraut man
nicht den eigenen Anträgen, die man vor einem Jahr hier gestellt und in dieses Haus eingebracht hat?
Wenn der Kollege Thierse hier am Anfang von Chancen und Zukunft gesprochen hat, dann können wir ihm selbstverständlich völlig zustimmen. Die neuen Technologien, die wir hier diskutieren, bieten eine Riesenchance und eine riesige Zukunft für unser Land. Aber leider ist die Sprache, in der Sie formulieren, Herr Thierse, über Jahrzehnte alt. Das ist eine jahrzehntealte Rhetorik, die Sie hier bieten. Leider lassen Ihre Inhalte und Ihre Rhetorik keinerlei neue Innovation hervortreten außer dem, was wir von der SPD schon seit 30 Jahren kennen.
Die SPD und die Opposition insgesamt benötigen dringend eine Innovation in Inhalt, Form und Sprache. Auch die Sonntagsreden, die Sie hier im Bundestag halten, Herr Kollege Tauss, und in denen Sie verkünden, wir bräuchten die neuen Technologien, nützen nichts. Ich bitte Sie, das einmal Ihren Parteifreunden vor Ort zu sagen. Ich habe den Wahlkreis Bergstraße mit dem Kernkraftwerk Biblis. Schauen Sie sich doch einmal an, wie sich Ihre Parteifreunde dort verhalten. Schauen Sie sich an, wie sich die Parteifreunde von den Grünen und der SPD an der Basis verhalten, wenn sich zwischen Darmstadt und Heidelberg neue Firmen im Bereich Biotechnologie oder Gentechnologie ansiedeln wollen. In der Regel sind sie die ersten Demonstranten, die dafür kämpfen, daß diese Standorte nicht realisiert werden. Deshalb sollten Sie Ihre Sonntagsreden einmal an Ihre Parteifreunde an der Basis weitergeben.
Sie haben eben kritisiert, daß das, was der Kollege Rexrodt und der Kollege Rüttgers hier zum Thema Regulierung vorgetragen haben, in internationale Tagungen eingebracht wird. Ich frage mich ernsthaft, wie es uns nach Ihrer Auffassung gelingen soll, die ganzen Probleme des Internet und der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien auf Länder- oder auf nationaler Ebene zu regeln. Diese Technologien verlangen doch aus sich selbst heraus, daß wir internationale Regelungen anstreben. Deshalb ist das, was die Bundesregierung auf dem Feld tut, zu begrüßen. Diejenigen, die dort in der Regel die Risiken und Gefahren herbeireden, sind doch die Gesellschaftspolitiker aus Ihrer Partei, Herr Kollege Tauss.
Nach meiner Auffassung hat der Standort Deutschland von der technologischen, der infrastrukturellen und auch von der rechtlichen Seite hervorragende Voraussetzungen für das Kommunikationszeitalter. Das vor der Sommerpause verabschiedete Telekommunikationsgesetz bietet eine hervorragende Voraussetzung für einen liberalisierten Telekommunikationsmarkt. Wir haben dort einen dynamischen Universaldienst definiert, und wir haben das weltweit liberalste Gesetz in diesem Punkt. Ich glaube, daß durch dieses Gesetz aus einer privaten Initiative, das heißt aus dem Markt heraus ein riesiger Innovations-
Dr. Michael Meister
schub in diesem Bereich, den wir heute diskutieren, ausgelöst werden wird.
Sie sind es gewesen, die versucht haben, durch eine verschärfte Definition beim Universaldienst hier Innovationsbarrieren und Investitionsbarrieren zu errichten. Das müssen Sie hier einmal deutlich sagen. Sie haben eine symmetrische Regulierung verlangt. Damit haben Sie zu verhindern versucht, daß auch kleine und mittelständische Unternehmen in diesen Markt hineinkommen. Wer soll denn in Deutschland die Innovation bringen, wenn es nicht die kleinen und mittelständischen Unternehmen sind? Wir haben mit der asymmetrischen Regulierung durchgesetzt, daß genau diese Unternehmen eine Chance haben, in diesen Markt hineinzugehen, dort zu investieren und ihre Ideen mit einzubringen.
Ich habe mich heute morgen auch etwas über die Rede des Kollegen Kiper gewundert. Seine Rede hat nicht ganz mit dem übereingestimmt, was in dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen steht. Er hat von der Bundesregierung gefordert, daß die Voraussetzungen für die neuen Technologien, für neue Entwicklungen, für Zukunftstechnologien geschaffen werden. Wenn Sie Ihren eigenen Antrag lesen, Herr Kollege Kiper, dann werden Sie sehen, daß dort aber keine Voraussetzungen geschaffen, sondern vielmehr Hindernisse dagegen aufgebaut werden, daß sich diese Technologien entwickeln könnten. Sie sollten vielleicht zunächst einmal das Studium Ihres eigenen Antrags betreiben, bevor Sie hier Empfehlungen an die Bundesregierung aussprechen.
Qualitätsstandards und Qualitätsanforderungen, die Sie in diesem Entwicklungsprozeß immer wieder fordern, sollten vom Markt definiert werden und dürfen nicht von der Politik als heimliche Marktzugangsbeschränkungen für Unternehmen mißbraucht werden. Wir sprechen uns eindeutig für einen diskriminierungsfreien Zugang für Unternehmen und für Nutzer zu diesem neuen Markt aus. Ich glaube, wir haben den richtigen Ansatz, wenn wir sagen, daß Innovation und Kreativität nicht geplant werden können, sondern Freiraum brauchen und sich entwikkeln müssen. Dann, wenn wir gefährliche Entwicklungen erkennen, muß es unsere Aufgabe sein, dort den Schutz des Bürgers sicherzustellen. Das ist unser Ansatz.
Ihr Ansatz hingegen versucht, diese Freiräume durch Restriktionen zu beschneiden und überhaupt nicht zu gewähren. Es ist natürlich auch kein Wunder, daß die Arbeitsplätze, die in Prognosen vorhergesagt werden, nicht entstehen, wenn wir Ihren Empfehlungen folgen würden.
Meine Damen und Herren, Kollege Thierse hat eine Bildungspartnerschaft gefordert. Ich stimme seiner hervorragenden Forderung zu. Ich glaube, das ist der richtige Ansatz. Wir brauchen in Deutschland eine Bildungspartnerschaft,
damit sich unsere Bürger kompetent und befähigt zum Besitz von Arbeitsplätzen an diesem Markt bewähren können.
Wer hat dazu etwas getan? Der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung, und Technologie hat das Projekt „Schulen ans Netz" initiiert. Die Deutsche Telekom und andere Unternehmen sind beigetreten. Wer ist denn bisher nicht beigetreten? Viele Länderregierungen und die kommunale Seite. Das sind diejenigen, die eigentlich in der Verantwortung stehen, aber leider ihren Beitrag in diese Bildungspartnerschaft, die Sie gefordert haben, nicht mit einbringen. Ich hoffe, Herr Kollege Thierse, daß Ihre Kollegen, die dort in der Verantwortung stehen, das heute gehört haben und diesen Aufruf von seiten Ihrer Bundestagsfraktion mit übernehmen. Ich glaube auch nicht, daß Ihr Ruf nach Planung, mehr Staat, mehr Politik und Dirigismus richtig ist, den Sie in Ihrer Eingangsrede ausgesprochen haben. Herr Kollege Thierse hat doch gesagt: Wir brauchen mehr Staat, wir brauchen mehr Politik und Dirigismus. Das haben Sie heute morgen verkündet.
Das ist doch staatlicher Interventionismus. Das brauchen wir nicht. Wir brauchen vielmehr eine Beschränkung der Politik. Wir müssen dem Markt Freiräume geben und nicht die Eingriffe, die Sie hier ständig gefordert haben.
Ich möchte hier allerdings nicht die heile Welt an die Wand malen. Ich möchte vielmehr darauf hinweisen, daß wir über die technologischen und infrastrukturellen Voraussetzungen hinaus auch einige Problembereiche haben. Ich denke hier an den Bereich der „middleware", das heißt an die Kommunikationssoftware, an Betriebssystem und an den Bereich der Dienste und Anwendungen. Dort ist es dringend notwendig, daß wir die gute Infrastruktur in Deutschland auch mit unseren Diensten, Anwendungen und unserer Software besetzen und dies nicht anderen überlassen, die unsere gute Infrastruktur benutzen. Dort müssen wir ansetzen. Das geht aber nur dann, wenn wir unseren Unternehmen auch die Möglichkeit geben, dies zu tun, und wenn wir nicht sofort Bedenkenträger am Tisch haben, die dies verhindern.
Ich möchte zum Schluß kommen. Um diese Chancen zu nutzen, dürfen wir Ihrem Ansatz der Überregulierung nicht folgen, wie er in den Anträgen von SPD und Grünen zum Ausdruck kommt. Wir müssen vielmehr Freiraum geben, allerdings die Schutzrechte des Bürgers als Anbieter und Nutzer sicherstellen, damit er als Mitglied einer Informationsgesellschaft in seinen Individualrechten geschützt ist, aber auch den Freiraum hat, in dieser Gesellschaft tätig zu sein.
Dr. Michael Meister
Schönen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Anträge der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf den Drucksachen 13/5197 und 13/5777 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Gruppe der PDS zu demokratischen und sozialen Antworten auf die Herausforderungen der neuen Informationstechnologien. Das ist die Drucksache 13/4429. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/2740 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der PDS bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 k sowie die Zusatzpunkte 2 und 3 auf:3. Ausländerdebattea) - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Erwin Marschweski, Wolfgang Zeitlmann, Dr. Rupert Scholz, Erika Steinbach und der Fraktion der CDU/ CSU sowie den Abgeordneten Dr. Max Stadler, Cornelia Schmalz-Jacobsen und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung straf-, ausländer- und asylverfahrensrechtlicher Vorschriften- Drucksache 13/4948 -
- Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines .. . Gesetzes zur Änderung des Ausländergesetzes- Drucksache 13/191 -
- Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ausländergesetzes- Drucksache 13/767 -
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Christina Schenk, Ulla Jelpke, Dr. Barbara Höll und der Gruppe der PDS eingebrachten Entwurfs einesGesetzes zur Änderung des Ausländergesetzes- Drucksache 13/1104 -
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Kerstin Müller und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ausländergesetzes- Drucksache 13/1194 -
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Cern Özdemir, Kerstin Müller und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ausländergesetzes- Drucksache 13/1426 -
- Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines .. . Gesetzes zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes- Drucksache 13/3331 -
- Zweite und dritte Beratung des von der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Gruppe der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ausländergesetzes- Drucksache 13/3626 -
- Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ausländergesetzes- Drucksache 13/4981 -
- Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ausländergesetzes- Drucksache 13/189 -
- Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines .. . Gesetzes zur Änderung des Ausländergesetzes- Drucksache 13/190 -
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes/EWG- Drucksachen 13/3941, 13/4340 -
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
- Drucksache 13/5986 -Berichterstattung:Abgeordnete Erika Steinbach Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Cern ÖzdemirCornelia Schmalz-Jacobsen Ulla Jelpkebb) Berichte des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung- Drucksachen 13/5993, 13/5994, 13/5995, 13/5996, 13/5997 -Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Ina AlbowitzUta Titze-StecherAntje Hermenaub) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses
- zu dem Antrag der Fraktion der SPD Besonderer Aufenthaltsstatus für Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge- zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Gruppe der PDS Abschiebestopp für algerische Flüchtlinge- zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Müller , Christa Nickels, Cem Özdemir, Amke Dietert-Scheuer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Verhinderung von Abschiebungen in den Sudan- zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Müller , Amke Dietert-Scheuer, Cern Özdemir und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENSchutz für Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge- zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Müller , Amke Dietert-Scheuer, Christa Nickels und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENAltfallregelung für seit langem hier lebende Asylsuchende- zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Müller , Amke Dietert-Scheuer, Christa Nickels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENMenschenrechtlich orientierte Asyl- und Flüchtlingspolitik- zu dem Antrag der Abgeordneten Cem Özdemir, Christa Nickels, Amke Dietert-Scheuer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Beschränkung der Abschiebungshaft von Ausländerinnen und Ausländern- Drucksachen 13/741, 13/1891, 13/2361, 13/3430, 13/3877, 13/4379, 13/107, 13/ 5986 -Berichterstattung:Abgeordnete Erika Steinbach Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Cem ÖzdemirCornelia Schmalz-Jacobsen Ulla Jelpkec) - Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ausländergesetzes und des Asylverfahrensgesetzes- Drucksache 13/809 -
- Zweite und Dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ausländergesetzes- Drucksache 13/1188 -
- Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes- Drucksache 13/1189 -
aa) Beschlußempfehlung und Bericht desInnenausschusses
- Drucksache 13/4685 -Berichterstattung:Abgeordnete Erika Steinbach Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Cem ÖzdemirCornelia Schmalz-Jacobsen Ulla Jelpkebb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung- Drucksache 13/4690 -Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Klaus Dieter Uelhoff Ina AlbowitzUta Titze-StecherOswald Metzgerd) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENVizepräsident Hans-Ulrich KloseAufenthaltsrecht für Flüchtlinge mit langem Aufenthalt - Änderung von o 100 des Ausländergesetzes
- Drucksachen 13/2550 , 13/4685 -Berichterstattung:Abgeordnete Erika Steinbach Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Cern ÖzdemirCornelia Schmalz-Jacobsen Ulla Jelpkee) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Cern Özdemir, Kerstin Müller (Köln), Christa Nickels, weiterer Abgeordneter und derFraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bleiberecht für vietnamesische Vertragsarbeitnehmerinnen und Vertragsarbeitnehmer der ehemaligen DDR in Deutschland- Drucksachen 13/231, 13/1745 -Berichterstattung:Abgeordnete Wolfgang Zeitlmann Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Cornelia Schmalz-JacobsenCern ÖzdemirUlla Jelpkef) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses
- zu dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNENVerhinderung der Abschiebung von Flüchtlingen aus den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien, die dem Kriegsdienst entflohen sind- zu dem Antrag der Fraktion der SPD Abschiebestopp für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure aus Rest-Jugoslawien
- Drucksachen 13/90 , 13/830, 13/ 2261 -Berichterstattung:Abgeordnete Wolfgang ZeitlmannDr. Cornelie Sonntag-Wolgast Rezzo SchlauchCornelia Schmalz-Jacobseng) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Freimut Duve, Rudolf Bindig, Robert Antretter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDKoordinierung der Aufnahme von Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlingen in der Europäischen Union - Schaffung eines Europäischen Flüchtlingskommissariats- Drucksachen 13/4084, 13/6058 -Berichterstattung:Abgeordnete Andreas Schockenhoff Freimut DuveGerd PoppeUlrich Irmerh) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD Herausnahme von Ghana aus der Liste der sicheren Herkunftsstaaten- Drucksachen 13/3329, 13/5075 -Berichterstattung:Abgeordnete Erwin Marschewski Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Cem ÖzdemirCornelia Schmalz-JacobsenUlla Jelpkei) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Christa Nickels, Amke Dietert-Scheuer, Cem Özdemir, Kerstin Müller und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENPraxis und Auswirkungen des Asylverfahrens bei Einreise auf dem Luftwege insbesondere Mr minderjährige unbegleitete Flüchtlinge- Drucksachen 13/2530, 13/4861 -j) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses
- zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.- zu dem Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENzur Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zur Friedensvereinbarung in Bosnien- Drucksachen 13/3220, 13/3136, 13/ 4592 -Berichterstattung:Abgeordnete Hartmut Koschyk Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Cem ÖzdemirCornelia Schmalz-Jacobsen Ulla Jelpkek) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Francke , Karl Lamers und der Fraktion der CDU/CSU, der Abgeordneten Dr. Eberhard Brecht, Freimut Duve und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Ulrich Irmer, Dr. Irmgard Schwaetzer und der Fraktion der F.D.P.Lage der Kosovo-Albaner- Drucksache 13/5705 -Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuß
InnenausschußAusschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
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12352 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1996
Vizepräsident Hans-Ulrich KloseZP2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerd Poppe, Amke Dietert-Scheuer, Dr. Angelika Köster-Loßack und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNENLage der Albaner im Kosovo - Drucksache 13/5752 —Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuß
InnenausschußAusschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und EntwicklungZP3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Andrea Gysi, Ulla Jelpke, Dr. Heidi Knake-Werner und der Gruppe der PDSSchutz der Menschenwürde bosnischer Bürgerkriegsflüchtlinge und Umsetzung des zivilen Teiles des Daytoner Abkommens- Drucksache 13/6085 -Zum Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen zur Änderung straf-, ausländer- und asylverfahrensrechtlicher Vorschriften liegt je ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen vor. Außerdem wurden dazu zwei Entschließungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen eingebracht. Die Fraktion der SPD hat einen Entschließungsantrag zum Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des Ausländergesetzes eingebracht. Ferner hat die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu ihrer Großen Anfrage zur Praxis und zu Auswirkungen des Asylverfahrens bei Einreise auf dem Luftwege einen Entschließungsantrag eingebracht.Ich weise darauf hin, daß wir über den Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen zur Änderung straf-, ausländer- und asylverfahrensrechtlicher Vorschriften sowie über zwei Entschließungsanträge im Anschluß an die Aussprache jeweils namentlich abstimmen werden.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch, dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Marschewski, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Ausländerpolitik ist ein Thema, das viele Menschen bewegt, ja, das viele Menschen aufwühlt. Das ist verständlich, denn es geht bei der Diskussion über das Ausländerrecht und über Zuwanderung um Wertentscheidungen wie auch damals bei der Asylgesetzgebung.
Damals ist es uns gelungen, Mißbrauch zurückzudrängen, und die Zahl unberechtigter Asylbewerber ist erheblich zurückgegangen. Damals haben viele nein gesagt, die Grünen haben nein gesagt, große Teile der SPD haben nein gesagt, und wie damals wird auch jetzt die Menschlichkeit für die eigene Option reklamiert und Vertretern anderer Konzepte
ohne Bewertung ihrer Argumente Inhumanität vorgeworfen.
Dies ist nicht erträglich, meine Damen und Herren, weil Realitäten geleugnet werden. Entscheidungen sind menschlich, so meine ich, wenn sie realistisch sind, wenn sie sich an der Wirklichkeit orientieren.
Ein zweiter Fehler der Ausländerdebatte ist, daß immer wieder Themen zu bloßen Parolen gemacht werden: Deutschland als Einwanderungsland, multikulturelle Gesellschaft, doppelte Staatsbürgerschaft. Es ist irrig zu glauben, meine Damen und Herren, durch diese Parolen ließen sich zwangsläufig mit dem Zuzug von Ausländern nach Deutschland verbundene Probleme regeln. Die Aufnahmen von Fremden in eine Gesellschaft, eigentlich in jede Gesellschaft, ist oftmals mit Spannungen - wenn auch mit begrenzbaren Spannungen - verbunden, und diese Spannungen werden umso geringer, je besser die Integration gelingt. Deswegen ist gerade die Integration unser politisches Anliegen, meine Damen und Herren.
Für eine erfolgreiche Integration sind Anstrengungen der Deutschen wesentlich. Das ist richtig, aber ebenso wesentlich sind Leistungen und Bemühungen der Ausländer. Das ist genau so richtig.
Diesem Gedanken entsprechend, haben wir von der Koalition ein neues oder sehr ergänztes Ausländerrecht vorgelegt, das von zwei Grundüberzeugungen geprägt ist. Es bringt zum Ausdruck, daß wir insbesondere für die schon lange hier lebenden Ausländer und ihre Familien in der Verantwortung stehen. Wir schulden ihnen verläßliche gesetzliche Rahmenbedingungen; denn sie sollen dauerhaft integriert werden - in die Gesellschaft, in den Staat, in das Arbeitsleben, in die Kultur -, nicht assimiliert, meine Damen und Herren, integriert werden. Das ist Ziel unserer Politik.
Denn die Menschen, die seit vielen Jahren durch ihre Arbeitsleistung zum Wohlstand in Deutschland beigetragen haben, haben einen Anspruch auf eine gesicherte Lebensperspektive.
Aber zugleich, so meine ich, müssen wir den Zuzug von Ausländern begrenzen; denn es ist meine Erfahrung, die Ausländerfreundlichkeit unserer Bevölkerung kann nur bewahrt werden, wenn die Grenzen der Integrationsfähigkeit nicht überschritten werden.
Deshalb gehören Zuzugsbegrenzung und Integration zusammen.
Um die Eingliederung junger Ausländer zu fördern, schlagen wir vor:
Erstens. Wir wollen das Aufenthaltsrecht junger Ausländer, die sich in Ausbildung befinden, verbessern.
Erwin Marschewski
Zweitens. Wir wollen, daß die ältere Ausländergeneration, die nach Deutschland zurückkehrt, ihr Aufenthaltsrecht nicht verliert.
Drittens. Wir wollen die Situation mißhandelter ausländischer Ehefrauen besser berücksichtigen. Sie erhalten in den Fällen außergewöhnlicher Härte bereits nach einem Jahr ein eigenständiges, eheunabhängiges Aufenthaltsrecht. Sie wissen, daß die Frist bisher drei Jahre betrug. Für mich unverständlich sagt aber die Opposition hierzu nein. Sie will noch umfangreichere Aufenthaltsrechte gewähren. Dies widerspricht, meine Damen und Herren von der SPD, der Meinung der deutschen Bevölkerung und ist auch politisch falsch. Eine noch weitergehende Öffnung in diesem Bereich führt eben nicht zu mehr Integration.
Ich habe manchmal den Eindruck, als wüßten Sie nicht, daß es Mißbrauch des Asylrechts gegeben hat und noch gibt, als wüßten Sie nicht um die illegale Zuwanderung und als wüßten Sie nichts von Scheinehen, die geschlossen werden. Rund 30 Prozent der gemischtnationalen Ehen, so sagen uns Praktiker, seien Scheinehen. Dem müssen wir eben mit den Neuregelungen Rechnung tragen und darauf achten, daß keine neuen Umgehungsmöglichkeiten eröffnet werden.
Folgten wir dem Vorschlag der SPD, ein Aufenthaltsrecht für getrennt lebende Ehegatten ohne eine Mindestaufenthaltszeit zu schaffen, so öffneten wir meiner Meinung nach dem Mißbrauch Tür und Tor.
Es reichte doch danach aus, nur für einen Tag als Ehepartner die Ehe in Deutschland ausgeübt zu haben, für einen Tag in Deutschland verheiratet gewesen zu sein oder kurzzeitig eine Scheinehe zu schließen, um ein selbständiges Aufenthaltsrecht und staatliche Leistungen zu bekommen.
Meine Damen und Herren von der SPD und den Grünen, wollen Sie wirklich nach einem Tag Ehe Aufenthaltsrecht und staatliche Leistungen gewähren? Wollen Sie dies wirklich?
- Frau Kollegin, wenn Sie dies wirklich wollen, darf ich fragen, wie weit Sie sich von der Wirklichkeit und dem Souverän, dem deutschen Volk, entfernt haben.
Sie kennen doch eine Aussage aus der Einbringungsdebatte. Ich darf sie Ihnen einmal vortragen. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen auf der linken Seite zuzuhören.
Aber zum allerwenigsten ist Ausländerpolitik ein Feld für Schwarmgeister, die vor lauter Weltenliebe vergessen, daß Ausländerpolitik eines der steinigsten nationalen Politikfelder ist, dessen Bearbeitung gleichermaßen Nüchternheit, Zähigkeit, Geduld, Realitätssinn und humanitäres Engagement, zum allerwenigsten aber Weltenferne im Gefolge haben darf.
Sehr richtig, Herr Dr. Penner, was Sie damals gesagt haben. Sie, meine Damen und Herren der SPD-Fraktion und den Grünen, müssen daraus nur die richtigen Konsequenzen ziehen.
Integration, so habe ich gesagt, ist keine einseitige Angelegenheit. Sie erfordert von unseren ausländischen Mitbürgern den Willen zum Miteinander mit den Deutschen und die Bereitschaft zur Eingliederung. Dazu gehört natürlich die Anerkennung der Grundwerte unserer Verfassung. Dazu gehört die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Dazu gehört religiöse Toleranz und die Respektierung unserer Gesetze.
Die von uns vorgesehenen Verschärfungen im Recht der Beendigung des Aufenthaltes tragen diesen aktuellen Entwicklungen Rechnung. Wir können und wollen nicht zulassen, daß Ausländer Konflikte, die in ihren Heimatländern vorhanden sind, hier mit Gewalt austragen, daß sie Autobahnen sperren, Polizisten angreifen und diese lebensgefährlich attackieren. Dies wollen wir nicht.
Deswegen sagen wir: Wer schweren Landfriedensbruch begeht, muß ausgewiesen werden. Oder wer zu einer verbotenen Demonstration geht und dort Menschen und Sachen in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Art und Weise beschädigt, muß ausgewiesen werden. Wer weiß, daß eine Demonstration verboten ist und dennoch hingeht, der bricht das Recht. Wer zu Freiheitsstrafen von mehr als drei Jahren verurteilt worden ist, muß Deutschland ebenfalls verlassen.
Wir wollen, daß Ausländer, die Gewalttaten oder schwere Straftaten begehen, sich nicht darauf verlassen können, hier in Deutschland bleiben zu dürfen. Gerade dies entspricht, wie meine vielen Gespräche gezeigt haben, dem Willen der ausländischen Mitbürger. Dies zeigt zum Beispiel die Erklärung des Rates der türkischen Staatsbürger in Deutschland vom Sommer dieses Jahres. Denn dieses Gremium hat anläßlich der Gewaltaktionen gegen türkische Einrichtungen gefordert, daß die deutsche Justiz konsequent gegen diese Täter vorgeht und daß die deutsche Justiz und die deutsche Verwaltung von den Möglichkeiten der Abschiebung und der Ausweisung erschöpfend Gebrauch machen. Dieser Erklärung des Rates der türkischen Staatsbürger in Deutschland ist nichts hinzuzufügen.
Dennoch lehnen SPD und Grüne diese Gesetzesverschärfungen ab. Dabei weiß ich: Das derzeitige Recht wird nicht von allen Ländern konsequent angewandt; das ist richtig. Aber das derzeitige Recht läßt auch oftmals Ausweisungen nicht zu. Denn nach § 48 des Ausländergesetzes ist jeder Einzelfall zu prüfen; es muß in jedem Einzelfall ein schwerwie-
Erwin Marschewski
gender Grund der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorliegen, sonst ist eine Ausweisung nach geltendem Recht gar nicht möglich. Es muß also Wiederholungsgefahr bestehen; es muß sich andeuten, daß Taten schwerer und mittelschwerer Kriminalität wiederholt werden. Diese Bestimmung des § 48 wollen wir verändern. Wer weiß, daß eine Demonstration verboten ist - ich sage dies noch einmal -, und wer trotzdem hingeht, Menschen verletzt oder, wie in Dortmund geschehen, Stadtzentren kurz und klein schlägt, der muß damit rechnen, ausgewiesen zu werden.
Es war nötig, für diesen Bereich in diesem Gesetzentwurf Weiteres zu regeln. So passiert es nicht selten, daß Personen, von denen man eigentlich annehmen sollte, daß sie politisch verfolgt sind, wenn sie um Asyl nachsuchen, wieder in ihre Heimat zurückreisen, obwohl sie in Deutschland einen Asylantrag gestellt haben. Unsere Antwort kann doch nur sein: Wer in seine Heimat und seinen Heimatort zurückkehrt, ist doch nicht politisch verfolgt. Deswegen wollen wir solchen Asylbewerbern die Einreise nach Deutschland verweigern.
Aber auch diese Änderung will die SPD nicht, obwohl es eigentlich völlig klar ist, daß den Betroffenen in ihrer Heimat keine Verfolgung droht.
Eine weitere Absurdität. Es ist doch gar nicht zu verstehen, daß jemand schon deswegen aus der Abschiebehaft entlassen wird, weil er einen Asylantrag gestellt hat. Auch wenn dies noch so offensichtlich mißbräuchlich geschieht, wird der Betreffende nach geltendem deutschen Recht aus der Haft entlassen. Diese Automatik wollen wir begründet aufheben. Und wieder sagen Sie, meine Damen und Herren von der SPD, nein, und wieder sagen die Grünen nein. Sie werden dies sicherlich gleich begründen müssen.
Meine Damen und Herren, unsere Gesellschaft hat seit vielen Jahren ein beträchtliches Engagement für die Integration von Ausländern aufgewandt. Diese Integration ist für die deutsche Politik ein realistisches und wichtiges Ziel. Sie vollzieht sich nicht in kurzen Fristen. Was wir brauchen, sind langer Atem, guter Wille und eine konsequente Politik mutiger Schritte, die aber niemanden überfordern darf.
Auf dieser Linie liegt der Gesetzentwurf der Koalition, der sowohl berechtigten Anliegen der Ausländer Rechnung trägt als auch die legitimen Interessen der Deutschen beachtet. Nun haben Sie, meine Damen und Herren der SPD, Anträge gestellt. Wir haben sie zum Teil akzeptiert, weil wir Initiativen der Minderheit nicht schon deswegen ablehnen, weil sie von der Minderheit kommen. Wir haben Ihre Anliegen ernst genommen und haben sie aufgenommen. Nur, in Gänze konnten wir Ihren Vorschlägen nicht zustimmen. Ich denke, Sparsamkeit und nicht Opulenz, Herr Kollege Dr. Penner, war hier das Gebot der Stunde.
Ich fasse zusammen. Unser Ziel war es, das Leben der hier wohnenden Ausländer zu erleichtern; unser Ziel ist es, eine weitere, die Bevölkerung und die Gemeinden belastende Zuwanderung zu verhindern, und unser Ziel ist es vor allem, ausländischen Rechtsbrechern rechtsstaatlich zu begegnen, sie zu bestrafen, sie auszuweisen und abzuschieben. Ich weiß, in diesen Punkten liegt die Differenz zwischen der Politik der Opposition und der dieser Koalition.
Mein Vorschlag: Der Souverän der Bürger muß seine Antwort geben. Ich bin mir ganz sicher: Der Souverän der Bürger wird seine Antwort geben.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, bevor ich dem nächsten Redner das Wort gebe, darf ich die Geschäftsführer der Fraktionen unter Hinweis auf § 45 Abs. 4 unserer Geschäftsordnung bitten, einen Augenblick nach vorne zu kommen.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, SPD.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das gesetzgeberische Gemischtwarenpaket der Koalition, das wir heute in zweiter und dritter Lesung neben sehr vielen anderen und sehr weitgehenden Vorlagen beraten, trägt alle Kennzeichen der Ausländerpolitik, wie sie uns die Bundesregierung nun seit Jahren leider präsentiert. Es ist kleinmütig, ohne Kraft und Konzeption, rückwärtsgewandt, vom Geist der Abschottung und des Mißtrauens geprägt, bar jeder Willensbekundung, deutliche Signale für die Integration zu setzen.
Tauchen wir in die Entstehungsgeschichte dieses Gesetzeskonvoluts ein, über die wir bisher vom Kollegen Marschewski nichts gehört haben. Ich erinnere: Seit Inkrafttreten des neuen Ausländergesetzes vor nunmehr fast sechs Jahren hat es immer wieder Kritik, Forderungen und Vorschläge für dringende Veränderungen gegeben. Dies geschah nicht nur von uns, der Opposition, sondern auch und gerade aus den Kreisen der Verbände, der Gewerkschaften, der Kirchen und der Menschenrechtsorganisationen, die in der praktischen Arbeit mit Migranten umgehen und für sie da sind.
Die SPD hatte schon vor mehreren Jahren eine umfangreiche Gesetzesnovelle eingereicht. Sie hat ihre parlamentarische Initiative - da weiterhin aktuell und notwendig - in der laufenden Legislaturperiode erneut präsentiert. Unsere Schwerpunkte in diesem Bereich sind: großzügigere Möglichkeiten für junge Ausländer zur Wiederkehr, verbesserter Familiennachzug, eigenständigere Aufenthaltsrechte für die ausländischen Ehepartner und -partnerinnen. Aber ziemlich ungerührt, gleichgültig und wegen tiefer Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Koalition natürlich auch handlungsunfähig, wie wir wissen, schoben die CDU/CSU und die Freien Demokraten die Beratungen unserer Gesetzesnovelle, wie auch
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast
andere Vorstöße auf die lange Bank. Es sind viele Monate vergangen.
So, dann plötzlich in diesem Frühjahr, wandelten sich die CDU/CSU und F.D.P. zur schnellen Eingreiftruppe. Vorausgegangen waren - wir erinnern uns - die Zusammenstöße im Umfeld des kurdischen Newroz-Festes. Es war zweifellos der berechtigte Zorn in der Öffentlichkeit über Aktionen gewalttätiger PKK-Anhänger. Da lag auf einmal, binnen weniger Wochen, ein umfangreiches Maßnahmenpaket der Koalition auf dem Tisch.
Flugs sollten einmal eben das Strafgesetzbuch verändert, die Definition für Landfriedensbruch abgewandelt, die Ausweisung straffällig gewordener Ausländer erleichtert werden. Damit das Ganze nun nicht so sehr nur nach „law-and-order" klingt, klebten Sie diesen Gesetzesverschärfungen ein paar ganz marginale aufenthaltsrechtliche Verbesserungen, sozusagen als Stoßdämpfer, vor den Bug. Hintendran kam dann noch zum versöhnlichen Ausklang ein bißchen etwas zur sanften Aufwertung - ich betone: sanft - des Amtes der Ausländerbeauftragten.
Dieses ganze, eigentümliche Dreiergespann, dieses „Omnibusgesetz", wie wir auch gerne sagen, sollte möglichst noch vor der Sommerpause über die parlamentarischen Hürden gepeitscht werden. Diesen Husarenritt, diese plötzliche Eile konnten wir Ihnen nicht durchgehen lassen.
Selbst eine durchdachtere und schlüssigere Vorlage hätte bei einer so komplizierten Materie - wir werden sehen, wie wir nachher den Abstimmungsmarathon bewältigen - natürlich einer sorgfältigen Behandlung erfordert.
Aber es ist noch schlimmer. Ihr Gesetzesgebräu ist im aufenthaltsrechtlichen Teil, wie ich betone, absolut unzureichend und im strafrechtlichen unangemessen. Um Störungen der öffentlichen Sicherheit, die ich nicht verniedliche, wirkungsvoll zu begegnen, taugen Ihre Vorschläge nicht.
Sie haben auf der anderen Seite die Chance einer gründlichen Reform des Ausländergesetzes verpaßt oder - was ich befürchten muß - wissentlich beiseite geschoben. Sie haben es abermals versäumt, endlich einen sichtbaren Beitrag zur Integration der dauerhaft in Deutschland lebenden Menschen aus anderen Ländern, aus anderen Religionen und Kulturen zu leisten. Deshalb lehnt die SPD diesen Gesetzesentwurf ab.
Wir nehmen die Probleme wahrhaftig sehr ernst, Herr Zeitlmann. Davon zeugen unsere zahlreichen Änderungsanträge - übrigens auch zum sogenannten restriktiven Teil -, die wir eingebracht und von denen Sie leider nur ganz wenige akzeptiert haben.
Auch wir fordern - damit keine Mißverständnisse aufkommen - eine klare Antwort des Staates gegenüber allen, die bei Demonstrationen Gewalt anwenden. Auch mich macht es wütend, wenn mutmaßliche oder tatsächliche PKK-Anhänger prügeln, blokkieren und randalieren.
Gerade wenn man sich für Verständnis und Toleranz gegenüber ausländischen Bürgern einsetzt, ist es erschreckend, zu erleben, wie derlei Aktionen das Anliegen, um das es geht und das viele in Deutschland friedlich lebende Kurden umtreibt, in Mißkredit bringen und daß Vorbehalte bei den deutschen Bürgern eher verstärkt als abgebaut werden. Ich finde das ganz furchtbar traurig und sage das ausdrücklich.
Auch mich macht es grimmig, wenn ich höre, daß die Hauptakteure des Bandenkrieges von St. Pauli, der am vergangenen Wochenende immerhin zwei Tote forderte, leider Albaner, Russen und Türken sind. Es kommt aber darauf an, wie der Staat auf solche Herausforderungen reagiert und ob er die Prinzipien der Verhältnismäßigkeit und der Rechtsstaatlichkeit wahrt. Diese Balance wollen Sie verlassen. Auch deshalb können wir Ihre Vorschläge nicht akzeptieren.
Herr Kollege Marschewski, Sie haben gesagt, man müsse die Realitäten beleuchten. Das möchte ich Ihnen gern ins Gedächtnis zurückrufen. Die Antwort auf die Frage, ob und wann straffällig gewordene ausländische Demonstranten in ihr Herkunftsland zurückgeschickt werden, muß sich zum Beispiel auch an den Kriterien der Genfer Flüchtlingskonvention messen lassen.
Auch bei einem Straftäter muß im Einzelfall geprüft und abgewogen werden, ob das Ausmaß dessen, was er sich hat zuschulden kommen lassen, noch im Verhältnis zu dem steht, was ihm im Heimatland drohen kann. Das mag ein unbequemer Weg sein, weil man viel erklären muß. Das ist dem Bürger schwer zu vermitteln; das weiß ich wohl. Aber die Tragfähigkeit eines Rechtsstaates bewährt sich gerade in solchen unbequemen Aufgaben und nicht in einem Aktionismus, der sich schnell als pure Schaumschlägerei entlarven kann.
Unsere Position ist eindeutig. Straffällig gewordene Ausländer gehören in Deutschland vor Gericht. Rechtskräftig Verurteilte müssen unter Wahrung der Rechtsstaatlichkeit und internationaler humanitärer Vereinbarungen zügig abgeschoben werden - wenn es denn geht. Dazu, meine Damen und Herren, reicht das vorhandene gesetzliche Instrumentarium aus.
Konsequentes Handeln des Staates ist gefragt, das ist völlig klar. Aber neue strafrechtliche Maßnahmen sind ebensowenig nötig wie Eingriffe in das Demon-
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast
strationsrecht, die übrigens weit über ausländerrechtliche Gesichtspunkte hinausgehen.
Auch der selbständige Straftatbestand des sogenannten Anheizers gehört nicht hinein.
Frau Kollegin Sonntag-Wolgast, gestatten Sie dem Kollegen Marschewski eine Zwischenfrage?
Bitte schön. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Bitte.
Frau Kollegin, herzlichen Dank. - Sie wissen doch, daß § 48 des Ausländergesetzes vorsieht, daß jemand, selbst wenn er zu fünf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt ist, nicht ausgewiesen werden kann, sondern daß in jedem Einzelfall eine besondere Gefährdung der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland nachgewiesen werden muß.
- Ja natürlich, Herr Bökel, es muß Wiederholungsgefahr vorliegen. Es muß sich ein schweres oder wenigstens mittelschweres Delikt abzeichnen. Das muß in jedem Einzelfall gegeben sein. Der Nachweis muß geführt werden.
Deswegen können wir doch nicht ausweisen. Das ist die derzeitige Rechtslage. Darauf habe ich Sie oft hingewiesen. Sind Sie meiner Auffassung, daß dies der derzeitigen Rechtslage entspricht, Frau Kollegin?
Ich bin der Auffassung, daß dies unter den gegebenen gesetzlichen Möglichkeiten machbar ist. Das wird auch der Kollege Bökel, den Sie eben ansprachen, in seinem Beitrag dezidiert darlegen. Genau das ist der Punkt dafür, daß ich immer wieder anmahne, bitte zu unterscheiden zwischen Ausreisepflicht, Ausweisung und Abschiebung. Sie wissen doch, Herr Marschewski, daß in der Bevölkerung da furchtbar viel durcheinandergeht.
Geben Sie doch zu, daß nicht mit jeder Ausweisung oder Ausreisepflicht schon automatisch die Abschiebung einhergeht. Es hat doch keinen Sinn, den Leuten etwas vorzumachen, was wir im rechtsstaatlichen und polizeilichen Handeln nicht einhalten können.
Frau Kollegin Dr. Sonntag-Wolgast, gestatten Sie dem Kollegen Marschewski eine weitere Zwischenfrage? - Bitte.
Sind Sie nach dieser Erklärung nicht doch der Auffassung, daß ich recht habe und Sie unrecht haben, werte Frau Kollegin?
Herr Kollege, ich glaube, ich habe meine Position sehr deutlich dargelegt und kann eigentlich gar nicht verstehen, daß Sie nach meinen Ausführungen an Ihrer bisherigen Position noch festhalten können.
Ich komme zu einem nächsten Punkt, der ebenfalls zu kritisieren ist. Es geht um die jugendlichen straffällig gewordenen Ausländer, die hier geboren sind. Es ist nicht möglich und nicht akzeptabel, sie - sozusagen via neue Gesetzgebung - doppelt zur Verantwortung zu ziehen. Das tut man mit keinem anderen; das kann man auch mit diesen Menschen nicht tun.
Jetzt noch einmal zur Sache, Herr Marschewski: Es gibt keinen einzigen Beleg dafür, daß die Bundesländer, zum Beispiel bei den Kurdenkrawallen des Frühjahrs, die geltenden rechtlichen Möglichkeiten nicht ausgeschöpft hätten. Ich weise für die SPD-Bundestagsfraktion diese Vorwürfe, die wir leider immer wieder hören, als unsinnig zurück.
Es gibt, Herr Marschewski, ebensowenig einen Beleg dafür, daß die Ereignisse, von denen ich eben sprach, anders verlaufen und die Konsequenzen nicht eingetreten wären, wenn wir Ihre famosen neuen Gesetze gehabt hätten. Auch das wird Kollege Bökel gleich noch nachweisen. Im übrigen wissen Sie wohl selbst, daß viele Randalierer aus anderen westlichen Nachbarländern angereist waren und nach Verrichtung, nach den Krawallen, alsbald wieder in die Heimat entschwunden sind. Sie waren damit auch dem Zugriff des deutschen Strafrechts entzogen. Sie können das doch nicht alles wegdrücken, indem Sie sagen „Das war nicht so!", weil es nicht sein soll.
Mit anderen Worten: Sie gaukeln Tatkraft vor und können Ihre Versprechen nicht einhalten. Das ist gerade bei der inneren Sicherheit eine sehr schlimme Sache. Denn in kaum einem anderen Bereich klaffen Sagen und Tun soweit auseinander wie beim Thema Verbrechensbekämpfung, auch und gerade bei dieser Bundesregierung. Sie haben sich die Wahrung der inneren Sicherheit auf die Fahnen geschrieben und müssen doch ein Anwachsen bestimmter Kriminalitätsformen über die langen Jahre Ihres Regierens zugeben. Sie müssen Ihre Verantwortung dafür einräumen.
Deswegen treiben Sie Schindluder mit der subjektiv empfundenen oder auch objektiv begründeten
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast
Angst der Menschen vor der Gewalt. Ich kann Ihnen sagen: Aufklärung, Ehrlichkeit, aber vor allen Dingen eine sozial gerechtere Politik wäre zur Verbrechensvorbeugung und -bekämpfung allemal besser als der Ruf nach schärferen Gesetzen.
Im übrigen wissen wir alle, daß sich Erscheinungen wie die gewalttätigen Ausschreitungen von PKK-Anhängern nicht allein mit innenpolitischen Maßnahmen unterbinden lassen. Wir haben es allerdings satt, daß die Folgen einer hasenherzigen Außenpolitik der Bundesregierung und der Mangel an Mut, gegenüber der Türkei die Rechte der Kurden offen und deutlich einzuklagen, letztendlich auf dem Rücken der deutschen Polizeibeamten ausgetragen werden.
Liebe Kollegen und Kolleginnen, das von Pathos getränkte Eigenlob, das wir hier eben wieder gehört haben und auch bei den Ausschußberatungen genießen durften, ist absolut fehl am Platz, auch bei dem Teil des Ausländergesetzes, den Sie irreführenderweise als „Verbesserung" etikettieren, nämlich dem aufenthaltsrechtlichen Teil.
Ich muß noch einmal auf den § 19 des Ausländergesetzes zurückkommen. Diese Vorschrift wird seit Jahren nicht nur von uns heftig kritisiert, sondern auch von den Verbänden, den Kirchen, den Gewerkschaften. Und was wollen Sie jetzt tun? - Lediglich in eng gefaßten Härtefällen die Mindestfrist für ausländische Ehepartner und -partnerinnen zur Erlangung des eigenständigen Aufenthaltsrechts auf ein Jahr verkürzen.
Ich muß sagen: Sie haben unsere Gesetzesvorlage nicht genau gelesen. Es wäre wirklich angemessen gewesen, unserem Vorschlag zu folgen, im Härtefall - im wirklichen Härtefall! - diese Mindestfrist wegzulassen und für den Normalfall zur Erlangung eines eigenständigen Aufenthaltsrechtes zwei Jahre ehelicher Gemeinschaft für ausreichend zu erklären. Dies ist wahrhaftig nicht zuviel verlangt, auch nicht unbillig oder unrealistisch. Was Sie jetzt tun, ist eine bittere Enttäuschung für alle, die sich in dieser Frage lange und intensiv engagiert haben.
Dringend nötig wäre auch eine verbesserte Wiederkehrmöglichkeit für junge Ausländer, ebenso notwendig die Verankerung des Kindeswohls in § 22 des Ausländergesetzes. Ich erinnere an das Beispiel des 13jährigen türkischen Jungen aus Köln, das uns im Innenausschuß schon vor Jahren beschäftigt hat. Der Junge konnte hier in familiärer Geborgenheit bei den Großeltern leben. Seine Abschiebung aus for-malgesetzlichen Gründen aber hätte ihm in der Türkei das Dasein eines Straßenkindes beschert, weil die Mutter verstorben war und der Vater sich nicht zuständig fühlte. Andere Fälle kennen wir. Dazu haben wir immer leidenschaftliche Bekundungen auch aus Kreisen der CDU/CSU. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen einfach einsehen, daß es möglich sein muß und möglich sein soll, den Kindernachzug in bestimmten Notlagen - nur davon sprechen wir - auch zu anderen Verwandten als den leiblichen Eltern zu gestatten.
In all diesen Dingen ist in Ihrem Gesetzentwurf Fehlanzeige festzustellen. Deswegen sage ich: Was Sie uns hier bieten, atmet weder christlichen noch liberalen Geist.
Es gibt einen Lichtblick in der Gesetzesnovelle. Er betrifft das Wiederkehrrecht für ältere Ausländer, nämlich nach 15jährigem Aufenthalt. Hier hat sich die Koalition bewegt. Sie ist dem Vorschlag der SPD gefolgt und hat ihn sogar noch etwas großzügiger ausgestaltet.
Das erkennen wir an; das begrüßen wir. Hätten Sie sich doch auch bei anderen vernünftigen Forderungen, die wir erhoben haben, uns genauso angenähert! Wir wären jetzt einen Schritt weiter.
Ich finde allerdings - auch darauf will ich kurz eingehen - die Regelung äußerst unbefriedigend, den ehemaligen Vertragsarbeitnehmern in der DDR die Aufenthaltszeiten nur - willkürlich gewählt - hälftig anzurechnen. Hier wäre die volle Anrechnung angemessen gewesen. Wir hoffen auf entsprechende Verbesserungen durch die Einwirkung des Bundesrates.
Meine Damen und Herren, beim Amt der Ausländerbeauftragten haben wir uns einen Moment überlegt, ob wir angesichts der kleinen Fortschritte, die abzulesen sind, vielleicht doch mit dem Kopf nicken sollten. Denn immerhin wird die Arbeit jetzt auf eine gesetzliche Grundlage gestellt. Die Beauftragte fristet ihr Dasein nicht länger auf der Basis eines bloßen Regierungserlasses. Aber dann haben wir näher hingeguckt und fragen: Ja, und sonst? Sie wollen uns doch wohl nicht weismachen, daß die nun festgeschriebene Nennung des oder der Ausländerbeauftragten in der männlichen und weiblichen Form lobender Hervorhebung bedarf, und daß das Recht, Vorschläge zu machen, Stellungnahmen abzugeben, Anregungen zu liefern, extra betont werden muß. Ich meine, das ist eine bare Selbstverständlichkeit für jeden politisch denkenden und handelnden Menschen und als Gesetzesänderung reichlich schwach.
Nein, wenn wir schon über dieses Thema reden, dann brauchen wir eine wirklich gestärkte Institution dieser Art mit Kompetenz und Unabhängigkeit, mit weitergehenden Rechten, am besten legitimiert durch Wahl im Deutschen Bundestag.
Liebe Kollegen und Kolleginnen, Ausländer - oder sagen wir besser: Migranten - sind keine edleren, aber auch keine schlechteren Menschen als diejenigen deutscher Abstammung. Sie gehören weder in Watte gepackt noch an den Pranger gestellt. Ich
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast
finde, es muß endlich möglich werden in diesem Land, daß wir unbefangen mit diesem Thema umgehen, daß wir nämlich die Stärken der nichtdeutschen Bürger ebenso beim Namen nennen dürfen wie ihre Schwächen, Fehler und Versäumnisse, ohne uns jeweils in die eine oder andere Schublade packen zu lassen, nämlich auf der einen Seite die ausländerfreundlichen Schwarmgeister und auf der anderen Seite die Fremdenhasser. Ich habe diese Einteilung allmählich satt.
Wenn man aber ein solches unbefangenes und realistisches Verhalten will, dann braucht es Signale der Politik, und die fehlen. Wir erleben, daß sich vor allem junge Migranten mehr und mehr von dieser Gesellschaft abwenden und fundamentalistischen Strömungen folgen, weil sie sich isoliert und nicht akzeptiert fühlen.
Das ist eindeutig so. Wenn der Gesetzgeber diesen Prozeß noch aufhalten kann, was ich hoffe, dann muß er klarere Zeichen für die Integration setzen.
Gerade dabei versagen Sie. Es ist doch ein Trauerspiel, wenn selbst die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung klagt, das neue Gesetz gehe ihr im integrativen Teil nicht weit genug. Es ist jämmerlich, wenn wir über Jahre hinweg eine F.D.P. erleben, die nahezu alles, was wir ausländerpolitisch auf die Reihe bringen, mit Applaus versieht, aber ihre eigenen Überzeugungen hier im Parlament gegenüber dem Koalitionspartner nicht durchsetzen kann.
Ich finde es allmählich ein wenig lächerlich, wenn die sogenannten jungen Wilden aus der CDU/CSU seit Monaten auf der Spielwiese der Staatsangehörigkeitsreform herumtollen dürfen, aber parlamentarisch bis auf den heutigen Tag noch nichts vorgelegt haben.
Es mag sich ja hübsch anhören, aber hier im Parlament spielt die Musik, und den Beweis, daß Sie etwas durchsetzen, müssen Sie hier erbringen, nicht irgendwo in Interviews.
Wir lernen aus diesem Vorgang, daß das Tempo, das die Union in dieser Frage vorlegt, mit dem einer Schnecke vergleichbar ist. Diese Schnecke ist aber im Vergleich zur Union noch ein Rennpferd. Wir brauchen endlich deutliche Einbürgerungserleichterungen, wie wir sie vorgeschlagen haben. Wir brauchen die Ergänzung des Abstammungsprinzips durch das Territorialprinzip, vor allem im Interesse der jungen Ausländergeneration.
Herr Minister, wir brauchen Modelle für eine gesteuerte und geregelte Zuwanderung. Für eine vernünftige Politik brauchen wir vor allem das Eingeständnis, daß die Bundesrepublik seit mehreren Jahrzehnten de facto ein Einwanderungsland ist.
Leider haben Sie, Herr Minister, wenn ich Ihre gestrigen Ausführungen in der FAZ lese, erneut den Beweis dafür erbracht, daß Sie sich dieser Einsicht nicht öffnen können. Ich finde das schade; denn dadurch wird zukunftsorientiertes Denken blockiert.
Im Flüchtlingsrecht halte ich ein menschenwürdigeres Flughafenverfahren und einen kindgerechten Umgang mit minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen für vordringlich.
Wir werden - ich weiß das auch von den Grünen - demnächst dazu Vorschläge machen.
Eine Schlußbemerkung: Ich höre oft, auch aus dem Munde mancher unserer Gesinnungsgenossen, Ausländerpolitik sei kein Gewinnerthema. Es mag schon sein, daß wir mit einem Kurs, wie ich ihn gerade beschrieben habe, nicht viel gewinnen können, aber wenn wir ihn nicht einschlagen und einhalten, haben wir vielleicht sehr viel zu verlieren.
Was wir zu verlieren haben, ist eindeutig an den Entwicklungen der letzten Jahre ablesbar. Wir verlieren die Chance für ein friedliches und partnerschaftliches Miteinander von Menschen mit deutscher und ausländischer Herkunft in gegenseitiger Achtung und Anerkennung. Vielleicht verlieren wir sogar den sozialen und den inneren Frieden. So weit sollen und dürfen wir es nicht kommen lassen.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat die Kollegin Kerstin Müller, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein Resümee zu Ihrem Gesetzentwurf wird Sie nicht erstaunen. In einem kann man sich nämlich bei jedem Vorstoß zum Asyl- und Ausländerrecht von Ihnen sicher sein: Ausländer und Flüchtlinge haben eine Verschlechterung ihrer Rechtslage zu erwarten.
Ihr Gesetzentwurf zur Verschärfung des Ausländerrechts, den wir heute in zweiter und dritter Lesung zu beraten haben, läßt sich aus meiner Sicht kurz zusammenfassen: Abschottung, Abschiebung und Kriminalisierung, das ist die zentrale Botschaft Ihrer Vorlage.
Kerstin Müller
Herr Marschewski, daran ändern auch Ihre kleinen Verbesserungen nichts. Sie wollen die Zwangsausweisung bei Verurteilung von mehr als drei Jahren. Sie wollen Jugendliche bereits bei zwei Jahren Jugendstrafe ausweisen. Selbst Asylberechtigte können künftig trotz anerkannter politischer Verfolgung in ihr Verfolgerland abgeschoben werden. Damit machen Sie das Ausländerrecht zum zweiten Strafrecht. Ausweisung statt Resozialisierung: Das ist das Motto Ihres Gesetzentwurfs.
Statt notwendige Reformen endlich anzupacken, statt sogenannten Ausländern endlich die Rechte von Inländern zu gewähren, machen Sie ihnen noch einmal deutlich: Ihr seid in diesem Land nur Gäste.
Auch wenn Sie es nicht gern hören wollen, Herr Kanther und Herr Marschewski: Die Bundesrepublik ist längst ein Einwanderungsland geworden. Dieser Realität müssen wir uns endlich stellen.
7 Millionen sogenannte Ausländer leben in Deutschland, fast zwei Drittel schon seit über 10 Jahren. Hunderttausende wurden hier geboren. Sie machen mit Ihren Gesetzentwürfen diese Menschen einmal mehr zu Menschen zweiter Klasse.
Statt dessen brauchen wir endlich eine Reform des Staatsbürgerschaftsrechts. Wir meinen: Wer seit langem hier lebt, muß einen Anspruch auf Einbürgerung erhalten. Wer hier geboren wird, soll die deutsche Staatsbürgerschaft erwerben können.
Das Absurde ist - Frau Sonntag-Wolgast hat es schon angesprochen -: Es gibt sogar eine Mehrheit in diesem Parlament für eine solche Reform. Woran scheitert sie? Eine Reform scheitert allein zum einen an Ihnen, Herr Minister Kanther, und zum anderen an denjenigen in Ihren Reihen, meine Damen und Herren von der CDU und der CSU, die immer noch am völkischen Bluts- und Abstammungsrecht festhalten wollen.
Aus aktuellem Anlaß möchte ich daher noch folgendes ansprechen: Jetzt haben Sie sogar eine illegale Datei über ehemalige sogenannte Ausländer, die inzwischen eingebürgert sind, angelegt, wie die „Leipziger Volkszeitung" letzte Woche enthüllte. Meine Damen und Herren, das ist wirklich unglaublich. Da offenbart sich, wie Sie eigentlich denken: einmal Ausländer, immer Ausländer. Jeder ist für Sie per se verdächtig: Der kann kein richtiger Deutscher sein!
An solchen Dingen wird mir auch klar, warum bisher jede Reform des Staatsbürgerschaftsrechts scheitern mußte: Sie, Herr Kanther, sind der eigentliche Bremser jeder Reform.
Das einzige Motiv Ihrer Ausländer- und Asylpolitik ist Abschottung und eine völlig unbegründete Furcht vor Einwanderung. Nehmen Sie doch endlich einmal zur Kenntnis: Einwanderung ist längst eine Realität in diesem Land.
Das heißt aber nicht, daß jeder Ausländer, der nach Deutschland kommen will, einwandern will. Es gibt viele Gründe, hierher zu kommen. Diese Menschen bestrafen Sie aber in Ihrem Verfolgungswahn gleich mit. Deshalb verweigern Sie Einwanderern die doppelte Staatsbürgerschaft. Deshalb haben Sie das Asylrecht faktisch abgeschafft. Deswegen verweigern Sie Flüchtlingen den Rechtsanspruch auf ein faires und humanes Asylverfahren. Deshalb haben selbst unbegleitete Flüchtlingskinder bei dem neuen inhumanen Flughafenverfahren keine Rechte. Deshalb erhalten Bürgerkriegsflüchtlinge nur das unsichere Aufenthaltsrecht einer Duldung und haben immer noch keinen Anspruch auf den im Gesetz verankerten Bürgerkriegsstatus. Da zählt eben nicht das Flüchtlingsschicksal in Zaire. Für diese Flüchtlinge benötigen wir dringend einen Abschiebestopp.
Da zählt nicht das Vergewaltigungsopfer aus Bosnien; auch diese Frau muß nach dem Innenministerbeschluß das Land in Kürze verlassen.
- Nein, es gibt kein Bleiberecht. Sie werden zwar als letzte abgeschoben, aber es gibt nach dem Beschluß kein Bleiberecht.
Herr Kanther, mit dem Beschluß der Innenministerkonferenz zu den bosnischen Flüchtlingen haben Sie das Signal zur Abschiebung gegeben. Meine Damen und Herren von der SPD, nicht nur Bayern, wie Sie es in Ihrem Antrag sagen, sondern auch Berlin, Baden-Württemberg und auch SPD-regierte Länder wie Niedersachsen werden jetzt mit den Abschiebungen nach Bosnien beginnen, und zwar ungeachtet der Lage vor Ort. Das ist unverantwortlich.
- Ich kann Ihnen die Ausweisungsbescheide aus Berlin zeigen, Frau Schmalz-Jacobsen.
Wir Grünen waren gerade in Bosnien. Alle unsere Gesprächspartner, ob Regierungsvertreter oder Oppositionelle, haben einhellig erklärt: Es ist zu früh, mit Rückführungen zu beginnen. Die Flüchtlinge können zur Zeit nicht untergebracht werden. Zirka
Kerstin Müller
ein bis zwei Millionen Vertriebene leben in improvisierten Unterkünften. Viele dieser Menschen wollen an ihren Heimatort zurück. Aber das braucht Zeit. Ein unkoordiniertes, mit dem UNHCR nicht abgestimmtes Abschiebungsverfahren gefährdet den gesamten Friedensprozeß und kann dort wieder zu einem Krieg führen.
Ihre Zeit, Frau Kollegin!
Die Flüchtlingsfrage - das hat unsere Reise gezeigt - ist für die friedliche Zukunft des Landes die Schlüsselfrage. Hier kann Deutschland einen einzigartigen und sinnvollen Beitrag zur Friedenserhaltung leisten. Deshalb, meine Damen und Herren, fordere ich Sie auf: Stimmen Sie unserem Antrag zu! Der Innenministerbeschluß vom 19. September muß aufgehoben werden.
Das Wort hat die Kollegin Cornelia Schmalz-Jacobsen, F.D.P.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Eine Vorbemerkung zu Ihnen, Frau Kollegin Müller. Bitte verbreiten Sie hier nicht die Unwahrheit.
Die Bundesrepublik Deutschland hat sich bezüglich der bosnischen Flüchtlinge keine Vorwürfe zu machen. Hier wird niemand ins Verderben geschickt. Das ist einfach nicht wahr; das wissen Sie, hoffe ich.
Meine Damen und Herren, die Novelle, die dem Bundestag heute zur Beschlußfassung vorliegt, ist ein Kompromiß zwischen dem Wünschenswerten und dem Erreichbaren. Dies möchte ich hier ganz ungeschminkt einräumen.
Frau Kollegin Schmalz-Jacobsen, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Müller?
Bitte.
Frau Schmalz-Jacobsen, ich habe Berlin, Baden-Württemberg und Bayern genannt. Wollen Sie bestreiten, daß in Berlin Ausweisungsbescheide für zahlreiche Flüchtlinge erteilt worden sind, und zwar zum Teil sogar unabhängig vom Familienstand - wie es in der Zeitung zu lesen war -, und daß Herr Schönbohm jüngst einen Streit mit Herrn Kanther darüber hatte, daß ihm die Abschiebungen nicht schnell genug gehen? Wie paßt das mit Ihrer Aussage zusammen, es würden in diesem Jahr keine Abschiebungen stattfinden?
- Ich möchte gerne fortfahren.
Meine Damen und Herren, ich komme zu dem Gesetzentwurf zurück, der uns hier heute vorliegt und den wir zu beschließen haben. Wer die Verbesserungen, die darin enthalten sind, von vornherein kleinredet und sie für unzureichend erklärt, dem kann ich nur raten, zum Beispiel einmal mit ausländischen Jugendlichen zu sprechen, die zwar in Deutschland geboren wurden und aufgewachsen sind, die aber bisher so lange keine Aufenthaltsberechtigung bekommen können, wie sie noch keine 60 Monatsbeiträge zur Rentenversicherung gezahlt haben. Vielleicht reden Sie noch besser mit den Eltern dieser Jugendlichen darüber, was sie von dieser Verbesserung halten, oder sprechen Sie mit den Eltern behinderter Kinder, die bisher keine unbefristete Aufenthaltserlaubnis bekommen können, weil sie auf Grund ihrer Behinderung vielleicht über keine ausreichenden Deutschkenntnisse verfügen.
Die vorliegenden Änderungen, die Sie hier zum Teil kleinreden, schaffen beide Probleme aus der Welt und verbessern damit die aufenthaltsrechtliche Situation dieser Jugendlichen.
Immer weiter weg von der Lebenswirklichkeit ging im Laufe der Jahre jene Regelung, nach der ausländische Rentner - ich rede hier von den Beziehern deutscher Renten, die sie sich hier erarbeitet haben - nach einem sechsmonatigen Auslandsaufenthalt ihre Aufenthaltsgenehmigung verloren haben. Durch die Änderung, die hier vorliegt, erhalten diese Menschen so etwas wie ein Daueraufenthaltsrecht, und zwar unabhängig davon, wie lange sie sich im Ausland oder in Deutschland aufhalten. Sie haben natürlich noch Bindungen an ihre alte Heimat, aber auch an die Bundesrepublik Deutschland, wo in aller Regel die Kinder und die Enkel leben.
Mir ist die Änderung für diese Generation von besonderer Wichtigkeit. Ich habe sie sehr häufig im Deutschen Bundestag angemahnt. Ich bin sehr froh, daß wir sie heute beschließen werden. Hier geht es um die Generation, die der Bundesrepublik Deutsch-
Cornelia Schmalz-Jacobsen
land bei ihrem Aufbau geholfen hat und der wir Dank schulden.
In der Neuregelung liegt auch eine Erleichterung hinsichtlich des vieldiskutierten § 19 des Ausländergesetzes vor, daß nämlich der Erwerb eines eigenständigen Aufenthaltsrechts in den Fällen einer besonderen Härte schon nach einem Jahr möglich ist. Wer nun diese Änderung mit den Worten diskreditiert, Ehefrauen müßten sich künftig also nur noch ein Jahr verprügeln lassen, der übernimmt damit die Sichtweise derer, die in jeder binationalen Ehe eine Scheinehe vermuten. Sie zeichnen ein Horrorbild binationaler Ehen, das mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat.
Meine Damen und Herren, die Vertragsarbeitnehmer der ehemaligen DDR, über die anfangs, als wir in der letzten Legislaturperiode, darüber zu reden begannen, nur der Kollege Konrad Weiß und meine Wenigkeit Bescheid wußten, sind jetzt zum Glück stärker in die Diskussion geraten.
Es geht um diejenigen - damit das ganz klar ist -, die hier ein Bleiberecht haben. Es geht um diese rund 15 000 Menschen und nicht um die große Zahl von Menschen, die fälschlicherweise mitunter genannt wird. Hier findet eine Verbesserung statt.
Die Anrechnung von 50 Prozent der Zeit des Aufenthalts in der DDR ist zwar eine gewisse Merkwürdigkeit.
Aber es ist sogar eine Besserstellung gegenüber all jenen Ausländern, die nur eine Duldung haben.
Allerdings ist die Argumentation, es ginge um eine Gleichstellung, da nämlich die Vertragsarbeitnehmer in der DDR einen den Gastarbeitern in Deutschland vergleichbaren Status gehabt hätten, Unsinn. Das ist eine Schlacht mit vollkommen falschen Argumenten.
Ich will durchaus kritisch anmerken, daß ich die 50-Prozent-Regelung für historisch merkwürdig halte. Wir haben - aus gutem Grund - die DDR nie anerkannt, gottlob! Aber daß im nachhinein nur eine Halbwertszeit Platz greift, finde ich merkwürdig. Ich hätte mir mehr gewünscht, wie viele von Ihnen wissen.
Meine Damen und Herren, ich möchte heute den Innenminister nochmals auffordern, die Verwaltungsvorschriften nunmehr zügig zu erlassen; denn vieles, was in dem Gesetz steht, kann präzisiert oder mit einem größeren Ermessensspielraum versehen werden. Nach nahezu sechs Jahren sind die Verwaltungsvorschriften noch immer nicht da.
Frau Kollegin Sonntag-Wolgast, zur Historie dieses Pakets möchte ich eine kleine Richtigstellung anbringen. Es war nicht so, daß die „Schlachten" auf unseren Straßen tobten, und schon wurde ein Gesetz gemacht. Es war umgekehrt. Wir hatten die Erleichterungen so gut wie verabredet, und dann gingen im Februar oder März dieses Jahres die Kurdenkrawalle los. Wenn Sie die Presseerklärungen zum Beispiel Ihres Fraktionsvorsitzenden herausholen würden, dann könnten Sie leicht feststellen, daß es Überlegungen zu einer erleichterten Abschiebung nicht nur innerhalb der Koalition gab.
Wir haben in der Tat Ausweisungsmöglichkeiten erweitert. Der Rechtsstaat reagiert hier mit Mitteln des Rechtsstaats auf schwere Straftaten.
Aber es wird keine Ausweisung auf Verdacht geben. Rechtskräftige Verurteilungen müssen vorliegen. Berücksichtigt werden nur die Verurteilungen, die innerhalb eines Zeitraumes von fünf Jahren ergangen sind. Jugendsünden können hier also nicht mitgezählt werden. Das ist sogar eine Verbesserung gegenüber dem geltenden Recht, was vielen nicht klar ist.
Sie alle kennen meine Vorstellungen, die abweichend sind. Ich war immer der Meinung und bin es heute noch, daß Jugendliche, die in Deutschland geboren wurden und hier aufgewachsen sind, ein unentziehbares Aufenthaltsrecht haben sollten.
Aber dafür hat es keine Mehrheit gegeben. Dennoch, der besondere Ausweisungsschutz des § 47 des Ausländergesetzes ist erhalten geblieben.
Frau Kollegin Schmalz-Jacobsen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Häfner?
Ja. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Bitte.
Liebe Frau Kollegin Schmalz-Jacobsen, Sie sprachen eben davon, daß es sogar zu einer Verbesserung des Rechts gekommen sei und Ausweisungen nur bei schweren Verbrechen möglich seien.
Ist Ihnen bewußt und bekannt, daß in dem Gesetzentwurf, der uns heute zur Verabschiedung vorliegt, zum Beispiel eine Verschärfung des Straftatbestandes des Landfriedensbruches vorgesehen ist, die dazu führen wird, daß Menschen, die - ich zitiere - „psychische Unterstützung" leisten, das heißt, ein Gesinnungstatbestand, mit einer Strafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, also wie Schwerverbrecher, bestraft werden können, mit der zwangsläufigen Folge der Ausweisung? Können Sie da allen Ernstes noch von einer Verbesserung des Rechtes sprechen?
Herr Kollege Häfner, ich empfehle Ihnen, den Gesetzestext genau zu lesen.
Dies gilt auch für die Frist von fünf Jahren, die in der Tat eine Verbesserung darstellt. Anderes sind Erschwernisse. Aber lesen Sie den Gesetzestext! Ich glaube, ein Blick ins Gesetz erleichtert das Verständnis.
Ich möchte eines deutlich machen: Mich stört die Differenzierung zwischen den deutschen und den nichtdeutschen Bürgern, die auch hier heute wieder stattgefunden hat. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die zustimmenden Kommentare vieler Nichtdeutscher, die hier rechtmäßig leben, zu einem verschärften Ausweisungsrecht, will ich gar nicht wiederholen. Es geht hier nicht um den Trennungsstrich zwischen Deutschen und Nichtdeutschen. Wie so häufig geht es vielmehr um den Trennungsstrich zwischen denen, die hier rechtmäßig und ohne Straftaten leben, und den anderen.
Dennoch, meine Damen und Herren: Grundsätzlich müßte Schluß damit sein, über straffällig gewordene Ausländer immer nur im Zusammenhang mit der Kriminalitätsstatistik zu sprechen. Die einen bekämpfen dann nämlich die Statistik, weil sie ihnen nicht paßt, und die anderen die Ausländer, weil ihnen die ganze Richtung nicht paßt.
Es scheint in der öffentlichen Debatte etwas aus der Mode gekommen zu sein, über Möglichkeiten der Vermeidung von Kriminalität zu sprechen. Das oberste Ziel - ich rede nicht im Sinne einer Sozialromantik - muß doch der Schutz der Gesellschaft sein. Prävention und Resozialisierung sollten in unseren Köpfen und in den öffentlichen Debatten wieder etwas mehr Platz greifen.
Das gilt für Ausländer ebenso wie für die jungen Spätaussiedler, die, wie wir aus den Gemeinden wissen, ein Gewaltproblem haben. Das gilt für deutsche und für nichtdeutsche Staatsbürger. - Die in diesem Bereich ehrenamtlich Arbeitenden verdienen unsere Aufmerksamkeit und unseren Respekt.
Ich möchte noch einen Punkt des Ausländergesetzes ansprechen, den viele aus den Augen verloren zu haben scheinen, nämlich die Einbürgerung. Es gibt noch immer den Irrglauben, es gäbe bis zum heutigen Tag keine Anspruchseinbürgerung. Die Zahl der Einbürgerungen gemäß der Anspruchseinbürgerung nach §§ 85 und 86 hat sich vom Jahre 1993 bis zum Jahre 1995 verdoppelt; vorher war es eine Regeleinbürgerung. Die Zahl der Ermessenseinbürgerungen ist im gleichen Zeitraum zurückgegangen. Heute nehmen die Anspruchseinbürgerungen in Deutschland einen fast doppelt so hohen Stellenwert ein wie die Ermessenseinbürgerungen. Hiervon sind die Aussiedler ausgenommen; für sie besteht eine andere Rechtsgrundlage.
Meine Damen und Herren, das enthebt uns aber nicht der Aufgabe, hier weiter voranzuschreiten, die Ansprüche auszuweiten, wie es in der Koalitionsvereinbarung steht. Wir müssen auch bei den in Deutschland geborenen Kindern von dauerhaft hier lebenden Ausländerinnen und Ausländern weiter vorankommen. Es gibt in diesem Hause quer durch alle Fraktionen eine breite Mehrheit dafür. Man kann nicht auf Dauer mit einer Minderheit blockieren. Ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen.
Übrigens: Das Bild vom Gast gehört auf den Müll der Geschichte.
Sind es etwa Gäste, die hier als Selbständige für eine Million Arbeitsplätze für Deutsche und Ausländer sorgen? Das sind keine Gäste.
Alles, was wir hier in Fragen der Integration und eines verbesserten Staatsbürgerschaftsrechts anstreben müssen, hat doch nichts mit Wohltaten zu tun. Es geht vielmehr um den Zusammenhalt, um das Vertrauen zueinander und um eine gemeinsame Zukunft.
Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Ulla Jelpke, PDS.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, heute hier verabschieden wollen, zeugt von Ihrer grundsätzlichen Haltung, alle Nichtdeutschen in diesem Land grundsätzlich als verdächtig, ja als Sicherheitsrisiko anzusehen.
Die Ausweisungsbestimmungen werden verschärft. Die Teilnahme an verbotenen Demonstrationen reicht künftig schon, um Ausländerinnen und Ausländer abschieben zu können; Herr Marschewski hat das hier heute in wilden Farben beschrieben.
Vergleichsweise geringe Verurteilungen zu insgesamt drei Jahren ermöglichen es Ihnen, weitere Menschen außer Landes zu schaffen.
Sie machen mit Ihrer Abschiebewut nicht einmal vor anerkannten politischen Flüchtlingen halt. Werden diese wegen einer Straftat verurteilt, können sie in das Land ihrer Verfolger und Folterer abgeschoben werden. Sie nehmen wissentlich in Kauf, daß Sie damit internationales Flüchtlingsrecht brechen.
Herr Hörster von der CDU/CSU hat im vergangenen März nach den Kurdendemonstrationen wörtlich gesagt: Wer in seiner Heimat die Folter fürchtet, führt sich im Gastland nicht so auf, wie es hier die Kurden getan haben.
Ulla Jelpke
Diese Meinung hat auch Herr Kanther in der „Tagesschau" von sich gegeben.
Ich bin nicht der Meinung, daß das etwas mit Rechtsstaatlichkeit zu tun hat. Das ist Abschrekkungspolitik pur.
Wer so redet, der wird auch den Pakt mit den Folterknechten eingehen. Das finde ich ganz besonders schlimm und zynisch.
Jugendliche und junge Erwachsene, die hier aufgewachsen sind, wollen Sie in Länder ausweisen, die sie allenfalls im Urlaub einmal besucht haben. Auch das hat meines Erachtens nichts mit Rechtsstaatlichkeit zu tun. Diese Menschen werden doppelt bestraft. Das erinnert an die Verbannungspolitik kolonialer Staaten, die sich beispielsweise Gefangeneninseln leisten, um Menschen aus ihrem Land zu verbannen.
Asylbewerberinnen und -bewerber, die aus der Abschiebehaft einen Asylantrag stellen - Herr Marschewski hat auch diesen Punkt heute erwähnt - müssen nach Ihren Plänen weiter im Gefängnis bleiben, bis über ihren Asylantrag entschieden ist. Ich halte dieses Vorgehen für zynisch. Grundsätzlich unterstellen Sie diesen Menschen eine mißbräuchliche Antragstellung. Abschiebehaft ist und bleibt in unseren Augen unmenschlich. Sie ist durch nichts zu rechtfertigen. Flüchtlinge sind keine Verbrecher, sondern Menschen, die hier Schutz suchen.
Wir bleiben deshalb bei unseren Forderungen und haben dazu auch einen Antrag vorgelegt, der die Abschaffung der Abschiebehaft vorsieht.
Mit Ihren Vorschlägen folgen Sie Ihrem Leitbild vom Sicherheitsrisiko Ausländer. Selbst Migrantinnen und Migranten, die längst deutsche Staatsbürger sind, sind davon nicht ausgenommen. Das ist im übrigen an der Existenz der Staatsangehörigendatei deutlich geworden, die das Bundesverwaltungsamt ohne gesetzliche Grundlage unterhält.
In diesem Zusammenhang, Herr Kollege Marschewski, ist es schlicht zynisch zu behaupten - wie Sie es neulich getan haben -, die Datensammelwut würde vielen, vom Schicksal leidgeprüften Menschen zu ihrem Recht verhelfen. Tatsache ist, daß rund eine Million eingebürgerter Menschen ohne ihr Wissen als ehemalige Ausländer gespeichert und damit meiner Meinung nach stigmatisiert werden.
Die SPD teilt leider diese Haltung des grundsätzlichen Mißtrauens in wesentlichen Teilen.
Ihre Änderungsanträge für eine weitere Verschärfung hat die Koalition freudig lächelnd übernommen. - Das wissen Sie auch, Frau Sonntag-Wolgast. Sie selber haben diese Position hier heute noch einmal vorgetragen. - So soll gesetzlich geregelt werden, daß Ausländerinnen und Ausländer zwangsweise den Botschaften und Konsulaten ihrer Herkunftsländer vorgeführt werden dürfen, unabhängig davon, was die einzelnen zu befürchten haben.
Sie von der SPD haben durchgesetzt, daß Nichtdeutsche, die abgeschoben werden sollen, wie Verbrecher in den Fahndungsmitteln der Polizei ausgeschrieben werden. Nichts, aber auch wirklich nichts haben Sie von den kleinen Verbesserungen, die Sie im Zuge dieser Beratung zweifellos vorschlagen, durchgesetzt. Auch Sie halten an dem Bild von Migranten und Flüchtlingen als Gäste fest, wie wir heute wieder hörten. Doch die fast sieben Millionen Bewohnerinnen und Bewohner dieses Landes, die einen andersfarbigen Paß in der Tasche haben, sind keine Gäste. Sie sind Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, allerdings ohne politische Rechte. Dieser Zustand muß unseres Erachtens schnellstens geändert werden.
Dazu ist die Koalition politisch aber nicht bereit. Sie sind nicht einmal bereit, die Situation erniedrigter und mißhandelter, ausländischer Ehefrauen befriedigend zu regeln. Herr Marschewski, ich möchte Sie wirklich einmal fragen: Wie soll das eigentlich in diesem Land funktionieren, nur einen Tag verheiratet zu sein? Das würde ja bedeuten, daß man heiratet und sich am gleichen Tag scheiden läßt. Ich finde dieses Beispiel, das Sie immer wieder als Beleg für den Mißbrauch heranziehen, ausgesprochen zynisch und unredlich.
Sie von der Koalition beharren weiter darauf, daß eine Ehe mindestens vier Jahre im Bundesgebiet Bestand haben muß, bevor der nachgezogene Elternteil - im übrigen im allgemeinen die Ehefrau - ein eigenständiges Aufenthaltsrecht erhält. Nur in außergewöhnlichen Härtefällen kann die Mindestbestandszeit auf ein Jahr verkürzt werden.
Frau Schmalz-Jacobsen, ich sage das, obwohl Sie es hier angegriffen haben: Sind Sie wirklich der Meinung, daß beispielsweise eine Frau, die ein deutscher Mann aus Thailand geholt und hier geheiratet hat und die er vielleicht mißhandelt und vergewaltigt, das ein Jahr lang aushalten muß und sich ständig den Spruch an den Kopf werfen lassen muß: „Wenn du nicht spurst, dann gehe ich zum Ausländeramt. "? Denn es ist bekannt, daß diese Frau bei einer solchen Scheidung sofort abgeschoben würde.
Wir haben auch hierzu einen eigenen Antrag eingebracht. Wir wollen keine Fristen, sondern ein eigenständiges Aufenthaltsrecht für ausländische Ehepartner, und wir meinen, daß dieser Antrag unbedingt zu unterstützen ist.
Die Ignoranz und Verbohrtheit dieser Regierungskoalition wird auch bei den Regelungen für die ehemaligen Vertragsarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer aus der ehemaligen DDR deutlich. Noch ganze
Ulla Jelpke
15 000 leben in der Bundesrepublik Deutschland, die meisten mit einer Aufenthaltsbefugnis, die sie vom Bezug von Kinder- und Erziehungsgeld ausschließt, die es ihnen schwermacht, Kredite zu bekommen, eine Wohnung zu bekommen und Beschäftigungsverhältnisse einzugehen, da ihr Aufenthalt befristet ist.
Das haben Sie 1993 als humanitäre Lösung bezeichnet. Jetzt wollen Sie den Vertragsarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmern gar die Hälfte ihrer Aufenthaltszeit in der DDR anrechnen, damit sie nach insgesamt acht Jahren in den Genuß einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis kommen.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Schmalz-Jacobsen?
Ja.
Frau Kollegin, glauben Sie nicht, daß die Aufenthaltsrechte der Vertragsarbeitnehmer in der DDR früher so gestaltet waren, daß jetzt die Nachfolger der SED in diesem Punkt etwas stiller sein sollten, anstatt hier zu kritisieren?
- Frau Kollegin, Lesen Sie das vielleicht noch einmal nach, wenn Ihre Erinnerung so kurz ist, daß Sie nicht wissen, wie die Vertragsarbeitnehmer gelebt haben. Sie hatten kein Recht auf eine Wohnung, und sie hatten kein Recht auf Sprachunterricht. Sie wurden ausgewiesen. Wo waren denn Ihre Proteste damals?
Meinen Sie nicht, daß Schweigen in manchen Fällen die bessere Haltung wäre, als nach der Methode „Haltet den Dieb" zu kritisieren? Frau Kollegin Jelpke, ist Ihnen bekannt, wie es den Vertragsarbeitnehmern in der DDR ergangen ist?
Frau Kollegin Schmalz-Jacobsen, ich habe mich als eine Abgeordnete, die aus dem Westen kommt
- hören Sie zu! -, sehr wohl mit der Lage der Vertragsarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer auseinandergesetzt. Ich gebe Ihnen in der Tat recht, daß die Situation für diese Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der DDR zum Teil katastrophal war, daß beispielsweise Frauen, die in der ehemaligen DDR schwanger wurden, vor die Alternative gestellt wurden, entweder auszureisen oder einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen. Das alles finde ich ziemlich schlimm.
Ich bin auch der Meinung, daß die Form, wie man sie untergebracht hat, die Ghettoisierung, kritikwürdig ist. Ich bin im übrigen gern bereit, Ihnen einige Artikel zur Verfügung zu stellen, die ich genau zu diesem Problem geschrieben habe, weil ich in dieser Frage in der Tat ein sehr kritisches Verhältnis zur Ausländerpolitik der DDR habe.
Aber das ändert nichts daran, daß ich mir sehr wohl das Recht herausnehme, hier darzustellen, was falsch gemacht wurde. Beim Einigungsvertrag hat man die Vertragsarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer beispielsweise von beiden Seiten her vergessen. Der Westen wie der Osten hat sie nicht gleichgestellt, und genau um diesen Punkt geht es heute hier. Hätte man sie damals den Arbeitsimmigrantinnen und -immigranten, die nach Westdeutschland kamen gleichgestellt, so würden wir heute hier nicht über eine so unselige 50-Prozent-Regelung diskutieren.
Ich fahre in meiner Rede fort. Das einzige Argument hinsichtlich der Halbierung der Anrechnung der Aufenthaltszeit, das von der Seite der Unionsparteien bisher vorgebracht wurde, ist gewesen, daß schließlich auch die Westdeutschen keine Garantie hatten, hierbleiben zu können, und die DDR-Vertragsarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer eben auch nicht.
Ein Schweizer Schriftsteller hat einmal gesagt: Sie riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen. - Das muß für Ost und West gelten. Das kann gar keine Frage sein.
Frau Schmalz-Jacobsen, ich habe mich sehr über Ihre Kollegin aus Brandenburg, die Ausländerbeauftragte Almuth Berger, gefreut. Sie sagte nämlich gestern genau zu diesem Punkt: Mit diesem Halbwertszeitgesetz diskriminieren Sie nicht nur die Vertragsarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer, sondern alle Menschen, die in der DDR gelebt haben. - Dem kann ich fast nichts mehr hinzufügen.
Wir haben immer gefordert, daß die Aufenthaltszeiten der Vertragsarbeitnehmer voll anerkannt werden. Das tun wir natürlich auch hier.
Meine Damen und Herren, aktuellester Ausdruck Ihrer menschenverachtenden Politik gegenüber Nichtdeutschen ist der Beschluß der Innenminister, seit Oktober dieses Jahres bosnische Flüchtlinge zurückführen zu wollen. Unabhängig von der Zahl tatsächlich abgeschobener Menschen haben Sie für ein Klima der Angst und des Schreckens gesorgt. Die Betroffenen - darum geht es hier in erster Linie - sind besorgt, in dieses Land, das Chaos und vielleicht sogar einen neuen Krieg erlebt, abgeschoben zu werden.
Die Bundestagsgruppe hat heute einen Antrag vorgelegt, der die Einhaltung des Friedensvertrags von Dayton fordert, den die Bundesregierung mit unterzeichnet hat. Dieser sieht die Rückkehr der Flüchtlinge in ihre Herkunftsorte nur auf freiwilliger Basis
Ulla Jelpke
vor. Weil dies nicht möglich ist, kann und darf im Moment mit den Rückführungen nicht begonnen werden. Ich fordere Sie deswegen auf, unserem Antrag zuzustimmen.
Ich sehe, meine Redezeit ist abgelaufen. Einen Satz möchte ich noch hinzufügen. Was ich besonders beschämend finde, ist - das ist heute schon gesagt worden -, wie Sie mit minderjährigen Jugendlichen umgehen. Hierzu hat es eine interfraktionelle Runde von Berichterstatterinnen und Berichterstattern gegeben, die sich eigentlich ziemlich einig darin waren, einen Minimalkonsens zu finden, daß Kinder kindgerecht behandelt werden und man ihnen hier einen Aufenthaltsstatus gibt, wenn sie sich im Clearing-Verfahren befinden.
Frau Kollegin, beim besten Willen, ein Satz ist ein Satz.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Kollegin Erika Steinbach, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Beitrag der Kollegin von der PDS kann einem schon den Magen herumdrehen. Diese Partei, die Nachfolgerin der SED ist, die die Menschenrechte mit Füßen getreten sowie Menschen an der Mauer erschossen hat, fällt heute von einem Extrem ins andere, unter dem Motto: „Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid", mit einer Realitätsferne, wie sie zu meinem Erschrecken auch SPD und Grüne beweisen.
Kein anderes Thema in der Innenpolitik erfordert so viel Besonnenheit wie das Thema Ausländer. Keine andere Frage erfordert so sehr Sachbezogenheit bei anstehenden drängenden Problemen wie dieses Thema, und keine andere Frage erfordert so wenig Scheuklappen wie das Thema Ausländer.
Als Politiker tragen wir die Verantwortung für den Rechtsfrieden, für den sozialen Frieden und für ein gedeihliches Miteinander der Menschen hier im Lande. Bei einer Anzahl von über sieben Millionen Ausländern, die zu einem ganz erheblichen Teil erst vor wenigen Jahren hier nach Deutschland gekommen sind,
befinden wir uns zwangsläufig in einem Spannungsfeld, das nicht ohne politische Brisanz ist. Darüber müssen wir uns im klaren sein. Das liegt in der Natur dieser Sache.
Eine so große Anzahl von Menschen zu integrieren birgt eine ganze Fülle von Schwierigkeiten, angefangen beim Wohnraum über den Arbeitsplatz bis hin zum Schul- und zum Kindergartenplatz. Eine so große Anzahl von Menschen zu integrieren erfordert aber insbesondere auch die Toleranz und die Akzeptanz durch die deutsche Bevölkerung.
Ohne diese geht überhaupt nichts.
Gerade deshalb muß eine Ausländerpolitik dem Bürger verständlich sein. Sie muß akzeptiert werden können. Um so notwendiger ist es dann, Probleme, die erkennbar sind, möglichst klug und schon im Ansatz zu lösen, um Spannungen im Frühstadium abzubauen und kein explosives Gemisch von Gefühlen hervorkommen zu lassen.
Und da, meine sehr geehrten Damen und Herren von den Oppositionsparteien, vermisse ich bei Ihnen jedes, aber auch jedes Gefühl dafür, was unabdingbar im Ausländerrecht erforderlich ist.
Sie blenden die dringende Notwendigkeit aus, auf Ausländerkriminalität, auf Landfriedensbruch durch Ausländer und auf offenkundigen Asylmißbrauch mit einem geschärften gesetzlichen Instrumentarium zu reagieren, darauf einzugehen, und Sie blenden aus, daß der Zuzug von Ausländern bei vier Millionen Arbeitslosen hier in Deutschland weiter strikt begrenzt bleiben muß.
Aber offensichtlich existiert diese Thematik für Sie nicht. Sie stecken schlicht den Kopf in den Sand und verkennen dabei so, meine sehr geehrten Damen und Herren von der SPD, daß selbst Ihre eigene Wählerklientel in typischen Arbeitervierteln Sie dafür bestraft, indem dann Republikaner oder NPD gewählt wird, statt wie früher SPD.
Die Gesetzentwürfe von Ihrer Seite konzentrieren sich praktisch ausschließlich auf Erleichterungen zugunsten von Ausländern. Aber mit einer solchen Vogel-Strauß-Politik fördern Sie auf der einen Seite die Animositäten gegen Ausländer und schaden andererseits den legal und gesetzestreu hier im Lande lebenden Ausländern. Die sind unter dem Strich die Leidtragenden. Sie betreiben eine Scheuklappenpolitik ganz gefährlicher Art - werden Sie sich bitte darüber klar -, die nicht der Akzeptanz von Politik dient und schon gar nicht zu einem friedlichen Miteinander von Deutschen und Ausländern auf Dauer beiträgt.
Der Reformator Martin Luther hat gesagt, man solle dem Volk aufs Maul schauen. Wir sind in der Vergangenheit mit Briefen aus kirchlichen Kreisen und von Funktionären eingedeckt worden. Aber Bischöfen und Kirchenpräsidenten aufs Maul zu schauen, das ist in dieser Frage wenig hilfreich. Wir sollten uns durchaus an Martin Luther erinnern.
Der Bürger, der sich über kriminelle Ausländer, die unsere Gastfreundschaft mißbrauchen, ja nicht zu Unrecht aufregt, ist nur zu leicht geneigt, dann d i e
Erika Steinbach
Ausländer, die Ausländer insgesamt und schlechthin, in einen Topf zu werfen. Das aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, baut am Ende Spannungen auf, das schafft Aggressionen, die für ein friedliches Zusammenleben schädlich sind. Das dürfen wir nicht wollen.
Aus den bitteren Asyldiskussionen sollte jeder hier im Hause wissen, wieviel Unzufriedenheit und Radikalität sich im Lande aus ungelösten Problemen dieser Art ergibt und wie sehr letztlich auch die ausländische Bevölkerung in Deutschland dadurch zu leiden hat.
Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, dienen mit Ihrer Kurzsicht den Menschen nicht. Ja, Sie schaden darüber hinaus dem Demokratieverständnis in Deutschland und helfen am Ende den radikalen Kräften tüchtig auf die Beine.
Sie reklamieren unentwegt, daß Sie eine verbesserte Integration wollen. Dann müssen Sie aber auch bereit sein, die Spreu vom Weizen zu trennen. Dann müssen Sie bereit sein, Asylmißbrauch und schwere Ausländerkriminalität durch Ausweisung zu ahnden. Wer immer sich dieser Einsicht verschließt - das sage ich Ihnen -, nimmt in Kauf, daß die Bürger dieses Landes der Ausländerpolitik den Teppich der Akzeptanz unter den Füßen wegziehen werden.
Der Gesetzentwurf, den die CDU/CSU heute gemeinsam mit der F.D.P. beschließen will, umfaßt zwei grundlegende Bereiche.
Zum einen wollen wir diejenigen, die unser Gastrecht durch Gewalt und Kriminalität mißbrauchen, leichter als bisher des Landes verweisen. Wer unsere Staatsgrenzen übertritt, darf deshalb nicht auch unsere Gesetze übertreten.
Wer schweren Landfriedensbruch begeht, Autobahnen sperrt und Polizisten angreift, hat nach unserem Gesetzentwurf sein Gastrecht verwirkt und muß zwingend ausgewiesen werden.
So wie jeder im privaten Bereich von Gästen erwartet, daß sie nicht die Wohnung demolieren, so erwarten wir das ganz selbstverständlich auch von freundlich hier im Lande aufgenommenen Gästen. Wer durch sein kriminelles Tun zu mehr als drei Jahren Haftstrafe verurteilt wird, muß künftig zwingend ausgewiesen werden.
Wer eine verbotene politische Tätigkeit ausübt, begeht künftig nicht nur eine Ordnungswidrigkeit, wie zum Beispiel falsches Parken oder Überschreiten der Geschwindigkeit, sondern macht sich einer Straftat schuldig.
Zum anderen wollen wir aber auch Erleichterungen für rechtens und legal in Deutschland lebende Ausländer. Für die Rentnergeneration, für junge Ausländer in Ausbildung und für behinderte Kinder gibt es in unserem Gesetzentwurf ebenso Erleichterungen wie für mißhandelte Ehefrauen.
Der von uns vorgelegte Gesetzentwurf hat zwei gleichwertige Lösungsfelder: Das eine soll dieses Land besser als bisher vor kriminellen Ausländern schützen, und das andere nimmt sich menschlicher Probleme hier gesetzestreu und legal lebender Ausländer an.
Für den Bundesrat erhält jetzt der hessische Minister des Innern und für Landwirtschaft, Forsten und Naturschutz, Herr Staatsminister Gerhard Bökel, das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
- Ja, Herr Westerwelle, so ist das. Dann ist man Innenminister und plötzlich auch noch Landwirtschaftsminister.
Ich kann Ihnen aber sagen, daß auch der Weinbau dabei ist. Das hat durchaus seine Reize.
- Vom Wein verstehe ich etwas. Wir wollen einmal sehen, ob ich auch ein bißchen von der Innenpolitik und vom Ausländerrecht verstehe. Nach dem vorhin von Frau Steinbach Gesagten steht hier einer vor Ihnen, der die Demokratie gefährdet.
Ich will versuchen, auf einzelne Punkte einzugehen.
Mich reizt es, liebe Frau Müller, doch einmal einige Takte zu den Bosniern zu sagen, zu den Menschen, die hier ein Gastrecht hatten und haben. Es war für uns in der Bundesrepublik, in den Ländern und auch in Hessen, doch eine Selbstverständlichkeit, den Menschen, die wegen des Krieges ihre Heimat verlassen mußten, ein Gastrecht zu gewähren. Das war eine Selbstverständlichkeit, die auch von der breiten Öffentlichkeit mitgetragen wurde. In Hessen haben wir 33 000 bis 35 000 Personen dieses Gastrecht gewährt.
Es kam dann, Gott sei Dank, das Kriegsende mit all den Schwierigkeiten, die damit verbunden waren und sind. Dann kam Dayton. Das weiß ich sehr wohl. Kurz danach haben wir uns, die Innenminister, ge-
Staatsminister Gerhard Bökel
troffen. Dayton hat eine Feststellung formuliert, die natürlich ein Phantom war und ist, daß nämlich alle Menschen wieder dorthin zurückkehren können, wo sie einmal gewohnt haben. Wir wissen, daß das jetzt, aber wahrscheinlich auch in den nächsten 10 oder 20 Jahren nicht möglich sein kann. Faktisch ist Bosnien-Herzegowina dreigeteilt; das wissen wir. Bezogen auf die Fläche ist fast die Hälfte serbisch beherrscht.
Ich weiß sehr wohl, daß wir dort keinen Kroaten und auch keinen Bosniaken hinschicken können. Die Föderation mit ihren Kantonen ist im Grunde genommen auch noch einmal aufgeteilt, nämlich in Gebiete, in denen die Kroaten in der Verantwortung sind, und in solche, in denen die Bosniaken die Verantwortung haben. Das ist die Realität. Insoweit haben diejenigen, die das Abkommen von Dayton unterschrieben haben, ich denke: bewußt geirrt. Jeder mußte wissen, daß das nicht funktionieren wird.
Frau Müller, dies kann doch nun aber nicht bedeuten, daß wir den Menschen, denen wir gern ein Gastrecht gewährt haben, sagen: Ihr könnt auf Dauer hierbleiben. - Das wollen Sie ja auch nicht, wie ich das jetzt sehe. Dies wäre auch in hohem Maße denen gegenüber unfair, die erwarten, daß dieses Land, auch wenn es faktisch dreigeteilt ist, wieder aufgebaut wird.
Dabei braucht dieses Land nicht nur die Menschen, die dort unter schwierigsten Bedingungen geblieben sind; vielmehr gehören auch diejenigen dazu, die das Glück - so möchte ich es fast bezeichnen - hatten, während dieser schweren Kriegsjahre in Westeuropa, in der Bundesrepublik, in Hessen, sein zu können. Ich kann von denen, denen wir gute Rahmenbedingungen gegeben haben, erwarten, daß sie nach Beendigung des Krieges dorthin zurückkehren, wo sie einmal waren oder wo es von der Perspektive her zumutbar ist. Das ist meine Philosophie, die ich auch meiner Zustimmung zum gemeinsamen Beschluß der Innenminister zugrunde gelegt habe.
Man kann das ja kritisieren.
Wir haben das übrigens ja auch verzögert. Wir, die Minister, hatten erst ganz andere Daten im Kopf. Wir haben auch an Hand der zuverlässiger werdenden Berichte der Bundesregierung, des Auswärtigen Amtes - das kann ich ohne Überheblichkeit sagen - gesehen, daß das zum Beispiel im Sommer nicht ging. Wir haben uns zusammengesetzt und gesagt: Ab Oktober können aufenthaltsbeendend Maßnahmen ergriffen werden. Das konnten alle so akzeptieren.
Dann haben wir uns, wie wir das damals auch bei Kroatien gemacht haben, einen Stufenplan vorgenommen. Er sollte sich erst einmal auf die Menschen beziehen. Wir haben gesagt, daß eine Rückführung möglichst erst einmal freiwillig erfolgen soll. Das ist doch ein wichtiger Grundsatz. Das gilt für Alleinstehende, für Ehepaare ohne Kinder und - das füge ich
hinzu - für diejenigen Ehepaare, deren Kinder beispielsweise bei der Oma in der Region geblieben sind. Das sind die Personen der ersten Gruppe. Dann haben wir eine zweite Gruppe gedanklich gebildet, das sind Ehepaare mit Kindern. Dann haben wir gedanklich noch eine dritte Gruppe gebildet, von der Sie vorhin gesprochen haben, nämlich die traumatisierten Personen, Menschen, denen wir jetzt die Rückkehr nicht zumuten können und wollen. Hessen war es - auch andere haben das mitgetragen -, das darauf Wert gelegt hat, daß junge Menschen, die eine Ausbildung begonnen haben, diese beenden können, weil dies auch wichtig in bezug auf ihre Fähigkeit ist, das eigene Land wiederaufzubauen.
Das ist der Rahmen, der sich in etwa an dem orientiert, was die Bundesregierung damals mit Kroatien verabredet hat und von uns Innenministern getragen wurde. Wir haben es sogar noch etwas verfeinert. Ich weiß, wie das damals war. Es hieß auch in bezug auf Kroatien: Mensch, klappt das denn so? - Ich weiß, daß die objektiven Bedingungen der Aufnahme in Bosnien-Herzegowina schwieriger sind - das ist gar keine Frage -, als sie in Kroatien waren. Dennoch muß begonnen werden; und diese Bedeutung hat der Beschluß, den wir getroffen haben.
Ich habe - deswegen habe ich von der CDU viel Kritik geerntet - allen 35 000 Kriegsflüchtlingen in Hessen ein Bleibe- und Duldungsrecht erst einmal bis zum 31. Dezember dieses Jahres gewährt. Das habe ich gemacht, weil ich ein Stück Ruhe dort hineinbringen wollte und weil ich nicht wußte, wie denn die Rückführung erfolgen kann.
Wir haben gesagt: Die erste Gruppe, die Alleinstehenden und die Ehepaare ohne Kinder, muß als erste zurück, möglichst freiwillig,und notfalls müssen wir das Entsprechende veranlassen. Alle diese Fälle werden jetzt aufgearbeitet. Das sind ja furchtbar viele Akten, 35 000 Fälle bei uns im Land und über 300 000 in der Republik insgesamt. Dann haben wir gesagt: Sie werden angeschrieben. - Das geschieht in diesen Wochen. Wenn die Angeschriebenen zur Gruppe eins gehören und aus Regionen kommen, in denen auch die betreffende Volksgruppe an der Macht ist, dann bekommen sie von mir mitgeteilt, sie mögen bitte bis zum 31. März - das halte ich sowohl in bezug auf den Familienstand als auch in bezug auf die regionale Zuordnung und die Machtverhältnisse für zumutbar - zurückkehren. Wenn diese Gruppe eins nicht mehr in ein Gebiet zurückkehren kann, wo jetzt die eigene Volksgruppe Macht und Verantwortung hat, dann muß die Rückkehr entsprechend länger herausgezögert werden. Die anderen Gruppen folgen dann entsprechend. Das ist die Philosophie.
Jetzt „Stop damit" zu sagen würde jede Form von Reintegration erschweren. Ich weiß, daß Sie dort waren. Ich habe die Situation sehr aufmerksam beobachtet. Auch ich rede mit vielen. Ich weiß, es wird, auch was die Integration innerhalb einer Volks-
Staatsminister Gerhard Bökel
gruppe betrifft, immer schwieriger, wenn der Prozeß noch unnötig lang hinausgezögert wird.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schily?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Bitte.
Herr Minister Bökel, Sie haben hier Ihre Mitwirkung und Zustimmung zu dem Innenministerbeschluß und Ihre Verfahrensweise geschildert, die Sie in Hessen durchführen. Wird die Haltung, die Sie einnehmen und die ich für sehr richtig halte, auch von dem Kabinett in Wiesbaden getragen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Natürlich wird dieses von der Regierung Wiesbaden getragen, wobei wir, rot-grün und selbständig denkende Menschen, eine Ressortverantwortung haben und ich den sicheren Eindruck habe, daß dieser behutsame Weg auch ohne formellen Kabinettsbeschluß - ich habe dem Kabinett natürlich berichtet - von allen in der Regierung mitgetragen wird. Ich kann mir auch gar nicht vorstellen, Frau Müller, daß er von Ihnen nicht mitgetragen wird. Natürlich gibt es Kritik von allen Seiten. Ich stehe zu diesem Weg. Er wird auch von anderen sozialdemokratischen Innenministern getragen. Es ist ein vernünftiger Weg.
Wir werden uns, Herr Kanther, im nächsten Jahr zu unterhalten haben, wie die nächsten Stufen aussehen. Es darf auch nicht von denjenigen, die in Bosnien-Herzegowina Verantwortung haben, der Druck genommen werden, jetzt die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß noch mehr Menschen zurückkehren.
Noch ein Punkt. Auch Niedersachsen wurde kritisiert. Die CDU hat das auch bei mir getan. Die haben gesagt: „Sieh einmal, die weisen aus. Du machst es nicht." Am Ende stand bei Glogowski: Wenn 10 Prozent der Menschen bis Mitte des Jahres zurückgekehrt wären, wäre das schon ein großer Erfolg. - Lassen wir die Kirche im Dorf! Es muß behutsam und sensibel begonnen werden.
Die Aufgabe der internationalen Politik, auch dieses Bundestages, ist es, mit die Voraussetzungen dafür zu schaffen - das kann die Bundesrepublik allein nicht schaffen -, daß die Bedingungen im humanitären Bereich und bei der Infrastruktur so beschaffen sind, daß dieser Weg, den ich hier so für mich skizziert habe, auch wirklich beschritten werden kann.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lippelt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das mache ich gerne. Dann muß ich aber zu etwas anderem kommen. Ich darf jetzt ja nicht nur die Grünen kritisieren.
- Natürlich darf ich das. Es ist des freien Mannes Rede.
Herr Minister, erstens: Sie kennen wahrscheinlich das Una-Projekt der baden-württembergischen Landesregierung, das heißt nach Feststellung der Herkunft der meisten Flüchtlinge, die man im Land hat, eine begleitete Rückführung mit einem Projekt. Finden Sie das nicht noch ein bißchen besser als das, was Sie vorgetragen haben?
Zweitens. Sie kennen doch den Plan des Herrn Glogowski in Niedersachsen. Sie wissen, daß er ein Flüchtlingsdurchgangslager am Flugplatz Sarajewo einrichten will, so daß er erst einmal ein Flugzeug voll macht und dann sieht, wo die Menschen bleiben. Laufen Ihre Pläne etwa auch in die niedersächsische Richtung?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Also, Sie werden es mir ersparen, Kommentare zu dem zu geben, was in Baden-Württemberg und in Niedersachsen gemacht wird.
Ich sage Ihnen, es muß begonnen werden. Man muß mit Kirchen und denen, die in der Region arbeiten - das sind über 200 Hilfsorganisationen -, beraten, ob es zumutbar ist, Flüchtlinge nicht in großen Sammelunterkünften, aber in großen Wohnblocks erst einmal unterzubringen, in die die Menschen hinein können, um dann ins Dorf zu gehen und aufzubauen. Ich denke, kleine, pragmatische Lösungen sind ein vernünftiges Ziel.
Jetzt möchte ich noch etwas zur Ausländerpolitik sagen. Mein Gott, die Redezeit läuft weg. Deswegen mache ich es nur stichpunktartig. Ich werde jetzt keine Grundsatzrede halten. Das steht mir in diesem Hause auch nicht zu.
Ich will gar nicht verhehlen, daß das, was die Koalitionsfraktionen vorgelegt haben, was junge Menschen in Ausbildung und Rentner betrifft, uns wesentliche Erleichterungen, auch in der praktischen Anwendung .in den Ausländerbehörden der Länder bringt.
Staatsminister Gerhard Bökel
- Man kann doch zwei Dinge erwähnen, wenn man noch hinzufügt, daß damit der Vorrat des Gelungenen mit Sicherheit erschöpft ist.
Man kann doch mal erwähnen, daß man sich über bestimmte Dinge freut.
Ich frage mich: Wo ist der große Wurf geblieben? Da ist nicht viel herausgekommen, weil Sie sich natürlich schwertun, vernünftige Gesamtmodelle für die Integration von Ausländern vorzulegen.
Ich habe es doch gesehen.
Wir haben über den Bundesrat ein, wie ich meine, vernünftiges Gesetz zur Altfallregelung eingebracht. Dazu habe ich gesagt: Wenn Menschen sechs, sieben, acht oder neun Jahre ganz legal in Deutschland sind, dann muß man da irgendwann einmal einen Schlußstrich ziehen.
Man muß die Frage stellen: Wer hat denn das zu verantworten - die Menschen oder der Staat, der es rechtsstaatlich ermöglicht hat? Deswegen habe ich gesagt: Bitte sehr, lassen Sie uns das entscheiden.
- Das ist sehr logisch, lieber Kollege.
Es ist eine Frage der Humanität, den Menschen nach zehn Jahren Aufenthalt in Deutschland nicht zu sagen: „Du mußt raus", wenn sie legal - bezogen auf die Gesetze dieses Landes - in diesem Land sind.
Ich bin froh - ich möchte jetzt keine Zwischenfrage zulassen -,
daß wir im Innenausschuß zu einem Kompromiß gekommen sind. Ich bin wegen dieser Altfallregelung, die ich mit Rheinland-Pfalz in den Bundesrat eingebracht habe, beschimpft worden, ich würde Schlepperbanden geradezu animieren, Leute ins Land zu bringen. Das ist alles Quatsch. Wir haben doch die rechtsstaatlichen Instrumentarien geschaffen, auf Grund derer die Leute acht oder neun Jahre hiergeblieben sind. Deswegen bin ich froh, daß wir im Innenausschuß einen Kompromiß gefunden haben, wenn er auch nicht in allem dem entspricht, was ich wollte. Das zeigt, wie schwer Sie sich tun, wenn es um die Integration derer geht, die schon über viele Jahre, manche über ein Jahrzehnt in Deutschland sind.
- Ingrid Matthäus, ich wollte noch ein paar andere Dinge ansprechen. Ich meine, einer sollte darstellen, was das, was Sie hier beschließen, für das Leben vor Ort in den Ländern und für die Arbeit der Ausländerbehörden bedeutet.
Ich finde es sehr gut, daß das Thema „eigenständiges Aufenthaltsrecht" formuliert wird. Man kann als Jurist - und als Nichtjurist erst recht - völlig irre werden, wenn man die bisherige Gesetzesformulierung liest - ich will gar nicht nach der Schuld fragen -: „unbillig", „unzumutbar", „besondere", „außergewöhnlich". Das haben auch Sie, Herr Marschewski, aufgegriffen und haben gesagt: „Das ist eine wenig klare Stufung. " Ich habe nachgelesen, was Sie gesagt haben. Aber anstatt zu sagen: „Jetzt machen wir es klar", kommen Sie wieder mit zwei Begriffen: „besondere Härte" und „außergewöhnliche Härte". Erklären Sie diese Abwägungsentscheidung mal einem Praktiker in der Ausländerbehörde in Wetzlar oder Marl-Hüls.
Deswegen sage ich: Dieser Versuch ist vielleicht ganz lobenswert; aber er scheitert.
Die verehrte Kollegin - darf ich das so sagen? - Schmalz-Jacobsen hat in der ersten Lesung dieses Gesetzes gesagt: Ich bin gespannt, ob es in der Praxis tatsächlich eine Unterscheidung geben wird. Sie fügt hinzu: wird es nicht. Sie kenne nämlich nur die Fälle der außergewöhnlichen Härte.
Bitte, meine Damen und Herren, dann formulieren Sie das Problem doch klar mit einem Begriff. Die Alternativen, die zur Zeit in den Raum gestellt werden
- ich will gar nicht über die Jahre reden; das ist von der SPD hier vorgetragen worden -, erschweren wieder die Arbeit vor Ort. Ich sage Ihnen: unendliche Prozesse, die uns allen nicht helfen. Beschließen Sie nicht etwas unter dem Motto: Wir haben ein gutes Zeichen gesetzt; und die vor Ort sollen entscheiden.
- Nein, meine Damen und Herren, hier ist Klarheit geboten; und darum bitte ich als einer, der für die Anwendung Ihrer Gesetze zuständig ist.
Frau Steinbach, zur Geschichte mit den Kurden. Kein Mensch in diesem Land - ich hoffe, auch in diesem Hause nicht; wir gehören ja zu diesem Land - kommt auf die Idee, zu sagen: Hier kann jeder tun und lassen, was er will. Natürlich muß der Staat angemessen reagieren, wenn Leute, die nur kurz oder auf Dauer hier sind, kriminelle Handlungen begehen. Sie müssen Sanktionen spüren und notfalls auch das Land verlassen; das ist völlig klar. Da hat es nie eine andere Sprachregelung gegeben.
Wir haben ein manchmal sehr schwieriges - daran sind wir als Gesetzgeber, Sie und wir in den Ländern, auch ein bißchen schuldig - Normenwerk auf den Weg gebracht - Ausweisung, Gefährlichkeit, Aus-
Staatsminister Gerhard Bökel
weisungsschutz; man muß wirklich Fachmann sein, um das alles zu durchblicken -,
das aber eine adäquate Handhabung möglich macht.
Sie verändern ein Gesetz. Das Entscheidende sind die fünf Jahre und die drei Jahre; Sie meinen, das sei ein Erfolg, und Sie tun es - wenn Sie ehrlich sind -, weil Sie sagen: Das müssen wir schon deshalb tun, weil diese Innenminister - wahrscheinlich der aus Hessen und der aus Schleswig-Holstein, also überall, wo etwas Grünes dabei ist - besonders gefährdet sind, die Gesetze nicht auszufüllen. - Was für ein Quatsch. Es gibt keine Veranlassung, in diesem Punkt zu einer gesetzlichen Veränderung zu kommen. Es gäbe sie vielleicht; aber die, die sie vorschlagen, ist völlig illusorisch im Sinne der Zielsetzung, die Sie haben.
Ich habe Ihren Gesetzentwurf meinen Ausländerbehörden - und da sitzen nicht nur Sozialdemokraten - vorgelegt und gesagt: Schaut euch die neuen Tatbestände an. Was würde sich in den einzelnen Ausländerbehörden in der Praxis, egal ob bei CDU-Landräten oder bei SPD-Landräten, ändern? - Nichts würde sich ändern.
- Wir reden jetzt nicht von Dortmund. - Frau Steinbach, Sie haben als Beispiel von den Autobahnblokkaden in Hessen geredet, bei denen Polizeibeamte in Not gerieten. Das ist unerträglich und nicht zu akzeptieren - gar keine Frage! Aber Sie haben eine Verbindung hergestellt zwischen der Demonstration auf der Autobahn und dieser Strafgesetzänderung. Diese Gesetzesänderung würde daran nichts ändern.
Sie haben auch davon gesprochen, diese Fraktion, vielleicht auch die Innenminister würden NPD und Republikanern helfen. Ich sage Ihnen: Es reicht nicht, nur den Eindruck zu erwecken, man würde etwas verändern. Die Menschen werden genau registrieren, daß sich die staatliche Praxis in vergleichbaren Fällen künftig nicht ändern wird. Das sind Schaufensterbestimmungen, die Sie beschließen wollen.
Dies ist viel gefährlicher: Wenn wir die Hoffnungen der Leute nicht erfüllen können, treiben wir sie in die Arme derer, bei denen wir sie nicht haben wollen.
Zu den straffällig gewordenen ausländischen Jugendlichen will ich nicht viel sagen; die Redezeit ist dafür zu knapp. Nur eines, meine Damen und Herren: Wir hatten bisher Ermessensspielräume. Es bestand bei jungen Menschen die Möglichkeit, Resozialisierungsgedanken nachzugehen, aber auch Konsequenzen zu ziehen, Ausweisungen vorzunehmen.
Berührt waren das Gerichtsverfassungsgesetz, bestimmte andere Kriterien, und es gab eine Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofes zu Gefahrenprognosen und Resozialisierung. Lassen Sie uns die Spielräume vernünftiger Entscheidungen, und machen Sie nicht solche Vorgaben, die in der Praxis nichts bringen.
Herr Marschewski, ich habe eben gesagt, ich sei Weinbauminister. Ich lade den Innenausschuß ins Kloster Eberbach zu einem guten Rheingau-Riesling ein.
Dann können wir einmal die Fälle durchgehen, von denen Sie glauben, daß sie eine Änderung notwendig machen. Ich lege Ihnen alle aktuellen Probleme auf den Tisch.
- Das werde ich auch tun.
- Die Fraktion der Sozialdemokraten hat mir die Möglichkeit gegeben, hier zu reden. Das tue ich.
Natürlich werden wir dies auch im Bundesrat weiter beraten. Gott sei Dank muß das Ding dann wohl in den Vermittlungsausschuß. Da sitze ich drin, dann können wir in Ruhe beraten.
Ich will Ihnen doch nur die Chance geben, Fall für Fall den Nachweis zu erbringen, daß Sie mit der Gesetzesänderung etwas bewirken. Wenn Sie mir diesen Nachweis erbringen, bin ich im Vermittlungsausschuß der erste, der sagt: Dann reden wir ernsthaft über eine Gesetzesänderung.
Nur, diesen Nachweis werden Sie nicht erbringen können.
- Das ist doch das Unehrliche an der Diskussion, in der sie auch über einen Innenminister wie mich öffentlich reden: Ich wende Ihre Gesetze an. Ich bin hierhergekommen, um Ihnen heute zu sagen, daß das, was Sie heute vorschlagen, den Leuten Sand in die Augen treibt. Sie betreiben ein Täuschungsmanöver und verantworten die dann eintretende Enttäuschung im rechten Lager.
Staatsminister Gerhard Bökel
Wenn hier ein Landesinnenminister steht, dessen Land in bezug auf die Zahl der Bürgerkriegsflüchtlinge besonders betroffen ist, dann muß er etwas zum § 32 a des Ausländergesetzes sagen. Das ist jetzt ein Appell an alle Fraktionen. Bei dieser Vorschrift geht es nicht nur um das Geld. Große Humanität ist einmal versprochen worden, aber dann kam nichts nach, und auch die Länder haben sich nicht alle mit Ruhm bekleckert. Ich bitte wirklich, sich dieses Themas ernsthaft anzunehmen: Wenn wir humanitär sein wollen, dann muß - das ist der eine Aspekt - auch das Geld nach unten fließen.
Aber es muß - das ist der andere Punkt - in dieser Republik auch zu einer gerechteren Verteilung kommen. Bayern, Baden-Württemberg und Hessen - ich glaube, zum Teil auch Berlin - sind überproportional betroffen. Deshalb bitte ich sehr herzlich, daß dieses Thema in den weiteren Verfahren nicht außer acht gelassen wird und daß ernsthaft im Sinne einer gerechten Verteilung - auch einer Kostenverteilung - beraten wird.
Kurzum: Ich habe insgesamt den Eindruck, daß es im Bereich der Ausländergesetzgebung noch einiges zu besorgen gibt.
Wir haben es schon gesagt: Wir werden uns im Bundesrat und im Vermittlungsausschuß wieder treffen. Hier ist Stückwerk vorgelegt worden. Ich wünschte mir, daß wir zu einer umfassenden Regelung kommen, was geordnete Zuwanderung betrifft, vielleicht im Dialog mit Ländern, die viel näher an der Basis sind als der Bundestag bei all seiner Bürgernähe. Wir, die Länder, sind dazu bereit. Ich wünsche mir nur eines: daß hier heute keine Gesetze beschlossen werden, die für uns, die sie umsetzen werden, nicht praktikabel sind.
Das Wort zu einer Kurzintervention erhält die Abgeordnete Kerstin Müller.
Herr Minister Bökel, noch einmal zu den bosnischen Flüchtlingen. Ich darf erst einmal darauf hinweisen, daß ich Hessen und auch andere Länder nicht erwähnt habe. Ich bin bisher davon ausgegangen - und zwar sehr differenziert -, daß dort in keinem Fall vor dem Frühjahr abgeschoben wird, sondern in der Tat behutsam mit dieser Frage umgegangen wird.
Ich möchte aber auf einen anderen Punkt eingehen, der mich doch sehr erstaunt hat. Sie haben von der faktischen ethnischen Teilung des Landes gesprochen, die man zur Kenntnis nehmen müsse. Es ist richtig: Das Land ist faktisch ethnisch geteilt. Aber die Idee von Dayton und die Hoffnung aller Oppositionellen, und zwar der demokratischen Kräfte, die eigentlich alle Fraktionen und Parteien in diesem Parlament unterstützen müßten, ist, daß man diese ethnische Teilung Stück für Stück wieder rückgängig machen kann. Die große Hoffnung, die alle diese
Menschen dort haben, ist, daß man dies mit der Rückkehr der Vertriebenen und der Flüchtlinge erreicht.
Deshalb sagen alle Gesprächspartner in der Region: Es ist für eine Rückführung zu früh; es wird wahrscheinlich auch im Frühjahr zu früh sein. Wenn man jetzt mit Rückführungen oder mit Abschiebungen anfängt - Bayern geht von 1 500 aus, die jetzt abgeschoben werden sollen, wie gestern die „FR" vermeldete -, dann wird das die ethnische Teilung dieses Landes zementieren.
Das ist das Problem.
Ich möchte die demokratischen Kräfte unterstützen und bin deshalb für behutsame Rückkehrprogramme auf - -
- Herr Schily, bitte! - Ich bin deshalb für behutsame Rückkehrprogramme auf freiwilliger Basis.
Ich habe hier nicht gesagt, daß ich für irgendein Bleiberecht bin. Vielmehr bin ich für den Bürgerkriegsstatus, der natürlich irgendwann endet. Nur, ich halte die jetzt gesetzte Frist - 1. Oktober - für völlig absurd. Wenn Sie sagen, Massenabschiebungen fänden nicht statt, dann frage ich mich, was diese Frist soll. Dann finden keine Massenabschiebungen statt, aber die massive Einschüchterung der Flüchtlinge. Ich weiß nicht, was es soll, daß man traumatisierte Flüchtlinge jetzt auf diese Art und Weise noch einmal traumatisiert
- Entschuldigung, Herr Schily, Sie können gleich antworten -, indem man ihnen jetzt Ausweisungsbescheide schickt.
Deshalb bin ich der Meinung, daß es dieser Frist nicht bedarf und daß der Innenministerbeschluß in dieser Hinsicht falsch war und zurückgenommen gehört. Das ist unsere Position.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete Müller, ich glaube, nachdem schon Dayton in dem Sinne eine Fiktion war, daß man sagte, die Flüchtlinge sollten alle dorthin zurück, wo sie herkommen, würde es eine weitere Fiktion sein, zu glauben, die faktische Dreiteilung, die ich sehe, über
Staatsminister Gerhard Bökel
die Rückkehr regeln zu können. Das wird nach meiner Erkenntnis nicht funktionieren.
Ich habe nicht nur mit Ihnen, sondern auch mit Bildt und Koschnick - das sind nur einige Namen - gesprochen, die sich auch ein bißchen auskennen und die ganz überzeugend darstellen, daß es sichere Regionen in allen drei Bereichen gibt, die vom Krieg teilweise gar nicht betroffen waren. Deshalb sage ich: Wir fangen an.
Wir haben mit dem Flüchtlingsminister Kontakt gehabt. Man hat die Sorge, daß einfach sozusagen biologisch - ich will das Wort akzeptieren; ich übersetze es - nicht mehr die Leute da sind, die aufbauen können.
Wir können - der Vergleich ist vielleicht ein wenig gewagt - nicht auf der einen Seite den Trümmerfrauen große Verdienste zusprechen und auf der anderen Seite Menschen nicht zumuten, ihr Land aufzubauen, noch dazu, wenn sie mit viel mehr Hilfe von außen rechnen können, als es nach dem Zweiten Weltkrieg der Fall war. Ich sage Ihnen noch einmal zu: Wir werden das, sowohl was den Familienstand als auch was die Region betrifft, behutsam machen.
Sie reden von Angst. Ich finde es viel schlimmer, den Leuten jetzt zu suggerieren, sie könnten noch fünf, sechs oder sieben Jahre bleiben. Wenn wir sie dann auffordern würden zurückzukehren, wäre das viel inhumaner, als ihnen jetzt zu sagen: Es wird eine Rückkehr geben.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Eckart von Klaeden.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Minister, es war interessant, dem Dialog zwischen den Grünen und Ihnen zuzuhören. Wir sind gespannt, wie sich die hessische Position im Bundesrat darstellen wird; denn die Rednerin der Grünen hat im Zusammenhang mit unseren Vorschlägen davon gesprochen, daß wir die Menschen in die Verbannung schicken werden. Sie haben gesagt, daß sich im Grunde gar nichts ändert. Ich bin gespannt, wie man daraus eine gemeinsame Position macht. Wahrscheinlich liegt die Wahrheit in der goldenen Mitte oder, politisch gesprochen, in der schwarz-gelb-blauen Mitte. Ich werde darauf eingehen.
Wir besprechen heute den ersten Teil der Reform, die die Ausländerinnen und Ausländer in unserem Land direkt berührt. Der zweite Teil der Reform, nämlich die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts, wird folgen. Unser Staatsangehörigkeitsrecht ist vetaltet, es bedarf dringend der Reform. Das ist die gemeinsame Meinung hier im Haus. Sie ist unter anderem in der Koalitionsvereinbarung festgelegt.
Frau Sonntag-Wolgast, wir meinen allerdings, daß das Staatsangehörigkeitsrecht keine Spielwiese ist, sondern ein sehr ernstzunehmendes Thema.
Ich sage Ihnen, daß wir dieses Thema mit Nachdruck weiter verfolgen und uns für eine Reform einsetzen werden. Die Kollegen Altmaier, Röttgen und ich haben eine große Zahl von Kolleginnen und Kollegen in unserer eigenen Fraktion dafür gewinnen können. Eine Sache machen wir aber nicht: Wir lassen uns von Ihnen nicht vorschreiben, wann wir diese Vorstellung im Parlament einbringen werden.
Meine Damen und Herren, was mich bedrückt - das will ich als junger Abgeordneter sagen; ich sage das selbstkritisch auch an die eigene Adresse -, ist, daß es nicht genug Bemühen gibt, den Streit um das Ausländerrecht aus dem parteipolitischen Streit herauszuhalten.
Mir ist aufgefallen, welche Bösartigkeit Sie uns in Ihren Ausführungen zu unseren ausländerpolitischen Vorstellungen unterstellt haben. Ich möchte Sie bitten zu berücksichtigen, welche Angst Sie den Menschen damit machen. Wir wissen voneinander, daß vieles, das hier geäußert wird, im Grunde nicht der tatsächlichen Motivation entspricht, sondern daß es zum parlamentarischen Schlagabtausch gehört. Ich meine, wir sollten auch an diejenigen denken, die draußen sind und dies besonders ernst nehmen.
Wir haben mit dem ersten Teil unserer Reform Vorschläge auf den Weg gebracht, denen Sie guten Gewissens zustimmen können. Ich kann nachvollziehen, daß es Ihnen in dem einen oder anderen Punkte nicht weit genug geht. Es sind wichtige und gute Punkte: eine deutliche Liberalisierung beim Aufenthalt der Ehegatten, eine deutliche Liberalisierung bei der Rechtsposition junger Menschen in der Ausbildung, eine deutliche Liberalisierung bei der Position der älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und eine deutliche Liberalisierung bei der Position der Kranken und Behinderten.
Ein Teil der Vorschläge kam von Ihnen. Ich finde, wenn wir in diesem Punkt Gemeinsamkeit haben, dann sollten wir das auch zum Ausdruck bringen und uns nicht durch irgendwelche vorgeschobene Rhetorik davon abbringen lassen.
Ich will aber in diesem Zusammenhang auch sagen, daß es mich schon ein wenig enttäuscht, daß die Punkte im strafrechtlichen Bereich, die geändert werden, nicht Ihre Zustimmung finden, und daß ich
Eckart von Klaeden
es nicht für richtig halte, daß der eine oder andere Punkt bewußt falsch dargestellt worden ist.
Hier wurde gesagt, der Landfriedensbruchparagraph werde so verschärft, daß die bloße Teilnahme an einer verbotenen Demonstration zur Ausweisung führe. Das ist schlichtweg nicht wahr; denn es muß zunächst § 125 StGB erfüllt werden. § 125a StGB stellt die Qualifikation dar.
Es wurde gesagt, daß unsere Vorschläge gegen die Genfer Flüchtlingskonvention verstoßen. Auch das ist schlichtweg nicht wahr. Die Wahrheit ist, daß Art. 33 der Genfer Flüchtlingskonvention weiter geht; denn er spricht den Flüchtlingen das Recht auf Aufenthalt in einem Land ab, wenn sie gemeingefährlich gegen die Rechtsordnung verstoßen.
Wenn hier immer wieder behauptet wird, daß die Situation der jungen Ausländerinnen und Ausländer, die hier aufgewachsen sind, verschlechtert wird, dann ist auch dieses falsch; denn § 47 Abs. 3 Satz 3 des Ausländergesetzes, der das besonders regelt, erfährt gerade keine Änderung.
Ich finde, wir sollten uns auch in dieser Debatte stärker an der sozialen Realität in unserem Lande orientieren. Realität ist, daß die auf Integration gerichtete Politik dieser Bundesregierung auch einen erheblichen Beitrag dazu leistet, daß Deutsche und Ausländerinnen und Ausländer gut zusammenleben. Ich finde, ein Beispiel für unsere erfolgreiche Integrationspolitik ist die Zahl der Neudeutschen, die an den Olympischen Spielen teilgenommen haben. Es gab acht Medaillengewinner, die nicht in Deutschland geboren sind und die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Es gab darüber hinaus 34 Teilnehmer mit demselben Status.
Ich glaube, das spiegelt die soziale Realität in unserem Land wesentlich besser wider als die Vorwürfe der Opposition, die wir uns heute hier haben anhören müssen.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Cem Özdemir.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bereits 1990 - manche waren damals schon dabei und können sich vielleicht noch daran erinnern - hatten wir das Vergnügen, in diesem Hohen Hause eine Debatte zur Einführung des neuen Ausländerrechts zu führen. Damals hätte die Gelegenheit bestanden, das Ausländerrecht aus dem Jahre 1965 endlich zu ändern, uns ein zeitgemäßes, modernes europäisches Recht zuzulegen, das der Realität dieses Landes nach mehr als 40 Jahren Einwanderung, nach mehr als 35 Jahren deutsch-türkischen Anwerbeabkommens
gerecht wird. Leider haben Sie diese Gelegenheit nicht genutzt. Im Gegenteil: Heute präsentieren Sie uns einen Gesetzentwurf, der geradewegs zurückgeht in die 60er Jahre, der einen Rückfall in den Gastarbeiterstatus bedeutet.
In der Schule hätte man früher gesagt: Versetzung nicht bestanden, zur Versetzung nicht empfohlen.
Ich werde in der heutigen Debatte das Gefühl nicht ganz los, daß ich im falschen Film bin. Sie reden hier vom Gaststatus, Sie reden bei Menschen, die seit 30 oder 40 Jahren hier leben, die sich hier selbständig gemacht haben, von Ausländern. Menschen, die hier geboren sind, sind keine Ausländer.
Ich muß Ihnen wohl erklären, was ein Ausländer ist. Ausländer ist jener, der vorübergehend hier ist, Ausländer ist derjenige, der auf der Durchreise ist. Ausländer ist auch derjenige, der für ein paar Monate, vielleicht sogar für ein paar Jahre hier ist. Ausländer sind aber nicht Personen aus meiner Generation oder der Generation meiner Eltern.
Sie hatten angekündigt, daß es nach fünf Jahren zu einer Novellierung des Ausländerrechts kommen soll. Das, was Sie jetzt präsentieren, ist keine kritische Bilanz des Ausländerrechts, nicht die angekündigte Überprüfung, sondern für 8 Prozent der Bevölkerung eine massive Verschärfung. Wenigen Fortschritten stehen entschiedene Rückschritte gegenüber.
Ich darf nur einige wenige Äußerungen von seiten der Verbände zitieren. Sie werden mir zustimmen, daß diese Verbände über jeden grünen Verdacht erhaben sein dürften. Besonders interessant für Sie, Frau Schmalz-Jacobsen, sind die Äußerungen Ihrer Kollegen aus den Ländern. Ich zitiere:
... lehnen die geplanten Verschärfungen ab und sehen die Bemühungen untergraben, den Kindern und Kindeskindern der Einwanderer feste Aufenthaltsrechte zu gewähren.
Der Präsident des Diakonischen Werkes schreibt in seiner Stellungnahme:
Der Entwurf läßt viele Regelungen, zu denen wir Änderungen gefordert haben, unberücksichtigt bzw. löst sie vollkommen unbefriedigend.
Er sagt weiter:
Der Entwurf enthält Verschlechterungen von zum Teil gravierendem Ausmaß.
Heute wurde bereits in einer etwas ungewöhnlichen Form von Frau Steinbach die Kirche gewürdigt. Die deutschen Bischöfe sprechen hinsichtlich der Abschiebung von hier geborenen ausländischen Jugendlichen von unbilligen Härten und betonen zu Recht:
Cem Özdemir
Die Kriminalität dieser Menschen ist ein bei uns in Deutschland entstandenes Problem. Vor allem wird dieses Problem nicht durch den „Export" gelöst.
Mir fällt dazu - auch bezogen auf Ihre Äußerungen, Frau Steinbach - nur das Jesu-Wort ein: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan." Gerade wenn man das C im Namen führt, sollte man sich das gelegentlich in Erinnerung rufen.
Der Koalitionsentwurf in dieser Form ist ein Ausländerrechts-Tango: ein Schritt vor, mehrere Schritte zurück; dabei ist das Ganze nicht einmal besonders ästhetisch.
Zu den Verschärfungen nur einige wenige Beispiele. Das eigenständige Aufenthaltsrecht für Ehegatten ist bereits gewürdigt worden. Ich möchte dazu nicht sehr viel sagen. Diejenigen aus der Koalition - insbesondere die Frauen -, die verstanden haben, daß es so nicht weitergehen kann, konnten sich nicht durchsetzen. Sie konnten sich nicht dazu durchringen, die Wartezeit für Härtefälle auf ein Jahr zu verkürzen bzw. auf Null herunterzugehen.
Was haben Sie gemacht? Sie haben als Kompromiß die „außergewöhnliche Härte" geschaffen. Jetzt wird folgendes geschehen: Jetzt werden sich wieder Verbände an Sie wenden, sie werden Ihnen wieder Beispiele von grausamen Mißhandlungen nennen, vom Mißbrauch von Frauen. In ein paar Jahren werden Sie sich wieder zusammensetzen - hoffentlich regieren Sie dann nicht mehr - und dann wahrscheinlich den Tatbestand der grausamen oder bestialischen Härte einführen.
So kann es nicht weitergehen. Sie müssen sich in dieser Frage endlich bewegen und aufhören, hier mit irgendwelchen faulen Kompromissen Politik zu machen.
Zu den ehemaligen Vertragsarbeitnehmern möchte ich nicht sehr viel sagen. Es ist genug dazu gesagt worden. Man wird den Eindruck nicht los, daß die Uhren in der DDR wohl anders gelaufen sein müssen. Anders ist es nicht zu erklären, daß Sie die Aufenthaltszeiten der Menschen in der ehemaligen DDR, die mit den sogenannten Gastarbeitern im Westen unserer Republik vergleichbar sind, nur zur Hälfte anerkennen wollen.
Die Politik der F.D.P. - Frau Schmalz-Jacobsen hat es hier eindrucksvoll vorgeführt - geht nach dem Motto „Besser als gar nichts" . Auf schwäbisch würde man sagen: Besser als in d'Hos gemacht.
Ich denke, dies ist als Bilanz der Bundesausländerbeauftragten ein bißchen wenig.
Auf der Reise zurück in die Gastarbeiterära zünden Sie - gerade Sie, Herr Marschewski - wieder einige Nebelkerzen. Es geht nicht darum, daß irgend jemand in diesem Hohen Hause Straftäter, die zu drei Jahren Haft verurteilt werden - Sie haben völlig recht: wer zu drei Jahren Haft verurteilt wird, der muß schon einiges auf dem Kerbholz haben -, in Schutz nehmen möchte. Dies sind Leute, die in dieser Republik straffällig geworden sind.
Aber der Unterschied zwischen Ihnen und uns ist: Wir sagen, diese Leute sind hier geboren, hier aufgewachsen und in dieser Republik straffällig geworden, also müssen sie genauso wie ihre deutschstämmigen Kolleginnen und Kollegen, die ebenfalls straffällig geworden sind, dieser Gesellschaftsordnung entsprechend bestraft werden und anschließend in dieser Gesellschaft, wie sich das gehört, wieder resozialisiert werden. Dies gehört sich für ein europäisches Land, das sich der Einhaltung der Menschenrechte verpflichtet hat.
Dies gehört sich aber insbesondere für eine Partei, die immer vom Schutz der Familien spricht und die sich bei dieser Gelegenheit an Art. 6 unseres Grundgesetzes erinnern sollte. Darin steht nämlich folgendes:
Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.
- Das steht vielleicht in Ihrer Ausgabe des Grundgesetzes, in meiner steht es nicht.
Die Koalition hat in der Koalitionsvereinbarung angekündigt, daß das Staatsangehörigkeitsrecht ref or-miert werden soll. Mittlerweise sind 24 Monate vergangen. Wir warten bis heute vergeblich auf die angekündigte Reform des Staatsangehörigkeitsrechts. Seither sind 200 000 Kinder auf die Welt gekommen, die nach Ihrer Sicht Ausländer sind. Nach unserer Sicht sind es Inländer; leider Inländer ohne Paß. Dies muß man so schnell wie möglich ändern.
Vor Ihnen, meine Kolleginnen und Kollegen, steht ein sogenannter Paßdeutscher, also nach Ihrer Lesart jemand, der in einer besonderen Datei geführt wird, weil ihm offensichtlich auch dann, wenn er das tut, was alle sagen - darin sind wir uns einig -, sich nämlich einbürgern läßt - wir appellieren: laßt euch einbürgern! -, immer noch mit Mißtrauen begegnet wird. Denn er ist eben Paßdeutscher. Nach Ihrer Ansicht sollen sie offensichtlich - dazu wird sich Herr Kanther sicher noch äußern; ich bin sehr gespannt auf seine Ausführungen dazu, wie er sich vorstellt, wie dies auf eine rechtliche Grundlage gestellt wer-
Cem Özdemir
den soll - mit einem Mißtrauen belegt werden, wahrscheinlich ihr ganzes Leben lang nach dem Motto „Einmal Ausländer, immer Ausländer".
Zum Staatsangehörigkeitsrecht möchte ich nicht sehr viel sagen. Die großen Europapolitiker in der Fraktion der CDU/CSU, die sonst immer gern von Europa sprechen, vergessen in dieser Frage, daß wir mittlerweile Schlußlicht in Europa sind, was die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts angeht.
Ich versuche einmal zusammenzufassen, worum es eigentlich in dieser Debatte geht - wir vergessen einmal alle Nebenschauplätze für einen Augenblick -: Wir haben in dieser Frage im Grunde eine Weichenstellung von historischer Bedeutung vor uns. Es gibt die erste Position, die ich hier als die Position des bayerischen Regionalismus in der Verköperung der CSU zusammenfasse: daß ein Kind ausländischer Eltern Ausländer ist und dies auch bleibt.
Dann gibt es den Versuch eines Kompromisses. Das ist die zweite Position mit dem Instrument der sogenannten Kinderstaatszugehörigkeit, die in der Koalitionsvereinbarung festgehalten worden ist. Das sind wahrscheinlich die sexuellen Neutren, oder wie auch immer man sich das vorzustellen hat.
Die dritte Position ist diejenige, für die wir uns einsetzen. Es ist die Position, die besagt: Ein Kind, das hier geboren wird, muß Bürgerin oder Bürger erster Klasse werden. Dazu gibt es keinen Kompromiß. Es gibt nicht ein bißchen Schwangerschaft. Sie sollten sich endlich dazu durchringen, hier nicht irgendwelche faulen Kompromisse zu machen. Kinder, die hier geboren sind, müssen mit der Geburt Staatsbürger dieses Landes werden. Dann können wir uns einen großen Teil der Diskussion, die wir heute führen, sparen.
Ich komme zum Schluß. Ich hoffe, daß wir als Ergebnis dieser Diskussion das, was wir heute wahrscheinlich nicht werden verhindern können, im Bundesrat zu Fall bringen. Insofern hoffe ich darauf, daß insbesondere die rot-grün regierten Länder, aber auch die Länder, die rot oder rot-gelb-blau regiert werden, diesem Gesetz ihre Zustimmung versagen werden.
Ein letztes Wort zu den „Jungen Wilden" oder den „Jungtürken" - oder wie auch immer - in der Union: Wir haben mit großer Sympathie die Vorstöße verfolgt, die von Ihnen oder von euch gekommen sind. Wir haben uns als Opposition bewußt zurückgehalten
und haben das Papier von euch hier nicht eingebracht, um keine billige Oppositionsnummer zu machen. Aber eines sei mir schon gestattet: Ihr seid als Tiger losgesprungen und, wenn ich mir den letzten CDU-Parteitag in Erinnerung rufe, als Bettvorleger gelandet.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Herr Kollege Guido Westerwelle.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ausgesprochen bemerkenswert - ich danke Ihnen für den freundlichen Empfang -, daß die Opposition einerseits von einem Schaufenstergesetz ohne Wirkung spricht und wir andererseits soeben gehört haben, es handele sich um eine skandalöse massive Verschärfung. Ich sage Ihnen: Wenn die Kritik aus der Opposition so uneinheitlich kommt, dann ist das ein Beleg dafür, daß das Gesetz offensichtlich ziemlich gescheit ausgefallen ist.
Ich möchte Ihnen übrigens einmal vorhalten, was Sie als skandalöse Härte bezeichnen und wie kurz Ihr Gedächtnis ist. Wir haben Ende März Ausschreitungen, die damaligen sogenannten Kurdenkrawalle, gehabt. Da hat der Innenminister des Landes Rheinland-Pfalz, Herr Zuber, Ihrer Partei zugehörig, wörtlich erklärt:
Wir müssen das Ausländerrecht mit dem Ziel überprüfen, die Abschiebung gewalttätiger Straftäter zu erleichtern.
Es gibt einen anderen SPD-Politiker, den Fraktionsvorsitzenden der SPD im Deutschen Bundestag, Rudolf Scharping, der sich nach einer Meldung der Nachrichtenagentur Associated Press wie folgt geäußert hat:
Scharping sprach sich unterdessen für Gesetzesänderungen aus. Seine Fraktion werde notwendige gesetzgeberische Maßnahmen unterstützen. Gegen terroristische Gewalttäter vorzugehen sei schon deshalb geboten,
weil Millionen friedlich in Deutschland lebender Ausländer nicht durch blindwütige Aktionen von Minderheitengruppen diskriminiert werden dürfen.
Ich möchte Ihnen sagen: Herr Scharping hat recht, und genau das tun wir jetzt.
Weiter haben Sie - das ist ebenso bemerkenswert - darauf hingewiesen, was wir beim eigenständigen Aufenthaltsrecht der Ehegatten tatsächlich tun. Ich möchte Ihnen hierzu sagen: Wenn eine Frist von einem Jahr vereinbart wird, dann ist das ausgespro-
Dr. Guido Westerwelle
chen vernünftig. So wünschenswert es ist, daß in einer solchen Ehebeziehung ein eigenständiges Aufenthaltsrecht dann folgt, wenn ein Ehepartner massiv mißhandelt wird, so notwendig ist es aber auch, gesamtgesellschaftlich, rechtlich und politisch darauf aufmerksam zu machen, daß es das Problem der Scheinehe nicht nur in der Theorie einiger Parlamentarier, sondern auch in der Praxis gibt.
Die Integration der ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger ist die zentrale gesellschaftspolitische Reformaufgabe der nächsten Jahre. Unser Staatsangehörigkeitsrecht entspricht nicht mehr der Lebenswirklichkeit der heutigen Bundesrepublik. 7 Millionen Ausländer sollen und wollen in unser Land integriert und nicht ausgegrenzt werden.
Ich sage für die F.D.P.: Das geltende Staatsangehörigkeitsrecht führt dazu, daß in Deutschland immer mehr Menschen leben, die hier geboren und aufgewachsen sind, in Deutschland zur Schule gehen und bei uns Beiträge zur Sozialversicherung zahlen und trotzdem rechtlich Fremde bleiben. Wir wollen dagegen ein modernes Staatsbürgerschaftsrecht, das den hier geborenen Kindern von ausländischen Eltern, die hier seit Jahrzehnten leben, die Chance gibt, als Deutsche integriert aufzuwachsen. Diese Kinder sprechen Deutsch und die Sprache ihrer Eltern allenfalls mit einem deutschen Akzent. Sie werden immer hier leben, jeder weiß das. Es läuft den Interessen unseres eigenen Landes zuwider, wenn man die hier geborenen Kinder mit einem ausländischen Bewußtsein groß werden läßt, anstatt ihnen eine inländische Identität von Anfang an zu vermitteln.
Herr Kollege Westerwelle, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wiefelspütz?
Nein, ich habe nur noch eine Minute Redezeit. Die möchte ich mir nicht zersplittern lassen.
Ich appelliere an alle Teile dieses Hauses, nicht nur im Interesse dieser Kinder, sondern auch im Interesse unseres Landes an der Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts mitzuwirken. Die F.D.P. begrüßt den Beschluß des Bundesparteitages der CDU, wonach der Bundesvorstand diese Thematik noch im ersten Quartal des Jahres 1997 beraten wird.
Die Neuregelung des Staatsangehörigkeitsrechts darf im Interesse der hier geborenen Kinder nicht aufgeschoben werden, sondern muß bis zum Sommer des nächsten Jahres abgeschlossen sein. Wir vergeuden Talente und verschenken Begabungen, meine Damen und Herren.
Ich bin übrigens ganz sicher, daß wir uns in der Koalition einigen werden. Das wird die große Freude der Opposition auch in diesem Punkt nach sich ziehen.
Zum Schluß möchte ich noch einen Punkt der Debatte aufgreifen: Ich halte es für absolut falsch, daß wir hier von deutschen Interessen reden, die angeblich den Interessen der ausländischen Mitbürger zuwiderlaufen. Ich sage Ihnen aus meiner Sicht als Liberaler:
Ich bin der festen Überzeugung, daß die Integration von Ausländerinnen und Ausländern in Deutschland nicht gegen die deutsche Gesellschaft gerichtet ist, sondern geradezu im ureigensten Interesse der Deutschen, die in diesem Lande leben, liegt.
Zu einer Kurzintervention erhält der Abgeordnete Wiefelspütz das Wort.
Herr Kollege Westerwelle, da Sie gerade meine Zwischenfrage abgelehnt haben, will ich Ihnen auf diese Weise meine Meinung sagen.
Ich halte es für einen relativ unhaltbaren Zustand - dieser wird nicht nur durch Sie, sondern durch Ihre gesamte Fraktion im Bereich des Ausländerrechts immer wieder an den Tag gelegt -, daß Sie vollmundig Ankündigungen machen und Erklärungen abgeben, die inhaltlich relativ nah bei dem sind, was wir seit langem fordern, aber dann, wenn es ernst wird, wie auch in anderen Bereichen kneifen. Sie knicken ein und werden Ihrer Verpflichtung nicht gerecht.
Es ist selbstverständlich, daß eine kleinere Partei im Deutschen Bundestag Kompromisse machen muß. Das ist etwas, wozu man sich bekennen muß. Wir haben nicht die absolute Mehrheit in diesem Hause.
Wir arbeiten daran; zur Zeit jedenfalls ist dies aber noch nicht der Fall.
Auf das zweite möchte ich genauso offen eingehen. Wenn ich mir ansehe, welche Haken allein Sie als SPD in den letzten anderthalb Jahren bei den Fragen „Zuwanderungsgesetzgebung ja oder nein?", „Kontrollierte Zuwanderungsgesetzgebung ja oder
Dr. Guido Westerwelle
nein?" geschlagen haben, dann muß ich Ihnen wirklich sagen: Sie, die Sie in den vergangenen Jahren nun wirklich einen windelweichen Kurvenkurs gefahren haben, können doch beileibe nicht kritisieren, wenn in einer Koalition Kompromisse geschlossen werden müssen.
Ich kann Sie beruhigen: Die Kompromisse werden kommen. Ich bin fest davon überzeugt, daß wir die Neuregelung des Staatsangehörigkeitsrechts innerhalb der Koalition einvernehmlich beschließen können. Der Fortschritt ist manchmal eine Schnecke; das ist wohl wahr. Ich finde es aber schon bemerkenswert, daß es jüngeren Mitgliedern dieses Hauses, die der CDU/CSU angehören, gelungen ist, in ihrer eigenen Partei ein gutes Stück Bewegung durchzusetzen.
Jetzt hat der Abgeordnete Wolfgang Zeitlmann das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als offensichtlich vorletzter Redner zu dem Tagesordnungspunkt „Änderung des Ausländergesetzes" muß ich doch einige Bemerkungen zu der vorangegangenen Diskussion machen.
Herr Kollege Westerwelle, in weiten Teilen Ihres Beitrags hatte ich das Gefühl, wir würden hier über das Staatsangehörigkeitsrecht diskutieren. Wir sind beim Ausländerrecht.
- Herr Schily, ob ich es mag oder nicht, das ist nicht das Thema. Ich will bei dem Thema bleiben, um das es heute geht.
Ich muß feststellen: Alles, was hier geäußert wurde, verdeutlicht eine ungeheuer extreme Position, angefangen mit den Vorwürfen der Kollegin Sonntag-Wolgast, wir würden die Ausländer an den Pranger stellen,
bis hin zu der Äußerung der Kollegin Müller, wir würden Zwangsregelungen durchführen und nach dem Motto „Einmal Ausländer, immer Ausländer" verfahren.
Die Kollegin Müller hat an uns den Vorwurf gerichtet, wir würden die Auffassung vertreten, Ausländer seien Gäste. In diesem Punkt stimme ich ihr ausdrücklich zu. Das ist auch meine Auffassung. Ausländer sind in der Tat Gäste und haben sich wie Gäste zu benehmen.
Herr Kollege Zeitlmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Sonntag-Wolgast?
Ich habe eben die Erfahrung gemacht, daß meine Fragen nicht beantwortet wurden. Ich habe auch auf eine Kurzintervention verzichtet, weil ich wußte, daß ich im Anschluß reden kann. Deshalb möchte ich mit meinen Ausführungen fortfahren, Frau Kollegin SonntagWolgast. Auch ich habe Sie nicht unterbrochen.
- Ich weiß gar nicht, warum Sie so schreien. Minister Bökel hat mir auch keine Zwischenfrage gestattet.
- Das nächste Mal, sagt der Minister. Einverstanden.
An die Adresse des hessischen Innenministers möchte ich folgendes sagen: Sie haben das Thema Altfallregelung erwähnt. Vieles, was Sie dazu erklärt haben, war durchaus unterstützenswürdig. Nach Ihren Äußerungen im Rahmen der Bosnien-Thematik hätte ich von Ihnen erwartet, daß Sie anstelle der in dem Antrag der SPD enthaltenen Forderung, auf Bayern einzuwirken, fairerweise sagen: Dieser Nebensatz in dem Antrag der SPD ist nicht gerechtfertigt.
Wenn das Land Bayern im Oktober ein paar Straftäter abschiebt, dann muß ich fragen: Warum eigentlich nicht? Ich weiß, daß viele Länder mit ihren Vorbereitungen für eine wirksame Abschiebung auf administrativem Gebiet noch nicht so weit waren. Das heißt, sie hatten die ausländerrechtlichen Voraussetzungen, nämlich die Beendigung des Aufenthaltsstatus und die Aufforderung zur freiwilligen Ausreise, noch nicht erfüllt. Wieso werfen Sie dann einem Land, das weiterführende administrative Vorkehrungen getroffen hat, vor, daß jetzt einige Straftäter abgeschoben werden?
Wenn ich die heutige Diskussion betrachte und mir meine Korrespondenz mit vielen Bürgern dieses Landes zum Thema Ausländer vergegenwärtige, dann kann ich uns Unionsabgeordneten für die Zukunft nur empfehlen, vieles von dem, was Sie heute gesagt haben, den Bürgern mitzuteilen, damit sie erkennen, was von Teilen der Opposition zur Ausländerpolitik vorgetragen wird.
- Das hat mit Populismus gar nichts zu tun. Ich stehe für eine liberale Ausländerpolitik.
Diese Politik beinhaltet, daß der, der sich wie ein Gast verhält, als Gast willkommen ist. Ich stehe auch zu dem Teil des Einbürgerungsrechtes, in dem verankert ist, daß derjenige, der die Voraussetzung un-
Wolfgang Zeitlmann
seres sehr liberalen Einbürgerungsrechts erfüllt, auch eingebürgert werden kann. Wir haben aber keine Bringschuld, das heißt, wir müssen nicht für ihn tätig werden, Deutscher zu werden. Er selbst muß einen Antrag stellen.
Für die künftigen Regelungen - so weit sind wir durchaus schon - muß gelten: Er muß in unsere Gesellschaft integriert sein; er muß je nach seiner persönlichen Situation einigermaßen Deutsch sprechen - das wird jeder vertreten -; er sollte möglichst Arbeit haben und somit Sozialleistungen nicht in Anspruch nehmen. Für eine solche Regelung sehe ich durchaus Chancen.
Wir haben in der Vergangenheit durchaus die Einbürgerungsmöglichkeiten erleichtert, die Fristen verkürzt und die Gebühren gesenkt. Tun Sie doch nicht so, als ob das dargestellte Szenarium „Wer hier ist, muß sich dieser entsetzlichen und schrecklichen Ausländerpolitik beugen" zutreffend wäre!
Herr Minister Bökel, zu einem Punkt möchte ich noch Stellung nehmen. Sie werfen uns als Landesminister vor, alles, was wir hier machen würden, sei völlig wirkungslos.
- Unterstellen wir einmal, er hätte recht. - Warum legen Sie dann aber nicht schleunigst Vorschläge zu den Punkten vor, die Sie effektiver gestalten wollen?
- Entschuldigung, auch das Bundesland Hessen ist Teil des Bundesorgans Bundesrat.
- Ja, da bin ich gespannt. Aber tun Sie nicht so, als hätten wir längst etwas bringen müssen, während er sagt, er werde es erst noch bringen. - Man möge doch über das, was der Bundesrat in der Vergangenheit vorgelegt hat, diskutieren. Da ist mir im Sinne von Verschärfung im Bereich der Abschiebung bisher nichts bekannt.
Herr Kollege Zeitlmann, gestatten Sie eine Frage des Kollegen Wiefelspütz?
Dem Kollegen Wiefelspütz immer.
Es ist manchmal gefährlich, wenn man gelobt wird, Herr Zeitlmann.
Herr Zeitlmann, ich will ganz behutsam einmal folgende Frage stellen: Macht es denn nicht Sinn, ernsthaft zu überlegen, ob nicht vielleicht viel mehr Probleme im Bereich des Vollzuges von Gesetzen bestehen, statt dauernd neue Gesetze zu machen? Macht es nicht Sinn zu überlegen, ob wir nicht mit schärferen neuen Gesetzen im Grunde nur eine Art Ankündigungspolitik machen und den Leuten in der Tat Sand in die Augen streuen? Nur durch neue Gesetze bewegt sich nichts, wenn wir nicht wenigstens andeutungsweise berücksichtigen, was wir in der
Wirklichkeit erleben. Glauben Sie nicht, daß Sie Erwartungen wecken, die hinterher in der Tat gar nicht erfüllt werden? Das war doch der Ansatz des Landesinnenministers. Das sind Sorgen, die diejenigen, die die Gesetze anwenden müssen, mit Recht dem Gesetzgeber, dem Bundestag, vortragen.
Herr Kollege Wiefelspütz, ich habe überhaupt nichts dagegen, wenn wir uns hier zusammensetzen und darüber diskutieren, was effektiver und was besser wäre. Das können wir jederzeit machen. Wir haben dazu im Innenausschuß immer Gelegenheit, ob auf Ihren oder auf meinen Wunsch hin. Aber ich stelle fest, daß auch Sie von der SPD hier einen Änderungsantrag vorgelegt haben. Also tun Sie doch nicht so, als ob wir die Bösen wären, nur weil wir einen Gesetzentwurf vorlegen.
Ich will nur sagen: Ich weiß, daß der Bundesinnenminister im September eine Fachanhörung hatte, bei der die von Minister Bökel erwähnten Fachleute der Ausländerämter gefragt wurden: Wo zwickt es? Was könnte verbessert werden? - Das ist in der Mangel; da wird es hoffentlich zu weiteren Vorschlägen kommen. Darüber können wir dann gerne einmal diskutieren; auch ich bin dieser Meinung.
Nur eines halte ich für falsch: sich hier hinzustellen und zu sagen, diese Altfallregelung müßte großzügiger sein. Wer acht Jahre legitim hier sei, der müsse generell hierbleiben dürfen. - Das bedeutet doch nur eine Aufforderung an jeden, der jetzt legal hier ist: Verzögere oder verhindere die Beendigung deines Aufenthalts möglichst so lange, bis du unter die Altfallregelung fällst. Wollen Sie sagen, daß dann, wenn ein Bürgerkrieg acht Jahre dauert, generell jeder Bürgerkriegsflüchtling hierbleiben kann?
Ich will nur deutlich machen: Das Thema ist an sich viel ernster, als daß wir es in der Weise, wie hier mit den Pauschalurteilen geschehen, denunzieren sollten.
Ich sage ein Zweites. Natürlich ist in dem Gesetz manches nicht enthalten, was ich gerne darin gehabt hätte. Ich sehe zum Beispiel nicht ein, daß es nicht auch Ausnahmen von dem ehrenwerten Grundsatz geben könnte, daß erst rechtskräftige Urteile Wirkungen entfalten. Denn es gibt und gab im Ausländerrecht die Praxis, daß ich dann, wenn einer in flagranti bei einer Straftat erwischt wird, nicht das Urteil abzuwarten habe, mit dem er rechtskräftig verurteilt wird, sondern daß ausländerrechtliche Sanktionen bei ganz klarer Lage - das kann man auf einem hohen Level festsetzen - auch vorher eintreten können.
Ich habe mich in der Koalition nicht durchgesetzt. Deswegen muß ich aber doch das, was wir jetzt vorlegen, nicht beschimpfen. Ich gebe zu: In manchen anderen Fragen haben wir uns durchgesetzt. Wir sind immer kompromißfähig. Wenn ich angedeutet höre, daß bei diesem Gesetz ohnehin wieder ein Vermittlungsverfahren vorgesehen ist, dann freue ich mich auf Diskussionen, insbesondere wenn die Län-
Wolfgang Zeitlmann
der Änderungsvorschläge machen, die zu einer Verstetigung in diesem ganzen Themenbereich führen.
Einen letzten Satz mögen Sie mir noch gestatten. Früher gab es in diesem Haus eine Grundübereinstimmung, daß der Zustrom nach Deutschland bei der derzeitigen Situation in Deutschland gebremst werden muß; ich habe bei manchen Anträgen der Opposition, insbesondere der Grünen, den Eindruck, daß dieser früher bestehende Konsens nicht mehr vorhanden ist.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt für die Bundesregierung Herr Bundesinnenminister Kanther.
Frau Präsidentin! Verehrte Damen! Meine Herren! Das vorgelegte Gesetz zeigt in eindrücklicher Weise die beiden Facetten, die das Ausländerrecht in jedem Staat der Welt hat und auch benötigt - zum einen die Statusgestaltung, die Integrationshilfen für rechtmäßig und dauerhaft in Deutschland lebende Ausländer und zum anderen Vorschriften zum Schutz vor illegaler Zuwanderung, politischem Extremismus, unberechtigtem Verbleib oder Kriminalität durch Ausländer. Beides ist notwendig. Beides wird durch dieses Gesetz geleistet.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schily?
Reichlich früh, aber wenn es dem Fortschritt dient, bitte.
Herr Minister, Sie haben hier zwei Kategorien angesprochen. Sie wissen, unser Bundestagskollege Özdemir hat hier in der Debatte eine Kartei erwähnt. Mich würde interessieren, was Sie zu dieser Kartei sagen und ob auch unser Bundestagskollege Özdemir in dieser Kartei erfaßt ist.
Zu dieser Kartei werde ich mich dann äußern, wenn das in meinen Kontext paßt. Ich lasse mich nicht nach meinem ersten Satz von Ihnen, Herr Schily, unterbrechen.
Zwei Aspekte des Ausländerrechts werden also in diesem Gesetz angesprochen. Die vielfältigen integrativen Aspekte sind dargestellt. Sie gehen mit der fortschreitenden Integration einer größeren Zahl von Ausländern in unserem Lande richtig einher. Weil es ein schrittweiser Prozeß ist, wird das auch sicher nicht der letzte Aspekt von Integrationshilfen sein.
Ich frage mich allerdings manchmal, vor allem wenn ich mich als Fachmann aus 20 Jahren Praxis
- mit meiner Amtszeit in Hessen, lieber Herr Bökel - an die angewandte sozialdemokratische Politik bei der Integration von Ausländern, beim Einstampfen der Hauptschulen und beim Einkassieren der Programme, die Ausländern auf dem integrativen Wege besonders nützen könnten, erinnere, wo nach all den Phrasen dann die angewandte Praxis bleibt.
Da hat sich zum Beispiel unsere Landespolitik von der nachfolgenden rot-grünen, was die Hauptschulen angeht, wesentlich unterschieden. Im Saarland werden die Hauptschulen ebenso eingestampft. Durch Hauptschulen und Ganztagsschulangebote für Ausländerkinder beispielsweise kann man einen wesentlichen integrativen Beitrag leisten. Gerade das geschieht dann auf Grund ideologisch verklemmter Bildungspolitik nicht - ein praktisches Beispiel für mehr oder weniger Integrationshilfen.
Im zweiten Teil - Schutz der inländischen Gesellschaft, und zwar ebenso von Ausländern wie von Deutschen; das ist doch ganz wichtig - hat das Gesetz mehrere wichtige Punkte angepackt. Hier ist schon zitiert worden, was der Fraktionsvorsitzende der SPD nach den Dortmunder Vorfällen zur Notwendigkeit von Gesetzesänderungen gesagt hat. Wieso ist das eigentlich ein halbes Jahr später, wenn daraus die gesetzgeberische Konsequenz gezogen wird, nicht mehr richtig?
Es ist notwendig, daß in einem Staat mit einer großen Zahl von Ausländern, die hier dauerhaft leben werden, die Regeln des Zusammenlebens klargestellt sind. Dazu gehört, daß schwerkriminelle Ausländer das Land verlassen müssen, wenn sie zu einer Freiheitsstrafe von drei oder mehr Jahren verurteilt sind. Ich frage mich eigentlich: Wer sieht das in unserem Volk anders außer ein paar Unbelehrbaren hier im Raume?
In diesem Haus gibt es drei direkt gewählte SPD-Abgeordnete aus Dortmund. Ich fordere Sie auf, in Dortmund zu diesem Thema eine große öffentliche Veranstaltung mit den Aussagen der Frau Sonntag-Wolgast abzuhalten.
Ich fordere Sie auf, in Dortmund zu erklären, warum Sie es nicht für vertretbar halten, daß Ausländer, die wegen schwerster Delikte zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren oder mehr verurteilt werden, weiter im Land bleiben sollen.
Ich fordere Sie auf zu erklären, warum unsere jetzt hier vorgeschlagene Vorschrift über Landfriedensbruch falsch ist, warum man sich im Gastland gewalttätig bei einer verbotenen Demonstration betätigen können soll, ohne das Land verlassen zu müssen.
Bundesminister Manfred Kanther
Meine Damen, meine Herren, das kann nicht richtig sein.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Cem Özdemir?
Ja.
Herr Bundesinnenminister, ist Ihnen die Umfrage bekannt, die in Berlin von Frau Barbara John, der Landesausländerbeauftragten, CDU-Mitglied, durchgeführt wurde, in der die Frage gestellt und an die deutsche Bevölkerung gerichtet wurde, ob man damit einverstanden ist, daß hier geborene Kinder nichtdeutscher Herkunft von Geburt an deutsche Staatsbürger sein sollten? Das Resultat: Mehr als 90 Prozent haben ja gesagt.
Sind Sie mit mir einer Meinung, daß dann, wenn dem so wäre, wenn das durchgeführt wäre, der Bevölkerungskreis, den Sie eben angesprochen haben, also straffällige Jugendliche, gar nicht unter das von Ihnen genannte Gesetz fallen würde?
Herr Özdemir, es nützt nichts, ich bin in diesen Fragen fast in keinem Punkt Ihrer Meinung. Es nützt auch nichts, daß Sie immer wieder vom Thema ablenken und jetzt Staatsbürgerschaftsfragen aufwerfen.
In diesem Augenblick geht es um den zweiten Teil des vorgelegten Gesetzes, in dem die Möglichkeiten, schwerkriminelle Ausländer aus diesem Land zu verweisen, niedergelegt werden. Das ist notwendig.
Das hat das Bundeskabinett am 27. März in Eckpunkten beschlossen, und das wird - nachdem die Koalition dies vereinbart hat - hier Gesetz werden. Es wird dem Rechtsfrieden in Deutschland dienen. Es wird der Akzeptanz des Ausländerrechts in Deutschland dienen, weil unsere Mitbürger erwarten, daß wir diesen Staat vor Straftätern schützen.
Herr Minister, es besteht noch ein Wunsch nach einer Zwischenfrage vom Kollegen Westerwelle.
Danke, nein, im Augenblick habe ich keinen Zwischenfragebedarf.
Unsere Mitbürger erwarten, daß dies ein wehrhafter Staat ist, mit dem man nicht an jeder Ecke Kasperle spielen kann.
Das sollte man auch dann nicht tun können, wenn man als Ausländer vorgeblich eigene politische Interessen vertritt. Das muß man mit den Mitteln dieses Staates machen und nicht mit Randale und Gewalt auf der Straße. Aus diesem Grunde müssen wir auch Ihre immerwährenden und nicht selten moralintriefenden Attacken aushalten.
Meine Damen, meine Herren, das können wir aber auch, denn ich bin ganz sicher, daß wir uns in der Gemeinschaft der überwältigenden Mehrheit unseres Volkes befinden.
Wir haben eine Fülle von ausländerrechtlichen Problemen, die jenseits-dieser Fragen liegen - Statusverbesserungen, Strafbarkeitsfragen -; zum Teil sind sie angesprochen worden. Es gibt bei uns eine große Zahl von Ausländern, die wir als Bürgerkriegsflüchtlinge aufgenommen haben, mit einer Großzügigkeit wie kein anderes Land in Europa. Wir haben immer hinzugefügt: Wenn der Konflikt vorbei ist, müssen die Bürgerkriegsflüchtlinge zurückkehren.
Wir haben ein abgestuftes Verfahren, haben uns auf Familien eingestellt, auf besondere Gruppen. Wir haben das Verfahren - das wurde von Herrn Bökel richtig wiedergegeben - korrigiert, als wir gesehen haben, daß es so schnell nicht geht, haben die Frist verlängert und die Gruppen eingegrenzt. Der gegenwärtige Stand ist, daß diejenigen ab 1. Oktober zurückkehren sollen, die aus den vom Weltflüchtlingskommissariat als Aufbauregion gekennzeichneten Gegenden Bosnien-Herzegowinas kommen.
Dabei kann nicht sichergestellt werden, daß jeder zu seinem Wohnsitz zurückkehrt, weil er das möglicherweise auch nicht will, weil dort eine andere ethnische Majorität herrscht, der er sich nicht wieder aussetzen will. Aber die Alternative kann doch nicht lauten, daß man dann, wenn man nicht dorthin zurückkehren will, woher man stammt, und auch dorthin nicht zurückkehren will, wohin man zurückkehren könnte, weil man dort zur eigenen ethnischen Majorität kommt, auf Dauer in Deutschland bleibt. Das ist eine nicht mögliche Alternative.
Sie überfordert uns und auch die Bereitschaft der Deutschen zur Hilfe im schrecklichen Wiederholungsfalle, wenn es ihn denn geben sollte. Wir alle hoffen, daß es nicht geschieht.
Herr Bökel, es wäre viel zu der hessischen Ausländerpolitik zu bemerken, angefangen bei der Aufhebung Ihrer Erlasse durch den Verwaltungsgerichtshof in Hessen - das spare ich mir jetzt, dazu reicht die Zeit nicht.
Es ist erfreulich, daß es in mehreren Punkten gelungen ist - deshalb sind von mir laute und harte Töne in der ausländerpolitischen Debatte nicht zu hören -, mit den 17 Innenministern der Republik ein-
Bundesminister Manfred Kanther
heitliche Lösungen zu finden, so zum Beispiel bei einer Härtefallregelung für solche, die lange hier sind. Aber es heißt schon, die Dinge auf den Kopf zu stellen, Herr Bökel, wenn man zunächst fünf Jahre die Neuordnung des Asylrechtes verweigert und anschließend die Tatsache beklagt, daß sehr viele hereingekommen sind und jetzt mit und ohne Bleiberecht im Land sind, so daß man schließlich die Angelegenheit mit einer Härtefallregelung versehen muß.
Sie werden auch verstehen, daß wir denselben Weg mit anderen Flüchtlingsgruppen nicht erneut gehen wollen, daß wir also nicht alle zwei oder drei Jahre immer wieder neue Härtefallregelungen erlassen wollen. Wir glauben auch, daß das gar nicht im Sinne der Flüchtlinge ist.
Nun ist die Frage nach einer Staatsangehörigkeitsdatei gestellt worden, die seit unvordenklicher Zeit geführt wird. Sie enthält etwa zwei Millionen Eintragungen, die insbesondere in die Zeiten des nationalsozialistischen Unrechtes der Aberkennung von Staatsbürgerschaften und all dem, was dazugehört, zurückreichen. Sie ist bei der Umstellung des Ausländerzentralregisters 1983 auf jetzt etwa 900 000 Ausländer, die als Eingebürgerte nicht mehr im Ausländerzentralregister geführt werden, erweitert worden. Die beim Bundesverwaltungsamt geführte Datei dient zu Beweiszwecken zum Nutzen der darin aufgeführten Personen. Lieber Gott, kann jemand überhaupt diese Mücke erkennen, die Sie hier steigen lassen? Diese Datei wird also zu Beweiszwecken zum Nutzen der vormaligen Ausländer geführt.
Auch insoweit wird das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum Datenschutz umgesetzt. Es räumt dem Gesetzgeber und den Verwaltungen einen Übergangsbonus ein. Im Zusammenhang mit der Neuordnung des Staatsbürgerschaftsrechtes - hier vielfach angesprochen - wird diese Datei, bisher auf das Bundesverwaltungsamtsgesetz gestützt, eine neue Rechtsgrundlage erhalten. Das ist der ganze Sachverhalt.
Es ist ein Symptom für die Debatte, wie sie manche führen, verehrte Kollegen aus der Opposition, welche Verbalinjurien mir gegenüber an einen solchen Sachverhalt geknüpft worden sind. Das ist eine blanke Unverschämtheit und verletzt den politischen Stil, wie nicht selten in ausländerrechtlichen Debatten.
Ich würde den betroffenen Personen Steine statt Brot geben, wenn diese Datei nicht geführt würde. Sie stammt aus dem Anfang der 80er Jahre und wahrlich nicht von mir. Binnen kurzem erhält sie eine neue Rechtsgrundlage.
Ich glaube, daß ich damit zu den Punkten, die hier noch diskussionswürdig waren, Stellung genommen habe und lasse es dabei bewenden.
Danke sehr.
Zur Kurzintervention erhält Herr Kollege Westerwelle das Wort.
Ich wollte nur auf einen Punkt hinweisen: Es ist im Rahmen der Rede und der Entgegnung von Herrn Kollegen Özdemir der Eindruck entstanden, daß die jetzt zu beschließende Regelung, also Abschiebung bei einer entsprechenden Freiheitsstrafe von drei Jahren oder mehr, im Widerspruch zur notwendigen Neuregelung des Staatsangehörigkeitsrechts stehe. Ich möchte hier ausdrücklich klarstellen, daß ich diese Auffassung überhaupt nicht teile. Kein Land der Erde käme auf die Idee, jemanden einzubürgern, der im eigenen Land zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren oder mehr verurteilt worden ist. Es ist geradezu grotesk, sich vorzustellen, daß beispielsweise die USA jemanden einbürgern und ihm die amerikanische Staatsangehörigkeit geben würden, der vorher tatsächlich in so erheblicher Weise straffällig geworden ist.
Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen. Ich bitte um etwas Ruhe, weil es sich um ein Abstimmungsmarathon handelt. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung straf-, ausländer- und asylverfahrensrechtlicher Vorschriften. Das sind die Drucksachen 13/4948 und 13/ 5986, Nr. 1. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/6093 vor, über den wir zuerst abstimmen. Die Fraktion der SPD verlangt zu den einzelnen Nummern ihres Änderungsantrages getrennte Abstimmungen. Das ist jetzt dieses Abstimmungsmarathon.
Wir stimmen zuerst über Nr. I des Änderungsantrags der SPD ab. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Nr. I ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt worden.
Nr. II 1. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Nr. II 1 ist mit demselben Stimmenverhältnis abgelehnt worden.
Nr. II 2. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Nr. II 2 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion der SPD bei Enthaltung der Gruppe der PDS abgelehnt worden.
Nr. II 3. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Nr. II 3 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt worden.
Nr. II 4. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Nr. II 4 ist mit demselben Stimmenverhältnis wie eben abgelehnt worden.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Nr. 11 5. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Nr. II 5 ist mit demselben Stimmenverhältnis wie eben abgelehnt worden.
Nr. II6. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Nr. II 6 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der SPD bei Enthaltung der Gruppe der PDS abgelehnt worden.
Nr. II 7. Wer stimmt zu? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Nr. II 7 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion der SPD bei Enthaltung der Gruppe der PDS abgelehnt worden.
Nr. II 8. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Nr. II 8 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und der SPD bei Enthaltung der Gruppe der PDS abgelehnt worden.
Nr. II 9. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Nr. II 9 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt worden.
Nr. 111 1. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Nr. III 1 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion der SPD und der Gruppe der PDS bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt worden.
Nr. III 2. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Nr. III 2 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Gruppe der PDS abgelehnt worden.
Nr. III 3. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Nr. III 3 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Gruppe der PDS abgelehnt worden. Damit ist der Änderungsantrag insgesamt abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6105. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt worden.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Die Fraktion der CDU/CSU verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Die Urne vorne rechts von mir ist noch nicht besetzt. Es tut mir leid, ich kann die Abstimmung nicht eröffnen, bevor die beiden Schriftführer, die hier vorne vorgesehen sind, an ihren Plätzen sind. - Alle Urnen
sind jetzt besetzt. Ich eröffne damit die Abstimmung. -
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? -
Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6104. Auch die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen verlangt namentliche Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Ich eröffne die Abstimmung. -
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das nicht abgestimmt hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben.*)
Wir setzen die Beratungen fort. Ich muß Sie bitten, sich jetzt wieder an Ihre Plätze zu begeben.
Ich teile Ihnen zunächst das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Schlußabstimmung über den Gesetzentwurf zur Änderung straf-, ausländer- und asylverfahrensrechtlicher Vorschriften der CDU/CSU und der F.D.P. mit. Abgegebene Stimmen: 634. Mit Ja haben gestimmt: 325. Mit Nein haben gestimmt: 307. Enthaltungen: 2. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen.
*) Seite 12386 B
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 634 davon:
ja: 325
nein: 307
enthalten: 2
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Altmaier
Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten
Dr. Wolf Bauer
Brigitte Baumeister Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank
Dr. Heribert Blens Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig
Rudolf Braun
Paul Breuer
Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Klaus Bühler Hartmut Büttner
Dankward Buwitt
Manfred Carstens Peter Harry Carstensen
Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Gertrud Dempwolf Albert Deß
Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjürgen Doss
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn
Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Horst Eylmann
Anke Eymer
Ilse Falk
Jochen Feilcke
Dr. Karl H. Fell
Ulf Fink
Dirk Fischer Leni Fischer (Unna)
Klaus Francke Herbert Frankenhauser Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger
Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler Michael Glos
Wilma Glücklich
Dr. Reinhard Göhner Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres
Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund
Horst Günther Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke
Gerda Hasselfeldt
Otto Hauser Hansgeorg Hauser
Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Manfred Heise
Dr. Renate Hellwig Ernst Hinsken
Peter Hintze
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Peter Jacoby
Susanne Jaffke
Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst Dr.-Ing. Rainer Jork
Michael Jung Ulrich Junghanns
Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder
Peter Keller
Eckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl Manfred Kolbe
Norbert Königshofen Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus
Wolfgang Krause Andreas Krautscheid
Arnulf Kriedner Heinz-Jürgen Kronberg Dr.-Ing. Paul Krüger
Reiner Krziskewitz Dr. Hermann Kues Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers
Karl Lamers
Helmut Lamp Armin Laschet Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs Karl-Josef Laumann
Werner Lensing Christian Lenzer Peter Letzgus Editha Limbach
Walter Link Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann
Julius Louven Sigrun Löwisch Heinrich Lummer Dr. Michael Luther
Erich Maaß Dr. Dietrich Mahlo
Erwin Marschewski Günter Marten
Dr. Martin Mayer
Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl
Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz
Rudolf Meyer
Hans Michelbach Meinolf Michels Dr. Gerd Müller
Elmar Müller Engelbert Nelle
Bernd Neumann Johannes Nitsch
Claudia Nolte Dr. Rolf Olderog Friedhelm Ost Eduard Oswald
Norbert Otto
Dr. Gerhard Päselt Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch
Ulrich Petzoid Anton Pfeifer
Dr. Gero Pfennig
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp Ronald Pofalla
Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer Rolf Rau
Helmut Rauber Peter Rauen
Otto Regenspurger
Christa Reichard Klaus Dieter Reichardt
Dr. Bertold Reinartz
Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik
Roland Richter Roland Richwien Dr. Norbert Rieder
Dr. Erich Riedl Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Hannelore Rönsch
Dr. Klaus Rose Kurt J. Rossmanith
Adolf Roth
Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers
Roland Sauer Ortrun Schätzle
Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte
Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee Ulrich Schmalz Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt Dr.-Ing. Joachim Schmidt
Andreas Schmidt Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz
Michael von Schmude
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff
Dr. Dieter Schulte
Gerhard Schulz (Leipzig) Frederick Schulze Diethard Schütze (Berlin) Clemens Schwalbe
Dr. Christian Schwarz-Schilling
Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer
Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert
Rudolf Seiters Johannes Selle Bernd Siebert Jürgen Sikora
Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Dr. Gerhard Stoltenberg
Andreas Storm Max Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Egon Susset
Dr. Rita Süssmuth Michael Teiser
Dr. Susanne Tiemann Dr. Klaus Töpfer
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall
Wolfgang Vogt
Dr. Horst Waffenschmidt
Dr. Theodor Waigel
Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Jürgen Warnke
Kersten Wetzel Hans-Otto Wilhelm
Gert Willner
Bernd Wilz
Willy Wimmer
Matthias Wissmann Dr. Fritz Wittmann Dagmar Wöhrl
Michael Wonneberger
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer
Wolfgang Zeitlmann Benno Zierer
Wolfgang Zöller
F.D.P.
Ina Albowitz
Dr. Gisela Babel Hildebrecht Braun
Jörg van Essen
Dr. Olaf Feldmann Paul K. Friedhoff Horst Friedrich Rainer Funke
Hans-Dietrich Genscher
Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther
Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Helmut Haussmann
Ulrich Heinrich Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer
Detlef Kleinert Roland Kohn
Dr. Heinrich L. Kolb Jürgen Koppelin
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Dr. Otto Graf Lambsdorff
Uwe Lühr
Jürgen W. Möllemann Günther Friedrich Nolting
Dr. Rainer Ortleb Lisa Peters
Dr. Günter Rexrodt Dr. Klaus Röhl
Helmut Schäfer Cornelia Schmalz-Jacobsen
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Dr. Wolfgang Weng
Dr. Guido Westerwelle
Nein
SPD
Gerd Andres
Robert Antretter Hermann Bachmaier Ernst Bahr
Doris Barnett
Klaus Barthel
Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Rudolf Bindig
Arne Börnsen
Anni Brandt-Elsweier Tilo Braune
Dr. Eberhard Brecht Edelgard Bulmahn Ursula Burchardt Hans Martin Bury Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Peter Conradi
Christel Deichmann Karl Diller
Dr. Marliese Dobberthien
Peter Dreßen
Rudolf Dreßler
Freimut Duve
Ludwig Eich
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger Annette Faße
Elke Ferner
Lothar Fischer Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski Dagmar Freitag Anke Fuchs Katrin Fuchs (Verl) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Norbert Gansel
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Günter Graf Angelika Graf (Rosenheim) Dieter Grasedieck
Achim Großmann Karl Hermann Haack
Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach
Dr. Liesel Hartenstein Klaus Hasenfratz
Dr. Ingomar Hauchler Dieter Heistermann Reinhold Hemker Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum
Uwe Hiksch
Reinhold Hiller Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann Frank Hofmann (Volkach) Ingrid Holzhüter
Erwin Horn
Eike Hovermann Lothar Ibrügger Wolfgang Ilte
Barbara Imhof
Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger
Jann-Peter Janssen Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung Sabine Kaspereit Susanne Kastner
Ernst Kastning Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer
Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper Nicolette Kressl Volker Kröning Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Konrad Kunick Christine Kurzhals Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange Detlev von Larcher Waltraud Lehn Robert Leidinger Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard Klaus Lohmann Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga Dieter Maaß Winfried Mante Dorle Marx
Ulrike Mascher Christoph Matschie Ingrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck Markus Meckel
Ulrike Mehl
Herbert Meißner Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer Ursula Mogg
Siegmar Mosdorf
Michael Müller Jutta Müller (Völklingen) Christian Müller (Zittau) Volker Neumann (Bramsche) Gerhard Neumann (Gotha) Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Doris Odendahl Günter Oesinghaus Leyla Onur
Manfred Opel Adolf Ostertag Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Rudolf Purps
Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse Renate Rennebach Otto Reschke
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter Günter Rixe
Reinhold Robbe
Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch Dieter Schanz
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Siegfried Scheffler Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Günter Schluckebier Horst Schmidbauer
Ulla Schmidt Dagmar Schmidt (Meschede) Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Ottmar Schreiner
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann
Brigitte Schulte Reinhard Schultz (Everswinkel)
Volkmar Schultz Dr. R. Werner Schuster
Dietmar Schütz Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Lisa Seuster
Erika Simm
Johannes Singer
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge
Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller
Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler
Dr. Peter Struck
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Dr. Bodo Teichmann Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Dietmar Thieser
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin
Günter Verheugen Ute Vogt
Karsten D. Voigt Hans Georg Wagner
Hans Wallow
Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis Matthias Weisheit Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen Jochen Welt
Hildegard Wester Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Norbert Wieczorek Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz
Berthold Wittich
Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Gila Altmann Elisabeth Altmann
Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Angelika Beer
Matthias Berninger Annelie Buntenbach Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid
Andrea Fischer Joseph Fischer (Frankfurt) Rita Grießhaber
Gerald Häfner
Antje Hermenau Kristin Heyne
Michaele Hustedt Dr. Manuel Kiper Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack Vera Lengsfeld
Dr. Helmut Lippelt Oswald Metzger Kerstin Müller Winfried Nachtwei Christa Nickels
Egbert Nitsch Cern Özdemir
Gerd Poppe
Simone Probst
Halo Saibold
Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Albert Schmidt Wolfgang Schmitt
Ursula Schönberger Waltraud Schoppe Werner Schulz Marina Steindor Christian Sterzing Manfred Such
Dr. Antje Vollmer Ludger Volmer
Helmut Wilhelm Margareta Wolf (Frankfurt)
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
PDS
Wolfgang Bierstedt
Petra Bläss Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Dr. Ludwig Elm
Dr. Dagmar Enkelmann
Dr. Ruth Fuchs
Dr. Gregor Gysi
Hanns-Peter Hartmann
Dr. Uwe-Jens Heuer
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Köhne Rolf Kutzmutz
Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth
Dr. Günther Maleuda Manfred Müller Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel Klaus-Jürgen Warnick Dr. Winfried Wolf Gerhard Zwerenz
Enthalten
SPD
Hans-Ulrich Klose Ilse Schumann
Ich möchte, bevor wir fortfahren, einen Gast auf der Tribüne begrüßen. Es ist die Vizepräsidentin der Französischen Nationalversammlung, der Assemblée Nationale, Madame Catala. Herzlich willkommen!
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6108. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS abgelehnt worden.
Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Ausländergesetzes, Drucksache 13/189. Der Innenausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/5986 unter Nr. 2, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen worden.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit demselben Stimmenverhältnis wie eben angenommen worden.
Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Aufenthaltsrechts. Das sind die Drucksachen 13/3941 und 13/4340. Der Innenausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/5986 unter Nr. 3, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD und dem Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der PDS angenommen worden.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie in der zweiten Beratung angenommen worden.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des Ausländergesetzes auf Drucksache 13/191. Der Innenausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/5986 unter Nr. 4, den Gesetzentwurf abzulehnen.
Ich lasse über den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 13/191 abstimmen. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der PDS abgelehnt worden.
Abstimmung über den Gesetzentwurf der SPD zur Änderung des Ausländergesetzes auf Drucksache 13/767. Der Innenausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/5986 unter Nr. 5, den Gesetzentwurf abzulehnen.
Ich lasse über den Gesetzentwurf der SPD auf Drucksache 13/767 abstimmen. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der SPD bei Enthaltung der PDS abgelehnt worden.
Abstimmung über den Gesetzentwurf der PDS zur Änderung des Ausländergesetzes auf Drucksache 13/1104. Der Innenausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/5986 unter Nr. 6, den Gesetzentwurf abzulehnen.
Ich lasse jetzt über den Gesetzentwurf der PDS auf Drucksache 13/1104 abstimmen. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS abgelehnt worden.
Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung des Ausländergesetzes auf Drucksache 13/1194. Der Innenausschuß empfiehlt unter Nr. 7, auch diesen Gesetzentwurf abzulehnen.
Ich lasse über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/1194 abstimmen. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS abgelehnt worden.
Wir kommen zum Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung des Ausländergesetzes auf Drucksache 13/1426. Der Innenausschuß empfiehlt unter Nr. 8, den Gesetzentwurf abzulehnen.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Ich lasse über den Gesetzentwurf von Bündnis 90/ Die Grünen auf Drucksache 13/1426 abstimmen. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS abgelehnt worden.
Wir kommen zum Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes auf Drucksache 13/3331. Der Innenausschuß empfiehlt unter Nr. 9, den Gesetzentwurf abzulehnen.
Ich lasse über den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 13/3331 abstimmen. Wer stimmt dafür? -
- Zur Klarstellung: Es handelt sich um den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 13/3331.
- Ich bitte um Ruhe. - Ich bitte um Ruhe. Ich wiederhole: Wir stimmen über den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 13/3331 ab. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses abgelehnt worden.
Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Ich teile jetzt das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der zweiten namentlichen Abstimmung mit. Abgegebene Stimmen: 634. Mit Ja haben gestimmt: 72. Mit Nein haben gestimmt: 554. Enthaltungen: 8. Der Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist damit abgelehnt worden.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 633 davon:
ja: 72
nein: 554
enthalten: 7
Ja
CDU/CSU
Dr. Bernd Klaußner
SPD
Gernot Erler
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Gila Altmann Elisabeth Altmann
Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Angelika Beer
Matthias Berninger Annelie Buntenbach Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid
Andrea Fischer Joseph Fischer (Frankfurt) Rita Grießhaber
Gerald Häfner
Antje Hermenau Kristin Heyne
Michaele Hustedt Dr. Manuel Kiper Monika Knoche Dr. Angelika Köster-Loßack
Vera Lengsfeld
Dr. Helmut Lippelt Oswald Metzger Kerstin Müller Winfried Nachtwei Christa Nickels
Egbert Nitsch Cem Özdemir
Gerd Poppe
Simone Probst Halo Saibold Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk Albert Schmidt Wolfgang Schmitt
Ursula Schönberger Waltraud Schoppe
Werner Schulz Marina Steindor Christian Sterzing Manfred Such
Dr. Antje Vollmer Ludger Volmer
Helmut Wilhelm Margareta Wolf (Frankfurt)
PDS
Wolfgang Bierstedt
Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Dr. Ludwig Elm
Dr. Dagmar Enkelmann
Dr. Ruth Fuchs Dr. Gregor Gysi Hanns-Peter Hartmann
Dr. Uwe-Jens Heuer
Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner Rolf Köhne
Rolf Kutzmutz Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth
Dr. Günther Maleuda Manfred Müller Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel Klaus-Jürgen Warnick
Dr. Winfried Wolf
Gerhard Zwerenz
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam Peter Altmaier
Anneliese Augustin
Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten
Dr. Wolf Bauer Brigitte Baumeister Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank
Dr. Heribert Blens Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig
Rudolf Braun
Paul Breuer
Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Klaus Bühler Hartmut Büttner
Dankward Buwitt
Manfred Carstens Peter Harry Carstensen
Wolfgang Dehnel Hubert Deittert
Gertrud Dempwolf Albert Deß
Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjürgen Doss Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn
Wollgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Horst Eylmann
Anke Eymer
Ilse Falk
Jochen Feilcke
Dr. Karl H. Fell
Ulf Fink
Dirk Fischer
Leni Fischer
Klaus Francke Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler Michael Glos
Wilma Glücklich
Dr. Reinhard Göhner Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres
Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund
Horst Günther Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke
Gerda Hasselfeldt
Otto Hauser Hansgeorg Hauser
Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Manfred Heise
Dr. Renate Hellwig Ernst Hinsken
Peter Hintze
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster
Hubert Hüppe Peter Jacoby
Susanne Jaffke Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst Dr.-Ing. Rainer Jork
Michael Jung Ulrich Junghanns
Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder
Peter Keller
Eckart von Klaeden Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl Manfred Kolbe Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus
Wolfgang Krause Andreas Krautscheid
Arnulf Kriedner Heinz-Jürgen Kronberg Dr.-Ing. Paul Krüger
Reiner Krziskewitz Dr. Hermann Kues Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers
Karl Lamers
Helmut Lamp Armin Laschet Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs Karl-Josef Laumann
Werner Lensing Christian Lenzer Peter Letzgus Editha Limbach
Walter Link Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann
Julius Louven Sigrun Löwisch Heinrich Lummer Dr. Michael Luther
Erich Maaß Dr. Dietrich Mahlo
Erwin Marschewski Günter Marten
Dr. Martin Mayer
Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl
Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz
Rudolf Meyer
Hans Michelbach
Meinolf Michels Dr. Gerd Müller
Elmar Müller Engelbert Nelle
Bernd Neumann Johannes Nitsch
Claudia Nolte Dr. Rolf Olderog Friedhelm Ost Eduard Oswald
Norbert Otto
Dr. Gerhard Päselt
Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch Ulrich Petzold Anton Pfeifer
Dr. Gero Pfennig
Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp Ronald Pofalla
Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Dieter Pützhofen Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Rolf Rau
Helmut Rauber Peter Rauen
Otto Regenspurger
Christa Reichard Klaus Dieter Reichardt
Dr. Bertold Reinartz
Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik
Roland Richter Roland Richwien Dr. Norbert Rieder
Dr. Erich Riedl Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Hannelore Rönsch
Dr. Klaus Rose Kurt J. Rossmanith
Adolf Roth Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers
Roland Sauer Ortrun Schätzle
Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte
Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee Ulrich Schmalz Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt Dr.-Ing. Joachim Schmidt
Andreas Schmidt Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz
Michael von Schmude
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr von Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff Dr. Dieter Schulte
Gerhard Schulz (Leipzig) Frederick Schulze Diethard Schütze (Berlin) Clemens Schwalbe
Dr. Christian SchwarzSchilling
Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer
Wilfried Seibel
Heinz-Georg Seiffert Rudolf Seiters
Johannes Selle
Bernd Siebert
Jürgen Sikora
Johannes Singhammer Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger
Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten
Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Michael Stübgen
Egon Susset
Dr. Rita Süssmuth Michael Teiser
Dr. Susanne Tiemann Dr. Klaus Töpfer
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall
Wolfgang Vogt Dr. Horst Waffenschmidt Dr. Theodor Waigel
Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Jürgen Warnke
Kersten Wetzel
Hans-Otto Wilhelm Gert Willner
Bernd Wilz
Willy Wimmer Matthias Wissmann Dr. Fritz Wittmann Dagmar Wöhrl
Michael Wonneberger Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer
Wolfgang Zeitlmann Benno Zierer
Wolfgang Zöller
SPD
Gerd Andres
Robert Antretter
Hermann Bachmaier Ernst Bahr
Doris Barnett
Klaus Barthel
Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Rudolf Bindig
Arne Börnsen Anni Brandt-Elsweier
Tilo Braune
Dr. Eberhard Brecht
Ursula Burchardt
Hans Martin Bury
Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi
Christel Deichmann
Karl Diller
Dr. Marliese Dobberthien
Peter Dreßen Rudolf Dreßler Freimut Duve Ludwig Eich Peter Enders Petra Ernstberger
Annette Faße Elke Ferner
Lothar Fischer Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Dagmar Freitag Anke Fuchs
Katrin Fuchs
Monika Ganseforth
Norbert Gansel Konrad Gilges Iris Gleicke Günter Gloser Uwe Göllner
Günter Graf Angelika Graf (Rosenheim) Dieter Grasedieck
Achim Großmann
Karl Hermann Haack
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach
Dr. Liesel Hartenstein
Klaus Hasenfratz
Dr. Ingomar Hauchler
Dieter Heistermann
Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Monika Heubaum
Uwe Hiksch
Reinhold Hiller Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann Frank Hofmann (Volkach) Ingrid Holzhüter
Erwin Horn
Eike Hovermann
Lothar Ibrügger Wolfgang Ilte Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen
Renate Jäger Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Ernst Kastning Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Hans-Ulrich Klose
Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Nicolette Kressl Volker Kröning Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Konrad Kunick Christine Kurzhals Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange Detlev von Larcher
Waltraud Lehn Robert Leidinger Klaus Lennartz Dr. Elke Leonhard
Klaus Lohmann Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß Winfried Mante Dorle Marx
Ulrike Mascher Christoph Matschie
Ingrid Matthäus-Maier Markus Meckel
Ulrike Mehl
Herbert Meißner Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer Ursula Mogg
Siegmar Mosdorf
Michael Müller Jutta Müller (Völklingen) Christian Müller (Zittau) Volker Neumann (Bramsche) Gerhard Neumann (Gotha) Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese Doris Odendahl
Günter Oesinghaus
Leyla Onur
Manfred Opel Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein
Dr. Eckhart Pick Joachim Poß Rudolf Purps
Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter Reinhold Robbe Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht
Dr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Dieter Schanz
Rudolf Scharping Bernd Scheelen Siegfried Scheffler
Horst Schild Otto Schily
Dieter Schloten Günter Schluckebier
Horst Schmidbauer
Ulla Schmidt Dagmar Schmidt (Meschede) Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt Dr. Emil Schnell Walter Schöler Ottmar Schreiner Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
Brigitte Schulte Reinhard Schultz
Volkmar Schultz (Köln)
Ilse Schumann
Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Lisa Seuster
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge
Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler
Dr. Peter Struck Joachim Tappe Jörg Tauss
Dr. Bodo Teichmann Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Dietmar Thieser Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin
Günter Verheugen Ute Vogt
Karsten D. Voigt Hans Georg Wagner
Hans Wallow
Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis Matthias Weisheit Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen Jochen Welt
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Norbert Wieczorek Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz
Berthold Wittich
Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley
F.D.P.
Ina Albowitz
Dr. Gisela Babel Hildebrecht Braun
Jörg van Essen
Dr. Olaf Feldmann
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich
Rainer Funke
Hans-Dietrich Genscher Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Detlef Kleinert Roland Kohn
Dr. Heinrich L. Kolb
Jürgen Koppelin
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Dr. Otto Graf Lambsdorff Uwe Lühr
Jürgen W. Möllemann Günther Friedrich Nolting Dr. Rainer Ortleb
Lisa Peters
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Klaus Röhl
Helmut Schäfer Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Hermann Otto Sohns Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Weng
Dr. Guido Westerwelle
Enthalten
SPD
Edelgard Bulmahn Arne Fuhrmann Heide Mattischeck Adolf Ostertag
Otto Reschke
Günter Rixe
Hildegard Wester
Wir fahren in den einfachen Abstimmungen fort. Abstimmung über den Gesetzentwurf der PDS zur Änderung des Ausländergesetzes auf Drucksache 13/3626. Der Innenausschuß empfiehlt unter Nr. 10, den Gesetzentwurf abzulehnen.
- Herr Kollege Gansel, wollen Sie eine Erklärung zur Abstimmung abgeben oder zum Vorgehen? Bitte lassen Sie das doch über den Geschäftsführer machen. Wir sind mitten in der Abstimmung; da ist eigentlich kein Platz für Erklärungen.
- Damit das für das Protokoll klar ist: Die Ablehnung zu Drucksache 13/3331 erfolgte bei einer Ja-Stimme und einer Enthaltung aus der SPD.
Abstimmung über den Gesetzentwurf der PDS zur Änderung des Ausländergesetzes auf Drucksache 13/3626. Der Innenausschuß empfiehlt unter Nr. 10, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf der PDS auf Drucksache 13/3626 abstimmen. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS abgelehnt worden.
Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Ausländergesetzes auf Drucksache 13/4981. Der Innenausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/4986 unter Nr. 11, auch diesen Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 13/4981 abstimmen. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Opposition abgelehnt worden.
Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des Ausländergesetzes auf Drucksache 13/190. Der Innenausschuß empfiehlt unter Nr. 12, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse nun über den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 13/190 abstimmen. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt worden.
Wir kommen damit zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/6107. Die SPD verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze an den Urnen einzunehmen. - Die Abstimmung ist eröffnet. -
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgeben hat? - Das ist nicht der Fall. Damit schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis wird später bekanntgegeben.*)
Wir haben noch weitere Abstimmungen vor uns. Deswegen bitte ich, wieder Platz zu nehmen.
Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD zu einem besonderen Aufenthaltsstatus für Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge, Drucksache 13/5986 Nr. 13: Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/741 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der PDS angenommen worden.
Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Gruppe der PDS zu einem Abschiebestopp für algerische Flüchtlinge, Drucksache 13/ 5986 Nr. 14: Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/1891 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen des Bündnisses 90/Die Grünen und der PDS angenommen worden.
Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Verhinderung von Abschiebungen in den Sudan, Drucksache 13/5986 Nr. 15: Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/2361 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen des Bündnisses 90/Die Grünen bei Ent-
*) Seite 12391 C
haltung der SPD und Zustimmung der PDS angenommen worden. - Das Ergebnis ist nicht ganz klar. Ich bitte, die Abstimmung wiederholen zu dürfen. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/2361 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen des Bündnisses 90/ Die Grünen bei Enthaltung der SPD angenommen worden.
Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen zum Schutz für Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge: Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/3430 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen des Bündnisses 90/Die Grünen bei Enthaltung der SPD angenommen worden.
Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu einer Altfallregelung für seit langem hier lebende Asylsuchende, Drucksache 13/5986 Nr. 17: Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/3877 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen des Bündnisses 90/Die Grünen bei Enthaltung der PDS angenommen worden.
Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu einer menschenrechtlich orientierten Asyl- und Flüchtlingspolitik, Drucksache 13/5986 Nr. 18: Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/ 4379 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen des Bündnisses 90/Die Grünen und der PDS angenommen worden.
Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu einer Beschränkung der Abschiebungshaft von Ausländerinnen und Ausländern, Drucksache 13/5986 Nr. 19: Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/107 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen des Bündnisses 90/Die Grünen und der PDS angenommen worden.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD zur Änderung des Ausländergesetzes und des Asylverfahrensgesetzes, Drucksache 13/ 809. Der Innenausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/4685, den Gesetzentwurf abzulehnen.
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Ich lasse über den Gesetzentwurf der SPD auf Drucksache 13/809 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Gesetzentwurf gegen die Stimmen der SPD mit den Stimmen der Koalition, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS abgelehnt worden ist.
Damit entfällt nach der Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Ich rufe die Beschlußempfehlung des Innenausschusses zum Entwurf des Bundesrates zur Änderung des Ausländergesetzes auf; das ist die Drucksache 13/4685. Der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 13/1188 für erledigt zu erklären. Wer für diese Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen des Hauses bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen angenommen worden ist.
Dann rufe ich die Beschlußempfehlung des Innenausschusses zum Entwurf des Bundesrates zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes auf; das ist die Drucksache 13/4685. Der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 13/ 1189 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit allen Stimmen des Hauses angenommen worden ist.
Dann rufe ich die Beschlußempfehlung des Innenausschusses zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen zu einem Aufenthaltsrecht für Flüchtlinge mit langem Aufenthalt, Drucksache 13/4685, auf. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/2550 abzulehnen. Wer für diese Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS angenommen worden ist.
Dann rufe ich die Beschlußempfehlung des Innenausschusses zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen zu einem Bleiberecht für vietnamesische Vertragsarbeitnehmerinnen und Vertragsarbeitnehmer der ehemaligen DDR, Drucksache 13/1745, auf. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/231 abzulehnen. Wer für diese Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit demselben Stimmenverhältnis angenommen worden ist.
Dann rufe ich die Beschlußempfehlung des Innenausschusses zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen zur Verhinderung der Abschiebung von Flüchtlingen aus den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien, Drucksache 13/2261, auf. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/90 abzulehnen. Wer für diese Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung wiederum mit demselben Stimmenverhältnis angenommen worden ist.
Ich rufe die Beschlußempfehlung des Innenausschusses zum Antrag der Fraktion der SPD zu einem Abschiebestopp für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure aus Rest-Jugoslawien, Drucksache 13/2261, auf. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/830 abzulehnen. Wer für diese Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition und gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden ist.
Ich rufe die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der SPD zur Koordinierung der Aufnahme von Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlingen in der Europäischen Union auf Drucksache 13/6058 auf. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/4084 abzulehnen. Wer dem Antrag des Ausschusses zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe. - Stimmenthaltungen? - Bitte, Frau Kollegin.
Herr Präsident, ich bitte um Vergebung, daß ich unterbreche. Stimmen wir über die Beschlußempfehlung oder über den Antrag ab?
Da die Abstimmungsfrage nicht klar war, wiederhole ich: Ich lasse über die Beschlußempfehlung des Ausschusses abstimmen, die zum Inhalt hat, den Antrag der Fraktion der SPD abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe. - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen und der Gruppe der PDS angenommen worden ist.
Ich rufe die Beschlußempfehlung des Innenausschusses zum Antrag der Fraktion der SPD zur, Herausnahme von Ghana aus der Liste der sicheren Herkunftsstaaten auf Drucksache 13/5075 auf. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/3329 abzulehnen. Wer für diese Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe. - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit demselben Stimmenverhältnis wie eben angenommen worden ist.
Es ist beantragt worden, den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Großen Anfrage zum sogenannten Flughafenverfahren auf Drucksache 13/6106 federführend an den Innenausschuß und mitberatend an den Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu überweisen. Darf ich feststellen, daß dazu allseitiges Einverständnis
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
besteht? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Dann rufe ich die Beschlußempfehlung des Innenausschusses zum Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zur Regierungserklärung zur Friedensvereinbarung in Bosnien auf Drucksache 13/4592 auf. Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 13/3220 anzunehmen. Wer für diese Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. Gegenprobe. - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung angenommen worden ist mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen und einer Stimme aus der SPD bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD.
Ich rufe die Beschlußempfehlung des Innenausschusses zum Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Regierungserklärung zur Friedensvereinbarung in Bosnien auf Drucksache 13/4592 auf. Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 13/3136 abzulehnen. Wer dieser Beschlußempfehlung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe. - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung angenommen worden ist mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/ CSU, F.D.P. und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS.
Interfraktionell wird die Überweisung der Anträge der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P. sowie der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Lage der Kosovo-Albaner auf den Drucksachen 13/5705 und 13/5752 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Ich stelle fest, daß damit allseitiges Einverständnis besteht. Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Dann kommen wir jetzt zur Abstimmung über den Antrag der PDS zum Schutz der Menschenwürde bosnischer Bürgerkriegsflüchtlinge und Umsetzung des zivilen Teiles des Daytoner Abkommens auf Drucksache 13/6085. Wer diesem Antrag der Gruppe der PDS zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Antrag mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen und der Gruppe der PDS abgelehnt worden ist.
Dann gebe ich das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zum Gesetzentwurf des Bundesrates, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Ausländergesetzes, Drucksache 13/6107, bekannt. Abgegebene Stimmen: 633. Mit Ja haben gestimmt: 240. Mit Nein haben gestimmt: 392. Enthaltungen: 1. Der Gesetzentwurf ist damit abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 633; davon:
ja: 240
nein: 392
enthalten: 1
Ja
CDU/CSU
Dr. Jürgen Warnke SPD
Gerd Andres
Robert Antretter Hermann Bachmaier Ernst Bahr
Doris Barnett
Klaus Barthel
Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Rudolf Bindig
Arne Börnsen Anni Brandt-Elsweier
Tilo Braune
Dr. Eberhard Brecht Edelgard Bulmahn Ursula Burchardt Hans Martin Bury Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi
Christel Deichmann Karl Diller
Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen
Rudolf Dreßler
Freimut Duve
Ludwig Eich
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger Annette Faße
Elke Ferner
Lothar Fischer Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski Dagmar Freitag Anke Fuchs Katrin Fuchs (Verl) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Norbert Gansel Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Günter Graf Angelika Graf (Rosenheim) Dieter Grasedieck
Achim Großmann Karl Hermann Haack
Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach Dr. Liesel Hartenstein
Klaus Hasenfratz
Dr. Ingomar Hauchler
Dieter Heistermann Reinhold Hemker Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe Hiksch
Reinhold Hiller Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann Frank Hofmann (Volkach) Ingrid Holzhüter
Erwin Horn
Eike Hovermann Lothar Ibrügger Wolfgang Ilte Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung Sabine Kaspereit Susanne Kastner
Ernst Kastning Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose
Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper Nicolette Kressl Volker Kröning Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Konrad Kunick Christine Kurzhals Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange Detlev von Larcher Waltraud Lehn Robert Leidinger Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard Klaus Lohmann Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß
Winfried Mante Dorle Marx
Ulrike Mascher Christoph Matschie
Ingrid Matthäus-Maier
Heide Mattischeck Markus Meckel Ulrike Mehl
Herbert Meißner Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer Ursula Mogg
Siegmar Mosdorf
Michael Müller Jutta Müller (Völklingen) Christian Müller (Zittau)
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Volker Neumann Gerhard Neumann (Gotha) Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Doris Odendahl
Günter Oesinghaus Leyla Onur
Manfred Opel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth Dr. Willfried Penner Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Rudolf Purps
Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse Renate Rennebach Otto Reschke
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter Günter Rixe
Reinhold Robbe
Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch Dieter Schanz
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Siegfried Scheffler Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Günter Schluckebier Horst Schmidbauer
Ulla Schmidt Dagmar Schmidt (Meschede) Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Ottmar Schreiner
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann
Brigitte Schulte Reinhard Schultz (Everswinkel)
Volkmar Schultz Ilse Schumann
Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Lisa Seuster
Erika Simm
Johannes Singer
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge
Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller
Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler
Dr. Peter Struck
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Dr. Bodo Teichmann Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Dietmar Thieser Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin
Günter Verheugen Ute Vogt
Karsten D. Voigt Hans Georg Wagner
Hans Wallow
Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis Matthias Weisheit Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen Jochen Welt
Hildegard Wester Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Norbert Wieczorek Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz
Berthold Wittich
Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Altmaier
Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten
Dr. Wolf Bauer
Brigitte Baumeister Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank
Dr. Heribert Blens Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig
Rudolf Braun Paul Breuer
Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Klaus Bühler Hartmut Büttner
Dankward Buwitt Manfred Carstens (Emstek)
Peter Harry Carstensen
Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Gertrud Dempwolf Albert Deß
Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjürgen Doss Dr. Alfred Dregger
Maria Eichhorn Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann
Heinz Dieter Eßmann Horst Eylmann
Anke Eymer Ilse Falk
Jochen Feilcke Dr. Karl H. Fell Ulf Fink
Dirk Fischer Leni Fischer (Unna)
Klaus Francke Herbert Frankenhauser Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger
Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler Michael Glos Wilma Glücklich
Dr. Reinhard Göhner Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund
Horst Günther Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke
Gerda Hasselfeldt
Otto Hauser Hansgeorg Hauser
Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Manfred Heise
Dr. Renate Hellwig
Ernst Hinsken Peter Hintze
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster
Hubert Hüppe Peter Jacoby Susanne Jaffke Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst Dr.-Ing. Rainer Jork
Michael Jung Ulrich Junghanns
Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther
Irmgard Karwatzki Volker Kauder Peter Keller
Eckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl Manfred Kolbe Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus
Wolfgang Krause Arnulf Kriedner Heinz-Jürgen Kronberg Dr.-Ing. Paul Krüger
Reiner Krziskewitz Dr. Hermann Kues Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers
Karl Lamers
Helmut Lamp Armin Laschet Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs Karl-Josef Laumann Werner Lensing Christian Lenzer Peter Letzgus Editha Limbach
Walter Link Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann
Julius Louven Sigrun Löwisch Heinrich Lummer Dr. Michael Luther
Erich Maaß Dr. Dietrich Mahlo
Erwin Marschewski Günter Marten
Dr. Martin Mayer
Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl
Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz
Rudolf Meyer Hans Michelbach Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Elmar Müller Engelbert Nelle
Bernd Neumann Johannes Nitsch
Claudia Nolte Dr. Rolf Olderog Friedhelm Ost Eduard Oswald
Norbert Otto
Dr. Gerhard Päselt Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch
Ulrich Petzold Anton Pfeifer
Dr. Gero Pfennig
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Ronald Pofalla
Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Dieter Pützhofen Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Rolf Rau
Helmut Rauber Peter Rauen
Otto Regenspurger
Christa Reichard Klaus Dieter Reichardt
Dr. Bertold Reinartz
Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik
Roland Richter Roland Richwien Dr. Norbert Rieder
Dr. Erich Riedl Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer Hannelore Rönsch
Dr. Klaus Rose Kurt J. Rossmanith
Adolf Roth
Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers
Roland Sauer Ortrun Schätzle
Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte
Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee Ulrich Schmalz Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
Andreas Schmidt Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz
Michael von Schmude
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff
Dr. Dieter Schulte
Gerhard Schulz (Leipzig) Frederick Schulze Diethard Schütze (Berlin) Clemens Schwalbe
Dr. Christian Schwarz-Schilling
Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer
Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert
Rudoll Seiters Johannes Selle Bernd Siebert Jürgen Sikora
Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm
Max Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Egon Susset
Dr. Rita Süssmuth Michael Teiser
Dr. Susanne Tiemann
Dr. Klaus Töpfer
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall Wolfgang Vogt
Dr. Horst Waffenschmidt
Dr. Theodor Waigel
Alois Graf von Waldburg-Zeil Kersten Wetzel
Hans-Otto Wilhelm Gert Willner
Bernd Wilz
Willy Wimmer Matthias Wissmann Dr. Fritz Wittmann Dagmar Wöhrl Michael Wonneberger
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer Wolfgang Zeitlmann
Benno Zierer
Wolfgang Zöller
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Gila Altmann Elisabeth Altmann
Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Angelika Beer
Matthias Berninger Annelie Buntenbach
Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid
Andrea Fischer Joseph Fischer (Frankfurt) Rita Grießhaber
Gerald Häfner Antje Hermenau Kristin Heyne
Michaele Hustedt Dr. Manuel Kiper Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack Vera Lengsfeld
Dr. Helmut Lippelt Oswald Metzger Kerstin Müller Winfried Nachtwei Christa Nickels
Egbert Nitsch Cem Özdemir
Gerd Poppe
Simone Probst Halo Saibold
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk Albert Schmidt Wolfgang Schmitt
Ursula Schönberger Waltraud Schoppe
Werner Schulz Marina Steindor
Christian Sterzing
Manfred Such
Dr. Antje Vollmer
Ludger Volmer
Helmut Wilhelm Margareta Wolf (Frankfurt)
F.D.P.
Ina Albowitz
Dr. Gisela Babel Hildebrecht Braun
Jörg van Essen
Dr. Olaf Feldmann Paul K. Friedhoff Horst Friedrich
Rainer Funke
Hans-Dietrich Genscher
Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther
Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich
Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer
Detlef Kleinert Roland Kohn
Dr. Heinrich L. Kolb Jürgen Koppelin
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Dr. Otto Graf Lambsdorff Uwe Lühr
Jürgen W. Möllemann Günther Friedrich Nolting
Dr. Rainer Ortleb Lisa Peters
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Klaus Röhl
Helmut Schäfer Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Hermann Otto Sohns
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Weng
Dr. Guido Westerwelle
PDS
Wolfgang Bierstedt Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter Dr. Ludwig Elm
Dr. Dagmar Enkelmann Dr. Ruth Fuchs
Dr. Gregor Gysi
Hanns-Peter Hartmann Dr. Uwe-Jens Heuer Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner Rolf Köhne
Rolf Kutzmutz
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Dr. Günther Maleuda Manfred Müller Rosel Neuhäuser Klaus-Jürgen Warnick Dr. Winfried Wolf Gerhard Zwerenz
Enthalten
PDS
Dr. Uwe-Jens Rössel
Dann rufe ich die Tagesordnungspunkte 16a bis j und den Zusatzpunkt 4 auf:
16. Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten und anderer Gesetze
- Drucksache 13/5418 -
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Innenausschuß
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beschränkung der Haftung Minder-
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
jähriger
- Drucksache 13/5624 —
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 4. November 1995 zur Änderung des Vierten AKP-EGAbkommens von Lomé sowie zu den mit diesem Abkommen in Zusammenhang stehenden weiteren Übereinkünften
- Drucksache 13/5903 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft
Auswärtiger Ausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Haushaltsausschuß
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 13. Dezember 1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Simbabwe über den Luftverkehr
- Drucksache 13/5904 - Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr Finanzausschuß
e) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Rechtspflege-Anpassungsgesetzes - RpflAnpG
- Drucksache 13/6039 —
Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß
f) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von § 152 des Bundessozialhilfegesetzes
- Drucksache 13/6089 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Gesundheit
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Höfken, Steffi Lemke und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Verbot der Käfighaltung von Legehennen
- Drucksache 13/4039 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuß für Gesundheit
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Marion Caspers-Merk, Michael Müller , Hermann Bachmaier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Eckpunkte für eine Altautoverordnung
- Drucksache 13/5984 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Verkehr
i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Marion Caspers-Merk, Dr. Angelica Schwall-Düren, Michael Müller , weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Eckpunkte für eine Altreifenverordnung
- Drucksache 13/5985 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Wirtschaft
j) Beratung des Antrags der Abgeordneten Siegfried Vergin, Wolfgang Thierse, Ernst Bahr, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Erinnerung und Gedenken an den Auf-
stand in der DDR am 17. Juni 1953
- Drucksache 13/6048 —
Überweisungsvorschlag: Innenausschuß
ZP4 Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren
Beratung des Antrags der Abgeordneten Petra Bläss, Dr. Heidi Knake-Werner und der Gruppe der PDS
Sozialversicherungspflicht für jede bezahlte Arbeitsstunde
- Drucksache 13/6090 —
Überweisungsvors chlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Beim Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Abkommen zur Änderung des Vierten AKP-EG-Abkommens von Lomé soll die Federführung beim Auswärtigen Ausschuß liegen. Darf ich feststellen, ob damit Übereinstimmung besteht? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Dann rufe ich die Tagesordnungspunkte 17 a bis j und den Zusatzpunkt 5 auf. Es handelt sich um die Beschlußfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 a auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 3. November 1994 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik über die gemeinsame Staatsgrenze
- Drucksache 13/5020 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses
- Drucksache 13/5852 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Karl-Heinz Hornhues
Der Auswärtige Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/5852, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf einstimmig angenommen worden ist.
Dann rufe ich den Tagesordnungspunkt 17 b auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Internationalen Naturkautschuk-Übereinkommen von 1995
- Drucksache 13/5019 -
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des
Ausschusses für Wirtschaft
- Drucksache 13/5861 -
Berichterstattung: Abgeordneter Jürgen Türk
bb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 13/5862 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Kurt J. Rossmanith Dr. Wolfgang Weng Manfred Hampel
Antje Hermenau
Der Ausschuß für Wirtschaft empfiehlt auf Drucksache 13/5861, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß auch dieser Gesetzentwurf einstimmig angenommen worden ist.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 c auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Veräußerung von Teilzeitnutzungsrechten an Wohngebäuden
- Drucksache 13/4185 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
- Drucksache 13/5865 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Wolfgang Frhr. von Stetten Dr. Eckhart Pick
Detlef Kleinert
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung in zweiter Lesung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf in zweiter Lesung mit den Stimmen des Hauses bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS angenommen worden ist.
Ich komme zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Gesetzentwurf in dritter Lesung mit demselben Stimmenverhältnis wie in der zweiten angenommen worden ist.
Dann rufe ich den Tagesordnungspunkt 17 d auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ältestenrates zu dem Antrag der Abgeordneten Jella Teuchner, Ludger Volmer, Elisabeth Altmann sowie weiterer Abgeordneter
Bonn-Berlin-Umzug verschieben - Staatsfinanzen konsolidieren
- Drucksachen 13/5581, 13/5859 -
Der Ältestenrat empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/5581 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Ältestenrates zustimmt, bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen des Hauses bei Stimmenthaltungen aus der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden ist.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 e auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr.-Ing. Dietmar Kansy, Peter Götz, Werner Dörflinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Hildebrecht Braun , Dr. Klaus Röhl, Horst Friedrich und der Fraktion der F.D.P.
Umsetzung der HABITAT II-Empfehlungen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Volkmar Schultz , Ingrid Becker-Inglau, Adelheid Tröscher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Siedlungspolitik mit der Agenda von HABITAT II in Einklang bringen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig, Dr. Angelika Köster-Loßack, Amke Dietert-Scheuer, weitere Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
Einlösung der Versprechen von Rio auf der VN-Konferenz HABITAT II in Istanbul
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
- zu dem Entschließungsantrag des Abgeordneten Klaus-Jürgen Warnick und der Gruppe der PDS zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Siedlungsentwicklung und Siedlungspolitik Nationalbericht Deutschland
- Drucksachen 13/4951, 13/4966, 13/4919, 13/
3679, 13/4370, 13/6059 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Volkmar Schultz Peter Götz
Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU und F.D.P. zur Umsetzung der HABITAT II-Empfehlungen, Drucksache 13/6059 Nr. 1. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/4951 anzunehmen. Wer dieser Beschlußempfehlung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion der SPD bei Stimmenthaltungen im übrigen angenommen worden ist.
Ich rufe die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Siedlungspolitik und Agenda von HABITAT II auf. Das ist die Drucksache 13/6059 Nr. 2. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/4966 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden ist.
Ich rufe die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Einlösung der Versprechen von Rio auf der UN-Konferenz HABITAT II in Istanbul, Drucksache 13/6059 Nr. 3 auf. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/4919 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD und gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS angenommen worden ist.
Ich rufe die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zum Entschließungsantrag der Gruppe der PDS zum Bericht der Bundesregierung zur Siedlungsentwicklung und Siedlungspolitik, Drucksache 13/6059 Nr. 4 auf. Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 13/4370 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen?
- Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD gegen die Stimmen der Gruppe der PDS bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden ist.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 f auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über den Stand der Verhandlungen in der Internationalen Walfangkommission , insbesondere hinsichtlich der Überprüfung des weltweiten Verbots des kommerziellen Walfangs (Moratorium)
- Drucksachen 13/3969, 13/4401 Nr. 3, 13/5943 -
Berichterstattung: Abgeordneter Ernst Bahr
Ich rufe die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zum Bericht der Bundesregierung über den Stand der Verhandlungen in der Internationalen Walfangkommission, Drucksache 13/5943 auf. Wer der Beschlußempfehlung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen.
- Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung einmütig angenommen worden ist.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 g und h auf:
g) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Haushaltsführung 1996;
Einwilligung in eine überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 11 12 Titel 616 31
- Zuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit -
- Drucksachen 13/5699 , 13/5770 Nr. 5, 13/5853 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Konstanze Wegner Dietrich Austermann
Antje Hermenau
Ina Albowitz
h) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Haushaltsführung 1996;
Überplanmäßige Ausgaben bei Kapitel 11 12 Titel 681 01
- Arbeitslosenhilfe -
- Drucksachen 13/5698, 13/5770 Nr. 4, 13/5854 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Konstanze Wegner Dietrich Austermann
Antje Hermenau
Ina Albowitz
Ich rufe die Beschlußempfehlungen des Haushaltsausschusses zu überplanmäßigen Ausgaben, Drucksachen 13/5853 und 13/5854 auf. Es handelt sich um einen Zuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit und um Arbeitslosenhilfe. Wer den Beschlußempfehlungen zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß auch diese Beschlußempfehlungen einmütig angenommen worden sind.
Wir kommen zu den Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17i auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 156 zu Petitionen
- Drucksache 13/5988 -
Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen des Hauses bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS angenommen worden ist.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17j auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 157 zu Petitionen
- Drucksache 13/5989 -
Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD, gegen die Stimmen der Gruppe der PDS und bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen ist.
Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 29. Mai 1996 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Russischen Föderation zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen
- Drucksache 13/5686 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
- Drucksache 13/6062 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Volker Kröning Friedrich Merz
Der Finanzausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/ 6062, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Gesetzentwurf einstimmig angenommen worden ist.
Ich rufe auf die Tagesordnungspunkte 4 a und b:
a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Heimgesetzes
- Drucksache 13/2347 -
- Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Heimgesetzes
- Drucksache 13/372 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
- Drucksache 13/6086 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Anke Eymer
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Heidemarie Lüth
Irmingard Schewe-Gerigk Lisa Seuster
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Andrea Fischer (Berlin), Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Neuorientierung der Politik für ältere Menschen - grundlegende Reform des Heimgesetzes
- Drucksachen 13/1322, 13/6086 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Anke Eymer
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Heidemarie Lüth
Irmingard Schewe-Gerigk Lisa Seuster
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Anke Eymer.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Heute wollen wir das Heimgesetz ändern, die Kurzzeitpflege soll einbezogen werden. Dies ist ein wichtiger Punkt der geplanten Änderung.
Wir alle wollen, daß der Schutz des älteren pflegebedürftigen Menschen gewährleistet ist, egal, ob er für kurze oder längere Zeit gepflegt werden muß.
Warum ist die Kurzzeitpflege so wichtig? Zum einen deshalb, weil zum Beispiel nach einer schweren Krankheit ein vorübergehender Pflegebedarf bestehen kann, und dieser kann nicht immer durch häusliche Pflege gedeckt werden.
Kurzzeitpflegeeinrichtungen sind aber auch deshalb wichtig, um pflegende Familienangehörige zu entlasten, zum Beispiel dann, wenn sie selbst einmal krank werden oder im Urlaub sind. In solchen Fällen ist es oft in kürzester Zeit erforderlich, den pflegebedürftigen Menschen in einer Einrichtung unterzubringen.
Die Einbeziehung der Kurzzeitpflege in das Heimgesetz gibt sowohl den Betroffenen als auch den Angehörigen die Sicherheit, daß Mindeststandards eingehalten werden. Wer wie die Bündnisgrünen Kurzzeitpflege mit Rehabilitation verwechselt, verkennt die Hauptaufgabe. Gerade weil in Krisensituationen geholfen werden soll, ist es sinnvoll, die Kurzzeitpflege in das Heimgesetz einzubeziehen, und ich sehe diese auch nicht als Vorstufe zur Heimeinweisung. Kurzzeitpflege liegt nämlich nur dann vor, wenn sie nicht länger als vier Wochen dauert.
Des weiteren wird bestimmt, daß für Kurzzeitpflegeeinrichtungen Mindeststandards gelten sollen, die in einer gesonderten Rechtsverordnung festgelegt werden. Dabei gilt es, ein vernünftiges Maß zu finden. Deshalb haben wir beschlossen, daß bei der Festlegung der Mindeststandards für Kurzzeitpflege besonders folgende Punkte zu berücksichtigen sind: erstens, daß die Kurzzeitpflege nur von vorübergehender Natur ist, zweitens, in welchem Umfang Pflegebedürftigkeit beim aufzunehmenden Personenkreis besteht, und drittens, ob die Rehabilitation zur Rückkehr in die eigene Wohnung durchgeführt wird. Mit dieser Regelung ist sichergestellt, daß pflegebedürftige Menschen in Kurzzeitpflegeeinrichtungen ausreichend geschützt sind. Durch die Einbeziehung der Kurzzeitpflege in das Heimgesetz wird außerdem der Heimaufsicht die Möglichkeit gegeben, bei Mißständen einzuschreiten.
Ein weiterer wesentlicher Punkt der Änderung des Heimgesetzes ist die Gleichbehandlung aller Träger. Sie erinnern sich: Zunächst hatten wir vorgesehen, für alle Träger eine vorsorgliche Beratungspflicht einzuführen. Diese wurde, wenn auch aus sehr unterschiedlichen Gründen, von den meisten Heimträgern kritisiert. Diesem Umstand haben wir mit unserem Änderungsantrag Rechnung getragen. Statt einer präventiven Beratung haben wir eine Anzeigepflicht für alle Heimträger eingeführt und dabei das Ziel erreicht, freigemeinnützige und private Träger gleich zu behandeln.
Somit entfällt die bisherige Unterscheidung: lediglich Anzeigepflicht für freigemeinnützige Träger und Genehmigungspflicht für private Träger. Dies ist ein eindeutiger Vorteil gegenüber dem Gesetzentwurf des Bundesrates, der an der alten Erlaubnispflicht festhält.
Wer mehr Aufgaben an Private geben will, wer Wettbewerb will, der muß auch alle gleichbehandeln. Deshalb brauchen wir eine Gleichstellung aller Bewerber.
Unser Gesetzentwurf legt außerdem fest: Wer eine Pflegeeinrichtung eröffnen will, muß dies der Heimaufsicht drei Monate vor Aufnahme des Heimbetriebes anzeigen. Mit dieser Anzeige sind umfangreiche Unterlagen vorzulegen, die der Heimaufsicht eine genaue Prüfung ermöglichen. Wir haben in unserem Gesetzentwurf auch festgelegt, welche Voraussetzungen für den Betrieb eines Heimes vorliegen müssen. Werden diese nicht erfüllt, so muß die Heimaufsicht den Betrieb untersagen. Zu diesen Voraussetzungen gehören unter anderem: die notwendige Zuverlässigkeit des Heimträgers, insbesondere die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, die Einhaltung der Mindestvoraussetzungen, die Wahrung der Interessen und Bedürfnisse der Bewohner, insbesondere die ärztliche oder gesundheitliche Betreuung, und die Betreuung durch geeignetes Personal. Alleine diese Voraussetzungen sichern die Qualität der Heimbetreuung.
Wer, meine Damen und Herren, trotz solcher festgeschriebenen Kriterien behauptet, Heime könnten auf Grund mangelnder Qualität nicht mehr geschlossen werden, verunsichert unnötig Bewohner und deren Angehörige. Es darf nämlich keine Pflegeeinrichtung eröffnet werden, welche die im Gesetz verankerten Voraussetzungen nicht erfüllt. Um dies zu gewährleisten, ist eine Untersagung des Betriebs ab bestehender Anzeigepflicht möglich, das heißt: Drei Monate vor Eröffnung kann die Heimaufsicht prüfen. Kann der Mangel beseitigt werden, ist lediglich eine vorläufige Untersagung zulässig. Aufgehoben werden kann diese nur durch schriftliche Erklärung der Heimaufsicht. Diese muß die Aussage enthalten, daß die Voraussetzungen für die Untersagung entfallen sind. Neben der Untersagung hat die Heimaufsicht die Möglichkeit, bei festgestellten Mängeln Anordnungen zu erlassen. Bei Nichtbefolgen kann der Betrieb der Pflegeeinrichtung untersagt werden.
Ich meine, dieses sind genügend Möglichkeiten, um den Schutz unserer pflegebedürftigen Menschen in den Einrichtungen zu gewährleisten.
Zusammenfassend stelle ich fest, daß wir mit dem vorgelegten Gesetzentwurf ein funktionsfähiges Instrumentarium zur Verfügung stellen:
Anke Eymer
Erstens. Wir sichern die Durchsetzung von Mindestvoraussetzungen und damit den Schutz unserer pflegebedürftigen Menschen.
Zweitens. Endlich werden alle Heimträger gleichbehandelt.
Drittens. Wir verhindern, daß die Heimaufsicht an den Kurzzeitpflegeeinrichtungen vorbeigeht. Dies darf nicht sein, da der Bedarf an diesen Einrichtungen immer weiter steigen wird.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich erteile das Wort der Kollegin Lisa Seuster.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Mit der Einführung des Pflege-Versicherungsgesetzes zum 1. April 1995 hat im Bereich des Pflegeangebotes eine kleine Revolution stattgefunden. Die Wohlfahrtsverbände als traditionelle Pflegedienstanbieter haben ihr Angebot im ambulanten Pflegedienst deutlich ausgebaut. Parallel dazu ist die Zahl der privaten Pflegeanbieter erheblich angewachsen. Auch das Angebot an Dienstleistungen rund um den häuslichen Pflegebedarf ist so stark expandiert, daß der große Markt der Anbieter kaum mehr überschaubar ist.
Gleiches gilt für den stationären Pflegebereich. Noch bis vor wenigen Monaten war die Suche nach einem Pflegeplatz mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Mittlerweile gibt es teilweise sogar Überkapazitäten. Eine enorme Konkurrenz bei Investoren und Betreibern hat ein breitgefächertes Angebot an Seniorenheimen aus dem Boden sprießen lassen. Die gutsituierten Seniorinnen und Senioren sind in diesem Sektor bereits als zahlungskräftige Bewohner von sogenannten komfortablen Seniorenresidenzen entdeckt worden.
Ebenfalls große Probleme bis zur Einführung der Pflegeversicherung gab es beim Angebot qualifizierter Pflegekräfte. Uns allen ist die Diskussion über die Lösung des Problems des Pflegenotstandes noch all-zugut bekannt. Daß sich das Problem mittlerweile entschärft hat, ist auf die Eigeninitiative fast aller Bundesländer zurückzuführen. Nachdem der Bund bei der Neuregelung der Altenpflegeberufe über Jahre Handlungsunfähigkeit bewiesen hat, haben die Länder meist eine landeseigene Ausbildungsregelung beschlossen.
Angesichts dieser völlig neuen Pflegesituation müßte eine Anpassung von Pflegegesetz und Heimgesetz erfolgen. Gleiches gilt für das neugefaßte Bundessozialhilfegesetz und seine Auswirkungen auf den Pflegebereich. Als Antwort der Bundesregierung auf diese veränderten Rahmenbedingungen hätte man eine umfassende Neufassung des Heimgesetzes erwarten können.
Statt dessen haben die Koalitionsfraktionen einen Gesetzentwurf vorgelegt, der lediglich die Einbeziehung der Kurzzeitpflege in das Heimgesetz vorsieht. Selbst dieser Entwurf erweist sich als äußerst halbherzig. Da das zuständige Ministerium trotz großem Handlungsbedarf selber nichts vorgelegt hat, drängt sich die Frage nach seinem eigentlichen Sinn und Zweck auf. Bislang hat man dort die eigene Gesetzeskompetenz nur völlig unzureichend wahrgenommen.
Von daher setzt die Ministerin mit ihrer Zurückhaltung bei den heutigen Beratungen des Heimgesetzes die Tradition ihres Hauses fort.
Bereits seit mehreren Jahren gibt es eine ständig steigende Zahl von Beschwerden über verschiedene Mißstände in Kurzzeitpflegeeinrichtungen. Im Mittelpunkt der Kritik stehen hier insbesondere die Einrichtungen privater Träger. Den Aufsichtsbehörden sind bei der Überprüfung angezeigter Mißstände bislang die Hände gebunden gewesen, da die genannten Einrichtungen nicht dem Heimgesetz unterliegen. Das heißt: Man kann auf Beschwerden nicht mit aufsichtsrechtlichen Maßnahmen reagieren.
Vor diesem Hintergrund fordert die SPD-Bundestagsfraktion seit der 11. Legislaturperiode die Einbeziehung dieser Einrichtungen in das Heimgesetz. Auch der Bundesrat drängt die Regierung seit Jahren zu einer Neuregelung. Daß sich die Regierungsfraktionen jetzt rühren, ist vermutlich darauf zurückzuführen, daß die Pflegekassen infolge des Pflege-Versicherungsgesetzes Kosten von bis zu 2 800 DM pro Kalenderjahr übernehmen.
Die Regierungskoalition gibt vor, die Kurzzeitpflege mit ihrem Gesetzentwurf unter den allgemeinen Schutz des Heimgesetzes zu stellen. Das Gesetzesvorhaben, das zunächst begrüßenswert erscheint, läßt jedoch bald erkennen, worum es den Regierungsfraktionen in dieser Sache eigentlich geht, nämlich um die Senkung des Standards des Heimgesetzes. Die in § 3 des Heimgesetzes geregelte Heimpersonal- und Heimmindestbauverordnung soll ausdrücklich nicht für Kurzzeitpflegeeinrichtungen gelten. Gerade die Übertragung dieses Paragraphen war Ziel einer Gesetzesinitiative des Bundesrates, die die Fraktion der SPD auch im Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend unterstützt und ergänzt hat.
Während einer Anhörung zum Heimgesetz im Mai dieses Jahres haben bis auf den Vertreter der Privatpflegeheime alle - ich betone: alle, auch die von der Koalition eingeladenen - Verbände und Sachverständigen dem Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen eine klare Abfuhr erteilt.
Die unter diesem Druck der Anhörung von den Koalitionsfraktionen vorgelegten Änderungen Ihres Ge-
Lisa Seuster
setzentwurfs haben sich wieder als bloßer kosmetischer Eingriff entpuppt. Die Mindestanforderungen in § 3 des Heimgesetzes sind in diesen Änderungsanträgen nicht enthalten. Kurzzeitpflege wird nach wie vor nicht in das Heimgesetz unter § 3 einbezogen.
Als Lösung bieten die Regierungsfraktionen lediglich eine gesonderte Rechtsverordnung an. Frau Eymer hat gerade gesagt: Man muß dann einmal sehen, wie wir es regeln. Genau das ist der Punkt.
Es stellt sich die Frage nach dem Sinn und Zweck einer solchen Sonderregelung für Kurzzeitpflegeeinrichtungen. Soll hier der gesetzliche Einstieg in die Absenkung der Mindeststandards eingeläutet werden? Tatsache ist, daß die Regierungsfraktionen mit einem solchen Vorhaben Realitätsferne beweisen. In Anbetracht des unüberschaubaren Pflegeangebots ist die Gefahr von Mißbrauch größer denn je. Anstatt hier noch Tür und Tor zu öffnen, wären klare gesetzliche Regelungen zur Sicherung qualitativer Mindeststandards notwendig.
Schützenhilfe bei ihrem Angriff auf die Mindestpersonalverordnung erhalten die Koalitionsfraktionen durch die Spitzenverbände der Pflegekassen. In einem von ihnen vorgelegten Papier sprechen sie sich gegen Mindeststandards, wie sie der Bundesrat und die SPD fordern, aus. Sie begründen diesen Verzicht mit den neuerlich gemachten Erfahrungen im stationären Pflegebereich. Hier sind die Mindestanforderungen durch Übergangsregelungen derzeit außer Kraft gesetzt. Daher benötige man weit weniger qualifiziertes Personal, und man habe noch keinen Mißstand entdecken können.
Ich sehe die Gefahr, daß wir uns infolge der Pflegeversicherung und der Neuregelung der Kurzzeitpflege einen Qualitätsverlust im Pflegebereich einhandeln. Nicht nur das: Wir sind so auf dem besten Weg, ein Zwei-Klassen-System im Pflegesystem insgesamt zu etablieren. Sollte sich nämlich diese Art von Pflegebilligversion à la Koalitionsentwurf durchsetzen, werden die Kurzzeitpflegehäuser bei abgesenkten Personalstandards wesentlich kostengünstiger sein können.
Das wird bedeuten, daß in den Fällen, in denen die Sozialhilfe die Kosten übernehmen muß, nur noch diese Einrichtungen in Frage kommen, nämlich die preiswerteren. Lediglich von den sogenannten Selbstzahlern können dann noch die teuren, weil mit Fachpersonal arbeitenden Einrichtungen in Anspruch genommen werden.
Indem die Bundesregierung mit ihrem Gesetzentwurf bewußt den Qualitätsverlust bei der Kurzzeitpflege festschreibt, provoziert sie genau jene gesundheitlichen Risiken, die sie eigentlich durch die Kurzzeitpflege verhindern will: dauernde Pflegebedürftigkeit und verschlechterte Rehabilitationschancen.
Was das für die betroffenen Pflegebedürftigen und
ihre Angehören bedeutet, brauche ich Ihnen nicht zu
schildern. Letztendlich werden so keine Pflegekosten reduziert. Statt dessen wird eine neue Kostenspirale angezogen.
Uneinigkeit zwischen den Regierungsfraktionen und den Spitzenverbänden der Pflegekassen herrscht indes bei der Frage der Heimmitwirkungsrechte. Im Zuge der gestiegenen Lebenserwartung und bei dem steigenden Anteil hochbetagter Menschen sind die Patientinnen und Patienten bei ihrem Eintritt in Pflegeeinrichtungen wesentlich älter und öfter demenziell erkrankt, als dies in der Vergangenheit der Fall war. In solchen Einrichtungen läßt sich das Mitwirkungskonzept des Heimbeirates nur schwer verwirklichen. Hier ist es dann erforderlich, einen Heimfürsprecher zu bestellen. Vorschläge an die örtlichen Gremien zur Besetzung dieses Amtes können sowohl die Heimbewohnerinnen und -bewohner, Angehörige, gesetzliche Vertreter, aber auch die Heimleitung und lokale Seniorenvertretungen machen.
Die SPD-Fraktion hat einen dahingehenden Änderungsantrag im Ausschuß eingebracht, der einer ernsthaften Überprüfung durchaus standgehalten hätte.
Ich erteile das Wort der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Anlaß der heutigen Debatte sind die zum Teil skandalösen Berichte über Mißstände in Kurzzeitpflegeeinrichtungen, insbesondere im privatgewerblichen Bereich.
Mit diesen Einrichtungen, die wie Pilze aus dem Boden schießen, ist offensichtlich eine schnelle Mark zu machen. Die Zeche zahlen die Bewohnerinnen und Bewohner: Mangelnde Betreuung, fehlendes Fachpersonal, schlechte bauliche Gegebenheiten stehen dem menschenwürdigen Altwerden Pflegebedürftiger entgegen. Da scheint es nahezuliegen, die Kurzzeitpflege unter die Schutzregelung des Heimgesetzes zu stellen.
Die Sache hat aber einen Haken: Das Heimgesetz weist eklatante Defizite auf. Trotz einer Heimmindestbauverordnung haben nur die Hälfte aller Heimbewohnerinnen und -bewohner ein Einzelzimmer.
Irmingard Schewe-Gerigk
Trotz der Heimpersonalverordnung arbeiten in vielen Heimen lediglich 20 Prozent Fachkräfte. Trotz des Mitwirkungsanspruchs sind die Selbst- und Mitbestimmungsrechte von Heimbewohnerinnen und -bewohnern unzureichend geregelt. Bei Pflegeversicherten sind einseitige Entgelterhöhungen zulässig, und zwar ohne daß der Heimträger diese begründen müßte.
Selbst daran, meine Damen und Herren von der Koalition, wollen Sie noch Abstriche machen. Wie ist es sonst zu verstehen, daß für die Kurzzeitpflege nicht die Mindeststandards des Heimgesetzes gelten sollen? Sie wollen lediglich eine Rechtsverordnung erlassen, von der niemand weiß, wie sie aussieht. Nach dem, was in diesem Hause in den letzten Monaten so an sozialem Abbau beschlossen wurde, glaubt Ihnen doch niemand, daß Sie mehr qualifiziertes Personal oder eine bessere räumliche Ausstattung vorschreiben wollen. Hier soll die Katze im Sack gekauft werden - und das zu Lasten pflegebedürftiger Menschen.
Ich komme zu einer weiteren Verschlechterung. Statt wie bisher den Betrieb eines Heimes zu genehmigen, kann ein Heim jetzt erst mal gebaut werden, ohne daß gewährleistet ist, daß es den Anforderungen entspricht. Die Bewohnerinnen und Bewohner werden es schon ausbaden. Um mit den Worten eines Sachverständigen in der Anhörung zu sprechen: Dies ist ein Rückzug des Staates aus der Schutzpflicht für alte und behinderte Menschen, und das nicht nur für die Kurzzeitpflege, wie Sie sagen - all die Änderungen sollten nur für die Kurzzeitpflege gelten -, sondern auch für die auf Dauer in Heimen lebenden Menschen.
Wir Bündnisgrünen wollen eine Wende in der Politik für alte Menschen. Das schließt eine grundlegende Veränderung des Heimgesetzes ein. Erst dann kann das Heimgesetz auch auf die Kurzzeitpflege übertragen werden.
Der Maßstab für das Heimgesetz muß der ältere geschäftsfähige Mensch sein. Wir fordern, daß die Rechte von alten Menschen, die in Heimen wohnen, gestärkt werden. Sie müssen zum Beispiel die gleichen Rechte erhalten wie Mieterinnen und Mieter und an der Gestaltung der Preise für die Heimunterbringung beteiligt werden.
Noch eines: Heime, wie sie jetzt existieren, sind für uns ein Auslaufmodell. Wohn- und Betreuungsangebote müssen so gestaltet sein, daß ältere Menschen in ihrem gewohnten Umfeld bleiben können, auch wenn sie pflegebedürftig sind. Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, haben die Chance verpaßt, die heimrechtlichen Vorschriften grundlegend zu ändern. Es reicht nicht aus, den Mund zu spitzen; man muß auch pfeifen. Wir werden Ihren Gesetzentwurf aus diesem Grunde ablehnen.
Frau Eymer, da ich noch ein wenig Redezeit habe, möchte ich gern auf Ihre Einwürfe eingehen. Sie haben gesagt, die Grünen hätten die Kurzzeitpflege mit der Rehabilitation verwechselt, haben in Ihrem Redebeitrag selbst aber das Gegenteil behauptet. Es macht natürlich einen Sinn, daß eine Person, die im Krankenhaus ist und anschließend in die Kurzzeitpflege kommt, dort eine Rehabilitation macht, um dann in die eigene Wohnung zurückzukehren. Das ist eine ganz dringende und notwendige Sache.
Danke.
Nun gebe ich das Wort der Abgeordneten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Anders als meine Vorrednerin bin ich der Meinung: Was lange währte - der Gesetzentwurf ist vom September letzten Jahres -, wird jetzt zu einem guten Abschluß geführt, und zwar unter Berücksichtigung der interessanten und wesentlichen Argumente der durchgeführten Anhörung.
Zentrales Anliegen dieser Gesetzesnovelle ist ja - alle haben es gesagt - die Einbeziehung der Kurzzeitpflege in den Anwendungsbereich des Heimgesetzes. Diesbezüglich besteht ja auch Übereinstimmung zwischen allen hier vertretenen Fraktionen und den angehörten Sachverständigen.
Es ist auch unstreitig, daß einzelne Kurzzeitpflegeeinrichtungen in der Vergangenheit nicht immer Gewähr dafür boten, daß ihre Bewohner angemessen untergebracht und mit qualifizierter Hilfe versorgt wurden. Zur Umgehung der Bestimmungen des Heimgesetzes wurde über Kettenverträge aus der Kurzzeit- auch schon einmal eine Dauerpflege. Nunmehr kann die Heimaufsicht mit ihren Mitteln auch die Heimbewohner in der Kurzzeitpflege schützen.
Um ihren Schutzauftrag wirksam erfüllen zu können, braucht die Heimaufsicht handhabbare Kriterien. Das ist die Frage nach den Mindeststandards in der Kurzzeitpflege. Selbst die Vertreter privater Heime hielten gesetzliche oder verordnungsrechtliche Mindestanforderungen für erforderlich und haben damit auch in der Anhörung das immer wieder zu hörende Vorurteil, sie würden Gewinne über die Qualität der Versorgung stellen, eindrucksvoll widerlegt.
Schließlich hat sich bei den Mindeststandards die F.D.P. mit ihrer Erkenntnis durchgesetzt, daß die starren und durch die Pflegeversicherung teilweise überholten Regelungen der Heimpersonal- und Heimmindestbauverordnung nicht einfach auf die Kurzzeitpflege übertragen werden können. Wir haben vielmehr den Weg eröffnet, mit einer neuen Rechtsverordnung gezielt und angemessen auf die Besonderheiten der Kurzzeitpflege Rücksicht nehmen zu
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
können, und zwar nicht im Wege einer Absenkung der Standards.
Auf die Situation in der Kurzzeitpflege wurde vielmehr angemessen reagiert: Wir haben zu berücksichtigen, daß es sich um eine vorübergehende Unterbringung handelt, und zu beachten, ob Rehabilitationsmaßnahmen beabsichtigt sind, die besondere Anforderungen an das Personal stellen.
Wichtig ist auch der erreichte Einstieg in die Harmonisierung des Heimgesetzes mit der Pflegeversicherung. Für die Kurzzeitpflege wird ausdrücklich eine Verbindung der beiden Regelungsbereiche - Pflegeversicherung und Heimgesetz - hergestellt.
Ich bin auch froh, daß wir die unflexible Fachkraftquote, die den Heimträgem das Personal- und Kostenmanagement erschwert und dringend benötigte Arbeitsplätze mit weniger hohen Qualifikationsanforderungen verhindert, nicht anwenden werden.
Die Gleichbehandlung aller Träger für mehr Wettbewerb und Transparenz ist seit Jahren eine Forderung der F.D.P. Nur durch die gleichberechtigte Zulassung der privaten Anbieter auf dem Feld der sozialen Dienstleistungen besteht die Chance, Strukturveränderungen herbeizuführen, die im Ergebnis zu wirtschaftlicheren Lösungen bei guter Qualität führen.
Nachdem die F.D.P. dieses Anliegen erfolgreich auch in die Pflegeversicherung eingebracht hat und nachdem auch im BSHG gegen den erbitterten Widerstand vieler schon große Fortschritte gemacht wurden, führen wir die Gleichbehandlung auch im Heimgesetz ein: An die Stelle der Erlaubnispflicht allein für private Heimbetreiber - dies wäre diskriminierend gewesen - tritt für alle Betreiber gleichermaßen die Anzeigepflicht. Drei Monate vor der geplanten Aufnahme des Heimbetriebes der Heimaufsicht prüffähige Unterlagen zur Information vorlegen zu müssen ist richtig und angemessen. So ist sichergestellt, daß reagiert werden kann, wenn die entsprechenden Anforderungen, die wir in dem Gesetz niederlegen, nicht erfüllt werden. Das ist der Einstieg in ein angemessenes und zugleich flexibles Verwaltungsverfahren, in dem der bestehende Beratungsauftrag der Aufsichtsbehörden zunehmend an Bedeutung gewinnen wird.
Wir haben die Pflichtberatung nicht vorgesehen; denn auch das hätte unserer Meinung nach angesichts der finanziellen Rahmenbedingungen nicht verantwortet werden können, weil dies eine Personalaufstockung zur Folge gehabt hätte.
Noch eine Schlußbemerkung: Ich denke, daß nach diesem guten Gesetzgebungsverfahren jetzt nicht die Notwendigkeit besteht, sofort in eine umfassende Reform des Heimgesetzes einzutreten. Ich denke, wir sollten erst einmal Erfahrungen mit diesen Änderungen sammeln.
Vielen Dank.
Nun gebe ich das Wort der Abgeordneten Heidemarie Lüth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ausgangspunkt der Entwürfe des Bundestages und des Bundesrates zur Änderung des Heimgesetzes waren der nicht ausreichende Schutz der in privat-gewerblich betriebene Kurzzeitpflegeeinrichtungen aufgenommenen Menschen und die Festlegung von Mindeststandards für die Betreuung. Der Bundesrat erweiterte seine Begründung dahin gehend, daß in den genannten Einrichtungen qualifiziertes Personal nicht im erforderlichen Umfang eingesetzt werde und häufig Hilfskräfte zum Einsatz kämen.
Das, was jetzt nach langer Diskussion und Anhörung als Entwurf vorliegt, verbessert die Dinge nicht, sondern sieht Verschlechterungen für das gesamte Heimgesetz, das selbst in höchstem Maße reformbedürftig ist, vor.
Wie in § 10 des Pflege-Versicherungsgesetzes soll der Vorrang der Wohlfahrtsverbände gebrochen werden, und dies, obgleich bei der Novellierung des Sozialhilfegesetzes - die Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger hat es bedauert - gerade § 10, der diesen Vorrang beinhaltet, nicht nur in einer Stellungnahme des Bundesrates, sondern auch durch die Beschlußfassung des Ausschusses ausdrücklich bestätigt wurde. In der Begründung hieß es damals:
Die Interessen der privat-gewerblichen Träger, Gewinne zu erzielen, sind nicht vergleichbar mit dem Selbstverständnis der Träger der Freien Wohlfahrtspflege, zum Wohle der Allgemeinheit sozial benachteiligten Personen zu helfen und sie zu betreuen.
Mit dem Ersatz des Erlaubnisvorbehalts durch eine Anzeige wird das aber de facto vollzogen.
Die in § 6 des Heimgesetzes veränderten Voraussetzungen für den Betrieb aller Heime und nicht nur für die Einrichtungen der Kurzzeitpflege sind nicht nur sehr weit interpretierbar, sondern auch nicht mehr exakt zu kontrollieren. Was da überhaupt noch die Heimaufsicht kontrollieren kann, ist mir jedenfalls unklar geblieben. Ein Beispiel: „Die Zahl der Beschäftigten und ihre persönliche und fachliche Eignung für die von ihnen ausgeübte Tätigkeit muß ausreichend sein. " „Ausreichend" ist dehnbar.
Mindestanforderungen, die gerade festgeschrieben werden sollten, sollen durch eine gesonderte Rechtsverordnung geklärt werden, die dann nicht mehr dem Bundestag vorgelegt zu werden braucht: also keine Mindestpersonal- und auch keine Mindestbauverordnung mehr, nicht mehr nur für die Kurzzeitpflege-, sondern auch für die anderen Heime.
Ganz herausgefallen ist die vielfach geforderte größere Berücksichtigung der Interessen der Heimbewohnerinnen und -bewohner durch gewählte oder in besonderem Fall durch ernannte Vertretungen, wie im Änderungsantrag der SPD vorgesehen.
Heidemarie Lüth
Fazit: Es gibt durch das Pflege-Versicherungsgesetz einen Markt, der in erhöhtem Maße gewinnträchtig wird, wenn erst die Deckelung der Pflegesätze aufgehoben wird. Da will dann natürlich - so unsere Meinung, die Meinung der PDS - die Koalition, ihrer Klientel entsprechend, die Gesetzeslage ändern, um dem freien Markt einen möglichst großen Anteil an dem Kuchen Pflegeversicherung zu ermöglichen, und das auf Kosten der älteren Heimbewohnerinnen und -bewohner.
- Gehen wir doch einmal zusammen in eine Pflegeeinrichtung! Mal sehen, wer das länger aushält, junger Mann!
Frau Kollegin, Sie haben das Wort nicht mehr.
Ich gebe nun der Parlamentarischen Staatssekretärin Gertrud Dempwolf das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Weil es im Bereich der Kurzzeitpflege Beschwerden gab, haben wir alle miteinander dieses Gesetz vorgezogen. Weil die Kurzzeitpflege im luftleeren Raum stand und nicht in das Heimgesetz eingebunden war, stehen wir heute hier und beraten abschließend diesen Gesetzentwurf.
Es ist für uns selbstverständlich, daß es hier zu keiner Einigung kommen kann; wenn ich höre, wie die Diskussion hier geführt wurde, dann wundert mich das nicht.
Mehr als die Hälfte aller Menschen in unserer Gesellschaft wird heute älter als 70 Jahre. Das ist eine Errungenschaft des 20. Jahrhunderts, die wir alle miteinander begrüßen. Deshalb muß die Politik Regelungen und Strukturen schaffen, die der steigenden Lebenserwartung der Menschen Rechnung tragen.
Ich denke, es bestehen große Unterschiede in den Denkansätzen zu dem Thema, über das wir heute sprechen. Die Berliner Altersstudie belegt, daß ältere Bürger über 70 Jahre überwiegend selbständig leben, selbständig entscheiden wollen und sich selbständig fühlen. Die Studie, die von unserem Hause wesentlich gefördert und unterstützt worden ist, zeigt zugleich, daß chronische Leiden zunehmen und insbesondere ab dem 80. Lebensjahr Einschränkungen für eine aktive und selbständige Lebensführung zu beobachten sind.
Wir müssen neue Wege gehen, damit auch diese Bürger alle Möglichkeiten zur Gestaltung ihres Alters ausschöpfen können. Das Heimgesetz und seine Modernisierung gehören dazu. Dies ist ein wesentlicher Bestandteil der Seniorenpolitik der Bundesregierung.
Der Antrag, der von den Koalitionsfraktionen vorgelegt wurde, ist ein wichtiger Baustein zur Neugestaltung des Heimrechts. Die Kurzzeitpflege muß in den Schutzbereich des Heimgesetzes einbezogen werden. Darüber sind wir uns alle einig. Wir wollen damit sicherstellen, daß die Kurzzeitpflege, die durch die Pflegeversicherung erheblich unterstützt wird, ihr Ziel erreicht.
Frau Schewe-Gerigk, es ist richtig: Wenn nach einem Krankenhausaufenthalt noch einige Wochen Rehabilitation und Pflege notwendig sind, dann bietet das die Kurzzeitpflege. Es ist aber auch richtig, daß dann, wenn der Pflegende durch Krankheit oder Urlaub ausfällt, die Kurzzeitpflege diesen Zeitraum überbrücken muß. Darum kann es für die Kurzzeitpflege keine gleichmäßigen Normen geben. Die Kurzzeitpflege muß auf die eine oder andere Situation zugeschnitten sein.
Auch der Bundesratsentwurf und der Änderungsantrag der SPD im federführenden Ausschuß wünschen die Einbeziehung der Kurzzeitpflege in das Heimgesetz. Ich sage es ganz ausdrücklich: Ich begrüße diesen Konsens und die Zusammenarbeit, die im Bereich des Heimrechts mit den Bundesländern besteht. Sie soll sich möglichst im Bereich der Kurzzeitpflege fortsetzen.
Deshalb ist ein eigenes Heimgesetz inklusive Kurzzeitpflege die beste Lösung, da die bestehende Heimpersonalverordnung und Mindestbauverordnung durch das neue Gesetz, das wir heute verabschieden, nicht berührt werden.
Frau Seuster, ich sage ganz besonders in Ihre Richtung: Kurzzeitpflege braucht einen anderen Standard als Altenpflege. Wenn ein alter Mensch für höchstens vier Wochen in ein Pflegeheim geht, kann die Unterbringung natürlich anders aussehen als bei einem Menschen, der mit allem, was er besitzt, für sein restliches Leben in ein Pflegeheim einziehen wird.
Der Antrag der Koalitionsfraktionen ist durch drei Punkte gekennzeichnet: Erstens. Um die notwendige Pflegequalität zu garantieren, werden Mindestanforderungen vorgegeben. Da sich die Kurzzeitpflege vom unbefristeten Wohnen im Heim unterscheidet, brauchen wir hierfür natürlich besondere Regelungen.
Zweitens. Das Anzeigemodell führt zur Gleichbehandlung von privat-gewerblichen und freigemeinnützigen, kirchlichen und kommunalen Heimen.
Ich sage ganz deutlich: Wir wollen das so. Wir wollen die Konkurrenz auch auf diesem Markt und in dieser Gruppierung. Ich finde, es ist richtig und wichtig, daß sich jeder das Heim aussuchen kann, in dem er leben oder auch nur für vier Wochen unterge-
Parl. Staatssekretärin Gertrud Dempwolf
bracht werden möchte. Manchmal erfolgt die Unterbringung ja auch nur während der Urlaubszeit.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Niehuis?
Das finde ich gut; denn meine Redezeit wäre sonst zu Ende gewesen. Bitte, Frau Kollegin.
Frau Staatssekretärin, wir haben ja Schwierigkeiten, Ihrem Gesetzentwurf zuzustimmen, weil wir mit der Rechtsverordnung nichts anzufangen wissen. Darum meine Frage: Könnten Sie mir kurz skizzieren, was nach dieser Rechtsverordnung für die Kurzzeitpflege anders sein wird, als es gegenwärtig im Heimgesetz geregelt ist? Wann haben wir die Rechtsverordnung zu erwarten?
Ich denke, daß wir die Rechtsverordnung jetzt schnellstens auf den Weg bringen. Alles, was ich eben zum Unterschied zwischen Kurzzeitpflege und Langzeitunterbringung gesagt habe, wird in dieser Rechtsverordnung seinen Niederschlag finden.
Ich bin sicher, daß der Verzicht auf eine Erlaubnis für die privat-gewerblichen Heime zur Deregulierung führt. Wer sein Heim dem Heimrecht entsprechend ausgestaltet hat, teilt dies spätestens drei Monate vor der vorgesehenen Betriebseröffnung der Heimaufsicht mit. Ohne weitere Bescheide, Erklärungen oder sonstige behördliche Mitteilungen kann er das Heim eröffnen. Meine Damen und Herren, das ist Deregulierung, wie wir sie uns alle miteinander wünschen.
Wir wollen diese Deregulierung. Mindeststandards, Gleichbehandlung und Deregulierung garantieren erhebliche Verbesserungen für die Pflegebedürftigen und ihre Einrichtungen. Der Antrag der Koalitionsfraktionen markiert einen erheblichen Fortschritt bei der Gestaltung von Strukturen, die den älteren Mitbürgern ein möglichst erfülltes, selbstbestimmtes und selbständiges Leben sichern.
Liebe Frau Seuster, die Koalition hat - davon bin ich aus eigener Erfahrung überzeugt - noch ganz viel Kraft und hat ganz viel Stehvermögen. Ich weiß, daß Sie das nicht besonders freut, aber es ist so.
Danke schön.
Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Heimgesetzes. Das
sind die Drucksachen 13/2347 und 13/6086 Nr. 1. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in zweiter Lesung in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition des Hauses angenommen worden ist.
Wir treten ein in die
dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Gesetzentwurf in dritter Lesung mit demselben Stimmenverhältnis angenommen worden ist.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des Heimgesetzes auf Drucksache 13/372. Der Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt auf Drucksache 13/6086 Nr. 2, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 13/372 abstimmen und bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Stimmenthaltungen im übrigen abgelehnt worden ist.
Damit entfällt nach der Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Wir stimmen ab über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu einer Neuorientierung der Politik für ältere Menschen. Das ist die Drucksache 13/6086 Nr. 3. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/1322 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS angenommen worden ist.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 c:
a) Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD
Finanzlage der Rentenversicherung
- Drucksachen 13/4161, 13/5336 -
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Bericht der Bundesregierung über die gesetzliche Rentenversicherung, insbesondere über die Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben, der Schwankungsreserve sowie des jeweils erforderlichen Beitragssatzes in den künftigen 15 Kalenderjahren gemäß § 154 SGB VI
Gutachten des Sozialbeirats zum Rentenversicherungsbericht 1995
- zu dem Antrag der Fraktion der SPD Aktuelle Finanzlage der Rentenversicherung
- zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Andrea Fischer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
zur Erklärung der Bundesregierung zur aktuellen Lage der Rentenversicherung
- Drucksachen 13/2017, 13/2973 Nr. 1, 13/
3606, 13/3630, 13/5030 -
Berichterstattung: Abgeordneter Andreas Storm
c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über die gesetzliche Rentenversicherung, insbesondere über die Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben, der Schwankungsreserve sowie des jeweils erforderlichen Beitragssatzes in den künftigen 15 Kalenderjahren gemäß § 154 SGB VI
Gutachten des Sozialbeirats zum Rentenversicherungsbericht 1996
- Drucksache 13/5370 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuß
Zum Rentenversicherungsbericht 1996 liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Bundesminister Dr. Norbert Blüm.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mit einer Selbstverständlichkeit beginnen, die dennoch offenbar immer wiederholt werden muß, weil sie vergessen werden könnte: Das Sozialsystem ist so gut wie das Beschäftigungssystem. Die Situation der Rentenversicherung ist so gut wie die Beschäftigungslage. Alle sozialen Leistungen werden aus dem laufenden Bruttosozialprodukt bezahlt.
- Ich bekenne, daß die Rede nicht neu ist. Aber in der Aufregung dieser Tage ist es gut, daß man alte Wahrheiten in Erinnerung ruft.
Es wäre nicht notwendig, diese alten Wahrheiten zu wiederholen, wenn ihnen nicht pausenlos widersprochen würde, wenn nicht der Eindruck erweckt würde, es könnte etwas verteilt werden, was nicht erwirtschaftet worden ist.
Was wir in der Sozial- und auch in der Rentenpolitik machen, ist Stellwerksarbeit: Wir verteilen. Aber das beste Stellwerk ist nichts wert, wenn die Züge nicht ausreichend fahren.
- Ja, das ist so.
Wir finanzieren die Rentenversicherung nicht aus himmlischen Quellen, sondern sie wird aus der Arbeit finanziert.
Was die Politik macht, damit sie sich nicht selbst überschätzt, ist nichts anderes, als zu verteilen. Dies ist völlig systemunabhängig. Ob kapitalgedeckt, steuer- oder beitragsfinanziert, geschöpft wird die Rentenversicherung immer aus der Arbeit.
Dies zu sagen ist deshalb wichtig, damit unsere Anstrengungen in der Sozialpolitik - auch zum Sparen - richtig als ein Beitrag zur Rentensicherheit verstanden werden. Wir sparen nicht aus Lust und Laune, sondern zur Sicherung unseres Rentensystems.
Ich kenne im übrigen kein besseres Rentensystem als unseres, auch kein sichereres. Das haben die letzten 100 Jahre bewiesen. Kein anderes System hätte zwei Weltkriege, Inflationen und Währungsreform überlebt. Deshalb - auch wenn ich mich wiederhole - leisten wir entschiedenen Widerstand gegen die Verunsicherungskampagne, unter der gerade die ältere Generation leidet. Sie sollen ihre Erfahrungen einbringen. Keine andere Versicherung hätte zwei Weltkriege - ich wiederhole mich -, Inflationen und Währungsreform überstanden.
Der größte Härtetest liegt gar nicht weit zurück; das ist die deutsche Einheit:
Vier Millionen Rentner - manches wird übergangen, wenn es erfolgreich ist - wurden über Nacht in unser Rentensystem einbezogen. Kein kapitalgedecktes System, keine Lebensversicherung hätte das geschafft. Sie hätte erst einmal Kapital ansparen müssen.
- Das ist ja gut. Ich bin sehr dafür, daß wir bei allem Streit die gemeinsame Grundlage betonen.
Bundesminister Dr. Norbert Blüm
Wir stehen in Verantwortung gegenüber einer Generation, die durch Kampagnen in Unruhe und Angst versetzt wird.
Da will ich noch einmal auf die großen Leistungen unserer Rentenversicherung hinweisen. Freilich muß sie reformiert, weiterentwickelt werden. Das ist das Gebot der Sozialpolitik. Wir waren nie revolutionär. Wir haben nie gemeint, wenn es uns in das Dach hineinregnet, brauchen wir eine Abrißbirne. Wir haben nie gemeint, wenn ein Haus umgebaut werden muß, müssen erst die Fundamente weggeräumt werden. Wir bleiben unserem Rentenversicherungssystem treu. Es gibt kein besseres. - Frau Fischer, es wäre mir sehr lieb, ich müßte dies hier nicht sagen. Ich sage dies nicht, weil es mir Spaß macht. Es muß immer wieder gesagt werden.
Jetzt noch zu der aktuellen Finanzlage, auch sie ist Gegenstand unserer Debatte. Wir haben im Herbst 1995 den Beitrag für 1996 auf 19,2 Prozent festgesetzt. Wir haben ihn auf Grund der Wirtschaftsannahmen nicht des Bundesarbeitsministeriums, sondern der Bundesregierung, gestützt auf alle Wirtschaftsinstitute, festgesetzt.
Nun ist es richtig, die Prognosen waren besser als die Realität. Auch das gehört zur Wahrheit. Dies ist wiederum ein Grund zur Anstrengung und nicht dafür, mit dem Erreichten zufrieden zu sein.
Statt 2,4 Prozent Wachstum gab es nur 1,2 Prozent, statt Beschäftigungsaufbau von 235 000 gab es einen Abbau von 315 000, statt 3,5 Millionen Arbeitslosen - alles Schätzungen - gab es 3,9 Millionen, statt 3,5 Prozent Lohnzuwachs gab es nur 2,1 Prozent. Das kann die Rentenversicherung nicht wegstecken, nicht wegwischen.
Im übrigen ist das keine Exklusivwirkung auf die Rentenversicherung. Bei den Finanzämtern passiert es mit den Steuerausfällen genauso.
Um die Wirkung richtig einzuschätzen: Rund 500 000 Beschäftigte weniger, als wir geschätzt haben, sind 5 Milliarden DM weniger Einnahmen. Aus diesem Grund und auch der Rentner wegen müssen wir alles darauf konzentrieren, die Beschäftigung zu verbessern.
1996 ist die Schwankungsreserve abgebaut worden. Die Schwankungsreserve ist das Sicherheitspolster. Wir liegen also unter dem vorgeschriebenen Sicherheitspolster. Das ist kein Grund zur Unruhe. Aber 1997 müssen wir das Sicherheitspolster wieder aufbauen. Solide Rentenpolitik braucht ein Sicherheitspolster von einer Monatsausgabe. Deshalb müssen wir die Beiträge jetzt anheben. Nicht nur wegen der aktuellen wirtschaftlichen Lage, sondern zur Auffüllung des Sicherheitspolsters von einer Monatsausgabe sind 10 Milliarden DM notwendig. Das sind 0,6 Beitragspunkte, um die Sicherheitsrücklage aufzubessern.
Hinzu kommen 0,2 Beitragspunkte, die durch die Frühverrentungswelle ausgelöst wurden. Die haben wir gestoppt. Das ist uns, auch wegen der Widerstände, nicht ganz leichtgefallen. Es ist uns allerdings mit den Sozialpartnern gelungen, sie zu stoppen. Aber der Entlastungseffekt tritt nicht von heute auf morgen ein. Die Wirkung dieses Gesetzes zeigt sich erst 1998.
Sie sehen, daß man in der Sozialpolitik, da es Besitzstands- und Vertrauensschutz gibt, Wirkungen nicht von heute auf morgen erzielt und deshalb auch nicht von der Hand in den Mund leben darf. Ohne die - attackierten - Maßnahmen im Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz würde der Beitrag bei 20,8 Prozent landen. Sie sehen, wie wichtig dieses Gesetz war.
Wir haben noch einen zweiten Teil, der gerade im Vermittlungsausschuß behandelt wird. Ich bedaure, daß es im Vermittlungsausschuß dafür keine Mehrheit gibt. Das kostet die Rentenversicherung 0,2 Beitragspunkte. Dabei ging es - dies nur zur Information - um Verwaltungskosten und nicht darum, irgendwelche Renten zurückzunehmen. Die Verwaltungskosten der Rentenversicherung sollten auf den Stand von 1994 gebracht werden. Bei 7 Milliarden DM sind das 700 Millionen DM weniger.
Dazu folgende Bemerkung: Die Rentenversicherungsträger haben den höchsten Verwaltungskostenanstieg unter allen Sozialversicherungen: 1991 bis 1995 40 Prozent. Bei der Krankenversicherung und der Bundesanstalt für Arbeit war der Anstieg mehr als 10 Prozentpunkte geringer.
Auch bezüglich der Immobilien, was wir bei der Gagfah bereits beschlossen haben, sollte ein Beschluß herbeigeführt werden. Ich bedauere, daß ein Vermittlungsergebnis nicht zustande kommt.
Ich will hinzufügen, daß ich es für notwendig halte, dem Prozeß der Entsolidarisierung, der Erosion der Solidarität, entgegenzuwirken, die bei der Scheinselbständigkeit und auch bei den geringfügigen Nebenbeschäftigungen zu beobachten ist. Wenn wir das wehrlos hinnehmen, dann werden die Zurückgebliebenen, diejenigen, die ihre Pflicht erfüllen, um so mehr zahlen müssen. Zwar ist das Programm nicht im Vermittlungsausschuß zum Zuge gekommen. Ich glaube aber, daß die Rentenreform auch die Frage aufwirft, wie wir das Auslaufen des Solidaritätsbegriffes verhindern können.
Unter diesen von mir so geschilderten Umständen wird der Rentenversicherungsbeitrag im nächsten Jahr 20,3 Prozent betragen; dies resultiert aus dem gescheiterten Vermittlungsverfahren. Er ergibt sich durch das Auffüllen der Sicherheitsreserve und auch daraus, daß wir gespart haben. Hätten wir dies nicht getan, wäre der Beitrag noch höher.
Das alles setzt verstärkt die Notwendigkeit ins öffentliche Bewußtsein, daß wir unser Rentensystem um der Sicherheit willen weiterentwickeln müssen und daß wir es finanzierungsfähig halten.
Solidarität hat sicherlich zwei Seiten: die Solidarität gegenüber der älteren Generation - sichere Renten -, aber auch die Solidarität gegenüber der jungen Generation, daß sie nicht überfordert wird. Deshalb
Bundesminister Dr. Norbert Blüm
sollten wir beim Thema Rentenversicherung aufhören, eine Generation gegen die andere auszuspielen.
- Nein.
Wir sitzen alle in einem Boot. Niemand wird überfordert. Auch die Jungen werden einmal Alte sein. Nur in dem Maße, wie die Jungen die vorhergehende Generation behandelt haben, haben sie einen Anspruch, von der nachfolgenden Generation behandelt zu werden.
Unser Rentensystem braucht mit Sicherheit einen Regelkreis, der die demographische Veränderung stärker auffängt; denn es bleibt dabei: Wenn weniger Kinder geboren werden, dann manövriert sich jede Gesellschaft in die Sackgasse. Das gilt nicht nur für die Rentenversicherung; das gilt für alles.
Freilich müssen die Kinder, die geboren werden, morgen auch Arbeit haben. Insofern geht es nicht nur um die Zahl der Kinder, sondern um eine produktive Wirtschaft, nicht um eine nostalgische Wirtschaft, die in vergangenen Zeiten ihr Heil sucht. Es geht auch um Fortschritt.
Den Bericht zur gegenwärtigen Rentenlage verbinde ich mit der Aufforderung, den Pulverdampf jetzt, wenn es geht, einmal beiseite zu lassen. Ich will mich darum bemühen, daß auf allen Seiten die Anstrengung unternommen wird, dieses System zu festigen.
Es bleibt dabei: Wir sollten den Versuch nicht aufgeben, der uns 1989 gelungen ist, nämlich die Rente aus dem Parteienstreit herauszuhalten und Konsens zu erzielen. Ob uns dies gelingt, weiß ich nicht. Es kann natürlich nicht ein Konsens um jeden Preis sein. Es lohnt aber der Anstrengung, weil das Bewußtsein für die soziale Sicherheit nicht nur von der Höhe der Leistungen abhängt, sondern auch von ihrer Berechenbarkeit. Kein anderes Sozialsystem ist so sehr mit Lebensplanung und Lebenserwartung verbunden wie die Rentenversicherung.
Deshalb lade ich bei allem Streit weiterhin zu einer Anstrengung ein, für die Grundfragen unseres Rentensystems - über Details kann man sich immer streiten - unter Einschluß der Sozialpartner eine breite Basis zu suchen.
Ich gebe dem Abgeordneten Rudolf Dreßler das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir erleben zur Zeit einen dramatischen Vertrauensverlust in die gesetzliche Rentenversicherung. Die junge Generation zieht die Verläßlichkeit der Renten in Zweifel; das erlebt man in vielen Diskussionen, auch innerhalb meiner eigenen Partei.
Noch 1995 hätte ich die Frage nach der Sicherheit der Rente mit einer klaren Feststellung beantwortet:
Erstens. Die Rentenversicherung ist auf mittlere Sicht, also für die nächsten 15 bis 20 Jahre, durch die Rentenreform 1992 gesichert.
Zweitens. Langfristig machen die bereits im Jahre 1989 diskutierten demographischen Entwicklungen eine weitere Anpassung der Rentenversicherung erforderlich.
Drittens. Diese Anpassung ist am besten im bestehenden System zu erreichen.
Inzwischen schreiben wir das Jahr 1996, fast das Ende dieses Jahres, und nun ergeben sich begründete Zweifel an der Sicherheit der Renten. Zwar hat sich an der Einschätzung der demographischen und ökonomischen Entwicklungen nichts Grundsätzliches gewandelt - im Gegenteil, die Entwicklung verläuft in etwa in dem Korridor, den wir gemeinsam 1989 noch vor dem Mauerfall zugrunde gelegt haben -, gewandelt hat sich jedoch die Haltung der anderen Volksparteien, der CDU und der CSU, zur sozialen Rentenversicherung. Das hat die Vorgehensweise der Koalition in diesem Frühjahr und Sommer bis zur Verabschiedung der Kürzungsgesetze gezeigt.
Der bestehende Grundkonsens wurde aufgekündigt, geschaffene Vertrauenstatbestände wurden mit Füßen getreten, und behutsame Korrekturen wurden zugunsten von Hauruck-Methoden über Bord geworfen. Durchgeführt wurden kurzsichtige Operationen unter dem Diktat einer ideologisch motivierten Kürzungspolitik, der die langfristig verheerenden Auswirkungen offenbar gleichgültig sind.
Die CDU/CSU ist dafür verantwortlich, daß Frauen und Männer länger arbeiten müssen, daß die gekürzte Anrechenbarkeit von Ausbildungszeiten die Rente vermindert, daß Arbeitslosigkeit und Krankheit die Rente verringern und daß die Maßnahmen zur Wiederherstellung der Arbeitskraft, die Rehabilitation, drastisch eingeschränkt werden.
Ihre Kürzungsgesetze - das wissen Sie genauso gut wie ich - treffen vorzugsweise die sozial Schwachen. Sie verletzen den Vertrauensschutz der Versicherten in eklatanter Weise und erhöhen - im Gegensatz zu Ihren Reden - tatsächlich die Arbeitslosigkeit.
Wir erleben in diesen Tagen die ersten Vorboten des kommenden Personalabbaus in den Rehabilitationseinrichtungen. Bei dieser Gelegenheit frage ich mich, wie lange die CSU in den bayerischen Kurorten dieser Entwicklung, deren Verantwortliche die Herren Waigel, Blüm und Seehofer sind, noch zusehen will.
Die Rentenreform 1992 verfolgte das Prinzip, unumgängliche Belastungen gleichermaßen auf Beitragszahler, Bund und Rentner zu verteilen und lange Vertrauensschutzfristen greifen zu lassen. Auch dieses Prinzip ist in grober Weise verletzt worden.
Rudolf Dreßler
Genauso schlimm für das Vertrauen in die Rentenversicherung ist die endlose Kakophonie dieses Herbstes mit immer neuen Vorschlägen zur Rente aus den Reihen der CDU/CSU und der F.D.P. Deshalb habe ich heute Schwierigkeiten, die Frage nach der Sicherheit der Renten zu beantworten.
Nahezu jede Woche wird aus den Reihen der CDU/CSU und F.D.P. eine neue Sau durchs Dorf getrieben. Mal wird die volle Besteuerung der Renten gefordert - Absender: Bundesregierung -, mal sollen die Rentner den vollen Krankenversicherungsbeitrag zahlen. Von weniger Rente bei zunehmendem Alter ist die Rede. Die angeblich drohende Pleite der Rentenversicherung wird beschworen. Witwen- und Waisenrenten sollen gekürzt, die Altersgrenze soll auf 67 Jahre angehoben und das Risiko der Erwerbs- und Berufsunfähigkeit soll privatisiert werden. All dieses zeigt: Teile der Koalitionsparteien sind das derzeit größte Sicherheitsrisiko für die Akzeptanz der Rentenversicherung.
All das zerstört den gesellschaftlichen Grundkonsens über die Rentenversicherung.
Die CDU-Ministerin Merkel findet es grauenvoll, wenn in jeder parlamentsfreien Woche neue Kürzungspläne diskutiert werden. Norbert Blüm nennt das Gequatsche. Am grauenvollsten ist jedoch, wenn in den Sitzungswochen des Parlaments aus diesem Gequatsche Wirklichkeit wird. Das ist am grauenvollsten.
Wir diskutieren heute den Rentenversicherungsbericht 1996. Dazu sind ein paar Zahlen angebracht: Die Rentenversicherung zahlt pro Jahr über 300 Milliarden DM an Renten. Das ist ein Drittel aller Sozialleistungen und ein Zehntel des Sozialprodukts. Damit entfallen zwei Drittel der Ausgaben aller Alterssicherungen - inklusive der Beamten- und anderer Pensionen und Lebensversicherungen - auf die Rentenzahlungen.
Der Beitragssatz betrug 1957 14 Prozent, 1975 18 Prozent, bereits 1986 lag er bei 19,2 Prozent. Dies entspricht exakt der heutigen Höhe. Bisher ist also keine dramatische Entwicklung bei den Beitragssätzen festzustellen.
Nicht zu leugnen ist gleichwohl, daß sich die Rentenversicherung gegenwärtig in akuten Finanzierungs- und Liquiditätsschwierigkeiten befindet. Dies ist zunächst die Folge der schweren Arbeitsmarktkrise, und dafür trägt diese Bundesregierung die Verantwortung.
Dies ist auch die Folge der Überlastung der Sozialversicherungssysteme, vor allem der Rentenversicherung, mit den Kosten der deutschen Einheit und mit den Kosten weiterer staatlicher Hoheitsaufgaben.
Auch hierfür trägt die Bundesregierung die Verantwortung.
- Ich habe fast darauf gewartet. Herr Heinrich, ich will Ihnen einmal etwas sagen: Im Juni 1990 habe ich unter heftigsten Angriffen der Koalitionsfraktionen die Schließung des Fremdrentengesetzes gefordert, nicht den Abbau der Leistungen, sondern die Schließung des Fremdrentengesetzes, weil der 9. November 1989 den Sachverhalt, der zum Fremdrentengesetz geführt hat, erledigt hat. Sie haben munter weitergemacht. Jetzt, vor ein paar Wochen, haben Sie den Menschen die Renten gekürzt und sie objektiv partiell in die Sozialhilfe getrieben. Sie müssen mir einmal erklären, wie logisch Ihre Politik eigentlich ist. Ich habe keine Leistungskürzungen verlangt, sondern ich habe eine saubere Finanzierung verlangt. Das ist etwas völlig anderes.
In der Debatte des Bundestages am 2. Februar 1996 habe ich der Bundesregierung angeboten, die von uns vorausgesagten Probleme der Beitragssatz-. entwicklung und der Defizite in diesem Jahr gemeinsam zu lösen. Mir wurde entgegengehalten, ich würde die alte und die junge Generation gegeneinander treiben, ich würde ein Horrorspektakel eröffnen, und das sei im übrigen alles falsch. Ich muß Ihnen heute sagen: Es stimmt, ich habe mich am 2. Februar geirrt. Ich habe nämlich hier behauptet, das Defizit betrage 10 Milliarden DM; in Wahrheit beträgt es 16 Milliarden DM. Meine Prognose, daß der Beitrag auf 20 Prozent steigen werde, ist auch falsch; er steigt auf über 20 Prozent. Aber Tatsache ist, daß Sie das, was ich Ihnen schon damals vorausgesagt habe, hier schlicht abgestritten haben.
Wir haben Ihnen vier Vorschläge gemacht, die wir am 2. Februar zu Protokoll gegeben haben. Die Regierung und auch die Koalitionsfraktionen haben keine unserer Forderungen aufgenommen und bieten heute einen Konsens an. Herr Blüm, ich muß Ihnen sagen: Sie sollten sich an Ihre eigenen Untaten vom 2. Februar bis heute erinnern. Sie sollten sich daran erinnern, daß Sie selbst diesen Konsens aufgekündigt haben. Wenn Sie einen neuen wollen, dann machen Sie bitte konkrete Angebote in der Sache;
aber machen Sie nicht an jedem Donnerstag ein Angebot für Konsens und zerstören gleichzeitig mit Ihrer Mehrheit im Bundestag den Rentenkonsens von 1989. Das geht nicht.
Gemeinsam beschlossene Gesetzessicherheit hat das letzte Kürzungspaket ebenfalls zerstört. Wir schlagen Ihnen erneut vor, für die Rentenversicherung zusätzlich zum normalen Bundeszuschuß die Aufwendungen für drei beitragsfreie Leistungen zu erstatten. Gemeint sind Leistungen, die auch von außenstehenden Personen ohne eigene Beitragslei-
Rudolf Dreßler
stung in Anspruch genommen werden. Das sind die Aufwendungen für das Fremdrentengesetz, die Aufwendungen für die Auffüllbeträge in den neuen Ländern und die Aufwendungen für das Zweite SED-Unrechtsbereinigungsgesetz. Damit keine Mißverständnisse entstehen: Wir sind nicht gegen diese Leistungen; wir sind aber dagegen, diese Kosten ausschließlich dem Beitragszahler anzulasten. Hier muß richtig finanziert werden, das heißt über Steuern.
Sie wissen genau wie ich, daß von Beginn nächsten Jahres an in jedem Fall etwa 15 Milliarden DM zusätzlich aufgebracht werden müssen. Nach Ihren Vorstellungen und nach Vorstellung der Bundesregierung zahlen das die Beitragszahler wieder allein, zur Hälfte die Unternehmen und zur anderen Hälfte die Arbeiter und Angestellten. Wenn nämlich in der nächsten Woche der Beitragssatz für 1997 verkündet werden muß, werden wir genau diese Zahlen, die sich dahinter verbergen, sehen.
Nach unserem Vorschlag könnte der Beitragssatz konstant gehalten werden. Das Geld muß sowieso aufgebracht werden. Aber ich sehe nicht ein, daß nur 80 Prozent der Erwerbstätigen dieses Geld aufbringen, während sich 20 Prozent der Erwerbstätigen, worunter übrigens auch ich mich befinde, nicht an dieser Erhöhung und Kostenstabilisierungspolitik beteiligen. Auch ich möchte beteiligt sein. Darum sage ich Ihnen: Es wäre gerechter, wenn auch Freiberufler, Selbständige, Beamte, Abgeordnete, Staatssekretäre und Minister an dieser Finanzierung beteiligt würden. Genau dies ist nicht der Fall.
Die Befreiung der Rentenversicherung von beitragsgedeckten Leistungen ist in mehrfacher Hinsicht dringend erforderlich. Erstens aus Gründen der Gerechtigkeit. Staatliche Hoheitsaufgaben sind nicht Sache einer Sozialversicherung. Erst drückt man der Rentenversicherung klassische staatliche Hoheitsaufgaben auf. Dann beschwert man sich über die Beitragshöhe. Anschließend werden die Lohnnebenkosten beklagt, und es wird bedauert, daß die Akzeptanz der Rentenversicherung zurückgehe. Bereinigt um diese staatlichen Aufgaben hätten wir heute einen Beitragssatz von 17,2 Prozent. Niemand zöge die Leistungsfähigkeit der Rentenversicherung in Zweifel. Auch Herr Biedenkopf hätte in der CDU/CSU keine Chance.
Zweitens muß diese Befreiung aus Schutzgründen gegenüber den Systemveränderern durchgeführt werden. Diese werden nämlich immer hemmungsloser. Sie geben mittlerweile offen zu, daß die Fremdbelastungen falsch seien und darüber hinaus große Probleme brächten. Trotzdem - das sagen Sie öffentlich - wollen Sie auf diese ungerechte Belastung nicht verzichten. Sie wollen sie aufrechterhalten, um, wie von ihrer Seite gesagt wird, „den Druck auf Kürzungen für Beitragszahler zu erhöhen". Prominente Vertreter dieser zynischen Methode sind die Herren Waigel und Solms, die das noch in den letzten Tagen in Interviews offen verlautbart haben. Der federführende Minister läßt das alles zu. Er schweigt und macht sich anschließend zum Vollzugsgehilfen der Gegner einer gerechten Beitragspolitik.
Wenn wir darüber diskutieren, wie es mit der Rentenversicherung weitergeht, so wiederhole ich zunächst meine Feststellung vom Anfang: Die gegenwärtigen Probleme bedeuten nicht eine grundsätzliche Krise des Systems. Auf der Grundlage der Rentenreform 1992 ist die lohnbezogene dynamische Rente auch bei den bevorstehenden Verschiebungen im Altersaufbau der Bevölkerung für mindestens 15 Jahre gesichert. Der aktuelle Beitragssatz ist sogar niedriger, als wir in 1989 unterstellt haben.
Herr Kollege Dreßler, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Fischer?
Ja, natürlich. Bitte schön.
Herr Kollege Dreßler, Sie haben sich gerade im Zusammenhang mit der Besteuerung von Lohnersatzleistungen gegen die Besteuerung auch von Renten ausgesprochen. Soweit ich die Außerungen des Parteivorsitzenden der SPD, Lafontaine, kenne, möchte sich die SPD bei der Steuerreform am BareisGutachten orientieren. Meiner Kenntnis nach ist vorgesehen, daß die Vorsorgeaufwendungen freigestellt werden und die Renten entsprechend später besteuert werden. Wie stehen Sie zu diesen Vorschlägen?
Frau Kollegin Fischer, die Bareis-Kommission hat, wie Sie wissen, im Auftrag der Bundesregierung einen Vorschlag mit einem Volumen zwischen 40 und 50 Milliarden DM gemacht. Der Vorschlag der SPD, den Eingangssteuersatz auf 19,5 Prozent festzulegen, bedarf eines Volumens von 30 Milliarden DM. Die Differenz zum Bareis-Gutachten beträgt 20 Milliarden DM. Uns nun zu unterstellen, wir griffen ausgerechnet jene Dinge aus der Bareis-Kommission auf, die Ihnen vor Augen schweben, ist mutig. Das war Ihnen gegenüber eine höfliche Formulierung. Ich könnte auch sagen: Es ist nicht gerade koscher, was Sie da machen.
Das bedeutet also: Wir haben uns nicht festgelegt. Wir wissen, daß verhandelt werden muß. Es muß innerhalb dieses Volumens von 30 Milliarden DM - das ist unser Vorschlag - aus der Bareis-Kommission etwas genommen werden. Nur eines sage ich Ihnen: Auch Sie glauben ja wohl nicht, daß das angesichts dessen, was die Damen und Herren der Regierungskoalition hinterlassen haben, schmerzfrei ginge.
- Gut, dann sind wir uns ja einig.
Rudolf Dreßler
- Wieso hat sie mich nicht gefreut? Frau Dr. Babel, Sie können morgen anfangen, mit mir darüber zu diskutieren, welche Vorschläge wir aus dem Bareis-Gutachten aufgreifen. Das ist doch überhaupt kein Problem. Ich stelle jedoch zunächst einmal fest, daß Sie sich bis heute weigern, mit uns darüber in konkrete Verhandlungen einzusteigen. Das ist doch der Punkt. Sie fabulieren doch nur von morgens bis abends, sie wollten den Spitzensteuersatz um, ich glaube, 15 Prozentpunkte senken, um diejenigen, die Schwierigkeiten mit der Einkommensteuererklärung haben, mit weiteren Schwierigkeiten zu beglücken. Damit können Sie doch nicht bei uns landen. Wo gibt es denn so etwas?
Ich komme zum Thema Rente zurück. Wir wissen, daß es aus heutiger Sicht für die Zeit nach 2010 zusätzliche ungelöste Finanzierungsprobleme gibt. Das war uns allen bekannt. Ich hatte das ausgeführt. Trotzdem gibt es keinen Grund, von der lohn- und beitragsbezogenen Rente abzugehen und die Altersversorgung auf eine Einheitsrente auf einem etwas höheren Niveau als die Sozialhilfe zu reduzieren.
Ich will an dieser Stelle daran erinnern, was die Folge wäre, wenn die Propheten aus dem Lager der CDU/CSU weitere Chancen bekämen, die junge Generation zu verunsichern.
Die heute arbeitende Generation würde doppelt belastet. Alle bisher mit Beiträgen aufgebauten Ansprüche der jeweils Älteren müßten natürlich weiterhin durch die aktiv im Arbeitsleben Stehenden bezahlt werden, wobei es gleich ist, ob diese Ansprüche über Steuern oder Beiträge befriedigt werden müssen. Gleichzeitig wird die Generation, die selbst noch zahlen muß, für die später anstehende eigene Altersversorgung auf die Grundrente auf Sozialhilfeniveau verwiesen, so daß über die Altlasten hinaus noch zusätzlich eigene private Vorsorge für das Alter in erheblichem Umfang fällig wird.
Eine ganze Generation müßte also ihren Lebensstandard in erheblichem Umfang einschränken. Sie müßte de facto zweimal bezahlen. Und dies für eine Grundrente, die jeder erhält, unabhängig davon, ob er gearbeitet hat oder nicht. Dadurch würden zwangsläufig Aussteiger, Schwarzarbeiter usw. begünstigt, arbeitende und Beiträge zahlende Bürger würden bestraft.
Die Grundrente soll in fast allen Modellen durch eine drastisch erhöhte Mehrwertsteuer - es werden Sätze bis zu 30 Prozent diskutiert; man muß sich das mal überlegen - finanziert werden, die vor allem einkommensschwache Haushalte treffen würden. Damit würde auch die Finanzierungsseite extrem unsolidarisch belastet. Die zusätzliche Vorsorge soll im wesentlichen in kapitalgedeckten Systemen stattfinden.
Meine Damen und Herren, das Kapitaldeckungsverfahren kann jedoch die Verteilung des realen Sozialprodukts zwischen Erwerbstätigen und nicht mehr Erwerbstätigen nicht besser lösen als das Umlageverfahren.
Der scheinbare Vorteil des Kapitaldeckungsverfahrens beruht in Gestalt von Frau Dr. Babel auf der Illusion, gleich einem Sparstrumpf könne man Geld hineinlegen und dies im Alter wieder herausholen.
Frau Dr. Babel, probieren Sie es bitte nur in eigener Sache, und lassen Sie die restlichen 79 Millionen Deutschen mit diesem Unsinn bitte nicht in Konfrontation treten!
Ich will Ihnen zu diesem Thema zum Schluß sagen: Auch die Fanklubs der Kapitaldeckung müssen eine Antwort auf die längere Lebenserwartung der Bürger finden. Mir liegt ein Schreiben eines Bürgers vor, dem seitens seiner Lebensversicherung, bei der er eine private Rentenversicherung abgeschlossen hat, folgendes mitgeteilt wurde. Ich zitiere:
Statistische Untersuchungen haben ergeben, daß die durchschnittliche Lebenserwartung stärker als bisher angenommen gestiegen ist. Diese erfreuliche Erkenntnis hat für Versicherungsunternehmen zur Folge, daß sie an immer mehr Kunden deutlich länger Renten zahlen. Daher müssen wir auch für Ihre Versicherung neue Überschußsätze festlegen.
Dieses schön verklausulierte Versicherungsdeutsch, Frau Dr. Babel, bedeutete für diesen Bürger eine Kürzung seiner Privatrente um 9,3 Prozent.
Deshalb, sage ich noch einmal, wollen wir uns von weiteren Einlassungen von Frau Dr. Babel und den Fetischisten eines Kapitaldeckungsverfahrens nicht länger beeindrucken lassen. Wir haben hier die Aufgabe,
das Rentensystem zu sichern und nicht, Frau Dr. Babel, einseitig einer bestimmten Klientel neue Geschäfte zu verschaffen.
Ich gebe das Wort der Abgeordneten Dr. Maria Böhmer.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es überrascht mich schon, daß Kollege Dreßler von Verunsicherungskampagne spricht; denn ich sehe noch ganz klar die
Dr. Maria Böhmer
Schlagzeilen vom Januar vor mir. Er hat eine Diskussion vom Zaun gebrochen und sich im Vorfeld von Landtagswahlen die Angst und die Sorge gerade der älteren Menschen zunutze gemacht und mißbraucht.
Es war bitter, was ich gerade auch in dieser Zeit erfahren habe. Herr Dreßler, wenn Sie heute davon sprechen, es sei eine ideologisch motivierte Kürzungspolitik, und wir würden den Vertrauensschutz verletzen, dann kann ich nur erklären: Dies gilt es klar zurückzuweisen. Wir haben in jeder Hinsicht den Vertrauensschutz gewahrt, und wir sind motiviert, für Arbeit in unserem Land zu sorgen.
Man muß einmal in die SPD hineinhorchen,
um deutlich zu machen, auf welch alten Schienen Sie sich bewegen. Die Jusos in Baden-Württemberg sind total frustriert, und sie sagen, daß die Altvorderen in der SPD noch immer den sozialdemokratischen Gedankenmodellen der 70er Jahre verhaftet sind und noch immer nicht begriffen haben, daß das bisherige sozialdemokratische Wohlfahrtsstaatsmodell nicht mehr zeitgemäß ist.
Herr Dreßler, die jungen Leute, von denen Sie eben sprachen, haben in Ihrer eigenen Partei andere Ideen. Stellen Sie sich dieser Diskussion mit den jungen Menschen dort.
Die Vorschläge, die Sie bieten, sind dürftig. Denn wer heute von 15 Milliarden DM mehr an Bundesmitteln spricht und die Frage, wo man diese Mttel hernehmen solle, mit der Einführung einer Vermögensabgabe, Ökosteuern und Benzinsteuern beantwortet,
legt eine altbekannte, bunte Mischung vor. Sie haben dies so schnell zurückgewiesen, wie es in der „Bild-Zeitung" stand. Aber im Grunde genommen bedeutet Ökosteuer bei Ihnen ja - das ist schriftlich niedergelegt - nichts anderes als Erhöhung der Mineralölsteuer.
Frau Kollegin Böhmer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dreßler?
Ja, bitte.
Frau Kollegin, nachdem Sie gerade dem Parlament eine Geschichte erzählt haben, die bar jeder Realität ist, darf ich Sie daran erinnern, daß ich vor wenigen Minuten von diesem Pult aus meine Bereitschaft bekundet und gefordert habe, mich an diesem Aufkommen von 15 Milliarden DM, wenn Sie mir die Chance geben, beteiligen zu dürfen. Darf ich Sie fragen, ob Sie auch mitmachen und endlich bereit sind, zu zahlen?
Also, Herr Dreßler, es ist immer die Frage, was man machen will. Wenn Ihre Lösung „Rauf mit den Abgaben" heißt, dann kann ich nur sagen: Das können wir in dieser Zeit nicht vertreten.
Wir müssen heute nämlich ganz klar einsparen und die Ausgabenseite im Griff behalten. Wenn Sie sich allen Regelungen verweigern - momentan tagt der Vermittlungsausschuß -, die wir auf den Weg gebracht haben und die es ermöglicht hätten, den Beitrag um 0,2 Prozentpunkte zu dämpfen - der Bundesminister hat es eben noch einmal gesagt -, Ihr Veto einlegen und das Ganze damit verhindern,
dann müssen die Beitragszahler das mit Mark und Pfennig jeden Tag bezahlen.
- Herr Dreßler, ich wäre gerne bereit, einmal neue Ideen mit Ihnen auszutauschen. Aber an dieser Stelle sehe ich in der Tat keine Ideenproduktion.
- Also, Herr Dreßler, Sie können rechnen, ich kann rechnen, und wir beide wissen ganz genau, daß es sich um ein Aufkommen von 1,4 Milliarden DM plus noch einmal 1,4 Milliarden DM handelt. Das können Sie ebensogut wie ich umrechnen. Das macht 0,2 Prozentpunkte. Das ist ganz einfach nachzuvollziehen. Sie sagen heute im Vermittlungsausschuß nein dazu. Damit haben wir das Ergebnis. Daran ist nichts zu deuteln. Die Geschichte schreibe nicht ich, die Geschichte schreibt momentan die SPD.
Ich will aber außer auf die aktuellen Finanzfragen auf eine Frage zu sprechen kommen, die für uns alle sehr bewegend ist und bei der wir weiterkommen müssen, nämlich, wie wir uns den dringenden Notwendigkeiten der Reform des Rentensystems stellen. Dabei will ich noch einmal ganz klar sagen, auch wenn hier andere Ideen von Ihnen verbreitet und unterstellt werden: Es geht uns um eine Reform im System und nicht um ein Überbordwerfen des bisherigen Rentensystems. Denn unser Rentensystem hat sich als anpassungsfähig erwiesen, und wir wollen es weiterentwickeln.
Dr. Maria Böhmer
Aber wir müssen es weiterentwickeln, und zwar nicht nur, wie es momentan stark diskutiert wird, unter dem Gesichtspunkt der demographischen Entwicklung. Das ist wichtig, aber wir müssen einen weiteren Punkt in den Blick nehmen: Da spreche ich den zunehmenden Trend zur Entsolidarisierung an; denn dieser Trend zur Entsolidarisierung ist unverkennbar.
Wir haben eine Erosion unserer Versicherungssysteme. Ich will ganz deutlich sagen: Man kann aus einem Fundament nicht beliebig viele Steine herauslösen. Irgendwann wird es nachgeben und seine Funktion nicht mehr länger erfüllen können.
Die Rentenversicherung - das wissen wir alle - baut auf dem Prinzip der Solidarität auf. Dieses Prinzip der Solidarität muß auch weiter gewahrt bleiben. Wenn wir sehen, daß in den letzten vier Jahren der Anteil der Erwerbstätigen, die sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, gesunken ist - das hat in seinem jüngsten Gutachten Professor Rümp festgestellt -, dann müssen wir sehr genau darauf achten, wie wir dem entgegenwirken können. Denn die Finanzsituation der Rentenversicherung ist gravierend durch solche Änderungen in der Beschäftigungsstruktur berührt. Die Absetzbewegungen aus der Rentenversicherung, die wir feststellen, haben zwei Gründe: einmal den Anstieg der Zahl der Scheinselbständigen und zweitens den Anstieg der Zahl der geringfügig Beschäftigten.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dreßen?
Ja.
Frau Kollegin Böhmer, Sie haben gerade gesagt, die Rentenversicherung sei eine solidarische Gemeinschaft. Darin will ich Ihnen ja zustimmen und möchte Sie fragen: Sind Sie denn nicht mit uns der Meinung, daß man den Kreis der zu dieser Solidargemeinschaft gehörenden Personen um diejenigen erweitern muß, die sich aus der Solidargemeinschaft verabschiedet haben? Ich meine Scheinselbständige; ich beziehe mich auf die vielen 590-DM-Jobs, die es gibt, und ich meine ebenfalls, daß manche, die heute in einem Beamtenverhältnis sind, auch wieder zurückkehren könnten. Meinen Sie nicht, wir sollten auch in bezug auf die Einnahmeseite ganz aktiv darauf achten, daß es wirklich eine Solidargemeinschaft wird und daß auch wir Abgeordnete mit eingebunden werden?
Herr Kollege, Sie haben offensichtlich meinen letzten Satz, den ich gesagt habe, bevor Sie Ihre Frage gestellt haben, nicht gehört. Ich habe genau von dieser Absetzbewegung durch den Anstieg der Zahl der Scheinselbständigen - immerhin sprechen Schätzungen heute von 600 000 - und der geringfügig Beschäftigten gesprochen. An dieser Stelle haben wir einen ähnlichen Ansatzpunkt; ihn teilen wir mit vielen in diesem Parlament. Es ist sicherlich auch in bezug auf die Schlußfolgerungen ganz genau zu beachten, wo wir die Lösungsmöglichkeiten sehen. Geringfügige Beschäftigung hat nach wie vor dort ihren Sinn, wo es um das Abfedern temporärer Arbeitszeitspitzen geht. Aber da, wo reguläre Beschäftigung in Scheinselbständigkeit oder in geringfügige Beschäftigung umgewandelt wird, können wir nicht länger zusehen. Denn hier geht es um die Grundlagen.
Da müssen alle Alarmglocken schrillen.
Ich richte den herzlichen Appell an Sie, daß wir diese Entwicklung gemeinsam gut im Auge behalten und auch überlegen, was wir an dieser Stelle tun können, um Dämme zu errichten, die nicht brechen. Denn diejenigen Branchen und Firmen, die glauben, daß es hier um vermeintlich preiswerte Arbeit geht, nutzen durch ihre Rosinenpickerei das System aus. Das geht zu Lasten Dritter. Das kann auf die Dauer nicht funktionieren. Denn es hat die Konsequenz, daß es den Wettbewerb verzerrt, die Basis der Rentenversicherung aushöhlt, die soziale Sicherung der Beschäftigten mindert, später zu höheren Belastungen bei der Sozialhilfe führt und daß es letztendlich auch die Chancen vermindert, daß Beschäftigte einen regulären Arbeitsplatz erhalten.
Ich weiß, daß wir hier noch manches diskutieren müssen. Aber ich bitte nachdrücklich darum, diese Entwicklung mit im Blick zu haben. Andererseits müssen wir auch fragen, warum es so ist. Wir kommen dabei nicht an der Antwort vorbei, daß die Belastungen des Faktors Arbeit zu hoch sind
und daß wir deshalb konsequent den Weg der Verminderung der Abgabenbelastung beschreiten müssen. Denn wir müssen diesen verhängnisvollen Teufelskreis von Beitragserhöhung, Abwanderung aus der Rentenversicherung, Rückgang der regulären Beschäftigung und damit geringerem Beitragsaufkommen mit der Konsequenz der Beitragserhöhung durchbrechen.
Ich will hier zwei Vorschläge unterbreiten, von denen ich denke, daß sie uns helfen können und daß sie es wert sind, daß wir sie gründlich miteinander bedenken. Wir müssen überlegen, wie wir den Anteil der Scheinselbständigen und der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse eindämmen können. Ich sage in bezug auf die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse nicht: auf Null bringen, sondern ich sage: eindämmen.
Das ist auch ein Unterschied zwischen uns, und wir
haben auch einen ganz anderen Ansatz. Ich könnte
mir vorstellen, daß Selbständige dann beitragspflich-
Dr. Maria Böhmer
tig werden, wenn sie keinen eigenen Arbeitnehmer beschäftigen und nur von einem Auftraggeber abhängig sind. Das würde der Scheinselbständigkeit einen Riegel vorschieben können. Bei den geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen ist in der letzten Zeit vieles erwogen und diskutiert worden. Ich meine immer mehr, daß die Quotierung einen vernünftigen, gangbaren Weg darstellen könnte, um auf der einen Seite der Notwendigkeit, Auftragsspitzen abzufangen, zu genügen, um auf der anderen Seite aber nicht die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse immer weiter und unkontrolliert anwachsen zu lassen.
Wir haben Ihnen ja einen besonderen Vorschlag in bezug auf die Beschäftigung in Privathaushalten unterbreitet. Dazu haben wir konkrete Vorstellungen im Jahressteuergesetz verankert. Jetzt kommt es wieder auf die SPD an, darauf, wie Sie sich im Vermittlungsausschuß verhalten,
ob Sie dem zustimmen und damit Hunderttausenden von Menschen ermöglichen, in reguläre sozialversicherungspflichtige Tätigkeiten hineinzukommen, oder ob Sie erneut Ihre Blockadehaltung praktizieren und damit alles beim alten lassen, nämlich bei Geringfügigkeit und bei Schwarzarbeit.
Ich hoffe, daß wir in der Tat trotz aller Diskrepanzen zu einem breiten politischen Konsens auch bei der Rentenfrage und gerade bei der Rentenreform kommen; denn es ist nicht nur gute Tradition. Es ist eine gemeinsame Verpflichtung, die wir haben, in diesem Punkt wirklich den Konsens zu suchen.
Wenn der Bundesarbeitsminister das von seiner Seite mit dieser Deutlichkeit und Dringlichkeit sagt, dann sollten Sie diese Möglichkeit nicht ungenutzt lassen und nicht für billige politische Schlagzeilen einfach in den Wind schlagen.
Wir brauchen eine überlegte Strukturreform bei der Rentenversicherung. Wir brauchen mehr Beschäftigung und eine Senkung der Abgabenlast. Dafür sollten wir gemeinsam arbeiten.
Ich danke Ihnen.
Ich gebe der Abgeordneten Andrea Fischer das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die „gute alte Rentenversicherung", der Gegenstand unserer heutigen Debatte -
- ich übe das noch; wenn ich länger hier im Hause bin, wird es sicherlich immer besser werden -, wie der Bundesarbeitsminister immer so gerne den Gegenstand unserer heutigen Debatte liebkost, hat zur
Zeit ein eher unerwartetes Problem, nämlich ihre enthusiastischsten Verteidiger erweisen sich als ihre schlechtesten Verwalter. Der Bundesarbeitsminister hat eben darauf hingewiesen, daß diese Rentenversicherung schon zwei Weltkriege, Inflationen und alles mögliche überstanden hat. Wollen wir hoffen, daß sie auch diese schlechte Verwaltung übersteht.
Wir sind uns doch einig: Es besteht keinerlei Veranlassung zum völligen Systemwechsel, sondern es geht darum, daß man dieses System gestaltet, verändert, aber zunächst einmal in der aktuellen Lage einfach gut verwaltet. Dabei ist es ein Armutszeugnis, daß die Opposition nachfragen muß, wie die Finanzlage ist, ob man mit den Schätzungen, die dort gemacht werden, richtig umgeht, ob die Beitragssätze richtig festgesetzt werden. Es ist nicht akzeptabel, daß dies von der Opposition in der Rentenpolitik, gerade wenn Sie einen Konsens immer einfordern, nachgefragt werden muß. Es ist eine untragbare Situation, daß es überhaupt dazu kommen muß, daß diese Nachfragen notwendig sind.
Wie notwendig sie sind, haben wir letzte Woche in der Debatte gesehen, bei der wir darüber diskutieren mußten, wie man Sie davon abhalten kann, einen weiteren untauglichen Versuch zu unternehmen, die Finanzen der verschiedenen Sozialversicherungstöpfe hin- und herzuschieben. Kaum hatten wir von Ihnen ein enthusiastisches Versprechen, daß dies garantiert nicht geschehe, hat der Kollege Weng dieses Versprechen wieder zurückgenommen. Bei dem stürmischen Stand der Koalitionsbeziehungen glauben wir einfach nicht daran, daß eine solche Versöhnung lange hält und ihre Risse kitten kann.
Die Koalition, die immer das Hohelied der Selbstverwaltung gesungen hat, hat inzwischen - auch dabei haben wir jetzt bittere Erfahrungen hinter uns -offensichtlich zu einer Haltung gefunden, daß es sich hierbei nur noch um ein lästiges Gremium handelt, dessen man sich wie einer Fliege oder etwas anderem entledigen muß.
Sie hören nicht auf die Mahnungen der Selbstverwaltung, wenn es um die kurzfristige Verschleuderung des Vermögens der Rentenversicherungsträger geht. Sie hören nicht auf die Selbstverwaltung, wenn es um Warnungen vor den Folgen der Kürzung bei der beruflichen Rehabilitation geht. Vor allen Dingen hören Sie nicht oder bislang jedenfalls nur sehr zögerlich - in den letzten Jahren zum Teil auch gar nicht - auf die Mahnungen der Rentenversicherungsträger, die Beiträge angemessen festzusetzen. Dabei scheint inzwischen bei Ihnen etwas Bewegung hineingekommen zu sein; so entnehme ich es den heutigen Meldungen.
Sie sollten sich hier nicht hinstellen und den Ton und den Stil der Rentendebatte beklagen. Sie können ihn beeinflussen. Das haben Sie in der letzten Zeit auch schon getan. Sie waren lange Zeit nicht ehrlich und nicht offen genug. Ich bin der Auffassung - das muß hier in aller Klarheit und Offenheit gesagt werden -: Eine Beitragssatzsenkung oder auch nur die Stabilisierung auf einer bestimmten wie auch immer gefundenen Marke ist kurzfristig auf keinen Fall möglich.
Andrea Fischer
Ich will noch einmal festhalten: Die heutigen Probleme, auch die Finanzprobleme der Rentenversicherung, sind kein Vorbote des Zusammenbruchs des Systems, sondern sie sind Ausdruck einer falschen Politik der Bundesregierung, der falschen Finanzierungsentscheidung bei der Rentenüberleitung und der von Ihnen unbewältigten Arbeitslosigkeit, bei der die Rentenversicherung starke Folgelasten zu tragen hat. Das hat die aktuelle Krise herbeigeführt.
Deswegen sollten wir im Moment nicht über Beitragssätze, magische Grenzen und ähnliche Sachen schwadronieren, sondern wir sollten den Vorgaben folgen und die Beitragssätze so realistisch festsetzen, daß sich das nicht ein oder zwei Jahre später wieder rächt, wie das schon zur Zeit der Fall ist.
Es gibt keine schnelle Lösung, mit der die starke Belastung durch die Arbeitslosigkeit gemildert werden könnte - es sei denn um den Preis drastischer Kürzungen im Leistungsrecht; das haben Sie in diesem Sommer gemacht. Das heißt aber nichts anderes, als daß Sie die Arbeitslosen den Preis für Ihre Finanz- und Wirtschaftspolitik zahlen lassen.
Wir haben schon an Hand des Papiers der Kollegen Louven und Kauder darüber reden müssen. Sie haben inzwischen derart viel Vertrauen bei den Versicherten ebenso wie bei den Rentnerinnen und Rentnern verspielt, daß Sie keine Autorität mehr haben, um diese Zukunftsdebatte zu führen.
Sie haben in unverantwortlicher Weise sehr kurzfristig das Rentenzugangsalter für Frauen heraufgesetzt. Das hat in der Bevölkerung so viel Verunsicherung ausgelöst, daß Ihnen keiner mehr glaubt, wenn Sie sagen: Wir reden zur Zeit über das Rentenzugangsalter in 20 oder 30 Jahren. Sie müssen sich klarmachen, daß Sie selber schuld sind - Sie beklagen das zum Teil als politisches Problem -, wenn Ihnen niemand mehr richtig zuhört. Sie haben das zu verantworten.
Die fatale Folge dieser Entwicklung ist, daß die Vertrauenskrise verschärft wird, je länger die Politik keine überzeugenden Antworten auf die drängenden Fragen der Jugend gibt. Gemessen an der Verunsicherung der Jugendlichen - daß sie immer höhere Beiträge zahlen und keine Ahnung haben, was sie eines Tages dafür an Rente bekommen werden -, finde ich, sind die Jugendlichen bemerkenswert geduldig und auch bemerkenswert solidarisch. Das sollte an dieser Stelle einmal gesagt werden. Die Jugendlichen steigen nicht aus, und sie folgen auch nicht den Scharlatanen, die behaupten, man könne einfach einen Systembruch machen, um wenigstens etwas zu retten.
Aber Solidarität ist keine unerschöpfliche Quelle. Sie muß immer wieder neu begründet werden. Deswegen müssen wir untersuchen, wie wir den Druck, unter den das System von zwei Seiten geraten ist, nämlich sowohl von seiten der Beiträge als auch von seiten der Leistungen, auflösen können.
Ich habe es schon gesagt: Die Bundesregierung hat den Druck auf die Beitragsseite selbst geschaffen. Ich will das nicht noch einmal ausführen. Ich sage nur: Wir haben es inzwischen mit einer Fehlfinanzierung in einer solchen Größenordnung zu tun, daß man das nur mit einer weitreichenden Steuerreform wird in Ordnung bringen können, nicht mit kurzfristigen Aktionen, zum Beispiel ein paar Pfennig Mineralölsteuererhöhung. Aber wir sollten auch aufhören, von der Fiktion auszugehen, daß es uns weiterhelfen würde, sich auf eine Marke von Beitragssätzen zu verständigen und diese dann festzuschreiben. Das würde einen der vielen Parameter, die die flexible Rentenversicherung bietet, unzulässig beiseite drükken und damit die Handlungsspielräume einengen.
Wenn die Gesellschaft altert, werden wir keinen stabilen Rentenversicherungsbeitrag halten können; das muß uns klar sein. Trotzdem müssen wir darüber nachdenken, wie wir eine Verlangsamung des Anstiegs erreichen. Auch meine Fraktion und ich denken darüber nach, ob man das mit einer Verlangsamung der Rentenanpassung schaffen kann. Das ist ein nicht unproblematisches Mittel, weil man sich natürlich nicht in die Gefahr begeben darf, damit eine nicht verläßliche Entwicklung des Leistungsniveaus herbeizuführen, so daß die Sicherung des Lebensstandards verfehlt werden könnte. Deswegen muß man dieses Mittel außerordentlich vorsichtig einsetzen.
Auf der Leistungsseite - das haben wir dieses Jahr wirklich bitter erfahren - haben Sie wild gekürzt. Dahinter - das ist das, was mich daran wirklich ärgert - stand nur die nackte Angst, wie man mit dem Haushalt klarkommt, aber kein rentenpolitisches Konzept. Das Ergebnis ist zum Beispiel ein hochfragwürdiger Erfolg bei der Rehabilitation. Sie haben die Erfolge der beruflichen Rehabilitation einfach beiseite gewischt. Sie nehmen in Kauf, daß Zehntausende arbeitslos werden. Vor allem aber nehmen Sie einen früheren Rentenzugang in Kauf. Das erscheint mir das Dümmste, was man machen kann, wenn man die Ausgabenseite der Rentenversicherung entlasten will.
Wenn wir über die Leistungen der Rentenversicherung sprechen wollen, dann müssen wir uns als allererstes fragen: Müssen wir die Aufgaben der Rentenversicherung vielleicht neu bestimmen? Ich behaupte, eine alte Gewißheit, nämlich daß die Rente ein Lohn für Lebensleistung, ausgedrückt in Erwerbseinkommen, ist, wird brüchig. Für Frauen hat diese alte Gewißheit noch nie gestimmt. Deren Leistung wurde nicht angemessen berücksichtigt. Deswegen waren die Kindererziehungszeiten nicht nur ein großer sozialpolitischer Fortschritt, sondern sie waren auch das Eingeständnis, daß der Leistungsbegriff der Rentenversicherung fragwürdig ist.
Inzwischen haben wir es aber noch mit einer viel tiefer greifenden Veränderung des Erwerbssystems zu tun. Eine Rückkehr zur Vollbeschäftigung alten Typs werden wir nicht mehr erleben. Verkürzte Ar-
Andrea Fischer
beitszeiten, flexiblere Beschäftigungsverhältnisse, Unterbrechung für Weiterqualifizierung - all das stellt große Herausforderungen an eine Gestaltung des Leistungsrechts, das dann trotz unstetiger Erwerbsverläufe noch ein angemessenes Sicherungsniveau garantiert.
Ich bin der festen Überzeugung, daß das Rentenversicherungssystem flexibel genug ist, darauf zu reagieren.
Wir sollten diese Flexibilität nutzen, um zum Beispiel - eine Möglichkeit - Elemente freiwilliger Versicherung zu stärken. Warum eigentlich soll es nicht möglich sein, niedrige Rentenansprüche auf Grund von verkürzten Arbeitszeiten aufzustocken? Oder - das steht ziemlich dringend an; ohne daß ich die problematische Frage der Anerkennung von Ausbildungszeiten grundsätzlich ansprechen will -: Wenn Studierende sehr niedrige Erwerbseinkommen haben, dann haben sie auch sehr niedrige Entgeltpunkte. Für sie müßten wir die Möglichkeit einer freiwilligen Nachversicherung, einer Höherversicherung schaffen.
Ich finde, auch über solche Sachen sollten wir ruhig nachdenken. Eine der Antworten, die man geben muß, wenn man Vertrauen der Jugend zurückgewinnen will, ist: Die Leistungsseite betreffend erkennen wir an, daß eure Perspektiven im Leben andere als bisher sein werden, weil sich soviel verändert hat. Auch das muß eine der politischen Botschaften sein, die wir geben müssen, um überzeugend für das System werben zu können. Ich glaube nicht, daß es alleine mit einem Appell an die Solidarität getan wäre.
Wichtig ist mir bei der ganzen Reformdebatte allerdings, daß wir an einem Konsens festhalten, der da lautet: Wir brauchen ein kollektives System der Sicherung. Wir können es flexibilisieren, auch individualisieren, wir müssen auch darauf Rücksicht nehmen; aber damit ein individualisiertes Leben nicht zu einem unkalkulierbaren und hochgefährlichen Risiko wird, müssen wir ein gemeinsames Sicherungssystem haben. Auf diesem Konsens sollten wir alle weiteren Diskussionen aufbauen.
Ich gebe das Wort der Abgeordneten Dr. Gisela Babel.
Herr Präsident! Die Große Anfrage der SPD zur Finanzlage der Rentenversicherung und der Rentenversicherungsbericht 1995 der Bundesregierung sowie das Gutachten des Sozialbeirats sind Anlaß für die heutige Debatte über Lage und Situation der gesetzlichen Rentenversicherung.
Da wir davon ausgehen können, daß die Vermittlungsbemühungen im Vermittlungsausschuß scheitern, steigt der Rentenversicherungsbeitrag im nächsten Jahr auf mehr als 20 Prozent - auch der Bundesarbeitsminister spricht von 20,3 Prozent -, liegt also um einen vollen Prozentpunkt höher als in diesem Jahr. Damit wird eine psychologisch ganz unzweifelhaft wichtige Grenze überschritten. Dies steht im klaren Gegensatz zu unseren Ankündigungen, Lohnnebenkosten insgesamt zu senken und mit Sparmaßnahmen den drohenden Anstieg auf mehr als 20 Prozent zu verhindern.
Ich verhehle nicht, daß diese Tatsache Schockwirkungen auslösen kann, daß Wirtschaft und Tarifpartner im Ringen um niedrige Tarifabschlüsse ein falsches Signal von der Politik erhalten, daß die Glaubwürdigkeit des verabredeten Kurses - Senkung von Steuern und Abgaben - leidet. Aber die Debatte sollte nicht Panik verbreiten, sondern Nachdenken auslösen über die Ursachen, warum wir diesen Anstieg der Rentenversicherungsbeiträge erleben müssen. Wir müssen einsteigen in die Bewertung der beschlossenen Sparmaßnahmen.
Was ist die Hauptursache für den starken Beitragsanstieg? Die Hauptursache liegt nach wie vor in der riesigen Belastung durch die Frühverrentung. Auch in diesem Jahr gibt es mehr als 300 000 Frühverrentungsfälle. Das heißt, mehr als die Hälfte der Rentenzugangsberechtigten bekommen eine Leistung aus der Rentenversicherung, die eigentlich dem Risiko Arbeitslosigkeit zuzuordnen ist. Ein weiterer Grund dafür ist - damit eng zusammenhängend - die wachsende Arbeitslosigkeit.
Es befindet sich alles in einem Teufelskreis: hohe Arbeitslosigkeit auf Grund wettbewerbsschädigender hoher Lohnnebenkosten, hohe Lohnnebenkosten auf Grund wachsender Arbeitslosigkeit. In der Öffentlichkeit wird man sich die Augen reiben und sagen: Da waren doch die vielen Sparmaßnahmen, die nach erbitterten Auseinandersetzungen im Bundestag und Bundesrat schließlich auch durchgesetzt wurden. Die stellten doch gerade den kurzfristig drohenden Anstieg als vermeidbar hin.
Was Fachleute wissen, aber in der Öffentlichkeit immer noch nicht hinlänglich bekannt ist - und deswegen auch immer wieder gesagt werden muß -:
Die beschlossenen Änderungen wirken nicht sofort, sondern auf Grund des Vertrauensschutzes erst in etwa zwei Jahren. So werden wir in diesem Jahr noch einmal 300 000 Frührentner haben, obwohl diese Schleuse geschlossen und der Zugang zur Rente auf Grund von Arbeitslosigkeit abgeschafft wurde.
Ich erinnere an weitere Gesetze, die wir gegen die Opposition durchgebracht haben, um die Rentenversicherung zu entlasten. Es ist, glaube ich, notwendig, daß wir uns dies noch einmal vor Augen führen.
So wurde die Möglichkeit, neben einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit etwas hinzuzuverdienen, drastisch eingeschränkt. Die Friedensgrenze zwischen Rentenversicherung und berufsständischen Versorgungswerken wurde neu geregelt. Die für die Rentenversicherung verheerende Rechtsprechung zu den Renten wegen Erwerbs- und Berufsunfähigkeit wurde korrigiert. Das Rentenanpassungsverfahren in den neuen Bundesländern wurde an das der alten Länder angepaßt.
Im Wachstums- und Beschäftigungspakt folgten weitere Maßnahmen: Es gab die Heraufsetzung der Altersgrenze, die Verkürzung der Anerkennung von
Dr. Gisela Babel
Ausbildungszeiten, Einschränkungen bei Kuren, Einschnitte im Fremdrentenrecht, die Privatisierung von Rentenvermögen.
Die Koalition hat also den Umbau in der Rentenversicherung
beherzt angepackt, obwohl die beschlossenen Maßnahmen wahrlich nicht populär sind. Alle Maßnahmen mußten wir gegen die Totalblockade der Opposition in diesem Haus und im Bundesrat durchsetzen.
Durchgesetzt haben wir alles, was wir ohne Zustimmung der SPD im Bundesrat durchsetzen konnten. Aber es gibt Teile in dem Katalog beitragsdämpfender Maßnahmen, die zustimmungsbedürftig sind und bei denen die Opposition in der Pflicht steht.
Ich nehme ein eklatantes Beispiel: die Verwaltungskosten in den Landesversicherungsanstalten. Meine Damen und Herren von der SPD, bitte erklären Sie doch einmal, warum man nicht bereit ist, eine Aufblähung der Verwaltung - vielleicht durch die Wiedervereinigung gut begründet, als man in der Tat mehr Verwaltungskapazitäten aufbauen mußte, um die Probleme zu bewältigen - in der Größenordnung von 40 Prozent in fünf Jahren - wesentlich höhere Zuwächse als zum Beispiel auch in der Arbeitslosenversicherung, wo es nur 20 Prozent sind - wieder abzubauen! Das können Sie doch überhaupt keinem erklären.
Hier weigern Sie sich im Vermittlungsausschuß.
Sie haben sich etwas Interessantes ausgedacht: ein Junktim zwischen der Zustimmung zu diesen Maßnahmen, die vernünftig wären,
und der Frage, ob man 590-DM-Verträge bei Nebentätigkeiten rentenversicherungspflichtig machen sollte.
Hier hat die F.D.P. in der Tat energisch Widerstand geleistet
und den Koalitionspartner bewogen - mühsam und unter Mithilfe der CSU, wie ich dankbar anmerke -, den Pakt abzulehnen.
Das könnte gleichwohl bei manchen Kollegen der Koalition und auch beim Bundesarbeitsminister die Vorstellung nähren, es seien die SPD und die F.D.P., die schuld seien an den 20 Prozent übersteigenden Rentenversicherungsbeiträgen. Deswegen will ich hier ein ganz klares Wort sagen: Wer Arbeit entlasten will, Sozialbeiträge senken will, kann das nicht tun, indem er an anderer Stelle Arbeit wieder belastet und Beiträge eintreibt, wo bislang keine gezahlt wurden. Ich will es einmal ganz drastisch sagen: Sie können doch nicht einen Bankräuber dadurch bekehren, daß Sie ihn überreden, nur noch Handtaschen zu stehlen. Es muß eine klare Linie sein, daß wir wirklich überall Arbeit entlasten.
Deswegen komme ich zu Ihnen, Frau Dr. Böhmer, weil Sie darauf eingegangen sind, wie sehr der Arbeitsprozeß Erosionen, wie Sie es genannt haben, hervorruft. Auch ich sehe diese Erosionen, und auch ich sehe sie mit Sorge. Aber das, was hier in Sachen Nebentätigkeit geplant ist, ist meist nicht der Punkt. Die Rentenversicherungspflicht ist besonders unsinnig, es sei denn, man denkt, daß man alle diese Ameisen melken könne, das heißt, daß es viel Geld in der Rentenversicherung gebe. Sie werden aber natürlich die Schwarzarbeit unterstützen.
Sie werden eine Fülle von Arbeitnehmern, die sich ein Zubrot verdienen, einfach verprellen.
Meine Damen und Herren, wie weit entfernen wir uns von der Lebenswirklichkeit, wenn wir wirklich immer weiter Fesseln an solche Verträge anlegen wollen? Ich halte es für völlig unzumutbar. Die F.D.P. macht das nicht mit. Insofern kommen wir nicht umhin: Wir müssen sparen und Leistungen einschränken. Auf die Verwaltungskosten habe ich schon hingewiesen.
Die SPD meint, für Oppositionspolitik genüge es, immer wieder nur Schmerzensschreie auszustoßen und als schmerzfreie Therapie die Finanzierung über Steuern vorzuschlagen. Steuererhöhungen finden in Ihren Reihen immer Anklang. Sie träfen, so meinen Sie, nur eine kleine Gruppe, mit der Sie nichts zu tun haben: die Gruppe der Reichen. Steuererhöhungen treffen aber auch Arme, nämlich diejenigen, die durch diese Belastung ihren Arbeitsplatz gefährdet sehen oder die bereits arbeitslos sind. Mit neuen Geldquellen ist die Rentenversicherung nicht beitragsstabil zu halten.
Kann uns die mangelnde Qualität der Opposition über eigene Fehler hinwegtrösten? Ich meine, nein.
Dr. Gisela Babel
Die Erfahrung mit der Gesetzgebung in der Rentenversicherung zeigt, daß man früher hätte handeln und dem Rat der Fachleute - ich rechne Herrn Dreßler sogar dazu; er hat sehr früh angemahnt, Maßnahmen zu treffen - folgen sollen. Das sind nicht die Maßnahmen, an die Herr Dreßler denkt, aber es sind Maßnahmen, die in der Öffentlichkeit diskutiert worden sind.
Die Strukturreform von morgen hätte man schon gestern beginnen müssen. Daraus haben die Bundesregierung und die Koalition gelernt. Die langfristige Stabilisierung der Rentenversicherung wird in Angriff genommen. Damit befaßt sich eine Regierungskommission, deren Vorschläge im Dezember vorliegen sollen.
Ich gehe davon aus, daß sich die Kommission nicht darauf beschränken wird, nur die Einnahmeseite zu verbessern. Insofern glaube ich auch nicht, daß es richtig wäre, das zum Anlaß zu nehmen, 590-DMVerträge sozialversicherungspflichtig zu machen. Das Problem der Flucht in diese Verträge ist das Problem der hohen Lohnnebenkosten. Das muß man sehen. Wenn es uns nicht gelingt, eine Absenkung bei Steuern und Abgaben zu erreichen, dürfen wir diese Diskussion nicht führen.
Frau Fischer hat sich ein wenig neblig ausgedrückt; dann hat sie allerdings wieder an die junge Generation gedacht, bei der die Grünen Anklang finden wollen. Ich denke jedoch, daß man um Leistungskürzungen nicht herumkommen wird. Das wird nicht jetzt und auch nicht morgen sein, aber langfristig wird das sicher zur Konsolidierung gehören.
Wir werden auf einen neuen Generationenvertrag hinarbeiten. Es ist richtig, daß man zumindest in der politischen Auseinandersetzung auf solche Dinge hinweist.
Das Ziel, die Lohnnebenkosten unter 40 Prozent zu drücken, scheint durch diese Debatte in utopische Ferne gerückt zu sein und von der Koalition nicht mehr verfolgt zu werden. Ich möchte festhalten, daß das Ziel, die Lohnnebenkosten auf unter 40 Prozent zu senken, ein Ziel dieser Regierung, dieser Koalition und sicher auch der F.D.P. bleibt. Davon sollten wir uns nicht verabschieden.
Langfristig wird der Umbau gelingen, und mittelfristig sind auch in der Rentenversicherung die Weichen richtig gestellt. Nach Herumreißen des Steuers dauert es immer eine gewisse Weile, bis der Tanker Rentenversicherung seine Richtung ändert. Wir haben das Steuer herumgerissen, und wir sind auf richtigem Kurs.
Ich bedanke mich.
Ich gebe der Abgeordneten Petra Bläss das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Dr. Babel, ich frage mich, wie das Vertrauen der Bevölkerung in Ihre Art der „langfristigen Stabilisierung der Rentenversicherung" gehalten werden soll, wenn Ihre einzigen Antworten bisher - dankenswerterweise haben Sie das im Detail ausgeführt -
einen grauenhaften Streichungskatalog im Bereich des Leistungsbezugs - ich erinnere nur an das Sparpaket - darstellten.
Nicht nur die seitens der Koalition und der SPD installierten Kommissionen, sondern auch die Zahlenreihen in den uns heute vorliegenden Statistiken belegen: Mit dem Sparpaket ist die Diskussion um die Renten keinesfalls abgeschlossen, sie hat geradezu erst begonnen.
Wie oft haben wir in den vergangenen Wochen an dieser Stelle einhellig den Stil der Diskussion gerügt, die von den Koalitionsvertretern immer wieder über Vorschläge in den Medien angezettelt wurde. Durch die geradezu hysterische Diskussion in letzter Zeit ist doch vor allem die Sicherheit der Renten in Zukunft beträchtlich in Frage gestellt worden. Die mittlere und jüngere Generation sorgt sich doch vor allem darum, ob sie später überhaupt noch eine leistungsgerechte Rente aus der Sozialversicherung erhält. Frau Dr. Babel, ich finde gerade die Sorgen unserer jungen Generation sehr berechtigt.
Die im Rentenversicherungsbericht und in der Antwort zur Großen Anfrage der SPD vorgelegten Daten belegen in brisanter Weise, daß die Lage der Sozialversicherungskassen Ausdruck der Gesamtpolitik der Bundesregierung ist. Sie belegen auch, daß die gegenwärtigen Sparmaßnahmen nichts Entscheidendes daran ändern.
Betrachten wir erstens die völlig verfehlte Beschäftigungspolitik! Durch das vielgerühmte „Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung" soll die Arbeitslosigkeit bis 2000 halbiert werden, was der Kanzler höchstselbst schon auf dem Parteitag der CDU im Oktober relativierte. Doch die Prognosen sprechen eine noch deutlichere Sprache. Bei Beachtung der jetzt verabschiedeten Gesetze wird bei niedriger Beschäftigungsentwicklung eine Reduzierung der Arbeitslosen von 4 Millionen auf ganze 3,674 Millionen und bei höherer Beschäftigungsentwicklung nur auf 3,2 Millionen vorausgesagt. Folglich sind anhaltende Beitragseinbußen vorprogrammiert.
Ein zweiter Fakt: die Wirkungen der Umverteilung von unten nach oben. Die Sparmaßnahmen belasten nicht nur die Betroffenen und drücken die Konsumfähigkeit, sondern seit 1982 ist die Bruttolohnquote um rund acht Prozentpunkte gefallen. Bei gegebenem Leistungsrecht benötigt das natürlich höhere Beitragssätze.
Petra Bläss
Zum dritten tut die Fehlfinanzierung der Einheitskosten auch über die Rentenversicherungsbeiträge das Ihrige. Insofern ist schon ernsthaft zu prüfen, wie insgesamt mit den die Rentenkassen derzeit übertragenen gesamtgesellschaftlichen Aufgaben weiter zu verfahren ist.
Als höchst problematisch sehe ich aber hierzu die Aussagen im Gutachten des Sozialbeirats zum Rentenversicherungsbericht an. Wenn dort aus den Erfahrungen mit der Übertragung zum Beispiel familienpolitischer Aufgaben auf die Sozialversicherung die Forderung folgt, die Alterssicherung nicht mit zu vielen unterschiedlichen Aufgaben und Zielen zu befrachten, weil darunter die Transparenz und Akzeptanz des Systems leide, dann frage ich: Wo bleibt denn der solidarische Charakter der gesetzlichen Rentenversicherung?
Wenn an anderer Stelle im Gutachten gefordert wird, auch den Länderhaushalten steuerfinanzierte Elemente der Rentenversicherung zu übertragen, um eine ausgewogene Belastungsverteilung zu erzielen, dann ist das für uns ein weiterer Fingerzeig, daß ein anderer Charakter der Rentenversicherung angestrebt wird. Die Länderbeteiligung weicht die Bundeskompetenz auf, schafft für Regionalisierungsbestrebungen Platz. Und wo bleibt am Ende das einheitliche Leistungsrecht?
Zuzustimmen ist allerdings der grundsätzlichen Einschätzung des Gutachtens, daß in der öffentlichen Diskussion nicht hinreichend zwischen kurz-, mittel- und langfristigen Problemen unterschieden wird. Insofern versucht der gestern abend von der SPD vorgelegte Entschließungsantrag, etwas Ordnung zu stiften. Allerdings meinen wir, daß die angerissenen Denkrichtungen hinsichtlich arbeitsmarktorientierter Strategien und Harmonisierung aller Alterssicherungssysteme angesichts der tatsächlich anstehenden Probleme nicht ausreichen.
Sehen wir uns die konkreten Zahlen aus dem Rentenversicherungsbericht an - wohlgemerkt nicht die Durchschnittszahlen, mit denen in den letzten Tagen eine unerträgliche Neiddiskussion zwischen Ost und West angefacht wurde. Unerträglich, weil hier - um es zugespitzt zu sagen - Otto und Marie Normalverbraucher West mit allen, aber auch allen Gehalts- und Berufsgruppen im Ruhestand Ost verglichen werden. Sie wissen selbst, daß Ärztinnen, Dozentinnen, Professorinnen und Architekten einen Durchschnitt ganz schön hochbringen können.
Wenn ich appelliere, sich die konkreten Zahlen anzusehen, meine ich die Extremwerte. Ein Drittel der Männer in Ost und West hat Renten unter dem Existenzminimum, gemessen an der Hälfte der Nettoeinkommen aller Versicherten. Bei den Frauen sind es fast 90 Prozent. Da rettet auch die viel gerühmte Witwenrente nicht alles; denn damit müssen in den alten Bundesländern ein reichliches Drittel und in den neuen Bundesländern ein Viertel der älteren Frauen mit Einkünften unter 1 425 DM auskommen.
Noch wird in den neuen Bundesländern Altersarmut von Frauen durch die Sozialzuschläge, die die
Rente aufstocken, kaschiert. Doch die fallen, wenn es nach dem Willen der Bundesregierung geht, per 1. Januar 1997 weg. Also entstehen mindestens 50 000 potentielle Sozialhilfeempfängerinnen.
In den alten Bundesländern leben 66 482 ältere Frauen mit Mehrfachrenten unter 600 DM.
: Das heißt gar
nichts!)
Es zeigt sich also, daß die derzeitige lohnbezogene und dynamisierte Rente für viele nicht mehr lebensstandardsichernd, geschweige denn existenzsichernd ist.
Es gibt keinen Grund, sich mit der bisherigen Leistungsstruktur und mit dem Anpassungsmodus zufriedenzugeben. Notwendig ist vor allem, daß die Lebensleistung von Frauen endlich über ein verbessertes Frauenrentenrecht anerkannt wird.
Es reicht nicht mehr aus, daß die Rentenanpassung allein der Nettolohnentwicklung folgt. Sie müßte auch die Steigerung der Lebenshaltungskosten berücksichtigen. Denken wir über ein flexibles Renteneintrittsalter nach, aber nicht in dem Stil, daß es generell heraufgesetzt wird und jeder freiwillige frühere Rentenbeginn noch mit Abstrichen belegt wird!
Lebensarbeitszeitkonten mit variablen Renteneintrittsmöglichkeiten bergen Potenzen für die Entlastung des Arbeitsmarktes und für die Selbstbestimmung des Individuums. Das alles braucht natürlich noch mehr Geld, als nur das Loch in der Schwankungsreserve zu stopfen.
Die gravierenden Probleme kommen erst noch auf uns zu. Noch steht die Veränderung der Arbeitswelt am Anfang, und die demographische Entwicklung schlägt erst jenseits des Jahres 2010, vor allem jenseits des Jahres 2030 zu. Doch dafür müssen bereits heute Lösungen gesucht und Weichen gestellt werden.
Wir meinen, daß die langfristige Sicherung der solidarischen Rentenversicherung neue Wege beschreiten muß. Warum sinnen Sie nur über einen Arbeitsmarkt- und Demographiekoeffizienten für die Rentenformel nach? Der Bundeszuschuß brauchte einen solchen Koeffizienten.
Unsere Vorschläge zur Anbindung der Arbeitgeberbeiträge an die Wertschöpfung der Unternehmen statt an die Lohnsumme und zur generellen Umverteilung von oben nach unten liegen vor. Das Solidarprinzip muß qualitativ erneuert werden. Sonst wird bei Menschen aller Generationen für die Zukunft der Rentenversicherung keine Zuversicht mehr zu entwickeln sein.
Jetzt hat der Herr Abgeordnete Andreas Storm das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der heutigen Debatte
Andreas Storm
sind wir aufgerufen, zweierlei zu leisten: Erstens gilt es, die unberechtigten Ängste der Älteren zu zerstreuen; denn ihre Renten sind sicher. Zweitens sind wir auch aufgefordert, den Jungen zu zeigen: Wenn sich die Rahmenbedingungen ändern, ist die Politik in der Lage, frühzeitig die notwendigen Anpassungen vorzunehmen.
Doch zunächst zur aktuellen Lage: Wurde im Rentenversicherungsbericht 1994 in der mittelfristigen Vorausberechnung für das nächste Jahr noch ein Beitragssatz von 18,9 Prozent prognostiziert, so wird bei der bevorstehenden Festlegung des Beitragssatzes für das kommende Jahr die 20-Prozent-Marke überschritten werden, und das, obwohl mit dem im Sommer beschlossenen Konsolidierungspaket ein beachtliches Entlastungspotential erreicht worden ist. Dieses wird allerdings erst mittelfristig wirksam. Wenn der Beitragssatz im kommenden Jahr erstmals die 20-Prozent-Marke übersteigen muß, ist dies ganz wesentlich durch die schwierige Arbeitsmarktlage bedingt.
Mindestens ebenso wichtig ist aber ein zweiter Faktor. Wenn wir im Frühjahr den verhängnisvollen Trend zur Frühverrentung nicht gestoppt hätten, wäre die gesetzliche Rentenversicherung bereits jetzt an die Grenze der Belastbarkeit gestoßen.
Wichtig ist, diese aktuellen Probleme von den langfristigen strukturellen Herausforderungen zu unterscheiden. Hier ist zweierlei festzustellen: Erstens. Mit der Einsetzung der Rentenreformkommission unter dem Vorsitz von Bundesarbeitsminister Norbert Blüm hat die Koalition die Weichen für den Beginn des notwendigen Reformprozesses zur Weiterentwicklung der Rentenversicherung gestellt.
Zweitens. Selbstverständlich muß auch die junge Generation an der Erneuerung des Generationenvertrages beteiligt werden. Aber eines geht nicht: Wer die Solidarität zwischen den Generationen brechen und den Generationenvertrag kündigen will, der handelt unverantwortlich.
Schließlich ist der Generationenvertrag nicht irgendein Konzept, sondern das Herzstück des deutschen Sozialstaates. Schon dem Architekten des Generationenvertrages von 1957, Wilfried Schreiber, war eines auch klar: Eine auf dem Generationenvertrag basierende Rentenversicherung nach dem Umlageverfahren kann langfristig nur dann ein konstantes Leistungsniveau garantieren, wenn eine ausgeglichene Struktur zwischen Beitragszahlern und Leistungsempfängern vorhanden ist. Diese Voraussetzung ist nicht gegeben, denn im Jahre 2035 werden 100 Beitragszahler für 70 Rentner aufkommen müssen. Heute ist das Verhälthis 100 zu 38. Dies zeigt die Größenordnung der Herausforderung, vor der wir stehen.
Wenn wir nun in den nächsten Wochen in den verschiedenen Reformkommissionen nach einer tragfähigen Konzeption zur Bewältigung der demographischen und arbeitsmarktpolitischen Herausforderungen suchen, dann sollte uns das folgende bewußt sein: Der Schlüssel für eine langfristige Stabilisierung der Rentenversicherung liegt eindeutig in einer Rückbesinnung auf die Wurzeln des Generationenvertrages. Dabei gibt es kein Patentrezept. Es ist auch keine Schande, wenn wir auf dem Weg zur Bewältigung dieser großen Herausforderungen um neue Ideen ringen. Es darf keine Denkverbote geben. Aber wichtig ist, daß die drängenden Fragen nicht nur der jüngeren Generation nach der Zukunft der sozialen Sicherungssysteme am Ende dieses Prozesses glaubhaft beantwortet werden können. Nach meiner festen Überzeugung werden wir das Vertrauen in die sozialen Sicherungssysteme nur zurückgewinnen können, wenn wir vier Anforderungen mit der Reform erfüllen.
Erstens. Bei der Erneuerung des Generationenvertrages müssen die offenen Flanken des unvollständigen Generationenvertrages von 1957 geschlossen werden. Deswegen müssen wir darüber nachdenken, ob wir die Rentenformel von 1992 um eine demographische Komponente ergänzen sollen. Dabei kommen wir auch nicht um eine Antwort auf die Frage nach der längerfristigen Entwicklung des Rentenniveaus umhin. Es gilt dabei zu bedenken, daß das heutige Eckrentenniveau von 70 Prozent des letzten Nettolohnes keineswegs ein Kernelement des Generationenvertrages von 1957 war. Wir hatten noch in den 60er Jahren ein Rentenniveau von 60 Prozent. Angesichts der veränderten Rahmenbedingungen müssen wir auch darüber diskutieren, wie hoch das Rentenniveau langfristig - ich betone: langfristig - sein soll.
Wichtig ist dabei aber, daß der sich hieraus ergebende Handlungsbedarf nicht zu fallweisen Eingriffen in die Rentenanpassung mißbraucht wird. Sinnvoll wäre es vielmehr, die Rentenformel von 1992 durch einen Regelmechanismus zur Abbildung der demographischen Entwicklung konsequent weiterzuentwickeln, wie dies auch der Bundesarbeitsminister vorhin angeregt hat.
Zweitens. Eine Erneuerung des Generationenvertrages kann nur gelingen, wenn die demographischen Lasten auf alle Beteiligten, also Beitragszahler, Rentenempfänger und den Staat, gerecht verteilt werden. Auch gilt es zu berücksichtigen, daß die gesetzliche Rentenversicherung nur eine, wenngleich die wichtigste von drei Säulen der Alterssicherung darstellt. Deshalb muß der jungen Generation frühzeitig die Möglichkeit gegeben werden, mögliche langfristige Versorgungslücken durch zusätzliche private Eigenvorsorge zu schließen. Dies, Frau Fischer, setzt aber eine dauerhafte Begrenzung des Beitragssatzanstiegs in der gesetzlichen Rentenversicherung voraus.
Drittens. Die Reformmaßnahmen sollen nicht nur eine gerechte Lastenverteilung darstellen, sondern auch einen nachhaltigen Beitrag für mehr Wachstum und Beschäftigung in unserem Land leisten. Deshalb ist eine Reihe von gutgemeinten Ratschlägen nicht
Andreas Storm
wirklich geeignet, einen Beitrag zur Bewältigung der Beschäftigungskrise zu leisten.
Ich komme zu einem vierten Punkt. Die SPD hat in ihrem Antrag vom Frühjahr die Vorlage des Versorgungsberichtes angemahnt. Zwar haben wir auf diesen Bericht etwas länger warten müssen, als dies ursprünglich geplant war, aber das Warten hat sich gelohnt, denn Bundesinnenminister Manfred Kanther hat bei der Vorlage dieses Berichts nicht nur den Betrachtungszeitraum weit über die Vorgabe des Bundestages hinaus ausgedehnt. Er hat darüber hinaus auch mutige Vorschläge zur langfristigen Begrenzung des Ausgabenanstiegs in der Beamtenversorgung gemacht. Nach meiner Auffassung sollten wir ernsthaft prüfen, ob die Idee der Abfederung der künftigen Alterslasten durch die frühzeitige Bildung einer Kapitalreserve nicht nur in der Beamtenversorgung, sondern auch in der gesetzlichen Rentenversicherung einen entscheidenden Beitrag zur langfristigen Stabilisierung leisten kann. Zugleich würde damit ein Beitrag zur Harmonisierung der Reformansätze der beiden wichtigsten Alterssicherungssysteme geleistet.
Meine Damen und Herren, mit der großen Rentenreform des Jahres 1957 hat die deutsche Sozialpolitik einen Meilenstein für das international erfolgreiche Modell der deutschen Rentenversicherung gesetzt. Die Reform von 1992 stellt eine konsequente Weiterentwicklung dieses Modells dar. Nun sind wir an der Schwelle zum 21. Jahrhundert erneut gefordert, durch ein belastungsgerechtes Gesamtkonzept zur Erneuerung des Generationenvertrages das Vertrauen in die langfristige Stabilität der sozialen Sicherungssysteme wiederherzustellen.
Die Weichenstellungen hierzu müssen noch in dieser Wahlperiode erfolgen. Dazu, meine Damen und Herren, gehören Entschlossenheit und Mut. Wenn wir diesen Mut aufbringen, dann hat der Generationenvertrag Bestand.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Ulrike Mascher.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen! Der Bundestag hat sich in diesem Jahr schon mehrfach und sehr intensiv mit der Entwicklung und Stabilisierung der gesetzlichen Rentenversicherung auseinandergesetzt. Die Regierungskoalition hat mit ihrer Mehrheit einschneidende Änderungen im Rentenrecht beschlossen.
In der Zeitung, die in meinem Wahlkreis quasi die Heimatzeitung ist, der „Süddeutschen Zeitung", heißt die Überschrift für all diese Maßnahmen der Regierung:
Rentner büßen für Bonn
Leistungskürzungen sollen Fehler der Politik ausbügeln
Diese einschneidenden Änderungen im Rentenrecht führen dazu, daß Frauen und Männer unabhängig von der Arbeitsmarktsituation länger arbeiten sollen. Frau Dr. Böhmer, was das mit Vertrauensschutz zu tun hat, wenn sich die Frauen bei ihrer Lebensplanung auf das Rentenalter 60 eingestellt haben, müssen Sie den Frauen erklären. Ich kann es ihnen nicht erklären.
Die Rente mit 60 wegen Arbeitslosigkeit wurde abgeschafft. Es wurde ein Gesetz zur Förderung eines gleitenden Übergangs in den Ruhestand verabschiedet. Ob dieses Konzept von den Unternehmen überhaupt angenommen wird, muß, jedenfalls im Moment, mit einem ganz großen Fragezeichen versehen werden. Ich sehe momentan in keinem Betrieb Konzepte, die sich auf dieses Gesetz beziehen.
Die Regierung hat drastische Kürzungen bei den Rehabilitationsmaßnahmen durchgesetzt und eine breite Kündigungswelle in Rehabilitations- und Kurkliniken ausgelöst.
Die Anrechnung der Ausbildungszeiten in der Rentenversicherung wurde von sieben auf drei Jahre verringert; zum „Ausgleich" wurde den Studenten die Versicherungspflicht beschert. Wegen der knappen Finanzen der Hochschulen führt die Belastung durch Sozialversicherungsbeiträge zu einem höchst unerfreulichen Ergebnis: Seit Beginn des Wintersemesters gibt es weniger Stellen für studentische Hilfskräfte. So gewinnt die Rentenversicherung sicher nicht das Vertrauen der jungen Generation.
Trotz all dieser kurzatmigen, hektischen Kürzungsaktionen muß der Rentenversicherungsbeitrag angehoben werden. Der VDR, der Träger der gesetzlichen Rentenversicherung, und der Sozialbeirat fordern die Bundesregierung eindringlich auf, den Beitrag nicht wie im letzten Jahr aus politischen Gründen zu niedrig festzulegen. Der Arbeitsminister hatte im letzten Jahr durch allerlei Rechenkunststücke erreicht, daß der Beitragssatz auf 19,2 Prozent festgesetzt wurde mit der Folge, daß der Finanzpuffer der Rentenversicherung, die Schwankungsreserve, in Anspruch genommen werden mußte. - Allein die Auffüllung dieser gesetzlich vorgeschriebenen Schwankungsreserve in Höhe einer Monatsausgabe macht eine Anhebung um 0,5 Prozent des Beitrags notwendig.
Ich möchte an dieser Stelle aus dem Gutachten des Sozialbeirates, eines parteipolitisch unverdächtigen Gremiums, zitieren, um die Notwendigkeit eines realistischen, seriös berechneten Beitrags für die Rentenversicherung zu unterstreichen. Hier heißt es:
Ulrike Mascher
Der Sozialbeirat hält es für unbedingt erforderlich, den Beitragssatz für 1997 ... so festzusetzen, daß die Gefahr vermieden wird, daß die Höhe des Beitragssatzes zur Finanzierung der laufenden Ausgaben unzureichend ist.
Die Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit mit den Diskussionen, die durch einen für 1996 in unzureichender Höhe festgesetzten Beitragssatz ausgelöst wurden, sowie dem damit verbundenen Vertrauensverlust sind ein warnendes Beispiel. Einem weiteren Vertrauensverlust sollte nicht Vorschub geleistet werden. Der Vorwurf einer zu günstigen Finanzkalkulation mit dem Ziel, beim Beitragssatz des kommenden Jahres unbedingt unter der 20-Prozent-Marke zu bleiben, sollte nicht erhoben werden können.
Herr Professor Schmähl, der Vorsitzende des Sozialbeirats, hat dies sehr vornehm formuliert, Frau Dr. Babel. Im Klartext heißt das: Mogelt nicht wieder beim Beitragssatz!
Ich habe zu Beginn meiner Rede die drastischen Einschnitte in das Rentenrecht nach der großen Rentenreform 1992 angesprochen, die alle nicht zur Konsolidierung der Rentenversicherung, zur Stabilisierung des Beitrags und zur Erhaltung des Vertrauens in die Rentenversicherung führen. Haben also die Bannerträger des Ausstiegs aus der solidarisch finanzierten Rentenversicherung recht? Ist das Baby mit der schlauen Brille, das zum Einstieg in die private Alterssicherung motivieren soll, der richtige Ratgeber? Oder sind die Kollegen Kauder, Louven, Seehofer und Waigel - in alphabetischer Reihenfolge - auf der richtigen Fährte, wenn sie die volle Besteuerung der Renten fordern, den vollen Krankenversicherungsbeitrag für die Rentner, die Absenkung der Rente durch Änderung der Rentenformel, eine Anhebung der Altersgrenze auf 67 Jahre - um nur die markantesten Vorschläge dieser Herren zu nennen? Warum wenden sich all diese Energien zur Verbesserung der Finanzierungsbasis der Rentenversicherung nicht der Beseitigung der zwei entscheidenden Ursachen für die aktuellen Finanzprobleme der Rentenversicherung zu?
Der erste Punkt ist die Entlastung der Rentenversicherung von den Kosten, die durch die deutsche Einheit ausgelöst wurden und die ihr von der Bundesregierung zusätzlich aufgebürdet wurden. Ich weiß, das ist keine neue Botschaft, aber es kann nicht oft genug gesagt werden: Die Aufwendungen für das Fremdrentengesetz betragen zirka 10 Milliarden DM, die Kosten für die Auffüllbeträge in den neuen Ländern zirka 4 Milliarden DM, die Aufwendungen für das Zweite SED-Unrechtsbereinigungsgesetz bis zu einer 1 Milliarde DM. Diese 15 Milliarden DM entsprechen etwa einem Beitragspunkt und dürfen nicht länger den Beitragszahlern aufgebürdet werden. Sie müssen vielmehr aus Steuermitteln finanziert werden.
Dies ist angesichts der Haushaltslöcher, mit denen sich der Finanzminister konfrontiert sieht, keine einfache Sache. Aber vielleicht könnten die unermüdlichen Rentenkürzer ihre Phantasie und Kreativität einmal auf eine gerechtere Beteiligung der Vermögensbesitzer an diesen Kosten der deutschen Einheit richten.
Ich habe interessanterweise heute in der Zeitung gelesen, daß die CSU-Sozialministerin aus Bayern, Frau Stamm, auf einer Veranstaltung des DGB erklärt hat, Kapitalerträge und Erträge aus Mieten sollten in die Sozialversicherung einbezogen werden.
Auch das wäre ein Weg, die Sozialversicherung zu stabilisieren. - Herr Singhammer kann uns sicher dazu nachher einiges erklären.
Der zweite für die Zukunft der Rentenversicherung entscheidende Punkt ist die Beschäftigungsentwicklung. Dazu will ich ein paar Zahlen nennen: Ein Anstieg bei den rentenversicherungspflichtigen Beschäftigten um 100 000 Personen erbringt 900 Millionen DM, also fast 1 Milliarde DM an Mehreinnahmen. Allein diese Zahl zeigt, welche Bedeutung eine wirksame Beschäftigungspolitik hat.
Wir erleben aber gerade das Gegenteil: Die Anzahl der Scheinselbständigen wird derzeit auf 600 000 geschätzt - Frau Dr. Böhmer, auch ich habe das Gutachten von Herrn Professor Rürup gelesen -; die Anzahl der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse in bezug auf eine Nebenerwerbstätigkeit ist auf 2,6 Millionen und in bezug auf eine alleinige Erwerbstätigkeit auf 3,6 Millionen angestiegen; wir erleben eine Zunahme der Arbeitslosigkeit, auch angeheizt durch die Kürzungspolitik bei der Bundesanstalt für Arbeit, und eine Abnahme der Erwerbsbeteiligung der Älteren. Bei den 60- bis 64jährigen Männern in den alten Bundesländern beträgt die Erwerbsquote gerade noch 33,4 Prozent; in den neuen Bundesländern sind es noch 14,7 Prozent, die erwerbstätig sind.
All diese Entwicklungen sind aber keine unbeeinflußbaren Naturgesetzlichkeiten. Ihnen kann vielmehr mit einer richtigen Politik entgegengesteuert werden. Scheinselbständigkeit, also auf Werkverträgen beruhende Beschäftigungsverhältnisse, kann der Versicherungspflicht unterworfen werden. Die Österreicher haben uns das gerade vorgemacht. Wir schauen ja so gerne auf andere Länder.
Geringfügige Beschäftigungsverhältnisse können unter bestimmten Voraussetzungen sozialversicherungspflichtig gemacht werden.
Seriöse Untersuchungen sprechen von Mehreinnahmen von 4,7 Milliarden DM. Selbst wenn nur die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse, die neben einer Haupterwerbstätigkeit bestehen, als Grundlage genommen werden, sind Mehreinnahmen von 1,4 Milliarden DM zu erwarten.
Ulrike Mascher
Ich habe eine interessante Zeitungsmeldung in der „Bonner Rundschau" gelesen: Ein CDU-Politiker, der Kollege Wolfgang Vogt, sagt, die F.D.P. verhindere niedrigere Rentenbeiträge.
Es heißt dort wörtlich:
Der christdemokratische Sozialexperte Wolfgang Vogt hat die Liberalen dafür verantwortlich gemacht, daß der Beitragssatz zur Rentenversicherung zum Januar 1997 „um 0,2 Prozentpunkte höher ausfallen wird als eigentlich nötig".
Er weist auf die neben einer Haupterwerbstätigkeit ausgeübten geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse hin.
Frau Dr. Babel, Sie können keinem Menschen in dieser Republik erklären,
warum jemand, der eine sozialversicherungspflichtige Haupterwerbstätigkeit hat, für eine geringfügige Tätigkeit, die er zusätzlich ausübt, keinen Sozialversicherungsbeitrag zahlen soll.
- Nein, das will ich gar nicht. Wenn jemand 590 DM dazuverdient, will ich, daß er dafür auch Sozialversicherungsbeiträge zahlt. Das ist nicht mehr als recht und billig.
Ich frage mich wirklich, warum der Arbeitsminister - was auch Frau Dr. Böhmer beklagt hat - die zunehmende Umwandlung von Vollzeitarbeitsplätzen in nicht sozialversicherungspflichtige geringfügige Beschäftigungsverhältnisse weiter zuläßt. Was tut der Arbeitsminister, um die Arbeitslosigkeit abzubauen, zu halbieren, wie die Vereinbarung in den Kanzlerrunden vor den Landtagswahlen lautete? Warum werden zum Beispiel die Vorschläge des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung - das ist das wissenschaftliche Institut der Bundesanstalt für Arbeit, also kein verdächtiges Institut - nicht aufgegriffen
und wenigstens einmal ernsthaft hier in diesem Parlament diskutiert, nachdem die Vertreter der Selbstverwaltung, also Arbeitgeber und Gewerkschaften, diesem Maßnahmenbündel zugestimmt haben?
Ich bin mir bewußt, Frau Dr. Babel, daß die Forderung nach einer langfristig zurückhaltenden Tarifpolitik, nach einer Verringerung der Überstunden, das heißt der real geleisteten Jahresarbeitszeit mit den damit verbundenen Einkommensverlusten und einer Absenkung der Sozialversicherungsbeiträge bei gleichzeitiger Erhöhung der Mineralölsteuer - ich zitiere das IAB; das ist also keine Erfindung, die nur auf sozialdemokratischem Mist gewachsen ist - kein einfaches Politikkonzept ist. Aber angesichts Ihrer Nullperspektive in der Beschäftigungspolitik müssen wir solche innovativen Ansätze aus der SPD und von den Grünen wie eine ökologische Steuerreform, die mutigen Angebote von Klaus Zwickel und der IG Metall zum Abbau von Überstunden
und die Bereitschaft zu einer beschäftigungsorientierten Lohnpolitik bei den Gewerkschaften endlich zusammenführen, um Beschäftigung aufzubauen und auch die Rentenversicherung wieder zu stabilisieren.
Aber was tut die Bundesregierung? Sie provoziert mit ihrer Kürzung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall die Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften und schlägt die ausgestreckte Hand für ein Bündnis für Arbeit aus. Was tut die Bundesregierung, um das tatsächliche Rentenzugangsalter, das immer weiter unter 60 Jahre absinkt, wieder anzuheben? Sie hebt die Altersgrenzen an und droht den Menschen, die wegen des Verlustes des Arbeitsplatzes oder wegen gesundheitlicher Belastung vor Erreichung der gesetzlichen Altersgrenze in Rente gehen, mit erheblichen Rentenkürzungen.
Wo bleibt die Verbesserung der Gesundheitsprävention angesichts des Kahlschlags bei Rehabilitation und Gesundheitsförderung? Wo bleiben Qualifizierungskonzepte für Ältere angesichts der Kürzung bei Fortbildung und Umschulung im Haushalt der Bundesanstalt? Wo bleibt die praktische Ausführung des Konzepts der Altersteilzeit angesichts einer betrieblichen Personalpolitik, für die ein Alter über 40 Jahre bereits ein Einstellungshemmnis bedeutet? Ein Beispiel: Stellen für über 40jährige werden in den überregionalen Tageszeitungen nur noch in knapp 5 Prozent aller Stellenanzeigen angeboten.
Aber neben dieser aktuellen Arbeitsmarktkrise wird dann auch noch die Veränderung im Altersaufbau unserer Gesellschaft, die demographische Entwicklung, als große Bedrohung der Rentenversicherung dargestellt. Sicher ist die demographische Entwicklung ein wichtiger Einflußfaktor. Ein Katastrophenszenario, das einen Zusammenbruch des derzeitigen Rentenversicherungssystems vorprogrammiert, ist aber keinesfalls gerechtfertigt. Die richtige Antwort auf die Veränderung im Altersaufbau der Bevölkerung ist nicht eine steuerfinanzierte Grundrente,
Ulrike Mascher
die offensichtlich von der CDU/CSU und, wie sie immer wieder erklärt hat, auch von der F.D.P. nicht gewünscht wird. Aber es ist auch nicht das Kapitaldekkungsverfahren. Denn eines sollte man im volkswirtschaftlichen Grundkurs gelernt haben: Ganz gleichgültig, ob es eine umlagefinanzierte Rente oder ob es eine kapitalgedeckte Lebensversicherung ist: Sie muß von der künftigen Generation erwirtschaftet werden. Da beißt die Maus keinen Faden aus.
Frau Kollegin Mascher, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Storm?
Ja, gerne.
Frau Kollegin Mascher, ist Ihnen bekannt, daß eine Gruppe von jungen SPD-Abgeordneten aus dem Bundestag und aus den Landtagen den Generationenvertrag gekündigt und eine massive Verstärkung kapitalgedeckter Elemente in der Alterssicherung gefordert hat?
Herr Storm, selbstverständlich ist mir das bekannt. Ich habe schon mit diesen Kolleginnen und Kollegen diskutiert. Es ist ihr gutes Recht, daß sie Vorschläge, die sie sich ausgedacht haben, in die öffentliche Diskussion bringen. Das ist verglichen mit den wöchentlichen Meldungen aus Ihrer Partei wirklich eine geringe Irritation, die da vielleicht entstanden ist.
Die richtige Antwort lautet: keine weiteren Leistungskürzungen. Ich halte es für ganz problematisch, was hierzu auch von Frau Fischer gesagt worden ist. Die richtige Antwort lautet auch: keine Manipulationen an der Rentenformel. Wir benötigen vielmehr eine Strategie, die dafür sorgt, daß diejenigen, die arbeitslos sind, einen Arbeitsplatz finden, daß auch Frauen, die in steigender Zahl erwerbstätig sein wollen, eine Chance erhalten, Erwerb stätigkeit und Familie miteinander zu verbinden. Wir brauchen eine integrationsorientierte Politik für alle Zuwanderer, die hierher gekommen sind, um mit Erwerbsarbeit ihren Lebensunterhalt auch im Alter zu bestreiten.
Die kurzatmige Rentenpolitik der letzten Monate hat das Vertrauen zerstört. Die Bewältigung der Aufgaben, vor der die Rentenversicherung steht, ist nicht angepackt worden.
Ich erinnere - Frau Dr. Böhmer, Sie haben neue Ideen gefordert - nur daran: Was ist denn mit der additiven Anrechnung der Kindererziehungszeiten bei gleichzeitiger Erwerbstätigkeit? Wo bleibt das Konzept für die eigenständige Alterssicherung der Frauen?
Wo sind die Konzepte gegen die Altersarmut, die bei immer brüchiger werdenden Erwerbsbiographien dringend notwendig sind?
Die SPD hat hierzu Konzepte entwickelt.
Wir werden sie auch hier im Parlament diskutieren. Wir entwickeln aber unsere Konzepte auf der Basis des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung, auf der Basis der Rentenreform von 1992. Wir befinden uns da in guter Gesellschaft. Der Sozialbeirat - ich möchte ihn hier noch einmal zitieren - fordert eine sorgfältige Diskussion und eine sorgfältige Einpassung neuer Maßnahmen in ein in sich schlüssiges und verständliches Gesamtkonzept. Das würde ich mir sehr wünschen.
Der Sozialbeirat erinnert auch an den Grundgedanken des Rentenkonsenses von 1989, nämlich Beitragszahler, Rentner, die in der Vergangenheit schon stark zur Kasse gebeten worden sind, und die Allgemeinheit der Steuerzahler an der Finanzierung der Alterssicherung zu beteiligen. Dem kann man eigentlich nur zustimmen.
Danke.
Das Wort hat jetzt der Kollege Johannes Singhammer.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die heutige Debatte bietet am Schluß Gelegenheit, nochmals zusammenzufassen und einiges klarzustellen. Welche Handlungsalternativen gibt es denn? Nichts zu tun nach der Methode „weiter so", Angst zu machen oder eine Weiterentwicklung des bestehenden Rentensystems. Weiter so wie bisher ohne Änderung wäre eine unehrliche Antwort. Die Menschen spüren dies. Die längsten Ausbildungszeiten, kurze Erwerbsbiographien und eine - Gott sei Dank - ständig steigende Lebenserwartung bei immer weniger Kindern und angesichts der Globalisierung der Wirtschaft verbieten jedes behäbige Beharren von selbst. Deshalb setzt niemand von uns auf die Karte „Aussitzen und Abwarten".
Wir lehnen aber auch jedes bewußte Schüren von Ängsten und Sorgen ab. Wer Angstkampagnen startet, die Rentenversicherung schlechtredet, von Rentendiebstahl spricht und eine düstere Endzeitstimmung verbreitet, schadet der Rentenversicherung mehr als manche nicht eingenommene Beitragsmark. Denn er zerstört etwas, was das Lebenselixier der Rentenversicherung ist: Vertrauen. Mit dem Vertrauen der Rentner spielt man nicht.
Johannes Singhammer
Wir wollen einen dritten Weg gehen. Wir wollen weder Stillstand noch Panikmache, sondern eine Weiterentwicklung entsprechend den geänderten Verhältnissen. Wir sprechen nicht von einer Existenzkrise, sondern von Zukunft. Wir wollen keine Roßkur, sondern eine Fitneßkur für unser Rentensystem.
Wie es guter konservativer Tradition entspricht, prüfen wir zunächst sorgfältig, wägen ab und werden eine zukunftsweisende pragmatische Lösung vorschlagen. Deshalb gibt es auch eine Rentenkommission, die der Bundesarbeitsminister leitet, und auch auf Parteiebene entsprechende Gremien.
- Ich komme gleich darauf.
Sicherlich bedeutet es für manchen eine Zumutung, auf ein fertiges Konzept warten zu müssen. Aber viele wissen auch: lieber kleine Schritte als nur große Sprüche.
Wir versprechen nichts, was nicht auch gehalten werden kann. Darin unterscheiden wir uns beispielsweise von der SPD. Im Blick auf das, was Sie, Herr Dreßler, angesprochen haben, und was auch die Alterssicherungskommission der SPD empfiehlt, zum regulären Bundeszuschuß 15 Milliarden DM an die Rentenkassen zu überweisen, ist zu sagen: Sie wissen doch genau, wie groß die Möglichkeiten sind, die die Haushaltssituation derzeit zuläßt. Entlarvend ist doch eine Bemerkung dieser Kommission, die ich vorlesen darf. Auf die entscheidende Frage, woher denn das Geld kommen soll, stellt man in dieser Kommission lapidar fest:
Die Kommission sieht ihre Aufgabe nicht darin, differenzierte steuerpolitische Vorschläge zur Finanzierung der zusätzlichen Erstattungszahlungen des Bundes an die Rentenversicherung zu machen.
Ich meine, so leicht kann man es sich nicht machen. Luftbuchungen ersetzen keine seriöse Finanzierung.
Wir haben in der Vergangenheit das umgesetzt, was wir angekündigt haben. Ich darf daran erinnern: 2,5 Millionen Rentner, vor allem Frauen, erhalten bereits jetzt Kindererziehungsleistungen in der Rente berücksichtigt.
Wie versprochen, wurde am 1. Juli die zweite Stufe der Pflegeversicherung umgesetzt. Hunderttausende von Müttern und Vätern erhalten jetzt für die Pflege ihrer Kinder und ihrer Verwandten Rentenanwartschaften.
Vergangene Woche waren Schlagzeilen zu lesen: Ostrenten im Schnitt höher als Westrenten. 1 837 DM Rente für den männlichen Durchschnittsverdiener aus den neuen Bundesländern nach 65 Lebensjahren, 1 695 DM in den alten Bundesländern. Für manchen Bezieher kleinerer Renten auch in den alten Bundesländern mag dies eine überraschende Erfahrung sein und gelegentlich auch zu bitteren Nachfragen führen, vor allem bei jenen, die selbst oft jahrzehntelang in der Landwirtschaft schwer geschuftet haben und nur geringe Ansprüche angesammelt haben.
Allerdings muß man auch sehen, daß es in den neuen Bundesländern bis 1990 nicht möglich war, eigenes Vermögen zu erwerben und eine Vorsorge für den Lebensabend zu treffen.
Aber wie auch immer, eines steht unzweifelhaft fest, - das müssen auch die zugestehen, die gerne bei der Metapher der blühenden Landschaften hämisch die Nase rümpfen -: Die Zusagen gegenüber den Rentnern in den neuen Bundesländern wurden eingehalten.
Die Gewinner der deutschen Einheit sind die Rentner in den neuen Bundesländern.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das neue, maßgeschneiderte, angepaßte Rentenrecht, das wir machen werden, wird auf bewährte Elemente wie Umlagefinanzierung und Beitragsorientierung nicht verzichten können. Da sind wir uns einig. Wir werden aber auch die demographische Entwicklung berücksichtigen und kindererziehungsbedingte Nachteile in der Alterssicherung mehr als bisher ausgleichen.
Die Neubewertung des Verhältnisses von Beitragsleistung und Erziehungsleistung, vor allem von Frauen, die nach wie vor die Hauptlast tragen, sichert auch nachhaltig die Zukunft der Rentenversicherung und des Generationenvertrages. Denn im Kern bedeutet der Generationenvertrag ja nur, daß sich eine Generation verpflichtet, für eine nachfolgende Generation an Beitragszahlern zu sorgen. Wir sehen aber, daß 1995 wie auch schon in den vorhergehenden Jahren in Deutschland 100 000 neue Erdenbürger weniger geboren wurden, als Sterbefälle zu verzeichnen waren. Fest steht deshalb, auch bei Vollbeschäftigung wird sich mit abnehmender Entfernung von der Jahrtausendwende die Zahl der Beitragszahler nicht entsprechend steigern.
Deshalb ist die Frage von vielen Jüngeren natürlich gerechtfertigt, ob sie selbst im Alter eine gerechte Gegenleistung für ihre jetzigen Einzahlungen erwarten können.
Auch wenn über die Ursachen dieses demographischen Ungleichgewichtes mancherlei Streit herrscht, sind wir uns in einem, glaube ich, einig: Es wäre verhängnisvoll, wenn sich bei den Jüngeren der Eindruck verfestigen würde, wer sich rentenversicherungstechnisch vernünftig verhält, reduziert seinen Kinderwunsch, und wer sich rentenversicherungstechnisch unvernünftig verhalten will, realisiert sei-
Johannes Singhammer
nen Kinderwunsch. Damit geriete der Generationenvertrag in eine Rationalitätenfalle.
Wir werden deshalb die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahre 1992 zur Neubewertung der Erziehungsleistung umsetzen, nicht weil wir müssen, sondern weil wir wollen.
Danke schön.
Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zum Rentenversicherungsbericht 1995. Das sind die Drucksachen 13/2017 und 13/5030. Der Ausschuß empfiehlt Kenntnisnahme. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei einigen Enthaltungen angenommen worden.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur aktuellen Finanzlage der Rentenversicherung, Drucksache 13/5030. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/3606 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Regierungserklärung zur aktuellen Lage der Rentenversicherung, Drucksache 13/5030. Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 13/3630 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen, PDS und einigen Stimmen aus der SPD, während sich der größte Teil der SPD-Abgeordneten enthalten hat, angenommen.
Interfraktionell wird Überweisung des Rentenberichts 1996 auf Drucksache 13/5370 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/6109 soll an dieselben Ausschüsse überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Zivilschutzes
- Drucksache 13/4980 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
- Drucksache 13/6101 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Erwin Marschewski Hans-Peter Kemper
Manfred Such
Dr. Max Stadler
Ulla Jelpke
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Erwin Marschewski.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf zur zivilen Verteidigung, das sogenannte Zivilschutzneuordnungsgesetz, setzt konsequent die Reformvorstellungen um, die die Bundesregierung dem Parlament in dem Bericht zur zivilen Verteidigung im Jahre 1995 angekündigt hat. Die Gründe liegen auf der Hand: Die äußere Bedrohungslage für unser Land hat sich grundlegend verändert. Der Fall der Mauer, die Wiedervereinigung, die Beendigung des Kalten Krieges, dies alles sind deutliche Belege einer wesentlich verbesserten sicherheitspolitischen Lage.
Es ist daher folgerichtig und sachlich geboten, unsere bisherigen Anstrengungen zum Schutz der Bevölkerung und zur Abwehr von Gefahren der gewandelten Lage anzupassen. Diesem Anliegen ist das Zivilschutzneuordnungsgesetz in vollem Umfange gefolgt. Wir wollen überkommene Strukturen abbauen, überflüssige Demokratie beseitigen und Verwaltungs- und Rechtsvereinfachung.
: Sie wollen überflüssige Demokratie
beseitigen?)
- Herr Kollege Such, wenn Sie einmal zuhörten! - Die bisherige Materie war in drei Gesetzen geregelt. Wir machen daraus ein kodifiziertes Gesetz. Ich halte das für sinnvoll. Das ist ein bedeutsamer Fortschritt in diesem Bereich.
Das Ziel des Gesetzes ist aber auch eine enge Verzahnung der zivilschutzbezogenen Aufgaben des Bundes mit den friedensmäßigen Katastrophenschutzeinrichtungen der Länder und Kommunen. Gerade dies entspricht unseren Vorstellungen von Bürgernähe und bedeutet mehr Eigenverantwortlichkeit.
Dazu muß ich ein paar Sätze sagen und tue es sehr gerne, denn ohne diese eigenverantwortliche und ehrenamtliche Mitarbeit unserer Bürger in den Hilfsorganisationen wären Zivil- und Katastrophenschutz in unserem Lande nicht zu leisten und zu finanzieren. Deswegen sage ich sehr gern den vielen tausend ehrenamtlichen Helfern für die geleistete Hilfe Dank.
Erwin Marschewski
Nach wie vor stellen die vielen freiwilligen Helferinnen und Helfer das tragende personelle Fundament der Hilfsorganisationen dar. Auf ihre innere Bereitschaft, ihre Fachkompetenz, ihren Ideenreichtum können wir nicht verzichten.
Aber - das ist die andere Seite -: Wir können und wollen auch nicht darauf verzichten, mehr schlanken Staat zu verwirklichen. So werden die bisher vier für den Zivilschutz des Bundes zuständigen Einrichtungen auf zwei reduziert: auf das Technische Hilfswerk und auf das Bundesamt für Zivilschutz. Die Akademie für zivile Verteidigung wird in das Bundesamt für Zivilschutz integriert. Darüber hinaus wird der Bundesverband für den Selbstschutz zum 1. Januar 1997 aufgelöst.
Dies bedeutet jedoch nicht die Aufgabe der Ausbildung der Bevölkerung in Selbstschutzmaßnahmen. Sie wird in die Erste-Hilfe-Ausbildung der Sanitätsorganisationen vor Ort einbezogen. Denn wir meinen, gerade die ortsnahe Ausbildung stärkt die Effizienz und Verantwortung. Ich habe dies selbst mit der Landesstelle Nordrhein-Westfalen in Recklinghausen erlebt. Ich darf Ihnen sagen, daß diese Landesstelle beispielhafte Arbeit geleistet hat. Ich darf mich an dieser Stelle bei den Damen und Herren in meiner Heimatstadt, aber auch bei allen freiwilligen Helfern für ihre Arbeit für den Staat und für die Gesellschaft ganz herzlich bedanken.
Eine Bitte habe ich an Sie, Herr Staatssekretär. Ich denke, wir müssen erwarten, daß für die noch verbliebenen rund 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Bereich des Selbstschutzes wirklich sozialverträgliche, einvernehmliche Lösungen gefunden werden. Ich bitte Sie herzlich darum. Es ist Auftrag meiner Fraktion an mich, Ihnen das hier mitzuteilen.
Zu einem anderen Bereich - die Innenpolitik ist vielfältig -: Das bundesweite Sirenensystem mit rund 65 000 Sirenen ist bereits 1992 aufgegeben worden. Rund 33 000 Sirenen hat der Bund den Kommunen für deren Zwecke unentgeltlich überlassen. Für die Modernisierung dieser Einrichtungen hätte der Steuerzahler 500 Millionen DM aufbringen müssen, und die Kosten für die Unterhaltung wären ebenfalls enorm. Künftig wird der Bund bei Katastrophen die Länderwarnsysteme mit in Anspruch nehmen. Der bisher bestehenden zehn Warnämter mit rund 300 Mitarbeitern bedarf es daher nicht mehr.
In der Kürze der Zeit kann ich weitere Vereinfachungen nur andeuten.
Erstens. Die Schutzraumbauförderung durch den Bund wird eingestellt.
Zweitens. Der Bund wird auf spezielle Hilfskrankenhäuser verzichten, ebenso auf die Bevorratung von Arznei- und Sanitätsmitteln.
Drittens. Die Bundesfinanzierung der Katastrophenschutzschulen der Lander sowie der Zentralwerkstätten in den Ländern wird ebenfalls eingestellt.
Viertens. Der Betrieb der Zivilhubschrauber in der Luftrettung wird kostendeckend gestaltet.
Meine Damen und Herren, Verzicht bedeutet jedoch nicht Aufgabe von Notwendigem. Hier ist und bleibt der Bund in der Verantwortung. Was wir eben nicht wollen, ist Doppelgleisigkeit, ist Kompetenzgerangel, sind unterschiedliche Verantwortlichkeiten, die bisher bestanden haben. Seit Einleitung der Anpassungsmaßnahmen und deren Umsetzung im Jahre 1992 haben wir sage und schreibe rund 1 Milliarde DM eingespart, ohne Sicherheitsstandards aufzugeben.
Zum Schluß möchte ich sagen: Die Unionsfraktionen begrüßen dieses Zivilschutzneuordnungsgesetz. Es unterstreicht, so meine ich, die Reformfähigkeit der Bundesregierung; es trägt der veränderten Sicherheitslage Rechnung.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Graf?
Ich bin gleich fertig, Günter Graf. Ich bitte darum, daß wir das im Anschluß durchsprechen. Ich habe nur noch eine halbe Minute Zeit.
Dieses Gesetz ist ein gutes Gesetz; es trägt dazu bei, daß wir konsequent sparen. Vor allem gewährleistet es die Sicherheit unserer Bürger bei der Gefahrenabwehr.
Zum Schluß ein Wort zur Öffentlichkeit, zur Presse. Die Neuordnung des Zivilschutzes ist ein innenpolitisches Vorhaben, daß es, so meine ich, verdient hätte, mehr in der Öffentlichkeit gewürdigt zu werden. Meine Empfehlung, meine Damen und Herren Journalistinnen und Journalisten: Schreiben Sie in Ihren Ausgaben etwas darüber!
Herzlichen Dank.
Keine Zwischenfrage mehr? - Dann hat jetzt der Kollege Hans-Peter Kemper das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Erwin Marschewski, wir können jedes Wort von dem, was Sie gesagt haben, unterstreichen. Es gibt bei dem, was Sie gesagt haben, überhaupt keinen Unterschied zwischen der SPD-Fraktion und der CDU/CSU-Fraktion.
Probleme haben wir allerdings mit dem, was Sie nicht gesagt haben; denn Sie haben eine ganze Menge von den Problemen verschwiegen. Sie haben eine Schönwetterfront aufgebaut. Sie haben die Konsensteile angeführt. Aber das, was an Problemen
Hans-Peter Kemper
übriggeblieben ist, haben Sie geflissentlich nicht erwähnt.
- Die Zeit mag zu kurz gewesen sein.
Auch wir verkennen nicht, daß wir eine völlig neue Bedrohungslage und damit eine völlig neue Sicherheitslage seit Beginn der 90er Jahre haben. Das ist überhaupt keine Frage. Den Warschauer Pakt gibt es nicht mehr. Die Bedrohungslage ist anders geworden. Dies alles findet vor dem Hintergrund einer katastrophalen Haushaltslage statt. Diese hat - das lassen Sie mich noch einmal sagen - Ihre Partei nicht unerheblich mitverschuldet.
- Daß Sie das nicht gerne hören, ist mir klar.
Ich will ganz deutlich sagen: Es gibt keinen Unterschied in der Einschätzung, daß das, was für die Bundeswehr gilt - sie wird reduziert -, auch für die zivile Verteidigung gelten muß. Das ist überhaupt keine Frage. Es geht hier im wesentlichen um die Punkte: Auflösung des Bundesverbandes für Selbstschutz, Schließung der Zentralwerkstätten, Abbau des Warndienstes, Neustrukturierung des THW, Auflösung der Sanitätsmittelbevorratung, Einstellung des Baus von Krankenhäusern. Sie haben das alles erwähnt. Das alles soll dazu dienen, Kosten zu sparen. Gar keine Frage! Das müssen wir tun.
Damit komme ich aber zu einem Kernpunkt. Bei der Umsetzung dieses an sich vernünftigen Vorhabens sind der Bundesregierung eine Menge handwerklicher und sozialer Ungereimtheiten unterlaufen, auf die ich noch zu sprechen kommen möchte. Vorher möchte ich allerdings noch einmal darauf hinweisen, daß wir hier eine Scheindebatte über Regelungen führen, deren Umsetzung schon vor Jahresfrist begonnen hat. Seit Juni 1992 fordern die Haushälter mit Nachdruck eine Neuorganisation des Zivilschutzes.
- Und auch die SPD-Fraktion im Innenausschuß. Es ist erfreulich, daß auch Sie sich nun auf diesen Weg begeben haben und unseren Anregungen gefolgt sind.
1995 hat Innenminister Kanther dann erstmalig den Bericht zur zivilen Verteidigung vorgelegt, nachdem er mehrfach im Innenausschuß gemahnt und bedrängt worden ist. Das hatte sich also sehr lange hingezogen.
Im Dezember des gleichen Jahres hat er dann die Neukonzeption für den zivilen Selbstschutz vorgelegt.
Tatsächlich ist es aber so, daß eine Vielzahl dieser Maßnahmen, über die wir heute diskutieren, längst auf der Haushalts- und Verwaltungsebene vollzogen worden sind. Wir müssen bei einem Vergleich zwischen Zielsetzung und dem, was bereits umgesetzt worden ist, feststellen, daß so gut wie nichts mehr übrigbleibt, was noch zu regeln ist. Wir diskutieren hier Dinge, die längst erledigt sind. Der Bundesverband für Selbstschutz ist so gut wie aufgelöst. Die Zentralwerkstätten für Katastrophenschutz sind aufgelöst. Der Warndienst ist abgebaut. Die Neustrukturierung des THW ist in vollem Gange. Ich könnte die Liste weiter fortsetzen. Das heißt, die haushaltsrechtlichen Fakten sind längst geschaffen.
Aber auf zwei oder drei Punkte in diesem Katalog will ich doch noch einmal eingehen. Da ist einmal der Punkt, den auch Sie schon angesprochen haben: Abschaffung und Einstellung des Warndienstes. Dies sollen wir heute beschließen. Aber der Warndienst existiert schon längst nicht mehr. Auch Sie haben das gesagt. Die Sirenen sind längst abgeschaltet und werden in den Kommunen und Ländern wie Sauerbier angeboten.
Man arbeitet zwar an einem neuen bundesweiten Warnsystem mit dem schönen Namen „BARI". Aber keiner kann sagen, wie weit wir heute damit sind. Die Bundesregierung ist hier ganz eindeutig nach dem Motto vorgegangen, „Mut zur Lücke; Augen zu und durch" .
Ein weiteres, ganz erhebliches Ärgernis ist die Auflösung des Bundesverbandes für Selbstschutz. Da komme ich zu einem ganz entscheidenden Punkt. Nicht die Tatsache, daß der Bundesverband für Selbstschutz aufgelöst wird, ist ärgerlich. Wir begrüßen es, daß wir heute eine Situation haben, in der wir ihn nicht mehr brauchen. Aber wir kritisieren, wie es gemacht wird.
Der Gesetzentwurf für die Auflösung des Bundesverbandes für Selbstschutz wird im November im Innenausschuß vorgelegt. Er soll heute beschlossen werden. Am 31. Dezember kommt der Stempel drauf mit dem Wort „erledigt". Dahinter stehen viele Menschen, die in diesem Bereich beschäftigt sind.
Es ist in diesem Zusammenhang auch nicht nachvollziehbar, daß der Bundesverband für Selbstschutz vor wenigen Jahren in den neuen Bundesländern aufgebaut werden sollte und aufgebaut wurde, obwohl das Aus schon damals abzusehen war, und daß aus dem Westen viele Bedienstete des Bundesverbandes für Selbstschutz mit der Perspektive einer beruflichen Zukunft in die neuen Bundesländer geschickt wurden. Denn noch bevor der BVS richtig aufgebaut war, wurde er von der Regierung plattgemacht.
Das alles geht in folgende Richtung: Zunächst sollte es für die Bediensteten einen Vertrauensschutz bis 1998 geben. Der ist mit einem Handstreich gekappt worden. Am 31. Dezember ist für diese Leute
Hans-Peter Kemper
Schluß. Man muß sich überlegen, was das für diese Menschen bedeutet.
Da waren 820 Mitarbeiter beschäftigt. Ende 1995 waren es noch 424. Inzwischen sind auch diese weitgehend weg. Sie sind in den Vorruhestand geschickt worden - da ging das plötzlich -; sie sind zum BGS umgesetzt worden. Aber über 100 Leute hängen noch heute in der Luft. Sie leben seit fünf Jahren mit der Unsicherheit, nicht zu wissen, wo sie bleiben sollen. Es gibt kurzfristige Maßnahmen über kw-Stellen bis Ende 1997; aber das ist nicht unser Konzept. Wir werden sehr streng darauf achten, daß die gering besoldeten Bediensteten des BVS nicht unter die Räder kommen.
Wir sind einer Meinung, aber Sie haben es nicht erwähnt.
Dagegen mutet die besondere Fürsorge, die die Bundesregierung dem Präsidenten des Bundesamtes für Zivilschutz angedeihen läßt, doch recht eigenartig an. Die Bediensteten der Besoldungsgruppen A 6, A 7, A 8 werden zur Ruhe gesetzt, oder sie zittern noch um ihren künftigen Arbeitsplatz. Die Bundesregierung hat aber keine anderen Sorgen, als einen Spitzenbeamten der Besoldungsgruppe B 6 qua Gesetz abzusichern und ihm eine ausdrückliche Bestandsgarantie zuzusichern.
- Ja, das ist mehr als 10 000 DM.
Erstaunlich ist es schon, daß Staatssekretär Schelter in der letzten Innenausschußsitzung bei der Frage meines Kollegen Fritz Rudolf Körper auf die menschlichen Aspekte bei diesem Vorgang hingewiesen hat, aber nicht etwa auf die menschlichen Aspekte bei den gering Besoldeten, sondern auf die menschlichen Aspekte der Bediensteten im Bereich B 6, bei den Präsidenten. Das ist schon entlarvend.
Die Regierung entdeckt ihr Mitgefühl, wie so oft, nicht mit den sparsam Besoldeten, sondern mit den Spitzenbeamten. Das ist echt ein Ding aus dem Tollhaus. Das ist mit Sozialdemokraten nicht zu machen und auch mit sozialer Ausgewogenheit nicht in Einklang zu bringen. Wie eine solche Klientelpolitik vor dem Hintergrund des ständigen sozialen Kahlschlags von Rentnern und Arbeitnehmern, Behinderten und Arbeitslosen wirkt, brauche ich hier wohl nicht zu sagen. In diesem Punkt können Sie mit unserer Zustimmung nicht rechnen.
Sie machen Verschlankung nach dem Motto: spindeldürre Beine, ausgemergelter Körper, aber dicker Wasserkopf. So stellen wir uns eine Verwaltungsstrukturreform nicht vor.
Ich will Ihnen noch eines sagen: Ich habe den dringenden Verdacht, daß die Regierung in diesem Zusammenhang eine tiefe Verbeugung vor der Partei der Besserverdienenden gemacht hat.
Zu diesem Punkt gestatten Sie mir noch eine Anmerkung. Sie haben eben das Ehrenamt angesprochen, Herr Marschewski. Sie haben die Ehrenamtlichen gelobt; Sie haben sich bei ihnen bedankt. Wir schließen uns diesem Dank an. Aber bei dem, was zur Zeit passiert, sind es die Ehrenamtlichen, die zusätzlich in den sauren Apfel beißen. Hierbei geht eine große Anzahl hochmotivierter ehrenamtlicher Helfer über die Wupper. Es ist nicht zu sehen, wie wir einen solchen Bestand an Ehrenamtlichen wiederbekommen, wie wir ihn jetzt haben. Das ist auch mit Hauptberuflichen nicht zu machen.
Ich beziehe mich da auf ein Gespräch, das mit den Berichterstattern und den Vertretern der ehrenamtlichen Verbände stattgefunden hat. Der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Feuerwehrverbandes hat die Sache dabei noch einmal auf den Punkt gebracht. Er hat damals gesagt: Über Bedrohungslagen kann man reden; aber die eigentliche Bedrohungslage, mit der wir es hier zu tun haben, ist die Haushaltslage.
Ich füge hinzu: Das wird noch verstärkt. Eine Bedrohung ist auch diese Regierung. Wir werden diesem Haushaltsentwurf, obwohl die Zielrichtung stimmt, wegen dieser handwerklichen Mängel unsere Zustimmung verweigern und uns enthalten.
Herr Kollege Such, jetzt haben Sie das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Obwohl ich nur vier Minuten Zeit habe, ist es wichtig, so denke ich, seinen Dank auszudrücken - wie das schon die Redner vor mir gemacht haben -: Ich danke den im Katastrophenschutz ehrenamtlich tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für ihr oft langjähriges Engagement. Sie geben mit ihrem Einsatz ein Beispiel für bürgerschaftliches Eintreten für das Gemeinwesen. Unsere Gesellschaft lebt von solcher ehrenamtlicher Tätigkeit. Das muß deutlich betont werden.
Leider wird dieses Engagement mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung schlecht entgolten. Meine Fraktion lehnt diese Novelle daher aus folgenden Gründen ab: Die Bundesregierung hat in ihrer Vorlage zwar endlich eingeräumt - auch Herr Marschewski hat dies schon festgestellt -, daß in Europa seit der Auflösung des Warschauer Paktes die Kriegsgefahr überwunden und die Sicherheitslage grundlegend verbessert ist. Doch aus dieser späten Einsicht sind leider nur unzureichende und zögerliche Konsequenzen gezogen worden, sowohl in dem vorgelegten Bericht zur zivilen Verteidigung und der Teilkonzeption zum Zivilschutz wie auch in deren rechtlicher Ausgestaltung durch die vorliegende Novelle.
Manfred Such
Auch fehlt es auf der Basis der Neukonzeption immer noch an der seit langem durch die Hilfsorganisationen und auch durch meine Fraktion angemahnten spezifischen Gefahren- und Risikoanalyse, bundesweit und auch regional. Die Trägerorganisationen des Zivil- und Katastrophenschutzes, ihre Führungskräfte und Helfer und Helferinnen müssen wissen, wofür genau sie eingesetzt werden und was sie leisten sollen. Dies ist immer noch nicht exakt definiert und festgelegt worden. Statt dessen hält die Bundesregierung an vielen alten Zöpfen der Zivilverteidigung fest, die nicht nur überholt, sondern auch praktisch, politisch und rechtlich sehr problematisch sind.
Dazu nenne ich exemplarisch folgende Bereiche:
Erstens. Die Bundesregierung beharrt auf einem Regierungsbunker nahe Bonn, der mit großem Aufwand unterhalten wird und demnächst sogar noch ausgebaut werden soll.
Diesem Unsinn hat meine Fraktion, wie in den vergangenen Jahren, auch in den diesjährigen Haushaltsberatungen erneut nachdrücklich widersprochen.
Während viele Landesregierungen ihre entsprechenden Bauwerke lange Pilzzüchtern zur Verfügung gestellt haben, erwägt die Bundesregierung sogar noch einen zusätzlichen Staatsbunker nahe Berlin.
Zweitens. Die Bundesregierung überarbeitet, ungeachtet der gewandelten Situation, die Vorschriften zur zwangsweisen Sicherstellung kriegswichtiger Unterstützungsleistungen in einer bemerkenswerten Vielfalt und Detailfreude. Aktuelle Beispiele sind etwa das Verkehrsvorsorgegesetz und die neue Feldpostverordnung - alles ein wenig ziviler eingefärbt, aber rechtlich und praktisch höchst fragwürdig.
Drittens. Im Bereich des Zivilschutzes im engeren Sinne hält die Bundesregierung mit dem vorliegenden Gesetz fest an der überkommenen Aufenthaltszwangsregelung, § 10 des Gesetzes, am Zwangsdienst der Gesundheitsbediensteten, § 16 Abs. 2, und an der allgemeinen Arbeitsdienstpflicht, § 21, der das Mal der Verfassungswidrigkeit auf der Stirn steht.
Viertens. Auch das Technische Hilfswerk, dessen Auflösung der Bundesrechnungshof schon vor Jahren forderte, soll die Reformen nahezu unbeeinträchtigt überstehen. Über die Gründe und die traditionell guten Beziehungen des THW zur größten Regierungspartei darf in diesem Zusammenhang spekuliert werden. Mittelfristig sollen die Aufwendungen für das THW sogar noch steigen, während die Unterstützung zum Beispiel der Feuerwehren in ihrer Alltagsarbeit vielerlei Einschränkungen erfährt.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, das sind Gründe genug, dieses Zivilschutzneuordnungsgesetz abzulehnen. Meine Fraktion macht hier nicht mit.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt der Kollege Max Stadler.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Gegensatz zu den beiden Vorrednern unterstützt die F.D.P.-Fraktion die gesetzliche Neuordnung des Zivilschutzes in vollem Umfang.
Der Anlaß für die Neuordnung ist ausgesprochen erfreulich. Die Sicherheitslage in Europa hat sich seit 1990 grundlegend verbessert. Aufgabe des Zivilschutzes war es seit eh und je, wie es auch jetzt wieder in § 1 des neuen Gesetzes heißt, „durch nichtmilitärische Maßnahmen die Bevölkerung, ihre Wohnungen und Arbeitsstätten, lebens- oder verteidigungswichtige zivile Behörden, Betriebe, Einrichtungen und Anlagen sowie das Kulturgut vor Kriegseinwirkungen zu schützen".
Nunmehr ist eine Verringerung der hierfür bisher getroffenen Vorkehrungen möglich. Eine Reihe von Zivilschutzaufgaben hat ihre Bedeutung verloren. Es bedarf insbesondere nicht mehr einer staatlichen Förderung des Schutzraumbaus. Es bedarf nicht mehr des Baus und der Vorhaltung von Hilfskrankenhäusern sowie der Bevorratung von Arzneimitteln, ärztlichem Gerät und Ausstattungsgegenständen für Hilfskrankenhäuser in Sanitätsmittellagem. Maßnahmen des Bundes zur Erweiterung des Katastrophenschutzes der Länder sowie der Warndienst können im Umfang reduziert werden.
Aus alledem hat die Bundesregierung die richtigen Konsequenzen gezogen und überflüssige Sonderstrukturen sowie das hinderliche Nebeneinander von Zivilschutz- und Katastrophenschutzkräften in den Ländern beseitigt. Die vier Zivilschutzbehörden des Bundes werden auf das Technische Hilfswerk und das Bundesamt für Zivilschutz reduziert. Abbau und Straffung von Verwaltung und Organisation sind ein praktisches Beispiel für die Absicht der Koalition, mit dem viel zitierten schlanken Staat Ernst zu machen, wo immer dies vertretbar und verantwortbar ist.
Mag es auch vom zeitlichen Ablauf her ungewöhnlich sein, daß die Umsetzung der Anpassungsmaßnahmen größtenteils bereits erfolgt ist, bevor das Gesetz zur Neuordnung des Zivilschutzes in Kraft tritt, so ist auf der anderen Seite doch mit Befriedigung zu registrieren, daß über 1 Milliarde DM seit 1992 durch die Anpassungsmaßnahmen eingespart worden ist. Auch künftig wird sich der Verwaltungsaufwand bei Bund, Ländern und Kommunen im Zivilschutzbereich deutlich verringern.
Gleichwohl behalten der Zivilschutz und insbesondere der Katastrophenschutz ihre Bedeutung für die Zukunft. Dabei wird am Prinzip der Freiwilligkeit der Mitwirkung ehrenamtlicher Helfer festgehalten. Die ehrenamtlichen Helfer haben - das haben auch die
Dr. Max Stadler
anderen Redner zu Recht hervorgehoben - in der Vergangenheit ein Musterbeispiel für gesellschaftliches Engagement geliefert.
Dafür ist ihnen an dieser Stelle auch von seiten der F.D.P. ausdrücklich zu danken. Die Gesellschaft ist weiterhin - künftig wohl mehr denn je - auf die Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger zur Ausübung ehrenamtlicher Tätigkeiten angewiesen. Auch insoweit liegt der vorliegende Gesetzentwurf voll auf der Linie der aktuellen politischen Grundsatzdiskussion.
Eine Anmerkung zum Schluß: Die zu begrüßende konsequente Sparpolitik der Bundesregierung im Zivilschutz schließt nicht aus, dabei entstehende Personalprobleme sehr sorgfältig und mit Fingerspitzengefühl zu behandeln.
Die Koalitionsfraktionen haben bei der Begleitung des Gesetzesvorhabens sowie bei der Beratung im Ausschuß Wert darauf gelegt, daß alle Maßnahmen in einer für die Mitarbeiter sozialverträglichen Weise vorgenommen werden. Nach unserer Beobachtung ist die Bundesregierung dieser Vorgabe bisher nachgekommen. Es wäre wünschenswert, wenn es bei der Umsetzung der Neukonzeption weiterhin gelingen würde, betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden.
Mit dieser Maßgabe findet das Gesetz unsere Zustimmung.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Maritta Böttcher.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! In der Begründung für die gesetzliche Neuordnung des Zivilschutzes wird die veränderte Sicherheitslage in Europa seit 1990 an erster Stelle genannt. Nur, die Maßnahmen halten damit nicht Schritt, weil zum Beispiel als Hauptaufgaben nach wie vor die Aufrechterhaltung der Staats- und Regierungsfunktionen sowie die Unterstützung der Versorgung der Streitkräfte unverhältnismäßig in bezug auf den Zivilschutz bestehen bleiben.
Das soeben erschienene Gutachten des IDNDRKomitees für Katastrophenvorbeugung hat als Hauptergebnis festgestellt, daß Deutschland gegen Katastrophenrisiken nicht ausreichend gewappnet ist. Die Schlußfolgerungen finden sich jedoch nicht genügend im Gesetzentwurf wieder.
Katastrophen sind Ausflüsse des menschlichen Stoffwechsels zwischen Natur und Menschheitskultur und nicht Schicksal. Ein Hauptteil des benannten Gutachtens befaßt sich mit Katastrophenszenarien. Am Beispiel von Erdbeben, Waldbrand, Flußhochwasser, Sturmflut und sogenannten technischen Katastrophen wird mitwirkend dargelegt, welche Risiken drohen und wie ein modernes Katastrophenmanagement funktionieren könnte. Das berührt den Gesetzentwurf aber nicht.
Die Bevölkerung wird viel zu wenig einbezogen. Es fehlt ein einheitliches Rahmenrecht für alle Schutzkomponenten, das Arbeitsschutz, Unfallschutz, Gesundheitsschutz, Gewässer-, Natur- und Umweltschutz, Katastrophen- und Zivilschutz umfaßt. Es fehlt also eine Gesamtkonzeption. Die Mängelliste ist lang, deshalb unterstreiche ich die Wertung von Herrn Kemper ausdrücklich.
So gehen nur bedingt präventionsrelevante Erkenntnisse in die Planung ein, und zu selten erfolgen sie unter Einbeziehung katastrophenrelevanter Gesichtspunkte. Prävention, menschliches Verhalten in Extremsituationen und Führungskompetenz stellen noch immer Mangelangebote dar.
Das Image vom Katastrophenschutz ist veraltet. Schutzleistungen erscheinen defensiv und betulich. Katastrophenschutz spielt eben im Vergleich zum Zivilschutz und dessen Kalte-Kriegs-Deformationen eine viel zu geringe Rolle. Im Gegenteil, der Bund zieht sich auf minimale Aufgabenreste zurück und entledigt sich sogar der Selbstschutzausbildung.
Eines sorgt mich ganz besonders: Gefahren werden heruntergespielt und verharmlost. Eine gefahrenspezifische, in Schutzhandeln umsetzbare Informationspolitik existiert nicht. Eine den Gefahren angemessene Aufklärung in Kindergarten, Schule, Beruf und Freizeit existiert nur in Ansätzen.
Ob und wie die Glieder der Rettungskette in Großschadensfällen und Katastrophen funktionieren würden, ist ungewiß. Katastrophenschutz als soziale Haltung muß Realität werden. Dafür ist die Diskrepanz zwischen der Gesetzgebung, der Realität und der aufopferungsvollen Arbeit der vielen freiwilligen Helferinnen und Helfer noch entschieden zu groß.
Wir können aus den genannten Gründen dem Gesetzentwurf in dieser Form nicht zustimmen und fordern statt dessen ein Gesamtkonzept.
Jetzt hat der Parlamentarische Staatssekretär Eduard Lintner das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist schon mehrfach gesagt worden: Der grundlegende Wandel der Sicherheitslage in Mitteleuropa seit 1990 erforderte natürlich eine Neustrukturierung der Vorkehrungen für den Verteidigungsfall. Dafür ist der Bund zuständig, nicht für die allgemeine Katastrophenlage, Frau Kollegin.
Das Bundesministerium des Innern hat daher diesen Aufgabenbereich einer grundlegenden kritischen Überprüfung unterzogen. Ausgangspunkt war, daß er nicht mehr auf eine große Verteidigungs-
Parl. Staatssekretär Eduard Lintner
anstrengung ausgerichtet zu sein braucht, die praktisch aus dem Stand heraus alle Kräfte des Staates zur Abwehr eines großangelegten Angriffs zu mobilisieren hatte. Die notwendigen Reformen sind im übrigen mit den Ländern eingehend erörtert und abgestimmt worden, übrigens auch mit den Damen und Herren der Opposition, Herr Kollege Kemper. Sie hatten das gerügt.
Der vorliegende Gesetzentwurf zieht nun aus der neuen Lage die notwendigen gesetzgeberischen Konsequenzen. Sie sind ebenfalls genannt worden. Zusammenfassend meine ich: Insbesondere geht es darum, die Neuordnung des Zivilschutzes rechtlich abzusichern und das Zivilschutzrecht auch im übrigen zu aktualisieren, es beispielsweise in einem Gesetz zusammenzufassen, die Verwaltungsstrukturen zu straffen, den Verwaltungsvollzug zu vereinfachen und den Kostenaufwand für diesen Bereich erheblich zu senken.
Der Bund wird deshalb künftig kein besonderes bundeseigenes Warnsystem mehr vorhalten. Das ist auch nicht nötig, Herr Kollege Kemper. Wir haben heute, wie wir alle wissen, Medien - Rundfunk und Fernsehen sind zu erwähnen -, mit denen man die Bevölkerung praktisch zu jeder Tages- und Nachtzeit erreicht.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Graf?
Bitte schön.
Herr Kollege Lintner, an dieser Stelle eine Frage, die ich vorhin schon an Herrn Marschewski stellen wollte. Sie haben gesagt: Wir wollen den Warndienst bundeseinheitlich abbauen. Fakt ist: Er ist abgebaut, er existiert nicht mehr. Stimmen Sie mir in der Einschätzung zu, daß es heute keine Rechtsgrundlage gibt, die die Länder oder sonst jemanden verpflichtet, Warnmeldungen auszustrahlen? Was heute geschieht - wenn es denn geschieht -, geschieht auf der Basis der Freiwilligkeit. Es gibt keine Rechtsgrundlage. Ist diese Einschätzung richtig, oder ist sie falsch?
Herr Kollege Graf, können Sie sich ernsthaft ein Land vorstellen, das in einer solchen Situation nach der Rechtsgrundlage fragt, wenn wir darum bitten, daß die Bevölkerung gewarnt wird? Man sollte also den Legalismus in dieser Sache nicht übertreiben. Deshalb halte ich Ihre Frage schlicht gesagt für weltfremd.
Herr Kollege Lintner, es besteht der Wunsch des Kollegen Kemper nach einer zweiten Zwischenfrage.
Ich muß jetzt leider fortfahren,
weil mir zu wenig Zeit zur Verfügung steht, Herr Kemper.
Ich halte die Zeit ja an.
Wir haben oft über diese Dinge debattiert. Wir brauchen das hier jetzt nicht noch bis ins Detail weiter auszuführen.
Ich wollte nur darauf hinweisen, meine Damen und Herren, auch der kostenintensive Bundesverband für den Selbstschutz soll zum 1. Januar 1997 aufgelöst werden. Das ist gesagt worden, wobei mit den Belangen der betroffenen Beschäftigten - das nehme ich für uns in Anspruch - schon bisher stets sorgsam umgegangen worden ist.
Im Katastrophenschutz verzichtet der Bund auf die Aufstellung besonderer Zivilschutzeinheiten. Er ergänzt statt dessen, was sinnvoll ist, den Katastrophenschutz der Länder durch zusätzliche Fahrzeuge und zusätzliche Ausbildung der Helfer in den für den Zivilschutzfall besonders wichtigen Bereichen wie Brandschutz, Sanitätswesen, Betreuung und ABC-Schutz.
Die Bundesanstalt Technisches Hilfswerk ist neu strukturiert worden und kann damit ihre Aufgaben im Zivil- und Katastrophenschutz sowie in der humanitären Hilfe im Ausland - übrigens ein immer wichtiger werdender Bereich - noch wirkungsvoller erfüllen. Die vom Bund geförderte Breitenausbildung in Erster Hilfe wird zusätzlich um Selbstschutzinhalte erweitert.
Die Reform des Zivilschutzes ist nicht nur sachlich geboten, sie trägt auch den Notwendigkeiten einer konsequenten Sparpolitik Rechnung. Die Anpassungsmaßnahmen werden in Abstimmung insbesondere mit dem Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages bereits umgesetzt - da haben auch die SPD-Mitglieder diese Dinge mitgetragen, meine Damen und Herren von der Opposition -, soweit dies ohne Änderung von Rechtsvorschriften erfolgen kann. Die Aufgaben des Zivilschutzes sind im Haushalt 1996 insgesamt nur noch mit rund 497 Millionen DM ausgewiesen.
Im Vergleich zu 1992 konnte damit der Jahresetat um über 340 Millionen DM - jährlich betone ich - verringert werden. Daraus ergeben sich kumulativ die hier schon mehrfach genannten Beträge von mehr als einer Milliarde DM. Der Regierungsentwurf für 1997 führt die Ausgaben um weitere 40 Millionen DM zurück.
Die Zahl der Bediensteten im Zivilschutz wird bis zum Ende des Jahres 1996 bei Bund und Ländern um rund 1 400 sozialverträglich zurückgeführt. Die Reduzierung um weitere rund 400 Beschäftigte ist geplant. Herr Kollege Marschewski, ich bekräftige noch einmal ausdrücklich unsere alte Zusage, mit
Parl. Staatssekretär Eduard Lintner
aller Kraft einvernehmliche Lösungen der Personalprobleme anzustreben.
Der Bundesinnenminister hat sich zum Zwecke einer flexibleren und zugleich effizienteren Aufgabenerfüllung für eine Budgetierung der Aufgaben eingesetzt. Für das THW ist dies bereits realisiert, für das Bundesamt für Zivilschutz ist die Budgetierung ab 1997 vorgesehen.
Alle diese Reformmaßnahmen sind auch im Zusammenhang mit dem Begriff „schlanker Staat" zu sehen, was eine der Schwerpunktaufgaben der Bundesregierung für diese Legislaturperiode ist. Ihr fühlt sich der Bundesinnenminister ganz besonders verpflichtet.
Der Gesetzentwurf unterstreicht die Bedeutung des freiwilligen und ehrenamtlichen Engagements. Die freiwilligen und ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer sowie die Mitwirkung der Hilfsorganisationen stellen weiterhin die tragenden Säulen im Zivil- und Katastrophenschutz dar, auf den nicht verzichtet werden kann.
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns nach langen Beratungen sorgfältiger Erörterung jetzt den letzten Schritt tun. Verabschieden wir diesen Gesetzentwurf gemeinsam.
Vielen Dank.
Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Zivilschutzes. Das sind die Drucksachen 13/4980 und 13/6101. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen worden bei Enthaltung der SPD und der PDS gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem eben festgestellten Mehrheitsverhältnis angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes
- Drucksache 13/5061 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit
- Drucksache 13/6102 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Horst Schmidbauer
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster der Abgeordneten Beatrix Philipp das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer - wie ich - in der Frage des Arzneimittelgesetzes intensives Aktenstudium betrieben hat, wird feststellen - die meisten von Ihnen werden es aus eigener Erfahrung wissen -, daß sich durch alle Beratungen, die seit 1976 im Gesundheitsausschuß und im Plenum des Deutschen Bundestages stattgefunden haben, eine Meinung wie ein roter Fadèn zieht, nämlich die Beteuerung aller Fraktionen, natürlich besonders der Gesundheitspolitiker und Gesundheitspolitikerinnen, daß die Therapiewahl und Therapiefreiheit, das heißt, die Vielfalt der Behandlungsweisen und -methoden erhalten bleiben müssen.
In dem vorliegenden Gesetzentwurf, den die Koalitionsfraktionen eingebracht haben, geht es um einen Teilaspekt des bisher immer gemeinsam vertretenen Anliegens, nämlich den Erhalt der Mittel der besonderen Therapierichtungen auch nach dem Jahre 2004.
Es ist hier nicht der Ort und die Stunde, um festzustellen, warum in der praktischen Umsetzung des immer wieder gemeinsam betonten Willens Schwierigkeiten aufgetreten sind. Die furchtbaren Erfahrungen mit Contergan und den Blutprodukten haben zwar - zu Recht - zu einer Bewußtseinsschärfung und dem festen Vorsatz geführt, daß sich so etwas nie wiederholen darf und daß alles Menschenmögliche getan werden muß, um es nicht wieder zu solchen Katastrophen kommen zu lassen.
Daraus allerdings den Schluß zu ziehen, daß die Mittel der besonderen Therapierichtungen, die zweifellos, wenn überhaupt, nur sehr geringe Nebenwirkungen haben, so zu behandeln seien, als seien sie gerade erst neu entwickelt worden und nicht schon seit zig Jahren auf dem Markt, mag zwar deutscher Gründlichkeit entsprechen, ist jedoch nicht schlüssig. Im Gegenteil: Dies bindet Ressourcen im Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, die an anderer Stelle, etwa bei völlig neuen Mitteln, dringend gebraucht werden.
Sicherlich gibt es auch Hersteller - damit greife ich ein gestern im Gesundheitsausschuß von der SPD angeführtes Argument auf -, deren Nachzulassungsunterlagen unvollständig bzw. nicht in Ordnung sind. Aber das dürften Ausnahmen sein. Denn welcher Hersteller, der eine Nachzulassung beantragt hat,
Beatrix Philipp
wird sich nicht von selbst bemühen, die Unterlagen komplett zu haben, die er braucht? Grundsätzlich das Gegenteil zu unterstellen bzw. zu behaupten - wie dies selbst Vertreter des BfArM im Rahmen der Expertenanhörung im Wasserwerk getan haben -, halte ich schlicht für abwegig. Kurz: Es muß andere Gründe geben, warum es zu dem Antragsstau und zu den zweifellos langen Wartezeiten kommt, bis ein Mittel nachzugelassen ist. Darüber werden wir an anderer Stelle reden müssen. Diverse Maßnahmen, Hemmnisse abzubauen, sind ja bereits auf den Weg gebracht.
In dem vorliegenden Gesetzentwurf geht es um die Schaffung der Voraussetzungen, die den Erhalt der Mittel der besonderen Therapierichtungen möglich machen.
Es geht um Arzneimittel, die zum Teil seit hundert Jahren auf dem Markt sind. Der Grundgedanke geht auf eine Idee zurück, deren 200. Jahrestag im September 1996 in der Frankfurter Paulskirche begangen wurde.
Ich denke an die Homöopathie, deren weltweite Verbreitung dort eindrucksvoll dargestellt wurde, eine Tradition, auf die wir stolz sein sollten und die sogar als Tradition in den sonst oft einschränkenden EU-Richtlinien besondere Erwähnung gefunden hat. So heißt es in der Richtlinie 92/73 des Rates vom 22. September 1992 - ich zitiere -:
Vor allem den Mitgliedstaaten mit homöopathischer Tradition muß jedoch die Möglichkeit gelassen werden, besondere Regeln zur Bewertung der Ergebnisse der Versuche zur Sicherheit und Wirksamkeit dieser Arzneimittel anzuwenden.
Diese Mittel der besonderen Therapierichtungen - zu denen zählen homöopathische, pflanzliche und anthroposophische Mittel - unterliegen selbstverständlich dem Arzneimittelgesetz und bestimmten Qualitätsanforderungen und -kriterien sowie natürlich auch bestimmten Standards; daran will auch niemand etwas ändern. In der Bevölkerung erfreuen sich gerade diese Mittel zunehmender Beliebtheit und Akzeptanz. Das dürfte eigentlich niemandem entgangen sein. So ergab die im April 1996 durchgeführte Befragung von 1 006 Personen durch das Emnid-Institut, daß 97 Prozent der Befragten gute oder sehr gute Erfahrungen mit der Anwendung pflanzlicher Arzneimittel haben und sie sicherlich auch erhalten wissen wollen. Die „Wirtschaftswoche" dieser Woche berichtet, daß 80 Prozent der niedergelassenen Ärzte mehr oder weniger regelmäßig naturheilkundliche Medikamente und Therapien verschreiben.
Schließlich sollte allen Kritikern zu denken geben, daß ein großer Pharmakonzern vor nicht allzu langer Zeit das erste pflanzliche Arzneimittel auf den Markt gebracht hat - sicherlich nicht, um in seinem Sortiment und unter seinem guten Namen ein Placebo zu
vertreiben, für das manche die Naturheilmittel halten.
Ein Weiteres. Es gibt kaum eine Debatte in diesem Haus, in der nicht vom Standort Deutschland, vom Erhalt bzw. der Schaffung von Arbeitsplätzen gesprochen wird. Deshalb mache ich auch in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam: Die hier zur Debatte stehenden Mittel werden zum allergrößten Teil in mittelständischen Firmen hergestellt.
Das ist zwar kein gesundheitspolitischer oder medizinischer Grund, aber er ist zu beachten.
Eine wie auch immer begründete und durchgeführte Marktbereinigung des Arzneimittelmarktes - da gibt es Aussagen, die von einer ausreichenden Zahl von 2 500 oder 1 500 Arzneimitteln sprechen - bedeutete den Verlust von Tausenden von Arbeitsplätzen.
Wenn also, meine Damen und Herren, Therapiefreiheit für den Arzt, freie Therapiewahl für den Patienten, Therapievielfalt und der Arbeitsplatzerhalt für den Standort Deutschland gemeinsame Ziele sind, wenn es uns mit dem Erhalt der Mittel der besonderen Therapierichtungen ernst ist, dann ist es notwendig, dem hier vorliegenden Gesetzentwurf zuzustimmen.
Denn Faktum ist - daraus leitet sich ein Teil der Begründung unseres Gesetzentwurfs ab - folgendes. Von den in der Nachzulassung befindlichen ursprünglich 31 715 Anträgen für Mittel der besonderen Therapierichtungen sind bis zum 31. März 1996 112 - 112! - Zulassungen erteilt worden. Bei den zu registrierenden homöopathischen Arzneimitteln ohne Indikationsanspruch sind die Zahlen ähnlich: Von 24 234 Anträgen sind 324 Registrierungen erfolgt. Insgesamt liegen also noch knapp 30 000 Anträge vor. Über 11 000 sind überhaupt noch nicht bearbeitet worden.
Heute stellt sich also die Aufgabe - ich gebe zu: wieder einmal -: Das Institut braucht nicht nur mehr Zeit, das dürfte eigentlich allen klar sein. Die Aufgabe heißt auch, verläßliche Kriterien für das Bundesinstitut herzustellen und für die Hersteller vorzugeben, um einerseits mit dem Antragsstau fertig zu werden, oder sich andererseits in die sogenannte 2004-Lösung zu begeben.
Meine Damen und Herren, langer Rede kurzer Sinn: Die Verschiebung von 1995/96 auf 1999, das Hinausschieben des Datums, bis zu dem die Arzneimittelhersteller die Entscheidung treffen müssen, ob sie bei ihrem Antrag auf Nachzulassung bzw. Nachregistrierung bleiben oder darauf verzichten, dient folgenden Zielen.
Erstens. Die in der fünften AMG-Novelle beschlossenen Kriterien für die Nachzulassung der Mittel der besonderen Therapierichtungen bedürfen einer Revision, die zwar EG-konform ist, aber nicht darüber hinausgehen soll.
Frau Kollegin Philipp - -
Ich komme zum Schluß.
Ich wollte Sie nicht zum Schluß drängen, sondern ich wollte Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Knaape zulassen. Ich stoppe dann die Zeit.
Selbstverständlich, gerne.
Frau Kollegin Philipp, ich möchte Sie fragen, ob die Medikamente der besonderen Therapierichtungen, von denen Sie reden, alle apothekenpflichtig sind, oder ob sie dem freien Zugriff zugänglich sind.
Beides.
Darf ich eine zweite Frage nachschieben? Warum fordern Sie dann in § 31 Ihres Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Neuordnung von Selbstverwaltung und Eigenverantwortung in der gesetzlichen Krankenversicherung, daß in Zukunft nur noch apothekenpflichtige Arzneimittel verordnet werden dürfen? Das bedeutet doch, daß diese Arzneimittel dann nicht mehr der ärztlichen Kontrolle unterliegen, daß also praktisch mit Arzneimitteln auch Selbstvergiftungen erzeugt werden können. Wie erklären Sie sich das? Welche Position beziehen Sie dazu?
Herr Kollege, ich beziehe mich jetzt nicht auf das, was im Ausland gang und gäbe ist. Wir werden eigentlich fast belächelt bei dem, was wir mit den Mitteln der besonderen Therapierichtungen machen. Sie wissen genau, daß Mitteln, die im Ausland frei verkäuflich sind, nicht einmal eine Verpackungsbeilage, wie sie bei uns eher erschreckt als hilft, beigefügt ist und zum Teil nur mit Bildern darauf hingewiesen wird, wofür sie sind. Die Begründung, daß sie auf dem freien Markt zu kaufen sind, reicht nicht aus, um sie einem solchen Verfahren zu unterziehen. Im BfArM ist zum Teil dokumentiert worden, daß die Nachzulassung der Mittel 10, 12 oder 15 Jahre dauert.
Das ist für mich kein hinreichender Grund dafür, um das, was ansteht, nämlich die Verlängerung der Frist, für zwei Dinge zu nutzen, nämlich erstens dem BfArM mehr Zeit zu geben und zweitens zu Bewertungsmaßstäben und Kriterien zu kommen, die den Mitteln der besonderen Therapierichtungen entsprechen.
Ich fahre fort: Zweitens. Das BfArM, aber auch die Hersteller der Mittel der besonderen Therapierichtungen brauchen Zeit, um die Kriterien festzuschreiben und verbindlich zu machen. Die Abstimmung darüber läuft bereits.
Drittens. Die Umstrukturierung des BfArM in eine Dienstleistungsbehörde erfordert ebenfalls Zeit. Auch da ist man auf einem guten Weg.
Schließlich ist die Verschiebung des Termins erforderlich, um, wie Sie der Begründung entnehmen können, den größeren Teil der Nachzulassungsanträge nach § 105, der, wie bereits zugegeben wurde, vernachlässigt worden ist, nunmehr verstärkt bearbeiten zu können.
An die Adresse der Hersteller sage ich, weil ich das gestern am Rande gehört habe: Ich sehe dies als eine letzte Möglichkeit, zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen. Mißbrauch werden wir nicht zulassen, falls Hersteller überhaupt mit diesem Gedanken spielen.
Meine Damen und Herren, jetzt wende ich mich insbesondere an die Kollegin der Opposition. Frau Herta Däubler-Gmelin hat die Brisanz der Situation erkannt, nur unseren vorliegenden Gesetzentwurf noch nicht. Würde er nicht beschlossen, hat sie recht, wenn sie sagt, das führe zum Aus für 90 Prozent der Naturheilmittel.
Darum bitte ich die Oppositionsfraktionen, über ihren Schatten zu springen.
Sind Sie gegen eine Arzneimittelmarktbereinigung im Interesse der Patienten, sagen sie ja zum Erhalt möglichst vieler Mittel der besonderen Therapierichtungen. Eröffnen Sie den Menschen in unserem Land die Chance, auch weiterhin mit Mitteln der besonderen Therapierichtungen behandelt werden zu können! Geben Sie den Ärzten die Chance, über diese Mittel weiterhin verfügen zu können! Bleiben Sie dem ursprünglich von allen gewollten Prinzip treu, daß in Deutschland auch in Zukunft Therapie- und Behandlungsvielfalt existieren kann.
Wenn Sie diese Arzneimittel erhalten wollen, Herr Schmidbauer, dann leisten Sie auch einen Beitrag zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen. Die Mittel der besonderen Therapierichtungen sind nämlich fast immer preiswerter.
Vielen Dank.
Jetzt hat der Herr Kollege Schmidbauer das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was uns heute im Eilverfahren vorgelegt worden ist, hat mit einer Novelle natürlich nichts zu tun. Wenn man den Gesetzentwurf als eine Novelle bezeichnen würde, wäre dies, glaube ich, schon sehr vermessen. Ich denke, er ist vielmehr so etwas wie eine Chaosproduktion mittels eines kleinen Scheibchengesetzes, so wie wir es Sitzungswoche für Sitzungswoche erleben, wie es zur Regel geworden ist.
Was uns heute vorgelegt wurde, hat nichts mit der großangekündigten sechsten AMG-Novelle zu tun.
Horst Schmidbauer
Es hat auch nichts mit verbesserter Arzneimittelsicherheit zu tun, worauf so viele Menschen warten.
Mit der sechsten AMG-Novelle verbanden sich Erwartungen für grundlegende und wichtige Reformvorschläge, von denen ich nur einige nennen will, damit sie nicht in Vergessenheit geraten.
Eine Beweislastumkehr muß endlich im Interesse der Verbraucher verwirklicht werden. Im Falle von aufgetretenen Risiken sollte dem pharmazeutischen Unternehmer die Verpflichtung auferlegt werden, nachzuweisen, daß sein Arzneimittel die aufgetretenen Risiken nicht bewirkt hat. Die Beweislast sollte nicht beim Geschädigten liegen.
Eine Verpflichtung der Ärzteschaft, Nebenwirkungen zu melden, muß realisiert werden. Für bereits zugelassene Arzneimittel sollte eine entsprechende Meldeverpflichtung der Ärzteschaft vorgesehen werden.
Das Verbot des Inverkehrbringens fragwürdiger Arzneimittel ist überfällig. Um die Allgemeinheit vor fragwürdigen Arzneimitteln, zum Beispiel Frischzellen, zu schützen, sollte das Inverkehrbringen verboten werden.
Ebenso sollte bei begründetem Verdacht die Herstellungserlaubnis für unwirksame oder bedenkliche Arzneimittel versagt werden können.
Ein Schmerzensgeldanspruch und eine sozialstaatliche Lösung bei Haftungsfragen in Sachen Arzneimittelschäden sollte in Form eines öffentlich-rechtlichen Fonds realisiert werden.
All diese Gedanken sind seit zwei Jahren überfällig und gehörten eigentlich auf den Tisch des Parlamentes.
Ich will mich aber einer anderen Geschichte zuwenden, der unendlichen Geschichte der Arzneimittelnachzulassungen. Alte Hasen sagen, daß dieses Problem schon seit 20 Jahren und länger vor uns hergeschoben wird, von Legislaturperiode zu Legislaturperiode. Selbst Europa konnte die unendliche Geschichte der Leistungsunfähigkeit der deutschen Arzneimitteladministration nicht zu Ende bringen.
Nun schickt sich die Koalition an, der Unendlichkeit der Geschichte noch weiter Rechnung zu tragen. Bis Ende 1996 wären wir Sozialdemokraten in der Frage der Nachzulassung der Koalition gefolgt. Aber auf dem Weg bis 1999 werden wir sie nun alleine wurschteln lassen.
Ich möchte heute schon eine Wette abschließen: Es bleibt nicht bei 1999.
- Ja, wir können darüber wetten. - Die unendliche Geschichte bis 1999 ist der Übergang zur Generalamnestie zu Lasten der Arzneimittelsicherheit und der Qualitätssicherung der Arzneimitteltherapie. Die Frage stellt sich, ob wir uns eine solche unendliche
Geschichte eigentlich leisten können. Ich meine nein.
Spätestens seit 1990 bestand eine weitere Handlungspflicht, eine Handlungspflicht durch die EURichtlinie. Nach dieser EU-Richtlinie mußten bis 1990 alle Altarzneimittel auf Sicherheit, zum Beispiel auf ihre krebserzeugende Wirkung, und auf Wirksamkeit überprüft werden. Alle Europäer haben ihre Aufgabe inzwischen erledigt. Nur der europäische Musterschüler Bundesrepublik Deutschland - übrigens das Land mit der personalstärksten Zulassungsbehörde - drückt sich um die Abschlußarbeit. Die Frage ist, ob dies aus Prüfungsangst oder aus Spekulation um einen günstigen Prüftermin geschieht. Geht es darum, sich um die Prüfung zu drücken, oder um die Hoffnung, ohne Prüfung im Rahmen einer Generalamnestie erst gar nicht antreten zu müssen?
Dem Ansehen des Pharmastandorts Bundesrepublik Deutschland und dem Ansehen des BfArM ist dies abträglich. Internationales Ansehen wird durch einen hohen Qualitätsstandard der Arzneimittel, ein anerkanntes Prüfzertifikat und nicht auf eine andere Weise erreicht.
Gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage der Kollegin Philipp?
Ja, selbstverständlich.
Herr Kollege, stimmen Sie mir erstens zu, daß die europäischen Länder, die Sie gerade erwähnt haben und in denen die Nachzulassung abgeschlossen worden ist, diese Nachzulassung sehr viel unbürokratischer gehandhabt haben? Sind Sie mit mir nicht zweitens der Meinung, daß wir Ärzte und vor allen Dingen die Patienten nicht dafür bestrafen können, daß wir solche bürokratischen Hemmnisse aufgebaut haben?
- Das wollen wir doch, aber Sie wollen nicht.
Ich frage mich, wo Sie in den letzten 14 Jahren waren. Sie hätten doch 14 Jahre eine Politik gestalten können, die diese Arzneimittelbehörde hätte umsetzen können.
Sie müssen sich, bitte schön, Ihrer Verantwortung stellen und nicht versuchen, die Patienten als Geiseln zu nehmen.
Horst Schmidbauer
Ich bleibe dabei: Sie haben 14 Jahre lang die Verantwortung für dieses Land und auch für die Behörde in Berlin gehabt. Herr Minister Seehofer hat dieses Bundesgesundheitsamt zerschlagen und gesagt: Jetzt, da es zerschlagen ist und wir kleine funktionsfähige Einheiten haben, werden wir die Zukunft meistern. - Sie müssen daher zu Ihrer politischen Verantwortung stehen und dafür die Prügel einstecken.
Möchten Sie eine zweite Zwischenfrage genehmigen?
Ja, ich möchte gern den Dialog aufnehmen.
Herr Kollege Schmidbauer, nur der Vollständigkeit halber möchte ich nachfragen: Bin ich richtig informiert, daß durch die Initiative von Nordrhein-Westfalen, einem SPD-geführten Bundesland, Änderungen in die fünfte Novelle eingebracht worden sind, die sich als Hemmnisse herausgestellt haben?
- Das ist so.
Frau Kollegin, man sollte da jetzt nicht etwas suchen. Solange ich Mitglied des Bundestags bin - das sind jetzt sechs Jahre -, haben wir in den Ausschüssen über die Frage geredet, wie die Veränderungen in der Berliner Behörde denkbar und machbar sind. Es ist an der Zeit, zu sagen, daß es einen Terminvorschlag gab. Dieser Vorschlag ist nicht von den Sozialdemokraten erfunden worden, sondern er ist von Ihnen 1996 formuliert worden. Wir haben uns Ihrer Formulierung zunächst angeschlossen. Wenn Sie in den letzten 14 Tagen Ihre Meinung geändert haben und für eine Verschiebung auf das Jahr 1999 plädieren, dürfen Sie mit diesem Ansinnen nicht an uns Sozialdemokraten herantreten. Sie müssen dies vielmehr in Ihren eigenen Reihen einmal klären.
Auch mit Verbraucherschutz hat das, was wir augenblicklich besprechen, nichts zu tun. Es gibt doch Warenanbieter und ihnen hörige Verantwortliche, die meinen, man könne sich die Prüfung der Altarzneimittel sparen, mit der Begründung: Die sind doch schon seit Jahren oder Jahrzehnten bekannt.
Aber die Wirklichkeit spricht eine andere Sprache. Ich will ein Beispiel dafür nennen. Ein Produkt eines süddeutschen Arzneimittelherstellers, bei dem es sich um Enzymmischungen für die Indikation Krebsbehandlung handelt, stand auf Grund seiner Zusammensetzung auf der Negativliste. Einer der Inhaltsstoffe namens Papain besitzt sogar eine Negativmonographie. Das Produkt ist von den Referenten der zuständigen Zulassungsbehörde mehrfach negativ bewertet worden.
Es ist schlicht unwirksam. Die Zulassung für dieses Produkt soll nun verlängert werden. Ich denke, dieses Beispiel spricht für sich.
Wenn es also nicht um das internationale Ansehen der Bundesrepublik, nicht um das internationale Ansehen der Pharmaindustrie und nicht um Verbraucherschutz geht, um was geht es dann? Es ist klargeworden: Bestimmte Anbieter spekulieren erneut darüber, ob sie sich für eine Abverkaufsregelung bis 2004 oder für die Nachzulassung entscheiden.
Und die Spatzen pfeifen es doch von den Dächern: Nachdem man die Positivliste erledigt hat, auf der wenige ungeprüfte Arzneimittel zu finden waren, hat die Frage der Nachzulassung einen neuen Stellenwert erhalten, nämlich im Hinblick auf die Möglichkeit einer Umsatzsteigerung bei nutzlosen und auch gefährlichen Produkten.
Einem Satz der Zwei-Zeilen-Novelle hätten wir allerdings gerne zugestimmt. Dieser eine Satz bringt nämlich 4 bis 5 Millionen DM Einnahmen an Gebühren für die Arzneimittelzulassung im europäischen Bereich. Warum eine solche Änderung erst jetzt greift, bleibt unverständlich. Warum erst SPD und Bundesrechnungshof drücken mußten, damit man seiner Einnahmeverpflichtung nachkommt, bleibt nach wie vor ein Rätsel. Es gibt nur zwei mögliche Gründe: Schlamperei oder die Schonung der betroffenen Brieftaschen.
Eine getrennte Abstimmung ist heute nicht mehr möglich. Deswegen werden die Sozialdemokraten das Gesetz in seiner Gänze ablehnen. Aber bei der atemberaubenden Geschwindigkeit und der unübersehbaren Fahrlässigkeit wird die Strecke zur eigentlichen AMG-Novelle noch sehr lang. Wer allerdings meint, die eigentliche sechste AMG-Novelle könnte dann als siebte Novelle kommen, wird sich wieder getäuscht sehen.
Ob es - auch darüber können wir wetten - die achte Novelle sein wird, steht auch noch in den Sternen.
Ich glaube nicht mehr, daß diese Bundesregierung die Reformkraft für eine Novelle des Arzneimittelgesetzes hat, die diesen Namen wirklich verdient. Ich denke, Sie möchten dieses Problem lieber aussitzen.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Marina Steindor.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zu dem vorliegenden Gesetzentwurf in seinen beiden Artikeln hat meine Fraktion eine differenzierte Meinung. Der Gebührenerhebung für die Amtshandlungen der Arzneimittelzulassungsbehörde im dezentralen Verfahren der europäischen Arzneimittelzulassung stimmen wir selbstverständlich zu. Allerdings - da muß ich meinem Vorredner zustimmen - fragen auch wir uns: Warum erst jetzt? Ich frage mich auch, warum wir als Gesundheitsausschuß erst bei einem Besuch der europäischen Arzneimittelbehörde in London von dem wahren Ausmaß der personellen Belastung des BfArM durch das Einhalten der Fristen und durch die personelle Beanspruchung bei der Bearbeitung der Verfahren etwas erfahren haben.
Ich erinnere mich noch sehr gut an Anhörungen des Gesundheitsausschusses, bei denen der Leiter der Behörde wegen des Zulassungsstaus mit sehr harten Vorwürfen bedacht worden ist. Wir haben erst in dieser Behörde ein realistisches Bild von deren Praxis bekommen.
Ich denke, daß das sicherlich auch daran liegt, daß die Bedeutung der zentralen Verfahren dieser Behörde, die auf biotechnologischen Arzneimitteln basiert, nicht realistisch eingeschätzt worden ist. Ich möchte an dieser Stelle auch betonen, daß die mit gentechnischen Methoden hergestellten Arzneimittel nicht wie erwartet mit einem höheren Prozentanteil, schneller und billiger erfolgreich aus den klinischen Prüfungen zur Marktreife kommen. Deshalb befaßt sich diese Behörde gerade mehrheitlich mit ganz anderen, mit nicht gentechnischen Arzneimitteln. Dadurch kommt ja diese Praxis zustande.
Nun zum zweiten Punkt, der Verlängerung der Nachzulassung bis 1999. Dieser Zeitraum ist unseres Erachtens zu lang. Wir hätten der kürzeren Lösung zugestimmt. Denn der Stau - hier handelt es sich offensichtlich wieder um eine Nichtkommunikation mit der Genehmigungsbehörde -, der aus den prioritär behandelten Listen nach § 109a des Arzneimittelgesetzes erwachsen ist, besteht nicht mehr, da die Listen fast vollständig fertig sind, nämlich bis zum Ende dieses Jahres.
Wir haben sehr große Sympathien für Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen. Auch ich war sehr überrascht darüber, wie einfach dies in den anderen Ländern gehandhabt wird.
Sie aber kommen natürlich nicht aus der Verantwortung heraus. Sie haben all die Jahre die Verantwortung dafür gehabt, wie die Arzneimittelbehörde mit diesem Verfahren umzugehen hat. Wir schätzen sehr wohl empirisches Erfahrungswissen, das sich in diesen Arzneimitteln niederschlägt.
Wir müssen aber natürlich auch die Arzneimittelsicherheit berücksichtigen. Sie werfen hier das Stichwort „Positivliste" in den Raum. Sie wissen sehr wohl, daß nach unseren Vorstellungen eine Positivliste auch für die Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen vorgesehen war.
Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß die Behörde mit dem Fristende 1999 sehr glücklich ist, da sie gerade zu diesem Augenblick eigentlich nach Bonn umziehen sollte. Das führt also dort zu einem organisatorischen Kuddelmuddel.
Ich kann mich auch des Eindrucks nicht erwehren, daß Sie mit dieser Regelung wieder einmal der Industrie entgegenkommen, daß Sie hier unter dem Slogan „Therapiefreiheit" den Anschein erwecken wollen, Patienten etwas Gutes tun zu wollen, daß Sie wieder die Industrie in ihrem Schlendrian - fragen Sie die Behörde, wie viele Unterlagen nicht eingereicht worden sind - bevorteilen wollen.
Wenn ich mir anschaue, was Sie in den letzten Tagen im Haushalt des Bundesgesundheitsministeriums mit der überproportionalen Streichorgie angerichtet haben, wie viele Projekte für Krebskranke, chronisch Kranke, psychisch Kranke, bei der AidsAufklärung usw. Sie finanziell austrocknen und zerstören, kann ich Ihnen diese Sorge um die Therapiefreiheit und um das Wohl der Patienten nicht mehr abnehmen.
Wir lehnen diesen vorliegenden Gesetzentwurf ab.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dieter Thomae.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Koalition schlägt vor, den Termin 31. Dezember 1999 festzulegen. Bis dahin sollen die Unternehmen die Entscheidung treffen, welches Verfahren sie wählen. Die Abverkaufsfrist wird nicht verändert. Von daher denken wir, daß wir den mittelständischen Unternehmen, aber auch den Patienten vernünftige Möglichkeiten einräumen, die freie Therapiewahl zu wahren.
Sie haben in der Tat völlig richtig dargestellt, daß in den anderen europäischen Staaten dieses Gesetzeswerk schon verabschiedet und Verordnungen erlassen worden sind. Ich sage Ihnen: Diese Verfahren, gerade die französischen, interessieren mich sehr, damit wir diese Verfahren auf die deutschen Nachzulassungsmöglichkeiten übertragen können. Sobald wir die letzten Gesetzeswerke hier auf den Tisch legen, werden wir uns mit dieser Thematik beschäftigen. Sie alle wissen: Die Ausführungen darüber, wie pragmatisch man in Frankreich vorgegangen ist, haben uns sehr beeindruckt.
Dr. Dieter Thomae
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang aber auch bitte noch einmal sagen, daß sich die Arbeiten im Bundesinstitut in den letzten Monaten verbessert haben. Wir können aber nicht zufrieden sein. Auch dies müssen wir hier sehr deutlich machen.
Daher sage ich immer wieder: Wir können nicht ausschließen, daß wir auch in diesem Bereich über die Thematik der Teilprivatisierung diskutieren. Ich denke, dies wäre eine wichtige Lösungsmöglichkeit, die Nachzulassungsverfahren schneller und effizienter zu gestalten.
Die Behandlung der Thematik „Finanzierung der dezentralen Verfahren" war ebenfalls überfällig. Ich bedaure es sehr, daß Sie von der Opposition hier nicht mitmachen und nicht sagen: Dies ist eine sinnvolle Maßnahme, auch um vernünftige, gute Mitarbeiter einzustellen, damit wir die Zulassungs- und Nachzulassungsverfahren schneller finanzieren können. Schade, daß Sie sich hier verweigern!
Wir werden den Schritt gehen, auch über die Einnahmen der dezentralen Verfahren die Nachzulassung effektiver zu gestalten. Ich hoffe, daß wir das Bundesinstitut für Arzneimittel mit diesem Mittel finanziell, technisch und personell besser ausstatten können, so daß wir es endlich erreichen, daß unsere nationale Behörde die Konkurrenz mit den dezentralen Zulassungsbehörden, also mit den Zulassungsbehörden in den anderen europäischen Staaten, aber auch mit der zentralen Zulassungsbehörde aufnehmen kann. Denn, meine Damen und Herren, das muß uns klar sein: Wenn wir unsere nationale Behörde nicht stärken, bedeutet dies, die deutschen Unternehmen gehen ins Ausland und veranlassen dort die Zulassung. Das würde eben die wissenschaftliche Position unserer Zulassungsbehörde auf Dauer nennenswert reduzieren. Das können wir nicht wollen. Von daher werden wir diesen Schritt jetzt gehen.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Ruth Fuchs.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nachdem in der Bundesrepublik erst ab 1978 - also deutlich später als in den meisten vergleichbaren Industriestaaten - für neue Arzneimittel auch die notwendigen Sicherheitsprüfungen gesetzlich vorgeschrieben wurden, ist heute, nach weiteren 18 Jahren, etwa die Hälfte der rund 50000 auf dem Markt befindlichen Medikamente noch immer nicht in entsprechender Weise auf Wirksamkeit und Unbedenklichkeit geprüft.
Diese äußerst unbefriedigende Situation ist das Ergebnis immer neuer Zugeständnisse des Gesetzgebers an die Pharmaindustrie. So können die sogenannten Altarzneimittel, die bekanntlich per Definition als fiktiv zugelassen gelten, noch bis zum Jahre 2004 unverändert weiter vertrieben werden, wenn der Hersteller dann künftig auf eine Vermarktung verzichtet. Beschränken sich Altarzneimittel auf bestimmte Anwendungsgebiete, dürfen sie als sogenannte traditionelle Mittel ohne Prüfung und sogar zeitlich unbegrenzt weiter in Verkehr gebracht werden.
Mit der heute zur Abstimmung vorgelegten sechsten Novelle des Arzneimittelgesetzes sollen diese ohnehin unvertretbaren Übergangsregelungen nun erneut verlängert und damit für die Hersteller noch einmal wesentlich großzügiger gestaltet werden. Für die Arzneimittelversorgung bedeutet das, die Qualität eines Großteils der auf dem Markt befindlichen Medikamente bleibt in diesem Lande auch künftig völlig ungesichert.
Hier muß daran erinnert werden, daß bei der Diskussion um die Abschaffung der Positivliste von den Regierungsparteien immer wieder gesagt wurde, sie sei schon deshalb nicht notwendig, weil das Arzneimittelgesetz zur Qualitätssicherung ausreichend ist.
Diese Argumentation wird durch die vorliegende Novelle nun völlig ad absurdum geführt. Unwirksame und bedenkliche Medikamente erfahren jetzt - ganz umgekehrt - durch das Arzneimittelgesetz eine zusätzliche Förderung. Schlimmer noch, der Staat ordnet seine Schutzfunktion gegenüber der Bevölkerung den Interessen der Pharmaindustrie unter.
Gesundheitspolitisch heißt das, ausgerechnet in einer Zeit besonderer sozialer Härte, in der den Versicherten ständig neue Zuzahlungen - nicht zuletzt auch für Arzneimittel - aufgebürdet werden, sorgt sich die Koalition geradezu warmherzig um die Umsätze der Händler und Hersteller, und das selbst dann, wenn deren Produkte medizinisch und pharmazeutisch fragwürdig sind. Ich glaube, das kann niemals im Interesse der Versicherten und der Kranken sein.
So geht von dieser Gesetzesnovelle natürlich auch ein allgemeines politisches Signal aus. Es betrifft die Machtverhältnisse im Land und zeigt wieder einmal schlicht und ergreifend ihre wirkliche Verteilung.
Diesem Gesetzentwurf können wir nicht zustimmen.
- Beim letzten Teil, den Sie genannt haben, wissen Sie, daß die Opposition im Ausschuß zugestimmt hat. Hätten Sie diesen Gesetzentwurf gesplittet, hätten wir dazu die Zustimmung gegeben. Aber unter Beachtung des von mir genannten Teiles ist das einfach nicht möglich, und zwar im Interesse der Versicherten und der Kranken.
Nun gebe ich das Wort der Parlamentarischen Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl.
Parl. Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist eigentlich schon ein starkes Stück, was die Opposition hier bietet.
Herr Schmidbauer, heute prügeln Sie mal wieder auf den Beamten der nachgeordneten Einrichtungen herum, weil es Ihnen gerade in den Kram paßt. Wenn es Ihnen andersherum in den Kram paßt, dann loben Sie die Beamten und prügeln auf uns herum, daß wir denen nicht genügend Unterstützung geben.
Ich will mich heute ausdrücklich bei den Beamten im Bundesinstitut für Arzneimittel für ihre Arbeit bedanken, die sie geleistet haben. Das muß hier mal gesagt werden.
Dann würde ich Ihnen raten, daß Sie einmal zuhören. Sie scheinen nämlich gar nicht zu wissen, worum es im Gesetz geht, weil Sie sehr widersprüchliche Aussagen gemacht haben.
Meine Damen und Herren, Inhalt des Sechsten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes sind zwei Regelungen: die Verlängerung der Erklärungsfrist für den Verzicht auf die Nachzulassung und die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage im Arzneimittelgesetz für die Erhebung von Gebühren bei bestimmten Amtshandlungen der Zulassungsbehörden, die auf europäischem Gemeinschaftsrecht beruhen.
Bei der Verlängerung der Frist für den Verzicht auf die Nachzulassung geht es nicht etwa darum, die Nachzulassung zu verschieben oder den Unternehmen und Behörden ein Signal zu geben, daß die Erledigung dieser Aufgabe nicht mehr so dringlich wäre. Dies sollte keiner - auch nicht die betroffene Industrie - annehmen.
Es geht im Kern vielmehr darum, das Angebot des Gesetzes zum Verzicht auf die Nachzulassung mit dem möglichen weiteren Inverkehrbringen des Arzneimittels bis 2004 noch für drei weitere Jahre aufrechtzuerhalten. Gleichzeitig soll der Verfahrensablauf bei der Nachzulassung verbessert werden. Wenn Sie in diesem Zusammenhang ein negativ monographiertes Medikament anführen, gilt doch, daß dem Hersteller ja bis 2004 weiterhin die Möglichkeit bleibt, es zu verkaufen. Er wird kaum einen Antrag auf Nachzulassung stellen.
- Man muß natürlich verstehen, was man hier redet.
Von dem Angebot, auf eine Nachzulassung zu verzichten, haben die pharmazeutischen Unternehmer bislang bei rund 5 000 Anträgen Gebrauch gemacht. Der Unternehmer muß bei seiner Entscheidung abschätzen, ob ein Arzneimittel keine oder zu geringe
Chancen in der Nachzulassung hat oder ob eine gegebenenfalls erforderliche Erarbeitung zusätzlicher Unterlagen zu aufwendig ist, den verfügbaren Zeitrahmen sprengt oder unwirtschaftlich ist.
In der Vergangenheit waren die Unternehmen dabei aber oftmals auf eine vorherige behördliche Beurteilung der Chancen und etwaigen Konditionen einer Nachzulassung angewiesen. Dies hat sich insbesondere im Sektor der traditionellen Arzneimittel gezeigt, für die das geltende Arzneimittelgesetz in § 109 a ein erleichtertes Verfahren für die Verlängerung der Zulassung vorsieht. Zunächst gab es nämlich keine hinreichende Klarheit über den Traditionsbegriff. Auch aus diesen Gründen konnten im Jahr 1996 die Arbeiten der im Gesetz vorgesehenen externen Sachverständigenkommission an der Liste der zulässigen Anwendungsgebiete für traditionelle Arzneimittel nicht abgeschlossen werden. Deshalb war eine Terminverschiebung erforderlich, die zunächst für Ende dieses Jahres vorgesehen war.
Die Diskussionen im laufenden Gesetzgebungsverfahren haben aber ergeben, daß eine zu enge Terminierung für die Verzichtserklärungen dem Ablauf der übrigen Nachzulassung nach § 105 AMG hinderlich ist, da die Verfahren für traditionelle Arzneimittel die behördlichen Kapazitäten in unverhältnismäßig großem Ausmaß beansprucht haben.
Herr Schmidbauer, ich habe Ihnen zugehört. Es wäre nett, wenn Sie mir auch einmal zuhören würden.
Eine erneut zu enge Frist für den Verzicht auf die Nachzulassung würde diese Kapazitäten weiterhin in großem Umfang für das Nachzulassungsverfahren für traditionelle Arzneimittel binden. Ziel der Terminierung auf den 31. Dezember 1999 ist es deshalb, die Kapazitäten der Behörden verstärkt auf das reguläre Nachzulassungsverfahren zu lenken.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung kommt mit dieser Verbesserung des Verfahrensablaufs den berechtigten Interessen aller Beteiligten an der zügigen Durchführung und an einem baldigen Abschluß des Verfahrens zur Überprüfung der Nachzulassungs-Arzneimittel entgegen.
Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. eingebrachten Entwurf zur Änderung des Arzneimittelgesetzes, Drucksachen 13/5061 und 13/6102. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf in zweiter Lesung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden ist.
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Wir treten in die
dritte Beratung
und Schlußabstimmung ein. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Gesetzentwurf in dritter Lesung mit derselben Mehrheit angenommen worden ist.
Ich rufe auf die Zusatzpunkte 6 a, 6 b und 7:
ZP 6 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur stärkeren Berücksichtigung der Schadstoffemissionen bei der Besteuerung von Personenkraftwagen
- Drucksachen 13/4918, 13/5360 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
- Drucksache 13/6112 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Detlev von Larcher Christine Scheel
Wolfgang Schulhoff
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Rainder Steenblock, Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn), Gila Altmann (Aurich), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Umlegung der Kraftfahrzeugsteuer auf die Mineralölsteuer
- Drucksachen 13/2420, 13/6112 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Detev von Larcher Christine Scheel
Wolfgang Schulhoff
ZP 7 Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Dagmar Enkelmann, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS
Nichterhebung der Kfz-Steuerung für überzählige Kraftfahrzeuganhänger abschaffen
- Drucksachen 13/827, 13/3645 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Barbara Höll
Dr. Dieter Schulte
Zum Kraftfahrzeugsteueränderungsgesetz liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ehe ich die Aussprache eröffne, bitte ich diejenigen Kollegen, die nicht weiter mitberaten wollen, uns die Gelegenheit zu geben, zu beraten.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Abgeordneten Professor Wolfgang Schulhoff.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es hat lange gedauert und war eine schwierige Geburt.
Aber nun können wir über das Kraftfahrzeugsteueränderungsgesetz endlich entscheiden. Wie sagt der Volksmund? - Was lange währt, wird endlich gut.
Leider hat sich durch die EG-Kommission der Termin des Inkrafttretens des Gesetzes um einige Monate verzögert. Wenn das Gesetz erst am 1. April in Kraft tritt, so ist das nicht unsere Schuld; den EU-Behörden lag der Gesetzentwurf seit langer, langer Zeit vor.
- Nehmen Sie doch die Termine.
Als sich die Bundesregierung vor einigen Jahren des Problems der Kraftfahrzeugemissionen annahm, waren uns die USA und Japan ökologisch weit voraus. Sie hatten es zweifellos durch ihre Lage leichter als das Transitland Deutschland, das mitten im Herzen Europas liegt. Anzuerkennen bleibt aber, daß sich beide Staaten schon in den 70er Jahren des Problems annahmen.
Nachdem die Bundesregierung in den 80er Jahren konkrete Pläne zur Emissionsreduzierung auf den Tisch legte, begann hier im Land das uns allen bekannte Lamentieren. Wir kennen das Szenario ja zur Genüge: Die Industrie sah ihre Wettbewerbschancen gefährdet; die einen befürchteten Mitnahmeeffekte, den anderen ging alles nicht schnell genug. Es war dieselbe Prozedur gewesen, die wir auch jetzt bei der Beratung des Gesetzes zu ertragen hatten, wobei das Thema natürlich durch den europäischen Interessendruck eine andere Ausprägung bekommen hat.
Die Bundesregierung und die Koalition ließen sich jedoch nicht beirren und handelten nach dem Grundsatz: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.
- Ja, ja; Erich Kästner war ein kluger Mann.
Mit Augenmaß und Fingerspitzengefühl für das Machbare bedienten sie sich der Kraftfahrzeugsteuer und der Mineralölsteuer als Lenkungsinstrumente, um Autofahrer zu ökologisch sinnvollem Handeln zu bewegen. Allen Unkenrufen zum Trotz wurde die Aktion ein voller Erfolg, nicht nur für Deutschland, sondern sogar für ganz Europa: Das Signal aus Deutschland fand Nachahmung.
Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Steuerbefreiung für Kat-Autos. Nur so haben wir diese einzige bisher bekannte wirkungsvolle Technik zur Reduzierung von Kraftfahrzeugemissionen überhaupt verbreiten können.
Wolfgang Schulhoff
Ein weiteres Beispiel ist die Förderung der Einführung umweltverträglicher Kraftstoffe. Die Mineralölsteuer wurde zwischen verbleitem und unverbleitem Benzin gespreizt. Wer hätte damals geglaubt, daß es heute kaum noch verbleites Benzin an unseren Tankstellen zu kaufen gibt?
Ordnungsrechtliche Eingriffe waren also nicht notwendig. Allein die höhere Mineralölsteuer für verbleites Benzin ließ den Markt im gewünschten Maße reagieren, so wie wir das natürlich wollten.
Diese erfolgreiche Politik soll auch mit dem vorliegenden Gesetz fortgesetzt werden, wobei wir natürlich die Einwände aus Europa zu berücksichtigen hatten. Ich möchte betonen - das muß deutlich gesagt werden -, daß wir ökologisch weitergehen wollten und daß wir dies auch schneller als Europa erzielen wollten. Hätten wir nämlich auf Europa gehört, wären wir in bezug auf die ökologische Entwicklung in unserem Lande nicht so weit, wie wir das heute zum Glück sind.
Also: Die Bundesregierung will sich mit den bisherigen Maßnahmen nicht begnügen. Ab dem 1. April 1997 soll die Kraftfahrzeugsteuer für emissionsarme und verbrauchsgünstige Autos weiter gesenkt werden. Gerade mit der vorgesehenen Steuerspreizung will die Bundesregierung Anreize für eine neue, zukunftsträchtige Technologie schaffen. Auch wenn die Euro-2-Norm ebenfalls zum 1. Januar durch eine europäische Richtlinie verbindlich wird, halten wir den geplanten reduzierten Steuersatz für Fahrzeuge, die diese Norm erfüllen, für gerechtfertigt. Gerade dieser Steuersatz soll bewirken, daß präsumtive Autokäufer sich so schnell wie möglich von ihren - lassen Sie mich das einmal so sagen - „alten Stinkern" trennen.
Bei all unseren Überlegungen darf allerdings eines nicht vergessen werden: Eine moderne und flexible Industriegesellschaft ist ohne das Auto nicht vorstellbar. Das Auto ist und bleibt für viele Menschen das wichtigste Transport- und Fortbewegungsmittel. Wir halten auch aus volkswirtschaftlicher Sicht die Automobilindustrie für eine ganz bedeutende Schlüsselindustrie, für eine bedeutende Industrie für unsere gesamte Wirtschaft.
Wir dürfen ihr nicht mit utopischen Forderungen in ihrem Kernland Deutschland den Teppich unter den Füßen wegziehen. Ansonsten sind hier Millionen Arbeitsplätze gefährdet. Um nicht falsch verstanden zu werden: Der Schadstoffausstoß der Kraftfahrzeuge ist ein bedeutender Mitverursacher der von uns allen beklagten Umweltbelastungen. Aber das Auto ohne Schadstoffbelastung wird es in absehbarer Zeit nicht geben.
Welche Bedeutung unser Gesetzentwurf haben wird, belegen nachhaltig folgende Zahlen. Tagtäglich produzieren noch etwa 10 Prozent der Autos 60 Prozent der Schadstoffbelastung. Hier setzen wir den Hebel an. Durch das marktwirtschaftliche Lenkungsinstrument der emissionsbezogenen Kraftfahrzeugsteuer sollen die noch verbleibenden 15 Millionen Autos ohne Kat schnellstens aus dem Verkehr gezogen werden.
Der Bürger soll angeregt werden, sein Fahrzeug mit einem Katalysator auszurüsten oder sich ein neues Auto zu kaufen. Der Schadstoffausstoß wird damit nachhaltig gesenkt. Die Beispiele belegen das.
Wichtig war uns bei all unseren Überlegungen, erstens ein Steuermodell zu schaffen, das sich effizient und unbürokratisch in unser Steuersystem einfügt; denn mit der Lenkungsfunktion von Steuern wollen wir die Verhaltensweisen der Menschen steuern. Zweitens sollen alle Regelungen den geplanten europäischen Vorschriften gerecht werden. Nicht zuletzt sollte unsere Novellierung keine soziale Ungerechtigkeit schaffen.
All dies ist uns gelungen, auch wenn uns aus Brüssel zwischenzeitlich Steine in den Weg gelegt worden sind, wie ich eben schon ausführte. Die Bedenken, welche die EU-Kommission in letzter Minute gegenüber diesem Gesetzentwurf vorgetragen hat, haben uns überrascht. Doch im Dialog mit Brüssel konnten die Vorbehalte schnell aus dem Weg geräumt werden.
Da die Euro-3-Grenzwerte noch nicht beschlossen sind, erhalten Pkw eine befristete Steuerbefreiung, welche Grenzwerte einhalten, die denen entsprechen, die im Vorschlag der Europäischen Kommission für die Folgerichtlinie zur Euro-2-Norm festgelegt sind.
Dennoch muß ich als Finanzpolitiker zu einem Aspekt dieser kuriosen Kontroverse der letzten Woche Stellung nehmen. Aus Brüssel, Paris und sogar aus Rom hieß es, es dürften durch steuerliche Anreize keine neuen Handelshürden im EU-Binnenmarkt errichtet werden. Dies gelte auch für die deutsche Umweltbesteuerung. Diesen Vorwurf halte ich aus verschiedenen Gründen für äußerst delikat. Entweder wollen wir in Europa Wettbewerb und damit auch den Wettbewerb der Steuersysteme, oder wir wollen es nicht. Forderungen nach einem europäischen Einheitsbrei in der gesamten Steuerpolitik sind absurd.
Dies hat auch etwas mit dem Subsidiaritätsprinzip zu tun: Harmonisierung nur dort, wo Handlungsbedarf vorliegt.
Ein klassisches wettbewerbsverzerrendes Instrument der Finanzpolitik ist natürlich die Subvention. Wir sind uns alle darüber einig, daß es davon europaweit so wenig wie möglich geben darf. Doch wenn jetzt bereits jede Art von steuerlicher Differenzierung durch verminderte Steuersätze in Brüssel als Subvention ausgelegt wird, dann können nationale Steuern in Zukunft gar keine Lenkungsfunktion mehr übernehmen.
Wolfgang Schulhoff
Dies wäre gerade für die Umweltpolitik fatal, schon im Hinblick darauf, daß es bei vielen unserer europäischen Partner noch ein unterentwickeltes Umweltbewußtsein gibt. Eines an die Adresse der Eurokraten: Wir lassen uns nicht zu Tode harmonisieren.
Schließlich noch ein Wort zur Steuerbefreiung der Fünfliterautos. Wegen dieser neuaufgenommenen Passage ist es zu Mißverständnissen in der Öffentlichkeit gekommen. Wir verlangen weiterhin von der Industrie die Entwicklung eines verbrauchsarmen Fahrzeugtyps, gemeinhin als Dreiliterauto bezeichnet. Da diese Technologie noch nicht großserienreif ist, entspricht es dem gesunden Menschenverstand, zunächst die heute zur Verfügung stehende innovative Benzinspartechnik zu unterstützen. Dies ist das Fünfliterauto.
Damit verabschieden wir uns nicht von unserem Ziel. Im Gegenteil: Um die Entwicklung verbrauchsärmerer Fahrzeuge auf breiter Front zu fördern, ist eine abgestufte Steuerersparnis für das Fünfliterauto äußerst sinnvoll. In diesem Punkt haben wir gerne die Anregung von Bundesrat und SPD aufgenommen.
Lieber Herr von Larcher, schließlich ist nichts so gut, daß es nicht verbessert werden könnte.
Lassen Sie mich bitte kurz noch etwas zum Alternativvorschlag einer Umlegung der Kraftfahrzeugsteuer auf die Mineralölsteuer sagen. Es macht ökologisch durchaus Sinn, mit der Umlegung noch bis zum Jahr 2003 zu warten. Würden wir nämlich anders handeln, würden die Altfahrzeuge ohne Kat noch länger auf unseren Straßen bleiben.
Denn nur bei der Orientierung an den Emissionen hat man unmittelbar Einfluß auf die Höhe der ausgestoßenen Schadstoffe. Mit der Umlegung auf die Mineralölsteuer wäre dieser Effekt nicht eingetreten. Schadstoffemissionen stehen in keinem direkten Zusammenhang mit dem Kraftstoffverbrauch. Nur die Kohlendioxidemission ist direkt proportional dazu.
Erst wenn die Fahrzeugflotte annähernd komplett mit einem Kat ausgerüstet ist - dies soll in sechs Jahren der Fall sein -, ist eine Umlegung auf die Mineralölsteuer als ökologisch gleichwertig zu akzeptieren und auch zu verantworten - ganz abgesehen von der Tatsache, daß sie zu einer erheblichen Steuervereinfachung beiträgt; das ist natürlich gut.
Mir ist natürlich auch bewußt, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß dies nur im Einvernehmen mit den Ländern möglich sein wird.
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluß kommen.
Aber ich bin guten Mutes; denn letztlich kann sich keiner vernünftigen Ideen verschließen.
Die CDU/CSU-Fraktion stimmt dem Gesetzentwurf zu.
Ich danke Ihnen.
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Detlev von Larcher.
Das glauben Sie. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Haushalt ist Handwerk, Steuer ist Kunst", so wurde dieser Tage in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" der ehrwürdige Professor Popitz zitiert.
Das kann er aber nur gesagt haben, weil er die Steuergesetzgebung dieser Bundesregierung nicht kannte.
Denn der Begriff „Kunst" kann im Zusammenhang mit der Steuergesetzgebung der derzeitigen Regierung nur dem in den Sinn kommen, der Kunst mit absolutem Chaos verbindet.
Das gilt für die Jahressteuergesetze 1996 und 1997. Das gilt auch für das Kraftfahrzeugsteueränderungsgesetz.
Im vierten Anlauf hat der Finanzausschuß in dieser Woche das Kraftfahrzeugsteueränderungsgesetz in zweiter Lesung beschlossen. Ich sage bewußt „in zweiter Lesung"; denn von einer abschließenden Beratung kann nicht die Rede sein.
Unabhängig von der nach wie vor bestehenden Möglichkeit eines Vertragsverletzungsverfahrens, ausgelöst von einem EU-Land, ist klar, daß wir das Kraftfahrzeugsteuergesetz erneut werden ändern müssen, um nach dem Inkrafttreten der entsprechenden EU-Richtlinie die Europäische-3-Norm umzusetzen. „April! April!" wird es dann heißen, „das war nur ein ganz unverbindlicher Vorschlag von uns".
Wer sich bis dahin nach mühsamem Nachdenken über die überaus komplizierten Regelungen dieses neuen Kraftfahrzeugsteuergesetzes, ein neues Auto gekauft hat, sieht sich vielleicht schon nach kurzer
Detlev von Larcher
Zeit getäuscht, weil versprochene Steuervorteile wieder einkassiert oder abgebaut werden - so, wie Sie auch mit diesem Gesetz diejenigen übers Ohr hauen, die noch vor kurzem, steuerlich begünstigt, ihre Fahrzeuge mit einem ungeregelten Kat nachgerüstet haben, jetzt aber einen Strafzuschlag zahlen sollen. Das ist doch völlig chaotisch.
Chaotisch ist auch das Zustandekommen dieses Gesetzes. Am 25. September wurde im Finanzausschuß der Tagesordnungspunkt nur aufgerufen, um uns mitzuteilen: Wegen Einspruchs aus Brüssel wird heute nicht beraten.
„Aber" - so die Bundesregierung - „das klären wir ganz schnell mit Brüssel. "
Am 9. Oktober stand der Punkt wieder auf der Tagesordnung des Finanzausschusses. Da wurde uns schon vor der Sitzung mitgeteilt: Klärung noch nicht gelungen, wird nicht behandelt.
Am 16. Oktober warteten wir in der Sitzung des Finanzausschusses auf einen reitenden Boten aus Brüssel mit dem Zustimmungsbescheid von Herrn Bangemann.
Bis gegen 16 Uhr kam der von der Bundesregierung für 10 Uhr Angekündigte nicht - wieder keine Beratung.
Am 6. November wieder Vertagung. Zwar war der Brief von Herrn Bangemann mittlerweile da; aber nun hatte die F.D.P. Bedenken.
Dafür mußte es gestern ganz, ganz schnell gehen mit neuen Formulierungen, damit wir die heutige Debatte führen können - so schnell, meine Damen und Herren, daß der Umweltausschuß als mitberatender Ausschuß die neue Vorlage nicht beriet, sondern seine Stellungnahme auf der Grundlage des ersten überholten Entwurfs abgegeben hat.
Als Tischvorlage bekamen wir dann den Artikel 6 mit der Regelung des Inkrafttretens zum 1. April.
Das ist natürlich das einzig angemessene Datum für das Inkrafttreten eines solchen Gesetzes.
Allerdings hätten wir dann ordnungsgemäß beraten können und hätten das gestern nicht beschleunigt beraten müssen.
Ich sage Ihnen, warum die Eile notwendig ist: Sie ist nicht im Gesetz begründet, sondern sie ist notwendig, weil die Bundesregierung noch Spielmaterial für den Vermittlungsausschuß haben möchte.
Kann man sich noch mehr blamieren, meine Damen und Herren Gesetzgeber von den Koalitionsfraktionen?
Wir haben Sie nach der zweiten Absetzung nachdrücklich aufgefordert, den Gesetzentwurf zurückzuziehen und Ihre Energie besser auf die Durchsetzung zeitgemäßer Abgasstandards in der EU zu verwenden. Diese Chance ist Ihnen auf dem silbernen Tablett serviert worden. Sie hätten sich ohne wesentlichen Gesichtsverlust aus der Affäre ziehen können.
Beim nächsten Mal hätten Sie dann einen Entwurf vorlegen können, der die zahlreichen Mängel dieses Entwurfs vermeidet. Warum nur haben Sie diese Chance nicht ergriffen? Warum bestehen Sie darauf, allen Bedenken zum Trotz, unbedingt noch in diesem Jahr die Kraftfahrzeugsteuer zu ändern? Warum nehmen Sie dafür neben dem Fallstrick Euro 3 nun auch noch das fernere Euro 4 in das Gesetz mit auf und verkaufen uns dies als Kompromiß mit der EU-Kommission, wissen Sie doch genau, daß dies noch eine zusätzliche Angriffsfläche für andere EU-Staaten darstellt?
Ihr Gesetzentwurf folgt nicht ökologischen Überlegungen -
unter diesem Aspekt hätten Sie ihn ja auch sofort nach dem negativen Urteil der Experten in der Anhörung im Juni zurückziehen müssen -, sondern ist nur ein neues Abkassierungsmodell, eine Art umgekehrte Abwrackprämie: Wer nicht abwrackt - vielleicht, weil er nicht kann; überlegen Sie einmal, wer die alten Stinker fährt -, zahlt Strafsteuern.
Es ist doch wirklich niemandem mehr verständlich zu machen, daß Sie den Steuersatz für alle Neuwagen, die ab dem 1. Januar 1997 zugelassen werden können, noch senken und ihn für die Altfahrzeuge um so stärker erhöhen. Das ist nicht nur ökologisch nutzlos,
sondern sogar kontraproduktiv, weil sich damit die vorgesehenen Steuerermäßigungen für besonders umweltfreundliche Fahrzeuge nicht voll entfalten können.
Hinzu kommt, daß Sie mittlerweile für Benzin-Pkw nur noch halb so hohe Steuervorteile gewähren wollen wie für Diesel-Pkw. Ihre verquere Logik lautet:
Detlev von Larcher
Für Diesel gelten weniger strenge Grenzwerte, also müssen sie doppelt so hohe Steuervorteile genießen.
Das ist so ziemlich der größte ökologische Unfug, der mir bisher untergekommen ist.
Sie werden sicher geltend machen, daß Sie in diesem Punkt auf unsere Kritik aus der ersten Lesung des Gesetzentwurfs eingegangen seien. Aber unsere Kritik richtete sich eben dagegen, daß die Steuerbefreiung insbesondere von kleineren Benzin-Pkw in der vorgesehenen Restlaufzeit nicht ausgeschöpft werden kann und deshalb zu gering ist.
Positiv vermerken will ich - mein Vorredner ist darauf eingegangen -, daß gegenüber dem ersten Entwurf nun auch Fünf-Liter-Autos in den Genuß einer steuerlichen Förderung kommen sollen - ein Vorschlag des Bundesrates, den Sie erfreulicherweise einmal nicht blockiert haben.
Chaotisch war das Verfahren bei der Kraftfahrzeugsteuer, und immer chaotischer wurde der Inhalt. Der Gesetzentwurf enthält zwar jetzt statt zwölf nur noch zehn verschiedene hubraumbezogene Steuersätze, aber dafür sechs verschiedene Steuerbefreiungstatbestände - ein schönes neues Tätigkeitsfeld für Steuerberater. Aber wenn die Autokäufer vor dieser Aufgabe steuerlicher Optimierung kapitulieren, dann bleibt Ihre Reform wirkungslos.
- Wenn Sie zurufen wollen, dann müssen Sie sich in Ihre Fraktion setzen, Herr Hauser.
Mit einer Abkehr von der hubraumbezogenen Besteuerung hätte man die Kraftfahrzeugsteuer übersichtlicher gestalten können, und darüber hinaus hätte man auch verschiedene ökologische Zielsetzungen - Schadstoffbelastung, Kraftstoffverbrauch, Lärm - wesentlich präziser und differenzierter in die Bemessungsgrundlage integrieren können.
Doch eine wirkliche und ökologisch wirksame Reform der Kraftfahrzeugsteuer hatten Sie ja auch nicht geplant. Es geht Ihnen allein um den Anschein ökologischer Politik, mit dem Sie Ihre fortgesetzte Untätigkeit in den Kernbereichen der Umwelt- und Verkehrspolitik übertünchen wollen.
Nun noch zu einer besonderen Verrücktheit, die zeigt, daß die Koalitionsparteien null Vertrauen zueinander haben. Total zerrüttet, diese Ehe! Mit dem Artikel 6 des heutigen Gesetzes - ich habe es schon
angesprochen - bekommt das Kraftfahrzeugsteuergesetz ein Verfallsdatum. Das Verfallsdatum soll die F.D.P beruhigen. Sie traut nämlich dem in der Begründung erklärten Willen nicht, die Kraftfahrzeugsteuer auf die Mineralölsteuer umzulegen, wenn es soweit ist. Auf einen richtigen Gesetzestext kann man sich nicht einigen. Also: Große Not; bloß nicht schon wieder Streit. Ausweg: Verfallsdatum.
Nun weiß inzwischen jeder, was Gesetze dieser Koalition wert sind: nichts. Denn die gesetzlich garantierte Kindergelderhöhung um 20 DM wollte die Koalition ebenfalls zurücknehmen.
Nur unser Druck, nicht bessere Einsicht, verhinderte das Bubenstück. Meine Damen und Herren Koalitionäre, jeder weiß: Ihre Versprechungen sind nichts wert, auch wenn sie in einem Gesetz gegeben werden.
Dieses Datum dient nur dem untauglichen Versuch der Gesichtswahrung. Was der F.D.P. beim Thema Senkung des Solidaritätszuschlages mißlang, soll ihr wenigstens hier nicht passieren.
Die Gesichter der Abgeordneten der CDU/CSU, als ich dies im Ausschuß vorgetragen habe, haben Bände gesprochen.
- Wenn Sie noch weiter zwischenrufen, erzähle ich Ihnen, was mir aus Ihrer Fraktion im Fahrstuhl erzählt wurde.
Zusammenfassend will ich festhalten: Im vorliegenden Gesetzentwurf werden weitreichende ökologische Steuerungsmöglichkeiten insbesondere hinsichtlich des Kraftstoffverbrauchs und damit der CO2-Emissionen nicht ausreichend genutzt. Krafträder und kleinere Nutzfahrzeuge werden nicht berücksichtigt. Auch hier werden Lenkungsmöglichkeiten verschenkt und unvertretbare Verzerrungen heraufbeschworen. Völlig ungerechtfertigt ist die steuerliche Vorzugsbehandlung für den Dieselantrieb.
Mit enormem Verwaltungsaufwand soll eine Gesetzesänderung umgesetzt werden, die schon in ein paar Jahren wieder abgeschafft wird.
Detlev von Larcher
Dabei wird nicht die beste verfügbare Technologie gefördert, sondern schlicht der Kauf von Neuwagen.
Sinnvoll und notwendig wäre es gewesen, die Reform der Kraftfahrzeugsteuer als Element einer umfassenden ökologischen Steuerreform zu begreifen und in diesem Rahmen starke Anreize sowohl für besonders schadstoffarme als auch für besonders energiesparende Technologien durchzusetzen. Dies leistet Ihr Gesetzentwurf nicht. Die SPD-Fraktion wird ihn deshalb ablehnen. Sie sollten unserem guten Beispiel folgen und zudem unserem Entschließungsantrag zustimmen.
Ich danke Ihnen.
Ich gebe das Wort der Abgeordneten Gila Altmann.
Meine Damen und Herren! Herr Präsident! Ich finde, wir sollten diese Kfz-Steuer zum Running Gag dieser Legislaturperiode krönen.
Denn ich denke, wir sind noch längst nicht am Ende.
Herr von Larcher, ich muß Sie bewundern, daß Sie versucht haben, auch noch etwas Konstruktives aus diesem Gesetzentwurf herauszuziehen.
Wir sind nun also beim dritten Versuch - ich betone: Versuch - der zweiten und dritten Lesung dieses Gesetzes. Wir erinnern uns: Vorher fiel den Urhebern dieses als ökologisch verkauften Machwerkes nicht auf, daß gegen Abgasgrenzwerte, die von der Bundesregierung selbst angeregt wurden, europarechtliche Bedenken bestehen, weil sie vergessen hat, den Stand der Umsetzung ihrer eigenen Initiativen zu verfolgen. Ausgerechnet auf Anregung der deutschen Automobilindustrie hat Brüssel eine Vertragsverletzung beanstandet. Das stelle man sich einmal vor: die Grünen und die SPD in einem Boot mit dem ADAC und der Automobilindustrie!
Das ist neu. Die Bundesregierung steht mal wieder im Hemd da. Das Ganze wurde dann auch noch klammheimlich in der Hitze der Nacht glattgebügelt. Herr von Larcher hat das, finde ich, sehr treffend beschrieben.
Da ergibt sich jetzt ein Problem. Da die Euro-3und die Euro-4-Norm immer noch nicht beschlossene Sache sind, kann noch jeder EU-Staat gegen die Behinderung des freien Warenverkehrs klagen. Man
könnte jetzt einmal fragen: Haben Sie schon etwas aus Frankreich, Spanien, Italien gehört, ob sich da etwas geändert hat?
Ein hervorragendes Beispiel der derzeitigen Finanzpolitik: hektisch, unkoordiniert, unsozial, unökonomisch und unökologisch.
Hinzu kommt nicht nur, daß den Ländern mehr und mehr Einnahmen weggenommen werden, sondern auch, daß bessergestellte Neuwagenbesitzer entlastet werden, während die Kleinen mal wieder löhnen dürfen. Das ist die Logik der CDU-F.D.P.-Koalition: Wenn man den Betuchten etwas gibt, dann muß man den sozial Schwächeren auch etwas nehmen. Das hat was.
Inhaltlich wird uns dieser Gesetzentwurf als ökologische Komponente des Steuerrechts verkauft, und zwar trotz der öffentlichen Anhörung zum Gesetzentwurf vom 12. Juni dieses Jahres, in der der Entwurf in der Luft zerrissen und die sogenannte emissionsbezogene Komponente als umweltpolitisches Alibi der Bundesregierung entlarvt wurde.
Das gleiche in Grün ergab ausgerechnet eine vom Bundesministerium für Verkehr in Auftrag gegebene Studie zu den gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen preispolitischer Maßnahmen zur CO2-Reduktion im Verkehr. Sie merken es vielleicht schon, ich rede wieder einmal von der IFO-Studie, die immer noch nicht herausgerückt worden ist.
In dieser Studie steht, daß selbst unter Voraussetzung einer gezielt zur CO2-Minderung noch wesentlich schärfer angehobenen Kfz-Steuer keine Alternative zur Erhöhung der Mineralölsteuer besteht. „Die gegenwärtig zu entrichtenden Steuerbeträge in Höhe von wenigen hundert D-Mark reichen in keiner Weise aus, Kaufentscheidungen nennenswert in Richtung umweltverträglicher Fahrzeuge zu beeinflussen. "
Leider ist Herr Waigel nicht da, sonst hätte ich ihn jetzt aufgefordert, seinen Kollegen Wissmann endlich dazu zu bringen, diese Studie herauszurücken und dies nicht nur gelegentlich im Plenum zu versprechen.
Zurück zur Kfz-Steuer: Weder findet das Verursacherprinzip Anwendung, noch werden Lärmemissionen als Kriterium berücksichtigt
- wir versuchen ja, es ihnen beizubringen; deshalb nenne ich das auch -, geschweige denn, daß der Kraftstoffverbrauch von Pkw eine Rolle spielt. Trotzdem wird uns immer wieder vorgegaukelt, die CO2Emissionen eines Fahrzeugs und damit sein Verbrauch - das hängt nämlich zusammen, meine Herren - hätten hier Berücksichtigung gefunden.
Das Ergebnis ist ein ökologischer Irrsinn. Großraumlimousinen uns allseits bekannter bayerischer
Gila Altmann
und württembergischer Firmen mit Verbräuchen von bis zu 25 Litern pro 100 Kilometer werden bei Einhaltung der Euronormen steuerlich gefördert
- ja, das wollen Sie nicht hören -, ältere, verbrauchsarme und wenig gefahrene Kleinwagen abgestraft.
Wer schafft für 400 DM mehr Steuern im Jahr seinen sogenannten alten Stinker ab? Man muß sich natürlich auch fragen: Wo kommt dieser Stinker hin? Er wird zwar hier vom Markt genommen, aber er taucht dann in Osteuropa oder in Südostasien wieder auf. Wenn das bundesdeutsche Ökologiepolitik ist, dann gute Nacht, Marie!
- Nein, man muß sich einfach einmal fragen, was ökologisch sinnvoller ist: wenn jemand ein altes Auto hat, es pflegt, es sparsam benutzt und umweltbewußt fährt oder wenn jemand einen Haufen Kohle hat, sich jedes Jahr das neueste Modell kaufen kann und dann mit gutem Gewissen durch die Gegend heizt und jeden Meter mit dem Auto fährt.
Ich will mich ruhig auf die Logik der Bundesregierung einlassen. Ich zitiere dazu die Antwort auf eine Kleine Anfrage der SPD. Darin steht: „Der Gesetzentwurf bezieht zwar den CO2-Ausstoß der Pkw nicht in die Bemessungsgrundlage der Kraftfahrzeugsteuer mit ein." Und weiter: „Es sollen jedoch befristet solche Pkw von der Steuer befreit werden, die nicht mehr als 90 Gramm CO2 pro Kilometer emittieren. "
Das ist frei nach dem Motto der Autoindustrie: Wasch' mir den Pelz, mach' mich nicht naß, aber ein bißchen Ökoshow muß schon sein. Das heißt, die Besteuerung von Kfz nach CO2-Emissionen wird es nicht geben, und Kohlendioxidgrenzwerte damit erst recht nicht.
Wie paßt das mit der Steuerbefreiung nach den von Ihnen festgesetzten CO2-Grenzwerten für das Drei- und Fünf-Liter-Auto zusammen? Hat denn die Bundesregierung nicht, wie oben zitiert, das Gegenteil geplant, nämlich daß es Kohlendioxidgrenzwerte in der Abgasgesetzgebung nicht geben wird? Oder wie? Oder was?
Ich frage mich: Regiert hier das blanke Chaos?
Wenn ich dann von dem Redner der CDU höre, das sei erfolgreiche, vernünftige und effiziente Politik, dann frage ich mich: Was hat uns noch alles zu erwarten? Wenn das der Maßstab ist, dann gute Nacht, Marie, oder besser: gute Nacht, Theo.
Hier wird system- und planlos an einem Gesetz herumgedoktert, das nichts nützt, außer daß es Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für Politiker und Finanzbeamte darstellt, die das Ganze händeln sollen.
Das sollen genau noch die Länder umsetzen, die davon nichts als Minus erwarten können.
Warum, meine Herren, machen wir es nicht viel einfacher? Gegen dieses Chaos in den Gehirnwindungen der Koalition empfehlen wir die Erhöhung der Mineralölsteuer jetzt -
Frau Kollegin Altmann, Sie müssen zum Schluß kommen.
-, bei gleichzeitiger Abschaffung der Kfz-Steuer. Warum brauchen wir dafür noch fünf Jahre? Das können wir jetzt. Es würde unzweifelhaft dazu führen, daß die realen Verbräuche zurückgehen, daß die Innovation bei den Kfz-Herstellern beschleunigt wird und daß die Bürger, die Industrie, die Länder und der Bund wissen, woran sie sind. Es nutzt vor allen Dingen der Umwelt.
Danke.
Ich gebe dem Abgeordneten Horst Friedrich das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu der Kollegin Altmann könnte man sagen: Gut gebrüllt, Löwe. Wenn ich mir allerdings zu dem Thema die Anträge der Grünen anschaue, dann wundert mich die Aufregung schon ein bißchen. Wenn ich mich recht erinnere, kommt ein Bleichlautender Antrag, nämlich die Umlegung der Kfz-Steuer auf die Mineralölsteuer, auch aus dem Bereich Bündnis 90/Die Grünen.
Wenn ich mir das große Tränendrüsengeheul anhöre, wie unsozial der Vorschlag sei, frage ich mich: Was ist denn im Verhältnis zu einer Umstellung der Kfz-Steuer eine stetige Erhöhung der Mineralölsteuer? Das trifft überwiegend auch die sozial Schwächeren, und zwar deutlich mehr als ein einmaliger Betrag von im Schnitt 350 DM oder 360 DM im Jahr für die Kfz-Steuer. Also, ein bißchen mehr Realitätssinn bei der ganzen Behandlung wäre vielleicht angebracht.
Auch wenn der Gesetzentwurf nicht unbedingt eine Glanztat ist, was den Ablauf angeht - das muß man offen zugeben und sollte man auch nicht verheimlichen;
ich habe das öffentlich gesagt und stehe auch dazu -, so steht er immerhin in mehreren Punkten in krassem Gegensatz zu dem Entschließungsantrag, den die SPD vorlegt. Denn Ihr Antrag, meine Damen und Herren auf der linken Seite, ist ein klassisches Steuererhöhungsprogramm in dreistelliger Millionenhöhe. Das, glaube ich, kann nicht der Ernst der Sache sein. Das werden wir auch nicht machen.
Horst Friedrich
Was haben wir mit diesem Gesetzentwurf versucht? Zunächst wollten wir den Anteil des Kraftfahrzeugverkehrs treffen, die 10 Prozent, die für zwei Drittel des gesamten Schadstoffausstoßes verantwortlich sind.
Dafür wird die bessere Technik belohnt, insbesondere die Dieseltechnik, die nämlich wesentliche Ihrer Forderungen erfüllt: a) im Durchschnittsverbrauch deutlich unter dem Ottomotor zu liegen und b) im Hinblick auf die CO2-Werte nicht das Problem darzustellen. Dieser Aspekt wird hier immer verniedlicht und negiert.
Wir haben also den Diesel belohnt. Wir belohnen die neue Technik, und wir fördern das Umsteigen von älterer Technik auf die neue, insbesondere aber die Nachrüstung von Fahrzeugen mit bisher ungeregeltem Kat auf Fahrzeuge mit geregeltem Kat. Dafür gilt dann ebenfalls der Vorteil der ermäßigten oder die Beibehaltung der jetzt geltenden Steuersätze.
Wir belohnen außerdem den Einsatz neuer Technik. Da sind wir jetzt allerdings bei einem Spielchen, wo Europa noch Hausaufgaben zu machen hat. Euro 3 ist schon lange in Europa anhängig, aber Europa ist seit zwei Jahren im Rückstand mit der Benennung der Werte.
- Ich weiß nicht, wo in der Kommission die Bundesregierung ausschließlich drinsitzt.
Soweit ich mich erinnere, gibt es auch ein paar Kommissare, die der SPD angehören, und das sind nicht wenige.
Bei dem ganzen Thema hat es wenig Sinn, sich gegenseitig Schuldzuweisungen über Europa zu machen. Es ist eine nackte Feststellung, daß Europa mit den Werten im Rückstand liegt. Deswegen ist es für mich besonders pfiffig, daß Euro 4 jetzt das heilt, was Euro 3 angeblich nicht heilen kann.
Jetzt kommt die Klage der Länder. Die Kommission hat nach langer Aussprache beschlossen, nicht zu klagen. Das schließt selbstverständlich nicht aus, daß das eine oder andere Land klagt. Ich habe bisher noch von keiner Klage gehört. Über das Thema sollten wir uns dann unterhalten, wenn es soweit ist und nicht bereits vorher gackern.
Der wichtige Schritt kommt allerdings, wenn diese Phase von fünf Jahren vorüber ist. Es gibt kluge Leute,
zum Beispiel La Rochefoucauld, der gesagt hat, man
sollte in der Politik weniger versuchen, neue Gelegenheiten zu schaffen, als vielmehr die sich bietenden zu nutzen. Aus diesem Grunde haben wir gesagt: Wenn jetzt die Chance besteht, eine Vereinbarung zu finden, die Kraftfahrzeugsteuer auf die Mineralölsteuer umzulegen, dann sollte man die jetzt nutzen. Ich bin einmal gespannt, wie sich der Bundesrat, die SPD und bestimmte Oppositionsparteien zu diesem Vorschlag stellen; denn uns wird immer vorgeworfen, wir wären in gewisser Weise unglaubwürdig.
Ich würde auch gern die Kollegen von Bündnis 90/ Die Grünen an ihrem Verhalten zu dem Vorschlag messen, die Steuer umzulegen; denn sie haben einen eigenen Antrag vorgelegt. Mittlerweile ist beim ADAC bis hin zu den Automobilherstellern eine breite Phalanx dafür vorhanden, diesen Schritt endlich vorzunehmen. Dann wird eine verursachergerechte Umlegung stattfinden: Wer mehr fährt, verbraucht mehr und wird dann im Endeffekt über diesen Betrag richtigerweise zur Bezahlung des „Umweltschadens" herangezogen.
Alles in allem ist dies mit Sicherheit kein Gesetz, das dem Prädikat „glänzend" entspricht. Aber es ist mit Sicherheit ein Gesetz, das den richtigen Pfad aufweist und Zustimmung verdient. Wir werden ihm auch zustimmen.
Der Bundesrat wird sich jetzt bei allen diesen Wegen an seinen Aussagen messen lassen müssen, Dieseltechnologie zu belohnen, die entsprechenden Werte einzuführen und die Autoindustrie in Deutschland zu halten; denn - ich sage es noch einmal - immerhin hängen 16 Prozent aller Arbeitsplätze in Deutschland mittelbar und unmittelbar an der Autoindustrie. Das ist immerhin jeder sechste Arbeitsplatz. Das, glaube ich, ist ein Punkt, den sowohl die Opposition als auch Brüssel berücksichtigen sollten.
Brüssel ist weiterhin gefordert, hier für klare Werte zu sorgen. Je schneller diese kommen, desto besser. Es kann nicht sein, daß die Kommission jetzt Werte vorgibt, sich dann über viele Jahre zurücklehnt und nichts weiter tut, als die Entwicklung bezüglich der Werte laufen zu lassen; denn dann kriegen wir ein europäisches Ungleichgewicht, und das ist das letzte, was wir uns in dieser Hinsicht leisten können.
Deswegen fordern wir ein Zweifaches: a) die Umsetzung und b) von Brüssel endlich die richtigen Werte, damit die deutsche Autoindustrie insgesamt Planungshorizonte und Planungssicherheit hat.
Herzlichen Dank.
Ich gebe das Wort der Abgeordneten Dr. Barbara Höll.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit zwei Monaten Verspätung sind wir nun in der abschließenden Lesung des Kraftfahrzeugsteueränderungsgesetzes. Herr Professor Schul-
Dr. Barbara Höll
hoff hat uns zwar einige Erläuterungen dazu gegeben, warum es zu dieser Verzögerung kam, aber die Autolobby zu erwähnen, haben Sie ganz bewußt unterlassen. Diese hat sich nicht getraut, hier bei der Anhörung zu protestieren, sondern sie hat die Hintertür in Brüssel benutzt.
Man hat dabei doch sehr deutlich gesehen, welchen Einfluß sie tatsächlich hat.
Mit Ihrem Gesetzentwurf versuchen Sie, den Anschein zu erwecken, als würden Sie hehre ökologische Ziele verfolgen, nämlich eine Verringerung der Schadstoffemissionen. Es wurde festgestellt: Auto fahren viele Menschen, und das wird auch sicherlich so bleiben. Wenn Sie die CO2-Emissionen tatsächlich verringern wollen, dann müssen Sie das Problem schon an der Wurzel packen.
Seit 1949 hat sich das Verkehrsaufkommen in der Bundesrepublik verzehnfacht. Es gibt Prognosen, daß der motorisierte Individualverkehr in den nächsten zehn Jahren um 23 Prozent zunehmen wird. Das ist doch das Problem. Es kann also nur dann eine Lösung geben, wenn es tatsächlich ein Konzept zur Verkehrsvermeidung und Verkehrsverlagerung gibt.
Dem kommen Sie mit so einem Gesetzchen, einer so kleinen technischen Änderung nicht bei. Es ist nicht so, daß dann alles paletti wäre. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat dies in seinem Umweltgutachten für 1996 ausdrücklich betont.
Ein zweiter wesentlicher Kritikpunkt ist, daß sich dieser Gesetzentwurf ausdrücklich auf den motorisierten Individualverkehr beschränkt. Es werden in dem Zusammenhang eben nicht gleichzeitig das Verhältnis Schiene/Straße, etwa bezogen auf den Güterverkehr, und die diesbezüglichen Regelungen oder auch so uneffektive Sachen wie Hochgeschwindigkeitstrassen und ähnliches diskutiert. Es müßte in diesem Zusammenhang diskutiert werden, daß zur Verkehrsvermeidung und -verringerung ein anderes Wirtschaftssystem erforderlich ist, das heißt, eine Regionalisierung, die Zusammenführung von Wohn-, Arbeits- und Erlebnisort und ähnliche Dinge.
- Wenn Sie diese Erkenntnisse hätten, dann wären wir vielleicht schon ein Stück weiter.
Ein drittes Problem ist die Fristigkeit des Gesetzes; das wurde hier ja schon gesagt. Ein Gesetz, welches nur noch vom 1. April 1997 bis zum Jahre 2003 gelten soll, wird mit einem Riesenaufwand eingeführt, und es kommt nicht einmal etwas Gutes dabei heraus. Sie wollen danach die vollständige Abschaffung der Kfz-Steuer und ihre vollständige Umlegung auf die Mineralölsteuer schon heute festlegen, obwohl es nur diskutiert wird. Damit werden weitere Diskussionen verbaut.
Die PDS denkt nicht, daß dies ein neues Allheilmittel sein wird, weil damit unter anderem die Probleme
des ruhenden Verkehrs überhaupt nicht in Angriff genommen werden. Zudem verkünden Sie vollmundig schon heute, daß Sie damit ab dem Jahre 2003 wieder eine Einnahmequelle für die Länder beschneiden wollen. Eine Diskussion über die Kompensation können wir vielleicht drei Monate vorher erwarten.
Die Durchführung dieses Gesetzes verursacht eine totale soziale Schieflage; das hat Frau Altmann schon ausführlich erklärt. Man kann dies mit der Einführung des Katalysators vergleichen. Damals gab es neben steuerlicher Förderung immerhin noch einen staatlichen Zuschuß, so daß es tatsächlich für alle finanziell erleichtert wurde, ein Katalysator-Auto zu kaufen bzw. einen Katalysator einzubauen. Aber jetzt ist es so, daß bitte schön jeder die Kosten, die anfallen, selber tragen soll.
Einkommensschwache werden gleich in mehrfacher Hinsicht belastet. Es sind - das als erstes - nicht alle Autos nachrüstbar. Man muß sich entscheiden: Habe ich das Geld für ein neues Auto, zahle ich den teuren Umbau, oder zahle ich eine höhere Kfz-Steuer? Diese Wahlmöglichkeiten sind für Einkommensschwache sehr beschränkt. Andererseits wird von Ihnen im Berufswesen immer Mobilität verlangt.
Ein anderes Problem ist die Hubraumgröße; das hat Frau Altmann erklärt. Letztendlich bewirken Sie mit Ihrer Regelung, auch durch die Befristung der Steuerbefreiung für hubraumgrößere Autos, daß bei diesen ein höherer Entlastungsbetrag zu Buche schlägt. Mit Ihrem Gesetzesvorschlag wird es somit noch privilegiert, größere Autos anstatt kleinere zu kaufen.
Ich habe vorhin das Problem des ruhenden Verkehrs erwähnt. Sie berücksichtigen weder den Ressourcenverbrauch bei der Autoherstellung, noch berücksichtigen Sie den Verbrauch von Fläche auch durch den ruhenden Verkehr; denn das Auto wird nicht zusammengeklappt und irgendwo unters Bett geschoben, sondern beansprucht Platz. Um dies richtig zu befördern, wollen Sie jetzt auch noch die Saisonkennzeichen sanktionieren. Das heißt, man muß ein zweites Auto - vielleicht das Cabriolet oder ein anderes Auto - nicht mehr für das ganze Jahr besteuern, sondern nur für den Zeitraum, in dem man es benutzen will.
- Das ist nicht dumm. Es wurde im Ausschuß entsprechend diskutiert. - Das ist wirklich ein Rückfall.
Wir haben Vorschläge für eine Regelung der KfzSteuer unterbreitet. Wir sind für eine Umgestaltung der Kfz-Steuer in dem Sinne, daß Steuersätze eingeführt werden, die mehrstufig und deutlich nach Schadstoffklassen gestaffelt sind. Wir sind für die Besteuerung überzähliger Pkw-Anhänger. Zur Verminderung des Kraftstoffverbrauchs soll die Kfz-Steuer
Dr. Barbara Höll
an den durchschnittlichen Verbrauch gebunden werden, ein Übersteigen eines bestimmten Wertes sollte signifikant bestraft werden.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluß kommen.
Wir lehnen diesen Gesetzentwurf ab. Die ökologische Zielstellung, die Sie verkünden, kann überhaupt nicht erreicht werden.
Ich danke Ihnen.
Ich gebe der Bundesministerin Dr. Angela Merkel das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte, bevor ich mich den Argumenten vor allen Dingen der Opposition zuwende, mich bei meinen Kollegen in der Bundesregierung und auch im Parlament bedanken; denn der vorgelegte Gesetzentwurf ist eine Gemeinschaftsarbeit der Finanz-, Umwelt- und Verkehrspolitiker.
Sie von der Opposition entlarven sich heute abend schon dadurch, daß kein einziger Umweltpolitiker spricht. Da lästert es sich natürlich sehr viel einfacher über die Umwelt.
- Ich kenne diese Diskussion.
Meine Damen und Herren, ich möchte Sie als erstes darauf hinweisen, daß es ökologisch sehr unterschiedliche Zielstellungen gibt, weil es, wie wir von Ihnen immer wieder hören, ökologisch ganz unterschiedliche Gefährdungen gibt. Ich stelle mir einmal die Debatte vor, die wir manchmal im Sommer führen, in der Sie emotional geradezu überbetont alle Gefährdungen, die mit dem bodennahen Ozon verbunden sind, geißeln, in der Sie uns vorwerfen, daß wir nichts tun, gegen die Vorläufersubstanzen nichts unternehmen und genau wissen, daß der größte Teil aus dem Autoverkehr kommt. Das sind unsere Sommerdebatten.
Dann kommen wir in den Winter, und wir tun etwas auf genau diesem Gebiet. Dort, wo die Masse der Ozonvorläufersubstanzen herkommt, aus den Autos, die keinen geregelten Katalysator haben, setzen wir ein marktwirtschaftliches Instrument an. Anschließend erklären Sie uns, daß dies natürlich genau das Falsche ist. - Das ist eine völlig gespaltene Argumentation, mit der Sie allenfalls bei vergeßlichen Leuten durchkommen.
Genauso ist es.
Sie wissen es doch - das ist vollkommen klar; Sie brauchen sich nicht noch dadurch zu blamieren, daß Sie dagegen anschreien -: Ein Auto ohne einen geregelten Katalysator hat den zehnfachen Ausstoß an Schadstoffen, an Ozonvorläufersubstanzen.
Wie, meine Damen und Herren, wollen Sie eigentlich die hohen Ozonkonzentrationen in diesem Lande verändern, wenn Sie nicht an der Stelle des meisten Ausstoßes etwas tun?
Einen Augenblick. Meine Kollegen, es hat wirklich keinen Sinn, sich hier gegenseitig niederzuschreien. Das hilft niemandem.
Frau Ministerin, bitte fahren Sie fort.
Im übrigen machen wir es nicht so, wie es vielleicht manche gerne täten, nämlich durch ein einfaches Verbot. Wir sagen vielmehr: Wir werden den unterschiedlichen Gegebenheiten gerecht und setzen marktwirtschaftliche Instrumente ein, um die Masse des Ausstoßes über den finanziellen Faktor zu regeln.
Wenn Sie diese Vorschläge bei anderen ökologischen Problemen machen, dann finden Sie das per se gut. Wenn wir es an diesem Punkt machen, finden Sie es schlecht, und zwar deshalb, weil Sie einfach nichts gut finden wollen, was diese Regierung macht.
Aber die Bevölkerung weiß, wann sinnvolle und wann weniger sinnvolle Dinge getan werden.
Frau Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten von Larcher?
Nein, ich habe Herrn von Larcher mit Mühe zugehört. An den Problemen der Umwelt, des Verkehrs und allem ande-
Bundesministerin Dr. Angela Merkel
ren hat er vorbeigeredet. Ich möchte jetzt gerne fortfahren.
Meine Damen und Herren, zur Frage der Umlegung und der Rolle der Mineralölsteuer im Zusammenhang mit der Kfz-Steuer. Einmal davon abgesehen, daß der ruhende Verkehr in der Tat über die Kfz-Steuer erfaßt wird, während der bewegte Verkehr lediglich über die Mineralölsteuer erfaßt wird, gibt es gute Gründe, CO2 erst dann als den einzigen Schadstoff anzusehen, wenn die Abgasemissionen ansonsten nahezu gegen Null gegangen sind. Genau das wollen wir tun: Förderung des Abbaus der anderen Schadstoffemissionen und dann Umlegung auf die Mineralölsteuer, damit die wesentliche Umweltgefährdung, außer des CO2-Ausstoßes, herausfällt. Das ist unser Konzept. Deshalb haben wir dies so voreschlagen.
Bei unseren Vorschlägen geht es auch um die Frage der sozialen Komponente. Ganz davon abgesehen, daß ich nicht zu denen gehöre, die glauben, daß die meisten Autos ohne geregelten Katalysator von den Armen gefahren werden, sondern daß ich meine, daß dies in sehr vielen Fällen noch als schick gilt, muß ich Ihnen sagen, daß wir natürlich abwägen müssen, wo wir Begünstigungen sozialer Art vornehmen und wo wir zugunsten der Ökologie Maßnahmen treffen, marktwirtschaftliche Instrumente einsetzen.
Wenn uns die Umwelt wichtig ist, dann können wir an dieser Stelle nicht von hinten herum mit dem sozialen Totschlagargument kommen. Das ist nicht fair und nicht redlich. Im übrigen haben wir ganz hervorragende Chancen, daß die Möglichkeit der Nachrüstung für die Mehrheit der Besitzer von Altautos zu einem sehr erträglichen Preis gegeben ist.
Ich komme zu dem Argument der Abwrackprämie. Das ist etwas, was Sie in der Wirtschaft immer wieder fordern: Die beste verfügbare Technik soll möglichst schnell angewandt werden. Ich frage Sie: Was spricht eigentlich dagegen, wenn eine solche Forderung, die beste verfügbare Technik auch im Privatverbrauch möglichst schnell anzuwenden, gleichzeitig damit verbunden ist, daß in Deutschland vielleicht Arbeitsplätze geschaffen werden? Das kann doch angesichts der Gesamtlage nur gut sein. Das kann doch für uns nur vernünftig sein. Genau deshalb begrüßt die Automobilindustrie das Grundansinnen dieser Steuerreform,
wenngleich sie, wie ich finde, an manchen Stellen, wenn es um die zukünftigen Normen und Werte geht, ihr Licht ein bißchen unter den Scheffel stellt. Ich bin nämlich ganz sicher, daß vieles, was heute technisch anscheinend nicht gelingt, noch gelingen wird.
Meine Damen und Herren, es ist in der Tat so, daß wir unterschiedliche steuerliche Fördersätze anwenden. Diese sind nicht willkürlich entstanden, sondern werden danach bemessen, welchen Aufwand es macht, niedrigere Schadstoffemissionen zu erreichen.
Diese Aufwendungen sind bei Dieselfahrzeugen sehr viel höher als bei Benzinfahrzeugen. Das dürfte zumindest auf dem technischen Gebiet Sachverständigen unter Ihnen, die es hoffentlich noch gibt, nicht entgangen sein. Aus diesem Grund stehen wir zu diesen unterschiedlichen Förderstufen. Wir müssen sie einführen, weil es überhaupt nicht EU-konform wäre, steuerliche Förderung für Tatbestände zu bewilligen, für die man keine Mittel aufwenden muß.
Sie argumentieren ferner mit der Hubraumgröße. Daß der Hubraum noch eine Rolle spielt, müßte man als eine umweltpolitische Sünde bezeichnen, weil ein Auto mit einem großen Hubraum, aber mit einem sehr geringen Schadstoffausstoß benachteiligt ist, obwohl es - umweltpolitisch ausgedrückt - auf Grund der niedrigen Schadstoffemission bevorzugt werden müßte.
Weil wir noch das Ziel einer niedrigen CO2-Emission im Hinterkopf haben und weil wir eben nicht die bedingungslose Förderung der großen Autos wollen, haben wir die unterschiedlichen Förderstufen entwickelt. Sie können jetzt aber nicht behaupten, dies sei der falsche Akzent. Diese Position müssen Sie noch einmal bedenken.
Zu den Einwänden der Kommission. Dies ist in der Tat ein Faktor gewesen, der unser Gesetzgebungsverfahren erschwert hat. Ich möchte mich aber abschließend bei der Kommission ganz ausdrücklich bedanken, weil sie die Intention dieses Gesetzgebungsverfahrens sehr wohl gesehen und begrüßt hat, daß wir durch eine steuerliche Förderung abgasärmere Autos durchsetzen wollen.
In diesem Zusammenhang gibt es ein breites Spektrum von Argumenten. Ich will betonen, daß in dem Gesetzentwurf der Bundesregierung sehr wohl die Richtlinie, auf der die steuerliche Förderung beruht, beachtet wurde. Die Bundesregierung ist damals davon ausgegangen, daß schon in einem Erwägungsgrundsatz dieser Richtlinie festgelegt war, daß die Kfz-Steuer selbstverständlich von dem Verbot der steuerlichen Förderung ausgenommen ist, allerdings mit dem Vorsatz - das sage ich auch -, daß damit keine wettbewerblichen Verzerrungen eintreten dürfen. Durch diesen Gesetzentwurf wurde eine vielfältige Diskussion ausgelöst, die wir auch aus anderen Bereichen kennen, in denen bestimmte Interessen ebenfalls eine Rolle spielen.
Ich kann Ihnen nach genauer Betrachtung sagen, daß es europäische Automobilhersteller gibt, deren Autotypen heute so gerade die Euro-2-Norm erfüllen, daß es viele gibt, deren Autotypen die Euro-3Norm und damit die von der Kommission vorgeschla-
Bundesministerin Dr. Angela Merkel
genen Werte bereits heute erfüllen und daß es sogar einige Autotypen von europäischen Herstellern gibt, die schon jetzt die Euro-4-Norm erfüllen. Dies ist keine Spezialität der deutschen Automobilhersteller, sondern auch italienische, schwedische und französische Autohersteller können diese Norm erfüllen. Wir haben daher den Faktor der Wettbewerbsverzerrung nicht gesehen.
Nichtsdestotrotz unterbreiten wir jetzt den Vorschlag, den wir mit der Kommission als Kompromiß ausgehandelt haben. Es ist richtig, daß sich Deutschland - wir haben dieses Ziel in den letzten Jahren gefördert - verstärkt für eine schnelle Verabschiedung gleicher Bedingungen in ganz Europa einsetzt.
Ich bin der Meinung, daß wir mit diesem Gesetzentwurf einen wichtigen Schritt im Rahmen einer ökologischen, marktwirtschaftlich orientierten Ausrichtung der Politik gehen, die nicht gleichzeitig den Menschen durch Verbote bestimmte Zugänge verweigert, sondern es ihnen durch Anreize erleichtert, sich umweltfreundlich zu verhalten. Dies wird auch weiterhin unsere Politik sein. Die Menschen im Lande werden uns verstehen.
Herzlichen Dank.
Zu einer Kurzintervention gebe ich dem Abgeordneten Detlev von Larcher das Wort.
Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Ministerin! Ich bin Ihnen dankbar, daß Sie mir die Zwischenfrage nicht gestattet haben, weil es mir die Gelegenheit gibt, folgendes zu sagen: Wenn Sie meine Rede in der ersten Lesung nachgelesen hätten, dann wäre Ihnen aufgefallen, daß wir es richtig finden, die Kraftfahrzeugsteuer dazu zu nutzen, Schadstoffemissionen zu vermindern. Wir haben betont, daß wir Ihren Ansatz durchaus richtig finden, und wir haben Punkte genannt, die wir gerne verbessern wollten. Dazu gehörte zum Beispiel die Verminderung des Kraftstoffverbrauchs mittels einer CO2-Komponente. Andere Punkte, die ich eben in meiner Rede genannt habe, haben wir ebenfalls angesprochen. Diese wird meine Kollegin Mattischeck in ihrem Beitrag noch einmal darlegen.
Ich habe damals meine Rede mit der Bemerkung beendet, daß, wenn wir gründlich beraten und miteinander sprechen, ein Gesetzentwurf erstellt werden kann, dem wir zustimmen können. Das war die Ausgangslage.
Dann kam dieses Verfahren, das ich geschildert habe. Sie haben nur das geändert, wozu Brüssel Sie gezwungen hat. Das Fünfliterauto - das haben wir genannt - ist ein Punkt, den Sie von uns aufgenommen haben. Aber bei allen anderen Punkten waren Sie zu nichts bereit. Dann müssen Sie sich nicht wundern, wenn wir heute hier eine solche ablehnende Stellungnahme abgeben.
Sie können doch nicht immer sagen: Wenn ihr nicht macht, was wir wollen, und zwar genauso, wie wir es wollen, dann seid ihr Neinsager. - Wir haben Angebote gemacht. Hätten wir eine ordentliche und sachgerechte Beratung gehabt, dann hätte es sein können, daß wir heute einstimmig ein Gesetz verabschiedet hätten.
Frau Minister, Sie können darauf antworten.
Nein.
Dann gebe ich der Abgeordneten Heide Mattischeck das Wort.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, Sie haben zu Recht beklagt, daß die meisten Umweltpolitikerinnen von uns nicht anwesend sind. Ich nehme an, sie sitzen in ihren Büros und grämen sich über die vertane Chance, die wir heute hier zu Ende diskutieren.
Sie haben - das will ich gleich noch einmal ansprechen - uns unterstellt, daß wir es richtig fänden, daß die viel verbrauchenden Stinker noch auf der Straße sind. Das ist natürlich nicht der Fall. Ich möchte Sie fragen, warum nach 14jähriger Regierungszeit Ihrer Koalition heute noch so viele Autos ohne Katalysator auf den Straßen herumfahren.
Das hätte längst geändert sein müssen. Wenn sich nämlich gerade diese Menschen, die in der Regel - das sage ich ganz bewußt - vielleicht nicht zu den sehr gut Verdienenden oder zu den Besserverdienenden, sondern eher zu den Minderverdienenden gehören, längerfristig auf solche Belastungen einstellen könnten, dann hätten sie für die Lösung dieses Problems schon mehr getan.
Ich bedauere es ein bißchen, daß da Töne hineinkommen, die mir dem Ernst der Situation nicht angemessen erscheinen. Kollege Detlev von Larcher hat eben schon darauf hingewiesen, daß wir in der ersten Lesung im Juni ehrlich angeboten hatten, an der Vorlage, die damals auf dem Tisch lag, mitzuarbeiten, damit wir gemeinsam zu einem vernünftigen Gesetz kommen, von dem wir alle überzeugt sind, daß es notwendig ist.
Heide Mattischeck
Bei allem Streit über die Art und Weise des Gesetzgebungsverfahrens und über wesentliche Teile des Kfz-Steueränderungsgesetzes sollten wir doch nicht aus den Augen verlieren, daß die Idee, die Kfz-Besteuerung von den jeweiligen Pkw-Schadstoffemissionen abhängig zu machen, zwischen den Parteien eigentlich nie strittig war. Vielleicht waren wir uns über den Weg nicht ganz einig. Ich hatte auch in meinem Beitrag im Juni anläßlich der ersten Lesung darauf hingewiesen und die Zusammenarbeit angeboten.
Meine Fraktion war und ist der Auffassung, daß die Kfz-Steuer grundsätzlich geeignet sein kann, die Anschaffung schadstoffarmer Fahrzeuge zu fördern und damit einen Beitrag zur generellen Schadstoffminderung im Straßenverkehr zu leisten, was dringend notwendig ist. Bedingung dafür ist aber, daß die Kfz-Steuer so ausgestaltet wird, daß nur die jeweils beste am Markt verfügbare Technologie begünstigt wird. Für dieses Ziel hätten wir gerne mit der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen am gleichen Strang gezogen. Ich hatte das bereits angekündigt.
Dieses Ziel wird jedoch mit dem hier vorliegenden Kfz-Steueränderungsgesetz völlig verfehlt.
Auch ihrem erklärten Ziel - darauf muß man immer wieder hinweisen -, die CO2-Abgasmenge bis zum Jahre 2000 um 25 Prozent zu senken, kommt die Bundesregierung damit kein Stück näher.
Was die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen sich bei der parlamentarischen Behandlung dieses Gesetzentwurfes geleistet haben - darauf wurde schon hingewiesen -, ist an Unübersichtlichkeit und dilettantischer Vorgehensweise nicht mehr zu überbieten.
Selbst Staatssekretär Carstens, dessen Ruhe und Besonnenheit wir im Verkehrsausschuß immer wieder bewundern können, hat gestern zugegeben, daß die parlamentarische Behandlung dieses Gesetzes nicht gerade optimal gelaufen sei. Kollege Friedrich von der F.D.P. hat behauptet, daß er das Chaos beherrschen würde.
- Genau.
Die Vorgehensweise der Bundesregierung hat auf EU-Ebene sehr viel Hohn und Kopfschütteln hervorgerufen. Wir haben darüber schon gesprochen. Sie hat uns, die Abgeordneten insbesondere die Abgeordneten der Koalitionsfraktionen, von einer Peinlichkeit in die nächste geschickt.
Ich darf nur an die Sitzung des Verkehrsausschusses
vom 16. Oktober dieses Jahres erinnern. Eigentlich
wollten wir schon damals diesen Gesetzentwurf abschließend beraten. Uns erreichte jedoch die Nachricht, die EU-Kommission könne noch Einwendungen erheben. Wie das Kaninchen auf die Schlange haben die Ausschußmitglieder nach Brüssel gestarrt und auf eine Art reitenden Boten gewartet, der uns eine frohe Meldung von Herrn Bangemann - nicht als reitender Bote, sondern direkt von ihm - verkünden sollte. Dieser blieb aus, und der Punkt wurde von der Tagesordnung abgesetzt. Dadurch wurde ein Zeitdruck erzeugt, nur um irgendwelchen Koalitionsverabredungen aus zeitlichen Gründen noch Genüge zu tun.
Bei dem hier vorliegenden Kfz-Steueränderungsgesetz wurde praktisch jedes einzelne Element mehrmals in Frage gestellt. Erst hieß es: Wer ein Auto kauft, das vorzeitig besonders anspruchsvolle Schadstoffgrenzwerte einhält, solle eine Steuerbefreiung in Höhe von 1 000 DM bekommen. Das klang eigentlich ganz prima, einfach und überzeugend. Jetzt sieht es schon wieder ganz anders aus. Es gibt nun zwei verschiedene Grenzwertstufen, für deren Einhaltung es zwei verschiedene Steuerbefreiungen gibt. Diese Steuerbefreiungen sind unterschiedlich - je nachdem, ob man ein Fahrzeug mit Ottomotor oder ein Fahrzeug mit Dieselmotor anschafft.
Außerdem gibt es auch eine Steuerbefreiung für Fünfliterautos, die aber nicht so hoch ist wie für Dreiliterautos. Für die Berechnung der Kfz-Steuer bei Anschaffung eines Fünfliterautos mit Ottomotor, das aber nicht die allerbesten Schadstoffgrenzwerte nach Euro 4 einhält, sondern nur die weniger anspruchsvollen Grenzwerte nach Euro 3, muß man künftig wohl zumindest ein Hochschulstudium abgelegt haben.
- Herr Friedrich, wenn Sie eine Zwischenfrage stellen wollen, dann tun Sie das bitte. Im Moment ist es ein bißchen laut. Das macht aber auch nichts. Wer schreit, hat unrecht.
Man kann dem Autofahrer und der Autofahrerin nur raten, jeden Steuerbescheid, den er oder sie nach dem 1. April 1997 für ein neu angeschafftes Fahrzeug erhält, mit einem Widerspruch zu versehen. Das wäre dann die praktizierte Notwehr des Bürgers, wenn der Gesetzgeber derart schlampig arbeitet wie bei diesem Gesetz.
Die Kfz-Steuerreform sollte eigentlich ein umwelt- und verkehrspolitisches Ziel verfolgen.
Heide Mattischeck
- Ja, aber das Ziel haben Sie aus den Augen verloren.
Das ist bei der Beliebigkeit, mit der Grenzwerte in das Gesetz hineingeschrieben, verändert und wieder verändert werden, nicht mehr glaubwürdig. Dieses Gesetz wird nicht aus umweltpolitischen Gründen durchgepeitscht, sondern nur, weil es offensichtlich als Kitt für die Koalitionsfraktionen gebraucht wird.
Es geht um das Geld der Steuerzahler im allgemeinen und der Autofahrer im besonderen. Wir kritisieren deshalb, daß dieses Gesetz unglaubliche Mitnahmeeffekte haben wird. Das ist ja wohl unbestritten.
Jeder, der nach dem 1. April 1997 einen Neuwagen zuläßt, wird in den Genuß dieser Steuersenkung kommen. Das ist bei den Löchern, die allenthalben in den öffentlichen Kassen herrschen, blanker Zynismus. Die Zeche für diese Liebesgabe an die Käufer von Neuwagen gleich welcher Größe wird von den Besitzern von Altfahrzeugen gezahlt werden. Verdoppelungen der Höhe der Kfz-Steuer für die Halter dieser Fahrzeuggruppe stehen an. Ich habe eingangs schon etwas zu dieser Ungerechtigkeit gesagt.
Auch das ist vor dem Hintergrund der sinkenden Einkommen weiter Teile der Bevölkerung eine große Härte. Ich sage dazu noch einmal, damit keine Mißverständnisse entstehen: Auch wir sind dafür, daß diese Stinker wegkommen. Das hätte man aber langfristig anlegen müssen und nicht von heute auf morgen. Dies ist eine Härte, die um so unerträglicher ist, gerade weil die Koalitionsfraktionen das umweltpolitische Ziel schon lange aus den Augen verloren haben.
Aus verkehrspolitischer Sicht noch eine letzte Anmerkung: Völlig unverständlich ist, warum Sie in der letzten Phase des Gesetzgebungsverfahrens plötzlich meinten, die Anschaffung von Pkw mit Dieselmotor besonders begünstigen zu müssen.
Nach diesem Gesetzentwurf können die Dieselabgase nun höhere Stickoxid- und Kohlenwasserstoffanteile enthalten als die Abgase von Ottofahrzeugen. Gleichwohl soll die Anschaffung des Dieselfahrzeugs zu einer Steuerbefreiung führen, die doppelt so hoch ist wie die für Ottofahrzeuge. Hier ist noch ein großer Erklärungsbedarf.
Wir erwarten, daß Sie diesen stümperhaften Gesetzentwurf zurückziehen und dem Bundestag eine völlig überarbeitete Vorlage zuleiten. Wir haben formuliert, was wir uns an zusätzlichen Änderungen vorstellen. Bevor Sie dies tun, sollten Sie allerdings auf EU-Ebene eindeutig geklärt haben, welche Grenzwerte künftig für Pkw gelten werden. Ein bloßer Richtlinienentwurf der EU-Kommission kann das normale Verabschiedungsverfahren durch den zuständigen Ministerrat nicht ersetzen. Das wissen Sie auch selbst ganz genau.
Nach Klärung dieser EU-Fragen sollte der Deutsche Bundestag ohne Zeitdruck über die künftige Ausgestaltung der Kfz-Steuer beraten können. Nur ein solches Verfahren garantiert Rechtssicherheit für alle künftigen Steuerbescheide.
Wir erwarten auch, daß die zukünftige Kfz-Steuer eindeutige Anreize zur Minderung des Kraftstoffverbrauchs enthalten wird und nicht lediglich ein kleines Segment im Sinne der Verbrauchsreduzierung anspricht.
Weitere Mängel dieses Steuergesetzes könnten dann auch gleich mit behoben werden.
Ich verweise auf unseren Entschließungsantrag. Außerdem müßten dann auch Motorräder und kleine Nutzfahrzeuge mit einbezogen werden. Dies nur noch am Rande.
Den vorliegenden Gesetzentwurf lehnen wir ab. Er ist EU-rechtlich problematisch, steuerpolitisch willkürlich und umweltpolitisch relativ konzeptionslos.
Schönen Dank.
Ich gebe der Abgeordneten Dr. Renate Hellwig das Wort.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Eines ist mir besonders deutlich geworden: Alle Redner, die hier gesprochen haben, waren 1983 offenbar noch nicht Mitglieder dieses Hauses und haben die Auseinandersetzungen, die wir damals natürlich auch mit der EU-Ebene hatten, als es um die Frage ging, wie es uns denn gelingt, den Katalysator einzuführen, offenbar nicht mehr in Erinnerung.
Denn daß das nicht so einfach war und in einem Wechselspiel zwischen EU - -
Nein, ich lasse jetzt keine Zwischenfrage zu. Sie können sich nachher melden.
- Ich kann Ihnen nur folgendes dazu berichten:
Dr. Renate HellwigIch habe damals die Europakommission frisch übernommen, wir hatten eine Anhörung, bei der die Sachverständigen zwar in großer Zahl da waren - wenn Sie schon mit diesem Argument kommen -, die Sachverständigen von europäischer Ebene und Bundesebene, aber die SPD war bei dieser Anhörung nullum vertreten. Mit diesem Ruhmesblatt hätten Sie mich jetzt nicht zu reizen brauchen.Jedenfalls möchte ich hier noch einmal insbesondere darauf eingehen. Wir sind jetzt wieder in gleicher Weise dabei, eine wichtige Vorreiterrolle in Richtung mehr Umweltschutz beim Auto zu übernehmen. Es ist wie gehabt: Die Widerstände in Europa sind nicht unbeträchtlich.Ich beglückwünsche ausdrücklich Sie, meine lieben Vertreterinnen und Vertreter der Bundesregierung. Sie haben es mit großer Zähigkeit fertiggebracht, daß jetzt doch noch ein Gesetzentwurf hier auf dem Tisch liegt.
Meine Damen und Herren, auch damals ging es schon darum, daß uns die Vorreiterrolle, die zu jener Zeit ein Minister Zimmermann noch mit relativ großer Härte, sogar noch mit dem Verbot des Nicht-KatAutos durchsetzen wollte, aus wettbewerblichen Gründen von der EU verboten wurde. Deswegen sind wir diesen mühseligen Weg der steuerlichen Anreize, der allgemeinen EG-konformen gemeinsamen Schadstoffverschärfungsrichtlinien gegangen, und dies hat eine beträchtliche Zeit gebraucht.Wieder kommen Argumente dagegen. Man sagt jetzt: Ach, es ist ja utopisch, wenn ihr das Dreiliterauto fördern wollt. Wann wird denn das je kommen?Ich kann Ihnen nur sagen, ich bin ausgesprochen optimistisch. Denn in der Vergangenheit hat sich schon immer gezeigt: Wenn sich tatsächlich das Konsumverhalten umstellt, kann der technische Fortschritt, verbunden mit Veränderungen des Konsumverhaltens, kurzfristig sehr viel mehr bewirken, als ursprünglich angenommen wurde. Ich hoffe, daß wir dies in einigen Jahren auch beim Dreiliterauto merken werden.Jetzt, meine Kolleginnen und Kollegen, zur SPD. Es ist schon eine lustige Argumentation, die ich mir jetzt hier anhören mußte. Da hieß es, das Gesetz sei deswegen so unsozial, weil die Steuererhöhungen für die Dreckschleudern und die Ermäßigungen für die neuen Fahrzeuge so hoch seien. Das hätte man doch mit mehr Muße machen sollen, ein bißchen langfristiger. Aber im ersten Teil Ihrer Rede haben Sie uns vorgeworfen, daß wir die Zielsetzung, den CO2-Ausstoß zu mindern, nicht in einem angemessenen Zeitraum erfüllen.Entweder macht man es hart - dann schafft man es, die Zielsetzungen in größerem Maße zu erfüllen -, oder man ist smooth; dann tut man nicht genug für die Umwelt. Ihre Umweltpolitiker schämen sich obdieser Argumentation; deswegen sind sie erst gar nicht da. So sehe ich das.
Jetzt lassen Sie mich noch auf einen Punkt kommen, der mir überhaupt nicht paßt. Er betrifft unsere Autoindustrie, die sich zunächst einmal durchaus mit dem Gedanken angefreundet hatte, daß wir durch die Spreizung der Kfz-Steuer etwas für die vermehrte Anschaffung des schadstoffarmen und gering verbrauchenden Autos tun. Diese Autoindustrie fängt jetzt auch noch an, daran herumzumäkeln, und sagt: Einen Schritt hättet ihr machen dürfen, aber den zweiten Schritt in die noch bessere Abgasreinigung hättet ihr nicht machen sollen. Ich hätte von Ihnen, meine lieben Kollegen, insbesondere auch von den Grünen, hier einmal einen angemessenen Widerstand gegen die Autoindustrie erwartet. Jetzt muß ich das machen und mich alleine mit denen anlegen. Schämt euch in dieser Hinsicht!
Ich möchte noch einmal ausdrücklich darauf hinweisen - bitte vergegenwärtigen Sie es sich, und sagen Sie es auch draußen weiter -: 15 Millionen Autos fahren noch auf unseren Straßen, die einen tausendprozentigen - zehnfach heißt nämlich tausendprozentig - Schadstoffausstoß gegenüber dem Kat-Auto haben. 15 Millionen mal 1 000 Prozent bringen wir weg. Das soll kein umweltpolitischer Impuls sein? Ja, wo bin ich denn, wenn Sie das noch nicht einmal begreifen?
Ich würde Ihnen wirklich dringend raten, sich unserer Argumentation anzuschließen.
Wenn Sie jetzt die Kompliziertheit der Steuergesetzgebung ansprechen, dann kann ich Ihnen nur sagen - es ist mir natürlich ein besonderes Vergnügen, auch einmal die Länder zu zitieren -: Es waren Ihre Länder - mit unseren natürlich -, die mit dem Finanzminister dauernd herumgepuzzelt und gerechnet haben und sagten: Ihr müßt es genau so machen, daß für uns netto genug herauskommt. Es müssen im Endeffekt lieber mehr Kfz-Steuereinnahmen sein als weniger. Also bitte, wenn Sie wissen wollen, warum das Rechnen so lange gedauert hat und warum unsere immer wieder zurückgehen mußten, dann fragen Sie doch einmal Ihre SPD-Länder, wie das gewesen war.
Lassen Sie mich noch auf einen letzten Gesichtspunkt zurückkommen. Die Autoindustrie hat uns wieder einmal vorgeworfen, wir würden mit der Euro-Norm viel zu weit gehen. Bisher kenne ich im-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1996 12455
Dr. Renate Hellwigmer nur den Vorwurf, unsere Gesetze in der Demokratie seien zu kurzatmig und immer nur auf vier Jahre ausgelegt. Jetzt machen wir endlich einmal ein langfristiges Gesetz. Verdammt noch mal, ich will dafür gelobt und nicht beschimpft werden!Vielen Dank.
Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes, Drucksachen 13/4918 und 13/6112 Nr. 1. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Gesetzentwurf in zweiter Lesung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden ist.
Wir treten in die
dritte Beratung
und Schlußabstimmung ein. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Gesetzentwurf mit der gleichen Mehrheit in dritter Lesung angenommen worden ist.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/6113. Wer dem Entschließungsantrag zustimmt, ders bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der SPD und der Gruppe der PDS abgelehnt worden ist.
Wir kommen dann zur Beschlußempfehlung des Finanzausschusses zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Umlegung der Kraftfahrzeugsteuer auf die Mineralölsteuer, Drucksache 13/6112 Nr. 2. Der Finanzausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/2420 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Finanzausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Entschließungsantrag mit den Stimmen des gesamten Hauses gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen angenommen worden ist.
Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Finanzausschusses zum Antrag der Gruppe der PDS zur Abschaffung der Nichterhebung der Kfz-Steuer für überzählige Kraftfahrzeuganhänger, Drucksache 13/ 3645. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/827 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und
der Fraktion der SPD gegen den Rest des Hauses angenommen worden ist.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8a bis 8d auf:
a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Ludger Volmer, Angelika Beer, Dr. Helmut Lippelt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Aufgaben und Entwicklungsperspektiven der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und die Politik der Bundesregierung
- Drucksachen 13/4482, 13/5622 -
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ludger Volmer, Angelika Beer, Amke Dietert-Scheuer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Der Weg zu einem Sicherheitsmodell für Europa im 21. Jahrhundert:
Die OSZE reformieren und weiterentwickeln
- Drucksache 13/5888 —
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Verteidigungsausschuß
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuß
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Andrea Gysi, Heinrich Graf von Einsiedel, Hanns-Peter Hartmann, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS
Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und Europäische Friedensordnung
- Drucksache 13/5800 —
Überweisungsvorschlag
Auswärtiger Ausschuß
Verteidigungsausschuß
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uta Zapf, Gert Weisskirchen , Freimut Duve, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Für eine Stärkung der OSZE
- Drucksache 13/6092 -
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Freimut Duve.
Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Vor 21 Jahren wurde in Helsinki etwas geboren, was heute noch mit einem etwas merkwürdigen Wort benannt wird, nämlich „Schlußakte". Es ist ein komisches Wort für den Beginn einer neuen Etappe zwischen den Blöcken da-
Freimut Duve
mals. Es war aber vor allem eine neue Etappe für die Bürger in den Diktaturen. Während die Staaten und Regierungen, die damals als kommunistische in diese neu zu gründende Familie hineingingen, die Unantastbarkeit der Souveränität, die Unveränderbarkeit der Grenzen und die Nichteinmischung aus der Schlußakte herauslasen, sammelten wir hier im Westen und Bürger im Osten - einige von ihnen sind in all unseren Fraktionen - aus dem nicht gerade spärlich gefüllten Korb III die Menschen- und Bürgerrechte, nämlich die Elemente der Freizügigkeit, heraus. Egon Bahrs „Wandel durch Annäherung" hatte seine vertragliche Vereinbarung gefunden: Annäherung wurde ermöglicht, und obwohl viele das nicht wollten, wurde Wandel unvermeidbar. Solidarnosc und später Glasnost wären ohne Helsinki nicht möglich gewesen,
gewiß auch der Fall der Mauer, unser gesamtdeutscher Bundestag und unser vereintes Deutschland nicht.
Demokratien mußten mit sehr autoritär und totalitär verfestigten, im Grunde auch sehr bürokratischen Staaten ins Gespräch kommen und dann sogar versuchen, mit ihnen die Helsinki-Familie zu bilden. Auch heute stehen wir noch in dieser Helsinki-Tradition, aber mit genau umgekehrten Vorzeichen: Es handelt sich um Staaten mit bisher schwach ausgebildeter ziviler Staatlichkeit, in Einzelfällen um verunsicherte Führungen, die zuweilen nicht genau wissen, wie sie mit den Demokratieansprüchen der Bürger und den Freiheitsrechten umgehen sollen. Heute bilden Staaten die Helsinki-Familie in einem dauernden, manchmal schwierigen Lernprozeß.
Der Korb III hat seit Beginn der 90er Jahre eine dramatisch neue Bedeutung bekommen. Der Bosnien-Krieg hat uns gezeigt: Der dritte Korb, die menschliche Dimension, die Menschenrechte, die Minderheitenrechte, die Entwicklung einer lebendigen, rechtsstaatlichen Demokratie - sie sind mehr und mehr die Sicherheitsfaktoren der 90er Jahre. Ihre Vergeblichkeit, ihre Schwächung - das sind die Sicherheitsrisiken des nächsten Jahrzehnts und vielleicht auch des nächsten Jahrhunderts.
Security first, Sicherheit zuerst: ja und nochmals ja. Aber wir haben gemeinsam gelernt, daß das zuerst die Sicherheit der Demokratie, der Prinzipien der Freiheit und der Gerechtigkeit bedeutet, auf denen in den oft so dramatisch gemischten Ländern jetzt die Sicherheit zwischen den Staaten beruht.
Keine Zivilität hat der Kommunismus hinterlassen. Es fehlt die Zivilität, mit der heute die oft zynischen Instrumentalisierungen völkischer und religiöser Unterschiede bekämpft werden können.
Der dritte Korb von Helsinki, die menschliche Dimension der Charta von Paris, die Dokumente von
Budapest formulieren das Ziel friedlicher Zivilstaaten und beileibe keiner unfriedlichen Apartheidstaaten.
Die OSZE ist heute keine reine europäische Organisation mehr. Das dürfen wir nicht vergessen. Sie umfaßt viele Staaten Asiens. Zu ihr gehören die Türkei, als Beobachter auch Staaten wie Algerien.
Die Vollmitglieder, inzwischen 55, haben sich erstmalig auf diese nach der UNO größte Staatenfamilie der Erde geeinigt. Sie haben unterschrieben, daß die gemeinsam festgelegten Prinzipien nicht nur rhetorisch formuliert werden, sondern daß ihre Verwirklichung - Implementierung - auch praktisch durchgeführt werden kann. Dazu gibt es erkundungsbevollmächtigte Institutionen, etwa den Hohen Kommissar für Minderheiten und das Büro für Fragen der Menschlichen Dimension in Warschau.
In vielen sehr unspektakulären Missionen - manche haben wir besucht - hat schon heute die OSZE ihren großen Beitrag zur Konfliktverhütung und zur Konfliktbeilegung geleistet. Sie sind kaum bekannt, weil sie eben durch die Beilegung und Verhütung des Konfliktes nicht an erster Stelle in der Presse stehen. Das ist vielleicht auch ganz gut so.
Ich glaube, wir haben in den nächsten Jahren ein Fenster der Gelegenheit, ein „window of opportunity", für die demokratische Entwicklung der postkommunistischen Mitglieder. Wir sollten die OSZE ernster nehmen. Wir sollten anerkennen, welch ungeheuren Schritt es bedeutet, daß die Staaten die Einmischung in die inneren demokratischen Angelegenheiten unterschrieben haben.
Sind die Vereinten Nationen eine Familie von Staaten, so ist die OSZE unter Schmerzen dabei, eine Familie von Demokratien zu werden. Das ist ein Unterschied.
Zivile Demokratien sind die substantiellen Voraussetzungen für alle weiteren Überlegungen der übernationalen Sicherheitsplanung, was die OSZE anbelangt. Nur in sich gefestigte demokratische Staaten können auf Dauer für Rüstungskontrollmaßnahmen, für Abrüstungsschritte vertragsverläßliche Partner sein. Es nützt nichts, daß wir phantastisch formulierte Verträge unterschreiben und die Staaten gar nicht die Vertragsverläßlichkeit haben, weil sie viele zu schwache Staaten sind.
Ich finde, daß die OSZE, etwa bei der Wahl in Bosnien, hervorragende Arbeit geleistet hat.
Die Wahl des Holländers van der Stoel zeigt in hervorragender Weise, in welche Richtung es gehen muß. Auch finde ich, mit Verlaub, Herr Vizepräsident Wimmer, unsere Arbeit in der Parlamentarischen Versammlung der OSZE fruchtbar. Sie haben eine in der gesamten OSZE hervorragend wirkende TürkeiMission geleistet, in der alle Staaten gemerkt haben,
Freimut Duve
der Wimmer könnte kommen. Er muß es nicht immer sein, es kann auch ein anderer sein. Aber so eine Form der Mission mit der Wirksamkeit eines solchen Berichtes können wir heute in praktisch alle Staaten entsenden, wie die von Ihnen damals geleitete Delegation gezeigt hat.
Das sind neue und wichtige Schritte.
Damals haben sich auf Helsinki vor allem die Intellektuellen berufen können. Deshalb haben wir im vergangenen Sommer dem polnischen Autor Adam Michnik den neu ins Leben gerufenen OSZE-Preis für Journalismus und Demokratie verliehen; denn er steht für den demokratischen Kampf der 70er Jahre. Er steht heute für die freiheitliche, verläßliche Demokratie der 90er Jahre in seinem Land, in Polen.
Ich freue mich sehr, daß der Herr Außenminister den Vorschlag für einen Beauftragten für Journalismus und Demokratie in der OSZE aufgenommen hat. Wir haben diesen Vorschlag in Wien gemeinsam vorgetragen. Ich denke, daß er bereits auf der Konferenz in Lissabon Gegenstand der Entscheidungsfindung sein wird.
Wir müßten sie erfinden, diese OSZE mit diesem unmöglichen Namen. Die publizistische Verrücktheit, die Abkürzung noch mal zu verändern, so daß kein Mensch in Paris zwischen OCDE und OSZE unterscheiden kann, ist Tüttelkram. Aber die Realität hinter dieser Abkürzung ist eine ungeheure Weiterentwicklung zwischenstaatlicher Beziehungen.
Vielleicht finden wir irgendwann einen besseren Namen. Solange wir keinen besseren Namen gefunden haben, nenne ich diese Organisation die HelsinkiFamilie, weil diese Sache in Helsinki wirklich ihren Anfang genommen hat.
Wir haben mit der OSZE eine Erfahrung aus der Geschichte unter ganz anderen Umständen. Die OSZE hat dazu geführt, daß die heutigen Umstände anders sind und daß die Mauer nicht mehr steht. Wir haben jetzt einen neuen Auftrag. Es ist aber durchaus eine Familie mit Tradition.
Die 55 Mitgliedstaaten müssen begreifen - das tun die meisten auch schon -, was sie da unterschrieben haben, nämlich die Verwirklichung von Prinzipien. Das gilt in dieser Form für keine andere Staatengemeinschaft auf der Erde.
Danke für die Aufmerksamkeit.
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Willy Wimmer.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist fast unerheblich, welches Schicksal die anschließenden Anträge hier haben werden - ob zugestimmt oder abgelehnt wird -, weil das, was der Kollege Duve vorgetragen hat, ein Ausdruck dessen ist, was uns bei der OSZE-Arbeit trägt: ein solch hohes Maß an gegenseitiger Abstimmung, Kooperation, zuverlässiger und kollegialer Arbeit, daß man nur sagen kann, es ist eine Basis für die OSZE, für eine wichtige Vertragsorganisation, im gesamten Deutschen Bundestag vorhanden, so daß diese auch in besonderer Weise angesprochen werden sollte.
Wir sind uns darüber im klaren: Wir reden praktisch unter uns. Nur wenn die Thesen, die in der Charta von Paris 1990 aufgestellt worden sind, von uns nicht mit tatkräftiger Arbeit im ganzen OSZEGebiet realisiert werden, wird dieser Saal voll sein, weil dann die Sicherheitsfragen in Europa eine ganz andere Entwicklung nehmen werden. Wir sollten uns deshalb nicht nur zurücklehnen und sagen, zum Glück reden wir unter uns, sondern wir sollten alles daransetzen, damit dieser Saal nicht voll wird; denn das ist ein Teil unseres Erfolges, den wir in der OSZE errungen haben.
Ich glaube, daß wir vor diesem Hintergrund einer sehr verantwortlichen Arbeit nachgehen.
Ich sage etwas zu dem, was auch der Kollege Duve im Zusammenhang mit der Dimension unseres Tuns angesprochen hat. Es ist vielleicht ein bißchen früh, heute zu sagen: Wir gehen „OSZE first". Unter uns wissen doch alle, daß die Vertragsorganisationen, in denen wir tätig sind, untereinander und zueinander eine Balance finden müssen, die es uns erlaubt, mit den Sicherheits- und den sonstigen Problemen auf dem gesamten Kontinent fertig zu werden, auch wenn man hier heute bereit sein könnte, zu sagen: Wir legen dafür Finanzmittel auf den Tisch, die besondere Dimensionen haben werden. Ich sage das einfach mal vor dem Hintergrund der Entwicklung, mit der wir es zu tun haben: Wir sind etwas „Westeuropa minded" . Wir meinen, daß mit Bosnien und Dayton die Dinge vielleicht zufriedenstellend geklärt sein können.
Der Afghanistan-Konflikt hat etwas deutlich gemacht, was wir schon vor längerer Zeit haben heranziehen sehen, daß nämlich die Sicherheit des OSZEVertragsgebietes eine gemeinsame Sicherheit ist. Die zentralasiatischen Staaten, die von diesem Konflikt in Afghanistan bedroht sind, sagen natürlich zu Recht: Was macht ihr eigentlich in dieser Organisation, der wir so gerne beigetreten sind? Wenn es um unsere Sicherheit geht, kümmert ihr euch nicht darum und laßt uns allein.
Deswegen wird die vor uns liegende Zeit - die Jahre, die uns im Zusammenhang mit dem wirklichen Gerüst für die europäische Sicherheit verbleiben - davon bestimmt sein, daß wir den OSZE-Raum so empfinden, wie er ist, daß er nämlich eine Dimension hat, die der Dimension des nordamerikanischen Kontinentes entspricht.
Es ist für jeden in New York selbstverständlich, daß man sich Gedanken darüber macht, was in San Francisco geschieht. Es ist „sein" Gebiet. Wenn wir die Welt so empfinden, wie sie ist, werden wir feststellen, daß „unser" Gebiet bis zur chinesischen Grenze
Willy Wimmer
reicht, die Abmessungen Nordamerikas hat, und daß von uns verlangt wird, die Sicherheitsprobleme in Duschanbe, in Baku, in Eriwan oder in Almaty als die unseren zu empfinden, damit unsere gemeinsame Sicherheit nicht bedroht wird.
Wir sehen, daß wir uns auseinandersetzen müssen mit dem Schwerpunktbereich, den der Kollege Duve angesprochen hat. Ich teile das, was Sie zur zivilen Gesellschaft gesagt haben, voll. Um das nicht zu wiederholen, will ich einen zweiten Bereich anfügen: Quer über den ganzen Kontinent, zwischen Nordirland und Taiwan - in dieser Dimension müssen wir denken -, ist ein Netz von Minenfeldern gespannt. Es gibt eine bedenkliche Häufung von Minenfeldern im Raum Afghanistan, Kaschmir, Tadschikistan, Sinkiang und Tibet.
Wenn es uns nicht gelingt, hier eine Entspannung herbeizuführen, wird das in Anbetracht der Dimension ein probables Schlachtfeld im nächsten Jahrhundert sein. An dieser Form der Bedrohung für unsere gemeinsame Sicherheit - inklusive der Lage im Kaukasus - können wir nicht interessiert sein.
Deswegen sollten wir, mit allem Respekt vor der Leistung von Helsinki, vor Augen haben - auch wenn wir wissen, welche Schwierigkeiten wir haben, auch im Zusammenhang mit anderen Organisationen, die älter sind als wir -: Das Helsinki-Modell ist schon heute für den kasachischen Staatspräsidenten das Vorbild für eine ähnliche Organisation für den asiatischen Bereich unseres gemeinsamen Kontinentes. Wir wissen, daß diese Beratungen zur Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Asien auf einem sehr guten Weg sind und unter Einschluß Indiens, unter Einschluß Pakistans, unter Einschluß Chinas stattfinden.
Angesichts mancher Debatte in diesem Hause können wir diese Tendenz nur dann begrüßen, wenn das Vorhaben wirklich zum Erfolg führt und wenn unsere Vorstellungen der ungeteilten Sicherheit zwischen der humanen Komponente, der sozialen Komponente und der politisch-strategischen Komponente eine Erfüllung finden.
Wir sind hier auf einem sehr guten gemeinsamen Weg. Ich sage das auch mit Blick auf unsere parlamentarische Arbeit, die in bester Abstimmung mit der Bundesregierung erfolgt. Dafür spricht die nationale Delegation, dafür spricht auch das entsprechende Gremium im Deutschen Bundestag, das sich damit beschäftigt.
Vor wenigen Tagen, am Dienstag, war der Ratsvorsitzende der OSZE, der Schweizer Außenminister Cotti, hier. Er hat in Vorbereitung des Lissaboner Gipfels mit der gesamten Bundesregierung, soweit sie für diesen Bereich relevant ist, gesprochen.
Ich kann nur voller Freude zur Kennntnis nehmen, daß, seitdem Außenminister Cotti Ratsvorsitzender ist, der Präsident unseres gemeinsamen Parlamentes an den Beratungen der Troika teilnimmt. Wir können
dieses hohe Maß an Einflußnahme nur erfreut feststellen. Ich sage das im Zusammenhang mit der Schilderung der parlamentsrelevanten Arbeit, weil dies Einfluß hat auf das Gipfeltreffen in Lissabon.
Die Präsidentin des Deutschen Bundestages ist praktisch federführend verantwortlich gewesen für die Wirtschaftscharta, die noch vor der Vollendung steht. Wir erleben in dieser Diskussion das ganze Spannungsfeld der Meinungen zur sozialen Marktwirtschaft zwischen Nordamerika und Rußland. Wenn man „sozial" im Zusammenhang mit Marktwirtschaft anspricht, trifft das überhaupt nicht die Zustimmung des einen oder anderen Kollegen aus Nordamerika. Das muß man einfach feststellen. Wir erleben Spannungen, die uns - auch in den Beratungen dieses Hauses - treffen werden.
Ein weiterer Punkt, den man in diesem Zusammenhang ansprechen muß, betrifft den Kodex für das demokratische Verhalten von Staaten. Auch diesbezüglich hat die Präsidentin des Deutschen Bundestages die Federführung. Es wird auf dem Gipfeltreffen in Lissabon eine maßgebliche Rolle spielen, daß wir in dieser Frage - wie verhalten sich Staaten ihren Bürgern gegenüber? - weiterkommen.
Der Kollege Duve hat in der ihm üblichen Bescheidenheit unterschlagen, daß er derjenige ist, der den Journalistenpreis für mutige Leute in Europa vorgeschlagen hat
und mit unserer Zustimmung ein Zentrum für Journalisten etablieren will, in dem sich Berufsfelder eröffnen können für diejenigen, die im OSZE-Vertragsgebiet unter Druck geraten sind.
Weil wir in unseren Beratungsmöglichkeiten so vieles gemeinsam machen, sage ich, daß wir im Zusammenhang mit den Schwierigkeiten, die vor uns stehen, jedenfalls im Deutschen Bundestag eine hervorragende Basis dafür haben, nach vorne zu gehen. Auch nach dem Gipfeltreffen von Lissabon wird es für uns eine Perspektive in der OSZE geben.
Ich bedanke mich.
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Ludger Volmer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Beifall für den Kollegen Wimmer und auch für den Kollegen Duve hat deutlich gemacht, daß es in der parlamentarischen Delegation bei der OSZE meistens große Übereinstimmung gibt. Auch wir Grünen rechnen uns dazu.
Wir finden, daß die Chance nach dem Zusammenbruch der Blöcke immer noch gegeben ist, zu einem System gemeinsamer Sicherheit zu kommen, das mittelfristig die Militärbündnisse ersetzen kann. Des-
Ludger Vollmer
halb sollten wir alles daransetzen, die OSZE zu stärken. Wir haben in einer Großen Anfrage versucht, herauszufinden, was die Bundesregierung dazu tun wird. Wir freuen uns, daß sich auch die Regierung zu der Formel „OSZE first" bekennt und insoweit der Konsens in der Tat vorhanden ist. Wenn man unter die Oberfläche schaut, dann sieht man aber einige Probleme. Die möchte ich jetzt ansprechen.
Die Bundesregierung stimmt der Formel zu, daß die OSZE gestärkt werden muß. Auf unsere Fragen nach den einzelnen Reformmöglichkeiten aber wurde ausweichend geantwortet. Zumindest wurden keine eigenen Initiativen angekündigt.
Zudem höre ich aus dem Auswärtigen Amt, das im Rahmen der OSZE-Arbeit insgesamt zu würdigen ist, von einzelnen Abteilungen immer sehr kritische Sätze darüber, daß sich die OSZE überhaupt mit Wirtschaftsfragen befaßt. Das steht in einem Gegensatz zu der engagierten Arbeit von Präsidentin Süssmuth, die von allen Fraktionen in der OSZE mitgetragen wird. Ich denke, da muß die Bundesregierung noch einiges klären.
Es gibt darüber hinaus aber einen sehr tief greif enden Konflikt in der Regierung, der in der Antwort auf die Große Anfrage nicht zum Ausdruck kommt, wohl aber in anderen Szenarien. So habe ich im „Traunsteiner Wochenblatt" einen Leitartikel gefunden - ähnliche Artikel sind in anderen regionalen Zeitungen erschienen - mit dem Titel „Serie von Pleiten". Er beginnt:
Seit Beginn des Friedensprozesses in Bosnien-Herzegowina hat sich die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa ... nicht gerade mit Ruhm bekleckert.... Eine lange Serie von Pleiten, Pech und Pannen.
Wir waren uns gerade hier einig, daß die Wirklichkeit ganz anders aussieht, daß die OSZE eine äußerst schwierige Arbeit macht,
daß sie mit sehr wenig Ressourcen diese Arbeit ausgezeichnet erledigt.
Deshalb haben wir recherchiert, wie dieser Artikel zustande kommt. Und nun merken Sie bitte auf: Dieser Artikel ist von der Hardthöhe lanciert worden. Deshalb meine herzliche Bitte an die Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen, dieses Problem mit dem Verteidigungsminister zu klären.
Herr Volmer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Irmer?
Ja, sicher.
Herr Kollege Volmer, wenn es so wäre, daß sich das Bundesverteidigungsministerium in solcher Weise offiziell oder offiziös geäußert hätte, wäre das in der Tat - das muß ich zugeben - eine Art kleiner Skandal.
Deshalb frage ich Sie, welche Grundlage Sie für die Behauptung, die Sie hier aufstellen, haben und ob nicht vielmehr die Vermutung besteht - wenn überhaupt ein Zusammenhang konstruiert werden kann -, daß sich irgendein Journalist hinter einen untergeordneten Beamten oder Soldaten der Hardthöhe geklemmt hat und aus ihm durch irgendwelche Methoden, die wir ja kennen, derartige Äußerungen herausgelockt hat. Ich möchte Sie jedenfalls fragen, ob Sie die politische Führung der Hardthöhe dafür verantwortlich machen, daß derartige Äußerungen gemacht worden sind; denn - ich wiederhole das - dies wäre in der Tat ein Skandal. Deshalb möchte ich hier Roß und Reiter genannt wissen.
Herr Kollege, ich habe selber bei Mitarbeitern der Hardthöhe recherchiert. Sie ersparen mir, die Quelle genau zu nennen, weil ich diese Mitarbeiter nicht gefährden möchte. Sie haben mir diese Vermutung bestätigt.
Ich denke, die Sache kann am besten dadurch aus dem Wege geschafft werden, daß die politische Spitze eine deutliche Klarstellung vornimmt.
Meine Herren, das ist mehr als eine Vermutung; seien Sie sich dessen sicher.
Die Mitgliedstaaten der OSZE haben 1990 in der Charta von Paris für ein neues Europa die Vision einer kooperativen Sicherheitsgemeinschaft aller europäischen Staaten unter dem Dach der OSZE auf der Grundlage der nationalen Souveränität und Gleichberechtigung sowie des Schutzes der Menschenrechte verabschiedet.
Im Rahmen des OSZE-Prozesses wurden sodann Entscheidungsmechanismen, vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Rüstungskontrolle und Abrüstung, des Minderheitenschutzes, der wirtschaftlichen Kooperation sowie spezifische Instrumente zur Konfliktverhütung und friedlichen Streitbeilegung entwickelt.
De facto ist die OSZE damit heute die einzige kooperative Sicherheitsorganisation in Europa. Im De-
Ludger Vollmer
zember 1994 beschloß die OSZE-Gipfelkonferenz in Budapest folgerichtig die Entwicklung eines gemeinsamen und umfassenden Sicherheitsmodells für Europa im 21. Jahrhundert, das die schrittweise Oberführung nationalstaatlicher Sicherheitspolitik in die Verantwortung der internationalen Rechtsgemeinschaft auf der Grundlage supranationalen Ordnungsrechts zum Inhalt haben muß, wenn es erfolgreich sein soll.
Dies ist ein ambitioniertes Programm, das von der Bundesregierung völkerrechtlich verbindlich mitgetragen wurde. Deshalb können wir von der Bundesregierung verlangen - das tun wir hiermit auch -, daß sie für die Konferenz in Lissabon ihrerseits ein umfassendes Reform- und Stärkungskonzept für die OSZE vorlegt. Ich vermisse das bis heute.
Dafür kann es Leitlinien geben. Im Antrag der SPD sind einige enthalten. Ich möchte einige weitere nennen, die in unserem Antrag enthalten sind. Wir meinen, daß die OSZE orientiert an der Agenda für den Frieden arbeiten sollte, die der UNO-Generalsekretär verfaßt hat. Wir meinen, daß der völkerrechtliche Status der OSZE durch einen formellen Gründungsakt gestärkt werden sollte. Wir meinen, daß der rechtliche Status von Entscheidungsmechanismen verbessert werden muß. So sollte es einen Steuerungsausschuß in Krisenfällen geben, der weiter gefaßt ist als die Troika.
Wir möchten, daß die Kompetenz und die Handlungsfähigkeit der politischen Foren gestärkt werden. Das gilt auch für das Sicherheitsforum. Es müßte sich auch mit Fragen wie der globalen atomaren Abrüstung befassen können. Wir fordern, daß die Exekutivorgane gestärkt werden. So sollte die Kompetenz des Ratsvorsitzenden und Generalsekretärs ausgeweitet werden, die OSZE sollte eigenständige Peace-keeping-Einheiten und eine Sanktionsbehörde, die in der Lage sein sollte, Wirtschaftssanktionen zu planen und umzusetzen, bekommen können. Zudem sollte ein Beirat für die Beteiligung von Nicht-Regierungsorganisationen geschaffen werden.
Das alles geht nicht ohne eine erhebliche Aufstokkung der Finanzmittel. Auch wenn im 97er Haushalt ein erster Schritt unternommen worden ist, so reicht das bei weitem nicht aus, um all die Aufgaben finanzieren zu können, von denen wir wissen, daß sie vor der OSZE liegen. Das Krisenmanagement in Bosnien-Herzegowina ist im Moment die schwierigste Aufgabe, aber bestimmt nicht die einzige mit jenem Schwierigkeitsgrad, mit dem die OSZE jetzt oder in Zukunft konfrontiert sein wird.
Wir hoffen, daß der Deutsche Bundestag durch seine zukünftig intensiveren Debatten über die OSZE-Politik dazu beiträgt, eines der Hauptprobleme dieser Organisation zu beseitigen. Das ist das Problem der Selbstdarstellung und der PR.
Wie meine Vorredner bereits sagten, ist es außerordentlich schwierig, den Sinn der eigenen Arbeit deutlich zu machen, wenn sie unsichtbar bleibt. Sie wissen: Man kann keine Fernsehbilder über erfolgreiche und diskrete Langzeitmissionen machen, während ein Militäraufmarsch immer genügend Action
bietet, um die Augen der Öffentlichkeit auf den militärischen Sektor zu richten und völlig davon abzulenken, daß präventive Diplomatie, daß strukturelle Friedenspolitik zu sehr viel mehr in der Lage sind, als das allgemeine Bewußtsein glaubt und mancher Politiker auch suggeriert.
Ich hoffe, daß unsere Arbeit im Parlament dazu beitragen kann, daß die eigentlich richtige Formel „OSZE first" in der Praxis nicht durch ein praktiziertes „NATO first" überlagert wird.
Danke.
Das Wort hat der Kollege Dr. Helmut Haussmann, F.D.P.
Verehrter Herr Präsident! Verehrte Kollegen und Kolleginnen! Der Zeitpunkt für die OSZE-Debatte ist gut gewählt. Auf dem Lissaboner Gipfel Anfang Dezember soll es darum gehen, ein gemeinsames umfassendes Modell für europäische Sicherheit zu beschließen.
Alle Redner haben darauf hingewiesen, daß die historischen Leistungen des bisherigen Prozesses, der früheren KSZE, heute unbestritten sind. Dieser schon damals gesamteuropäische Ansatz hat entscheidend zur Überwindung der Teilung Europas beigetragen.
Man sollte nicht ganz vergessen, daß es damals im Bundestag jedoch Streit über den Wert der KSZE gab. Heute darf man jedoch den Fehler nicht machen, vor allem die langfristigen Wirkungen einer gesamteuropäischen Konzeption zu unterschätzen. Es war immer ein Kennzeichen liberaler Außenpolitik - von Walter Scheel über Genscher zu Kinkel -, daß nationale Interessen eben nicht mit nationalstaatlichen Mitteln, sondern mit den Instrumenten gesamteuropäischer Kooperation verfolgt wurden.
Der Begriff „umfassende Sicherheit" ist nicht neu. Die Weisheit, daß Sicherheit außer der militärischen auch politische und vor allem soziale, kulturelle sowie nicht zuletzt ökonomische Dimensionen besitzt, lag der innovativen Idee der drei Körbe von Helsinki zugrunde.
Dieser Logik folgte auch die Konferenz der KSZE über die wirtschaftliche Dimension 1990 in Bonn, deren Gastgeber zu sein ich selbst die Ehre hatte. Es war für mich sehr eindrucksvoll, wie damals das Modell der sozialen Marktwirtschaft - Herr Duve hat darauf hingewiesen - zu wirken begann. Ich finde, das Wirken der Parlamentspräsidentin im ökonomischen Teil der OSZE ist gerade aus deutscher Sicht sehr wichtig.
Die bisher größte Herausforderung für die OSZE war die Organisation der Wahlen in Bosnien-Herzegowina. Es ist darauf hingewiesen worden. Wer die Bedingungen dort kennt, ist beeindruckt, was die OSZE für den Friedensprozeß und für den Wiederaufbau einer Bürgergesellschaft vor Ort leisten
Dr. Helmut Haussmann
konnte. Die OSZE sollte sich daher ermutigt fühlen, gegebenenfalls auch weitere neue Aufgaben im Bereich der Reintegration von Flüchtlingen zu übernehmen bzw. hierfür Prinzipien zu entwickeln.
Im nächsten Jahr wird es genau 30 Jahre her sein, seit die westliche Allianz im Harmel-Bericht als ihre wichtigste Aufgabe beschlossen hat, eine gerechte dauerhafte Friedensordnung für ganz Europa zu entwickeln. Im kommenden Monat werden außer dem OSZE-Gipfel zwei weitere entscheidende Konferenzen erweisen müssen, ob wir Europäer diesem Ziel näherkommen: das Treffen der NATO-Außenminister am 10. Dezember 1996 in Brüssel, aber auch der Europäische Rat im Dezember 1996 in Dublin.
Auf beiden Treffen geht es um die Frage, wie man die Öffnung gegenüber den jungen Demokratien aus Mittel- und Osteuropa mit einer Reform der Institutionen verbinden kann. Das gesamteuropäische Netz wird letztlich aus einer Verknüpfung der euroatlantischen Organisationen hervorgehen.
Schließlich aber kann die OSZE die ihr zugebilligte - ich zitiere - „zentrale Rolle für die Sicherheit in Europa" nur dann erfüllen, wenn sie wirklich handlungsfähiger wird. Wann immer man über die Schwächen der OSZE klagt, wäre es sehr viel konsequenter, ihre Stärken auszubauen.
Vor allem die Erfahrungen im ehemaligen Jugoslawien haben gezeigt, daß jedenfalls Entscheidungen über Krieg und Frieden mit 53 Mitgliedstaaten nicht zu finden sind. Das Friedensabkommen von Dayton ist eben durch die Zusammenarbeit der Europäischen Union, der USA und Rußlands in der Kontaktgruppe zustande gekommen.
An diesen Erfahrungen muß und kann man sich orientieren, wenn man zur Stärkung der Handlungsfähigkeit der OSZE einen kleineren Führungskreis fordert. Es gibt viele Möglichkeiten, einen solchen Führungskreis ausgewogen und flexibel zu gestalten.
Ich schließe: Der Ost-West-Konflikt ist beendet, die gesamteuropäische Friedensordnung jedoch nicht vollendet. Die euroatlantischen Organisationen besitzen die Chance, durch Reformen und Zusammenwirken das große Ziel gemeinsam zu verwirklichen.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Gerhard Zwerenz, PDS.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Vorredner, insbesondere der Kollege Duve, haben die Vergangenheit der damaligen KSZE, nachmalig OSZE sehr gelobt. Wenn es so gut funktioniert hat - es hat ausgezeichnet funktioniert; wir sind dankbar dafür, daß das so gut funktioniert hat -, dann fragt sich, weshalb es nach 1990 nicht weiter ausgebaut worden ist; denn es gab eine große Chance, ein gesamteuropäisches Sicherheitssystem fortzuentwickeln. Statt dessen wurde auf den Ausbau der vorhandenen westlichen Strukturen aus der Zeit des Kalten Krieges gesetzt, insbesondere auf die NATO. So entstand ein Ungleichgewicht.
Schnell erlahmte das Interesse an der Umsetzung der Charta von Paris und ihren damaligen Orientierungen, an einem neuen Europa. Obwohl die OSZE heute das einzige Forum für Sicherheitskooperation ist, das einzigartige Vorteile für die Schaffung einer gesamteuropäisch-transatlantischen Friedensordnung bietet, obwohl es viele verbale Bekenntnisse - solche hat es auch heute wieder gegeben - zu ihrer Bedeutung gibt, wurde sie in der Praxis deutlich marginalisiert und der NATO untergeordnet.
Die Bundesregierung und auch der Außenminister finden sehr schöne Worte für die OSZE. Die Frage ist, wo die Taten bleiben und weshalb wir bei diesem Ungleichgewicht stehenbleiben. Mein Vorredner hat die schöne Formel „OSZE first" verwendet. Was aber heißt das, wenn im Haushalt Milliarden für Militärausgaben, aber nur 8 Millionen DM für die OSZE ausgewiesen werden? Ist es „OSZE first" , wenn allein für das deutsche Militär in Bosnien 760 Millionen DM ausgegeben werden und die OSZE wie ein Kleinbetrieb behandelt wird? Wir meinen, daß die OSZE-Gipfelkonferenz in Lissabon die Chance zum Umsteuern bietet. Vielleicht ist es die letzte Chance.
Doch dazu, so meinen wir, müßte die Bundesregierung ein neues, funktionierendes und phantasievolles Programm vorlegen.
Unser Antrag ist darauf gerichtet, Anstöße und Anregungen für eine Änderung der OSZE-Politik zu geben. Viele Diskussionen und Vorschläge aus der friedens- und politikwissenschaftlichen Forschung haben wir aufzugreifen versucht, da sie sonst oft ausgeklammert werden. Unsere Forderungen sind darauf gerichtet, die OSZE politisch, rechtlich und materiell aufzuwerten und zu stärken. Wir sind für einen konsequenten Paradigmenwechsel in dieser Politik. Militärisch orientierte Logik und Politik müssen zugunsten nichtmilitärischer Friedenssicherung und Konfliktbewältigung zurückgedrängt werden.
Dementsprechend zielen unsere Vorschläge auf ein OSZE-Konzept für zivile Sicherheitsbildung, die Anwendung, den Ausbau und die rechtliche Regelung der Instrumentarien und Mechanismen der Konfliktprävention, des Krisenmanagements und der friedlichen Streitbeilegung. Wir sind statt für Krisenreaktion für Krisenprävention.
Dies kann anders gemacht werden, als es bislang geschehen ist; denn bis jetzt wurde es vernachlässigt. Dahinter steckt ein schwacher Wille und kein Friedenswille.
Gerhard Zwerenz
Die Bundesregierung sollte auf dem Lissaboner Gipfel mit konkreten Vorschlägen für einen neuen OSZE-Rahmen für konventionelle Abrüstung einschließlich eines KSE-II-Vertrages aufwarten. Wir wissen, daß es ein langer Prozeß sein wird, wenn so etwas funktionieren soll. Wir meinen aber, es ist höchste Zeit und wahrscheinlich die letzte Gelegenheit für eine prinzipielle Weichenstellung. Wir for-dem die Bundesregierung auf, öffentlich eine klare Antwort darauf zu geben, ob sie den Weg über die Stärkung der OSZE gehen will oder ob weiterhin der NATO und dem Militärapparat und damit auch der Rüstung der Vorrang gegeben werden soll. Es kann sein, daß solche Chancen, wie wir sie jetzt haben, nie wiederkehren werden; dann werden wir es gemeinsam bedauern.
Ich danke Ihhnen.
Das Wort hat der Kollege Dr. Pflüger, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gebe dem Kollegen Volmer völlig recht: Die KSZE bzw. die OSZE ist im öffentlichen Bewußtsein nicht so verankert, wie es der Organisation eigentlich zusteht; denn sie ist eine Erfolgsgeschichte.
Die KSZE-Schlußakte von Helsinki war der wirklich sehr erfolgreiche Versuch, in Europa vom Kalten Krieg zu einer Form der Auseinandersetzung überzugehen, bei der man eine Art Hausordnung mit Prinzipien, mit gewissen menschlichen Erleichterungen und einem Kodex für Zusammenarbeit verankert.
Ich glaube, daß der KSZE-Prozeß dem Ost-WestKonflikt, der bis dahin lediglich von Abschreckung und Verteidigung geprägt war, eine andere, sehr wichtige Komponente hinzugefügt hat: Entspannung, Zusammenarbeit, Erleichterungen für die Menschen im ehemaligen Ostblock. Der KSZE-Prozeß war eines der ganz wenigen krisenfesten Elemente im Ost-West-Konflikt. Er hat mit seinem Bekenntnis zu den Menschenrechten die Dissidenten in Mittel- und Osteuropa bestärkt und den Menschen dort eine Berufungsinstanz gegenüber den kommunistischen Diktaturen gegeben. Der KSZE-Prozeß hat zur europäischen Revolution und damit auch zur Überwindung der Teilung Berlins, Deutschlands und Europas entscheidend beigetragen.
Im Jahre 1990 wurde die KSZE-Charta von Paris verabschiedet. Sie symbolisiert den Wendepunkt der europäischen Nachkriegsgeschichte. Das Ende des Systemgegensatzes war erreicht. Eine gesamteuropäische Wertegemeinschaft schien in greifbarer Nähe. Wer nachliest, was damals in der Charta von Paris festgelegt worden ist, der sieht, daß dort ein ungeheurer Optimismus für die Zukunft vorhanden
war. Es gab sogar einige, die meinten, die KSZE habe nun eigentlich ihr Ziel erreicht. Der „ewige Friede" in der Alten Welt sei jedenfalls sehr viel näher gekommen. Einige sprachen sogar vom Ende der Geschichte. War die KSZE überflüssig geworden?
Die Konflikte, Krisen und Kriege, die wir seither erleben, haben den Romantikern aber sehr bald gezeigt, daß die neue Zeit eben noch nicht angebrochen war. Insbesondere der Krieg und Völkermord, die „ethnischen Säuberungen" im ehemaligen Jugoslawien haben gezeigt, daß wir in Europa nach wie vor Sicherheitsinstrumente und Sicherheitsorganisationen benötigen.
Man kann sogar sagen: Es ist seit 1990 schwieriger geworden. Denn bis 1990 ging es bei der KSZE um das Management von Status quo, nach 1990 ging es um die Beherrschung von dynamischem Wandel - nicht mehr in einer bipolaren, sondern in einer multipolaren Welt.
Somit hat die KSZE nach 1990 immer mehr eine andere Aufgabe zugewiesen bekommen. Sie wurde dann folglich auch in OSZE umbenannt, Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Nicht mehr die Verhinderung des großen Ost-West-Krieges war die Aufgabe. Vielmehr besteht die Aufgabe nunmehr in Frühwarnung, Konfliktverhütung, Krisenbewältigung und Friedenskonsolidierung in regionalen Auseinandersetzungen. Einmischung für eine „Civil Society", Wahrung der Menschenrechte und Gewährleistung freier Wahlen, Eindämmung von Konflikten um Grenzen und Minderheiten, Abrüstung, Vertrauensbildung, Transparenz, kurz: die Institutionalisierung eines dauerhaften Dialogs zwischen den Staaten auf der Grundlage gemeinsamer Prinzipien - das ist die OSZE heute. Ich glaube, sie hat wie der Vorgänger KSZE ebenfalls die Chance, eine wirkliche Erfolgsgeschichte zu werden.
Bewährt haben sich die Einrichtung des Hohen Kommissars für nationale Minderheiten, das OSZEBüro für demokratische Institutionen und Menschenrechte, das Forum für Sicherheitskooperation, das Konfliktverhütungszentrum, vor allem aber die OSZE-Langzeitmissionen in Bosnien, Georgien, Nagornij Karabach, Estland, Moldawien, Tschetschenien, der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien und anderswo.
Die Erfolge sind in der Tat - da gebe ich Ihnen ebenfalls recht, Herr Kollege - viel zuwenig in der Öffentlichkeit bewertet worden. Sie sind oft auch sehr schwer meßbar. Man kann natürlich sagen, daß zum Beispiel die Mission in Nagornij Karabach wesentlich dazu beigetragen hat, 1994 den Waffenstillstand herbeizuführen, oder daß die Mission in der früheren jugoslawischen Republik Mazedonien dazu beigetragen hat, daß der Krieg sich nicht in dieser Region ausweitete, oder daß die Mission in Georgien, die übrigens von einem Deutschen geleitet wird, dazu beigetragen hat, daß es in Südossetien eben nicht zu einem Aufflackern von Kriegshandlungen gekommen ist.
Das sind ganz wichtige Erfolge, die keiner bei uns in der Regierungskoalition geringschätzt, sondern
Dr. Friedbert Pflüger
die wir würdigen, die von der Bundesregierung gewürdigt werden und die dazu beitragen, daß wir auch in Zukunft die OSZE mit aller Kraft unterstützen.
Den Vorwurf, die Bundesrepublik Deutschland und die Bundesregierung würden die OSZE nicht ernst genug nehmen, kann man, wie ich finde, wirklich schwerlich erheben. Er wird außer von den Grünen von niemandem erhoben. Vor allen Dingen das Ausland ist der Auffassung, daß wir uns als Bundesrepublik Deutschland im Gegenteil sehr entschieden an allem, was die OSZE macht, beteiligen.
Wir sind an allen zehn im Moment laufenden Langzeitmissionen personell beteiligt. Die OSZEMission in Georgien - das sagte ich bereits - wird von einem deutschen Diplomaten geleitet. Das politische und finanzielle Engagement Deutschlands wird überall gewürdigt und hat in der Wahl eines Deutschen zum Ersten Generalsekretär der Organisation sichtbaren Ausdruck erhalten.
Ich möchte hier, zumindest für meine Fraktion, ich nehme aber an: für das ganze Haus, dem ersten Generalsekretär der OSZE, der inzwischen aus dem Amt ausgeschieden ist, Wilhelm Höynck, ganz herzlich für seine Arbeit danken.
Ich möchte den Dank an all die Mitarbeiter unseres Landes und anderer Länder erweitern, die in wirklich schwierigen Missionen und in nicht immer schönen Städten ihren Dienst tun
und unser Land wirklich ehrenvoll vertreten.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch dem Kollegen Willy Wimmer danken.
Er ist stellvertretender Präsident der OSZE-Parlamentarierversammlung. Ich finde, er macht das ausgezeichnet. Er ist jemand, der ebenfalls deutlich macht, daß dieses Parlament hinter der OSZE steht.
Neben der insgesamt positiven Würdigung der KSZE bzw. der OSZE muß aber auch etwas zu den Grenzen der OSZE gesagt werden; da unterscheiden wir uns, Herr Kollege Volmer. Im Falle militärischer Konflikte, manifester Machtinteressen, die gegeneinanderprallen, ist die OSZE als eine Institution kollektiver Sicherheit in der Regel überfordert. Man kann dies bedauern, aber es ist so. Sie kann deshalb die Institutionen kollektiver Verteidigung - WEU und vor allem NATO - nicht ersetzen, sondern nur ergänzen.
Sie sagten, man solle nicht mehr „NATO first", sondern „OSZE first" sagen. Das halte ich für völlig falsch; die Diskussion darüber ist zudem unnötig.
Jede Organisation muß da tätig werden, wo sie wichtig ist und wo sie eine Leistung erbringen kann. Das ist im Falle von Konfliktverhütung, Prävention und Friedenskonsolidierung die OSZE. Wenn es aber wirklich manifeste Konflikte gibt, sind es - leider - nur NATO und WEU.
Die OSZE war überfordert, den Frieden in Bosnien-Herzegowina zu erzwingen; das mußte die NATO tun. Aber jetzt, beim Abrüstungsprozeß, beim Vertrauensbildungsprozeß und beim Prozeß freier Wahlen, hat die OSZE natürlich eine wichtige Funktion.
Wir müssen beide Arten von Institutionen zusammen nehmen. Wir dürfen sie nicht in eine Konkurrenz hetzen. Beide sind wichtig, beide erfüllen ihre Aufgabe in einer zukünftigen europäischen Friedensordnung.
Auf dem Gipfel in Lissabon werden wir ein umfassendes europäisches Sicherheitsmodell für das 21. Jahrhundert, eine Plattform der kooperativen Sicherheit, verabschieden. Ich warne davor, zu viele Hoffnungen und Erwartungen zu haben. Die OSZE wird auch in Zukunft eine Organisation sein, die eher im Stillen, in der Vermittlung und in der Früherkennung und Frühwarnung, ihre Kraft entfaltet und nicht in dramatischen, spektakulären Aktionen.
Deshalb - da stimme ich Ihnen wieder zu, Herr Kollege Volmer - ist es unsere Aufgabe als gesamtes Parlament, der OSZE, ihren Beamten und dem, was dort in hervorragender Weise geleistet wird, von Zeit zu Zeit ein bißchen mehr Rückendeckung zu geben, als das in der Vergangenheit vielleicht der Fall gewesen ist.
Das Wort hat die Kollegin Uta Zapf, SPD.
Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren! Am 2./3. Dezember findet in Lissabon die OSZE-Gipfelkonferenz statt. Die Kernthemen der Agenda sind neben denen, die mein Kollege Freimut Duve schon ausführlich erwähnt hat, nämlich die menschliche Dimension und das umfassende Sicherheitsmodell für das 21. Jahrhundert, die Verbesserung der Implementierung bestehender Abrüstungsabkommen, ihre Verifikation und damit die Vertiefung der Vertrauensbildung in Europa, die Definition eines künftigen Abrüstungsrahmens, die Stärkung der Organisation durch Ausbau ihrer Institutionen, die Diskussion über den Dayton-Vertrag und seine Implementierung sowie die Konsolidierung des Friedensprozesses.
Uta Zapf
Dies ist ein umfangreiches, sehr anspruchsvolles und sehr wichtiges Programm dieser Konferenz. Es handelt sich um zukunftsweisende Themen, die sehr stark unsere eigene Lebensqualität tangieren. Herr Haussmann hat nicht recht mit seiner Meinung, daß der Zeitpunkt der Debatte gut gewählt ist. Wir sind mit der Debatte ein bißchen spät dran, Herr Haussmann. Ich bedaure das.
Aber ich bin auch etwas verwirrt: Wir führen diese Debatte noch nicht zu spät. Wir haben einen konkreten Antrag der SPD-Bundestagsfraktion, dessen Inhalt offensichtlich überhaupt nicht umstritten ist, zur direkten Abstimmung vorliegen. Ich habe dazu von Herrn Pflüger, Herrn Wimmer und von Herrn Haussmann nichts Gegenteiliges gehört. Ich habe nur Lob und Unterstützung für diese Organisation, das Verlangen nach ihrem Ausbau und ihrer Stärkung und verschiedentlich sogar Anklänge an unsere konkreten Forderungen gehört. In Hintergrundgesprächen habe ich vernommen, daß man dem Antrag sehr gut zustimmen könne.
Ich habe aber von keinem von Ihnen Zustimmung gehört. Tun Sie das heute abend, damit der Deutsche Bundestag noch die Möglichkeit hat - bevor die Konferenz zu Ende geht -, eine öffentliche Stellungnahme abzugeben, wie wir das schon so oft in bezug auf andere wichtige Konferenzen gemacht haben!
Dieser doch sehr vernünftig formulierte Antrag - er ist nicht so überbordend wie die anderen Anträge, die man vielleicht noch etwas sorgfältiger diskutieren müßte - ist konsensfähig, und ich möchte sie ganz herzlich bitten, diesem Antrag zuzustimmen.
Ansonsten, lieber Herr Pflüger, entsteht der Eindruck, daß die Koalitionsfraktionen ihren Obmann Pflüger und die F.D.P. ihren Außenminister samt ihrem sicherheitspolitischen Sprecher im Regen stehenläßt und daß es nur Lippenbekenntnisse sind, wenn die Bundesregierung in der Antwort auf die Große Anfrage des Bündnisses 90/Die Grünen der OSZE große Bedeutung zur Gestaltung von Frieden und Stabilität in Europa beimißt und wenn sie die OSZE zur Prävention und friedlichen Beilegung von Regionalkonflikten und zur Wahrung und Gestaltung von Stabilität in Europa für unverzichtbar hält. Auf diese Weise treten Vermutungen verschärft in den Vordergrund, daß es Konflikte zwischen Herrn Rühe und Herrn Kinkel gebe.
Die SPD will die OSZE stärken. Die OSZE verfügt über ein beispielloses, ausdifferenziertes System zur Krisenprävention und Konfliktregelung. Die Grundsätze der Schlußakte von Helsinki, die Charta von Paris und die schrittweise geschaffenen Instrumente dieser Organisation prädestinieren sie für Aufgaben im Rahmen der Krisenprävention und des Konfliktmanagements.
Wir wollen, daß in diesem Bereich die OSZE eine führende Rolle spielt. Auch die NATO, die WEU, der
Europarat und die EU befassen sich im wachsenden Maße mit diesen Aufgaben. Aber wir müssen Doppelstrukturen und Doppelarbeit vermeiden, weil wir sonst Ressourcen vergeuden. Deshalb wollen wir, daß die Koordination dieser Aufgaben vordringlich bei der OSZE liegen soll. Damit die OSZE diese Aufgaben auch wirklich leisten kann, müssen erstens die bestehenden Institutionen ausgebaut und gestärkt werden und müssen ihr zweitens adäquate finanzielle und personelle Mittel zur Verfügung gestellt werden.
Wir haben dazu unter Nr. IV unseres Antrages eine Reihe von Vorschlägen gemacht. Erstens schlagen wir die Stärkung der Handlungsfähigkeit des OSZEVorsitzenden durch die Einrichtung eines ständigen Beratungsgremiums vor, das seine Arbeit unterstützt. Ein solches Beratungsgremium kann aus ständigen und rotierenden Mitgliedern zusammengesetzt werden und würde wesentlich zur Kontinuität der Arbeit der OSZE beitragen; denn der häufige Personenwechsel gerade in diesen Institutionen verhindert, daß ein institutionelles Gedächtnis - von der OSZE so bezeichnet - entsteht. Viele Missionen fangen wieder bei Null an, weil die Erfahrungen nicht genutzt werden.
Frau Kollegin Zapf, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Hornhues?
Ja.
Frau Kollegin, wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß vieles in dem Antrag - das erkennt man, wenn man ihn liest - durchaus nicht nur diskussionswürdig, sondern auch zustimmungsfähig ist, nur daß ein Antrag in einer derartigen Komplexität, der weit über Lissabon hinausreicht und der offensichtlich am 13. November 1996 eingebracht wurde, nicht die Seriosität von Beratungen des Deutschen Bundestages erfüllt, wenn wir ihn einfach mal eben beschließen?
Wären Sie also nicht bereit, zuzustimmen, daß es angesichts dessen, was an Gemeinsamkeiten da ist, vernünftig und sinnvoll ist, jenseits der unmittelbar bevorstehenden Tagung von Lissabon, zu der wir so ohne weiteres keine Beratungschance mehr haben, den Gesamtkomplex im Ausschuß zu beraten und zur Gemeinsamkeit zu finden?
Herr Kollege Hornhues, ich kann Ihre Position sehr wohl verstehen. Aber ich habe schon ausgeführt, daß darin nichts wirklich über diese Konferenz Hinausgehendes steht, weil alle diese Vorschläge bereits in den Beratungsprozeß in den Vorkonferenzen eingebracht und viele dieser
Uta Zapf
Vorschläge auch von der Bundesregierung mit eingebracht worden sind.
- Ich weiß, daß einige ihn auch schon vorgestern oder vorvorgestern hatten. Ich billige Ihnen, Herr Kollege Hornhues, und jetzt auf Ihren Zwischenruf auch Ihnen, Herr Kollege Irmer, ja auch zu, daß dieser Zeitdruck mißlich ist; das wissen auch wir. Aber wir haben uns sehr beeilt, wenigstens noch vor der Konferenz über die Konferenz zu diskutieren. Es macht wenig Sinn, wenn wir uns hier jetzt auseinandersetzen. Natürlich wird die Diskussion um die Inhalte der Weiterentwicklung im nächsten und im übernächsten Jahr weitergehen. Wenn Sie dem heute nicht zustimmen, dann bringen wir das in einer anderen Form in den Beratungsprozeß in der Zukunft wieder ein; das ist für uns kein Problem.
Ich möchte die Abstimmung heute und hier haben, weil ich denke, wir haben eine Chance, gemeinsam etwas zu dieser Konferenz beizutragen.
Frau Kollegin Zapf, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Pflüger?
Wenn es der Sache dient, jawohl.
Frau Kollegin Zapf, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß wir alle Ihnen im Vorfeld deutlich gemacht haben, daß wir mit großen Teilen dieses Antrages inhaltlich leben können, daß wir aber einige gravierende Bedenken haben,
zum Beispiel daß die Rolle der NATO nicht ausreichend gewürdigt worden ist und daß hier neue finanzielle Forderungen auf den Bundeshaushalt zukommen, und daß wir als Union es aus diesem Grunde für richtig halten, den Versuch zu unternehmen, einen gemeinsamen Antrag herzustellen?
Würden Sie mir ferner recht geben, daß Sie aus diesem Grunde gesagt haben, daß das vor dem OSZE-Gipfel zeitlich nicht mehr möglich ist?
- Weil ich nicht wußte, daß die Kollegin Zapf auf diesen Punkt eingeht, und dachte, daß das vorher geklärt worden sei, Herr Kollege.
Würden Sie nicht sagen, Frau Kollegin Zapf, daß es, weil sich 90 Prozent dieses Antrages gar nicht mit
Lissabon, sondern mit langfristigen OSZE-Perspektiven beschäftigen, besser wäre, daß wir diesen Antrag jetzt nicht beraten, sondern darüber in den Ausschüssen vernünftig diskutieren und dann zu einer gemeinsamen Beschlußfassung kommen?
Herr Kollege Pflüger, ich nehme alles zur Kenntnis, was Sie sagen, aber ich stimme dem nicht zu. Erstens ist es nicht richtig, daß sich diese Dinge hier nicht mit der Konferenz in Lissabon beschäftigen; denn das sind alles Themen, die auf der Agenda stehen. Für die Abrüstung soll ein Rahmendokument, das politisch verbindlich ist, erstellt werden. Es soll ein Modell für die Sicherheit im 21. Jahrhundert entworfen werden, und es sollen die Institutionen gestärkt werden. Zu all diesen Dingen, insbesondere aber zur Stärkung der Institutionen, liegen offizielle Vorschläge auch der Bundesregierung auf dem Tisch.
Nun muß ich eines sagen, Herr Dr. Pflüger: Die Frage der Finanzen ist wirklich etwas kleinlich. Sie wissen, in welchen Dimensionen sich das im Verhältnis zu anderen Dingen bewegt.
Ich muß sagen, ich finde das beschämend. Wenn zum Beispiel die WEU in ihrer Planungs- und Analysezelle personelle Aufstockungen braucht, dann bekommt sie sie sofort - ohne finanzielle Diskussion hier im Deutschen Bundestag. Das wird dann einfach im Haushalt angesetzt. Wenn die OSZE eine geringe Aufstockung ihrer Analyse- und Planungskapazität bekommen soll, was sicher nicht teurer ist als bei der WEU, dann gibt es hier große Bedenken.
Zum anderen haben Sie gesagt, daß wir die NATO hier nicht ordentlich gewürdigt haben. Herr Dr. Pflüger, es ist doch hier wirklich nicht der Ort, die NATO zu würdigen.
- Jetzt weiß ich auch, woher wieder das Mißverständnis kam. Das ist nämlich dieses Reizwort „OSCE first". Als wenn es darum ginge, mit dem Begriff „OSCE first", den auch die Bundesregierung akzeptiert hat
- wunderbar; das ist ja noch besser -, sozusagen die NATO auszuhebeln. Es geht vielmehr darum, zu sagen: Überall da, wo die OSZE in der Lage ist, eine Aufgabe zu übernehmen, wollen wir ihr diese als erste anvertrauen.
Die Schlußfolgerung heißt dann doch: Sollte die OSZE damit überfrachtet bzw. überlastet sein, dann muß dies in Zusammenarbeit mit anderen Organisationen geleistet werden.
IFOR und das, was in Bosnien passiert, sind doch dafür das beste Beispiel. Ich gebe Ihnen Brief und Siegel: Wenn es wahr wird - das hoffen wir ja eigent-
Uta Zapf
lich -, daß es auch in Berg-Karabach einmal Blauhelme geben wird, um den dortigen Konflikt niederzuhalten und eine Befriedung zu erreichen, dann werden das keine OSZE-Blauhelme sein, sondern wieder irgendeine andere Konstruktion, weil die OSZE dazu zur Zeit gar nicht in der Lage wäre. Dies sind also vorgeschobene Beispiele.
Ich muß jetzt in meinem Redetext fortfahren, um noch ein Minimum meiner Argumentation herüberzubringen. Denn meine Redezeit läuft, obwohl ich den vorherigen Teil eigentlich noch als Beantwortung der Zwischenfrage begriffen habe.
- Dies bezog sich auf „OSCE first". Wenn man mir eine solche Gelegenheit gibt, dann ergreife ich sie auch.
Wir wollen natürlich auch die Kompetenzen des Generalsekretärs und die Planungs- und Analysekapazitäten des Konfliktverhütungszentrums stärken. Dazu habe ich soeben schon einiges ausgeführt. Wir finden uns in Übereinstimmung mit der Aussage in der Antwort auf die Große Anfrage, nämlich damit, daß die Bundesregierung glaubt, daß das Konfliktverhütungszentrum zu einem Frühwarnzentrum und zu einer Datenzentrale für vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen gemacht werden sollte. Nichts anderes bedeutet das, was wir hier niedergelegt haben, auch zum Beispiel, was das Sammeln von Daten angeht.
Wir wollen außerdem die Einrichtung eines Peacekeeping-Stabes. Dies sollen ausdrücklich nicht „Peacekeeping-Truppen" sein, die der OSZE unterstehen. Dies soll vielmehr eine für die Organisation solcher zukünftigen Aufgaben gut vorbereitete Institution sein.
Ich möchte noch auf einen zweiten Bereich zu sprechen kommen, weil wir die KSE-Diskussion zur Ratifizierung der Flankenregelung leider Gottes entweder auf einen Zeitpunkt nach Mitternacht verschoben haben oder wahrscheinlich wieder nur zu Protokoll geben. Hier geht es um die Vertiefung des Prozesses der Abrüstung, nämlich zum einen um weitere Verabredungen zur Abrüstung und Rüstungskontrolle. Wir sind der Meinung: Es muß auch um ein neues Mandat gehen, das weitere Kategorien einbezieht, nämlich die Frage der qualitativen Rüstung und der Marinerüstung. Ich hoffe, Sie erinnern sich, daß das eine Forderung ist, die wir mit den Stimmen der Mehrheit dieses Hauses, also auch mit denen der Koalitionsfraktionen, bereits in 1994 beschlossen haben. Dies bestätigen wir.
Ich glaube, daß die veränderte Natur potentieller Konflikte in Europa vor allen Dingen auch Maßnahmen zu regionaler Abrüstung zwingend erforderlich machen. Auch dafür soll diese Konferenz einen Rahmen erstellen. Es muß dabei darum gehen, die schwierige Frage zu lösen, wie in diesem Prozeß KSE-Staaten und Nicht-KSE-Staaten gleichberechtigt miteinander diskutieren können. Dies ist insbesondere für die Umsetzung des Dayton-Abkommens wichtig.
Wir wollen auch, daß in diesem Rahmen zum Beispiel die OSZE - ich habe das schon beim Stichwort Konfliktverhütungszentrum angedeutet, und dies ist besonders wichtig - die auflaufenden Daten der Verifikation und des Datenaustausches zentral sammelt, auswertet, koordiniert und natürlich bei Bedarf auch Inspektoren stellt. Wir hätten damit so eine Art Verifikationsagentur, die, denke ich, dem Gedanken der Transparenz und der Vertrauensbildung in Europa noch ein Stück weiterhelfen kann. Natürlich ist damit nicht gemeint, Geilenkirchen zum Beispiel jetzt auszusteuern. Das bleibt selbstverständlich mit der Koordinierung und Auswertung dieser Daten bestehen.
Ich denke, daß diese Maßnahmen - wenn wir denn wollen, daß die OSZE eine gemeinsame Sicherheit in Europa organisieren kann -- auch im Rahmen des neuen, erweiterten Sicherheitsbegriffes zunehmend für Prävention einen überragenden Stellenwert gewinnen und gewinnen müssen. Soll Prävention nicht ein Begriff für außen- und sicherheitspolitische Sonntagsreden bleiben, muß die OSZE als Instrument ziviler Krisenprävention und Konfliktregelung gestärkt werden.
Lassen Sie mich zum Schluß als letztes Boutros Ghali zitieren. Er sagt in der „Agenda für den Frieden":
Es ist zweifellos besser, den Ausbruch gewalttätiger Konflikte durch Frühwarnung, stille Diplomatie und in einigen Fällen durch vorbeugende Dislozierung zu verhüten, als größere politisch-militärische Anstrengungen zu ihrer Beilegung unternehmen zu müssen, nachdem sie ausgebrochen sind.
Dem ist nichts hinzuzufügen.
Jetzt hat Herr Staatsminister Schäfer das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist ja schon im letzten Beitrag deutlich geworden, daß sich der Bundestag angesichts der bevorstehenden Konferenz in Lissabon in 14 Tagen Gedanken macht über das, was die Bundesregierung einbringen soll. Wenn über den Antrag, den Sie, Frau Zapf, etwas spät vorgetragen haben, jetzt nicht abgestimmt wird, so nicht deshalb, weil hier Gegensätze bestehen, sondern weil man einen Antrag gründlich diskutieren muß, und zwar, ich glaube, besser im Ausschuß als im Plenum, denn dort kann er eben detaillierter begründet werden.
Im Mittelpunkt der anstehenden Lissaboner Beratung werden ganz zweifellos - das ist mehrfach betont worden - die Ausgestaltung der europäischen Sicherheitspartnerschaft und das sogenannte Sicherheitsmodell stehen, die Lage in Bosnien-Herzegowina sowie die Anpassung des KSE-Vertrages.
Staatsminister Helmut Schäfer
Die Bundesregierung bereitet diese Themen sehr sorgsam vor, auch mit ihren Partnern. Die Arbeiten an dem mehrfach erwähnten, umfassenden und tragfähigen Sicherheitsmodell für das 21. Jahrhundert wurden nach dem letzten Gipfel in Budapest aufgenommen. Sie sollten nach Überzeugung der Bundesregierung in Lissabon zu Grundsätzen für eine gleichberechtigte Zusammenarbeit zwischen allen für unsere Sicherheit wesentlichen Organisationen in Europa führen. Dabei geht es nicht um eine rigide Arbeitsteilung, sondern vielmehr um die Ausgestaltung kooperativer Sicherheitsstrukturen, bei denen allerdings Doppelzuständigkeiten vermieden werden sollten und die Vorteile der einzelnen Organisationen jeweils genutzt werden können.
Bei der Umsetzung des Friedensvertrages von Dayton haben wir zum erstenmal auch konkrete Erfahrungen sammeln können, wie denn die verschiedenen internationalen Organisationen - nämlich OSZE, Europäische Union, WEU, UN und NATO - sinnvoll zusammenarbeiten. Diese Erfahrung gilt es auch in Zukunft praktisch umzusetzen. Ziel muß eine noch stärkere Verknüpfung der verschiedenen sicherheitspolitischen Organisationen sein.
Die OSZE ist andererseits die einzige gesamteuropäisch-atlantische Institution, der sowohl die USA und Kanada sowie auch Rußland, die Ukraine und die neuen Staaten Mittelasiens gleichberechtigt angehören. Für die OSZE gilt ein umfassender Sicherheitsbegriff, in dem nicht nur militärische Fragen angesprochen werden. Das ist hier mehrfach gesagt worden. Ethnische Spannungen, wirtschaftliche Ungleichgewichte, das Aufkommen organisierten Verbrechens, das Fehlen rechtsstaatlicher Strukturen und die Bedrohung unserer Umwelt bilden Teile der politischen Risikoanalyse der OSZE.
Die Bundesregierung wird daher in Lissabon konkrete Schritte zur Stärkung der OSZE im Bereich der präventiven Diplomatie, der Konfliktverhütung und der Krisenbewältigung verlangen.
Die Bundesregierung tritt auch für eine deutlicher verfaßte, politisch bindende Verpflichtung der OSZE-Teilnehmerstaaten zur Zusammenarbeit mit dem Hohen Kommissar für nationale Minderheiten und den OSZE-Missionen ein.
Unser Ziel ist erstens, die OSZE zu einem Impulsgeber, zu einem politischen Seismographen fortzuentwickeln, der Konfliktherde bereits in einem Frühstadium erkennt und Wege zur Krisenverhütung mit dem Instrument der präventiven Diplomatie eröffnet, zweitens eine Bewältigung von Krisen durch die OSZE, wo immer sie das leisten kann, und drittens eine stärkere Einbindung der OSZE beim Aufbau demokratischer und rechtsstaatlicher Strukturen dort, wo es nötig geworden ist, zum Beispiel in Bosnien-Herzegowina.
Die OSZE braucht dort, wo andere Organisationen im einzelnen besser gerüstet sind, keine zusätzlichen operativen Aufgaben übernehmen. Darauf hat Herr Pflüger schon hingewiesen. Wir treten jedoch dafür ein, daß die OSZE stärker als bisher als gesamteuropäisches Forum zur frühzeitigen politischen Erörterung und Bewältigung von Risiken, die Frieden und Stabilität in Europa bedrohen, genutzt wird.
In Bosnien-Herzegowina ist die OSZE vor die bisher größte Herausforderung ihrer Geschichte gestellt. Bosnien-Herzegowina wird deshalb auch in Lissabon einen wesentlichen Teil der Tagesordnung ausmachen. Der OSZE wurde durch die Friedensvereinbarungen von Dayton die Aufgabe übertragen, Vorbereitung und Durchführung von Wahlen innerhalb kurzer Frist zu überwachen. Wahlen sind und waren - ich glaube, das muß man immer wieder sagen - ein zentrales Element zur Durchsetzung des Friedens in dem vom Bürgerkrieg verwüsteten Land. Wir können heute sagen, daß die OSZE diese große Aufgabe gut gelöst hat.
In Lissabon wird aber ein neues Mandat für die Aufgaben im nächsten Jahr zu verabschieden sein. Nach Überzeugung der Bundesregierung sind herausragende neue Aufgaben der OSZE insbesondere die Durchsetzung der Menschenrechte, der Aufbau einer Bürgergesellschaft und die Überwachung der Einhaltung von vertrauens- und sicherheitsbildenden Maßnahmen und Rüstungskontrollvereinbarungen.
Darüber hinaus ist es von erheblicher Bedeutung, daß die OSZE die noch ausstehenden, in ganz Bosnien und Herzegowina einheitlich durchzuführenden Kommunalwahlen überwacht. Die OSZE kann sich bei ihrer schwierigen Aufgabe in Bosnien-Herzegowina auch weiterhin auf die volle Unterstützung der Bundesregierung verlassen.
Abrüstung, Rüstungskontrolle und Vertrauensbildung sind die Markenzeichen der OSZE. Das muß auch in Lissabon deutlich werden. Die bahnbrechenden Rüstungskontrollverträge, die in der Zeit des europäischen Umbruchs abgeschlossen wurden, haben Europa sicherer gemacht. Kernstück ist dabei der Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa. Er hat nichts von seiner Bedeutung verloren. Er muß jedoch an das neue sicherheitspolitische Umfeld angepaßt werden. In Lissabon wird dazu der Startschuß gegeben.
Wir wollen sicherheitspolitische Stabilität in ganz Europa durch weitere Rüstungskontrollmaßnahmen, gerade auch bei den konventionellen Waffen und Streitkräften. Dabei geht es auch um Vertrauensbildung und Abrüstung auf regionaler Ebene. Beispiel dafür sind ja die Vereinbarungen, die unter dem Schirm der OSZE zwischen den Parteien des Friedensprogrammes von Dayton abgeschlossen wurden und für die sich die Bundesregierung nachhaltig eingesetzt hat.
Rüstet ab! Schafft Vertrauen! - Das ist die Botschaft, die wir und die OSZE den Menschen in Bosnien und in anderen Konfliktgebieten Europas immer wieder deutlich machen müssen. Auch darüber wird in Lissabon zu sprechen sein.
Darüber hinaus wird die Bundesregierung in Lissabon die nachfolgenden Ziele vertreten:
Staatsminister Helmut Schäfer
Erstens. Die OSZE soll eine völkerrechtliche Grundlage erhalten. Sie hat sich - maßgeblich auf die deutsche Initiative hin - bereits auf dem Helsinki-Gipfel 1992 zu einer Regionalorganisation im Sinne von Kapitel VIII der UN-Charta erklärt. Die Aufgaben, die sie als Regionalorganisation wahrnimmt, sollten einen rechtlichen Rahmen erhalten. Dies liegt nach Überzeugung der Bundesregierung in der Logik der in Helsinki gefaßten Beschlüsse. Dies würde die OSZE im Verbund der Sicherheitsorganisationen stärken und ihren Stellenwert auch für jene Staaten erhöhen, die auf absehbare Zeit der NATO oder der EU nicht beitreten werden.
Eine völkerrechtliche Grundlage für die OSZE würde auch die nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 12. Juli 1994 erforderliche „völkerrechtliche Gebundenheit" der OSZE schaffen, die Voraussetzung für einen Einsatz deutscher bewaffneter Streitkräfte an möglichen friedenserhaltenden Maßnahmen der OSZE ist.
Zweitens. Die Handlungsfähigkeit der OSZE muß nach Überzeugung der Bundesregierung auch in Krisensituationen gewährleistet sein. Es muß der OSZE in Ausnahmesituationen, in denen ihre Bemühungen als Regionalorganisation zur Konfliktbeilegung keinen Erfolg zeigen, möglich sein, auch ohne Zustimmung der Konfliktparteien den UN-Sicherheitsrat anzurufen.
Unsere EU-Partner und die große Mehrzahl der übrigen OSZE-Staaten haben sich diese von Bundesminister Kinkel und seinem damaligen niederländischen Amtskollegen Kooijmans bereits vor dem Budapester Gipfel 1994 entwickelten Vorschläge zu eigen gemacht. Es gilt, sie nunmehr energisch umzusetzen. Dazu bedarf es aber beispielsweise auch gegenüber Rußland noch weiterer Überzeugungsarbeit.
Drittens. In Lissabon sollte auch der Beitrag der OSZE zur Gewährleistung der Menschenrechte in ihren Mitgliedstaaten ausgebaut werden. Herr Duve, Sie haben freundlicherweise in Wien zusammen mit dem Bundesminister des Auswärtigen am 3. Oktober vorgeschlagen, einen OSZE-Beauftragten für Angelegenheiten des Journalismus und der Medien zu ernennen. Wirklicher Friede ist nur in einer Gesellschaft möglich, in der Menschen- und Freiheitsrechte geachtet werden. Dazu gehört auch die Presse- und Medienfreiheit. Der OSZE-Medienbeauftragte soll eine Appellationsinstanz sein, die individuelle Beschwerden und Klagen von Journalisten und von Medien aufnehmen und gegenüber den betroffenen Regierungen thematisieren soll.
Schließlich viertens. Ein für alle OSZE-Staaten drängendes Problem sind die Flüchtlingsbewegungen. Die OSZE sollte sich dieses Themas in Lissabon annehmen. Allein im OSZE-Gebiet gibt es inzwischen rund 6,5 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene. Die Reintegration von Flüchtlingen nach der Beendigung von Konflikten ist eine neue Herausforderung an alle Beteiligten. Die OSZE sollte ihre Prinzipien und Verpflichtungen in diesem Bereich fortentwickeln und ihnen eine noch stärkere politische Bindungswirkung verleihen.
Die Bundesregierung - das darf ich sagen - möchte ebenfalls sicherstellen, daß Beschlüsse der OSZE für die Mitgliedstaaten verbindlich werden. Dazu bedarf es einer Rechenschaftspflicht aller Staaten, die zusätzlich durch die Festschreibung eines Rechenschaftsanspruchs der OSZE-Staaten untereinander ergänzt werden muß.
Meine Damen und Herren, vom Gipfel in Lissabon muß das Signal ausgehen, daß die OSZE bereit und fähig ist, einen eigenständigen und wesentlichen Beitrag für die europäische Sicherheitsarchitektur zu leisten. Es ist vom Kollegen Haussmann darauf hingewiesen worden, daß nicht nur die OSZE-Konferenz vor der Tür steht, sondern eine ganze Reihe anderer ganz wichtiger, großer Konferenzen in Europa. Ich kann nur sagen: Wir wollen auch die OSZE nutzen, die Erweiterungsprozesse von NATO und Europäischer Union durch die Erarbeitung tragfähiger Strukturen der kooperativen Sicherheit zu ergänzen.
Rußland soll in Lissabon deutlich gemacht werden, daß es gleichberechtigt ist und daß es in die Ausgestaltung der europäischen Sicherheitsarchitektur eingebunden werden muß. In diesem Ziel sind sich alle EU-Partner einig.
Die OSZE muß sich für ihre großen Aufgaben im 21. Jahrhundert vorbereiten. Wir werden dazu in Lissabon unseren konstruktiven Beitrag leisten. Jede Anregung aus diesem Hause - auch wenn sie spät kommen sollte - greifen wir gern auf.
Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache. Die Anträge der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen und der Gruppe der PDS auf Drucksachen 13/5888 und 13/5800 sollen an die in der Tagesordnung benannten Ausschüsse überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist es so beschlossen.Wir kommen zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Stärkung der OSZE; das ist die Drucksache 13/6092. Dazu beantragen die Koalitionsfraktionen ebenfalls Überweisung an die in der Tagesordnung benannten Ausschüsse. Ich gehe davon aus, daß die SPD-Fraktion dem widerspricht. Infolgedessen müssen wir abstimmen. Nach ständiger Übung in diesem Hause wird zuerst über den Überweisungsantrag abgestimmt. Ich darf deshalb fragen, wer der Überweisung zustimmt. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist die Überweisung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition beschlossen.Verehrte Kolleginnen und Kollegen, bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, muß ich noch einmal auf Punkt 3 unserer Tagesordnung, die Ausländerdebatte, zurückkommen. In dieser Debatte hat die Kollegin Ulla Jelpke von der Gruppe der PDS unter anderem folgendes ausgeführt:Herr Hörster von der CDU/CSU hat im vergangenen März nach den Kurdendemonstrationen
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Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1996 12469
Vizepräsident Hans-Ulrich Klosewörtlich gesagt: Wer in seiner Heimat die Folter fürchtet, führt sich im Gastland nicht so auf, wie es hier die Kurden getan haben.Und dann:Wer so redet, der wird auch den Pakt mit den Folterknechten eingehen.
Ich habe auf diesen Beitrag nicht sofort reagiert, weil es in solchen Fällen immer hilfreich ist, in das Protokoll zu sehen. Das lag mir aber während der Zeit, als ich hier saß, nicht vor. Deshalb kann ich erst jetzt auf den Vorgang zurückkommen.Ich will wegen des langen Zeitablaufs keine formelle Rüge mehr aussprechen, möchte aber für das Protokoll darauf hinweisen, daß dies ein ziemlich schlimmer Vorwurf ist, der auf konkret benannte Personen zielt und damit objektiv den Tatbestand einer Beleidigung erfüllt. Das kann in diesem Hause nicht geduldet werden.
Das ist die überstimmende Auffassung des Präsidiums.Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 15 auf:Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Altschulden für gesellschaftliche Einrichtungen, zur Änderung des Gesetzes über den Erblastentilgungsfonds und zur Änderung des Investitionsförderungsgesetzes Aufbau Ost- Drucksache 13/6088 —Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschuß InnenausschußRechtsausschußNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Krüger, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Zum wiederholten Male befassen wir uns heute mit den kommunalen Altschulden, obwohl das Thema längst hätte geklärt sein können und müssen.
Die Aufkündigung des Ende letzten Jahres gefundenen Kompromisses durch Höppner und Lafontaine hat die Angelegenheit erheblich verschleppt und die Unruhe und Unsicherheit in den Kommunen eher verstärkt. Vor allem aber wurden Investitionen und damit Arbeitsplätze verhindert.
Die ganze Diskussion ist ein typisches Beispiel dafür, daß zwingend zu regelnde Dinge nicht besser und schon gar nicht preiswerter werden, wenn sie, von wem auch immer, auf die lange Bank geschoben werden.
Dagegen haben wir ostdeutschen Unionsabgeordneten in unserem Vorschlag eine hälftige Teilung zwischen Bund und betroffenen Ländern auch vor diesem Hohen Hause von Anfang an klar und unmißverständlich vertreten. Unser Vorschlag bietet einen fairen Interessenausgleich zwischen allen Beteiligten.
Ich darf einige Schwerpunkte aus diesem Vorschlag noch einmal ins Gedächtnis rufen. Wir haben vorgeschlagen, die Altschulden auf konkret zugeordnete Grundstücke einzugrenzen. Wir haben vorgeschlagen, daß der Bund die Hälfte dieser Altschulden übernimmt und die Länder die andere Hälfte der Schulden übernehmen. Die pauschale Entlastung der Kommunen kann im kommunalen Finanzausgleich in den einzelnen neuen Ländern mit unserem Vorschlag jeweils angemessen berücksichtigt werden. Insbesondere aber erfolgt die Refinanzierung des Bundesanteils nicht zu Lasten der neuen Länder, sondern entsprechend unserem Vorschlag gesamtdeutsch.
Die ostdeutschen Ministerpräsidenten, einschließlich Sachsen-Anhalts und Brandenburgs, sind nun endlich auf diese Linie eingeschwenkt. Nachdem eine Bundesratsinitiative durch die Haltung Berlins nicht zustande gekommen ist, wollen wir nun die Klärung dieser Frage durch eine Initiative aus der Mitte des Bundestages vorantreiben.
Entsprechend den Absprachen im Kreise der Ministerpräsidenten enthält der nun vorliegende Gesetzentwurf, ergänzend zu den bereits skizzierten Eckpunkten, folgende weitere Regelungen: Jährlich sind an Tilgungen und Zinsen 630 Millionen DM zu erbringen. Ein Drittel des Länderanteils von 315 Millionen DM soll dabei aus dem Altvermögen der DDR-Parteien und -Massenorganisationen beglichen werden. Dies wird von den Ländern ausdrücklich so gewünscht, wobei der Modus der Anrechnung des Parteivermögens noch einvernehmlich mit den Ländern abzustimmen ist.
Ich glaube, hier kann man im Gang der parlamentarischen Beratungen eine einvernehmliche Lösung finden. Die Weichen dazu sind in jedem Fall gestellt. Die restlichen 210 Millionen DM sollen zu gleichen Teilen von den sechs betroffenen Ländern übernommen werden.
Nachdem die Länder stets an die Solidarität des Bundes bei den kommunalen Altschulden appelliert haben, rufe ich nun die Länder zur Solidarität untereinander auf. Bei allem Verständnis für die Finanzierungsprobleme der Hauptstadt wäre es nicht hinnehmbar, wenn sich Berlin einer paritätischen Begleichung der Altschulden entzöge. Man fühlt sich unwillkürlich an den Spruch erinnert, den ich, etwas abgewandelt, so bringen möchte: Wenn's um Geld geht, hört die Solidarität auf.
Dr.-Ing. Paul Krüger
Berlin soll sich in diesem Zusammenhang nicht nur über die Zusatzbelastungen als Hauptstadt und Regierungssitz beklagen. Ich kann mich an Zeiten erinnern, als nicht nur hier im Parlament, sondern vor allem auch in Berlin über die Entscheidung zur Hauptstadt und zum Regierungssitz gejubelt wurde - und nicht von ungefähr. Ich glaube, gerade Berlin ist insbesondere auch auf die Solidarität der Flächenländer, vor allem auch der neuen Länder, angewiesen. Das soll sich Berlin in diesem Zusammenhang vor Augen führen.
Der Gesetzentwurf sieht vor, daß sich alle neuen Länder mit gleichen Anteilen zu beteiligen haben. Der Gesamtbetrag der von Bund und Ländern gewährten Finanzhilfen nach dem Investitionshilfegesetz kann auf Wunsch der betreffenden Länder auf die Annuitäten angerechnet werden.
Ich muß ganz ehrlich gestehen, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß mir dieses Bauchschmerzen bereitet, da die Investitionsquoten der Länder, vor allem in Brandenburg und • Sachsen-Anhalt, in den letzten Jahren deutlich zu niedrig waren. Deshalb appelliere ich besonders an diese Länder, die von allen Ländern gewünschte Verrechnung mit Investitionsmitteln nicht zum Anlaß für eine weitere Absenkung der Investitionsquoten zu nehmen, sondern vielmehr die Anteile im investiven Bereich zu erhöhen, um die Wirtschaft zu beleben und die so dringend notwendigen Arbeitsplätze zu schaffen.
Alternativ ist als weitere Variante die Anrechnung der Annuitäten auf den Anteil der Länder an der Einfuhrumsatzsteuer möglich. Auch dieser Vorschlag wird von einzelnen Ländern derzeit nicht akzeptiert. Hierüber muß noch mal diskutiert werden. Ich glaube, auch hierbei ist eine einvernehmliche Lösung im Rahmen der parlamentarischen Beratungen noch möglich. Wir sind also gut beraten, wenn wir uns im Rahmen der parlamentarischen Beratungen mit den Ländern kurzschließen und an einer einvernehmlichen Lösung arbeiten.
In jedem Fall aber ist der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen ein wichtiger Schritt zur Klarheit für alle. Er vermeidet einseitige Lastenverteilungen, sorgt für einen fairen finanziellen Ausgleich und eröffnet in jedem Fall eine gerechte Lösung.
Ein weiteres Zögern in dieser für den Bund, die Länder und vor allem für die Kommunen so wichtigen Angelegenheit würde nur zu weiteren Zinsen und zu weiteren Verunsicherungen der Kommunen und der Investoren führen. Ich plädiere deshalb für eine möglichst rasche Verabschiedung des vorliegenden Kompromisses.
Ich appelliere nochmals an die Solidarität der Länder untereinander und besonders an die Solidarität der Länder mit ihren Kommunen. Deshalb sollten wir uns alle bemühen, die Länder dazu zu bewegen, hier eine gemeinsame solidarische Lösung im Sinne der Investitionen, im Sinne der Arbeitsplätze in den neuen Ländern zu finden.
Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Christine Lucyga, SPD.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Krüger, nachdem Sie den Entwurf eines Altschuldenregelungsgesetzes schöngeredet haben, möchte ich doch zur Sache kommen; denn er ist alles andere als ein Ruhmesblatt.
Der Gesetzesentwurf soll
das Problem der Altschulden für gesellschaftliche Einrichtungen einer abschließenden und für alle beteiligten Gebietskörperschaften akzeptablen Regelung
zuführen. Aber genau diesem Anspruch wird die Vorlage nicht gerecht, und zwar deshalb nicht, weil die Bundesregierung es nicht lassen kann, trotz partieller Zugeständnisse ihren rechtlich strittigen Standpunkt im Grundsatz beizubehalten.
Mit dieser Gesetzesvorlage ist der Streit über die Altschulden mit Sicherheit nicht vom Tisch; denn offenkundige Mängel machen die Altschulden inakzeptabel und so nicht hinnehmbar.
Daß die Behandlung der Altschuldenfrage durch den BMF von Anfang an grundsätzlich schiefgelaufen ist, wissen auch Sie. Sie haben zugegeben, daß jahrelanges Festhalten an einer verfehlten Position das Problem auf eine unverantwortliche Weise verschärft hat.
Nach jahrelangem Leugnen hat sich die Bundesregierung nun immerhin zu der Einsicht durchgerungen, daß die strittigen kommunalen Altschulden in den Erblastentilgungsfonds kommen, wo sie Rechtens auch hingehören. Diese späte Einsicht hat nun endlich Eingang in Ihren Gesetzentwurf gefunden.
Zumindest dies müssen wir als einen politischen Erfolg betrachten. Es ist ein Erfolg der SPD, die diese Rechtsauffassung stets vertreten und in parlamentarischen und außerparlamentarischen Aktivitäten dokumentiert hat.
- Herr Krüger, hören Sie mir ruhig eine Weile zu! Vielleicht erübrigt sich dann Ihre Frage.
Trotzdem muß ich Sie fragen, ob Sie die Zwischenfrage zulassen.
Ich habe Herrn Krüger gerade aufgefordert, noch eine Weile zuzuhören. Vielleicht erübrigt sich dann seine Frage.
Also, Sie wollen sie nicht zulassen.
Noch im Frühjahr dieses Jahres sind Gesetzentwürfe von Bundesrat und SPD-Bundestagsfraktion, die eine Erblastentilgungsfondslösung forderten, weil die kommunalen Altschulden als Gesamtlast eine Erblast des DDR-Staates sind, die, wie andere DDR-Schulden auch, im Erblastentilgungsfonds aufzufangen sind, von der Koalitionsmehrheit abgelehnt worden, obwohl qualifizierte Sachverständigengutachten und eine parlamentarische Anhörung zum Komplex der Altschulden den willkürlichen Charakter der sogenannten Altkredite klar herausgestellt haben.
Im übrigen sind auch nur 16 Prozent der ostdeutschen Gemeinden betroffen. Auch das weist auf die Willkürlichkeit der Entscheidung hin. Es wurde schlüssig dargelegt, daß die zugrunde liegende Finanzierungsystematik nicht mit dem bundesdeutschen Rechtssystem kompatibel und nicht in dieses Rechtssystem integrierbar ist.
Das alles haben Sie in Ihrem Vorläuferantrag vom 14. März dieses Jahres unberücksichtigt gelassen. Sie haben damals nicht einmal andeutungsweise von einer Erblastentilgungsfondslösung gesprochen.
So betrachtet hat sich die Bundesregierung den Fakten inzwischen doch nicht ganz verschließen können und sich ein Stück weit bewegt. Aber - dies muß sehr deutlich gesagt werden - die Bundesregierung ist ein schlechter Verlierer, und zwar deshalb, weil das nicht mehr zu umgehende Eingeständnis einer Übernahme in den Erblastentilgungsfonds mit dem vorliegenden Entwurf trickreich, durch die Hintertür verwässert wird.
Es ist inkonsequent, wenn, nur um das Gesicht zu wahren, trotz einer Erblastenlösung Länder und Gemeinden weiterhin als Schuldner bezeichnet werden; denn damit wird ihnen eine rechtliche Anerkennung der sogenannten Altkredite geradezu aufgezwungen. Der Konflikt resultiert aber gerade aus dem rechtlich strittigen Charakter dieser Altschulden. Also dürfen die Länder und Kommunen auch nicht gezwungen werden, sie auf diese Weise anzuerkennen.
Die Kommunen und mit ihnen die Länder sind in der Altschuldenfrage von der Bundesregierung - mit mehr Sturheit als Kompromißbereitschaft - lange unter Druck gesetzt worden. Auch der vorliegende Gesetzentwurf zeugt davon, wie wenig Besitzstände der ostdeutschen Länder von der Regierung geachtet werden. Sonst wäre wohl kaum zwecks Etikettenschwindel das Parteienvermögen angetastet worden, das nach dem Einigungsvertrag den neuen Bundesländern zusteht. Ein solches „Angebot" ist keine Entlastung, es ist ein Verschiebebahnhof.
Warum hat die Bundesregierung eigentlich nie an die Möglichkeit gedacht, zur Finanzierung der Annuitäten das Finanzvermögen nach Art. 22 Einigungsvertrag heranzuziehen, aus dem der Bund einen ausreichenden Überschuß zur Verfügung hat, der wiederum anteilig den neuen Ländern zusteht?
Nein, mit dem Koalitionsentwurf wird im Prinzip die Politik der Bundesregierung fortgesetzt, sich auf Kosten der Städte und Gemeinden zu entlasten, zum Beispiel mit dem gerade erst beschlossenen sogenannten Sparpaket, mit dem Arbeitsförderungs-Reformgesetz, mit dem Wohngeldüberleitungsgesetz, und die von vornherein erheblichen finanziellen Mehrbelastungen der Kommunen durch steigende Sozialhilfeausgaben einzukalkulieren.
Frau Kollegin, habe ich das eben richtig verstanden, daß Sie generell keine Zwischenfragen zulassen möchten? Denn es besteht der Wunsch des Kollegen Reiner Krziskewitz nach einer weiteren Zwischenfrage.
Ich möchte erst zu Ende reden.
Das heißt: nein.
Was im vorliegenden Koalitionsentwurf des Altschuldenregelungsgesetzes als Lastenteilung angeboten wird, ist, aus der Nähe betrachtet, weder Fisch noch Fleisch. Der Entwurf geht auch nicht wesentlich über den Punkt hinaus, an dem die Gespräche im Kanzleramt im Januar dieses Jahres erfolglos abgebrochen wurden. Dafür hat die Regierung mit der im September überraschend erzielten Übereinkunft einmal mehr Länder und Kommunen gegeneinander ausgespielt und das Verhältnis der ostdeutschen Länder zueinander einer schweren Belastung unterworfen.
Herr Krüger, es ist diese Entscheidung, die die Länder gegeneinander aufgehetzt hat. Das ist von Ihnen zu verantworten; das war Ihr Vorschlag.
Es ist der miserable politische Stil des „Teile und Herrsche"; erst die Kommunen unter Druck setzen und dann die Bedingungen diktieren.
Und noch etwas: Es ist unfair, das den Ländern zustehende Parteivermögen erst auf Eis zu legen, um es dann bundesseitig in die Verhandlungsmasse einzubringen.
Der Bund übernimmt mit seinem Halbe-halbe-Angebot ein wenig mehr als die selbst verschuldeten Mehrkosten, die durch jahrelanges Aussitzen des Problems entstanden sind. Was die Regierung sich und uns dieses Aussitzen kosten läßt, hier noch einmal in aller Kürze: Im Juli 1990 waren es 4,9 Milliarden DM; im Dezember 1993 waren es nach Aus-
Dr. Christine Lucyga
sage des BMF mit aufgelaufenen Zinsen bereits 6,97 Milliarden DM; im März 1996 wurden 8,73 Milliarden DM bis Jahresende zu Protokoll gegeben.
Fazit: Gerecht wäre eine Lösung, die von der Grundforderung ausgeht. Wie hoch allerdings die Summe tatsächlich ist, scheint die Regierung auch nicht so genau zu wissen; denn im Gesetzentwurf ist wieder von 8,4 Milliarden DM die Rede. Es bleibt also das Geheimnis, ob die Regierung sich verrechnet hat, ob sie das Parlament einmal mehr belogen hat oder ob die GAW doch mittlerweile Berichtigungen vornimmt.
Es bleibt also nachzufragen, welche Abzugsposten es noch geben könnte. Wenn es wirklich zu einer fairen Lösung und Lastenteilung zwischen Bund und Ländern kommen soll, dann müssen doch mindestens die mittlerweile auf geschätzt zirka 800 Millionen DM angelaufenen Zinseszinsen von der Gesamtforderung ausgenommen werden.
In der parlamentarischen Beratung wird es daher erhebliche Nachbesserungen geben müssen, wenn eine gerechte Lastenteilung und eine tatsächlich abschließende und für alle Beteiligten akzeptable Regelung erreicht werden soll.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat die Kollegin Vera Lengsfeld, Bündnis 90/Die Grünen.
- Es tut mir leid. Eine Zwischenfrage war nicht zugelassen; eine Kurzintervention ist nicht beantragt worden.
- Das muß ordnungsgemäß durch die Geschäftsführer geschehen. Ich bitte um Nachsicht.
Sie haben das Wort, Frau Lengsfeld.
Vielleicht sollte ich erst einmal ausdiskutieren lassen.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Man sieht schon an dieser lebhaften Diskussion, die sich jetzt zwischen den Parteien entfaltet, daß die Auseinandersetzung um die Altschulden in dieser Legislaturperiode zum Dauerbrenner zu werden droht.
Der Gesetzentwurf, den wir jetzt in die Ausschüsse geben werden, hätte schon vor einem Jahr vorgelegt werden können.
Die Einigung hätte längst erzielt werden können. Niemand hätte die Bundesregierung hindern können, die Altschulden von Unternehmen, Landwirtschaft und Kommunen einfach zu streichen und im Gegenzug die Verpflichtung gegenüber ostdeutschen Sparern zu übernehmen und sie mit einem Preisabschlag für den Marktzugang an private Kreditinstitute weiterzugeben.
Heute belasten die sogenannten Altschulden den Erblastentilgungsfonds, nachdem sie jahrelang die Investitionsfähigkeit von Unternehmen, Wohnungs- und Landwirtschaft schwer behindert haben. Wir haben immer die Rechtsposition der Kommunen unterstützt, wonach es sich bei den DDR-Schulden nicht um wirkliche rechtswirksame Schulden handelt.
Dies geht auch eindeutig aus dem Gutachten hervor, das der Städte- und Gemeindetag Mecklenburg-Vorpommern vorgelegt hat.
Ich möchte auch darauf hinweisen, daß im Rechtsverfahren um die LPG Schlanstedt im Januar die Verhandlung anberaumt ist. Wenn gerichtsnotorisch festgestellt wird, daß die sogenannten Altschulden eben keine Schulden sind, dann muß das auch politische Folgen haben, dann müssen wir das hier im Parlament zur Kenntnis nehmen und unsere Schlußfolgerungen daraus ziehen.
Wir können deshalb die Kommunen und die Länder nur nachdrücklich davor warnen, diese sogenannten Altschulden freiwillig als Schulden anzuerkennen.
Sachsen hat sogar - das ist das Interessante - Bedenken angemeldet, ob die in dem vorliegenden Gesetzentwurf geforderte freiwillige Anerkennung der Schulden überhaupt verfassungsgemäß sei. Wir hatten bisher in der Fraktion nicht die Möglichkeit, das rechtlich zu prüfen. Aber immerhin ist das ein interessanter Gedanke, dem wir noch nachgehen werden.
Der vorliegende Gesetzentwurf geht von einer Summe von 8,4 Milliarden DM aus, die der Erblastentilgungsfonds übernehmen soll. So weit, so gut. Aber darin sind mindestens zwei Positionen enthalten, die dort nicht hineingehören. Erstens sind darin die 655 Millionen DM Zinseszinsen enthalten, obwohl der Bundesgerichtshof entschieden hat, daß kein Zinseszins vom Bund erhoben werden darf. Zweitens sind darin die 333 Millionen DM Refinan-
Vera Lengsfeld
zierung durch Swap-Aktionen enthalten, die unbedingt herausgenommen werden müssen. Unsere Fraktion wird entsprechende Anträge stellen.
Wichtig für uns ist, daß der Gesetzgeber von einer völligen Freistellung der Kommunen ausgeht. Alles andere wäre auch gar nicht akzeptabel gewesen, da die Kommunen bereits durch den Familienleistungsausgleich einen Absturz auf ein Viertel der westdeutschen Steuereinnahmen verkraften müssen.
Leider hat auch die Ministerpräsidentenkonferenz ihre Lösungsvariante ohne die Beteiligung der kommunalen Seite ausgearbeitet. In dieser leidigen Angelegenheit wird es - das muß man an dieser Stelle ganz deutlich sagen - nur dann eine wirkliche Einigung geben, wenn alle betroffenen Seiten an der Lösung beteiligt sind.
Bedenkenswert ist nach Meinung unserer Fraktion auf jeden Fall der sächsische Vorschlag, dem Bund das Vermögen der DDR-Parteien und Massenorganisationen zu überlassen und im Gegenzug die Länder überhaupt nicht an Zins und Tilgung der Altschulden zu beteiligen.
Wie immer die endgültige Lösung aussehen wird: Hätte die Bundesregierung die Schuldenfrage rechtzeitig und vernünftig geregelt, wäre der ganze Streit nicht entstanden.
Das Wort hat der Kollege Jürgen Türk, F.D.P.
Ja gut, sehr geehrter Herr Ilte.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Lucyga, ich muß Sie, wenn Sie schon keine Zwischenfragen zulassen, jetzt fragen: Wollen Sie die Diskussion noch weitere Jahre führen, obwohl sich Bund und Länder jetzt geeinigt haben? Wollen wir das wirklich weiterführen? Das zu behandelnde Thema hat auch schon einen so langen Bart, wie ich ihn habe.
Herr Kollege Türk, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?
Ja, ich lasse die Zwischenfrage zu. Ich habe zwar noch nicht zu reden angefangen, aber ich bin ein Gentleman.
Sind Sie wirklich der Ansicht, daß der von Ihnen vorgelegte Vorschlag gerecht ist und so akzeptiert werden kann?
Ob dieser Vorschlag nun der absolut beste ist, das ist die Frage. Er ist aber eine
Lösung, und die brauchen wir letztendlich. Wir können nicht weitere Jahre diskutieren.
Herr Kollege Türk, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Krziskewitz?
Aber bitte schön.
Herr Kollege Türk, ist Ihnen bekannt, daß der vorhin attackierten Lösung mit dem Einsatz des DDR-Vermögens - zu dieser Lösung kann man sehr unterschiedlicher Meinung sein - ein Kabinettsbeschluß der rot-grünen Landesregierung in Magdeburg unter Ministerpräsident Höppner zugrunde liegt?
Das ist mir bekannt.
Um Geschichte zu machen, aber auch um zum guten Schluß zu kommen: Ich habe bereits am 27. Oktober 1995 - das ist über ein Jahr her - in einer Aktuellen Stunde in diesem Hause Bund, Länder und Kommunen aufgefordert - Frau Lengsfeld, ich glaube schon, daß die Kommunen dazugehören -, sich endlich an einen Tisch zu setzen, um einen vernünftigen Kompromiß zu finden.
Es durfte keinesfalls zugelassen werden, daß eine Reihe von Kommunen zahlungsunfähig wird und nach Haushaltssperre und dem Einsetzen eines Sparkommissars durch die Kommunalaufsicht nur noch gesetzliche Verpflichtungen erfüllen kann. Die Forderung war um so berechtigter, als feststand, daß sowohl die Schulden durch willkürliche Auflagen als auch die Entschuldung - diese gab es auch - durch willkürliche Entlastung entstand.
So stehen wir jetzt vor dem Sachverhalt einer 100prozentigen Befreiung von Altschulden in Berlin, aber auch von Dresden und Chemnitz bis auf 100 DM pro Einwohner, während ein Teil der Gemeinden heute Schuldenlasten von bis zu 1 000 DM pro Kopf schultern muß. Diese Situation ist natürlich untragbar.
Die 16 Prozent Kommunen, die mit Altschulden belastet sind, müssen endlich davon befreit werden; denn der Verursacher der unsoliden Finanzierung war nun einmal der DDR-Staat, und es darf nicht sein, daß gerade die Kommunen mit dieser Hypothek belastet werden, da sie ohnehin den schwierigsten Neuanfang haben. Ich glaube, darin sind wir uns einig.
Ein noch längeres Abwarten in der Sache ist wegen der steigenden Zinsbelastung finanzpolitisch unverantwortlich. Darum war es folgerichtig, daß der Deutsche Bundestag die Bundesregierung mit einer Entschließung vom 27. Juni 1996 aufforderte, kon-
Jürgen Türk
krete Verhandlungen mit den neuen Ländern mit dem Ziel aufzunehmen, jeweils die Hälfte der Altschulden zu übernehmen und somit ihr Angebot von der Übernahme eines Drittels - das war das erste Angebot - der aufgelaufenen Summe dahin gehend zu erweitern.
Der Bund hat sich also bewegt - das stelle ich jedenfalls fest -, trotz seiner derzeit äußerst - das ist ja bekannt - schwierigen Finanzsituation. Er erzielte auf Grundlage der Übernahme von der Hälfte der Altschulden mit den Ländern generell eine Einigung. Davon ist heute auszugehen. Was machen die neuen Länder untereinander? Sie streiten sich auf dem Rükken der Kommunen wie die Kuhhändler. Bei allem Verständnis für die auch dort miserable Finanzlage: Das ist meiner Ansicht nach schon schäbig.
Sonst wird doch so viel von Solidarität gesprochen, die zwar notwendig, aber bis heute bei den Ländern nicht erkennbar ist, wo doch der 21. Oktober 1996 schon ultimo für die Einigung war. Wenn immer wieder betont wird, daß die Schulden bzw. die Entschuldung Willkür oder Gnadenakte der DDR-Regierung waren, konnte die Schlußfolgerung der neuen Länder eigentlich nur eine Aufteilung entsprechend der Einwohnerzahl sein. So habe ich das jedenfalls gesehen.
Wer diese Willkür anprangert, kann doch jetzt nicht wie Berlin, welchem die Gnade der fast völligen Entschuldung zuteil wurde, diesen Umstand nutzen, um keinen Anteil zu übernehmen. Das gleiche gilt für Sachsen - es tut mir leid -, wo zum Beispiel in Dresden und Chemnitz zu DDR-Zeiten überproportional Entschuldungen vorgenommen wurden.
Deshalb begrüßt die F.D.P. das nun vorliegende Gesetz, was davon ausgeht, daß der hälftige Länderanteil von 315 Millionen DM pro Jahr, Zinszahlung und Tilgung der Altschulden im Erblastenfonds von den 6 Ländern zu gleichen Teilen getragen wird. Wir gehen davon aus, daß die Länder ihrer Verantwortung gerecht werden und daß alle diesen pauschalen Lösungen, die jetzt vorliegen, zustimmen.
Ein langfristiger Rechtsstreit - das ist heute schon angesprochen worden - wäre für alle - ich betone für alle, insbesondere für die Kommunen - unverantwortlich. Die hier nun vorliegende Lösung ist zumutbar, meine ich, zumal die durch die Länder aufzubringenden 315 Millionen DM um jeweils jährlich 105 Millionen DM aus dem DDR-Parteivermögen reduziert werden.
Die einzelnen Länder können, wenn sie es wünschen, zur Finanzierung ihres Anteils auf einen Teil der ihnen zustehenden Finanzhilfen nach dem Investitionsförderungsgesetz verzichten. Jedes einzelne Land kann sich im Gesetzgebungsverfahren entsprechend festlegen. Diese Kürzungsregelung gilt dann bis zum Auslaufen des Investitionsförderungsgesetzes bis 2004. Soweit der Beitrag der einzelnen Länder nicht durch die Mittel aus dem Parteivermögen und die Kürzungen der Finanzhilfen nach dem Investitionsförderungsgesetz vollständig aufgebraucht
werden kann, erfolgt eine Verrechnung des Restbetrages mit der Einfuhrumsatzsteuer.
Dieser Finanzierungsweg ist weitgehend ein Vorschlag der Länder - das muß man hier noch einmal betonen -, den der Bund mit diesem Gesetzentwurf aufgegriffen hat und damit den neuen Ländern noch einmal entgegenkommt. Ich verstehe wirklich nicht, warum man das hier wieder in Frage stellt. Wenn die Worte der Länder noch heute gelten bzw. ernstgenommen werden sollen, können sie gar nicht anders, als diesem Gesetz ohne Wenn und Aber zuzustimmen. Aber auch ihre Fürsorgepflicht für die Kommunen läßt keine andere Entscheidung zu.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Uwe-Jens Rössel, PDS.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf dem Deckblatt des vorliegenden Antrages wird festgestellt, daß es zu dieser Regelung keine Alternative gibt. Dem ist insofern zuzustimmen, daß die vollständige Einstellung der sogenannten kommunalen Altschulden in Ostdeutschland in den Erblastentilgungsfonds des Bundes in der Tat die einzig vernünftige Option darstellt.
Dem stimmt die PDS ausdrücklich zu, hatte sie doch selbst als erste der im Bundestag vertretenen Fraktionen/Gruppe bereits im September 1995 einen derartigen Antrag zur Problemlösung eingebracht. Was aber ansonsten im Papier der Koalitionäre steht, kann überhaupt nicht unsere Zustimmung finden.
Mit der Einbeziehung der ostdeutschen Länder in die Finanzierung des Erblastentilgungsfonds wird es sicher wie das Amen in der Kirche dazu kommen, daß die Länder zumindestens einen Teil ihrer entsprechenden finanziellen Aufwendungen im Rahmen des sogenannten kommunalen Finanzausgleichs an die Städte und Gemeinden weiterleiten werden. Dann würden die Kommunen doch wieder selbst die Zeche für Bestellungen zahlen, die sie niemals getätigt haben. Das wäre unvertretbar und muß unbedingt verhindert werden.
Aber auch für die ostdeutschen Länder und Berlin selbst ist der Gesetzentwurf eine Zumutung. Sie sind nun wirklich die letzten, die derartige Verbindlichkeiten, und das 30 Jahre lang, zu begleichen hätten.
Dazu kommt, daß der Antrag offenkundig nicht mit den betroffenen Landesregierungen abgestimmt ist. Selbst die CDU-geführte Regierung von Sachsen hat jüngst erklärt - das wurde bereits erwähnt -, daß dieses Gesetz, sollte es an den Ländern vorbei beschlossen werden, verfassungswidrig wäre. Will die Bundesregierung etwa Länder zum Gang nach Karlsruhe bewegen?
Jetzt zum eigentlichen Skandal dieses Antrages: Da wird den ostdeutschen Ländern das wahrhaft „großzügige" Angebot unterbreitet, daß für die Til-
Dr. Uwe Jens Rössel
gung dieser sogenannten kommunalen Altschulden Mittel des Aufbaus Ost per gesetzlicher Neuregelung zweckentfremdet - so heißt es wörtlich - werden dürfen. In der Gesetzesbegründung wird dann vollmundig verkündet, daß diese Lösung - man höre und staune - sogar die Kreditfähigkeit und Investitionsmöglichkeiten der Kommunen verbessern würde. Das ist doch wohl lachhaft. Wie soll das angesichts der Zweckentfremdung von Mitteln des Aufbaus Ost, von der ausdrücklich gesprochen wird, möglich sein?
Als Krönung des Ganzen sollen nach dem Willen der Koalition insgesamt 735 Millionen DM des Vermögens der Altparteien der DDR von 1998 bis 2004 für die Tilgung und Zinszahlungen der sogenannten kommunalen Altschulden verwendet werden.
- Da gebe ich Ihnen recht. Die PDS-Bundestagsgruppe wird allen Versuchen, die Lösung des Streits um die kommunalen Altschulden mit der Zweckentfremdung des Vermögens der Altparteien und Massenorganisationen der DDR zu verquicken, eine Abfuhr erteilen.
Dieses Vermögen ist nach dem Einigungsvertrag ausschließlich für gemeinnützige Zwecke, insbesondere für den Aufbau in Ostdeutschland, zu verwenden. Das ist eine eindeutige Regelung.
Es darf nicht als Füllmasse für das Stopfen der Haushaltslöcher des Bundes mißbraucht werden. Wir lehnen den Gesetzentwurf der Koalition ab, weil er nach dem Grundsatz „Zuckerbrot und Peitsche" vorgeht. Wir werden daher nochmals einen eigenen Antrag zur Lösung des Altschuldenproblems in den Deutschen Bundestag einbringen, der die vollständige Übernahme der sogenannten Altschulden in den Erblastentilgungsfonds durch den Bund, und nur durch den Bund, vorsieht.
Meine Zeit ist leider um; ich hätte gerne noch geantwortet. - Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Rolf Schwanitz, SPD.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich eine Vorbemerkung zu Herrn Krüger und Herrn Türk machen.
Ich bitte Sie herzlich, hier nicht immer so zu tun, als sei das, was der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt getan hat, in den letzten Monaten eine Einzelaktion und eine Privatveranstaltung gewesen. Sie wissen offensichtlich nicht, daß es gestern einen Brief aus der sächsischen Staatskanzlei an Herrn Kolbe gegeben hat, der überraschenderweise - vielleicht ist es auch nicht so überraschend - hier heute nicht redet. In diesem Brief wird der Gesetzentwurf quasi in der Luft zerrissen.
Ich wollte daraus eigentlich nicht zitieren, Herr Krüger. Aber ich lese einmal den letzten Satz vor:
Daß es ausgerechnet Sie trifft, - den Herrn Kolbe -
diesen Gesetzentwurf im Deutschen Bundestag begründen zu müssen, bedauere ich sehr, wenngleich man der dahinterstehenden Chuzpe fast Anerkennung zollen muß.
Soviel zu dem Konsens, den Sie hier beschwören, meine Damen und Herren.
Ich bin nicht hierhergekommen, um eine Stellvertreterdiskussion zu führen, sondern ich bin bierhergekommen, um meine kritischen Bemerkungen zu dem zu machen, was hier auf den Tisch gelegt worden ist. Ich will ergänzend zu dem, was Frau Lucyga sagte, zwei Punkte zu den Finanzierungsvorschlägen anführen, die jetzt gemacht worden sind.
Das eine haben Sie, Herr Krüger, selbst gesagt. Hier ist jetzt auf einmal das Investitionsförderungsgesetz hinzugekommen. Ich weiß, daß dieser Vorschlag teilweise aus den ostdeutschen Ländern kam. Ich weiß aber auch, daß insbesondere Sachsen - ich finde, völlig zu Recht - das kritisiert.
Wir kennen die zahlreichen Klagen, daß die Transfers nach Ostdeutschland in hohem Maße konsumtiv verwendet worden sind. Ich habe gehört, daß letztlich 75 Prozent konsumtiv und nur 25 Prozent investiv verwendet worden sind. Wir müssen uns natürlich darüber im klaren sein, daß sich dieser negative Trend dadurch, daß wir dieses Gesetz aus dem Solidarpakt heraus quasi für diese Sachen in Anspruch nehmen, weiter verschärfen wird.
Meine Damen und Herren, ich kann mich auch bei Punkt 2, nämlich bei dem Thema Parteienvermögen, meiner kritischen Meinung nicht enthalten, unabhängig davon, ob die ostdeutschen Länder, wie auch offensichtlich der Bund, das anders sehen. Aber ich meine, wir als Bundestagsabgeordnete haben einen eigenen Auftrag und ein eigenes parlamentarisches Selbstverständnis und müssen die Dinge hier auch einmal kritisch zur Sprache bringen. Ich halte es für völlig verfehlt, das Parteienvermögen in diese Debatte hineinzuziehen. Das, was Herr Rössel gesagt hat, deutet, denke ich, genau auf den Punkt hin. Wir bekommen eine politische Dimension in dieses Gesetz hinein, vor der ich allen Ernstes nur warnen kann.
Ich will einmal daran erinnern, wie die ganze Situation zustande kam. Wir und einige aus Ihren Fraktionen - wir kennen uns seit 1990 aus der Volkskammer - wissen, wie das Ganze entstanden ist. Ich erinnere daran - es war Donnerstag, der 31. Mai 1990 -,
Rolf Schwanitz
daß in der Volkskammer zwei Vorlagen auf die Tagesordnung gesetzt worden sind: ein Beschluß der Volkskammer zur Bildung einer Regierungskommission für das Parteienvermögen und eine Änderung des Parteiengesetzes, nach denen das Parteivermögen der damaligen Blockparteien, der SED und der Massenorganisationen unter Treuhandschaft gestellt worden sind. Diese Vorlagen kamen damals nicht über den Ältestenrat auf die Tagesordnung der Volkskammer, sondern mit einer Zweidrittelmehrheit der Volkskammer selbst. Denn man wollte natürlich, daß vor dem Hintergrund der anstehenden Währungsreform nicht noch schnell im Vorfeld der Vorabinformationen Transaktionen finanzieller Art abgewickelt werden.
Ich erinnere mich noch sehr gut - ich habe das noch einmal nachgelesen - an die Argumente der damaligen Koalition, CDU, DSU, Liberale und Sozialdemokraten. Es wurde gesagt, das sei ein Akt der Aufklärung, es solle Licht in die Vermögensverhältnisse gebracht werden - völlig richtig. Es gehe um Vergangenheitsbewältigung und die Chancengleichheit der - damals noch - DDR-Parteien. Das ist völlig in Ordnung. Der damalige Fraktionsvorsitzende der PDS, Dr. Gysi, tobte im Plenum. Ich habe seine Argumente nachgelesen: Das Gesetz sei völlig unnötig, die Offenlegung des PDS-Vermögens sei eine unproblematische Aktion. Klammer auf - sechs Jahre und immer noch keine vollständige Klarheit - Klammer zu. Ich habe gelesen, die PDS solle ausgeschaltet werden. Sie sitzt heute noch, sechs Jahre danach, im Bundestag. Es sei eine Konfrontation der UdSSR beabsichtigt worden. Das sind ganz enorme, auch abwegige Gegenargumente. Der damalige Fraktionsvorsitzende der DSU, Herr Professor Dr. Walther, brachte es, wie ich finde, auf den Punkt. Er sagte: Es geht um die Erfüllung einer der Hauptforderungen der Revolutionäre des vergangenen Herbstes - nämlich Klarheit herzustellen und das ganze Vermögen zu sichern.
Wenn ich mir überlege, wie dies zustande kam, und wie dies dann auch in den Einigungsvertrag hineingeschrieben worden ist - wir hören, daß für die PDS gerade dieses Argument zieht das Finanzvolumen für gemeinnützige Zwecke und für den wirtschaftlichen Aufbau zu verwenden -, kann vor einem solchen Vorgehen nur warnen. Ich füge hinzu: Sie wissen genau, daß die Opferverbände versucht haben, sich in das Vermögen hineinzuklagen - nach dem Motto: Ich halte mich in Entschädigungsfragen an den Verursacher. Wir wissen, daß die Enquete-Kommission noch heute sagt: Wir wollen eine Stiftung für politisch Verfolgte aus diesem Vermögen finanzieren. Was wird mit diesen Projekten aus der Enquete-Kommission, in der auch Kollegen von Ihnen mitarbeiten? Ich kann nur davor warnen, dieses Finanzvolumen dafür zu verwenden, auch wenn die ostdeutschen Länder dies in ihrer Finanznot jetzt wollen.
Das Ganze bringt eine politische Dimension in die Sache hinein, die vor dem Hintergrund der - ich zitiere jetzt einmal die Worte von Ministerpräsident Biedenkopf - „faulen Forderungen des Bundes" völlig ungerechtfertigt ist, und die vor dem Hintergrund
unseres damaligen gemeinsamen Willens in der Volkskammer in die völlig falsche Richtung geht.
Schönen Dank.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Hauser.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Um die Lösung des Problems der Altschulden für gesellschaftliche Einrichtungen haben Bund, Länder und Gemeinden lange gerungen. Mit dem Gesetzentwurf, der heute in erster Lesung beraten wird, werden die letzten Schritte - so hoffe ich zumindest - zur abschließenden Regelung der Altschuldenfrage eingeleitet.
Am 2. Oktober dieses Jahres, dem Vortag des Tages der deutschen Einheit, ist in der Frage der Altschulden für gesellschaftliche Einrichtungen ein entscheidender Fortschritt erzielt worden. Vertreter von Bund, Ländern und Gemeinden haben sich auf eine ausgewogene und für alle beteiligten Gebietskörperschaften tragbare Lösung verständigt. Ich glaube, das wird hier einfach nicht zur Kenntnis genommen. Das sollte man einmal betonen.
Die Gesamtlast der Altschulden im Umfang von 8,4 Milliarden DM - diese Zahl ist bei der Einigung nicht bestritten worden - wird in den Erblastentilgungsfonds übertragen. Wie die anderen in den Erblastentilgungsfonds übernommenen Schulden wird damit auch diese Last im Zeitraum einer Generation vollständig abgetragen. Bund und Länder finanzieren die Annuität von 7,5 Prozent der Schuldsumme zur Hälfte. Das sind für Bund und Ländergesamtheit jeweils rund 315 Millionen DM. Der Bund hat zugesichert, seinen Anteil an dieser Annuität nicht zu Lasten der neuen Länder zu finanzieren.
Mit der Übernahme der Altschulden in den Erblastentilgungsfonds werden die Gemeinden und Kreise von allen Forderungen der Gläubigerin GAW vollständig befreit. Die Kommunen werden dadurch in hohem Maße entlastet. Ihre Kreditfähigkeit wird wieder gestärkt, und sie erhalten zusätzlichen finanziellen Spielraum für neue Investitionen. Mit dieser Lösung wird gleichzeitig ein langwieriger und kostspieliger Rechtsstreit abgewendet - das wurde bereits erwähnt -, der angesichts der unterschiedlichen Auffassungen zur Rechtsnatur der Altkredite unvermeidbar gewesen wäre.
Die ostdeutschen Länder haben in den vergangenen Wochen intensiv und kontrovers über die Aufteilung des hälftigen Länderbeitrags auf die einzelnen Länder diskutiert. Sie haben eine Reihe von Vorschlägen zur Finanzierung des Länderbeitrags vorgelegt. Mit der Übernahme der wichtigsten Ländervorschläge in den vorliegenden Gesetzentwurf macht der Bund gegenüber den Ländern nochmals erhebliche Zugeständnisse. Meine Damen und Her-
Parl. Staatssekretär Hansgeorg Hauser
ren, man muß doch wirklich einmal konstatieren, daß sich der Bund hier erheblich bewegt hat.
Er hat weiß Gott eine ganze Fülle von Zugeständnissen gemacht. Das muß man doch einmal zur Kenntnis nehmen.
Ich darf die vier Punkte herausgreifen: Erstens. Um der angespannten Haushaltslage der Länder im Jahre 1997 Rechnung zu tragen, wird die Annuität an den Erblastentilgungsfonds erstmals im Jahre 1998 zu leisten sein. Zweitens. Der Länderbeitrag wird zu gleichen Teilen von den sechs Ländern aufgebracht. Auch das ist vereinbart worden. Drittens. Zur teilweisen Finanzierung des Länderanteils werden von 1998 bis 2004 die vorhandenen Barmittel aus dem Parteivermögen bis zu 105 Millionen DM jährlich eingesetzt. Viertens. Darüber hinaus kann jedes Land zur Finanzierung seines Länderanteils auf einen Teil der ihnen nach dem Investitionsförderungsgesetz Aufbau Ost zustehenden Finanzhilfen verzichten. Auch das ist Teil der Vereinbarung gewesen.
Die Kürzung der Finanzhilfen muß gesetzlich festgeschrieben werden. Jedes Land kann sich im Gesetzgebungsverfahren entscheiden, welchen Beitrag es für diesen Zweck einsetzen möchte. Auch das ist eine Konsequenz: An diese Entscheidung ist das Land bis zum Auslaufen des Investitionsförderungsgesetzes im Jahre 2004 gebunden.
Weiter gehende Wahlmöglichkeiten der Länder, insbesondere die Möglichkeit, jedes Jahr neu zu entscheiden, ob und in welchem Umfang Mittel aus dem Investitionsförderungsgesetz Aufbau Ost zur Finanzierung des Länderbeitrags eingesetzt werden, wären finanzverfassungsrechtlich nicht zulässig.
Soweit der Beitrag der einzelnen Länder nicht durch Mittel aus dem Parteivermögen und die Kürzung der Finanzhilfen nach dem Investitionsförderungsgesetz vollständig aufgebracht wird - auch das ist erwähnt worden -, erfolgt eine Verrechnung des Restbetrages mit der Einfuhrumsatzsteuer. Diese Verrechnung gilt auch, wenn die Mittel aus dem Parteivermögen aufgebraucht und die Finanzhilfen nach dem Investitionsförderungsgesetz ausgelaufen sind.
Meine Damen und Herren, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird eine Lösung des Altschuldenproblems auf den Weg gebracht, die sachgerecht, ausgewogen und finanzpolitisch akzeptabel ist. Sie entspricht voll dem Auftrag, den der Deutsche Bundestag der Bundesregierung mit seiner Entschließung vom 27. Juni 1996 gegeben hat. Versuche, dem Bund weitere Lasten aufzubürden, müssen scheitern. Der Bund ist den Ländern weit entgegengekommen. Weiter gehende Forderungen sind nicht verhandelbar. Die Position des Bundes in diesen Fragen ist unverrückbar: Es muß bei der hälftigen Aufteilung der
Lasten bleiben.
Der Bund hat seine Solidarität mit den ostdeutschen Ländern und Gemeinden unter Beweis gestellt. Jetzt sind auch alle sechs ostdeutschen Länder gefordert, solidarisch an der Gesamtlösung mitzuwirken. Nur durch eine faire Lastenverteilung kann das Altschuldenproblem gelöst werden. Es kann nur eine
dauerhafte gesetzliche Lösung des Altschuldenproblems geben. Dazu kann es eigentlich keine Nachverhandlungen mehr geben.
Durch die Einbeziehung der Mittel aus dem Parteivermögen in die Altschuldenregelung besteht hier kein finanzieller Spielraum mehr für eine eventuell in späteren Jahren notwendig werdende weitere Aufstockung des Konsolidierungsfonds. Ich betone: Die finanzielle Verantwortung für den Konsolidierungsfonds muß daher nach 1998 allein von den Ländern getragen werden.
Der in der Altschuldenfrage gefundene Kompromiß ist eine faire und für alle Beteiligten vertretbare Lösung. Ich bin zuversichtlich, daß keiner der Beteiligten diese Lösung grundsätzlich in Frage stellen und damit für ein Scheitern der gesamten Regelung verantwortlich sein möchte.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf Drucksache 13/6088 zur federführenden Beratung an den Haushaltsausschuß sowie zur Mitberatung an den Rechts- und Innenausschuß zu überweisen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 sowie den Zusatzpunkt 8 auf:
9. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Halo Saibold, Elisabeth Altmann , Gila Altmann (Aurich), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Regierungsprogramm für einen zukunftsfähigen Tourismus
- Drucksache 13/5213 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus
Sportausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Halo Saibold und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
Institutionelle Stärkung einer zukunftsfähigen Tourismusentwicklung
- Drucksache 13/5785 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Haushaltsausschuß
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
ZP 8 Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Fremdenverkehr und Tourismus zu dem Antrag der Abgeordneten Halo Saibold und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Imagekampagne „Urlaub in Deutschland"
- Drucksachen 13/1016, 13/5026 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Halo Saibold Klaus Brähmig
Iris Follak
Dr. Olaf Feldmann
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sieben Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Halo Saibold, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um es kurz vor Mitternacht nicht ganz so ernst anfangen zu lassen,
möchte ich mit dem Zitat eines ausgewiesenen Tourismuskenners beginnen:
Man kann Tourismus nicht wie Unkraut wachsen lassen. Denn wenn er wie Unkraut wächst, produziert er die gleichen Ergebnisse wie Unkraut. Er wird vielerorts zum Ärgernis.
Wenn man ihn aber zurechtschneidet, ihn leitet und ihn hegt und pflegt, kann er eine sehr nützliche Pflanze werden.
Meine Damen und Herren, insbesondere die Herren auf der Regierungsbank, Sie sollten sich diese treffenden Worte einmal auf der Zunge zergehen lassen und dann in Ruhe darüber nachdenken, wie sie ihre gärtnerischen Leistungen verbessern. Das Zitat geht aber noch weiter:
Regierungen planen nicht und erfüllen ihre Rolle bei der Koordinierung aller verschiedenen Bereiche des Tourismus nicht. Die Regierungen wollen damit nichts zu tun haben.
Dies sind die Worte von Antonio Savignac, dem Ex-Generalsekretär der Welttourismusorganisation. Es scheint so, als hätte er diese Worte über die deutsche Bundesregierung geschrieben.
Wir können es uns in Zukunft nicht mehr leisten, daß in der deutschen Tourismuspolitik weiterhin Untätigkeit, Konzeptions- und Ideenlosigkeit dominieren. Dafür ist der Tourismus ökonomisch wie auch ökologisch von zu hoher Bedeutung.
Sie, meine Herren von der Regierung, stehen heute vor einem Scherbenhaufen Ihrer Politik. Lassen Sie mich dies an Hand einiger Beispiele illustrieren. Wie ist die Situation im Beherbergungsgewerbe? Wir haben dort eine durchschnittliche Auslastung von etwa 33 Prozent. Dies ist fast schon zu wenig, um zu überleben. Trotzdem werden mit Hilfe von Förderprogrammen zusätzliche Bettenkapazitäten aufgebaut, obwohl wir heute schon eine Überkapazität von 200 000 bis 300 000 Betten in der Bundesrepublik haben. Was ist das bittere Ende vom Lied? - Die Auslastung in den einzelnen Hotels sinkt, kleine und mittlere Hotels, auch in Ostdeutschland, gehen zugrunde. Sie nennen das zynisch „Marktbereinigung"; ich nenne das eine katastrophale Mittelstandspolitik.
Statt Betten zu bauen, geht es darum, Betten zu füllen. Sie beklagen lauthals die Tatsache, daß 70 Milliarden DM durch deutsche Touristen im Ausland ausgegeben werden. Eine produktunabhängige Imagekampagne für „Urlaub in Deutschland" lehnen Sie heute endgültig ab, obwohl es einen spritzigen, kreativen Vorschlag dafür gab, der insbesondere auch junge Leute angesprochen hat und der sofort umsetzbar wäre. Statt dessen boomt der Flugtourismus mit all seinen ökologisch katastrophalen Folgen für Klima und Menschen weiter. Mit sage und schreibe 7 Milliarden DM subventionieren Sie den Flugverkehr durch die Befreiung von der Kerosinbesteuerung.
Weitere Beispiele: Ein brutaler Wettbewerb herrscht zwischen den Reisebüros und den Veranstaltern durch die Liberalisierung. Durch verfehlte Sparmaßnahmen dieser Regierung stehen viele Kur- und Heilbäder vor dem Ruin; 40 000 Arbeitsplätze sind in Gefahr, ganz abgesehen davon, daß mit dem Schließen von Kurkliniken ganze Tourismusregionen fundamental geschwächt werden. Der bayerische Heilbäderverband läuft Sturm, doch der Dehoga lobt das Sparpaket der Bundesregierung in den höchsten Tönen. Das große Jammern kommt bei denen erst noch.
Nicht einmal ihre originären Aufgaben nimmt die Bundesregierung wahr: Obschon der internationale Tourismus seit Jahren enorme Wachstumsraten verzeichnet und auch weiterhin verzeichnen wird, ist ihr Engagement in internationalen Organisationen äußerst gering. Gerade Deutschland als der sogenannte Reiseweltmeister steht jedoch für die Folgen dieses Massentourismus in einer besonderen Verantwortung. Als vergangenen September die Welttourismusorganisation weltweit die politischen Entscheidungsträger zu einer Konferenz eingeladen hatte, hielten Sie es nicht einmal für nötig, auch nur einen einzigen Vertreter dorthin zu entsenden. Gerade die internationalen Entwicklungen sind jedoch in ökologischer wie auch in ökonomischer Hinsicht von großer Bedeutung. Sich hieraus zurückzuziehen ist verantwortungslos.
Halo Saibold
Politisch verantwortlich zu handeln heißt, die Ziele politischen Handelns klar zu definieren und die politischen Maßnahmen zu benennen, mit denen die Ziele erreicht werden sollen. Wir brauchen aus ökologischen, sozialen und ökonomischen Gründen eine zukunftsfähige Tourismusentwicklung.
Wir fordern die Bundesregierung deshalb auf, das alte Tourismuskonzept aus dem Jahre 1975 endlich zu ersetzen und noch in dieser Legislaturperiode ein Regierungsprogramm für eine zukunftsfähige Tourismusentwicklung vorzulegen. Durch eine entsprechende politische Rahmensetzung kann eine Tourismusentwicklung gewährleistet werden, die sich an den ökologischen Grenzen orientiert, die soziokulturell verträglich ist und langfristig eine wirtschaftliche Tragfähigkeit garantiert.
Die Tourismuspolitik auf Bundesebene leidet jedoch nicht nur an einer grundlegenden konzeptionellen, sondern auch an einer institutionellen Schwäche. Es mangelt an Vernetzung und Koordination, an fundierter Politikvorbereitung, an zentraler Information und an Kooperation. Dies führt zu Ineffizienz, mangelnder Effektivität und Kreativität. Statt einer Bündelung der finanziellen und personellen Ressourcen werden, wann immer ein Problem auftaucht, mit Hilfe der öffentlichen Hand neue privatrechtliche Institutionen gegründet, zuerst die DZT, vor zwei Jahren dann die DIRG, und zum 1. Januar 1997 soll eine Deutschland Marketing GmbH folgen, was ich allerdings noch nicht so ganz sehe.
Diese Institutionen werden aus dem Boden gestampft, ohne klares Konzept, ohne Ziel und ohne Abgrenzung der Kompetenzen voneinander. Das wurde gestern auch im Tourismusausschuß bei der Diskussion über die DIRG deutlich. Hier werden öffentliche und private Interessen in unzulässiger Weise vermischt und Steuermittel in Millionenhöhe verschwendet. Anstatt das dringend notwendige Organisationsrecycling im Tourismusbereich zu fördern, unterstützen Sie den Organisationswildwuchs mit der Folge, daß der Koordinierungsaufwand zwischen diesen Institutionen ständig steigt. Der Gremientourismus wird gefördert, nicht jedoch die Effizienz tourismuspolitischen Handelns.
Bündnis 90/Die Grünen beantragen deshalb, ein Tourismus Service Center einzurichten. Zusammen mit den Ländern soll damit eine Schnittstelle zwischen Politik, Tourismuswirtschaft und -wissenschaft, Öffentlichkeit und Medien geschaffen werden. Die Förderung der dringend notwendigen Zusammenarbeit, die Steigerung der Effizienz und die Nutzung von Synergieeffekten zum Vorteil von Tourismuswirtschaft und Tourismusorganisationen muß endlich erreicht werden. Die Bundespolitik kann nicht das Geschäft für die Wirtschaft betreiben; aber sie kann und muß Hilfe zur Selbsthilfe leisten. Gerade dies ist notwendig für die kleinen Betriebe und die Regionen.
Ein politisches Konzept und die Einrichtung eines Tourismus Service Centers geben ein positives Signal an die Tourismuswirtschaft, daß der Bereich Tourismus politisch wirklich ernstgenommen und echte Unterstützung angeboten wird.
Zeit, Frau Kollegin.
Nicht nur das: Die institutionelle Bündelung hätte Signalwirkung für Länder und Kommunen, die allseits beklagte Zersplitterung zu stoppen und ihrerseits die dringend notwendigen Umstrukturierungsmaßnahmen vorzunehmen. Es kann nicht sein, daß sich allein in der Eifel 32 Organisationen mit dem Tourismus befassen!
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Mein letzter Satz. Nehmen Sie die Krise als Chance! Schneiden Sie alte Zöpfe ab! Beweisen Sie Tatkraft, und stellen Sie die Weichen für eine zukunftsfähige Entwicklung des Tourismus im nächsten Jahrtausend!
Danke.
Das Wort hat der Kollege Klaus Brähmig, CDU/CSU.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Sitzung und Debatte zu den Anträgen des Bündnisses 90/Die Grünen gibt uns zum wiederholten Male die Gelegenheit, im Plenum zum Wirtschaftsfaktor Tourismus Stellung zu beziehen. Die Überschriften der Anträge klingen zunächst sehr verlockend und reizvoll: „Regierungsprogramm für einen zukunftsfähigen Tourismus" und „Institutionelle Stärkung einer zukunftsfähigen Tourismusentwicklung".
Der Inhalt sieht jedoch leider anders aus. In der Praxis, das heißt in den Ferienregionen, wird bereits vieles von dem umgesetzt, was uns in den vorliegenden Anträgen präsentiert wird. Dies wiederum zeigt, daß die praktische Politik der Bundesregierung und vieler Länder viel weiter geht als die Grünen mit ihrer Theorie. Es kann doch wahrhaftig nicht Aufgabe der Bundesregierung sein, den Ferienregionen vorzugeben, wie sie sich zukünftig entwickeln sollen.
Im übrigen hatten gerade wir in den neuen Bundesländern über 40 Jahre die leidvollen Erfahrungen des sogenannten Verschickungstourismus. Das kann wohl beim besten Willen so nicht wieder gewollt werden.
Mit Bedauern muß ich dem Inhalt der vorliegenden Anträge entnehmen, daß die Vielzahl von theoretischen Vorgaben wenig mit dem Föderalismus zu tun hat. Auch kann diesen Anträgen, Frau Saibold, ein praktischer und ganzheitlicher Ansatz nicht entnommen werden. Die CDU/CSU-Fraktion will gerade
Klaus Brähmig
einen Wettbewerb der Ferienregionen nach den besten Ideen, kreativsten Angeboten und Kooperationsformen der Branche forcieren.
Grundsätzlich ist es natürlich zu begrüßen, daß sich jetzt auch das Bündnis 90/Die Grünen für einen zukunftsfähigen Tourismus einsetzen will. Nur, der vorgeschlagene Weg ist nicht richtig. Die Anträge sind zu allgemein und oberflächlich gehalten. Sie unterscheiden sich nicht nach In- und Auslandstourismus. Auch fehlt eine Differenzierung nach Aufgabenbereichen von Bund, Ländern und Europäischer Union.
Auch vermisse ich konkrete Lösungsvorschläge zur Verbesserung der Lage der Tourismuswirtschaft. Es ist wenig hilfreich, wissenschaftliche Abhandlungen, die zudem offensichtlich teilweise dem Gutachten der Grünen für ein Tourismusinstitut vom Februar 1996 entsprechen, in die Anträge aufzunehmen. Bekanntlich ist gerade diese Idee eines Tourismusinstituts in der damaligen Form von der deutschen Fremdenverkehrswirtschaft und Tourismuswissenschaft einhellig als unrealistisch eingestuft worden. Letztendlich sehe ich in den Anträgen eine Überbetonung der negativen Auswirkungen des Tourismus und der Zielsetzung der Umwelt- und Sozialverträglichkeit.
Wie Sie sicherlich wissen, haben wir uns mit diesen Fragen bereits 1995 in unseren Anträgen „Umweltschutz und Tourismus" und „Tourismus in der Dritten Welt" ausführlich befaßt.
Tourismus ist längst eine gesellschaftspolitische Querschnittsaufgabe geworden. Wir als CDU/CSUFraktion haben seit Jahren darauf hingewiesen und dies in von uns veranstalteten Kongressen und Seminaren sehr deutlich herausgearbeitet. Zur Zeit werden die „Tourismuspolitischen Leitlinien" überarbeitet, die unserer Fraktion als politisches Koordinatensystem für das Jahr 2000 und darüber hinaus dienen sollen, nämlich eine ganzheitliche Tourismuspolitik auf Bundesebene in Verbindung mit den Ländern und Kommunen zu gestalten.
Hierzu nur einige Beispiele: Die Verkehrspolitik: Rund 50 Prozent der heutigen Verkehre sind der Freizeit und dem Tourismus zuzuordnen. Die Bahn wird hier eine ganz entscheidende Verantwortung übernehmen müssen. Die Landwirtschaft ist nicht nur als ein Element der Landschaftspflege, sondern auch für die Herstellung qualitativ hochwertiger Lebensmittel wichtig, die in regionale Wirtschaftskreisläufe eingebracht werden. Es geht auch um Umweltpolitik. Hier sei nur der Bereich Nationalparke und Biosphärenreservate in Deutschland angesprochen, die landschaftliche Edelsteine für den Tourismus darstellen, die im übrigen allesamt von CDU/CSU- und SPD-regierten Länderregierungen eingerichtet worden sind. Es geht um Kultur, Brauchtum und Traditionspflege, um auch hier zu erkennen, wo unsere Herkunft und Wurzeln sind. Eine Revitalisierung unserer Innenstädte ist erforderlich, ganz besonders in den neuen Bundesländern nach 40jähriger SED-Mißwirtschaft. Es wird unter einem großen Mitteleinsatz des Bundes, aber auch der Länder wieder auf- und ausgebaut. Weimar, Erfurt, Schwerin, Dresden mit seiner Frauenkirche unter der Initiative von Ludwig Güttler oder die ehrwürdige Stadt Pirna seien hier nur stellvertretend genannt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich stimme mit Ihnen, Frau Saibold, überein, die wirtschaftliche Bedeutung, die mit dem Tourismus verbunden ist, kann man nicht genügend herausstellen. Da brauchen wir uns gegenseitig nicht zu agitieren. Freilich sehen wir die Wege zum Erhalt und Ausbau von Arbeitsplätzen in dieser Branche sehr unterschiedlich. Ich frage hier ganz deutlich: Wenn nicht im Dienstleistungs-, Tourismus- und Telekommunikationsbereich, wo werden sonst in den nächsten Jahren Arbeitsplätze in unserer Volkswirtschaft geschaffen werden können? Unsere Aufgabe ist es deshalb, für die Branche gesetzliche, politische, aber auch finanzielle Rahmenbedingungen zu schaffen, damit im harten internationalen Wettbewerb zirka zwei Millionen Arbeitsplätze in Deutschland gesichert werden können.
Tourismuspolitik ist für die Union Mittelstandspolitik. Wir müssen uns aber auch fragen lassen: Reicht die Unterstützung für die Branche aus oder nicht? Brauchen wir gesetzliche Neuregelungen, oder müssen wir nicht auch den Mut haben, die Überregulierung und Überbürokratisierung so schnell wie möglich abzubauen, Stichwort Ladenschlußgesetz?
Die gewerbliche Tourismusbranche erwirtschaftet in Deutschland einen jährlichen Umsatz von zirka 200 Milliarden DM. Dies entspricht sechs Prozent des Bruttosozialprodukts und bietet rund zwei Millionen Menschen direkte Arbeit. Das entspricht sieben Prozent der Erwerbsfähigen. In diesen Zahlen sind die nichtgewerblichen Leistungen von Anbietern im Nebenerwerb und die Wertschöpfung aus dem Tagestourismus nicht mit einbezogen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir den Tourismusmarkt in Deutschland mit immerhin zirka 320 Millionen Übernachtungen im Jahre 1995 näher betrachten, stellen wir fest, es gibt eine Vielzahl von Standortvorteilen gegenüber der internationalen Konkurrenz, aber natürlich auch Nachteile. Zu letzteren gehören unbestritten das Klima sowie das Preis-Leistungs-Verhältnis. Ich bin mehr denn je davon überzeugt, wir haben eine Chance im Wettbewerb nur durch Qualität. Wir brauchen im Tourismus und für den Tourismus in Deutschland ein Qualitätsmanagement, besser sogar eine Qualitätsoffensive, verbunden mit einer Arbeitsplatzoffensive und einer Dienstleistungsoffensive.
Wir brauchen eine Definition für touristische Produkte, die die Voraussetzung für ein elektronisches Vertriebssystem darstellt. Wir brauchen neue, mo-
Klaus Brähmig
derne ganzheitliche Tourismusstrukturen in Deutschland, die wiederum erst in der Lage sind, finanzielle Mittel intelligent einzusetzen und durch Kooperation mit der Wirtschaft zu multiplizieren.
Für die Verbände heißt dies Neuorientierung und organisatorisches Recycling. Frau Saibold, ich bin Ihnen außerordentlich dankbar, daß Sie viele meiner Worte auch in Ihren Sprachgebrauch übernehmen. Als kleinste rechtliche Organisationsform sollte das touristische Feriengebiet gelten, zum Beispiel Spreewald, Ostseeküste, Bayerischer Wald, Harz, Rhön oder, Frau Kastner, die Sächsische Schweiz. Dies würde aus der Sicht des Statistischen Bundesamtes bedeuten, von bisher 126 Erfassungsgebieten der 16 Bundesländer die Erfassung auf zirka 60 Feriengebiete zu reduzieren. Ich weiß, dies geht nicht von heute auf morgen und kann nur in Zusammenarbeit mit den Ländern und den Fremdenverkehrsverbänden gelingen. Ich sehe allerdings hierzu keine Alternative.
Diese Ferienzielgebiete könnten gleichzeitig als touristische Produkte entwickelt und aufbereitet werden. Hier sollten touristische Leitbilder einen wichtigen Begleitprozeß leisten.
Sie wissen, Frau Saibold, daß es hier auch Beispiele in der Bundesrepublik Deutschland gibt, wo das außerordentlich gut funktioniert. Die Bundesländer und Landesfremdenverkehrsverbände sollten verstärkt Management- und Koordinierungsaufgaben wahrnehmen.
Unsere Vorstellung geht eindeutig dahin, eine verstärkte Kooperation auf Bundesebene mit den jeweiligen Verbänden herzustellen. Die CDU/CSU-Arbeitsgruppe Fremdenverkehr und Tourismus hat vor allem auch unter der Leitung von Roll Olderog hier im Juni dieses Jahres einen Diskussionsvorschlag zur Neustrukturierung unterbreitet, der für die Verbände und Institutionen eine praktische Diskussionsgrundlage ist.
Wir haben allerdings erhebliche Vorbehalte, wenn wir mit ansehen müssen, wie unsere Vorschläge von den Verbandsverantwortlichen letztlich umgesetzt werden. Liebe Kollegen, wir sehen hier einen erhöhten Gesprächsbedarf. Am Ziel der engen Kooperation von DIRG, DZT und DFV führt jedoch kein Weg vorbei zur Verbesserung der Arbeitseffizienz der touristischen Institutionen.
Mit dem neuen Geschäftsführer bei DIRG, Herrn Eckermann, können die neuen Überlegungen und Herausforderungen gemeistert werden.
Dies hat er gestern sehr überzeugend im Ausschuß dargestellt.
Die CDU/CSU-Fraktion wird auch weiterhin mit der Bundesregierung jede Initiative, die den Tourismusstandort Deutschland stabilisiert, unterstützen.
Dies betrifft selbstverständlich auch die finanzielle Ausstattung der DZT, des deutschen Seminars für Fremdenverkehr, die vielfältigen Mittelstandsprogramme und auch die Gemeinschaftsaufgabe regionale Wirtschaftsförderung.
In der Wirtschaftspolitik müssen wir noch deutlicher herausarbeiten, daß ein Zusammenhang zwischen dem Einsatz finanzieller Mittel für die Werbung und dem Erfolg, mehr ausländische Gäste für einen Urlaub in Deutschland zu gewinnen bzw. Marktanteile vom „Outgoing-Tourismus" für Deutschland zurückzugewinnen, besteht. Mehr Gäste bedeuten nun mal mehr Umsatz, mehr Steuereinnahmen, mehr Kaufkraft und mehr Arbeitsplätze.
Wir bitten aber auch die Branche, deutlich herauszuarbeiten, wo die Wünsche gegenüber der Politik im finanziellen, steuerlichen und ideellen Bereich liegen.
Für die Unionsfraktion sage ich: Der deutsche Fremdenverkehr hat eine Zukunft, die wir gemeinsam mit der Bundesregierung tatkräftig gestalten wollen.
Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Susanne Kastner, SPD.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unter der Überschrift „Das Gute liegt so nah" konnte man am 1. November in der „Zeit" einen großen Artikel zum Tourismus in Deutschland lesen. Der Untertitel lautete: „Wiederbelebungsversuche für den Tourismusstandort Deutschland" . Dieser Satz ist meines Erachtens etwas zu hart, denn so tot, daß er hätte wiederbelebt werden müssen, war der Tourismusstandort Deutschland dann doch nicht.
Interessant war aber schon zu lesen, welche Faktoren den Tourismusstandort Deutschland wesentlich behindern. Da wurde unter anderem genannt: die starre Arbeitszeit der Fremdenverkehrsämter, das mangelnde Zusammengehörigkeitsgefühl der Branche, zuwenig gemeinsames Marketing und das Fehlen eines einheitlichen Informations- und Reservierungssystems. Über diese und andere Punkte haben wir auch im Tourismusausschuß oft diskutiert, sie oft beklagt und immer wieder Fortschritte angemahnt.
Lassen Sie mich deshalb auf einige Punkte etwas näher eingehen. Das mangelnde Zusammengehörigkeitsgefühl der Branche, die oft weit auseinanderliegenden Interessen von großen Touristikunternehmen und dem mehrheitlich klein und mittelständisch organisierten Rest der Branche, war in den letzten Jahren in der Tat ein großes Hemmnis. Es ist wie immer im Leben: Die Branche ist erst wirklich in Bewegung gekommen, als der Leidensdruck durch die rückläu-
Susanne Kastner
figen Gästezahlen so groß wurde, daß man einfach reagieren mußte.
Ich mache hier nicht ganz ohne Stolz darauf aufmerksam, daß es auch und gerade die konstruktiv-kritische Arbeit des Tourismusausschusses war, der die Gemeinsamkeit der Branche vorangetrieben hat.
Ich denke, besonders stolz können wir in unserem Ausschuß auch darauf sein, daß der Herr Wirtschaftsminister den wichtigen wirtschaftlichen Aspekt der Branche für unser Land und die Arbeitsplätze endlich erkannt hat.
Angeblich - so habe ich jetzt gehört - sollen diese Erkenntnisse neuerdings auch bis zum Herrn Bundeskanzler vorgedrungen sein.
Aber davon muß ich erst noch überzeugt werden.
Auf etliche Defizite müssen wir jedoch in diesem Zusammenhang hinweisen. Wir Sozialdemokraten begrüßen den neugegründeten Tourismusverband sehr und sind dankbar, daß es dadurch gelungen ist, daß die notwendige Willensbildung für den Tourismus in Deutschland auch den Herrn Bundeskanzler erreicht hat. Es war höchste Zeit.
Ich sehe aber noch zuwenig Gemeinsamkeit und Identifikation zwischen den regionalen Fremdenverkehrsverbänden und dem neugegründeten Bundesverband. Wenn dieser Verband gute Lobby-Arbeit machen will, muß er auf allen Ebenen für Akzeptanz werben, also auch der Interessensvertreter dieser Bereiche sein.
Hier sehen wir durchaus noch Defizite, aber ich bin sicher, daß dies auch den Verantwortlichen bewußt ist und sie hier auf eine schnelle Verbesserung drängen werden.
Mit Ihren Anträgen, liebe Frau Saibold, stellen Sie die Wirklichkeit auf den Kopf.
Sie wollen der natürlich gewachsenen Branche vom grünen Tisch aus ein neues Konzept und ein neues Dach verordnen.
Wir halten diesen Weg bei allen beschriebenen Defiziten, für völlig falsch, weil er nicht zu mehr Kooperation, sondern einfach zu mehr Chaos führt.
Jetzt zum Hauptwiederbelebungsversuch des deutschen Tourismus, der gemeinsamen Vermarktung. Da sind wir in der Tat erst am Anfang, aber ich denke, es ist ein guter Anfang, der es verdient, die politische und finanzielle Unterstützung aller in der Tourismusbranche Verantwortlichen zu bekommen.
Ich möchte hier zunächst einmal ein deutliches Lob den Mitarbeitern der Deutschen Zentrale für Tourismus aussprechen,
deren große Leistungsfähigkeit und hohe Motivation uns gut bekannt sind, die aber - Herr Feldmann, jetzt hören Sie einmal zu -
durch manchen Fehler in der Leitungsspitze nicht immer zutage treten konnten.
Seit der Übernahme der Leitung durch Frau Schörcher können wir nun auch die DZT-Führung wieder in das Lob mit einbeziehen, was uns seit dem Weggang von Herrn Günter Spazier lange leider nicht möglich war.
Hier, Frau Saibold, will ich auch auf Ihren Antrag eingehen. Wir unterstützen ja Ihre Analyse in dem Antrag, was die wirtschaftliche Bedeutung des Tourismus für den Wirtschaftsstandort Deutschland betrifft. Ihr Fazit aber ist schlichtweg falsch. Man kann im institutionellen Bereich des Tourismus nicht jeden Monat eine neue Sau durchs Dorf jagen.
Sie wollen ständig neue Institutionen und alte, jetzt aber gut arbeitende, wie die Deutsche Zentrale für Tourismus, auflösen. Dies brächte nur Unsicherheit, und es ginge viel Zeit verloren. Sie wollen keine freie, soziale Marktwirtschaft, sondern Staatskontrolle. Das - das sage ich Ihnen - geht schief, und deshalb will ich auf Ihren Antrag auch einfach nicht weiter eingehen.
Die operative Marketing GmbH kommt, und sie muß auch von der Politik fachlich und finanziell begleitet werden.
Die zentrale Frage ist nun: Wie kommen wir aus einem öffentlich-rechtlichen Fördersystem in ein privatwirtschaftliches? Man müßte eigentlich annehmen, die Bundesregierung hätte durch die Privatisierung von Post, Bahn und anderen inzwischen ausreichend Erfahrungen gesammelt, um dieses ohne Substanzverlust zu bewältigen. Weit gefehlt! Die Bundesregierung hält nämlich nichts als ihre Hoffnung in den Händen, den Einnahmeverlust könne die Deutsche Zentrale für Tourismus durch wirtschaftliche Zuwendungen ausgleichen. Das ist einfach naiv. Hier
Susanne Kastner
beweist Minister Rexrodt, daß er für Deregulierung und Abbau von Subventionen einfach nicht der geeignete Minister ist.
An dieser Stelle auch ein Wort zum deutschen Informations- und Reservierungssystem DIRG. Herr Kolb, in der Frage der zu verwendenden Software - das haben wir gestern im Ausschuß sehr deutlich gelernt - hat sich die Regierung über den Tisch ziehen lassen. Die mangelnde Aufsicht des Bundeswirtschaftsministeriums wird Ihnen und dem Steuerzahler finanziell noch schwer zu schaffen machen.
- Herr Kollege Olderog, ich würde Ihnen einmal raten, sich in dieser Frage wirklich dezidiert zu informieren. Ich glaube, Sie wissen einige Details nicht, sonst würden Sie solche Zwischenrufe einfach' nicht machen.
Was aber nicht passieren darf, ist, daß das zentrale Reservierungssystem an der Unzulänglichkeit der Verantwortlichen im Wirtschaftsministerium scheitert. Hierüber werden wir im Ausschuß noch ein wenig miteinander reden müssen.
Was nun die regionalen Ebenen in der Tourismusbranche angeht, so ist mehr zu tun, um das gemeinsame Ziel, einen qualitativen und quantitativen Schritt nach vorn zu tun, zu erreichen. Die Kommunen müssen dafür sorgen, daß ihre Fremdenverkehrsämter bzw. ihre Informationsämter zu wirklichen Ansprechpartnern für Touristen werden. Dazu gehören auch motivierte Mitarbeiter mit vernünftiger Ausbildung und guter Bezahlung.
Auch wenn Sie, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, in trauter Gemeinsamkeit unseren Antrag abgelehnt haben, werden wir in dieser Frage nicht nachlassen. Wir wollen ein vernünftiges Berufsbild für Fremdenverkehrsamtsleiter.
Dies käme nämlich dem Tourismusstandort Deutschland insgesamt zugute.
Die als Einheit vermarktungsfähigen Regionen müssen sich auch in der praktischen Arbeit zusammenschließen. Der Schwarzwald, der Harz, die Rhön, das Erzgebirge sind nur als Einheit vermarktungsfähige Regionen.
Verwaltungsgrenzen von Landkreisen, Städten oder auch Bundesländern dürfen diese Vermarktung nicht behindern. Der Tourist nimmt diese Grenzen nicht wahr und hält sich deshalb auch nicht daran.
Mit der Orientierung auf die Zufriedenheit des Gastes ist ein klarer Auftrag an die Tourismusfachleute der Regionen verbunden. Schluß mit dem engstirnigen Blick bis zum Tellerrand. Der Gast fährt nicht
nach Hause, wenn er in einer Stadt kein Zimmer gefunden hat; er versucht es in der Nachbarstadt. Auch Hotels, Gasthöfe und Fremdenverkehrsämter müssen sich auf einen mobilen Gast einstellen,
und deshalb muß an erster Stelle ihrer Handlungsmotivation die Zufriedenheit des Gastes stehen.
Die Zeiten sind vorbei, in der ein Hotelier einem Gast hinterhergeschimpft hat, dem sein Zimmer zu teuer war und der deswegen in den Nachbarort gegangen ist. Heute ist jeder Gast in der Region für jedes Angebot ein Kunde. Nur gemeinsam können sich Regionen in aufeinander abgestimmten Programmen für das Wohl des Gastes einsetzen und sicherstellen, daß er in der nächsten Saison gerne wiederkommt.
Wenn dieser Gedanke in der Tourismusbranche verstärkt durchgesetzt wird, dann braucht es vom Bund oder von den Landesregierungen keine großangelegten Tourismusprogramme. Dann wirken die Regionen aus ihrer eigenen Kraft heraus. Dies muß das gemeinsame Ziel der Verantwortlichen im Bereich Tourismus in Deutschland sein.
Die Politik muß hier konstruktiv und kritisch begleiten - nicht lenken, Frau Saibold, begleiten. Dies jedenfalls ist das Ziel sozialdemokratischer Tourismuspolitik: die Gemeinsamkeit der Branche stärken und die Vielfalt der Regionen und Landschaften in unserem Land fördern.
Danke schön.
Das Wort hat der Kollege Dr. Olaf Feldmann, F.D.P.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit Ihren Anträgen zur Tourismuspolitik versuchen die Grünen, das Rad neu zu erfinden. Tatsache ist: Wir haben ein Tourismuskonzept. Es wird fortgeschrieben. Es wird zu den Fragen der neuen Bundesländer, zur Europapolitik, zum Subsidiaritätsprinzip und natürlich auch zum Umweltschutz aktualisiert. Alles haben wir hier ausführlich diskutiert und Entschließungsanträge verabschiedet.
Über die Bedeutung von Umwelt- und Naturschutz für den Tourismus, glaube ich, herrscht hier im Hause große Übereinstimmung. Es geht auch nicht so sehr darum, ob, sondern wie Umweltschutz und Tourismus in Übereinstimmung gebracht werden können.
Die F.D.P. will Ressourcenschonung durch Akzeptanz und Einsicht bei den Akteuren erreichen. Hier ist viel geschehen: vom 40-Punkte-Katalog des DEHOGA über den ADAC-Leitfaden zur umweltgerechten Betriebsführung der Autobahn-Raststätten
Dr. Olaf Feldmann
bis hin zur Empfehlung des Deutschen Reisebüroverbandes für touristische Anlagen.
Der Erfolg des Umweltschutzes hängt in erster Linie vom Mitmachen aller Beteiligten und nicht, Frau Saibold, von Verordnungen, so wie Sie das empfehlen, und Regierungsprogrammen ab. Viele Probleme lassen sich im übrigen gar nicht national lösen, sondern nur europa-, wenn nicht sogar weltweit. Das gilt nicht nur für die Besteuerung von Flugbenzin.
Tourismus ist mehr als Umweltschutz. Tourismus ist von erheblicher sozialer und ökonomischer Bedeutung. Er dient den Menschen zur Erholung und Freizeitgestaltung. Für viele Menschen ist er existentielle Erwerbsgrundlage. Vom Tourismus in Deutschland hängen - das wissen wir hier alle - rund 2 Millionen Arbeitsplätze ab. Arbeitsplätze im Tourismus sind nicht exportierbar. Sie sind eine Standortgarantie Deutschlands.
- Sie können auch nicht indirekt exportiert werden. Sie sind mit Deutschland verbunden. Arbeitsplätze im Tourismus sind eine Standortgarantie.
Die F.D.P. will kein Regierungsprogramm, sondern adäquate Rahmenbedingungen und angemessene Handlungsspielräume für die Akteure. Für uns gilt: Nicht mehr Staat, wie Sie es fordern, sondern weniger Staat. - Die F.D.P. sagt nein zur Zerschlagung der DZT. Wir sagen aber ja zum Umbau. Dieser läuft auch längst erfolgreich. Die Koalition hat den Umbau aktiv auf den Weg gebracht.
Inlandsmarketing war nie Aufgabe der DZT. Jetzt nach langen Vorbereitungen ist die Deutschland Marketing GmbH auf gutem Weg. Im In- und Ausland soll für Reisen und Urlaub in Deutschland geworben werden. Wir wollen die vorhandenen Strukturen und Instrumentarien verbessern und darauf aufbauend die Kräfte bündeln. Wir wollen weder eine staatliche Tourismuspolitik noch ein staatswirtschaftliches Tourismus-Service-Center - oder wie immer das von Ihnen genannt wird.
Deshalb lehnen wir Ihre Anträge ab.
Danke.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Kolb.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich über die gute Stimmung zu später Stunde.
Auch ich bin gerne bereit, einzuräumen, daß der Tourismus in Deutschland viele Akteure hat und daß die Koordinierung, die Effizienz und auch die Struktur der Zusammenarbeit sicherlich noch in vielen Bereichen weiter verbessert werden können.
Aber - das will ich auch ganz deutlich sagen - eine eigene sektorspezifische Tourismuspolitik halte ich weder für sinnvoll, noch für sachlich geboten - und das nicht nur aus ordnungspolitischen Gründen. Genau diese sektorspezifische Tourismuspolitik wäre meines Erachtens, Frau Saibold, die Voraussetzung bzw. sogar die Folge eines Regierungsprogramms für einen zukunftsfähigen Tourismus oder eines Tourismus-Service-Centers, wie es in den vorliegenden Anträgen gefordert ist.
Ich denke, Tourismuspolitik ist ein integraler Bestandteil der Wirtschaftspolitik und soll dies auch bleiben.
Für die Tourismuspolitik strebt die Bundesregierung grundsätzlich dieselben wirtschaftspolitischen Ziele an wie für andere Wirtschaftszweige, nämlich Stärkung der Wachstumspotentiale, Freisetzung unternehmerischer Initiativen durch Liberalisierung und auch strukturpolitische Flankierung des unvermeidlichen Strukturwandels. Auch im Tourismus geht es in erster Linie um die Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen sowie um die Erhaltung einer mittelständischen Wirtschaftsstruktur.
Besondere Probleme der Tourismuspolitik - ich denke dabei zum Beispiel an den Umwelt- und Naturschutz, Fragen der Verkehrs- und Bildungspolitik und an die soziokulturellen Auswirkungen des Tourismus - finden bereits jetzt angemessene Berücksichtigung in der Wirtschaftspolitik. Die Erhaltung von Umwelt, Natur und Landschaft als Grundlage des Tourismus wurde 1994 ausdrücklich in den Zielkatalog der Tourismuspolitik aufgenommen.
Darüber hinaus hat sich im Fremdenverkehrsgewerbe - Herr Kollege Feldmann hat hierzu einige Initiativen genannt - mehr und mehr die Erkenntnis durchgesetzt, daß nur ein ökologisch verträglicher Tourismus mittel- und langfristig eine vernünftige wirtschaftliche Grundlage bietet. Auch bei den Nachfragern touristischer Dienstleistungen spielen ökologische Gesichtspunkte zunehmend eine Rolle. Die Tourismuswirtschaft wird und hat teilweise schon mit entsprechenden Angeboten auf diesen Wandel in der Wahrnehmung reagiert.
Ich unterstütze ausdrücklich die Notwendigkeit eines umwelt- und sozialverträglichen Tourismus. Es wird aber nicht möglich sein, sämtliche tourismuspolitisch relevanten Maßnahmen in Politik, Wirtschaft und Verwaltung diesem Ziel unterzuordnen. Weder mit einem „Konzept für einen zukunftsfähigen Tourismus " noch durch eine Institution wie einem „Tourismus-Service-Center" kann die breite Akzep-
Parl. Staatssekretär Heinrich L. Kolb
tanz erzwungen werden, die notwendig wäre, um die in beiden Anträgen dargelegten Ziele zu erreichen.
Die Koordinierung und die Erreichung gemeinsamer Ziele setzen stets die Akzeptanz aller Beteiligten voraus. Ich kann in den vorliegenden Anträgen keinen Hinweis darauf erkennen, warum diese Akzeptanz mit den vorgeschlagenen Maßnahmen eher geschaffen werden könnte als mit den bestehenden Instrumenten und Institutionen.
- Ich komme noch dazu.
Gerade in jüngster Zeit, Frau Kollegin Kastner, hat die Bundesregierung gemeinsam mit den Bundesländern und den zahlreichen Einrichtungen der Tourismuswirtschaft eine Reihe von Anstrengungen unternommen, um eine bessere Koordinierung der Aktivitäten im Tourismus zu erreichen. Dazu zählen der Initiativkreis, die Neustrukturierung der DZT, wozu auch die Gründung der Deutschland Tourismus-Marketing GmbH und auch die Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern gehören.
Als konkrete Maßnahmen zur Stärkung des Tourismusstandortes Deutschland möchte ich, Frau Kollegin Kastner, beispielhaft den Aufbau eines flächendeckenden deutschen Informations- und Reservierungssystems durch die DIRG und auch die Initiative zu einer gemeinsamen Werbekampagne für das Reiseland Deutschland nennen. Ich habe mit einer gewissen Verwunderung Ihre kritische Haltung zu der - -
- Das ist nicht so, Frau Kastner. Wir werden darüber noch diskutieren. Leider hatten wir gestern im Ausschuß nicht die Gelegenheit dazu. - Ich habe mit Verwunderung diese Haltung zur Kenntnis genommen. Ich hoffe aber, daß wir die Bedenken ausräumen können.
Ich glaube, alle Beteiligten haben erkannt, daß es vor dem Hintergrund knapper finanzieller Ressourcen gilt, die vorhandenen Kräfte zu bündeln und Synergieeffekte zu nutzen.
Bezüglich der Akzeptanz einer gemeinsamen Vorgehensweise zwischen Bund, Ländern und der Tourismuswirtschaft sind wir in den letzten Monaten einen, wie ich denke, entscheidenden Schritt vorangekommen. Ich glaube, wir sollten auf diesem Wege - hoffentlich gemeinsam - weitergehen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/5213 und 13/5785 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Fremdenverkehr und Tourismus zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu einer Imagekampagne „Urlaub in Deutschland", Drucksache 13/5026. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/1016 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Stimmenthaltung der PDS angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10a und b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Behrendt, Marion Caspers-Merk, Dr. Liesel Hartenstein, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Schutz der stratosphärischen Ozonschicht und Bekämpfung des anthropogenen Treibhauseffektes durch Beendigung von Produktion und Einsatz teilhalogenierter FCKW
- Drucksache 13/5806 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Wirtschaft
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
- zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.
Weiterentwicklung der nationalen und internationalen Maßnahmen zum Schutz der Ozonschicht
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Liesel Hartenstein, Michael Müller , Dr. Bodo Teichmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Schutz der stratosphärischen Ozonschicht und Bekämpfung des anthropogenen Treibhauseffektes durch Beendigung des Einsatzes von FCKW
- zu dem Antrag der Abgeordneten Michaele Hustedt, Dr. Jürgen Rochlitz, Vera Lengsfeld, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Maßnahmen zum Schutz der Ozonschicht
- Drucksachen 13/3158, 13/2498, 13/3125, 13/5241 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Peter Paziorek
Dr. Liesel Hartenstein Michaele Hustedt Birgit Homburger
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Ich eröffne die Aussprache und teile dem Hause mit, daß folgende Damen und Herren ihre Reden zu Protokoll geben: CDU/CSU: Dr. Peter Paziorek; SPD: Wolfgang Behrendt; Bündnis 90/Die Grünen: Michaele Hustedt; F.D.P.: Birgit Homburger; PDS: Eva Bulling-Schröter; für die Bundesregierung: Parlamentarischer Staatssekretär Klinkert.*)
Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/5806 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zur Weiterentwicklung der nationalen und internationalen Maßnahmen zum Schutz der Ozonschicht; das ist die Nummer 1 der Drucksache 13/5241. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/3158 in der Ausschußfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion der SPD zum Schutz der stratosphärischen Ozonschicht und zur Bekämpfung des anthropogenen Treibhauseffektes durch Beendigung des Einsatzes von FCKW; das ist die Nummer 2 der Drucksache 13/5241. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/2498 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD und der Gruppe PDS bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu Maßnahmen zum Schutz der Ozonschicht; das ist die Nummer 3 der Drucksache 13/5241. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/3125 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
*) Anlage 3
gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe PDS und eines Teils der SPD bei Stimmenthaltung eines anderen Teils der SPD angenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 9 auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Dokument vom 31. Mai 1996 zur Änderung des Vertrags vom 19. November 1990 über konventionelle Streitkräfte
- Drucksache 13/5889 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses
- Drucksache 13/6111 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Karl-Heinz Hornhues
Ich eröffne die Aussprache und teile mit, daß folgende Damen und Herren ihre Beiträge zu Protokoll geben: CDU/CSU: Dr. Friedbert Pflüger * * ); SPD: Uta Zapf; Bündnis 90/Die Grünen: Angelika Beer; F.D.P.: Dr. Olaf Feldmann; PDS: Gerhard Zwerenz; für die Bundesregierung: Staatsminister Schäfer.* * * )
Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Vertrages über konventionelle Streitkräfte - Flankenvereinbarung - auf Drucksache 13/5889.
Der Auswärtige Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/6111, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 15. November, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Angenehme Nachtruhe!