Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich dem Kollegen Dr. Joachim Schmidt , der am 26. Oktober seinen 60. Geburtstag feierte, nachträglich im Namen des Hauses ganz herzlich gratulieren.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die ver-
bundene Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte
sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
2. Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung und Vereinheitlichung sachenrechtlicher Fristen -Drucksache 13/5982 -
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 1996/1997 - Drucksache 13/5983 -
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Angelika Beer, Amke Dietert-Scheuer, Dr. Uschi Eid und der Frak-hon BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Rücknahme der Hermes-Bürgschaft für Rüstungslieferungen an die Türkei - Drucksache 13/5786 -
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr.-Ing. Dietmar Kansy, Peter Götz, Werner Dörflinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Hildebrecht Braun , Horst Friedrich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Städtebauförderung - neue Schwerpunkte und Perspektiven - Drucksache 13/5960 -
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Reinhold Hemker, Brigitte Adler, Horst Sielaff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Forderungen zum Welternährungsgipfel vom 13. bis 17. November 1996 in Rom - Drucksache 13/5809 -
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Höfken, Dr. Uschi Eid, Wolfgang Schmitt , weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Position der Bundesregierung zum Welternährungsgipfel vom 13. bis 17. November 1996 in Rom - Drucksache 13/5964 -
3, Weitere abschließende Beratung ohne Aussprache
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 15. Dezember 1994 über die Sicherheit von Personal der Vereinten Nationen und beigeordnetem Personal - Drucksachen 13/2837, 13/5872 -
4. Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.: Zur Lage in Zaire
- die humanitäre Katastrophe muß verhindert werden
- Drucksache 13/5981-
5. Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.: Initiativen zur Beendigung der Gewalt und der Schaffung eines dauerhaften Friedens in Burundi - Drucksache 13/5815 -
6. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Dokument vom 31. Mai 1996 zur Änderung des Vertrags vom 19. November 1990 über konventionelle Streitkräfte - Drucksache 13/5889 -
7. Beratung des Antrags der Abgeordneten Margareta Wolf , Antje Hermenau, Kristin Heyne, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für eine neue Innovationskultur - Stärkung des Risikokapitalmarktes - Drucksache 13/5962 -
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit es bei den einzelnen Punkten der Tagesordnung und der Zusatzpunktliste erforderlich ist, abgewichen werden.
Außerdem ist vereinbart worden, am Freitag den Tagesordnungspunkt 13 - es handelt sich um den Wasserstraßenausbau an Elbe und Saale - abzusetzen.
Sind Sie mit den Vereinbarungen einverstanden? - Das ist der Fall. Wir verfahren entsprechend.
Die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hat fristgerecht beantragt, die heutige Tagesordnung um die Beratung ihres Antrags „Demokratie und Menschenrechte " als Maßstab der deutschen Südost- und Ostasienpolitik zu erweitern. Wird zu diesem Aufsetzungsantrag das Wort gewünscht? - Dann hat das Wort zur Geschäftsordnung der Kollege Schulz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte im Namen meiner Fraktion zusätzlich zu der vereinbarten Tagesordnung heute den Punkt
Werner Schulz
Demokratie und Menschenrechte als Maßstab der
deutschen Südost- und Ostasienpolitik" auf die Tagesordnung setzen lassen. Und ich möchte Ihnen dazu eine kurze Begründung der aktuellen und auch der inhaltlichen Notwendigkeit geben.
Normalerweise werden große Auslandsreisen oder Staatsbesuche - solche großen Reisen des Bundeskanzlers und des Bundesaußenministers sind erfolgt
- hier im Hause ausgewertet, wird über das Verhältnis zu den besuchten Ländern hier im Hause diskutiert. Noch dazu, wenn solche Reisen in ein wirtschaftlich hochinteressantes und politisch heikles Gebiet erfolgen, wenn solche Reisen auf dem schmalen Grat zwischen Exportgewinn und politischem Gesichtsverlust erfolgen.
Wir haben die Bundesregierung gebeten, im Zusammenhang mit dem morgigen Tagesordnungspunkt Vertrieb von Kinderspielzeug, das in chinesischen Arbeitslagern hergestellt wird, über die Wirtschaftsaktivitäten in Ostasien eine Regierungserklärung abzugeben. Das wurde von der Bundesregierung abgelehnt. Es wurde auch abgelehnt, zusätzlich den Antrag mit aufzunehmen, den ich heute auf die Tagesordnung zu setzen bitte.
Nun kann man ja geteilter Meinung sein, ob es richtig gewesen wäre, wenn der Herr Bundeskanzler seinen Staatsbesuch in Indonesien abgebrochen hätte, um sich in der Sondersitzung des Deutschen Bundestages mit dem Finanzchaos und dem Zersetzungsstreit in der Koalition zu beschäftigen. Daß er aber nicht bereit ist, über die von ihm wesentlich wichtiger eingeschätzte Reise hier Rede und Antwort zu stehen, darüber kann man nicht mehr geteilter Meinung sein.
Offenbar werden mit der Zahl der Kanzlerjahre und dem steigenden Schuldenberg, auf dem dieser Kanzler sitzt, die Probleme im eigenen Land immer kleiner, oder ist der Herr Bundeskanzler vom Bazillus aller alternden Staatsmänner ergriffen, die beim Ausbleiben von Erfolgen im eigenen Land verstärkt die internationale Anerkennung suchen? Ich kenne das aus früheren Zeiten, ohne hier Parallelen herstellen zu wollen.
Ich meine, es wäre durchaus notwendig, heute darüber zu reden, welchen Einsatz für die Menschenrechte der Herr Bundeskanzler geleistet hat - außer, daß er in Indonesien große Wirtschaftsfische geangelt und Schildkröten zu Wasser gelassen hat. Warum es ihm zum Beispiel nicht gelungen ist, trotz der mitgeführten Köder die Menschenrechtler aus Osttimor an die Angel zu bekommen, warum man neben x Memoranden zu Wirtschaftsvorhaben nicht ein einziges Memorandum zur Einhaltung der Menschenrechte dort abgeschlossen hat.
Ich meine, wer im nachhinein einen SED-Unrechtsstaat verurteilt und nicht den Mut aufbringt, im Nachgang -
Herr Schulz, kommen Sie zur Geschäftsordnung! Sie wollten zum Antrag reden.
- einer solchen Reise die Menschenrechtsverletzungen in Indonesien zu kritisieren, der wird einfach unglaubwürdig. Wer auf den Philippinen nicht den Mut aufbringt, Kinderpomographie, Kinderprostitution und Sextourismus anzuprangern,
der wird auch im eigenen Land unglaubwürdig, wenn er dort die Wertedebatte führen will.
Ich begründe die Notwendigkeit dieses Antrages, den wir heute auf die Tagesordnung setzen wollen, damit, daß die Peinlichkeiten durch die Reise des Außenministers nach China noch um einiges im Vergleich mit dem Bild, das der Bundeskanzler abgegeben hat, übertroffen wird,
wenn einen Tag nach der Reise des Außenministers, während er sich noch mit Dankesschreiben der Familie Wang Dan schmückt, der Bürgerrechtler Wang Dan zu elf Jahren Haft verurteilt wird. Und anstatt die sofortige Freilassung des Bürgerrechtlers zu for-dem, war eine laue Erklärung aus dem Auswärtigen Amt zu hören, daß man die harte Verurteilung bedauere.
Das sind alles keine Zufälle, sondern das reiht sich in eine Anzahl von Versäumnissen in der Menschenrechtspolitik ein.
Herr Schulz, Sie bleiben bitte jetzt bei der Begründung des Antrages. Sie hören zu Recht den Widerspruch.
Ich meine, daß es sehr notwendig ist, heute darüber zu reden, daß die Bundesregierung eine sehr kurzsichtige Außenpolitik an den Tag legt. Es kann auch den Interessen der deutschen Wirtschaft überhaupt nichts nützen, in Staaten wie China und Indonesien zu investieren, wenn diese nicht einen Minimalstandard der Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit wahren.
Werner Schulz
Genau das ist das Anliegen unseres Antrages, und ich glaube, darüber sollten wir hier schon diskutieren. Dieser Diskussion sollten Sie eben nicht ausweichen.
Ich sage noch einmal in bezug auf die nachfolgenden Beiträge: Es geht um einen Antrag zur Geschäftsordnung.
Es geht nicht, daß wir dabei in die inhaltliche Debatte einsteigen.
Als nächster spricht zur Geschäftsordnung der Kollege Hörster.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn es irgendeines Beweises bedurft hätte, daß es den Antragstellern bei ihrem Antrag in Wahrheit überhaupt nicht darum geht, tatsächlich etwas für die Menschenrechte zu bewirken,
so hat das Niveau des Beitrags und der Antragsbegründung des Kollegen Schulz diesen Beweis nachhaltig erbracht.
Als jemand, der zu der Reisegruppe, die in Indonesien war, gehörte und der gemeinsam mit den Kollegen Seiters, Berger, Albowitz und Kansy mit den Betroffenen diskutiert hat - mit den Menschenrechtsorganisationen, mit den Menschenrechtskommissionen, mit den Abgeordneten im Parlament, mit Ehefrauen und Verteidigern von Betroffenen -, finde ich die Art und Weise, wie hier die Frage der Menschenrechte ohne Rücksicht auf die Betroffenen
instrumentalisiert wird, nur um eine innenpolitische Auseinandersetzung zu führen, schändlich. So kann man mit der Sache nicht umgehen.
Da ich die Vorgeschichte zu diesem Antrag genau kenne, will ich doch das Hohe Haus wissen lassen, daß wir im Auswärtigen Ausschuß, im Unterausschuß „Humanität und Menschenrechte", einvernehmlich über alle Fraktionsgrenzen hinweg vereinbart haben, am Tag der Menschenrechte, am
5. Dezember 1996, eine Menschenrechtsdebatte in diesem Hohen Haus zu führen,
damit alle Aspekte der Menschenrechtspolitik in der deutschen Außenpolitik erörtert werden können.
Wer sich den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen durchliest, stellt unsägliche Unterstellungen fest: Zum Beispiel wird der tatsächliche Sachverhalt, daß Bischof Belo nämlich in einer Erklärung gegenüber dem Bundeskanzler bedauerte, daß er auf Grund einer Missionsreise nicht in der Lage sei, ihn in Indonesien zu treffen, und er sich darauf freue, ihn bei seiner Reise nach Oslo hier in Deutschland zu treffen - das ist auch schon entsprechend eingefädelt - wahrheitswidrig wiedergegeben. Wer diesen Sachverhalt so wie in dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen interpretiert, macht deutlich, daß es ihm eigentlich gar nicht so recht darum geht, den Menschenrechten vor Ort zum Erfolg zu verhelfen.
Die Kollegen, die auf der Reise dabei waren, hätten auf den Philippinen sehr gerne auch über die Menschenrechte und die Themen gesprochen, die Sie, Hen Kollege Schulz, angesprochen haben. Wir durften aber nicht, weil wir auf Grund eines Antrages der Opposition zurückgerufen wurden.
Der Deutsche Bundestag hat sich aus vielfältigen Anlässen mit der Thematik der Menschenrechte in einer sehr seriösen Weise befaßt. Ich möchte, daß die Ergebnisse der Reise und unserer Erörterungen in den zuständigen Gremien des Bundestages vernünftig und sachlich ausgewertet werden und wir zu einer vernünftigen Beurteilung kommen. Wir können dann in der Debatte am Tag der Menschenrechte über die Ergebnisse und Eindrücke berichten und vernünftig über Maßnahmen diskutieren, die uns zur Verfügung stehen, um den Menschenrechten tatsächlich zur Geltung und zur Durchsetzung zu verhelfen. Dazu dienen Schauanträge wie dieser nicht.
Deswegen lehnen wir es ab, zu diesem Zeitpunkt über diesen Antrag mit seinen unsäglichen Unterstellungen zu diskutieren. Statt dessen wünschen wir uns eine vernünftige, sachliche und möglichst fraktionsübergreifende Menschenrechtsdebatte am Tag der Menschenrechte, dem 5. Dezember, mit entsprechenden Ergebnissen.
Zum Antrag der Kollege Rudolf Bindig.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Auf der Tagesordnung dieser Woche steht bereits ein Punkt, der ein besonders erschreckendes Menschenrechtsproblem in Südostasien, in China, zum Inhalt hat: die Existenz von Zwangsarbeitslagern, das chinesische LaogaiSystem, und die Frage, wie Deutschland sich dazu
Rudolf Bindig
verhalten soll, wenn es um den Import von Kinderspielzeugen aus diesen chinesischen Arbeitslagern geht, die unter Zwangsbedingungen produziert worden sind. Es ist jetzt beantragt worden, diese vorgesehene Debatte um den Antrag „Demokratie und Menschenrechte als Maßstab der deutschen Südost- und Ostasienpolitik" zu erweitern.
Es ist richtig, dieser Region erhöhte Aufmerksamkeit zu widmen und dabei die politischen, wirtschaftlichen und menschenrechtlichen Aspekte einzubeziehen. Durch die jüngsten Reisen des Bundeskanzlers und des Bundesaußenministers hat diese Problematik an Aktualität gewonnen. Angesichts der Art und der Durchführung dieser Reisen und der gesetzten Akzente können wir nicht nur über einen Aspekt des Problembereichs Handel und Menschenrechte reden, sondern müssen in diesem Parlament auf breiterer Basis darüber diskutieren, wie wir uns gegenüber der Region und den autoritären und diktatorischen Regierungen, die es dort gibt, verhalten wollen.
Andererseits wissen wir aber auch, daß es sich um eine Region mit dynamischer wirtschaftlicher Entwicklung handelt. Es geht nicht um das Ob der Kontakte und der Wirtschaftsbeziehungen, sondern um das Wie.
Sowohl beim Besuch des Bundeskanzlers in China als auch jetzt in Indonesien ist deutlich geworden, daß die deutsche Politik in dieser Region in bezug auf die Grundsatzfragen von Demokratie und Menschenrechten falsche Signale setzt. Dies kam bei der Aufwertung der chinesischen Volksbefreiungsarmee durch den Kanzlerbesuch ebenso zum Ausdruck wie jetzt durch den Besuch des Bundeskanzlers auf der Privatinsel des Suharto-Clans.
Wer Zeit zum Angeln, zum Trinken von Kokosmilch
und zum Freilassen von Schildkröten hat, aber keine
Zeit, um sich mit Vertretern der Opposition zu treffen
und sich für die Freilassung von politischen Gefangenen einzusetzen, der setzt in dieser Region die falschen Akzente.
Es ist verständlich, daß sich der gerade genannte Friedensnobelpreisträger Bischof Belo nicht für einen kurzfristig anberaumten Public-Relation-Termin zur Verfügung stellen wollte, dem keine substantielle Politik aus Deutschland gegenüberstand.
Auch Außenminister Kinkel in China war sichtlich bemüht, die Tibet-Resolution und kritische Debatten im Bundestag über die Menschenrechtssituation in
China zu relativieren, statt sie bewußt und unterstützend einzusetzen, um zu verdeutlichen, wie in Deutschland über politische Unterdrückung und Menschenrechtsverletzung gedacht wird.
Unerträglich zahm war auch die Reaktion der Bundesregierung -
Herr Bindig, es gilt auch für Sie: zur Geschäftsordnung!
- auf die Verurteilung des chinesischen Dissidenten Wang Dan.
Herr Bindig, es handelt sich um einen Antrag zur Geschäftsordnung!
Da ich ja begründen muß, daß es hinreichend Anlaß gibt, sich mit diesen Fragen im Deutschen Bundestag zu beschäftigen und über diese Fragen zu debattieren, gehört dies zur Tagesordnung. Wir unterstützen den Antrag auf Erweiterung der Tagesordnung.
Es ist in keiner Weise ausreichend, die Debatte über diesen außenpolitisch, außenwirtschaftlich und menschenrechtlich bedeutenden Themenbereich auf den Tag der alljährlich stattfindenden Menschenrechtsdebatte zu verschieben. Wir müssen die alljährliche Menschenrechtsdebatte für Grundsatzfragen der Menschenrechtsproblematik frei haben und hier die Möglichkeit haben, über die Reise und die Art, wie dort über Demokratie und Menschenrechte gesprochen wird, zu reden.
Als nächster spricht der Kollege Jörg van Essen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch für uns sind die Menschenrechte ein wichtiges Thema. Aber weil es so ist, lehnen wir diesen Antrag der Grünen ab.
Der Kollege Hörster hat schon deutlich gemacht, daß ein so wichtiges, aber auch ein so sensibles Thema wie das der Menschenrechte hier dazu mißbraucht wird, innenpolitische Händel auszufechten. Und genau das darf es nicht geben.
Es ist bereits deutlich gemacht worden, daß wir uns in der übernächsten regulären Sitzungswoche ausführlich mit dem Thema Menschenrechte befassen. Es verstärkt die Botschaft des Bundestages nicht, wenn wir über dieses Thema inflationär, häppchenweise, Woche für Woche sprechen. Die Stimme des Bundestages wird dann gehört, wenn wir eine Schwerpunktdebatte führen, und die "führen wir - ich
Jörg van Essen
wiederhole es - in der übernächsten regulären Sitzungswoche. Wir werden deutlich machen, daß wir alle Anstrengungen im Zusammenhang mit diesem sensiblen Thema unterstützen werden.
Genau das tut der Antrag der Grünen nicht, und wir lehnen ihn deshalb ab.
Vielen Dank.
Abschließend spricht Frau Dr. Dagmar Enkelmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Präsidentin, Sie haben vollkommen recht: Es geht hier um einen Antrag zur Geschäftsordnung. Es geht aber nicht um einen formalen Akt, sondern es geht um Oppositions- und Minderheitenrechte in diesem Parlament.
Und, Kollege Hörster und Kollege van Essen, der Tag kann ganz schnell kommen, daß auch Sie in der Opposition sitzen, und dann werden Sie froh sein, solche Rechte zu haben.
Die PDS jedenfalls unterstützt den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen auf Erweiterung der Tagesordnung. Wir meinen, es ist durchaus angemessen, die Forderung nach einer Regierungserklärung des Kanzlers hier zu stellen, in der dem Hohen Haus Ergebnisse der Südostasienreise des Kanzlers und des Außenministers vorgestellt werden. Oder sollen wir uns auch mit der Hofberichterstattung der Medien zufriedengeben?
Nun können ja Abgeordnete reisen, wohin sie wollen. Offenkundig gibt es genug Lobbyisten, die das zahlen. Manchmal staunt man schon, was im Verantwortungsbereich von Abgeordneten alles so liegt. Aber der Kanzler ist nun einmal kein einfacher Abgeordneter, und Südostasien ist nicht Las Vegas.
Ich denke, wir haben ein Recht darauf, zu erfahren, welche Schwerpunkte die Bundesregierung in ihrer Asienpolitik setzt. Welchen Stellenwert nehmen dabei Menschenrechte ein? Hat der Kanzler mehr Demokratie in China und Indonesien angemahnt und politische Verfolgung angeprangert, oder hat er nur den Boden für neue Waffengeschäfte bereitet?
Herr Hörster, wenn Sie in diesen Ländern Gespräche geführt haben, dann verstehe ich nicht, warum Sie Angst haben vor dieser Debatte. Das Thema China und Menschenrechte wird ja von der Bundesregierung schon länger angefaßt wie eine heiße Kartoffel. Immerhin mußten wir sieben Monate warten, bis sich die Bundesregierung überhaupt bequemt hat, eine Auswertung der Ergebnisse der Weltfrauenkonferenz in Peking vorzulegen. Nach dem letzten Besuch des Bundeskanzlers in dieser Region sollten,
so denke ich, nicht wieder sieben Monate bis zu einer Stellungnahme vergehen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag. Ich bitte diejenigen, die dem Aufsetzungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Aufsetzungsantrag mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der F.D.P.-Fraktion abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines
Jahressteuergesetzes 1997 - Drucksache 13/4839 -
aa) Zweite Beschlußempfehlung und zweiter Bericht des Finanzausschusses
- Drucksachen 13/5951, 13/5952 -
Berichterstattung: Abgeordnete Gisela Frick
Gerda Hasselfeldt
Dr. Barbara Hendricks Christine Scheel
Dr. Uwe-Jens Rössel
bb) Zweiter Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 13/5953 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dankward Buwitt
Jürgen Koppelin Karl Diller
Oswald Metzger
- Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Jahressteuergesetzes 1996
- Drucksache 13/4542 -
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Antje Vollmer, Albert Schmidt , Christine Scheel, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der künstlerischen und kulturellen Vielfalt bei Auftritten von Künstlern und Künstlerrinnen, die ihren Wohnsitz im Ausland haben (Einkommensteuer-Änderungsgesetz - EStÄndG)
- Drucksache 13/4750 -
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Christine Scheel, Franziska Eichstädt-Bohlig, Kristin Heyne, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der Vermögensteuer und der Erbschaftsteuer
- Drucksache 13/4838 -
- Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der Vermögensteuer und der Erbschaftsteuer
- Drucksache 13/5504 -
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
- Drucksachen 13/5951, 13/5952 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Gisela Frick Gerda Hasselfeldt
Dr. Barbara Hendricks Christine Scheel
Dr. Uwe-Jens Rössel
bb) Berichte des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
-Drucksachen 13/5954, 13/5955, 13/5956, 13/5957 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dankward Buwitt Dr. Wolfgang Weng Jürgen Koppelin
Karl Diller
Oswald Metzger
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des
Berichts des Finanzausschusses
- zu dem Antrag der Fraktion der SPD
Arbeitsplätze schaffen, Arbeitskosten senken, die Wirtschaft ökologisch modernisieren
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Uwe-Jens Rössel, Dr. Christa Luft, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS
Den Reichtum umverteilen - Für eine gerechte Ausgestaltung der Erbschaftsbesteuerung
- zu dem Antrag der Fraktion der SPD
Aktionsprogramm gegen Wirtschaftskriminalität und Steuerhinterziehung
- zu dem Antrag der Abgeordneten Werner Schulz , Christine Scheel, Margareta
Wolf und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Solidaritätszuschlag weiter notwendig
- Drucksachen 13/3230, 13/4845, 13/4859,
13/4871, 13/5951, 13/5952 -
Berichterstattung: Abgeordnete Gisela Frick
Gerda Hasselfeldt
Dr. Barbara Hendricks Christine Scheel
Dr. Uwe-Jens Rössel
Zum Jahressteuergesetz liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD, der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Gruppe der PDS vor. Ich weise darauf hin, daß wir über den Entschließungsantrag der SPD und die Nr. 1 des Entschließungsantrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Anschluß an die Aussprache namentlich abstimmen werden. Auch über das Jahressteuergesetz soll namentlich abgestimmt werden. Stellen Sie sich damit zunächst auf drei namentliche Abstimmungen ein! Weitere namentliche Abstimmungen folgen am Nachmittag.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt die Kollegin Gerda Hasselfeldt.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Alle wirtschafts- und finanzpolitischen Entscheidungen müssen sich in diesen Tagen an einem einzigen Ziel orientieren, nämlich daran, ob sie der Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen, der Stärkung des Wirtschaftsstandorts Deutschland gerecht werden.
Das vorliegende Jahressteuergesetz 1997 wird diesem Ziel gerecht. Dazu gehört im wesentlichen die steuerliche Entlastung derjenigen, die Arbeitsplätze zur Verfügung stellen und dabei im Wettbewerb mit anderen Ländern stehen.
Dies ist ganz entscheidend; denn wir leben nicht auf einer Insel der Seligen. Unsere Betriebe, unsere Unternehmen stehen vielmehr im internationalen Wettbewerb. Die Rahmenbedingungen, unter denen bei uns Arbeitsplätze geschaffen und erhalten werden, die Rahmenbedingungen, unter denen bei uns Investitionen getätigt werden, müssen mit denen verglichen werden, die in anderen Ländern vorherrschen. Es gilt, sich daran zu orientieren.
Wir gehen deshalb mit dem Jahressteuergesetz 1997 - mit der Abschaffung der Vermögensteuer, mit einer schonenden Gestaltung der Erbschaftsteuer,
Gerda Hasselfeldt
mit der Stärkung der Eigenkapitalbasis von Existenzgründern und der Schaffung von neuen Arbeitsplätzen für Haushaltshilfen in privaten Haushalten - den richtigen Weg. Damit entlasten wir die Wirtschaft von überfälligem Ballast und geben Anreize für zusätzliche Arbeitsplätze.
Das Ziel der Opposition ist ein anderes: Sie wollen Steuererhöhung und damit Arbeitsplatzgefährdung. Allein bei der Erbschaftsteuer will die SPD ein zusätzliches - wohlgemerkt: zusätzliches - Aufkommen über das bisherige hinaus von mehr als 4 Milliarden DM, die Grünen sogar von mehr als 6 Milliarden DM erreichen.
Bei der Vermögensteuer - trotz der einschränkenden Bedingungen des Bundesverfassungsgerichts - will die SPD ein Volumen von zusätzlich 1,9 Milliarden DM und die Grünen von zusätzlich 5 Milliarden DM erreichen.
Nicht nur für diejenigen im Westen des Landes, die die Vermögensteuer schon jetzt zahlen, ist dies eine enorme Belastung, die eine Gefährdung von Arbeitsplätzen bewirkt.
Es bedeutet insbesondere für die Betriebe und Unternehmen in den neuen Ländern eine zusätzliche Belastung. Es bedeutet dort Existenzgefährdung; denn dort geht es um neue Betriebe, die erst im Aufbau begriffen sind und noch nicht mit Gewinnen arbeiten. In diesen Bereichen muß die Vermögensteuer aus der Substanz bezahlt werden.
Außerdem ist damit ein unbeschreiblicher Verwaltungsaufwand verbunden, weil nämlich nach dem Verfassungsgerichtsbeschluß nicht nur im Westen das gesamte Vermögen neu bewertet werden muß, sondern in den neuen Ländern die Vermögenserfassung erst noch aufgebaut werden muß.
Meine Damen und Herren, das Bundesverfassungsgericht hat uns zwar nicht gezwungen, die Vermögensteuer abzuschaffen
- wir haben nie behauptet, daß es uns dazu gezwungen hätte -, aber es hat ganz klare Vorgaben gemacht: erstens die Freistellung des üblichen Gebrauchsvermögens, zweitens die besondere Beachtung des Betriebsvermögens und drittens eine Belastungsobergrenze von 50 Prozent.
Bei diesen Vorgaben ist eine verfassungskonforme
Ausgestaltung der Vermögensteuer eine reine Belastung der mittelständischen Einkommen - das muß man wissen -, und diese wollen wir nicht.
Die Vermögensteuer muß aus bereits versteuertem Einkommen bezahlt werden. In Verlustjahren muß sie sogar aus der Substanz bezahlt werden. Dies ist eine enorme Gefährdung von bestehenden Arbeitsplätzen und eine enorme Gefährdung im Bereich der Schaffung neuer Arbeitsplätze. Vor allem behindert es Betriebe in der Existenzgründungsphase, insbesondere in den neuen Ländern.
Das Kapital geht dorthin, wo es sich rentiert. Mit dem Kapital gehen die Investitionen dorthin, wo sie sich rentieren. Mit den Investitionen gehen die Arbeitsplätze. Der globale Wettbewerb, der sich nicht nur in unserem Land, sondern weltweit abspielt, nimmt keine Rücksicht auf verteilungspolitische Ideologien, wie sie in Deutschland gelegentlich stattfinden.
In kaum einem vergleichbaren Land gibt es eine solche Steuer. Deshalb ist die Abschaffung der Vermögensteuer kein Geschenk für die Reichen, sondern sie ist ein wichtiger, ein notwendiger Impuls für Investitionen und für Arbeitsplätze.
Nun habe ich Verständnis dafür, wenn die Länder den Wegfall der Vermögensteuer beklagen, da ihnen dann das entsprechende Steueraufkommen fehlt. Deshalb haben wir im Gesetz vorgesehen, daß das verfassungskonforme Aufkommen aus der privaten Vermögensteuer in die Erbschaftsteuer integriert wird. Das ist nicht ganz einfach gewesen. Wir haben außerdem vorgesehen, daß die Grunderwerbsteuer um einen Prozentpunkt erhöht wird; dies übrigens nach Gesprächen mit der SPD.
Bei allen Fragen der Kompensation muß man sich aber auch über eines im klaren sein, meine Damen und Herren: Die Länder haben natürlich nur einen Anspruch auf verfassungsgemäße Steuern. Deshalb ist auch bei der Größenordnung der Kompensation der Verfassungsgerichtsbeschluß mit seinen einschränkenden Vorgaben zu berücksichtigen.
Nun kann bei der Frage, ob wir eine Kompensation und in welcher Größenordnung wir sie brauchen, nicht eine Rolle spielen, daß die Steuer nicht abgeschafft werden darf, da sie den Ländern zusteht. Die zentrale Frage muß vielmehr lauten: Was ist den Bürgern an Belastung zuzumuten,
und was ist aus wirtschaftspolitischen Gründen, aus
arbeitsmarktpolitischen Gründen, was ist für die Si-
Gerda Hasselfeldt
cherung und Erhaltung von Arbeitsplätzen eine sinnvolle und notwendige Entscheidung?
Genauso wichtig wie die Abschaffung der Vermögensteuer ist die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer. Auch sie ist eine Substanzsteuer in Verlustjahren, und sie könnte schon seit dem 1. Januar 1996 abgeschafft sein, wenn sich die SPD damals nicht verweigert hätte.
Die Kommunen könnten schon heute an der Umsatzsteuer beteiligt sein. Wir brauchen nun einen neuen Anlauf, nicht in diesem Jahressteuergesetz, aber in den Beratungen im Ausschuß. Konkrete Vorschläge liegen auf dem Tisch.
- Lieber Herr Poß, Sie waren gestern nicht im Ausschuß.
Sie haben zwar in der Öffentlichkeit groß getönt, daß die Vorschläge erst gestern vorgelegt wurden. Aber Sie wissen ganz genau, daß nicht nur die schriftliche Vorlage als Diskussionsgrundlage gilt, sondern daß wir im Ausschuß mehrfach über konkrete Vorschläge unsererseits diskutiert haben - nicht zuletzt auch mit den kommunalen Spitzenverbänden.
Die Kommunen wollen die Umsatzsteuerbeteiligung. Das einzige, was fehlt, ist die Zustimmung der Sozialdemokraten, die wir für die Zweidrittelmehrheit für die Grundgesetzänderung in diesem Haus brauchen.
Ich bitte Sie herzlich, meine Damen und Herren, Ihre ideologischen Scheuklappen in dieser Frage endlich abzulegen und nicht immer wieder neue Hürden aufzubauen. Die Wirtschaft, unsere Betriebe brauchen die Entscheidung zur Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer. Vor allem die Wirtschaft in den neuen Ländern braucht diese Entscheidung; denn dort müßten wir sie sonst am 1. Januar einführen.
Mit der Neuregelung der Erbschaftsteuer haben wir uns im Ausschuß sehr große Mühe gegeben. Im Gesetzentwurf ist enthalten, daß das bisherige Volumen um den verfassungskonformen Teil des Aufkommens aus der privaten Vermögensteuer, also um 1,6 Milliarden DM, erhöht wird.
Wir haben uns nach langen Diskussionen darauf verständigt, daß wir bei der Bewertung des Grundvermögens das Ertragswertverfahren verwenden. Diese Entscheidung wurde auch auf Grund der Anhörungen im Finanzausschuß getroffen. Die Sachverständigen haben uns dies mehrheitlich empfohlen. Es ist ein einfaches Verfahren, es ist sachgerecht, und es führt zu einer moderaten Belastung. Zusammen mit den Freibeträgen und den Tarifen ist das eine schonende Regelung für die Erbschaftsteuer.
Das übliche Familiengebrauchsvermögen, das übliche Einfamilienhaus, wird im Familienbereich freigestellt sein. Insbesondere für die Betriebsvermögen sowie für die landwirtschaftlichen und forstwirtschaftlichen Betriebsvermögen haben wir Sonderregelungen, so daß die Fortführung eines Betriebes im Erbfall nicht gefährdet ist. Dies ist ein ganz wesentlicher Punkt.
Die SPD-Vorschläge gehen in eine andere Richtung: eine sehr hohe Bewertungsgrundlage in der Nähe des Verkehrswertes und dazu noch niedrige Freibeträge, nämlich die, die wir auch bei dem alten Bewertungssystem hatten. Dies ist nicht nur verfassungsrechtlich äußerst bedenklich, sondern es führt zu einer immens hohen Besteuerung, die gerade bei Betriebsvermögen nicht verantwortbar ist. Das ist Gift für die Wirtschaft, Gift für den Mittelstand, Gift für die Arbeitsplätze.
Neben dem Generationenwechsel ist auch die Existenzgründung eine sehr sensible Phase, die wir unterstützen wollen. Deshalb werden wir die Ansparabschreibung verbessern, den Höchstbetrag von 300 000 auf 600 000 DM und den Förderzeitraum von drei auf sechs Jahre erhöhen.
Dies ist eine ganz wichtige Entscheidung für junge Unternehmen, für die Existenzgründer. Ihnen helfen wir damit, und ihnen müssen wir helfen. Sie gehen ein Risiko ein. Sie schaffen Arbeitsplätze nicht nur für sich, sondern auch für andere. Sie übernehmen Verantwortung für andere. Dabei muß ihnen geholfen werden.
Meine Damen und Herren, im Gesetzentwurf war auch enthalten, daß das Kindergeld und der Kinderfreibetrag nicht schon zum 1. Januar 1997, sondern ein Jahr später erhöht werden sollten. Diese Verschiebung der Erhöhung wäre aus haushaltspolitischen Gründen erforderlich gewesen. Aber es wäre andererseits leichtfertig von uns gewesen, daran einfach festzuhalten, wenn man weiß, daß diese Verschiebung ohnehin nicht realisierbar ist, weil sie im Bundesrat von vornherein blockiert wird. Das hätte dann nur dazu geführt, daß Wochen später weitere Lücken im Haushalt hätten geschlossen werden müssen. Deshalb bleibt es dabei: Das Kindergeld und der Kinderfreibetrag werden zum 1. Januar 1997 erhöht.
Der Solidaritätszuschlag wird ab dem 1. Januar 1997 nicht zurückgeführt.
Dies führt mich zu einer Grundsatzbemerkung: Wir haben in unserer Zeit auf Grund der wirtschaftlichen Entwicklung sinkende Steuereinnahmen. Wir haben wegen der wirtschaftlichen Entwicklung da-
Gerda Hasselfeldt
gegen steigende Ausgaben der öffentlichen Hände und steigende Ausgaben der Sozialversicherungen. Die wirtschaftliche Entwicklung ist so, weil sich die Rahmenbedingungen weltweit geändert haben. Es ist unsere Aufgabe, die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft so zu gestalten, daß unsere Wirtschaft wieder wettbewerbsfähig ist.
Die ersten Entscheidungen dazu haben wir am 13. September 1996 getroffen. Weitere Entscheidungen wurden in diesem Haus von der Regierung und von der Koalitionsmehrheit getroffen. Diese notwendigen Entscheidungen und diese notwendigen Sparmaßnahmen werden aber im Bundesrat von der SPD blockiert.
Mit dem vorliegenden Jahressteuergesetz werden zusätzliche Entscheidungen getroffen, um die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft zu verbessern. Diese betreffen die Vermögensteuer, Erbschaftsteuer und die Existenzgründungsverbesserungen. Hoffentlich werden die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer und die Einkommensteuerreform folgen. Bei all diesen Entscheidungen will ich Ihnen eines mit auf den Weg geben: Hier geht es nicht um verteilungspolitische Zusammenhänge.
Hier geht es darum, die Rahmenbedingungen für unsere Betriebe, für diejenigen, die Arbeitsplätze schaffen, so zu gestalten, daß die Betriebe wettbewerbsfähig sind und den Kriterien Wachstum und Beschäftigung genügen. Um nichts anderes geht es. Deshalb bitte ich Sie um Zustimmung zu diesem Gesetz.
Als nächste spricht die Kollegin Dr. Barbara Hendricks.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit zwei Jahren gehöre ich diesem Haus an. Ich habe das Staunen noch nicht verlernt.
Dabei muß ich allerdings sagen: Aus meinen früheren beruflichen Zusammenhängen weiß ich sehr wohl, wie ordentliche Gesetzgebungsverfahren zu laufen haben. Was das heute hier abzuschließende Verfahren anbelangt, so ist mein Staunen in Erschrecken umgeschlagen. Ich dachte, das Chaos des Jahressteuergesetzes 1996 sei nicht mehr steigerungsfähig. Das Chaos war steigerungsfähig.
Angekündigt war der Gesetzentwurf durch den Bundesfinanzminister für Februar. Der Gesetzentwurf kam im Juni. Zuerst wollte sich die Bundesregierung über die Landtagswahlen im März hinwegmogeln. Dann erklärte der Bundesfinanzminister, er müsse die Steuerschätzung im Mai abwarten. Anschließend erklärte er, er habe sowieso schon gewußt, was dabei herumkomme.
Die Beamten im Bundesfinanzministerium trifft im übrigen keine Schuld. Sie hatten den Entwurf im Januar fertiggestellt. Aber aus rein machtpolitischen Gründen hat die Koalition dieses Parlament in seiner Gesamtheit daran gehindert, ordentliche Arbeit zu leisten.
Endlich konnte Mitte Juni die erste Lesung im Bundestag stattfinden und Ende Juni eine zweitägige Sachverständigenanhörung. Nach der parlamentarischen Sommerpause mußten wir innerhalb von vier Wochen, nämlich vom 18. September bis zum 18. Oktober 1996, im Finanzausschuß das umfangreiche Verfahren durchziehen. Dazu waren sieben Sondersitzungen nötig, die uns im übrigen - das sage ich einmal für das Verständnis der Bürgerinnen und Bürger - daran gehindert haben, gleichzeitig hier im Plenum zu sein.
Dabei hatten wir nahezu 100 sogenannte Umdrucke, also Tischvorlagen, die während der Sitzungen hereingereicht wurden, zu bewältigen. Es muß in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen werden: Wir haben einen Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen beraten. Mit diesen rund 100 Tischvorlagen hat die Koalition ihren eigenen Entwurf geändert. Dazu gehört auch die völlige Umstellung des Bewertungsverfahrens vom Sachwertverfahren auf das Ertragswertverfahren.
Als ich im August in einem Gespräch mit Beamtinnen und Beamten meines heimatlichen Finanzamtes in Kleve meine Erfahrungen aus dem Gesetzgebungsverfahren des vergangenen Jahres schilderte, haben mich diese verständnislos gefragt: Warum lassen Sie sich das gefallen? Die Antwort lautet: Wenn die Mehrheit dieses Hauses leichtfertig die Rechte des Parlaments aufs Spiel setzt, haben wir als Abgeordnete der Opposition keine Möglichkeit, dagegenzuhalten.
Daß damit ordentliche Gesetzgebungsverfahren nicht mehr möglich sind und daß damit das Ansehen des Parlaments insgesamt schweren Schaden leidet, hat allein die konservative Mehrheit zu verantworten.
In diesem Zusammenhang ganz kurz etwas zum Verfahren bei der Gewerbekapitalsteuer. Sie haben es angesprochen, Frau Hasselfeldt. Das ist ja noch nicht Gegenstand dieses Gesetzgebungsverfahrens. Wir haben das als sogenannte Restante aus dem vorigen Jahr. Das Ganze hätte genausogut in der ersten
Dr. Barbara Hendricks
Jahreshälfte wieder vorgelegt werden können. Das ist nicht geschehen.
Sie legten es gestern zum erstenmal im Finanzausschuß vor und erwarten nun von uns, daß wir inklusive Vermittlungsverfahren bis zum Jahresende dem zustimmen, was Sie uns genau so im vorigen Jahr vorgelegt haben, woran in der Zwischenzeit keinerlei Veränderungen vorgenommen worden sind und wozu noch immer kein Einvernehmen mit den betroffenen Kommunen und Ländern herbeigeführt worden ist. Was für ein Verfahren soll das sein?
Lassen Sie mich nun zu den Inhalten des Gesetzentwurfes kommen. Zwei Themen stehen im Zentrum: Kindergeld und Grundfreibetrag auf der einen Seite, Vermögensteuer auf der anderen Seite. Sie wollten das Kindergeld und den Grundfreibetrag 1997 nicht erhöhen, obwohl wir dies erst im letzten Jahr beschlossen haben. Mit dem gesparten Geld wollten Sie einen Teil der Haushaltslöcher stopfen, die Sie im Umfang von 9 Milliarden DM mit der Abschaffung der Vermögensteuer reißen. Familien mit Kindern und Bezieher kleiner Einkommen sollten ein Steuergeschenk für Vermögensbesitzer finanzieren. Das, meine Damen und Herren von der Koalition, sind Ihre politischen Vorstellungen.
Es waren im letzten Jahr - zugegeben - schwierige Verhandlungen bei der Entscheidung über das Jahressteuergesetz 1996. Am Ende aber stand eine Einigung. Sie von der Koalition haben zu dieser Einigung nur so lange gestanden, bis die Landtagswahlen in diesem Frühjahr vorbei waren. Sie haben die Wähler im Frühjahr in dem Glauben gelassen, Sie würden beschlossene Gesetze einhalten. Eigentlich muß davon jeder ausgehen können. Wer mit beschlossenen Gesetzen in dieser Weise umgeht, wie Sie das tun oder tun wollten, begeht Vertrauensbruch.
Jetzt haben Sie Ihr Wahlversprechen auch beim Solidaritätszuschlag gebrochen. Über die Reaktionen in der Öffentlichkeit brauchen Sie sich nicht zu wundern. Sie haben das einfach verdient.
Wir von der SPD haben durchgesetzt, daß das Kindergeld zum 1. Januar 1997 für das erste und zweite Kind jeweils um 20 DM im Monat erhöht wird. Dies ist ein Erfolg der SPD. Unsere Politik ist verläßlich.
Nun behaupten Sie, zwischenzeitlich hätten sich die Rahmenbedingungen geändert und deshalb verursache die Kindergelderhöhung nichttragbare Kosten. Nein, meine Damen und Herren, das stimmt einfach nicht. Nach den dramatischen Einbrüchen bei der Steuerschätzung im Mai hat der Bundesfinanzminister gesagt, das sei von der Bundesregierung seit längerem erwartet worden. Also hat Herr Waigel schon damals alles seit langem gewußt. Er kann dann doch nicht so tun, als sei die Finanzmisere im Bundeshaushalt erst nach den Wahlen bekanntgeworden.
Ein weiterer Punkt. Ich darf Sie an die Diskussion im letzten Jahr erinnern. Sie wollten die Steuerausfälle in diesem Umfang, nicht wir. Wir haben Ihnen schon damals gesagt, daß diese Ausfälle nicht verkraftbar sind. Sie aber haben mit diesen Steuerausfällen sogar noch geprotzt. Jetzt werden Sie von Ihren Taten aus dem letzten Jahr eingeholt. Sie sind ganz allein verantwortlich für das Chaos, das Sie angerichtet haben.
Die SPD hatte im Bundesrat eine Liste vorgelegt mit Vorschlägen für den Abbau steuerlicher Vergünstigungen und Sonderregelungen in Höhe von etwa 14 Milliarden DM. Was haben Sie gemacht? Sie haben sich verweigert.
Nur 4 Milliarden DM konnten wir gemeinschaftlich umsetzen. Insbesondere die F.D.P. hat doch total blockiert. Die F.D.P. ist die Partei in diesem Land, die den Abbau steuerlicher Vergünstigungen und Sonderregelungen konsequent blockiert, und zwar immer dann, wenn die eigene Klientel betroffen ist.
Für die große Steuerreform wünsche ich Ihnen, Herr Schäuble, viel Vergnügen.
Meine Damen und Herren, Sie wollten damals keine weiteren Vergünstigungen abbauen. Wir waren dazu bereit. Wir können sofort über die Liste von damals verhandeln. Nur damit eines klar ist: Sie haben sich im letzten Jahr verweigert; jetzt spüren Sie die Konsequenzen Ihrer Blockade. Hätten Sie im letzten Jahr auf uns gehört und unser Angebot angenommen, wäre 1997 ein Teil Ihrer Haushaltsprobleme nicht vorhanden. Es ist aber perfide, Ihre Blokkadehaltung aus dem letzten Jahr nun auf dem Rükken der Familien und der Bezieher kleiner Einkommen austragen zu wollen.
Die Kindergelderhöhung kostet den Bund nach Ihren eigenen Angaben - das ist auch richtig so -1,7 Milliarden DM. Um es ein für allemal klarzustel-
Dr. Barbara Hendricks
len: Die Kindergelderhöhung hat mit den zusätzlichen Milliardenlöchern im Haushalt 1997 nichts zu tun.
Hören Sie endlich auf, das Chaos Ihrer Finanzpolitik den Familien mit Kindern in die Schuhe schieben zu wollen.
Dann wollen Sie die Vermögensteuer vollständig abschaffen. Vermögensmillionäre sollen also ein Geschenk von 9 Milliarden DM erhalten. Das ist nicht nur ungerecht. Es ist für die Länder auch nicht verkraftbar, und es ist mit Blick auf die Maastrichter Finanzkriterien unverantwortlich. 1997 wird das dritte Jahr in Folge sein, in dem Deutschland diese Kriterien nicht erfüllt. Das ist das Ergebnis der Politik dieses Finanzministers und dieses Bundeskanzlers. Es ist eine nationale Blamage für unser Land. Der Bundeskanzler sollte nach unserer Verfassung die Richtlinien der Politik bestimmen. Er hat diese nationale Blamage zu verantworten.
Die Finanzpolitik der Regierung hat in eine Sackgasse geführt, in eine massive Krise, die durch Ihre ständigen Ankündigungen neuer Steuersenkungen auf Pump noch dramatisch verschlimmert wird. Die von Ihnen betriebene Abschaffung der Vermögensteuer reißt ein Loch in die Kassen der Länder von 9 Milliarden DM, naturgemäß mit steigender Tendenz.
Ihre Begründungen für die Abschaffung der Vermögensteuer sind schlicht haltlos.
Erstens. Es gibt keine verfassungsrechtliche Notwendigkeit für eine Abschaffung der Vermögensteuer. Die Bundesregierung hat dies in einer schriftlichen Stellungnahme an den Finanzausschuß des Deutschen Bundestages bestätigt, und das kam heute auch von Frau Hasselfeldt.
- Frau Kollegin Frick, Ihr Fraktionskollege und unser gemeinsamer Ausschußvorsitzender behauptet das noch immer ständig. Aber wenn Sie mittlerweile gelernt haben, daß das wirklich nur daran liegt, daß es Ihr politischer Wille ist, die Vermögensteuer abzuschaffen, dann stellen wir das gemeinsam so vor diesem Hause fest.
Damit haben wir dieses Thema erledigt, und das sollte auch für den Ausschußvorsitzenden gelten.
Zweitens. Im Vergleich zu den anderen Industriestaaten - da haben Sie, Frau Hasselfeldt, eben wirklich etwas vollständig Unwahres gesagt -, den sogenannten G-7-Staaten, wird das Vermögen in Deutschland am niedrigsten besteuert. In anderen G7-Staaten ist die steuerliche Belastung des Vermögens mindestens doppelt so hoch; in den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Kanada ist sie dreimal oder sogar viermal so hoch. Es gibt also keine Sonderbelastung in Deutschland.
Wir haben den Bundesfinanzminister im Finanzausschuß aufgefordert, uns einmal darzulegen, wie denn das Vermögen in den anderen G-7-Staaten im einzelnen besteuert wird. Wir haben bis heute keine Antwort bekommen. Angeblich sind im Finanzministerium keine Informationen vorhanden. Das stimmt natürlich nicht. Sie haben die Informationen; aber Sie wollen damit nicht herausrücken, weil die Fakten nicht in Ihr ideologisches Weltbild passen.
Im übrigen haben wir erklärt, daß wir beim betrieblichen Teil der Vermögensteuer gesprächsbereit sind. Damit wäre also auch dieses Thema erledigt.
Drittens. Sie behaupten immer wieder, ein Großteil des Aufkommens der Vermögensteuer werde durch Kosten in der Finanzverwaltung wieder geschluckt. Herr Geißler hat sogar von 1,5 Milliarden DM Kosten gesprochen. Das ist einfach falsch. Auch hier hat das Bundesfinanzministerium in einer schriftlichen Stellungnahme an den Finanzausschuß dargelegt, daß die Kosten im öffentlichen Bereich 300 Millionen DM ausmachen, nachzulesen übrigens in der Ausschußdrucksache Nr. 208.
Ich kann zwar verstehen, daß Sie den Zahlen Ihres Finanzministers nicht trauen, aber wo er recht hat, hat er recht. Damit wäre auch dieses Thema erledigt.
Das heißt zusammengefaßt: Ihre Behauptungen und Begründungen für eine Abschaffung der Vermögensteuer sind nur vorgeschoben. Es ist der politische Wille der konservativen Koalition, Vermögensmillionären Steuergeschenke zu machen.
Ich sage noch einmal: Über den betrieblichen Teil der Vermögensteuer können wir reden. Also, wo ist das Problem? Es ist Ihre verbohrte Klientelpolitik, die Sie daran hindert, von Ihrer starren Haltung abzugehen und eine vernünftige Lösung zu finden.
Nun wollen Sie einen Teil der Haushaltslöcher in den Ländern, die Sie durch den Wegfall der Vermögensteuer reißen, wieder ausgleichen. Sie haben
Dr. Barbara Hendricks
dazu vorgeschlagen, die Erbschaftsteuer und die Grunderwerbsteuer zu erhöhen. Das von Ihnen geschätzte Mehraufkommen bei der Erbschaftsteuer von etwa 1,6 Milliarden DM wird von den Ländern bezweifelt. Berechnungen der Länder gehen davon aus, daß das Mehraufkommen höchstens 500 Millionen DM beträgt. Es gibt einfach keine vernünftige Datenbasis für das von Ihnen kurzfristig vorgeschlagene Ertragswertverfahren bei der Erbschaftsteuer.
Wir haben Sie vor diesem Verfahren gewarnt. Die Finanzverwaltungen erwarten eine hohe Streitanfälligkeit. Auch auf dem Steuerberatertag in dieser Woche sind Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, mit Ihrem Verfahren in schwere Kritik geraten. Der Präsident des Steuerberaterverbandes vermutet, Sie hätten sich von der Wohnungsbauwirtschaft über den Tisch ziehen lassen. Das glaube ich nicht. Ich glaube, Sie machen das sehenden Auges.
Ihnen geht es eben nicht um den millionenfach vorkommenden Erbschaftsfall, in dem Kinder ein Einfamilienhaus erben. Ihnen geht es um die großen Immobilienvermögen.
Zur Ehrenrettung des Bundesfinanzministeriums sei gesagt, daß es einschließlich des Parlamentarischen Staatssekretärs Hauser hinhaltenden Widerstand gegen die Eiferer aus Ihren Reihen geleistet hat - leider vergeblich. Hoffen wir, daß sich im weiteren Verfahren der Sachverstand wieder durchsetzt.
Dann haben Sie vorgeschlagen, die Grunderwerbsteuer um 50 Prozent zu erhöhen. Der Steuersatz soll von 2 auf 3 Prozent angehoben werden - Mehraufkommen 3,4 Milliarden DM. Im übrigen werden dadurch die Ausfälle für die Länder natürlich auch nicht gedeckt.
Meine Damen und Herren, zur Erhöhung der Grunderwerbsteuer zwei Anmerkungen. Hier belasten Sie einen Personenkreis zusätzlich, der vom Wegfall der Vermögensteuer überhaupt nicht profitiert; denn der normale Wohneigentumserwerber, der sein Eigentum über Kredite finanziert, zahlt überhaupt keine Vermögensteuer.
Wir haben in unserem Gesetzentwurf für eine Familie mit zwei Kindern einen Freibetrag in Höhe von 1 Million DM Nettovermögen vorgesehen. Das heißt, nach Abzug aller Schulden soll eine Summe von 1 Million DM vermögensteuerfrei bleiben.
Deswegen profitieren vom Wegfall der Vermögensteuer eben auch nur richtige, echte Vermögensmillionäre und nicht die Menschen, die denken, sie würden schon dazugehören. Die Erhöhung der Grunderwerbsteuer macht dagegen im Einzelfall sehr schnell ein paar tausend Mark aus.
Deshalb ist es gerechter und entspricht auch dem Prinzip der Leistungsfähigkeit, Privatvermögen, das über die hohen Freibeträge hinausgeht, geringfügig
zu besteuern. Wir haben einen Steuersatz von 0,5 Prozent vorgeschlagen. Sie wollen die Häuslebauer die Steuergeschenke für die wirklich Wohlhabenden finanzieren lassen.
Wird die Vermögensteuer beibehalten und verfassungskonform ausgestaltet, kann auf die Erhöhung der Grunderwerbsteuer verzichtet werden. Das ist und bleibt der politische Wille der SPD.
Die Erhöhung der Grunderwerbsteuer, meine Damen und Herren von der Koalition, ist Ihre Steuererhöhung. Die F.D.P. hat doch ausdrücklich erklärt, daß für sie eine weitere Steuererhöhung nicht mehr in Frage kommt. Steht die F.D.P. nun zu dieser Erklärung, fällt sie wieder um oder wie oder was? Die F.D.P. hat ihr Wahlversprechen ja wieder gebrochen - und das, obwohl ein prominentes F.D.P.-Mitglied sogar seinen Schnauzbart darauf verwettet hat. Eigentlich wollte ich Herrn Solms fragen, wie er ohne Bart aussieht. Aber leider ist er nicht da.
- Ab und an müssen Sie sich einmal gegenseitig über den Löffel balbieren, das ist notwendig. Da haben Sie schon recht.
Wie ist das nun mit der Grunderwerbsteuer? Erklärt Herr Westerwelle uns, das sei keine Erhöhung, da ja ein anderer Personenkreis - nämlich Vermögensmillionäre - entlastet werde? Fragen Sie einmal die Betroffenen, was sie davon halten, wenn im Saldo die Steuern gesenkt werden und sie persönlich höhere Steuern zu zahlen haben.
Meine Damen und Herren von der Koalition, bei der Steuerfreistellung des Existenzminimums für Familien mit Kindern und für Bezieher kleiner Einkommen versuchen Sie mit aller Macht, an der Untergrenze dessen zu bleiben, was verfassungsrechtlich geboten ist. Wir mußten Ihnen das beim Jahressteuergesetz 1996 förmlich abringen. Wir lehnen die Verschiebung der Erhöhung des Grundfreibetrags ab. Sie versuchen jetzt, sich an den verfassungsrechtlichen Vorgaben irgendwie vorbeizumogeln.
Ganz anders bei der Vermögensteuer. Hier strapazieren Sie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts in schamloser Weise. Sie instrumentalisieren dieses Urteil, nur um 9 Milliarden DM an Vermögensmillionäre zu verschenken und Ihre rein politischen Absichten zu verbergen.
Herr Thiele von der F.D.P. hat uns Sozialdemokraten sogar vorgeworfen, wir begingen Verfassungsbruch, weil wir einen Gesetzentwurf zur verfassungskonformen Neuregelung der Vermögensteuer vorge-
Dr. Barbara Hendricks
legt haben. Das ist geradezu grotesk und an Absurdität nicht mehr zu überbieten.
Sie werfen das Geld der Länder zum Fenster hinaus. Sie muten den Ländern zu, ihre Verschuldung zu erhöhen, und das alles nur, damit Sie von der Koalition diese Steuergeschenke verteilen können. Dies, meine Damen und Herren, ist und bleibt ein Skandal, ein steuerpolitischer, ein rechtspolitischer, ein verteilungspolitischer, ein sozialpolitischer Skandal. Wir können aus diesem Grunde diesem Gesetz niemals zustimmen.
Ich danke Ihnen.
Als nächste spricht die Kollegin Christine Scheel.
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Das Ergebnis des Jahressteuergesetzes 1997 hat ebenso wie das Ergebnis des Jahressteuergesetzes 1996 gezeigt, daß die Bundesregierung nicht in der Lage ist, ihre Versprechungen und Ankündigungen, die sie zu Beginn der Beratungen der Öffentlichkeit gegenüber gemacht hat, einzuhalten. Im Laufe des Verfahrens wurden immer wieder die Argumente gebracht, die Opposition sei schuld, die Ausgaben seien in irgendwelchen Bereichen unvorhersehbar gestiegen, der Sozialstaat sei überreizt. Das heißt, immer wieder werden Punkte gesucht, um letztendlich von der eigenen Unfähigkeit, von dem unfähigen Management innerhalb der Koalition, abzulenken.
Die Vorschläge, die wir im Zusammenhang mit dem Jahressteuergesetz 1997 in Form von Gesetzentwürfen und Anträgen eingebracht haben, hatten darauf gezielt, daß das Steuersystem schon für 1997 zukunftsfähig reformiert werden kann. Wir wollten ein Jahressteuergesetz, das den Wohlstand und die Steuerbelastungen in Deutschland gerechter verteilt und - das ist auch für die Grünen ein ganz wesentlicher Aspekt - der Wirtschaft verläßliche Rahmenbedingungen für den nationalen und auch den internationalen Wettbewerb anbietet.
Das Gesamtsteueraufkommen muß - das ist die Grundlage - eine ausreichende Ausstattung der öffentlichen Haushalte zur Bewältigung der sozialen, ökologischen und auch ökonomischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gewährleisten. Das haben Sie mit diesem Gesetz auf keinen Fall erreicht.
Das Problem ist, daß es wieder nicht zu einer Entlastung der ehrlichen Steuerzahler kommt. Vorrang bei den gesamten Beratungen zu diesem Gesetz hatte vielmehr die Steuerentlastung für Hochverdienende, Besserverdienende und für diejenigen, die Subventionen in Anspruch nehmen können.
Wir haben massiv dafür gekämpft und tun es noch immer, daß die Vermögensteuer - das ist ein ganz wesentliches Element dieses sogenannten Reformwerks - erhalten bleibt und verfassungskonform reformiert wird. Es ist für uns nicht mehr hinzunehmen, daß Otto-Normalverbraucher jede Steuererhöhung, jeden Gedanken, der über Nacht in Ihren Köpfen erscheint und am nächsten Tag teilweise chaotisch umgesetzt wird, schlucken muß, während 5 Prozent der Bevölkerung über 31 Prozent des gesamten Geldvermögens in der Bundesrepublik verfügen und in Zukunft auch noch eine Freistellung von der Besteuerung ihres Vermögens erfahren.
Wir haben Vorschläge zu einer verfassungsgemäßen Vermögensteuer und Erbschaftsteuer vorgelegt. Wir haben - auch dies muß man in diesem Zusammenhang sehen - dem Wunsch der Kommunen nach einer umgehenden Gemeindefinanzreform und einer finanziellen Stabilisierung der Kommunen entsprochen. Dazu gibt es konkrete Vorschläge. Sie haben das gesamte Verfahren jedoch gerade im letzten Jahr auf Grund fehlender Beratungen, auf Grund fehlender Einsicht in die Problemlage der Kommunen regelrecht ausgesessen, kommen jetzt mit einem Vorschlag und erwarten von uns, in einer laufenden Sitzung in einer Tischvorlage zu entscheiden, ob die Berechnungsgrundlagen in der ersten Lesung - -
- Das ist richtig, Herr Thiele. Wir haben es anberaten, konnten aber in der Kürze der Zeit nicht entscheiden, ob die Berechnungsgrundlagen in der Form, wie Sie sie vorgelegt haben, in Ordnung sind.
Deswegen kommen wir in einen wahnsinnigen Zeitdruck, wenn dieses Gesetz noch dieses Jahr verabschiedet werden soll. Das ist nicht die Schuld der Opposition, sondern liegt an der fehlenden Vorarbeit der Bundesregierung.
Wenn Frau Hasselfeldt fragt, was denn den Bürgerinnen und Bürgern an Belastung zugemutet werden kann, muß man sagen: Ihren Anspruch, in diesem Land für Gerechtigkeit zu sorgen, haben Sie bei weitern nicht erfüllt.
Sie haben nach langem Druck der Opposition Ihr ursprüngliches Vorhaben, das Kindergeld nicht zu erhöhen, aufgegeben. Aber Sie haben in dem gleichen Bereich den Beschluß, den wir im letzten Jahr in diesem Haus gemeinsam gefaßt haben, nämlich den Grundfreibetrag zu erhöhen - das hätte vor allem für die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen, für die Familien eine weitere Entlastung bedeutet -, einfach weggewischt und tun so, als sei für die
Christine Scheel
Entlastung von Familien kein Geld in der Kasse. Aber die Vermögensteuer wird abgeschafft.
Das heißt: Es gibt faktisch eine Mehrbelastung, speziell für Familien und für Alleinerziehende, für Steuerzahlerinnen insgesamt, und zwar auf Grund der Nichtumsetzung eines einmal gefaßten Beschlusses, der ein Volumen von 1,65 Milliarden DM umfaßt hätte. Das muß man in diesem Zusammenhang einfach ebenfalls sehen.
Hinzu kommt folgendes - das ist eigentlich fast noch schlimmer -: Wenn man einmal versucht, die Argumentation nachzuvollziehen, warum Sie denn eigentlich die Vermögensteuer fallengelassen haben, dann wird klar, daß im Prinzip nur das Argument übriggeblieben ist: Das ist aus politischen Gründen und aus denen des Klientelschutzes geschehen.
Wider besseres Wissen verzichten Sie auf die Ausschöpfung der steuerlichen Leistungsfähigkeit der Besitzer hoher Vermögen, wie es angesichts der anhaltenden Finanzkrise der öffentlichen Haushalte und zur Aufrechterhaltung sozialstaatlicher Errungenschaften notwendig wäre. Das ist das Faktum in diesem Zusammenhang.
Wir würden mit unserem Vorschlag zur Reform der Vermögen- und Erbschaftsteuer den öffentlichen Kassen 11 Milliarden DM im Jahr mehr zufließen lassen, und zwar sozial verträglich.
Permanent ist diese Koalition in Geldnot und verzichtet hier „rapp-zapp" auf Einnahmen, obwohl - das ist die Ironie des Schicksals in dieser Frage - das Steueraufkommen insgesamt sinkt und nur die Vermögensteuer - als einzige Steuer im Moment - einen Zuwachs von 14,1 Prozent in diesem Jahr verbuchen konnte. Und ausgerechnet diese Steuer, deren Aufkommen wächst, lassen Sie wegfallen.
Das heißt in der Konsequenz - was die Vermögensteuer betrifft -, daß 22,5 Billionen DM Gesamtvermögen, das es mittlerweile in dieser Bundesrepublik auf Grund der wirtschaftlichen Entwicklung in den letzten Jahren gibt, unangetastet bleibt und daß vor allem für diejenigen, die verdammt viel Geld angehäuft haben, auch noch eine Freistellung erfolgt. Dies ist nicht nur ein finanzpolitischer Skandal, das ist auch ein sozialer Skandal.
Ihren Anspruch, mit dem Jahressteuergesetz 1997 zu Transparenz und Vereinfachung beizutragen, haben Sie auch nicht erfüllt. Das Jahressteuergesetz 1997 kann weder als eine Reform bezeichnet werden, noch ist es modern. Alles, was Sie geschafft haben, ist ein weiteres, rückwärts orientiertes Herumstückeln, und zwar auch deswegen, weil Ihr Anspruch, Ehrlichkeit in die Steuerpolitik einzubringen, hier nicht erfüllt worden ist.
Sie haben sich im Gegenteil - die Ergebnisse der aktuellen Steuerschätzung kommen ja jetzt auch noch; daraus ergibt sich ja ein weiteres Problem, das zu sehen ist - im Zusammenhang mit dem Solidarzuschlag ein politisches Harakiri geleistet. Dieser Solidarbeitrag ist keine seriöse finanzpolitische Größe mehr - das war er eigentlich einmal -, vielmehr ist er von seiten der F.D.P. regelrecht zu einem Erpressungsfaktor degradiert worden, mit dem man testen kann: Hält diese Koalition, oder hält sie nicht? Das ist eine Zumutung für die gesamte Gesellschaft.
Zum Thema Ehrlichkeit gehört aber auch, daß die F.D.P. versprochen hat, es werde keine Steuererhöhung geben. Doch Fakt ist - meine Vorrednerin, Frau Hendricks von der SPD, hat es angesprochen -, daß die Steuerzahler und Steuerzahlerinnen über das Jahressteuergesetz 1997 mit 3,4 Milliarden DM neu belastet werden. Die Entscheidung, die Grunderwerbsteuer um 50 Prozent zu erhöhen, widerspricht nicht nur sozialen Überlegungen, die Sie im Prinzip angestellt haben, sondern sie widerspricht verrückterweise auch noch Ihrer eigenen Gesetzgebung von 1995, nämlich dem Eigenheimzulagengesetz. Sie haben damals mit der Wohneigentumsförderung eine Verbesserung für Leute, die Wohneigentum erwerben wollen, schaffen wollen, und Sie machen jetzt durch die Erhöhung der Grunderwerbsteuer genau das Gegenteil dessen, was Sie 1995 als beabsichtigten Effekt dieses Eigenheimzulagengesetzes formuliert haben.
Das ist verlogen. Das irritiert die Bevölkerung.
Diese Nacht-und-Nebel-Aktion, die Erhöhung dieser Steuer, ist eine Mehrbelastung für Eigenheimschaffende, die wir nicht akzeptieren können. Deswegen werden wir diese Erhöhung selbstverständlich ablehnen.
Zum Thema Ehrlichkeit gehört auch folgendes. Sie hatten zu Beginn der Beratungen - das muß man sich mal in Erinnerung rufen; in dieser chaotischen steuerpolitischen Debatte geht immer alles so schnell - Steuererleichterungen von 6,4 Milliarden DM für 1997 versprochen; ich habe das genau nachgelesen. Übriggeblieben sind für den ersten Erhebungszeitraum, das heißt also für das erste Quartal 1997, knapp 2 Milliarden DM, die letztendlich nicht vom Bund finanziert werden, sondern die Sie den Ländern aufgedrückt haben, ohne daß es hierbei zu einer ausreichenden Gegenfinanzierung gekommen ist.
Christine Scheel
Für das gesamte Jahr 1997 bedeutet das: Sie haben insgesamt 6,4 Milliarden DM an Entlastungen versprochen; übriggeblieben sind etwa 400 Millionen DM. Dies kann man auch - ich sage das ganz hart und bewußt an dieser Stelle - als Wähler- und Wählerinnenbetrug bezeichnen.
Auch der Anspruch des Subventionsabbaus ist unter dem Strich nicht erfüllt. Wir reden seit Wochen darüber, daß Subventionen abgebaut werden sollen, und zwar nicht nur im Hinblick auf die große Einkommensteuerreform für 1998 - neuerdings soll sie erst 1999 kommen; da ist die F.D.P. mittlerweile auch wieder eingeknickt. Auch zum jetzigen Zeitpunkt in der aktuellen Gesetzgebung müssen wir dafür sorgen, daß es nicht zu weiteren Subventionen kommt.
Sie haben sich im letzten Jahr gebrüstet, Subventionen abgebaut zu haben, um das Kindergeld gegenzufinanzieren. Das haben wir unterstützt, das fanden wir ganz toll. Was ist in diesem Jahr passiert? Diese Subventionen, zum Beispiel die private Nutzung dienstlicher Fahrzeuge, wurden wieder fast auf den alten Stand versetzt, womit eine Subvention, deren Abbau beschlossen war, als neue Subvention ausgebaut wurde.
Des weiteren bezeichnen wir es ganz klassisch als Subvention, wenn für Hausmädchen oder Dienstmädchen oder vielleicht auch wenige Hausmänner und Dienstmänner - das weiß ich nicht; so viele gibt es wahrscheinlich nicht - eine neue Subvention in Höhe von 320 Millionen DM beschlossen wird. Das paßt nicht in das gesamte System. Wenn man Subventionsabbau will, muß man ihn auch in der praktischen Politik ernsthaft durchführen.
Was heißt das in der Konsequenz? Erstens. Die Politik der Bundesregierung ist nach unserer Auffassung standortgefährdend, weil sie unberechenbar ist. Sie ist ungerecht. Sie verstärkt die soziale Schieflage. Sie beinhaltet so viele ungedeckte Schecks. Sie sagen: keine weiteren Schulden machen; keine Steuererhöhungen - angeblich -; Einhaltung der Maastricht-Kriterien. Aber es gibt - das ist das Faktum - bis heute leider kein in sich geschlossenes Haushalts- und Finanzkonzept dieser Bundesregierung.
Zweitens. Diese Politik der Bundesregierung, speziell die Haushalts- und Finanzpolitik, führt - das muß man leider feststellen - zu mehr Staatsverdrossenheit. Dies ist besonders fatal. Diese Politik ist so beliebig geworden, sie ist so konfus geworden, sie ist auf Grund von nicht eingehaltenen Versprechen mittlerweile so unglaubwürdig geworden, daß kein Mensch Ihnen mehr abnimmt, was Sie im Hinblick auf die große Steuerreform sagen: daß Sie ernsthaft Subventionen abbauen wollen und daß Sie auch noch - das ist der Gipfel an der ganzen Geschichte - eine Nettoentlastung für die Bürger und Bürgerinnen versprechen, und zwar eine Nettoentlastung vor der
Wahl 1998, ohne zu sagen, daß die Gegenfinanzierung unmittelbar nach der Wahl erfolgt, zum Beispiel über die Mehrwertsteuererhöhung oder auch über eine Mineralölsteuererhöhung, mit der diese sogenannte Nettoentlastung mehr oder weniger abgefedert werden muß. Bluten werden wieder die Bezieher von kleinen und mittleren Einkommen und vor allem auch der Mittelstand, den Sie vorgeben schützen zu wollen.
Frau Scheel, kommen Sie zum Schluß; Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Frau Präsidentin, ein letzter Satz: Wir hoffen wirklich, daß die Wähler und Wählerinnen 1998 diesen Chaosverein namens Koalition endlich ablösen, damit wir - zusammen mit der SPD, so hoffe ich -
eine solide Finanzpolitik in diesem Land betreiben können,
die für die Bevölkerung nachvollziehbar, offen und klar ist und dem Gedanken der Umverteilung und der Gerechtigkeit, den Sie anscheinend mittlerweile vollkommen vergessen haben, Rechnung trägt.
Das Wort hat jetzt der Kollege Carl-Ludwig Thiele.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Scheel, in den letzten Monaten hatte ich den Eindruck gewonnen, es gäbe in der Fraktion und in der Partei der Grünen eine Diskussion darüber, ob die Staatsquote erhöht oder gesenkt werden soll. Ich hatte den Eindruck gewonnen, daß insbesondere die Finanzpolitiker innerhalb der Fraktion dafür plädieren, die Staatsquote zu senken. Deshalb kann ich Ihre heutige Rede überhaupt nicht verstehen. Denn Sie haben deutlicher als bislang gesagt: Es muß viel ungenierter in die Taschen der Bürger gegriffen werden.
Meine Damen und Herren, Deutschland ist keine Insel, und die Welt wartet nicht darauf, bis wir uns verändern. Die Welt verändert sich weiter. Wir müssen alles daransetzen, daß wir diesen veränderten Anforderungen innerhalb der Welt gerecht werden.
Carl-Ludwig Thiele
Die Stärke Deutschlands bestand in der Vergangenheit immer darin, rechtzeitig Weichenstellungen für die Zukunft vorgenommen zu haben. Bei der derzeitigen Arbeitslosigkeit und der sich abzeichnenden Entwicklung in der Zukunft müssen die Weichen schnellstmöglich so gestellt werden, daß wir in Deutschland mehr Arbeitsplätze erhalten und neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Mehr Arbeitsplätze erhalten wir aber nur durch Investitionen, und mehr Investitionen schaffen wir nur, wenn Wettbewerbsnachteile in Deutschland abgebaut werden.
Den Wettbewerb um Arbeitsplätze auch und gerade in Europa mit unseren europäischen Nachbarländern können wir nicht so führen, daß wir davon ausgehen, alle Nachbarländer würden sich danach richten, zu welchen Entscheidungen wir hier in Deutschland kommen. Im Gegenteil, wir müssen ihn offensiv führen. Wir müssen - das ist alternativlos - Wettbewerbsnachteile abbauen und möglichst Wettbewerbsvorteile erzielen.
Das Erfolgsrezept dieser Koalition
in den Jahren 1982 bis 1990 bestand darin, die Staats- und Abgabenquote zu reduzieren. Nicht durch mehr, sondern durch weniger Staat wurden bei uns mehr als zweieinhalb Millionen Arbeitsplätze geschaffen. Das erfolgte nicht durch mehr, sondern durch weniger Staats- und Sozialausgaben.
Nicht der öffentliche Dienst schafft die Arbeitsplätze der Zukunft, sondern unsere Wirtschaft und hier vor allem der Mittelstand. Dieses Rezept ist nach wie vor richtig. Wir können nicht in Sonntagsreden die zu hohe Staatsquote beklagen und, wenn es konkret wird, als erstes Steuern erhöhen.
Jeder private Haushalt richtet seine Ausgaben nach den Einnahmen aus, und wenn er weniger hat, gibt er weniger aus. Er kann gar nicht anders. Nur die öffentliche Hand macht es genau andersherum: Sie richtet ihre Einnahmen nach den Ausgaben aus. Deshalb ist es zwingend erforderlich, daß die öffentliche Hand auf allen Ebenen spart.
Die Parkinsonschen Gesetze, die sich mit dem Wachstum der Verwaltung beschäftigen, sind nach meiner festen Überzeugung Naturgesetze. Die öffentliche Verwaltung ist ihrer Natur nach auf Zellteilung und Vermehrung ausgerichtet. Diesem muß Einhalt geboten werden. Da dies nicht automatisch geschieht, muß heilsamer Zwang ausgeübt werden.
Herr Thiele, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Büttner?
Gerne.
Herr Kollege Thiele, halten Sie es für einen Beitrag zur Senkung der Staatsquote, wenn diese Regierung - wie gestern geschehen - die Einführung einer zusätzlichen Krankenhaussteuer zur Finanzierung von öffentlichen Krankenhäusern fordert?
Herr Büttner, das Problem ist gestern diskutiert worden: Die Länder sind nicht bereit, in einem Bereich, für den sie verantwortlich sind, nämlich bei den Krankenhäusern, die notwendigen Investitionen vorzunehmen.
Daher sagen wir im Interesse unserer Bürger, der Kranken in unserem Lande: Es kann nicht sein, daß die Kranken unseres Landes die Leidtragenden der nicht konsolidierten Haushalte der Länder sind.
Wir sind nicht bereit, das zu akzeptieren. Wir wollen damit einen Beitrag für die Kranken und die Krankenhäuser in unserem Lande schaffen. - Soweit die Antwort.
Wir haben natürlich auch im Bereich der Steuern Strukturprobleme. In Deutschland müssen Unternehmen auf jeden einzelnen Arbeitsplatz betriebliche Vermögensteuer bezahlen, egal ob der Betrieb mit Gewinn oder Verlust arbeitet. Das heißt, auf jeden Arbeitsplatz in Deutschland wird eine Steuer darauf erhoben, daß es diesen Arbeitsplatz überhaupt gibt. Das ist absurd.
Bei der betrieblichen Vermögensteuer handelt es sich um eine reine Steuer auf Arbeitsplätze, obwohl wir alle in diesem Hause der Auffassung sind, daß die Kosten auf Arbeitsplätze gesenkt werden müssen.
Sie wird unabhängig davon erhoben, ob der Betrieb und der Arbeitsplatz Ertrag erwirtschaften oder nicht.
Versuchen Sie einmal, einem ausländischen Investor klarzumachen, warum auf jeden einzelnen Arbeitsplatz, der durch Investitionen eingerichtet worden ist, zusätzlich eine Vermögensteuer zu zahlen ist. Das versteht kein Mensch.
Die europäischen Länder haben genau aus diesem Grunde die Vermögensteuer abgeschafft, nämlich um die Substanzsteuern auf Arbeitsplätze zu beseitigen.
Sind denn die Sozialdemokraten in Österreich unsozial? Betreiben sie in Österreich eine falsche Ver-
Carl-Ludwig Thiele
teilungspolitik? In Österreich ist die Vermögensteuer unter der Führung der Sozialdemokraten abgeschafft worden. Das ist relativ leicht festzustellen, man braucht nur über die Grenze zu gehen und kann sich sogar auf deutsch oder österreichisch darüber unterhalten und zu diesen Erkenntnissen kommen.
Die beste Steuerreform - dazu steht die F.D.P. - ist die Abschaffung einer ganzen Steuer. In diesem Fall können wir gleichzeitig die Einheitsbewertung bei Immobilien abschaffen. Gut 60 Prozent des Aufkommens der Vermögensteuer erfolgen aus der betrieblichen Vermögensteuer. Bezüglich der privaten Vermögensteuer hat die Koalition beschlossen, daß das Nettoaufkommen der Vermögensteuer, also abzüglich der Verwaltungskosten, über eine erhöhte Erbschaftsteuer geholt werden soll.
Die Erbschaftsteuer ist eine Steuer auf Vermögen. Sie ist eine Steuer auf Vermögen, das im Erbfall vom Erblasser auf die Erben übergeht. Wir sagen: Genau dort gehört das hin. Auch wir haben Bedenken, die private Vermögensteuer ersatzlos abzuschaffen. Deshalb haben wir genau diesen Weg gewählt.
Die SPD sagt - auch Sie, Herr Voscherau, sagen das -: Eine Vermögensteuer muß erhalten bleiben. Ich sage Ihnen: Genau das geschieht; denn die Erbschaftsteuer stellt eine Steuer auf Vermögen dar.
Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Beschluß vom 22. Juni 1995 entschieden, daß die Bestimmungen des Vermögensteuerrechts, die einheitsbewertetes Vermögen, insbesondere das Grundvermögen, steuerlich geringer belasten als das sonstige Vermögen, mit dem Grundgesetz unvereinbar sind. Die zwei Verfassungsgerichtsbeschlüsse sind die zentralen Punkte, auf Grund derer wir zur Neuordnung der Vermögensteuer, der Erbschaftsteuer und der Bewertung in diesem Jahressteuergesetz zwingend kommen mußten.
Das Bundesverfassungsgericht hat ferner ausgeführt, daß
für eine ergänzende Besteuerung dieses mehrfach vorbelasteten Vermögens von Verfassungs wegen nur noch ein enger Spielraum bleibt. Die Vermögensteuer darf nur so bemessen werden, daß sie in ihrem Zusammenhang mit den sonstigen Steuerbelastungen die Substanz des Vermögens, den Vermögensstamm, unberührt läßt und aus den üblicherweise zu erwartenden, möglichen Erträgen ... bezahlt werden kann. Andernfalls führte eine Vermögensbesteuerung im Ergebnis zu einer schrittweisen Konfiskation, die den Steuerpflichtigen dadurch übermäßig belasten und seine Vermögensverhältnisse grundlegend beeinträchtigen würde.
Hieraus ergibt sich, daß für die Vermögensteuer nur noch ein äußerst geringer Spielraum verbleibt, weil die niedrigen Vermögen von der Vermögensteuer zu befreien sind und die hohen Vermögen
schon mit der Ertragsbesteuerung dieses Vermögens über die hälftige Teilung kommen. Das heißt, der verbleibende Spielraum würde sich, wenn die verfassungsrechtlichen Kriterien der Beibehaltung des Vermögensstamms und des Gebots, die hälftige Sollertragsteuer nicht zu überschreiten, überhaupt erfüllt werden könnten, auf den Mittelstand beziehen.
Es wurde aber auch vom Sachverständigen Professor Dr. Arndt in der öffentlichen Anhörung ausgeführt, daß für den Fall des Versuchs der Beibehaltung einer Vermögensteuer diese zusätzlich aus Gleichheitsgründen „den Keim des verfassungsrechtlich Problematischen in sich trägt".
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Conradi?
Ja.
Herr Abgeordneter Thiele, selbst wenn man die Nebenbemerkungen des Verfassungsgerichts über die Ausgestaltung der Vermögensteuer als eine Sollertragsteuer und eine maximal hälftige Belastung der Erträge ernst nähme - mit der Entscheidung hatte das sonst nichts zu tun -, läßt doch die erklärte Absicht aller Fraktionen dieses Hauses, den Spitzensteuersatz zu senken, einen breiten Spielraum für eine Vermögensteuer. Das heißt, was Sie sagen, es würden nur die mittleren Vermögen davon betroffen, ist schlicht unwahr.
Herr Conradi, wir haben derzeit nicht über Visionen zu befinden. Wir haben derzeit über eine konkrete Gesetzeslage und eine Veränderung dieser Gesetzeslage zu befinden. Wir haben heute auch einen Antrag der SPD zur Beibehaltung der Vermögensteuer zur Abstimmung stehen. Wir hatten eine Anhörung im Finanzausschuß des Deutschen Bundestages, und zu dieser Anhörung haben wir Rechtssachverständige geladen. Die haben hierzu zunächst schriftlich und danach mündlich Stellung genommen. Ich darf Ihnen einmal aus der schriftlichen Stellungnahme von Professor Dr. Arndt zitieren:
Soweit es um den A-Länder-Entwurf geht,
- das ist der SPD-Entwurf, der heute zur Abstimmung steht -
verstößt die Neuregelung der Vermögensteuer trotz der Senkung auf 0,5 Prozent gegen die bundesverfassungsgerichtlich festgelegte Obergrenze der hälftigen Teilung.
Carl-Ludwig Thiele
- Ich zitiere, Herr Poß, den Sachverständigen Professor Arndt. Sie können es in der Drucksache zur Anhörung, Seite 335, nachlesen.
Die Höhe der persönlichen Freibeträge ist außerdem nicht geeignet, die Freistellung persönlichen Gebrauchsvermögens zu gewährleisten.
Ich kann ferner aus der schriftlichen Stellungnahme des Sachverständigen Professor Dr. Schön zitieren:
In der Tat ist es nicht möglich, eine vermögensteuerliche Neuregelung zu finden, die gleichzeitig den Anforderungen des Verfassungsrechts, insbesondere der Grundrechte, genügt, von der Finanzverwaltung mit einem Aufwand bewältigt werden kann, der in einer sinnvollen Relation zum Aufkommen steht, und schließlich die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft wahrt, um Investitionen im Interesse der Schaffung von Arbeitsplätzen zu ermöglichen.
- Herr Conradi, ich bin immer noch bei der Antwort.
Das bedeutet an dieser Stelle, daß wir schon akzeptieren, daß es einen verfassungsrechtlichen Spielraum gibt. Wir können uns aber bei der Beschlußfassung nicht darüber unterhalten, ob theoretisch Dinge machbar sind. Ich habe immer gesagt, das Verfassungsgericht hat ein sehr filigranes Netz gespannt, und jeder, der den Versuch unternehmen würde, dieses Netz so zu spannen, daß es verfassungsgemäß wäre, würde Gefahr laufen, gegen eine der Voraussetzungen des Verfassungsgerichtes zu verstoßen. Daher hilft uns - immerhin ein gutes Jahr nach dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - eine theoretische Diskussion darüber gar nicht. Vielmehr müßten Sie einen verfassungsgemäßen Entwurf vorlegen.
Die Verfassungsrechtler haben festgestellt, daß der vorgelegte Entwurf der SPD verfassungswidrig ist. Deshalb können wir diesem aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht zustimmen.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Kollegin Hendricks?
Gerne.
Wenn ich Ihrer Argumentation, obwohl es natürlich eine Privatmeinung des Verfassungsrechtlers Arndt ist,
insofern folge und wenn ich feststelle, daß das Bundesverfassungsgericht in einem Obiter dictum, also nicht im eigentlichen Beschluß, sondern im darüber hinaus Mitgeteilten, davon gesprochen hat, in der Regel sei der Grundsatz der hälftigen Teilung zu befolgen, und wenn wir uns gemeinsam darüber verständigen könnten, daß „in der Regel" auch immer eine Ausnahme zuläßt, könnten wir uns auf folgen-
des verständigen: Der Bundesfinanzminister hat dem Finanzausschuß mitgeteilt, daß 0,12 Prozent aller Steuerzahler 50 Prozent ihres Einkommens an Einkommensteuer zahlen. Der Grundsatz der hälftigen Teilung wäre dann bei 0,12 Prozent aller Steuerzahler erreicht. Können wir uns darauf verständigen, daß schon mathematisch-logisch eine Ausnahme von einer Regel in der Höhe von 0,12 Prozent vorkommen darf?
Wenn ich antworten darf, Frau Dr. Hendricks: Es ist schon erstaunlich, wie von der SPD und insbesondere deren Rechtspolitikern, die ansonsten die Verfassung sehr hochhalten, in dieser Weise versucht wird, sich über das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, welches einmal dem einen und einmal dem anderen in diesem Haus nicht paßt - das will ich gar nicht verhehlen -, und über die klaren Vorgaben des Verfassungsgerichtes hinwegzusetzen.
Zum einen sagen Sie, ein Sachverständiger äußere eine Privatmeinung. Daß Sachverständige unterschiedliche Meinungen äußern können, ist bekannt, aber ich habe hier zwei namhafte Verfassungsrechtler erwähnt, die sagen, dieser Entwurf sei verfassungswidrig.
Zum anderen kann man ja nicht sagen: Den Satz im Urteil, der uns nicht gefällt, nehmen wir nicht zur Kenntnis. So kann man mit dem Verfassungsgericht nicht umgehen.
Es gibt keine verfassungspolitische Rosinenpickerei seitens der SPD, Frau Dr. Hendricks. Das ist so nicht in Ordnung.
- Ich fahre jetzt in meiner Rede fort. Ich gehe auf diesen Punkt ohnehin noch weiter ein, Frau Dr. Höll, weil ich schon davon ausgegangen bin, daß die verfassungsrechtliche - -
Herr Abgeordneter Dr. Thiele, darf ich einmal fragen, ob Sie keine weiteren Zwischenfragen zulassen wollen?
Herzlichen Dank, daß mich hier so viele promovieren. Das ist aber gar nicht zulässig.
Entschuldigen Sie. - Keine weiteren Zwischenfragen?
Im Moment nicht, denn die verfassungsrechtlichen Aspekte werden uns weiter interessieren. Ich werde in meinen Ausführungen auch noch darauf zu sprechen kommen.
Lassen Sie uns hier einfach gemeinsam zu der Erkenntnis kommen, daß wir in diesem Haus verfassungsgemäße Gesetze beschließen sollten. Dann wären wir in der Einigkeit der Demokraten gegenüber dem Bürger, gegenüber dem Verfassungsgericht um einiges weiter.
Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, daß dieses Gesetz ab dem 1. Januar 1997 nicht mehr angewandt und auf Grund dieses Gesetzes eine Vermögensteuer nicht erhoben werden darf. Ähnliche Ausführungen hat es zur Erbschaftsteuer gemacht. Gerade deshalb haben wir uns doch in diesem schwierigen Gesetzgebungsverfahren in 14 Sitzungen des Finanzausschusses mit der Materie befaßt, und deshalb haben wir doch gerade die Erbschaftsteuer und das Bewertungsrecht in diesem Gesetz neu geregelt, und deshalb können wir hier doch nicht wie die SPD sagen: Wir beschließen jetzt ein neues Gesetz, und wenn es verfassungswidrig ist, dann müssen wir darüber neu diskutieren.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, so einfach kann sich der Gesetzgeber hier nicht aus der Verantwortung stehlen.
Wir haben andere Bundesverfassungsgerichtsurteile, die auch dem einen oder anderen in unserem Hohen Haus nicht paßten oder passen. Aber wir dürfen doch nicht bei dem Versuch, ein Gesetz verfassungsgemäß zu gestalten, hier nicht von vornherein ein solches Gesetz beschließen, welches wir dann vom Bundesverfassungsgericht wieder zurückbekommen.
Dieses widerspricht rechtsstaatlichen Grundsätzen, und deshalb dürfen wir ein solches Verfahren überhaupt erst gar nicht ins Auge fassen.
- Wir stimmen doch gleich über einen SPD-Antrag ab, Herr Poß.
- Nein, das ist er eben nicht. Das habe ich hier vorgetragen,
und wenn Sie meine Ausführungen nicht zur Kenntnis nehmen, kann ich daran nichts ändern. Aber ich habe die Sachverständigen zitiert.
Das ist der Punkt, um den es geht.
Diese Debatte ist nicht die geeignete Gelegenheit für einen Dialog zwischen Ihnen beiden; Sie müßten nachher Stellung nehmen.
Im Rahmen der Gewaltenteilung hat die rechtsprechende Gewalt die Vermögensteuer überprüft und entsprechende Anweisungen an den Gesetzgeber gegeben. Ein Gesetzgeber, der eine solche Gewaltenteilung akzeptiert, muß daher auch akzeptieren, wenn ihm die andere Gewalt etwas in entsprechender zulässiger Weise vorgibt, wie das hier geschehen ist.
Lassen Sie uns deshalb hier keine verfassungsrechtliche Gratwanderung mit der Folge begehen, daß der Gesetzgeber möglicherweise abstürzt, vom Bundesverfassungsgericht zur Rechenschaft gezogen wird und die Bevölkerung weiter an Vertrauen in die Gesetzgebung verliert.
Warum haben wir denn die schriftlichen Gutachten der Sachverständigen eingeholt? Warum haben wir eine mündliche Anhörung durchgeführt, mit den Ministerien und auch mit den Verfassungsabteilungen der Ministerien diskutiert? Warum haben wir denn die Mitberatungsvoten der anderen Ausschüsse angefordert und in unseren Diskussionen im Finanzausschuß mit berücksichtigt und diese teilweise sogar mit in das Gesetz übernommen?
Das haben wir doch nicht getan, um möglicherweise ein verfassungswidriges Gesetz zu beschließen, sondern um ein Gesetz zu beschließen, welches wir nach diesen Prüfungen gemeinsam für verfassungsgemäß halten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben das Erbschaftsteuerrecht gemäß den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts komplett neu gestaltet. Bei den hierfür notwendigen Bedarfsbewertungen haben wir uns für das Ertragswertverfahren als Bewertungsmaßstab entschieden. Dies geschah vor allem deshalb, weil es für einen Erbfall, der im Schnitt alle 30 Jahre erfolgt, nicht erforderlich ist, über diese 30 Jahre eine .Einheitsbewertung durchzuführen, die weiter fortzuschreiben wäre.
Wir haben uns auch deshalb für das Ertragswertverfahren entschieden, weil dieses der Maßstab ist, nach dem im normalen wirtschaftlichen Leben heute Immobilien veräußert werden und Banken ihre Beleihungsgrenzen feststellen. Wir haben uns auch des-
Carl-Ludwig Thiele
halb dafür entschieden, um das Verfahren zu nehmen, welches im täglichen wirtschaftlichen Leben in unserem Lande angenommen wird, um zu Wertfeststellungen zu kommen.
Es richtet sich nicht nach irgendwelchen Tabellen über die ursprünglichen Kosten eines Hauses, sondern in der Regel danach, welcher nachhaltige Ertrag durch das Objekt erzielt wird.
Ferner haben wir die Freibeträge so angesetzt, daß die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes erfüllt werden und deshalb das persönliche Gebrauchsvermögen durch eine erhebliche Erhöhung der Freibeträge von der Erbschaftsteuer freigestellt wird. Außerdem haben wir den ursprünglichen Gesetzentwurf dahin gehend geändert, daß der Erbe eines Betriebes, der diesen mindestens fünf Jahre lang fortführt - unabhängig von der verwandtschaftlichen Nähe zwischen Erben und Erblasser -, nach der Erbschaftsteuerklasse I behandelt wird, also so wie Eltern und Kinder oder Ehepartner untereinander.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in den nächsten zehn Jahren werden Hunderttausende vom mittelständischen und handwerklichen Betrieben vererbt werden. Diese Betriebe sind in besonderer Weise gemeinwohlgebunden und gemeinwohlverpflichtet. Das Bundesverfassungsgericht hat hier in dankenswerter Klarheit und unter Ausgestaltung des Eigentumsbegriffes darauf hingewiesen, worauf wir auf politischer Ebene schon immer hingewiesen haben: Bei dem Erbfall eines Betriebes wird durch den Erbfall weder das Vermögen noch die Ertragskraft des Betriebes vermehrt. Um trotzdem den Betrieb in seiner Sozialgebundenheit für die Arbeitsplätze aufrechtzuerhalten, muß hier die Erbschaftsteuerklasse so bemessen werden, daß die Fortführung des Betriebes durch die Erhebung der Erbschaftsteuer nicht gefährdet wird. Diese Verpflichtung, eine verminderte finanzielle Leistungsfähigkeit erbschaftsteuerlich zu berücksichtigen, ist unabhängig von der verwandtschaftlichen Nähe zwischen Erblasser und Erben.
Bisher besteht doch in den mittelständischen Betrieben häufig die Situation, daß durch die Erbschaftsteuer in die finanzielle Substanz eines Betriebes eingegriffen werden muß. Auf Grund dessen mußten bisher die Erben Teile des Betriebes oder den gesamten Betrieb veräußern, um überhaupt die ErbschaftSteuerlast erbringen zu können. Dieses ist absurd. Wir können nicht das Steigen der Arbeitslosigkeit beklagen und auf der anderen Seite die Arbeitsplätze so verteuern, daß Arbeitsplätze abgebaut werden, Betriebsteile veräußert werden müssen und der Konzentrationsprozeß in unserem Lande weitergeht.
Große Publikumsgesellschaften haben überhaupt keine Erbschaftsteuer zu zahlen - BASF, VW und Siemens werden durch die Erbschaftsteuer überhaupt nicht tangiert, es trifft nur den Privatanleger -, so daß diesen großen Betrieben dadurch kein Kapital entzogen wird. Gänzlich anders verhält es sich aber bei
den mittelständischen Betrieben. Deshalb haben wir uns dafür eingesetzt, das Betriebsvermögen erheblich stärker zu privilegieren, als es ursprünglich im Regierungs- und Koalitionsentwurf vorgesehen war.
Wenn wir über Rezepte zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit und zum Abbau von Wettbewerbsnachteilen diskutieren, müssen wir im Steuerrecht über die Folgen von Sonder- und Zusatzbesteuerung von Arbeitsplätzen diskutieren. Deshalb halten wir an unserem Ziel der Abschaffung der gesamten Gewerbesteuer bei entsprechendem Ausgleich für die Kommunen fest. Es kann doch nicht sein, daß der Faktor Arbeit in unserem Land einer besonderen Besteuerung unterworfen ist und er dadurch in unserem Land im Vergleich mit anderen Ländern zusätzlich verteuert wird.
Angesichts der dafür notwendigen Volumina ist der F.D.P. allerdings völlig klar, daß wir jetzt nur einen ersten Schritt gehen können. Gleichwohl sind wir uns im Interesse des Erhaltes und der Schaffung von Arbeitsplätzen in Deutschland der Verantwortung bewußt, den unsinnigsten Teil der Gewerbesteuer, nämlich die Gewerbekapitalsteuer, noch in diesem Jahr abzuschaffen. Sie stellt eine reine Steuer auf Investitionen dar, wird sogar auf Schulden erhoben und müßte ab dem 1. Januar 1997 in den neuen Bundesländern erhoben werden. Das brächte - aus der Sichtweise der öffentlichen Hand - ein zusätzliches Steueraufkommen von mindestens 500 Millionen DM, ist aber mit einer zusätzlichen Belastung der Arbeitsplätze in den neuen Bundesländern von zusätzlich 500 Millionen DM verbunden - und das in dieser schwierigen Situation. Ja, wie will man das eigentlich einem Arbeitsuchenden in den neuen Bundesländern erklären, daß wir hier nicht endlich zu Potte kommen?!
Ich appelliere deshalb an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich auch an die SPD, an die Opposition, hier endlich mitzumachen. Die Grünen sind in dem Punkte - was allerdings selten ist - einen Schritt weiter. Aber ich finde, wir alle sollten uns der Gesamtverantwortung bewußt sein und nicht nur immer darüber klagen, was nicht in Ordnung ist, sondern die Weichen dafür stellen, daß wir das, was wir derzeit an Mißständen feststellen, beseitigen können.
Herzlichen Dank.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Poß.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu den Ausführungen von Herrn Thiele stelle ich folgendes fest:
Erstens. Unsere Finanzverfassung sieht eine Vermögensteuer vor. Das Finanzministerium hat noch bis zum Jahre 1995 mit uns die Auffassung vertreten,
Joachim Poß
daß das Vorhandensein von Vermögen eine besondere Leistungsfähigkeit begründet, und es geht ja um die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Das ist der Grundsatz, den wir überall durchsetzen wollen.
Zweitens. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluß ausdrücklich festgestellt, daß das Konzept der geltenden Vermögensteuer verfassungsgemäß ist. Bei dem Urteil ging es um die ungleiche Behandlung von Vermögensarten.
Drittens. Der SPD-Entwurf stellt das typische Gebrauchsvermögen, so wie es das Urteil fordert, frei. Er ist selbstverständlich verfassungskonform; denn Sie werden ja wohl nicht unterstellen, Herr Thiele, daß in den Ländern, in denen dieser Entwurf erarbeitet wurde - den die SPD-Bundestagsfraktion übernommen hat -, Leute sitzen, die daran denken, irgendwelche Verfassungsgrundsätze in Zweifel zu ziehen. Wo leben Sie denn überhaupt, wenn Sie solches unterstellen?
Natürlich ist der SPD-Entwurf verfassungskonform!
Der von Ihnen zitierte Zeuge, Kronzeuge, Sachverständige - wie auch immer -, Professor Arndt, ist natürlich „besonders glaubwürdig" . Er hat in einem Aufsatz festgestellt, daß das Gericht, der Zweite Senat, in seinen weiteren Ausführungen, insbesondere zur sogenannten Halbteilungsthese, seine Kompetenzen eindeutig überschritten habe. Derselbe Professor Arndt bekommt dann ein Gutachten vom BDI in Auftrag, den Inhalt des Gutachtens teilt er dem Finanzausschuß mit - nach der Methode „Geld macht sinnlich" - und vertritt teilweise die Auffassung, die Sie hier zitieren. So sieht es um den von Ihnen zitierten Sachverständigen Arndt aus, um den Menschen mal die Hintergründe klarzumachen, wie solche Meinungen zustande kommen.
Ein Letztes zur Gewerbesteuer. Nehmen Sie bitte die Position der SPD entgegen: Wenn diese Koalition nicht zweifelsfrei feststellt, daß es sich nicht um den Einstieg in den Ausstieg handelt - Sie haben ja gesagt, es geht um den Einstieg in den Ausstieg aus der Gewerbesteuer insgesamt -, und wenn Sie den Kommunen keine glaubwürdige finanzielle Perspektive anbieten können, die diese in diesen schweren Zeiten dringend benötigen, dann werden wir dem nicht zustimmen können.
Das, was Sie hier zur ökonomischen Begründung zitiert haben, Herr Vorsitzender Thiele, ist nun wirklich teilweise Voodoo-Ökonomie und teilweise - entschuldigen Sie das harte Wort - hirnrissig.
Zur Entgegnung hat das Wort der Kollege Thiele.
Zu dem letzten Wort des Kollegen Poß kann die Präsidentin vielleicht etwas sagen, dazu möchte ich nichts sagen.
Ich habe den Herrn Sachverständigen Prof. Dr. Arndt erstmalig in der Anhörung kennengelernt. Ich kannte ihn zuvor nicht. Ich weiß nicht, Herr Poß, ob es richtig ist, einen Sachverständigen in der Form mit der Bemerkung „Geld macht sinnlich" abzuqualifizieren,
wie Sie das gerade getan haben. Ich habe Zweifel, ob das der richtige Weg ist, wie Parlamentarier mit geladenen Sachverständigen des Finanzausschusses umgehen sollten.
Es ist durchaus so, daß nicht jedem die Antwort eines Sachverständigen immer gefällt. Das ist vollkommen richtig; das geht mir mitunter auch so. Aber ich halte die Art, eine solche Abqualifizierung vorzunehmen, nicht für sachgerecht.
Zur Sache: Das Verfassungsgericht hat einen klaren Grundsatz aufgestellt. Es ist schon erstaunlich, wann gesagt wird, die Sätze des Verfassungsgerichtes sind zu respektieren, und wann gesagt wird, sie sind nicht zu respektieren. Nach unserer Auffassung ist ein Spruch des Bundesverfassungsgerichts immer zu akzeptieren. Das ist zumindest unser Verfassungsverständnis.
Das Bundesverfassungsgericht führt aus - Zitat -:
Die Vermögensteuer darf nur so bemessen werden, daß sie in ihrem Zusammenwirken mit den sonstigen Steuerbelastungen die Substanz des Vermögens, den Vermögensstamm,
- das ist also die Eigentumsgarantie -
unberührt läßt und aus den üblicherweise zu erwartenden möglichen Erträgen ... bezahlt werden kann. Andernfalls führte eine Vermögensbesteuerung im Ergebnis zu einer schrittweisen Konfiskation, die den Steuerpflichtigen dadurch übermäßig belasten und seine Vermögensverhältnisse grundlegend beeinträchtigen würde.
Auf die Ausführungen der beiden Verfassungsrechtler habe ich vorhin hingewiesen. Dazu möchte ich mich nicht mehr äußern. Ich möchte nur noch auf einen zusätzlichen Punkt hinweisen: Gerade der Sachverständige Professor Schön
- ist er sehr wohl - hat in seinem Gutachten aus meiner Sicht überzeugend dargelegt, daß eine Unterscheidung zwischen privater und betrieblicher Vermögensteuer gar nicht machbar sei. Wie will ich zwischen diesen Steuern genau differenzieren? Dazu fehlen Vorschläge von Ihrer Seite. Wenn ich über-
Carl-Ludwig Thiele
haupt zu einer Differenzierung käme, bestände immer noch die Frage, ob diese Differenzierung nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 des Grundgesetzes verstößt, den das Bundesverfassungsgericht genutzt hat, um diese Entscheidung im Interesse der Steuerpflichtigen zu treffen; denn wie sagt das Bundesverfassungsgericht im Kern: Der Staat darf dem Bürger nicht mehr als die Hälfte dessen wegnehmen, was er selbst erarbeitet hat.
Für diese Klarstellung bin ich dankbar; ebenso die Steuerpflichtigen in diesem Lande. Wenn jemand diesen Sachverhalt anders sieht, möge er das erklären und den Steuerpflichtigen in unserem Lande darlegen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich nehme nicht Stellung zu dem Ausdruck „Geld macht sinnlich". Ich möchte unabhängig davon, ob es sich nun um Gutachter oder um Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundestag handelt, sagen: Wir müssen wieder sorgfältiger unsere Worte abwägen, damit wir nicht immer wieder an die Grenze der persönlichen Diffamierung kommen. Wenn wir alle darauf achten würden, kämen wir ein Stück weiter.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Barbara Höll.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vielleicht wäre eine sachlichere Diskussion möglich gewesen, wenn sich auch die F.D.P. entschlossen hätte, ihrer Berichterstatterin das Wort zu überlassen, und damit Frauen einmal die erste Runde in einer Finanzdebatte geprägt hätten.
Zu dem vorliegenden Jahressteuergesetz 1997 muß man ganz sachlich feststellen, daß die Koalition ihre Hausaufgaben nicht gemacht und bewußt eine ordnungsgemäße parlamentarische Beratung verhindert hat. Frau Dr. Hendricks hat das ausführlich dargelegt.
Herr Thiele hat aufgeführt, welche Änderungen noch hinzugefügt worden sind. Diese Änderungen kamen zum Teil sehr überraschend, scheinbar aus dem Nichts. Die Begründungen für diese Änderungen änderten sich im Laufe der Zeit - ob das die Ersetzung des Sach-/Nutzwertverfahrens durch das Ertragswertverfahren oder die Änderung der Freibeträge oder die Besteuerung der Erben von Betriebsvermögen in der Steuerklasse I war.
Die Zielstellung des Jahressteuergesetzes waren laut Rede von Herrn Waigel am 13. Juni 1996: Eckpfeiler zu erbringen für den zukünftigen Standort Deutschland, Stärkung des Wachstums, Förderung von Investitionen, Erhaltung und Schaffung wettbewerbsfähiger Arbeitsplätze und Abbau der Steuerlast. Ich denke, nichts davon ist erfüllt. Herrn Waigel
- er spricht nach mir - wird es sicher schwerfallen, zu belegen, was von den Eckpfeilern übriggeblieben ist.
- Nebenbei gesagt: Der Subventionsabbau war leider bisher noch nie Zielstellung dieser Koalition. Wir
haben nur Absichtserklärungen gehört, insbesondere von der F.D.P.
Das vorgelegte Jahressteuergesetz 1997 ist eine konsequente Fortsetzung der Umverteilungspolitik zugunsten der Besserverdienenden und der immer stärkeren Belastung lohnabhängiger Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen und Einkommmensschwacher. Es ordnet sich nahtlos in das Horrorpaket der Sparmaßnahmen und in die desolate Haushaltspolitik dieser Regierung ein. Wie das Kaninchen auf die Schlange wartet die Koalition auf die Steuerschätzung, die morgen verkündet werden soll.
In dieser Situation, in der klar ist, daß ein Haushaltsdefizit von mindestens 3 Milliarden DM zu erwarten ist, verzichtet die Koalition bewußt auf Einnahmen, die erzielt werden könnten. Im Gegenteil, gerechtfertigt wird der Ausbau von Begünstigungen für Einkommensstarke und Unternehmen immer wieder mit dem fadenscheinigen Argument der Arbeitsplatzschaffung. Seit 1982 versuchen Sie das hier, aber nur in den Worten und nicht in den Taten.
Das können wir belegen. Nehmen wir als erstes aus dem Bereich der Einkommensteuer das Dienstmädchenprivileg. Es wurde 1990 eingeführt, und Sie wollten damit 100 000 Arbeitsplätze schaffen. Eine tolle Zahl! Erreicht wurde aber, daß im Vergleich zu 1992 die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in westdeutschen Privathaushalten von 36 000 Personen auf 32 249 sank. Jetzt setzen Sie noch eins drauf und sagen, die Abschreibungsmöglichkeit bei der Steuer müsse auf 24 000 DM erhöht werden. Damit wird nichts anderes als private Aufwendungen der Haushaltsführung subventioniert, was sich ohnehin nur sehr einkommenstarke Haushalte leisten können. Das ist ein eklatantes Beispiel für eine sinnlose Umverteilung.
Als zweites nenne ich die Sonder- und Ansparabschreibungen für Unternehmen. Die Höchstbeträge der steuerfreien Rücklage sollen auf 600 000 DM erhöht werden, angeblich zur Förderung der kleinen und mittleren Betriebe. Das ist wirklich nicht wahr; denn nach der letzten Einheitswertfeststellung 1989 - neuere Zahlen haben wir nicht - verfügten knapp 70 Prozent aller gewerblichen Betriebe einschließlich Banken und Versicherungen nur über ein Betriebsvermögen von 250 000 DM. Also geht es in dieser Regelung eindeutig wieder nur um Großunternehmen.
Drittens nenne ich die Verschiebung der Erhöhung des steuerfreien Existenzminimums. Herr Thiele hat sich eben auf das Bundesverfassungsgericht berufen. Das Bundesverfassungsgericht hatte die Auflage erteilt, daß das Existenzminimum steuerfrei zu stellen sei. Nach unserer und auch der Meinung der gesamten Opposition waren 12 000 DM für 1996 ohnehin zu wenig. Das erhöhen Sie nicht einmal für 1997. Da entsprechen Sie wirklich nicht einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, sondern verstoßen in eklatanter Weise dagegen.
Viertens komme ich auf den Solidaritätszuschlag. Allein 1991 und 1992 bezahlten die Steuerzahler und Steuerzahlerinnen in Ost und West 22 Milliarden DM
Dr. Barbara HIM
für diesen Solidaritätszuschlag. Er ist zu einem Spielball Ihrer Koalitionsstreitigkeiten verkommen. Anstatt mit einem Solidaritätszuschlag zielgerichtet den Aufbau in den neuen Bundesländern zu fördern, dient er hier nur zum Stopfen von Haushaltslöchern. Auch ziehen Sie nicht diejenigen heran, die beim Projekt der deutschen Einheit wirklich gewonnen haben. Solche Profiteure gibt es genug, und die hätte man auch bei der Finanzierung von Aufgaben, die sich aus der Wiedervereinigung ergeben haben, heranziehen können.
Die beabsichtigte Umverteilung zu Lasten der Bezieher von Lohneinkommen rechtfertigt die Regierung, wie gesagt, mit dem Argument der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Seit 1982 wurden die Unternehmensteuern gesenkt. Ein Beispiel dafür: 1993 ist der Freibetrag für Betriebsvermögen bei der Erbschaftsteuer bereits auf 500 000 DM erhöht worden. Haben wir dadurch Wachstumsschwäche beseitigt oder Arbeitslosigkeit abgeschafft? Sie unterliegen Ihrer Apologetik der angebotsorientierten Steuerpolitik, die aber durch die realwirtschaftliche Entwicklung ad absurdum geführt wird.
Ich komme nun zu Fragen der Vermögensteuer. Die PDS unterstützt ausdrücklich die im Parlament gemachten Vorschläge zur Beibehaltung der Vermögensteuer. Herr Thiele, wenn Sie hier einen Sachverständigen zitieren, dann ist das zwar gut; das kann man. Man kann dann aber aus Redlichkeitsgründen durchaus auch gegenteilige Argumente anführen. Professor Hickel hat in der Anhörung eindeutig darauf verwiesen, daß das Bundesverfassungsgericht mit der Formulierung der hälftigen Teilung eine sehr unpräzise Formulierung gewählt habe. Offen ist, ob es um Grenz- oder Durchschnittsbelastung geht und ob Subventionen gegengerechnet werden. Dieser Sachverständige hat ausdrücklich betont, daß die Formulierung der Entscheidung den Gesetzgeber nicht davon befreie, sich der Aufgabe einer Neugestaltung der Vermögensteuer zu widmen. Selbst aus dem Bundesfinanzministerium haben wir eindeutige Zeichen erhalten, daß die Erhebung der privaten Vermögensteuer durchaus rechtmäßig ist.
Sie sagen, daß die Vermögensteuer eine Arbeitsplatzvernichtungssteuer ist. Dies widerspricht natürlich dem Steuerrecht. Die Vermögensteuer wird nach dem Einheitswert erhoben, nicht pro Arbeitsplatz. Daß die Vermögensteuer mit 14,1 Prozent in diesem Jahr die Steuer mit dem höchsten Zuwachs ist - wie die „Welt" gestern festgestellt hat -, ist Ironie des Schicksals. Es ist wirklich schwer, der Bevölkerung klarzumachen, warum man auf diese gute Einnahmequelle verzichten möchte.
Ähnlich ist es bei der Ausgestaltung der Erbschaftsteuer. Sie mißbrauchen die Erbschaftsteuer als ein Instrument, um die weitere Umverteilung von unten nach oben festzuschreiben. Es ist zum Teil so, daß bei Erben ein Vermögenszuwachs ohne eigene Leistungserbringung entsteht. Die Wahrung der Chancengleichheit ist durch eine solche verfestigende Politik nicht mehr gegeben. Sie ignorieren den Aspekt der Einnahmeerzielung.
Sie zementieren nicht nur Ungleichheiten, sie begleiten die Privilegierung des Reichtums und damit natürlich die Zementierung von politischen und sozialen Machtpositionen mit einer fortdauernden Diskriminierung nichtehelicher Lebensweisen.
Auch dies ist grundgesetzwidrig. Im Grundgesetz verankert ist nur der Schutz von Ehe und Familie, nicht deren Privilegierung.
Dies widerspricht außerdem der realen Entwicklung. 1972 gab es in der alten Bundesrepublik 137 000 nichteheliche Lebensgemeinschaften. 1993 waren es bereits 1,6 Millionen. Die Privilegierung der Ehe kann man an einem Beispiel festmachen: Von einem Erbe in Höhe von 2 Millionen DM zahlt der erbende Ehegatte 100 000 DM an Erbschaftsteuern. Der erbende nichteheliche Partner bezahlt nach Ihren Freibeträge 550 000 DM. Nichtehelichen Lebenspartnern werden also geringere Freibeträge gewährt. Die Einordnung in Steuerklassen ist abhängig vom Verwandtschaftsgrad und von der Verehelichung.
Sie haben auch bei der Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts bezüglich der Gleichbehandlung verschiedener Vermögensarten versagt. Sie sehen eine pauschale Privilegierung von Betriebsvermögen durch einen Freibetrag in Höhe von 500 000 DM und einen Bewertungsabschlag von 25 Prozent vor. Dies wurde bereits bei der Einführung auch von der SPD kritisiert. Dies bauen Sie sogar noch aus, indem Sie den Bewertungsabschlag auf 50 Prozent erhöhen.
Die PDS hat selbst einen Antrag zur Änderung der Erbschaftsteuer vorgelegt. In diesem Antrag sind tatsächlich Möglichkeiten für eine Reichtumsumverteilung, für eine Entdiskriminierung außerehelicher Lebensformen und für die Gleichbehandlung verschiedener Vermögensarten aufgezeigt. Sie verkommen bei uns nicht wie bei Ihnen zu Worthülsen, sondern sie werden tatsächlich umgesetzt. Bei der Umsetzung dieses Antrages wäre es möglich, daß die Haushaltskassen 15 Milliarden DM einnehmen. Dies ist etwas, worauf Sie verzichten.
In unserem Antrag schlagen wir vor, die gegenwärtige Erbschaftsbesteuerung durch eine Nachlaßbesteuerung zu ergänzen. Dabei sehen wir Freibeträge für das vererbte Vermögen in Höhe von 1 Million DM mit Steuersätzen von 5 bis 25 Prozent vor. Durch unseren Antrag ist sichergestellt, daß das normale selbstgenutzte Einfamilienhaus tatsächlich weitgehend steuerfrei wird.
Frau Höll, kommen Sie zum Schluß.
Man kann dies alles nachlesen.
Wir fordern auch die Individualisierung des Steuerrechts und die Gleichbehandlung verschiedener Vermögensarten, die dann in der konkreten Ausgestaltung gewährleistet, daß tatsächlich kleine und mittelständische Betriebe speziell gefördert werden und nicht nur Großbetriebe, wie es bei Ihnen der Fall ist.
Dr. Barbara Höll
Es ist notwendig, über die von Ihnen verkündete große Einkommensteuerreform neu zu diskutieren, aber unter Wahrung der Grundsätze, die auch in unserem Antrag aufgeführt sind.
Ich bedanke mich.
Es spricht jetzt der Bundesminister der Finanzen, Dr. Theodor Waigel.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die zweite und dritte Lesung des Jahressteuergesetzes 1997 ist ein wichtiger Schritt bei der Durchsetzung unseres Programms zur Stärkung des Standortes Deutschland und zur Förderung von mehr Wachstum und Beschäftigung.
Die förmliche Aufhebung des Vermögensteuergesetzes ist jetzt nicht mehr im Gesetzentwurf enthalten. Die beabsichtigte Rechtsfolge tritt trotzdem ein. Mit dem Verzicht auf gesetzgeberische Maßnahmen kann diese Steuer ab dem Beginn des Jahres 1997 nicht mehr erhoben werden. Dies ist - darauf haben der Kollege Thiele und die Frau Kollegin Hasselfeldt in aller Klarheit hingewiesen - die eindeutige Folge der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Juni 1995. Das, was verfassungskonform noch möglich gewesen wäre, wäre falsch, verhängnisvoll und das falsche Signal gewesen. Es hätte den Aufwand nicht gelohnt und zu mehr Verschiebung und Umschichtung geführt, als es überhaupt Nutzen hätte erbringen können. Das ist die Realität!
Sie von der Opposition versuchen hier, die Karte Sozialneid auszuspielen.
Doch diese Karte ist kein Trumpf mehr, sondern letztlich die rote Karte für Investoren und Arbeitsplätze. Sozialneid schafft keinen einzigen Arbeitsplatz. Das müssen Sie sich sagen lassen.
Der Wegfall der Vermögensteuer ist ein Signal für die Märkte im In- und Ausland. Der Wegfall der Vermögensteuer bringt einen Anschub für die dringend benötigten Investitionen am Standort Deutschland und gibt der Konjunktur und dem Arbeitsmarkt zusätzlichen Schwung. Bei den entsprechenden Diskussionen in unserer Steuerreformkommission haben die führenden Finanzleute der deutschen Volkswirtschaft und Betriebe erklärt, gerade der Wegfall der Vermögensteuer sei ein entscheidendes Signal dafür, mehr Investitionen zu erreichen, wieder mehr Kapital nach Deutschland zu holen und die Abwanderung von Kapital aus Deutschland zu verhindern. Das ist die nüchterne Bilanz!
Rund 60 Prozent des Vermögensteueraufkommens lastet auf den Betriebsvermögen. Die Vermögensteuer muß - auch das haben die Fachleute der Koalition heùte überzeugend dargelegt - aus versteuertem Einkommen entrichtet werden, in ertragsschwachen Jahren oder in Verlustphasen sogar aus der Substanz. Bei Betriebsvermögen von Körperschaften und gleichzeitiger Vermögensteuerpflicht der Anteilseigner kommt es zu einer Doppelbelastung. Wer es mit der Schaffung und mit dem Erhalt zukunftssicherer Arbeitsplätze wirklich ernst meint, kann es sich nicht erlauben, in dieser Situation an einer Eigenkapitalvernichtungsteuer festzuhalten.
Unsere Konkurrenten in Europa sind hellwach. Ein europäischer Vergleich zeigt, wie überfällig es war, das steuerpolitische Fossil Vermögensteuer zu entsorgen. In Belgien, Griechenland, Großbritannien, Irland, Italien, Österreich und Portugal gibt es keine allgemeine Vermögensteuer. In Österreich wurde die Vermögensteuer unter sozialdemokratischer Regierung zum 1. Januar 1994 abgeschafft. Dänemark wird die Vermögensteuer zum 1. Januar 1997 abschaffen.
Wenn man eine - von Ihnen gewollte - Restvermögensteuer auf Privatvermögen bestehen ließe, dann wären die Folgen ganz sicher steuersparende Vermögensumschichtungen. Die Steuerverwaltungen stünden vor der schwierigen und aufwendigen Aufgabe, eine eindeutige Abgrenzung zum Betriebsvermögen sicherzustellen. Der private Wohnungsbau würde gegenüber dem gewerblichen Wohnungsbau benachteiligt. Die private Kapitalbildung, beispielsweise für die Altersvorsorge, würde behindert. Mißbrauchsanfällige Konstruktionen mit entsprechenden Abwehrmaßnahmen der Steuerverwaltung wären unausweichlich; ganz abgesehen von dem Riesenaufwand, den die Neubewertung von einigen Millionen privater Grundstücke erforderlich machen würde.
Ich sage es noch einmal: Wenn man die Vermögensteuer und- die Gewerbekapitalsteuer ab dem 1. Januar 1997 in den neuen Bundesländern einführen müßte, dann wäre das wirklich nicht nur ein Treppenwitz, sondern ein Schlag gegen die Wirtschaftskraft in den neuen Bundesländern.
Herr Minister Waigel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen von Larcher?
Bitte schön.
Herr Minister, würden Sie dem Haus bitte mitteilen, daß das RheinischWestfälische Institut für Wirtschaftsforschung in der Anhörung zum Jahressteuergesetz 1997 Zahlen der G-7-Länder vorgelegt hat. In allen anderen G-7-Ländern ist danach die Belastung mit Vermögensteuern insgesamt wesentlich höher als in Deutschland. Während in Deutschland der Anteil der Steuern auf das Vermögen 1993 etwa 1 vom Hundert des Bruttosozialproduktes betrug, lag der Anteil in Italien und Frankreich bei etwa 2,5 vom Hundert, in Japan, USA
Detlev von Larcher
und Großbritannien über 3 vom Hundert und in Kanada bei 4 vom Hundert. Würden Sie bitte auch dies dazusagen?
Als Führer der parlamentarischen Linken in der SPD haben Sie es bisher versäumt, die diesbezüglichen internationalen Statistiken entsprechend aufzuarbeiten und zu verstehen.
- Warten Sie einmal ab! Sie haben hier zur Unterstützung Ihrer These offensichtlich eine Veröffentlichung der OECD herangezogen.
Die entsprechende OECD-Statistik läßt nicht den Schluß zu, die deutsche Vermögensteuer sei im internationalen Vergleich niedrig. Die von der OECD verwendete Bezeichnung „taxes on property" umfaßt alle Steuern auf den Vermögensbesitz und den Vermögensverkehr, also neben der Vermögensteuer auf das Privat- und Betriebsvermögen im deutschen Sinne alle Grund-, Gewerbekapital-, Grunderwerb-, Börsenumsatz-, Wechsel-, Gesellschaftskapital-, Zulassung-, Erbschaft- und Schenkungsteuern im weitesten Sinne, somit Steuern unterschiedlichster Art, die es unter Umständen nur in einigen Staaten gibt.
Die deutsche Vermögensteuer ist nur ein Teil dieser unterschiedlichen Steuerarten. Die OECD-Statistik weist ebenfalls aus, daß die Vermögensteuer im deutschen Sinn in vielen Staaten kein Aufkommen erbringt, da sie nicht erhoben wird. Sie liegen also mit Ihrer Argumentation völlig daneben und vermögen nicht einmal, eine internationale Statistik vernünftig zu lesen und auszulegen.
Es ist gut, daß Sie, Herr von Larcher, sich hingesetzt haben. Denn nach dieser Intervention müssen Sie den Rest Ihrer Argumentation vergessen.
Ich will noch darauf hinweisen, wie viele Vorschriften allein durch die Abschaffung der Vermögensteuer wegfallen: das gesamte Vermögensteuergesetz mit 25 Paragraphen, rund 25 Paragraphen des Bewertungsgesetzes, zwei komplette Verordnungen mit zusammen rund 100 Paragraphen, zwei weitere Gesetze - das Erbschaftsteuer-Reformgesetz von 1974 mit mehreren Artikeln und das Gesetz zur Feststellung des Hauptfeststellungszeitraums bei der Bewertung - und die Vermögensteuerrichtlinien, ein dickes Buch. Allein das bedeutet eine riesige Entlastung für die Finanzämter, die sich dann anderen Aufgaben zuwenden können.
Ich möchte Sie fragen, ob Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Rössel gestatten?
Bitte.
Herr Bundesfinanzminister, können Sie bestätigen, daß laut Angaben des Ifo-Instituts in München die Belastung der bundesdeutschen Wirtschaft durch die fundamental nicht gerechtfertigte Bewertung der D-Mark im Vergleich zum US-Dollar etwa 10 mal höher pro Jahr ist als die Belastung, die für die bundesdeutsche Wirtschaft aus der Erhebung der Gewerbekapitalsteuer entsteht? Können Sie bestätigen, daß von dieser angesichts des Verschuldungsstands der öffentlichen Haushalte in Deutschland fundamental nicht gerechtfertigten Höherbewertung der D-Mark - vor allem im Vergleich zum US-Dollar - erhebliche arbeitsplatzvernichtende Wirkungen in der Bundesrepublik ausgehen?
Herr Abgeordneter, ich kann bestätigen, daß Sie offensichtlich einen Zettel für eine andere Diskussion und somit eine andere Zwischenfrage erwischt haben.
Insofern rate ich Ihnen, Ihre Zettelwirtschaft in Ordnung zu bringen, so daß Sie die richtigen Zwischenfragen zum richtigen Thema stellen.
Über Wechselkurse brauchen Sie mich nicht zu belehren. Damit bin ich seit einigen Jahren nun wirklich intensiv befaßt. Sie ändern sich ganz sicher nicht durch Interventionen der PDS. Sie ändern sich auch nicht, wenn Herr Lafontaine eine Änderung haben möchte, sondern sie gestalten sich an den Märkten und beruhen auf Fundamentaldaten.
Sie orientieren sich an der Politik und an politischen Erwartungen. Aber das haben Sie in der PDS-Ausbildung wahrscheinlich nicht gelernt, und insofern sollten wir Nachsicht mit Ihnen üben.
Ihre soziale Neidkampagne - nun meine ich die SPD und nicht die PDS - bricht in sich zusammen. Sie wissen ganz genau - Frau Kollegin Hasselfeldt hat das dargestellt -: Wir wollen den Wegfall der privaten Vermögensteuer bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer berücksichtigen.
Nun sind wir bereit, einen Teilausgleich für die Länder hier mit zu bewerkstelligen. Frau
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Dr. Hendricks, Sie haben gesagt, wir würden das Geld der Länder zum Fenster hinauswerfen.
Wer hat denn die Länder beim Solidarpakt und beim Bund-Länder-Finanzausgleich im Interesse des Föderalismus sehr gut ausgestattet? Wer hat bei der Bahnreform dafür gesorgt, daß Privatisierung und Regionalisierung in einem anständigen Umfang finanziert werden konnten? Wer hat bei jeder Gelegenheit darauf gesehen, daß in Deutschland ein funktionsfähiger Föderalismus stattfinden kann? Wer hat dafür gesorgt, daß über einen Bund-LänderFinanzausgleich elf von 16 Ländern, die ihre eigenen Aufgaben sonst nicht mehr hätten erfüllen können, dies mit unserer Hilfe tun können?
Mit unseren Zuweisungen wird sogar die politische Führung in diesen Ländern finanziert. Lassen Sie sich einmal vom Ministerpräsidenten des Saarlandes sagen, wieviel er jedes Jahr aus Bundeshilfen erhält, um den Haushalt seines Landes einigermaßen in Ordnung bringen zu können.
Wir haben vor noch nicht allzu langer Zeit im Haushalt den Wegfall des Kohlepfennigs in Höhe von 8 Milliarden DM verkraften müssen. Es gab keine Kompensation. Der Bund hat die Last allein geschultert und die Verbraucher um 8 Milliarden DM entlastet.
Neben der vorgesehenen Erhöhung der Erbschaft- und Schenkungsteuer um rund 1,6 Milliarden DM soll die Grunderwerbsteuer von 2 Prozent auf 3 Prozent heraufgesetzt werden. Das bringt den Ländern Mehreinnahmen in Höhe von rund 3,5 Milliarden DM. Zusammen mit anderen Finanzierungsmaßnahmen wird der Einnahmeausfall der Länder mit einer Kompensation in Höhe von rund 6 Milliarden DM zu etwa zwei Dritteln abgedeckt.
Bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer bleibt es bei der bewährten Grundstruktur.
Nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts ist eine gegenwartsnähere Grundbesitzbewertung notwendig. Wir haben uns nach eingehenden Beratungen dafür entschieden, bei der Bewertung des Grundbesitzes dem Gesichtspunkt der Ertragsfähigkeit stärker Rechnung zu tragen. Der Kollege Thiele hat das völlig richtig dargestellt: Wenn in dem Zusammenhang im parlamentarischen Verfahren im Finanzausschuß durch die Fraktionen eine Änderung erfolgt, dann hat das mit Parlamentarismus und auch mit dem Respekt der Regierung gegenüber den Parlamentsfraktionen zu tun, was sich darin zeigt, daß wir uns aufeinander zu bewegen und eine für alle befriedigende Lösung finden. Darin ist überhaupt nichts Negatives zu sehen.
Deshalb sollen bebaute Grundstücke wie bei der Einheitsbewertung 1964 grundsätzlich in einem Ertragswertverfahren bewertet werden. Damit ist, wie
von Anfang an zugesagt, ein normales Einfamilienhaus im engeren Kreis der Familie ohne Steuern zu vererben oder zu verschenken. Für Ehegatten sollen die Freibeträge 600 000 DM, für Kinder 400 000 DM betragen. Mit den daraus resultierenden Steuermehreinnahmen kann zusätzlich der Tarifverlauf der Erbschaftsteuer im mittleren Bereich geglättet werden.
Wir haben auch eine Regelung gefunden, die die Erfüllung einer wichtigen Forderung des Bundesverfassungsgerichts sicherstellt. Die Fortführung eines Betriebs darf durch die Erbschaftsteuerlast nicht gefährdet werden, unabhängig von der verwandtschaftlichen Nähe zwischen Erblasser und Erben. Durch die Aufnahme des neuen § 19 a in das Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz soll Betriebsvermögen grundsätzlich in der günstigeren Steuerklasse I besteuert werden. Betriebsvermögen wird im übrigen nach Abzug eines Freibetrages von 500 000 DM nur noch zur Hälfte zur Besteuerung herangezogen.
Im Zusammenhang mit der Vorlage der Empfehlungen der Steuerreformkommission werden wir bis Mitte Dezember 1996 Entscheidungen bezüglich der Steuerreform 1999 und der Absenkung des Solidaritätszuschlages ab 1. Januar 1998 treffen.
Die Opposition, meine Damen und Herren, ist trotz der Haushaltszwänge im Bund und in den Ländern nicht ernsthaft zur Mitwirkung am Konsolidierungsprozeß, an Konsolidierungsmaßnahmen bereit.
- Das sind keine Unwahrheiten, das ist die Wahrheit.
Es ist schon ein Stück Heuchelei. Sie haben in den letzten Jahren und heuer Konsolidierungsmöglichkeiten in der Größenordnung von mehr als 10 Milliarden DM verhindert und werfen uns die gleiche Lücke vor. Das ist politische Heuchelei.
Dabei brauchen wir uns von Ihnen nicht vorhalten zu lassen, wir handelten familienfeindlich. Uns ist die von uns vorgeschlagene Verschiebung der Kindergelderhöhung weiß Gott schwergefallen.
Aber Sie können doch die Tatsache nicht verdrängen, daß zu dem Zeitpunkt, als wir das miteinander beschlossen haben, die Voraussetzungen, an die wir alle - Sie wie wir - gebunden sind, für 1997 um 30 Milliarden DM günstiger aussahen, als es jetzt der Fall ist. Daraus die Konsequenzen zu ziehen ist unsere Pflicht und Schuldigkeit.
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Sie verweigern sich der Verantwortung für das Gemeinwohl.
Meine Damen und Herren, jede Existenzgründung bringt neue Arbeitsplätze. Deutschland braucht eine Existenzgründungsoffensive. Daher haben wir die vorgesehene Verbesserung der Ansparabschreibung nach § 7 g des Einkommensteuergesetzes für Existenzgründer noch attraktiver gestaltet.
Wir haben uns entschlossen, den Gründungszeitraum von drei Jahren auf sechs Wirtschaftsjahre zu verdoppeln. Der Zeitraum, in dem die erhöhte Rücklage beibehalten werden kann, wird um ein weiteres Jahr verlängert. Zusammen mit dem verbesserten Sonderausgabenabzug für hauswirtschaftliche Beschäftigungsverhältnisse wird das Jahressteuergesetz 1997 dem Arbeitsmarkt wichtige Impulse geben.
Meine Damen und Herren, weniger Beschäftigung wollen wir für Steuersparer und -gestalter. Die Sonderabschreibung für Schiffe und Flugzeuge soll für Aufträge nach dem 24. April 1996 greifen und die Verlustzuweisung auf 100 Prozent der Kapitaleinlage beschränkt werden.
Den Befürchtungen, daß auch die Kapitalbeschaffung für Schiffe beeinträchtigt wird, die sich insbesondere auf deutschen Werften im Bau befinden, werden wir begegnen. Für die notwendige Kapitalbeschaffung soll der Beitritt von Gesellschaftern noch bis zum 31. Dezember 1998 begünstigt werden.
Nach umfassenden Erörterungen wurde eine einvernehmliche Regelung zur Milderung von Härten im Bereich des neuen steuerlichen Reisekostenrechts gefunden. Der Pauschbetrag für Verpflegungsmehraufwendungen von 10 DM soll bereits ab einer Abwesenheit von mindestens acht Stunden statt bislang zehn Stunden gelten.
Zudem können die Arbeitgeber übersteigende Beträge pauschal mit 25 Prozent Lohnsteuer Versteuern, höchstens aber 100 Prozent der Grundbeträge von 10 DM, 20 DM und 46 DM.
Das Reisekostenrecht des Bundes wurde an die steuerlichen Pauschalen angepaßt. Damit wird der Verwaltungsaufwand für die Versteuerung der Differenzbeträge ab 1997 beseitigt. Die Länder sollten hier jetzt nachziehen.
Wenigstens bei diesem Punkt konnte über die Parteigrenzen hinweg eine einvernehmliche Regelung gefunden werden.
Ich nehme das als gutes Omen für die weiteren Diskussionen in diesem Gesetzgebungsverfahren und für die notwendige dritte Stufe der Unternehmensteuerreform.
Meine Damen und Herren, mit allem Nachdruck wehre ich mich gegen das SPD-Junktim, die Verwirklichung der dritten Stufe der Unternehmensteuerreform zu blockieren, wenn die Vermögensteuer entfällt. Die Notwendigkeit einer strukturellen Verbesserung der Unternehmensbesteuerung ist unabhängig davon, ob die Beibehaltung einer Vermögensteuer auf Privatvermögen erfolgt oder nicht.
Die dritte Stufe der Unternehmensteuerreform in Verbindung mit einer Reform der Gemeindefinanzen hätte bereits seit dem 1. Januar 1996 wirksam sein können.
Der Wegfall der Gewerbekapitalsteuer zum 1. Januar 1996, die Verbesserung bei der Gewerbeertragsteuer und die Beteiligung der Kommunen an der Umsatzsteuer in vollem Umfang wären hervorragend für die Gemeinden gewesen, wären ein Schub für die Wirtschaft gewesen und wären insbesondere für Arbeitsplätze im Mittelstand ein belebendes und bewegendes Element gewesen. Sie haben das aus parteitaktischen Gründen nicht zustande kommen lassen.
Die Gewerbekapitalsteuer ist im internationalen Bereich nahezu einmalig. Viele aus Ihren Reihen haben das bereits vor eineinhalb, zwei Jahren gesagt. Sie sind dann wie der Kollege Jens aus dem Verkehr gezogen worden oder haben die Lust verloren, sich an der steuerpolitischen Diskussion innerhalb der SPD weiter zu beteiligen.
Meine Damen und Herren, wir müssen diese Sonderbelastung für in Deutschland Tätige - -
- Entschuldigung, Sie wissen doch gar nicht, was Gewerbekapitalsteuer ist.
Das haben Sie sich doch noch nie angesehen.
Angesichts dessen, was Sie, Herr Fischer, noch vor fünf, sechs Jahren auf den Parteitagen der Grünen gefordert haben, können Sie sich doch nicht hier hinstellen und für den Standort Deutschland sprechen wollen. Das ist doch ein Treppenwitz der Weltgeschichte. Sie sind doch das größte Investitionshemmnis für den Standort Deutschland in diesem Haus.
Für das Protokoll: Bei der Bezeichnung „Investitionshemmnis für den Standort Deutschland" JuchhuRufe aus den Kreisen der SPD.
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Ich nehme also an, daß Sie unter Führung von Lafontaine, Schröder oder wem auch immer als Wirtschafts- oder als Finanzminister vorgesehen sind. Ich wünsche Ihnen bei dieser Prophetie viel Glück!
Meine Damen und Herren, die steuerliche Entlastung der Betriebe soll durch eine Senkung der degressiven Abschreibung für Ausrüstungsinvestitionen gegenfinanziert werden. Unsere degressiven AfA-Sätze brauchen trotzdem auch in Zukunft keinen internationalen Vergleich zu scheuen. Wenn man das Hearing des Finanzausschusses zu diesem Punkt nachliest, dann muß man feststellen, daß die deutsche Wirtschaft und die Wirtschaftsverbände sich dazu bekannt haben und daß der Wegfall der Gewerbekapitalsteuer als Substanzsteuer für die Unternehmen wesentlich besser ist als die Liquiditätsverschiebung innerhalb der degressiven Abschreibung.
Die Gemeinden sollen an der Umsatzsteuer beteiligt werden. Die Umsatzsteuer ist eine konjunkturell wenig beeinflußte Steuer und damit für die Gemeinden eine verläßliche und stetig wachsende Finanzquelle.
Im Interesse des Standorts Deutschland fordere ich Sie dazu auf, sich dieser Reform nicht länger zu verschließen. Besonders verhängnisvoll wäre die sonst notwendige Einführung der Gewerbekapitalsteuer in den neuen Ländern; das habe ich zuvor schon gesagt.
Meine Damen und Herren, wir haben noch nicht einmal für die Aussetzung der Gewerbekapitalsteuer in 1996 die Genehmigung der Kommission. Wer das jetzt wieder aufs Spiel setzt, wer weiß, daß es ein Teil der Finanzbeamten, der Finanzminister und der Ministerpräsidenten in den neuen Bundesländern für fraglich hält, sie überhaupt in absehbarer Zeit erheben zu können,
und gleichzeitig, in Gestalt der Finanzministerin von Brandenburg, die Einführung der Steuer fordert
oder, in Gestalt des Ersten Bürgermeisters Voscherau, sagt, ich solle dies verhindern, was sich nahe am Rand einer Aufforderung zum Gesetzesbruch bewegt,
der muß sich einmal überlegen, wie er dieses Durcheinander der deutschen Bevölkerung und den Investoren klarmachen kann. Sie tragen dafür die Verantwortung.
Herr Kollege Dr. Waigel, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Scheel?
Bitte.
Bitte.
Herr Finanzminister Waigel, Sie wissen doch, daß wir bereits vor eineinhalb Jahren zusammen mit den kommunalen Spitzenverbänden eine Anhörung zu dem Thema, wie die Kommunalfinanzen in Zukunft gestaltet werden können, durchgeführt haben.
Können Sie mir erklären, warum die Bundesregierung nicht in der Lage war, obwohl sich der Sachverhalt in den letzten eineinhalb Jahren im Prinzip nicht verändert hat, das Gesetz, das in dieser Woche in Form eines Umdruckes vorgelegt worden ist, bereits Anfang dieses Jahres vorzulegen?
Sie wissen ganz genau, daß man es mit uns zum 1. Januar 1996 hätte verabschieden können. Das ist der Unterschied.
Es geht nicht nur darum, einen Umdruck vorzulegen, sondern darum, das Gesetz rechtzeitig zu verabschieden. Das ist an der SPD gescheitert.
- Frau Kollegin, das müßten auch Sie wissen: Leider waren die Länder nicht in der Lage, uns die Zahlen zu geben, die für die Durchführung eines gezielten Ausgleichs erforderlich sind. Wir sind bereit, auf die Kommunen zuzugehen, deren Vorstellungen, auch die hinsichtlich der Verteilung, aufzugreifen und über einen Härtefonds, aus dem allerdings keine Mark bei den Ländern verbleiben darf, im Wege des Länderfinanzausgleichs einen gezielten Ausgleich für das unterschiedliche Aufkommen der Gewerbekapitalsteuer für die einzelnen Kommunen sicherzustellen. Dazu sind wir bereit.
Sie waren bisher nicht bereit, daran grundsätzlich mitzuarbeiten. Sie müssen zur Gegenfinanzierung einmal ja sagen. Dazu jedenfalls war die SPD nicht bereit.
- Entschuldigung, man weiß doch nie, wer bei Ihnen wofür spricht, ob Sie für Ihren Kollegen Fischer sprechen oder ob der Mann, der bei Ihnen am meisten von Finanzpolitik versteht, Herr Metzger - ihn sehe ich heute nicht -, dafür verantwortlich ist. Bei Ihnen herrscht doch das totale Durcheinander.
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Sie sind doch kein Ansprechpartner, wenn es darum geht, einen Ausgleich für die Kommunen über die Umsatzsteuer zu schaffen.
Ich appelliere an alle Oberbürgermeister, an alle Bürgermeister, an die Unternehmer und die Arbeitnehmer in den neuen Ländern, sich gegen diesen parteipolitischen Katastrophenkurs zu wehren.
Wer die Verzögerungstaktik mit einer Zurückhaltung der Kommunen rechtfertigen will, ist nicht aufrichtig. Von Herrn Wimmer, dem Finanzdezernenten des Deutschen Städtetages, ist im „Handelsblatt" vom 23. Oktober 1996 zu lesen - wörtlich -: „Der Schlüssel für das ganze Vorhaben liegt bei der SPD." Er weist darauf hin: Der Hauptausschuß des Städtetages hat den Verzicht auf die Gewerbekapitalsteuer bei einer gleichzeitigen Beteiligung der Gemeinden an der Umsatzsteuer einstimmig beschlossen. Die SPD-Oberbürgermeister, die in diesem Gremium zu gut 40 Prozent vertreten sind, haben also diesem Vorhaben zugestimmt.
Meine Damen und Herren von der SPD: Geben Sie sich endlich den erforderlichen Ruck; sprechen Sie mit den Oberbürgermeistern, und lassen Sie uns dann gemeinsam die Arbeit tun. Es wird höchste Zeit, daß Sie Ihre Taktik beenden
und die Arbeit im Interesse der Arbeitnehmer und der Betriebe und im Interesse der Städte und Gemeinden tun. Wir sind dazu bereit; Sie müssen sich zu dieser Bereitschaft erst noch durchringen. Tun Sie es im Interesse der Bundesrepublik Deutschland!
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Dr. Uwe-Jens Rössel.
Da der Bundesfinanzminister meine Frage leider nicht beantwortet hat und einer Antwort mit allgemeinen Bemerkungen zur PDS ausgewichen ist - das bedauere ich außerordentlich, weil ich von Herrn Waigel eine Auskunft erwartet hatte, die auf Sachargumente gegründet ist -, habe ich um diese Kurzintervention gebeten.
Die Gewerbesteuer, die die Debatte heute bestimmt, obwohl sie eigentlich nicht Gegenstand der Beschlußvorlagen ist, bekommt ihre Legitimation bekanntlich aus der Dienstleistungsfunktion, die die Gemeinden für die ortsansässigen Unternehmen ausüben. Für diese Unternehmen stellen die Gemeinden insbesondere die Infrastruktur zur Verfügung. Es ist damit legitim, daß die Unternehmen dafür in angemessener Weise auch einen Beitrag zu leisten haben. Dieser Beitrag wird traditionell über die Gewerbesteuer verwirklicht.
Die Bundesregierung hat in den vergangenen Jahren insbesondere durch Änderungen des Steuerrechts maßgeblich dazu beigetragen, daß die Gewerbesteuer in der Tat immer mehr ausgehöhlt und demontiert worden ist. Das bereits erwähnte angesehene Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung Essen hat eingeschätzt, daß die Bundesregierung durch die Steuerrechtsänderungen im Zeitraum 1991 bis 1996 dem Bund durch die Veränderungen bei der Gewerbesteuer zusätzliche Einnahmen in Höhe von rund 100 Milliarden DM verschafft
hat.
Dagegen gehen den Kommunen durch diese Steuerrechtsänderungen, vor allem durch die Einschränkung bei der Gewerbesteuer, Veränderungen der Freibeträge und ähnliches, im gleichen Zeitraum Einnahmen in Höhe von immerhin 4,4 Milliarden DM verloren. Das sind auf der einen Seite 100 Milliarden DM plus beim Bund und auf der anderen Seite 4,4 Milliarden DM minus bei den Gemeinden.
Jawohl, auch die Länder haben von Steuerrechtsänderungen profitiert, indem sie durch Steuerrechtsänderungen etwa 7 Milliarden DM mehr eingenommen haben.
Nun beabsichtigt die Bundesregierung - gestern der erneute Anlauf im Finanzausschuß -, nächstes Jahr die Gewerbekapitalsteuer bundesweit abzuschaffen. Das bedeutet für die Gemeinden einen Ausfall von etwa 7 Milliarden DM jährlich.
Aber: Dieser Schritt ist nur der Einstieg - das wurde heute klar und deutlich auch von Herrn Thiele gesagt - in die vollständige Abschaffung der Gewerbesteuer. 30 Milliarden DM an Einnahmen für die Gemeinden stünden damit zur Disposition - und das bei einem Schuldenstand der Kommunen auf dem Kreditmarkt von über 200 Milliarden DM kumulativ. Ich meine, das ist bereits hinsichtlich des Zahlenwerks ein Absurdum.
Die Bundesregierung hat bisher nicht zu erkennen gegeben, in welcher Weise diese dramatischen Ausfälle - es handelt sich um eben diese 30 Milliarden DM - auch nur annähernd durch andere Steuern kompensiert werden können.
Herr Kollege Dr. Rössel, die Redezeit ist abgelaufen.
Deswegen lehnen wir diese Vorschläge ab.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Ingrid Matthäus-Maier, SPD.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesfinanzminister hat eben von einem großen Durcheinander gesprochen. Ich stelle dazu fest, die heutige Steuerdebatte erfolgt vor dem größten Durcheinander, vor dem größten Finanzchaos, das die Menschen in diesem Lande je erlebt haben:
Riesige und immer neue Haushaltslöcher, Berge von Schulden, Negativrekord bei der Steuer- und Abgabenbelastung der Bürger, Wahlbetrug beim Solidaritätszuschlag; eine Kindergelderhöhung, die schon im Gesetzblatt steht, sollte rückgängig gemacht werden.
Da kritisieren die Forschungsinstitute die Hektik in der Finanzpolitik. Der bekannte deutsche Steuerprofessor Joachim Lang sagt in der Zeitschrift „Die Woche": „Die Bürger erleben das Steuerrecht als Chaos, Willkür und Täuschung." Ich sage Ihnen, Herr Waigel: Ein Bundesfinanzminister, der nur etwas auf sich hielte, hätte angesichts solcher Kritik längst seinen Hut genommen.
Nun heißt es dazu bei der CSU neuerdings ganz weinerlich, der Herr Finanzminister sei nicht alleine schuld. Das stimmt natürlich. Entscheidend mitschuldig ist Helmut Kohl mit seiner Steuerlüge aus dem Jahre 1990: Keine Steuererhöhung für die deutsche Einheit. Mitschuldig ist selbstverständlich auch die F.D.P. mit ihren unhaltbaren Wahlversprechungen.
Aber, Herr Waigel, das entläßt Sie doch nicht aus der Verantwortung; denn an beidem waren Sie mit beteiligt. Die Steuerlüge von Helmut Kohl haben Sie ausdrücklich unterstützt, obwohl jedermann wußte, man mußte für die deutsche Einheit die Steuern anheben. Der Wahlbetrug der F.D.P. beim Solidaritätszuschlag war auch nur möglich, weil der Bundesfinanzminister ihn ganz bewußt unterstützt hat, um aus Machterhaltungsgründen den Koalitionspartner über die 5-Prozent-Hürde zu hieven.
Nein, Herr Waigel, Sie sind für dieses Desaster verantwortlich. Wenn Sie sich jetzt durch Ämtertausch davonstehlen wollen - so klingt es im „Stern" an - in ein anderes Ministerium, so ist das zwar menschlich nachvollziehbar, aber eine unzulässige Flucht aus der Verantwortung.
Wenn Sie es mit diesem Ämtertausch in ein anderes Ministerium wirklich ernst meinen, dann rate ich Ihnen: Übernehmen Sie das Familienministerium, damit Sie dort endlich lernen, daß ein höheres Kindergeld für die Familien mit Kindern nicht eine Gnade des Staates, sondern eine verfassungsrechtlich gebotene Steuerentlastung ist!
Nun zanken Sie sich in der Koalition wie die Kesselflicker. Der eine schiebt dem anderen die Schuld zu. Lambsdorff sagt: Das Urteil über die Politik des Finanzministers fällt „grausam" aus. Da hat er recht. Die CSU über Westerwelle: „Windmacher!" Auch das ist richtig. Die Koalitionspartner werfen sich gegenseitig „Wortbruch" vor. Und montags wissen die Koalitionspartner schon nicht mehr, was sie samstags vereinbart haben. Bei einer Ehe würde man sagen, sie sei zerrüttet. Ich kann Ihnen nur sagen: Im Vergleich zum Erscheinungsbild dieser Koalition ist eine zerrüttete Ehe doch geradezu eine Harmonieveranstaltung.
Schuld sind immer nur die anderen: Einst war es die Erblast von Helmut Schmidt, dann war es die deutsche Einheit, dann waren die Länder schuld, auch die Opposition. Aber wenn Sie sich jetzt noch erdreisten, zu behaupten, Schuld an Ihren Finanzlöchern und dem Finanzchaos seien wegen des Kindergeldes die Familien mit Kindern, dann ist das nicht nur in der Sache falsch, sondern auch eine miese Stimmungsmache gegen die Familien. Das weisen wir entschieden zurück.
Die Familienverbände wehren sich zu Recht. Wenn der Katholische Familienbund des Bistums Trier zum Beispiel schreibt
mit größtem Mißtrauen sehen die Familienverbände die Kampagne, daß die Anhebung des Kindergeldes für die Löcher in den öffentlichen Haushalten verantwortlich gemacht wird
und darauf hinweisen, diese Stimmungsmache gegen die Familien sei in der Sache völlig unbegründet, dann muß ich diesem Familienbund ausdrücklich recht geben.
Wenn wir Sozialdemokraten heute, gegen Ihren erbitterten Widerstand, die Kindergelderhöhung auf 220 DM in 1997 durchsetzen, so gibt es dafür mindestens vier gute Gründe:
Ingrid Matthäus-Maier
Erstens. Die Kindergeldzahlung ist keine Gnade des Staates, sondern die verfassungsrechtlich gebotene Steuerentlastung für die Familien mit Kindern.
Zweitens. Die Anhebung des Kindergeldes ist ordentlich gegenfinanziert, und zwar durch Subventionsabbau im Jahressteuergesetz 1996.
Die Familien mit Kindern erneut zur Kasse bitten zu wollen wäre grobes Unrecht.
Drittens. Die SPD war und ist für eine Anhebung des Kindergeldes auf 250 DM. Daß wir für 1996 einem Kindergeld in Höhe von 200 DM zugestimmt haben, lag ausdrücklich daran, daß eine Stufenlösung mit der Anhebung auf 220 DM in 1997 vereinbart war. Wir hätten sonst schon den 200 DM nicht zugestimmt. Dies jetzt wieder zurückzunehmen ist nicht nur in der Sache falsch, sondern ein klarer Vertragsverstoß gegen die Vereinbarung im Vermittlungsausschuß.
Viertens. Die Entlastung der Familien mit Kindern ist auch ökonomisch vernünftig. Denn sie stärkt die Massenkaufkraft, weil gerade die Familien mit Kindern noch sehr viel Geld brauchen, um ihre Bedürfnisse decken zu können.
Ökonomisch unvernünftig ist demgegenüber die von Ihnen angestrebte völlige Abschaffung der Vermögensteuer, also auch der privaten Vermögensteuer:
Erstens. Dies ist finanzpolitisch nicht tragbar. Kein Mensch in diesem Lande hat die 9,3 Milliarden DM, die Sie aus dem Fenster werfen. Wir sind bereit - das haben wir immer wieder gesagt -, die betriebliche Vermögensteuer in Form der Doppelbelastung der Kapitalgesellschaften abzubauen. Das würde 3 Milliarden DM kosten. Wir sind bereit, da mitzumachen, weil es um Betriebe geht. Aber Sie, meine Damen und Herren, beharren darauf, die Vermögensteuer komplett - also auch die private - abzuschaffen. Daß Ihnen die Sache unangenehm ist und daß viele von Ihnen das auch nicht wollen - zuletzt hat sich Herr Teufel aus Baden-Württemberg so in der Zeitung geäußert, dann ist er allerdings wieder eingeknickt -, sieht man daran, daß Sie heute mit vielen Windungen und Verdrehungen immer wieder auf die Arbeitsplätze hinweisen; aber bei der Abschaffung der privaten Vermögensteuer geht es nicht um Arbeitsplätze. Diese werden allenfalls von der betrieblichen Vermögensteuer, die wir abzuschaffen bereit sind, betroffen.
Wer der Frau von Thum und Taxis 1997 die Vermögensteuer erläßt, schafft keinen einzigen Arbeitsplatz.
Zweitens. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts schreibt die Abschaffung nicht vor. Im Gegenteil: Wir könnten die Vermögensteuer gemeinsam reformieren. Nicht das Urteil führt zur Abschaffung der Vermögensteuer, sondern die Blockade von Herrn Waigel bei der Reform der Vermögensteuer führt zu dieser Abschaffung.
Diese Koalition mißbraucht das Bundesverfassungsgerichtsurteil zu Steuergeschenken für Vermögensmillionäre, ebenso wie sie seit Monaten die Standortdebatte für einen beispiellosen Beutezug durch die Portemonnaies der Arbeitnehmer und kleinen Leute benutzt.
Drittens. International gibt es die Vermögensteuer sehr wohl, die private gibt es allein in der Europäischen Union in acht Staaten.
Viertens. Der Verwaltungsaufwand mit
300 Millionen DM ist durchaus erträglich und kein Gegenargument.
Fünftens. Die komplette Abschaffung der Vermögensteuer ist sozial ungerecht. Wer wie diese Bundesregierung die Arbeitnehmer tagtäglich mehr schröpft und gleichzeitig dafür sorgt, daß am 1. Januar 1997 ein Vermögensmillionär mit einem privaten Vermögen in Höhe von 10 Millionen DM Jahr für Jahr eine Steuerentlastung von 100 000 DM erhält, der hat jedes Gefühl für Gerechtigkeit verloren.
Wenn Sie das als Sozialneid diffamieren, sollten Sie sich schämen, Herr Waigel. Deswegen lehnen wir Ihr Gesetz ab.
Das Wort hat der Kollege Hans-Peter Repnik, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hätte es kaum für denkbar gehalten, aber nach dem Verlauf dieser Debatte und vor allem nach dem Beitrag der Kollegin Matthäus-Maier scheint es mir wichtig zu sein, noch einmal auf ein paar Grundsätze einzugehen.
In der Weltwirtschaft vollzieht sich ein Umbruch, der die deutsche Wirtschaft in einem solchen Ausmaß vor Herausforderungen stellt, das ganz offen-
Hans-Peter Repnik
sichtlich vielen von Ihnen, vor allen Ihnen, Frau Matthäus-Maier, nicht bewußt geworden ist.
Die zunehmende Globalisierung hat den internationalen Wettbewerb erheblich verschärft. Diesem verstärkten Konkurrenzdruck müssen wir uns als Regierung, als Koalition, alle, die Verantwortung tragen, offensiv stellen. Das heißt, wir müssen die Rahmenbedingungen am Standort Deutschland weiter verbessern. Wir müssen die Bedingungen für Investitionen, für Wirtschaftswachstum und für die Arbeitsplätze verbessern.
Deshalb muß dieser Grundsatz im Zusammenhang mit dem Jahressteuergesetz 1997, das wir heute diskutieren, angesprochen werden. Wir befinden uns mit dem Ansatz dieses Gesetzes auf dem richtigen Weg, wie uns jetzt auch die sechs wissenschaftlichen Forschungsinstitute in ihrem Herbstgutachten bestätigt haben. Nur auf diese Weise können die Probleme am Arbeitsmarkt gelöst und die nach wie vor bedrükkend hohe Arbeitslosigkeit gesenkt werden.
Nur mit der Umsetzung des Programms für mehr Wachstum und Beschäftigung, das in allen wesentlichen Teilen von der Opposition hier im Bundestag wie im Bundesrat bekämpft wurde, werden wir es schaffen. Die ersten Voraussetzungen sind bereits gelungen.
Ich möchte, weil ich immer wieder das Gefühl habe, daß dies nicht bedacht wird, in die Erinnerung zurückrufen, daß das Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung ein Programm ist, das zwischen Bundesregierung, Gewerkschaften und Wirtschaft einvernehmlich im Januar dieses Jahres verabredet wurde.
Die Damen und Herren aus dem gewerkschaftlichen Bereich sind in diesen Tagen wesentlich weiter als die Opposition.
Frau Matthäus-Maier, wenn Sie mir einmal kurz Ihr Ohr schenken. Es ist schon wichtig, weil jedesmal die alte Leier wahrheitswidrig vorgetragen wird. Es wird von einem „Chaos in der Finanzpolitik" gesprochen,
und es wird der Eindruck erweckt, als ob der Finanzminister nicht richtig geplant hätte.
Ich möchte auf folgendes hinweisen: Der Finanzminister hat einen Haushalt sowohl für das Jahr 1996 als auch jetzt einen Haushalt für das Jahr 1997 auf Grund von Daten erstellt, die er sich nicht alleine ausgedacht hat. Die aufgestellten Haushalte basieren vielmehr auf Daten, die von der Bundesregierung, von den Landesregierungen, von der Bundesbank, von den wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstituten gemeinsam erarbeitet wurden. Auf dieser Datenbasis hat er gehandelt.
Ein zweites scheint mir wichtig zu sein zu unterstreichen. Als zu Beginn dieses Jahres deutlich wurde, daß es ganz offensichtlich nicht so läuft, wie ursprünglich prognostiziert, hat er bereits korrigierend eingegriffen. Er hat von daher Vorsorge getroffen.
Wenn Sie, Frau Matthäus-Maier, jetzt sagen, Sie wollen das Kindergeld noch weiter auf 250 DM pro Kind erhöhen, dann frage ich Sie, wie Sie den dazu erforderlichen Betrag in einer Größenordnung von rund 6 Milliarden DM decken wollen. Sie würden den Finanzminister einmal mehr in eine schwierige Situation bringen. Diese Antwort sind Sie uns schuldig.
Ich darf auf folgendes hinweisen. Wir befinden uns mitten in der Endberatung über die Aufstellung des Haushaltsplans 1997. Wir warten die Daten der Steuerschätzung ab, die wir morgen erfahren werden. Wir haben nächste Woche die entscheidenden Sitzungen. Wir werden bis zur Bereinigungssitzung am nächsten Donnerstag einen gedeckten Haushalt 1997 vorlegen. Wir sind im Zeitplan. Es herrscht kein Chaos. Wir haben die Sache im Griff.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte auf das Thema Vermögensteuer zurückkommen, weil es auch in Ihrem Beitrag erneut eine Rolle gespielt hat.
Ich war eigentlich der Meinung, daß nach den Beiträgen der Kollegen Hasselfeldt und Thiele und des Finanzministers dieses Thema erledigt sei.
Ganz offensichtlich wollen Sie die Fakten nicht zur Kenntnis nehmen. Ich möchte weg von der Polemik, weg von der Demagogie, weg vom Sozialneid und hin zu den Fakten. Das OECD-Gutachten wurde soeben wieder zum Beweis herangezogen. Die Fakten sind wie folgt: In Wirklichkeit vergleicht die OECD-Statistik nicht die Vermögensteuer
im deutschen Sinne miteinander, sondern, wie Herr Finanzminister Waigel gesagt hat, alle Arten von Steuern auf den Vermögensbesitz und den Vermögensverkehr. Sie haben wieder zum Ausdruck gebracht, daß es in einigen europäischen Staaten Vermögensteuern vergleichbar der deutschen Vermögensteuer gebe. Dies entspricht nicht den Tatsachen.
Denn in der Definition der OECD-Statistik zählen dazu zum Beispiel Grund-, Gewerbekapital-, Grunderwerb-, Börsenumsatz-, Wechsel-, Gesellschaft-, Kapital-, Zulassung-, Erbschaft- und Schenkungsteuern. Wenn Sie ausschließlich die Vermögensteuer deutscher Art mit den Steuern in anderen Ländern vergleichen, dann stellen Sie fest, daß es diese Steuer in den Vereinigten Staaten, in Großbritannien, in Kanada, in Irland, in Belgien, in Griechenland, in Portu-
Hans-Peter Repnik
gal, in Österreich und in anderen Ländern gerade nicht gibt. Das festzustellen ist deshalb wichtig, weil die Vermögensteuer einen ganz eklatanten Standortnachteil für die Bundesrepublik Deutschland bedeutet.
Deshalb muß sie weg, damit Freiraum für Arbeitsplätze und Investitionen geschaffen wird.
Herr Kollege Repnik, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Matthäus-Maier?
Gern, gleich. Ich würde gern noch zur Vermögensteuer zwei weitere Gedanken anbringen. Frau Matthäus-Maier kann das dann möglicherweise in ihrer Frage gleich mit berücksichtigen.
Wenn hier diese Sozialneid- und Millionärskampagne gefahren wird, dann müssen wir doch folgendes zur Kenntnis nehmen: Zwei Drittel des Vermögensteueraufkommens resultiert aus der betrieblichen Vermögensteuer. Frau Matthäus-Maier bietet uns jetzt an, mit uns über die Abschaffung der betrieblichen Vermögensteuer zu sprechen.
Frau Matthäus-Maier, dann seien Sie doch bitte so redlich und sagen Sie hier im Plenum des Deutschen Bundestages, was Sie unter betrieblicher Vermögensteuer verstehen.
- Moment, Moment!
In der letzten Runde, in der wir zusammensaßen, haben Sie ausdrücklich betont, unter der betrieblichen Vermögensteuer, über deren Abschaffung Sie, die SPD, mit sich reden ließen, sei bei Ihnen nur die betriebliche Vermögensteuer, die bei Kapitalgesellschaften anfalle, zu verstehen.
Dies hätte, da 90 Prozent unserer Betriebe Personengesellschaften sind, mittelständisch strukturiert sind, zur Folge, daß diejenigen Betriebe, die Vermögensteuer zahlen und am stärksten zur Arbeitsplatzsicherheit beitragen, von Ihnen nicht entlastet würden. Dies ist die Wahrheit.
Erwecken Sie doch hier nicht den Eindruck, daß es nur um ein paar Millionäre geht. Tatsache ist, daß 71 Prozent der Vermögensteuerzahler ein zu versteuerndes jährliches Einkommen von bis zu 110 000 DM haben. Das ist doch der Mittelstand; das sind doch nicht die Millionäre.
Zu den Millionären möchte ich auch noch etwas sagen. Frau Kollegin Hendricks, es ist schon spannend, wenn Sie uns hier aufzählen, wie klein der Anteil derjenigen, die in der Tat den Spitzensteuersatz zahlen, ist, die davon belastet wären.
Ich komme noch einmal zurück auf das Bundesverfassungsgerichtsurteil. Das Bundesverfassungsgericht hat uns nur einen sehr kleinen Korridor eingeräumt.
Gerade bei denen, die Sie angesprochen haben, greift doch der Grundsatz der hälftigen Teilung zwischen dem Staat und dem Privaten. Das heißt, gerade diejenigen, die mit dem Spitzensteuersatz belastet sind, die von Ihnen herangezogenen Millionäre, dürfen wir nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht zur Steuer heranziehen, weil dieser Grundsatz verletzt ist.
Dies wiederum hätte zur Folge, wenn Sie die private Vermögensteuer erhalten wollen und wenn wir Ihrem Vorschlag folgen würden, daß wir die Millionäre entlastet hätten, der Mittelstand die Zeche bezahlte und die Arbeitsplätze gefährdet wären.
Herr Kollege Repnik, darf ich Sie noch einmal fragen: Gestatten Sie inzwischen zwei Zwischenfragen, eine der Kollegin Matthäus-Maier?
Bitte sehr.
Darf ich Sie fragen, ob Sie danach auch diejenige der Kollegin Dr. Hendricks gestatten?
Gern.
Bitte, Frau Matthäus-Maier.
Schade, daß Sie die Zwischenfrage nicht früher zugelassen haben, denn sie bezog sich exakt auf Ihre Zitate aus dem OECDBericht.
Nun haben Sie, verehrter Herr Repnik, ausnahmsweise den falschen Zettelkasten benutzt, wie Herr Waigel eben sagte.
Denn ich habe in meiner Rede überhaupt keinen Bezug auf den OECD-Bericht genommen. Jetzt kommt meine Frage: Ist Ihnen nicht bekannt, daß das Bundesfinanzministerium - nicht die OECD oder sonst irgend jemand, sondern der BMF, Waigel - am 30. Juli 1996 einen Informationsdienst zur Finanzpolitik des Auslands herausgegeben hat, in dem auf Seite 9 die Vermögensteuer aufgeführt wird, nicht die Erbschaftsteuer oder das, was Sie sonst alles herangezo-
Ingrid Matthäus-Maier
gen haben. Dort steht, die private Vermögensteuer gebe es in Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Luxemburg, den Niederlanden, der Schweiz und Spanien. Würden Sie mir dann nicht zumindest zustimmen, daß es in acht Ländern der Europäischen Union
nach Aussagen von Herrn Waigel eine private Vermögensteuer gibt?
Okay, ich habe Ihre Frage verstanden, auch wenn das Mikrophon nicht bis zum Schluß funktioniert hat.
Ich kann Ihnen deswegen nicht einfach mit einem klaren Ja antworten, weil man auch hier differenziert argumentieren muß. Auch das Bundesfinanzministerium weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß in einer Reihe von Ländern unter privater Vermögensteuer auch die Erbschaftsteuer zu subsumieren ist. Deswegen stimmt dieser Vergleich so nicht.
- Moment! - Abgesehen davon darf ich noch einmal daran erinnern, was der Kollege Thiele in diesem Zusammenhang - wie ich finde - schlüssig ausgeführt hat: Der Teil, der der privaten Vermögensteuer zuzurechnen ist und den wir ausschließlich aus erhebungstechnischen und verwaltungsorganisatorischen Gründen nicht mehr erheben, soll der Erbschaftsteuer zugeschlagen werden. Das ist unser Vorschlag, so daß gerade dieser Bereich keine Entlastung erfahren wird.
Frau Kollegin Hendricks, bitte.
Ich darf Sie im Rahmen meiner Zwischenfrage noch ergänzend zu dem, was Kollegin Matthäus-Maier gefragt hat, darauf hinweisen, daß in der Aufstellung des Bundesfinanzministeriums die Vermögensteuer auf Seite 9 und die Erbschaftsteuer auf Seite 11 behandelt wird. Das ist ein Aliud. Sie können das nicht alles vermengen.
Jetzt möchte ich zu meiner Frage kommen, weil Sie mich eben angesprochen und zitiert haben; es ist die Wiederholung meiner Frage von vorhin, die leider auch der Kollege Thiele nicht beantwortet hat: Ich setze den in dem Obiter dictum, also dem darüber hinaus Mitgeteilten, des Bundesverfassungsgerichts festgelegten sogenannten Halbteilungsgrundsatz voraus, wonach die Erträge der Einkommen- und Vermögensteuer zusammen in der Regel nicht über die hälftige Teilung hinausgehen dürfen. Das ist die Formulierung: in der Regel nicht über die hälftige Teilung. Die hälftige Teilung setzt ja bei 50 Prozent
an. Meine Frage richtete sich auf die Formulierung „in der Regel".
Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß es, wenn es nur 0,1 Prozent aller Einkommensteuerzahler sind, die 50 Prozent ihres Einkommens als Einkommensteuer zahlen, erlaubt ist, für diese nur 0,1 Prozent aller Einkommensteuerzahler eine Ausnahme von der Regel zu machen? Sehen Sie es mit mir nicht auch als logisch an, daß von einer vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Regel rein logisch und naturgemäß auch eine Ausnahme möglich sein muß? Ist es nicht mathematisch und logisch vernünftig, zu sagen: Für eine so kleine Zahl wie 0,12 Prozent der Gesamtheit darf der Gesetzgeber eine Ausnahme von der Regel zulassen. Ist es daher nicht klar, daß Ihr ganzes Gerede von dem sogenannten Sandwichman, der allein belastet wird, wirklich ein Märchen ist?
Nein, ich bin überhaupt nicht Ihrer Meinung, weil ich der festen Überzeugung bin, daß wir, wenn wir uns den Grundsätzen des Bundesverfassungsgerichtes anschließen - wir haben uns bemüht, dies bei der gesetzlichen Ausgestaltung der Vermögen- bzw. bei der Erbschaftsteuer zu tun -,
eben gerade diese Personengruppe nicht ausnehmen dürfen. Da wir sie aber nicht gänzlich freistellen wollen, haben wir den Weg über die Erbschaftsteuer gewählt. Das heißt, diese Personengruppe ist erfaßt, allerdings nicht mehr im Bereich der Vermögensteuer.
Es kann doch überhaupt nicht bestritten werden - da waren wir uns doch auch in den Vorgesprächen mit der SPD einig -, daß die Erhebung der Vermögensteuer und die fortlaufende Anpassung und Fortschreibung des Datenbestandes die aufwendigste Erhebung einer Steuerart überhaupt ist. Wenn wir darüber nachdenken, wie wir den Staat schlanker machen, Verwaltung zurückfahren, Administration abbauen und Personal einsparen können,
dann muß ich doch eine sich hier bietende Gelegenheit ergreifen und diesen Personenbestand von der Steuererhebung freistellen. Dies geht nur, wenn ich nicht für einen verschwindend geringen Teil von Personen noch einen Apparat aufrechterhalte, sondern diese Personen über die Erbschaftsteuer erfasse.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte zum Schluß gerne noch eine Anmerkung machen: Wir befinden uns in einer psychologisch außerordentlich sensiblen Phase in bezug auf das Wirtschaftsgeschehen. Das Herbstgutachten macht uns Mut. Es hat deutlich gemacht, daß die Maßnahmen, die wir bereits umgesetzt haben, gegriffen haben. Wir sollten diesen Mut, den die Bürger und die Wirt-
Hans-Peter Repnik
schaft in den Standort Deutschland setzen, jetzt nicht irritieren. Wir sollten sie nicht entmutigen.
Von daher möchte ich einen Appell an die Opposition im Deutschen Bundestag, aber auch im Bundesrat richten: All diese Maßnahmen, die wir hier heute diskutiert haben, und darüber hinaus die Unternehmensteuerreform und die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer sind Bestandteil des Jahressteuergesetzes; sie dienen einem einzigen Zweck, nämlich der Freisetzung von Finanzen für mehr Investitionen zur Schaffung von Arbeitsplätzen, der Steigerung der Attraktivität des Standortes Deutschland für ausländische Investitionen.
Wenn wir diesen Weg konsequent fortsetzen, wenn Sie uns dabei begleiten, dann bin ich sicher, daß die Daten, die uns jetzt prognostiziert werden, nicht nur eintreffen, sondern daß wir auch im nächsten Jahr wieder neue Arbeitsplätze haben werden. Und dies ist doch unser Ziel. Die Arbeitslosen, die auf der Straße stehen, die jungen Menschen, die jetzt die Ausbildungsstätten verlassen, warten doch darauf, daß neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Mit diesen Maßnahmen können wir es machen. Machen Sie mit! Ich fordere Sie hierzu auf.
Das Wort hat die Kollegin Nicolette Kressl, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gute Steuerpolitik muß wichtigen Prinzipien folgen. Sie muß beispielsweise sozial gerecht und ökonomisch sinnvoll sein. Daß Regierung und Koalition diese Prinzipien beim Jahressteuergesetz wieder durchbrochen haben, zeigt sich auch an den Themen Kindergeld und hauswirtschaftliche Beschäftigungsverhältnisse.
Zum Punkt ökonomisch sinnvoll. Sie wollten die bereits beschlossene und gegenfinanzierte Kindergelderhöhung den Familien dieses Jahr streichen, obwohl Sie immer davon reden, daß die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler unbedingt entlastet werden müssen. Mit dieser Streichung wollten Sie dem Land knapp 4 Milliarden DM an Kaufkraft entziehen. Dabei ist die Entlastung jetzt ökonomisch viel sinnvoller, als über irgendwelche Steuersenkungen am Sankt-Nimmerleins-Tag zu reden.
Für Steuerentlastungen geben Sie zwar immer Jahreszahlen an, aber Ihr Motto scheint zu sein: Wir erzählen dir was vom Land, wo die Versprechungen blühen. Und wenn die dann welken, ist es irgendwie eigentlich gar nicht unsere Schuld. Damit ist aber weder den Familien noch der Binnennachfrage geholfen.
An Ihrer ökonomischen Kompetenz muß allerdings auch gezweifelt werden, wenn man sich ansieht, was
Sie da zum Thema hauswirtschaftliche Beschäftigungsverhältnisse produziert haben.
Es ist unbestritten, daß es Sinn macht, in diesem Dienstleistungsbereich etwas zu tun. Hier können durch kluges Vorgehen Beschäftigungseffekte erzielt werden, und vor allem kann der politische Anstoß dazu gegeben werden, Schwarzarbeit zu legalisieren.
Wie wichtig das auch für die Sozialversicherungskassen wäre, liegt auf der Hand. Aber kluges Vorgehen heißt, daß man nicht alle Ratschläge von Experten in den Wind schlägt, wie Sie das tun.
Bei der Anhörung zum Jahressteuergesetz wurde Ihnen deutlich gesagt, daß Ihr Vorschlag arbeitsmarktpolitisch keinen Sinn macht. Professor Homburg, von Ihnen eingeladen, erwartet keine neuen Arbeitsplätze.
Für die Sachverständigen vom Institut Arbeit und Technik geht die Regelung völlig am Bedarf vorbei, weil sie keine Poolbildung ermöglicht und deshalb kaum Beschäftigungseffekte gibt. Steuerberaterbund und Bund Deutscher Finanzrichter äußern große Zweifel am Sinn des Projekts. Ich könnte hier noch lange weiter aufzählen.
Die Bundesregierung selbst hat zugegeben, daß sich diese Art Förderung - Verdoppelung des Sonderabgabenabzugs - nur für eine kleine Minderheit mit sehr hohem Einkommen lohnt. Die Legalisierung einer bisher schwarz beschäftigten Haushaltshilfe lohnt sich erst ab einem zu versteuernden Einkommen von 100 000 Mark bzw. 200 000 Mark bei Verheirateten.
Ich frage Sie: Wo sollen denn da Beschäftigungseffekte entstehen?
Nicht, daß es nicht bessere Vorschläge gebe. Die Anhörung hat gezeigt, daß sich eine Vielzahl von Experten für einen Weg ausspricht, den wir vorgeschlagen und als Antrag eingebracht haben, nämlich eine Förderung außerhalb des Steuerrechts, verbunden mit der Beschäftigung in Dienstleistungsagenturen. Das ist ökonomisch sinnvoll, weil mit unserer Lösung Beschäftigungsanreize auch für die Haushalte gegeben werden, die zwar einige Stunden Dienstleistung brauchen, aber nicht eine ganze Kraft einstellen können und von Ihrer progressionsabhängigen Regelung überhaupt nicht erfaßt werden. Das sind zum Beispiel Rentnerhaushalte, für die das Ifo-Institut herausgefunden hat, daß es großen Bedarf für solche Dienstleistungen gibt.
In der Kombination mit Dienstleistungsagenturen hätten wir endlich die große Chance, Menschen - besonders auch viele Frauen - mit sozialversicherter Arbeit - in Anführungsstrichen - zu versorgen. Wir bieten Ihnen eine schlüssige Idee, sind auch bereit, mit Ihnen gemeinsam im Finanzausschuß eine Lösung zu suchen. Aber nein: Sie bleiben bei Ihrem fast schon
Nicolette Kressl
archaischen Vorschlag eines Abzugs von der Bemessungsgrundlage, von der verfehlten Steuersystematik in dem Zusammenhang ganz zu schweigen. Herr Bareis hat sich ja die Haare gerauft.
Selbst das Mitberatungsvotum der eigenen Sozialpolitiker, die die Förderung von Dienstleistungsagenturen vorgeschlagen haben, wird von den Finanzpolitikern der Koalition einfach weggewischt. Ökonomisch unsinnig ist der Vorschlag auch, weil er extrem mißbrauchsanfällig ist. „Die Vorschrift ist die klassische Vorschrift, die zum Mißbrauch einlädt." Dies sagte Herr Ondracek von der Deutschen SteuerGewerkschaft bei der Anhörung. Er führte weiter aus:
Es wird hier Geld in den Sand gesetzt, ohne daß der Nutzen, den man erreichen will, überhaupt erreichbar ist. Insofern kann ich mich nur dem anschließen, daß wir gern positive Ratschläge geben würden, uns bei diesem Modell aber nichts Positives einfällt.
Eigentlich müßte ich dem jetzt nichts mehr hinzufügen.
Sie müssen sich aber schon fragen lassen: Wie kommen Sie eigentlich dazu, auf der einen Seite die Gesellschaft mit ungerechten Sparpaketen zu belasten und auf der anderen Seite Vorschläge vorzulegen, mit denen Sie Geld ohne Beschäftigungseffekte verteilen?
Damit komme ich schon zum Prinzip der sozialen Gerechtigkeit. Mit der Weigerung, den Familien das ihnen verfassungsgemäß zustehende steuerfreie Existenzminimum zuzugestehen, zeigen Sie auch Ihr fehlendes Verständnis für soziale Ausgewogenheit. Anscheinend reicht es Ihnen zu sagen: Wir hätten dies gern. Aber sich dafür einsetzen ist nicht Ihre Sache.
Erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang noch den Hinweis: Alle Initiativen und Vorschläge im Finanzausschuß zur notwendigen Reparatur von Defiziten beim Familienlastenausgleich kamen von der SPD. Dies ist kein Thema für Schlagzeilen. Aber verantwortliche Politik wird auch durch solche Kleinarbeit möglich gemacht, weil sie für die Menschen große Auswirkungen hat.
Ich habe zwei Prinzipien angesprochen, die wir als unerläßlich ansehen: soziale Gerechtigkeit und ökonomische Kompetenz. Diese Prinzipien werden mit unserem Vorschlag zum Thema Beschäftigungsverhältnisse verwirklicht; sie sind kein Gegensatz, wie Sie so oft behaupten. Die sozial gerechtere Lösung außerhalb des Steuerrechts und damit progressions-unabhängig ist zugleich die zielgenauere und sinnvollere Lösung.
Sie verletzen das Prinzip der sozialen Gerechtigkeit und handeln wider ökonomischen Sinn. Sie verletzen damit gleichzeitig ein grundsätzliches politisches Prinzip: das der Glaubwürdigkeit.
Sie picken sich Teile des Jahressteuergesetzes heraus und sagen „April, April! " Sie nehmen beschlossene Steuererleichterungen zurück und versprechen viel größere Entlastungen in der fernen Zukunft. Sie reden vom Abbau von Steuervergünstigungen und machen mit den privaten -Beschäftigungsverhältnissen das Gegenteil. Wirklich „glaubwürdig"!
Ich kann mir Ihr Verhalten nur in Anlehnung an ein bekanntes Zitat erklären: Ihre Politik ist die Kunst, für viele möglichst wenig und für wenige möglichst viel zu tun.
Das ist eine zweifelhafte Kunstfertigkeit, die Sie mit diesem Jahressteuergesetz wieder einmal bewiesen haben; das haben die Menschen in Deutschland wirklich nicht verdient.
Das Wort hat der Kollege Jürgen Sikora, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der als Konsequenz aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vorgesehenen Abschaffung der Vermögensteuer einerseits und der Neuregelung des Bewertungsgesetzes sowie des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes andererseits ist in wohnungsbaupolitischer Hinsicht ein Ergebnis erreicht worden, das die Rahmenbedingungen für die Entwicklung des Städte- und Wohnungsbaus sowie der Bauwirtschaft auch in Zukunft weiterhin begünstigt.
Mit den steuerlichen Neuregelungen haben wir erreicht, das Ertragswertverfahren durchzusetzen, das wesentlich einfacher zu handhaben ist und künftig für alle bebauten Grundstücke gilt. Unter Berücksichtigung einer jetzt breiter gefaßten Bemessungsgrundlage sind die Freibetragsregelungen für Ehegatten und Kinder auf den Wert eines durchschnittlichen Einfamilienhauses ausgerichtet worden. Die Vererbung des selbstgenutzten Wohneigentums - wie das Einfamilienhaus - ist mit diesen Regelungen als Familiengebrauchsvermögen steuerfrei gestellt, so daß die Wohneigentumsbildung auch in Zukunft unbelastet bleibt.
Für den Immobilienbereich insgesamt ist erreicht worden, daß die Neubewertung des Grundvermögens die Mehrbelastungen nicht über das hinausgehen läßt, was verfassungsmäßig steuerlich zwingend erforderlich ist.
Die Mieter haben den großen Nutzen daraus, daß die betriebliche Vermögensteuer wegfällt. Dadurch sind die Unternehmer in der Wohnungswirtschaft in
Jürgen Sikora
der Lage, ihre finanzielle Entlastung an die Mieter weiterzugeben, und haben mehr Anreiz, neue Investitionen zu tätigen. Dies führt zu mehr und damit auch zu preiswertem Wohnraum, meine Damen und Herren.
Von außerordentlicher Bedeutung für die künftige Entwicklung des Wohnungsbaus ist, daß im Gegensatz zu anderen Vermögensgegenständen die für den Grundbesitz geltende Sozialpflichtigkeit des Eigentums bei der Neuregelung der steuerlichen Bemessungsgrundlage ihre Berücksichtigung gefunden hat.
So tragen wir der hohen Sozialbindung des Grundbesitzes dadurch Rechnung, daß der für den Grundbesitz als Maßstab geltende Verkehrswert im Gegensatz zu anderen Vermögenswerten nur mit 50 Prozent seines Wertes als Bemessungsgrundlage steuerlich erfaßt wird. Die steuerlichen Belastungen im Immobilienbereich bleiben damit zumutbar, wobei gleichzeitig der Grundbesitz vor substanzverzehrenden steuerlichen Belastungen geschützt bleibt.
Damit ist in Folge auch sichergestellt, daß bei Generationswechseln für die Eigentümer von Mietwohnungen der Fortbestand ihres Grundvermögens gesichert bleibt. Damit ist auch klar, meine Damen und Herren, daß die Erben nicht, wie im Vorfelde der heutigen Entscheidung vielfach behauptet worden ist, zu Notverkäufen von Mietwohnungen gezwungen sein werden.
Meine Damen und Herren, für die Wohnungsbaupolitik ist die Einführung des vereinfachten Ertragswertverfahrens ein Durchbruch. Endlich haben wir ein Verfahren, mit dem sich das Grundvermögen in einfacher und unkomplizierter Weise bewerten läßt. Nicht nur die Verbände der Wohnungswirtschaft begrüßen dieses neue Verfahren. Auch für den Steuerpflichtigen und die Finanzverwaltung ist eine größere Sicherheit geschaffen worden. Insoweit haben wir uns aus wohnungsbaupolitischer Sicht gegen jedes Sachwertverfahren ausgesprochen, das nicht nur umständlich ist, sondern im Ergebnis zu einer fiktiven und überhöhten Bewertung führt.
Mit dem jetzt eingeführten Ertragswertverfahren wird im Bewertungsfall der Wert zugrunde gelegt, der sich mit der Immobilie tatsächlich erwirtschaften läßt und insoweit auch den aktuellen Gebrauchswert für die Steuer bildet. Dies ist ein Verfahren, das gerade die Bewertung von Mietwohngrundstücken erleichtert. Dabei ist das Zwölffache der durchschnittlichen Nettokaltmiete der letzten drei Jahre die Berechnungsgrundlage für die Erbschaftsteuer. Sollte keine Einnahme aus der Vermietung vorliegen, wird eine vergleichbare Miete zugrunde gelegt.
Insgesamt können wir feststellen: Die jetzt geltende Regelung entspricht der vom Verfassungsgericht gemachten Vorgabe einer gegenwartsnahen Bewertung des Grundbesitzes. Damit haben wir für den Steuerpflichtigen ein leicht nachvollziehbares Verfahren entwickelt.
Ähnliches gilt auch für die Wertermittlung unbebauter Grundstücke. Hier wird der Wert nach der Größe der Fläche und einem um 30 Prozent ermäßigten Bodenrichtwert bestimmt. Dabei müssen die Gutachterausschüsse nach dem Baugesetzbuch auf den 1. Januar 1996 den Bodenrichtwert ermitteln und den Finanzämtern mitteilen.
Meine Damen und Herren, aus wohnungsbaupolitischer Sicht stelle ich fest: Mit der Neubewertung des Grundvermögens ist es gelungen, eine weiterführende soziale Befriedung für das Wohneigentum und für den Wohnungsmarkt zu erreichen. Der Bestand an preiswertem Wohnraum für weite Teile der Bevölkerung bleibt gesichert, und gleichzeitig wird den Investoren weiterhin ein wirtschaftlicher Anreiz zum Neubau von Wohnraum geboten.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Horst Schild, SPD.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich abschließend kurz zu einem Thema kommen, das nicht die Schlagzeilen der politischen Auseinandersetzung um das Jahressteuergesetz 1997 geprägt hat. Gleichwohl sind Millionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die beruflich auswärts tätig sein müssen, davon ebenso betroffen wie Personalverwaltungen und Behörden, die mit der Reisekostenverwaltung zu tun haben. Es geht nämlich um das steuerliche Reisekostenrecht.
Nach einer Beschlußempfehlung des Finanzausschusses soll in das Jahressteuergesetz 1997 auch eine Änderung des steuerlichen Reisekostenrechts aufgenommen werden. Dabei geht es insbesondere um die steuerliche Absetzbarkeit von zusätzlichen Aufwendungen für die Verpflegung, die einen Dienstreisenden unterwegs mehr kostet als zu Hause.
Die bis 1995 geltenden Regelungen des steuerlichen Reisekostenrechts wurde vielfach als bürokratisch, kompliziert, mißbrauchsträchtig und ungerecht kritisiert. Ich möchte daran erinnern, daß die Bundesregierung im ersten Entwurf des Jahressteuergesetzes 1996 einen Kahlschlag herbeiführen wollte. Danach sollte bei eintägigen Dienstreisen kein Verpflegungsmehraufwand mehr steuerlich absetzbar sein. Erst im Laufe der Ausschußberatungen konnte erreicht werden, daß zumindest bei einer mehr als zehnstündigen Abwesenheit von zu Hause ein Verpflegungsmehraufwand steuerlich absetzbar blieb.
Diese Reisekostenregelung entwickelte sich zu einer der am meisten kritisierten Regelungen des Jahressteuergesetzes 1996. Meine Damen und Herren, ich gehe davon aus, daß wir alle stapelweise Briefe erhalten haben, in denen dagegen in heftigster Weise protestiert worden ist. Dienstreisende Arbeitnehmer und Handelsvertreter erlitten deutliche Einbußen beim Nettoeinkommen und fühlten sich unzu-
Horst Schild
mutbar belastet. Aber auch Behörden und Betriebe beklagten die mit dem Reisekostenrecht einhergehenden zusätzlichen Verwaltungsaufwendungen, die sich auch in den Lohnnebenkosten niederschlugen.
Dies hat auch etwas mit Arbeitsplätzen und der Mobilität von Arbeitnehmern zu tun.
Dieser Tatbestand führte offensichtlich dazu, daß die Bundesregierung im Januar 1996 ihre Bereitschaft signalisierte, eine Überprüfung der Verpflegungsmehraufwandspauschalen zu unterstützen, wenn eine entsprechende Bundesratsinitiative vorgelegt würde. Vor den Landtagswahlen im März dieses Jahres forderte der Bundesrat weitgehend die Rückkehr zum bisherigen Recht. Nach den Landtagswahlen distanzierte sich die Bundesregierung von dem Bundesratsentwurf und forderte Maßnahmen zur Gegenfinanzierung und zur Vereinfachung; das letztere mit Recht. Eigene Initiativen wurden jedoch nicht vorgelegt.
Die SPD-Fraktion hat dann im Herbst dieses Jahres im Finanzausschuß einen Vorschlag vorgelegt, der Grundlage für den jetzigen und auch von uns begrüßten interfraktionellen Kompromiß war. Danach werden auswärtig tätige Arbeitnehmer schon nach einer Abwesenheit von acht Stunden in den Genuß einer steuerlichen Aufwandspauschale für den Verpflegungsmehraufwand kommen.
Damit erfassen wir eine große Zahl von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die bei der gegenwärtigen Regelung leer ausgehen würden.
Herr Kollege Schild, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Thiele?
Bitte.
Herr Kollege Schild, halten Sie es nicht für eine gute parlamentarische Übung, daß wir versuchen, interfraktionell Lösungen für die Dinge zu finden, die alle betreffen, und daß Dinge, die wir für falsch halten, interfraktionell geändert werden können? Ich bedanke mich auch ausdrücklich bei Ihnen für Ihre Mitarbeit.
Halten Sie es nicht für richtig, der Öffentlichkeit einmal deutlich zu machen, daß die Diskussion um das Jahressteuergesetz 1997 nicht nur von Kontroversen geprägt ist, sondern in Einzelfällen auch von Gemeinsamkeit?
Herr Thiele, wir begrüßen das, was wir vereinbart haben. Es ist für die vielen Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Lande sowie für die vielen Betriebe, die sich über die bisherige Regelung beklagt haben, notwendig, daß wir heute auch dazu ein Wort sagen.
Außerdem wollen wir erreichen, daß die vom Arbeitgeber gewährte Reisekostenvergütung pauschal versteuert werden kann, soweit sie die steuerlichen Pauschbeträge um nicht mehr als 100 Prozent überschreitet. Dabei wird die Lohnsteuer auf den steuerpflichtigen Teil der Vergütung des Verpflegungsmehraufwandes mit einem Pauschsteuersatz von 25 Prozent abgegolten. Die Sozialversichungspflicht hierfür entfällt.
Für eine zusätzliche Vereinfachung wird die Änderung des Bundesreisekostenrechts sorgen, die heute ebenfalls zur Beschlußfassung vorliegt. Damit wird für die Beschäftigten des Bundes die Verpflegungsvergütung den steuerlichen Abzugspauschalen des Einkommensteuerrechts angeglichen. Dies entlastet die Reisekostenverwaltung erheblich und bewirkt auch eine Gleichstellung der Bundesbediensteten mit den übrigen Arbeitnehmern.
Gleichzeitig bitten wir die Länder, diesen Anpassungsprozeß ebenfalls zu vollziehen. Die steuerliche Entlastung von insgesamt 520 Millionen DM jährlich wirkt sich besonders bei Berufstätigen aus, die oft auswärts tätig sind und zur Zeit bei weniger als zehnstündiger Abwesenheit keine steuerliche Anerkennung dafür bekommen, daß sie unterwegs mehr Geld für die Verpflegung ausgeben müssen als zu Hause.
Lassen Sie mich noch einige Sätze zur steuerlichen Gleichbehandlung sagen. Die Zusatzkosten bei den Dienstreisen sind unbestritten beruflich bedingt. Es würde gegen den Grundsatz der Steuergerechtigkeit verstoßen, wenn einerseits betrieblicher Aufwand steuerlich berücksichtigt wird, andererseits Dienstreisende, in der Regel also Arbeitnehmer, ihren beruflich bedingten Aufwand aus dem versteuerten Einkommen bezahlen müssen.
Für die Praxis hat die Entbürokratisierung durch ein erleichtertes Verfahren der Reisekostenabwicklung eine sehr große Bedeutung, vor allem für die Personalverwaltung, aber auch für jeden einzelnen Bürger, der beruflich unterwegs ist.
Ich möchte ausdrücklich betonen: Wir begrüßen vor allen Dingen im Interesse der vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, aber auch der Betriebe und Verwaltungen, daß wir diesen Kompromiß erreicht haben. Die Neuregelung schafft mehr Steuergerechtigkeit und ist zudem ein Beitrag zur Steuervereinfachung.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat die Kollegin Elke Wülfing, CDU/CSU.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nur eine Bemerkung zum Ton der Debatte bzw. zum Ton der SPD-Beiträge heute hier.
Frau Hendricks, ich bin sehr enttäuscht - bei Herrn Poß gilt das gleiche -: Im Finanzausschuß sind Sie immer sehr sachlich; wir können uns sehr sachlich unterhalten, zum Beispiel darüber, welche Regelungen wir mit den Kommunen hinsichtlich der Gewerbekapitalsteuer treffen sollen. Heute waren Beiträge dabei, die waren polemisch, unsachlich und zum Teil auch falsch. Ich werde gleich darauf noch zurückkommen.
Ich möchte etwas zum Thema Beratungsverfahren im Finanzausschuß sagen. Sie wissen ganz genau, daß viele der neuen Umdrucke auf Wünsche von SPD-Länderfinanzministern zurückzuführen waren und sind. Es waren auch Wünsche dabei, die wir geäußert haben, wie zum Beispiel beim Bewertungsverfahren im Erbschaftsteuerrecht. Aber sehr vieles ist auf Wünsche der Länderfinanzminister zurückzuführen. Auch deswegen sind sehr viele Umdrucke neu hinzugekommen. Ich denke, das wissen Sie ganz genau. Deswegen können Sie hier nicht so tun, als sei das ein Chaos gewesen. So war es wirklich nicht.
Der Steuerberatertag in Hamburg, auf dem auch einige von Ihnen gewesen sind, hat unser deutsches Steuerrecht als „eierlegende Wollmilchsau" bezeichnet, das offensichtlich Anforderungen und Wünschen aus allen Bereichen der Politik - Wohnungsbau, Sozialpolitik, Umweltschutzpolitik und Konjunkturpolitik - gerecht werden soll. Ich würde mich einer solchen Charakterisierung enthalten. Aber im Grunde ist diese Feststellung eindeutig. Wir brauchen eine Steuerreform, die den Grundsatz „steuern durch Steuern" durch den Grundsatz „niedriger, einfacher, gerechter" ablöst.
Frau Kollegin, gestatten Sie, daß ich Sie einen Augenblick unterbreche. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es ist immer dasselbe: Kurz vor namentlichen Abstimmungen hat die letzte Rednerin oder der letzte Redner enorme Schwierigkeiten, sich Gehör zu verschaffen. Aber auch die letzte Rednerin oder der letzte Redner hat Anspruch auf Gehör.
Bei der Kollegin Wülfing kommt heute aber noch etwas Besonderes hinzu: Sie ist nicht nur die letzte Rednerin, sondern sie hat heute auch Geburtstag.
Wie wäre -es denn, verehrte Kolleginnen und Kollegen, wenn wir aus diesem Anlaß der Kollegin Wülfing heute als letzter Rednerin in besonderem Maße Gehör schenken würden?
Herr Präsident, vielen Dank für die freundlichen Glückwünsche. Ich hoffe, daß das Haus dies beachten wird. Ich hatte bisher aber nicht das Gefühl, daß ich mich nicht hätte verständlich machen können.
Ich denke, daß wir hier im ganzen Hause einvernehmlich die Absicht haben, eine Steuerreform durchzuführen. Das enthebt uns aber nicht der Aufgabe, unsere Schularbeiten für 1997 zu machen. Nicht nur unser Lehrmeister, das Bundesverfassungsgericht, sondern vor allen Dingen auch die wirtschaftliche Lage, die Notwendigkeit zur Schaffung von Arbeitsplätzen, legen die Ziele zur Lösung dieser Schularbeiten fest.
Die Koalitionsfraktionen haben daher die Neuordnung des Erbschaft- und Vermögensteuerrechtes unter den besonderen Aspekt gestellt, eine Sonderbelastung mittelständischer Betriebe zu vermeiden. Wir halten daher an unserem Ziel fest, die betriebliche Vermögensteuer als eine Substanzverzehrsteuer abzuschaffen. Sicherlich ist es richtig, daß diese Abschaffung verfassungsrechtlich nicht zwingend geboten ist. Sie ist aber wirtschaftlich notwendig. Die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes hätten bedeutet, daß man nur den mittelständischen Bereich besonders stark belastet hätte, nicht aber, Frau Hendricks, die Vermögensmillionäre.
Dies ist in der heutigen wirtschaftlichen Situation Gift für die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Die SPD will nämlich die betriebliche Vermögensteuer nicht ganz abschaffen, sondern nur für Kapitalgesellschaften. Personengesellschaften werden nach ihrem Vorschlag weiterhin betriebliche Vermögensteuer zahlen. Personengesellschaften im mittelständischen Bereich stellen zwei Drittel unserer Arbeitsplätze zur Verfügung. Man muß bedenken, daß dies so ist, wie ich es hier sage, und nicht so, wie Sie es öffentlich immer behaupten.
Auch die Erbschaftsteuer für Betriebsübergänge muß unter dem Aspekt der Erhaltung von Arbeitsplätzen betrachtet werden. Ein Betrieb wird nicht dadurch bereichert, daß ein ehemaliger Eigentümer verstirbt oder der Betrieb an einen Nachfolger übergeht. Wenn wir erreichen wollen, daß 700 000 Betriebe, die in den nächsten 20 Jahren vererbt werden, tatsächlich einen Nachfolger finden, dann müssen wir dafür sorgen, daß der Betrieb auf Grund der Belastung durch die Erbschaftsteuer nicht einen Großteil seiner Eigenkapitalbasis, die in Deutschland sowieso sehr niedrig ist, verliert.
Wir als Koalitionsfraktionen legen daher großen Wert auf die Berechnung der Erbschaftsteuer nach dem Ertragswertverfahren und auf das Ansetzen der Steuerbilanzwerte für betrieblich gebundene Gebäude.
Die Wahrscheinlichkeit, daß der Vermittlungsausschuß über dieses Jahressteuergesetz herfällt, ist relativ groß. Ich sage dazu von vornherein: Die Finanzpolitiker der Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und F.D.P. werden einem Vorschlag des Vermittlungsausschusses nicht zustimmen, der entweder eine Ände-
Elke Wülfing
rung des Ertragswertverfahrens oder eine außerordentliche Höherbelastung der Betriebe zum Inhalt hat.
Es nützt nichts, Existenzgründungen zu fördern, wenn wir beim Erbübergang die schon bestehenden Arbeitsplätze kaputtmachen.
Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurf eines Jahressteuergesetzes 1997, Drucksache 13/4839. Der Finanzausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/5951 unter Nr. 1 Buchstabe a, den von ihm verabschiedeten weiteren Teil in der Ausschußfassung anzunehmen und den übrigen Teil des Gesetzentwurfs einer späteren Beschlußfassung vorzubehalten. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Opposition angenommen.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Die Fraktion der CDU/CSU verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das scheint der Fall zu sein. Ich eröffne die Abstimmung.
Haben alle ihre Stimme abgegeben? - Ich schließe die Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später mitgeteilt.*)
Ich bitte Sie, Platz zu nehmen, damit wir die Beratungen fortsetzen können.
Der Finanzausschuß empfiehlt unter Nr. 1 Buchstabe b seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/5951 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zum Jahressteuergesetz 1997, Drucksache 13/5975. Die Fraktion der SPD verlangt namentliche Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Ich gehe davon aus, daß alle Urnen besetzt sind und eröffne die Abstimmung.
Haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimme abgegeben? - Ist noch jemand anwesend, der seine Stimme nicht abgegeben hat? - Da ist noch jemand.
*) Seite 12074 C
Ich gehe davon aus, daß jetzt alle anwesenden Mitglieder ihre Stimme abgegeben haben. - Das ist der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben.*)
Wir setzen die Beratungen fort. - Ich darf Ihnen zunächst das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Schlußabstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P., Entwurf eines Jahressteuergesetzes 1997, auf den Drucksachen 13/ 4839, 13/5951 und 13/5952 bekanntgeben. Abgegebene Stimmen: 653. Mit Ja haben gestimmt: 335. Mit Nein haben gestimmt: 318. Enthaltungen: keine. Der Gesetzentwurf ist angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 653; davon:
ja: 335
nein: 318
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Altmaier
Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Franz Peter Basten Dr. Wolf Bauer
Brigitte Baumeister Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank
Dr. Heribert Blens Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig
Rudolf Braun Paul Breuer
Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Hartmut Büttner
Dankward Buwitt
Manfred Carstens Peter Harry Carstensen
Wolfgang Dehnel Hubert Deittert
Gertrud Dempwolf Albert Deß
Renate Diemers
') Seite 12077 D
Wilhelm Dietzel
Werner Dörflinger Hansjürgen Doss
Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn
Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Horst Eylmann
Anke Eymer
Ilse Falk
Jochen Feilcke
Dr. Karl H. Fell
Ulf "Fink
Dirk Fischer Klaus Francke (Hamburg) Herbert Frankenhauser Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger
Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler Michael Glos
Wilma Glücklich
Dr. Reinhard Göhner Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres
Kurt-Dieter Grill
Wolfgang Gröbl
Hermann Gröhe
Claus-Peter Grotz Manfred Grund
Horst Günther Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein
Gottfried Haschke
Gerda Hasselfeldt
Otto Hauser Hansgeorg Hauser
Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Manfred Heise
Dr. Renate Hellwig Ernst Hinsken
Peter Hintze
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Siegfried Hornung Joachim Hörster Hubert Hüppe
Peter Jacoby
Susanne Jaffke
Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst Dr.-Ing. Rainer Jork
Michael Jung Ulrich Junghanns
Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder
Peter Keller
Eckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl Hans-Ulrich Köhler
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus
Wolfgang Krause Andreas Krautscheid Arnulf Kriedner Heinz-Jürgen Kronberg Dr.-Ing. Paul Krüger Reiner Krziskewitz
Dr. Hermann Kues Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers
Karl Lamers
Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp
Armin Laschet
Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann Werner Lensing Christian Lenzer Peter Letzgus
Editha Limbach Walter Link Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann
Julius Louven
Sigrun Löwisch Heinrich Lummer Dr. Michael Luther
Erich Maaß Dr. Dietrich Mahlo
Erwin Marschewski Günter Marten
Dr. Martin Mayer
Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl
Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz
Rudolf Meyer
Hans Michelbach Meinolf Michels Dr. Gerd Müller
Elmar Müller Engelbert Nelle
Bernd Neumann Johannes Nitsch
Claudia Nolte Dr. Rolf Olderog Friedhelm Ost Eduard Oswald
Norbert Otto
Dr. Gerhard Päselt Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch
Ulrich Petzold Anton Pfeifer Angelika Pfeiffer Dr. Gero Pfennig
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Dr. Winfried Pinger
Ronald Pofalla
Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff
Dr. Albert Probst Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Thomas Rachel Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Rolf Rau
Helmut Rauber Peter Harald Rauen
Otto Regenspurger
Christa Reichard Klaus Dieter Reichardt
Dr. Bertold Reinartz
Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik
Roland Richter Roland Richwien Dr. Norbert Rieder
Dr. Erich Riedl Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Hannelore Rönsch
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith Adolf Roth
Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers
Roland Sauer Ortrun Schätzle
Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte
Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee Ulrich Schmalz Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt Dr.-Ing. Joachim Schmidt
Andreas Schmidt Hans-Otto Schmiedeberg
Hans Peter Schmitz Michael von Schmude
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff
Dr. Dieter Schulte
Gerhard Schulz (Leipzig) Frederick Schulze Diethard Schütze (Berlin) Clemens Schwalbe
Dr. Christian SchwarzSchilling
Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer
Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert
Rudolf Seiters Johannes Selle Bernd Siebert Jürgen Sikora
Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm
Max Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Egon Susset
Dr. Rita Süssmuth Michael Teiser
Dr. Susanne Tiemann
Dr. Klaus Töpfer Gottfried Tröger
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall Wolfgang Vogt
Dr. Horst Waffenschmidt
Dr. Theodor Waigel
Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Jürgen Warnke
Kersten Wetzel
Hans-Otto Wilhelm Bernd Wilz
Willy Wimmer Matthias Wissmann
Dr. Fritz Wittmann
Dagmar Wöhrl Michael Wonneberger
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer Wolfgang Zeitlmann
Benno Zierer Wolfgang Zöller
F.D.P.
Ina Albowitz
Dr. Gisela Babel Hildebrecht Braun
Günther Bredehorn Jörg van Essen
Dr. Olaf Feldmann Gisela Frick
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich
Rainer Funke
Hans-Dietrich Genscher Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Detlef Kleinert Roland Kohn
Dr. Heinrich L. Kolb
Jürgen Koppelin
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Dr. Otto Graf Lambsdorff Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Uwe Lühr
Jürgen W. Möllemann Günther Friedrich Nolting Dr. Rainer Ortleb
Lisa Peters
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Klaus Röhl
Helmut Schäfer Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard Schwaetzer
Dr. Hermann Otto Sohns Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Weng
Dr. Guido Westerwelle
Nein
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Klaus Barthel
Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt
Hans Berger
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher Rudolf Bindig
Arne Börnsen Anni Brandt-Elsweier
Tilo Braune
Dr. Eberhard Brecht Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Hans Martin Bury
Hans Büttner Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi
Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann
Karl Diller
Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen
Rudolf Dreßler
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Freimut Duve
Ludwig Eich
Peter Enders
Gemot Erler
Petra Ernstberger Annette Faße
Elke Ferner
Lothar Fischer Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski Dagmar Freitag Anke Fuchs Katrin Fuchs (Verl) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Norbert Gansel Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser Uwe Göllner
Günter Graf Angelika Graf (Rosenheim) Dieter Grasedieck
Karl Hermann Haack
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach Dr. Liesel Hartenstein
Klaus Hasenfratz
Dr. Ingomar Hauchler
Dieter Heistermann Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks
Monika Heubaum Uwe Hiksch
Reinhold Hiller
Stephan Hilsberg Gerd Höfer
Jelena Hoffmann Frank Hofmann (Volkach)
Ingrid Holzhüter Erwin Horn
Eike Hovermann Lothar Ibrügger Wolfgang Ilte
Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger
Jann-Peter Janssen Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung
Sabine Kaspereit Susanne Kastner Ernst Kastning Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose
Dr. Hans-Hinrich Knaape
Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Nicolette Kressl Volker Kröning Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Konrad Kunick Christine Kurzhals
Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange Detlev von Larcher Waltraud Lehn Robert Leidinger Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard Klaus Lohmann Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß Winfried Mante Dorle Marx
Ulrike Mascher Christoph Matschie
Ingrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck Markus Meckel
Ulrike Mehl
Herbert Meißner Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer Ursula Mogg
Siegmar Mosdorf
Michael Müller Jutta Müller (Völklingen) Christian Müller (Zittau) Volker Neumann (Bramsche) Gerhard Neumann (Gotha) Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese Doris Odendahl
Günter Oesinghaus
Leyla Onur
Manfred Opel Adolf Ostertag Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein
Dr. Eckhart Pick Joachim Poß
Rudolf Purps Hermann Rappe
Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse
Renate Rennebach Otto Reschke Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Günter Rixe
Reinhold Robbe Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht
Dr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Dieter Schanz
Rudolf Scharping Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten Günter Schluckebier
Horst Schmidbauer
Ulla Schmidt Dagmar Schmidt (Meschede) Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt
Dr. Emil Schnell Walter Schöler Ottmar Schreiner Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
Brigitte Schulte Reinhard Schultz
Volkmar Schultz (Köln)
Ilse Schumann
Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz Lisa Seuster
Horst Sielaff
Erika Simm
Johannes Singer
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge
Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler
Dr. Peter Struck Joachim Tappe Jörg Tauss
Dr. Bodo Teichmann
Margitta Terborg Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Dietmar Thieser Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin
Günter Verheugen Ute Vogt
Karsten D. Voigt Josef Vosen
Hans Georg Wagner
Hans Wallow
Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis Matthias Weisheit Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen Jochen Welt
Hildegard Wester Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Norbert Wieczorek Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz
Berthold Wittich
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben Hanna Wolf
Heidi Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Gila Altmann Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn)
Marieluise Beck Volker Beck (Köln) Angelika Beer
Matthias Berninger Annelie Buntenbach Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid
Andrea Fischer Joseph Fischer (Frankfurt) Rita Grießhaber
Gerald Häfner Antje Hermenau Kristin Heyne
Ulrike Höfken Michaele Hustedt Dr. Manuel Kiper Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke
Vera Lengsfeld
Dr. Helmut Lippelt Oswald Metzger Kerstin Müller Winfried Nachtwei Christa Nickels
Egbert Nitsch Cern Özdemir
Gerd Poppe
Simone Probst
Dr. Jürgen Rochlitz Halo Saibold
Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Wolfgang Schmitt
Ursula Schönberger
Werner Schulz Marina Steindor Christian Sterzing Manfred Such
Dr. Antje Vollmer Ludger Volmer
Helmut Wilhelm Margareta Wolf (Frankfurt)
PDS
Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Dr. Ludwig Elm
Dr. Dagmar Enkelmann
Dr. Ruth Fuchs Andrea Gysi
Dr. Gregor Gysi Harms-Peter Hartmann
Dr. Uwe-Jens Heuer Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner Rolf Köhne
Rolf Kutzmutz Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth
Dr. Günther Maleuda Manfred Müller Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Klaus-Jürgen Warnick
Dr. Winfried Wolf
Gerhard Zwerenz
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Wir kommen jetzt zum Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/ 5978. Die Fraktion verlangt, über Nr. 1 ihres Entschließungsantrags gesondert - und zwar namentlich - abzustimmen. Vor dieser namentlichen Abstimmung hat das Wort zu einer Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung der Kollege Werner Schulz, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es liegt Ihnen jetzt der Entschließungsantrag unserer Fraktion zum Jahressteuergesetz 1997 vor. Ich muß Ihnen sagen, daß ich mit diesem Entschließungsantrag gewisse Schwierigkeiten habe, weil ich eigentlich der Auffassung bin, daß der Solidaritätszuschlag in dieser Legislaturperiode überhaupt nicht zur Disposition gestellt werden sollte - und das nicht nur wegen der finanziellen Schwierigkeiten, sondern auch aus guten politischen Gründen und Motiven heraus. Ich bin deswegen froh, daß nur über Punkt 1 dieses Entschließungsantrages namentlich abgestimmt werden soll, und ich meine, daß auch Sie von der Koalition - wenn ich das richtig verstanden habe, ist das Ihre Kompromißlinie - diesem Punkt zustimmen könnten, der nämlich besagt, daß 1996 nicht festgelegt werden soll, daß der Solidarbeitrag 1998 um zwei Prozentpunkte gesenkt werden soll.
Ich bitte Sie also, wenigstens diese Sicherheit zu schaffen, nämlich den Solidarbeitrag aus dem Gezerre der Koalition - das führt zu einer allgemeinen Verunsicherung der Öffentlichkeit - herauszuhalten, und diesem Punkt zuzustimmen. Ich bitte Sie, die Sie in der Koalition diese Kompromißlinie nur mühsam gefunden haben, doch wenigstens dem Punkt 1 zuzustimmen.
Wir kommen zur Abstimmung. Wir stimmen zunächst über Nr. 1 des Entschließungsantrages der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/5978 ab. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, wieder die vorgesehenen Plätze einzunehmen. -
Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung.
Ist jetzt noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben.' )
Wir könnten die Beratung jetzt fortsetzen, wenn Sie Platz nehmen würden, so daß ich die Lage überblicken kann.
Wir stimmen jetzt über die Nm. 2 und 3 des Entschließungsantrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/5978 ab. Ich bitte diejeni-
*) Seite 12081 A
gen, die den genannten Nummern zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Nrn. 2 und 3 des Entschließungsantrags sind mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Stimmenthaltung von SPD und PDS abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/5976. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS abgelehnt.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Finanzausschusses zu dem vom Bundesrat eingebrachten Entwurf zur Änderung des Jahressteuergesetzes 1996 auf Drucksache 13/ 4542. Dieser Gesetzentwurf betrifft das steuerliche Reisekostenrecht.
Der Finanzausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/ 5951 unter Nr. 2, den Gesetzentwurf für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD-Fraktion und der Gruppe der PDS gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Ich gebe jetzt das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zum Entwurf eines Jahressteuergesetzes 1997, Drucksache 13/5975, bekannt. Abgegebene Stimmen: 654. Mit Ja haben gestimmt: 295. Mit Nein haben gestimmt: 335. Enthaltungen: 24. - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 652; davon:
ja: 293
nein: 335
enthalten: 24
Ja SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Hermann Bachmaier Ernst Bahr
Doris Bamett
Klaus Barthel
Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt Hans Berger
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher Rudolf Bindig
Arne Börnsen Anni Brandt-Elsweier
Tilo Braune
Dr. Eberhard Brecht
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Hans Martin Bury
Hans Büttner Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi
Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann
Karl Diller
Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen
Rudolf Dreßler Freimut Duve Ludwig Eich Peter Enders Gemot Erler Petra Ernstberger
Annette Faße
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Elke Ferner
Lothar Fischer Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski Dagmar Freitag Anke Fuchs Katrin Fuchs (Verl) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth
Norbert Gansel Konrad Gilges Iris Gleicke
Günter Gloser Uwe Göllner
Günter Graf Angelika Graf (Rosenheim) Dieter Grasedieck
Karl Hermann Haack
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach Dr. Liesel Hartenstein
Klaus Hasenfratz
Dr. Ingomar Hauchler
Dieter Heistermann
Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks
Monika Heubaum Uwe Hiksch
Reinhold Hiller Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann Frank Hofmann (Volkach)
Ingrid Holzhüter Erwin Horn
Eike Hovermann Lothar Ibrügger Wolfgang Ilte Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung
Sabine Kaspereit Susanne Kastner Ernst Kastning Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner Marianne Klappert
Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose Dr. Hans-Hinrich Knaape
Fritz Rudolf Körper
Nicolette Kressl Volker Kröning Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Konrad Kunick Christine Kurzhals Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange Detlev von Larcher
Waltraud Lehn Robert Leidinger Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard Klaus Lohmann Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß Winfried Mante Dorle Marx
Ulrike Mascher Christoph Matschie Ingrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck Markus Meckel
Ulrike Mehl
Herbert Meißner Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer Ursula Mogg
Siegmar Mosdorf
Michael Müller Jutta Müller (Völklingen) Christian Müller (Zittau) Volker Neumann (Bramsche) Gerhard Neumann (Gotha) Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese Doris Odendahl
Günter Oesinghaus Leyla Onur
Manfred Opel Adolf Ostertag Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein
Dr. Eckhart Pick Joachim Poß
Rudolf Purps
Hermann Rappe
Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse
Renate Rennebach Otto Reschke Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Günter Rixe
Reinhold Robbe Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch Dieter Schanz
Rudolf Scharping Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten Günter Schluckebier
Horst Schmidbauer
Ulla Schmidt Dagmar Schmidt (Meschede) Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt
Dr. Emil Schnell Walter Schöler Ottmar Schreiner Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann
Brigitte Schulte Reinhard Schultz (Everswinkel)
Volkmar Schultz Ilse Schumann
Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz
Lisa Seuster
Horst Sielaff
Erika Simm
Johannes Singer
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge
Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler
Dr. Peter Struck Joachim Tappe
Jörg Tauss
Dr. Bodo Teichmann Margitta Terborg Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Dietmar Thieser Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin
Günter Verheugen Ute Vogt Karsten D. Voigt (Frankfurt) Josef Vosen
Hans Georg Wagner Hans Wallow
Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis Matthias Weisheit Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen Jochen Welt
Hildegard Wester Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Norbert Wieczorek Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz
Berthold Wittich
Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf Heidi Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Gila Altmann Elisabeth Altmann
Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Angelika Beer
Matthias Berninger Annelie Buntenbach Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Andrea Fischer Joseph Fischer (Frankfurt) Rita Grießhaber
Gerald Häfner Antje Hermenau Kristin Heyne Ulrike Höfken Michaele Hustedt Dr. Manuel Kiper Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke
Vera Lengsfeld
Dr. Helmut Lippelt Oswald Metzger Kerstin Müller Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Egbert Nitsch Cem Özdemir
Gerd Poppe
Simone Probst
Dr. Jürgen Rochlitz
Halo Saibold Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk Wolfgang Schmitt
Ursula Schönberger
Werner Schulz Marina Steindor Christian Sterzing Manfred Such
Dr. Antje Vollmer Ludger Volmer
Helmut Wilhelm Margareta Wolf (Frankfurt)
PDS
Dr. Christa Luft Manfred Müller
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam Peter Altmaier
Anneliese Augustin
Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann
Franz Peter Basten
Dr. Wolf Bauer Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank
Dr. Heribert Blens Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Rudolf Braun Paul Breuer
Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Hartmut Büttner
Dankward Buwitt
Manfred Carstens Peter Harry Carstensen
Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Gertrud Dempwolf Albert Deß
Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjürgen Doss Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn Wolfgang Engelmann
Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann
Horst Eylmann Anke Eymer
Ilse Falk
Jochen Feilcke Dr. Karl H. Fell Ulf Fink
Dirk Fischer
Klaus Francke Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich
Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel
Michaela Geiger Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler Michael Glos
Wilma Glücklich
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Joachim Gres Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund
Horst Günther Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke
Gerda Hasselfeldt
Otto Hauser Hansgeorg Hauser
Klaus-Jürgen Hedrich
Helmut Heiderich Manfred Heise
Dr. Renate Hellwig Ernst Hinsken Peter Hintze
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster
Hubert Hüppe Peter Jacoby
Susanne Jaffke Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst Dr.-Ing. Rainer Jork
Michael Jung
Ulrich Junghanns Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder
Peter Keller
Eckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl Hans-Ulrich Köhler
Manfred Kolbe Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus
Wolfgang Krause Andreas Krautscheid
Arnulf Kriedner Heinz-Jürgen Kronberg Dr.-Ing. Paul Krüger
Reiner Krziskewitz Dr. Hermann Kues Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers
Karl Lamers
Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp
Armin Laschet Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs Karl-Josef Laumann
Werner Lensing Christian Lenzer Peter Letzgus Editha Limbach
Walter Link Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann
Julius Louven Sigrun Löwisch Heinrich Lummer Dr. Michael Luther
Erich Maaß Dr. Dietrich Mahlo
Erwin Marschewski Günter Marten
Dr. Martin Mayer
Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl
Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz
Rudolf Meyer
Hans Michelbach Meinolf Michels Dr. Gerd Müller
Elmar Müller Engelbert Nelle
Bernd Neumann Johannes Nitsch
Claudia Nolte Dr. Rolf Olderog Friedhelm Ost Eduard Oswald
Norbert Otto
Dr. Gerhard Päselt Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch Ulrich Petzold
Anton Pfeifer
Angelika Pfeiffer Dr. Gero Pfennig
Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp
Dr. Winfried Pinger Ronald Pofalla
Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff Dr. Albert Probst Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer Rolf Rau
Helmut Rauber
Peter Harald Rauen Otto Regenspurger
Christa Reichard Klaus Dieter Reichardt
Dr. Bertold Reinartz Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik Roland Richter
Roland Richwien Dr. Norbert Rieder
Dr. Erich Riedl Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer
Hannelore Rönsch
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith Adolf Roth Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers Roland Sauer Ortrun Schätzle
Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu
Norbert Schindler Dietmar Schlee
Ulrich Schmalz
Bernd Schmidbauer Christian Schmidt Dr.-Ing. Joachim Schmidt
Andreas Schmidt Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz
Michael von Schmude Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff Dr. Dieter Schulte
Gerhard Schulz Frederick Schulze Diethard Schütze (Berlin) Clemens Schwalbe
Dr. Christian Schwarz-Schilling
Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer
Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert
Rudolf Seiters Johannes Selle Bernd Siebert Jürgen Sikora
Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm
Max Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Egon Susset
Dr. Rita Süssmuth Michael Teiser
Dr. Susanne Tiemann
Dr. Klaus Töpfer Gottfried Tröger
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall Wolfgang Vogt
Dr. Horst Waffenschmidt
Dr. Theodor Waigel
Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Jürgen Warnke
Kersten Wetzel
Hans-Otto Wilhelm Bernd Wilz
Willy Wimmer Matthias Wissmann
Dr. Fritz Wittmann Dagmar Wöhrl Michael Wonneberger
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer Wolfgang Zeitlmann
Benno Zierer Wolfgang Zöller
F.D.P.
Ina Albowitz
Dr. Gisela Babel Hildebrecht Braun
Günther Bredehorn
Jörg van Essen
Dr. Olaf Feldmann Gisela Frick
Paul K. Friedhoff Horst Friedrich Rainer Funke
Hans-Dietrich Genscher
Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther
Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Detlef Kleinert Roland Kohn
Dr. Heinrich L. Kolb Jürgen Koppelin
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann
Dr. Otto Graf Lambsdorff
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Uwe Lühr
Jürgen W. Möllemann Günther Friedrich Nolting
Dr. Rainer Ortleb Lisa Peters
Dr. Günter Rexrodt Dr. Klaus Röhl
Helmut Schäfer Cornelia Schmalz-Jacobsen
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Dr. Irmgard Schwaetzer
Dr. Hermann Otto Sohns '
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Weng
Dr. Guido Westerwelle
Enthalten
PDS
Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter Dr. Ludwig Elm
Dr. Dagmar Enkelmann Dr. Ruth Fuchs
Andrea Gysi
Dr. Gregor Gysi Hanns-Peter Hartmann Dr. Uwe-Jens Heuer Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner Rolf Köhne
Rolf Kutzmutz Heidemarie Lüth
Dr. Günther Maleuda Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Klaus-Jürgen Warnick Dr. Winfried Wolf Gerhard Zwerenz
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf zur Sicherung der künstlerischen und kulturellen Vielfalt bei Auftritten von Künstlern und Künstlerinnen, die ihren Wohnsitz im Ausland haben, Drucksache 13/4750. Der Finanzausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/5951 unter Nr. 3, den Gesetzentwurf abzulehnen.
Ich lasse über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/4750 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Abstimmung über den von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf zur Neuregelung der Vermögensteuer und der Erbschaftsteuer, Drucksache 13/4838. Der Finanzausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/5951 unter Nr. 4, den Gesetzentwurf abzulehnen.
Ich lasse über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/4838 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt, Stimmverhältnisse wie zuvor. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Abstimmung über den von der Fraktion der SPD eingebrachten Gesetzentwurf zur Neuregelung der Vermögensteuer und der Erbschaftsteuer, Drucksache 13/5504. Der Finanzausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/4951 unter Nr. 5, den Gesetzentwurf abzulehnen.
Ich lasse über den Gesetzentwurf der SPD auf Drucksache 13/5504 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Beschlußempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Schaffung von Arbeitsplätzen, Senkung der Arbeitskosten und zur ökologischen Modernisierung der Wirtschaft, Drucksache 13/5951 Nr. 6. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/3230 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD-Fraktion bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen.
Beschlußempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Gruppe der PDS zur Umverteilung des Reichtums und zur gerechten Ausgestaltung der Erbschaftsbesteuerung, Drucksache 13/5951 Nr. 7. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/4845 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Gruppe der PDS angenommen.
Beschlußempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD zu einem Aktionsprogramm gegen Wirtschaftskriminalität und Steuerhinterziehung, Drucksache 13/5951 Nr. 8. Der Ausschuß empfiehlt den Antrag auf Drucksache 13/4859 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD-Fraktion und der PDS bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/ Die Grünen angenommen.
Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen zur weiteren Notwendigkeit des Solidaritätszuschlags. Das ist die Drucksache 13/ 5951 Nr. 9. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/4871 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion des Bündnisses 90/ Die Grünen bei Enthaltung der SPD und eines Teils der PDS angenommen.
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Ich gebe Ihnen das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über Nr. 1 des Entschließungsantrags der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. - Entwurf eines Jahressteuergesetzes 1997 - auf der Drucksache 13/5978 bekannt.
Abgegebene Stimmen: 652. Mit Ja haben 318 gestimmt, mit Nein 334, es gab keine Enthaltungen. Nr. 1 des Entschließungsantrags ist abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 652; davon:
ja: 318
nein: 334
Ja
SPD
Brigitte Adler Gerd Andres Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett Klaus Barthel
Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt
Hans Berger Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher Rudolf Bindig
Arne Börnsen Anni Brandt-Elsweier
Tilo Braune
Dr. Eberhard Brecht
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt Hans Martin Bury
Hans Büttner Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi
Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann
Karl Diller
Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen
Rudolf Dreßler Freimut Duve Ludwig Eich Peter Enders Gernot Erler Petra Ernstberger
Annette Faße Elke Ferner
Lothar Fischer Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Dagmar Freitag Anke Fuchs
Katrin Fuchs
Arne Fuhrmann Monika Ganseforth
Norbert Gansel
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Günter Graf Angelika Graf (Rosenheim) Dieter Grasedieck
Karl Hermann Haack
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach Dr. Liesel Hartenstein Klaus Hasenfratz
Dr. Ingomar Hauchler Dieter Heistermann Reinhold Hemker Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe Hiksch
Reinhold Hiller Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann Frank Hofmann (Volkach) Ingrid Holzhüter
Erwin Horn
Eike Hovermann Lothar Ibrügger Wolfgang Ilte
Barbara Imhof
Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger
Jann-Peter Janssen Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung Sabine Kaspereit Susanne Kastner
Ernst Kastning
Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose
Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper Nicolette Kressl Volker Kröning Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Konrad Kunick
Christine Kurzhals Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange Detlev von Larcher Waltraud Lehn Robert Leidinger Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard Klaus Lohmann Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß
Winfried Mante Dorle Marx
Ulrike Mascher Christoph Matschie Ingrid Matthäus-Maier
Heide Mattischeck Markus Meckel Ulrike Mehl
Herbert Meißner Angelika Mertens Dr. Jürgen Meyer
Ursula Mogg Siegmar Mosdorf
Michael Müller Jutta Müller (Völklingen) Christian Müller (Zittau) Volker Neumann (Bramsche) Gerhard Neumann (Gotha)
Dr. Edith Niehuis Dr. Rolf Niese Doris Odendahl Günter Oesinghaus Leyla Onur
Manfred Opel Adolf Ostertag Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein
Dr. Eckhart Pick Joachim Poß
Rudolf Purps
Hermann Rappe Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse
Renate Rennebach Otto Reschke Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Günter Rixe
Reinhold Robbe Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Dieter Schanz Rudolf Scharping Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten Günter Schluckebier
Horst Schmidbauer Ulla Schmidt (Aachen) Dagmar Schmidt (Meschede)
Wilhelm Schmidt Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt
Dr. Emil Schnell Walter Schöler Ottmar Schreiner Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
Brigitte Schulte Reinhard Schultz
Volkmar Schultz (Köln)
Use Schumann
Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz Lisa Seuster
Horst Sielaff
Erika Simm
Johannes Singer
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge
Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler
Dr. Peter Struck Joachim Tappe Jörg Tauss
Dr. Bodo Teichmann
Margitta Terborg Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Dietmar Thieser Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin
Günter Verheugen Ute Vogt
Karsten D. Voigt Josef Vosen
Hans Georg Wagner
Hans Wallow
Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis Matthias Weisheit Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen Jochen Welt
Hildegard Wester Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Norbert Wieczorek Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz
Berthold Wittich
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben Hanna Wolf
Heidi Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Gila Altmann Elisabeth Altmann
Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Angelika Beer
Matthias Berninger Annelie Buntenbach Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid
Andrea Fischer Joseph Fischer (Frankfurt) Rita Grießhaber
Gerald Häfner Antje Hermenau Kristin Heyne
Ulrike Höfken Michaele Hustedt Dr. Manuel Kiper Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke
Vera Lengsfeld
Dr. Helmut Lippelt Oswald Metzger Kerstin Müller Winfried Nachtwei Christa Nickels
Egbert Nitsch Cem Özdemir
Gerd Poppe
Simone Probst
Dr. Jürgen Rochlitz Halo Saibold
Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Wolfgang Schmitt
Ursula Schönberger
Werner Schulz Marina Steindor Christian Sterzing Manfred Such
Dr. Antje Vollmer Ludger Volmer
Helmut Wilhelm Margareta Wolf (Frankfurt)
PDS
Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Dr. Ludwig Elm
Dr. Dagmar Enkelmann
Dr. Ruth Fuchs Andrea Gysi
Dr. Gregor Gysi Hanns-Peter Hartmann
Dr. Uwe-Jens Heuer Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Köhne
Rolf Kutzmutz Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth
Dr. Günther Maleuda Manfred Müller Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Klaus-Jürgen Warnick
Dr. Winfried Wolf
Gerhard Zwerenz
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Altmaier
Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Franz Peter Basten Dr. Wolf Bauer
Brigitte Baumeister Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank
Dr. Heribert Blens Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig
Rudolf Braun Paul Breuer
Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Hartmut Büttner
Dankward Buwitt
Manfred Carstens Peter Harry Carstensen
Wolfgang Dehnel Gertrud Dempwolf Albert Deß
Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjürgen Doss Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn
Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Horst Eylmann
Anke Eymer
Ilse Falk
Jochen Feilcke
Dr. Karl H. Fell
Ulf Fink
Dirk Fischer Klaus Francke (Hamburg) Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler Michael Glos
Wilma Glücklich
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund
Horst Günther Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke
Gerda Hasselfeldt
Otto Hauser Hansgeorg Hauser
Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Manfred Heise
Dr. Renate Hellwig Ernst Hinsken Peter Hintze
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster
Hubert Hüppe Peter Jacoby
Susanne Jaffke Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst Dr.-Ing. Rainer Jork
Michael Jung Ulrich Junghanns
Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder
Peter Keller
Eckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl Hans-Ulrich Köhler
Manfred Kolbe Norbert Königshof en Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus
Wolfgang Krause Andreas Krautscheid Arnulf Kriedner Heinz-Jürgen Kronberg Dr.-Ing. Paul Krüger Reiner Krziskewitz
Dr. Hermann Kues Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers
Karl Lamers
Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp
Armin Laschet Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs Karl-Josef Laumann Werner Lensing
Christian Lenzer
Peter Letzgus
Editha Limbach
Walter Link Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann
Julius Louven
Sigrun Löwisch
Heinrich Lummer Dr. Michael Luther
Erich Maaß Dr. Dietrich Mahlo
Erwin Marschewski Günter Marten
Dr. Martin Mayer
Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl
Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz
Rudolf Meyer Hans Michelbach Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Elmar Müller Engelbert Nelle
Bernd Neumann Johannes Nitsch
Claudia Nolte
Dr. Rolf Olderog
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto Dr. Gerhard Päselt Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch Ulrich Petzold
Anton Pfeifer
Angelika Pfeiffer Dr. Gero Pfennig
Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp
Dr. Winfried Pinger Ronald Pofalla
Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Dr. Albert Probst Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer Rolf Rau
Helmut Rauber
Peter Harald Rauen Otto Regenspurger
Christa Reichard Klaus Dieter Reichardt
Dr. Bertold Reinartz Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik Roland Richter
Roland Richwien Dr. Norbert Rieder
Dr. Erich Riedl Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Hannelore Rönsch
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith Adolf Roth
Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers Roland Sauer Ortrun Schätzle
Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte
Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee Ulrich Schmalz Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt Dr.-Ing. Joachim Schmidt
Andreas Schmidt Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz
Michael von Schmude
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff
Dr. Dieter Schulte
Gerhard Schulz (Leipzig) Frederick Schulze Diethard Schütze (Berlin) Clemens Schwalbe
Dr. Christian Schwarz-Schilling
Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer
Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert Rudolf Seiters Johannes Selle Bernd Siebert Jürgen Sikora
Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm
Max Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Egon Susset
Dr. Rita Süssmuth Michael Teiser
Dr. Susanne Tiemann
Dr. Klaus Töpfer Gottfried Tröger
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall Wolfgang Vogt
Dr. Horst Waffenschmidt Dr. Theodor Waigel
Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Jürgen Warnke
Kersten Wetzel
Hans-Otto Wilhelm Bernd Wilz
Willy Wimmer Matthias Wissmann Dr. Fritz Wittmann
Dagmar Wöhrl
Michael Wonneberger Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer
Wolfgang Zeitlmann Benno Zierer
Wolfgang Zöller
F.D.P.
Ina Albowitz
Dr. Gisela Babel
Hildebrecht Braun
Günther Bredehorn Jörg van Essen
Dr. Olaf Feldmann Gisela Frick
Paul K. Friedhoff Horst Friedrich
Rainer Funke
Hans-Dietrich Genscher
Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther
Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Detlef Kleinert Roland Kohn
Dr. Heinrich L. Kolb Jürgen Koppelin
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Dr. Otto Graf Lambsdorff Sabine LeutheusserSchnarrenberger Uwe Lühr
Jürgen W. Möllemann Günther Friedrich Nolting Dr. Rainer Ortleb
Lisa Peters
Dr. Günter Rexrodt Dr. Klaus Röhl
Helmut Schäfer Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard Schwaetzer
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Weng
Dr. Guido Westerwelle
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der Arbeitsförderung
- Drucksache 13/4941 -
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Ottmar Schreiner, Adolf Ostertag, Rudolf Dreßler, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Arbeits- und Strukturförderungsgesetzes
- Drucksache 13/1440 -
- Zweite und dritte Beratung des von der Abgeordneten Dr. Heidi Knake-Werner und der Gruppe der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes
- Drucksache 13/983 -
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
- Drucksachen 13/5935, 13/5936 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Heinz Schemken Adolf Ostertag
Marieluise Beck Dr. Gisela Babel
Dr. Heidi Knake-Werner
bb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksachen 13/5937, 13/5973 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dietrich Austermann Antje Hermenau
Ina Albowitz
Dr. Konstanze Wegner
b) Beratung des Antrags der Gruppe der PDS
Arbeit und soziale Gerechtigkeit fördern - Grundsätze und Ziele eines Gesetzes zur Erneuerung des Arbeitsförderungsgesetzes
- Drucksache 13/5959 -
Zum Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen vor. Außerdem hat die Fraktion der SPD zum Arbeitsförderungs-Reformgesetz einen Änderungsantrag eingebracht.
Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an die Aussprache über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD namentlich abstimmen werden. Die Schlußabstimmung über das Arbeitsförderungs-Reformgesetz erfolgt ebenfalls namentlich. Da zur Annahme
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
dieses Gesetzentwurfs die absolute Mehrheit erforderlich ist, benötigen Sie bei der Abstimmung über den Gesetzentwurf, also bei der zweiten namentlichen Abstimmung, außer Ihrer Stimmkarte Ihren gelben Stimmausweis. Den Stimmausweis können Sie nachher Ihren Stimmkartenfächern entnehmen. Bitte achten Sie unbedingt darauf, daß sowohl die Stimmkarten als auch der Stimmausweis Ihren Namen tragen.
Wir beginnen jetzt mit der Aussprache. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind dafür zwei Stunden vorgesehen. Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache; das Wort hat der Kollege Heinz Schemken, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Beratung des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes findet zu einem Zeitpunkt statt, in dem sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt dramatisch darstellt. Die öffentlichen Kassen sind überfordert. Trotz Konjunkturanstiegs stellen wir keine Verbesserungen am Arbeitsmarkt fest. Wirtschaft und Gesellschaft müssen die Veränderungen im internationalen Wettbewerb aushalten und stehen vor großen Herausforderungen. Die Folgen der deutschen Wiedervereinigung sind noch nicht verkraftet, auch hier drücken die Lasten auf die öffentlichen Haushalte.
Dabei sind unsere Sozialsysteme in einem Maße wie noch nie in der Geschichte unseres Sozialstaates gefordert. Die Arbeitslosigkeit hat mit 4 Millionen Arbeitslosen ein Ausmaß erreicht, das wir auf keinen Fall akzeptieren können und werden.
Wir müssen das Verhältnis der sozialen Leistungen zur wirtschaftlichen Leistungskraft immer wieder ins Gleichgewicht bringen. Den notwendigen Korrekturen können wir uns nicht widersetzen, wenn wir nicht die Zukunft verspielen wollen. Das ist bei den Anhörungen sehr deutlich geworden. Natürlich sind die Maßnahmen mit Härten verbunden; das bestreitet wohl niemand.
Immerhin machen die sozialen Leistungen in der Bundesrepublik Deutschland nach wie vor ein Drittel des Bruttosozialproduktes aus. Das sind 1,2 Billionen DM. Das bedeutet, daß wir nach wie vor den Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft sozialpolitisch begleiten werden. Allerdings werden wir nicht alle Besitzstände sichern können. Wenn wir die Lohnnebenkosten senken wollen - das wollen alle -, um im Wettbewerb neue Arbeitsplätze zu schaffen, dann ist dies dringend erforderlich. Wer die Arbeitslosen in Arbeit bringen will, wer Arbeitsplätze sichern und neue schaffen will, der muß sich nach den Einsichten aller Beteiligten diesen notwendigen Reformen stellen.
Als das Arbeitsförderungsgesetz 1969 verabschiedet wurde, war es eine Antwort auf die Herausforderungen der 60er und 70er Jahre.
Die Situation damals - hören Sie gut zu! - wird an folgenden Zahlen deutlich. Es gab 1969 100 000 Arbeitslose bei fast 700 000 offenen Stellen und einer Zahl von ausländischen Mitbürgern, also Gastarbeitern, von 1,2 Millionen, also eine völlig andere Ausgangslage als die, mit der wir uns heute beschäftigen müssen. Deshalb müssen wir eine Antwort auf die Probleme am Arbeitsmarkt heute geben.
Das Arbeitsförderungsrecht ist in seiner derzeitigen Form - das stellt wohl niemand in Frage - zunehmend komplizierter und dabei auch unübersichtlicher geworden. Deshalb hat sich die Regierungskoalition mit der Einbringung des Gesetzentwurfs für eine grundlegende Reform entschieden. Die Notwendigkeit dazu ist auch durch die Beiträge der Sachverständigen in der Anhörung bestätigt worden. Mit der Reform des Arbeitsförderungsrechts sollen erstens die Erwerbschancen von Arbeitslosen verbessert und Arbeitslosigkeit vermieden werden;
zweitens das Arbeitsförderungsrecht weiterentwikkelt und in der Anwendbarkeit verbessert werden; drittens die Effektivität und Effizienz der Bundesanstalt erhöht; viertens der Leistungsmißbrauch erfaßt und die illegale Beschäftigung wirksam bekämpft werden; fünftens - das Wesentliche - nicht zuletzt der Beitrag stabilisiert und die Beitragszahler entlastet werden.
Die Arbeitsmarktpolitik im Arbeitsförderungs-Reformgesetz zielt deshalb maßgeblich darauf ab, die Instrumente stärker auf die Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt und damit auf die Betriebsnähe auszurichten. Die Instrumente werden dort eingesetzt, wo es im Einzelfall notwendig ist, wobei auch die Personengruppen, die in besonderen persönlichen und arbeitsmarktbezogenen Problemen stehen, berücksichtigt werden. Hierbei wird den Lebensverhältnissen von Frauen besonders Rechnung getragen.
- Dazu kommen wir noch.
Um die Schaffung von Arbeitsplätzen in der Gründungsphase von kleinen und mittleren Unternehmen zu nutzen, wird der Einstellungszuschuß bei Neugründungen auf 24 Monate erhöht. Dies gilt im übrigen für zwei Arbeitslose zugleich. Ich möchte in diesem Zusammenhang einmal darauf hinweisen, daß gerade im Mittelstand 700 000 neue Arbeitsplätze entstanden sind, während die Großindustrie sie dramatisch reduzierte.
Diesen positiven Effekt wollen wir nutzen und stützen.
Vor Beginn der jeweiligen Förderung darf der Arbeitgeber höchstens fünf Arbeitnehmer beschäftigen, Teilzeitbeschäftigte werden jeweils nur anteilsmäßig berücksichtigt. Eine Förderung ist dann ausgeschlossen, wenn der Arbeitgeber zur Erhaltung
Heinz Schemken
eines Zuschusses Arbeitnehmer entlassen hat. Damit wollen wir die Mitnahmeeffekte vermeiden. Der förderungswürdige Personenkreis wird auf Teilnehmer an Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Strukturanpassungsmaßnahmen und beruflichen Maßnahmen der Weiterbildung erweitert.
Darüber hinaus wird über den Eingliederungsvertrag - ein neues Instrument - für Langzeitarbeitslose eine weitere Brücke zum Betrieb gebaut. Hierbei werden die latenten Risiken bei den Betroffenen von der Arbeitsverwaltung übernommen. Wir wollen darüber hinaus - das ist ganz wesentlich - den örtlichen Arbeitsämtern Mittel zur freien Förderung und Entscheidung in Höhe von 10 Prozent in der aktiven Arbeitsmarktpolitik bereitstellen. Damit kann vor Ort gehandelt werden, und damit können die Maßnahmen sinnvoller und effektiver in der jeweils betroffenen Region angewandt werden und sicherlich auch wirken.
Durch die Reform werden auch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Strukturanpassungsmaßnahmen sowie die produktive Arbeit bzw. die Lohnkostenzuschüsse neu ausgerichtet. Auch das ist ganz wichtig. Diese Maßnahmen des zweiten Arbeitsmarktes dienen nicht dazu
- ja, wir haben umgeschichtet; das ist schon richtig -, Arbeitsmarktdefizite auszugleichen, die vor allem auf mangelnde Flexibilität des Arbeitsmarktes zurückzuführen sind. Das können wir nicht mehr durchhalten. Hier ist Flexibilität gefordert. Auch das ist ein Impuls aus diesem Gesetz.
Durch die Reform werden Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen darauf ausgerichtet, daß Arbeitslose durch Arbeit beruflich stabilisiert und qualifiziert werden; dies allerdings nur dann, wenn andere Instrumente nicht greifen. Wir wollen hier bewußt nicht den Weg in eine Sackgasse des zweiten Arbeitsmarktes öffnen, sondern möchten einen gewissen Zwang, sozusagen begleitend zu diesem Instrument der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, wirksam werden lassen, der es auch möglich macht, unmittelbar in den ersten Arbeitsmarkt zu gelangen.
Zur Verbesserung der Vermittlungsaussichten sollen jedoch künftig maßnahmebegleitende berufliche Qualifizierungen mit einem Zeitanteil von bis zu 20 Prozent, aber höchstens 50 Prozent der Zuweisungsdauer zulässig sein.
Ich weise darauf hin, daß für das Nachholen des Schulabschlusses die Bundesanstalt für Arbeit nach wie vor knapp 500 Millionen DM ausgibt. Das ist sicherlich ein Zustand, der so nicht auf ewig hingenommen werden kann. Hier sind auch die Schulen aufgefordert, die Leistung zu erbringen, die wir eigentlich erwarten. Es sollte mindestens die Qualifikation eines Hauptschulabschlusses vorhanden sein, damit der junge Mensch nicht vor dem Fabriktor stehenbleibt, weil er letztlich den Einstieg in die Erwachsenenwelt nicht erreicht.
Ohne einen Schulabschluß ist dies heute in der beruflichen Bildung nicht mehr möglich.
Die Zuschüsse orientieren sich künftig insgesamt an 80 Prozent statt 90 Prozent des Arbeitsentgeltes eines Arbeitnehmers mit vergleichbarer Tätigkeit in ungeförderter Arbeit. Es kann ja nicht sein, daß wir über das Maß der ungeförderten Arbeit, der Regelarbeit hinaus fördern. Dies ist sicherlich auch den Beitragszahlern nicht zuzumuten.
Gegenüber dem ursprünglichen Gesetzentwurf zum AFRG haben wir im Ausschuß zu den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen folgende Änderungen beschlossen: Die Zulässigkeit berufsbegleitender Qualifizierung und betrieblicher Praktika wird auf den 1. Januar 1997 vorgezogen. Wir gehen in den neuen Bundesländern so weit, daß wir dies auch schrittweise angleichen, und dies, wenn Sie so wollen, in der Befristung über das Jahr 1997 hinaus bis zum Jahr 2002 verlängern. Damit werden wir sicher auch der Situation in den jungen Bundesländern gerecht; denn gerade mit diesen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen werden im Denkmalschutz, im Umweltschutz und darüber hinaus auch in der Jugendhilfe und im Dienstleistungsbereich Möglichkeiten für diejenigen geschaffen, die letztlich den ersten Arbeitsmarkt nicht erreichen.
Herr Kollege Schemken, es tut mir leid, aber Sie müssen auf die Uhr achten.
Abschließend vielleicht noch einen Satz, Herr Präsident.
Wir haben als entscheidenden Punkt mit eingebracht, die Leistungen für die Behinderten und Lernbehinderten nach wie vor mit einem Rechtsanspruch zu versehen und da, wo das normale Instrumentarium nicht greift, den Behinderten nach wie vor die Möglichkeit zu eröffnen, in den Berufsbildungs-, in den Berufsförderungswerken und den Behindertenwerkstätten gefördert zu werden.
Ich wünsche uns, daß Sie diesem Gesetzentwurf zustimmen, im übrigen auch dem dazugehörigen Entschließungsantrag bezüglich der Maßnahmen in den jungen Bundesländern.
Schönen Dank.
Das Wort hat Kollege Ottmar Schreiner, SPD.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die zweite und dritte Lesung des Koalitionsgesetzentwurfes ist, wie ich finde, mit einer beispiellosen Manipulation verbunden.
Ottmar Schreiner
Der Gesetzentwurf, der den Abgeordneten und draußen den Journalisten zugänglich ist, enthält immerhin noch eine Einschätzung der finanziellen Folgewirkungen. Auf der Seite 2 des Vorblattes ist unter der Überschrift „Kosten der öffentlichen Haushalte" zu lesen:
Bei der Bundesanstalt für Arbeit sinken die Ausgaben um rd. 1,7 Mrd. DM in 1997 und um rd. 17 Mrd. DM in 2000.
Die Sätze über die Kosten sind heute morgen auf massiven Druck der ostdeutschen CDU-Abgeordneten aus dem Vorblatt herausmanipuliert worden.
Offenkundig soll das dazu dienen, den ostdeutschen CDU-Kollegen, die in den letzten Wochen und Monaten den Mund in der Öffentlichkeit sehr voll genommen haben, die Gesichtspflege zu erleichtern.
Es ist ein beispielloser Vorgang, daß sich in einem umfänglichen Gesetzentwurf
die Antragsteller weigern, Auskunft über die finanziellen Folgewirkungen zu geben. Es ist im Grunde nicht verantwortbar, daß das Parlament, das augenscheinlich nichts über die finanziellen Folgewirkungen weiß, heute möglicherweise einen solchen Gesetzentwurf verabschiedet.
Im übrigen ist das kein Zufall: Sie haben sich während der Beratungen strikt geweigert, über die finanziellen Auswirkungen der Änderungsanträge Auskünfte zu geben. Sie haben sich geweigert, das übliche Verfahren einzuschlagen und dem Haushaltsausschuß den Gesetzentwurf zur finanzpolitischen Begutachtung vorzulegen. Wir geraten deshalb in die abenteuerliche Situation, daß das Parlament bei der Schlußberatung eines Gesetzentwurfes völlig im dunkeln über die finanzpolitischen Auswirkungen dieses Gesetzes gelassen werden soll. Sie haben offenkundig überhaupt nichts aus Ihrem gegenwärtigen finanzpolitischen Debakel gelernt. Ja, Sie setzen dieses Debakel in unverantwortlicher Weise für die Zukunft fort.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja.
Herr Kollege Grund, bitte.
Herr Kollege Schreiner, können Sie mir bestätigen, daß im Bericht des Ausschusses zu dieser Gesetzesvorlage steht, das
Einsparpotential von 1,7 Milliarden DM sei nicht Gegenstand dieses Gesetzgebungsverfahrens, quantifizierbar sei nur die Absenkung der Entgelte für die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen? Alles übrige stehe im Ermessen des Haushaltsgesetzgebers und müsse im weiteren Haushaltsverfahren geklärt werden.
Herr Kollege Schreiner, können Sie mir weiterhin bestätigen, daß der Bericht des Haushaltsausschusses, der sich mit diesem Gesetz befaßt, bei ABM Veränderungen von 600 Millionen DM ausweist? Genau dieser Betrag war zu quantifizieren.
Der Haushaltsausschuß hat sich zu einer Zeit mit dem Gesetzentwurf befaßt, als es zu den Änderungen noch nicht gekommen war. Der Haushaltsausschuß ist entgegen allen üblichen Gepflogenheiten nicht mehr abschließend mit dem Gesetz befaßt worden.
- Im übrigen, Herr Kollege Geißler, ist es ganz übliche Art des Hauses, daß bei einem umfänglichen Gesetzentwurf, ja selbst bei weniger umfänglichen Gesetzentwürfen auf dem Vorblatt die Kosten, die finanzpolitischen Auswirkungen veranschlagt werden. Sie drehen hier eine Sondernummer und nehmen unmittelbar vor der abschließenden Beratung im Parlament diese Kostenschätzungen aus dem Vorblatt des Gesetzentwurfes und damit letztlich aus dem Gesetzentwurf heraus, um ihren ostdeutschen Kollegen, die wohl heute morgen randaliert haben, eine Art von Gesichtspflege und -wahrung zu ermöglichen.
Ich behaupte nach wie vor, daß die veranschlagten Zahlen für Ostdeutschland zutreffen. Im Klartext heißt das - ob Sie es wollen oder nicht -, Sie werden in den nächsten Jahren im Gefolge dieses Gesetzentwurfes in Ostdeutschland einen weiteren Auswuchs der Arbeitslosigkeit um mehrere 100 000 Arbeitslose erhalten. Dem werden Sie möglicherweise heute hier zustimmen. Ich werde im Laufe der Debatte noch auf diesen Vorgang zurückkommen.
Im übrigen ist heute morgen von Theo Waigel bestätigt worden, daß im Rahmen der Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen eine weitere Milliarde DM zusätzlich gekürzt werden soll. Wissen Sie, was das für Ostdeutschland bedeutet? Wissen Sie, wie viele Menschen in Ostdeutschland an Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen teilnehmen? Hier wird jetzt schon auf Grund dieses Gesetzentwurfes gekürzt. Nach den jüngsten Verlautbarungen von heute morgen ist mit weiteren Kürzungen von rund 1 Milliarde DM zu rechnen. Ich sage Ihnen, das ist völlig unverantwortlich, wenn man zudem weiß, daß zum erstenmal seit drei Jahren die reguläre Beschäftigung in Ostdeutschland wieder abnimmt.
Ottmar Schreiner
Meine Damen und Herren, dem Parlament liegen zwei klare Alternativen vor.
- Nein, Sie sollten etwas zur Sache sagen, Sie Drödelmann, und hier nicht irgendwie herumblöken. Es wäre ganz nett, wenn Sie sich in einer zivilen Form in Gestalt einer Zwischenfrage melden könnten. Dann könnten wir das in einer ordnungsgemäßen Weise zu klären versuchen.
Herr Kollege Schreiner, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Krüger?
Ja, sicher.
- Ich habe nicht Blödelmann, sondern Drödelmann gesagt.
Herr Kollege Schreiner, ich frage Sie: Ist Ihnen entgangen, daß wir heute einen Entschließungsantrag, über den heute auch abgestimmt wird, vorliegen haben, in dem unter anderem folgende Passage in bezug auf die Exekution dieses Gesetzes, gerichtet an die Bundesanstalt für Arbeit, enthalten ist:
Dabei sollen die Mittel für geförderte Arbeit stärker auf Regionen mit besonders geringen Beschäftigungsquoten im regulären Arbeitsmarkt konzentriert und so genutzt werden, daß eine Reduzierung der Anzahl der geförderten Personen nur bei einem entsprechenden Rückgang der Arbeitslosigkeit erfolgt.
Das bedeutet, daß es nicht zu dem von Ihnen prognostizierten Ansteigen der Arbeitslosigkeit kommen wird.
Ich frage Sie weiter: Wie wollen Sie es gegenüber den Menschen in den neuen Bundesländern verantworten, daß Sie sie in einer derart, wie ich meine, unqualifizierten Weise verunsichern?
Dann muß ich die Frage stellen: Sind Sie bereit, diesem Antrag Ihre Zustimmung zu geben, um die Erhaltung der beschäftigungsfördernden Maßnahmen in den neuen Bundesländern sicherzustellen?
Lieber Kollege Krüger, die Tatsache, daß Sie hier mit einem solchen Antrag herumwedeln, zeigt bereits Ihre ganze Hilflosigkeit.
Wenn Sie wirklich in der Sache etwas für Ostdeutschland hätten durchsetzen wollen, hätte dies im Rahmen des Gesetzentwurfes geschehen müssen.
Daran sind Sie augenscheinlich von der Mehrheit Ihrer Fraktion und Ihres Koalitionspartners gehindert worden. Dieser Antrag ist im günstigsten Falle eine Verteilung des Mangels, bessert überhaupt nichts auf gegenüber dem Gesetzentwurf, den Sie abenteuerlicherweise mit Ihrer Stimme verabschieden werden. Das bindet die Bundesanstalt für Arbeit und nicht das Herumwedeln mit irgendwelchen Anträgen. Das soll offenkundig dazu dienen, Sie weiterhin ruhigzustellen. Sie haben öffentlich den großen Maulhelden gemacht, und hier werden Sie einknikken, wie ich vermute.
Meine Damen und Herren, das Parlament hat zwei klare Alternativen vorliegen, die zur Abstimmung anstehen: Der Regierungsentwurf ist im wesentlichen ideologisch zu erklären. Der Kollege Louven hat ja bei der ersten Lesung dankenswerterweise das zentrale Motiv formuliert. Er hat gesagt, umfassende Arbeitsbeschaffungsprogramme hinderten den Druck auf die Tarifpartner, arbeitsgerechte Lohnabschlüsse zu tätigen. Das heißt, Sie reduzieren massiv die arbeitsmarktpolitischen Instrumente, um Druck auf die Tarifparteien auszuüben, möglichst niedrige Lohnabschlüsse zu tätigen. Diese Überlegung ist in der Tat abenteuerlich, wenn man weiß, daß die Reallöhne in den letzten fünf Jahren im Schnitt gerade mal um 0,6 Prozent angestiegen sind - die privaten Geldvermögen im gleichen Zeitraum übrigens um 35 Prozent -, und wenn man zudem weiß, daß der Anteil der Einkommen aus abhängiger Beschäftigung am gesellschaftlichen Gesamteinkommen den niedrigsten Stand seit den späten 50er Jahren hat.
Umgekehrt würde ein Schuh daraus werden: Wir brauchen höhere verfügbare Reallöhne. Senken Sie die Lohnnebenkosten, die Sie gesetzlich verursacht haben! Höhere verfügbare Reallöhne wären ein wichtiger Beitrag zur Ankurbelung der Binnenkonjunktur, weil die Arbeitnehmerschaft in der Regel das, was sie an Einkommen einnimmt, als Kaufkraft, als Nachfrage auf dem Binnenmarkt auch verausgabt. Hier liegt eine zentrale Ursache für die große Arbeitslosigkeit. Die Ursache ist Ihre massive Umverteilungspolitik in den letzten 14 Jahren.
Und wenn Sie da noch draufsatteln wollen, werden Sie einen zusätzlichen Beitrag zur weiteren Verschärfung der Arbeitslosigkeit liefern.
Sie haben als Alternative den Gesetzentwurf der SPD-Bundestagsfraktion, der zum Ziel hat, daß die
Ottmar Schreiner
Arbeitsmarktpolitik bei 4 Millionen registrierten Arbeitslosen einen nennenswerten Beitrag - mehr kann es nicht sein - zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit leistet.
Wenn man sich die Entwicklung 1996 ansieht, ist festzustellen: Wir haben in jedem Monat dieses Jahres, gemessen am Vorjahresmonat, eine höhere, weiter ansteigende Arbeitslosigkeit. Und wir haben in jedem Monat dieses Jahres - und das ist ein Paradox -, gemessen am Vorjahresmonat, einen sinkenden Entlastungsbeitrag der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Im Klartext: Die Entwicklung dieses Jahres ist durch die paradoxe Formel geprägt: Je höher die Arbeitslosigkeit steigt, um so geringer ist die Entlastungswirkung der aktiven Arbeitsmarktpolitik, um so stärker nimmt die Entlastungswirkung ab.
Genau dieses Paradoxon verschärfen Sie mit Ihrem Gesetzentwurf im nächsten Jahr. Sie lassen die aktive Arbeitsmarktpolitik bei steigender Arbeitslosigkeit zu einer vernachlässigenswerten Restgröße verkümmern.
Wenn man sich die Prognosen für 1997 ansieht, ergibt sich: Die sechs wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute haben 2,5 Prozent Wachstum bei gleichzeitig steigender Arbeitslosigkeit auf über 4 Millionen vorausgesagt. Der Deutsche Industrie- und Handelstag hat gestern öffentlich verkündet, es sei günstigstenfalls mit einer Wachstumsrate von 1,5 bis 2 Prozent zu rechnen.
Selbst wenn man sich den Prognosedaten der Institute anschließt, muß man feststellen, daß wir es mit steigender Arbeitslosigkeit zu tun haben. Ihr Vorgehen zur Lösung dieses Problems ist, die vorhandenen Arbeitsmarktinstrumente weiter zu kappen und weiter zu reduzieren. Das ist völlig unverantwortlich gegenüber dem riesigen Heer der Arbeitslosen.
Wir können im übrigen festhalten - das ist ein wichtiger Punkt -, daß es weder in der Wissenschaft noch in der Wirtschaft irgendeine ernstzunehmende Stimme gibt, die Ihrer Auffassung - Kollege Geißler ist da besonders angesprochen, weil er sich in den Plenardebatten zu dem sogenannten Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz groß hervorgetan hat - zustimmt, daß der massive Abbau von Normen des sozialen Schutzes - Kündigungsschutz und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall - auch nur in irgendeinem Bereich neue Beschäftigung auslöst. Sie finden keine Stimme, weder in der Wirtschaft noch in der Wissenschaft, die dieser Meinung ist. Ich habe Ihnen eben die Prognosedaten der Institute und die Prognose des Deutschen Industrie- und Handelstages vorgelesen.
Ihre Vorstellung, die Sie hier vorgetragen haben - scheinheiligerweise gaben Sie vor, Sie wollten durch die Eingriffe in die Rechte des sozialen Schutzes der Arbeitnehmerschaft Beschäftigung schaffen -, zerplatzt wie eine Seifenblase im Wind. Alle Daten, die uns vorliegen, bestätigen unsere Auffassung, die wir
zu diesem Punkt während der Plenardebatten zahllose Male geäußert haben.
Die Koalition behauptet, die SPD habe beschäftigungspolitisch keine Alternativen anzubieten und die gesamte Phantasie der SPD erschöpfe sich auf die Forderung nach einer gigantischen Arbeitsmarktpolitik.
- Beide Behauptungen, lieber Kollege Krüger, sind bodenloser Unsinn.
Beide Behauptungen sind nachweislich falsch und reine Zweckpropaganda, um die eigene beschäftigungspolitische Untätigkeit, Hilflosigkeit und Unfähigkeit zu verschleiern und um den doppelten Versuch der Volksverdummung zu tarnen.
Im Frühjahr dieses Jahres haben Sie die Landtagswahlkämpfe nicht nur mit der Aussage bestritten, der Solidarzuschlag werde zum 1. Januar 1997 abgesenkt - das war der erste, inzwischen vollendete Täuschungsversuch; strafbar -, Sie haben noch eine weitere These aufgestellt und damit einen zweiten Verdummungsversuch unternommen: die Arbeitslosigkeit könne bis zum Jahr 2000 halbiert werden. Sie haben diesem Parlament dazu niemals ein auch nur ansatzweise diskussionsfähiges Konzept vorgelegt; Sie haben dieses Konzept nach wie vor nicht.
Inzwischen werden, nachdem die Landtagswahlen vorbei sind, Ihre eigenen Vorhersagen nach unten korrigiert.
Ich will Ihnen ein paar Beispiele nennen, die zeigen, wie wir uns hier im Parlament bemüht haben, Beiträge zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu leisten - wohl wissend, daß es keinen Königsweg zur Wiederherstellung der Vollbeschäftigung gibt und wir viele Maßnahmen brauchen -, die von Ihnen allesamt in den Wind geschlagen worden sind. Diese Beiträge sind nicht erschöpfend, die aber im übrigen keine zusätzlichen Kosten und keine zusätzlichen Belastungen der Bürger verursachen würden.
Sie haben einen umfänglichen Antrag der SPD vorliegen, der sich mit der Schaffung neuer Beschäftigungsfelder in Deutschland in einem im internationalen Vergleich hochdefizitären Bereich, nämlich im Bereich der haushaltsbezogenen Dienstleistungen, beschäftigt.
Wir haben Ihnen eine aufkommensneutrale ökologische Steuerreform vorgeschlagen, die im übrigen auch Beschäftigungseffekte erzeugen soll. Kern dieser Reform ist, daß der Faktor Arbeit von Kosten ent-
Ottmar Schreiner
lastet wird und dafür der Verbrauch von Energie verteuert wird.
Diesen Vorschlag könnte der Kollege Geißler, wenn er aufrichtig wäre, sofort unterschreiben. Er hat ähnliches ja wiederholt öffentlich formuliert.
Wir wollen damit tendenziell den Rationalisierungsdruck vom Faktor Arbeit auf den Faktor Energie umlenken. Konkret: Zukünftig soll die Arbeitsmarktpolitik nicht mehr über Beiträge zur Arbeitslosenversicherung finanziert werden, die damit schrittweise abgesenkt werden können, sondern über eine Verteuerung des Energieverbrauchs. Viele Untersuchungen belegen, daß dies neben den ökologisch wünschenswerten Folgen zusätzlich ganz erhebliche Beschäftigungseffekte hätte.
Wir haben Ihnen wiederholt eine Umfinanzierung der deutschen Einheit vorgeschlagen.
Wir haben Ihnen immer wieder gesagt, daß wir, statt die deutsche Einheit vorwiegend über Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitnehmerschaft, das heißt über Lohnnebenkosten zu finanzieren, einen neuen Lastenausgleich anstreben. Jetzt wären auch einmal andere gesellschaftliche Gruppen an der Reihe, ein Teil der Erträge aus großen Vermögen in einen Topf für die Bewältigung der finanziellen Lasten auf Grund der deutschen Einheit zu geben. Das ist bislang abgelehnt worden.
Da könnte man die Sozialversicherungsbeiträge nennenswert zurückführen, die verfügbaren Einkommen der Arbeitnehmerschaft wären höher. Sie hätten auch die wünschenswerten konjunkturpolitischen Effekte, nämlich steigende Nachfrage.
Die SPD-Mehrheit des Bundesrates hat Ihnen vor geraumer Zeit einen Vorschlag zur Förderung von Teilzeit durch entsprechende Teilzeitbeihilfen gemacht, wenn dadurch Entlassungen vermieden werden können oder Arbeitslose eingestellt werden. Bislang ablehnende Haltung der Koalition.
Wir haben Ihnen von seiten der SPD ein Entsendegesetz im Deutschen Bundestag präsentiert, das endlich der Tatsache Einhalt gebieten soll, daß Hunderttausende von einheimischen Bauarbeitnehmern arbeitslos werden, weil sie mit dem von auswärts nach Deutschland gebrachten Lohndumping nicht mehr konkurrieren können. In Deutschland werden ausländische Arbeitnehmer auf dem Bau teilweise zu Hungerlöhnen bezahlt. Mit Hungerlöhnen können deutsche Bauarbeitnehmer nicht konkurrieren. Im übrigen werden auch die ausländischen Arbeitnehmer hier in einem nennenswerten Maße mißbraucht und brutal ausgebeutet.
Die Regierung hat im März dieses Jahres mit der Mehrheit Ihrer Fraktionen einen Gesetzentwurf verabschieden lassen, der bis zur Stunde, über ein halbes Jahr später, überhaupt keine Wirkung erzeugt hat.
Es ist eine Lachnummer des Gesetzgebers, hier ein Gesetz zu verabschieden und anschließend zuzusehen, daß einige Privatiers das Wirksamwerden dieses Gesetzes augenscheinlich blockieren und sabotieren. Sie machen sich allmählich zur Lachnummer. Wie ernst soll der Mehrheitsgesetzgeber genommen werden, wenn gegen seine eigentlichen Absichten das Wirksamwerden eines solches Gesetzes immer wieder vertrödelt und vertändelt wird?
Dazu noch eine Bemerkung: Wenn von den 200 000 arbeitslosen einheimischen Bauarbeitnehmern auch nur die Hälfte auf die Lohndumpingproblematik zurückzuführen ist, dann würde, wenn wir dies ändern würden, dies zu Mehreinnahmen von über 4 Milliarden DM führen. Das ist ungefähr die Kostengrößenordnung bei 100 000 Arbeitslosen. Damit könnten wir das gesamte Arbeits- und Strukturfördergesetz der SPD-Bundestagsfraktion finanzieren, und zwar problemlos.
Meine Damen und Herren, ich werde Ihnen jetzt zu den Grundzügen des Arbeits- und Strukturfördergesetzes nichts mehr vortragen können, weil meine Redezeit zu Ende geht. Das werden die Kollegin Bergmann aus Berlin und der Kollege Ostertag machen.
Ich will zum Schluß noch eines sagen: Wir haben Ihnen als Alternative nicht nur diesen Gesetzentwurf präsentiert. Wir haben Ihnen hier im Parlament auch einen Änderungsantrag präsentiert, eine Art Nothilfeprogramm, das drei Zielbereiche hat: einerseits die Behinderten - eine der schwächsten Gruppen unserer Gesellschaft -, die weiterhin einen ungehinderten Zugang zu Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation erhalten sollen, zum anderen arbeitslose Jugendliche, denen wir den Zugang zu Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen wie bislang offenhalten wollen, und des weiteren Ostdeutschland, wo wir den Einsatz der arbeitsmarktpolitischen Instrumente mindestens im bisherigen Umfang und in der bisherigen Qualität erhalten wollen.
Die Zeit, Herr Kollege!
Ich komme zum Schluß.
Wenn Sie auch dies ablehnen, vor allen Dingen die Kollegen aus Ostdeutschland, dann erklären Sie hier Ihre Arbeitsmarktpolitik zu einer Bankrottgeschichte.
Allerletzte Bemerkung: Sollten Sie unserem Änderungsantrag Ihre Zustimmung verweigern, vor allen Dingen die Kollegen aus Ostdeutschland, dann aller-
Ottmar Schreiner
dings dürfen Sie sich rühmen, das Gegenteil von Helden, nämlich wahre Maulhelden zu sein. So werden Sie dann auch öffentlich wahrgenommen werden.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Marieluise Beck, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Wunsch, in absehbarer Zeit auch nur annähernd eine Vollbeschäftigung zu erreichen, ist eine Illusion. Diese Schlußfolgerung kommt nicht aus einer grünalternativen Miesmacherküche, sondern wurde kürzlich als Essenz einer Studie der Zukunftskommission verkündet, für die die Namen Stoiber und Biedenkopf stehen. Das heißt, es gibt schon Personen in Ihrem eigenen Lager, die endlich die Wahrheit benennen.
Weiter stellen die Autoren fest, daß der Substanzverlust der Erwerbsarbeit zu einem Massenschicksal zu werden droht. Im Klartext heißt das: Normarbeitsplätze, geschützte Beschäftigung und Existenzsicherung über Erwerbsarbeit werden abnehmen.
Wie begegnet nun die Bundesregierung dieser Erosion des Erwerbsarbeitsmarktes?
Offenbar will sie Gleiches mit Gleichem kurieren, also einem Gesetz aus der Homöopathie folgen. Der Erosion des Erwerbsarbeitsmarktes stellt sie Gesetze entgegen, die diese Erosion noch befördern. Genau darauf läuft das Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung hinaus. Es flankiert den Prozeß der Deregulierung und greift massiv in soziale Schutzrechte ein, anstatt politisch das Ziel zu verfolgen, der drohenden gesellschaftlichen Spaltung entgegenzuwirken.
Sie gefährden damit sogar den viel beschworenen Standort Deutschland, denn der basiert in starkem Maße auf dem sozialen Frieden, statt endlich ein modernes arbeitsrechtliches Instrumentarium zu entwikkeln, das einerseits den ökonomischen Anforderungen einer sich wandelnden Industriegesellschaft entspricht und andererseits die Schutz- und Mitgestaltungsrechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sicherstellt.
Die Chance zur Konsensbildung war Ihnen mit dem „Bündnis für Arbeit" geboten worden; denn die Gewerkschaften wissen, daß sie sich den Veränderungen nicht entziehen können. Sie haben ihre Bereitschaft zu einem neuen Gesellschaftsvertrag oft genug formuliert.
In diesem Zusammenhang ist auch das heute wieder zur Debatte gestellte Arbeitsförderungs-Reformgesetz zu bewerten. Ich wiederhole: Mit der Streichung der Zielbestimmung in den §§ 2 und 3 des alten AFG haben Sie dessen positive Ansätze auf den Kopf gestellt. Die Grundorientierung des alten Gesetzes folgte der Maßgabe, den Beschäftigungsstand hochzuhalten, die Beschäftigungsaussichten des einzelnen zu verbessern und das Qualifikationsniveau zu fördern. Diese Vorgaben waren anderen wirtschaftspolitischen Zielsetzungen gleichgestellt.
Nun aber haben Sie sehr deutlich ausgedrückt, was das neue Gesetz nicht mehr leisten soll: Mit der Reform des Arbeitsförderungsgesetzes dürfe der sogenannte zweite Arbeitsmarkt nicht so ausgebaut werden, daß dadurch das jeweils produzierte und sich entwickelnde Arbeitsplatzdefizit ganz oder teilweise ausgeglichen werde. Meine Damen und Herren, das ist Klartext. Damit geben Sie aber auch den Anspruch einer sozialen Marktwirtschaft auf.
Dieses Gesetz geht davon aus, daß sich nicht mehr Politik und die öffentliche Hand für die von Erwerbslosigkeit Betroffenen verantwortlich zu fühlen haben, sondern die Betroffenen, die Opfer, selbst sollen die Beschäftigungskrise bewältigen.
Dazu paßt die Verschärfung der Zumutbarkeitsregelungen, die Sie auch schon im Bundessozialhilfegesetz vorgenommen haben.
Wenn wir uns tatsächlich in einer Gesellschaft bewegen würden, in der einem großen Angebot an Arbeitsplätzen Menschen gegenüberstünden, die nicht arbeitswillig oder nicht ausreichend qualifiziert wären, hätte die Logik Ihres Gesetzes vielleicht eine Berechtigung. Wir wissen aber alle, daß es in der Realität genau umgekehrt ist: Millionen von Menschen suchen verzweifelt nach einer Möglichkeit, am Erwerbsleben teilzuhaben.
Ich mache gern das Zugeständnis, daß Arbeitsmarktpolitik im engeren Sinne mit dem Anspruch, Arbeitslosigkeit zu beseitigen, überfordert ist; denn es liegt nicht in der Macht der Arbeitsmarktpolitik, sechs Millionen Arbeitsplätze bereitzustellen. Es gibt Grenzen der Arbeitsmarktpolitik im engeren Sinne.
Aber mit dem Geist dieses Gesetzes verkehren Sie die Tatsachen. Sie erhöhen den Druck auf die Erwerbslosen und erzeugen damit den Eindruck, als könne der einzelne die Erwerbsarbeitsplätze schaffen, die Wirtschaft und Politik nicht bereit und in der Lage sind vorzuhalten.
Ich erinnere an dieser Stelle daran, daß Sie sich einer Politik des ökologischen Umbaus, die belegbar arbeitsplatzschaffende Effekte hätte, konsequent verweigern. Kollege Schreiner hat vorhin auf die Bedeutung der ökologischen Steuerreform hingewiesen.
Sie haben mit diesem Gesetz eine starke Orientierung auf den ersten Arbeitsmarkt vorgenommen.
Marieluise Beck
Dieses Ziel ist zunächst einmal nicht abzulehnen. Denn es ist unbestreitbar, daß sich alle Menschen sehr viel lieber in sicheren und gut entlohnten Arbeitsverhältnissen auf dem ersten Arbeitsmarkt bewegen würden als auf dem zweiten Arbeitsmarkt, der mit sehr viel Unsicherheit und oft auch mit schlechter Entlohnung behaftet ist.
Wenn Sie aber ehrlich sind, dann müssen Sie zugeben, daß Sie nicht in der Lage sind, diese Perspektive für alle zu eröffnen. Dann dürfen Sie auch nicht den öffentlich geförderten Beschäftigungssektor als Fortsetzung des Staatssozialismus brandmarken, mit dem Sie nichts zu tun haben wollen.
Solange Sie nicht den Beweis antreten können, daß über den ersten Arbeitsmarkt die Voraussetzungen für Vollbeschäftigung herzustellen sind - alle Wirtschaftsdaten sprechen dagegen -, so lange stehen auch Sie in der Pflicht, sich zu einem zweiten, dauerhaft geförderten Arbeitsmarkt zu bekennen.
Nun wenden wir uns den Auswirkungen Ihres Gesetzes auf die fünf neuen Länder zu. Da läßt sich nun kaum mehr verbergen, daß dieses Gesetz eigentlich nichts anderes als ein Spargesetz ist; denn wer heute von einer Angleichung des Niveaus Ost an das Niveau West spricht, ist entweder ein Gaukler oder ein Betrüger.
Das ist auch Ihren Ost-Abgeordneten nicht verborgen geblieben. Nachdem Ihnen der Wind durch diese Kollegen aus dem Osten entgegenblies, weil diese Kollegen nicht mehr wußten, wie sie vor Ort diese Politik vertreten sollen, haben Sie in eine unglaubliche Trickkiste gegriffen. Man höre und staune: Von einem Tag auf den anderen wurde ein neues Lohnsubventionsprogramm aus dem Hut gezaubert.
Eine Koalition aus CDU und - notabene - F.D.P. schlägt nun diesem Hause vor, einem weitreichenden Modell von Lohnkostenzuschüssen zuzustimmen, indem unter Verzicht auf jegliche politische Vorgabe einem jeden gegeben wird, der einstellt. Das kann man allerdings nur noch als Verzweiflungstat begreifen.
Offensichtlich ist Ihre Ratlosigkeit - diskutieren Sie nur da drüben, das kann man auch nur erwarten - angesichts der desolaten ökonomischen Situation im Osten so groß, daß Sie jeglichen politischen Gestaltungsanspruch über Bord werfen und gemäß dem
Motto „Irgendwie wird es schon klappen" nach dem Gießkannenprinzip subventionieren.
Dabei gibt es durchaus Möglichkeiten, Wirtschaftsstrukturpolitik und Arbeitsmarktpolitik sinnvoll miteinander zu verbinden. Mit den regionalen Förderprogrammen der Europäischen Union und auch der Gemeinschaftsaufgabe „Regionale Wirtschaftsförderung " gibt es Instrumentarien, die auf der Ebene der regionalen Wirtschaftsbedarfe ansetzen und gleichzeitig beschäftigungspolitische Ziele verfolgen. Hier liegt ein Ansatzpunkt, um eine kluge Arbeitsmarktpolitik zum Tragen zu bringen.
In der Tat ist mit der Einführung des §249 h des Arbeitsförderungsgesetzes diese Idee schon im Ansatz aufgegriffen worden. Aber Ihr Kleinmut hindert Sie daran, auf diesem Wege weiterzugehen.
In der herrschenden Ideologie ist die Investition in Kapital noch immer angesehener als die in Humankapital. Oder auch: Kapitalsubventionen sind etwas Feines - da lacht selbst das Herz des Herrn Rexrodt -, Subventionen von Arbeit sind Schmuddelkram.
Wir dagegen setzen auf die Gleichbehandlung beider Faktoren. Wenn man dieser Maxime folgt, dann ist Arbeitsmarktpolitik in der Lage, zur Schaffung wettbewerbsfähiger Arbeitsplätze beizutragen. Der rasante Zusammenbruch großer Teile der Industrie im Osten erfordert neue Denkansätze und auch neue Instrumentarien, sowohl in der Wirtschaftsstrukturförderung als auch in der Arbeitsmarktpolitik.
Wir schlagen Ihnen deshalb ein Modell vor, das die Vorzüge der gegenwärtig praktizierten Investitions- und der Beschäftigungsförderung vereinigt, gleichzeitig aber ihre Nachteile vermeidet. In wirtschaftspolitischer Perspektive gewährleistet dieses Verfahren eine Gleichbehandlung der Faktoren Kapital und Arbeit. In arbeitsmarktpolitischer Perspektive werden dauerhafte, zukunftsfähige Arbeitsplätze geschaffen.
Wir wollen Mittel der Arbeitsförderung in die Gemeinschaftsaufgabe und damit in die regionale Wirtschaftsförderung einbinden und auf diese Weise folgende Ziele erreichen:
Erstens. Regionale Bedarfe müssen die Maßgabe für die Vergabe von Mitteln sein. Das bedeutet für die Arbeitsförderung, daß auch deren Mittel entsprechend den Vorgaben regionaler Strukturentwicklungspläne vergeben werden.
Zweitens. Instrumente der Investitions- und der Arbeitsförderung werden in eine Hand gegeben. Investitionsförderung wird an die Schaffung von Arbeitsplätzen, Lohnsubventionen an investive Tätigkeiten gebunden.
Drittens. Aus gutem Grund sollte sich beschäftigungsorientierte Strukturpolitik gerade im Osten, aber auch in den strukturschwachen Gebieten der
Marieluise Beck
Regionen Westdeutschlands an die kleinen und mittleren Betriebe wenden.
Denn gerade hier ist die Kapitalausstattung in der Regel zu dünn. Besonders in diesen Meinen Unternehmen aber ist die Beschäftigungsintensität hoch.
Dieser Ansatz zeigt, daß man die Gießkanne nicht unbedingt ziellos schwenken muß, um in strukturschwachen Gebieten ökonomische Impulse zu geben.
Ihr 249-h-Modell mußte ja steckenbleiben, da ihm die Möglichkeit zur Kapitalbindung vollends fehlt. Da nützt es auch nichts, wenn Sie zur Beruhigung der Gemüter den entsprechenden Titel im Haushalt 1997 jetzt noch nachträglich verdoppeln wollen. Denn wir alle wissen, daß aus den soeben genannten Gründen die 249-h-Mittel bisher nie ausgeschöpft wurden - das Kapital fehlte -, ganz zu schweigen von dem parallelen 242-s-Programm im Westen.
Es wird Sie nicht überraschen, daß wir das von Ihnen vorgelegte Arbeitsförderungs-Reformgesetz mit allem Nachdruck ablehnen. Es ist ein Spargesetz und nicht mehr. Damit können Sie der Krise der Arbeitsgesellschaft mit Sicherheit nicht begegnen.
Wir gehen davon aus, daß dieses Gesetz den Vermittlungsausschuß wohl kaum überstehen wird. Das ist wohl realistisch. Deswegen werden Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, auch noch etwas Zeit zum Nachdenken haben.
Unser heute vorgelegter Entschließungsantrag soll Ihnen hierbei Hilfestellung geben. Denn wir wissen ja, daß es um die konzeptionellen Fähigkeiten der Koalitionsfraktionen zur Zeit nicht sonderlich gut bestellt ist.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Gisela Babel, F.D.P.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung das Reformgesetz, mit dem die Arbeitslosenversicherung von Grund auf neu ausgestaltet und dem SGB III eingegliedert werden soll. Das ist also keine weitere AFG-Novelle, sondern eine inhaltliche, organisatorische und strukturelle Reform.
Das alte AFG hatte die Vollbeschäftigung zum Ziel. Man glaubte, dieses Ziel mit den Mitteln der Prävention, der Fort- und Umschulung und der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen auch wirklich erreichen zu können. Heute sind wir da nüchterner und illusionsloser. Das Reformgesetz will die Chancen der Rückkehr in den ersten Arbeitsmarkt verbessern, die Eigenverantwortung aller an diesem Prozeß Beteiligten stärken und fördern.
Der Arbeitslose erhält mehr Möglichkeiten und mehr Beratung, schnelleren Zugang zu den verschiedenen Hilfsangeboten, aber auch mehr Pflichten: schärfere Kontrollen, strengere Auflagen und auch verschärfte Zumutbarkeitskriterien.
Das Arbeitsamt erhält mehr Freiheit: einen Haushalt, über dessen Verwendung eigenständig entschieden werden kann, einen Experimentiertopf, mit dem es neue Wege einschlagen kann. Aber auch hier gibt es mehr Kontrolle und mehr Transparenz. Die Eingliederungsbilanzen, die jährlich vorgelegt werden müssen, geben Auskunft über den Erfolg der eingesetzten Mittel.
Schließlich wird der Verwaltungsaufbau verändert, indem wir die mittlere Ebene, also die Landesarbeitsämter, auf kleinere Direktionen verringern und die Kompetenzen den einzelnen Arbeitsämtern übertragen.
Das Reformgesetz gibt sich bescheiden, will im Grunde aber mehr erreichen. Arbeitsmarktpolitik ist eine Politik, die die Brücke in den ersten Arbeitsmarkt baut. Der sogenannte zweite Arbeitsmarkt nützt nichts, wenn diese Brücke nicht am Ende steht und auch beschritten wird. Diese Grundauffassung ist von allen Sachverständigen als richtig bewertet worden. Staatliche Hilfe könne echte Arbeitsplätze nicht ersetzen, sondern nur zu ihnen hinführen. Abschied also von der alten AFG-Utopie, aber dafür konkrete Hilfe bei der Suche nach Arbeit.
Daß es gelungen ist, den Weg in die Selbständigkeit weiter auszubauen, vermerke ich auch als Erfolg für uns Liberale. Deutschland hat im internationalen Vergleich zuwenig selbständige Existenzen. Hier liegt die Chance für den noch entwicklungsbedürftigen Dienstleistungssektor. Mit den Verbesserungen für Arbeitslose, den Schritt in die Selbständigkeit zu wagen, erhält das Reformgesetz einen neuen und wichtigen Akzent.
Ein weiteres wichtiges Signal enthält das Arbeitsförderungs-Reformgesetz in Richtung neue Bundesländer. Ich verstehe eigentlich nicht den Ton, mit dem Sie die neuen Maßnahmen hier vorweg herabgesetzt haben. Noch wird die staatliche Arbeitsmarktpolitik im Osten stärker gebraucht als im Westen. Reguläre Arbeitsplätze gibt es nicht genug. Gerade in den neuen Ländern hat aber die Konzentration auf ABM auch zu Verwerfungen geführt und neue Arbeitsplätze geradezu behindert.
Deswegen wollen wir weg von der „Arbeit als ob". Jetzt ist vorgesehen, daß Arbeitslose auch in Betriebe, und zwar in gewerbliche Betriebe, eingegliedert werden können,
Dr. Gisela Babel
daß sie dort ein Jahr zu vollem Tariflohn arbeiten und daß der Arbeitgeber vom Arbeitsamt einen Zuschuß in Höhe des Arbeitslosengeldes erhält.
Ordnungspolitisch gibt es bei uns Liberalen durchaus Bedenken. Aber wir erkennen auch die Vorteile, die daraus erwachsen, daß jetzt Beitragsmittel, die schließlich aus den Betrieben kommen, in Form dieser Zuschüsse in gewisser Weise in diese Betriebe zurückfließen und damit einen Beitrag leisten, daß die Lohnkosten gesenkt werden können. Das halte ich für eine intelligente Idee; das muß man doch einmal zugeben.
Zweitens werden die Arbeitslosen, die in den Betrieben integriert sind und dort arbeiten, im Grunde trainiert, da sie wirklich im Arbeitsprozeß sind.
Damit erhalten sie bessere Chancen, als sie durch eine der klassischen Maßnahmen, die AB-Maßnahme oder Maßnahmen nach § 249, erhalten würden. Ich glaube, das Positive überwiegt.
Das Gesetz bedarf der Zustimmung des Bundesrates. Aus dem Schlachtgetöse der SPD höre ich, daß sie dem Gesetz, was nicht verwundert, ablehnend gegenübersteht. Ihr Gegenvorschlag ist ein gigantisches Beschäftigungsprogramm mit vielen Gremien nach dem Motto: Viel hilft viel. Ihr Zirkelschluß, den Sie gemacht haben - die Arbeitslosigkeit wächst, also sinken die arbeitspolitischen Maßnahmen proportional -, ist mathematisch völlig richtig, aber die Logik der Aussage: „Je mehr Arbeitslosigkeit, desto mehr Geld brauche ich für die Arbeitsmarktpolitik", ist natürlich falsch. Weil Sie genau wissen, daß sich die Geldfrage stellt, wollen Sie die Beiträge oder die Steuern erhöhen. Beides ist für uns kein Weg.
Gerade das Beispiel der neuen Bundesländer zeigt doch, daß auch ein gigantischer Einsatz der Arbeitsmarktpolitik - man spricht von Mega-AB-Maßnahmen - eben nicht die Arbeitslosigkeit beseitigt hat. Er erzeugt im Gegenteil Wettbewerbsverzerrung und eine Subventionsmentalität.
Die SPD bekämpft die Arbeitslosigkeit nur in Nürnberg und nur auf dem Papier, nämlich durch die Statistik. Sie rücken die Menschen von -der Sparte Arbeitslosigkeit in die Sparte AB-Maßnahmen. Das ist keine Bekämpfung von Arbeitslosigkeit. Da sind auch keine neuen Arbeitsplätze zu erhoffen.
Eine Frage stellt die Opposition, und eine Frage stellen auch die Bürger zu Recht: Was nützt das alles? Bessert das die Beschäftigungsprobleme?
Frau Kollegin Dr. Babel, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich gestatte.
Wenn Sie sie gestatten, dann hat der Kollege Schreiner das Wort.
Frau Dr. Babel, wir haben in unserem Gesetzentwurf ausdrücklich vorgesehen, Arbeit zu fördern, anknüpfend an den alten, übrigens gemeinsam vertretenen Satz der frühen 90er Jahre: Arbeit zu fördern ist tausendmal intelligenter als Arbeitslosigkeit zu finanzieren. Ich habe in Frankfurt am Main vor wenigen Wochen bei einer Podiumsdiskussion vom dortigen Sozialdezernenten der Stadt gehört: Ein Drittel der Jugendlichen in dieser Stadt sind überflüssig, das heißt, sie sind arbeitslos. Liege ich richtig in meiner Annahme, daß ich diesen Jugendlichen bei der gegenwärtigen Situation der regulären Arbeitsmärkte kurzfristig nur über Arbeitsmarktinstrumente und über öffentliche Projekte, die in Frankfurt am Main zur Verbesserung der ökologischen Infrastruktur, der städtebaulichen Infrastruktur und der sozialen Infrastruktur einen Sinn machen würden, helfen kann? Oder soll man diese Jugendlichen der Frankfurter Drogenszene, der Kriminalitätsszene, der Schwerstkriminalität, der Bordellszene und der Alkoholszene überantworten?
Wie hoch schätzen Sie den Anteil der Jugendlichen - wenn die zweite Variante zutrifft -, die in Zukunft und für den Rest ihres Lebens nie mehr wählen gehen? Es geht also auch um die Frage nach sozialem Zusammenhalt und Demokratie.
Herr Kollege Schreiner, es ist doch klar, und wir sind uns in diesem Hause über alle Parteigrenzen hinweg einig, daß wir alles versuchen müssen, Jugendliche erstens in eine ordentliche Ausbildung zu bekommen und zweitens dann in Arbeit zu bringen. Darin sind wir uns völlig einig.
- Wir tun sehr viel. Auch in Frankfurt wird sehr viel getan, und insgesamt ist die Bilanz, was die Drogenszene angeht, in Frankfurt positiv.
Insgesamt geht es um die Frage, was wir in der Arbeitsmarktpolitik tun müssen, wenn sie in größeren Dimensionen und in vernünftiger Weise nicht zu finanzieren ist.
Auf die eigentliche Frage komme ich jetzt. Sie wird bei dem Begriff „Brücke" immer gestellt: Wohin führt mich die Brücke, wenn kein Arbeitsplatz da ist? Das ist doch der entscheidende Punkt. Lassen Sie mich dazu etwas ausführen.
Dr. Gisela Babel
Die Frage ist: Wie entsteht Beschäftigung? Wird die Arbeitslosigkeit beseitigt? Es gibt auch in der Koalition schon ungeduldige Stimmen, die sagen: Wenn die Unternehmer bei veränderter Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, bei veränderten Kündigungsschutzregelungen jetzt nicht mehr einstellen, dann halte man das Beschlossene im nachhinein für verfehlt.
Deswegen möchte ich noch einige Sätze zu dem Thema Arbeitslosigkeit sagen. Ich bekräftige nachdrücklich, daß Arbeitslosigkeit erfolgreich bekämpft werden kann. Ich bekräftige auch nachdrücklich, daß es gelingen kann, zwei Millionen neue Arbeitsplätze zu schaffen.
Die Richtigkeit dieser Aussage, die Herr Bundeskanzler Kohl gemacht hat, hat nicht nur der Bundesverband der Deutschen Industrie, sondern auch das IAB, das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung bei der Bundesanstalt, bestätigt. Nur wird meist nicht zur Kenntnis genommen, was das voraussetzt.
Es setzt eine Riesenanstrengung der Tarifpartner voraus. Das steht ganz klar darin. Es setzt weitere Riesenschritte der Politiker voraus: Senkung der Lohnnebenkosten, Senkung der Abgaben. Noch sind diese beschlossenen Maßnahmen alle nicht wirksam.
Überall steigen Abgaben. Auch die Löhne steigen noch. Daß die Steuern im Moment nicht steigen, liegt vielleicht noch an der F.D.P.
Dennoch zeigen sich bereits Ermattungserscheinungen. Die Forderung muß heißen: Lohnzuwächse unterhalb der Produktivität über mehrere Jahre hinweg, Rückführung der Abgabenlast.
Wir dürfen uns nicht wieder in den Zeiträumen verschätzen, in denen wir dieses Ziel erreichen können. Arbeitslosigkeit wächst schnell und schrumpft nur ganz langsam.
Nicht ein Lohnabschluß, nicht eine Maßnahme, nicht ein Gesetz schaffen den Umschwung, sondern nur ein ganzes Bündel davon. Und bis jetzt sind in unserer Gesellschaft die eiserne Entschlossenheit und die Zielgerichtetheit nicht erkennbar, die nötig sind, um Erfolg zu haben.
Arbeitsplatzbesitzende begreifen die Verantwortung für Arbeitsplatz-Nichthabende, für Arbeitsplatzlose noch nicht. Tarifpartner suchen eher Frieden als den schmerzlichen und richtigen Abschluß.
Ich richte deswegen noch einmal eindringlich meine Aufforderung an Politik und Wirtschaft, über einen längeren Zeitraum hinweg die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit zum wichtigsten Punkt ihrer Entscheidungen zu machen.
Ich bedanke mich.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Heidi Knake-Werner, PDS.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Kollegin Dr. Babel, können Sie mir ein Beispiel nennen, wo in den letzten Jahren reale Lohnzuwächse über der Produktivität gelegen haben? Sie können niemandem mehr glaubhaft machen, daß das so ist.
Dafür müssen Sie wirklich einmal einen Beleg liefern. Sie haben dies einfach so dahergebetet, weil Sie denken, daß die Leute Ihnen das noch immer abnehmen.
Wir diskutieren hier heute leider kein Reformgesetz, obwohl wir das bitter nötig hätten. Was Sie vorgelegt haben, ist ein weiterer Beleg Ihrer Sparabsicht; der Sparkommissar hat die Feder geführt. Das wird auch aus dem Finanztableau deutlich, das Sie mit Ihrem Gesetz mitgeliefert haben. In den nächsten vier Jahren wollen Sie allein drei Viertel der heutigen Ausgaben für Arbeitsmarktpolitik in den neuen Ländern sparen. Damit haben Sie diese Region, aber schlimmer noch: die Menschen in Ostdeutschland endgültig abgeschrieben.
Weitere 5 Milliarden DM sollen durch Leistungskürzungen bei den Arbeitslosen erwirtschaftet werden. Dabei, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist das AFG wirklich reformbedürftig; denn es ist immer weniger in der Lage, auf die aktuelle Beschäftigungskatastrophe und die wachsenden Arbeitsmarktrisiken zu reagieren.
Strittig sind zweifelsohne Zielsetzungen und Maßnahmen einer zeitgemäßen Reform. Sie wollen mit dem AFRG den Arbeitsmarkt deregulieren, den Druck auf das Lohnniveau verstärken und die Sozialleistungen kürzen. Wir hingegen denken, daß ein zukunftsfähiges Arbeitsförderungsgesetz heute die Aufgabe hätte, den notwendigen Umbau der Arbeitsgesellschaft regulierend zu begleiten und sozial zu gestalten.
Dazu braucht es neben der sinnvollen Umverteilung vorhandener Arbeit vor allen Dingen den Ausbau eines dauerhaft und zukunftssichernden öffentlich geförderten Beschäftigungssektors, wie wir es in unserem Entschließungsantrag vorgeschlagen haben.
Dr. Heidi Knake-Werner
Alle wirtschaftlichen Daten machen doch eines ganz deutlich: Die dramatische Arbeitsmarktlage wird uns noch bis ins nächste Jahrtausend begleiten; die heutigen Zahlen aus Nürnberg belegen dies leider erneut. Wir haben es mit einem Strukturbruch im Erwerbssystem mit gravierenden Folgen zu tun. Für die nächsten Jahre wird von den Wirtschaftsinstituten ein beschäftigungsloses Wachstum prognostiziert. Das heißt für die Bundesrepublik im Jahre 1997: Sollte es zu einem Wachstum von 2,5 Prozent kommen, käme es gleichzeitig zu einer Zunahme der Arbeitslosigkeit um 0,9 Prozent bis 1,4 Prozent. Das ist doch die eigentliche Katastrophe. Und in dieser Situation streichen Sie die Mittel für die Arbeitsmarktpolitik zusammen.
Passend dazu hat der Deutsche Industrie- und Handelstag verkündet, daß von 25 000 befragten Unternehmen 33 Prozent im nächsten Jahr Beschäftigte entlassen wollen und daß lediglich 9 Prozent neue Beschäftigte einstellen wollen. Man kann eine weitere Tagesmeldung hinzunehmen: Sie wissen, daß die Post Tausende Filialen schließen will. - Das allein sind zwei aktuelle Hinweise darauf, daß Ihr Versprechen, die Arbeitslosigkeit bis zur Jahrtausendwende zu halbieren, nicht nur vom Kanzler nicht ernst genommen wird. Lesen Sie so etwas überhaupt nicht mehr? Sie täuschen die vielen Menschen, die daran ihre Hoffnungen geknüpft haben.
Der Staatssekretär Norbert Lammert hat es uns in seiner Antwort auf eine Kleine Anfrage der PDS schwarz auf weiß geliefert. Dort heißt es:
Ganze 122 000 Arbeitslose weniger erwartet die Bundesregierung für das Jahr 2000.
Das beweist doch nur, daß Sie trotz Steuersenkung, trotz Sozialleistungskürzungen, trotz Einschränkung des Kündigungsschutzes und der Lohnfortzahlung - hören Sie gut zu, Herr Laumann -, also trotz all Ihrer Vorleistungen selbst nicht an eine Beschäftigungsoffensive der Unternehmer glauben. Geben Sie es dann doch wenigstens zu!
Die Gewinne von heute sind die Arbeitslosen von morgen und umgekehrt. Aber das ist natürlich Ihre Schuld; denn Sie haben die Weichen seit Jahren falsch gestellt. Sie wollen die Mittel für die Arbeitsmarktpolitik zusammenstreichen, der Bundesanstalt keinen Zuschuß mehr gewähren. Sie haben das „Bündnis für Arbeit" verspielt und die Gewerkschaften als mögliche Bündnispartner verhöhnt.
Heute legen Sie ein neues Arbeitsförderungsgesetz vor, daß nicht seinen Namen verdient und schon gar nicht den gegenwärtigen Herausforderungen gerecht wird. Sie sind schon an dem schlichten Anspruch gescheitert, ein übersichtliches und lesbares Gesetz zu schaffen. Herausgekommen sind 434 Paragraphen in schlimmstem Bürokratendeutsch. Jeder braucht drei Diplome, um da durchzusteigen. Ich wette, daß nur ein Bruchteil derjenigen, die hier
heute auf der Koalitionsseite sitzen, überhaupt weiß, was sie hier verabschieden.
Frau Babel war ja schon viel bescheidener, was den Anspruch an dieses Gesetz angeht. Sie will nur frischen Wind in die Arbeitslosenversicherung bringen - was immer das bei Ihnen heißt. Aber nein, liebe Kollegin, kein frischer Wind ist es geworden - geblieben ist leider der alte Mief der Standortideologen.
Ihr Gesetzentwurf ist konzeptionslos und zielt auf Abbau; er ist ohne jede Idee. Wo man hinschaut: Sie geben falsche Antworten auf richtige Fragen. Sie setzen überall da an, wo Lösungen dringend geboten sind; aber Sie beantworten diese Fragen mit dem Rotstift. Mit dem AFRG verabschiedet sich die Koalition von dem Ziel der Vollbeschäftigung, und Sie bekämpfen die Arbeitslosen statt der Arbeitslosigkeit.
Ihr AFRG ist ein weiterer Beitrag dazu, die Lebenssituation der Erwerbslosen drastisch zu verschlechtern. Im Vergleich zum geltenden Arbeitsförderungsgesetz werden Rechtsansprüche minimiert, Sanktionsmöglichkeiten gegen Arbeitslose verschärft; der Zugang zu Arbeitsförderungsmaßnahmen wird erschwert und die Ausweitung von Niedriglohnsektoren begründet. Regelungen wie Einarbeitungszuschüsse, Eingliederungsverträge, Trainingsmaßnahmen oder Arbeitnehmerhilfen bei Saisonarbeit dienen vor allem dazu, die Erwerbslosen zu disziplinieren, ihre Leistungsansprüche zu senken und ihre Qualifikation zu entwerten.
Mit der praktisch abgeschafften Zumutbarkeitsregelung werden Erwerbslose gezwungen, jede Arbeit zu jeder Bedingung anzunehmen; Bezahlung nach Qualifikation und Berufsschutz sind passé.
Frauen werden besonders diskriminiert. Erstens bleibt die vorgesehene Frauenförderung unverbindlich, zweitens erschwert die Verfügbarkeitsregelung den Frauen den Zugang zu Maßnahmen, und drittens wird die Gleichstellung von Kindererziehungsund Pflegezeiten mit beitragspflichtiger Beschäftigung wieder abgeschafft. Das ist nicht nur frauen-, sondern familienfeindlich.
Nun zu einigen wichtigen einzelnen Punkten. ABM Ost: Schon die angekündigten Mittelkürzungen haben eine Welle von Empörung provoziert, zu Recht. Ich will auf Ihre ursprünglichen Kahlschlagabsichten in bezug auf die neuen Länder hier gar nicht weiter eingehen; sie sind ja auch noch nicht vom Tisch. Aber was Sie sich, einschließlich der Koalitionsabgeordneten aus dem Osten, jetzt ausgedacht
Dr. Heidi Knake-Werner
haben, ist in der Tat eine Entscheidung zwischen Pest und Cholera.
Wenn Sie AB-Maßnahmen billiger machen, wenn Sie künftig die Zuschüsse nur noch nach 80 Prozent des Tariflohns für vergleichbare Tätigkeiten berechnen lassen, dann haben die meisten Träger in Ostdeutschland gar keine andere Chance, als diese Absenkung an die Beschäftigten in Form von Lohnkürzungen weiterzugeben.
Aber schon heute - das haben die DGB-Landesvorsitzenden der neuen Länder errechnet - liegen ABM-Einkommen bei durchschnittlich 1424 DM netto. Sie können sich ausrechnen, was das heißt: Sie tragen weiter dazu bei, daß die Gruppe der arbeitenden Armen zunimmt und daß die Kosten Ihrer verfehlten Politik erneut den Kommunen aufgebürdet werden. Das ist doch der eigentliche Skandal.
Hinzu kommt, daß viele Träger der Maßnahmen gezwungen sein werden, auf Grund der neuen Zuschußbedingungen die Anzahl der Maßnahmen zu reduzieren.
Mit diesen Beschlüssen wird der zweite Arbeitsmarkt weiter diskriminiert, mit dem Ziel, die Mittel der Arbeitsförderung verstärkt der freien Wirtschaft zugute kommen zu lassen. Ein Beispiel dafür ist der Vorrang der sogenannten Vergabe-ABM.
Daß die Arbeitslosenversicherung künftig noch stärker zur Plünderung zugunsten von Privatbetrieben herangezogen werden soll, zeigt sich vor allem daran, daß Wirtschaftsunternehmen in Ostdeutschland künftig Lohnkostenzuschüsse bekommen können. Diese Form von direkter Lohnsubvention haben ja sogar Sie, Frau Dr. Babel, als ordnungspolitischen Sündenfall bezeichnet. In der Tat: Auf diese Weise fließen Versicherungsbeiträge in die Betriebe - ohne jede Bedingung natürlich -, und die Beschäftigten finanzieren sinnvollerweise ihre Löhne selbst.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich verstehe nicht, warum Sie ausgerechnet diesen abenteuerlichen Paragraphen in Ihren Entschließungsantrag aufnehmen.
Kräftig zur Kasse gebeten werden in Ihrem Gesetzentwurf auch diejenigen, die bei Entlassung eine Abfindung erhalten sollen. Ich finde das absolut skandalös. Das ist ja auch ein Grund dafür, warum honorige Arbeitswissenschaftler inzwischen der Ansicht sind, daß Ihr Gesetzentwurf verfassungswidrig ist, und der DGB über eine Verfassungsklage nachdenkt. Nein, meine Damen und Herren, was Sie hier vorgelegt haben, ist alter Wein in neuen Schläuchen.
Sie stehlen sich aus Ihrer Verantwortung für das gesellschaftliche Problem Massenarbeitslosigkeit. Sie verspielen die Chance, mit einer Reform, die ihren Namen wirklich verdient, aktiv zum Abbau der Massenarbeitslosigkeit beizutragen, wenigstens beizutragen. Niemand erwartet, daß 6 Millionen Arbeitsplätze -
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist leider abgelaufen.
- ich komme sofort zum Schluß - durch aktive Arbeitsmarktpolitik geschaffen werden. Aber Sie können die schlimmste Not mildern.
In unserem Entschließungsantrag haben wir eine Reihe von wichtigen Eckpunkten zu einer solchen Reform vorgelegt.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Peter Ramsauer.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte auf zumindest einen meiner Vorredner kurz eingehen. Lieber Herr Kollege Schreiner - -
- Ich sehe ihn überhaupt nicht mehr - abgetaucht.
Er hat gesagt, die ostdeutschen Kollegen hätten heute vormittag rumrandaliert. Ich bin zwar kein Kollege aus den neuen Bundesländern, aber diesen Ton verbitte ich mir einfach einmal. Ostdeutsche Kollegen haben hier überhaupt nicht rumrandaliert. Wir haben in den letzten Wochen sachliche Gespräche mit vernünftigen Ergebnissen geführt.
Wenn in diesem Hause einer rumrandaliert, ist es in der Regel - wenn man ihn so reden hört - der Kollege Schreiner. Er hat von „Maulhelden" usw. gesprochen. Eines können wir wirklich guten Gewissens tun: Wir können den Kollegen Schreiner auch nach seiner vorhin gehaltenen Rede ruhig zum Maulhelden des Jahres erklären.
Er hat von der Ausbeutung ausländischer Bauarbeitnehmer gesprochen. Manchmal kann man wirklich nur noch den Kopf schütteln über das, was Herr Schreiner und andere hier vortragen. Natürlich gibt es Probleme, wenn vor allen Dingen auf deutschen Baustellen illegal oder am Rande der Legalität gearbeitet wird. Aber gerade dann, wenn nicht nur die Arbeits- und Sozialpolitiker - das ist nicht das ein' zige Feld -, sondern auch die Innenpolitiker im Geschäftsbereich des BMI bei der Ausländerpolitik versuchen, die Mißbräuche einzudämmen und den Zustrom zu drosseln, sind es ausgerechnet, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Leute aus Ihren Reihen, die mit komischen Argumenten unsere Anstrengungen zu torpedieren versuchen.
Dr. Peter Ramsauer
Vorhin ist von der Kollegin Knake-Werner der DGB angesprochen worden, der DGB drohe mit der Verfassungsklage. Dieses Lied kennen wir. Immer wenn dem DGB nichts mehr einfällt - und auch Ihnen von der SPD -, dann kommt die Drohung mit der Verfassungsklage, mit angeblicher Verfassungswidrigkeit und ähnlichen Dingen.
Wer glaubt heute im Ernst noch, daß man in dem Beruf, den man erlernt hat, das ganze Arbeitsleben tätig bleiben kann? Es mag noch einige Ausnahmen geben, bei denen das möglich ist. Die Regel wird das in Zukunft nicht mehr sein.
Akzeptieren Sie bitte endlich mal, daß wir im Wirtschafts- und Arbeitsleben immer mehr Mobilität und immer mehr Wandel bekommen. Aber wer so verkrustet denkt wie Sie von der Opposition,
mit dem ist kein Staat, kein Arbeitsmarkt, kein Wirtschaften zu machen. Sie tun ja so, als ob in England der Heizer noch auf der E-Lok fahren würde. Da fährt er schon längst nicht mehr damit. Wenn es nach Ihnen ginge, würde er aber am besten noch damit fahren.
Meine Damen und Herren, wir beraten mit diesem Gesetz heute einen ganz wesentlichen Bestandteil im Umbau des Sozialstaates, der im gesamten „Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung" unumgänglich ist. Wir wollen damit natürlich auch unserem Ziel, die Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2000 zu halbieren, einen Schritt näher kommen.
Wir wissen zwar alle, daß das nicht allein die Aufgabe des Sozial- und Arbeitsrechts sein kann. Aber insbesondere das Arbeitsförderungsrecht kann entscheidende Wirtschaftsimpulse geben. Das Arbeitsförderungsrecht kann Arbeitslosigkeit vermeiden oder zumindest verkürzen. Dies funktioniert aber nicht, meine Damen und Herren von der SPD, durch die Förderung von bestimmten Projekten, wie Sie es in Ihrem Entwurf eines ASFG vorgesehen haben. Wir wollen, daß die teuren Beitragsgelder denen nutzen, die sie aufbringen, den Beitragszahlern, hier vor allen Dingen den Arbeitnehmern. Wir wollen nicht - wie Sie - Arbeitsämter zu Ämtern für regionale Wirtschaftspolitik umfunktionieren. Ein wirklich abenteuerlicher Gedanke der SPD: Beitragsgelder für die Erhaltung von Betrieben einsetzen, die in Zukunft nicht mehr rentabel arbeiten können.
Ausgerechnet Sie von der SPD beklagen immer die versicherungsfremden Leistungen. Ich frage mich: Gibt es eine versicherungsfremdere Leistung im Arbeitsförderungsrecht als die Subvention unrentabler Unternehmen? Darüber sollten Sie wirklich einmal ganz ernsthaft nachdenken. Sie von der SPD wollen, daß die Beitragszahler zu Subventionsmelkkühen der Nation werden.
Man kann sich wirklich wundern, welche Töne Sie anschlagen, wenn es um ein Gesetz geht, dessen Reform seit langer Zeit als vollkommen unverzichtbar angesehen wird.
Von Ihrem arbeits- und sozialpolitischen Sprecher, Ottmar Schreiner, konnte man lesen - ich zitiere -: „Manchester-Kapitalismus läßt grüßen", „Druck auf Arbeitslose wird verstärkt" und ähnliches.
Dabei lag zu dem Zeitpunkt, als er das gesagt hat, der Gesetzentwurf noch überhaupt nicht auf dem Tisch. Dem Kollegen Schreiner macht es wohl Spaß, Ängste in der Bevölkerung zu schüren - mit purer Demagogie, wie wir es heute wieder gehört haben.
Vom Kollegen Ostertag war zu hören - ich zitiere wieder -: „Regierung bekämpft Arbeitslose", „Der Bundesregierung geht es um die Durchsetzung neuer ordnungspolitischer Zielsetzungen" oder „Rotstiftpolitik" und ähnliches.
- Hören Sie mir doch wenigstens zu. Auf Ihrer Seite ist es wie im Kindergarten: ein dauerndes Getöse und Gebabbel. Hören Sie mir doch endlich bitte einmal zu!
Gleichzeitig gibt Herr Scharping selbst zu, daß Ihre vorgeschlagenen Arbeitsmarktsubventionen einen zusätzlichen Finanzbedarf an Bundesmitteln in Höhe von 6,3 Milliarden DM ergeben würden. Zur Rechtfertigung meint Herr Scharping auch noch - man glaubt es kaum, wie offen die SPD ihren Irrglauben ausspricht -: „Die maßvollen Mehrausgaben tragen zur Stärkung der Binnenkonjunktur bei." Wer heute noch wie Sie den alten keynesianischen Konzepten nachhängt, der ist wohl wirklich auf dem vollkommen falschen Dampfer.
Meine Damen und Herren, wir bekämpfen nicht die Arbeitslosen, wie von der SPD behauptet, sondern wir hellen Arbeitslosen sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, daß sie nicht arbeitslos bleiben bzw. werden. Wir wollen keine neuen ordnungspolitischen Ziele durchsetzen, sondern die im geltenden Arbeitsförderungsgesetz enthaltene Grundidee stärken, Arbeitslosigkeit durch Vorbeugung zu vermeiden und ihre Dauer zu verkürzen.
Mit neuen Ideen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit setzt die Koalition jetzt einen Meilenstein in der Geschichte des Arbeitsförderungsrechts.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein großes persönliches Anliegen ist mir die Steigerung der Effizienz der Arbeitsverwaltung. Der Beitragszahler muß sicher sein können, daß die Mittel wirtschaftlich eingesetzt werden. Der Erfolg der Arbeitsämter wird künftig nur noch an Hand der Vermittlung in den
Dr. Peter Ramsauer
ersten Arbeitsmarkt gemessen. Das ist in der Tat das, was die Beitragszahler am allermeisten interessiert und was sie erwarten.
Dazu muß auch die Selbstverwaltung der Arbeitsämter gestärkt werden.
Die Verantwortung kann in den Verwaltungsausschüssen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern wahrgenommen werden, und dies muß in Zukunft wesentlich stärker als bisher geschehen. Die Verwaltungsausschüsse sind zuständig für die Aufteilung der Ermessensleistungen einschließlich der freien Förderung. Unter Berücksichtigung der jährlich zu erstellenden Eingliederungsbilanzen können sie künftig zu einer Verbesserung des Ausgleichs am Arbeitsmarkt beitragen. Denn vieles kann vor Ort, in den einzelnen Arbeitsamtsbezirken, sinnvoller und besser entschieden werden als bei den bisherigen Landesarbeitsämtern und auf der Ebene der Hauptstelle in Nürnberg.
Die Stärkung der Verwaltungsausschüsse ist deshalb nichts anderes als die Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips. Allerdings, so füge ich hinzu, ist es damit künftig nicht mehr möglich, daß in diesen Verwaltungsausschüssen das Harmoniebedürfnis das ausgeprägteste Bedürfnis ist. Ich erwarte in den Bänken von Arbeitnehmern und Arbeitgebern mehr Konfliktbereitschaft.
Mit einem muß Schluß sein: Es darf nicht jeder Frust von Arbeitslosen oder händeringend nach Arbeits- und Fachkräften suchenden Betrieben über mangelnde Effizienz der Arbeitsverwaltung bei uns Parlamentariern abgeladen werden.
Dieser Frust soll in Zukunft bei den Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern in den Verwaltungausschüssen abgelassen werden. Ich bin wirklich darauf gespannt, wie die Leute dort ihrer Verantwortung gerecht werden.
Meine Redezeit ist zu Ende, deshalb will ich nur noch sagen: Wir setzen mit diesem Gesetz einen Meilenstein in der Arbeitsförderungspolitik. Es ist eine kleine Revolution im Lichte dessen, was noch vor fünf oder zehn Jahren möglich erschien. Ich bin zuversichtlich, daß wir mit diesem Gesetz dem Abbau der Arbeitslosigkeit in Deutschland in den kommenden Jahren ein gutes Stück näherkommen.
Das Wort hat jetzt die Senatorin für Arbeit und Frauen und Bürgermeisterin von Berlin, Christine Bergmann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Ramsauer, ich bin Arbeitssenatorin in einer
Stadt mit hoher Arbeitslosigkeit. Ich kriege viel Frust von Arbeitslosen ab, ich entziehe mich diesem nicht; denn es ist meine Aufgabe, etwas zu bewegen. Ich halte es überhaupt nicht für schädlich, wenn dieser Frust auch einmal bei den Parlamentariern des Bundestages abgeladen wird.
Denn das, worüber Sie heute entscheiden, ist die Wurzel für viel neuen Frust, den wir in den nächsten Monaten abbekommen können, den wir aber als Länder eigentlich nicht zu verantworten haben, weil wir dieses Gesetz so nicht wollen.
Herr Ramsauer, wir brauchen - da sind wir uns einig - ein neues Arbeitsförderungsgesetz. Das alte hat sich in den letzten Jahren als unzureichend erwiesen, den gewaltigen Strukturwandel zu begleiten. Wir brauchen ein Gesetz, das von dem Ziel ausgeht, daß Menschen ihr Einkommen über Erwerbsarbeit beziehen können, das auf den bitteren Erfahrungen basiert, die wir in den letzten Jahren in den neuen Ländern gemacht haben, und das auch einen strukturpolitischen Beitrag leisten kann. Das heißt, wir brauchen ein Gesetz, daß sich am Arbeitsmarkt und an den strukturpolitischen Notwendigkeiten im vereinigten Deutschland messen lassen kann.
Das ist der Anspruch, den wir an ein solches Gesetz stellen. Aber das AFRG, das jetzt auf dem Tisch liegt, brauchen wir nicht.
Jeder Mensch, der sich mit der Arbeitsmarktpolitik in diesem Land befaßt, weiß, daß wir mit diesem Gesetz nicht das AFG weiterentwickeln, sondern es zurückentwickeln. Sie wissen es doch alle selbst, angefangen beim Bundesarbeitsminister: Niemand glaubt Ihnen doch - das können Sie so schönreden, wie Sie es zur Zeit versuchen -, und Sie glauben doch selbst nicht, daß dieses Gesetz einen solchen Beitrag leisten kann, wie wir ihn von ihm eigentlich erwarten.
Für mich war interessant, daß bei der Anhörung zum AFRG im Bundestagsausschuß von niemandem Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf kam.
Ich war zwar nicht die ganze Zeit da, aber während ich da war, fand auch die Arbeitgeberseite den Gesetzentwurf nicht berauschend, sie vermißte strukturpolitische Elemente, auch Elemente präventiver Arbeitsmarktpolitik. Diese Elemente gehören in das Gesetz.
Wenn wir präventive Arbeitsmarktpolitik in den Ländern betreiben wollen, dann können wir das nur mit dem Europaprogramm und Landesmitteln tun. Das AFG und dieses AFRG helfen uns dabei überhaupt nicht weiter.
Senatorin Dr. Christine Bergmann
Orientieren wir uns doch ein klein wenig an den Realitäten. Die Realitäten lauten: 6 Millionen Menschen suchen in Deutschland einen Arbeitsplatz. Es gibt einen Strukturwandel, der sich überall bemerkbar macht. Im Osten Deutschlands beträgt das Arbeitsplatzdefizit nach Mitteilung des IAB fast 30 Prozent. Darauf müssen wir unsere Politik ausrichten.
Das heißt - ich sage eine Binsenweisheit, die man offensichtlich jedoch immer wieder sagen muß -, es fehlen in diesem Land schlichtweg Arbeitsplätze. Man muß das immer wieder sagen, weil Sie permanent versuchen, die Verschlechterungen, die Sie mit dem AFRG vornehmen, damit zu rechtfertigen, daß man es den Menschen auf den netten ABM-Stellen nicht zu komfortabel machen darf, damit sie den Weg zurück zu einem ordentlichen Arbeitsplatz nicht verlernen. Das ist Ihre doch zum Teil sehr zynische Argumentation, die wir in den letzten Wochen und Monaten gehört haben.
Das ist nun wirklich eine Verhöhnung derer, die sich verzweifelt um Arbeit bemühen, und auch derer, für die die befristete, untertariflich bezahlte - jetzt sind wir bei 90 Prozent, nach dem AFRG wären es 80 Prozent -, niedrig eingestufte, häufig als Teilzeit angebotene ABM-Stelle der letzte Strohhalm vor dem Schicksal der Arbeitslosigkeit ist.
Ich will Ihnen an dieser Stelle - ich bin hier sozusagen die Praktikerin - einmal eine Zahl nennen.
- Herr Feilcke, Sie hätten sich ruhig einmal mit uns unterhalten können, aber meine Einladungen haben Sie permanent ausgeschlagen.
Im Durchschnitt arbeiten die Arbeiterinnen und Arbeiter im ABM-Bereich in der Berliner Landesregie 28,6 Stunden. Sie sehen, wieviel Teilzeit, keine freiwillige, dort stattfindet, und das Durchschnittseinkommen liegt brutto bei gut 2 000 DM. Auch das ist die Realität, über die wir reden, wenn wir über die sozusagen bequemen ABM-Stellen immer diskutieren.
Ich will nicht auf viele Punkte eingehen, nur auf einige, die mir besonders am Herzen liegen. Ein Thema lautet natürlich: Wie geht es mit den ABM in den neuen Ländern eigentlich weiter? Wenn Herr Krüger - er ist nicht da - sagt, wir sollten die Menschen nicht verunsichern, dann fühle ich mich wirklich ein wenig verklappst. Wer hat die Menschen denn verunsichert?
Es kommt ein AFRG-Entwurf auf den Tisch, es kommt eine Haushaltsdebatte, und es ist die Anpassung Ost an West enthalten. Nun können wir alle rechnen und wissen, was Anpassung Ost an West auf der Basis ABM und F und U 1996 bedeutet. Es bedeutet ein Zurückfahren auf ein Zehntel im ABM-Bereich, auf 25 Prozent im F-und-U-Bereich.
Nun sagen Sie zwar immer: Das wollen wir gar nicht so, sondern wir sehen uns die Region an, aber ich habe eigentlich noch kein richtiges Dementi gehört, auch wenn Herr Krüger vorhin auf den Antrag hinwies, der das dann an die Bundesanstalt für Arbeit weiterschiebt. Wir kennen doch alle die Zusammenhänge zwischen Bundeszuschuß und dem, was die Bundesanstalt für Arbeit hier leisten kann.
Das heißt, Sie verunsichern die Menschen. Wenn Sie nicht wirklich deutlich sagen, daß das vom Tisch ist, dann werden Sie es weiter tun. Dies alles geschieht vor dem Hintergrund der schon genannten Situation und Prognosen für die nächste Zeit.
Ich will Ihnen noch sagen, was mir dabei Sorgen macht. Ich wundere mich eigentlich, daß Sie die Tatsache nicht mehr nachdenklich stimmt, daß bei allen Umfragen der letzten Wochen die Akzeptanz der Demokratie in den neuen Ländern rapide abgenommen hat. Ich habe 50 Jahre meines Lebens, von 1939 bis 1989, in einer Diktatur gelebt. Mir macht das Sorge und auch Angst.
Ich denke, Abbau von Arbeitslosigkeit, das Gefühl von Menschen, daß man wenigstens versucht, sich ihres Schicksals anzunehmen, kann dazu beitragen, daß wir mehr Akzeptanz bekommen.
Auch die Konferenz der Ministerpräsidenten - das sind nicht nur sozialdemokratische, wie mir bekannt ist - hat vor kurzem in Erfurt die Notwendigkeit von ABM in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit für alle Regionen der Bundesrepublik festgestellt. Aber Sie haben die Vorschläge der Länder permanent zurückgewiesen.
Ich will Ihnen einen Vorschlag, der aus Bayern kommt - meines Wissens auch kein sozialdemokratisch regiertes Land -, nicht vorenthalten. Unsere bayerischen Kollegen - Herr Ramsauer, jetzt strahlen Sie wieder - haben gestern auf der Arbeits- und Sozialministerkonferenz vorgeschlagen, daß die Bundesregierung, wenn sie sich schon entlastet, indem sie die Kriterien für die Zuweisung von ABM so drastisch im Grunde genommen auf die Arbeitslosenhilfebezieher beschränkt, dann doch auch die Kosten für die Finanzierung der Maßnahmen grundsätzlich übernehmen solle. Ich fand diesen Vorschlag gar nicht schlecht. Setzen Sie sich einmal mit Ihrem Kollegen auseinander!
Bei ABM geht es nicht nur um die Quantitäten, es geht auch um die Bedingungen. Es ist nun eine wirklich katastrophale Angelegenheit, wie Sie hier verschlimmbessert haben. In dem Vorschlag der Bundesregierung waren die Sonderbedingungen für ABM in den neuen Ländern noch bis Ende 1997 begrenzt. Da haben wir gesagt: Das ist zu kurz, wir brauchen dies auf Grund der hohen Arbeitslosigkeit, die wir haben, länger.
Nun fangen Sie an zu grübeln. Was kommt am Ende heraus? Ab 1. Januar 1997 haben wir bei den
Senatorin Dr. Christine Bergmann
Personalkosten eine 90prozentige Förderung. So kann man es auch machen. Bisher hatten wir in der Regel 100 Prozent; die Ausnahmen mit 15 Prozent usw. können wir im einzelnen jetzt nicht diskutieren.
Wir können die Reduzierung der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen auch auf einem solchen Weg erreichen, denn die Träger können es nicht bezahlen, und die Länder und Kommunen können es auch nicht mehr. Das ist eine ziemlich infame Methode, um ABM zu kürzen, und am Ende haben wir dann noch den Schwarzen Peter in der Hand, so nach dem Motto: Warum macht ihr das nicht? Wir haben euch doch alles angeboten.
In diesen Bereich gehört auch die Konzentration auf die Vergabekriterien. Ich kann aus Zeitgründen nicht auf alles eingehen, aber wir wissen doch alle, daß es nicht funktioniert. Ich habe mich wirklich jahrelang bemüht, Vergabe-ABM durchzuführen - es läuft nicht. Das kann ich Ihnen versprechen.
Da gibt es so viele Hindernisse, angefangen von der Umsatzsteuer bis hin zu den bürokratischen Hemmnissen. - Wir können uns gerne hinterher unterhalten, und ich kann Ihnen sagen, was wir alles versucht haben. Wir haben nichts unversucht gelassen.
- Herr Feilcke,
wenn Sie sich ein bißchen in Berlin umschauen würden und mit uns verhandelten, dann wüßten Sie, daß wir es versucht, aber nicht hinbekommen haben.
Frau Senatorin, gestatten sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Grund?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich gestatte keine Zwischenfrage, denn ich habe nur noch vier Minuten Redezeit, -
Ich würde die Uhr ja stoppen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
- und ich muß hier noch schnell zum Ende kommen. Wir können das alles hinterher aushandeln.
Ich möchte noch auf einen Punkt eingehen, der hier so als große Errungenschaft ausgegeben wurde, auf die Dezentralisierung der Arbeitsmarktpolitik. Dafür sind wir sehr; wir sind da im Prinzip gar nicht
unterschiedlicher Meinung. Aber das, was Sie jetzt hier machen, trifft den Kern eben nicht.
Den Vorschlag, Fonds vor Ort einzurichten, finde ich gut. Die Frage ist natürlich, wieviel Geld sich in dem Fonds befindet. Wenn keine oder zuwenig Mittel enthalten sind, nützt mir das nichts.
Sie aber haben jetzt die Selbstverwaltung auf der Ebene der Landesarbeitsämter völlig abgeschafft, und auf der Ebene der Arbeitsämter haben Sie die öffentliche Hand herausgeschmissen. Das heißt, da sind nur noch Arbeitgeber und Arbeitnehmer.
Wir bezahlen kräftig mit, in Berlin immerhin fast 700 Millionen DM im Jahr - das ist nicht wenig; dafür muß ich mich nicht schämen -, aber wir haben überhaupt kein Mitspracherecht, was auch den anderen Partnern nicht recht ist, denn wir haben auf diesem Gebiet eine sehr gut funktionierende Zusammenarbeit gehabt, die Sie hiermit zerschlagen.
Das kann ich nun wahrlich nicht begrüßen.
Lassen Sie mich auch noch ein Wort zur Berücksichtigung von Frauen im AFRG sagen. Es ist ja schon angesprochen worden: Frauen haben ein wesentlich höheres Arbeitsmarktrisiko; sie werden schneller arbeitslos, sie bleiben länger arbeitslos, und sie kommen schlechter in die Beschäftigung zurück. Sie haben dem in keiner Weise Rechnung getragen, im Gegenteil. Zugangsbedingungen zu Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit werden verschlechtert. Ich kann daraus nur schließen, daß Ihnen nichts daran liegt, Frauen in den Arbeitsmarkt zu integrieren, daß Sie die Statistik etwas verbessern wollen, weil arbeitslose Frauen aus dieser herausfallen und nur noch in der stillen Reserve auftauchen.
Aber ich kann Ihnen auch versichern, daß die immer noch ungebrochen hohe, „fatal" hohe Erwerbsneigung der Frauen im Osten und die steigende Erwerbsneigung der Frauen im Westen nicht zu bremsen sein werden. Tragen Sie dem also lieber Rechnung.
Zum Schluß, meine Damen und Herren Abgeordneten aus den neuen Ländern - ich weiß nicht, ob hier jemand anwesend ist; Herr Krüger ist nicht mehr da -
- sehr gut, je mehr, desto besser -
Senatorin Dr. Christine Bergmann
- ja, das ist ja gut, ich freue mich darüber -, Sie kennen die Situation vor Ort; jedenfalls sollten Sie sie kennen. Sie wissen um die Bedeutung der Beschäftigungsgesellschaften in Ihrem Wahlkreis, die oft die größten Arbeitgeber vor Ort sind. Sie wissen, was es für die Menschen heißt, arbeitslos zu sein, und Sie wissen, daß wir von einem selbsttragenden Aufschwung noch weit entfernt sind, weil uns im Osten bisher die notwendige industrielle Basis fehlt.
Ihre Wählerinnen und Wähler vor Ort erwarten von Ihnen, daß Sie sich für eine Verbesserung der Situation einsetzen. Sie können ja von mir einmal einen guten Rat entgegennehmen: Sie werden es Ihnen nicht durchgehen lassen. Das ist ein Punkt
- ja, ich bin da völlig uneigennützig -, bei dem Ihnen jede zusätzliche Anstrengung honoriert werden wird, die Sie zur Verbesserung der Situation unternehmen.
Zum Schluß: Als Arbeitsmarktpolitikerin kann ich in dem vorliegenden Entwurf des AFRG keine Reform im Sinne der aktuellen Anforderungen erkennen, aber es gibt ja auch noch Alternativen.
Frau Babel, ich wende mich zum Schluß an Sie. Sie haben das Gutachten des IAB zur Halbierung der Arbeitslosigkeit angesprochen. Wir haben zu diesem Thema auch gearbeitet. Sie haben sich einen Aspekt herausgesucht. In diesem Gutachten sind mehrere Aspekte genannt.
Zum Beispiel ist der Aspekt des Abbaus von Überstunden genannt, der Aspekt der Umverteilung der Arbeit und auch der Aspekt einer aktiven Arbeitsmarktpolitik. Ich denke, hier kommen viele Dinge zusammen, wenn man Arbeitslosigkeit wirklich abbauen will.
- Ja, das haben Sie genannt. Ich streite das ja gar nicht ab. Ich sage, Sie haben sich etwas herausgesucht, ich ergänze es um die noch fehlenden Punkte. Ich denke, nur mit solchen gemeinsamen Strategien kann man einen wirklich vernünftigen Abbau der Arbeitslosigkeit erreichen. Aktive Arbeitsmarktpolitik gehört dazu.
Danke.
Zu einer Kurzintervention erhält jetzt der Kollege Grund das Wort.
Frau Bergmann, ich würde es sehr bedauern, wenn Sie nach Berlin zurückfahren müßten und einige Dinge, die noch zu sagen wären, nicht mitnehmen könnten.
Erstens. Sie haben gesagt, daß die meisten Träger die Absenkung der Förderung von 100 auf 90 Prozent nicht leisten können. Wir sind uns sicher einig, daß die meisten Förderungen nach 249h, also im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit und der sozialen Dienste, originäre Aufgabe der Länder und Kommunen vor Ort sind. Ich finde, es ist keine unbillige Härte, wenn die Länder - der Bund finanziert hier eigentlich eine versicherungsfremde Leistung - mit 10 Prozent mit in die Verantwortung hineingenommen werden. Es wird höchste Zeit, Frau Kollegin Bergmann, daß die Länder und Kommunen zu einer Jugendhilfeplanung kommen - dies hat der Paritätische Wohlfahrtsverband schon oft angemahnt -, damit tatsächlich das, was unverzichtbar ist, in Zukunft auch gefördert werden kann, natürlich unter Zuhilfenahme der Länder und Kommunen.
Zweitens. Ich möchte noch auf eines hinweisen: Wenn wir diese 90-Prozent-Regelung jetzt nicht eingeführt hätten, hätten wir auf 75 Prozent, nämlich auf das Westniveau, heruntergehen müssen. Ich glaube, wir haben gemeinsam kein Interesse daran, daß dieses den neuen Bundesländern widerfährt.
Drittens. Sie haben insbesondere die Frauen angesprochen. Gerade für die Frauen beinhaltet dieses Arbeitsförderungs-Reformgesetz wesentliche Verbesserungen.
Nach der Kinderpause und nach Zeiten der Pflege gibt es Anspruch auf Eingliederungsmaßnahmen. Der Anspruch auf Arbeitslosengeld wird von 3 Jahren auf 5 Jahre verlängert.
Dies sollten Sie nach Berlin mitnehmen.
Sie können antworten, bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, ich nehme ja gerne positive Botschaften mit nach Berlin. Allerdings sehe ich sie nicht.
Wenn es um 249h und ABM geht, haben wir hier Äpfel und Birnen ein bißchen durcheinandergemischt. Die Maßnahmen nach 249h waren auch strukturpolitisch angelegt. Wir haben sie, wie Sie wissen, immer begrüßt. Das war wenigstens ein Schritt in die richtige Richtung. Wir sind enttäuscht, daß jetzt keine so weitgehende Öffnung stattgefunden hat, wie wir es immer für vernünftig hielten; denn wir sind mit zwei Dritteln an der Finanzierung beteiligt. Bei den ganzen strukturpolitischen Maßnahmen kriegen wir das durchschnittliche Arbeitslosengeld; es ist sozusagen für die Bundesanstalt für Arbeit kostenneutral. Wir könnten hier unbegrenzt ausbauen, können es aber nicht, weil wir alles das, was man sonst noch braucht - und das ist noch einmal das Zweifache -, draufsetzen müssen. Wir sind hier also an Grenzen gestoßen. Natürlich versuchen
Senatorin Dr. Christine Bergmann
wir, es auf feste Beine zu stellen. Besonders in Berlin ist das ein Thema: Im Westteil der Stadt haben wir überwiegend die Regelfinanzierung, im Ostteil die Arbeitsmarktfinanzierung. Darauf müssen wir sowieso achten. Wir können es aber auch nur peu à peu, wie wir die Märker oder die Sechser, wie die Berliner sagen, dazu bekommen.
Bei den AB-Maßnahmen war der ursprüngliche Vorschlag der Bundesregierung, die Sonderbedingungen um ein Jahr zu verlängern, also quasi die 100-Prozent-Regelung. Sie haben es jetzt geändert und festgelegt, daß es ab 1. Januar 1997 nur noch 90 Prozent gibt. Wenn gar nichts käme, wäre alles weg. Das ist auch klar. Aber ich kann diese 90-Prozent-Regelung nicht akzeptieren, weil wir wissen, daß die meisten Träger nur von dem leben, was sie von der Bundesanstalt oder von den Ländern bekommen. Wir machen da ja schon viel. Aber wir können diese Differenz mit Sicherheit nicht mehr auffangen. Auf diese Weise werden uns eine ganze Menge von Maßnahmen in diesem Bereich kaputtgehen.
Was das Thema Frauen anbelangt, haben Sie mich ganz und gar nicht überzeugt. Es gibt schon Verschlechterungen bei der Inanspruchnahme von Leistungen. Das hat etwas damit zu tun, daß Frauen diese Ansprüche nicht in dem entsprechenden Umfang erworben haben. Es gibt zum Beispiel keine Soll-Vorschrift für Arbeitsmarktmaßnahmen. Auch der Wegfall der öffentlichen Hand auf der regionalen Ebene bedeutet, daß wir dort keine Frauenbeauftragten mehr haben, die sonst dabeiwaren und darüber gewacht haben, daß bestimmte Maßnahmen für Frauen auch durchgeführt wurden.
Es tut mir leid, vielleicht fällt Ihnen noch etwas ein, was ich mit nach Berlin nehmen kann.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Uwe Lühr.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf ist meines Erachtens ein guter Wurf, auch wenn die Fülle der Einzelanträge manchem die Sicht auf das neue Profil verstellt.
Es ist gelungen, aus einem Instrument, das zu Zeiten der Vollbeschäftigung formuliert wurde - damals mit einer Arbeitslosenquote von unter 1 Prozent und einem Beitragssatz von gerade über 1 Prozent -, aus einem solchen, in heutigen Zeiten nur bedingt geeigneten Instrument ist es gelungen, einen Hebel zu machen, mit dem aktive Arbeitsmarktpolitik in der aktuellen Situation ansetzen kann.
Das Ende der europäischen und weltweiten Abschottung in feindlichen Blöcken hat der Wirtschaft und vielen Menschen Freiheiten beschert, die weltweite Marktbedingungen nicht nur vor die Tür, sondern ins Haus gebracht haben. Zusätzlich zu den ohnehin gegen Ende der 80er Jahre notwendig gewesenen strukturellen Veränderungen in der Bundesrepublik verlangen die dramatischen Umbrüche zu Beginn der 90er Jahre grundlegende Reformen.
Es kann nicht mehr nur darum gehen, das arbeitsmarktpolitische Ziel der Vollbeschäftigung auf herkömmliche Weise zu verfolgen. Das ist unter den derzeitigen Bedingungen mit Mitteln der Arbeitsmarktpolitik unerreichbar. Wir dürfen auch nicht so tun „als ob", weil wir damit falsche Erwartungen wecken und falsche Entwicklungen begünstigen. Wir müssen Ziele verfolgen, die näherliegen. Dabei brauchen wir eine kürzere Reichweite und durchschlagsfähigere Mittel. Wir brauchen Arbeitsplätze, wir brauchen wettbewerbsfähige Arbeitsplätze.
Unter der Prämisse der sozialen und ökologischen Marktwirtschaft ist das zunächst ureigene Angelegenheit der am Markt Beteiligten selbst. Allerdings bedarf es dazu geeigneter Rahmenbedingungen durch die Politik. Wenn wir nicht vornehmlich Arbeitslosigkeit finanzieren wollen, sondern Arbeit, dann gehört dazu eine veränderte Arbeitsmarktpolitik, und dazu gehört die Mitwirkung aller Beteiligten. Mit unserem Gesetzentwurf schaffen wir die Grundlage, Erwerbschancen von Arbeitslosen zu verbessern und die Arbeitslosigkeit vermeiden zu helfen, die Effektivität und die Effizienz der Bundesanstalt für Arbeit zu erhöhen, die Transparenz und Anwendbarkeit des Arbeitsförderungsrechtes zu verbessern, Leistungsmißbrauch und illegaler Beschäftigung wirksamer zu begegnen und - nicht zuletzt - die Beitragszahler zu entlasten.
Natürlich gibt es da keine reine Lehre, auch keine einschlägigen Langzeiterfahrungen. Auch legt sich bei manchem Marktwirtschaftler die Stirn in Falten, wenn die große Zielsetzung Subventionsabbau in den neuen Bundesländern künftig durch sehr großzügige Lohnkostenzuschüsse an Betriebe doch Abstriche hinnehmen muß. Aber ich füge hier hinzu: Ich finde es geradezu bemerkenswert, daß es gelungen ist, zwischen den ostdeutschen Kollegen von CDU und F.D.P. Regelungen zu finden, die gerade im Osten Deutschlands - davon versprechen wir uns sehr viel - greifen werden.
Aber in Anbetracht der sehr schwierigen Arbeitsmarktlage in den neuen Bundesländern wird man auch Umwege gehen müssen, um die ohne eigenes Verschulden arbeitslos gewordenen Menschen nicht ohne Perspektive zu lassen.
Über 5 Jahre haben wir in den neuen Bundesländern in erheblichem Umfang auf die Durchführung von ABM gesetzt, um Arbeitslose in den normalen Arbeitsmarkt zu überführen. Leider hat sich aber herausgestellt, daß diese AB-Maßnahmen in weit höherem Maße als befürchtet ihren Zweck nicht erreicht haben. Deshalb wollen wir lieber Lohnkostenzuschüsse für eine Arbeitsaufnahme im ersten Arbeitsmarkt zur Verfügung stellen, als in Beschäftigungsgesellschaften und Groß-ABM auch noch die Chancen der Wettbewerber zu untergraben.
Uwe Lühr
In den neuen Bundesländern haben wir mit besonderen Problemen zu tun: Mit Westdeutschland vergleichbare personalintensive Großbetriebe in nennenswertem Umfang sind nicht vorhanden, und ein vergleichbarer Mittelstand als hauptsächlicher Träger von zusätzlichen Arbeitsplätzen ist kaum vorhanden.
Wenn heute geschätzt wird, die neuen Länder müßten etwa eine Generation lang ein um 3 Prozent höheres Wirtschaftswachstum erzielen, um den Vorsprung Westdeutschlands aufzuholen, und hinzugefügt wird, für diesen Zeitraum seien auch weiterhin noch besondere West-Ost-Transfers zu leisten, dann ist mir dieser Zeitraum schlichtweg zu lang.
Wenn es heißt, die Arbeitslosigkeit von rund 15 Prozent werde erst im zweiten Jahrzehnt des nächsten Jahrhunderts auf ein sozialpolitisch verträgliches Ausmaß zurückgehen - was immer das für ein Maß sein mag -, dann ist mir auch das zu lang. Wir haben nämlich kein Recht, die Finanzierung unseres Standards auf einem ungedeckten Wechsel unserer Jugend zu vererben. Wir müssen handeln, und wir könnten es um so wirkungsvoller, je breiter die Zustimmung dazu wäre.
Der aus meiner Sicht gute Wurf könnte größer sein, wenn aus der zutreffenden Analyse die entsprechenden Konsequenzen gezogen und nicht immer wieder Forderungen an den Staat gestellt würden, die - würden sie erfüllt - den beklagten Zustand nur stabilisieren.
Meine Fraktion stimmt dem Gesetzentwurf, einschließlich der Änderungen, die die ostdeutschen Kollegen eingearbeitet haben, zu.
Jetzt spricht für die Bundesregierung der Herr Arbeitsminister Blüm.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die soziale Herausforderung lautet: Arbeit schaffen.
Die Planwirtschaft gibt darauf die Antwort: Sache des Staates. Der Kapitalismus gibt darauf die Antwort: Sache der Unternehmer. Die Soziale Marktwirtschaft kennt eine abgestufte Verantwortung: erstens die Verantwortung der Unternehmer, zweitens die Verantwortung der Tarifpartner, drittens die Verantwortung des Staates.
Wenn ich „Verantwortung des Staates" sage, meine ich damit keineswegs nur die Arbeitsmarktpolitik, sondern auch die Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik. Deshalb dürfen Sie an die Arbeitsmarktpolitik nicht übersteigerte Erwartungen richten. Das kann nur zu einer großen Enttäuschung führen. Die Arbeitsmarktpolitik muß einen wichtigen
Beitrag leisten, aber sie allein kann die Arbeitsplätze nicht schaffen.
- Ich bin bei der Sache.
Gehen Sie einmal von einer anderen Strategie aus! Sie haben die Vorstellung, die Arbeitsmarktpolitik funktioniere wie eine große Maschine; man brauche nur die Hebel zu bedienen, die Knöpfe zu drücken, Geld einzuwerfen - und schon sei Arbeit vorhanden. Das ist ein Modell, das mit meinem Verständnis von Sozialer Marktwirtschaft nicht übereinstimmt, das eher planwirtschaftliche Züge trägt. Was die Planwirtschaft bewirkt, können wir an dem Feldversuch sehen, den wir in Deutschland schon hinter uns haben. Wir brauchen keinen neuen Versuch.
Wir setzen beim einzelnen an: Hilfe zur Selbsthilfe, also subsidiär. Subsidiär heißt, dem einzelnen Hilfe zu geben. Hilfe dem einzelnen bei der Vermittlung zu geben ist Sinn der Arbeitsmarktpolitk.
Sieben Monate dauert die durchschnittliche Arbeitslosigkeit in Deutschland. Wenn es uns durch bessere Vermittlung gelingen würde, diese Zeit nur um einen Monat zu verkürzen, hätten wir vielen Menschen geholfen und eine Ersparnis von 7 Mil-harden DM; eine Ersparnis nicht auf Kosten der Arbeitslosen, sondern eine Ersparnis zugunsten der Arbeitslosen.
Sie behaupten immer nur: Weniger Geld führt zu einem Abbau der Hilfe. - Nein, Sie erkennen nicht, daß mehr Geld nicht immer mehr Qualität bedeutet. Sie messen alles an der Tatsache, wieviel Geld ausgegeben wird. Geld ersetzt aber bei weitem nicht Phantasie, Kreativität und Ideen.
30 Prozent der Arbeitslosen sind unter drei Monate arbeitslos, 60 Prozent unter sechs Monate. Die Schicksale, die zu einer anonymen Statistik zusammengefügt werden, sind höchst unterschiedlich. Die eigentliche Härte der Arbeitslosigkeit trifft die Langzeitarbeitslosen. Sie brauchen die stärkste Unterstützung. In einem auf statistische Tatsachen ausgerichteten Denken verschwindet dieser qualitative Unterschied. Deshalb wenden wir uns mit diesem Gesetzentwurf gerade den Langzeitarbeitslosen zu.
Warum wollen Sie, Frau Knake-Werner, auf Trainingsmaßnahmen verzichten? Durch die Feststellung ihrer Eignung wird den Menschen, die lange Zeit arbeitslos waren, bei ihrer Bewerbung geholfen. Die Arbeitsfähigkeit - sicherlich auch ihre Arbeitsbereitschaft - wird durch diese Maßnahmen getestet. Was ist daran eigentlich unzumutbar? Wer aus Solidarität Hilfe erwartet, der muß sich auch solidarisch verhalten, indem er sich für Arbeit zur Verfügung stellt.
Bundesminister Dr. Norbert Blüm
Ein Eingliederungsvertrag, mit dem die Bundesanstalt für Arbeit in den ersten sechs Monaten das Risiko der Lohnfortzahlung im Fall von Langzeitarbeitslosen übernimmt, ist doch kein Einstellungshemmnis. Liebe Frau Bergmann, wollen Sie darauf verzichten? Sie haben nämlich gesagt, dieses Gesetz werde nichts bringen. Wollen Sie auf einen Eingliederungsvertrag verzichten, mit dem die Bundesanstalt für Arbeit den Langzeitarbeitslosen hilft? Vermitteln Sie hier doch nicht den Eindruck, als sei dieses Gesetz ein Rücknahmegesetz. Dies ist ein Gesetz mit vielen neuen Instrumenten.
Wenn Sie den Vermittlungsausschuß anrufen, können Sie dort alle diese Instrumente ablehnen. Dann wollen wir einmal darüber reden, ob Sie so etwas wie den Eingliederungsvertrag oder Trainingsmaßnahmen ablehnen. Lehnen Sie ab, daß wir die Kurzzeitbeschäftigten in den Schutz der Arbeitslosenversicherung hineinnehmen, mit der Flexibilisierung auch die Teilzeit unter den Schutz der Arbeitslosenversicherung bringen? Ist das Fortschritt, oder ist das kein Fortschritt? Versuchen Sie hier nicht, mit einem genialen Handstrich alles madig zu machen! Wir bringen neue Instrumente, Hilfe für die Arbeitslosen. Wer das bestreitet, hat entweder das Gesetz nicht gelesen oder ist böswillig.
Ich komme zum Arbeitsmarkt. Durch das Arbeitsförderungs-Reformgesetz erhalten die beschäftigungsfördernden Maßnahmen eine neue und bessere Qualität als bisher. Über ihre Quantität wird nicht in dem heute zu beschließenden Entwurf, sondern alljährlich mit dem Haushalt der Bundesanstalt entschieden. Dabei ist selbstverständlich die Arbeitslosenentwicklung ein wichtiger Entscheidungsmaßstab. Die in der finanziellen Begründung des eingebrachten Gesetzentwurfs genannten Zahlen sind keine Präjudizierung der Haushaltsansätze.
Jetzt etwas für unsere Kolleginnen und Kollegen aus den neuen Ländern.
Liebe Frau Bergmann, ich kenne auch so manchen rhetorischen Trick, aber sich hier hinzustellen und zu fragen „Sind überhaupt Abgeordnete aus den neuen Ländern da?", das ist nun wirklich ein ganz mieser Trick.
Den haben Sie nur für die Zuschauer gemacht; den haben Sie nicht für dieses Parlament gemacht.
Damit wollten Sie den Eindruck erwecken, hier wären keine Kollegen aus den neuen Ländern. Ich schätze Sie ja sehr, aber das ist unter Ihrem Niveau.
Tricks nehme ich ja noch hin, aber billige Tricks sind nicht mein Geschmack. Das hat Frau Bergmann auch gar nicht nötig.
Ich will ausdrücklich sagen: Meine Kolleginnen und Kollegen aus den neuen Bundesländern müssen nicht Gesichtspflege treiben, wie Herr Schreiner heute behauptet hat. Sie können stolz sein, auch auf das, was sie erreicht haben, nämlich ganz neue Instrumente. Daß beispielsweise *249 h zur Zahlung von Lohnkostenzuschuß jetzt für die Betriebe genutzt wird, ist aus meiner Sicht ein Durchbruch in der ganzen Lohnzuschußphilosophie.
Ich bin davon überzeugt, daß Sie mit dieser Maßnahme mehr Menschen in den ersten Arbeitsmarkt
bringen, als Ihnen das durch ABM möglich sein wird.
Ich bin ein Anhänger von ABM - man braucht sie als Krücke -, aber sie sind immer nur die zweitbeste Lösung.
Meine Kollegen aus den Koalitionsfraktionen haben ihren Ehrgeiz, ihre Phantasie nicht darauf beschränkt, allein am zweiten Arbeitsmarkt erfolgreich zu sein, sondern überlegt, wie man mehr Menschen in den ersten Arbeitsmarkt bringt. Das brauchen die Kollegen nicht zu verschweigen, finde ich. Das können sie ganz stolz in allen neuen Bundesländern erzählen.
Frau Bergmann, wenn Sie diese Instrumente nicht in Anspruch nehmen wollen, dann können Sie in Berlin doch darauf verzichten. Sagen Sie doch in Berlin einfach, Sie wollen das nicht, Sie wollten keine Lohnkostenzuschüsse.
Da sparen wir Geld. Mein Gott, Ihnen kann geholfen werden! Sie verzichten auf all das, was Sie hier madig gemacht haben. Anschließend gehen wir dann - wenn es geht, zusammen - durch Berlin und prüfen mal, welche AB-Maßnahmen in Berlin gefördert werden. Könnte es sein, Frau Bergmann - wenn hier schon gewechselt wird, dann vollständig -, daß in Berlin mit ABM-Mitteln, mit Beitragsgeldern, Aufgaben finanziert werden, die eigentlich kommunale Pflichtaufgaben sind? Könnte das sein?
Die gehen wir mal durch und prüfen das. Sie wollen
zwar gerade die Arbeitnehmer schonen. Aber Sie
Bundesminister Dr. Norbert Blüm
nehmen Geldmittel der Beitragszahler für kommunale Pflichtaufgaben.
Ich kenne auch die Begründung: Die Kommunen haben kein Geld. - Das ist beklagenswert. Wer das feststellt, gilt als sozialer Mensch. Wenn wir sagen, in Bonn gibt es kein Geld, werden wir angeklagt. Meine Damen und Herren, Sie müssen die kommunale Finanzierung in den Ländern neu ordnen, dürfen aber nicht ABM-Mittel zum Ersatzfinanzinstitut für das Versagen von kommunaler Finanzierung machen. Dafür sind die Beitragszahler nicht da.
Herr Schreiner, heute morgen ist mehrfach von einer Absenkung des ABM-Lohns auf 80 Prozent gesprochen worden. - Nicht der Lohn wird abgesenkt, sondern die Bemessungsgrundlage! Sie, Frau Bergmann, haben gesagt, der ABM-Lohn sei schon so niedrig. - Wenn er schon so niedrig ist, gibt es überhaupt keine Absenkung. Es ist nicht so, daß der Lohn um 20 Prozent abgesenkt wird, sondern der vergleichbare Lohn auf dem ersten Arbeitsmarkt soll 20 Prozent über dem ABM-Lohn liegen. Wenn es so ist, wie Sie sagen, sind wir bereits an dieser Stelle. Dann kann gar nichts passieren. Sie müssen aufpassen, daß Sie nicht mit Ihrer eigenen Polemik in Widerspruch zu Ihren eigenen Argumenten geraten.
Es geht nicht nur um Geld. Die Fixierung auf das Motto „Je mehr Geld, je mehr ABM, um so besser" ist falsch. Wenn das die Lösung wäre, dann schafft doch 4 Millionen ABM-Arbeitsplätze. Dies muß ja auch bezahlt werden. Selbst wenn es günstiger ist, ABM-Plätze als Arbeitslosengeld zu bezahlen, wäre dies keine vernünftige Lösung. ABM muß mitfinanziert werden. Wenn dies die Lösung wäre, könnte man sagen: Der letzte auf dem ersten Arbeitsmarkt bezahlt den gesamten zweiten Arbeitsmarkt. Dies ist wirklich eine Milchmädchenrechnung. Bei ABM gibt es irgendwo einen break-point, von wo an die Sache nicht mehr zielführend ist.
Ich bleibe dabei: Wir brauchen ABM. Ich mache ABM nicht madig.
Wir brauchen Fortbildung und Umschulung. Aber es gibt eine Grenze, ab der es unproduktiv wird. Ich bleibe dabei: Alle Maßnahmen, alle Wege müssen zu dem ersten Arbeitsmarkt führen. Das ist das Ziel unserer Arbeitsmarktpolitik.
- Einmal sagen Sie, uns würde nichts einfallen. Jetzt sagen Sie, es würde uns nach 14 Jahren zu spät einfallen. Was gilt denn jetzt?
Daß wir die Arbeitsämter jenseits von Mark und Pfennig effektiver machen wollen, kann doch nur in Ihrem Sinne sein. Wie werden sie denn effektiver? Gerade im Zusammenhang mit der deutschen Einheit haben die Bundesanstalt für Arbeit und ihre Mitarbeiter große Verdienste errungen. Aber es wird auch jeder verstehen, daß es nicht das beste Modell sein kann, wenn ein solcher Tanker von 100 000 Mitarbeitern zentral geführt wird.
Deshalb sind wir für mehr Verantwortung vor Ort. Das Arbeitsamt in Bremen hat ganz andere Probleme als das Arbeitsamt in Berchtesgaden. Überlaßt es den Arbeitsämtern vor Ort, die Instrumente einzusetzen: Das eine Arbeitsamt arbeitet mit ABM, das andere mit Lohnkostenzuschüssen. Am Schluß machen wir einen Strich darunter und vergleichen, welches Arbeitsamt am erfolgreichsten war. So kommt auch Wettbewerb in die Initiativen der Arbeitsämter. Meine Erfahrung jedenfalls ist es: Wenn die Menschen etwas selbst bestimmen können, sind sie kreativer, als wenn sie nur Durchführungszentralen sind. Wir wollen Entscheidungsverantwortung und keine Durchführungsverantwortung.
- Dann ist es in Ordnung.
Bitte, Herr Kollege Schreiner.
Herr Minister, Sie haben gerade gesagt, es sei Ihnen lieber, wenn die Menschen etwas in eigener Regie machen. Sie haben auf die Dezentralisierung der Arbeitsmarktpolitik hingewiesen, die sich auch in unserem Gesetzentwurf wiederfindet. Ich frage Sie, warum Sie bei der Veräußerung des Vermögens der Rentenversicherungsträger einen Staatskommissar aus Bonn einsetzen und dies nicht den Rentenversicherungsträgern selbst überlassen.
Das kann ich Ihnen leicht erklären. Es bleibt dabei, daß die Rentenversicherungsträger Vorfahrt haben. So verstehe ich die Subsidiarität. Aber sie fahren nicht. Ein Vorfahrtsrecht ist kein Parkplatzrecht. Das ist der Unterschied.
Gestatten Sie noch eine zweite Zwischenfrage des Kollegen Schreiner?
Weitere Fragen können Sie gleich stellen.
Über 10 Prozent des Haushalts können die Arbeitsämter vor Ort selbst bestimmen. Frau Babel hat schon über diesen Innovationstopf gesprochen. Herr Schreiner hat dazwischengeschrien, da sei nichts drin. Wissen Sie, was darin ist? - Von den rund 30 Milliarden DM für die Arbeitsmarktpolitik sind es 3 Milliarden DM. 3 Milliarden DM erklärt Herr Schreiner von der SPD für nichts. Das ist merkwürdig.
- Sie kennen doch den Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit. Sie werden doch nicht sagen wollen, daß wir keine Arbeitsmarktpolitik betreiben.
Also, ich stelle in Übereinstimmung mit Herrn Schreiner fest: In diesem Innovationstopf ist Geld für Initiativen, für Kreativität. Das ist ein Fortschritt, zu dem selbst Herr Schreiner ja sagt. Na, wenn das nichts ist!
- Nein, wir sind nicht beim Theater. Ich bin dagegen, in dieser Wildwest-Manier hier Arbeitsmarktdiskussionen zu führen. Es ist Wildwest-Manier, wenn in Anzeigen gesagt wird, daß im Osten 300 000 ABMStellen gekürzt werden sollen. Es gibt nur 190 000 Stellen. Wie wollen Sie dort 300 000 Stellen kürzen? Das nenne ich Wildwest-Diskussion, die Sie betreiben; sie dient nicht der Versachlichung. Sie dient nicht dazu, den Menschen Hoffnungen zu machen. Sie haben offenbar nur einen Genuß: möglichst viel Unruhe.
Im übrigen ist die Arbeitsmarktpolitik nicht eine transzendente Kuh: im Himmel gefüttert und auf Erden gemolken. Bezahlen müssen die Beitragszahler. Deshalb muß gespart werden. Die Kuh kann nur dort gefüttert werden, wo eine Weide ist, das ist die Arbeitswelt. Wir müssen sparen, damit mehr Arbeitsplätze entstehen. Das ist ganz einfach.
- Herr Schreiner, ich finde, Ihre Witze waren schon besser. Sie sind schon sehr abgeschlafft.
Lassen Sie mich zurückkehren: Ich behaupte nicht, daß die SPD noch die alte marxistische Partei ist. Das würde ich nie behaupten.
- Nein, das haben Sie hinter sich. - Aber das Erbgut, daß der Staat immer alles besser macht, haben Sie nicht ganz aus den Kleidern geschüttelt. Aus allen
Luken Ihres Gesetzes lugt der Staat hervor. Dort, wo andere Gottvertrauen haben, haben Sie Staatsvertrauen. Das ist der Unterschied!
Ich glaube an den allmächtigen Staat. Ich glaube an
die Planung. Ich glaube: je mehr Geld, um so besser.
- Das ist nicht unsere Philosophie. Wir möchten die Initiative des einzelnen stärken. Wir müssen freilich auch prüfen, ob er seine Solidarpflicht ernst nimmt. Ich verstehe Solidarität nicht nur als ein System von Rechten, sondern auch als ein System von Pflichten. Insofern muß auch geprüft werden.
Ich würde die Arbeitslosen nie verdächtigen, daß sie nicht alle arbeiten wollen. Aber daß es solche gibt, wird doch niemand bestreiten. Fragen Sie doch einmal in Gastwirtschaften, fragen Sie doch einmal, wieviel Arbeitsplätze Leerstehen, obwohl wir eine hohe Arbeitslosigkeit haben! Das kann der Sozialstaat nicht hinnehmen.
- Ja, ich kenne das. Das ist einem deutschen Arbeitnehmer nicht zumutbar. Aber einem Polen ist es offenbar zumutbar. Merken Sie nicht, daß Sie einem versteckten Rassismus frönen?
Wir versprechen mit diesem Gesetz keine Wundermittel, aber wir versprechen, einen wichtigen Beitrag zu leisten. Nehmen wir es uns doch wechselseitig ab, daß wir einen Beitrag dazu leisten wollen, Arbeitslosigkeit zu überwinden. Das können wir nunmal nicht allein.
Meine Forderung geht in der Tat an die Unternehmer, die Chancen zu nutzen, die wir angeboten haben. Einschränkungen beim Kündigungsschutz und bei der Lohnfortzahlung sind uns nicht leichtgefallen. Das muß jetzt auch genutzt werden. Es ist unsere Aufgabe, die Voraussetzungen zu schaffen. Es ist die Aufgabe der Unternehmen, die neuen Chancen zu nutzen. Nur wenn wir es zusammen machen, Gewerkschaften, Arbeitgeber und Staat weiterhin gemeinsam, schaffen wir es.
Im übrigen, Herr Schreiner, beschimpfen Sie nicht die Bundesregierung! Die Halbierung der Arbeitslosenzahl ist nicht ein Privatvorhaben der Bundesregierung. Das ist die gemeinsame Erklärung von Wirtschaft, Gewerkschaften und Bundesregierung. Dieses Ziel zu erreichen ist allerdings nur möglich, wenn wir mehr zusammenarbeiten und weniger gegeneinander. Deshalb lade ich Sie trotz allen Pulverdampfs ein, die Arbeitsförderung zu verbessern, neue Instrumente zu nutzen und mehr Initiativen zu ergreifen. Meine Forderung an Gewerkschaften und Arbeitge-
Bundesminister Dr. Norbert Blüm
ber ist, nicht nur auf den Staat zu warten, sondern selber mitzumachen.
Vielen Dank.
Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Schmidt das Wort.
Herr Blüm, bei allem, was ich sonst angesichts Ihrer Polemik und Ihrer Art des Vortrages ertragen und verstehen,
- nein, verstehen und nachvollziehen kann, finde ich es unglaublich, daß Sie hier in diesen Raum hinein, ohne jemanden direkt anzusprechen, also für alle Parlamentarier, den Vorwurf erheben, daß diejenigen, die sich gegen 590-DM-Jobs wehren, offensichtlich einem versteckten Rassismus frönen. Ich finde, dies ist unglaublich.
Ich erwarte von Ihnen, daß Sie das hier an dieser Stelle klarstellen und daß Sie selbst diesen Vorwurf hier zurücknehmen.
Wenn das nicht geschieht, wird das ein Nachspiel haben. Das sage ich Ihnen mit aller Deutlichkeit.
Das läßt sich ganz einfach klarstellen: Die aktuelle Diskussion geht darum, ob beispielsweise Bezieher von Arbeitslosenhilfe in der Landwirtschaft einen zumutbaren Arbeitsplatz erhalten können und ob dafür sogar noch 25 DM zusätzlich bezahlt wird. Ich bin Ihnen insofern dankbar, daß das klargestellt wird. Mit 590-DM-Jobs hat das gar nichts zu tun.
- Sie können es in der Tat formulieren, wie Sie es wollen.
Sie sagen, das sei einem Deutschen nicht zumutbar, halten es aber für normal, daß dies ein Pole macht.
- Dann sage ich nicht Rassismus, sondern Nationalismus. Dies ist jedenfalls eine Diskriminierung. Wie Sie das benennen, ist Ihre Sache.
Es handelt sich um eine Diskriminierung der ausländischen Arbeitnehmer. Für mich ist die Tatsache der Zumutbarkeit nicht von der nationalen Herkunft abhängig. Die Würde des Menschen ist völlig unabhängig von seiner nationalen Zugehörigkeit. Wir sprechen in unserem Grundgesetz nicht von der Würde der Deutschen, sondern von der Würde des Menschen. Wenn diese Würde bei einem Polen nicht durch eine Beschäftigung in der Landwirtschaft verletzt wird, dann wird sie auch nicht bei einem Deutschen verletzt.
Das wollte ich zum Ausdruck bringen. Mehr wollte ich nicht sagen. Alles andere sind Mißverständnisse. Ich möchte klarstellen, daß in der Tat hier eine Abwertung der Ausländer stattfindet, die wir so nicht hinnehmen können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Herr Bundesminister Blüm hat als ein Mitglied der Regierung gesprochen. Deswegen steht es mir nicht an, das, was er gesagt hat, zu rügen.
Ich bin aber der Meinung und glaube, daß es auch die Meinung des Herrn Bundesministers Blüm ist, daß wir uns unter Abgeordneten den Vorwurf des versteckten Rassismus nicht machen sollten.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Manfred Grund.
Frau Präsidentin! Wie halten Sie es mit ABM, sind Sie dafür oder dagegen? - So wird gegenwärtig in den neuen Bundesländern und auch heute hier in diesem Hause die Debatte über das Arbeitsförderungs-Reformgesetz geführt. So lautet die moderne Gretchenfrage. Da es bei einer derart zugespitzten Fragestellung nur ein Ja oder ein Nein geben kann, da wir es uns in der politischen Auseinandersetzung angewöhnt haben, nur noch zwischen Schwarz oder Weiß zu differenzieren, werden die politisch Handelnden auf Grund ihrer Antwort in zwei Schubladen einsortiert.
Da gibt es diejenigen, die sagen: Hände weg von ABM. Mit uns gibt es überhaupt keine Kürzungen,
Manfred Grund
weder bei den Pro-Kopf-Zahlen noch bei den Instrumentarien oder den Finanzierungsmitteln. Es muß alles so bleiben, wie es ist. - In der öffentlichen Wahrnehmung sind dies diejenigen, die vermeintlich den sozial Schwachen nahestehen, die den Arbeitslosen und Arbeitssuchenden helfen. Wer aber den zweiten Arbeitsmarkt von seiner Wirkung her hinterfragt, wer ausgehend vom Ergebnis fragt, was Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, FuU- und 249-h-Maßnahmen bringen, was der enorme Mitteleinsatz bringt und was für den Betroffenen nach der Arbeitsbeschaffungsmaßnahme kommt, und dieses Ergebnis in das Arbeitsförderungs-Reformgesetz einfließen läßt, dem wird vorgeworfen, er wüte gegen Arbeitslose, er wolle den ABM-Kahlschlag im Osten.
Unter dem Kürzel ABM wird das gesamte Instrumentarium am zweiten Arbeitsmarkt diskutiert. ABM ist nicht wegen der Arbeitsmarktprobleme in den neuen Bundesländern eingeführt worden, sondern wegen der Kohlekrise 1966 in den alten Bundesländern. Das AFG bildet seit 1969 die Grundlage für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Mehrfach fortgeschrieben - das ist heute dargelegt worden - und vielfach verändert, hat das Arbeitsförderungsgesetz nach 1989 dazu beigetragen, daß die Auswirkungen des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruchs der DDR für die Betroffenen, für die Menschen in den neuen Bundesländern, abgemildert werden konnten. Dieses Instrumentarium, geschaffen zur Bewältigung der Folgen der Kohlekrise, geschaffen, um einen regional eng begrenzten Strukturwandel zu ermöglichen, um Übergänge zu schaffen und Brücke zum ersten Arbeitsmarkt zu sein, hat nach 1989 Millionen Menschen in den neuen Bundesländern vor dem sozialen Absturz bewahrt, hat Hoffnung und Perspektiven gegeben.
Diesen notwendigen und richtigen Weg setzen wir mit der Novellierung des Arbeitsförderungsgesetzes, mit dem heute zu beschließenden Arbeitsförderungs-Reformgesetz, fort.
- Doch, das kann sehr wohl wahr sein. - Wer von der Opposition in der Lage ist, sich einigermaßen von diesen Schwarzweißklischees zu trennen, und wer noch ein Stück weit wahrnimmt, daß Instrumentarien gerade für die neuen Bundesländer fortgeschrieben worden sind, der sollte sich diesem Arbeitsförderungs-Reformgesetz nicht verschließen.
Man sollte das einmal erläutern. Im einzelnen handelt es sich um folgende Veränderungen und Fortentwicklungen der Instrumentarien. Erstens. Wichtigste Aussage: ABM wird es auch in Zukunft geben. Der Grundsatz der Vergabe von ABM an Unternehmen wird um ein Jahr auf den 1. Januar 1997 vorgezogen.
Zweitens. Die Lohnkostenzuschüsse nach § 249h bzw. § 242 s AFG in den alten Bundesländern haben sich bewährt und werden als Strukturanpassungsmaßnahmen fortgeführt. Sie können zur Verbesse-
rung der Umwelt, zur Verbesserung des Angebots bei den sozialen Diensten, in der Jugendhilfe, im Breitensport, der freien Kulturarbeit und der Denkmalpflege eingesetzt werden. Dieses Einsatzspektrum wird für die neuen Bundesländer um die Durchführung denkmalpflegerischer Maßnahmen, städtebaulicher Erneuerungsmaßnahmen, städtischen Denkmalschutz und Wohnumfeldgestaltung ausgeweitet.
Drittens. Das ist etwas wirklich Neues: Das berücksichtigungsfähige Entgelt wird zukünftig - das ist mehrfach moniert worden - 80 Prozent des Tarifentgeltes betragen. Maßnahmeträger in den neuen Bundesländern werden bis 1999 nicht sozusagen auf 75 Prozent des Zuschusses herunterfallen, sondern mit 90 Prozent bezuschußt. Danach ist unter Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit der Maßnahmeträger über eine Degression dieses Zuschusses zu entscheiden.
Frau Bergmann - sie ist nicht mehr da -, ich habe vorhin vergessen, das zu sagen: Bei mangelnder Eigenbeteiligungsfähigkeit des Trägers bleibt für 15 Prozent besonders förderungsbedürftiger Arbeitsloser auch bis 1999 eine hundertprozentige Förderung möglich. Das gilt gerade im Bereich der Kinder-, Jugend- und Sozialarbeit.
Viertens. Das eigentlich Revolutionäre, Vorwärtsweisende in diesem Entwurf
- Sie brauchen gar nicht zu lachen - sind Personaleinstellungen für jeweils ein Jahr in Wirtschaftsunternehmen des gewerblichen Bereiches in den neuen Bundesländern, wenn sechs Monate vorher keine Kündigung erfolgt ist, um den Drehtüreffekt zu vermeiden. Frau Beck, Sie haben es CDU/CSU und F.D.P. und gerade den Ordnungspolitikern nicht zugetraut, daß wir in der Lage sind, einen solchen Sprung nach vorne zu machen und dieses Instrumentarium hier anzubieten, weg von alten Instrumentarien, die sich nicht bewährt haben. Denn was kommt bisher nach ABM? Meistens Arbeitslosigkeit.
Durch die Bundesanstalt für Arbeit wird jeder geförderte Arbeitnehmer mit 1 915 DM pro Monat bezuschußt. Wir finanzieren damit Arbeit, statt Arbeitslosigkeit zu fördern. Wer einen solchen Zuschuß in einem Unternehmen erhält, hat wenigstens einen Fuß in einem Unternehmen, was bisher nicht der Fall war. Das ist ganz wichtig für die Zukunft.
Diese neue Förderung ist ein Durchbruch bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Falls sich das in den neuen Bundesländern bewähren sollte - so, wie der alte § 242 s fortgeführt worden ist -, sollte man sich wirklich überlegen, ob es nicht gut wäre, dieses Instrumentarium für die gesamte Bundesrepublik, wo es auch Unterbeschäftigung von 25 Prozent gibt, einzuführen.
Damit die seit dem 1. Juli dieses Jahres gültige, eng gefaßte Regelung aus dem Arbeitslosenhilfe-Re-
Manfred Grund
formgesetz, wonach 95 Prozent der Maßnahmeteilnehmer Langzeitarbeitslose sein müssen und nur zu 5 Prozent Ausnahmen möglich sind, nicht dazu führt, daß bestimmte Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nicht mehr belegt werden können oder daß die Arbeitsämter Geld zurückgeben müssen, gibt es bei dieser Zuweisung von Langzeitarbeitslosen Ausnahmen im AFRG.
Das sind Ausnahmen für notwendiges Anleitungs- und Betreuungspersonal für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, für Personen vor Vollendung des 25. Lebensjahres und ohne abgeschlossene Berufsausbildung in Verbindung mit einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme. Das trifft zum Beispiel auf die Jugendlichen in Frankfurt zu, von denen wir vorhin gesprochen haben, die ohne Ausbildungsplatz sind. Auch für sie wäre diese Förderung möglich. Die 5-Prozent-Klausel findet auf den Bereich der Behinderten keine Anwendung:
Wir haben in vielen Arbeitsämtern auch mit Leuten gesprochen, die selbst Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen durchführen. Ob diese Ausnahmen von der Regel ausreichen oder ob die Arbeitsämter nicht doch noch bewilligte Gelder zurückgeben müssen, weil die zuweisungsberechtigte Klientel nicht verfügbar ist, darauf ist im Gesetzesvollzug zu achten. Für die Abgeordneten der CDU aus den neuen Bundesländern ist dies ein wichtiger Eckpunkt bei ihrer Zustimmung zum AFRG.
Überhaupt war von Anfang an klar: Notwendige Einsparungen bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik dürfen nicht zur Erhöhung der Arbeitslosenzahlen in den neuen Bundesländern führen. Dem hätte von uns niemand zustimmen können.
Deshalb konnte das AFRG auch nicht unter dem Gesichtspunkt behandelt werden, beginnend ab 1997 in den neuen Bundesländern 1,7 Milliarden DM einzusparen und im Jahre 2000 das Niveau der Arbeitsmarktpolitik an das wesentlich niedrigere Niveau in den alten Bundesländern anzupassen.
Der ursprüngliche Finanz- und Zeitfahrplan ist nicht mehr Gegenstand des heute zu beschließenden AFRG. Das müßte sich eigentlich auch bis zu Herrn Schreiner herumgesprochen haben.
Wir verändern im AFRG die Instrumentarien. Wir haben einen guten Rahmen gesetzt, der nun mit Leben und auch mit Geld auszufüllen ist. Blockadehaltungen sind inhaltlich nicht mehr zu begründen. Wer es mit seiner sozialen Verantwortung für die Menschen in den neuen Bundesländern ernst meint, kann diesem AFRG guten Gewissens zustimmen. Stellungnahmen von Gewerkschaften und Sozialverbänden bestärken uns darin, eine gute Lösung gefunden zu haben.
Es liegt im Interesse der Menschen in den neuen Bundesländern, daß dieses AFRG heute beschlossen wird und möglichst bald den Bundesrat passiert.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Adolf Ostertag.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In den arbeitsmarktpolitischen Debatten der letzten sechs Jahre, die ich miterlebt habe, habe ich zwei Dinge noch nicht erlebt.
Erstens. Der Bundesarbeitsminister hat hier schon viel erzählt, vieles, was man kritisieren oder in die Nähe von Büttenreden stellen kann, und er hat auch ernsthafte Argumente gebracht. Aber ich habe noch nicht erlebt, daß er wie hier ausgerastet ist und Hunderttausende von Menschen in die Nähe von verkappten Rassisten gerückt hat. Das ist in der Tat unerträglich.
Ich glaube, Herr Bundesarbeitsminister, Sie müssen sich klarer distanzieren, als Sie es eben getan haben.
Ein Zweites habe ich auch noch nicht erlebt, nämlich daß der Bundeskanzler einmal an einer arbeitsmarktpolitischen Debatte teilnimmt. Vorhin war er für eine Minute hier. Wahrscheinlich kommt er wieder zur namentlichen Abstimmung. Ich bedauere das außerordentlich, denn es ist ein wichtiges Thema. Ich wollte eigentlich mit einem Zitat von ihm beginnen.
Der Kanzler sagte 1982 in seiner ersten Regierungserklärung:
Diese neue Regierung ist notwendig geworden, weil sich die alte, die bisherige Regierung als unfähig erwies, gemeinsam die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, das Netz der sozialen Sicherheit zu gewährleisten und die zerrütteten Staatsfinanzen wieder in Ordnung zu bringen.
Weiter sagte er:
Wir verlangen die notwendigen Opfer nicht von den Einkommensschwachen, sondern von denen, denen diese Opfer eher zugemutet werden können.
Welche großen Worte und Versprechungen des Kanzlers! Welche schrecklichen Folgen hatten die 14 Jahre seiner Politik!
Vor wenigen Tagen ist er ja als Rekordkanzler gefeiert worden.
Adolf Ostertag
Nach 14 Jahren ist von diesem Rekord nichts übriggeblieben, am allerwenigsten in der Arbeitsmarktpolitik.
Im Gegenteil: Im kommenden Jahr wird es nach den Prognosen führender Wirtschaftsinstitute im Jahresdurchschnitt 4 Millionen Arbeitslose im Land geben. Dies ist in der Tat ein Kanzlerrekord.
Die Sozialleistungen werden Stück für Stück weiter abgebaut. Immer mehr Menschen rutschen in die Sozialhilfe ab und unter die Armutsschwelle. Eine neue Meisterleistung?
Die Opfer des Sozialabbaus werden gerade den Einkommensschwachen abverlangt, für die Wohlhabenden wird gleichzeitig die Vermögensteuer abgeschafft. Champagner für die Millionäre kann man dazu nur sagen.
Nach dieser Bilanz der Kohl-Regierung muß man schlicht und einfach sagen: Der Sozialstaat ist für diese Koalition nur noch ein Lippenbekenntnis.
Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, vor diesem Hintergrund holen Sie zum nächsten Schlag gegen die soziale Gerechtigkeit und gegen die Arbeitslosen aus. Das AFRG steht dabei in engem Zusammenhang mit dem Kürzungspaket, das Sie „Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung " nennen. Versprochen hat die Bundesregierung, die Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2000 zu halbieren. Weder mit diesem Programm noch mit dem AFRG wird das möglich sein. Der Kanzler hat sich schon längst davon verabschiedet - das hat er wohl auch gesagt -; auch das war nur ein Lippenbekenntnis.
Geradezu eine Frechheit ist es, wenn die aktuelle Ausgabe der Regierungspostille, „Journal für Deutschland" genannt, dem „Bündnis für Arbeit" eine beispielhafte Vitalität bescheinigt und behauptet, daß alles dafür spreche, daß das anvisierte Ziel der Halbierung erreicht werden kann. Ihre Hauspostille trägt in der Tat zu nichts anderem als zur Volksverdummung bei.
Die Realität in den Betrieben sieht ganz anders aus. Nach einer Umfrage der IG Metall in 5 000 Betrieben der Metallindustrie sind in der Zeit von Dezember 1995 bis Juni 1996 4,5 Prozent aller Arbeitsplätze abgebaut worden. Eine wahrhaft bittere Bilanz und ein Beweis dafür, wie notwendig ein „Bündnis für Arbeit" wäre. Statt dessen hat der Kanzler in die ausgestreckte Hand der Gewerkschaften gespuckt und sie beiseite geschoben.
Mit Ihrem Programm sind Sie eindeutig auf die Linie der Arbeitgeber eingeschwenkt. Auch das Versprechen aus dem Kanzleramt vom Januar, nichts in Sachen Lohnfortzahlung zu unternehmen, war vergessen. Der Wirtschaft wurde damit ein weiteres Opfer gebracht.
„Politik kann man in diesem Land definieren als die Durchsetzung wirtschaftlicher Zwecke mit Hilfe der Gesetzgebung." Das sagte 1919 Kurt Tucholsky. Dieses Zitat stimmt im November 1996 noch immer - durch Ihre Politik.
Meine Damen und Herren von der Koalition, hinter Ihrer Politik steht die durch nichts begründete Hoffnung, ein deregulierter Arbeitsmarkt würde mehr Beschäftigung bringen. Nach der Verabschiedung des Kürzungspakets müssen Sie jetzt die Bringschuld der Arbeitgeber einfordern, nämlich die Schaffung von mehr Arbeitsplätzen. Statt dessen leiten Sie im vorauseilenden Gehorsam anscheinend die nächste Stufe des Sozialabbaus ein. Stichwortgeber dafür waren wieder die Arbeitgeber.
In der Anhörung waren die Arbeitgeber die einzigen, die noch ein gutes Haar an Ihrem Gesetzentwurf ließen. Für die Arbeitgeber wird die Regierungskoalition einen Niedriglohnsektor einrichten, dem sich Arbeitslose gezwungenermaßen unterordnen müssen. Damit geraten auch bestehende Arbeitsverhältnisse massiv unter Druck, und die Tarifautonomie wird letzten Endes ausgehöhlt.
Wie der Begründung Ihres Entwurfs zu entnehmen ist, stellen Sie die gesetzlichen Leistungen der Arbeitsförderung bewußt hinter die Verantwortung der Arbeitgeber und Arbeitnehmer für den Arbeitsmarkt zurück. Dies zum Grundsatz einer Reform des AFG zu machen, wenn gleichzeitig über 6 Millionen Arbeitsplätze fehlen und unzählige Menschen von Arbeitslosigkeit bedroht sind, kommt wirklich einer Kapitulation des Gesetzgebers gleich. Ich glaube, das ist der Offenbarungseid in der Beschäftigungspolitik.
Dieses AFRG ist keine Reform, sondern ein Rückschrittsgesetz. Es ist ein Rückschritt, wenn das Vollbeschäftigungsziel aufgegeben wird; das Wort „Vollbeschäftigung" kommt in dem Gesetzentwurf nicht mehr vor. Es ist ein Rückschritt, wenn das dem AFG zugrunde liegende Vorsorgeprinzip wieder durch das Fürsorgeprinzip ersetzt wird; es ist ein Rückschritt, wenn wirtschaftlicher Strukturwandel nicht mehr sozial flankiert wird; es ist ein Rückschritt, wenn sich der Staat aus der Finanzierung arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen zurückzieht. Was nützen die Instrumente, die Sie vorgesehen haben, wenn dafür kein Geld vorhanden ist und wenn alles nur noch in Form von Kann-Leistungen gewährt wird?
Aber damit nicht genug. Das AFRG gibt den Berufsschutz in der Arbeitslosenversicherung auf. Anstelle des Schutzes erworbener beruflicher Qualifikationen wird die Frage der Zumutbarkeit einer Erwerbstätigkeit allein an der Höhe des Verdienstes festgemacht. Hinter dieser Politik steht die unhaltbare Behauptung, es mangele den Arbeitslosen lediglich an der Bereitschaft zu arbeiten. Ein Stammtischargument wird hier in der Tat im Gesetzentwurf wiederholt.
Adolf Ostertag
Die Bundesregierung unterstellt, daß Leistungsmißbrauch und mangelnde Flexibilität der Arbeitslosen, also individuelle Defizite - und nicht strukturelle Probleme -, Ursachen der Arbeitslosigkeit seien.
Die vorgesehene Regelung der Zumutbarkeitsanordnung ist ebenfalls arbeitsmarktpolitisch kontraproduktiv. Arbeitslose kommen damit nicht in Arbeit. Das wissen Sie genauso wie wir. Diese Politik wird zu einem Verdrängungswettbewerb zwischen den Arbeitslosen führen. Aus Sicht der Betroffenen ist eine soziale Abwärtsspirale vorgezeichnet, und aus volkswirtschaftlicher Sicht ist es unsinnig, Dequalifizierung von Erwerbspersonen per Gesetz zu formulieren.
Die Ziele des AFG, Verbesserung der Beschäftigungsstruktur und Vermeidung unterwertiger Beschäftigung, werden damit aufgegeben. Auf diese Weise wird die Bundesregierung auch in Deutschland das Phänomen, das wir von anderswoher kennen, der „working poor" oder „McJobs" heraufbeschwören.
Besonders schäbig, glaube ich, geht dieser Entwurf mit den Behinderten um, die auf dem Arbeitsmarkt besonders benachteiligt sind. Bereits das Arbeitslosenhilfe-Reformgesetz vom Juni 1996 hatte die Festschreibung der Aufhebung des Rechtsanspruches auf berufsfördernde Leistungen gebracht. Im AFRGEntwurf war dies entsprechend vorgesehen. Es gab massive Proteste. Einiges haben Sie zurückgenommen. Aber man muß immer noch sagen, daß die nachgeschobenen Änderungen der Koalition beim AFRG nur scheinbare Korrekturen sind, die die Aufhebung des Rechtsanspruchs auf berufsfördernde Leistungen nur unzureichend zurücknehmen.
Es ist nicht der richtige Zeitpunkt für Kürzungen, weder bei der aktiven noch bei der passiven Arbeitsmarktpolitik, weder bei Behinderten noch bei ABM.
Wir brauchen eine Reform der Arbeitsförderung, die diesen Namen wirklich verdient. Fortschrittlich wäre gewesen, die Arbeitsmarktpolitik auf eine solide Finanzbasis zu stellen. Hierzu gehört ein stabiler, regelgebundener Bundeszuschuß, um die aktiven arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen zu verstetigen und um die gesamtgesellschaftliche Aufgabe der Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit zu finanzieren. Fortschrittlich wäre gewesen, den Vorrang aktiver Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit im Gesetz festzuschreiben, fortschrittlich wäre gewesen, einen Rechtsanspruch von Langzeitarbeitslosen auf einen individuellen Eingliederungsplan im Gesetz zu verankern, und fortschrittlich wäre gewesen, eine verbindliche Frauenquote festzuschreiben,
damit denen geholfen wird, die besonders benachteiligt sind.
Das Arbeits- und Strukturförderungsgesetz der SPD trägt diesen und auch anderen Punkten Rechnung. Das Vollbeschäftigungsziel steht im Mittelpunkt dieses ASFG. Mit einem breiten und flexiblen Angebot an Instrumenten werden sowohl das Angebot als auch die Nachfrage am Arbeitsmarkt beeinflußt. Regionale Strukturpolitik und Beschäftigungspolitik werden miteinander verzahnt. Die erweiterten Kompetenzen der örtlichen Arbeitsämter und der Landesarbeitsämter dezentralisieren die Arbeitsverwaltung und erhöhen die Zielgruppengenauigkeit des Mitteleinsatzes.
Wir Sozialdemokraten haben mit unserem ASFG ein fortschrittliches Gesetz vorgelegt. Es ist eine klare und bessere Alternative. Dieses Gesetz ist integraler Bestandteil eines politischen Konzeptes, zu dem auch eine gerechtere Verteilung der Arbeit in diesem Land gehört - dazu hat mein Kollege Ottmar Schreiner schon einiges gesagt -, zu dem die Wiederherstellung der Ordnung auf dem Arbeitsmarkt gehört - auch das ist alles schon angesprochen worden - und zu dem mehr Gerechtigkeit gehört. Es darf keine weitere Umverteilung von unten nach oben geben.
Ihr Rückschrittsgesetz, meine Damen und Herren von der Koalition, grenzt aus; es stuft ab. Es ist die Restauration aller Werte.
Ich erinnere Sie an die Worte von Hans Katzer, der hier vor 27 Jahren das Arbeitsförderungsgesetz vertreten hat. Er hat damals gesagt: Wir sind stolz darauf, das Fürsorgeprinzip für die Arbeitslosen und die von Arbeitslosigkeit Bedrohten abzulösen durch ein Vorsorgeprinzip. - Sie aber machen nun einen Rückschritt um Jahrzehnte. Das ist sehr traurig.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Julius Louven.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Ostertag, sechs Jahre seien Sie hier, haben Sie eben erklärt. Aber sechs Jahre haben Sie nichts gelernt.
Sie nehmen die Veränderungen in der Weltwirtschaft durch die Globalisierung der Märkte einfach nicht zur Kenntnis. Sie haben auch auf einer gemeinsamen Schweden-Reise nichts gelernt, wo uns dargestellt wurde, wie eine sozialdemokratisch geführte schwedische Regierung in Prozesse eingegriffen hat und auf dem Arbeitsmarkt erfolgreich operiert.
Worum geht es bei dieser Reform des Arbeitsförderungsgesetzes? Es geht um die Grundsatzfrage, welchen Stellenwert dieses Gesetz im Rahmen der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit haben kann. Wir sind der Meinung, daß in einer Marktwirtschaft die Hauptverantwortung für die Schaffung von Arbeitsplätzen bei den Unternehmen und den Tarifpartnern liegt.
Julius Louven
Sie von der SPD vertreten die Auffassung, daß der Staat diese Aufgabe übernehmen muß. Sie wecken eine Übererwartung. Sie tun so, als würde Geld überhaupt keine Rolle spielen.
Für uns hat die Arbeitsförderung Brückenfunktion. Wir wollen Hilfestellung leisten, damit die Arbeitslosen den Weg zurück in reguläre Beschäftigung finden.
Trotz aller Warnungen der Sachverständigen wollen Sie Rechtsansprüche auf Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen einräumen und den zu fördernden Personenkreis, die zu fördernden Projekte und die Fördermittel ausweiten. Diese Weichenstellung ist falsch.
Das Ziel muß in der Schaffung wettbewerbsfähiger Arbeitsplätze bestehen. Ihr Gesetzentwurf hätte jedoch zur Folge, daß wettbewerbsfähige Arbeitsplätze Schritt für Schritt vernichtet würden. Darauf habe ich hier im Bundestag mehrfach hingewiesen - regelmäßig zum Unwillen der Opposition.
Um so erstaunter war ich in der letzten Woche, daß Ihr Parteivorsitzender, meine Damen und Herren von der SPD, hier ausgeführt hat:
Eine der Hauptursachen für das Wegrationalisieren von Arbeitsplätzen ist das ständige Steigen von Abgaben auf Arbeitsplätze.
Kurz zuvor sagte er: ... wenn Sie schon - an uns gewandt -
nicht zuhören, wenn die Opposition ihre Vorschläge macht, dann sollten Sie wenigstens den Beratungsinstituten einmal Gehör schenken .. .
Dann, man höre und staune, verweist Lafontaine auf die Studie „Wege zu mehr Beschäftigung" des IAB der Bundesanstalt für Arbeit. Damit schießt der SPD-Vorsitzende ein Eigentor, wie es eindrucksvoller nicht geschossen werden kann;
denn die IAB-Studie unterstützt unser Konzept zum Abbau der Arbeitslosigkeit in vollem Umfang.
Ich will daher auf diese Studie, der bislang keine Bank in der Selbstverwaltung widersprochen hat, ausführlicher eingehen, insbesondere weil auch Frau Bergmann mit dieser Studie Rosinenpickerei betrieben hat. Im übrigen: Ich wundere mich, daß die Dame nicht mehr hier ist.
- Herr Schreiner, damals haben Sie Frau Hildebrandt zur Verstärkung hierhergeholt. Das ist nicht sonderlich gutgegangen. Heute ist es Ihnen mit Frau Bergmann nicht besser ergangen.
Da sich das Angebot an Arbeitskräften in den kommenden Jahren nicht verringern wird, muß - so die Feststellung des IAB - der Hauptbeitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in der Ausweitung der Beschäftigung, also in der erhöhten Nachfrage nach Arbeitskräften, liegen.
Von maßgebender Bedeutung ist zunächst das Verhalten der Tarifpartner. Sie entscheiden im Rahmen der Tarifpolitik darüber, ob reguläre Arbeit bezahlbar bleibt. Aufgabe der Politik ist es nach meiner Überzeugung, die staatlichen Rahmenbedingungen für ein Mehr an Beschäftigung zu schaffen. Dazu haben wir im Einvernehmen mit den Tarifpartnern vereinbart, die Staatsquote auf 46 Prozent und den Beitragssatz in der Sozialversicherung auf unter 40 Prozent zu senken. Dem haben am 23. Januar im Bundeskanzleramt ausdrücklich auch die Gewerkschaften zugestimmt. Diese Ziele sind nur durch Einsparungen zu erreichen: durch eine Reduzierung der Ausgaben beim Bund, den Ländern und den Gemeinden und durch eine Reduzierung der Ausgaben bei den Sozialversicherungssystemen.
Was sagt nun das IAB dazu? Wörtlich:
Dieser Weg ist richtig. Durch eine längerfristig zurückhaltende Lohnpolitik der Gewerkschaften sowie durch eine durchgreifende und nachhaltige Senkung von Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern kann die Beschäftigung massiv ausgeweitet werden und die Arbeitslosigkeit in Deutschland halbiert werden.
Das vom IAB untersuchte Konzept besteht aus vier Bestandteilen. Erstens: Verringerung der durchschnittlichen Jahresarbeitszeit, vor allem über mehr Teilzeit und Verminderung von Überstunden, also in flexibler, reversibler und kostengünstiger Form. Zweitens: Längerfristig zurückhaltende Tarifpolitik. Drittens: Senkung der Sozialversicherungsbeiträge und Steuern. Viertens: Begrenzung der Neuverschuldung.
Zum ersten Bestandteil, der Arbeitszeitpolitik, führte Lafontaine hier aus - ich zitiere -:
Erinnern Sie sich daran, daß Sie alle Bemühungen der Gewerkschaften zu Arbeitszeitverkürzungen in diesem Hause diskreditiert haben.
Wer hingegen die IAB-Studie genau liest, findet dort bestätigt, daß wir uns zu Recht gegen tariflich vorgeschriebene Verkürzungen der Wochenarbeitszeit ausgesprochen haben.
Wenn für alle Arbeitnehmer einer Branche die Arbeitszeitverkürzung durch Tarifverträge verbindlich vorgeschrieben wird, dann ist dies das genaue Gegenteil von „flexibel", es ist auch das Gegenteil von „reversibel" und das Gegenteil von „kostengünstig".
- Herr Büttner, angesichts Ihrer unqualifizierten Bemerkungen hier wundere ich mich wirklich nicht darüber, daß Sie bei der Bundestagswahl nicht über 26 Prozent hinausgekommen sind.
Julius Louven
Die Gewerkschaften, vor allem die IG Metall, haben ihre Forderung nach Arbeitszeitverkürzung stets mit der Forderung nach einem Lohnausgleich verbunden. Dazu heißt es jedoch - ohne Wenn und Aber - in der IAB-Studie wörtlich:
In jedem Fall ist eine Arbeitszeitverkürzung ohne
Lohnausgleich vorteilhafter als mit Lohnausgleich. Ohne Lohnausgleich steigt die Beschäftigung stärker an als mit Lohnausgleich. Eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit bewirkt, daß die Inflation ansteigt. Mit Lohnausgleich ist der Anstieg stärker als ohne Lohnausgleich.
Real niedriges Wirtschaftswachstum, steigende Lohnstückkosten, höhere Inflation - das alles sind die Effekte einer tariflich erzwungenen Arbeitszeitverkürzung.
Demgegenüber stimmt unsere Politik mit den Anforderungen des IAB überein. Ich erinnere daran, daß wir - gegen den erbitterten Widerstand der Opposition - mit der Reform des Arbeitszeitgesetzes die Arbeitszeit flexibilisiert haben, daß wir die Möglichkeiten des Abschlusses befristeter Arbeitsverträge ausgeweitet und den Kündigungsschutz für kleinere Unternehmen gelockert haben, um den Unternehmen einen Anreiz zu bieten, Arbeitskräfte einzustellen, statt Überstunden auszuweiten.
Ich komme zu einem zweiten Bestandteil des Gutachtens, zur Lohnpolitik. Das IAB plädiert für eine längerfristig zurückhaltende Politik bei den Löhnen, für eine Lohnentwicklung, die hinter dem Anstieg der Produktivität zurückbleibt.
Herr Kollege Louven - -
Ich lasse keine Zwischenfragen zu.
- Sie müssen mir nicht vorwerfen, ich sei ein Feigling, Herr Gilges. Das glauben Sie auch selbst nicht. Denn Sie haben schon das Gegenteil behauptet. Sie haben meinen Mut in der Vergangenheit schon bewundert.
Als ich vor zwei Jahren an dieser Stelle auf eine OECD-Studie hingewiesen habe, die genau das forderte - Herr Schreiner, auch der Sachverständigenrat, die Wirtschaftsinstitute und die Monopolkommission haben das gesagt -, haben Sie, meine Damen und Herren von der SPD-Opposition, dieses Ansinnen entrüstet zurückgewiesen. Sie haben mir die Kaufkrafttheorie entgegengehalten. Lafontaine rät uns, dem Urteil der Wissenschaft zu folgen. Genau diese Wissenschaft bezeichnet die Kaufkrafttheorie vornehm als naiv, weil sie einfältiger kaum sein kann. Je höher die Lohnsteigerungen, desto niedriger die Arbeitslosigkeit - das wäre die Konsequenz aus Ihrer Forderung.
Ich würde gern noch auf die weiteren Punkte der IAB-Studie eingehen. Leider habe ich dazu aber keine Zeit mehr. Ich empfehle Ihnen, diese Studie, insbesondere die Langfassung, einmal mit Verstand durchzusehen. Ich habe die Hoffnung, daß Sie dann auch bereit sind, mit uns neue Wege zu gehen. Wir gehen mit unserem AFRG neue Wege in die Zukunft und versprechen uns davon mehr Arbeitsplätze. Ich kann Sie nur auffordern, dafür zu sorgen, daß dieses Gesetz im Bundesrat seine Zustimmung findet.
Ich schließe damit die Aussprache.
Nach § 31 unserer Geschäftsordnung haben die Abgeordneten Krziskewitz, Kolbe und Dehnel eine schriftliche Erklärung zur Abstimmung abgegeben. * )
Das Wort zur Erklärung zur Abstimmung erhält jetzt die Abgeordnete Petra Bläss.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich stimme gegen das vorliegende Arbeitsförderungs-Reformgesetz, weil es nicht zum Abbau unmittelbarer und mittelbarer Diskriminierungen der Frauen im Erwerbsleben führt.
Ich stimme gegen das vorliegende AFRG, weil die geplanten Änderungen der gleichstellungspolitischen Zielsetzung widersprechen.
Ich stimme gegen das vorliegende AFRG, weil es trotz der Festschreibung von Frauenförderung als eigenständiges Ziel des AFRG bei unverbindlichen Soll-Vorschriften bleibt.
Ich stimme gegen das vorliegende AFRG, weil es keine verbindliche Quotierung bei arbeitsmarktpolitischen Instrumentarien gibt.
Ich stimme gegen das vorliegende AFRG, weil Frauen, die in besonderem Maße auf den sogenannten zweiten Arbeitsmarkt angewiesen sind, von den Kürzungen im ABM-Bereich und bei Lohnersatzleistungen besonders betroffen sind.
Ich stimme gegen das vorliegende AFRG, weil reduzierte Mittel letztlich eine Ausweitung der Frauenförderung verhindern.
Ich stimme gegen das vorliegende AFRG, weil die verschärften Zumutbarkeitsregelungen und der Wegfall jeglichen Qualifikationsschutzes Frauen überproportional treffen.
Ich stimme gegen das vorliegende AFRG, weil es keine Gleichstellung von Betreuungs- und Pflegezeiten mit sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungszeiten gibt.
Ich stimme gegen das vorliegende AFRG, weil die Heraufsetzung der zumutbaren Pendelzeit bei Teilzeitbeschäftigung absolut frauenfeindlich ist.
*) Anlage 2
Petra Blass
Ich stimme gegen das vorliegende AFRG, weil der Eingliederungszuschuß - -
- Hören Sie sich das ruhig an, ich begründe mein Abstimmungsverhalten.
Sie dürfen nur zu Ihrem persönlichen Abstimmungsverhalten etwas sagen. Sie dürfen aber nicht mehr zur Sache argumentieren. Das ist wichtig.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich stimme gegen das AFRG, weil der Eingliederungszuschuß für Berufsrückkehrerinnen viel zu gering bemessen ist.
Ich werde für den Änderungsantrag der SPD stimmen, weil darin zu Recht die Streichung des AFRG bis auf die wenigen Verbesserungen und unumgänglichen Änderungen gefordert wird.
Ich werde für den Änderungsantrag der SPD stimmen, weil damit der Rechtsanspruch auf berufliche Rehabilitation und der alte Zustand bei der Arbeitsmarktförderung wiederhergestellt werden sollen.
Ich werde für den Änderungsantrag der SPD stimmen, obwohl darin die Öffnung der Zuschüsse nach § 249 h AFG für alle gewerblichen Betriebe ohne Bindung an strukturpolitische Erwägungen und den Tarif voreilig übernommen wurde. Diese Lohnkostenzuschüsse für die Einstellung von Arbeitslosen werden zu Recht als breitangelegte Wirtschaftsförderung, finanziert von den Beitragszahlern und -zahlerinnen der Arbeitslosenversicherung, kritisiert.
Frau Kollegin, ich bitte Sie, jetzt aufzuhören.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich möchte zum Schluß kommen. Ich stimme aber trotz der Einwände - -
Das geht nicht. Das war wirklich außerhalb der Geschäftsordnung.
Wir kommen nun zur Abstimmung. Ich bitte um Ruhe, weil es ein etwas komplizierter Abstimmungsprozeß ist.
Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurf eines Arbeits- und Strukturförderungsgesetzes auf Drucksache 13/1440. Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt auf Drucksache 13/5935 unter Buchstabe b, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf der SPD auf Drucksache 13/1440 zuerst abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Gruppe der PDS eingebrachten Entwurf zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes auf Drucksache 13/983. Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt auf Drucksache 13/5935 unter Buchstabe c, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf der PDS auf Drucksache 13/983 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD bei Enthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der PDS abgelehnt worden. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurf eines Arbeitsförderungs-Reformgesetzes in der Ausschußfassung. Das sind die Drucksachen 13/ 4943 und 13/5935, Buchstabe a.
Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/5971 vor, über den wir zuerst abstimmen. Die Fraktion der SPD verlangt namentliche Abstimmung. Für die namentliche Abstimmung über den Änderungsantrag der SPD benötigen Sie Ihren Stimmausweis noch nicht. Er wird erst später bei der dann durchzuführenden Schlußabstimmung benötigt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne hiermit die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung unterbreche ich die Sitzung.
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.Ich gebe das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/5971 bekannt.Abgegebene Stimmen 658. Mit Ja haben 318, mit Nein 340 gestimmt. Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt worden.Vizepräsidentin Dr. Antje VollmerEndgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 657 davon:ja: 318nein: 339JaSPDBrigitte Adler Gerd Andres Robert AntretterHermann BachmaierErnst BahrDoris Barnett Klaus BarthelIngrid Becker-Inglau Wolfgang BehrendtHans Berger Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Rudolf BindigLilo BlunckArne Börnsen Anni Brandt-ElsweierTilo BrauneDr. Eberhard Brecht Edelgard BulmahnUrsula BurchardtHans Martin BuryHans Büttner Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter ConradiDr. Herta Däubler-Gmelin Christel DeichmannKarl DillerDr. Marliese Dobberthien Peter DreßenRudolf Dreßler Freimut Duve Ludwig Eich Peter Enders Gernot Erler Petra ErnstbergerAnnette Faße Elke FernerLothar Fischer Gabriele FograscherIris FollakNorbert FormanskiDagmar Freitag Anke Fuchs
Katrin Fuchs
Arne Fuhrmann Monika GanseforthNorbert Gansel Konrad Gilges Iris GleickeGünter Gloser Uwe GöllnerGünter Graf Angelika Graf (Rosenheim) Dieter GrasedieckAchim GroßmannKarl Hermann Haack
Hans-Joachim HackerKlaus HagemannManfred HampelChristel HanewinckelAlfred Hartenbach Dr. Liesel HartensteinKlaus HasenfratzDr. Ingomar HauchlerDieter Heistermann Reinhold Hemker Rolf HempelmannDr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe HikschReinhold Hiller Stephan HilsbergGerd HöferJelena Hoffmann Frank Hofmann (Volkach) Ingrid HolzhüterErwin HornEike Hovermann Lothar Ibrügger Wolfgang IlteBarbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate JägerJann-Peter Janssen Ilse JanzDr. Uwe JensVolker Jung Sabine Kaspereit Susanne KastnerErnst Kastning Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich KloseDr. Hans-Hinrich Knaape Walter KolbowFritz Rudolf Körper Nicolette Kressl Volker Kröning Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Konrad Kunick Christine Kurzhals Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte LangeDetlev von Larcher Waltraud Lehn Robert Leidinger Klaus LennartzDr. Elke Leonhard Klaus Lohmann Christa LörcherErika LotzDr. Christine Lucyga Dieter Maaß Winfried Mante Dorle MarxUlrike Mascher Christoph Matschie Ingrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck Markus MeckelUlrike MehlHerbert Meißner Angelika MertensDr. Jürgen Meyer Ursula MoggSiegmar MosdorfMichael Müller Jutta Müller (Völklingen) Christian Müller (Zittau) Volker Neumann (Bramsche)Gerhard Neumann Dr. Edith NiehuisDr. Rolf Niese Doris Odendahl Günter Oesinghaus Leyla OnurManfred Opel Adolf Ostertag Kurt PalisAlbrecht Papenroth Dr. Willfried Penner Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Dr. Eckhart Pick Joachim PoßRudolf PurpsHermann Rappe
Karin Rehbock-Zureich Margot von RenesseRenate Rennebach Otto Reschke Bernd ReuterDr. Edelbert Richter Günter RixeReinhold Robbe Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht Dr. Hansjörg SchäferGudrun Schaich-Walch Dieter SchanzRudolf Scharping Bernd ScheelenDr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Otto SchilyDieter Schloten Günter SchluckebierHorst Schmidbauer
Ulla Schmidt Dagmar Schmidt (Meschede) Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Regina Schmidt-ZadelHeinz Schmitt
Dr. Emil Schnell Walter Schöler Ottmar Schreiner Gisela Schröter Dr. Mathias SchubertRichard Schuhmann
Brigitte Schulte Reinhard Schultz
Volkmar Schultz (Köln)
Ilse SchumannDr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst SchwanholdRolf Schwanitz Lisa SeusterHorst SielaffErika SimmJohannes SingerDr. Sigrid Skarpelis-SperkDr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland SorgeWolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller Antje-Marie Steen Ludwig StieglerDr. Peter Struck Joachim TappeJörg TaussDr. Bodo Teichmann Margitta Terborg Jella TeuchnerDr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Franz ThönnesUta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried VerginGünter Verheugen Ute Vogt
Karsten D. Voigt Josef VosenHans Georg Wagner Hans WallowDr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis Matthias Weisheit Gunter WeißgerberGert Weisskirchen Hildegard WesterLydia WestrichInge Wettig-DanielmeierDr. Norbert Wieczorek Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter WiefelspützBerthold WittichDr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf
Heidi WrightUta ZapfDr. Christoph Zöpel Peter ZumkleyBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENGila Altmann Elisabeth Altmann
Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Angelika Beer
Matthias Berninger Annelie Buntenbach Franziska Eichstädt-BohligDr. Uschi EidAndrea Fischer Joseph Fischer (Frankfurt) Rita GrießhaberGerald HäfnerAntje Hermenau Kristin HeyneUlrike HöfkenMichaele Hustedt Dr. Manuel Kiper Monika KnocheDr. Angelika Köster-Loßack Steffi LemkeVera LengsfeldDr. Helmut Lippelt Oswald Metzger Kerstin Müller Winfried Nachtwei Christa NickelsEgbert Nitsch Cern ÖzdemirGerd PoppeSimone ProbstDr. Jürgen Rochlitz Halo SaiboldChristine ScheelVizepräsidentin Dr. Antje VollmerIrmingard Schewe-Gerigk Wolfgang Schmitt
Ursula SchönbergerWaltraud SchoppeWerner Schulz Marina SteindorChristian SterzingManfred SuchDr. Antje VollmerLudger VolmerHelmut Wilhelm Margareta Wolf (Frankfurt)PDSWolfgang BierstedtPetra BlässMaritta BöttcherEva Bulling-SchröterDr. Ludwig ElmDr. Dagmar EnkelmannDr. Ruth Fuchs Dr. Gregor Gysi Hanns-Peter HartmannDr. Uwe-Jens HeuerDr. Barbara Höll Ulla JelpkeGerhard JüttemannDr. Heidi Knake-WernerRolf KöhneRolf Kutzmutz Dr. Christa Luft Heidemarie LüthDr. Günther MaleudaManfred Müller
Rosel NeuhäuserDr. Uwe-Jens RösselChristina Schenk Klaus-Jürgen WarnickDr. Winfried WolfGerhard ZwerenzNeinCDU/CSUUlrich Adam Peter AltmaierAnneliese AugustinJürgen AugustinowitzDietrich Austermann Heinz-Günter BargfredeFranz Peter BastenDr. Wolf Bauer Brigitte BaumeisterMeinrad BelleDr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk BierlingDr. Joseph-Theodor Blank Renate BlankDr. Heribert Blens Peter BleserDr. Norbert Blüm Friedrich BohlDr. Maria Böhmer Jochen BorchertWolfgang Börnsen Wolfgang BosbachDr. Wolfgang BötschKlaus BrähmigRudolf Braun Paul BreuerMonika BrudlewskyGeorg BrunnhuberKlaus Bühler Hartmut Büttner
Dankward BuwittManfred Carstens Peter Harry Carstensen
Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Gertrud Dempwolf
Albert DeßRenate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjürgen Doss Dr. Alfred Dregger Maria EichhornWolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Horst EylmannAnke Eymer Ilse FalkJochen Feilcke Dr. Karl H. Fell Ulf FinkDirk Fischer Leni Fischer (Unna)Klaus Francke Herbert FrankenhauserDr. Gerhard FriedrichErich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger Norbert GeisDr. Heiner Geißler Michael Glos Wilma GlücklichDr. Reinhard GöhnerPeter GötzDr. Wolfgang Götzer Joachim Gres Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred GrundHorst Günther Carl-Detlev Freiherr vonHammersteinGottfried Haschke
Gerda HasselfeldtOtto Hauser Hansgeorg Hauser
Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Manfred Heise
Dr. Renate HellwigErnst Hinsken Peter HintzeJosef HollerithDr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim HörsterHubert Hüppe Peter Jacoby Susanne Jaffke Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys JobstDr.-Ing. Rainer Jork Michael Jung Ulrich JunghannsDr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen KampeterDr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker KauderPeter KellerEckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Ulrich KlinkertDr. Helmut KohlHans-Ulrich Köhler
Manfred KolbeNorbert Königshof en Eva-Maria KorsHartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf KrausWolfgang Krause Andreas Krautscheid Arnulf Kriedner Heinz-Jürgen Kronberg Dr.-Ing. Paul Krüger Reiner KrziskewitzDr. Hermann Kues Werner KuhnDr. Karl A. Lamers
Karl LamersDr. Norbert Lammert Helmut LampArmin LaschetHerbert Lattmann Dr. Paul LaufsKarl-Josef Laumann Werner LensingChristian Lenzer Peter LetzgusEditha LimbachWalter Link Eduard LintnerDr. Klaus W. Lippold
Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann
Julius Louven
Sigrun LöwischHeinrich Lummer Dr. Michael LutherErich Maaß Dr. Dietrich MahloErwin Marschewski Günter MartenDr. Martin Mayer
Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl
Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich MerzRudolf Meyer Hans Michelbach Meinolf MichelsDr. Gerd MüllerElmar Müller Engelbert NelleBernd Neumann Johannes NitschClaudia Nolte Dr. Rolf Olderog Friedhelm Ost Eduard Oswald Norbert Otto
Dr. Gerhard Päselt Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm PeschUlrich Petzold Anton Pfeifer Angelika Pfeiffer Dr. Gero PfennigDr. Friedbert PflügerBeatrix PhilippDr. Winfried PingerRonald PofallaDr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies PretzlaffDr. Albert Probst Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhof en Thomas Rachel Hans RaidelDr. Peter RamsauerRolf RauHelmut Rauber Peter Harald Rauen Otto RegenspurgerChrista Reichard Klaus Dieter Reichardt
Dr. Bertold Reinartz Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Roland Richter Roland Richwien Dr. Norbert RiederDr. Erich Riedl Klaus RiegertDr. Heinz Riesenhuber Franz RomerHannelore Rönsch
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith Adolf Roth
Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Volker RüheDr. Jürgen Rüttgers Roland Sauer Ortrun SchätzleDr. Wolfgang Schäuble Hartmut SchauerteHeinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee Ulrich Schmalz Bernd SchmidbauerChristian Schmidt Dr.-Ing. Joachim Schmidt
Andreas Schmidt Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz
Michael von Schmude
Birgit Schnieber-JastramDr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr vonSchorlemerDr. Erika SchuchardtWolfgang Schulhoff Dr. Dieter Schulte
Gerhard Schulz (Leipzig) Frederick Schulze Diethard Schütze (Berlin) Clemens Schwalbe
Dr. Christian Schwarz-SchillingWilhelm Josef SebastianHorst Seehofer Wilfried Seibel Heinz-Georg SeiffertRudolf Seiters Johannes Selle Bernd Siebert Jürgen Sikora Johannes SinghammerBärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter SprangerWolfgang Steiger Erika Steinbach Dr. Wolfgang Freiherr vonStettenDr. Gerhard Stoltenberg Andreas StormMax Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Egon SussetDr. Rita Süssmuth Michael TeiserDr. Susanne TiemannDr. Klaus Töpfer Gottfried Tröger Dr. Klaus-Dieter UelhoffGunnar Uldall Wolfgang Vogt
Dr. Horst WaffenschmidtDr. Theodor WaigelAlois Graf von Waldburg-ZeilDr. Jürgen Warnke Kersten WetzelHans-Otto Wilhelm Bernd WilzWilly Wimmer
Matthias Wissmann Dr. Fritz Wittmann Dagmar Wöhrl Michael WonnebergerElke WülfingPeter Kurt WürzbachCornelia Yzer Wolfgang ZeitlmannBenno Zierer Wolfgang ZöllerF.D.P.Ina AlbowitzDr. Gisela Babel Hildebrecht Braun
Günther Bredehorn
Jörg van EssenDr. Olaf FeldmannGisela Frick Paul K. Friedhoff Horst Friedrich Rainer FunkeHans-Dietrich GenscherDr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther
Dr. Karlheinz GuttmacherDr. Helmut Haussmann Ulrich HeinrichWalter HircheDr. Burkhard HirschBirgit HomburgerDr. Werner HoyerUlrich IrmerDr. Klaus KinkelDetlef Kleinert Roland KohnDr. Heinrich L. KolbJürgen KoppelinDr.-Ing. Karl-Hans Laermann Dr. Otto Graf Lambsdorff Sabine LeutheusserSchnarrenbergerUwe LührJürgen W. Möllemann Günther Friedrich NoltingDr. Rainer Ortleb Lisa PetersDr. Günter RexrodtDr. Klaus RöhlHelmut Schäfer Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard SchwaetzerDr. Hermann Otto SohnsDr. Max Stadler Carl-Ludwig ThieleDr. Dieter ThomaeJürgen TürkDr. Wolfgang Weng
Dr. Guido WesterwelleIch bitte jetzt diejenigen, die dem von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurf eines Arbeitsförderungs-Reformgesetzes in der Ausschußfassung zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen.Liebe Kollegen, das ist jetzt für mich sehr schwer zu übersehen. Es geht nicht an, daß Sie schon an den Urnen stehen, während ich hier sehen muß, wie abgestimmt wird. Ich bitte Sie, doch wieder in die Gänge zurückzugehen.Ich bitte diejenigen, die dem von den Fraktionen CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurf eines Arbeitsförderungs-Reformgesetzes in der Ausschußfassung zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen worden.Dritte Beratungund Schlußabstimmung. Die Fraktion der CDU/CSU verlangt namentliche Abstimmung. Zur Annahme des Gesetzentwurfs ist die absolute Mehrheit erforderlich. Das sind mindestens 337 Stimmen.Sie benötigen außer Ihrer Stimmkarte auch Ihren gelben Stimmausweis. Diesen können Sie, soweit noch nicht geschehen, Ihrem Schließfach entnehmen.Bitte achten Sie darauf, daß Stimmkarte und Stimmausweis Ihren Namen tragen.Bevor Sie Ihre Stimmkarte in die Urne werfen, übergeben Sie bitte den Stimmausweis einem der Schriftführer an der Urne. Die Schriftführerinnen und Schriftführer bitte ich, darauf zu achten, daß Stimmkarten nur von Kolleginnen und Kollegen in die Urne geworfen werden dürfen, die vorher ihren Stimmausweis abgegeben haben.Ich bitte die Schriftführer, sich an die Plätze zu begeben. Sind alle Urnen besetzt? - Das scheint der Fall zu sein. Ich eröffne damit die Abstimmung.Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben. * )Wir setzen die Beratungen fort. Zunächst möchte ich in Ihrer aller Namen auf der Tribüne eine Delegation aus der Volksrepublik China begrüßen. Es sind Minister und Abgeordnete aus der Provinz Kiangsu. Das liegt in der Nähe von Schanghai.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. auf Drucksache 13/5970. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen worden.Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/5969. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei Enthaltung der SPD abgelehnt worden.Wir stimmen jetzt noch über den Antrag der Gruppe der PDS zur Förderung von Arbeit und sozialer Gerechtigkeit - Drucksache 13/5959 - ab. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der*) Seite 12123 CVizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
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12118 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 135. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1996
Vizepräsidentin Dr. Antje VollmerKoalitionsfraktionen und der SPD bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der PDS abgelehnt worden.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 15 a bis 15 g sowie die Zusatzpunkte 2 a bis 2 f auf:15. Überweisungen im vereinfachten Verfahrena) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Heuer, Maritta Böttcher, Dr. Ludwig Elm, weiteren Abgeordneten und der Gruppe der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesrückerstattungsgesetzes- Drucksache 13/5803 —Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuß Innenausschußb) Erste Beratung des von den Abgeordneten Erwin Marschewski, Dr. Rupert Scholz, Wolfgang Zeitlmann und der Fraktion der CDU/CSU sowie den Abgeordneten Detlef Kleinert , Jörg van Essen, Dr. Max Stadler und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz- Drucksache 13/5753 —Überweisungsvorschlag:Innenausschuß
RechtsausschußAusschuß für Post und Telekommunikationc) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz- Drucksache 13/5890 —Überweisungsvorschlag:Innenausschuß
RechtsausschußAusschuß für Post und Telekommunikationd) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zollverwaltungsgeseizes und anderer Gesetze- Drucksache 13/5737 —Überweisungsvorschlag: Finanzausschuße) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Soldatenbeteiligungsgesetzes- Drucksache 13/5740 -Überweisungsvorschlag:Verteidigungsausschuß Innenausschußf) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung des Gesetzes zur Förderung der Einstellung der landwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit vom 21. Februar 1989- Drucksache 13/5965 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GOg) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gerald Thalheim, Anke Fuchs , Horst Sielaff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDProduzierende Milcherzeuger stärken- Drucksache 13/5751 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und ForstenZP2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung und Vereinheitlichung sachenrechtlicher Fristen
- Drucksache 13/5982 —Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuß
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebaub) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 1996/1997
- Drucksache 13/5983 —Überweisungsvorschlag:Innenausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GOc) Beratung des Antrags der Abgeordneten Angelika Beer, Amke Dietert-Scheuer, Dr. Uschi Eid und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENRücknahme der Hermes-Bürgschaft für Rüstungslieferungen an die Türkei- Drucksache 13/5786 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Wirtschaft Auswärtiger AusschußFinanzausschußVerteidigungsausschußd) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr.-Ing. Dietmar Kansy, Peter Götz, Werner Dörflinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Hildebrecht Braun , Horst
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Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 135. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1996 12119
Vizepräsidentin Dr. Antje VollmerFriedrich, Jürgen Koppelin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.Städtebauförderung - neue Schwerpunkte und Perspektiven- Drucksache 13/5960 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
Ausschuß für WirtschaftAusschuß für VerkehrHaushaltsausschuße) Beratung des Antrags der Abgeordneten Reinhold Hemker, Brigitte Adler, Horst Sielaff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDForderungen zum Welternährungsgipfel vom 13. bis 17. November 1996 in Rom- Drucksache 13/5809 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklungf) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Höfken, Dr. Uschi Eid, Wolfgang Schmitt , weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENPosition der Bundesregierung zum Welternährungsgipfel vom 13. bis 17. November 1996 in Rom- Drucksache 13/5964 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und EntwicklungInterfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Der Gesetzentwurf der SPD zur Verlängerung des Gesetzes zur Förderung der Einstellung der landwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit auf Drucksache 13/5965 - Tagesordnungspunkt 15 f - soll zusätzlich an den Haushaltsausschuß zur Mitberatung und gemäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Wir kommen jetzt zu den Tagesordnungspunkten 16a bis 16m sowie Zusatzpunkt 3. Es handelt sich um die Beschlußfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.Zunächst Tagesordnungspunkt 16 a:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes- Drucksache 13/4774 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft
- Drucksache 13/5860 -Berichterstattung:Abgeordnete Ursula SchönbergerIch bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung von SPD und PDS angenommen worden.Dritte Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit demselben Stimmenverhältnis angenommen worden.Nun kommen wir zu den Tagesordnungspunkten 16b bis d:b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministeriums der FinanzenEinwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung in die Veräußerung der ehemaligen Bismarck- und Bose-BergmannKaserne in Wentorf bei Hamburg- Drucksachen 13/5452, 13/5792 -Berichterstattung: Abgeordnete Karl DillerSusanne Jaffke Oswald Metzger Jürgen Koppelinc) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministeriums der FinanzenEinwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung in die Veräußerung einer Teilfläche der ehemaligen Wildermuth-Kaserne in Böblingen an das Land Baden-Württemberg- Drucksachen 13/5340, 13/5793 -Berichterstattung: Abgeordnete Karl DillerSusanne Jaffke Oswald Metzger Jürgen Koppelind) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministeriums der FinanzenEinwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung in die Veräußerung bundeseigener Grundstücke in Frankfurt amVizepräsidentin Dr. Antje VollmerMain, ehemals US-genutztes IG FarbenHochhausgelände
- Drucksachen 13/5470, 13/5794 -Berichterstattung: Abgeordnete Karl DillerSusanne Jaffke Oswald Metzger Jürgen KoppelinWer stimmt für diese drei Beschlußempfehlungen? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlungen sind bei Enthaltung der PDS und im übrigen mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.Nun kommen wir zu den Tagesordnungspunkten 16e bis h:e) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungÜberplanmäßige Ausgabe bis zur Höhe von22 631 000 DM bei Kapitel 60 03 Titel 646 01- Erstattung an Rentenversicherungsträger für Aufwendungen gemäß § 290a des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch - - Drucksachen 13/5279, 13/5550 Nr. 1.12, 13/5789 -Berichterstattung:Abgeordnete Dankward Buwitt Dr. Wolfgang Weng Karl DillerOswald Metzgerf) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungHaushaltsführung 1996Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 1102 Titel 682 01- Erstattung von Fahrgeldausfällen -- Drucksachen 13/5514, 13/5550 Nr. 1.15, 13/5790 -Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Konstanze Wegner Hans-Joachim FuchtelAntje HermenauIna Albowitzg) Beratung der Beschlußemfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungÜberplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 11 12 apl. Titel 681 07- Arbeitnehmerhilfe - - Drucksachen 13/5319, 13/5550 Nr. 1.13, 13/5791 -Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Konstanze Wegner Dietrich AustermannAntje HermenauIna Albowitzh) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungHaushalts- und Wirtschaftsführung 1996;überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 06 02 - Allgemeine Bewilligungen - Titel 684 15 -Einmalige Zuwendung an eine zentrale Organisation zur Unterstützung von Staatsangehörigen des ehemaligen Jugoslawien, die die Bundesrepublik Deutschland aus humanitären Gründen aufgenommen hat - bis zur Höhe von 39 375 TDM- Drucksachen 13/5563, 13/5655 Nr. 5, 13/5830 -Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Klaus Dieter Uelhoff Ina AlbowitzUta Titze-StecherOswald MetzgerWer stimmt für diese vier Beschlußempfehlungen?- Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlungen sind mit demselben Stimmenverhältnis angenommen.Nun kommen wir zu Tagesordnungspunkt 16i:Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 151 zu Petitonen - Drucksache 13/5821 -Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist die Sammelübersicht 151 mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD bei Enthaltung des Bündnisses 90/Die Grünen und der PDS angenommen.Nun kommen wir zu Tagesordnungspunkt 16j:Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 152 zu Petitionen - Drucksache 13/5822 -Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen?- Die Sammelübersicht 152 ist bei Enthaltung des Bündnisses 90/Die Grünen mit den Stimmen des Hauses im übrigen angenommen.Nun kommen wir zu Tagesordnungspunkt 16 k:Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 153 zu Petitionen- Drucksache 13/5823 -Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen?- Sammelübersicht 153 ist bei Enthaltung des Bündnisses 90/Die Grünen und der PDS mit den Stimmen des Hauses im übrigen angenommen.Vizepräsidentin Dr. Antje VollmerWir kommen zu Tagesordnungspunkt 161:Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 154 zu Petitionen- Drucksache 13/5824 -Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen?- Sammelübersicht 154 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD bei Enthaltung des Bündnisses 90/Die Grünen und der PDS angenommen.Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 16m:Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 155 zu Petitionen
- Drucksache 13/5825 -Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen?- Sammelübersicht 155 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.Ich rufe Zusatzpunkt 3 auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 15. Dezember 1994 über die Sicherheit von Personal der Vereinten Nationen und beigeordnetem Personal- Drucksache 13/2837 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses
- Drucksache 13/5872 -Bericherstattung:Abgeordneter Dr. Karl-Heinz HornhuesDer Auswärtige Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/5872, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist bei Enthaltung der PDS mit den Stimmen des ganzen Hauses im übrigen angenommen.Ich rufe die Zusatzpunkte 4 und 5 auf:ZP4 Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/ CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.Zur Lage in Zaire - die humanitäre Katastrophe muß verhindert werden- Drucksache 13/5981-ZP5 Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/ CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.Initiativen zur Beendigung der Gewalt und zur Schaffung eines dauerhaften Friedens in Burundi- Drucksache 13/5815 -Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und EntwicklungNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Zunächst hat der Abgeordnete Alois Graf von Waldburg-Zeil das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In dieser Debatte werden zwei Anträge beraten, die beide überfraktionell gestellt wurden: der hochdringliche und innerhalb kürzester Zeit zustande gekommene Antrag „Zur Lage in Zaire - die humanitäre Katastrophe muß verhindert werden" und ein Antrag, über den schon ein halbes Jahr beraten wird. Er wurde vom Plenum an die Ausschüsse überwiesen, im entwicklungspolitischen Ausschuß gründlich beraten, im federführenden Auswärtigen Ausschuß bis zum Besuch einer parlamentarischen Delegation in Burundi zunächst ausgesetzt und dann zu einem gemeinsamen Antrag verdichtet. Er war wegen des inzwischen stattgefundenen Putsches in Burundi obsolet geworden und wurde nun erneut eingebracht und beraten.
Beide Anträge gehören aber zusammen. Im interfraktionellen Antrag „Initiativen zur Beendigung der Gewalt und zur Schaffung eines dauerhaften Friedens in Burundi" lauten die ersten Sätze:
Der Deutsche Bundestag ist tief besorgt über die Lage in Burundi. Die schwere Krise bedroht die Stabilität und Entwicklung in der gesamten Region der Großen Seen.
Die Besorgnisse bestanden zu Recht. Die Ausweitung jeweils innerstaatlicher Krisen zu einem Problem der gesamten Region der großen Seen ist nun Wirklichkeit.
Dies muß als erstes gesagt werden: Jetzt sind nicht mehr zwei winzige Länder, nämlich Ruanda und Burundi, allein betroffen, sondern eine ganze, riesige Region, die Tansania, Uganda und Zaire mit umfaßt, auf die der Flächenbrand übergreifen kann.
Ein zweites muß vorangeschickt werden: Welche Probleme es auch immer mit den wackeren Almbauern der Banyamulenge gegeben haben mag und gibt: Die jetzt entstandene Situation ist Folge geplanter Aktionen und nicht nur vielschichtiger Einzelanlässe.
Es gibt viele Nachrichten. Es ist schwer zu entscheiden, welche man glauben soll. Die „Neue Zürcher Zeitung" aus der neutralen Schweiz hat am 24. Oktober 1996 einen Artikel gebracht unter dem
Alois Graf von Waldburg-Zeil
Titel „Spiele mit dem Feuer an Afrikas grossen Seen". Dort wird darauf hingewiesen, daß der Sprecher der Banyamulenge ausdrücklich Berichte zurückgewiesen hat, wonach Kämpfer seines Volkes die Flüchtlingslager angegriffen und den neuen Massenexodus in Süd-Kivu ausgelöst hätten.
Es wird ausgeführt, daß Mitarbeiter von Hilfswerken diese Darstellung bestätigen und darüber hinaus berichtet hätten, daß in jüngster Zeit gut organisierte und bestens ausgerüstete Kampfeinheiten ruandischen, burundischen und vermutlich auch ugandischen Ursprungs über die Grenze nach Ost-Zaire eingedrungen seien, ausschließlich aus Tutsi oder verwandten Ethnien zusammengesetzt, die für die Angriffe auf die Lager zwischen Uvira und Bukavu verantwortlich seien.
Wichtigste Forderung gegenüber allen Beteiligten muß deshalb sein, für eine unverzügliche und dauerhafte Waffenruhe in der Region zu sorgen. Es geht nicht an, mit riesigen Summen humanitäre Katastrophen abzufangen, die mit Absicht vorbereitet wurden und die nach geglücktem Feuerwehreinsatz jederzeit neu angefacht werden können.
Um es noch deutlicher zu sagen: Es ist im Sinne Machiavellis durchaus verständlich, wenn die Regierungen von Ruanda und Burundi versuchen, sich zunehmenden Drucks zu erwehren, der von Widerstandsbewegungen jenseits ihrer Grenzen ausgeht und aus den Flüchtlingslagern Zustrom findet. Unsere Forderung ist aber, diese Probleme durch Verhandlungen zu lösen, so wie es auch die Nachbarstaaten fordern - gerade jetzt wieder bei der Konferenz in Kenia -, und nicht durch Angriffshandlungen auf Nachbarländer. Aber das gilt für beide Seiten.
Ebenso darf kein Zweifel herrschen, daß Flüchtlinge kein Freiwild sind. Die Angriffe auf die Flüchtlingslager und die darauf folgende Massenflucht haben eine Situation geschaffen, in der binnen weniger Wochen, wenn keine Hilfe vom Ausland kommt, diese Menschen - 80 Prozent sind Frauen und Kinder - zum Verhungern und zum Verdursten verurteilt sind.
Im übrigen empfehle ich dringend, Herr Außenminister, Meldungen zu untersuchen, nach denen nach Burundi zurückgekehrte Flüchtlinge selektioniert und die Männer, teilweise auch Frauen und Kinder, erschossen oder erschlagen worden seien. Die Vernichtung von Ethnien ist keine Lösung von Bevölkerungs-, Mehrheits- und Machtproblemen.
In unserer gemeinsamen Entschließung folgt der Forderung nach Waffenruhe die, in der internationalen Gemeinschaft darauf zu drängen, daß kurzfristige Maßnahmen zur Rettung der in Ost-Zaire befindlichen Flüchtlinge ergriffen werden. Dies ist das zentrale Thema unserer heutigen Debatte. Wir haben uns deshalb darauf geeinigt, im Antrag selbst keine Beschreibung der Katastrophenursachen und damit auch keine Schuldzuweisungen vorzunehmen, weil das Anliegen der humanitären Hilfe in den Mittelpunkt treten soll - von der Einrichtung einer internationalen Luftbrücke für Hilfsgüter über die Schaffung gesicherter Schutzkorridore bis hin zum Engagement der OAU und der internationalen Gemeinschaft.
Ich muß aber darauf hinweisen, daß es den Menschen, die in den Hilfsorganisationen arbeiten, und auch denjenigen, die dort ihr Esssen und Trinken abholen, nicht zugemutet werden kann, bei ihrer Tätigkeit beschossen zu werden. Ohne militärischen Schutz wird es wohl nicht gehen.
Ich weiß, daß die Bundesregierung fieberhaft alle Möglichkeiten mit den in Frage kommenden Hilfsorganisationen erörtert. Mittel sind bereitgestellt. An deutlichen Worten gegenüber den Politikern der Nachbarländer, die an dem Desaster schuld sind, wird es nicht fehlen. Ich hoffe auch, daß sie Wirkung zeigen werden, da in Ruanda und vielleicht auch noch immer in Burundi Deutschlands Stimme einiges gilt.
Im Ausschuß haben wir, glaube ich, kurz über die Entwicklungshilfe gesprochen. An der Entwicklungshilfe, die direkt der Bevölkerung zugute kommt, sollte man meines Erachtens nicht rühren. Was die Entwicklungshilfe, die dem staatlichen Wiederaufbau dient, anbelangt, muß bei Gesprächen sehr deutlich gesagt werden, daß ein Land, das destabilisiert und das, was man mit Mühe aufgebaut hat, wieder zerstört, natürlich gewärtigen muß, daß es keine Entwicklungshilfe mehr erhält. Ich glaube, der Außenminister kommt bereits morgen nach Ruanda. Bei den dortigen Gesprächen wird es Gelegenheit geben, dies alles zu erörtern.
Auf jeden Fall wird für die Region der großen Seen eine internationale Friedenskonferenz zur Absicherung der humanitären Aktionen unerläßlich sein.
Neben den kurz- und mittelfristigen Bemühungen dürfen aber die langfristigen Ziele nicht aus dem Auge verloren werden. Natürlich muß alles dafür getan werden, daß die Fluchtursprungsländer Flüchtlinge wieder aufnehmen, die freiwillig zurückkehren wollen. Zwangsrückführung ist vor allem dann nicht möglich, wenn die Sicherheit der Zurückgekehrten nicht garantiert werden kann. Flüchtlingslager in Grenznähe mit Optionen zu bewaffneter Rückkehr sind eine Quelle nicht endender Bürgerkriegsgeschehnisse. Ich habe es hier schon oft gesagt: Die dauerhafte Ansiedlung von Flüchtlingen ist die Voraussetzung für langfristige Friedensregelungen.
Voraussetzung jeder langfristigen Friedensordnung ist aber auch die Bereitschaft, auf rechtsstaatlich-demokratischem Wege Konflikte auszugleichen. Im gemeinsamen Antrag steht, daß in Zaire alle Bemühungen der politischen Kräfte zu stützen seien, die langfristig auf eine friedliche und demokratische Neuordnung ihres Landes ausgerichtet sind. Das gilt natürlich genauso für Burundi und Ruanda.
Aber wie kann das gelingen, wenn ein solcher Haß in den Volksgruppen schwelt, daß die Vernichtung der Minderheit oder der Mehrheit immer wieder als einziger Weg aus der Dauerkrise erscheint? Es gibt keinen anderen Weg als die Erziehung. Es gibt genügend Schulen oder Einrichtungen in den betroffenen
Alois Graf von Waldburg-Zeil
Ländern, in denen Erzieher den Geist gemeinsamen Wirkens gepflegt und auch zum Erfolg geführt haben. Gerade bei den Massakern hat es immer wieder Tutsis gegeben, die Hutus versteckt und gerettet, und Hutus, die Tutsis beschützt haben.
Unter den Politikern in Ruanda und Burundi sowie außerhalb bei den Exilpolitikern gibt es viele, die multiethnische Lösungen klar als die einzige Lösung ansehen, insbesondere auch bei der Zusammensetzung des Militärs. Natürlich ist die Versöhnung eine Aufgabe der Betroffenen. Vielen von Ihnen mag es in Gesprächen so gegangen sein wie mir, daß gesagt wird: Wir stecken so tief in diesem ethnischen Dilemma; ihr müßt uns helfen herauszukommen.
Im Burundi-Antrag steht, daß wir uns beim Wiederaufbau der Bildungseinrichtungen in Burundi, bei Stipendienprogrammen für Schüler und Studenten in den Aufnahmeländern und Flüchtlingslagern sowie mit Alphabetisierungsprogrammen engagieren sollen. Das bedeutet nicht nur technische Hilfe, etwa bei Radioschulen. Etwas sollte hinzukommen: die Hilfe für Pädagogen und Kirchenleute, sich auf Lehrpläne und Lerninhalte zu einigen, die tief verwurzelte Vorurteile heilen helfen. Sicher sind hier die Kirchen mehr gefordert als die Politiker. Die Politik aber kann den Kirchen helfen, solche Programme umzusetzen.
Vielleicht denken Sie: Mein Gott, der ist ja idealistisch. Ich denke dabei ein bißchen an meine Kindheit zurück. In der Zeit des Nationalsozialismus ist den jungen Leuten 12 Jahre lang intensivster Haß eingeprägt worden: Der Franzose ist unser Erbfeind. Für die Generation, die nach dem Krieg anders erzogen worden ist, sind die Franzosen heute die besten Freunde. Erziehung kann also etwas bewirken. Man sollte hier nicht von vornherein kapitulieren.
Bitte, liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen wir uns durch alles Schreckliche, das derzeit geschieht, nicht entmutigen. Lassen Sie uns Afrika nicht abschreiben. Lassen Sie uns zeigen, daß Menschen das Entscheidende sind und nicht nur materielle Interessen in der Welt.
Ich danke Ihnen.
Ich gebe jetzt das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Schlußabstimmung zum Arbeitsförderungs-Reformgesetz - Tagesordnungspunkt 4 a - bekannt. Abgegebene Stimmen: 656. Mit Ja haben gestimmt: 340. Mit Nein haben gestimmt: 316. Keine Enthaltung. Der Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Arbeitsförderung ist damit angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 657; davon:
ja: 340
nein: 317
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Altmaier
Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten
Dr. Wolf Bauer
Brigitte Baumeister Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank
Dr. Heribert Blens Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig
Rudolf Braun Paul Breuer
Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Klaus Bühler Hartmut Büttner
Dankward Buwitt
Manfred Carstens Peter Harry Carstensen
Wolfgang Dehnel Hubert Deittert
Gertrud Dempwolf Albert Deß
Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjürgen Doss Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn
Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Horst Eylmann
Anke Eymer
Ilse Falk
Jochen Feilcke
Dr. Karl H. Fell
Ulf Fink
Dirk Fischer
Leni Fischer
Klaus Francke Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger
Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler Michael Glos
Wilma Glücklich
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Joachim Gres
Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund
Horst Günther Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke
Gerda Hasselfeldt
Otto Hauser Hansgeorg Hauser
Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Manfred Heise
Dr. Renate Hellwig Ernst Hinsken Peter Hintze
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster
Hubert Hüppe Peter Jacoby
Susanne Jaffke Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst Dr.-Ing. Rainer Jork
Michael Jung Ulrich Junghanns
Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder
Peter Keller
Eckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl Hans-Ulrich Köhler
Manfred Kolbe Norbert Königshof en Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus
Wolfgang Krause Andreas Krautscheid
Arnulf Kriedner Heinz-Jürgen Kronberg Dr.-Ing. Paul Krüger Reiner Krziskewitz
Dr. Hermann Kues Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers Karl Lamers
Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Armin Laschet
Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann Werner Lensing
Christian Lenzer
Peter Letzgus
Editha Limbach
Walter Link Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann
Julius Louven
Sigrun Löwisch
Heinrich Lummer Dr. Michael Luther
Erich Maaß Dr. Dietrich Mahlo
Erwin Marschewski Günter Marten
Dr. Martin Mayer
Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl
Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz
Rudolf Meyer Hans Michelbach Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Elmar Müller Engelbert Nelle
Bernd Neumann Johannes Nitsch
Claudia Nolte
Dr. Rolf Olderog
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto Dr. Gerhard Päselt Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch Ulrich Petzold
Anton Pfeifer
Angelika Pfeiffer Dr. Gero Pfennig
Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp
Dr. Winfried Pinger Ronald Pofalla
Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Dr. Albert Probst Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer Rolf Rau
Helmut Rauber
Peter Harald Rauen Otto Regenspurger
Christa Reichard Klaus Dieter Reichardt
Dr. Bertold Reinartz Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik Roland Richter
Roland Richwien Dr. Norbert Rieder
Dr. Erich Riedl Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Hannelore Rönsch
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Adolf Roth
Norbert Röttgen Dz Christian Ruck Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers
Roland Sauer Ortrun Schätzle
Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte
Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee Ulrich Schmalz Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt Dr.-Ing. Joachim Schmidt
Andreas Schmidt Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz
Michael von Schmude
Birgit Schnieber-Jastram Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff
Dr. Dieter Schulte
Gerhard Schulz (Leipzig) Frederick Schulze Diethard Schütze (Berlin) Clemens Schwalbe
Dr. Christian Schwarz-Schilling
Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer
Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert
Rudolf Seiters Johannes Selle Bernd Siebert Jürgen Sikora
Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm
Max Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Egon Susset
Dr. Rita Süssmuth Michael Teiser
Dr. Susanne Tiemann
Dr. Klaus Töpfer Gottfried Tröger Dr. Klaus-Dieter Uelhoff
Gunnar Uldall
Wolfgang Vogt Dr. Horst Waffenschmidt
Dr. Theodor Waigel
Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Jürgen Warnke
Kersten Wetzel
Hans-Otto Wilhelm Bernd Wilz
Willy Wimmer Matthias Wissmann Dr. Fritz Wittmann Dagmar Wöhrl
Michael Wonneberger Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer
Wolfgang Zeitlmann Benno Zierer
Wolfgang Zöller
SPD
Rolf Schwanitz
F.D.P.
Ina Albowitz
Dr. Gisela Babel
Hildebrecht Braun
Günther Bredehorn Jörg van Essen
Dr. Olaf Feldmann Gisela Frick
Paul K. Friedhoff Horst Friedrich
Rainer Funke
Hans-Dietrich Genscher Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Dr. Burkhard Hirsch Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Detlef Kleinert Roland Kohn
Dr. Heinrich L. Kolb Jürgen Koppelin
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Dr. Otto Graf Lambsdorff Sabine LeutheusserSchnarrenberger Uwe Lühr
Jürgen W. Möllemann Günther Friedrich Nolting
Dr. Rainer Ortleb Lisa Peters
Dr. Günter Rexrodt Dr. Klaus Röhl
Helmut Schäfer Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard Schwaetzer
Dr. Hermann Otto Sohns
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Weng
Dr. Guido Westerwelle
Nein
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Robert Antretter Hermann Bachmaier Ernst Bahr
Doris Barnett
Klaus Barthel
Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt Hans Berger
Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Rudolf Bindig
Lilo Blunck
Arne Börnsen Anni Brandt-Elsweier
Tilo Braune
Dr. Eberhard Brecht Edelgard Bulmahn Ursula Burchardt Hans Martin Bury
Hans Büttner Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi
Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann
Karl Diller
Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen
Rudolf Dreßler
Freimut Duve
Ludwig Eich
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger Annette Faße
Elke Ferner
Lothar Fischer Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski Dagmar Freitag Anke Fuchs Katrin Fuchs (Verl) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Norbert Gansel
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Günter Graf Angelika Graf (Rosenheim) Dieter Grasedieck
Achim Großmann Karl Hermann Haack
Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach
Dr. Liesel Hartenstein
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Klaus Hasenfratz
Dr. Ingomar Hauchler
Dieter Heistermann Reinhold Hemker Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe Hiksch
Reinhold Hiller Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann Frank Hofmann (Volkach) Ingrid Holzhüter
Erwin Horn
Eike Hovermann Lothar Ibrügger Wolfgang Ilte
Barbara Imhof
Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger
Jann-Peter Janssen Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung Sabine Kaspereit Susanne Kastner
Ernst Kastning Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose
Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper Nicolette Kressl Volker Kröning Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Konrad Kunick Christine Kurzhals Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange Detlev von Larcher Waltraud Lehn Robert Leidinger Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard Klaus Lohmann Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga Dieter Maaß Winfried Mante Dorle Marx
Ulrike Mascher Christoph Matschie Ingrid Matthäus-Maier
Heide Mattischeck Markus Meckel Ulrike Mehl
Herbert Meißner Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer Ursula Mogg
Siegmar Mosdorf
Michael Müller Jutta Müller (Völklingen) Christian Müller (Zittau) Volker Neumann (Bramsche) Gerhard Neumann (Gotha) Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese Doris Odendahl
Günter Oesinghaus Leyla Onur
Manfred Opel Adolf Ostertag Kurt Palis
Albrecht Papenroth Dr. Willfried Penner Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Dr. Eckhart Pick Joachim Poß
Rudolf Purps
Hermann Rappe
Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse Renate Rennebach Otto Reschke
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter Günter Rixe
Reinhold Robbe Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Dieter Schanz Rudolf Scharping Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler Otto Schily
Dieter Schloten Günter Schluckebier
Horst Schmidbauer
Ulla Schmidt Dagmar Schmidt (Meschede) Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt
Dr. Emil Schnell Walter Schöler Ottmar Schreiner Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
Brigitte Schulte Volkmar Schultz (Köln)
Ilse Schumann
Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold
Lisa Seuster
Horst Sielaff
Erika Simm
Johannes Singer
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge
Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler
Dr. Peter Struck Joachim Tappe Jörg Tauss
Dr. Bodo Teichmann
Margitta Terborg Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Wolfgang Thierse Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin
Günter Verheugen Ute Vogt
Karsten D. Voigt Josef Vosen
Hans Georg Wagner Hans Wallow
Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis Matthias Weisheit Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Norbert Wieczorek Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz
Berthold Wittich
Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf
Heidi Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Gila Altmann Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn)
Marieluise Beck Volker Beck (Köln)
Angelika Beer Matthias Berninger
Annelie Buntenbach
Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid
Andrea Fischer Joseph Fischer (Frankfurt) Rita Grießhaber
Gerald Häfner Antje Hermenau Kristin Heyne Ulrike Höfken Michaele Hustedt Dr. Manuel Kiper Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke
Vera Lengsfeld
Dr. Helmut Lippelt Oswald Metzger Kerstin Müller Winfried Nachtwei Christa Nickels
Egbert Nitsch Cern Özdemir
Gerd Poppe
Simone Probst
Dr. Jürgen Rochlitz
Halo Saibold Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk Wolfgang Schmitt
Ursula Schönberger Waltraud Schoppe
Werner Schulz Marina Steindor Christian Sterzing Manfred Such
Dr. Antje Vollmer Ludger Volmer
Helmut Wilhelm Margareta Wolf (Frankfurt)
PDS
Wolfgang Bierstedt Petra Bläss
Maritta Böttcher Eva Bulling-Schröter
Dr. Ludwig Elm
Dr. Dagmar Enkelmann
Dr. Ruth Fuchs Dr. Gregor Gysi
Hanns-Peter Hartmann
Dr. Uwe-Jens Heuer Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Wemer Rolf Köhne
Rolf Kutzmutz Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth
Dr. Günther Maleuda Manfred Müller Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Klaus-Jürgen Warnick
Dr. Winfried Wolf
Gerhard Zwerenz
Zum jetzigen Tagesordnungspunkt spricht als nächster der Herr Kollege Verheugen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wieder einmal führen wir im Deutschen Bundestag eine Afrika-Debatte vor dem Hintergrund einer drohenden oder schon eingetretenen Katastrophe. Ehrlicherweise müßte ich sagen: erst vor dem Hintergrund einer eingetretenen Katastrophe.
Das ist vielleicht das eigentlich Typische für die ganze Situation: Afrika wird in Deutschland, in
Günter Verheugen
Europa und vielleicht in der ganzen westlichen Welt nur noch als ein Kontinent wahrgenommen, auf dem es von Zeit zu Zeit zu schrecklichen Eruptionen kommt, der in die dunkelsten Epochen seiner Geschichte zurückgefallen ist. Im übrigen schaut man entschlossen weg.
Ich möchte aber sagen, daß das, was wir im Augenblick in Zaire, Ruanda, Burundi, in der Region der großen Seen erleben, nicht typisch für Afrika ist. Es ist eine ganz falsche Annahme, zu glauben, das sei das typische afrikanische Bild. In Wahrheit ist die Situation auf dem afrikanischen Kontinent sehr differenziert zu beurteilen. Es gibt außerordentlich positive Ergebnisse gerade in den letzten Jahren. Wir haben in diesem Haus vor kurzer Zeit Präsident Mandela zu Gast gehabt, der selber das wichtigste Beispiel für einen großen politischen Erfolg in Afrika personalisiert. Ich will auch auf die friedliche Trennung Eritreas von Äthiopien und auf die sich stabilisierende Situation in Mosambik, wo wir jahrzehntelang Krieg gehabt haben, hinweisen.
Ich muß aber auch darauf hinweisen, daß die Region der großen Seen keinesfalls die einzige Region in Afrika ist, in der Politik nicht mehr stattfindet, archaische Gewalt sich Bahn bricht und Konflikte weiterleben, die schon Jahre alt sind und die uns hier, manchmal Tag und Nacht - wenn ich an Somalia erinnern darf -, beschäftigt haben. Aber plötzlich war das Interesse weg. Wer in der deutschen Öffentlichkeit weiß und wer interessiert sich dafür, wie es heute in Somalia aussieht? Die Lage ist nicht besser, als sie zu dem Zeitpunkt gewesen ist, zu dem wir uns im Bundestag über eine humanitäre Intervention unterhalten haben.
Das ist die entscheidende Frage: Wie kommt es, daß es kein kontinuierliches, kein sachbezogenes Interesse an den Entwicklungen in Afrika gibt? Afrika ist weltpolitisch an den Rand gedrängt. Das ist eine Folge der Veränderungen seit 1989 und 1990. Afrika ist auch ökonomisch an den Rand gedrängt. Der afrikanische Anteil am Welthandel beträgt gerade etwas über 1 Prozent, für die meisten, die sich mit Ökonomie beschäftigen, uninteressant, zumal dieses eine Prozent im wesentlichen von einer Handvoll Länder erbracht wird.
Aber ist es wirklich eine kluge Politik, das für uninteressant zu halten? Ist es nicht in Wirklichkeit so, daß das Wegschauen, das Nichtbeachten und der Verzicht auf eine vorbeugende und langfristige Politik dazu führen, daß irgendwann wieder die Stunde kommt, zu der wir in diesem Haus zusammensitzen, uns gegenseitig unsere Betroffenheit ausdrücken und feststellen müssen, daß wieder einmal nichts geschehen ist und eine Katastrophe vor der Haustür steht oder bereits eingetreten ist und daß wir uns jetzt darüber unterhalten müssen, wie wir das Mindeste tun können, nämlich den Menschen wenigstens das nackte Überleben zu sichern?
Die Krise, über die wir heute sprechen, ist nicht vom Himmel gefallen. Sie kam nicht überraschend, auch für den Herrn Außenminister nicht. Ich erinnere mich noch gut - Sie sind dort gewesen, Herr Kinkel - an die Betroffenheit, die Sie selbst dort gezeigt haben. Ich habe das gut nachvollziehen können. Einige von uns sind ja dort gewesen. Ich habe auch Verständnis für das gehabt, was Sie gesagt haben.
Das ändert nichts daran, daß auch Sie es nicht schaffen konnten - ich will fair sein: nicht schaffen konnten -, eine andere Politik der internationalen Staatengemeinschaft in dieser Region durchzusetzen.
Die internationale Gemeinschaft hat entschlossen weggeschaut und Wichtigstes versäumt. Sie hat es versäumt - ich lasse die Frage offen, unter welchen Umständen es möglich gewesen wäre, und sage nur, es ist versäumt worden -, die Völkermordarmee aus Ruanda, die mit den Flüchtlingen aus Ruanda nach Zaire geflüchtet war, zu entwaffnen und die schlimmsten Verbrecher vor das internationale Tribunal in Arusha zu bringen.
Das Auseinanderfallen Zaires wird seit Jahren ignoriert, und es ist sogar der korrupteste aller Diktatoren in Afrika, der Präsident Mobutu, in den letzten Jahren international wieder hoffähig geworden. Ich möchte das hier in aller Schärfe sagen. Es steht nicht im Antrag, aber ich möchte es im Protokoll haben.
Es gibt Grenzen dessen, was man auf der internationalen Bühne ertragen kann. Und dieser Herr Mobutu hat diese Grenzen überschritten'
mit einem blutsaugerischen, korrupten, seit Jahrzehnten der eigenen Bereicherung und der Bereicherung seiner Clique dienenden System. Er muß von der internationalen Szene abtreten.
Meine Damen und Herren, es ist auch versäumt worden, etwas gegen den ständigen Zufluß von Waffen in die Region zu unternehmen. Ich erinnere mich gut an Afrika-Debatten aus den 70er Jahren und an ein Wort, das der damalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher sehr häufig gebraucht hat, beinahe in jeder Afrika-Debatte, nämlich: Afrika braucht nicht Panzer und Maschinengewehre; Afrika braucht Pflüge und Traktoren.
Die Frage ist: Wie konnte es geschehen, daß in dieses Pulverfaß nun seit zwei Jahren aus europäischen Ländern ein ständiger Fluß von Waffen fließt?
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Dr. Eid?
Ja, aber gern.
Herr Verheugen, ich widerspreche Ihnen eigentlich ungern. Aber Sie haben hier beklagt, daß Mobutu international wieder hoffähig geworden ist. Dies tue ich auch aus ganzem Herzen.
Nun war aber Herr Mobutu in Rheinland-Pfalz. Ich hätte gern gewußt, wer aus der SPD bei diesem Tref-
Dr. Uschi Eid
fen zugegen war bzw. wer aus der SPD mit dazu beigetragen hat, daß dieses Treffen mit Herrn Mobutu in Rheinland-Pfalz stattfindet.
Sie erwischen mich auf dem falschen Fuß. Ich habe Herrn Mobutu zuletzt im Jahr 1975 gesehen und bin stolz darauf, ihn danach nicht mehr getroffen zu haben. Über ein Treffen in Rheinland-Pfalz weiß ich nicht das Geringste, Frau Kollegin. Es tut mir leid. Ich kann Ihnen die Frage nicht beantworten,
bin aber gern bereit, dem nachzugehen.
- Ich weiß es wirklich nicht.
Ich will noch einmal auf die entscheidende Frage der Waffenlieferungen kommen und dies mit einer Frage an den Bundesaußenminister verbinden, weil es ja schwer vorstellbar ist, daß die hochentwickelten Systeme, die es in den westlichen Industriestaaten hinsichtlich Nachrichtenbeschaffung und Nachrichtenübermittlung gibt, an dieser Stelle versagt haben. Ich kann mir kaum vorstellen, daß niemand auf der ganzen Welt bemerkt hat, daß dorthin Waffen geliefert werden und woher sie geliefert werden, und ich möchte gern die Frage stellen, warum das widerstandslos geschehen ist.
Vorschläge, die der Antrag, über den wir heute beraten, zur Bewältigung der aktuellen Krise macht, sind übereinstimmend in allen Fraktionen beraten worden. Ich habe dem nicht viel hinzuzufügen, was Kollege Waldburg-Zeil dazu schon gesagt hat, möchte aber noch auf einen Gesichtspunkt hinweisen. Es hat seinen guten Grund, warum wir wohl alle der Meinung sind, daß die Hauptverantwortung für die Bewältigung der aktuellen Krise bei der Organisation für Afrikanische Einheit und bei den afrikanischen Staaten selber liegen sollte.
Ich glaube schon lange nicht mehr daran, daß die Europäer oder die Amerikaner, wer auch immer, wirklich in der Lage sind, afrikanische Probleme zu lösen. Das können wir nicht. Wir können denjenigen helfen, die guten Willens sind, Stabilität in ihren Län-dem und ihren Regionen herzustellen oder wiederherzustellen. Daß wir aber von uns aus, durch Interventionen von außen, in Afrika Stabilität herstellen, Demokratie schaffen oder Menschenrechte endgültig durchsetzen könnten, das glaube ich schon lange nicht mehr.
Wir können und müssen dabei helfen. Wir müssen unsere Politik in bezug auf Afrika auf diese Absicht konzentrieren. Es muß aber auch einmal deutlich gesagt werden, daß die Verantwortung für all die Schrecken, die wir bei einer Reihe von afrikanischen Regionen erlebt haben, in erster Linie bei denjenigen
liegt, die über Jahrzehnte hinweg politische Macht für persönliche Zwecke mißbraucht haben.
Dieser Mißbrauch muß zu einem Ende geführt werden. Deshalb, so glaube ich, ist es notwendig, den politischen Dialog, die politische Partnerschaft zwischen Europa und Afrika intensiver zu gestalten. Unser Interesse an Afrika kann nicht konjunkturabhängig sein: Immer dann, wenn gerade etwas Schreckliches passiert, ist es für uns ein Thema, ansonsten nicht. Unser Interessè muß kontinuierlich sein.
Es ist ganz naheliegend, daß wir ein solches, auch ein ganz unmittelbares Interesse haben; denn es ist immer sehr viel schwieriger und letztlich übrigens auch teurer, die Folgen einer eingetretenen Katastrophe zu lindern oder zu beseitigen als präventiv dazu beizutragen, daß sie nicht entsteht.
Ich darf daran erinnern: Die Vereinten Nationen sagen, daß die Intervention einer Friedenstruppe von etwa 5 000 Mann im Jahre 1994, rechtzeitig unternommen, etwa 250 Millionen Dollar gekostet hätte. Wenn ich das mit dem vergleiche, was die humanitäre Hilfe bereits in den letzten zwei Jahren gekostet hat und was es in Zukunft noch kosten wird, die Lebensbedingungen für die Menschen einigermaßen wiederherzustellen, dann steht das in überhaupt keinem Verhältnis zueinander.
Ich bin dafür, daß wir zusammen mit den Afrikanern überlegen, wie ein solches Krisenmanagement in Afrika möglich wird. Man sollte bereit sein, ihnen dabei zu helfen, ihnen auch materielle Hilfe zu leisten.
Im Augenblick muß unsere europäische Verantwortung und Rolle darin bestehen, im Bereich der humanitären Hilfe das zu tun, was möglich ist, im Bereich der politischen Zusammenarbeit auf eine Kooperation der Länder der Region zu drängen, auch auf die Inanspruchnahme der Konfliktregelungsmechanismen, die in Afrika durchaus bestehen - es ist ja nicht so, als hätten sie keine; sie haben sie entwikkelt -, unsere guten Dienste gegenüber allen Staaten der Region anzubieten, zu helfen, zusammenzuführen und bei der humanitären Hilfeleistung das zu tun, was ein im Verhältnis zu Ruanda, Burundi und Zaire unermeßlich reiches Land wie die Bundesrepublik Deutschland schon aus seiner humanitären Verantwortung heraus tun muß.
Vielen Dank.
Herr Kollege Verheugen, warten Sie noch auf die Zwischenfrage? - Bitte.
Herr Verheugen, im Gegensatz zu Ihnen bin ich keine Afrika-Expertin. Ich habe aber sehr aufmerk-
Christa Nickels
sam Ihrer Rede und der Rede des Kollegen Waldburg-Zeil zugehört.
Die meisten Argumente kann ich unterstützen.
Der Antrag ist richtig. Er geht davon aus, daß über 1 Million Menschen in diesem Augenblick, wo wir hier sitzen, unter Umständen noch nicht einmal Wasser haben, nichts zu trinken haben und wirklich im Dreck verrecken. Ich finde es richtig, daß man sagt, daß man jetzt an die UNO herantreten und alles Mögliche unternehmen will. Das kann aber doch wohl nicht alles sein. Ich will mich damit nicht zufriedengeben.
Meine Frage an Sie als ausgewiesenen Afrika-Politiker: Warum ist es nicht möglich, die Afrika-Politikerinnen und -Politiker und die zuständigen Ressorts sowie das, was hier an Know-how vorhanden ist, nicht im Sinne von Besserwissen-Wollen, sondern im Sinne von Gute-Dienste-Mobilisieren, zum Beispiel bei Misereor oder bei Missio oder bei den NGOs, zu einem Runden Tisch zusammenzutrommeln, und zwar sofort, und zu fragen, was man noch tun kann?
- Ja, dann möchte ich das gern hören. Das interessiert mich, weil man das auch als Abgeordneter mit seinen kleinen Mitteln vor Ort vielleicht unterstützen und befördern kann. Das würde ich gern machen. Mir fehlt eine praxisbezogene Auskunft. Ich möchte Sie darum bitten, daß Sie dann, wenn so etwas läuft, uns das mitteilen, und ich möchte Sie fragen, ob Sie Anregungen für die Kolleginnen und Kollegen, die hier sitzen und die Sie in Ihrem Bemühen unterstützen wollen, geben können. Das ist meine Frage.
Danke schön.
Frau Kollegin, das, was Sie zuletzt gefordert haben, findet statt. Bevor wir eine solche Debatte führen, ist es normal, daß man uns - in diesem Falle von seiten des Auswärtigen Amtes - darüber unterrichtet, was tatsächlich geschieht. Genau dieser Versuch der Frühkoordinierung der Hilfsorganisationen mit den politischen Instanzen ist bereits in Gang gekommen. Ich nehme an, Herr Kinkel wird gleich, wenn er spricht, etwas ausführlicher darstellen, was bereits vereinbart ist und was, sobald die politischen Rahmenbedingungen geschaffen sind, geschehen wird. Genau das, was Sie gefordert haben, ist geschehen.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Uschi Eid, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Selten war eine Debatte so dringlich wie die, die wir jetzt führen. Während sie stattfindet, sind Hunderttausende
von Menschen in Ostzaire akut vom Tode bedroht, auch wenn sich in den letzten Tagen ein kleiner Hoffnungsschimmer abzeichnet, weil der Waffenstillstand eingehalten wird.
Ich danke den Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Fraktionen, daß sie sofort unsere Initiative zu dieser Debatte aufgegriffen und unterstützt haben. Ich verhehle allerdings nicht, daß es meiner Fraktion und mir schwergefallen ist, diesem vorliegenden Antrag zuzustimmen; denn zu vieles wird darin verschwiegen. Was für mich immer unerträglicher wird, ist die Tatsache, daß solche Tragödien wie in Ostzaire als humanitäres Problem abgehandelt werden. Die Situation, wie wir sie zur Zeit im Gebiet der großen Seen in Zentralafrika vorfinden, ist vor allem das Resultat verfehlter Politik und verfehlter sozio-ökonomischer Entwicklungen.
Es ist eine politische Katastrophe, deren Ursachen und Verantwortliche nicht nur in Kinshasa, Bujumbura und Kigali, sondern auch in Paris, Brüssel und Washington zu suchen sind.
Die Lösung dieser politischen Katastrophe muß mit der gleichen Energie angegangen werden wie die dringend notwendige humanitäre Hilfe; sonst ist die nächste Katastrophe bereits vorprogrammiert.
Was ich überhaupt nicht akzeptieren kann, ist, daß alle Welt so tut, als sei man von den Ereignissen völlig überrumpelt worden. Dies stimmt nicht; darauf hat der Kollege Verheugen hingewiesen. Katastrophen wie in Ostzaire fallen nicht vom Himmel.
Ich werfe der Bundesregierung, Herr Außenminister, und auch der internationalen Staatengemeinschaft vor, die seit langem bedrohlichen Signale in dieser Region nicht ernstgenommen und deshalb bei all dem, was Sie persönlich, Herr Außenminister, und der Afrikabeauftragte der Bundesregierung getan haben, die notwendigen präventiven Maßnahmen versäumt zu haben.
Ich nenne nur das ungelöste Problem der über 1 Million Flüchtlinge aus Ruanda, die zunehmenden gewaltsamen Aktivitäten der bewaffneten Milizen in den Flüchtlingslagern, die offenbar in großem Stil aus dem Ausland mit Waffen versorgt wurden, die Agonie des Mobutu-Regimes, das mit der ethnischen Ausgrenzung der Banyamulenge die Lunte an das schwelende Pulverfaß gelegt hat, die Zuspitzung der Lage in Burundi nach dem Putsch Buyoyas.
Ich möchte von hier aus das Regime in Bujumbura warnen, Hand an die Abgeordneten der burundischen Nationalversammlung zu legen.
Léonce Ngendakumana und Paul Munyembari und
andere sind Freunde des Deutschen Bundestages.
Dr. Uschi Eid
Das dürfen wir nicht vergessen, und wir machen uns Sorgen und werden genau hinschauen, was mit unseren Kollegen in Burundi passiert.
All diese Probleme, die ich genannt habe, sind lange bekannt, auch der Bundesregierung und dem Deutschen Bundestag, der vor einem Jahr sehr präzise Vorschläge gemacht hat. Ich werfe der internationalen Staatengemeinschaft und der Bundesregierung vor, nicht den Mut zu unbequemen Wahrheiten zu haben. Da ist erstens die unheilvolle Rolle der ehemaligen Kolonialmächte bei der jahrzehntelangen aktiven Unterstützung des korruptesten afrikanischen Regimes, nämlich des Diktators Mobutu, zu erwähnen. Als Verbündeter im Kalten Krieg war er sehr nützlich, und da übersah man sehr großzügig, wie er das Land zugrunde richtete und damit zu einer Gefahr für die Stabilität der ganzen Region wurde.
Ein zweites Beispiel. Das militärische Eingreifen Frankreichs in Ruanda 1994 hat zweifellos Menschenleben gerettet. Es hat aber auch dazu geführt, daß große Teile der Armee und der Milizen des Habyarimana-Regimes, das heißt die Völkermörder, auf zairisches Gebiet fliehen konnten und vor den Augen der Überlebenden in den Flüchtlingslagern versorgt wurden. Es tat den Überlebenden in Kigali in Ruanda weh, zu sehen, wie die Mörder ihrer Familienangehörigen in Goma von der internationalen Staatengemeinschaft versorgt wurden und von dort aus ihr mörderisches Treiben fortsetzen konnten.
Diese Bundesregierung hat nichts getan, die Mörder in den Flüchtlingslagern zu entwaffnen und von den zivilen Flüchtlingen zu trennen. Herr Außenminister, ich bin gern bereit, diese Aussage zu korrigieren, wenn Sie mir nachher wirklich sagen können, wo Sie Schritte unternommen haben, die Milizen in den Flüchtlingslagern in Goma zu entwaffnen.
- Die Bundesregierung kann da nicht hin, Herr Kollege Irmer. Sie muß aber bei den internationalen Institutionen darauf drängen, daß zum Beispiel der UNHCR oder die Zairische Regierung oder wer auch immer dies vor Ort durchführen.
Ein drittes Beispiel. Im Juni dieses Jahres besuchte ich mit der Kollegin Brudlewsky und dem Kollegen Tappe im ruandischen Gysenyi ein Flüchtlingslager von Tutsis aus Masisi. Sie waren von zairischen Behörden aus ihrer zairischen Heimat vertrieben worden. Sie übergaben uns ein Memorandum, in dem sie ganz speziell an die Bundesregierung und an unsere Verantwortung appelliert haben, weil nämlich 1885 bei der Berlin-Konferenz das Tutsi-Reich dreigeteilt wurde und die Banyamulenges heute auf zairischem Territorium leben.
Frau Kollegin Dr. Eid, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Irmer?
Ja, bitte.
Bitte.
Verehrte Frau Kollegin Eid, wenn jemand einen anderen entwaffnen will, kann er das kaum mit bloßen Händen tun. Das heißt, wer jemanden entwaffnen soll, muß selbst bewaffnet sein. Hierfür kommen Soldaten in Frage.
Habe ich Sie eben richtig verstanden, daß Sie dafür plädiert haben, die Bundesregierung hätte die Bundeswehr nach Ruanda schicken sollen, um dort die Mörder zu entwaffnen?
Herr Kollege Irmer, zum ersten handelt es sich um Flüchtlingslager auf zairischem Gebiet. Alle wußten, daß Milizen und Militär aus Ruanda - Hutu-Milizen und Hutu-Militär - nach Zaire geflohen sind. Wenn man Menschen in ein Flüchtlingslager aufnimmt, kann man sie kontrollieren. Man kann sagen: Nur die dürfen hier rein, die ihre Waffen abgeben.
Zum zweiten haben Sie recht, was die Kontrolle der Entwaffnung angeht. Ich bin aber nicht dafür, daß fremde Truppen nach Ostzaire gehen.
Wir haben es vorhin bei dem Treffen mit dem Staatspräsidenten aus Mali gehört. Ich war am Montag bei dem OAU-Konfliktmanagementzentrum in Addis Abeba. Da haben mir die Leute von der OAU gesagt: Wir Afrikaner müssen die Verantwortung übernehmen, um die afrikanischen Probleme selber zu lösen. Wir müssen eigene Methoden finden und eigene Schritte unternehmen. Was wir aber nicht können, ist, diese umzusetzen, wenn die internationale Staatengemeinschaft uns nicht die nötige logistische und finanzielle Hilfe gibt.
Ich meine, wenn es eine Truppe geben soll, um zum Beispiel die Sicherheitskorridore zu kontrollieren, daß die Bundesregierung selbstverständlich ganz massiv helfen muß, damit die Friedenstruppe, die vielleicht aus afrikanischen Soldaten zusammengestellt werden wird, dies vor Ort sehr effizient durchführen kann.
An sich wollte ich darauf hinweisen und Beispiele dafür geben, daß es frühzeitig Alarmzeichen für das Drama in Ostzaire gegeben hat. Daß diese von der Bundesregierung und der internationalen Staatengemeinschaft nicht erkannt wurden, werfe ich Ihnen heute vor. Auf Grund der Tatsache, daß Tausende
Dr. Uschi Eid
von Tutsi-Flüchtlingen schon im Juni in Ruanda waren, hätten die Alarmglocken in Brüssel, in Bonn, in New York läuten müssen. Spätestens dann hätte man mit dem politischen Konfliktmanagement beginnen müssen.
Ich weiß, daß der deutsche Botschafter vor Ort die Berichte nach Bonn geschickt hat. Was meines Erachtens aber noch viel schlimmer ist: Man hat in den Reihen dieser Bundesregierung entsprechende Berichte augenzwinkernd als Tutsi-Propaganda der Regierung in Kigali abgetan. Davon nehme ich explizit den Bundesaußenminister und den Afrikabeauftragten der Bundesregierung aus.
Jetzt möchte ich gerne zu meinem konstruktiven Teil kommen.
- Es muß auch einmal gesagt werden, wo die Verantwortlichkeiten liegen.
Was muß sofort getan werden?
Das muß aber ein kurzer Teil werden. Es tut mir leid, aber es ist nun einmal so: Ich muß mich an die Regeln halten.
Es steht mir nicht an, Herr Präsident, mit Ihnen über meine Redezeit zu verhandeln. Aber ich bin eine der wenigen in diesem Hause, die von dieser Region wirklich Ahnung haben.
Wenn ich keinen Widerspruch höre, lege ich Ihnen eine Minute zu. Aber das ist das Äußerste, was ich machen kann.
Ich bedanke mich. - Erstens. Die Bundesregierung muß sich für die Vereinbarung eines langfristigen Waffenstillstandes einsetzen.
Zweitens. Es müssen unverzüglich geschützte Korridore eingerichtet werden, und der Schutz dieser Korridore muß durch Einsatzkräfte neutraler OAU-Mitgliedstaaten erfolgen. Die Bundesregierung muß einen Beitrag zur Finanzierung einer solchen Aktion leisten.
Drittens. Es muß ein internationales Waffenembargo verhängt und genau kontrolliert werden.
Viertens. Die Bundesregierung sollte die Initiative zur Ausrichtung einer internationalen Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit aller Staaten in der Region der großen Seen ergreifen.
Fünftens. Es müssen Schritte zur sicheren Rückführung der Flüchtlinge, vor allem nach Ruanda, eingeleitet werden. Die ruandische Regierung muß den Schutz und die Sicherheit der Flüchtlinge garantieren.
Sechstens. In Burundi muß Buyoya Verhandlungen mit allen Oppositionskräften zulassen. Er muß die demokratisch gewählten Institutionen wieder zulassen und zur Verfassungsmäßigkeit zurückkehren.
Siebtens. Die Bundesregierung darf keinerlei Entwicklungszusammenarbeit mit Zaire aufnehmen, die das Mobutu-Regime stabilisiert.
Achtens. Angesichts der Lage in Zaire fordern wir einen sofortigen Abschiebestopp für alle Flüchtlinge und Asylbewerber aus diesem Land.
Neuntens. Es ist unbedingt notwendig, die innerafrikanischen Konfliktregelungsmechanismen zu stärken. Das gilt besonders für das Konfliktmanagementzentrum der OAU in Addis Abeba.
Ich bedanke mich herzlich für Ihre Großzügigkeit, Herr Präsident.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Irmgard Schwaetzer, F.D.P.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute steht natürlich im Mittelpunkt der Debatte, wie wir einen Beitrag dazu leisten können, eine humanitäre Katastrophe im Osten Zaires zu verhindern. Liebe Frau Kollegin Eid, wir haben hier ja schon häufiger über diese Region debattiert und waren uns in vielem, was eigentlich passieren müßte, ganz einig. Aber wir haben Partner vor Ort, die bereit wären, einen solchen Weg mitzugehen, bisher nicht gefunden.
Deswegen geht es mit Sicherheit jetzt nicht nur um die Verhinderung einer humanitären Katastrophe, sondern darum, daß umfassendere Ansätze diskutiert und alle mit in die Verantwortung genommen werden.
Es ist ja richtig, daß die Aktionen der Staatengemeinschaft in der dortigen Region - sei es in Zaire, in Ruanda oder in Burundi - häufig etwas kurzatmig sind. Wenn die erste Not gelindert ist, verläuft das Interesse häufig buchstäblich im Sande, auch weil es nicht leicht vorstellbar ist, wie denn eine Lösung aussehen könnte.
Dennoch sage ich auch: Die Staatengemeinschaft muß sich endlich aufraffen, umfassendere Lösungen nachdrücklich auf den Weg zu bringen, ernsthafte Anstrengungen zu unterstützen, ein dauerhaftes friedliches Zusammenleben in der Region zu fördern. Ein wichtiger Schritt dazu ist in der Tat der Resolutionsentwurf, der im Weltsicherheitsrat eingebracht wird und den die Bundesregierung maßgeblich erarbeitet hat. In diesem Resolutionsentwurf sind eine ganze Reihe von jetzt notwendigen Maßnahmen, aber auch von langfristigen Lösungsansätzen enthalten.
Dr. Irmgard Schwaetzer
Ich möchte noch ein paar Worte dazu sagen, was man im Kopf haben muß, wenn es darum geht, mittel- und langfristig zu denken. Das Wichtigste scheint mir zu sein, daß dieser Konflikt eine ganze Reihe unterschiedlicher Ebenen hat. Er hat wirtschaftliche Ursachen, die zum Teil darin liegen, daß die Region überbevölkert ist. Eine weitere Ursache sind die dort herrschenden Diktaturen und die stattfindenden Völkermorde. Der Konflikt hat aber auch ethnische Grundlagen. Die Ursachen dürfen wir nicht nur kurzsichtig betrachten.
Natürlich ist es nicht akzeptabel, daß Minderheiten Mehrheiten terrorisieren. Dennoch ist auch hier eine kurzsichtige Betrachtungsweise nicht ausreichend. Die Grundlagen reichen weit in die Geschichte zurück. Der aktuelle Auslöser der jetzigen katastrophalen Situation war die Vertreibung der Banyamulenge, die seit 200 Jahren zwangsweise in Zaire angesiedelt worden sind, obwohl sie nicht daher kommen.
Das macht bereits deutlich, daß es hier um eine Entwicklung geht, die massive Auswirkungen, vielleicht negative Auswirkungen auf die Stabilität der gesamten Region hat. Aber es geht auch um machtpolitische Konflikte, nämlich darum, wer wo seinen Einflußbereich hat und wer wo mit wem zusammenarbeitet.
Insofern, Herr Kollege Verheugen, ist die Frage, wer an wen Waffen liefert, eine ganz entscheidende Frage. Es ist ganz wichtig, dafür zu sorgen, daß diese Waffenlieferungen aufhören.
Da wir nicht ausschließen können, daß sie von politischen Freunden und befreundeten Staaten gemacht werden, ist es um so wichtiger, daß wir alles daransetzen, daß diese Waffenlieferungen aufhören.
Der Ansatz, der heute diskutiert wird und ganz schnell umgesetzt werden muß, beinhaltet die Garantie sicherer Gebiete für die humanitäre Hilfe für Flüchtlinge, die sicheren Korridore, von denen in den letzten Tagen so viel gesprochen worden ist. Darüber hinaus ist es nötig, Garantien für die sichere Rückkehr der Flüchtlinge zu geben.
Frau Kollegin Eid, ich finde es gut, daß Sie Ihre erste, sehr pauschale Aussage relativiert haben. Wie kann die Bundesregierung dafür sorgen, daß Massenmörder in Flüchtlingslagern entwaffnet werden? Daran, daß die Bundesregierung gegenüber der Regierung in Zaire alles getan hat, damit sie ihrer Verpflichtung - sie hatte sich dazu verpflichtet, die Milizionäre zu entwaffnen - nachkommt, gibt es für mich überhaupt keinen Zweifel.
Wir sind uns sicherlich alle einig, daß es möglichst eine Lösung aus der Region geben muß. Ich bin nicht so sicher, ob das möglich sein wird. Selbstverständlich wird die OAU eine entscheidende Rolle spielen. Selbstverständlich muß eine internationale Konferenz, die die Garantien für das friedliche Zusammenleben in der Region definiert, möglichst aus der Region besetzt werden und die Entscheidungen treffen.
Aber bei den eingefahrenen Konflikten, bei den langanhaltenden Auseinandersetzungen scheint es mir notwendig zu sein, daß sich die internationale Staatengemeinschaft nicht im Zusehen erschöpft, sondern aktiv mit Rat und möglicherweise auch mit Tat - ich denke, hier darf nichts ausgeschlossen werden - zur Seite steht.
Zur Prävention weiterer Krisen ist es meines Erachtens in der Tat notwendig, daß sich die OAU zu einer wirksamen Regionalorganisation weiterentwickelt. Wer sonst soll die Verantwortung für die regionale Sicherheit tragen, die Unverletzlichkeit von Grenzen organisieren?
Lassen Sie mich zum Schluß eine Bemerkung machen: Ich finde es sehr bedauerlich, daß auf Grund der aktuellen Notsituation der Blick auf andere Entwicklungen, die sich in Afrika abspielen, verstellt wird. Die weitverbreitete Afrika-Skepsis, die natürlich durch solche Katastrophen immer wieder geschürt wird, könnte sich zu einer „self-fulfilling prophecy" auswachsen, die uns dazu verführt, die Hände tatenlos in den Schoß zu legen, weil Hilfe offensichtlich doch nichts fruchtet.
Lassen Sie uns nicht vergessen, daß es in anderen Ländern eine positivere Entwicklung gibt, daß ein wirtschaftlicher Aufschwung, ein wachsendes Bruttosozialprodukt in einer ganzen Reihe von Ländern, vor allem im südlichen Afrika, zu beobachten ist, daß es mehr und mehr funktionsfähige Demokratien gibt und daß es mehr Stabilität durch Frieden nach innen und außen gibt.
Einen Beitrag zu leisten, daß das in der Region der großen Seen eintritt, ist in der Tat auch unsere Aufgabe.
Danke.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Klaus-Jürgen Hedrich.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich will noch auf eine Bemerkung der Kollegin Dr. Eid eingehen. Sie haben davon gesprochen - ich teile Ihre Auffassung, daß Sie von vornherein den Außenminister und seinen Afrika-Beauftragten ausgenommen haben -, daß es Mitglieder der Bundesregierung gibt, die Informationen unserer diplomatischen Vertretung aus dem Raum der großen Seen augenzwinkernd zur Seite legen. Da neben dem Auswärtigen Amt der andere große Player der Bundesregierung das BMZ ist, möchte ich gerne bei Ihnen nachfragen,
Klaus-Jürgen Hedrich
ob Sie davon ausgehen, daß möglicherweise von diesem Ministerium Informationen augenzwinkernd zur Seite gelegt werden. Ich hoffe, Sie haben das nicht gemeint; aber das würde ich gerne bestätigt haben. Vielleicht nennen Sie gegebenenfalls den- oder diejenigen in der Bundesregierung, von denen Sie das vermuten.
Zweite Bemerkung. Wir müssen uns darüber verständigen, was wir wirklich wollen. Die einen, wie Sie gerade, fordern die Einstellung der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit mit Zaire, die anderen fordern die Einstellung der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit mit Burundi und mit Ruanda. Beides ist Parteinahme, und ich weiß nicht, ob das wirklich sinnvoll ist. Denn ich erinnere mich an Diskussionen im Fachausschuß, wo von allen politischen Kräften zum Beispiel die deutsche Entwicklungshilfe zum Wiederaufbau des Ost-Kivu-Naturschutzparks ausdrücklich begrüßt worden ist. Auch bei einer Diskussion gestern im Fachausschuß ist von allen politischen Kräften die Fortsetzung dieser Zusammenarbeit begrüßt worden. Man sollte also hier nicht deren Einstellung fordern.
Der dritte Punkt: Herr Kollege Verheugen, ich hatte im letzten Herbst dummerweise die Gelegenheit, mit Herrn Mobutu zusammenzutreffen. Es ist so, daß ich es übrigens für richtig gehalten habe, daß frühere Kollegen des Deutschen Bundestages Anstrengungen unternommen haben, die beiden wichtigsten machtpolitischen Player, nämlich Herrn Mobutu und Herrn Museveni, an einen Tisch zu bringen, um so zu einer friedlichen Lösung in der Region beizutragen. Ob wir wollen oder nicht: Wir brauchen für eine friedliche Lösung Herrn Mobutu, Herrn Museveni und die anderen Beteiligten. Man muß mit den Leuten reden, das ist unvermeidbar.
Letzter Punkt. Ich glaube - der Außenminister sagt vielleicht auch noch etwas dazu -, wir haben bis heute immer noch nicht gemeinsam den Mut gefunden, bestimmte Dinge beim Namen zu nennen. Wir erhalten immer noch die Fiktion aufrecht, als könnten alle Flüchtlinge wirklich nach Ruanda zurück. Ich bin der festen Überzeugung, daß das nicht möglich sein wird. Das wiederum bedeutet allerdings, daß wir die Mitwirkung aller Nachbarn von Ruanda und Burundi brauchen, um zu einer friedlichen Lösung in dieser Region zu kommen.
Ein Hinweis noch: Wenn wir den Meldungen bestimmter Institutionen in Deutschland und anderswo glauben dürfen, dann ist gerade Nairobi ein ganz entscheidender Waffenumschlagplatz.
Frau Kollegin Dr. Eid.
Herr Staatssekretär, Herr Kollege Hedrich, ich habe gesagt, daß ich gegen eine entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit Zaire bin, die das Regime Mobutus stärkt. Ich habe nicht gesagt, daß wir jegliche Zusammenarbeit unterbinden sollten; denn ich war selber in Goma, ich habe gesehen, wie zum Beispiel die GTZ in den Flüchtlingslagern energiesparende Ofen
zu verbreiten versucht, um zu erreichen, daß man dort nicht soviel Holz abschlägt.
Das Problem ist, wie man den Wald dort schützen kann. Die Berggorillas sind dort schon bedroht. Man muß dieses Gebiet schützen, damit diese Tiere überleben können. Ich habe auch schon aus Ihrer Fraktion die Frage gestellt bekommen, ob mir die Tiere wichtiger seien als die Menschen. Da ist man in einem Dilemma, aber wenn die Flüchtlingslager jetzt nicht mehr existieren, muß man dafür sorgen, daß man mit Hilfe der GTZ Wiederaufforstungsmaßnahmen oder ähnliches durchführt.
Damit es klar ist: Ich habe sehr wohl differenziert.
Nun können Sie, Herr Kollege Hedrich, von mir nicht erwarten, daß ich hier Namen nenne. Das möchte ich ungern tun. Es besteht aber kein Zweifel, daß es Mitglieder der Bundesregierung gibt, die aus dem einen oder anderen Grund das, was heute aus Kigali kommt, nicht ernst nehmen. Ich habe nicht unbedingt auf Ihr Haus geschaut. Vielmehr habe ich das Auswärtige Amt im Sinne gehabt.
- Nein.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Winfried Wolf, PDS.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Womit wir es heute in Zaire und dort im Kriegs- und jetzt Waffenstillstandsgebiet von Kivu zu tun haben, ist tatsächlich kein regionaler Konflikt. Es ist ein internationaler - nicht allein wegen der schlimmen Tatsache, daß der Generalsekretär von Amnesty International soeben bekanntgeben mußte, im Krisengebiet seien große Mengen an Waffen aus Deutschland, Belgien, China, Frankreich, Südafrika und den USA aufgefunden worden. Es ist vor allem die Geschichte, die dieses Morden zu einem erheblichen Teil als ein Importprodukt des Kolonialismus ausweist. Ich habe einigen Respekt vor den Fachkenntnissen von Herrn Alois Graf von Waldburg-Zeil und Herrn Verheugen. Auf diesen Aspekt ist leider nicht eingegangen worden. Frau Eid hat das Thema gestreift.
Zu Recht wird heute betont, daß die in dieser Region bis vor kurzem von Vertreibung bedrohten Banyaruanda, die Hutu und Tutsi einschließen - letzteres sind die Banyamulenge -, seit mindestens 200 Jahren in dem Gebiet des heutigen Zaire siedeln. Es muß hinzugefügt werden: Vor der Kolonialisierung Zentralafrikas durch Belgien Ende des 19. Jahrhunderts war Nord-Kivu Teil des Königreiches Ruanda. Deshalb siedelten dort die beiden für Ruanda traditionellen Kasten der Tutsi und der Hutu.
Die Kolonialmacht scherte sich wenig um ethnische Gruppierungen, so daß die Banyaruanda Teil
Dr. Winfried Wolf
von Belgisch-Kongo und nach der Unabhängigkeit des Landes 1960 Teil von Zaire wurden. In der Folgezeit kam es wiederholt zu ethnischen Spannungen, unter anderem, als 1981 das Parlament in Kinshasa per Gesetz die Banyaruanda wichtiger Bürgerrechte beraubte.
Nach dem Völkermord in Ruanda im Jahr 1994 und dem Sturz des dortigen überwiegend von Hutu getragenen Regimes flüchteten bis zu 1,1 Millionen Hutu aus Ruanda, viele von ihnen nach Zaire in das Banyaruanda-Gebiet. Die zairische Armee verbündete sich mit den Hutu-Milizen. Es begann eine Politik der „ethnischen Säuberung", die sich insbesondere gegen die Banyaruanda-Tutsi richtete. Das Ziel der Pogrome gegen die zairischen Tutsi war Teil des Gesamtplanes ruandischer Kontras, unterstützt von Zaire, von Frankreich und den USA, hier einen reinen Hutu-Stützpunkt zu schaffen, die Ausgangsbasis für einen neuen Einfall in Ruanda. Erst jetzt - Herr Verheugen hat hier recht -, als sich die Banyamulenge bewaffneten, erst jetzt, als diese Tutsi die zairische Armee aus der Region warfen, erst jetzt, wo - zum Glück - die Gefahr besteht, daß das Mobutu-Regime in Zaire zusammenstürzt, erst jetzt ist das Thema Kivu ganz obenauf in die Schlagzeilen gerückt.
Zu fragen ist - dies im Sinne von Frau Eid -: Wo blieben die internationalen Proteste, als das Parlament in Kinshasa am 28. April 1995 ein Gesetz verabschiedete, in dem die Banyaruanda und die Banyamulenge als „Immigranten" bezeichnet wurden, die „die zairische Nationalität auf betrügerische Weise erworben haben"? Wo blieben die Proteste, als 1995 der Distriktkommissar von Uvira eine Inventur des gesamten Eigentums der Banyamulenge befahl, worauf Vertreibungen dieser Ethnie aus ihren Wohnungen und ihre Deportation nach Ruanda alltäglich wurden? Wo blieben die internationalen Proteste, als am 8. Oktober dieses Jahres der Gouverneur von Süd-Kivu dekretierte, daß alle Banyamulenge innerhalb einer Woche in provisorische Lager umgesiedelt werden müßten?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in dem Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und F.D.P. steht, soweit ich das erkennen kann, nichts Falsches.
Ich füge nur als Fußnote an, daß wieder das kleinkariert-undemokratische Spiel - auch von Ihnen, Herr Voigt - betrieben wird, die PDS nicht einmal zu fragen, ob sie einen solchen Antrag mittragen will, geschweige denn, wie üblich in Demokratien, ob sie an der Ausarbeitung eines solchen Antrags teilnehmen will.
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Interessant ist allerdings, was nicht in dem Antrag steht und was seine Unterstützung durch CDU/CSU und F.D.P. zu einer heuchlerischen Angelegenheit macht: Es ist diese Bundesregierung selbst und es sind die sie tragenden Parteien CDU/CSU und F.D.P.,
die das mörderische Mobutu-Regime, den wesentlichen Verursacher dieses neuen Völkermordes, zumindest bis heute gestützt haben. Es ist diese Bundesregierung, die im Jahr 1996 aus Steuergeldern 20 Millionen DM Entwicklungshilfe an Zaire zahlt, Geld, das zumindest - Frau Eid, da stimme ich Ihnen zu - zum Teil das Überleben des Regimes von Mobutu,
eines Schlächters und Räubers, dessen zusammengerafftes Privatvermögen auf 5 Milliarden US-Dollar taxiert wird, sichert.
Es läßt sich sagen: All das verwundert kaum, hat doch der Außenminister dieser Regierung - er spricht nach mir und kann darauf eingehen - soeben in der Mongolei erklärt, Dschingis Khan habe - ich zitiere - „die Kulturen des Fernen Ostens und des Abendlandes erstmals zusammengeführt".
Richtig ist: Mobutu wurde an Grausamkeit von wenigen, wohl aber von Dschingis Khan übertroffen. Insofern ist die Außenpolitik dieser Bundesregierung in bezug auf die in der Mongolei gesprochenen Worte und in bezug auf die Entwicklungshilfe für Mobutu in Taten tatsächlich aus einem Guß.
Wir sollten die Resolution annehmen und nicht verschweigen, daß diese Regierung und der Westen erhebliche Mitschuld an dieser neuen afrikanischen Tragödie haben.
Das Wort hat der Bundesminister Dr. Klaus Kinkel.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist richtig, daß der uns benachbarte afrikanische Kontinent, der etwas über 20 Prozent der Erdoberfläche bedeckt, über 800 Millionen Menschen beheimatet und dessen 40 Länder südlich der Sahara nach wie vor dasselbe Bruttosozialprodukt wie Belgien haben, leider nicht im absoluten Mittelpunkt des Interesses der Weltöffentlichkeit steht. Warum das so ist, wissen wir. Es hat keinen Sinn, es bei dieser Debatte noch einmal ausführlich aufzuzählen.
An Sie, Frau Eid und Herr Verheugen, wende ich mich besonders: Sie waren in Ihrer Stellungnahme , fair, weil Sie auch etwas von der Materie verstehen. Aber Sie wissen genau, daß es nicht stimmt, daß wir uns als Bundesregierung um diesen Kontinent nur im Sinne eines Krisenmanagements gekümmert haben. Wir haben uns sogar sehr - ich persönlich mit besonderem Engagement, und zwar nicht nur seit meiner Zeit als Außenminister, sondern auch vorher - um diesen Kontinent gekümmert. Frau Eid, Sie und andere waren selber dabei: Ich bin jetzt über Jahre hinweg immer wieder in diesen Kontinent gereist. Wir waren zusammen in dieser Krisenregion, und ich
Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
bilde mir ein, daß ich ein bißchen von Afrika, von dieser Region verstehe.
Wenn Sie sich einfach die Zahlen anschauen, stellen Sie fest, daß wir 1996 an Entwicklungshilfe für die Subsahararegion 1 Milliarde DM vorgesehen haben. Das sind 28,8 Prozent der gesamten deutschen Entwicklungshilfe. Wenn ich die Jahre zurückverfolge und es insgesamt auf unsere Ausgaben projiziere, kann ich behaupten, daß wir uns gerade um den afrikanischen Kontinent wahrhaftig gekümmert haben.
Herr Verheugen, Sie haben etwas Richtiges gesagt: Wir haben uns alle unendlich bemüht. Sie haben damals meinen Aufschrei nach unseren gemeinsamen Erfahrungen in der Region miterlebt, als wir im Flüchtlingslager Benako mit 500 000 Menschen waren und dann nach Ruanda in das Gefängnis von Kigali herübergefahren sind, das für 750 Menschen vorgesehen war und in dem sich, als wir es besichtigten, 10 500 befanden, so daß auf einem Quadratmeter sechs Personen inhaftiert waren.
Wir haben uns bemüht, aber es trotz großer Bemühungen und unzähliger Reisen meiner Mitarbeiter, die ich alle - nicht nur Herrn Ganns - in Schutz nehmen möchte, und ebenso derer des Entwicklungshilfeministeriums nicht geschafft.
Ich habe keinerlei Probleme, das hier zu sagen, weil ich sicher bin, daß auch ein weitergehendes Engagement, auch durch andere Personen, die sich ja auch bemüht haben, nicht sehr viel in Richtung auf das, was wir uns alle erhofft haben, hätte erreichen können - leider.
Nun spielt sich im Augenblick im Osten Zaires eine Tragödie ab. Etwa 1,3 Millionen Flüchtlinge aus Ruanda und Burundi und zahllose vor den Kampfhandlungen und dem Chaos fliehende Zairer sind in schlimmster Not und - das muß man klar sagen - fürchten um ihr Leben. Es gibt kaum noch Vorräte; Hunger, Krankheiten und Seuchen drohen. Das Allerschlimmste ist - das muß ich hier deutlich und klar sagen -:
Wir wissen nicht einmal genau, wo die Flüchtlinge sind. Ich habe mir in den letzten Tagen viel Mühe gegeben, aber wir wissen es nicht. Niemand weiß es im Augenblick. Selbst durch Satellitenaufnahmen und manches andere war und ist es nicht genau feststellbar. Das muß man dann auch deutlich sagen, gerade wenn man sich viel Mühe gegeben hat.
Die meisten Angehörigen der Hilfsorganisationen sind weg. War ihnen zuzumuten, zu bleiben? Ich sage nein; in der Situation nicht, weil ich sie mir aus eigener Erfahrung dort unten vorstellen kann. Die Rebellen - im Süd-Kivu vor allem die seit zwei Jahrhunderten in Zaire ansässigen Banyamulenge-Tutsis - kontrollieren wohl die Situation einschließlich - das ist das Allerschlimmste - der Flughäfen Goma und Bukavu.
Nun scheint der einseitig erklärte Waffenstillstand zu halten. Ich betone: scheint. Natürlich ist das nicht die Lösung des Problems; das weiß ich sehr genau. Wir haben gedrängt und drängen auf diese dringend notwendige Konferenz der großen Seen. Ich habe Mandela persönlich zweimal in diesem Jahr zu überzeugen versucht, er solle sich selber einschalten. Ich habe es heute mittag zwei Stunden lang mit Herrn Mbeki getan und ihn gebeten, eine Konferenz einzuberufen, über die Konferenz in Kenia hinaus.
Ich kann Ihnen nur sagen: Jetzt geht es trotz allem zunächst einmal darum, den Flüchtlingen zu helfen, damit wir eine ähnliche Katastrophe, wie die, die wir hatten, hoffentlich verhindern. Die Zeit läuft uns davon. Trotzdem müssen wir versuchen, diese Tragödie aufzuhalten.
Es ist schon erwähnt worden, das hat natürlich über die Flüchtlingsfrage hinaus eine besorgniserregende politische Dimension. Wenn das in Zaire schiefgeht, dann ist das nicht nur Zaire, dann ist das nicht nur die Region der großen Seen, dann ist das ein bißchen mehr.
Diejenigen, die heute hier gesprochen haben - mit einer Ausnahme - verstehen ja offensichtlich auch etwas von der Situation. Ich billige auch all denen, die sich engagieren - ich bedanke mich übrigens für das Engagement -, zu, daß sie kritisieren. Wer sich engagiert - gerade in Afrika -, hat auch das Recht zu kritisieren. Aber bei größtem Engagement muß eben auch gesehen werden, was geht und was nicht geht.
Nach dem Weggang der Hilfsorganisationen und angesichts der unsicheren Lage vor Ort ist es derzeit praktisch unmöglich, Hilfe an die Menschen heranzubringen. Die Flughäfen sind zu, die Flüchtlinge sind abgeschnitten.
Alle Beteiligten, voran die Konfliktparteien, aber auch vor allem OAU, Vereinte Nationen, Europäische Union, bemühen sich. Was kann man überhaupt tun? Wir haben uns gestern ausführlich im Kabinett nach einem Vortrag von mir mit der Materie beschäftigt, ausführlich über alle Möglichkeiten nachgedacht. Natürlich sind wir darauf vorbereitet, daß wir humanitär helfen. Das ist nicht ein Problem des Geldes, es ist auch nicht das Problem der Lebensmittel. Es steht alles bereit, überall. Es ist das Problem, daß man es nicht an die Menschen heranbringen kann, weil wir eben keine Korridore haben, weil wir keine freien Flughäfen haben und weil wir im Augenblick nicht die Chance haben, diese Lebensmittel durchzubringen. Das kann alles anlaufen. Ich sage es noch einmal: An Geld, Lebensmitteln und sonstigem fehlt es nicht, wenn wir nur die Chance haben, es an die Menschen heranzubringen.
Wir haben immerhin seit 1994 humanitäre Hilfe in Höhe von 322 Millionen DM geleistet. Dazu kommen unwahrscheinlich hohe Beiträge der Nichtregierungsorganisationen. Frau Kollegin, da hat eine Sitzung stattgefunden. Wir versuchen, das zu koordinieren. Wir haben dem UNHCR weitere 2,5 Millionen DM zur Verfügung gestellt, dem DRK eine halbe Million DM, der Caritas 100 000 DM für humanitäre Sofortmaßnahmen. Daran liegt es nicht.
Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
Es ist vorgesehen, 5,2 Millionen DM zur Trinkwasserversorgung zur Verfügung zu stellen. Die EU wird alles mögliche tun. Heute treffen sich die 15 EU-Entwicklungshilfeminister. Aber jetzt müssen wir erst einmal sehen, wie wir tatsächlich die Menschen vor Ort erreichen. Darauf konzentrieren wir uns im Sicherheitsrat, in der EU, bei den Kontakten mit den Staaten der Region und der OAE.
Im Sicherheitsrat wird im Augenblick ein Resolutionsentwurf beraten. Sie wissen, das sind schwerfällige Abläufe. Ich habe selbst eine Sondersitzung beantragt. Die hinzubekommen ist gar nicht so einfach. Wir schlagen erstens in dem, was da kursiert, einen Waffenstillstand vor, der von allen Konfliktparteien akzeptiert und eingehalten werden soll. Ich hoffe, daß zutrifft, was Mobutu einseitig versprochen hat.
Zweitens. Wir brauchen Korridore, wir brauchen ein Freimachen der Flughäfen.
Sie wissen, daß Frankreich einen bestimmten Vorschlag gemacht hat für eine internationale - ich nenne es mal so - Sicherungstruppe. Wer daran teilnimmt, ist absolut offen. Wer willkommen ist oder überhaupt die Chance hat, dort unten teilzunehmen, ist auch offen. Ich brauche Ihnen nicht zu erläutern, wie die Situation aussieht. Da sind einige von draußen im Augenblick sehr wenig willkommen. Sie können nicht von außen bestimmte Truppen aufzwingen.
Der Gipfel in Nairobi hat sich für eine neutrale Streitmacht ausgesprochen. Das wäre natürlich in erster Linie Aufgabe der OAE. Der wollen wir auch helfen, wie wir überhaupt sehen müssen, daß die regionalen Organisationen mehr tun. Die 54 Länder Afrikas müssen mehr für die Lösung afrikanischer Probleme bereitstehen. Wir brauchen natürlich auch - das ist das Ziel, Frau Eid - die Durchführung dieser geplanten Konferenz über Friedenssicherung und Stabilität in der Region.
Ich habe versucht über den EU-Sonderbeauftragten Ajello, über Herrn Chrétien von den Vereinten Nationen und über Boutros Ghali etwas zu erreichen. Ich habe x-mal mit Salin, den ich persönlich gut kenne, telefoniert. Mit dem starken Mann in Ruanda, Herrn Kagame, habe ich in den letzten Tagen mehrfach telefoniert. Ich habe Botschaften an Kengo gesandt. Wir haben alles probiert. Aber bisher ist keinem eine besonders gute Lösung eingefallen. Das muß ich leider sagen.
Die Staatschefs Kenias, Ruandas, Tansanias, Ugandas, Sambias, Äthiopiens, Eritreas und Kameruns haben am Dienstag in Nairobi ihre primäre Verantwortung für die Situation anerkannt. Es wurden Beschlüsse gefaßt, die ein Stück Hoffnung geben. Das anfänglich zögerliche Ruanda, das in diesem Konflikt eine große Verantwortung trägt - Frau Eid, da haben Sie recht -, hat auf Grund unseres Drucks an der Konferenz teilgenommen.
Ich habe mir oft überlegt, ob wir mit unseren Möglichkeiten der Einwirkung versuchen sollten, selbst an dieser Konferenz teilzunehmen. Wir haben uns dies sehr genau überlegt, aber es bringt nichts, „for show" etwas zu zeigen, was eventuell zu einer Luftnummer führen könnte. Das hat keinen Sinn. Wir lassen dies und probieren lieber, mit den Möglichkeiten, die wir haben, zu Rande zu kommen.
Ich werde morgen mit dem ruandischen Außenminister reden. Heute morgen habe ich mit dem Präsidenten von Mali gesprochen. Ich sagte vorhin bereits, daß ich heute mittag zwei Stunden mit Mbeki geredet habe. Dabei ist mir klargeworden, daß ein rein afrikanisches Vorgehen, von dem wir meinten, es könne die Lösung bringen, wahrscheinlich nicht funktionieren wird. Wenn man sich die Querverbindungen in der Region ansieht, die Verfeindungen, die ethnischen Konflikte und alles, was mit Waffenlieferungen zusammenhängt, dann fürchte ich leider, daß es eine rein afrikanische Lösung nicht geben kann.
So kann es also nicht weitergehen. Was können wir tun? Die Lage hat sich auch in Burundi - die Situation in Burundi ist ebenfalls Gegenstand dieser verbundenen Debatte - nicht verbessert. Die Nationalversammlung hat zwar dort die Arbeit mit gewissen Einschränkungen wieder aufgenommen; die politischen Parteien haben, wenn auch in beschränktem Maße, ihre Betätigungsmöglichkeiten zurückerlangt. Aber dies reicht nicht aus. Wir haben uns noch einmal mit Nyerere in Verbindung gesetzt, der gerade bei uns war. Ich sage offen: Mandela einzubeziehen ist mir auch beim zweitenmal nicht gelungen.
Wir sind uns einig, daß wir den Druck auf die Machthaber in Bujumbura aufrechterhalten müssen, bis es Verhandlungen mit allen, die an diesem Konflikt beteiligt sind, gibt.
Wir erleben erneut im Herzen Afrikas ein großes menschliches und politisches Drama. Wir müssen aber auch so ehrlich sein, zu sagen, daß es trotz aller Bemühungen wahnsinnig schwierig ist, dort zu helfen. Ich bin sehr dankbar für jede Anregung - zum Teil sind auch Anregungen aus den Reihen des Bundestages gekommen - und offen für jeden Vorschlag. Wir werden alles tun, um zu helfen. Es darf um Gottes willen hier bei uns nicht zur Gleichgültigkeit kommen. Das wäre das Allerschlimmste.
Licht- und Schattenseiten des afrikanischen Kontinents liegen sehr eng beieinander. Es ist zu Recht gesagt worden, daß es viele Lichtseiten gibt: zum Beispiel die Entwicklung der Demokratie und freie Wahlen. Trotz dieser positiven Entwicklungen bleibt das Faktum, daß dieser afrikanische Kontinent, übrigens zusammen mit dem Transkaukasus, die größte Krisenregion der Welt darstellt. Nach dem Wegfall der Ost-West-Auseinandersetzungen müssen wir damit leben und uns weiter um eine Lösung bemühen.
Ich weiß, daß zu diesem Thema im Bundestag Einigkeit herrscht. Die große Spendenbereitschaft der Bundesbürger ist übrigens erstaunlich. Das zeigt, daß die Menschen hier verstanden haben, daß wir nicht allein auf der Welt leben.
Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
Es ist gerade für Deutschland nach der Wiedervereinigung wichtig, daß wir nicht nur eine interessen-, sondern auch eine wertorientierte Außenpolitik betreiben, die sich von moralisch-ethischen Maßstäben leiten läßt. Wir werden uns als Bundesregierung weiter bemühen, und ich bitte Sie sehr herzlich, uns dabei zu unterstützen. Erwarten Sie aber nicht zuviel! Ich habe Sorge, daß die Bilder, die wir jetzt jeden Abend im Fernsehen sehen, und die Nachrichten, die wir jeden Tag hören, dazu führen, daß wieder vorschnell Urteile über eine Region gefällt werden, von der man etwas verstehen muß, bevor man über sie ernsthaft reden kann.
Ich danke Ihnen für die bisherige Unterstützung und bitte Sie, daß wir bei dem, was jetzt auf uns zukommt, ausnahmsweise gemeinsam versuchen, zu Lösungen zu kommen, ohne daß wir uns gegenseitig Vorwürfe machen.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Werner Schuster, SPD.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Sie entsinnen sich wahrscheinlich alle noch an einen Film mit James Dean in den 60er Jahren: „Denn sie wissen nicht, was sie tun". Damals wurde unverantwortliches Handeln mit Nichtwissen entschuldigt. Ich befürchte angesichts der Katastrophe in der Region der großen Seen, daß in fünf, spätestens in zehn Jahren die Historiker sagen werden: Denn sie taten nicht, was sie wußten. „Sie", das sind wir, die Deutschen, die Europäer, die internationale Gemeinschaft. Ich kann Herrn Verheugen und Frau Eid nur unterstützen: Wir alle wußten es. Das war vorhersehbar, und es gab genügend Vorschläge. Aber offensichtlich fällt es der offiziellen praktischen Politik schwer zu lernen.
Frau Augustin, wir waren 1992 zusammen in Angola; ich darf noch einmal daran erinnern. Wir kamen wieder mit der Botschaft: Wir haben nur eine Chance, wenn wir UNAVEM aufstocken, damit die Demobilisierung funktioniert. Sie, Frau Augustin, haben damals auf Ihren Wegen versucht, das zu erreichen. Wir haben es nicht getan; die Konsequenzen haben wir alle erlebt.
Das gleiche, Herr Ruck, passierte 1993, als wir in Ruanda waren. Wir kamen wieder mit der Botschaft: Es gibt eine Friedensmöglichkeit. Wir brauchen 4 000 UNO-Soldaten. Das kostet 30 Millionen DM. Wir hatten sie nicht; das Ergebnis ist uns allen bekannt.
Meine Damen und Herren, wir haben alle gewußt, daß in Zaire das Übergangsparlament 1995 einstimmig beschlossen hat: Die Flüchtlinge müssen bis Ende 1995 das Land verlassen, damit keine Katastrophe passiert. Aber Prävention in der praktischen Politik ist und bleibt offensichtlich ein Fremdwort.
Viele von uns waren häufig unten, ob Frau Eid, Herr Tappe, Frau Brudlewsky, Frau Schwaetzer oder Herr Graf von Waldburg-Zeil. Wir haben gut vorbereitete Reisen gemacht und diese dank der Unterstützung der beiden Ministerien - ausdrücklich Dank, Herr Minister Kinkel - auch gut nachbereitet. Wir haben konkrete Vorschläge gemacht, aber leider ist wenig, zu wenig passiert.
Seien Sie mir nicht böse: Ich kann und will als Person diese Art von Politik nicht mehr ertragen.
Im entscheidenden Moment scheint uns der Gestaltungswille zu fehlen. Wir beschränken uns auf Betroffenheit über die Berichterstattung und auf das Zuschauen.
Wir haben heute wieder zwei Anträge mit sehr substantiellen Forderungen, die wir einstimmig verabschieden werden und zu denen ich nichts mehr sagen werde, weil den Ausführungen von Graf von Waldburg-Zeil, Frau Eid und meinem Vorredner nichts hinzuzufügen ist.
Aber wir sollten uns angesichts dieser Katastrophe wirklich die Frage stellen: Was haben wir eigentlich in der Vergangenheit unterlassen bzw. was müssen wir in Zukunft anders machen? Dafür habe ich sechs Punkte.
Erstens. Konfliktprävention darf kein Fremdwort bleiben. Das meint: Aufbau von Zivilgesellschaft. Was das praktisch in der Region meint, hat zum Beispiel mein Kollege Graf von Waldburg-Zeil ausgeführt. Das ist eine typische Aufgabe des BMZ, Herr Staatssekretär. Und was tun wir? Wir kürzen den Einzelplan 23, oder wir bezahlen die U-Bahn in Schanghai. Setzen wir eigentlich wirklich die richtigen Prioritäten?
Zweitens. Für die humanitäre Hilfe hat unsere Fraktion in der letzten Legislaturperiode - mein Kollege Hans Wallow federführend - vorgeschlagen, ein Katastrophenhilfswerk aufzubauen. Wer koordiniert denn, wenn der Zugang geregelt wäre, in Zukunft die humanitäre Hilfe?
Drittens. Herr Minister, zur Frage der Vermittlerrolle: Deutschland - das wissen Sie - genießt in Afrika aus Gründen, die wir nicht primär als unsere eigene Leistung darstellen dürfen, großes Ansehen.
Frau Schwaetzer, wir werden immer wieder gefragt, warum sich Deutschland nicht engagiert. Für die betroffenen Völker befindet sich Deutschland in einer anderen Situation als Frankreich, Großbritannien oder die Vereinigten Staaten. Man muß nicht selber als Vermittler auftreten; aber man sollte wenigstens als Impulsgeber für Runde Tische in Erscheinung treten. Dies wäre für Dialoge vor Ort wichtig.
Sie, Herr Minister Kinkel, lehnen das konsequent ab, werben aber andererseits vehement für die Rolle Deutschlands in der Welt. Setzen wir wirklich die richtigen Prioritäten?
Dr. R. Werner Schuster
Viertens das Waffenembargo oder, besser gesagt, das Embargo gegen Munitionslieferungen, denn Waffen gibt es genug. Mit Grauen verfolgen wir am Fernsehen das Morden. Warum fragen wir nicht, woher die Waffen kommen? Es gibt schon lange genügend Hinweise darauf, daß es die internationale Gemeinschaft ist und es nicht irgendwelche anonymen Personen sind, die hier ihre Hände im Spiel haben.
Heute ist der UNO-Bericht bekanntgeworden. Wer bezahlt eigentlich die Waffen? Bekommen die Regierungen in Ruanda und Uganda eigentlich keine Entwicklungshilfe von uns? Wollen wir die richtigen Fragen nicht stellen, oder wollen wir schlicht die Antworten nicht wissen?
Fünftens ein Regionalkonzept. Herr Ruck, als wir 1993 bei Herrn Habyarimana waren, hat er uns schon damals vorgeschlagen - wir haben zugegebenermaßen damals alle etwas über seinen Vorschlag gelächelt -, daß die internationale Gemeinschaft für die Einbeziehung von Tansania und Zaire bezahlen sollte, um den Bevölkerungsdruck in Ruanda und Burundi abzumildern. Herr Schmidt, Sie waren dabei.
Frau Eid und Herr Tappe, als wir 1995 aus Ruanda und Burundi zurückkamen, war uns allen klar, daß der Konflikt nur regional lösbar ist. Sie, Herr Tappe, haben immer formuliert: Der Schlüssel für die Lösung liegt in Kinshasa und in Kampala.
Frau Eid, in diesem Zusammenhang sage ich einen Satz zu dem Besuch von Herrn Mobutu in Bad Kreuznach. Zwei sehr angesehene ehemalige Mitglieder dieses Hauses haben auf private Initiative hin genau das gemacht, was wir drei vorgeschlagen haben: informelle Dialoge führen. Dies hat mit internationaler Aufwertung doch nichts zu tun. Das einzige, was wir alle bedauern, ist, daß das damals durch die Zeitungen gegangen ist. Denn wer vermitteln möchte, muß sich möglichst von Fernsehen und Mikrophonen fernhalten.
Meine Damen und Herren, wo blieb eigentlich die systematische Unterstützung von Herrn Nyerere? Wo bleiben strategisch abgestimmte - nicht nur abgestimmt zwischen Ihrem Haus und dem BMZ, sondern auch abgestimmt auf der Ebene der Europäischen Union oder gar der UNO - Länderkonzepte für die Region der großen Seen?
Sechstens: Warum nutzen wir eigentlich nicht die Strategie von „Zuckerbrot und Peitsche" oder „sticks and carrots"? Alle beteiligten Politiker aus der Region, ob aus Zaire, Burundi, Ruanda, Uganda, Kenia oder Tansania, wissen: Eine Entwicklung in ihrem eigenen Land gibt es nur dann, wenn sie die internationale Gemeinschaft weiterhin in erheblichem Umfang unterstützt. Warum nutzen wir das nicht? Da schließe ich ein: den Internationalen Währungsfonds, die Weltbank, das Lomé-Abkommen und unsere bilaterale Hilfe. Wo bleiben die abgestimmten Konzepte für eine Doppelstrategie zwischen Außen- und Entwicklungspolitik?
Herr Minister, um Mißverständnissen vorzubeugen: Die archaischen Konflikte in Afrika können nur die Afrikaner selber lösen. Wir, die internationale Gemeinschaft, haben genügend Möglichkeiten, Dialoge
zu fördern oder zu blockieren. Das Wichtigste in dieser Angelegenheit wäre, zu klären, welche Eigeninteressen die europäischen Staaten eigentlich verfolgen. Solange darüber der Mantel der Nächstenliebe oder der Europäischen Union gedeckt wird, so lange haben wir keine ernsthafte Chance, den Menschen bei der Lösung ihrer schwierigen Probleme zu helfen.
Zum Schluß: Die Stiftung Wissenschaft und Politik hat in diesem Jahr ein bemerkenswertes Papier veröffentlicht. Sie hat nach den deutschen Interessen in Subsahara-Afrika gefragt. Ich bedanke mich für ihren Hinweis. Sie hat formuliert: Wertorientierte Außenpolitik ist besonders hier gefordert.
Meine Damen und Herren, angesichts der wirklichen Katastrophen - in Ruanda sind eine Million Menschen ermordet worden, 1,5 Millionen Menschen sind auf der Flucht; in Burundi sind inzwischen wahrscheinlich eine halbe Million Menschen umgekommen und mindestens eine weitere halbe Million Menschen auf der Flucht, für eine weitere Million Menschen steht die Vernichtung bzw. das Verhungern vorhersehbar vor der Tür - und angesichts unserer eigenen Geschichte sollten wir bedingungslos auch bezüglich der praktischen Taten sagen: Ja, wir wollen eine wertorientierte Außen- und Entwicklungspolitik.
Deswegen zum Schluß meine Bitte: Raus aus der reinen Zuschauerrolle! Lassen Sie uns die Funktion verantwortlich übernehmen, die ich als Arzt mit einem Bild aus der Medizin umschreibe: Geburtshelferfunktionen für eine friedliche Region der großen Seen. Deswegen: Nicht nur beschließen, sondern bitte, Herr Kinkel und Herr Spranger, auch umsetzen! Wir nehmen Ihr Angebot gerne an.
Danke schön.
Das Wort hat der Kollege Dr. Christian Ruck, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben uns in den letzten Tagen und Wochen und auch heute über alle Parteigrenzen hinweg bemüht, nach Möglichkeiten der Hilfe für die notleidende und bedrängte Bevölkerung in Zentralafrika zu suchen.
Schon diese Gemeinsamkeit und die Tatsache, daß wir einen gemeinsamen Antrag verabschieden, sind ein wichtiges Signal, nämlich ein Signal an die Konfliktparteien, daß der Bundestag geschlossen und entschlossen auf internationales Handeln drängt. Ich halte alle Forderungen des gemeinsamen Antrags für vollkommen richtig und wichtig. Das gilt nicht ganz in gleicher Weise für einige Vorwürfe, die insbesondere von Ihnen, Frau Eid, und auch vom Kollegen Schuster auf den Tisch des Hauses gekommen sind.
Aber man muß sich mit diesen Argumenten - vielleicht an anderer Stelle - fundiert auseinandersetzen. Ich kann die Augenzwinkerei, die Sie gesehen haben wollen, Frau Eid, nicht erkennen. Wir hatten ja, Kollege Schuster, eine gemeinsame Reise nach
Dr. Christian Ruck
Ruanda, bevor das Massaker losging. Ich kann mich noch gut erinnern, welche Empfehlungen wir damals gemeinsam ausgesprochen haben und woran es gelegen hat, daß es dann doch zu diesem Ausbruch an Gewalt kam. Es war mit Sicherheit nicht die Politik der Bundesregierung. Vielmehr lagen die Schwierigkeiten ganz woanders.
Nur als Gedächtnisstütze: Die Schwierigkeiten lagen damals vor allem darin, daß es Boutros-Ghali gegen den Widerstand des Sicherheitsrates nicht gelungen ist, das nötige Mandat und die nötigen Menschen für Ruanda zu bekommen. Ich glaube, daß die Bundesregierung und auch der Außenminister in der jetzigen Situation alles tun, um Hilfe zu leisten, so daß es keine Politik des Wegsehens ist.
Aber was uns alle bewegt, ist die Frage, was wir als Deutsche realistischerweise tun können, und zwar nicht nur angesichts der jetzigen Tragödie, die ja ein Flächenbrand zu werden droht, sondern auch angesichts anderer Tragödien, die in Afrika bereits vorhanden sind oder noch auszubrechen drohen.
Ich möchte hervorheben, was einige Redner vor mir schon betont haben: Es kommen natürlich für uns alle zwei Extrempositionen nicht in Frage. Die eine Extremposition ist die massive, auch militärische Intervention von außen -„Intervention von außen" heißt „nicht-afrikanische Intervention"-, die quasi eine ganze Region wieder unter ausländische Kuratel stellt. Ich sehe niemanden, der dazu in der Lage wäre oder der dies - gerade nach den bitteren Erfahrungen in Somalia - wollte. Vor allem glaube ich, daß Lösungen, die von außen aufoktroyiert werden, nur von kurzer Dauer sind, daß es zuallererst afrikanische Lösungen sein müssen. Das heißt aber auf der anderen Seite nicht, daß wir uns einfach zurücklehnen und zuschauen sollten, wie hier vor allem an Unschuldigen mit Waffengewalt Ströme von Blut vergossen werden.
Ich möchte noch einmal daran erinnern, Herr Verheugen - jetzt ist er nicht mehr da -,
daß wir im Gegensatz zu vielen anderen Staaten innerhalb und vor allem außerhalb Europas nie die enge entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit Afrika aufgegeben haben, und zwar trotz der momentan gesunkenen wirtschaftlichen und politischen Bedeutung vieler afrikanischer Länder, und daß es immer eine gute deutsche Tradition war, alle Optionen zu nutzen, den Menschen in Afrika zu helfen und vor allem auch mit den Staatsmännern zusammenzuarbeiten, die guten Willens sind.
Die Frage ist: Was tun wir jetzt über die Rhetorik hinaus? Was sind unsere Optionen? Ich antworte mit sechs Punkten - genau wie mein Vorredner; auch diese Punkte, lieber Kollege Schuster, sind nicht alle grundverschieden -:
Erstens. Die diplomatischen Möglichkeiten, die wir haben, wurden bereits angesprochen. Ich möchte auch ein Wort zu unseren Entwicklungsprojekten sagen. Wir haben in fast allen Ländern dieser Krisenregion anerkannte und wertvolle bilaterale Entwicklungsprojekte, deren Fortführung wir natürlich anstreben. Es muß jedoch den sogenannten Staatsmännern, die die augenblickliche Krise verschärfen oder sie mutwillig nicht lösen, klargemacht werden, daß die deutsche Hilfe dann eingestellt wird, wenn es keine entscheidenden Schritte zu einer Krisenbewältigung gibt. Mit diesem Pfund können wir meines Erachtens sehr wohl wuchern.
Zweitens. Die in dem Antrag geforderte aktive Hilfestellung der Staatengemeinschaft bei der Versorgung der Flüchtlinge und der Einrichtung gesicherter Korridore ist nicht nur an andere zu richten. Wir müssen natürlich auch selbst bereit sein, zur Absicherung von Hilfsleistungen, zum Beispiel durch Transportflüge, beizutragen.
Drittens. Ich habe lange Zeit nicht viel von der OAU gehalten. Die jüngsten Äußerungen und Aktivitäten führender afrikanischer Politiker im Rahmen dieser Organisation lassen jedoch die Hoffnung keimen, daß sich die Organisation auf ihre ureigene Verantwortung besinnt. Wenn sich dies bestätigen sollte, ist es für uns natürlich ganz entscheidend wichtig, dieser Organisation logistisch, politisch und auch finanziell zu helfen.
Viertens. Trotz aller Rückschläge ist nach wie vor das Wirken der Vereinten Nationen unerläßlich - sei es bei der Flüchtlingsversorgung, sei es bei der Nach- und Aufbereitung der gewalttätigen Auseinandersetzungen. Ich erinnere an den Strafgerichtshof, der in Tansania eingerichtet wurde, aber nicht so recht zum Laufen kam. Herr Außenminister, auch hier sollten Sie Druck ausüben.
Fünftens. Das Ende des Ost-West-Konflikts scheint nicht nur afrikanische, sondern auch westliche Interessengegensätze zu beleben. Wir müssen deshalb daran erinnern, daß auch manche unserer westlichen Partner und Freunde einen erheblichen Einfluß auf eine friedliche Konfliktbeilegung in Zentralafrika haben.
Sechstens. Die Konflikte in Afrika haben in vielen Ländern oft - nicht nur, aber auch - ihren Grund in Massenarmut, sozialen Schieflagen sowie ökonomischen und politischen Ungerechtigkeiten. Vielerorts ist deshalb die beste Konfliktprävention ein wirtschaftlicher Aufschwung für die breite Masse der Bevölkerung.
Auch die Beantwortung der folgende Frage ist abendfüllend: Haben wir wirklich alle Möglichkeiten einer effizienten Entwicklungszusammenarbeit ausgereizt? - Stichworte sind „Regionalisierung" bzw. „Programme statt Projekte". Eine effiziente Entwicklungszusammenarbeit ist für viele Staaten im Hinblick auf ihre Stabilität ein Wettlauf mit der Zeit. Auch hierbei müssen wir beachten, daß die EU in ihrer Entwicklungspolitik wahrscheinlich noch nicht ganz am Ende ihrer Weisheit ist und daß wir auch mit unseren europäischen Partnern über eine wesentlich bessere und zielgerichtetere europäische Entwicklungszusammenarbeit sprechen müssen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, „Afrika den Afrikanern" hieß ein Leitspruch afrikanischer Politiker zur Überwindung des Kolonialismus. Für
Dr. Christian Ruck
viele Politiker im Westen bedeutet dieser Spruch etwas ganz anderes, nämlich Afrika seinem Schicksal zu überlassen.
Wir sollten den Menschen in Afrika in dieser Bundestagsdebatte versichern, daß wir sie nicht im Stich lassen werden, daß wir aber nur dort helfen können, wo auch die Politiker die Verantwortung für ihr eigenes Volk übernehmen. Dazu ist es meines Erachtens noch ein weiter Weg.
Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des interfraktionellen Antrags zu Burundi auf Drucksache 13/5815 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? -
- Herr Kollege Hörster, wollen Sie gleich abstimmen? Joachim Hörster : Ja.
Ist das übereinstimmende Auffassung hier im Hause?
- In Ordnung.
Dann stelle ich den Antrag zu Burundi auf Drucksache 13/5815 zur Abstimmung. Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Dann kommen wir zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der F.D.P. eingebrachten Antrag zur Lage in Zaire und zur Verhinderung einer humanitären Katastrophe; das ist der Antrag auf Drucksache 13/5981. Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Auch dieser Antrag ist einstimmig angenommen.
Dann rufe ich jetzt die Tagesordnungspunkte 5 a bis e auf:
a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses zu der Unterrichtung durch die Wehrbeauftragte
Jahresbericht 1995
- Drucksachen 13/3900, 13/5400 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Jürgen Augustinowitz Dieter Heistermann
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Angelika Beer, Christian Sterzing und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Fortsetzung der Bundeswehrreduzierung und Verzicht auf Umstrukturierung der Bundeswehr für weltweite Kampfeinsätze
- Drucksachen 13/2499, 13/4122 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Paul Breuer Walter Kolbow
c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Andrea Lederer, Heinrich Graf von Einsiedel, Dr. Willibald Jacob und der weiteren Abgeordneten der PDS
Abschaffung der Wehrpflicht
- Drucksachen 13/580, 13/5661 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Jürgen Augustinowitz Brigitte Schulte
Dieter Heistermann
d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Angelika Beer, Christian Sterzing, Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Abschaffung der Wehrpflicht
- Drucksachen 13/3552, 13/5662 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Jürgen Augustinowitz Brigitte Schulte
Dieter Heistermann
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Manfred Müller , Heinrich Graf von Einsiedel, Gerhard Zwerenz, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS
Abschaffung der Wehrpflicht
- Drucksache 13/4461 -
Herr Kollege Struck, zur Geschäftsordnung? Dr. Peter Struck : Ja.
Bitte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stelle fest, daß wir zu dem Tagesordnungspunkt „Jahresbericht 1995" und der anschließenden Diskussion im Parlament über diesen Bericht der Wehrbeauftragten kommen wollen. Ich stelle weiter fest, daß der Bundesminister der Verteidigung nicht anwesend ist. Ich stelle auch fest, daß sich die Kollegen der CDU/CSU-Fraktion bemühen, den Minister herbeizuholen. Ich beantrage deshalb,
Dr. Peter Struck
die Sitzung des Bundestages so lange zu unterbrechen, bis der Minister anwesend ist, weil ich glaube, daß die Wehrbeauftragte einen Anspruch darauf hat, daß auch der zuständige Minister anwesend ist.
Zur Geschäftsordnung Frau Kollegin Geiger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Mein Minister ist in wichtigen, hochrangigen Haushaltsgesprächen. Er kümmert sich also durchaus um das Wohl der Bundeswehr in einer sehr wichtigen Phase. Er wird aber kommen. Ich bitte Sie, dies zu verstehen. Die Debatte hat sich ja auch sehr stark verschoben, was er nicht voraussehen konnte.
Herr Kollege Hörster.
Herr Präsident, ich bitte, die Sitzung für zehn Minuten zu unterbrechen. Ich hoffe, daß ich dann exakt Auskunft geben kann, wann der Minister hier ist. Dann könnten wir die Debatte durchaus beginnen.
Das scheint mir ein vernünftiger Vorschlag zu sein. Können wir so verfahren? - Dann unterbreche ich die Sitzung für zehn Minuten.
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Der Herr Minister ist anwesend.
Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst der Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, Frau Claire Marienfeld, das Wort.
Claire Marienfeld, Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Resonanz, auf die mein erster Jahresbericht gestoßen ist, zeigt mir, daß die Belange der Soldatinnen und Soldaten in der Bundeswehr ernst genommen werden.
Gleich zu Beginn meiner Ausführungen möchte ich all denen danken, die meine zum Teil kritischen Hinweise aufgenommen haben und die nötigen Folgerungen daraus ziehen. Die Stellungnahme des Bundesministers der Verteidigung zu meinem Bericht läßt das ernsthafte Bemühen erkennen, Fehlentwicklungen zu begegnen.
Äußere Gegebenheiten, wie zum Beispiel Haushaltszwänge oder die gesellschaftliche Bewertung
des soldatischen Dienstes, gehen über die Ressortzuständigkeit des Verteidigungsministeriums hinaus, so daß ich dankbar bin, daß dieser Bericht hier im Plenum beraten wird.
Mein ganz besonderer Dank gilt den Mitgliedern des Verteidigungsausschusses. Sie haben mich - das ist für mich unverzichtbar - von Beginn meiner Amtsperiode an unterstützt und meine Erkenntnisse in ihre Arbeit einbezogen.
Ich möchte an dieser Stelle auch all denen danken, denen meine Fürsorge und meine Sympathie in besonderer Weise gilt: den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr.
Eine Vielzahl persönlicher Kontakte hat mich gelehrt, daß wir ihre Sorgen und Nöte ernst nehmen müssen, wenn wir - und wer möchte dies nicht? - eine unserem freiheitlichen und demokratischen Rechtsstaat verbundene Armee wollen.
Unsere Soldatinnen und Soldaten leisten einen wichtigen Dienst im Interesse des Friedens, der Freiheit und der Menschenrechte und müssen gegebenenfalls auch persönliche Gefahren in Kauf nehmen. Ich würde mich freuen, wenn diese Erkenntnis noch mehr als bisher im Bewußtsein der Öffentlichkeit und damit auch bei allen bedeutsamen gesellschaftlichen Institutionen verankert wäre. Nicht zuletzt der Einsatz deutscher Soldatinnen und Soldaten im ehemaligen Jugoslawien hat bei den gegenüber der Bundeswehr kritisch eingestellten Geistern eine positivere Neubewertung des soldatischen Dienstes bewirkt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete, der Begriff „Jahresbericht" deutet auf Abgeschlossenheit hin. Davon kann aber keine Rede sein. Entwicklungen oder Problembereiche orientieren sich nicht an Jahresdaten. Viele Fragen sind bis heute offen und werden auch wieder im Jahresbericht 1996 angesprochen werden müssen.
In diese Kategorie gehört etwa die Ausgestaltung der sanitätsdienstlichen Versorgung. Auch wenn sie sich zum Dauerthema entwickelt hat, möchte ich nochmals eindringlich auf deren Bedeutung hinweisen. Das große Fehl an Truppenärzten, das durch Abstellungen zu Auslandseinsätzen noch erhöht wurde, sowie die nicht selten unbefriedigende Situation bei Einschaltung von Vertragsärzten sind Probleme, die nicht verharmlost werden dürfen.
In meinem Jahresbericht habe ich unter anderem auch zum Umgangston von Angehörigen des Sanitätsdienstes gegenüber Patienten Ausführungen gemacht. Es freut mich deshalb sehr, daß der Inspekteur des Sanitätswesens der Bundeswehr das zum Anlaß genommen hat, in einem Schreiben an alle Ärzte der Bundeswehr zu appellieren, ihren persönlichen Beitrag zur Verbesserung des Arzt-PatientenVerhältnisses zu leisten und auch auf das Assistenzpersonal in diesem Sinne hinzuwirken.
Wehrbeauftragte Claire Marienfeld
Ich kann hier nicht alle wichtigen Fragestellungen, die in den Bericht Eingang gefunden haben und die auch zukünftig die Bundeswehr beschäftigen werden, ansprechen. Auf einige Punkte möchte ich aber kurz eingehen.
In meinem Jahresbericht 1995 hatte ich darauf hingewiesen, daß Einsparungen im Bereich der Bundeswehr nach meiner Auffassung eine deutlich negative Wirkung auf den inneren Zustand der Streitkräfte hätten. Dies gilt auch heute in Anbetracht der nach Vorlage meines Berichtes aufgetretenen Einsparzwänge um so mehr. Zwar bin ich dem Bundesminister der Verteidigung dafür dankbar, daß er im Bereich Ausbildung und Betrieb keine weiteren Eingriffe vornehmen will;
doch möchte ich darauf hinweisen: Auch Einsparungen im investiven Bereich bleiben nicht ohne Auswirkungen auf die innere Lage der Bundeswehr, auf Motivation und Dienstfreude.
Es geht dabei, bildhaft gesprochen, nicht darum - wie das bei Privatleuten vielleicht der Fall ist -, aus Prestigegründen das neueste Modell eines Personenwagens zu besitzen. Es geht darum - um im Bild zu bleiben -, ein verkehrstüchtiges, einsatzfähiges und sicheres Fahrzeug zu haben. Die Soldaten müssen Vertrauen in das Gerät haben, von dem unter Umständen die Gesundheit und ihr Leben abhängen. Das sind wir ihnen schuldig.
Auch an dem Gerät, der Ausstattung mit Sachen machen die Soldaten fest, welche Wertschätzung und Bedeutung ihnen durch ihren Auftraggeber, das Parlament, zugemessen wird. Es vergeht kaum ein Truppenbesuch, bei dem ich nicht auf entsprechende Mängel hingewiesen werde.
Besonders kritisch wird von den Soldaten gesehen, wenn wegen des Fehlens geringwertiger Ersatzteile Fahrzeuge und Gerät über Monate hinweg nicht einsatzbereit sind. Im übrigen verlangt es unser Verständnis von Innerer Führung, Soldaten nur mit Gerät in einen Einsatz zu schicken, das dem Stand der Technik entspricht.
Erneut weise ich darauf hin, daß für die Verwirklichung des Leitbildes des Staatsbürgers in Uniform politische Bildung und Soldatenbeteiligung von besonderer Bedeutung sind. Die Umsetzung vor Ort ist vielfach nicht so, wie ich mir das wünsche. Ich hoffe, daß die auch in der Stellungnahme des Bundesministers der Verteidigung bestätigten Defizite behoben werden.
Zu meinem Bedauern gibt es auch heute noch in der Bundeswehr Einzelfälle von Verstößen gegen die Menschenwürde und andere schwere Rechtsverstöße. In meinem Bericht habe ich einige krasse Fälle
herausgegriffen. Dienstaufsicht, Vorbild, Ausbildung, Personalauswahl und Zivilcourage bei Kameraden können dazu beitragen, daß so etwas nicht mehr vorkommt.
Gesellschaftliche Entwicklungen reichen oft in die Bundeswehr hinein. Dazu gehört auch leider der Drogenmißbrauch - ein Problem, das von außen in die Streitkräfte hineingetragen wird. Wichtig ist für mich, daß die Truppe mit solchen Phänomenen nicht allein gelassen wird. Ich begrüße daher die Ankündigung des Bundesministers der Verteidigung, zur Unterstützung der Disziplinarvorgesetzten bei der Ausübung ihrer Disziplinargewalt einen Erlaß über Mißbrauch von Betäubungsmitteln vorzubereiten.
- Es geht hier im wesentlichen um Hasch. Das ist auch das Problem.
In den Jahren 1994 und 1995 war die Beförderungssituation insgesamt relativ gut. Inzwischen zeichnet sich eine Normalisierung ab, so daß die in den Vorjahren bei den Soldaten geweckten Hoffnungen teilweise enttäuscht werden müssen. Hierzu ist eine umfassende und rechtzeitige Information des betroffenen Personenkreises besonders wichtig. - Soweit einige Punkte, die ich gern ansprechen wollte.
Meine Damen und Herren, den Schwerpunkt meiner Aktivitäten lege ich auf Truppenbesuche, die ich in der Regel unangemeldet durchführe. Das hat sich außerordentlich bewährt und mir viele persönliche Begegnungen und unmittelbare Einblicke in den soldatischen Alltagsdienst ermöglicht. Ich konnte dabei Vertrauen gewinnen und freue mich über die überwiegend positive Resonanz auf meine häufige Präsenz in der Truppe.
Es dürfte sich mittlerweile herumgesprochen haben, daß es mir nicht darum geht, jemanden an den Pranger zu stellen. Mir geht es vielmehr darum, ein ungeschminktes Bild des Truppenalltags zu erhalten, zu erfahren, wo der Schuh drückt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete, eines ist mir bei meinen Besuchen immer wieder aufgefallen: Der Dienst unserer Grundwehrdienstleistenden ist für die Bundeswehr und ihr inneres Gefüge ein Gewinn, der nicht zu ersetzen ist. Daher begrüße ich ausdrücklich die Maßnahmen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen und zur Steigerung der Attraktivität des Wehrdienstes.
Die Argumente für und gegen die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht sind hinlänglich bekannt, so daß ich sie hier nicht wiederholen möchte. Ich kann Ihnen aber sagen, daß nach meiner Überzeugung, die sich aus vielen Gesprächen mit Vorge-
Wehrbeauftragte Claire Marienfeld
setzten und Grundwehrdienstleistenden ergibt, die jungen Staatsbürger in Uniform unverzichtbar sind für die Konzeption unserer Streitkräfte, die eingebunden sein sollen in Staat und Gesellschaft.
Die jungen Männer aus allen gesellschaftlichen Schichten bereichern unsere Armee und halten sie jung, flexibel und lebendig. Sie bilden auch das Potential für solche Zeit- und Berufssoldaten, wie wir sie für die Umsetzung der Konzeption der inneren Führung brauchen.
Es sollte nachdenklich stimmen, wenn Befürworter einer reinen Berufsarmee ihre Position auf Grund persönlicher Eindrücke von dem Einsatz und der inneren Struktur von Berufsarmeen überdenken.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, trotz mancherlei Probleme verrichten die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr alles in allem motiviert und engagiert ihren Dienst. Die weitreichenden Veränderungen der vergangenen Jahre waren für sie mit einem vielschichtigen Anpassungs- und Veränderungsprozeß verbunden, der oft tiefe Spuren in ihrer persönlichen Lebensplanung hinterlassen hat.
Eine erneute Diskussion um Stationierung bzw. Strukturentscheidungen ist ihnen nicht zuzumuten. Auf der Tagesordnung steht jetzt Planungssicherheit.
Ich darf zum Abschluß insbesondere auch unter Berücksichtigung der gegenwärtigen Diskussion noch einmal deutlich herausstreichen: Ich unterstütze den Bundesminister ausdrücklich in seinem Bemühen, seinen Haushalt auf dem ohnehin schon knappen Niveau zu sichern;
denn ich habe wirklich große Sorgen, daß weitere Kürzungen der Finanzmittel die Qualität und die Quantität von Material und Infrastruktur unvertretbar verschlechtern. Darunter würden zuallererst die Soldaten leiden, ihre Ausbildung und, was am schlimmsten wäre, ihre Sicherheit. Das müssen wir und das müssen Sie sich alle vergegenwärtigen.
Ich danke Ihnen.
Liebe Frau Marienfeld, bevor ich dem ersten Redner dieser Debatte das Wort gebe, möchte ich Ihnen und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Namen des ganzen Hauses für Ihre Arbeit und für die Vorlage des Berichts danken.
Das Wort hat jetzt die Parlamentarische Staatssekretärin Michaela Geiger.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich danke Ihnen, liebe Frau Marienfeld, und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ganz herzlich für Ihre wertvolle Arbeit zum Wohle der Bundeswehrangehörigen. Wir danken Ihnen vor allem auch für die Unterstützung und den Rückhalt, den Sie, Frau Wehrbeauftragte, unseren Soldaten durch Ihr engagiertes Wirken und Ihr klares Bekenntnis zur Bundeswehr geben. Die Würdigung der Leistungen unserer Soldaten durch Sie tut unseren Soldaten sehr, sehr gut.
Ihre Beobachtungen und Erkenntnisse zum Zustand der Bundeswehr in dem vorliegenden Jahresbericht decken sich weitgehend mit dem Lagebild, das sich auch die Hardthöhe macht. In der Mehrzahl der Fälle haben wir darum auch nicht erst nach der Vorlage des Berichtes reagiert, sondern frühzeitig gehandelt, um die Mängel abzustellen und die Rahmenbedingungen des Dienstes zu verbessern.
Der Jahresbericht 1995 stellt den Alltag der Bundeswehr in den Mittelpunkt. Es ist verständlich, daß die Auslandseinsätze und vor allem der Einsatz im früheren Jugoslawien im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen - und dies völlig zu Recht; denn die Frauen und Männer im Einsatz haben Hervorragendes geleistet und tun dies täglich weiter.
Darüber dürfen wir die Leistungen derjenigen nicht vergessen, die zu Hause durch ihre Einsatzbereitschaft und ihre Zuverlässigkeit einen ganz wichtigen Beitrag zum Erfolg ihrer Kameraden im Auslandseinsatz leisten.
Wir stimmen der Frau Wehrbeauftragten ausdrücklich zu, wenn sie sagt, daß wir die Alltagssorgen und Probleme in den Standorten nicht vernachlässigen dürfen. Auch dort wird täglich ein guter Dienst geleistet.
Wir teilen auch Ihre Erkenntnis, Frau Marienfeld, daß häufig bei Mängeln und Verstößen gegen die Grundsätze der Inneren Führung mangelnde Dienstaufsicht oder die Überlastung einzelner vorgesetzter Soldaten und Mitarbeiter vorliegen. Wir stimmen daher uneingeschränkt der Forderung nach einer längeren Stehzeit der Einheitsführer, nach dem dritten Offizier in den Einheiten des Heeres und nach mehr und besser qualifizierten Unteroffizieren zu. Wir haben dazu auch schon erste Maßnahmen getroffen.
Die Einheitsführer bleiben jetzt deutlich länger in ihrer Verwendung.
Die Ausbildung der Grundwehrdienstleistenden wird gestrafft. Mit dem Abschluß der Umstrukturierung der Streitkräfte dürften die Zeiten rascher Wechsel in den Verwendungen mit den damit verbundenen Belastungen im übrigen auch vorbei sein.
Darüber hinaus wird das Heer eine neue Form der Feldwebelausbildung erproben, die die Unteroffiziere besser auf die veränderten Rahmenbedingun-
Parl. Staatssekretärin Michaela Geiger
gen ihres Dienstes vorbereiten wird. Allerdings steckt die äußerst schwierige Haushaltslage unseren Bemühungen auch auf diesem Feld sehr, sehr enge Grenzen.
Die von der Frau Wehrbeauftragten beklagte schleichende Verschlechterung des Betriebsklimas in den Streitkräften oder gar das Einziehen eines rauheren Umgangstones können wir in dieser generellen Form nicht bestätigen.
Im Gegenteil, nach der schwierigen Umbruchphase in den vergangenen Jahren und den Entscheidungen der Bundesregierung zu Auftrag, Struktur und Stationierung der Streitkräfte hat die Truppe wieder Tritt gefaßt.
Bei meinen vielen Truppenbesuchen finde ich das bestätigt, was auch die Kommandeure immer wieder sagen: Die Motivation ist insgesamt gut - Einzelfälle, die anders sind, gibt es immer -, das Klima ist in Ordnung, und die Leistung stimmt bei unserer Truppe.
Dazu hat ganz maßgeblich der neue Konsens in Parlament und Öffentlichkeit über die Sicherheitspolitik und den Auftrag der Bundeswehr beigetragen. Einzelne, auch grobe Verstöße gegen die Prinzipien der Inneren Führung dürfen keinesfalls verallgemeinert werden. Sie spiegeln nicht das wahre Bild der Truppe wider. Die von unseren Vorgesetzten durchweg praktizierte rasche Aufklärung und das konsequente Handeln in solchen bedauerlichen Einzelfällen zeigen das in der Bundeswehr gut ausgeprägte Bewußtsein für die Bedeutung der Inneren Führung. Sie wird in allen Einheiten und Verbänden gelebt, und sie prägt maßgeblich das Klima in den Streitkräften.
Eine richtig verstandene Fürsorge für unsere Soldaten verlangt eine einsatznahe und fordernde Ausbildung. Ein rüder Umgangston und überzogene Härte haben damit jedoch nichts zu tun, im Gegenteil: Sie zerstören Vertrauen und Kameradschaft, ohne die die soldatische Gemeinschaft nicht lebensfähig ist.
Wir stimmen in diesem Punkt mit der Beurteilung der Wehrbeauftragten völlig überein und unterstützen ihre Forderung nachdrücklich, daß jeder einzelne Soldat unabhängig von Dienstgrad oder Dienststellung Zivilcourage zeigen sollte und daß das die Truppe auch akzeptiert, mehr noch, daß es in der Truppe gefördert werden muß.
Die gesunde Mischung aus Berufs- und Zeitsoldaten, aus Grundwehrdienstleistenden und Reservisten entspricht dem Auftrag der Bundeswehr, den sicherheitspolitischen Erfordernissen und der Verantwortung Deutschlands am besten. Die Wehrpflicht in Deutschland ist ein Kernfaktor für unsere Sicherheitspolitik und garantiert darüber hinaus die enge Verbindung der Truppe mit der Bevölkerung.
Die Wehrpflicht hält die Bundeswehr jung, vital und leistungsfähig. Wir gewinnen darüber hinaus die
Hälfte unseres Führungsnachwuchses aus der Gruppe der Grundwehrdienstleistenden. Schließlich paßt die Wehrpflichtarmee am besten in unseren demokratischen Staat.
Ich glaube und hoffe, daß die Mehrheit in diesem Haus das nicht in Frage stellen wird.
Unsere Soldaten vertrauen nach den schwierigen Jahren des Umbruchs darauf, daß die Grundlagen ihres Dienstes bei der Bundeswehr stabil bleiben. Sie sollen und müssen die Ausbildung und Ausrüstung erhalten, die sie für die Erfüllung ihrer Aufgaben brauchen. Das schulden wir insbesondere den Soldaten im Einsatz, aber natürlich auch unseren Grundwehrdienstleistenden, die zehn Monate Dienst für die Gemeinschaft leisten und Anspruch auf eine fordernde und attraktive Ausbildung haben.
Deshalb bin ich dafür dankbar, daß es gelungen ist, im Haushalt 1997 70 Millionen DM zugunsten der Ersatzteilbeschaffung des Heeres umzuschichten. Das wird unsere Engpässe in diesem Feld ganz sicher beheben helfen.
Mit dem Wehrrechtsänderungsgesetz wurden wesentliche materielle Maßnahmen getroffen, um die Attraktivität des Wehrdienstes zu steigern. Wir haben neue Spitzendienstgrade geschaffen und die Beförderungsfristen bei den Mannschaften verkürzt. Wir haben den Mobilitätszuschlag für Grundwehrdienstleistende eingeführt, die heimatfern eingezogen sind.
Schließlich tragen wir der Lebensplanung unserer Wehrpflichtigen mit der flexiblen Wehrdienstdauer bei guter Bezahlung Rechnung.
Wir können heute mit Stolz sagen: Unser Konzept ist erfolgreich. Mittlerweile haben bereits weit über 50 000 Grundwehrdienstleistende von dem Angebot, längeren Wehrdienst zu leisten, Gebrauch gemacht, und die Nachfrage ist gleichbleibend hoch.
Wir sind derzeit in der Umsetzungsphase der Anfang März erlassenen Leitlinie zur Verbesserung der Rahmenbedingungen und Steigerung der Attraktivität des Wehrdienstes. Wir sind sicher, daß die Motivationsanreize wesentlich zur Verbesserung der Attraktivität des Wehrdienstes beitragen. Die große Resonanz, Herr Kollege Kolbow, zum Beispiel auf unser Angebot für Studenten, die Wehrdienst geleistet haben, Unterkünfte in Kasernen bereitzustellen, zeigt, daß wir auf dem richtigen Weg sind.
Unser Hauptaugenmerk legen wir künftig auf die Maßnahmen vor dem Dienstantritt, und zwar besonders auf die Verbesserung des Musterungsverfahrens und der individuellen Beratung durch die Kreiswehrersatzämter. Es ist aber vor allem ein Anliegen der Streitkräfte selbst, den Dienst so zu gestalten,
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bin gebraucht und gefordert worden, und man ist mit mir anständig umgegangen. Die Zeit bei der Bundeswehr hat sich für mich gelohnt.
Das ist schließlich die beste Werbung für die Bundeswehr.
Das Bundesministerium der Verteidigung wird die in seiner Stellungnahme zum Jahresbericht der Frau Wehrbeauftragten angekündigten Maßnahmen zügig umsetzen und das Parlament bis zum 1. März 1997 über die Ergebnisse informieren.
Ich danke Ihnen, Frau Wehrbeauftragte, für Ihren Jahresbericht 1995. Wir bitten auch für die Zukunft um gute und konstruktive Zusammenarbeit zum Wohl unserer Soldatinnen und Soldaten und der ganzen Bundeswehr.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Kollege Heistermann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Finanzpolitik dieser Bundesregierung hat einen durchschlagenden Erfolg: Nichts hat mehr Bestand, alles ist offengestellt. Man muß schon sagen, ein beachtliches Ergebnis! Es gehört aber eine gehörige Portion Chuzpe dazu, das alles noch als solide Finanzpolitik zu verkaufen. Alles geschieht nach dem Motto: Gestern standen wir am Abgrund, heute sind wir schon einen Schritt weiter.
Mittendrin in diesem Chaos bewegt sich unser Verteidigungsminister. Noch Anfang des Jahres war zu vernehmen, der Verteidigungsetat stehe auf sicheren Füßen, dies sei auch nach Gesprächen mit dem Bundeskanzler und dem Finanzminister abgesprochen. Landauf und landab wurde verkündet, die Bundeswehr hat wieder eine mittelfristige Perspektive. Sogar ein Bundeswehrplan erblickte das Licht der Welt. Kaum veröffentlicht, war er schon wieder überholt.
Er steht damit in der Tradition vieler seiner Vorgänger, denen ein gleiches Schicksal beschieden war. Eine Prognose kann man aber immer stellen: Die Zahlen des Bundeshaushaltes und des Verteidigungsetats sind das Papier nicht wert, auf dem sie niedergeschrieben wurden.
Die Menschen in der Bundeswehr spüren tagtäglich, daß Anspruch und Wirklichkeit nicht mehr in Übereinstimmung stehen.
Zu Recht mahnen sie eine klare Orientierung an. Sie wollen verläßlich wissen, wie ihre Zukunft aussieht. Wir haben den Verteidigungsminister immer davor gewarnt, mit Potemkinschen Dörfern Politik zu machen. Wir haben ihn darauf hingewiesen, daß seine finanzielle Decke nicht so groß ist, wie er glauben machen wollte. Wer, Herr Minister, die Bundeswehr nur bedingt einsatzbereit hält, der trägt die volle Verantwortung für die daraus entstehenden Folgen. Wir mahnen dies als Parlament eindeutig an, und wir stellen das hier ausdrücklich fest.
Heute stehen wir, bedingt durch politische Fehleinschätzungen, in einer Situation, in der harte Entscheidungen notwendig sind. Wir wollen deshalb vom Verteidigungsminister und von der Koalition wissen: Bleibt es bei den Standortentscheidungen, oder sind weitere Schließungen notwendig? Wir wollen wissen, in welcher Größenordnung und in welchen Positionen Einsparungen im Verteidigungsetat unterzubringen und welche Folgen damit auch für den Bundeswehrplan verbunden sind.
Wir wollen wissen, wie die Haushaltsüberkipper aus 1996 für den IFOR-Einsatz in einer Größenordnung von 350 Millionen DM und wie der IFOR-IIEinsatz finanziert werden sollen, von Beschaffungen einmal ganz zu schweigen.
Wir müssen Minister Rühe beim Wort nehmen und wollen wissen, ob er seine bisherigen Entscheidungen, Struktur und Umfang, Wehrpflicht, Ausbildung und Betrieb und die Armee der Einheit nicht zur Disposition zu stellen, beibehält. Das Parlament hat Anspruch auf Haushaltsklarheit, aber auch auf Haushaltswahrheit.
Meine Damen und Herren, die Jahresberichte der Wehrbeauftragten finden in den Medien immer große Aufmerksamkeit. Wir begrüßen das große Interesse, weil es im Interesse unserer Soldatinnen und Soldaten liegt, daß über ihren Alltag berichtet, daß die Lage in den Streitkräften offen dargestellt und daß auf die Besonderheiten aufmerksam gemacht wird. Diese Transparenz ist nötig, da die Öffentlichkeit nur so an dem teilhaben kann, was in der Bundeswehr geschieht. Wir wollen, daß Politik und Gesellschaft dieses Interesse auch zukünftig behalten.
Deshalb ein paar notwendige Anmerkungen zum leidigen Kapitel Wehrsold. Der Wehrsold ist für Grundwehrdienstleistende kein Taschengeld, sondern er ist ein notwendiges Einkommen, aus dem viele Ausgaben zu bestreiten sind. Die bisherigen Tagessätze sind zu niedrig.
Der Wehrsold für Grundwehrdienstleistende ist deshalb aus der Sicht der SPD-Bundestagsfraktion mittelfristig schrittweise zu erhöhen. Wir haben nicht verstanden, daß die Koalition unseren Antrag auf Erhöhung um 2 DM pro Tag - sozusagen als ersten Schritt - so kategorisch abgelehnt hat. Andererseits haben sich Mitglieder der Koalition beim Bundeswehr-Verband schon dafür feiern lassen, daß auch sie für die Erhöhung seien. Was sollen junge Menschen von einem solchen Verhalten denken?
Dieter Heistermann
Es wäre ein gutes Signal für die Wehrpflicht gewesen, wenn Sie unseren Antrag mitgetragen hätten. Die gebetsmühlenartigen Wiederholungen „Wir bleiben bei der Wehrpflicht" reichen letztlich nicht zur Überzeugung junger Menschen aus. Der Bundestag muß klare Signale setzen. Er muß nachvollziehbar machen, wofür das Parlament in seiner Mehrheit steht. Das relativiert sehr schnell die Meinung einzelner Abgeordneter zur Weiterentwicklung der Bundeswehr und der Wehrpflicht.
Die Debatten über die Wehrpflicht, über eine Freiwilligenarmee, über eine Berufsarmee zeigen mehr als deutlich, wie verunsichert die Bürgerinnen und Bürger bei diesem Thema sind. Es fehlt die klare Orientierung. Der Wildwuchs von militärischen Konzeptionen und Vorstellungen kann nur durch eine breite und sachkundige Debatte beendet werden. Am Ende muß aber eine klare Entscheidung stehen.
Daher lehnen wir die Anträge von Bündnis 90/Die Grünen und der PDS zur Abschaffung der Wehrpflicht ab. Beide Anträge sind vordergründig, nicht durchdacht. Man könnte sie auch populistisch nennen.
Meine Damen und Herren, wiederum spielt das Bundesministerium der Verteidigung die aufgezeigten Verfehlungen und Übergriffe herunter und spricht davon, daß das Einzelfälle seien und daß es sich um extreme Beispiele handele. Das mag so sein. Andererseits werden Bilder von Soldaten sichtbar, die in der Bundeswehr keinen Platz haben dürfen. Wir unterstützen deshalb alle Entscheidungen, die ein sofortiges Ausscheiden aus der Bundeswehr zur Folge haben, wenn Verletzungen der Menschenwürde vorliegen.
Die Folge solcher Vorgänge ist leider auch immer eine Beschädigung des Ansehens der Bundeswehr als Wehrpflichtarmee. Ob man will oder nicht: Es sind diese Vorfälle, die das Bild von der Bundeswehr bei vielen jungen Menschen prägen.
Ein ehemaliger Grundwehrdienstleistender hat in einem Brief geschrieben:
In einer Zeit, in der aber nicht mehr politische bzw. weltanschauliche Gründe, sondern persönliche, vielleicht auch wirtschaftliche Erwartungen über die Frage Wehr- und Zivildienst entscheiden, muß ganz klar zur Kenntnis genommen werden, daß sich hier ein Markt entwickelt, auf dem Jugendliche ganz nüchtern und unter Berücksichtigung ihrer eigenen Intentionen und Ansprüche die Vor- und Nachteile beider "Anbieter" vergleichen. Entsprechend muß die Bundeswehr, will sie als Wehrpflichtarmee überleben, sich auch verändern.
Ich meine: Wohl wahr. So sieht die gesellschaftliche Realität aus.
Ich frage aber erneut: Was sollen eigentlich 27jährige Grundwehrdienstleistende in der Bundeswehr? Warum wird das Prinzip „Jung vor Alt" nicht konsequent durchgesetzt? Der Gesetzentwurf der SPD zur Festsetzung des Einberufungshöchstalters auf 25 Jahre hätte helfen können, zu vernünftigem Handeln zu kommen.
Es bedrückt, daß das Interesse der Jugendlichen an sicherheitspolitischen Themen unverändert gering ist. Wenn Krisenprävention und Krisenmanagement wirksame Mittel der Politik bleiben oder werden sollen, muß mehr geschehen. Jugendoffiziere in die Schulen zu schicken reicht nicht aus. Es muß deutlicher werden, warum und wofür wir die Bundeswehr benötigen.
Es muß sichtbar gemacht werden, daß unsere Außen- und Sicherheitspolitik breiter angelegt ist als nur auf militärische Mittel. Nur so kann das Verständnis für die Aufgaben der Bundeswehr in der Bevölkerung verankert werden.
Wir wollen, daß der Dienst in den Streitkräften so gestaltet wird, daß ein attraktiver und interessanter Dienstbetrieb sichergestellt ist. Jeder Soldat soll seinen Dienst als sinnvoll erleben. Beim Streichen von Ausbildungsteilen muß aber beachtet werden, daß dies nicht zu Lasten von Innerer Führung und des Unterrichtes über staatsbürgerliche Rechte geschieht. Die Weisung des Generalinspekteurs zur politischen Bildung wird von uns voll mitgetragen. Nur wenn der Arbeitsplatz in den Streitkräften attraktiv gestaltet wird, kann die Bundeswehr genügend qualifizierte und charakterlich geeignete Soldaten als Nachwuchs gewinnen.
Es darf nicht vergessen werden, daß zum Leitbild des Soldaten als eines Staatsbürgers in Uniform nicht nur seine handwerklichen Fähigkeiten, sondern auch seine Stellung als Soldat in der Demokratie gehören. Wer den Dienst als Soldat als wirkliche Alternative zu einem zivilen Beruf anbieten will, der muß das Dienstverhältnis des Soldaten im Einklang mit der allgemeinen Entwicklung sozial ausgestalten und den Soldaten seinen Verwendungsweg nach Eignung und Leistung mitgestalten lassen.
Die Besoldung der Soldaten muß funktionsgerecht sein. Eine funktionsgerechte Besoldung stellt auch eine erhebliche Attraktivitätssteigerung dar, die für die Zukunft qualifizierte Nachwuchsgewinnung zu erleichtern vermag. In den nächsten Jahren sind die Einführung einer Mannschaftslaufbahn, zum Beispiel Spezialisten ohne Führungsverantwortung mit einer Verpflichtungszeit von bis zu 12 Jahren und kürzeren Beförderungszeiten, und die Einführung einer Laufbahn für Feldwebel und Spezialisten dringend erforderlich.
Die erhöhte Anforderung im Bereich der Menschenführung - der Bericht der Frau Wehrbeauftragten zeigt die Mängel deutlich auf - erfordert gut ausgebildete und in der Demokratie gefestigte Vorgesetzte.
Dieter Heistermann
Der Einsatz unserer Soldaten zur Absicherung des Friedensabkommens von Dayton im ehemaligem Jugoslawien bedarf eines optimalen persönlichen Schutzkonzeptes und der Bereitstellung geeigneter Geräte und Fahrzeuge.
Der Verteidigungsetat muß auch diese Notwendigkeiten wirksam erfüllen. Es ist von hoher Bedeutung, daß die dort eingesetzten Soldaten wissen, daß sie sich auf eine breite Unterstützung des Parlamentes und der Bevölkerung bei der Durchführung ihres Auftrages abstützen können.
Die Finanzlücken im Verteidigungsetat werden immer deutlicher. Der Zeitpunkt, zu dem ein Schieben und Strecken aller Maßnahmen nicht mehr möglich ist, rückt für den Verteidigungsminister immer näher. Er wird den Spagat zwischen Anspruch und Wirklichkeit des Etats nicht mehr lange aushalten können. Wir erwarten deshalb eine Antwort auf unsere Fragen.
Frau Marienfeld, ich darf Ihnen und Ihren Mitarbeitern sehr herzlich für die erbrachte Leistung danken. Halten Sie an den von Ihnen aufgezeigten Schwerpunkten fest und bewahren Sie sich ein gesundes Spannungsverhältnis zum Bundesminister der Verteidigung.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt der Herr Bundesminister der Verteidigung, Volker Rühe.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mit einem aufrichtigen Dank
an Frau Marienfeld für ihren Bericht und vor allen Dingen für ihre Arbeit beginnen.
Ich glaube, daß jeder spürt, wie engagiert sie arbeitet. Deswegen stimme ich dem zu, was ich immer wieder von seiten der Soldaten gehört habe: Diese Wehrbeauftragte ist wirklich ein Glücksfall für die Bundeswehr. - Vielen Dank für Ihre Arbeit!
Herr Kollege Heistermann, ich hätte mir gewünscht, daß auch Sie das ein bißchen mehr gewürdigt hätten, statt gleich mit dem Bundesminister der Verteidigung in eine Finanzdebatte einzutreten. Sie wissen doch, daß wir Ende des Monats ohnehin die Haushaltsdebatte zu führen haben. Deswegen frage ich mich, was das eigentlich soll. Wollen Sie mir bei
den Haushaltsberatungen helfen, die ich im Augenblick führe? Das wäre ja sehr ehrenwert.
Im übrigen bitte ich um Verständnis, wenn ich um zwanzig nach sieben gehen darf, um wieder die Interessen der Bundeswehr in Beratungen zu vertreten.
Sie wissen, daß ich mich im Interesse unserer Soldaten darüber freue, daß es in der schwierigen Frage der Auslandseinsätze einen neuen Konsens gibt. Aber ich muß Ihnen sagen: Erst in dem Moment, in dem Sie zusammen mit Frau Matthäus-Maier und mit Herrn Lafontaine eine Bundespressekonferenz veranstalten und dort Anträge vorlegen, die Ausgaben für die Bundeswehr zu steigern, sollten Sie hier wieder ans Pult kommen und so reden, wie Sie heute hier geredet haben.
Das heißt: Bevor Sie sich hier zum Hüter und Bewahrer der Bundeswehr aufspielen, nachdem Sie lange -ich will mal vorsichtig in den Formulierungen sein - nicht gerade standhaft gewesen sind, als es darum ging, die deutschen Streitkräfte zu unterstützen, sollten Sie sich mal eine Phase von mehreren Jahren gönnen, in der Sie mit einer gewissen Beständigkeit der Bundeswehr jedenfalls keine Steine in den Weg legen. Dann wären wir schon ganz zufrieden.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Walter Kolbow?
Ja, immer.
Herr Bundesminister, sind Sie bereit, unverzüglich einen Gang zur Bundespressekonferenz zu machen und unseren Journalisten in Deutschland und damit der Öffentlichkeit zu erklären, wie Sie die 2 Milliarden DM als absehbare Vorbelastung für den Haushalt 1997 - so wie Ihr Pressesprecher sie heute darstellt - im gegenwärtigen Haushalt auffangen wollen?
Herr Kollege Kolbow, ich habe Ihnen doch die Zahlen gestern im Ausschuß selbst vorgetragen. Deswegen finde ich es schon etwas merkwürdig, wie Sie sich heute künstlich aufregen. Ich bin doch nun der letzte davon wissen einige in der Bundesregierung ein Lied zu singen -, der nicht ganz offen über die schwierige Finanzlage der Bundeswehr gesprochen hätte. Natürlich muß ich das ganze Jahr über Bewirtschaftungsmaßnahmen ergreifen, um bei diesem knappen Haushalt über die Runden zu kommen. Das ist doch nichts Neues! Deswegen sollten Sie nicht versuchen, daraus politisch Kapital zu schlagen.
Bundesminister Volker Rühe
Noch einmal: 2, 3 Jahre, ohne daß Sie der Bundeswehr schaden, wären schon ganz schön. Wir sollten versuchen, gemeinsam dafür zu sorgen, daß wir hier einen stetigen Weg gehen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heistermann?
Ja, Herr Heistermann kann auch noch mal üben, aber dann würde ich gern noch zwei, drei Worte sagen.
Herr Minister, ich wollte Ihnen eine ganz sachliche Frage stellen: Haben Sie nicht mehr in Erinnerung, daß ich zu den 45 SPD-Abgeordneten gehöre, die dem Einsatz der Bundeswehr in Jugoslawien zugestimmt haben? Damals haben Sie mich dafür gelobt. Deshalb muß ich also mehr als meine Enttäuschung ausdrücken, daß Sie das heute nicht mehr zu würdigen wissen. Das tut mir außerordentlich leid.
Herr Kollege, das würdige ich und habe das ja eben noch einmal getan. Nur reden wir jetzt hier über Finanzen, und ich kann nur sagen, wenn ich mir das Verhalten der SPD ansehe: Sie haben keinen Grund, die Regierung wegen ihrer Politik für die Bundeswehr anzugreifen.
- Wir können uns ja in der Haushaltsdebatte auseinandersetzen, - da können Sie Anträge stellen.
Was nun die konzeptionelle Klarheit angeht, so habe ich die geschaffen. Für uns bleibt die Landes-und Bündnisverteidigung im Vordergrund. Ich denke, das entspricht auch der besonderen Lage Deutschlands, in der Mitte Europas für Stabilität zu sorgen. Deshalb richten wir die Zukunft der Bundeswehr nicht an möglichen Golfkriegsszenarien aus, deswegen lehnen wir eine Berufsarmee ab. Aber uni solidarisch handlungsfähig zu sein, schaffen wir die Krisenreaktionskräfte.
Wenn ich mich heute über etwas geärgert habe, dann über diese Fehlmeldungen - die gegenüber der Bundeswehr wirklich ungerecht sind -, als ob wir den Bereich der Hauptverteidigungskräfte hier zu einem Schrott-Teil verkommen lassen würden. Das ist zutiefst ungerecht! Deswegen haben wir das heute noch einmal klargestellt. Die Bundeswehr kann nur insgesamt funktionieren.
Ich bin im übrigen auch sehr dankbar, daß einmal den Soldaten gedankt wird, die hier zu Hause dafür sorgen, daß unsere Soldaten in Jugoslawien so eine hervorragende Leistung vollbringen.
- Das wird überhaupt nicht Zeit, sondern das ist die Politik, die wir vertreten. -
Aber ich finde auch, daß es an der Zeit ist, den Soldaten zu danken, daß sie die gewaltigen Veränderungen der letzten Jahre getragen haben. Dennoch haben wir heute eine sehr viel bessere Motivation in der Bundeswehr, haben wir eine sehr viel größere öffentliche Unterstützung der Bundeswehr, als das in der Vergangenheit vielfach der Fall gewesen ist.
Sehen Sie, vor fünf, sechs Jahren gab es zwei Armeen in Deutschland. Wir haben daraus die „Armee der Einheit" gemacht. Trotz der Finanzknappheit halten wir an den entscheidenden Investitionen in Ostdeutschland fest. Diese Tatsache sollte nicht übersehen, sondern gewürdigt werden; sie wird in den neuen Bundesländern auch gewürdigt. Es stände der Opposition ebenfalls gut an, unser Vorgehen gutzuheißen.
Wir halten auch an den Strukturentscheidungen fest. Der letzte Vorschlag dazu ist aus den Reihen der Opposition gekommen. Wir halten an einer Stärke der Bundeswehr von 340 000 Mann fest. Wir halten fest an der Wehrpflicht. Sie ist kein Kind des Kalten Krieges. Die Dauer der Wehrpflicht hat etwas mit der Gefahr der Konfrontation zu tun. Deswegen haben wir sie gegen manche Widerstände verringert. Das war der richtige Weg.
Wie motiviert viele junge Wehrpflichtige sind, können Sie daran erkennen, daß wir sehr viel mehr Meldungen für einen längeren Freiwilligenwehrdienst haben, als Plätze zur Verfügung stehen. Ich kann mich noch gut daran erinnern, daß Sie nicht glaubten, wir könnten diese 20 000 Plätze ausfüllen. Sie haben sich damals geirrt, und mit Ihrem Beitrag heute haben Sie sich schon wieder geirrt. Sie sollten begreifen, daß wir auf dem richtigen Weg sind.
- Bitte?
- Soviel wie möglich. Das ist doch wohl klar! Wir stehen mitten in den Haushaltsberatungen; das wird Ihnen doch wohl nicht entgangen sein. Es kann Ihnen auch nicht entgangen sein, daß ich alle Möglichkeiten ausschöpfe - das können Ihnen alle Kabinettskollegen bestätigen -, dafür zu sorgen, daß wir den eingeschlagenen Weg trotz aller Schwierigkeiten weitergehen können.
Ich möchte noch einmal zusammenfassen: Ich verstehe, daß Sie als Opposition Kritik äußern müssen. Es gibt auch manches Kritikwürdige; das ist überhaupt keine Frage. Wir alle sollten uns aber darüber einig und auch froh sein, daß es in einer Zeit gewaltiger Veränderungen gelungen ist, die „Armee der Einheit" zu schaffen und Einverständnis darüber zu erreichen, daß der Schwerpunkt auf der Landes- und
Bundesminister Volker Rühe
Bündnisverteidigung liegt und es keine weiteren Struktureingriffe gibt.
Das muß ich auch sagen: Wir befinden uns nicht mehr im Rüstungswettlauf. Deshalb muß sich die Rüstungsspirale auch nicht mehr so schnell wie früher drehen.
In den Bereichen, in denen die Systeme völlig veraltet sind und Gefahr für die Soldaten besteht - ich nenne die Hubschrauber, aber auch die Flugzeuge -, müssen wir zwar Erneuerungen durchführen. Aber einige Verantwortliche scheinen mir in der Beschaffungsfrage immer noch unter dem Druck zu stehen, so schnell wie früher modernisieren zu wollen.
Ich sage noch einmal: Die Bundeswehr muß eine moderne Armee bleiben. Wir stehen gerade in den Bereichen, in denen es veraltete Systeme gibt, vor wichtigen Beschaffungsentscheidungen. Für mich hat aber die innere Befindlichkeit der Bundeswehr absoluten Vorrang. Wenn wir Wehrpflichtige einberufen, müssen wir sie auch gut ausbilden. Aus diesem Grunde müssen die anliegenden Entscheidungen in ein vernünftiges Verhältnis gesetzt werden.
Ich möchte Sie darum bitten, jetzt keine Auseinandersetzung zu führen, die Ihnen keiner abnimmt. Daß Sie, die Sozialdemokraten, mehr Geld für die Bundeswehr ausgeben wollen, glaubt Ihnen eh niemand. Sie tun sich daher selbst den größten Gefallen, wenn Sie die kluge und vernünftige Politik, die wir betreiben, unterstützen.
Vielen Dank.
Jetzt spricht der Abgeordnete Winfried Nachtwei.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bericht der Wehrbeauftragten ist für die parlamentarische Kontrolle der Streitkräfte unverzichtbar und sehr hilfreich. Dafür hat unsere Fraktion Ihnen, Frau Marienfeld, und Ihrem Haus sehr zu danken.
Um so mehr bedaure ich allerdings, daß ich heute auf Ihren Bericht nur ganz kurz eingehen kann, weil ich - Sie werden das verstehen - vor allem auf unsere Anträge eingehen muß, die hier in diesem Haus noch nicht zur Sprache kamen. Ich werde etwas zu den Anträgen sagen, obwohl ich befürchte, daß ich nicht alle überzeugen kann; ich kann es ja einmal versuchen.
Zum Bericht der Wehrbeauftragten zwei Aspekte: Sie nennen in Ihrem Bericht Fälle, in denen Vorgesetzte Untergebene über Wochen bzw. Monate mißhandelten und andere Soldaten davon wußten, aber stillhielten. Zu Recht bewerteten Sie solche Vorkommnisse als besonders beunruhigend, weil in diesen Fällen über die Einzeltaten hinaus eine gefährliche Haltung des Wegsehens deutlich wurde. Gerade hier sind Gegenmaßnahmen besonders schwierig, aber auch besonders nötig.
Im Mittelpunkt Ihrer Beobachtungen steht die Praxis der Inneren Führung sozusagen an der Basis der Bundeswehr. Aber ich glaube, darüber sollten wir nicht den Blick auf die höheren Ebenen versäumen. Ein Beispiel ist der Artikel „Zur Gestalt des deutschen Soldaten in unserem Land" von Dieter Stockfisch - hier sicher allen bekannt -, Kapitän zur See und Referatsleiter im Führungsstab der Marine, die auch heute abend hier vertreten ist, veröffentlicht in „Soldat + Technik", 7/96.
Der Autor belegt in diesem Aufsatz Bemühungen in der deutschen Gesellschaft, sich mit der Nazi-Vergangenheit kritisch auseinanderzusetzen, pauschal mit Formulierungen wie „krampfhaftes Festhalten an einem neurotischen Selbsthaß", „masochistischer Hang zur ständigen Selbstanklage", „Schamlosigkeit der Buße" usw.
Bei seinem Versuch, der angeblichen Diffamierung der Wehrmachtsoldaten entgegenzuwirken, verklärt er sie und die Soldaten aller Länder unterschiedslos zu „Vaterlandsverteidigern":
Millionen deutscher Soldaten ... kämpften .. . um ihre Heimat, um das Überleben ihres Volkes an allen Fronten - gerade in den letzten Kriegsjahren.
„Gerade in den letzten Kriegsjahren" heißt aber eben: auch vorher.
Sie haben das getan, was alle Soldaten der Welt im Krieg tun, sie haben ihr Vaterland verteidigt.
Wenn das keine unglaubliche Verklärung, keine Pauschalisierung sondergleichen ist!
Der Autor bringt Argumentationsmuster, wie sie sonst zum Beispiel im „Schlesier" oder auch in der „Nationalzeitung" zu lesen sind. Ich meine, solche Argumentationsmuster sind mit dem demokratischen Traditionsverständnis, wie es von Ihnen, Herr Minister Rühe, immer wieder vertreten wird, unvereinbar.
Wenn sich ein hoher Offizier in einer offiziösen Zeitschrift so äußert, dann wirft das einen Schatten auf den „Geist" in der Truppe, und dann ist das eine Herausforderung für die politische Kontrolle der Bundeswehr von oben.
Nun zu unseren beiden Anträgen: Fortsetzung der Bundeswehrreduzierung und Abschaffung der
Winfried Nachtwei
Wehrpflicht. Sie entstanden vor einem Jahr. Es überrascht vielleicht bei Papieren in diesem Zusammenhang - erinnern wir uns an den Einzelplan 14 und den Bundeswehrplan -, aber sie sind heute aktueller denn je.
- Dazu können Sie ja gleich etwas sagen, Herr Nolting.
Die Löcher und Zeitbomben des Verteidigungshaushalts sind offenkundig. Versprechungen aus der Koalition Richtung Bundeswehr, mittelfristig gebe es wieder Etatsteigerungen, sind völlig unglaubwürdig. Diejenigen, die das versprechen, glauben es wahrscheinlich selbst nicht.
Tatsache ist: Die heutige Bundeswehr ist nicht mehr finanzierbar. Also sind Eingriffe in Personal, Struktur und Stationierung in kürzerer Zeit unumgänglich. Wenn man so etwas politisch vernünftig machen will, dann muß man den schlichten Schlüsselfragen nachgehen. Bundeswehr - wofür, also der Auftrag, wie und mit wieviel Mann? Das sind die Schlüsselfragen, die jetzt wieder auf der Tagesordnung stehen. Darauf versuchen wir Antworten zu geben.
Die äußere Sicherheitslage Deutschlands ist historisch einmalig; das ist schon tausendfach festgestellt worden. Wir sind nur von Freunden und Partnern umgeben, und der potentielle Gegner, der zu raumgreifenden Offensiven in der Lage war, ist unwiederbringlich verloren. Deshalb schon haben Massenarmeen, deshalb hat auch die Wehrpflicht als ihr Rekrutierungsinstrument jede sicherheitspolitische Berechtigung verloren.
Herr Minister, Sie haben gerade wieder betont, Landes- und Bündnisverteidigung stünden im Vordergrund.
Dazu muß ich sagen: Für die Legitimation der Streitkräfte stimmt das - das ist in der Tat entscheidend; Sie können eben nicht mit einem erweiterten Auftrag Streitkräfte legitimieren -, aber real geht es bei der Bundeswehr wirklich um anderes.
Wir behaupten, die heute für den - höchst unwahrscheinlichen - Verteidigungsfall vorgehaltenen Kräfte sind reichlich überdimensioniert. Es gibt noch erhebliche Reduzierungspotentiale. Doch - auch das ist ja bekannt - nach Wegfall der großen Konfrontation ist noch längst nicht der große Frieden ausgebrochen. Die Bundesregierung stellt zu Recht fest, daß Instabilitäten und Risiken zu beobachten sind, die, wie sie weiter ausführt, „nationale Interessen" der Bundesrepublik und ihre Sicherheit betreffen können. Hieran knüpft bekanntlich der neue „erweiterte Auftrag" der Bundeswehr an: die „Krisenbewältigung in Koalitionen".
Die bisherigen Kriseneinsätze der Bundeswehr kosteten wohl viel Geld, aber bisher keine Menschenleben - Gott sei Dank! Im Gegenteil: In Ex-Jugoslawien trägt die Bundeswehr zur Absicherung des Waffenstillstandes bei und leistet Nützliches für die Menschen vor Ort. Zur Zeit entsteht fast der Eindruck, als sei die Bundeswehr die größte humanitäre Organisation der Bundesrepublik,
und in eine ähnliche Richtung entwickelt sich, glaube ich, auch das Selbstverständnis vieler Soldaten.
Doch die Gegenwart ist nicht das Ziel der Bundeswehrplanung; darüber sollte man sich ganz und gar nicht täuschen. Mit den 54 000 Mann der Krisenreaktionskräfte wird nämlich ein Potential aufgebaut, das die Bundeswehr nach dem Jahr 2000 zu viel mehr als Peace-keeping, zu viel mehr als zum Schutz von Flüchtlingen oder von Hilfstransporten befähigen wird, nämlich zur Beteiligung an echten Out-of -area-Kriegseinsätzen, und zwar auch solchen in der Art des Golfkrieges. Nicht die ganze Bundeswehr, aber die Krisenreaktionskräfte sind auch auf ein solches Szenario orientiert. Das ist gar nicht zu leugnen.
Oberstleutnant Herden, im Amt für Nachrichtenwesen der Bundeswehr zuständig für Risikoprognosen, hat kürzlich die „neuen Herausforderungen künftiger Konflikte" in der „Truppenpraxis/Wehrausbildung" beschrieben. Er geht davon aus, daß sich die wohlhabenden Staaten, zwischen denen es in der Vergangenheit Kriege gegeben habe, in Zukunft gegen die Armen zu verteidigen hätten. Es werde Kämpfe um die knapper werdenden Ressourcen geben, und er sieht die Ara eines neuen Kolonialismus heraufziehen
- ja, genau davon spricht er -, in der Interventionen nicht aus humanitären, sondern aus vitalen - sprich: wirtschaftlichen - Gründen und Interessen erfolgen würden. Ich zitiere:
Zunächst wird der Westen Expeditionsstreitkräfte einsetzen, weil er seine Interessen in fernen Gebieten wahren will.... Angesichts begrenzter Ressourcen und oft geringer Erfolgsaussichten werden nationale Interessen gegen die Interessen der betroffenen Menschen immer öfter abgewogen werden. Dabei wird man sich vermehrt fragen, ob humanitäre Gründe eine Intervention rechtfertigen .
Die meisten der bevorstehenden Konflikte würden seiner Meinung nach asymmetrisch sein: reguläre Truppen gegen „diffuse, irreguläre Mächte", gegen den Typ des sogenannten Kriegers, der fern jedes Kriegsvölkerrechts Krieg führen würde. Und der Autor empfiehlt dann der Bundeswehr am Schluß:
Es wäre ... unklug, sie nicht für die brutalen kleinen Kriege gegen die kleinen bösen Männer auszubilden. Deutschland wird um eine Beteiligung an diesen Kriegen gebeten werden.
Winfried Nachtwei
Und er fragt:
Ist die Bundeswehr bereit und legitimiert, dieser Bedrohung notfalls auch mit brutaler Gewalt zu begegnen? Nicht immer wird man die Schmutzarbeit den Partnerländern überlassen können.
Meine Damen und Herren von der Koalition und von der Bundeswehr, auch wenn Sie vor solchen Szenarien im Moment zurückscheuen - Ihre Politik des Aufbaus der Krisenreaktionskräfte läuft genau in diese Richtung. Sie marschieren in Richtung einer Art weitreichender Vorwärtsverteidigung, bei der die Legitimation für den Einsatz militärischer Gewalt immer beliebiger wird - weg von der engen Bindung an die Verteidigung des eigenen Territoriums, hin zur Generalermächtigung „nationales Interesse".
Wir fordern die Bundesregierung auf, den Aufbau der Krisenreaktionskräfte für weltweite Kampfeinsätze einzustellen.
Denn der Anspruch militärischer Krisenbewältigung ist völlig kurzsichtig. Er ist verantwortungslos, schon wenn wir das wahnsinnige Ungleichgewicht betrachten, das in der vorherigen Debatte zu Zaire zur Sprache kam. Dort wurde nämlich wieder deutlich, wie sträflich die Krisenvorsorge vernachlässigt wird. So entsteht immer wieder die Situation: Wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist und es zu spät ist, wird der Ruf nach militärischem Einsatz laut. Aber eine solche Rolle kann sich die Bundeswehr in keiner Weise wünschen.
Ich will zum Abschluß noch auf unseren Antrag zur Abschaffung der Wehrpflicht zu sprechen kommen. Sie wissen, daß wir grundsätzlich Zwangsdienste ablehnen.
- Herr Breuer, Sie wissen, Sie haben hier völlige Bewegungsfreiheit. Sie können meinetwegen sogar herkommen und mit mir zusammen im Duo reden, kein Problem.
Aber: Die Wehrpflicht ist darüber hinaus der massivste Eingriff in die Grundrechte junger Männer. Sie bedeutet nämlich schlichtweg den Zwang, gegebenenfalls andere zu töten bzw. für andere getötet zu werden. Das ist der Kern, auf den man in der Regel nicht so genie zu sprechen kommt. Ein solcher Zwang ist erst recht heute in keiner Weise mehr zu rechtfertigen.
Zugleich stellen wir fest, daß die Tage der Wehrpflicht real gezählt sind, daß sich auch die Bundesregierung schleichend von der Wehrpflicht wegbewegt - trotz aller gegenteiliger Beteuerung. Die Kernfrage lautet inzwischen längst: Was kommt nach der Wehrpflicht? Die Einwände, die für die Zeit nach der Wehrpflicht vorgebracht werden, sind zum Teil wirklich sehr bedenkenswert. Man kann sie nicht einfach wegwischen. Das ist völlig richtig.
Aber oft erscheinen mir diese Einwände auch vorgeschoben, und häufig erschöpfen sie sich in einer bloßen Idealisierung der Wehrpflicht.
Ich kann jetzt wegen der abgelaufenen Zeit leider nicht mehr auf diese verschiedenen Gegeneinwände eingehen. Nur ist klarzustellen: Keiner von denjenigen, die die Wehrpflicht abschaffen wollen, will statt dessen eine Berufsarmee im engeren Sinne, der alle Soldaten zeit ihres Berufslebens angehörten. Vielmehr geht es - uns jedenfalls - um eine stark reduzierte Freiwilligenarmee, in der der Anteil der kürzer dienenden Freiwilligen relativ hoch wäre. Dabei muß sich die Umstellung von der Abschaffung der Wehrpflicht in Richtung reduzierte Freiwilligenarmee auf jeden Fall friedens- und stabilitätsfördernd vollziehen. Sie muß demokratie- und sozialverträglich sein. Das alles sind natürlich notwendige Kriterien für diese Umstellung.
Herr Kollege, die Zeit ist vorbei.
Ich komme zum Schluß.
Der Abschied von der Wehrpflicht wird spätestens in zwei oder drei Jahren kommen. Das bestätigen einem in der Regel auch Bundeswehrangehörige, wenn man mit ihnen spricht. Jetzt kommt es allerdings darauf an, die Debatte über Alternativen zur Wehrpflicht wirklich offen und rechtzeitig zu führen. Es darf nicht so sein, daß darüber, wie in verschiedenen anderen Ländern, über Nacht entschieden wird. Es darf nicht so sein, daß einfach ein Vorschlag aus der Schublade gezogen wird, auf den die Soldaten und ihre Familien nicht vorbereitet sind - und das war's dann.
Ich danke Ihnen für Ihre Geduld.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Günther Nolting.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu Beginn möchte ich für die F.D.P.-Fraktion der Wehrbeauftragten und ihren Mitarbeitern den Dank aussprechen. Frau Wehrbeauftragte, ich sichere Ihnen auch die weitere Unterstützung der F.D.P.-Fraktion zu.
Die Institution der Wehrbeauftragten ist der Kummerkasten der Angehörigen der Bundeswehr und zugleich das Instrument der Verklammerung von Parlament und Armee. Die einmalige Einrichtung der Institution der Wehrbeauftragten unterstreicht, daß die Bundeswehr eine Parlamentsarmee ist. Sie verdeut-
Günther Friedrich Nolting
licht auch die besondere Verantwortung dieses Hauses für die Streitkräfte.
Zum thematischen Bereich der Inneren Führung möchte ich als erstes das Kapitel ansprechen, in dem Fälle von Mißhandlungen oder entwürdigender Behandlungen von Untergebenen aufgezeigt werden. Die Frau Wehrbeauftragte hat diesen Bereich bereits angesprochen. Herr Minister, die politische Führung ist hier gefordert, die Vorgesetzten aller Ebenen immer wieder anzuhalten, derartige Vorfälle konsequent zu ahnden und alle Soldaten zu gegenseitigem Respekt, aber auch zu Zivilcourage zu erziehen.
Frau Wehrbeauftragte, in diesem Zusammenhang will ich noch einmal vorschlagen, daß in den Jahresberichten nicht nur Negativbeispiele aufgenommen werden. Aus unserer Sicht macht es durchaus auch Sinn, vorbildhafte Verhaltensweisen von Vorgesetzten und Soldaten, die ja der Regelfall sind, mit konkreten Einzelbeispielen anzusprechen.
Im Bereich der sozialen Fürsorge ist ein nach wie vor dringliches Problem die Lage der aus der ehemaligen NVA übernommenen Berufssoldaten und lebensälterer Zeitsoldaten. Nachdem jetzt der Versorgungsbericht der Bundesregierung vorliegt, sollte über gesetzliche Regelungen und Lösungsmöglichkeiten gesprochen werden.
Ich will hier ausdrücklich auch den Bereich der Reservisten erwähnen. In dieser Gruppe steht ein hoher Vertrauensbonus auf dem Spiel, der durch jetzt in Angriff genommene Maßnahmen - beispielsweise durch die auch materielle Anerkennung zusätzlichen Engagements oder durch das neue Wehrübungskonzept - gestärkt werden kann. Ich denke, dies ist um so wichtiger, als die Reservisten nicht nur militärisch eine bedeutende Funktion haben, sondern auch traditionell eine wichtige Mittlerrolle gegenüber der Gesellschaft wahrnehmen.
Dabei geht es eben nicht nur um die Reservisten von heute, sondern auch um die zirka 8 Millionen ehemaligen Soldaten, die bis heute gedient haben.
Meine Damen und Herren, der Auftrag der Bundeswehr zur Landes- und Bündnisverteidigung könnte ohne Reservisten nicht erfüllt werden. Dies ist gleichzeitig einer der wichtigsten sicherheitspolitischen Gründe für die Wehrpflicht.
Die Wehrpflichtigen sind für die Einbindung der Bundeswehr in die Gesellschaft eminent wichtig und übrigens auch für die Anbindung von Politik und Gesellschaft an die Streitkräfte.
Die Wehrgerechtigkeit ist heute so hoch wie schon lange nicht mehr. Mich ärgert es, wenn diese ständig in Frage gestellt und nicht richtig dargestellt wird.
Daß dies so ist, bestätigen die Wehrbeauftragte, der Zivildienstbeauftragte und alle weiteren mit der Thematik befaßten Institutionen und Dienststellen. Auch die Einführung des Tauglichkeitsgrades 7 - die Erfahrungen mit ihm sind inzwischen wohl insgesamt recht positiv - hat zu einer spürbaren Erhöhung der Dienstgerechtigkeit beigetragen.
Hinsichtlich des Instrumentes des freiwillig verlängerten Wehrdienstes hält die Wehrbeauftragte fest, daß dieses Angebot auf Interesse stößt. Ich möchte diese Aussage gerne erweitern; denn nach meiner Kenntnis der Personalentwicklung der jüngsten Zeit muß man hier von einem vollen Erfolg sprechen.
Das Programm der Freien Demokratischen Partei stellt fest - ich zitiere -:
Landes- und Bündnisverteidigung, d. h. der Schutz unserer Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, ist und bleibt Aufgabe aller Bürger.
Gleichzeitig stärkt die Wehrpflicht die Verankerung unserer demokratischen Gesellschaft in der Bundeswehr. Aber auch die Wehrpflicht muß an die veränderten gesellschaftspolitischen und sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen angepaßt werden. Nur so kann ihre gesellschaftliche Akzeptanz gefördert werden.
Diese Anpassung der Wehrpflicht an neue Bedingungen wird derzeit durch einen verkürzten Wehrdienst, die Möglichkeit, freiwillig länger Dienst zu leisten, und durch ein Programm zur Steigerung von Attraktivität und Akzeptanz umgesetzt. Zusammen mit unserem Koalitionspartner CDU/CSU haben wir Liberalen gezeigt, daß wir zu den erforderlichen Reformen in der Lage sind. Dies wird auch in Zukunft so sein, wenn denn eine weitgehende Stabilisierung der internationalen Ordnung zu neuen sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen führt.
Wichtig ist, daß es einen großen Konsens in der Bevölkerung und auch quer durch dieses Parlament gibt, an der Wehrpflicht festzuhalten.
Es gibt natürlich eine gewisse Minderheit - Vertreter sitzen übrigens in allen Fraktionen -, die sich gegen die Wehrpflicht und für eine Berufsarmee ausspricht.
Dies ist ihr gutes Recht. Sie und ihre Argumente ernst zu nehmen ist für eine parlamentarische Demokratie selbstverständlich. Aber wenn Sie, Frau Kollegin, heute hier Anträge einbringen, mit denen Sie die Wehrpflicht abschaffen wollen, dann seien Sie doch bitte ehrlich und stellen gleich einen Antrag,
Günther Friedrich Nolting
die Bundeswehr abzuschaffen, wie Sie es ständig im Verteidigungsausschuß vortragen.
Aus allen politischen Perspektiven sprechen nach wie vor weit mehr Argumente für die Wehrpflicht als dagegen. Befürworter einer Berufsarmee argumentieren häufig, daß sich die Aufgabenstellung der Bundeswehr nach dem Ende des Kalten Krieges geändert habe. Dies haben wir hier auch vom Kollegen Nachtwei fälschlicherweise wieder gehört. Das ist nämlich nur eine Teilwahrheit. In der Realität bleiben weite Teile des Auftrages gleich, und zwar die Landes- und besonders die Bündnisverteidigung. Deutschland bleibt der Anker der Stabilität in Europa
und hat große Bedeutung für das konventionelle Gleichgewicht. Wir, die wir derzeit tatsächlich keiner direkten Bedrohung ausgesetzt sind, sollten uns vor einer rein deutschen Nabelschau hüten;
denn bei weitem nicht alle unsere Bündnispartner haben die gleiche optimistische Sicherheitsanalyse wie wir.
Diesen Partnern schulden wir dieselbe Solidarität, die sie uns ihrerseits über 40 Jahre hinweg geleistet haben. Die Wehrpflicht in Deutschland ist und bleibt ein tragender Pfeiler zentraleuropäischer Sicherheitsarchitektur.
Die Hauptaufgabe der Landes- und vor allem Bündnisverteidigung bleibt also bestehen. Dies geht nur mit gut ausgestatteten Streitkräften, die in Krisenzeiten auch durch Reservisten noch über eine ausreichende Personalreserve verfügen. Nachdem sich die europäischen Nuklearmächte entschieden haben, ihre Streitkräfte zu Interventionsarmeen umzubilden, sind wir die letzte politisch, ökonomisch und demographisch starke Nation Europas, die konventionellen Rückhalt bietet.
Daß dies so bleibt, liegt in unserem Interesse, aber auch im Interesse Europas und der atlantischen Allianz. Dieser Aspekt wird übrigens im Sinne von burden sharing in den USA sehr deutlich gesehen.
Für internationale Einsätze außerhalb des Bündnisgebietes, also etwa im Rahmen der UN, brauchen wir eine Berufsarmee, sagen deren Befürworter. Hierbei ist nicht berücksichtigt, daß sich Deutschland an derartigen Missionen auch weiterhin nur in einem geringen Umfang beteiligen wird. Dieser Umfang wird den nicht wesentlich übersteigen, den derzeit die Friedensmission in Bosnien hat, also etwa 3 000 Soldaten. Für derartige Kontingente werden Grundwehrdienstleistende grundsätzlich nicht herangezogen, es sei denn, daß sie sich freiwillig melden und gleichzeitig freiwillig ihren Wehrdienst verlängern.
Wir wollen nicht, wie manche anderen Staaten, weltweite Interventionspolitik betreiben, wie es mit einer Berufsarmee zwangsläufig Wirklichkeit würde, sondern uns in der Außen- und Sicherheitspolitik weiterhin an die bewährte Kultur der Zurückhaltung halten. Dies sieht zu Recht auch die große Mehrheit der deutschen Bevölkerung so. Man kann nicht oft genug betonen, daß es in diesem Land einen breiten Konsens gegen die Schaffung einer Interventionsarmee gibt.
Meine Damen und Herren, ein weiteres, scheinbar starkes Argument für eine Berufsarmee ist der Hinweis auf die angeblich damit verbundene Professionalisierung. Tatsächlich aber schließen sich Wehrpflicht und Professionalisierung nicht aus. Die Wehrpflicht schafft vielmehr erst die Möglichkeit, das gesamte Potential an Intelligenz, Fähigkeiten und beruflicher Ausbildung der Bevölkerung zu nutzen.
Meine Damen und Herren, Deutschland hat schnell und umfassend auf die gewandelte sicherheitspolitische Lage reagiert. Wir haben den Auftrag der Streitkräfte, ihren Umfang und ihre Struktur den veränderten Rahmenbedingungen angepaßt.
Die gesamtdeutschen Streitkräfte wurden seit 1990 auf unter die Hälfte des Ursprungsbestandes reduziert, Herr Kollege Nachtwei. Die Wehrdienstdauer wurde erheblich verkürzt, viele Standorte wurden geschlossen, was zahlreiche Versetzungen und Umzüge zur Folge hatte.
Diese Strukturanpassung wird erst zum Ende dieses Jahrzehnts abgeschlossen. Wir, die wir daran mitgearbeitet und sie mitgestaltet haben, sollten jetzt, nach knapp zwei Jahren, nicht mit vagen Argumenten die nächste Reform fordern. Die Bundeswehr, ihre Soldaten, die zivilen Mitarbeiter und deren Familien sind keine beliebige Manövriermasse.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gilges?
Ja, gern.
Herr Kollege, kann ich davon ausgehen, daß die von der F.D.P. öffentlich mitgeteilte Absicht, eine Befragung ihrer Mitglieder in bezug auf die Beibehaltung der Wehrpflicht durchzuführen, durch Ihre Rede jetzt obsolet ist? Findet diese Befragung also nicht mehr statt? Ist die Frage in Ihrer eigenen Partei jetzt geklärt? Sie sind also für die Beibehaltung der Wehrpflicht ohne Wenn und Aber und werden diese Mitgliederbefragung nicht machen?
Konrad Gilges
Habe ich das nach der Rede, die Sie hier vorgetragen haben, so richtig verstanden? Oder ist das womöglich eine Rede gegen Ihre eigene Partei?
Herr Kollege, wenn Sie zugehört hätten, hätten Sie hören können, daß ich mich auf die gültige Beschlußlage der Freien Demokratischen Partei beziehe, die seit 1994 gegeben ist. Die Diskussion wird gegenwärtig bei uns genauso wie in allen anderen Parteien geführt.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich angesichts dieser Gegebenheiten noch einmal zusammenfassen. Ich halte fest, daß die Bundeswehr mit ihrer derzeitigen Struktur - das heißt natürlich auch mit ihren Wehrpflichtigen - der außen- und sicherheitspolitischen Lage und der Politik der Bundesrepublik Deutschland in angemessener Weise entspricht.
Wie Sie unschwer erkennen können, werden wir die Anträge der PDS und von Bündnis 90/Die Grünen ablehnen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluß noch eine Sorge zum Ausdruck bringen. Hier sind die Haushaltsplanberatungen angesprochen. Sollte sich die Haushaltsentwicklung der zurückliegenden Jahre in ähnlicher Weise fortsetzen, dann fürchte ich, daß dies gefährliche Auswirkungen auf den Umfang und die Struktur der Streitkräfte haben könnte.
Die Palette der Risiken reicht von neuerlich zu schließenden Standorten über unzulängliche Ausrüstung bis hin zu eventuell anstehenden Schwierigkeiten bei der Wahrung der Wehrgerechtigkeit.
Das wäre eine neue Beurteilung der Lage, und die Konsequenzen würden die Streitkräfte in jedem Fall von Grund auf erschüttern. Die dabei gegebenen potentiellen Risiken halte ich für kaum abschätzbar.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Es spricht jetzt der Abgeordnete Gerhard Zwerenz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Nolting, ich habe mit Interesse zur Kenntnis genommen, daß in allen Parteien Widerspenstige der allgemeinen Wehrpflichtzähmung vorhanden sein sollen. In diesem Sinne habe ich mich bei Ihnen umgesehen und stelle mit Bedauern fest, daß Herr Feldmann gar nicht da ist.
- Es fehlen noch mehr. Aber immerhin: Es ermuntert uns von der kleinsten, zweideutigen Opposition, zu wissen, daß wir in allen Ihren Reihen heimliche Sympathisanten haben.
Wir wissen natürlich, daß wir nichts davon verspüren werden; denn wer wird sein Sympathisantentum so offen zur Schau stellen. Das verbietet sich natürlich.
Ich möchte mich anschließen: Es fällt niemandem eine Perle aus der Krone, wenn er der Wehrbeauftragten zu ihrer sozialen Tüchtigkeit gratuliert. Insofern kann ich, der ich in meinem Leben vier verschiedene deutsche Armeen kennengelernt habe, sagen: Diese Armee ist, was den sozialen Status angeht, durchaus die akzeptabelste.
Aber die Wehrbeauftragte hat in ihrem Jahresbericht auch empfohlen - das wurde jetzt mehrfach wiederholt -, den Sinn der Wehrpflicht und den Wert der Wehrpflichtarmee in der Gesellschaft zu verdeutlichen. Ich werde mich auf die Frage der Wehrpflicht beschränken.
Die Bundesregierung übernimmt, wie wir wissen, sehr viel, um die anwachsende Stimmung zur Kriegsdienstverweigerung in den Griff zu bekommen und eine größere Akzeptanz der Wehrpflicht zu erreichen. Dafür werden Summen in Millionenhöhe ausgegeben.
Ich glaube, daß dies nicht ausreichen wird; denn es handelt sich um eine Grundstimmung. Ich möchte hinzufügen: Wenn es in allen Fraktionen einige Abgeordnete gibt, die an der Wehrpflicht immer mehr zweifeln, dann hat auch dies etwas mit einer Grundstimmung zu tun. Es sind gewissermaßen die Pioniere, die Vorausabteilungen dessen, was morgen und übermorgen sowieso eintreten wird, sosehr Sie sich heute noch auf die Wehrpflichtarmee selbst vereidigen wollen.
Von den Wehrpflichtbefürwortern wird zur Begründung der Wehrpflicht gerne auf die Einführung der Wehrpflicht durch das revolutionäre Frankreich im Jahre 1793 verwiesen. Dabei wird vergessen, daß am 16. Dezember 1789 die Französische Republik ein Dekret erlassen hat, das sich gegen stehende Heere und gegen jede Wehrpflicht ausgesprochen hat, weil dies mit der Freiheit und Würde des Individuums unvereinbar sei. Daß die Wehrpflicht Jahre später eingeführt wurde, hat mit einer konkreten Bedrohung der Französischen Republik zu tun. Es handelte sich dabei um einen Ausnahmezustand.
Ich bin durchaus bereit, die vergangene Zeit des Kalten Krieges analog dazu als einen Ausnahmezustand zu werten. Ich meine aber - darin stimmten wir
Gerhard Zwerenz
bisher eigentlich überein -, daß dieser Ausnahmezustand vorüber ist.
Ich schlußfolgere: Wer die Wehrpflicht als ein legitimes Kind der Demokratie glorifiziert, der verschweigt, daß es nicht zuletzt genau diese Wehrpflicht gewesen ist, die zumindest in der deutschen Geschichte - und darum geht es ja - zur Militarisierung der verschiedenen Gesellschaften in unserem Zeitalter, in unserem Jahrhundert geführt hat. Die Wehrpflicht ist eben nicht nur ein Kind von Demokratien; sie ist ebenso ein Kind von Diktaturen. Das sollte man nicht vergessen.
Man könnte natürlich auch sagen, daß die Wehrpflicht zur deutschen Demokratie gehört wie die Guillotine zur französischen Demokratie. Beides ist richtig und falsch zugleich. Man muß es aber wenigstens sagen. - Die Wehrpflicht ist abhängig von konkreten Gefährdungslagen. Sie kann auch nur von der konkreten Gefährdungslage einer Zeit her begründet werden.
Zur Erinnerung: Auch die Wehrstrukturkommission hat im Jahre 1972 die Auffassung vertreten, daß bei einer wesentlichen Veränderung der sicherheitspolitischen Lage, die eine beträchtliche Präsenzverringerung ermöglichen würde, eine Umwandlung der Bundeswehr in Freiwilligenstreitkräfte durchaus denkbar sei. Also: Denkbar sollte dies doch wenigstens sein, wenn man den Bogen dorthin schlägt. Wann also - so ist zu fragen - wäre der Zeitpunkt für diese Denkbarkeit gekommen, wenn nicht jetzt? Es ist nicht die Zeit, alte Kalte-Krieg-Legenden wieder aufzuwärmen.
Ich komme zum nächsten Punkt. Viele, die eine grundlegende Verbesserung unserer Sicherheitslage anerkennen, wollen sich dennoch nicht von der Wehrpflicht verabschieden. Ich behaupte: Dies ist altes Denken; das will man beibehalten. Der Minister vertritt natürlich seine Interessen auch mit Hilfe dieses alten Denkens. Die Wehrpflichtigen will man dabei jetzt zu einer Art Korrektiv machen. - Herr Minister, würden Sie mir bitte vielleicht ein bißchen zuhören? Frau Schulte, auch Sie haben es vielleicht nötig, ein wenig zuzuhören, wenn jemand etwas anderes sagt als Sie von der großen Koalition.
Man will also die Wehrpflichtigen bei uns zu einem Korrektiv machen. Sie sollen eine demokratische, zivilisierte Bundeswehr garantieren; sie sollen die Armee in die Gesellschaft einbinden und den Staat im Staate verhindern. Sie sollen außerdem noch eine Hemmschwelle gegen einen allzu leichtfertigen Einsatz der Bundeswehr bilden. Diese hehre Erwartung können Wehrpflichtige überhaupt nicht erfüllen. Das reden Sie sich ein, und das sprechen Sie ihnen zu. Nicht die Wehrpflichtigen kontrollieren die Bundeswehr; dies ist eine Aufgabe der Politik, des Parlaments, der Öffentlichkeit.
- Herr Minister, Sie sind wahrscheinlich gemeint, wenn ich die Glocke der Präsidentin richtig verstanden habe.
Ich wollte damit nicht erreichen, daß Sie aufhören zu reden.
Aber ich habe noch zwei Minuten.
Ja eben; deswegen bitte ich Sie fortzufahren.
Sie sehen, Herr Minister, welch eine besondere Behandlung Sie erfahren. Sie sind schon ein großer Diplomat, wie Sie das immer schaffen.
Ich werde diese anderthalb Minuten dazu nutzen, daß ich sage, daß wir selbstverständlich jederzeit bereit sind, uns dazu zu bekennen, daß wir die Wehrpflichtarmee abschaffen wollen. Wir meinen, daß der erste Schritt zu einer Zivilisierung und Entmilitarisierung dieser Gesellschaft eben die Abschaffung der Wehrpflicht ist, daß dies der erste Schritt dazu ist, um die Bundeswehr zu einer interventionsunfähigen Armee zu machen, die strikt auf die Landesverteidigung festgelegt ist. Letztlich ist es auch möglich, sie im Rahmen einer neuen europäischen Friedensordnung abzuschaffen.
Ich vermisse so etwas bei Ihnen. Sie glauben nämlich an Ihre eigenen Worte und hehren Ziele nicht mehr.
Lassen Sie mich mit folgendem schließen - das sage ich durchaus auch als Selbstkritik -: Überlegen Sie sich einmal, wie leichtfertig Sie mit dem Wort „Einsatz" umgehen. Ich nehme mich dabei nicht aus. Auch ich habe diese Gewohnheit schon angenommen. Jedesmal, wenn heute das Wort „Einsatz" gefallen ist, habe ich einen Strich gemacht. Beim 30. Mal habe ich aufgehört, mitzuzählen. Ich habe mich erinnert - das weiß ich ganz genau -: Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gab es einen Bestseller, nämlich von Sternberger, Storz und Süskind, drei nicht ganz unbekannten liberalen Intellektuellen, die das „Wörterbuch des Unmenschen" geschrieben haben. In den ersten 20 bis 25 Jahren nach dem Krieg fand es als Lehrstoff in den Schulen und Hochschulen weite Verbreitung. Leider ist es in der Zwischenzeit in Vergessenheit geraten. In diesem „Wörterbuch des Unmenschen" heißt es über die Vokabel „Einsatz", daß sie vor Beginn des Zweiten Weltkriegs um sich gegriffen hat. Die Verfasser schreiben - ich zitiere -:
Was wir für geschmacklos-alberne Soldatenspielerei hielten, war in Wirklichkeit bereits der totale Krieg, lange vor seiner ausdrücklichen Erklärung. In der Sprache wird vorweggenommen, was geschieht.
Gerhard Zwerenz
Ich bitte Sie, daran zu denken; ich beziehe es selbstkritisch auch auf mich.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Jürgen Augustinowitz.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der heute zu debattierende Jahresbericht 1995 ist der erste, den unsere Kollegin Claire Marienfeld dem Parlament vorgelegt hat. In den Ausführungen zu ihrem Amtsverständnis betont die Wehrbeauftragte, daß es ihr um den Umgang mit und zwischen den Menschen in den Streitkräften geht. Diese Schwerpunktsetzung für die Menschen in der Bundeswehr finde ich gut. Die häufigen und auch oft unangemeldeten Truppenbesuche sind schon zu einer Art Markenzeichen der Wehrbeauftragten geworden. Diese Besuche waren Voraussetzung dafür, daß die Wehrbeauftragte zusammen mit ihren Mitarbeitern dem Parlament einen Bericht vorlegen konnte, der sich sehr nah an der Truppe orientiert. Dafür sage ich namens der CDU/CSU-Fraktion herzlichen Dank.
Danken möchte ich aber auch allen Kolleginnen und Kollegen im Verteidigungsausschuß, daß wir diesen Bericht umfassend, kompetent und auch zügig beraten haben.
Neben dem Bericht der Wehrbeauftragten stehen auch einige Anträge gegen die allgemeine Wehrpflicht zur Debatte. Diese Anträge sind mittlerweile leider schon zu einem ideologisch motivierten Ritual bestimmter Reihen dieses Hauses geworden; sie kommen immer wieder. Sie richten sich letztlich nicht nur gegen die Wehrpflicht, sondern gegen die Bundeswehr im Ganzen. Wir werden diese Anträge - wie wir es auch im Ausschuß gemacht haben - gemeinsam mit der SPD ablehnen.
Dieser breite Konsens ist auch ein wichtiges Signal an alle Soldaten der Bundeswehr: Das deutsche Parlament steht mit einer breiten Mehrheit zur Bundeswehr als Wehrpflichtarmee.
- Gut, daß Sie sich gerade gemeldet haben, Herr Nachtwei. Ich fand nämlich unfair, daß Sie sich zu diesem Thema geäußert haben - Herr Stockfisch, Kapitän zur See, kann das nicht. Im übrigen will ich Ihnen ganz deutlich sagen, daß ich die allermeisten Äußerungen des Offiziers für richtig halte und unterschreiben kann.
Beim Thema Finanzen gehe ich davon aus, daß die Zusagen bezüglich des Haushaltes eingehalten werden. Ausdrücklich unterstützen möchte ich den Bundesverteidigungsminister in seiner Zielsetzung, die im Zuge der Haushaltsaufstellung beschlossenen Kürzungen ohne Eingriffe in Struktur und Umfang der Streitkräfte zu erbringen. Auch bei der Wehrpflicht, der Ausbildung und im Betrieb soll nicht gekürzt werden. Aber täuschen wir uns nicht: Die Lage in der Bundeswehr ist angespannter, als einige wahrhaben wollen.
Die Akzeptanz der Wehrpflicht und die Bereitschaft der jungen Deutschen, ihren Grundwehrdienst zu leisten, hängt unmittelbar mit dem Bild der Bundeswehr in der deutschen Öffentlichkeit zusammen.
Ich möchte eine Aussage der Wehrbeauftragten zitieren: „Die Uniform in der Öffentlichkeit sollte nicht länger als Besonderheit gesehen werden. " Hierzu gehört aus meiner Sicht unbedingt, daß die Bundeswehr auch in Zukunft öffentliche Gelöbnisse, Zapfenstreiche und weitere öffentliche Veranstaltungen durchführt.
Vor einiger Zeit haben deutsche Soldaten des Eurokorps an einer Militärparade anläßlich der Feierlichkeiten zum französischen Nationalfeiertag in Paris teilgenommen. Ich könnte mir gut vorstellen, daß eine ähnliche militärische Formation auch anläßlich des deutschen Nationalfeiertages in Berlin stattfindet. Dazu sollten wir auch Abordnungen der Alliierten einladen.
Die nach wie vor besorgniserregende Entwicklung der Anzahl der KDV haben wir schon des öfteren diskutiert. Wir haben mittlerweile eine Quote, die bei über 30 Prozent liegt. Ich warne dringend vor dem Glauben, mit dem verabschiedeten Programm betreffend Attraktivität für Grundwehrdienstleistende sei diese Problematik gelöst. Anstrengungen sind hierbei fortwährend notwendig.
Im übrigen ist der Vorwurf der SPD, wir täten zuwenig für die Wehrpflichtigen, völlig falsch. Die Koalitionsfraktionen haben trotz der schwierigen Haushaltslage deutliche finanzielle Verbesserungen für die Grundwehrdienstleistenden erreicht. Ich nenne nur das doppelte Verpflegungsgeld an dienstfreien Tagen, die Verkürzung der Beförderungsintervalle, das Vorziehen des Anspruchs auf Dienstzeitausgleich und die Einführung der Mobilitätszulage. Ist das denn nichts, liebe Kollegen von der SPD?
Wenn deutsche Soldaten in bi- und multinationalen Verbänden dienen, dürfen keine Abstriche an den Maßstäben der Inneren Führung vorgenommen werden. Die Wehrbeauftragte hat zu diesem Themenbereich vor wenigen Wochen einen Einzelbe-
Jürgen Augustinowitz
richt vorgelegt. Das BMVg steht hierbei in der Pflicht, sicherzustellen, daß die Grundsätze der Inneren Führung für alle Soldaten der Bundeswehr gelten.
In diesem Zusammenhang spreche ich mich im übrigen dafür aus, daß das letzte verbliebene nationale Korps der Bundeswehr, das vierte Korps in Potsdam, auch zukünftig ein nationales Korps bleibt.
Die Personallage im Sanitätsdienst ist angespannt. Im Berichtsjahr konnten wir 7 Prozent der Truppenarztdienstposten nicht besetzen. Durch die zusätzlichen Belastungen, denen sich der Sanitätsdienst durch den IFOR-Einsatz gegenübersieht, wird die personelle Knappheit noch deutlicher. So kam es in einem Korps zu einem zeitweiligen Fehlen an Truppenärzten von fast 30 Prozent. Das ist nicht hinnehmbar.
Auch die Leistungsfähigkeit der Vertragsärzte ist von der Bundeswehr verstärkt zu hinterfragen. Für die allgemeine sanitätsdienstliche Versorgung der Soldaten im Inland werden zur Zeit sogenannte Standortsanitätszentren eingerichtet. Der Abzug von Truppenärzten aus den Einheiten in diese Zentren darf aber nur dort stattfinden, wo das Sanitätszentrum für die zu versorgende Truppe ohne Probleme erreichbar ist. Insbesondere im Bereich des deutschen Heeres gibt es viele Standorte, die unbedingt ihren Truppenarzt behalten müssen. Das ist der beste Weg, diese Standorte praktikabel und effektiv sanitätsdienstlich zu versorgen.
In den anstehenden STAN-Verhandlungen müssen genügend Dienstposten in diesem Bereich bereitgestellt werden, um auch in Zukunft eine gute Versorgung der Soldaten an allen Standorten zu gewährleisten. Wir werden im Verteidigungsausschuß - sicherlich gemeinsam - diese Entwicklung aufmerksam beobachten.
Im Dezember werden wir hier über einen Nachfolgeeinsatz der IFOR-Mission beraten und ihn sicherlich auch in einer breiten Zustimmung beschließen. Wir werden im Parlament auch darauf achten müssen, daß es einen angemessenen Übergang für die derzeit im Rahmen des dritten Kontingents eingesetzten Soldaten zum ersten Kontingent des Nachfolgeeinsatzes geben wird. Hier darf es nicht zu unzumutbaren Belastungen der Soldaten kommen.
Die im IFOR-Kontingent eingesetzten Soldaten der Bundeswehr haben Deutschland große Ehre gemacht. Ich glaube, daß wir alle ihnen hierfür aufrichtig danken können.
Vielen Dank.
Jetzt hat die Kollegin Brigitte Schulte das Wort.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Auch angesichts der aktuellen Debatte um die ungeklärte Höhe des Verteidigungshaushalts und die Fehlplanungen,
die im Bundesministerium der Verteidigung in den letzten Jahren nun einmal vorgekommen sind, gilt es, in einer solchen Debatte, die ja wahrscheinlich gerade auch von den Fachleuten und von den Soldaten begleitet wird, zunächst einmal folgendes festzustellen: Noch nie in diesem zu Ende gehenden Jahrhundert befanden wir Deutschen uns in einer sicherheitspolitisch glücklicheren Lage. Das 20. Jahrhundert wurde ja überwiegend bestimmt durch massive militärische Aufrüstung der wichtigsten Staaten Europas - und zwar von Beginn dieses Jahrhunderts bis in die 90er Jahre - und durch zwei schreckliche Weltkriege und deren Folgen, an denen vor allen Dingen die Menschen in Zentral- und Osteuropa noch heute zu leiden haben und zu leiden haben werden.
Wir Deutschen trugen durch das verbrecherische oder das verantwortungslose Handeln politischer Führer entscheidenden Anteil an den beiden Weltkriegen und ihren Folgen. Weil dies ernsthaft kein vernünftiger und historisch gebildeter Mensch bestreiten kann, ist es schon bedrückend, wenn Angehörige der Bundeswehr in führenden Funktionen Dinge verbreiten, wie sie der Kollege Nachtwei vorhin vorgelesen hat. Ich komme noch darauf; das wird uns ja noch beschäftigen.
Seit 1990 ist jedoch die Teilung Deutschlands und Europas überwunden. Erstmals seit Jahrhunderten leben wir in einem demokratischen Rechtsstaat, der zu allen seinen Nachbarn freundschaftliche Beziehungen unterhält. Das ist wirklich ein Glück. Daß es soweit gekommen ist, verdanken wir nicht nur unserer eigenen verspäteten politischen Klugheit - die hätte uns freilich schon früher einfallen können -, sondern auch der Einsicht heute befreundeter Staaten, man könne das größte Volk in der Mitte Europas - zahlenmäßig und wirtschaftlich - nicht politisch isolieren, sondern müsse es einbinden.
Heute ist die Bundesrepublik Deutschland geachtetes Mitglied vieler internationaler Organisationen, hat sogar, zusammen mit anderen, die Europäische Union und die OSZE geschaffen und beflügelt sie heute. Aber befinden wir uns damit wirklich im Zustand der Glückseligkeit und Wohlgefälligkeit, und dürfen wir geflissentlich übersehen, daß Menschen nun einmal von Natur aus nicht nur vernunftbegabt und friedlich sind? Braucht nicht auch ein demokratischer moderner Rechtsstaat Sicherheit im Innern - was die Polizei gewährleistet - und Schutz nach außen, den wir wie unsere Nachbarstaaten durch Soldaten regeln?
Liest man die Anträge der Grünen- oder der PDSKollegen genau, so stellt man erstmals fest, daß sie das auch gar nicht bestreiten. Die Notwendigkeit der Bundeswehr wird von ihnen nicht mehr geleugnet. Das ist eine interessante Tatsache; denn das haben wir auch schon anders gehört.
Wenn wir heute jedoch über die Struktur und den Umfang der Bundeswehr diskutieren, müssen wir uns als Verteidigungspolitiker, aber auch als Parlamentarier insgesamt folgende Fragen stellen und beantworten: Brauchen wir 1996 noch eine Bundeswehr, die sich aus freiwilligen Zeit- und Berufssolda-
Brigitte Schulte
ten sowie aus Grundwehrdienstleistenden zusammensetzt, oder könnten wir wie viele unserer NATOPartner den Wehrdienst abschaffen oder aussetzen?
Werden die heute von der Bundeswehr zu leistenden Aufgaben im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung nicht besser durch freiwillig Längendienende bewältigt?
Bündnis 90/Die Grünen und PDS plädieren, dem Zeitgeist folgend, wie natürlich auch Vertreter anderer Parteien - das ist in einem demokratischen Staat legitim -
für die Abschaffung des Grundwehrdienstes und folgerichtig auch für die Abschaffung des Zivildienstes. Das ist ihr gutes Recht, aber dennoch haben wir viele Gründe, über den Sinn der Wehrpflicht nachzudenken.
Wer den jungen Männern heute und in der Zukunft Pflichten für die Gesellschaft abverlangt, muß das glaubhaft begründen.
Als ersten Grund möchte ich die Erfolgsbilanz der Bundeswehr selbst nennen. Über 40 Jahre lang haben militärische und zivile Mitarbeiter der Bundeswehr bewiesen, daß sie sich dem Primat der Politik und den Prinzipien der Inneren Führung verpflichtet fühlen.
Die Bundeswehr hat als Wehrpflichtarmee dazu beigetragen, daß sie im Bewußtsein der Bevölkerung fest verankert ist und sich großer Akzeptanz erfreut. Dafür müssen wir uns bei allen bedanken, die das geleistet haben.
Das gilt für Soldaten wie zivile Mitarbeiter, das gilt für Politiker verschiedener Parteien, das gilt auch für Journalisten und die Öffentlichkeit, die diese Entwicklung begleitet haben.
Der zweite, in meinen Augen besonders wichtige Grund liegt darin, daß die Streitkräfte ohne Wehrpflichtige den Vorteil des ständigen Austauschs mit jungen Menschen, die aus einer zivilberuflichen Orientierung kommen und dorthin wieder zurückkehren werden, verlieren könnten.
Die Ausbilder und Vorgesetzten der Bundeswehr werden durch wehrpflichtige Soldaten besonders gefordert, auch zu einem eigenen vorbildlichen Verhalten. Die Wehrpflicht schult die Vorgesetzten immer wieder neu in der Anwendung der Inneren Führung.
Der Kollege Nachtwei hat recht: Es geht uns nicht um den Kapitän zur See, es geht uns auch nicht um den Oberstleutnant im Generalstab, sondern es geht um den Geist, der in der Bundeswehr herrscht. Es geht darum, daß solche Leute ein Papier in der „Truppenpraxis", der Wehrausbildung für den Offizier, schreiben können.
Frau Kollegin Geiger, nehmen Sie genauso wie der stellvertretende Generalinspekteur zur Kenntnis, daß
das nicht der Geist ist, mit dem wir die Bundeswehr in internationale Aufgaben hineinschicken. Das ist schädlich.
Ich bitte Sie ganz herzlich: Das kann als Meinungsfreiheit in der Tageszeitung stehen, es kann von Leuten in privaten Büchern dargestellt werden, aber es gehört nicht in Zeitschriften hinein, die der Steuerzahler bezahlt und die dem Prinzip der Inneren Führung widersprechen.
Wenn Sie sich das, meine Kollegen und Kolleginnen von der CDU, der F.D.P. und der CSU, in Ruhe ansehen, dann werden Sie uns das bestätigen können.
- Ja, du liest das leider auch nicht, weil du so viel Papier von denen bekommst und nicht dazu kommst. Ich lese die Papiere immer quer und muß sagen: Das erschüttert mich sehr, ich halte das für eine sehr negative Situation.
Ich wiederhole deshalb: Die Wehrpflicht schult die Vorgesetzten immer wieder in der Anwendung der Inneren Führung.
Der dritte Grund liegt für mich darin, daß sich Politik und Öffentlichkeit durch die Wehrpflicht mehr für die Bundeswehr interessieren. Öffentliche Kontrolle durch die Medien ist besonders wichtig, wie man ja am Fehlverhalten in den Streitkräften befreundeter Staaten feststellen kann. Außerdem müssen die Steuerzahler wissen, was mit ihrem Geld passiert. Das gilt natürlich auch für die Aussage, daß Streitkräfte auch im Frieden Geld kosten. Teurer ist nur der Krieg, und den wollen wir durch die Vorhaltung von Streitkräften eigentlich verhindern.
Ein vierter und für mich besonders wichtiger Grund liegt in der Chance, daß junge Männer bei der Ableistung ihres Wehrdienstes oder Zivildienstes darüber nachdenken, ob und warum der demokratische Staat von ihnen eine solche Pflicht abverlangt. Wer die Gelegenheit hat, mit diesen jungen Menschen zu sprechen, erfährt, daß sie die Notwendigkeit des Wehrdienstes oder Zivildienstes dann einsehen, wenn dieser Dienst sinnvoll gestaltet ist.
Zur Zeit muß man freilich feststellen, daß es in vielen Verbänden der Bundeswehr schwerfällt, in zehn Monaten jungen Menschen genügend Grundfertigkeiten beizubringen. Viele Ausbilder sind auch deshalb überfordert, weil sie gleichzeitig durch den Aufbau und den Ausbau der Krisenreaktionskräfte nicht genügend Zeit und Personal für die Ausbildung der Wehrpflichtigen zur Verfügung haben. Dann kommt Frust auf, Frust bei den Ausbildern und Frust bei den jungen Soldaten.
Die Ausbilder und die verantwortlichen Offiziere in der Truppe fragen uns, warum wir nicht wenigstens in den Monaten November und Dezember auf die Einberufung von neuen Wehrpflichtigen verzich-
Brigitte Schulte
ten könnten. Wir würden damit der Truppe Gelegenheit geben, ihre Arbeit selbst zu organisieren oder auch Urlaub, der angefallen ist, abzufeiern oder auch etwas für die eigene Ausbildung zu tun. Wir würden damit die Zahl der Wehrpflichtigen sinnvoll reduzieren, weil wir, wenn wir in diesen beiden Monaten auf die Einberufung verzichten, sowohl der Truppe als auch den jungen Wehrpflichtigen etwas Gutes tun, die von November bis Ende Dezember in der Bundeswehr nicht gerade einen sinnstiftenden Dienst finden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das geschieht nicht sehr häufig. Das ist meines Erachtens bedauerlich.
Der innere Zustand der Bundeswehr ist wichtig. Ich gehe davon aus, daß wir wegen der wachsenden Probleme auch in der Zukunft noch häufiger darüber reden werden. Wir sollten darüber nicht nur dann diskutieren, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsparteien, wenn wir Soldaten wieder in einen internationalen Auftrag schicken müssen. Wir müssen uns auch mit ihrem Alltag und ihren Sorgen auseinandersetzen.
Es stimmt, daß heute Geld weder für den Betrieb noch für die Instandhaltung von Geräten in genügendem Maße vorhanden ist. Deshalb muß man entweder an den Umfang und an die Struktur der Streitkräfte herangehen, oder aber man muß genügend Geld zur Verfügung stellen. Da ich als langjähriges Haushaltsausschußmitglied zu denjenigen gehöre, die nicht verkennen, daß wir uns das erstemal auch in finanziell schwierigen Problemen befinden, sage ich, daß selbstverständlich auch die Bundeswehr sparen muß. Aber dann müssen wir uns ernsthaft überlegen, ob der augenblickliche Umfang und die augenblickliche Struktur noch für die nächsten Jahre zu bezahlen sind. Junge Wehrpflichtige sehen nicht ein, daß sie an veraltetem, in der Unterhaltung zu teurem Gerät ausgebildet werden, das oftmals älter ist als sie selbst, das in die Bundeswehr eingeführt wurde, als sie noch gar nicht geboren waren.
Aber warum, Frau Parlamentarische Staatssekretärin, schaffen Sie es nicht, endlich, wie mein Kollege Heistermann gesagt hat, die unzeitgemäße Einberufung der 25- bis 28jährigen jungen Männer zu beenden? Wir haben keinen solchen Bedrohungszustand. Es ist geradezu unglaublich, welchen Aufwand Kreiswehrersatzämter und Wehrbereichsverwaltungen zum Teil betreiben, um noch unbedingt die Einberufung eines jungen Mannes kurz vor der Vollendung seines 28. Lebensjahres zu erreichen. Das ist Unfug. Wir alle haben damit zu tun. Beenden wir das doch, auch wenn die Zahl der Wehrpflichtigen dann für eine Zeitlang kleiner ist!
Warum wird es jungen Menschen mit gesundheitlichen Problemen so schwer gemacht, statt des Wehrdienstes einen sinnvollen Ersatzdienst zu leisten? Was sich da abspielt, was sich Bundeswehrärzte zum Teil erlauben, um jemandem noch einen Tauglichkeitsgrad zuzuschreiben, ist in Einzelfällen unverantwortlich. Es handelt sich oft um junge Menschen, die sich nicht drücken wollen, die auch nicht sagen: „Ich bin gegen die Wehrpflicht", die aber sagen: „Ich bin mit meinen gesundheitlichen Problemen in der Situation, daß ich den Dienst in der Truppe nicht leisten kann." Warum sind wir da nicht beweglicher? Denn all dies führt natürlich nicht zur Erhöhung der Akzeptanz der Wehrpflicht, sondern dazu, daß junge Leute sagen: Was soll das eigentlich? Auch ich als langjährige Parlamentarierin frage mich: Was soll das eigentlich?
Überhaupt nicht anfreunden können wir Sozialdemokraten uns mit der Entschädigung für die Wehrpflichtigen und die Zivildienstleistenden. Es ist eben nicht wahr, auch wenn Sie das heute wieder behauptet haben, daß nicht eine große Diskrepanz darin besteht, daß ein junger Wehrpflichtiger zwischen 450 und 600 DM bekommt, während ein junger 16- oder 13jähriger Auszubildender als Verwaltungsangestellter im ersten Lehrjahr - ich habe heute morgen noch extra meinen Landkreis Hameln-Pyrmont um diese Zahl gebeten - 1057,53 DM bekommt. Viele der Wehrpflichtigen sind älter als 18 Jahre, sind 20 oder 22 Jahre alt. Viele kommen freiwillig, nachdem sie ihre Berufsausbildung beendet haben, und gehen mit 450 bis 600 DM nach Hause, während der junge Auszubildende mit 17 Jahren 1057,53 DM erhält. Ich bin da noch nicht einmal bei den höchsten Ausbildungsvergütungen; ich bin nur bei den Ausbildungsvergütungen, die der öffentliche Dienst zahlt, und zwar vergleichbaren jungen Menschen. Das können Sie nicht leugnen. Ich behaupte: Wir würden Ihnen spielend sagen können, wo Sie das Geld herausnehmen können, wenn Sie an anderer Stelle vernünftig wären und mit uns reden würden.
Wir haben Ihnen oft genug gesagt, daß wir eine neue Wehrstrukturkommission brauchen, um uns Gedanken zu machen, wie es mit dem Verhältnis von Längerdienenden, von Zeit- und Berufssoldaten und von Wehrpflichtigen aussehen soll. Wir haben Ihnen oft genug gesagt, daß wir uns auch über die Struktur unterhalten wollen. Aber bitte: Vor den Trümmern Ihrer Politik stehen Sie. Natürlich werden wir die als Opposition immer wieder anprangern.
Setzen Sie sich endlich hin! Machen Sie Ihre Schularbeiten! Bringen Sie den Auftrag, die Struktur, den Umfang der Bundeswehr in Ordnung!
Natürlich muß auch der Verteidigungsminister bereit sein, die haushaltspolitischen Probleme des Bundes zu berücksichtigen. Denn so kann er nicht weitermachen. CDU/CSU und F.D.P. haben die Staatsfinanzen in Unordnung gebracht. Sie beschädigen nun auch noch die Bundeswehr als wichtiges Instrument des demokratischen Staates.
Nicht nach dem Motto der CDU/CSU und der F.D.P. „Nach uns die Sintflut; soll doch die nachfolgende Politik sehen, was sie kann" darf es gehen und schon gar nicht nach dem Motto „Ohne mich", wie es Grüne und PDS sagen. Vielmehr lohnt es sich,
Brigitte Schulte
für diesen demokratischen Staat und seine äußere Sicherheit Pflichten zu übernehmen.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat jetzt Herr Kollege Bernd Siebert.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! In dem Bericht der Wehrbeauftragten spiegelt sich der Eindruck wider, den die Wehrbeauftragte, Frau Marienfeld, im politischen Bereich ebenso wie in der Truppe hinterläßt: Sehr informiert, sehr kompetent, sehr persönlich engagiert macht sie die berechtigten Anliegen der Soldaten zu ihren eigenen.
Dafür gebühren Ihnen, liebe Frau Marienfeld, höchstes Lob, Dank und Anerkennung. Ich danke auch allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die gute und konstruktive Arbeit zum Wohle der Soldaten.
Mein Dank gilt auch der Bundesregierung; denn wenn aus dem Bericht der Wehrbeauftragten für das Jahr 1995, das fünfte Jahr der Einheit und somit das fünfte Jahr der Bundeswehrreform, eines deutlich wird, dann ist es das, daß die Bundesregierung trotz der schwierigen Rahmenbedingungen den Reformprozeß zielstrebig vorantreibt und fest in der Hand hält.
Dem Bundesminister der Verteidigung, Volker Rühe, gilt ebenfalls mein besonderes Lob. Unter widrigsten Umständen gelang es ihm, mit der Bundeswehr die neuen, erweiterten Aufgaben zu gestalten. Durch eine ungeheure Anstrengung war nicht nur eine tiefgreifende Reform der deutschen Streitkräfte umzusetzen, viel weitgreifendere Aufgaben sind durch die Erfordernisse der neuen Weltordnung zu bewältigen gewesen, denen sich zuvor kein Bundesminister der Verteidigung hatte stellen müssen. Dabei gelang es dem Verteidigungsminister, die bei einer Reduzierung des Haushaltsanteiles von 18 auf 10 Prozent unvermeidbaren Friktionen im Inneren der Streitkräfte in den letzten Jahren nicht nach außen treten zu lassen.
Wir leben in einer Zeit, in der es chic ist, das Negative zu entdecken. Doch hier sticht in beiden Fällen das Positive hervor.
Die Wehrbeauftragte hat in ihren „Schwerpunkten nach meinem Amtsverständnis" auch ein Defizit im Umgang mit und zwischen den Soldaten angemerkt. Diese Beobachtung habe auch ich gemacht, aber sie ist eher die Ausnahme. Das Betriebsklima der Bundeswehr läßt gelegentlich zu wünschen übrig. Nicht nur im Verhältnis zwischen Vorgesetzten und Wehrpflichtigen bestehen Defizite, sondern unsere Aufmerksamkeit gehört auch, um es vorsichtig auszudrücken, einer kaum faßbaren Geringschätzung mancher Offiziere und Unteroffiziere untereinander.
Alle Bemühungen um eine bessere Vermittlung der Bundeswehr in der Gesellschaft sind wertlos, wenn der Soldat im Alltag nicht unmittelbar die gebührende Achtung vor dem anderen lebt und erlebt.
Die Sorge der Wehrbeauftragten bezüglich der Bewertung des Soldaten in bestimmten Gruppierungen der Bevölkerung teile ich. Wie zum Beispiel eine Landeskirche allen jungen wehrpflichtigen Gemeindemitgliedern ihre Hilfe bei der Kriegsdienstverweigerung in einer Form anbieten kann, die einer Empfehlung gleichkommt, ist mir genauso unverständlich wie der Wehrbeauftragten.
Ich gehe davon aus, daß das in diesem Haus von einer breiten Mehrheit genauso gesehen wird.
Ebenso unverständlich ist mir neuerdings die Haltung vieler Gewerkschaftsfunktionäre, die in dieser Hinsicht die Verteidigung des Staates aufgeben, an dem ihre Vorgänger im Amt so engagiert mitgearbeitet haben.
Das Stagnieren der KDV-Zahlen hingegen ist ein erster beruhigender Ansatz. Die Trendwende bleibt für uns alle Aufgabe und Herausforderung.
Beruhigend ist auch die Tatsache, daß die Bundeswehr mit der Übernahme der schweren Verantwortung für den Einsatz in Bosnien und Kroatien nicht nur an Wertschätzung gewonnen hat, sondern auch dem Namen Deutschlands neue Anerkennung verschafft.
Dafür möchte ich allen Soldaten ganz herzlich Dank sagen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gilges?
Nein, ich möchte wegen der Zeitknappheit im Gesamtzusammenhang vortragen.
Die Aufforderung der Wehrbeauftragten, „den Sinn der Wehrpflicht und den Wert der Wehrpflichtarmee in der Gesellschaft zu verdeutlichen", empfinde ich als gerechte Aufforderung an uns selbst, an die Entscheidungsträger in der Gesellschaft allgemein und an die Kultusministerkonferenz im besonderen. Dies um so mehr, als die Bundeswehr schwere Einschnitte in ihrer Struktur hinnehmen mußte, die auch für die zivile Gesellschaftsstruktur schmerzlich waren.
Meine Damen und Herren, eine höhere Dichte an Offizieren könnte Abhilfe bei der Dienstaufsichtsproblematik schaffen. Die Forderung nach dem dritten
Bernd Siebert
Kompanieoffizier ist langfristig unbedingt weiter zu verfolgen, nicht zuletzt, um den Ausbildungsplatzanforderungen gerecht zu werden. Ich bin mir allerdings darüber im klaren, daß sich dies auch auf Grund der finanzpolitischen Rahmenbedingungen nicht kurzfristig umsetzen lassen wird.
Fin besonderes Augenmerk verdienen die Familien der Soldaten. Völlig zu Recht klagt die Wehrbeauftragte für diese Familien den Anspruch auf Standortsicherheit ein. Dies muß nun nach der Verabschiedung der Stationierungskonzepte um so sicherer gegeben sein. Einheiten und somit auch die Familien dürfen nicht Verfügungsmasse werden. Für Frauen und Kinder von Bundeswehrsoldaten gilt auch: Planungssicherheit zu Hause. In den Standorten sollte dies für Frauen und Männer selbstverständlich sein, von denen wir erwarten, daß sie sich in unserem Auftrag auch fernab der Heimat in gefährliche Situationen begeben.
Die Soldaten treten mit ihrem Leben für die Erfüllung ihrer Pflicht ein. „Die klaren Voten des Deutschen Bundestages trugen wesentlich dazu bei, daß die deutschen Soldaten, die an den Friedensmissionen teilnehmen, motiviert und überzeugt ihre Auf gaben erfüllen können" . Dieser Satz im Bericht der Wehrbeauftragten verpflichtet, verpflichtet auch dazu, dafür zu sorgen, daß nicht ein einziges Menschenleben durch veraltetes Gerät gefährdet wird, weder ein Leben derer, die damit arbeiten müssen, noch eines von denen, die unsere Hilfe in Anspruch nehmen.
Der Bericht enthält weitere sehr positive Aspekte, auf die ich auf Grund der Zeitproblematik nicht weiter eingehen kann.
Meine Damen und Herren, die Institution der Wehrbeauftragten hat sich - das macht dieser Bericht sehr deutlich - als richtig erwiesen. Wir sollten die Wehrbeauftragte bei ihrer Arbeit in Zukunft unterstützen.
Danke schön.
Das Wort hat jetzt der Kollege Walter Kolbow.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst würde ich Sie, Herr Kollege Siebert, auffordern, doch bitte noch einmal über Ihre Gewerkschaftsschelte nachzudenken. Als Mitglied einer Einzelgewerkschaft darf ich hier auch deutlich sagen, daß im neuen Grundsatzprogramm wieder das Bekenntnis zur Landesverteidigung steht, wie es auch im alten stand, und daß Sie Einzelfälle, die wir auch bei Ihnen nicht verallgemeinern, nicht dem Deutschen Gewerkschaftsbund anlasten sollten. Es steht dieser Debatte schlecht an, was Sie hier über die deutschen Gewerkschaften gesagt haben.
Ich darf der Frau Wehrbeauftragten zu ihren „Schwerpunkten nach meinem Amtsverständnis" mein Kompliment aussprechen. Die Schwerpunkte werden von uns geteilt. Ich darf insbesondere die Schwerpunkte der Beachtung des Prinzips der Sozialstaatlichkeit gerade dem Bundesminister für Verteidigung und seinem Haus anempfehlen und bitten, hier genau darauf zu achten, daß das Prinzip der Sozialstaatlichkeit und der Sozialverträglichkeit von Maßnahmen besser berücksichtigt wird, als dies im Berichtszeitraum der Fall war.
Ich bin sehr dankbar, Frau Wehrbeauftragte, daß Sie in den Schwerpunkten noch einmal unterstrichen haben, daß Ihnen sich einschleichende, oftmals unbewußte Verschlechterungen in der Wertschätzung der Untergebenen oder Kameraden durch Sprache, Gestik oder sonstige Handlungen Sorge bereiten.
Die Distanzierung, die hier - was diese Einschätzung angeht - von Ihnen, Frau Kollegin Geiger, zum Ausdruck gebracht worden ist, kann ich nicht nachvollziehen. Bagatellisieren Sie dies nicht, sondern tun Sie Ihre Pflicht, indem Sie diesen Dingen auf den Grund gehen und sie abstellen helfen!
Ich mache es nicht oft, daß ich die „Bild"-Zeitung im Deutschen Bundestag zitiere, aber Graf Nayhaus hat zwei interessante vertrauliche Bonn-Berichte auch über die Entwicklungen in der Bundeswehr in den letzten Ausgaben gehabt, unter dem Motto „ein Hauch Preußen auf der Hardthöhe". Ich gönne Ihnen ja Ihre neue Uniform, Herr Kollege van Essen, die auch immer heller wird und in die Nähe des Feldgraus der Wehrmacht rückt.
: Überhaupt nicht!)
Ich gönne aber dem Inspekteur der Marine nicht, auch aus politischem Verständnis heraus, daß er einfach die Bundesmarine in Deutsche Marine umbenennt. Deswegen haben wir diesen Sachverhalt - ich sage dies auch im Zusammenhang mit Ihren Ausführungen zur Inneren Führung - zu einer Tagesordnungsanfrage in der nächsten Sitzung des Verteidigungsausschusses gemacht, meine Damen und Herren.
Im übrigen will ich Ihnen deutlich das Zitat ins Gedächtnis rufen, das auch aus diesem Bericht stammt: Äußerlichkeiten gewinnen beim Militär immer dann Oberhand, wenn es nicht gelingt, politische Notwendigkeit und militärischen Auftrag überzeugend zu vermitteln.
Und daß das Wachbataillon jetzt mit Händen an der Hosennaht auch ausländische Gäste begrüßt und mit alten Formulierungen umgeht, die auch im Bereich der Dienstvorschrift und der Praxis der Inneren Führung moderne staatsbürgerliche Formulierungen waren, auch das können wir nicht nachvollziehen. Auch darüber werden wir uns unterhalten müssen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Walter Kolbow
Der Bundesminister der Verteidigung ist gegen Ende seiner Rede vom hohen Roß herabgestiegen und hat eingeräumt, daß es am Zustand der Bundeswehr manches zu kritisieren gibt. Ganz am Schluß seiner Rede wurde er wieder rückfällig und meinte, die SPD solle seine kluge und vernünftige Politik unterstützen.
Wir können eine Politik, die Sicherheits- und Verteidigungspolitik nur noch nach Kassenlage ist, nicht unterstützen.
Wir haben Gott sei Dank eine Menge an Gemeinsamkeiten. Ich beziehe mich auf das, was Sie zu den vorliegenden Anträgen der Grünen und der PDS gesagt haben. In diesem Punkt sind wir uns in der Ablehnung einig. Aber der Wehrbeauftragten-Bericht weist sehr deutlich auf die Defizite hin, die sich aus der Unterfinanzierung ergeben. Ich zitiere von Seite 5 des Wehrbeauftragten-Berichts:
Es fehlt an Personal, die vielfältigen, neben dem engeren militärischen Auftrag wahrzunehmenden Aufgaben wie Freizeitbetreuung, Drogenberatung, AIDS-Prävention im Rahmen einer fürsorglichen Menschenführung wahrzunehmen.
In diesem Zusammenhang bekräftigt die Wehrbeauftragte die immer wieder erhobene Forderung nach dem dritten Kompanieoffizier.
Ihre Verlängerung der Stehzeiten akzeptieren wir. Das ist aber eben nicht genug. Wenn Sie die Feldwebellaufbahn in ein Pilotprojekt einbinden, über das Sie uns im Jahr 2001 berichten, dann zeigt das, wie Sie an diese Forderung herangehen. Sie wollen sie eigentlich gar nicht unterstützen und verwirklichen. Sie tun nur so, als ob Sie fortschrittlich sind.
Ich nehme die Wehrbeauftragte gerne als Zeugin. Auf Seite 6 ihres Wehrbeauftragten-Berichts schreibt sie, daß die Höhe des Wehrsoldes für die Akzeptanz des Dienstes durch die Wehrpflichtigen eine große Rolle spielt. Warum unternehmen Sie dann nichts? Warum tun Sie dem Glücksfall in der Person von Frau Marienfeld nicht diesen wohlbegründeten Gefallen, sondern weichen auf die Mobilitätszulage aus, die eine Dreiklassen-Armee bedeutet?
Bald führen wir hier die Haushaltsdebatte. Eines ist auch klar: Ich habe als Sicherheits- und Verteidigungspolitiker schon manches Mal wenig Freude über Kürzungsanträge meiner eigenen Fraktion empfunden. Hätten wir aber jemals solche Kürzungen vorgeschlagen, die Sie zugebenermaßen auf Initiative von Herrn Waigel ertragen müssen, dann hätten Sie von „vaterlandslosen Gesellen" gesprochen.
Die Reaktion des Bundesverteidigungsministers ist
nichts anderes als die Verschleierung seiner eigenen
Schwäche. Die „Braunschweiger Zeitung" hatte völlig recht, als sie am 4. November formulierte:
Jetzt plant Waigel einen neuerlichen Anschlag auf den Verteidigungsetat. Das würde abermals jegliche Planung der Bundeswehr durcheinanderbringen. Die Bundeswehr kann ihren Auftrag, unseren Frieden zu sichern, bald nicht mehr erfüllen.
Wenn Herr Rühe nicht spätestens jetzt sein Rückgrat wiederfindet, dann ist er bald ein Minister ohne Geschäftsbereich. Dann kann nicht nur Herr Waigel, sondern auch Herr Rühe sein Ressort wechseln. Nur: Für ihn habe ich keinen Vorschlag für eine passende Verwendung.
Nehmen Sie die Dinge ernst, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Treten Sie an die Koalitionsverantwortlichen heran, diesen Bundeswehretat nicht mehr als Steinbruch zu benutzen.
Das Wort hat der Kollege Dr. Klaus Rose, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die von uns gewohnte Kollegialität, besonders gegenüber dem Kollegen Walter Kolbow, verbietet es mir, direkt auf ihn einzugehen.
Wir haben ja demnächst die Haushaltsdebatte.
Ich möchte mich auf die Anträge der Grünen beziehen und dabei mit einem Zitat beginnen: „Wer das Böse nicht stoppt, trägt Schuld am Bösen." Dieser leiderfahrene Satz des Bischofs von Sarajewo bringt es auf den Punkt, wie richtig und wichtig es ist, daß wir uns eine Bundeswehr geschaffen haben und eine Bundeswehr erhalten wollen, die über die Fähigkeit verfügt, gemeinsam mit unseren Freunden und Partnern in der euroatlantischen Gemeinschaft friedenserhaltende und friedenschaffende Maßnahmen durchzuführen.
Auch die Grünen haben bei ihrer Bosnienreise vor wenigen Tagen ihre Lektion bekommen, vielleicht nicht gelernt, aber zumindest erkennen müssen, daß ideologische Positionen grausam sein können, besonders wenn sie im Mantel des Pazifismus daherkommen. Herr Fischer hat nach seiner Bosnienreise gesagt:
An einer Verlängerung des IFOR-Mandats führt kein Weg vorbei. Ohne IFOR wäre der Krieg, wäre das Morden, das Vertreiben und das Vergewaltigen noch nicht zu Ende. Ohne IFOR würde der Krieg wieder neu ausbrechen.
Wie recht doch Herr Fischer hat.
Dr. Klaus Rose
Der Erfolg von IFOR und der Mißerfolg der vorangegangenen VN-Mission
sind ein Lehrstück dafür, daß nur der militärisch Handlungs- und Einsatzfähige es schaffen kann, die entfesselten Kräfte eines militärischen Konflikts wieder zu bändigen. Diese nüchterne Erkenntnis ist keine Rechthaberei, sondern die Antwort auf die Schattenseite der Natur des Menschen.
Die Umbruchphase, in der sich Europa befindet, verlangt nach einer modernen Sicherheitspolitik - einer Sicherheit, die der Tatsache Rechnung trägt, daß Frieden und Stabilität auf der Gestaltung der Menschenrechte, auf funktionsfähigen demokratischen Strukturen und auf einer leistungsfähigen, sozial gerechten Marktwirtschaft beruhen. Jedoch taugt keine Sicherheitspolitik, wenn sie nicht über leistungsfähige Instrumente verfügt, um jene zu stoppen, die ihre Ziele mit Gewalt verfolgen.
Meine Damen und Herren, die neue Struktur der Bundeswehr entspricht genau dieser Notwendigkeit. Es ist richtig: Es ist unverzichtbar, daß wir uns in beschränktem Maße die Fähigkeit zulegen, in Krisen gemeinsam mit unseren Partnern schnell und effektiv reagieren zu können.
Nur wer militärisch wirklich handlungsfähig ist, wird von denen, die Gewalt in ihr Kalkül ziehen, auch tatsächlich ernstgenommen.
: So sieht es
aus!)
Wenn die Grünen die Lehren aus ihrer Bosnienreise ernst nehmen würden, müßten sie auf ihren Antrag verzichten, die Wehrpflicht abzuschaffen, die Umstrukturierung zu verhindern und sonst noch einiges Falsche mit der Bundeswehr zu wollen. Verehrter Herr Kollege Nachtwei, zeigen Sie doch, daß Sie lernfähig sind.
Rufen Sie und Ihre Kollegen diejenigen in Ihrer Partei zur Ordnung, die mit unübersehbarer ideologischer Verklemmung die militärische Handlungsfähigkeit der Bundeswehr als weltweite Interventionsfähigkeit diffamieren. Das wollen wir doch nicht. Das will doch niemand. Wer so argumentiert, ist Opfer seiner eigenen ideologischen Überlegungen - auf bayerisch könnte ich es „Spinnereien" nennen - und darf dann nicht verlangen, daß er ernstgenommen wird.
Sicherheit und Stabilität lassen sich nicht durch nationale Konzepte organisieren. Nur durch die Integration und Kooperation mit unseren Partnern können wir die Sicherheit unserer Bürger und die Stabilität in Europa garantieren. Deshalb ist es auch eine Selbstverständlichkeit, daß wir unsere Soldaten in gleicher Weise einsetzen, wie das unsere Partnerländer tun. Solidarität unter den Partnern ist eine der Grundvoraussetzungen für eine leistungsfähige europäische Friedenspolitik.
Wie weit die Grünen in diesem lebenswichtigen Bereich der Sicherheitspolitik von Verantwortlichkeit entfernt sind, zeigt die Empfehlung von Herrn Jürgen Trittin für die IFOR-Nachfolge. Er sagt, es gebe genug andere, und die Bundeswehr werde dort nicht gebraucht. Meine Damen und Herren, wer so spricht, erhebt sich über das Schicksal der kriegsgezeichneten Menschen im ehemaligen Jugoslawien. Wer so spricht, verspottet die Leistungen der Bundeswehrsoldaten bei der jetzigen IFOR-Mission und belegt nicht zuletzt die fatale Zerrissenheit der eigenen Partei.
Kontroversen sind in der politischen Diskussion Normalität, aber Widersprüchlichkeit in den öffentlichen Positionen einer Partei belegt nur deren Politikunfähigkeit. Widersprüche gibt es bei den Grünen beim Thema Bundeswehr an allen Ecken und Enden. Man merkt einfach, daß selbst dann, wenn sich die Notwendigkeit der Bundeswehr dem einen oder anderen zwingend aufdrängt, der Mut fehlt, dies auch einzugestehen. Da wird dann schon lieber gegen besseres Wissen polemisiert. So wird das Führungszentrum der Bundeswehr, das in herausragender Weise den Jugoslawien-Einsatz vorbereitet und durchgeführt und uns Parlamentariern zu jedem Zeitpunkt, wenn wir nur wollten, über die dortige Situation ausführlich informiert hat, in der Sprache linker Ideologie als „heimlicher Generalstab" diffamiert. Damit hat es nun wirklich nichts zu tun.
Auch beim Antrag der Grünen auf Abschaffung der Wehrpflicht kommt zum Ausdruck, daß man nicht versteht, daß die Wehrpflicht das bewährteste Bindeglied zwischen der Gesellschaft und ihrer Armee ist.
Wie wollen Sie, wenn Sie von rot-grüner Zukunftsmusik träumen, überhaupt jemals regierungsfähig sein, wenn Sie gegen Streitkräfte und Sicherheitskräfte sind? Ich bin den Sozialdemokraten sehr dankbar, daß sie in der letzten Zeit viel öfter als früher betonen, daß es ohne Bundeswehr und gegen die Bundeswehr nicht geht. Ich bin für diesen großen Konsens sehr dankbar, den wir in vielen Fragen gefunden haben. Aber Sie, die Grünen, haben offensichtlich überhaupt nichts dazugelernt. Deshalb sind mir die Vertreter der großen Oppositionspartei viel lieber.
Diese Bundeswehr ist ein Kind unserer Demokratie. Sie ist nicht zuletzt über die Wehrpflicht fest in dieser Demokratie verwurzelt. Darum ist es für mich schlicht unerträglich, Herr Zwerenz, wenn Sie die Demokratie als ein „Kind der Diktatur" verunglimpfen. Sie haben überhaupt nicht verstanden, daß unsere Wehrpflicht und unsere demokratische Armee zusammengehören und daß Sie von der Zwangspflicht anderer Staaten nicht auf diese Wehrpflichtdemokratie schließen dürfen.
Dr. Klaus Rose
Diese Bundeswehr hat zu Zeiten des Ost-WestKonflikts einen unschätzbaren Beitrag zur Erhaltung des Friedens geleistet. Mit ihrer neuen Struktur wird sie dies gemeinsam mit unseren Partnern auch in Zukunft tun können. Ich glaube - das sage ich nochmals an die Adresse der Grünen gerichtet -,
daß es sich lohnt, wenn alle demokratischen Kräfte unseres Landes ihr Vertrauen in diese Bundeswehr setzen und aus diesem Gefühl heraus diese Armee weiter mitgestalten. Der Friede für Europa wird auch in absehbarer Zukunft nur als wehrhafter Friede gesichert werden können; denn wer das Böse nicht stoppt - ich zitiere, was ich am Anfang sagte -, trägt Schuld am Bösen.
Wenn ich mir noch einmal den Zwerenz-Vergleich vor Augen halte und das, was Sie zusätzlich gesagt haben - manchmal unterschwellig, manchmal sehr deutlich -, nämlich daß wir mit der Bundeswehr und mit den Anstrengungen der Bundeswehr wieder vor einem neuen Weltkrieg stünden, dann muß ich sagen, daß ich das nicht hinnehmen kann. Ich finde das sogar einen schändlichen Vergleich.
Durch die Wahrnehmung des Amtes der Wehrbeauftragten durch Frau Marienfeld ist dieses Amt noch besser, noch deutlicher und noch erfolgreicher in das Bewußtsein der Öffentlichkeit gekommen. Dafür bin ich ebenso wie meine Kollegen dankbar. Wir sollten froh sein, daß wir durch das Amt der Wehrbeauftragten eine demokratisch kontrollierte Armee haben. Wir sollten diese Armee auch in Zukunft für die Sicherheit unseres Landes gemeinsam tragen und aufbauen.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Verteidigungsausschusses zum Jahresbericht 1995 der Wehrbeauftragten. Das sind die Drucksachen 13/3900 und 13/5400. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS angenommen.
Beschlußempfehlung des Verteidigungsausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Fortsetzung der Bundeswehrreduzierung und zum Verzicht auf Umstrukturierung der Bundeswehr für weltweite Kampfeinsätze, Drucksache 13/ 4122. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/2499 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS angenommen.
Beschlußempfehlung des Verteidigungsausschusses zu dem Antrag der Gruppe der PDS zur Abschaffung der Wehrpflicht. Das ist die Drucksache 13/ 5661. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/580 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS angenommen.
Beschlußempfehlung des Verteidigungsausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Abschaffung der Wehrpflicht. Das ist die Drucksache 13/5662. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/3552 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bündnisses 90/ Die Grünen und der Gruppe der PDS angenommen.
Interfraktionell wird Überweisung des Antrags der Gruppe der PDS zur Abschaffung der Wehrpflicht auf Drucksache 13/4461 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Hansjörg Schäfer, Lydia Westrich, Gerd Andres, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Auswirkungen des Truppenabbaus bei den alliierten Streitkräften und des Verkaufs von nicht benötigten militärischen Liegenschaften auf die Wirtschaftsstruktur und den Arbeitsmarkt in den betroffenen Regionen
- Drucksachen 13/4747, 13/5455 -
Dazu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dr. Hansjörg Schäfer, SPD.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage zeigt ganz klar, daß die Bundesregierung die Größenordnung des Problems noch nicht erkannt hat oder sie ganz einfach nicht wahrhaben will.
Die Konversion in allen ihren Erscheinungsformen und Bereichen ist eine Thematik, die uns noch lange beschäftigen wird. Die SPD-Fraktion beleuchtet in ihrer Großen Anfrage die Auswirkungen des Truppenabbaus bei den alliierten Streitkräften auf die Wirtschaftsstruktur und den Arbeitsmarkt in den betroffenen Regionen.
Vom 27. bis 30. Oktober dieses Jahres hat in Kaiserslautern eine internationale Konferenz der UNO
Dr. Hansjörg Schäfer
zu Chancen und Nutzen der weltweiten Konversion stattgefunden. In einer Erklärung bezeichnet die Konferenz die Konversion als eine langfristige Aufgabe, die private und öffentliche Investitionen erfordert, die innovative Konzepte benötigt, einschließlich neuartiger Zusammenarbeit, Koalitionen und Allianzen. Sie fordert daher eine angemessene und ergebnisorientierte Konversionspolitik auf nationaler Ebene - ich betone: auf nationaler Ebene.
Die Konferenz forderte weiterhin eine langfristige Planung und Entwicklungskonzepte, die auf einer verstärkten Zusammenarbeit zwischen Städten, Regionen und Regierungen basieren sowie eine ausreichende öffentliche Finanzierung und Sonderprogramme, die geeignet sind, private Investitionen zu mobilisieren.
Es paßt ins Bild, daß die offiziellen Vertreter der Bundesregierung es nicht für nötig befunden haben, bei dieser UNO-Konferenz zu erscheinen. Die Nichtteilnahme der Bundesregierung zeigt das Desinteresse am Thema Konversion. Die Bundesregierung möchte dieses Thema herunterspielen auf ein Teilproblemchen betroffener Länder wie Baden-Württemberg, Bayern, Hessen oder Rheinland-Pfalz.
Daß die Lage in den vom Truppenabbau betroffenen Regionen mittlerweile prekär ist, zeigen die Demonstrationen der Gewerkschaften von vor zwei Wochen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Die Menschen haben Angst um ihre Arbeitsplätze. Sie fürchten um ihre Zukunft und die Zukunft ihrer Familien.
Was die Bundesregierung davon hält, zeigt sie in ihrer Antwort auf die Große Anfrage. Ich zitiere:
Die gesamtwirtschaftlichen und regionalen ökonomischen Auswirkungen des Truppenabbaus als Folge der Ost-West-Entspannung dürfen nicht überschätzt werden.
So einfach ist das: Wo kein Problem ist, da liegt auch keine Verantwortung vor.
Bezeichnend hierfür ist auch, daß sich schon jahrelang kein verantwortliches Mitglied der Bundesregierung, geschweige denn der Bundeskanzler selbst in einer betroffenen Region wie der Westpfalz hat blicken lassen. Und wenn er denn käme, kann ich Ihnen garantieren, daß dies ein Ereignis besonderer Art werden würde.
Die Menschen in diesen Regionen haben schon lange kein Verständnis mehr für Sprüche. Sie kennen die Wirklichkeit: Massenarbeitslosigkeit, Langzeitarbeitslosigkeit und hohe Jugendarbeitslosigkeit sowie Lehrstellenmangel sind die traurigen Ergebnisse. Nur die Zusammenfassung aller Kräfte kann da helfen. Gerade hier ist die Bundesregierung gefordert, und gerade hier verweigert sie sich.
Vom 1. Januar 1995 bis zum 30. April 1996 haben nach Angaben der Bundesregierung im gesamten Bundesgebiet 7 714 Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen ihre Arbeitsplätze bei den alliierten Streitkräften verloren. In den letzten zehn Jahren haben allein in Rheinland-Pfalz fast 20 000 Zivilbeschäftigte ihren Job verloren. Hinzu kommt für Rheinland-Pfalz der Verlust von weiteren etwa 60 000 Arbeitsplätzen im Umfeld der Streitkräfte. Rechnet man das auf die gesamte Bundesrepublik hoch, dann bedeutet das den Verlust einer enormen Zahl von Arbeitsplätzen in einer Größenordnung zwischen 150 000 und 200 000.
Neben der offiziellen Schließung von Dienststellen bereitet in den letzten Monaten ein anderes Problem immer größere Sorgen. Wir beobachten immer häufiger, daß die alliierten Streitkräfte ihre Definition der technischen Fachkraft nach Art. 73 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut ohne die notwendige Zustimmung der Landesregierung exzessiv auslegen und US-Bürgern den privilegierten Status verleihen. Was dabei unter „technischer Fachkraft" zu verstehen ist, hat das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 26. November 1985 wie folgt beschrieben: Danach muß es sich in der Regel um Personen mit Spezialausbildung und/oder Fachkenntnissen handeln, die nicht oder nicht ohne weiteres durch inländische Arbeitskräfte ersetzt werden können.
In einer Notiz vom 13. Juli 1995 bestätigt die Botschaft der USA dem Auswärtigen Amt - ich zitiere -:
Es wird die Politik der Truppen der Vereinigten Staaten sein, nach Artikel 56 des Zusatzabkommens Beschäftigte nicht gegen ihren Willen zu entlassen, um sie durch technische Fachkräfte im Sinne des Artikels 73 des Zusatzabkommens zu ersetzen, soweit die technische Fachkraft dieselben Pflichten und Aufgaben hätte wie der Bedienstete nach Artikel 56.
Trotz dieser Zusage der amerikanischen Botschaft berichten uns im ganzen Land die Betriebsvertretungen genau das Gegenteil. Dies ist auch immer nachweisbar.
Ich will das an einem aktuellen Beispiel aus meinem Wahlkreis anschaulich machen. Beim 415. Base Support Bataillon in Kaiserslautern wird zur Zeit etwa 35 Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen gekündigt. Die Aufgabe dieser Einheit war bisher die Wartung von nicht-taktischen Fahrzeugen wie Pkws und Kleinbussen. Diese Aufgabe soll nun durch Amerikaner, die dem sogenannten zivilen Gefolge zugerechnet werden, erledigt werden - das sind Arbeiten, die früher von deutschen Arbeitnehmern ausgeübt wurden -, obwohl dieser Ersatz durch amerikanische Kräfte laut Zusage der Botschaft ausdrücklich untersagt ist.
In anderen Fällen werden von US-Firmen Arbeitnehmer beschäftigt, die nicht nach Art. 73 des Zusatzabkommens privilegiert sind, keine Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis besitzen und nicht der Steuer- und Sozialversicherungspflicht nachkommen. So etwas bezeichnen wir als illegale Beschäftigung.
Dr. Hansjörg Schäfer
Daß dadurch natürlich der Wettbewerb verzerrt wird und US-Firmen bei Ausschreibungen in großen Bereichen konkurrenzlos billiger sind, versteht sich von selbst.
Im Juli dieses Jahres fand eine abgesprochene und gleichzeitige Überprüfung einer amerikanischen Firma in den Ländern Hessen, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz durch die Steuerfahndung statt. Das Ergebnis dieser Fahndung war, daß allein diese eine amerikanische Firma eine Nachforderung in Höhe von 40 Millionen DM zu erwarten hat. Wir haben es also mit einem Problem in gehöriger Größenordnung zu tun.
Art. 73 des Zusatzabkommens kann kein Rest des früheren einseitigen Bestimmungsrechts der USStreitkräfte sein. Wir fordern, daß dies in den laufenden Verhandlungen mit den Amerikanern deutlich zum Ausdruck kommt. Wenn die USA und die Bundesrepublik Deutschland gleichberechtigte Partner sind, dann dürfen in den bilateralen Verträgen keine Reste des ehemaligen Besatzungsstatuts erhalten bleiben.
Darüber hinaus muß die Bundesregierung bereit sein, in ihrem Verantwortungsbereich mit den Ländern abgesprochene Vorgehensweisen zu akzeptieren. Das heißt, es muß möglich sein, abgesprochen durch Steuer- und Zollfahndung sowie durch die Arbeitsverwaltung zu überprüfen, ob illegale Beschäftigungsverhältnisse bei amerikanischen Firmen bestehen.
Wenn sich die Bundesregierung dieser Verantwortung nicht bewußt wird, dann werden bald die letzten Reste ortsansässiger Beschäftigung bei den alliierten Streitkräften verschwunden sein. Schon jetzt beobachte ich eine schwindende Akzeptanz der alliierten Streitkräfte bei der Bevölkerung.
Die Informationspolitik der alliierten Streitkräfte scheint eigentlich, wenn man die Antwort der Bundesregierung durchliest, ganz in Ordnung zu sein. Aber das ist bei weitem nicht so. Tatsache ist, daß die Landesregierungen von beabsichtigten Entlassungen viel zu spät in Kenntnis gesetzt werden und vor vollendeten Tatsachen stehen. Sie können daher nur spät oder gar nicht reagieren. Oftmals wissen die Betriebsvertretungen auf inoffiziellen Kanälen eher und besser Bescheid als die betroffenen Landesregierungen.
Ähnliches gilt bei der Freigabe von militärischen Liegenschaften. Die betroffenen Länder und Kommunen werden kurzfristig informiert, und Vorabplanungen für die Liegenschaften sind damit ausgeschlossen.
Wir fordern daher ein unbürokratisches und wirksames Informations- und Abstimmungssystem.
Die Konversion muß als Chance begriffen werden, bei allen Belastungen und Schwierigkeiten die bestehenden strukturellen Probleme anzugehen. Neue
Wirtschaftszweige und vor allem zukunftsträchtige Beschäftigungsfelder müssen erschlossen werden.
Die Beantwortung der Großen Anfrage durch die Bundesregierung weist eindeutige Defizite auf. Wir fordern die Bundesregierung auf, mehr als bisher für die betroffenen Regionen zu tun. Dazu ist sie durch das Grundgesetz verpflichtet.
Die Konversionsregionen haben die Lasten des Kalten Krieges getragen. Sie wollen jetzt an der Friedensdividende teilhaben.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dietmar Schlee, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Über die Große Anfrage der SPD und vor allem über die Begründungen müßte man eigentlich schreiben: So ändern sich die Zeiten.
Heute beklagen Sie mit beredten Worten die Probleme, die durch den Truppenabbau bei den alliierten Streitkräften entstehen, und gestern haben Sie, zumindest viele von Ihnen, in massivsten Aktionen den Abzug eben dieser Truppen gefordert.
Wenn es nach Ihnen gegangen wäre, hätten die alliierten Truppen spätestens Mitte der 80er Jahre unser Land verlassen müssen. Das ist Fakt; alles andere sind Nebenkriegsschauplätze.
Wenn man wie ich in den 80er und zu Beginn der 90er Jahre in einem Bundesland Verantwortung für die innere Sicherheit getragen hat, berühren einen Ihre Krokodilstränen über den Abzug und Ihr Wehklagen über mangelnde Verantwortung des Bundes besonders störend. Man denkt unwillkürlich daran, was Sie - um nur baden-württembergische Beispiele zu nennen - unseren Polizeibeamten in Mutlangen, auf der Waldheide bei Heilbronn, bei den Patschbarracks in Vaihingen, in Ulm und in vielen anderen Orten dieser Republik zugemutet haben.
Ich sehe, Herr Kollege Stiegler, die Bilder noch vor mir, wie 20jährige Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte SPD-Abgeordnete weggetragen und vorläufig festgenommen haben. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel war der Demonstrant Eppler, der sich mitten unter den Demonstranten über einen längeren Zeitraum nicht entscheiden konnte, ob er sich hinsetzt und wegtragen läßt oder nicht. Der Kompromiß war: Er hat sich an ein Polizeiauto gelehnt und zugesehen, wie seine Genossen weggetragen wurden.
Dietmar Schlee
Ich will das heute, wo ich diese Klagerei höre, noch einmal mit großem Nachdruck sagen. Ich will natürlich, lieber Kollege Stiegler, auch etwas zu dem sagen, was aktuell ansteht.
Herr Kollege Schlee, bevor Sie das tun, muß ich Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schmidt, Salzgitter, zulassen.
Nein, ich möchte im Zusammenhang vortragen. Nachher, Herr Kollege.
Wir haben damals die Probleme im Zusammenhang mit der Abrüstung gelöst. Sie haben ständig plakatiert, daß wir diese Probleme nicht lösen würden. Heute lösen wir die Probleme im Zusammenhang mit dem Truppenabzug. Und wiederum plakatieren Sie, daß das alles nicht funktioniere, daß die Probleme nicht gelöst würden.
Und, meine Damen und Herren, der Bund? Auch das ist völlig falsch, Herr Kollege Schäfer, was Sie dazu gesagt haben. Der Bund hat große, große Anstrengungen gemacht. Das kann man drehen und wenden, wie man will.
Wenn Sie nur einmal daran denken, daß der Länderanteil an der Umsatzsteuer angehoben wurde, daß die Länder zusätzlich an der Mehrwertsteuer beteiligt wurden! Wenn man das alles zusammenzählt, endet das in einer Größenordnung zwischen 18 und 20 Milliarden DM.
Da stellen Sie sich hierher und sagen, das Ganze liefe einfach nicht richtig ab. Das ist schlicht und ergreifend falsch. Richtig ist, Herr Kollege Dr. Schäfer, daß nach den zwei Phasen, die wir hinter uns haben - einmal 1991 und dann 1994 -, jetzt die Dinge noch viel schwieriger werden. Das kann man ernsthaft nicht bestreiten.
Die Lösungen werden schwieriger, und wir werden die Probleme nur mit einer konzertierten Aktion zwischen dem Bund, den Ländern und den Gemeinden lösen können. Die Probleme werden besonders für kleinere Gemeinden in strukturschwachen, dünnbesiedelten Räumen schwierig sein. Ich will versuchen, Ihnen das in wenigen Strichen an einem Beispiel deutlich zu machen.
Die Gemeinde Stetten am kalten Markt hat 3 500 Einwohner im Kernbereich, etwas mehr als 5 000 in der Gesamtgemeinde. Sie ist seit 1907 Garnisonsgemeinde, seither geprägt durch das Militär. Sie hat einen großen Truppenübungsplatz und ist auch Standort der Bundeswehr.
Im nächsten Jahr verlassen mehr als 1 000 französische Soldaten und etwa gleich viele Familienangehörige diese Gemeinde. Nach dem Abzug werden von einem Tag auf den anderen 250 Wohnungen leerstehen. Ein riesiges Kasernenareal ist ungenutzt. Die Finanzzuweisungen werden zurückgehen und, meine sehr verehrten Damen und Herren, auch die Kaufkraft.
Das ist natürlich eine riesige Herausforderung. Mir geht es darum, deutlich zu machen, daß wir Herausforderungen dieser Art bei den vorangehenden Reformen, beim Abzug von Truppen jeweils in ganz beachtlicher Weise bewältigt haben. So müssen wir natürlich auch diese Herausforderung meistern, vor der wir stehen. Meine Damen und Herren, wer in der Vergangenheit die Probleme gelöst hat, wird sie auch in der Zukunft lösen. Dafür spricht eine ganze Menge.
Ich meine, der Bund muß mitwirken an Arbeitsgruppen, die zukunftsträchtige Konzepte erarbeiten.
Er ist ja zumindest jetzt noch der Grundstückseigentümer, muß sich also auch an Ideenwettbewerben zur Nutzung der freiwerdenden Liegenschaften beteiligen.
Es kann nicht sein, daß das nur im kommunalen Bereich gemacht wird. Hier ist auch der Bund gefordert.
Es ist sicherlich ebenfalls notwendig, daß der Bund, wenn neben den französischen Truppen an einem Standort auch deutsche Truppen sind, so rasch wie möglich sagt, ob er Bedarf an Grundstücken hat, ob er vielleicht die deutschen Truppen, wenn auch moderat, etwas verstärken könnte. Das würde an der einen oder anderen Stelle helfen. Wie schwierig das ist, weiß ich sehr wohl. - Es muß natürlich auch ganz rasch eine Wertermittlung kommen, und da hat sich sehr vieles verbessert.
Das ist aber nur die eine Seite. Die andere Seite dieses Problems ist, daß die Gemeinden, die diese Grundstücke übernehmen müssen, in großen finanziellen Schwierigkeiten sind. Deshalb habe ich die Struktur dieser Gemeinde deutlich gemacht. Im Grunde genommen müßten sie diese Grundstücke zum Nulltarif bekommen. Solche Fragen müßten in einer solchen Arbeitsgruppe beantwortet werden, auch die Altlastenfrage.
Ich sage es noch einmal: Es geht darum, daß man den Leuten nicht irgend etwas einredet und miesmacht, sondern daß man hingeht und vor Ort in einer konzertierten Aktion die Probleme löst.
Lieber Herr Schäfer, da Sie vorhin auf die Länder abgehoben haben, will ich Ihnen dazu einen Satz sagen. Während sich der Bund nachhaltig engagiert hat, haben sich die Länder - ich will es einmal so formulieren - vorsichtig zurückgehalten. Das kann in Zukunft so nicht bleiben. Man kann solchen Gemeinden seitens des Landes nicht sagen: Ihr habt die Möglichkeit, in unser Stadtsanierungsprogramm hin-
Dietmar Schlee
einzukommen, für das im übrigen der Bund mit zahlt. - Das reicht beim besten Willen nicht aus.
Natürlich müßte überlegt werden, ob es dem Bund möglich ist, solche Gemeinden in die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" aufzunehmen.
Um die konzertierte Aktion zu unterstreichen: Es hat keinen Wert, den Leuten immer irgend etwas vorzugaukeln. Auch von seiten Europas muß mehr getan werden. KONVER I und KONVER II müssen für diese aktuellen Probleme sicherlich fortentwickelt werden.
Es geht nicht an, daß in Frankreich über Europa-Programme Gemeinden unterstützt werden, aus denen die französischen Streitkräfte abziehen, daß aber deutsche Gemeinden, aus denen die französischen Streitkräfte ebenfalls abziehen, keine Unterstützung bekommen. Das alles sind Themen, meine sehr verehrten Damen und Herren, die wir jetzt miteinander erörtern müssen - natürlich auch die Frage, wie eine erhöhte Arbeitslosigkeit, die an der einen oder anderen Stelle droht, in diese spezielle Förderung eingeht.
Dies muß man mit den Gemeinden absprechen. Auch die Gemeinden sind natürlich gefordert. Sie müssen sicherlich mit einem Mehr an Kreativität, an Innovationsfähigkeit, auch an Flexibilität an die Dinge herangehen. Sie müssen mehr einbringen und sicherlich planungsrechtliche Voraussetzungen - möglicherweise auch auf Vorrat - schaffen.
Das, meine Damen und Herren, wären meines Erachtens Ansätze, die uns weiterbrächten, mit denen wir den Bürgerinnen und Bürgern draußen deutlich machen können: Jawohl, in der Politik wird nicht nur über die Lösung der Probleme geredet,
die Lösung der Probleme wird vielmehr in ganz konkreten Schritten angegangen.
Ich möchte die SPD bitten, diese Lamentiererei zu beenden und an die Lösung der Probleme heranzugehen.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Christian Sterzing, Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, durch den Redebeitrag von
Herrn Kollegen Schlee sind gerade einige Nebelkerzen geworfen worden,
die die Probleme eher verborgen haben, anstatt sie offenzulegen.
Ich denke, sechs bzw. sieben Jahre nach Ende des Kalten Krieges ist es durchaus angebracht, über die Folgen des Truppenabbaus nachzudenken und auch Bilanz zu ziehen.
Wir sind in den letzten Jahren Zeugen eines erheblichen Truppenabbaus in vielen Regionen Deutschlands geworden. Die Frage aber ist, ob sich die Probleme, die dadurch entstanden sind, für die Menschen in den betroffenen Regionen auf befriedigende Weise gelöst haben. Wenn man Zwischenbilanz zieht, dann heißt das meines Erachtens auch, daß man kritisch fragen muß, ob die historische Chance, die in dieser politischen Wende steckt, für Abrüstung, für Entmilitarisierung, für Truppenabbau und für die Umstrukturierungen von militärisch belasteten Regionen ausreichend genutzt worden ist.
Ich denke, die Anfrage, die heute Gegenstand der Debatte ist, und natürlich auch die Antwort der Bundesregierung darauf zeigen, daß diese Zwischenbilanz ernüchternd ausfällt.
Viele Menschen haben auf die schon erwähnte Friedensdividende gehofft. Sie sind enttäuscht worden;
denn die Friedensdividende ist sicherlich mehr als nur eine Truppenpräsenz auf niedrigerem Niveau. Friedensdividende bedeutet doch, daß die finanziellen Einsparungen in den Regionen tatsächlich friedenspolitisch genutzt werden - für einen friedlichen, ökologischen und sozialen Umbau.
- Die Friedensdividende ist sehr teuer; das ist gewiß richtig. Wenn man sich aber die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage ansieht,
scheint das alles sehr billig zu sein.
Der Hinweis auf die Chancen, die mit diesem Truppenabbau für die Regionen verbunden sind, ist sicherlich richtig. Aber dieser Hinweis ist, in eine falsche Gesamteinschätzung eingebettet. Denn im Grunde werden hier die negativen Folgen des Truppenabbaus verniedlicht, und die Chancen werden schöngeredet. Auf jeden Fall glaube ich, daß die Ent-
Christian Sterzing
Wicklungen von der Bundesregierung immer so interpretiert werden, daß für besondere Aktivitäten kein Anlaß besteht.
Ich erinnere Sie daran, daß die Menschen in den betroffenen Regionen es wirklich leid sind, daß dieses Schwarze-Peter-Spiel zwischen Bund und Ländern weiter betrieben wird, daß immer die eine Seite sagt, die anderen müßten mehr tun. Die Menschen in den Regionen würden es begrüßen, wenn sowohl der Bund als auch einige Länder genausoviel Energie, wie sie in die Schuldzuweisung gegenüber der jeweils anderen Seite stecken, in die Entwicklung alternativer Konzepte investieren würden.
Die Dimension des Problems, das mit dem Truppenabbau verbunden ist, läßt die Antwort der Bundesregierung keineswegs erkennen. Ebenfalls ist keine Antwort auf die politische Herausforderung zu erkennen, die sich aus der Frage ergibt, wie man auf den Truppenabbau reagieren soll, von dem ja nun gerade Regionen betroffen sind, die in besonderer Weise strukturschwach sind und die durch eine sehr hohe Arbeitslosenrate zeigen, daß sie ein wirtschaftliches Rückgrat verloren haben.
Die Menschen in den Regionen haben gehofft, daß das Schmieden von Schwertern zu Pflugscharen in den 90er Jahren klappen wird. Wir haben gemerkt: Das ist ein mühsames und hartes Geschäft. Aber im Grunde ist doch diese biblische Metapher vom Schmieden der Schwerter zu Pflugscharen nichts anderes als das, was wir seit Jahren als Konversionspolitik bezeichnen. Von Ihnen wurde das lange Jahre immer nahezu als Schimpfwort angesehen. Militärische Strukturen verwandeln, sie in zivile Strukturen Umnutzen, das ist die Aufgabe; das ist mit dem Begriff „Konversion" gemeint.
Heute zeigen sich die Folgen der Tatsache, daß Sie sich jahrelang mit dieser Problematik nicht auseinandersetzen wollten. Denn das, was Sie als Konversionspolitik zu betreiben versuchen, ist durch Phantasielosigkeit und durch Konzeptionslosigkeit gekennzeichnet. Heute machen wir doch in den Regionen die Erfahrung: Wenn die Truppen abziehen, dann kann nicht jede militärische Liegenschaft in einen Gewerbepark verwandelt werden. Wenn die Truppen abziehen, kann auch nicht aus jeder militärischen Airbase ein Zivilflughafen gemacht werden. Wenn die Truppen abziehen und ganze Regionen ihr wirtschaftliches Rückgrat verlieren, dann reicht es nicht aus, mit der Gießkanne ein paar spärliche finanzielle Mittel über der Region zu verteilen.
Wir brauchen andere Konzepte. Wir brauchen Konzepte, die nicht nur alte, abgestandene Modelle einer Wirtschaftsansiedlung vorsehen; vielmehr ist es nötig, daß das Potential der Regionen genutzt wird. Hier, glaube ich, steckt viel mehr drin, als in den letzten Jahren genutzt worden ist. Das zeigt sich gerade in den Regionen der Westpfalz, wo durch eine starke Bürgerbeteiligung diese regionalen Ressourcen angezapft und genutzt wurden. Die Menschen dort haben sich eben nicht damit zufriedengegeben, daß
alte Rezepte von oben auf die Region gestülpt werden. Vielmehr wurde dort engagiert an neuen Konzepten gearbeitet.
Die Menschen in diesen Regionen brauchen rasche Hilfe. In den Anträgen, sowohl von der SPD als auch von uns, sind einige konkrete Vorschläge dazu gemacht worden. Eine Grundlinie aber läßt die Bundesregierung völlig vermissen; sie macht in keiner Weise deutlich, daß sie es auch in der Hand hat, die Rahmenbedingungen für alternative Wirtschaftsstrukturen in der Region zu setzen. Es geht um die bessere Information der Regionen, um die bessere Koordination -
Die Zeit, Herr Kollege!
- zwischen den Regionen untereinander und zwischen ihnen und der Bundesregierung und um wirksame Instrumente, die für eine regionale Beschäftigungs- und Wirtschaftspolitik zu schaffen sind. Hier muß Konversion in eine eigenständige regionale Entwicklung eingebaut werden.
Wir fordern die Bundesregierung auf, ihre Möglichkeiten zu ergreifen, die Mittel zur Verfügung zu stellen und nicht nur die negativen Auswirkungen des Truppenabbaus zu mildern, sondern auch die Chancen, die damit verbunden sind, wirksam zu nutzen.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Walter Hirche, F.D.P.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei allem Respekt vor den unterschiedlichen Wortmeldungen: Die Differenzen sollten vielleicht doch nicht verdecken, daß wir sicher gemeinsam der Auffassung sind, daß wir in der Politik hier ein wichtiges Tätigkeitsfeld vor uns haben.
Wenn die Amerikaner in Rheinland-Pfalz ihr Militärpotential zurückführen, dann hat das genauso regionalwirtschaftliche Auswirkungen, wie wenn in Brandenburg die Russen abziehen, womit in diesem Bundesland 5 Prozent der gesamten Landesfläche, die vorher der Landesentwicklung entzogen waren, wieder zur Verfügung stehen.
Ich fand es etwas erstaunlich, daß die SPD-Anfrage eine reine West-Anfrage ist -- als würden die Probleme nur in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Niedersachsen oder Nordrhein-Westfalen auftauchen.
Walter Hirche
Meine Damen und Herren, die Probleme in den neuen Bundesländern in diesem Zusammenhang sind viel größer.
- Pars pro toto wäre schön, wenn in der Anfrage auch Ostdeutschland auftauchen würde und es keine Konzentration auf die genannten Gebiete gäbe.
Die Dimensionen der Veränderung sind teilweise gewaltig. Die zuerst zuständigen Landeswirtschaftsminister haben sich schon vor fünf Jahren mit dem Bundeswirtschaftsminister zusammengesetzt, um Hilfsmaßnahmen zu besprechen. Es ist eben nicht so, wie die SPD in ihrer Anfrage behauptet, daß sich die Bundesregierung ihrer Verantwortung entzogen hätte.
Eigentlich müßten diejenigen, die ihren Namen für die Fraktion unter die Anfrage gesetzt haben, doch wissen, daß es keine verfassungsrechtliche Zuständigkeit des Bundes gibt.
Nur weil der Bund für Verteidigung zuständig ist, soll er nun eine verfassungsrechtliche Verantwortung haben.
Es gibt natürlich eine Verantwortung für politische Zusammenarbeit; das ist aber etwas anderes.
Drei Maßnahmen hat der Bund ergriffen. Erstens. Im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" sind entsprechende Mittel bereitgestellt worden.
Allerdings sind nicht die Kriterien verändert worden, nur weil es sich um frühere Liegenschaften handelt.
Ich muß das in aller Deutlichkeit sagen und kann das für zwei Bundesländer beurteilen: Der Zusammenbruch einer Wirtschaftsbranche in einer Region - ich nehme mal die Textilindustrie in der Lausitz oder in der Grafschaft Bentheim in Niedersachsen - ist für diese Region von genau der gleichen Bedeutung wie der Abzug von Arbeitsplätzen - sei es durch das Militär - in einem Bereich.
Deswegen muß man da keine unterschiedlichen Regelungen haben.
Zweitens. Der Bund hat zügig die Voraussetzungen dafür geschaffen, bisher militärisch genutzte Liegenschaften verbilligt an Länder, Kommunen und sonstige Investoren abzugeben.
Mit den ostdeutschen Ländern sind sogar darüber hinausgehende Vereinbarungen getroffen worden; da hat der Bund die Liegenschaften kostenfrei abgegeben.
Drittens - Herr Kollege Schlee hat schon darauf hingewiesen - haben die Länder seit 1993 2 Prozent mehr Anteil an der Umsatzsteuer erhalten. Im Vermittlungsausschuß einigte man sich damals auf eine Empfehlung, wonach diese zwei Prozentpunkte insbesondere auch für die Konversion verwendet werden sollten.
Soweit mir bekannt ist - da unterscheide ich mich etwas von dem Kollegen Schlee -, versuchen alle Länder, die betroffen sind, mit ihren Mitteln doch sehr intensiv, die Maßnahmen anzugehen.
Unbestreitbar hat der Truppenabbau der Alliierten dort, wo - wie bei den westlichen Alliierten - viele Deutsche beschäftigt sind, erhebliche Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt verursacht.
Die Antwort auf die Anfrage macht aber auch deutlich, verehrte Kollegen von der SPD, daß der Hauptteil des Abbaus der Zivilbeschäftigten 1992/93 stattgefunden hat. Das bedeutet: Wir haben ein Problem, das sich zwar noch immer stellt, dessen schärfster Höhepunkt aber vor einigen Jahren zu verzeichnen war. Die Entlassenen von damals sind nicht die Arbeitslosen von heute, allenfalls zum kleineren Teil. Mit dem Kausalzusammenhang ist es da etwas schwierig.
Ich möchte auch nicht, daß der Kern der Botschaft, die hinter dem Ganzen steht, verdrängt wird - auch Herr Kollege Schlee ist darauf schon eingegangen -: Viele, die heute über den Abzug alliierter Truppen, die Auflösung von BGS-Einheiten oder die Reduzierung von Bundeswehrstandorten klagen, haben früher durchaus Kritik an dem mit dem Militär verbundenen Lärm, an Militärflughäfen usw. geäußert.
So mancher Naturschützer hat Manöverschäden gegeißelt und stellt heute fest, daß die Truppenübungsplätze Idealreservate für auf der Roten Liste stehende Fauna und Flora sind.
Walter Hirche
Meine Damen und Herren, wir haben doch die Situation als solche gemeinsam gewollt. Ich erinnere an den Helsinki-Prozeß, die Entspannungspolitik und den Nato-Doppelbeschluß, der dem Wettrüsten ein Ende gemacht hat.
Einige Probleme, die hier angesprochen worden sind, sind natürlich wichtig. Aber sie sind besser gelöst, als die SPD suggeriert. Seit 1991 - das wird auch aus der Antwort deutlich - gibt es eine Konsultation zwischen Bund, Ländern und Alliierten über die Pläne, deren Umsetzung ansteht. Die Länder und Kommunen können sich frühzeitig auf die dort vorgesehenen Maßnahmen einrichten.
Lassen Sie mich in aller Deutlichkeit hinzufügen - das hat sich auch nicht .geändert, seitdem ich Bundestagsabgeordneter bin -: In meiner Amtszeit als Landeswirtschaftsminister Niedersachsens und Brandenburgs hätte ich es mir, wie meine Kollegen in den anderen Bundesländern, gleich welcher Partei, verbeten, daß der Bund in die Landesentwicklung hineinredet.
Das war und ist gemeinsame Auffassung aller Länder.
Natürlich wollen alle finanzielle Hilfe vom Bund. Das kann und wird man auch weiter diskutieren. Aber deswegen bleibt doch die Planungsaufgabe, die Verantwortung für das, was in einer Region passiert, eindeutig bei den Ländern und kann nicht auf den Bund übertragen werden.
Bei der SPD und auch bei dem, was der Kollege von den Grünen gesagt hat, schimmert manchmal der Glaube durch, der Staat als zentrale Gewalt solle es am besten von ganz oben richten.
Wenn man auf den Bund zu sprechen kommt, erinnere ich daran, was getan wurde: Die Haushaltsvorschriften sind geändert worden. Grundstücke können zum Verkehrswert verkauft, Preisnachlässe gewährt werden. Die Antwort besagt, daß allein in diesen Komplex bisher mehr als 2,74 Milliarden DM geflossen sind. Das Veräußerungsverfahren ist verein-f acht.
Aber es kommt auf die Kommunen an. Das will ich an dieser Stelle noch einmal sagen: Es muß natürlich eine Bauleitplanung gemacht werden. Ich wäre dagegen, der Kommune von oben - ob nun von Bund
oder Land - hineinzureden, was sie in ihrem Gebiet machen soll.
Wir reden immer von der kommunalen Selbstverwaltung und fordern dann, hier einzugreifen.
- In der Diskussion eben haben Sie gesagt, daß der Bund Konzepte auf den Tisch legen soll, nach denen sich dann die Länder und Gemeinden richten könnten. Ich kritisiere das bei allen in diese Richtung zielenden Stellungnahmen.
Ich finde, daß die Regelung der Degression, die im Zusammenhang mit den Vergünstigungen eingeführt wurde, gut ist, weil sie darauf drängt, daß wir rasch handeln. Wenn die SPD meint, die Degression sei falsch, dann verkennt sie den Druck, der in dieser Frage aufkommt. Denn nur im Wege dieser Regelung der Degression können wir am Ende weiterkommen.
Ich bedanke mich bei der Bundesregierung, daß sie in der Antwort sehr deutlich macht, wie unterschiedlich die Situation in Ballungsgebieten einerseits und auf dem flachen Lande andererseits ist. Gewiß können Form und Tempo der Zusammenarbeit bei den Einzelmaßnahmen immer verbessert werden. Aber die Grundstruktur, so glaube ich, stimmt.
Es ist bedauerlich, daß die SPD dieses Thema einseitig auf Westdeutschland begrenzt hat, daß sie verkennt, was insgesamt getan worden ist. Wenn es in diesem Gesamtzusammenhang eine Chance gibt, dann auch deshalb, weil wir Deutschen -
Die Zeit!
- ich bin beim letzten Satz -, und dies ist in Kaiserslautern sicher nicht so intensiv diskutiert worden wie auf analogen Konferenzen, die schon vor Jahren in Rußland stattgefunden haben, mit unseren Erfahrungen im Zusammenhang mit Konversion anderen bei der Erledigung der Probleme, die sich hier stellen, helfen können.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Ende der Blockkonfrontation hat in den meisten Staaten Europas zu einer Reihe von Abrüstungs- und Entmilitarisierungsschritten geführt. Damit verbunden ist ein spürbarer Abbau der Arbeitsplätze von Militärangehörigen und Zivilbeschäftigten sowie die Schließung von Kasernen und Truppenübungsplätzen. Natürlich wird auf
Eva Bulling-Schröter
der anderen Seite remilitarisiert, beispielsweise die Außenpolitik der Bundesregierung.
Aber wenn die Bundesregierung in der Antwort auf die Große Anfrage der SPD ständig mit der angespannten Haushaltslage argumentiert, die weitere Zugeständnisse an von Konversionslasten betroffene Kommunen ausschließe, dann möchte ich darauf hinweisen, daß eine konsequente Abrüstungs- und Friedenspolitik erhebliche Mittel freischaufeln würde, Mittel, die auch für die Unterstützung diverser Städte und Gemeinden eingesetzt werden könnten.
Letztlich sind Konversionslasten - hier bediene ich mich der Formulierung aus dem Entschließungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen - nichts anderes als bisher in die Zukunft verlagerte Kosten von Kriegen, Rüstungen und militärischem Übungsbetrieb.
Wenn man das akzeptiert, dann ergeben sich daraus konkrete Verantwortungen. Der Bund, verfassungsmäßig zuständig für die äußere Verteidigung, hat also auch die Konversionslasten zu tragen. Eigentlich müßten auch diejenigen beteiligt werden, die am Kalten Krieg prächtig verdient haben - die Rüstungsunternehmen -; schließlich müssen berechtigterweise auch Arbeitgeber einen Teil der Risikovorsorge eines Arbeitnehmers finanzieren.
Nun, da eine solche Internalisierung von externen Kosten - ich benutze einen Begriff aus der Umweltökonomie - wohl eine Utopie ist, müssen sich Länder und Kommunen eben an den Bund halten. Doch hier läuft augenscheinlich einiges durcheinander.
Für den Bund ist Konversion Sache der Länder und Kommunen. Er bekennt sich aber immerhin zu einer gesamtstaatlichen Verantwortung für die betroffenen Regionen. Diese würde er unter anderem durch die Erhöhung der Länder-Umsatzsteueranteile um zwei Prozentpunkte und durch die Erhöhung der Umsatzsteuer auf 15 Prozent seit 1993 wahrnehmen.
Außerdem darf bezweifelt werden, ob die im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" aufgebrachten Summen des Bundes ausreichen, um eine gezielte Ansiedlung von Arbeitsplätzen zu ermöglichen. Somit bleiben die Kommunen im Regen stehen.
Wir erneuern daher die Forderung nach einem Konversionsprogramm des Bundes und der Bildung eines Konversionsfonds, die wir schon im Zusammenhang mit unserem Antrag „Verbot der Rüstungsexporte und Konversion der Rüstungsindustrie" gestellt haben.
Die Bundesregierung hat eine Reihe von Verbilligungen für Grundstücke gewährt, die dem Bund zufallen. Das stimmt. Aber angesichts der Belastungen, die auf einige Gemeinden bei der Sanierung von Flächen zukommen, sträubt sich beispielsweise die Haushaltskasse von Mutlangen, neben dem Abriß zahlreicher Gebäude auch die großflächige Entfernung von 70 Zentimeter dicken Betonplatten zu finanzieren. Der Bürgermeister möchte eigentlich Wohnungen auf dem Areal bauen lassen, doch wegen des Bergs an Altlasten wachsen keine neuen
Häuser, sondern nur das Unkraut zwischen den Stacheldrahtrollen.
Doch nicht nur dort, wo sich einst amerikanische Pershing-II-Raketen in den Himmel streckten, stockt die friedliche Nutzung; auch da, wo früher sowjetische Panzer übten, läßt die Konversion auf sich warten.
Herr Hirche, ich komme jetzt zum Thema Ostdeutschland. Leider hören Sie nicht zu. Das Bundesfinanzministerium hat sich bis jetzt noch nicht zu einer fairen Übertragung des ehemaligen Truppenübungsplatzes Weberstedt an Thüringen durchringen können. Auf Grund der Größe des Areals kann hier nur die kostenlose Übertragung des Übungsplatzes die Überführung in den geplanten künftigen Nationalpark Hainich ermöglichen. Wenn Herr Hirche das hier anmahnt, dann könnte er sich doch auch dafür einsetzen, aber er hört immer noch nicht zu.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Rahmen der Konversion geht es zuallererst um Menschen, die ihre Arbeit verlieren oder vom Verlust ihres Arbeitsplatzes bedroht sind. Wir unterstützten deshalb die Forderungen der Gewerkschaft ÖTV und der Personalvertretungen, die Mitbestimmungstatbestände der Zivilbediensteten gegenüber den alliierten Streitkräften von gegenwärtig 27 auf 32 Tatbestände auszudehnen. Ich möchte noch einmal sagen: Wenn wir früher mit der Friedensbewegung in Mutlangen oder sonstwo demonstriert haben, ging es uns nie um die Vernichtung von Arbeitsplätzen, sondern immer um Konversion.
Grundsätzlich ist Konversion eine Querschnittsaufgabe, der wir uns stellen müssen. Deswegen stimmen wir beiden Entschließungsanträgen zu.
Das Wort hat der Kollege Dr. Klaus-Dieter Uelhoff, CDU/CSU.
Herr Präsident! Guten Abend, meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Auch ein noch so liebenswerter bayerischer Akzent meiner Vorrednerin vermag natürlich nicht darüber hinwegzutäuschen, daß die größten ökologischen Probleme der Konversion in dem liegen, was - ich sage einmal so - ihre Freunde, die abziehenden Sowjettruppen, in Ostdeutschland hinterlassen haben.
Meine Damen und Herren, zunächst sollten diejenigen ein Dankeschön erfahren, die uns zu dieser Abendstunde zusammengeführt haben. Ich hätte mir übrigens gewünscht, daß außer meinem Kollegen, zudem einem Namensvetter, Klaus Dieter Reichardt aus Mannheim, einem Ort mit großen Konversionsproblemen, viele von denen, die in Deutschland von
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff
diesen Problemen betroffen sind, heute hier wären, jedenfalls mehr, als heute hier sind.
Ein herzliches Dankeschön will ich auch den Sozialdemokraten sagen, denn es sollte anerkannt werden, daß sie ein wichtiges Problem in eine Große Anfrage haben münden lassen. Diese Große Anfrage hat zunächst einmal der Bundesregierung Gelegenheit gegeben, ein wichtiges Problem für das Zusammenleben in Deutschland in einer sehr überzeugenden und eindrucksvollen Weise darzustellen.
Deshalb sage ich ein herzliches Dankeschön für die übersichtliche Antwort auf die Große Anfrage der SPD.
Darüber hinaus gibt dies Gelegenheit, einiges richtigzustellen, was landauf, landab insbesondere von Sozialdemokraten in den vergangenen Monaten und Jahren zum Thema Konversion immer wieder an Falschem oder auch an falschen Betonungen der Öffentlichkeit glaubhaft zu machen versucht wurde.
Erfreulich ist jedenfalls - das entnehme ich der Antwort der Bundesregierung - die Zwischenbilanz, denn immerhin gibt es eine Verwertung. 60 Prozent der übernommenen Gesamtfläche in Ost- und Westdeutschland sind verkauft, verpachtet, vermietet, den früheren Eigentümern zurückgegeben oder in Ostdeutschland zum Teil an die neuen Bundesländer unentgeltlich abgegeben.
Ich knüpfe an das an, was einige meiner Vorredner bereits deutlich gemacht haben. Heute klagen oft dieselben Leute über die Folgen des Truppenabbaus bei den alliierten Streitkräften
- das kann man euch nicht oft genug sagen, lieber Kollege -, die in den vergangenen Jahren, insbesondere in den 80er Jahren, immer wieder mit Parolen wie „Ami, go home" dafür sorgen wollten, daß wir die amerikanischen Bündnispartner und auch die anderen schnell wieder los wurden. Ich erinnere mich auch daran, Kollegin Westrich, daß nach der Wende, als der unselige Golfkrieg losging und aus Ramstein amerikanische Truppen an den Golf gingen, in der Westpfalz bei uns im Wahlkreis und in der Nachbarschaft Sozialdemokraten mit ihrem Namen aufgerufen haben, in Bussen nach Köln zu einer großen Kundgebung gegen die Beteiligung unserer amerikanischen Partner am Golfkrieg unter dem Dach der Vereinten Nationen zu fahren.
Dies war nach der Wende im Januar 1991.
Ich erinnere daran, daß man mit Freunden und Partnern behutsam umgehen muß.
Ich lese in Ziffer 1 Ihres Antrags:
Zum Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei den US-Streitkräften muß die Bundesrepublik Deutschland ... darauf bestehen, daß die Vereinigten Staaten den Kreis der technischen Fachkräfte über den von den deutschen Gerichten gesteckten Rahmen hinaus nicht ausdehnen.
Das ist gut gemeint.
Ich will dies in der Sache nicht kritisieren. Aber was heißt „bestehen"? Sie wissen genausogut wie ich, daß das mit Völkerrecht natürlich gar nichts zu tun hat.
Das hat etwas damit zu tun, inwieweit die Amerikaner bereit sind, deutsches Arbeitsrecht anzuerkennen. Das ist das kleine Einmaleins dieser Situation.
Man muß es sich überlegen. Ich weiß genau wie andere, daß sich die Deutschen, insbesondere das Auswärtige Amt, das beim Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut federführend war, bemüht haben, so viel, wie eben geht, an deutschem Recht gegenüber den Amerikanern einzubringen, daß auch deutsches Recht beachtet wird. Aber man kann natürlich den Partner nicht zwingen. Wenn man darauf besteht, muß man sich darüber im klaren sein, welche Alternativen man dann hat.
Ich kann nur nochmals sagen: Mit Partnern, von denen man etwas erwartet und die man zur eigenen Sicherheit in der Vergangenheit so wie in der Gegenwart und in der Zukunft dringend braucht, muß man behutsam umgehen, jedenfalls behutsamer, als es die Sozialdemokraten mit dem ersten Punkt ihres Antrages tun.
Es wird allzugern übersehen, daß die Zuständigkeit für die finanzielle Bewältigung der Konversionsfolgen - der Kollege Hirche hat darauf nachdrücklich hingewiesen - zunächst einmal bei den Ländern liegt. Dennoch hat sich der Bund seiner gesamtstaatlichen Verantwortung gestellt und den betroffenen Ländern Mittel in zweistelliger Milliardenhöhe bereitgestellt, um die Chancen zu verwirklichen, die auch mit der Konversion verbunden sind, und um strukturelle Folgen auszugleichen. Dazu gehören insbesondere die Aufstockung der Länderbeteili-
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff
gung an der Umsatzsteuer um zwei Punkte ab 1993 und die freiwerdenden Mittel aus der Mehrwertsteuersatzerhöhung von 14 auf 15 Prozent - ein Gesamtvolumen von höre und schreibe 18 Milliarden DM.
Ich darf Ihnen aus dem Protokoll der Bundesratssitzung vom 14. Februar 1992 zitieren, als der Berichterstatter aus dem Vermittlungsausschuß gesagt hat:
... Refinanzierung der auslaufenden Strukturhilfe, der Konversion ... Bei diesem Punkt hat sich die Bundesregierung bewegt. Dem ursprünglichen Vorschlag des Bundesrates, den Mehrwertsteueranteil der Länder von 35 auf 37 % zu erhöhen, wurde entsprochen. Dies ist ... ein Entgegenkommen gegenüber den Bundesländern, denen man für den Herbst des vergangenen Jahres ... ein Programm zur Konversion zugesagt hatte.
Genau dies war die Alternative, weil die meisten SPD-regierten Länder darauf bestanden haben.
Damit das ganz klar ist: Der Berichterstatter, der das
am 14. Februar 1992 im Bundesrat gesagt hat, was
ich gerade zitiert habe, war der Ministerpräsident des Saarlandes, Oskar Lafontaine.
Meine Damen und Herren, ein weiteres Entgegenkommen liegt in der großzügigen Kaufpreisvergünstigung, die im Haushaltsausschuß des Bundestages beschlossen worden ist und die einen Betrag von mehr als 2 Milliarden DM ausmacht.
Ein Konversionsprogramm des Bundes ist damals von der Mehrheit des Bundesrates ausdrücklich abgelehnt worden.
Statt dessen wurde der Anteil an der Mehrwertsteuer erhöht. Die Länder haben die Mittel kassiert, vielleicht davon einiges in landeseigene Konversionsprogramme gesteckt. Heute klagen jedenfalls viele Kommunen, daß sie davon nichts gesehen haben.
Wenn die Opposition heute in trauter Eintracht mit der SPD-Mehrheit des Bundesrates vom Bund ein Konversionsprogramm fordert, dann ist dies ein Ausdruck intellektueller Unredlichkeit.
Hier will man zweimal kassieren,
und dies, obwohl man die gegenwärtige Haushaltslage des Bundes genau kennt. Dies ist ein doppeltes Spiel; das kann man nicht oft genug der Öffentlichkeit deutlich machen.
Die Länder müssen an ihre eigene originäre Zuständigkeit für Wirtschaftsförderung und Strukturpolitik erinnert werden. Der Bund hilft auch dabei mit einer 50prozentigen Beteiligung am Förderprogramm der Gemeinschaftsaufgabe.
Es gibt darüber hinaus das KONVER-Programm: 370 Millionen ECU, 700 Millionen DM. Auch hier ist der Bund wieder anteilig an der Finanzierung beteiligt, weil der Bund an die EU zahlt und nicht die Länder. Ich habe wirklich die dringende Bitte, daß man endlich einmal anerkennt, was der Bund an finanzieller Leistung für die Konversion erbringt.
Es wäre höchste Zeit, auch einmal einzelne Punkte anzuerkennen. Ich nenne aus meinem Wahlkreis nur den Bereich Fischbach - 28 einzelne Gewerbetreibende mit rund 100 neuen Arbeitsplätzen haben dieses Lager zu einem Gewerbepark gemacht - und den Flugplatz Zweibrücken. Hier gibt es ein hervorragendes Nutzungskonzept, von dem ich glaube, daß es erfolgreich weitergeführt wird.
Der Erfolg der Konversion hängt von der Kooperation ab. Ich möchte der Bundesvermögensverwaltung danken, aber auch bitten, nicht immer nur fiskalisch an die Dinge heranzugehen. Es hängt von dem Bundesland, das für Wirtschaftsförderung zuständig ist, ab, von den betroffenen Kommunen und von privaten Investoren. Wenn diese Zusammenarbeit klappt, dann brauchen wir uns keine Sorgen um einen Erfolg zu machen. Aber Erfolg braucht auch Zeit. Die Zeit muß man sich bei einem so schwierigen Problem in der Tat nehmen.
Schließlich möchte ich der Parlamentarischen Staatssekretärin Karwatzki danken, die in den vielen Detailfragen immer ansprechbar war und die uns nicht nur persönlich, sondern auch durch ihre Mitarbeiter in der Sache sehr geholfen hat. Hier meine ich auch die Bundesvermögensverwaltung vor Ort; sie gehörte immer zu denen, die, wenn man sie konkret ansprach, bereit waren, das Notwendige möglich zu machen.
Aber es gibt, wie gesagt, noch viel zu tun. Wir sollten dabei durchaus auf die Zeit setzen.
Zeit ist ein gutes Stichwort, Herr Kollege.
Das ist völlig richtig.
Wir sollten gemeinsam daran denken, daß Hickhack den Bürger nicht befriedigt, sondern daß jeder seine Rolle spielt: die Länder in ihrem Zuständigkeitsbereich, die Kommunen in ihrer Planungshoheit, der private Investor und der Bund, der in der Vergangenheit mehr als seine Pflicht getan hat.
Danke schön.
Das Wort hat die Kollegin Lydia Westrich.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Hirche, alliierte Streitkräfte hat es in Ostdeutschland nicht gegeben. Das wissen Sie sicher.
Konversion hat viele Aspekte; es gibt ja auch noch Rüstungskonversion. Wir werden uns noch oft mit diesem Thema zu beschäftigen haben.
Um aber auf den Ursprung der Anfrage, auf den Abzug der alliierten Streitkräfte, zurückzukommen: Fast alle Landkreise, die 1989 in besonders hohem Maße von den Ausgaben der alliierten Streitkräfte abhängig waren, lagen in Rheinland-Pfalz. Deshalb gibt es im Land Rheinland-Pfalz sicherlich viel mehr Erfahrungen und Anstrengungen in bezug auf Konversion als beispielsweise in Baden-Württemberg, Herr Schlee.
Lediglich der Landkreis Osterholz im Stadtstaat Bremen und der Landkreis Kitzingen in Bayern wiesen noch eine ähnlich hohe wirtschaftliche Abhängigkeit auf.
- Niedersachsen, vielen Dank. - Die sechs Jahre Truppenabbau der alliierten Streitkräfte waren - und das muß jeder zugeben, der sich mit der Sache beschäftigt -, sechs Jahre Leidensweg für die betroffenen Kommunen. Die hohe Eigendynamik des Schließungsprozesses zum Beispiel amerikanischer Standorte zwischen 1991 und 1993 machte es praktisch unmöglich, die deutsche Interessenlage zu vermitteln. 1992 und 1993 wurden teilweise im Zweimonatsrhythmus Schließungslisten von den Amerikanern veröffentlicht. Da nutzten noch so gute Konsultationen zwischen den zuständigen Stellen nichts. Die Antwort der Bundesregierung zur Informationspolitik beschreibt höchstens den Idealfall, aber keineswegs den Normalfall der Information über die Freigabe von Liegenschaften mit all ihren Folgen.
Insbesondere auf Gemeindeebene wurden die politischen Entscheidungsträger oft durch die Ereignisse überrollt und mit der Notwendigkeit konfrontiert, in Jahresfrist eine tragfähige Konversionsstrategie für eine freiwerdende Liegenschaft zu entwickeln. Ein Gefühl der Ohnmacht bei diesen Kommunen war unvermeidlich die Folge.
- Hören Sie mal zu!
Die militärische Präsenz bis zum Jahre 1989 war durch die Inanspruchnahme von Flächen der betroffenen Kommunen über viele Jahre ein entscheidendes Hemmnis für die eigene wirtschaftliche Entwicklung. Die Strukturschwäche solcher von starker militärischer Präsenz geprägter Gebiete war natürlich unausweichlich. Oder haben Sie schon einmal versucht, Fremdenverkehr in von Tieffluglärm verseuchten Gebieten zu entwickeln oder Wanderwege, die an Stacheldraht und auf bewaffnete Posten mit Maschinenpistolen stoßen, auszuschildern?
Die fehlenden Arbeitsplätze in Produktion, Handel und Dienstleistungen in den durch militärische Anwesenheit an der Entwicklung gehinderten Gemeinden wurden Schritt für Schritt durch die alliierten Streitkräfte - im wesentlichen amerikanische Streitkräfte - als wichtigsten Arbeitgeber und Auftraggeber für die heimische Wirtschaft ersetzt. Sonst war ja nichts möglich. Sie brachten tatsächlich einen bescheidenen Wohlstand für die Bevölkerung, der teilweise innerhalb weniger Monate auf einen Schlag wegbrach.
Die Arbeitslosenzahlen stiegen zum Beispiel in den Arbeitsamtsbezirken Pirmasens oder Kaiserslautern innerhalb weniger Jahre von 1990 bis August 1996 um über 6 Prozent und pendeln sich zur Zeit bei 14 Prozent, in Pirmasens sogar bei 16 bis 17 Prozent ein. Die Bruttosozialausgaben für Hilfe zum Lebensunterhalt verdoppelten sich innerhalb dieser fünf Jahre. Deshalb steht für diese betroffenen Kommunen natürlich die Stärkung der Wirtschaftskraft und die Schaffung neuer Arbeitsplätze im Vordergrund.
Der hilfesuchende Blick dieser Kommunen nach Bonn konnte gleich wieder abgewendet werden - trotz der Verantwortung des Bundes auch für die Folgen von verteidigungsbedingten Problemlagen. Ob das jetzt verfassungsrechtlich verankert oder gesamtstaatlich wichtig ist, ist mir egal. Es gibt eine Verantwortung des Bundes. Trotz dieser Verantwortung gibt es bis zum heutigen Tage - das sage ich noch einmal - kein Bundeskonversionsprogramm.
Die auch heute wiederholte und in der Antwort auf die Große Anfrage ausgebreitete Mär von den zwei Umsatzsteuerpunkten dafür kann schon deswegen nicht stimmen, weil alle Länder, auch die nicht betroffenen, von der Erhöhung des Länderanteils an der Umsatzsteuer profitiert haben.
- Vielleicht hat er nicht so gut durchgeblickt; das will ich ja gern zugeben.
Außerdem kann ich mich noch gut daran erinnern, daß gleichzeitig die Strukturhilfe für finanzschwächere Westländer, die gerade durch den Truppenabbau besonders betroffen wurden und für die es ein Nullsummenspiel war, wegfiel. Also was sollten diese zwei Umsatzsteuerpunkte denn noch alles kompensieren?
Wenn die Bundesregierung ein Geschenk an reiche Westländer machen wollte, dann kann sie das meiner Meinung nach nicht als Konversionshilfe ver-
Lydia Westrich
kaufen, auch nicht dadurch, daß es ständig wiederholt wird.
Und das KONVER-Programm der EU, das in dieser Anfrage so lobend erwähnt wurde? Ich weiß noch, wie schwierig es war, das Bundeswirtschaftsministerium zu überreden,
daß die Bundesrepublik überhaupt daran teilnimmt. Das habe ich schriftlich. Das so hoch gehaltene Subsidiaritätsprinzip hat die Bundesregierung trotz ihres Eingeständnisses der Schwierigkeiten bei der Konversion nicht dazu bewogen, auch ihrerseits den betroffenen Gemeinden mit dem bitter nötigen Bundeskonversionsprogramm helfend zur Seite zu stehen.
- Mein Land hat das auch gemacht, es mußte ja.
Wenn ich Leidensweg der Kommunen sage, meine ich das so. Da steht ein Dorf mit 5 000 Einwohnern vor einem aufgelassenen Militärhospital mit zirka 300 Hektar. 300 Arbeitsplätze sind weg, die Aufträge an Handwerker, die Ausgaben im Handel ebenso. Dafür hat es das Gelände mit seinen vielen Aufbauten, Gleisanlagen und Altlasten. Bis der Zugang zum Gelände gewährleistet war, bis grobe Altlastenuntersuchungen gemacht waren, bis die Bewachung organisiert war und Planung beginnen konnte, hatte der Ortsbürgermeister nicht nur graue Haare, sondern Magengeschwüre. Ausschreibungen, Investoren, die kamen, haben Planungen umgestellt, sind wieder abgesprungen, Planungen wieder umgestellt, Kaufpreisverhandlungen mit dem Bund, der von einem abschreckenden Maximum nur sehr zäh heruntergegangen ist, obwohl beispielsweise in diesem Fall durch ein Heizkraftwerk die jährlichen Unterhaltskosten des Bundes 1 Million DM betragen. Allein für eine Liegenschaft! Was ist das für ein ökonomischer Unsinn!
Wieviel Zeit allein verstreicht, wenn der Bund von einer Kaufpreisforderung von zum Beispiel 360 Millionen DM für den Flugplatz Hahn auf einen realistischen, der strukturschwachen Gegend angemessenen Wert von 30 Millionen DM einschwenkt! Jahre gehen darüber ins Land, und Investoren verflüchtigen sich natürlich in der Zeit. Das ist leider kein Einzelfall.
Konversion wird in Sonntagsreden immer als Herausforderung und als Chance beschrieben. Nur kann die Herausforderung nicht allein an Gemeinden und Ländern hängenbleiben.
Ich will zugeben, daß es in diesen sechs Jahren Konversion einen Lernprozeß gegeben hat, der auch das Bundesfinanzministerium mit seinen Verwaltungen, der Bundesvermögensverwaltung, einschließt. Aber selbst in der Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage wird zugegeben, daß immer noch Effizienzsteigerungen möglich sind. Ich sage: natürlich nötig sind. Darüber hinaus muß auch endlich die Einsicht kommen, daß dringend unbürokratische, unkonventionelle Lösungen für die strukturschwachen Gebiete gefunden werden müssen, um dem wirtschaftlichen Ruin gerade des ländlichen Raumes vorzubeugen.
Wir fordern deshalb als SPD-Fraktion, daß in geeigneten Fällen die Bundesrepublik zusammen mit den betroffenen Gebietskörperschaften Verwertungsgesellschaften gründet, damit die Umwandlung ehemals militärisch genutzter Liegenschaften zügig vorankommt. Das liegt gleichermaßen im ökonomischen Interesse von Bund und Kommunen.
Den überforderten Gemeinden und Regionen kann auch sinnvoll durch einen Konversionsfonds geholfen werden, in den überschüssige Veräußerungsgewinne eingezahlt werden. Das Bundesfinanzministerium - damals noch Staatssekretär Grünewald - hat bereits 1992 im Bundestag versprochen, keine Planungsgewinne aus dem Verkauf der militärischen Liegenschaften für den Bundeshaushalt zu machen. Mit diesen Fonds kann das Versprechen des Bundes gut eingelöst werden.
Die beharrliche Weigerung der Bundesregierung, Konversionsflächen für arbeitsplatzschaffende Anschlußnutzungen - will sagen: Gewerbegebiete - verbilligt abzugeben, stößt auf großes Unverständnis der von hoher Arbeitslosigkeit betroffenen Gemeinden.
Deren ganzes Sinnen und Trachten richtet sich auf die Wiederherstellung der verlorenen Wirtschaftskraft. Dabei erwarten sie Unterstützung. Da die wirtschaftlichen Folgen der konversion in einigen Regionen zu ökonomischen und sozialen Belastungen geführt haben, die mit der Situation in den neuen Ländern durchaus vergleichbar sind, führen die angeführten ordnungspolitischen Weigerungsgründe der Bundesregierung zu großer Empörung bei den Bürgern. Arbeit, um den bescheidenen Wohlstand wiederherzustellen, den sie gehabt haben, ist alles, was sie wollen.
Zum EU-Aspekt: Daß Investoren im Hunsrück oder im Schwarzwald nicht den gleichen Preis bezahlen wie in Frankfurt am Main, ist wohl auch der EU klar.
Die Problematik der Liegenschaftskonversion ist, wenn sie wirtschaftlich tragfähig und zukunftsorientiert sein soll, derart komplex, daß Worte wie „grundsätzlich" oder „im Prinzip" nicht anwendbar sind. Das muß auch die Bundesregierung einsehen - siehe EU-Programm KONVER: Aus Prinzp erst nicht gewollt und jetzt hoch gelobt.
Die Zeit, Frau Kollegin.
Ich hoffe, daß wir mit der Großen Anfrage zu den Auswirkungen des Truppenabbaus den großen Ernst der Sorgen und Schwierigkeiten der betroffenen Regionen noch einmal für diese Bundesregierung deutlich gemacht haben. Mit dem Entschließungsantrag haben wir Ihnen Lösungen aufgezeigt, wie die gemeinsame Aufgabe zu bewältigen ist. Für weitere unbürokratische, unkonventionelle Lösungen haben wir ein offenes Ohr.
Stimmen Sie unserem Entschließungsantrag zu! Vielen Dank.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Ludwig Stiegler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege Dr. Uelhoff hat es für richtig befunden, die Verstöße der US-Streitkräfte gegen Art. 73 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut zu verharmlosen. Dies ist fast ein Verrat an den Beschäftigten.
Sie erleben täglich, wie Technikexperten unter großer Mißachtung dieses Artikels in unser Land eingeschleust werden, und ich erwarte von Ihnen, daß Sie sich mit uns gegen diesen Verstoß wenden. Ich sehe ein, daß jemand, der ein kompliziertes Waffensystem oder ein komplexes Computersystem zu betreuen hat, als Technikexperte gebraucht wird. Wenn aber jemand, der einen Lastwagen ablädt, oder jemand, der einen defekten Wasserhahn repariert, als „technical expert" beschäftigt wird, dann ist das ein gravierender Verstoß gegen das Völkerrecht. Art. 73 ist nämlich geltendes Völkerrecht. Zu dieser Tatsache existiert noch ein begleitender Schriftwechsel.
Ich erwarte von Ihnen, daß Sie die Bundesregierung, die sich über das Auswärtige Amt darum bemüht, diesen Mißbrauch abzustellen, aktiv unterstützen.
Daß es sich hier nicht um antiamerikanische Umtriebe handelt, wird Ihnen durch die Tatsache bestätigt, daß selbst die Bayerische Staatsregierung, die wirklich dreimal überlegt, bevor sie etwas Kritisches in Richtung Washington sagt, mit uns an einem Strang zieht und in gleicher Weise dafür kämpft, daß nicht unter Verstoß gegen geltendes Völkerrecht unsere Arbeitnehmer aus ihren Arbeitsplätzen vertrieben werden.
Sie dürfen nicht vergessen, daß den US-Streitkräften nach wie vor enorme Flächen zur Verfügung gestellt werden. Der Lohn für diese kostenlose Überlassung der Flächen besteht in der Bereitstellung von Arbeitsplätzen. Verharmlosen Sie also die Verstöße gegen den Art. 73 nicht! Gehen Sie mit uns dagegen an! Dazu sind Sie herzlich eingeladen.
Das Wort zur Erwiderung hat Kollege Dr. Uelhoff.
Herr Kollege Stiegler, es ist schlicht und einfach nicht wahr, daß ich irgendeinen Rechtsverstoß beschönigen wollte. Ich muß diesen Vorwurf zunächst einmal in aller Form zurückweisen. Ich habe lediglich zu einer Formulierung in Ziffer 1 Ihres Antrags Stellung genommen, der hier zur Abstimmung steht.
In diesem Antrag - ich darf es zu Ihrer eigenen Erinnerung vorlesen - heißt es:
Zum Schutz der Arbeitnehmer bei den US-Streitkräften muß die Bundesrepublik Deutschland .. . darauf bestehen, daß die Vereinigten Staaten den Kreis der technischen Fachkräfte über den von den deutschen Gerichten gesteckten Rahmen hinaus nicht ausdehnen.
Ich habe mich lediglich dagegen gewehrt, daß es hier „darauf bestehen" heißt, und habe dafür geworben, daß wir mit Partnern behutsam umgehen, weil dies zu dem Stil paßt, den amerikanischen Partner, den wir aus vielerlei Gründen brauchen, zu verunsichern und ihm auch die Freude daran zu nehmen, in Deutschland mit Deutschen zusammenzuarbeiten.
Mir geht es entschieden darum, daß möglichst viele Arbeitsplätze für deutsche Arbeitnehmer bei den Amerikanern erhalten bleiben. Mir geht es aber auch entschieden darum, daß nicht durch Forderungen, von denen ich nicht von vornherein weiß, inwieweit sie durchsetzbar sind, der amerikanische Partner verunsichert wird und deshalb möglicherweise mehr Arbeitsplätze abzieht und mehr Arbeitsplätze von deutschen Arbeitnehmern freistellt, als uns lieb sein kann. Nur darum geht es mir.
Ich habe ausdrücklich gesagt: Jeder Schutz der deutschen Arbeitnehmer bei den Amerikanern ist mir sehr wichtig. Mir wäre es in der Tat am liebsten - damit das ganz klar ist und damit Sie mir nicht noch einmal etwas Falsches unterstellen -, wenn die Rechtssituation der deutschen Arbeitnehmer bei den amerikanischen Streitkräften identisch wäre mit der
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff
Rechtssituation der deutschen Arbeitnehmer bei der Bundeswehr. Darum geht es mir.
Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin Irmgard Karwatzki.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Truppenabbau hat für die betroffenen Regionen unterschiedliche ökonomische Konsequenzen. Insbesondere für Ballungsräume kann der Truppenabbau Chancen für die regionale Entwicklung eröffnen. Die freigegebenen Flächen können für Gewerbeansiedlungen genutzt werden, und der freiwerdende Wohnraum kann zur Entspannung des jeweiligen Wohnungsmarktes beitragen.
Die Bundesregierung verkennt jedoch nicht, daß der notwendige Umstrukturierungsprozeß, obwohl er vielfach auch positive regionalwirtschaftliche Impulse auslöst, gerade in strukturschwachen Regionen besonders schwierig ist.
Aus der Zuständigkeit des Bundes für die Verteidigung ergibt sich jedoch - anders als es die Fragesteller von der SPD behaupten - keine verfassungsrechtliche Zuständigkeit, Maßnahmen hinsichtlich der Auswirkungen der Konversion zu ergreifen. Maßnahmen der Wirtschaftsförderung gehören nach dem Grundgesetz zum Verantwortungsbereich der Länder. Dies muß sehr deutlich und nachdrücklich klargestellt werden, weil immer wieder undifferenziert Hilfen des Bundes angemahnt werden.
Gleichwohl hat der Bund aus seiner gesamtstaatlichen Verantwortung heraus den Ländern bei der Bewältigung des notwendigen Umstrukturierungsprozesses in vielfältiger Weise geholfen.
Meine Koalitionskollegen Uelhoff und Hirche haben eben noch einmal nachdrücklich darauf hingewiesen, wie das Vermittlungsverfahren war, wie die 2 Prozent zustande gekommen sind. Hier ist der Ministerpräsident Lafontaine zitiert worden, Frau Kollegin Westrich, ich glaube sehr wohl, daß er den Durchblick hatte; denn sonst hätte er seinerzeit den 2 Prozent nicht so freudestrahlend zugestimmt. Das alles will ich jetzt nicht noch einmal differenziert ausführen.
- Es ist leider so.
Ich will hier auch nicht noch einmal alle Hilfen nennen, die wir bereits in unserer Antwort, die wir
Ihnen mitgeteilt haben, aufgezählt haben. Das erspare ich mir.
- Es ist nicht angekommen, Kollege Diller.
Herr Kollege Schäfer, es stimmt: Der Abzug der verbündeten Truppen ist für die Betroffenen nicht nur ein abstrakter ökonomischer Sachverhalt. Von der Schließung alliierter Einrichtungen und ganzer Standorte sind Menschen betroffen, die ihren Arbeitsplatz verlieren.
Wie Sie wissen, komme ich aus dem Ruhrgebiet, einer Region mit hoher Arbeitslosigkeit. Die oft schmerzlichen Folgen für die Menschen sind mir nur zu vertraut. Mir ist es daher ein Anliegen, den betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern die Verbundenheit der Bundesregierung zu versichern - und dies nicht nur mit Worten.
Ich halte fest: Zivilbeschäftigte, die aus militärischen Gründen entlassen werden, erhalten bei Vorliegen der persönlichen Voraussetzungen Leistungen nach dem Tarifvertrag. Die Kosten aus diesem Tarifvertrag trägt die Bundesrepublik. Im Bundeshaushalt 1996 sind hierfür 131 Millionen DM veranschlagt. Daneben zahlen aber auch die Stationierungsstreitkräfte in diesen Fällen Abfindungen nach dem Tarifvertrag, so daß die notwendigen Entlassungen weitgehend sozialverträglich gestaltet werden konnten.
Dennoch: Hinsichtlich der technischen Arbeitnehmer - mit Herrn Stiegler und anderen Kollegen hatte ich bereits ein Gespräch -, die betroffen sind, habe ich zugesagt, daß ich dies im Auge behalten werde. Sie können sicher sein, daß ich das auch tun werde.
- Danke schön.
Ein Aspekt der Konversionsdiskussion bereitet mir allerdings immer wieder Unbehagen. Darauf ist vorhin hingewiesen worden. Ich will dies sehr ruhig tun. Wendehälse gab es nämlich nicht nur im Zuge der Wiedervereinigung. Auch die Truppenreduzierung hat Wendehälse in nicht geringer Zahl produziert.
Daß es in einigen Regionen, Städten und Gemeinden berechtigte Sorgen um die wirtschaftliche Zukunft gibt, erkennt die Bundesregierung an. Manche derjenigen jedoch, die heute laut über den Abzug des Militärs klagen, haben vor einigen Jahren noch eine ganz andere Haltung eingenommen.
Sie haben den verbündeten Streitkräften, der Bundeswehr und den Behörden der Bundesvermögensverwaltung, die Grundstücke für militärische Zwecke beschaffen mußten, das Leben nach Kräften schwergemacht. Manche Kommunalpolitiker beispielsweise konnten die Belastungen durch das Mili-
Parl. Staatssekretärin Irmgard Karwatzki
tär nicht schwarz genug malen. Wenn die Streitkräfte nicht in ihrer Gemeinde wären, so hieß es, dann würde der Fremdenverkehr einen ungeahnten Aufschwung nehmen.
Frau Kollegin Karwatzki. Entschuldigen Sie, ich muß Sie unterbrechen. Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schäfer von der SPD?
Liebe Kollegen, ich sehe, wie viele gekommen sind. Sie waren alle schon woanders und wollen wieder woanders hin.
Insofern, Herr Kollege Schäfer, machen wir das gleich bilateral. Einverstanden?
Da der Gemeinde aber diese Chance durch die übenden Truppen entgingen - wenn Sie den Faden noch behalten haben -, müsse der Bund Ausgleichsleistungen erbringen. Wiesen Vertreter des Bundes dagegen auf die Bedeutung der Streitkräfte als Wirtschaftsfaktor hin, wurde dies bagatellisiert und heruntergespielt. Es ist schon merkwürdig, wie sich in manchen Fällen dieselben Personen, die erhebliche Ausgleichsleistungen des Bundes für die Präsenz des Militärs gefordert und zu einem großen Teil auch erreicht haben, um 180 Grad gedreht haben und nunmehr lauthals eine Kompensation für den Truppenabzug verlangen.
Ich meine, auch über diesen Aspekt der Konversion sollte einmal nachgedacht werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Präsenz des Militärs war einigen - auch das muß gesagt werden - aus ideologischen Gründen ein Dorn im Auge. Wir sollten nicht vergessen: Die ganz überwiegende Mehrheit unserer Bevölkerung begrüßte den Auf enthalt der verbündeten Streitkräfte in Deutschland zum Zwecke der Friedenssicherung.
Es waren aber nicht wenige, die aus ideologischen oder opportunistischen Gründen die Parole „Ami, go home" verbreiteten, zuletzt im Kampf gegen die Nachrüstung. Manche derjenigen, die heute nicht laut genug über den Abzug der Alliierten jammern können, vergessen, daß sie diesen Zustand noch vor wenigen Jahren herbeigesehnt haben.
Soviel zum Kapitel Wendehälse.
Die Bundesregierung ist zuversichtlich, daß die Länder mit Hilfe der umfangreichen Bundeshilfen in der Lage sind, die wirtschaftlichen Probleme zu lösen, die in einigen Regionen als Folge der Konversion aufgetreten sind. Zusätzliche Finanzhilfen durch den Bund sind bei entsprechendem finanziellem Engagement der Länder nicht erforderlich und bei der gegenwärtigen Haushaltslage des Bundes auch nicht finanzierbar.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/5979. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/5980. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit gleicher Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Horst Schmidbauer , Iris Follak, Christel Hanewinckel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Hepatitis-C-Infektionen durch „Anti-D"-Impfprophylaxe in der früheren DDR
- Drucksachen 13/1649, 13/2732 -
Dazu liegt ein Entschließungsantrag der SPD vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. Widerspruch? - Den höre ich nicht. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Horst Schmidbauer, SPD.
Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich zitiere die Geheime Verschlußsache der Staatssicherheit Nr. 32/81:
Das sozialistische Gesundheitswesen wurde in seiner Zuverlässigkeit erschüttert!
Und weiter:
Der gesellschaftspolitische Schaden muß hoch eingeschätzt werden.
Und:
Die folgerichtige Anerkennung der Hepatitiserkrankungen als Impfschaden in Verbindung mit der staatlichen Haftung macht hohe finanzielle Anforderungen für die Geschädigten erforderlich.
Man kann nur sagen: Wie recht die Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit hatten.
Horst Schmidbauer
Meine Damen und Herren, heute steht nicht die Vergangenheit im Mittelpunkt. Heute stehen die Menschen, besser gesagt, das Schicksal von 2 600 Frauen, noch deutlicher: das Schicksal von 2 600 Müttern und deren Kindern im Mittelpunkt. Wenn ich von Müttern und Kindern spreche, dann deshalb, weil wir nicht vergessen dürfen, daß der Kinderwunsch der Auslöser für die Gabe der „Anti-D"-Immunprophylaxe im Herbst 1978 war.
Diese Frauen und Mütter haben selbst erst 16 Jahre später, nach der deutschen Einheit, erfahren, daß sie durch dieses Arzneimittel mit Hepatitis C infiziert wurden. Dies war der größte Arzneimittelskandal der DDR.
Alles hat perfekt geklappt:
Die Hauptverhandlung wird unter Ausschluß der Öffentlichkeit durchgeführt.
So heißt es 1979 im Protokoll. Und weiter:
Allen anwesenden Personen wird zur Pflicht gemacht, über die Problematik dieses Verfahrens nicht zu sprechen.
Was auch perfekt geklappt hat: Im Verfahren tritt kein Opfer auf. 6 773 Frauen wurden mit Chargen dieses Arzneimittels behandelt, das auf Grund strafrechtlich relevanter Vorgänge bei der Herstellung und Überwachung mit Hepatitis C verseucht war.
Die Folgen nach heutigem Erkenntnisstand: Mindestens 2 600 dieser Frauen sind heute an den Folgen der Infektion erkrankt. Sie haben eine chronische Hepatitis C mit schwerwiegenden Folgen für ihre Arbeitskraft und - soweit sie noch einen haben - für den Arbeitsplatz. Mehr als die Hälfte der 2 600 Frauen haben einen bleibenden Leberschaden. Im schlimmsten Fall werden sie eine Leberzirrhose oder ein Leberkarzinom erleiden.
Wie viele der übrigen 4 200 Frauen infiziert sind bzw. noch erkranken werden, ist bis heute nicht hinreichend bekannt. Ebenso weitgehend unbekannt ist, wie viele Kinder oder Partner mittelbar infiziert wurden. Erste Todesfälle sind in der Zwischenzeit zu verzeichnen.
Daß wir hier und heute diese traurige Bilanz darlegen können, verdanken wir auch den Frauen und ihren beiden Selbsthilfegruppen. Es verdient unsere Anerkennung, wenn die Opfer selber für die Interessen der betroffenen Frauen eintreten und kämpfen.
Noch mehr Verpflichtung und Herausforderung verspüren wir alle, wenn wir uns konkret Einzelschicksale ansehen. Wie Frau T. waren die meisten der betroffenen Frauen so um die 20 Jahre alt, als sie schwanger wurden. Frau T. erhielt wie alle Frauen in der DDR - und so auch die anderen 6 772 - ein Arzneimittel zur Verhinderung der Rhesusfaktor-Unverträglichkeit von Mutter und Kind. Sie wie alle Frauen hatten keine Ahnung, daß sie dadurch Opfer eines Arzneimittelschadens wurden.
Über ihre Mühsal, Isolierung und die Behandlungsprozeduren will ich nicht berichten. Dazu reicht heute abend die Zeit nicht aus. Mein Augenmerk richtet sich darauf, daß die Frauen, wie Frau T., Gerechtigkeit erhalten, weil Wiedergutmachung nicht möglich ist.
Zurück zu Frau T., die Kriminaloberkommissarin war. Sie kam nach 1990 von einem Aufenthalt der Familie im Ausland in die Bundesrepublik zurück. Sie wollte in ihrem ursprünglichen Beruf weiterarbeiten, was möglich war. Bei der notwendigen amtsärztlichen Untersuchung wurde ihr nur mitgeteilt, daß der PCR-Test positiv war, sie also eine chronische Hepatitis hatte. Auch das Urteil über ihre weitere berufliche Entwicklung wurde gesprochen: Sie stelle eine Gefahr für die Öffentlichkeit dar. Deshalb könne sie nicht mehr als Kriminaloberkommissarin arbeiten.
Folgen dieses Urteils: Bis heute muß sie sich als Bürokraft mit 2 500 DM weniger abfinden. Der Berufsschadensausgleich beträgt null. Die Entschädigung nach dem Bundes-Seuchengesetz und dem Bundesversorgungsgesetz beträgt bei einer anerkannten Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 Prozent 174 DM im Monat.
Warum 174 DM im Monat? Die betroffenen Frauen mußten ein Sonderopfer für die deutsche Einheit erbringen. Durch die Große Anfrage der SPD ist erstmals sichtbar geworden, daß die Bundesregierung die Ansprüche der Betroffenen eigenmächtig im Einigungsvertrag abgewertet hat.
In der DDR - das war klar - hat man aus politischen Gründen die Opfer als Impfschadensopfer eingestuft, obwohl sie Arzneimittelgeschädigte waren. Die Bundesregierung hat dies ungeprüft übernommen und muß dies unserer Auffassung nach jetzt wieder in Ordnung bringen.
Das Sonderopfer wird deutlich, wenn man weiß, daß die Frauen heute im Schnitt für eine 30prozentige Erwerbsminderung 174 DM und für eine 40prozentige Erwerbsminderung 236 DM bekommen - wenn sie denn so viel erhalten. In der DDR aber hatten sie den vollen Lohnausgleich, einen Arbeitsplatz, großzügige Regelungen in krankheitsbedingten Ausfallzeiten und vor allem einen vollen Rentenanspruch.
Bei der gleichen eindeutigen Rechtslage müßte in der Bundesrepublik Deutschland durch die vorliegenden Kausalzusammenhänge jeder Arzneimittelhersteller voll haften. In Halle handelte es sich um ein staatliches Institut. Deshalb muß klar sein: Der Staat darf sich, wenn ihm gegenüber Haftungsansprüche bestehen, nicht billiger freikaufen. Ein Staat und seine Regierung, die so mit Haftungsansprüchen umgehen, würden an Glaubwürdigkeit bei ihren Bürgerinnen und Bürgern verlieren.
Horst Schmidbauer
Der Staat und seine Regierung müssen korrekt und vorbildlich handeln. Mit welchen Argumenten sollen sich Staat und Regierung in Zukunft gegen Firmen und Konzerne durchsetzen, wenn sie selber nicht korrekt und vorbildlich handeln?
Wir dürfen die Frauen in ihrer sozialen Not und angesichts der eindeutigen Rechtslage nicht in den Klageweg treiben. Mein Appell, ein soziales Entschädigungsgesetz zu schaffen, richtet sich an den Minister, die Staatssekretärin und an die Kolleginnen und Kollegen des Bundestages. Ich denke, wir im Bundestag müssen uns einig sein: Diese Frauen und Mütter verdienen und brauchen unsere Hilfe.
Wenn Unrecht geschehen ist, dann an diesen Frauen. Wenn Unrecht wiedergutzumachen ist, dann bei diesen Frauen und Müttern.
Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor 18 Jahren hat es in der DDR einen Arzneimittelskandal gegeben, an dessen Folgen zahlreiche Betroffene, insbesondere Frauen, noch heute leiden. Durch Fahrlässigkeit in einem Institut wurden möglicherweise bis zu 7 000 Personen im Rahmen einer „Anti-D"-Prophylaxe mit Hepatitis-C-Viren infiziert. Bei dieser Behandlung erhielten Frauen nach einer Geburt, einer Fehlgeburt oder einem Schwangerschaftsabbruch Immunglobuline zur Immunisierung der Rhesusfaktor-Unverträglichkeit. Damit sollten gesundheitliche Risiken bei weiteren Schwangerschaften ausgeschlossen werden.
Neben Frauen - das haben wir bereits gehört - sind vereinzelt auch Kinder und Männer an Hepatitis C erkrankt, die von infizierten Frauen angesteckt wurden. Wie viele Personen insgesamt durch diese Behandlung tatsächlich mit Hepatitis-C-Viren infiziert wurden oder erkrankten, können wir bis heute nicht abschließend sagen. Die Untersuchung aller betroffenen Personen dauert noch an, weil erst 1993 Hepatitis-C-Viren zuverlässig nachgewiesen werden konnten.
Bereits in der ehemaligen DDR ist für die infizierten Personen eine Entschädigungsregelung vorgenommen worden. Deshalb, Herr Schmidbauer, stimmt es nicht ganz, daß diese betroffenen Frauen erst nach der Wiedervereinigung davon erfahren haben. Ich habe auch mit vielen Ärzten gerade in Berlin gesprochen, die diese Frauen in Behandlung hatten. Diesen Ärzten jetzt vielleicht den Vorwurf zu machen, daß sie das als geheim eingestuft oder die Frauen nicht entsprechend behandelt haben, wäre
ungerechtfertigt gegenüber den Ärzten, die ihre Arbeit damals sehr gut gemacht haben.
Durch den Einigungsvertrag wurde dafür gesorgt, daß die Hilfen für diese Menschen fortgesetzt wurden. Herr Schmidbauer, wenn Sie sagen, es sei fahrlässig von der Bundesregierung, daß sie den Sachverhalt eines Impfschadens ungeprüft übernommen habe, muß ich Sie fragen: Welche Chance hatte denn die Bundesregierung? Denn daß das eine Haftungsfrage betraf, wußten nicht einmal wir Handelnden, die in der Volkskammer saßen, da der Schaden zum Teil als geheim eingestuft wurde.
- Das ist ja gut. Aber uns deshalb einen Vorwurf zu machen, ist nicht gerechtfertigt.
Ihre Ansprüche wurden mit der entsprechenden Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes in das Bundes-Seuchengesetz überführt. Dies geschah im Interesse der Patienten, um die Ansprüche zu sichern und eine nahtlose Hilfe zu gewährleisten. Wäre dieser Weg nicht beschritten worden, hätten die Betroffenen ihre Ansprüche verloren.
Zusätzlich wurde inzwischen mit den Bundesländern die Übereinkunft getroffen, daß in gleicher Weise auch diejenigen entschädigt werden, die in der ehemaligen DDR noch keinen Antrag gestellt hatten oder erst später erkrankten. Das gleiche gilt für infizierte Kontaktpersonen. Gegenwärtig prüfen wir auch eine gesetzliche Absicherung dieser Absprache im Rahmen der anstehenden Novellierung des Bundes-Seuchenrechts.
Insgesamt erhalten die betroffenen Personen also Hilfen, die über die sozialversicherungsrechtlichen Regelungen hinausgehen. Sie haben die gleichen Ansprüche wie Kriegsopfer, Wehrdienstopfer, Zivildienstleistende oder Opfer von Gewalt. Dazu gehört vor allem der Anspruch auf einkommensunabhängige Beschädigten- und Hinterbliebenenrenten. Die Höhe dieser Renten richtet sich nach dem Grad der Minderung der Erwerbstätigkeit. Zusätzlich zu diesen Renten können die betroffenen Menschen als einkommensunabhängige Leistungen eine Schwerstbeschädigten- oder Pflegezulage erhalten. Wenn die Minderung der Erwerbstätigkeit bei 50 Prozent liegt, kann auch eine Ausgleichsrente gezahlt werden. In besonders schweren Fällen kann die Minderung der Erwerbstätigkeit noch höher angesetzt und gegebenenfalls ein Berufsschadensausgleich gewährt werden.
- Darüber werden wir im Ausschuß noch reden.
Die Hilfe für die Betroffenen hat sich aber nicht nur auf finanzielle Leistungen beschränkt. Um der besonderen Situation der Frauen gerecht zu werden, haben sich alle Beteiligten im Bund und in den Län-
Parl. Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl
dern bemüht, den Betroffenen eine umfassende medizinische Versorgung zu gewähren. So wurde zum Beispiel auch der Zugang zu Kuren, die bei infektiösen Lebererkrankungen in der Regel nicht gewährt werden, erleichtert.
Bis Ende Juni 1996 wurden von den Versorgungsverwaltungen in den neuen Bundesländern fast 3 000 Anträge bearbeitet. Dabei wurden 1 442 Anträge anerkannt. Der größte Teil davon, nämlich 1 392 Anträge, betraf Frauen. 23 dieser Anträge betrafen Kinder und fünf die ehelichen Partner. Es wird voraussichtlich noch einige Monate dauern, bis alle Anträge bearbeitet sind.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat versucht, gemeinsam mit den Ländern alles zu tun, um den Betroffenen die notwendigen medizinischen und finanziellen Hilfen zu gewähren. Wenn heute nur der kleinere Teil der betroffenen Frauen nach dem Bundesversorgungsgesetz einen Rentenanspruch zugesprochen erhält, sollten wir die Gründe dafür gemeinsam untersuchen.
Ein Grund kann darin liegen, daß die Infektionsfolgen durch die medizinische Behandlung vermindert werden konnten, obwohl viele betroffene Frauen - wir haben das eben wieder gehört - darüber klagen, daß die subjektiven Beschwerden mit den Ergebnissen der Gutachten nicht übereinstimmen. Wenn die Gründe dafür in der Anwendung des geltenden Rechts liegen, müssen wir der Frage nachgehen, ob zum Beispiel Verbesserungen bei der zielgenauen Begutachtung möglich sind.
Der Vorwurf, die Regelung der Ansprüche der Betroffenen über das Bundes-Seuchengesetz sei systemwidrig, führt aber nicht weiter. Diese Lösung ist ja gerade deshalb gewählt worden, damit den Betroffenen durch die Einbeziehung in das Sozialentschädigungsrecht eine angemessene Versorgung ermöglicht werden kann.
Unabhängig davon, daß der Bund nicht Rechtsnachfolger der DDR ist, sind wir aber bereit, über eine Entschädigungsregelung im Sinne eines zusätzlichen Schmerzensgeldes zu diskutieren. Voraussetzung ist allerdings, daß alle Länder gleichermaßen bereit sind, sich finanziell daran zu beteiligen.
Ich bedauere es außerordentlich, Herr Schmidbauer, daß man auch gerade in diesem Fall immer wieder versucht, sich gegenseitig den Schwarzen Peter zuzuschieben. Wir sollten gemeinsam versuchen, eine Regelung zu finden, aber auch die Länder nicht aus ihrer Pflicht entlassen, und zwar alle Bundesländer, nicht nur die neuen.
Obwohl die Bundesländer bereits mehrfach zu diesem Problem getagt haben, ist bisher noch kein Ergebnis dieser Beratungen bekannt. Ich hoffe, daß die Bundesländer bald und im Interesse der betroffenen
Frauen zu einem Ergebnis kommen, damit wir auf dieser Basis weiter miteinander diskutieren können.
Meine Damen und Herren, die Bundesrepublik Deutschland hat sich seit der Wiedervereinigung der Frauen, die von diesem Arzneimittelskandal in der ehemaligen DDR betroffen waren, angenommen, sie mit ihrem tragischen Schicksal nicht allein gelassen und zahlreiche Maßnahmen getroffen und Verbesserungen erreicht.
Dies sage ich nicht nur für die Bundesregierung, sondern selbstverständlich auch für die neuen Bundesländer, deren aktive Rolle hierbei besonders hervorgehoben werden muß und denen ich an dieser Stelle ausdrücklich dafür danken möchte.
Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Monika Knoche, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist zu begrüßen, wenn wir heute über die Notwendigkeit einer Entschädigungsgesetzregelung beraten können, die insbesondere Frauen aus den neuen Bundesländern zugute kommen soll, die mit HCV infiziert und daran erkrankt sind. Ich habe aber kein Verständnis dafür, daß es nicht die Regierung selber ist, die diese Initiative ergriffen hat.
Ich kann mir kaum eine schönere Aufgabe der Gesundheitspolitikerinnen aus den neuen Ländern wie auch Ihnen, Frau Staatssekretärin Bergmann-Pohl, vorstellen, als arzneimittelgeschädigten Frauen der ehemaligen DDR heute zu ihrem Recht und zu ihrer angemessenen finanziellen Entschädigung zu verhelfen.
Obgleich Ihnen die Notlage dieser Frauen aus den Verhandlungen zum Einigungsvertrag möglicherweise doch hätte bekannt sein können,
haben Sie keinen Impuls gesetzt, dies aufzuklären.
Daß sich aber durch die Deutschländerfusion die Rechts- und Finanzlage verschlechtert hat, ist weder versteh- noch rechtfertigbar. Sich heute hinter einer Länderregelung zu verstecken, sollte die Bundesregierung in diesem Fall wirklich unterlassen.
Hat die Regierung auch, wie Sie sagen, aus Unwissenheit den Anspruch auf eine angemessene Entschädigung zu einem stillen Verwaltungsakt gemacht, in dessen Vollzug aus einer Arzneimittelschä-
Monika Knoche
digung ein seuchengesetzliches Artefakt wurde, so kann man heutiges Nichthandeln deshalb nicht entschuldigen.
Ich halte es für sehr wichtig, was die SPD zentral herausgestellt hat, nämlich daß es sich eben nicht um einen Impfschaden handelt, an dessen Folgen Frauen sehr schwer erkrankt sind, sondern daß dies unmittelbare Folgen einer Arzneimittelschädigung sind.
Herr Schmidbauer wies darauf hin, daß viele der 2 500 Frauen mit einem progredienten Verlauf, also mit einer wesentlichen Verschlechterung des Krankheitsbildes, rechnen müssen. Leberkrebs, Leberkarzinome, Leberzirrhose, aber auch Lebertransplantationen sind für diese Frauen die Folgen.
Es ist wirklich sehr tragisch, was ihnen als Schwangere in der DDR widerfahren ist und daß schuldhaftes Handeln ursächlich war. Ich möchte darauf hinweisen, daß, wenn man sich vor Augen führt, wie sehr der HIV-Blutskandal in der Bundesrepublik das Vertrauen in Medizin und Politik erschüttert hat, die Entschädigung in diesem Fall nicht das Niveau haben darf, das in der HIV-Frage von der Regierung erzielt wurde. Die Erfahrung zeigt: Diese Regierung tut sich sehr schwer, sich vorbehaltlos auf die Seite der Patientinnén zu stellen.
Ich möchte noch auf einen Gedanken hinweisen: Wir unterstützen den Antrag der SPD nachhaltig. Ein solches Gesetz kann aber unseres Erachtens nicht auf unmittelbar Geschädigte begrenzt bleiben. Es ist bekannt, daß die ,,Anti-D"-geschädigten Frauen oftmals gestillt, Muttermilch gespendet haben. Da die Inkubationszeit lang ist und die Frauen oft überhaupt nichts von ihrer Infektion wußten, muß man auch davon ausgehen, daß sie nicht nur Muttermilch gespendet haben, sondern daß unter den potentiell infizierten nahezu 7 000 Frauen auch Blutspenderinnen gewesen sind. Darin liegt das größte Risiko der mittelbaren HCV-Infektion.
Bluttransfusion ist d a s Virusinfektionsgefahrenpotential; darüber wissen wir seit dem 3. Untersuchungsausschuß sehr genau Bescheid. Wie im Westen so auch im Osten Deutschlands konnte in den 80er Jahren überhaupt nicht zuverlässig auf HCV getestet werden.
Mir hat die Bundesregierung auf zwei Kleine Anfragen, die ich zu diesem Problemkreis gestellt habe, bestätigt, daß vor 1990 weder in der DDR noch in der BRD die Bestimmung von HCV-Trägern möglich war. Warum hebe ich das hervor? Weil die Bundesrepublik mit der damaligen DDR in eben dieser Zeit durch einen Stasi-geleiteten Bluthandel verbunden war.
Diese Regierung behauptet in selbiger Antwort auf meine Anfrage, sie habe keine Hinweise darauf, daß die Empfängerinnen des Blutes aus der DDR einem höheren HCV-Risiko ausgesetzt waren als Empfängerinnen von Blut aus den alten Bundesländern. Geprüft hat sie diese Aussage nicht.
Daß man in Skandinavien und Belgien in den 80er Jahren gerade wegen Non-A-non-B-Infektionen im Blut auf Eigenversorgung umgestellt hat, hat die Bundesrepublik nicht daran gehindert, gerade in jener Zeit einen lebhaften Blutimporthandel mit der DDR abzuschließen. Erstaunlicherweise blieb dieser Sachverhalt in der Grauzone des Untersuchungsausschusses.
Ich glaube, daß wir uns die Dramatik sehr gut vorstellen können. Die Worte, die Herr Schmidbauer gefunden hat, sind dem Stand der politischen Befassung mehr als angemessen. Wir wollen an dieser Stelle die Regierung auffordern, daß sie aus den Erfahrungen lernt und daß sie Lösungen vorschlägt, die den Frauen gerecht werden.
Doch lassen Sie mich an dieser Stelle an die Adresse der SPD sagen: Ich wünsche mir, daß wir bei der Formulierung des Entschädigungsgesetzes eine Ergänzung dahin gehend machen, daß der Kreis der Betroffenen auch auf die mittelbar geschädigten Frauen ausgeweitet wird. Kein Zweifel kann daran bestehen, daß wir zuallererst an die mittelbar und unmittelbar geschädigten Frauen denken müssen.
Danke schön.
Das Wort hat der Kollege Dr. Dieter Thomae, F.D.P.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir beschäftigen uns heute mit einem düsteren Kapitel in der medizinischen Versorgung der ehemaligen DDR. Die Antwort der Bundesregierung bietet in meinen Augen eine Grundlage für eine vernünftige Diskussion im Ausschuß.
Unstrittig ist, daß diese Frauen infiziert worden sind und daß schuldhaftes Verhalten der damaligen Regierung vorliegt. Darum muß jeder Versuch unternommen werden, eine vollständige Erfassung der Frauen zu gewährleisten, damit alles getan werden kann, um Entschädigungen möglich zu machen.
Ich sage ebenfalls sehr deutlich: Wir haben das Versorgungsrecht übernommen. Hier haben die Bundesländer mitgearbeitet. Ich denke, die Koalition ist bereit. Wenn alle Bundesländer weiter gesprächsbereit sind und bereit sind, Entschädigungsleistungen über dem jetzigen Niveau zu erbringen, dann wird die Bundesregierung ebenfalls ihren Anteil erbringen. Aber wenn sich nicht alle Bundesländer beteiligen, sehen die Bundesregierung und die Koalition kaum eine Möglichkeit, diese Verantwortung allein zu übernehmen.
Wir könnten heute schon weiter sein. Sie alle wissen, daß schon Gespräche mit allen Bundesländern über die Frage stattgefunden haben, ob sie bereit sind, in diesem Bereich mitzuarbeiten. Bisher gibt es aber diese Signale aller Bundesländer eben nicht. Auch die von Ihnen geführten Bundesländer haben bisher diese Signale nicht gegeben.
Dr. Dieter Thomae
Wenn Sie also den Frauen wirklich helfen wollen - die Koalition ist dazu sofort bereit -, dann bitte ich Sie auch darum, die von Ihnen, also von der SPD und dem Bündnis 90/Die Grünen, geführten Bundesländer davon zu überzeugen, daß wir hier gemeinsam helfen müssen. Dann werden wir diesen Frauen sicherlich gerechter werden können.
Also bitte; es liegt auch an Ihnen.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Ruth Fuchs, PDS.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den Jahren 1978 und 1979 kam es in der DDR zum gehäuften Auftreten von Erkrankungen an einer Hepatitis-Form mit einem bis dahin nicht identifizierten Erreger. Die Erkrankungswelle betraf Frauen, die zur Prophylaxe der gefürchteten Neugeborenengelbsucht spezifische Immunglobuline erhalten hatten.
Nach Auftreten der ersten Erkrankungen gelang es den zuständigen Gesundheitsbehörden, gestützt auf eine exakte Chargendokumentation und auf die von den Ärzten verantwortungsbewußt wahrgenommene Meldepflicht, vergleichsweise rasch, den ursächlichen Zusammenhang zwischen bestimmten Chargen dieser Immunpräparate und den Erkrankungen der Frauen zu erkennen. Dennoch waren bereits etwa 6 800 Gaben des Medikaments verabreicht, und es kam zu der erschreckenden Größenordnung von zirka 2 900 damals erfaßten akuten Erkrankungen.
Die gesundheitlichen und sozialen Folgen für die Frauen und ihre Familien sind gravierend. Das Wissen über die Erkrankung ist insbesondere mit der Isolierung des Virus im Jahre 1989, also zehn Jahre später, und der damit möglichen besseren Diagnostik deutlich gewachsen. Den betroffenen Frauen und ihren Familien müssen unser ganzes Mitgefühl und unsere tatkräftige Hilfe und Unterstützung gelten.
Ursache der Katastrophe war krasses individuelles Fehlverhalten des Direktors und eines weiteren leitenden Mitarbeiters jenes Blutspendeinstituts, in dem das Präparat hergestellt wurde. Beide hatten sich in grob fahrlässiger Weise über Vorschriften des Arzneimittelgesetzes hinweggesetzt, notwendige Informationen an die Aufsichtsbehörden nicht weitergegeben und damit kriminell gehandelt.
Der Minister für Gesundheitswesen der DDR erstattete Strafanzeige. Im Ergebnis der strafrechtlichen Ermittlungen und eines Gerichtsverfahrens wurden die beiden für das Geschehen schuldhaft Verantwortlichen rechtskräftig verurteilt.
Die erkrankten Frauen erhielten nach der akuten medizinischen Behandlung eine fachärztliche Langzeitbetreuung. Das war auch deshalb wichtig, weil man über mögliche Spätkomplikationen damals noch so gut wie keine Kenntnisse hatte. Die Entschädigungsregelung folgte dem Grundsatz des vollen Nettolohnausgleichs bei krankheitsbedingten Ausfällen und von ungeschmälerten Rentenansprüchen.
Sie haben damit recht, Herr Kollege Schmidbauer: Die breite Öffentlichkeit wurde nicht unterrichtet. Auf fachlicher Ebene tat man jedoch, was zu dieser Zeit getan werden konnte. Es gab eine umfassende Information und Auswertung mit einer großen Zahl von leitenden Ärzten, Pharmazeuten und Arzneimittelherstellern. Es gab zahlreiche Fachpublikationen. Schließlich berichtete ein stellvertretender Gesundheitsminister der DDR anläßlich einer WHO-Tagung in Genf vor der internationalen gesundheitspolitischen Fachwelt über das Geschehen.
Angesichts des unübersehbar korrekten Umgangs der DDR-Behörden mit diesem schlimmen Ergebnis sprach damals niemand von einem Arzneimitteloder Medizinskandal. Das war überhaupt erst im spezifischen Meinungsklima der Bundesrepublik nach der Wiedervereinigung möglich, wo bekanntlich alles, was mit der DDR verbunden war, erst einmal als schlecht oder verächtlich stigmatisiert werden kann.
Leider ist es auch zu weiteren bösartigen Unterstellungen gekommen, die die Bundesregierung mit ihrer Antwort allerdings nicht bestätigt hat. Da war zum Beispiel statt von zwei konkret Schuldigen ganz pauschal und in seltsam verschwommener Sprache von „den Verantwortlichen in der DDR" die Rede, die das Präparat trotz Wissens um seine Gefährlichkeit den Frauen quasi vorsätzlich verabreichten. Das läßt der Phantasie freien Raum - bei behandelnden Ärzten angefangen bis hin zum Minister für Gesundheitswesen.
Deshalb noch einmal ganz klar: Kein Arzt und keine zuständige Aufsichtsbehörde wußte und konnte zur damaligen Zeit wissen, daß die fraglichen Chargen des Medikaments, welches die Katastrophe auslöste, kontaminiert waren. Alles andere sind Unterstellungen, die gerade auch von beteiligten Ärzten in Ostdeutschland mit großer Empörung aufgenommen wurden.
Mit den Verhandlungen über den Einigungsvertrag, die auch zwischen Vertretern der Bundesregierung und des Ministeriums für Gesundheitswesen der DDR abliefen, wurden die Gesamtproblematik und damit auch die von ihr betroffenen Frauen gewissermaßen offiziell in die Obhut der Bundesregierung und der neuen Bundesländer übergeben. Die Bundesregierung war also informiert. Sie überführte die anerkannten Schäden als Impfschäden in bundesdeutsches Recht. Diese Regelung wird der Situation der Frauen allerdings nicht gerecht.
Fazit: Das Anliegen der Frauen und ihrer Familien zu einer besseren entschädigungsrechtlichen Regelung zu kommen, findet unsere volle Unterstützung. Dem Antrag der SPD-Fraktion, der sich auch in seiner Diktion wohltuend von früheren Verlautbarungen abhebt, stimmen wir zu.
Dr. Ruth Fuchs
- Ich glaube, das war so gemeint, wie es vorhin auch schon korrigiert worden ist: daß es hier ein paar Unterstellungen gab, die aus meiner Sicht und meiner Kenntnis so eben nicht zutrafen.
Keine Dialoge; denn Sie müssen auf die Zeit achten.
Das steht ihnen ja auch zu, Frau Hanewinckel. Aber da stimmen Sie mir vielleicht zu; Sie sind ja ebenfalls in der ehemaligen DDR aufgewachsen.
- Dann in der DDR. Es ist ja gut. Nun haben Sie mich
noch mal erwischt. Freuen Sie sich, haben Sie einen
schönen Abend, und trinken Sie ein Glas Wein drauf.
Wir gehen davon aus, daß sich verantwortliche Politiker streng an den Tatsachen und an ihrer wahrheitsgerechten Bewertung orientieren müssen. Nur so kann es letztlich zu einer wirklich angemessenen und gerechten Lösung kommen. Auch das kann den wirklichen Anliegen der Frauen am Ende nur nutzen. Alles andere schadet diesen Frauen.
Falschdarstellungen und Halbwahrheiten über das damalige Geschehen werden wir auch weiterhin entschieden entgegentreten, auch wenn Sie mich in Ihrer Art, wie Sie das manchmal machen, angehen. Wir sind für die Frauen. Wir stimmen Ihrem Antrag zu. Wir werden unseren Möglichkeiten entsprechend alles tun, damit diese Frauen zu ihrem Recht kommen.
Das Wort hat der Kollege Dr. Harald Kahl, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bis vor zwei Stunden hätte sich die Möglichkeit eröffnet, die Reden zu Protokoll zu geben. Denn es bestand die Chance, mit Betroffenen, von denen viele heute oben auf der Tribüne sitzen, ein Gespräch zu führen. Das wäre für unsere weiteren Beratungen sicherlich hilfreicher gewesen, als hier wechselseitig zu agitieren.
- Es lag - das möchte ich in aller Deutlichkeit sagen - an der SPD-Fraktion, die diesem Vorhaben keine Zustimmung erteilt hat.
In der Zeit von Mai bis Dezember 1978 wurden in der ehemaligen DDR vom Bezirksinstitut für Blutspende und Transfusionswesen Halle 15 Chargen von insgesamt von 16 422 Ampullen eines Impfstoffes zur ,,Anti-D"-Immunprophylaxe aus Seren von Blutspendern hergestellt. Dieses Serum wurde an Frauen verabreicht, die einen Rhesusfaktor negativ besaßen, um nachfolgende mögliche Rhesusunverträglichkeiten zu vermeiden. Nach der Herstellung, aber noch vor dem Inverkehrbringen wurde bekannt, daß in drei Chargen Plasma hepatitisinfizierter Spender enthalten waren. Dennoch wurden diese Chargen ausgeliefert und kamen zur Anwendung. Das ist ein Skandal ersten Ranges.
Hinzu kommt, daß die Herstellung des Impfstoffes nach einem Verfahren erfolgte, daß nicht dem weiterentwickelten Stand der Technik entsprach. Erst im Januar und März 1979 wurden die ausgelieferten Chargen gesperrt. Von den insgesamt 16 422 hergestellten Ampullen ergab sich per 20. Juli 1979 ein Bestand von nicht verbrauchten Ampullen in Höhe von 9 649. Da eine Ampulle einer verabreichten Dosis entsprach, wären demzufolge 6 773 Einzeldosen verabreicht worden, und damit ist die maximale Zahl der kontaminierten Frauen beschrieben. Bis Juli 1979 waren als Folge der „Anti-D " -Prophylaxe insgesamt 2 533 Frauen erkrankt.
Aus einem vom damaligen Gesundheitsminister der DDR unterzeichneten Schreiben vom 23. Januar 1979 ist deutlich zu erkennen, daß das Geschehen bewußt heruntergespielt werden sollte, um die Öffentlichkeit nicht zu verunsichern. In dem Schreiben heißt es -Zitat -:
Das Gespräch mit den Frauen isf auf der Grundlage folgender Argumente zu führen, wobei zu sichern ist, daß keine Beunruhigungen der Mitarbeiter des Gesundheits- und Sozialwesens und der Bürger auftreten: Es sind vereinzelt Erkrankungen von Hepatitis bei Frauen, die nach einer Entbindung, einem Abort oder einer Interruptio sich einer „Anti-D " -Immunprophylaxe unterzogen haben, aufgetreten. Die Erfassung und die Gabe von Gammaglobulin erfolgt im Interesse der Gesundheit der Frauen und Säuglinge als prophylaktische Maßnahme.
Die Gabe von Gammaglobulin hat offensichtlich nur das Ziel verfolgt, beruhigend auf die Betroffenen einzuwirken. Denn die Gabe dieses Präparates hat keinen positiven therapeutischen Einfluß bei der Behandlung von Hepatitis C, bestenfalls therapeutische Erfolge bei Hepatitis A.
Zu Zeiten des Geschehens in der ehemaligen DDR gab es keine sicheren diagnostischen, insbesondere labordiagnostischen Methoden zum Nachweis einer Hepatitis C. Deshalb wurde diese Form der Hepatitis im Unterschied zu den bereits vorher bekannten Hepatitisformen A und B als Heptatits Non-A-Non-B bezeichnet. Wissenschaftlich beschrieben wurde die Hepatitis C erst 1989, und der routinemäßige labor-
Dr. Harald Kahl
diagnostische Nachweis mittels Enzymimmunoassay gelang erst 1990.
Vor diesem Hintergrund ist die Behauptung, mittels Immunglobulingabe könne ein Heilerfolg erreicht werden, als reine Spekulation anzusehen und diente letztlich nur der Irreführung der Betroffenen und der Verharmlosung des Geschehens.
Als Entschädigung der Betroffenen für die Folgen der „ Anti-D " -Prophylaxe sah die Weisung Nr. 6 des Ministeriums für Gesundheitswesen der DDR vom 16. Juni 1979 folgende Regelung vor: Zahlung eines Grundbetrages von 200 Mark; Zahlung eines Betrages von 150 Mark je Woche stationärer Betreuung; Zahlung eines Betrages von 80 Mark pro Woche ambulanter Betreuung.
Weiterhin wurde bei medizinisch-stationärer Betreuung während des Wochenurlaubs und bei akuter Erkrankung den Betroffenen ein Ausgleich in Höhe des Durchschnittsverdienstes gewährt. Diese Beträge wurden auf Grund des „Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten beim Menschen" gezahlt und dann laut Einigungsvertrag bis zu dem Zeitpunkt weitergewährt, an dem die Betroffenen in den Geltungsbereich des Bundesseuchengesetzes kamen und nach diesem eine Entschädigung erhalten, sofern sie eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 25 Prozent haben.
Die Länder, die beim Vollzug des Bundesseuchengesetzes und des Bundesversorgungsgesetzes in der Pflicht stehen, haben in vielfältiger Weise, unter anderem durch Veröffentlichungen in der Presse und in Rundschreiben an Allgemeinmediziner und Internisten, die Betroffenen aufgefordert, sich zu melden und einer Untersuchung zu unterziehen.
Die Ministerien für Gesundheit und Soziales der neuen Bundesländer haben darüber hinaus in der Regel die Versorgungsämter beauftragt, alle betroffenen Frauen durch Amtsärzte aufsuchen zu lassen, um ihnen die Möglichkeit zu geben, einen Antrag auf Anerkennung des Schadens zu stellen.
Ich würde mich freuen, wenn sich auch die alten Bundesländer - ich spreche Sie, Herr Minister Vesper aus Nordrhein-Westfalen, besonders an - in gleicher Weise verhalten würden.
Zum 30. Juni 1996 stellt sich bei der Bearbeitung der bisher gestellten Anträge in den neuen Bundesländern folgende Situation dar: Insgesamt wurden 4 372 Anträge gestellt, wobei darauf hinzuweisen ist, daß die einzelnen Bundesländer sehr unterschiedlich betroffen sind.
So sind in Berlin von 272 gestellten Anträgen 207 erledigt, in Sachsen von 1 638 Anträgen 1 510 und in Thüringen von 471 leider nur 104. Insgesamt sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt von den in den neuen Bundesländern bisher erledigten 2 905 Anträgen 1 442- anerkannt. Bei 921 Fällen, also 64 Prozent, wurde eine Minderung der Erwerbsfähigkeit unterhalb von 25 Prozent festgestellt, bei 463 Fällen - das sind 32 Prozent - eine Minderung der Erwerbsfähigkeit um 30 Prozent und bei 41 Fällen - das sind
3 Prozent - eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 40 Prozent. Bei lediglich acht Fällen - das ist weniger als 1 Prozent - wurde eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 Prozent festgestellt.
Eine herausragende Stellung innerhalb der Diagnose und Therapie der durch die „Anti-D"-Prophylaxe der Hepatitis C in der ehemaligen DDR entstandenen Erkrankungen nimmt das Klinikum St. Georg in Leipzig ein, dem auch heute noch als Akademisches Lehrkrankenhaus ein wesentlicher Anteil bei der Erforschung der Hepatitis C in Deutschland zukommt.
Unter der Leitung von Privatdozent Dr. Wiese wurden in diesem Haus seit 16 Jahren insgesamt 350 Frauen aus dem Impfskandal von 1978/79 behandelt. Dr. Wiese hat sich mit dem Thema HepatitisC-Infektionen habilitiert und eine Vielzahl von Publikationen und Forschungsergebnissen bei wissenschaftlichen Tagungen vorgelegt.
Insofern sollte diese Einrichtung frei von dem Verdacht sein, Begutachtungen nicht wissenschaftlich belastbar oder nicht gesetzeskonform erstellt zu haben. Aus Sicht dieses Hauses ist die Dunkelziffer bei der Erfassung der Betroffenen eher gering, da die Erfassung zu DDR-Zeiten mit großer Akribie erfolgte. Somit seien nahezu alle Frauen erfaßt, sofern sie sich nicht der Betreuung massiv entzogen haben oder eine Leberbiopsie, die auch zu DDR-Zeiten freiwillig war, abgelehnt haben.
Das Klinikum St. Georg in Leipzig behandelt auch heute noch Geschädigte aus allen Bundesländern; denn nicht wenige Frauen sind in die alten Bundesländer verzogen. Die Einrichtung bietet ihnen jederzeit eine qualifizierte stationäre und ambulante Betreuung an.
Zum Krankheitsgeschehen ist zu sagen, daß aus dem Patientengut, das dem Klinikum zur Verfügung stand, zirka 50 Prozent der Fälle chronisch verliefen, wobei lediglich ein Fall chronisch aktiv war und in keinem der Fälle eine Fettleber, eine Leberzirrhose oder ein Leberzellkarzinom diagnostiziert werden konnte.
Die Übertragung auf Ehepartner oder Kinder, das heißt die horizontale oder vertikale Transmission, ist als eher gering einzuschätzen. Von 40 stationär betreuten Kindern wies nur eines eine positive Hepatitis-C-Serologie auf.
Zu ähnlichen Ergebnissen kamen auch Meisel und Mitarbeiter vom Institut für Virologie der Humboldt-Universität Berlin. So wiesen Intimpartner von 120 infizierten Frauen in keinem Fall eine Hepatitis C auf. Auch Langzeituntersuchungen über 10 bis 16 Jahre an 264 Kindern der oben genannten Mütter zeigten keine Hinweise auf eine HCV-Infektion.
Zweifel an der Objektivität der Begutachtung in den neuen Bundesländern, wie sie vom Deutschen Verein Hepatitis-C-Geschädigter angemeldet werden, treffen nicht zu, da sämtliche für die Beurteilung einer Minderung der Erwerbsfähigkeit objektiv erhobenen Befunde, wie klinisch-chemische Parameter, serologische Unterschungen, molekular-virologische
Dr. Harald Kahl
Ergebnisse sowie die gesetzliche Regelung „Anhaltspunkte zur Begutachtung", zwingend einbezogen werden.
Außerdem werden alle Gutachten von leitenden Ärzten und Juristen der Versorgungsämter geprüft. Es ist ein Irrglaube, wenn einzelne Betroffene deshalb meinen, durch Gutachten anderer von ihnen selbst erwählten Ärzte eine höhere Minderung der Erwerbsfähigkeit bescheinigt zu bekommen, da sich auch diese an die gesetzlichen Vorgaben halten müssen.
Die zuständigen Behörden in den Ländern sollten deshalb auch weiterhin alle Möglichkeiten prüfen, die das Bundesseuchengesetz und das Bundesversorgungsgesetz bieten, um unbürokratisch den Betroffenen zu helfen und allen Geschädigten die finanziellen Hilfen des Bundesseuchengesetzes und des Bundesversorgungsgesetzes zukommen zu lassen.
Eine kontinuierliche medizinische Betreuung, die den jeweiligen internationalen Forschungsstand zu Hepatitis C einbezieht, ist dringend geboten und allen Betroffenen zugänglich zu machen. Darin sollte auch das Angebot der Behandlung mit Interferon und anderen antiviralen Stoffen eingeschlossen sein. Eine über die bisher gewährte Entschädigung hinausgehende Hilfe, die mit der bei HIV-Infizierten vergleichbar wäre, ist wegen des unterschiedlichen Verlaufes der Erkrankung und der damit verbundenen weit günstigeren Prognose bei Hepatitis-C-Infizierten nicht sachgerecht.
Meine Damen und Herren, es ist sehr bedauerlich, daß durch den Impfskandal in der DDR Tausende Frauen erhebliche gesundheitliche Schäden davongetragen haben. Deshalb ist es für diesen Personenkreis wichtig zu wissen: Bund und Länder nehmen diese ihre Sorgen ernst. Ihnen gilt unser aller Mitgefühl, und es ist gut, daß ihnen im Gegensatz zu Entschädigungen zu DDR-Zeiten, die nur zeitweilig und in geringer Höhe gewährt wurden, jetzt alle gesetzlichen Möglichkeiten für eine wirklich effektive Hilfe auf Dauer offenstehen.
Es ist Aufgabe des Bundes und der Länder, deren Gesundheitsminister am 22. November 1996 in Cottbus unter anderem zu diesem Thema Gespräche führen, Lösungen zu vereinbaren, mit denen den Betroffenen in allen Bundesländern schnell und unbürokratisch, auf gleich hohem diagnostischen und therapeutischen Niveau und mit den gleichen einheitlichen Entschädigungen wirksam geholfen wird.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Kollege Richard Schuhmann, SPD.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Rechtslage in diesem Fall ist kompliziert. Die SPD-Bundestagsfraktion hat deshalb in dieser Sache ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben. Das Ergebnis des Gutachtens ist eindeutig: Der Gesetzgeber hat
die verfassungsrechtliche Handlungsermächtigung, möglicherweise sogar eine Handlungspflicht zu einer Entschädigungsregelung, da hier eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung der HCV-Infizierten gegenüber den HIV-Infizierten vorliegt.
Die betroffenen Frauen sind nicht Impfgeschädigte im Sinne des § 52 Abs. 1 des Bundesseuchengesetzes, und deshalb war die Überleitung ihrer Ansprüche in die dafür vorgesehenen gesetzlichen Regelungen nicht sachgerecht. Sie sind vielmehr Arzneimittelgeschädigte. Sie wurden durch bewußte Verwendung von kontaminiertem Serum vorsätzlich oder zumindest grob fahrlässig geschädigt. Damit sind die Frauen auch Opfer einer Straftat geworden.
Nun stellt sich die Frage: Wer übernimmt die Haftung? Wie die Bundesregierung schon in ihrer Antwort auf die Große Anfrage der SPD feststellte, haben die Nachfolgeeinrichtungen nichts mit den Aufgaben des ehemaligen BIBT, des Bezirksinstituts für Blutspende- und Transfusionswesen in Halle, zu tun. Der ursprüngliche Hersteller der verseuchten Chargen scheidet damit aus.
Dies wird auch durch das Gutachten nicht in Abrede gestellt. Nach der Ansicht des Gutachters, die wir ebenfalls vertreten, liegt in diesem Fall eine eindeutige Parallelität zur HIV-Arzneimittelkatastrophe von 1983 bis 1985 in der alten Bundesrepublik vor.
Obwohl Gemeinsamkeiten zwischen HCV- und HIV-Schäden vorliegen, sind diese bei der Entschädigungsregelung unberücksichtigt geblieben. Im Gegensatz dazu erhalten die HIV-infizierten Bluter Ersatzansprüche nach dem HIV-Hilfegesetz, wenn sie nicht Schadensersatzansprüche gegen einen der Hersteller geltend machen konnten. Das war zum damaligen Zeitpunkt eine sehr gute Regelung. Wir streben natürlich an, daß für unsere Geschädigten aus der DDR-Zeit ein ähnlich gelagerter Kompromiß mit Hilfe der Bundesregierung und der Länder zustande kommt.
Nach Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes hat der Gesetzgeber die Pflicht, wesentlich Gleiches gleich zu behandeln bzw. ungleiche Sachverhalte ungleich zu behandeln. Art. 143 Abs. 1 und 2 des Grundgesetzes erlaubte zwar zwischenzeitlich eine andere Behandlung; aber die Fristen sind verstrichen. Damit liegt ein Unterlassen des Gesetzgebers vor; denn er hat das durch den Einigungsvertrag geschaffene gleichheitswidrige Recht nicht durch neues Recht abgelöst.
Die vom HCV-Arzneimittelskandal Betroffenen haben nach dem Grundgesetz „das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit". Die Ursache der HCV-Infektion liegt zwar zeitlich weit zurück, und zwar zu Zeiten der DDR; der Anspruch auf dieses Rechtsgut ist damit aber nicht erloschen. Denn ein zeitlich verzögerter Schaden in Form der Gesundheitsbeeinträchtigung ist bis heute gegeben.
Die vom HCV-Arzneimittelskandal Betroffenen genießen zwar das Recht auf freie Berufswahl; aber sie waren und sind in ihrer beruflichen Entwicklung erheblich beeinträchtigt. Sie leiden zunehmend unter Konzentrationsstörungen und Abgeschlagenheit. Um
Richard Schuhmann
diesen Belastungen auszuweichen, müssen sie sich für eine Teilzeitbeschäftigung entscheiden. Dies ist aber oftmals nicht möglich, weil ihnen der Einkommensverlust durch verkürzte Arbeitszeit nicht ersetzt wird. Die Betroffenen können sozusagen nicht aus eigener Kraft die Folgen der Infektion ausgleichen. Der Gesetzgeber unterliegt hier ebenfalls einer besonderen Schutzpflicht.
Die Betroffenen haben auch einen allgemeinen Rechtsschutzanspruch aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip. Doch den Opfern bleibt bisher eine rechtsstaatlich gesicherte Wahrnehmung von Rechten verschlossen. Für sie gibt es keine eindeutige Antwort, wer der Rechtsnachfolger der ursprünglichen Anspruchsgegner ist, so daß sie faktisch keine Rechtsverfolgungsmöglichkeiten hatten und haben.
Sie haben aber ein Recht darauf, daß der Staat seiner Verpflichtung zur „Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse" nachkommt. Bei Art. 72 Abs. 2 des Grundgesetzes und Art. 106 Abs. 3 handelt es sich nicht nur um eine simple politische Willensbekundung. Vielmehr hat die Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse durch die Wiedervereinigung den Gehalt einer Staatszielbestimmung erhalten.
Die Ungleichbehandlung der HCV-Infizierten würde eine nachhaltige temporäre Rechtsspaltung im Bereich der Grundrechte bedeuten. Die Verantwortung liegt durch vorangegangenes Tun im Rahmen der Vereinigung Deutschlands beim Bund. Die Länder sind hier angemessen zu beteiligen.
Eine pauschale Haftungsübernahme für die in der DDR geschehenen Rechtsverletzungen ist nicht gewünscht. Eine pauschale Ungleichbehandlung von Bürgern Ost und Bürgern West ist ebenfalls unerwünscht. Daß Neuregelungen erforderlich werden können und getroffen worden sind, zeigt der Fall der HIV-Geschädigten.
Das Rechtsgutachten von Professor Goerlich kommt zu dem Schluß:
Die Ungleichbehandlung der HCV-Infizierten gegenüber den HIV-Infizierten ist nicht gerechtfertigt.
Und weiter:
Sie führt zu einer gesamtstaatlichen Gewährleistungspflicht auch kraft einer Nachwirkung des Wiedervereinigungsgebots dahin, die Einheitlichkeit, zumindest aber die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse im Sinne der heutigen Formulierung des Grundgesetzes auch für die Bürger in den neuen Ländern herzustellen.
Dem können wir nur zustimmen.
Die Wahl der Mittel steht uns offen. Der Vorschlag der SPD-Bundestagsfraktion liegt auf dem Tisch. Lassen Sie uns in den Ausschußberatungen zügig ein für alle Beteiligten zufriedenstellendes Ergebnis finden, denn dieses Hohe Haus hat eine Verantwortung für die betroffenen Menschen. Es besteht meiner Meinung nach auch eine moralische Pflicht, die Betroffenen angemessen zu entschädigen. Ihre Gesundheit kann ihnen ohnehin nicht ersetzt werden.
Ich danke Ihnen.
Ich schließe die Aussprache.
Es ist beantragt worden, den Entschließungsantrag der SPD auf Drucksache 13/5977 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Gesundheit und zur Mitberatung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung sowie an den Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und - das ist neu - an den Rechtsausschuß zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Damit sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung des Bergarbeiterwohnungsbaus im Kohlenbergbau
- Drucksache 13/5963 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Interfraktionell wurde für die Debatte eine halbe Stunde vereinbart. Kein Widerspruch? - Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Bundesminister Dr. Klaus Töpfer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung des Bergarbeiterwohnungsbaus im Kohlenbergbau soll ab 1997 die Förderung des Bergarbeiterwohnungsbaus aus dem Treuhandvermögen des Bundes für den Bergarbeiterwohnungsbau eingestellt werden.
Die Einnahmen aus diesem Treuhandvermögen sollen dem Bundeshaushalt zugeführt werden, werden aber - das ist in besonderer Weise zu unterstreichen - überwiegend wieder zugunsten des sozialen Wohnungsbaus in allen Bundesländern eingesetzt.
Der Bund ist mit seiner Absicht nach meiner festen Überzeugung auf dem richtigen Weg. Der Bundesrat hat die Einstellung der Förderung zum Jahresende 1996 ebenfalls akzeptiert. Die Forderung der Länder, das Vermögen künftig vollständig für den sozialen Wohnungsbau einzusetzen, ist wohnungspolitisch, baupolitisch auf den ersten Blick sicherlich sehr verständlich. Dagegen ist aber zu berücksichtigen: Dieses Bundestreuhandvermögen ist seinerzeit aus den
Bundesminister Dr. Klaus Töpfer
Belastungen nahezu aller Haushalte entstanden. Es ist deswegen sicherlich gerechtfertigt, die Vermögenserträge zugunsten der Allgemeinheit insgesamt einzusetzen, schwerpunktmäßig aber - ich unterstreiche es noch einmal - für den sozialen Wohnungsbau in der Bundesrepublik Deutschland.
Gleichwohl hat die Bundesregierung dem Anliegen der Länder mit der weitgehenden Umwidmung zugunsten des sozialen Wohnungsbaus Rechnung getragen. Die mittelfristige Finanzplanung des Bundes sieht bis zum Jahre 2000 Verpflichtungsrahmen in Höhe von 850 Millionen DM vor, davon 250 Millionen DM im Jahre 1997. Daß wir hier - ich möchte es hinzufügen - eine entsprechende Sperre haben, hat mit der haushaltstechnischen Situation zu tun, daß dieses Gesetz eben noch nicht verabschiedet ist. Von daher liegt hier keine wie auch immer geartete Abänderung dieser gekennzeichneten Zielsetzung vor. Dies hat zur Folge, daß fast alle Länder höhere Finanzhilfen als ohne die von uns vorgeschlagene Neuregelung erhalten. Insbesondere gilt dies für die kohlefördernden neuen Länder. Hierüber gab es im Rahmen der Solidarpaktverhandlungen eine gesonderte Diskussion.
Das Treuhandvermögen mit seiner Zweckbindung wurde für eine Zeit geschaffen, in der es sicherlich darum ging, den Wiederaufbau und die dazu notwendige Energieversorgung zu sichern. Nachdrücklich ist darauf hinzuweisen, daß dies eine sehr sinnvolle und gute Entscheidung war - unterstützt auch durch entsprechende Maßnahmen der Europäischen Union.
- Sie sehen, nachdem auch der Kollege Kansy den Saal betreten hat, haben wir hier wieder die richtige Resonanz. Ich danke dafür.
Zum Ernst dieser Frage zurück: Ich möchte um eines in ganz besonderer Weise bitten - ich freue mich, daß Herr Kollege Vesper hier im Hause anwesend ist -: Wir sollten sehr sachlich die mit diesem Entwurf verbundenen Konsequenzen betrachten. Die Beendigung der Förderung betrifft die Rückflüsse aus dem Vermögen, sie betrifft nicht das Vermögen selbst. Das Vermögen selbst ist nicht davon betroffen. Ich glaube, man sollte darauf hinweisen, daß immerhin seit 1951 der Bau von insgesamt rund 227 000 Wohnungen gefördert worden ist, davon rund 140 000 Mietwohnungen und rund 87 000 Eigentumsmaßnahmen.
Es geht nicht darum, daß wir hier an irgendeiner Stelle denen, die in diesen Wohnungen wohnen, heute die Besorgnis bringen sollten, dadurch würden ihre Mieten verändert.
Es geht um die ohnehin vorhandenen Rückflüsse der Mittel aus diesem Bereich. Dabei gehe ich natürlich davon aus, daß wir nicht - wie das der Kollege Vesper an anderer Stelle gemacht hat - die Verzinsung der Darlehen entsprechend erhöhen. Das
würde natürlich Konsequenzen mit sich bringen. Die möchte ich schon hier ablehnen. - Der Kollege Großmann wie auch der Kollege Kansy, sie alle kommen zum richtigen Zeitpunkt. Ich sehe, daß die Rundrufe klappen.
Das heißt: Der Wert des Vermögens von 2,7 Milliarden DM, meine Damen und Herren, bleibt durch diese Regelung völlig unberührt und unbetroffen. Es geht um die rund 70 Millionen DM Rückläufe - darüber ist ja intensiv gesprochen worden -, die damit verbunden sind. Ich glaube, daß wir uns keineswegs einer besonderen Problematik gegenübersehen, wenn wir dann eine solche Veränderung vornehmen. Wie gesagt, auch hier scheint mir die Zahl für sich zu sprechen. 227 000 Wohnungen auf dem Gebiet. Das ist sicherlich eine große Leistung, die da erbracht worden ist.
Ich unterstreiche auch - wir bekennen uns dazu -, daß die damit verbundenen besonders günstigen Konditionen erhalten bleiben sollen. Wir haben kein Interesse daran, hier etwas zu ändern. Das gilt auch für die Frage der Fehlbelegungsabgabe bei der Belegung dieser Wohnungen, Herr Kollege Vesper. Wenn Sie das gerne ändern möchten, dann werden wir noch zusätzlich einen ganz besonders hohen Rückfluh bekommen, und dann würden wir möglicherweise die Diskussion darüber noch einmal neu aufleben lassen können.
Ich sage nur dazu, daß das nicht die Grundlage dieses Änderungsgesetzes darstellt.
Ich glaube, meine Damen und Herren, daß wir bei aller Notwendigkeit hier auch die Entwicklungsqualität der Vergangenheit zu beachten haben und uns nicht einer - wie ich meine, durchaus vernünftigen - Veränderung widersetzen sollten. Das geht bis in die vorhandenen Modernisierungsprogramme hinein. Auch hier wird man, glaube ich, eine vernünftige Übergangslösung finden können.
Insgesamt, Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, legt Ihnen die Bundesregierung ein Änderungsgesetz auf einem Gebiet vor, das wir mit Stolz betrachten können hinsichtlich der Leistung, die damit erbracht worden ist. Allerdings glaube ich, daß die Rückflüsse aus diesem großen Vermögen von 2,7 Milliarden DM heute auch für die allgemeine Wohnungsfürsorge eingesetzt werden sollten.
Ich danke Ihnen sehr herzlich.
Das Wort hat jetzt der Kollege Norbert Formanski.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bereits der Titel „Entwurf eines ... Gesetzes zur Förderung des Bergarbeiterwohnungsbaus im Kohlenbergbau" ist unredlich; denn hier soll nichts gefördert werden, sondern der Bergarbeiterwohnungsbau, der sich über Jahrzehnte bewährt hat, soll zerschlagen werden. Begründet wird diese Absicht mit dem Hinweis darauf - ich zitiere -, „daß die Veränderungen auf dem Energiemarkt und
Norbert Formanski
der damit verbundene Abbau der Beschäftigung im Kohlenbergbau... die Neuförderung von Bergarbeiterwohnungen nicht mehr erforderlich machen. "
Hier wird wissentlich verschwiegen, daß nicht der Neubau, sondern der Aus- und Umbau sowie Modernisierungsmaßnahmen heute im Mittelpunkt des Bergarbeiterwohnungsbaus stehen. Bergleute und Bergarbeiterwohnungsbau gehören auch heute noch zusammen. Die Finanzmittel des Treuhandvermögens sind für notwendige Modernisierungs- und Ausbaumaßnahmen in den Bergarbeitersiedlungen unverzichtbar. Damit leistet der Bergarbeiterwohnungsbau einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung des allgemeinen Wohnungsmarktes und zur Förderung des Strukturwandels in den Revieren.
Der objektiv vorhandene Modernisierungsbedarf der teilweise über 100 Jahre alten Bergarbeitersiedlungen hängt nachweislich nicht davon ab, ob sie von aktiven Bergleuten, von Freigesetzten oder von Bergbaurentnern bewohnt werden.
Das Gesetz zur Förderung des Bergarbeiterwohnungsbaus im Kohlenbergbau schaffte 1951 die Grundlage des Treuhandvermögens.
Die ursprünglich bis 1954 befristete Erhebung der Abgabe lief nach zweimaliger Verlängerung Ende 1959 unter dem Druck der ersten Kohlekrise aus. Danach nährte sich das Treuhandvermögen bis einschließlich 1991 nur noch aus Rückflüssen. Aber von 1982 bis 1991 gab es eine zusätzliche Einnahmequelle: Weil weiteres Geld dringend benötigt wurde, ermöglichte der Gesetzgeber den Bergbauunternehmen, auf freiwilliger Basis dem Bergarbeiteitreuhandvermögen bis zu 1 DM je Tonne verwertbarer Kohle zuzuführen. Die Ruhrkohle AG hat, wie übrigens alle anderen Bergbauunternehmen auch, von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Das über diese Einnahmequelle entstandene Gesamtvermögen beträgt zirka 450 Millionen DM. Allein in Nordrhein-Westfalen wurden seit 1951 aus diesem Treuhandvermögen - der Minister sagte das schon - über 200 000 Mietwohnungen, Eigenheime und Eigentumswohnungen geschaffen. Weiterhin konnten 15 000 Wohnungen bis heute modernisiert werden.
Es kommt hinzu, daß jede aus dem Treuhandvermögen investierte Mark drei weitere Mark an zusätzlichen Investitionen ausgelöst hat. Die Ruhrkohle AG hatte deshalb bis zum Jahre 2002 Investitionen von mehr als 500 Millionen DM in den Wohnungsbau geplant. Diese Pläne können nun nicht mehr realisiert werden, wenn die Treuhandmittel aufgelöst werden.
Die arbeitsmarktpolitischen Auswirkungen dieser hohen Investitionsbereitschaft dürfen gerade in den vom Strukturwandel betroffenen Bergbauregionen nicht unterschätzt werden.
Im Westen haben die Bergleute bereits schmerzhaft erfahren, daß man nicht jedem Versprechen Glauben schenken darf. Das vorliegende Gesetz trägt seinen Teil dazu bei, daß sich diese Erkenntnis auch im Osten weiter durchsetzt. Denn noch 1993 wurde durch das 4. Änderungsgesetz dem Bergarbeiterwohnungsbau eine Bestandsgarantie gewährt, und die Aktivitäten wurden auf die neuen Bundesländer ausgedehnt. 1995 sind auf Sachsen und Sachsen-Anhalt je 10 Millionen und auf Thüringen 9 Millionen DM Förderung entfallen. Der Abbruch dieser Förderung nach nur zweijähriger Dauer ist ein besonderer Vertrauensbruch, weil er auch den Bergbau in den neuen Bundesländern inmitten einer Umstrukturierungsphase trifft. Auch in diesen Ländern wird der dringend notwendige Strukturwandel nachhaltig gestört.
Überdies will der Bundesbauminister nach Inkrafttreten des Gesetzes auf dem Verwaltungsweg auch das Sondervermögen Saar in Höhe von rund 67 Millionen DM auflösen.
Die jährlichen Rückflüsse von 3 bis 4 Millionen DM würden dann natürlich auch in den Saar-Revieren nicht mehr zur Verfügung stehen. Haben Sie das nicht gewußt, Herr Kansy?
- Nein, in diesem Sondervermögen ist noch Bargeld vorhanden.
Zudem flankiert der Bergarbeiterwohnungsbau natürlich auch gegenwärtig die in großem Umfang notwendigen personellen Verlegungsmaßnahmen im Rahmen der Anpassungsmaßnahmen. Die zu verlegenden Bergleute nach der Auflösung des Treuhandvermögens auf den allgemeinen Wohnungsmarkt zu verweisen zeugt davon, daß der Bauminister die Situation auf dem Wohnungsmarkt in den Revieren nicht kennt.
Nicht zuletzt durch den Rückzug des Bundes aus dem sozialen Wohnungsbau ist auch hier preiswerter Wohnraum Mangelware.
Der mit der Aufhebung des Bergarbeiterwohnungsbaus verbundene Vertrauensbruch wirkt um so schwerer, als es sich um ein Treuhandvermögen handelt, das vom Bergbau erwirtschaftet wurde. Die Verwendung eines Teiles der Treuhandmittel für den allgemeinen sozialen Wohnungsbau ist nicht mehr als Kosmetik und hat zur Folge, daß sich der Bund auf Kosten der Bergleute entlastet und weiter aus seiner Verantwortung für die Förderung von preiswertem Wohnraum zurückzieht.
Norbert Formanski
Es ist ein übler Taschenspielertrick, wenn der Bauminister glauben machen will, die Mittel des Bergarbeiterwohnungsbaus sollten zusätzlich zur Verfügung gestellt werden. Mit dieser Taktik will die Regierungskoalition davon ablenken, wie drastisch sie die Investitionen in den allgemeinen sozialen Wohnungsbau tatsächlich zusammenstreicht. In Wahrheit werden die Bundesmittel für den sozialen Wohnungsbau 1997 um 450 Millionen DM gekürzt. Wenn die Bundesregierung ihre Pläne verwirklichen sollte, dann wird dies mit dem Komplettverlust des Treuhandvermögens erkauft. So, Herr Minister, vernichten Sie die gute und bewährte Tradition des Bergarbeiterwohnungsbaus und schaden der Zukunft der Reviere nachhaltig.
Diese Last müssen die Bergleute noch zusätzlich schultern. Das haben die Kumpel und ihre Familienangehörigen nicht verdient.
Deshalb werden wir uns Ihren Plänen mit allen Kräften entgegenstemmen: zugunsten der Bergleute, zugunsten der Bauwirtschaft und nicht zuletzt zugunsten des Erhalts von bezahlbarem Wohnraum.
Glück auf!
Nun hat der nordrhein-westfälische Minister für Bauen und Wohnen, Dr. Michael Vesper, das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin zwar nicht so häufig hier,
aber ich habe ein Gefühl für Stimmungen, und ich spüre förmlich, daß Sie alle darauf drängen, hier heute abend zu später Stunde noch ausführlich über den Bergarbeiterwohnungsbau zu debattieren. Sie haben recht, denn es handelt sich in der Tat um ein wichtiges Thema. Es geht um Geld, und es geht um Vertrauen.
- Frau Rönsch, ich bin bei den Grünen, falls Sie das noch nicht wissen.
Bei uns sind prozentual mehr anwesend als bei Ihnen, Frau Rönsch.
Wir wissen alle, daß die Bundesregierung Probleme mit ihrem Haushalt hat. Darüber ist heute ausgiebig diskutiert worden. Bei ihrem Suchen an allen Ecken und Enden mit der Wünschelrute nach Möglichkeiten, die Haushaltslöcher zu stopfen, ist sie nun auf den Bergarbeiterwohnungsbau gestoßen. Erst kürzen Sie die Bundesfinanzhilfen für den sozialen Wohnungsbau Jahr für Jahr um Hunderte von Millionen DM. Allein im kommenden Jahr, Herr Kollege Töpfer, sollen es wieder 400 Millionen DM sein.
- Entschuldigen Sie mal, Herr Kansy, das sind nun wirklich Nebelkerzen. Das ist doch eine Folge der Tatsache, daß der Bund seine Zuweisungen zum sozialen Wohnungsbau Jahr für Jahr um Hunderte von Millionen DM kürzt. Die Länder können diese Mittel nicht auffangen. Sie können nicht ständig Ausfallbürge für den Bund sein.
Herr Kollege Kansy, haben Sie eine Frage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nicht mal eine Antwort hat der Abgeordnete Kansy!
Wissen Sie, das sind Nebelkerzen.
Ich habe heute in der Zeitung - das haben die Länder, die das durchführen sollen, nicht im Originaltext bekommen - von Ihren neuesten Plänen zum sozialen Wohnungsbau gelesen. Da wird mir angst und bange, denn Sie wollen die sozialen Mieten auf die Vergleichsmieten anheben. Ich frage mich: Wer soll das denn bezahlen? Was ist denn das für eine soziale Wohnungsbaupolitik? Ich kann nur sagen: Das ist mit uns nicht zu machen. Ich fordere Sie auf, Herr Töpfer, uns dazu endlich Informationen aus erster Hand zu geben. Hier droht wirklich der Offenbarungseid für Ihre Wohnungspolitik. Sie verabschieden sich damit vom sozialen Versorgungsauftrag Ihrer Wohnungspolitik.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Bergarbeiterwohnungsbau ist von Herrn Kollegen Formanski im einzelnen bereits gewürdigt worden. Bei soviel Elend in der sozialen Wohnungsbaupolitik der Bundesregierung mag man den Gesetzentwurf, über den wir jetzt debattieren, als minder wichtig abtun. Er ist es aber nicht, sondern es geht auch hier um viel Geld und um viel Vertrauen. Sie wollen das Treuhandvermögen im Endeffekt abkassieren, für den Bundeshaushalt einkassieren.
Minister Dr. Michael Vesper
Herr Töpfer, wenn Sie wirklich planen, die Rückflüsse und Zinsen tatsächlich wieder dem sozialen Wohnungsbau zuzuführen, dann stimmen Sie doch der Regelung zu, die der Bundesrat dem Bundestag vorschlägt: Zweckbindung der Rückflüsse und Zinsen für den sozialen Wohnungsbau.
Das kann nicht sein. Das wäre eine ganz neue Zeitrechnung. - Herr Vesper, gestatten Sie die Zwischenfrage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, natürlich.
Frau Präsidentin, ich weiß zwar, daß ich mich mit einer Zwischenfrage angesichts der von Herrn Kollegen Vesper gekennzeichneten Grundatmosphäre unbeliebt mache. Dennoch ist es manchmal notwendig - auch um den Kollegen Vesper auf die Grundlage der Zahlen zurückzuführen -, folgendes zu fragen, wenn Sie meinen, wir wollten das Bundesvermögen abkassieren: Ist Ihnen erstens bewußt, daß es ein Bundesvermögen ist? Ist Ihnen zweitens wirklich nicht bewußt, daß es um 2,7 Milliarden DM mit einem Rückfluß von rund 70 Millionen DM im Jahr geht - die Beherrschung der Grundrechenarten, wie hoch die Verzinsung dieser 2,7 Milliarden DM ist, kann ich bei Ihnen unterstellen - und daß eine solche Überleitung von rund 70 Millionen DM in eine allgemeine Mitfinanzierung des sozialen Wohnungsbaus kein Abkassieren dieses Programms ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zunächst einmal, Herr Kollege Töpfer, handelt es sich um ein Bundestreuhandvermögen, das treuhänderisch für eine bestimmte Zweckbindung verwaltet wird, nämlich für den Bergarbeiterwohnungsbau. Diese Zweckbindung wollen Sie kaltlächelnd streichen. Das ist die erste Antwort.
Die zweite Antwort ist: Wenn Sie die Rückflüsse und Zinsen wirklich für den Zweck des sozialen Wohnungsbaus verwenden wollen, dann lassen Sie uns das doch gemeinsam sozusagen als kleinsten gemeinsamen Nenner in dieses Gesetz hineinschreiben; denn auf Ihre mittelfristige Finanzplanung, auf einfache Zusagen, die Sie hier vor dem Plenum geben, kann man nun wirklich nicht vertrauen. Das haben wir in den letzten Wochen, Monaten und Jahren häufig genug erlebt.
- Danke für das Lob.
Der Bundesrat fordert die nötige Klarstellung im Gesetz. Das Treuhandvermögen muß künftig dauerhaft für den sozialen Wohnungsbau eingesetzt werden. Für diese Regelung werbe auch ich. Was Herr
Kollege Töpfer eben gesagt hat, habe ich als Zustimmung gedeutet, so daß wir davon ausgehen können, daß diese Regelung in das Gesetzgebungsverfahren noch mit aufgenommen werden kann. Ich bitte Sie dringend, das Gesetz so nicht zu beschließen, sondern mindestens diese Zweckbindung einzufügen. Sollten Sie nicht einmal mehr dazu bereit sein, dann zerstören Sie mehr, als Sie gewinnen können - nicht nur das Vertrauen der Betroffenen, sondern darüber hinaus das Vertrauen in Zusagen, die die Bundesregierung erst vor drei Jahren gegeben hat.
Zuletzt stand das Bergarbeiterwohnungsbauvermögen hier 1993 zur Debatte. Sie werden sich daran erinnern. Damals ist der Kompromiß erzielt worden, den Bergarbeiterwohnungsbau weiter zu fördern, allerdings mit der Ausweitung der Zweckbindung gerade auf die neuen Länder, auf alle kohlefördernden Länder. Bleiben Sie dabei! Das Bergarbeiterwohnungsbauvermögen wird dringend benötigt, damit die vielen Zechensiedlungen nicht verfallen, sondern modernisiert und energetisch nachgerüstet werden können.
Auch ich schließe mit „Glück auf! "
Herr Minister Vesper, ich nehme an, Sie waren mit Ihrer Redezeit zufrieden; denn die CDU/CSU hat Ihnen noch eine Minute geschenkt.
Als nächster Redner der Kollege Klaus-Jürgen Warnick. '
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zwischen der Diskussion heute vormittag, zum Jahressteuergesetz, der jetzigen Debatte und den gestrigen Informationen des Bundesbauministeriums zur Abschaffung des sozialen Wohnungsbaus gibt es zahlreiche Zusammenhänge. In der dpa-Meldung vom 6. November zur geplanten Abschaffung der Sozialmieten ab 1999 - also pikanter- bzw. interessanterweise erst nach der nächsten Bundestagswahl - heißt es, daß künftig nur noch bedürftige Personen gefördert werden sollen.
Mit ähnlicher Argumentation begründen Sie, Herr Töpfer, auch die Abschaffung der Förderung des Bergarbeiterwohnungsbaus. Ich frage Sie, inwieweit mit den heutigen Steuerbeschlüssen wirklich gesteuert bzw. gesichert wird, daß nur noch bedürftige Personen gefördert werden. Ich glaube eher, daß alle Vorhaben der Bundesregierung dazu beitragen, in noch stärkerem Maße die Reichen reicher und die Armen noch ärmer zu machen.
Es ist schon erstaunlich, mit welcher Unverfrorenheit Sie, Herr Minister, Jahr für Jahr die Mittel für den sozialen Wohnungsbau zusammenstreichen, das
Klaus-Jürgen Warnick
Wohngeld kürzen und nun auch noch die Abschaffung der Förderung des Bergarbeiterwohnungsbaus als Wohltat und Ausdruck ihres Gerechtigkeitsempfindens preisen.
Zu Recht weisen Sie darauf hin, daß angesichts der wachsenden Differenz zwischen Anspruchsberechtigten auf eine Sozialwohnung und entsprechenden Wohnungsangeboten das Erlangen einer Sozialwohnung mit einem Lottogewinn vergleichbar ist. Ihre Schlußfolgerung kann ich aber nicht akzeptieren: Erst schneiden Sie in das soziale Netz immer größere Löcher, dann konstatieren Sie, daß es seine Aufgaben nicht mehr wahrnehmen kann, und dann plädieren Sie deshalb für seine Abschaffung. Dabei werden die demokratischen Sozialisten nicht mitmachen.
Neben der grundsätzlichen Kritik am Gesetzentwurf gibt es noch einige spezielle Merkwürdigkeiten. Im gesamten Gesetzentwurf wird auf die Entstehung und Förderung des Bergarbeiterwohnungsbestandes seit 1951 in der Bundesrepublik verwiesen. Gegenstand des Entwurfes sind aber nicht nur die Bestände in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, sondern auch die Bestände in Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Allein aus den ostdeutschen Bergarbeiterwohnungen wollen Sie laut Unterlagen zum Haushalt 1997 100 Millionen DM abziehen. Ich glaube, daß Sie uns dazu in den Ausschußberatungen noch einige Erklärungen schuldig sind. - Ich finde es sehr gut, wie interessiert der Minister den Ausführungen folgt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen eine Neugestaltung der Wohnungsförderung; das ist unstrittig. Dazu gehören der soziale Wohnungsbau, das Wohngeld, der freifinanzierte Wohnungsbau und auch der Bergarbeiterwohnungsbau.
Um bezahlbare und sichere Wohnungen für alle Menschen zu schaffen, um für mehr Mietgerechtigkeit zu sorgen und auch für eine höhere Effizienz beim Einsatz von öffentlichen Mitteln, müssen wir die immer schamloser werdende Umverteilung von unten nach oben endlich stoppen und diese Entwicklung umkehren. Ihre Vorschläge zu den Bergarbeiterwohnungen sind unakzeptabel und werden von der PDS abgelehnt.
Ich danke Ihnen.
Kann ich davon ausgehen, daß es Ihre Zustimmung findet, daß die Kollegin Hannelore Rönsch und der Kollege Hildebrecht Braun ihre Reden zu Protokoll geben?
- Das ist der Fall.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 13/5963 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Christina Schenk, Dr. Heidi Knake-Werner, Heidemarie Lüth, Petra Bläss und der Gruppe der PDS
Erhalt, Nutzung und Weiterentwicklung des hohen Qualifikationspotentials ostdeutscher Frauen
- Drucksachen 13/3824, 13/5481 -
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Gruppe der PDS acht Minuten erhalten soll. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Wir verfahren entsprechend.
Das Wort hat die Abgeordnete Christina Schenk.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die oberflächliche und ignorante Antwort auf unsere Große Anfrage zum Thema „Erhalt, Nutzung und Weiterentwicklung des hohen Qualifikationspotentials ostdeutscher Frauen" ist eine Zumutung. Hier dokumentiert die Bundesregierung erneut ihre Unfähigkeit, Realitäten zur Kenntnis zu nehmen.
Für die Bundesregierung gibt es keine Probleme. Eine massenhafte Dequalifizierung ostdeutscher Frauen hat nicht stattgefunden und findet nicht statt. Frauen werden angeblich auch nicht aus dem gewerblich-technischen Bereich herausgedrängt. Daß Frauen in niedrigere Abschlüsse umgeschult werden, soll genausowenig stimmen wie ihr Verschwinden aus höheren Leitungspositionen. Die Maschinenbauingenieurin, die zur Floristin umgeschult wurde und jetzt arbeitslos ist, wird sich nach ihren Erfahrungen mit dem bundesdeutschen Patriarchat möglicherweise über derlei Unverschämtheiten nicht einmal mehr wundern. Ungeachtet der Tatsachen behauptet die Bundesregierung unverfroren, daß sie arbeitsmarktpolitisch alles getan hat bzw. tut, damit ostdeutsche Frauen ihr hohes Qualifikationspotential auch wirklich nutzen bzw. sogar noch erweitern können.
Das einzige Problem sieht die Bundesregierung im allgemeinen Defizit an rentablen Arbeitsplätzen. Aber abgesehen davon, daß sie selbst Verantwortung trägt für diese Situation - ich erinnere nur an das gezielte Ausschalten von leistungsfähigen Konkurrenzbetrieben wie SKET und Heckert sowie an den Subventionsskandal Vulkan -, erklärt das nicht die Tatsache, daß die Erwerbslosenquote von Frauen doppelt so hoch ist wie die von Männern.
Die Bundesregierung trägt mit ihrer Antwort in keiner Weise zu einer sachkundigen Darstellung des Problems der Dequalifizierung, ihrer Ursachen und notwendiger Gegenmaßnahmen bei. Im Gegenteil:
Christina Schenk
Sie nutzt die Gelegenheit zur Legendenbildung über die Erwerbstätigkeit von Frauen in Ost und West.
Die überdurchschnittlich hohe Erwerbslosigkeit der ostdeutschen Frauen sei darauf zurückzuführen - so die Bundesregierung -, daß das hohe Niveau der Erwerbstätigkeit der Frauen in der DDR eigentlich nicht wirklich existiert habe, sondern zumindest zu großen Teilen nur eine verdeckte Erwerbslosigkeit gewesen sei. Diese Erklärung hat nun allerdings einen Schönheitsfehler, und zwar den, daß sie im dunkeln läßt, wieso es in der DDR bei Männern eine verdeckte Erwerbslosigkeit nicht gegeben hat.
Was könnte denn nun mit der verdeckten Erwerbslosigkeit gemeint sein? Da die Bundesregierung jede Form der sozialen Arbeit vornehmlich auf Hausfrauen und Dienstmädchen abzuschieben versucht, sind womöglich die überwiegend weiblichen Beschäftigten in den Betriebspolikliniken, bei Schulspeisungen und in Kinderferienlagern oder die in den betriebseigenen Ferienheimen und Kinderhorten gemeint. Oder wie soll man das sonst verstehen?
Wenn wir schon von verdeckter Arbeitslosigkeit sprechen, dann fällt mir eher das Heer der Steuerberater und Steuerberaterinnen in der BRD ein, die nur deshalb nötig sind, weil das Steuerrecht für alle anderen Menschen undurchschaubar gemacht worden ist.
Besonders abstrus wird es, wenn die Bundesregierung die hohe Erwerbsbeteiligung der Frauen in der DDR ausschließlich auf ideologische und ökonomische Zwänge zurückführt. Ich möchte hier daran erinnern, daß je nach Studie nur etwa 1 bis 3 Prozent der Frauen in Ostdeutschland das Hausfrauendasein für sinnerfüllend halten. Dann wird auch noch behauptet - das ist der eigentliche Knackpunkt an der Sache -, daß es in den alten Bundesländern eine grundsätzliche Wahlfreiheit für Beruf, Familie oder beides zugleich gäbe. Das, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, ist eine bodenlose Unverschämtheit!
Angesichts des eklatanten Mangels an Kindergärten - von anderen Formen der Kinderbetreuung wie Kinderkrippen und Kinderhorten ganz zu schweigen -, angesichts der Diskriminierungen von Frauen auf dem Arbeitsmarkt, angesichts der Wirkung des bundesdeutschen Steuersystems, das stringent auf die Bedürfnisse von Patriarchen zugeschnitten ist und per Ehegattensplitting und Steuerklasse V die Berufstätigkeit von Frauen gezielt zu verhindern versucht und Frauen in die geringfügige Beschäftigung abdrängt, und angesichts der außerordentlich unterentwickelten Bereitschaft von Männern, sich an Haus- und Familienarbeit zu beteiligen, also angesichts all dieser Bedingungen hier in der Bundesrepublik können Sie doch nicht ernsthaft behaupten wollen, daß es in der BRD eine tatsächliche Wahlfreiheit gibt.
Im übrigen - das muß ich noch dazu sagen - ist eine Wahlfreiheit für Frauen nur zu haben, wenn es auch für Männer selbstverständlich geworden ist, Haus- und Familienarbeit zu übernehmen. Davon kann ja nun in der Bundesrepublik Deutschland wirklich nicht die Rede sein.
Geradezu zynisch wird es, wenn die Erwerbstätigenquote der ostdeutschen Frauen, die von ehemals 91 auf jetzt 57,4 Prozent abgesunken ist, auch noch als Erfolg verkauft wird, da sie ja noch immer um knapp drei Prozentpunkte über der Quote der Frauen in den westdeutschen Bundesländern liege. Ich frage mich, was hier der Maßstab ist. Die westdeutschen Bundesländer liegen in dieser Hinsicht am Schluß Europas. Daran sollen sich die ostdeutschen Frauen orientieren. Nicht mit uns!
Erwerbsarbeitsplätze will die Bundesregierung durch ihr sogenanntes Programm für Wachstum und Beschäftigung schaffen. Allerdings - daran möchte ich Sie noch einmal ausdrücklich erinnern - hat sich die Bundesregierung bislang nicht in der Lage gesehen, die Arbeitsplatzwirkungen dieses Programms zu beziffern. Ich habe noch keinen einzigen Vorschlag gehört, wie denn gesichert werden soll, daß ein potentieller Arbeitsplatzzuwachs tatsächlich auch Frauen erreicht.
Die Bundesregierung behauptet außerdem, daß sie das Klima zur Einstellung von Frauen günstig beeinflußt habe. Der Anteil von Frauen an den Vermittlungen sinkt in den ostdeutschen Bundesländern allerdings dramatisch und hat jetzt einen absoluten Tiefpunkt erreicht.
Ich frage Sie: Warum werden staatliche Aufträge an private Betriebe und Investitionsfördermittel in Milliardenhöhe noch immer nicht mit der Auflage der Frauenförderung auf allen betrieblichen Hierarchieebenen verbunden? Wann endlich vergeben Sie nicht nur Aufträge zu Studien, sondern setzen deren Empfehlungen, wie zum Beispiel die der „Konzertierten Aktion Weiterbildung" , um, die ja in besonderer Weise die Förderung von Trägern, die qualifizierte Weiterbildung von Frauen anbieten, verlangt hat?
Die Strategie der Bundesregierung zielt statt dessen auf die systematische Dequalifizierung. Auch im AFRG wird das deutlich. Demnächst muß man langzeiterwerbslos sein, um überhaupt noch in den Genuß einer Maßnahme des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes zu kommen. Das wird Frauen in besonderer Weise treffen; denn gerade qualifizierte Frauen haben durch AFG-Maßnahmen ihre Nähe zum ersten Arbeitsmarkt erhalten können. Jetzt müssen sie sozusagen erst durch die Langzeitarbeitslosigkeit einen Dequalifizierungsprozeß hinnehmen, ehe sie wieder eine Chance erhalten.
Wie wichtig der Bundesregierung das hohe Qualifikationspotential von Frauen ist, zeigt auch die Ver-
Christina Schenk
schärfung der Zumutbarkeitsregel: Erwerbslose werden gezwungen, jede Arbeit zu jeder Bedingung anzunehmen. Der Weg von der Technikerin zur Hausangestellten wird dadurch noch kürzer.
Ich komme damit zum Schluß. Die einzige arbeitsmarktpolitische Initiative der Bundesregierung, die sich an Frauen richtet, besteht darin, die steuerliche Absetzbarkeit des Dienstmädchens auszudehnen und so schlecht bezahlte und unqualifizierte Erwerbsarbeitsplätze in privaten Haushalten zu schaffen. Am Ende des 20. Jahrhunderts zurück ins 19.? Das ist jedenfalls die Politik der Bundesregierung für Frauen.
Die weiteren Rednerinnen und Redner - Frau Brudlewsky, Frau Jäger, Frau Buntenbach, Herr Lühr und der Parlamentarische Staatssekretär Kraus - geben ihre Reden zu Protokoll.
Damit schließe ich die Aussprache. Ich rufe den Zusatzpunkt 6 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum
Dokument vom 31. Mai 1996 zur Änderung
des Vertrags vom 19. November 1990 über konventionelle Streitkräfte
- Drucksache 13/5889 -
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuß Verteidigungsausschuß
Auch dort war nach einer interfraktionellen Vereinbarung für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Die Rednerin Uta Zapf, SPD, und der Redner Friedbert Pflüger, CDU/CSU, geben ihre Reden zu Protokoll. Ist noch jemand da, der reden möchte? - Die weiteren Rednerinnen und Redner sind Frau Beer, Herr Feldmann, Herr Zwerenz und Staatsminister Hoyer. Sind Sie einverstanden, daß die Reden zu Protokoll gegeben werden? -
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 13/5889 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Nein. Dann ist das so beschlossen.
Damit sind wir am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 8. November 1996, 9 Uhr ein. Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht.
Die Sitzung ist geschlossen.