Gesamtes Protokol
Liebe Kolleginnen und Kollegen, guten Morgen! Die Sitzung ist eröffnet.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
2. Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes - Drucksache 13/4774 -
3. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ausladung des Bundesaußenministers durch die Volksrepublik China
4. Beratung des Antrags der Abgeordneten Steffi Lemke, Dr. Helmut Lippelt, Gila Altmann , weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: EXPO 2000 - Drucksache 13/5058 -
5. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Reform des Sozialhilferechts
- Drucksachen 13/2440, 13/2764, 13/3904, 13/4211, 13/4239, 13/4687, 13/4758, 13/4865, 13/5067 -
6. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Telekommunikationsgesetz (TKG)
- Drucksachen 13/3609, 13/4438, 13/4864, 13/4938, 13/5066 -
7. Beratung des Antrags der Gruppe der PDS: Verfassungswidrigkeit des arbeits- und sozialrechtlichen Teils des Programms der Bundesregierung für weher Wachstum und Beschäftigung - Drucksache 13/5086 -
8. Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache:
a) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses : Sammelübersicht 114 zu Petitionen - Drucksache 13/5101 -
b) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses : Sammelübersicht 130 zu Petitionen - Drucksache 13/5102 -
c) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses : Sammelübersicht 131 zu Petitionen - Drucksache 13/5103 -
d) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses : Sammelübersicht 132 zu Petitionen - Drucksache 13/5104 -
e) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses : Sammelübersicht 133 zu Petitionen - Drucksache 13/5105 -
f) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses : Sammelübersicht 134 zu Petitionen - Drucksache 13/5106 -
Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit es bei einzelnen Punkten der Tagesordnung erforderlich ist, abgewichen werden.
Außerdem ist vereinbart worden, den Tagesordnungspunkt 15, Entwurf eines Gesetzes zur sozialrechtlichen Behandlung von einmalig gezahltem Arbeitsentgelt, mit den Beratungen ohne Aussprache zu behandeln.
Die zweite und dritte Beratung des dienstrechtlichen Begleitgesetzes, Tagesordnungspunkt 19a, die bisher ohne Aussprache vorgesehen war, soll 30 Minuten dauern und nach den Abstimmungen über die Ergebnisse des Vermittlungsausschusses aufgerufen werden.
Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? - Das ist der Fall. Dann verfahren wir so.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, beraten wir einen Geschäftsordnungsantrag.
Die Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. haben fristgerecht beantragt, heute mit Tagesordnungspunkt 3, Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz, den Tagesordnungspunkt 17, Beschleunigung und Vereinfachung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren sowie Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und anderer Gesetze, in verbundener Beratung zu behandeln. Es soll von der Frist für den Beginn der Beratungen nach § 81 Abs. 1 GO BT abgewichen werden. Die Debatte soll außerdem auf zwei Stunden verlängert werden.
Wird zu diesem Geschäftsordnungsantrag das Wort gewünscht? - Das ist der Fall. Kollege van Essen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kollege Hörster hat mich gebeten, auch für die CDU/CSU-Fraktion zu sprechen. Ich kann es kurzmachen.
An uns Geschäftsführer ist in der letzten Woche der Wunsch herangetragen worden, die vorgesehene Debatte über das Verfahrensbeschleunigungsgesetz um eine Woche zu verschieben, damit der Ausschuß noch länger Zeit zur Beratung hat. Da wir vereinbart
Jörg van Essen
haben, morgen die große Debatte zum Beschäftigungs- und Wachstumspaket zu führen, war diese Debatte nur am heutigen Tage und damit nur unter Fristverzicht möglich.
Während die SPD-Fraktion diesem vernünftigen Kompromiß sofort zugestimmt hat, war dieser Fristverzicht von den Grünen leider nicht zu bekommen. Wir haben im übrigen bisher eine Begründung dafür nicht gehört. Ich glaube, es gibt sie auch nicht; denn es hat sich gezeigt, daß der Ausschuß gestern morgen recht früh fertig war und die Grünen alle Anträge haben einbringen können.
Deshalb bitte ich Sie um Zustimmung dafür, daß wir in diesem Parlament weiterhin zu vernünftigen Kompromissen kommen können.
Vielen Dank.
Herr Struck.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bevor ich zu diesem Geschäftsordnungsantrag Stellung nehme, möchte ich nicht die Gelegenheit versäumen, der deutschen Fußballnationalmannschaft zum Weiterkommen zu gratulieren.
Das hat, wie ich zugeben muß, Frau Präsidentin, mit der Geschäftsordnungsdebatte wenig zu tun.
Herr Kollege van Essen hat vernünftige Gründe vorgetragen. Deshalb stimmen wir diesem Antrag zu.
Herr Schulz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kollege Struck, der Hinweis auf die Fußballnationalmannschaft zeigt, daß man eventuell lange braucht, um zum Erfolg zu kommen. Das gilt auch für diese Sache.
Ich möchte im Namen meiner Fraktion zur Auf setzung der Tagesordnungspunkte betreffend Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und Beschleunigung und Vereinfachung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren Fristeinrede erheben.
Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß wir von dieser Möglichkeit der Geschäftsordnung in dieser Legislaturperiode zum erstenmal Gebrauch machen. Sie mögen daran sehen, wie verantwortlich und sorgsam wir mit diesem Instrument umgehen und wie ernsthaft es uns in diesem Falle um die Sache geht.
Ich möchte gleich zu Beginn betonen: Es geht in dieser Geschäftsordnungsdebatte nicht darum - das wird Sie nicht überraschen; unsere Position ist klar -,
daß wir die Gesetzentwürfe ablehnen. Es geht in dieser Geschäftsordnungsdebatte auch nicht darum, daß hier - das ist ja schlimm genug - Bürgerrechte beschnitten oder die Gerichte in ihrer Prüf- und Kontrollfunktion eingeschränkt werden. Vielmehr geht es uns in dieser Geschäftsordnungsdebatte einzig und allein um die Tatsache, daß dieses Parlament zum wiederholten Male damit beschäftigt wird, in Windeseile es zu entscheiden, und daß die Ausschußberatungen zum Teil nur noch eine Alibifunktion haben.
Sie wissen, daß gerade die Anhörung der Entwürfe dieser Beschleunigungsgesetze deutlich gemacht hat, daß die Mehrheit der Sachverständigen vor diesen Einschnitten warnen. Gerade der Präsident des Bundesverwaltungsgerichtes hat betont, daß es für Beschleunigungsgesetze nichts Hinderlicheres gibt als eine beschleunigte Beratung.
Wie „gründlich" sind wir eigentlich auf die Beratung vorbereitet? Noch nicht einmal das Protokoll der Ausschußberatung liegt vor. Aus gutem Grund ist in der Geschäftsordnung vorgesehen, daß zwischen der Verteilung einer Drucksache und der Beratung im Plenum wenigstens drei Tage vergangen sein sollten, damit alle Mitglieder des Hauses die Möglichkeit haben, diese Gesetzesvorlagen zu lesen und sich damit vertraut zu machen.
Um mir ein Bild von der Beratungsfähigkeit im Plenum zu machen, frage ich Sie ernsthaft: Wer von Ihnen hat es wirklich geschafft, von gestern nachmittag bis heute früh diese Gesetzesvorlagen zu lesen? Ich bitte Sie, sich mit Handzeichen bemerkbar zu machen.
- Ich bitte Sie ernsthaft darum. - Ich sehe ein Handzeichen. Das ist natürlich eine verdammt gute
Grundlage für die Beratung dieser Gesetzesvorlagen.
Ich frage die Kolleginnen und Kollegen der SPD, auch den Kollegen Struck und ihren umweltpolitischen Sprecher Michael Müller, der noch diese Woche erklärt hat, daß diese Gesetze keinen Beitrag zur Beschleunigung von Rechtsverfahren leisten, sondern eher die Rechtsunsicherheit erhöhen: Wie können Sie heute einer beschleunigten Behandlung dieser Gesetzesvorlagen zustimmen? Herr Kollege Müller, das müssen doch geruhsame Zeiten gewesen sein, als sich die Kollegen im Wasserwerk darüber beklagt haben, daß wir Gesetze im Schweinsgalopp durchziehen. Heute scheint alles unter dem Motto „Transrapid" zu stehen. Es ist wirklich eine Frage der Selbstachtung dieses Parlamentes, wie lange wir uns das noch gefallen lassen, daß diese Regierung uns auf diese Art und Weise beschäftigt und solche wichtigen Gesetze im Geschwindtempo behandeln möchte.
Ich bestehe mit Nachdruck darauf, daß wir den Antrag der Koalition ablehnen; denn wir sollten Geset-
Werner Schulz
zesvorhaben mit dieser Tragweite nicht im Eilverfahren durch das Parlament jagen. Ich glaube, eine gründliche Beratung steht diesem Hohen Hause gut an.
Frau Enkelmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege van Essen hat mit seinem Antrag im Grunde genommen völlig recht; denn letzten Endes ist er nur eine logische Konsequenz aus der politischen Zielsetzung: Die Beschleunigungsgesetze sollen beschleunigt durch den Bundestag gejagt werden. Sie täuschen damit die Öffentlichkeit mit einer angeblichen Verkürzung von Planungszeiten über die Tatsache hinweg, daß hier in gravierendem Maße demokratische Mitentscheidungsrechte von Kommunen, Verbänden usw. eingeschränkt werden sollen. Damit das keiner merkt, soll das Ganze beschleunigt durch den Bundestag gebracht werden. Da machen wir nicht mit.
Wir fordern die Einhaltung der in der Geschäftsordnung geregelten Beratungsfristen. Wir meinen, daß die Geschäftsordnung keine Verfügungsmasse ist, die je nach Beliebigkeit und dann kraft Mehrheit ausgehebelt werden darf. Sie dürfen sich nicht wundern, wenn daraus Rückschlüsse auf den Inhalt der Gesetzentwürfe gezogen werden. Breite öffentliche Diskussion und Beteiligung, Einbeziehung von Sachverstand sind hier wie dort nicht gewollt. Sie werden weiter eingeschränkt; das haben die Beratungen in den Ausschüssen ziemlich deutlich gezeigt.
Was mich besonders betroffen macht: Wir sind im vergangenen Jahr angetreten, das Parlament zu reformieren, das Parlament und seine Entscheidungen transparenter, durchschaubarer, nachvollziehbarer auch für die Bürgerinnen und Bürger zu machen. Ein Teil jedenfalls von uns wollte die Öffentlichkeit stärker an dem beteiligen, was wir hier als Abgeordnete entscheiden. Von all dem ist nicht viel übriggeblieben. Großes Vertrauen in das Parlament, wie in einer Kampagne verschiedener Umweltverbände geschrieben wird, ist so jedenfalls nicht herzustellen.
Bedauerlich ist besonders, daß die SPD zwar öffentlich gegen die Gesetze wettert, dafür aber intern den Coup der Regierungsfraktionen mitmacht.
Glaubwürdig ist das nicht.
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P.? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Antrag mit den Stimmen der
CDU/CSU, SPD und F.D.P. gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 sowie 17 a und 17b auf:
3. - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren
- Drucksache 13/3995 -
- Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland durch Beschleunigung und Vereinfachung der Anlagenzulassungsverfahren
- Drucksache 13/1445 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
- Drucksache 13/5085 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dietmar Schlee Rezzo Schlauch
Dieter Wiefelspütz
Maritta Böttcher
Dr. Guido Westerwelle
17. a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und anderer Gesetze
- Drucksachen 13/3993, 13/4069 -
- Zweite und Dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung
- Drucksache 13/1433 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
- Drucksache 13/5098 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Ronald Pofalla Dr. Herta Däubler-Gmelin Alfred Hartenbach
b) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beschleunigung und Vereinfachung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren
- Drucksache 13/3996 -
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
- Drucksache 13/5100 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Peter Paziorek
Dietmar Schütz
Birgit Homburger, Dr. Jürgen Rochlitz Eva Bulling-Schröter
- Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Michaele Hustedt, Gerald Häfner, Dr. Jürgen Rochlitz, Ursula Schönberger und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Kein Abbau von Umweltstandards und Bürgerrechten
- Drucksachen 13/4075, 13/5100 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Peter Paziorek
Dietmar Schütz
Birgit Homburger Dr. Jürgen Rochlitz Eva Bulling-Schröter
Zum Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz, zum Gesetzentwurf zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und zum Gesetz zur Beschleunigung und zur Vereinfachung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren liegt je ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Außerdem haben die Fraktion der SPD und die Gruppe der PDS je einen Entschließungsantrag eingebracht.
Für die gemeinsame Aussprache haben wir soeben zwei Stunden vereinbart.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dietmar Schlee.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Geschäftsordnungsdebatte hin, Geschäftsordnungsdebatte her - heute ist, meine ich, ein wichtiger Tag für dieses Parlament: Wir schaffen Voraussetzungen für neue Arbeitsplätze.
Die Bedeutung dieser drei Gesetze, die wir abschließend beraten, geht weit über den eigentlichen Bereich des Verwaltungsverfahrens- und des Prozeßrechts hinaus. Die Gesetzentwürfe der Bundesregierung sind ein Signal. Wir schaffen Voraussetzungen für Investitionen, also für neue Fabriken, neue Anlagen.
Wir eröffnen damit Arbeitslosen neue Chancen.
Wir zeigen unseren ausländischen Konkurrenten, aber auch potentiellen ausländischen Investoren, daß der Standort Deutschland reformiert, modernisiert und damit attraktiver gemacht wird. Wir demonstrieren den Bürgern - auch dies halte ich für wichtig -: Die Politik packt der Reihe nach die Probleme an; die Politik ist leistungsfähig.
Sie ist konsensfähig; sie verdient das Vertrauen der Bürger auch in einer nicht ganz einfachen Zeit.
Meine Damen und Herren, ich glaube, die Ausgangslage ist allen klar: Überlange Genehmigungs-
und Zulassungsverfahren, jahrelange Gerichtsverfahren über mehrere Instanzen haben sich zu einem Hindernis für Investitionen, Wachstum und Beschäftigung entwickelt. Ausländische Investoren wurden abgeschreckt.
- Herr Kollege, warum investieren asiatische Investoren in England und in Frankreich, aber nicht in der Bundesrepublik Deutschland?
Jetzt nehmen wir Korrekturen vor. Lassen Sie mich dies am Gesetz zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren in wenigen Zügen aufzeigen. Wir straffen, beschleunigen und vereinfachen die Verwaltungsverfahren. Statt des aufwendigen Planfeststellungsverfahrens wird für einfachere Fälle das Institut der Plangenehmigung eingeführt. Das ist etwas, um das man lange gerungen hat und das wir am Ende in dieses Gesetz geschrieben haben.
Die Auslegungs-, Einwendungs- und Stellungnahmefristen werden für alle Beteiligten und Betroffenen gestrafft; denn das hat alles in allem zu jahrelangen Verzögerungen geführt. Wir werden Einwendungen von Bürgern nach Ablauf der Frist ausschließen. Auch das wird zur Beschleunigung beitragen.
Wir haben in dieses Gesetz einen neuen Artikel aufgenommen: Beratung der Antragsteller bei investitionsrelevanten Genehmigungsverfahren. Wir beraten potentielle Antragsteller im Vorfeld über die Vor- und Nachteile der Beschleunigungsmodelle. Wir besprechen mit ihnen, welche Antragsunterlagen sie vorlegen müssen, welche Sachverständigengutachten sie beibringen müssen.
Wir haben jetzt auch das Sternverfahren, also das gleichzeitige Beginnen im Verwaltungsverfahren, in das Gesetz geschrieben, Herr Kollege Schily, um auch insofern ein Signal zu setzen.
Ich glaube, es ist zudem ein wichtiger Schritt, daß wir deutlich machen, was die Antragskonferenz leisten kann, wie sie im Vorfeld Probleme aus der Welt schaffen kann.
Dietmar Schlee
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir verbessern die Verfahrensökonomie. Die Folgen von Form- und Verfahrensfehlern werden neu geregelt. Einzelne Verfahrenshandlungen können mit heilender Kraft nachgeholt werden. Auch das war ein problematischer Punkt: Wegen einer nicht erfüllten Formalie ist eine Entscheidung aufgehoben worden, obwohl sie in der Sache richtig war. Das ganze Verfahren begann dann von neuem. Der Investor ist schließlich abgesprungen, weil das alles für ihn viel zu kompliziert und zu zeitraubend gewesen ist.
Form- und Verfahrensfehler sind, wie gesagt, nur dann zu beachten, wenn sie tatsächlich die Entscheidung in der Sache beeinflussen. Wer dagegen etwas hat, muß sich hierhinstellen und muß uns das nach all den Erfahrungen, die wir damit über Jahre und Jahrzehnte gemacht haben, erklären.
Die Verfahren müssen wieder entscheidungsorientierter geführt werden. Die Verfahrensrechte der Beteiligten bleiben in der Substanz gewahrt, aber die Möglichkeiten der Verfahrensverzögerung, der Verfahrenstorpedierung werden zu Recht beschnitten. Auch darüber ist jahrelang diskutiert worden. Wir legen einen Entwurf vor, der nun wirklich mit Augenmaß gemacht wurde. Ich meine, das ist ein Schritt in die richtige Richtung.
Das bedeutet keine Verschlechterung des Rechtsschutzes; denn ein schnelles Recht ist auch ein gutes Recht.
Das müssen wir uns immer wieder vergegenwärtigen.
Meine Damen und Herren, das Zustandekommen dieses Gesetzentwurfs selbst ist ein gelungenes Beispiel für das Zusammenwirken von Politik, Wissenschaft und Praxis. Wir werden das auch in der Zukunft noch einige Male dringend brauchen. Die Vorschläge der Expertenkommission wurden in kürzester Zeit bewertet und umgesetzt. Der Gesetzentwurf selbst ist damit auch ein Musterbeispiel für Verwaltungsbeschleunigung.
Herr Kollege Schily, lassen Sie mich drei Bemerkungen anschließen, zwei an die Länder und eine Bemerkung an uns gerichtet.
Ich appelliere an die Länder, die Änderungen so rasch wie möglich in ihren Verfahrensgesetzen nachzuvollziehen.
Die weitgehende Harmonisierung, die wir bisher im Verfahrensrecht des Bundes und der Länder hatten, hat sich bewährt. Sie müssen sich nur einmal eine Sekunde vergegenwärtigen, was passieren würde, wenn wir dieses Gesetz beschlossen hätten, und die Länder würden ihre Gesetze nicht entsprechend ändern. Keiner der potentiellen Investoren könnte sich in diesem Lande noch zurechtfinden. Da wäre das Verfahrensrecht des Bundes, und dann gäbe es unterschiedliche Verfahrensrechte der Länder. Es kann doch wohl nicht wahr sein, daß man mit Gedanken dieser Art spielt.
Eine zweite Bemerkung an die Länder gerichtet, weil das Ganze am Ende natürlich auch ein Teil des Erfolges dieser Novellierung ist. Sparmaßnahmen in der Verwaltung sind notwendig. Dieses Beispiel macht aber deutlich, daß sie nicht mit dem Rasenmäher durchgeführt werden können. Wenn die Investitionsproblematik so ist, wie ich sie beschrieben habe, dann müssen die Länder in diesem Bereich gezielt Personal einsetzen und dürfen aus den genehmigungsrelevanten Bereichen Personal nicht herausnehmen und all das ad absurdum führen, was wir mit diesem Gesetz erreichen wollen.
Eine letzte Bemerkung - ich nehme Ihren Zwischenruf auf, Herr Kollege Schily - an uns: Wenn ich es richtig sehe, sind wir in der Diagnose und in der Therapie so weit eigentlich gar nicht auseinander. Ich appelliere deshalb an Sie, sich diesen notwendigen Reformen nicht zu verschließen. Sie kennen doch die Probleme in den Ländern, in denen Sie regieren, die Probleme, die die Länder tagtäglich auf dem Tisch haben. Deshalb sollten Sie diesem Gesetzentwurf heute zustimmen. Wir müssen an die Lösung dieser Probleme herangehen, und wir müssen es jetzt machen, weil die Zeit dafür überfällig ist.
Aber ich füge hinzu: Diese Gesetze sind nur ein Schritt, dem weitere folgen müssen. Ich spreche es ganz offen und auch selbstkritisch an: Was nutzen allein die Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrensrechts, wenn das materielle Recht immer komplizierter, immer unübersichtlicher wird? Wir dürfen deshalb nicht auf halbem Wege stehenbleiben.
Meine Damen und Herren, wir müssen mit der Deregulierung Ernst machen. Ich will das in dieser Stunde als nächsten Schritt noch einmal deutlich machen. Wir müssen Hunderte von Gesetzen abschaffen oder sie zumindest rigoros durchforsten.
Daran führt kein Weg vorbei. Das muß der nächste Schritt sein.
Die effektivste Verfahrensbeschleunigung ist der Verzicht oder die Abschaffung von Erlaubnisvorbehalten, von Zulassungs- und Genehmigungserfordernissen überhaupt. Wo es keine Genehmigungsvorbehalte gibt, brauchen wir auch keine Verfahrensbeschleunigung. Dies ist möglich - man sollte sich nichts anderes einreden lassen -, und zwar ohne Verzicht auf Standards und auf die Einschränkung von Anlieger- und Nachbarschaftsrechten.
Es gibt doch eine ganze Reihe von Ländern, die uns das vorexerzieren, die die Baugenehmigung
Dietmar Schlee
durch ein Kenntnisgabeverfahren ersetzt haben. Sie haben damit das Bauen entscheidend beschleunigt; denn die Bauherren bauen früher. Sie sparen Geld, und sie sichern Arbeitsplätze am Bau. Warum soll man das nicht auf andere Bereiche, die heute zur Debatte stehen, in Zukunft übertragen können?
Wir brauchen intelligentere Lösungen im materiellen Recht. Ich will die Richtung nur mit wenigen Worten skizzieren. Wir müssen Ziele und Ergebnisse vorgeben, statt den Weg und jeden einzelnen Schritt zu fixieren. Wir müssen Regelkreise und Anreizsysteme schaffen. Wir müssen viel mehr als in der Vergangenheit die Möglichkeit kooperativen und informellen Verwaltungshandelns nutzen statt der ausschließlichen hoheitlichen Regelung am Ende.
Das ist moderne Verwaltung, die wir implementieren müssen, wenn wir Erfolg haben wollen. Wir müssen zu Selbstverpflichtungen statt zu lückenlosen behördlichen Kontrollen kommen. Wir müssen Verantwortung in die Gesellschaft zurückdelegieren.
Nur so kommen wir am Ende zu mehr Selbstverantwortung. Nur so schaffen wir Freiräume. Nur so stimulieren wir die Kreativität und die Innovation, die diese Gesellschaft und diese Wirtschaft braucht, die dieser Staat benötigt, wenn wir den globalen Wettbewerb wenigstens einigermaßen bestehen wollen.
Herr Kollege Schlee, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Nur so können wir Wohlstand und Arbeitsplätze sichern.
Heute erfolgt also ein wichtiger Schritt, aber nur ein erster Schritt. Ich bitte Sie, diesen ersten Schritt mitzumachen. Ich wende mich in ganz besonderer Weise an die SPD. Ich möchte Ihnen noch einmal empfehlen, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Otto Schily.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! In der Tageszeitung „Die Welt" ist heute folgendes zu lesen:
Fünf Seiten Baupläne und zehn Seiten Festigkeitsnachweis mußten Frankfurter Bäcker beim Bauamt einreichen, um die Genehmigung für die größte Geburtstagstorte Deutschlands zu bekommen. Denn Ordnung muß sein: Alles, was in der Mainmetropole größer als fünf Meter ist, muß offiziell genehmigt werden. Und die Torte mißt sieben mal sechs Meter.
Ich weiß nicht, ob dieser Bericht stimmt. Aber daß er richtig sein könnte, ist bereits das Problem. Ich meine, Handlungsbedarf besteht durchaus.
Mit den drei Gesetzesinitiativen, die wir heute abschließend diskutieren, hat sich die Bundesregierung vorgenommen, Planungs- und Genehmigungsverfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen. An dieser Zielvorgabe ist gewiß nichts auszusetzen. Im Gegenteil: Auch wir, die SPD-Bundestagsfraktion, halten es für notwendig, alle Möglichkeiten zur Vereinfachung und Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren auszuschöpfen.
Die Wirtschaft hat einen legitimen Anspruch darauf, daß bei Investitionsvorhaben die Genehmigungsverfahren zügig und in kurzen Fristen bearbeitet werden, daß sich die Behörden kooperativ und flexibel verhalten und sie den Antragstellern die notwendige Beratung und Unterstützung angedeihen lassen. Länder und Kommunen haben in dieser Hinsicht in den letzten Jahren bereits erhebliche Fortschritte erzielt, aber sicherlich ist vieles noch verbesserungsfähig und auch verbesserungsbedürftig.
Bei allem Eifer, wirtschaftlichen Interessen entgegenzukommen, dürfen aber gleichrangige Ziele nicht zurückstehen.
Wir werden es nicht zulassen, daß eine angemessene Bürgerbeteiligung vernachlässigt wird.
Bürgerbeteiligung im Planungs- und Genehmigungsverfahren, meine Damen und Herren Kollegen, ist ein unverzichtbares, wichtiges Korrektiv und verhilft zu mehr Akzeptanz in der Bevölkerung gegenüber behördlichen Entscheidungen.
Desgleichen werden wir uns allen Versuchen widersetzen, durch Veränderung von Verfahrensvorschriften die strikte Einhaltung von Umweltstandards in Frage zu stellen. Wer immer noch in dem törichten Vorurteil befangen ist, hohe Umweltstandards seien nachteilig für die Wirtschaft, verrät ein extrem rückständiges Denken.
Wenn sich die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen schon nicht von ihrer einseitigen Fixierung auf wirtschaftliche Interessen abbringen lassen, bei der Schutzrechte Dritter und Umweltbelange als nebensächlich oder sogar als lästiger Störfaktor erscheinen, hätte sie wenigstens ernsthaft prüfen müssen, ob ihre Vorschläge wirklich geeignet sind, Verwaltungsverfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen, oder ob sie nicht im Gegenteil sogar die Verfahren komplizieren und verzögern werden.
Wie zu hören ist, soll es ab Frühjahr dieses Jahres eine Selbstverpflichtung der Ressorts der Bundesre-
Otto Schily
gierung geben, eingebrachte Gesetzesinitiativen einer Kosten-Nutzen-Analyse zu unterziehen.
Ich habe davon noch nicht viel gemerkt. Bei diesem Gesetzgebungsvorhaben jedenfalls scheint diese Selbstverpflichtung bereits wieder in Vergessenheit geraten zu sein; denn Sie haben offenkundig Nutzen und Kosten Ihrer drei Gesetzentwürfe nicht einmal oberflächlich untersucht.
Auch die massive Kritik von sachverständiger Seite, mit der Ihnen attestiert wurde, daß Ihre Pläne kontraproduktiv sind, hat Sie nicht dazu bewogen, davon Abstand zu nehmen. Sie haben zwar in letzter Minute und in großer Hast mit den von Ihnen eingebrachten Änderungsanträgen noch einige kosmetische Korrekturen vorgenommen;
diese vermögen aber an der negativen Gesamtbeurteilung nichts zu ändern.
Es sollte Ihnen aber zu denken geben - Herr Schlee, ich finde, Sie sollten an dieser Stelle sehr gut zuhören -, daß einer der angesehensten Anwälte Deutschlands, Professor Konrad Redeker, der, soweit ich weiß, mitunter auch die Bundesregierung berät, zu den von Ihnen beabsichtigten Veränderungen der Verwaltungsgerichtsordnung in einem jüngst veröffentlichten Aufsatz folgendes geschrieben hat - ich
zitiere -:
Die Vorschläge sind unausgereift. Sie sind in sich widerspruchsvoll. Sie werden insbesondere aber keines der angestrebten Ziele erreichen. Statt dessen werden sie zu jahrelangen Kontroversen über den Inhalt und die Auslegung der neuen Regelungen führen, die über die Jahrtausendwende hinaus die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung, darüber hinaus mit Sicherheit auch das Bundesverfassungsgericht, zusätzlich belasten werden. Die Verfahren werden auch zeitlich nicht kürzer werden, sondern länger dauern.
Der Gesetzgeber sollte mindestens in Ruhe über das alles nachdenken. Er sollte das Gespräch mit der Praxis suchen. Eine Novellierung sollte von dem ausgehen, was ist, nicht von dem, was sich Ministerialbeamte als Wirklichkeit vorstellen und in politischen Aktionismus umzusetzen haben.
Eine vernichtendere Kritik an Ihren Gesetzen - Beispiel Verwaltungsgerichtsordnung - kann man kaum noch formulieren.
Eine alte römische Rechtsregel lautet: „Lex plus laudatur, quando ratione probatur" - „Ein Gesetz erntet mehr Lob, wenn sein Sinn erkennbar ist."
Ihre Gesetzesinitiativen sind in der Summe eher grober Unfug. Wundern Sie sich also nicht über den Tadel, der Ihnen zuteil wird.
Sicherlich, Herr Kollege Schlee, läßt sich über Einzelheiten reden. Wir geben Ihnen sogar, konstruktiv wie wir sind, auf Grund unserer zahlreichen Änderungsanträge die Gelegenheit, auch an Ihren Gesetzentwürfen, soweit es möglich ist, etwas zu verbessern. Wir sind auch gesprächsbereit. Über Detailfragen werden meine Kollegen Schütz, Hartenbach und Schultz noch ausführlich sprechen. Sie haben sich aber in den Ausschußberatungen nicht einmal zur Annahme dieser Änderungsanträge bereitfinden können.
In der Begründung Ihrer Gesetzentwürfe heißt es, es gäbe zu dem Pfusch, den Sie uns präsentieren, keine Alternative. Dabei haben Ihnen einige Sachverständige - Herr Schlee, einiges hat bei Ihnen zum Schluß so geklungen, als ob Sie es gehört hätten - durchaus den Weg zu einer besseren Alternative gewiesen. Anstatt in den Verfahrensvorschriften herumzudoktern, wie Sie es tun, sollten wir unsere Anstrengungen darauf richten, das materielle Umweltrecht, das gegenwärtig in zahlreiche Einzelgesetze und sonstige verstreute Vorschriften zersplittert und nahezu unüberschaubar ist, in einem Umweltgesetzbuch systematisch zusammenzufassen und neu zu ordnen.
Verwaltungsverfahren und Verwaltungsgerichtsprozesse dauern nicht zuletzt deshalb so lange, weil kein Mensch mehr den richtigen Überblick hat, wo was wie geregelt ist. Wer die Rechtsanwendung vereinfachen, beschleunigen und erleichtern will, muß den Gesetzesdschungel lichten. Klares materielles Recht ist immer und hauptsächlich die Voraussetzung für praktikables Verfahrensrecht. Nur so können die knappe Ressource Recht und die knappe Ressource Verwaltung so verfügbar gemacht werden, daß allen berechtigten Interessen optimal entsprochen wird.
Die Kodifizierung des Umweltrechts in einem Umweltgesetzbuch ist eine gesetzgeberische Aufgabe von höchster Priorität, derer sich der Deutsche Bundestag an Stelle von manchem sonstigem legislativem Zeitvertreib alsbald und mit großem Ehrgeiz annehmen sollte.
Die Bundesregierung könnte dann ihre Ressourcen an Sachverstand, sofern noch Reste davon übriggeblieben sind, für dieses vorrangige Gesetzeswerk bereitstellen.
Vielen Dank.
Als nächster spricht der Kollege Gerald Häfner.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn es vielleicht nicht ganz zum Ernst dieser Debatte paßt, Herr Struck - jetzt ist er nicht mehr da -,
so schließe ich mich der Gratulation an die deutsche Fußballnationalmannschaft ausdrücklich an. Allerdings mit einem Unterschied zu Herrn Struck: Er hat gesagt, das habe gar nichts mit der heutigen Debatte zu tun. Ich meine, das war ein Irrtum, Herr Struck. Ich glaube, es hat sehr viel mit dieser Debatte zu tun, und zwar schlicht und einfach deshalb, weil auch ein Fußballspiel davon lebt, daß die Regeln eingehalten werden und daß man nicht während des Spiels ständig die Regeln verändert; dann können sie nämlich gleich aufhören zu spielen.
Genau das aber ist, was die Regierung hier schon vorhat, nämlich mitten im Spiel pausenlos die Regeln zu verändern. Das kann niemals zu einem guten fairen Spiel führen.
Aber in dieser Debatte geht es um etwas weitaus Ernsteres als nur um ein Fußballspiel. Hier geht es zuallererst einmal um die Verwaltungsgerichtsordnung. Nicht nur, daß Sie von der Sache her in großem Maße Bürgerrechte, demokratische Rechte abbauen und zerstören wollen, Sie wollen auch vom Verfahren her diesem Parlament zumuten, daß es diese einschneidenden Dinge in unerträglicher Weise im Schweinsgalopp berät und beschließt.
Die Sachverständigen haben sich gegen dieses Vorhaben und Verfahren gewehrt. Sie sollten ursprünglich noch nicht einmal angehört werden. Ich danke dem Rechtsausschuß, daß wir uns doch noch entschlossen haben, uns die Zeit zu nehmen, um die Sachverständigen anzuhören.
Aber was ist dabei herausgekommen? Die Anhörung war ein Debakel für den Entwurf der Koalition. Alle Sachverständigen, die zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung eingeladen waren - ausnahmslos und unabhängig davon, von welcher Fraktion sie geladen waren -, haben geraten, von diesem Vorhaben Abstand zu nehmen, es bitte bleiben zu lassen, weil es im Ergebnis nicht zu einer Verbesserung, sondern zu einer Verschlechterung der rechtlichen Situation
und weil es nicht zu einer Verkürzung, sondern im Endeffekt zu einer Verlängerung der Verfahren führt.
Sie betreiben hier eindeutig Etikettenschwindel. Sie tun so, als ginge es nur um Beschleunigung, um
Vereinfachung. Sie tun so, als ginge es bloß darum, Investitionen zu erleichtern. Was Sie aber wirklich vorhaben, ist der Abbau von Bürgerrechten, von demokratischen Rechten im ganz großen Stil, der Abbau von Rechten, die mühsam und über lange Zeit in diesem Land erstritten und erkämpft worden sind. Es geht dabei mitnichten nur um Investitionen. Sie wissen nebenbei genausogut wie ich, daß ein Großteil nicht nur der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land, sondern gerade auch der Investoren froh ist über den Standard unseres Umweltrechts und unseres Genehmigungsrechts, über die Rechtssicherheit und Rechtskultur in diesem Lande.
Mit der Verwaltungsgerichtsordnung greifen Sie einen der Eckpfeiler unseres Rechtssystems an, übrigens einen derjenigen Eckpfeiler, die wegen Ihrer Qualität Vorlage für die Rechtsordnungen in vielen anderen Ländern der Erde geworden sind. Das ist nicht die erste Totaloperation, sondern Sie doktern schon seit Jahren daran herum: 1990, 1992 gab es ebenfalls umfassende Änderungen. Das, was jetzt geplant ist, ist die dritte Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung innerhalb von sechs Jahren. Sie haben noch nicht einmal die Auswirkungen der vorigen Änderungen abgewartet. So kann man mit dem Recht nicht umgehen.
Vor vielen Jahren hat das Bundesjustizministerium hier einmal eine Debatte führen lassen, weil es im Rahmen der Haushaltsberatungen für eine Werbekampagne unter dem Titel „40 Jahre Bundesjustizministerium - Bauhütte des Rechts" Gelder beantragt hat. Ich muß Ihnen heute sagen: Das Bundesjustizministerium, die Bundesregierung, ist nicht mehr eine Bauhütte, sondern ist zu einem Abbruchunternehmen des Rechts in Deutschland geworden.
CDU/CSU und F.D.P. schwingen gemeinsam die Abrißbirne. Sie haben dabei Stöpsel in den Ohren und versuchen, den Widerstand der Bürgerinnen und Bürger ebenso wie den Widerspruch aller einschlägigen Sachverständigen aus Wissenschaft und Praxis zu überhören.
Mit dem, was Sie jetzt vorhaben, zum Beispiel dem Verlust der aufschiebenden Wirkung von Klagen, greifen Sie tief in elementare Rechte ein. Es ist schlicht unglaublich und unzumutbar, wenn man den Bürgern sagt, „Ihr könnt gerne gegen ein Vorhaben, gegen eine Anlage klagen, aber während die Klage läuft, errichten wir schon mal die Anlage". Was hilft es den Betroffenen, wenn sie hinterher bestätigt bekommen, sie hätten eigentlich recht gehabt, aber nun sei es leider zu spät?
Damit wird der Rechtsschutz, der jedem Bürger durch Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes garantiert ist, unterlaufen. Genauso ist es mit den anderen Vorhaben, die Sie in diesem Zusammenhang umsetzen
Gerald Häfner
wollen. Sie greifen elementare Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger an.
Ich sage Ihnen deutlich: Wenn Sie wirklich die Verwaltungsgerichte entlasten wollen, dann sorgen Sie doch erstens dafür, daß die Abläufe innerhalb der Justiz verbessert werden - da gibt es noch sehr viel zu tun -, und dann sorgen Sie doch zweitens dafür, daß wir endlich mehr Dialog über und damit auch mehr Akzeptanz in der Bevölkerung für jeweils geplante sinnvolle Projekte bekommen.
Im übrigen berühren diese Änderungsvorschläge zur Verwaltungsgerichtsordnung ja nicht nur Anträge bzw. Verfahren im Bereich von Baugenehmigungen bzw. umweltrelevante Verfahren. Es geht hier vielmehr um alle Prozesse, in denen Bürgerinnen und Bürger dem Staat und seinen Organen gegenüberstehen. Davon betroffen sind genauso auch alle gerichtlichen Auseinandersetzungen zum BAföG, zu Wohngeld und zu unzähligen anderen Dingen. Betroffen sind in der gleichen Weise auch alle Klagen, bei denen Satzungen oder andere Erlasse und Entscheidungen von Behörden angegriffen werden. Es ist schlicht unzumutbar, hier die Rechte der Bürger pauschal, in einem Aufwasch in diesem Maße einzuschränken.
Noch einmal: Wenn Sie tatsächlich eine Entlastung der Verwaltungsgerichte erreichen wollen, dann denken Sie doch endlich einmal in die umgekehrte Richtung. Schließlich wird heute sehr viel in gerichtliche Verfahren gekippt, was eigentlich auf eine ganz andere Ebene gehört.
Ich nenne als Beispiel die nahezu eine Million Einwendungen gegen die WAA seinerzeit in Wackersdorf. Viele haben damals gesagt: Das ist ja eigentlich ein Volksentscheid gegen die WAA, wenn dagegen so viele Einwendungen erhoben werden. Aber bis heute wird, obwohl Art. 20 Abs. 2 des Grundgesetzes dies vorsieht, den Bürgern die Möglichkeit von Volksbegehren und Volksentscheid auf Bundesebene vorenthalten.
Deshalb: Führen wir doch diese Möglichkeit endlich ein. Führen wir darüber hinaus deutlich erweiterte Möglichkeiten echter Bürgerbeteiligung in Planungsverfahren ein - Mediation und vieles andere mehr. Dann werden Sie feststellen, daß es im Vorfeld gerichtlicher Entscheidungen viel mehr Dialog und damit vernünftige Entscheidungen gibt, mehr Akzeptanz für vernünftige Vorhaben und die rote Karte für unvernünftige Projekte. Dann wird endlich nicht mehr in die Gerichte hineingetragen, was vielmehr in die politische Auseinandersetzung gehört.
So herum wird ein Schuh daraus. Nicht weniger, sondern mehr Bürgerrechte, nicht weniger, sondern mehr Demokratie sind in diesem Lande vonnöten!
Deswegen fordere ich Sie dringend auf: Nehmen Sie Abstand von diesem Vorhaben. Folgen Sie statt
dessen unserem Weg, die Beteiligungs- und Mitwirkungsmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger auszubauen. Zerstören Sie nicht Eckpfeiler der Rechtskultur und der Rechtssicherheit in Deutschland mit unabsehbarem Schaden für alle Bürgerinnen und Bürger.
Danke sehr.
Es spricht jetzt der Kollege Detlef Kleinert.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wenn man an sich ein sehr gestörtes Verhältnis zu Investitionen hat, das meiste für Teufelswerk hält und sich im übrigen bei in jeder Hinsicht aufrechtzuerhaltendem Komfort nach den Zuständen im vorigen Jahrhundert zurücksehnt, dann mag einem eine beliebige Verfahrensverzögerung als ein Stück Rechtskultur erscheinen.
Uns erscheint als Rechtskultur der angemessene Rechtsschutz in angemessener Frist.
Das abzuwägen ist eine sehr schwierige Aufgabe, der man sich nicht so einseitig stellen kann, wie Herr Häfner das eben versucht hat.
Da wir von Herrn Kollegen Hartenbach zu einer Reihe von Einzelheiten noch sehr Bedenkenswertes hören werden, müssen wir zunächst damit zufrieden sein, daß Herr Schily uns wirklich hörenswerte Zitate zum besten gegeben hat. Aber auch Herr Redeker kann irren; das ist vor Gericht nun einmal so. Wir halten sehr viel von der empirischen Methode. Einige Dinge müssen eben ausprobiert werden.
Es gibt sowohl die Möglichkeit, zu sagen, die jetzt gefundenen Wege zum Beispiel bei der Annahmeberufung können zu zusätzlicher Unsicherheit, zu weiterem Streit führen. Das kann man sagen, das kann man auch begründen. Es gibt aber auch die Möglichkeit, zu sagen, es werde mit zwei zusätzlichen Bestimmungen darauf hingewirkt, daß wirklich falsche Urteile aus der Welt kommen, wobei das Verfahren aber nicht mit Formalien belastet wird, die hinterher zu keinem anderen Ergebnis führen als lediglich zu einer Verzögerung. Wir sind nun einmal der Meinung, daß wir auf unserem Weg das zweite erreichen. Das gilt für eine Reihe weiterer Bestimmungen ganz genauso.
Ein ganz wesentliches Problem im Zusammenhang mit der VwGO ist für uns gewesen, daß hierbei keineswegs der Eindruck entstehen darf - da verstehen wir die Bedenken insbesondere der Verwaltungsrichterschaft sehr gut -, die Verwaltungsgerichte stünden nicht allen Prozeßbeteiligten, allen Verfahrensbeteiligten in gleicher Weise vollkommen objek-
Detlev Kleinert
tiv gegenüber, sondern hätten doch irgendwie eine zusätzliche Verbindung zu den Verwaltungsbehörden, seien etwa eine verlängerte Werkbank der Verwaltung, und der Bürger renne noch einmal gegen die gleiche Mauer, über die er sich gerade beschweren wollte. Dieser Eindruck muß vermieden werden.
Auf Grund der Kritik in der Anhörung und in den Einzelgesprächen haben wir eine Reihe von Bestimmungen geändert und zurückgenommen, soweit sie gerade diesen Eindruck erwecken konnten. Ich verweise auf § 94, in dem wir die Gleichwertigkeit der Verfahrensbeteiligten durch eine Umformulierung unterstrichen haben. Ich verweise insbesondere auf die Streichung der Kernbestimmung des § 113 Abs. 1, in der dem Gericht tatsächlich Nachbesserungen zur Pflicht gemacht worden sind. Das geht zu weit. Das muß beim Bürger einen falschen Eindruck über die Rolle dieses Gerichts hervorrufen. Deshalb haben wir das gestrichen.
Im übrigen ist auf Wegen, die andere schon lange viel weiter gehen wollten, durchaus behutsam vorgegangen worden.
Alles, was hier zu der angeblich zu großen Hast dieses Gesetzgebungsvorhabens gesagt worden ist, relativiert sich ganz deutlich, wenn man überlegt - das hat Herr Häfner selbst gesagt -, daß die Diskussion über die Jahre permanent geführt worden ist. Ein solches Gesetz kommt doch nicht aus heiterem Himmel, aus noch nie diskutierten Gedanken und ist dann da. Vielmehr entsteht es im Laufe eines langjährigen Prozesses, den die Interessierten und Sachkundigen über all die Jahre hinweg mit verfolgen konnten und meistens auch mit verfolgt haben.
Deshalb kann die Überraschung so groß nicht sein. Alle Fragen, die hier eine Rolle spielen, etwa zur Art der Rechtsmittel, zur Aussetzungsmöglichkeit, zur vorläufigen Vollziehung, zur Berufung, werden nicht nur für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, sondern auch allgemein immer wieder diskutiert.
Wir verschließen uns keineswegs dem, was von den Vorrednern - übrigens von allen übereinstimmend - gesagt worden ist: Das materielle Recht muß deutlich vereinfacht und, soweit das ohne Gewalt möglich ist, auch vereinheitlicht werden. Die Verwaltungsverfahren und auch die Gerichtsverfahren in der Gerichtsorganisation und deren Abläufen müssen deutlich verbessert und beschleunigt werden. Dafür gibt es auch in der Verwaltungsgerichtsbarkeit - das sagen ja die Verwaltungsrichter selbst - noch genügend Möglichkeiten, und diese gilt es auch zu nutzen.
Aber es hat doch keinen Sinn, daß wir heute morgen sagen, was sonst noch zu tun ist, anstatt erst einmal das zu erledigen, was wir unmittelbar auf dem Tisch haben und erledigen können. Damit wollen wir uns keineswegs vor der Arbeit drücken, die in den anderen genannten Gebieten weiterhin vor uns liegt.
Zum Schluß möchte ich noch eines sagen: Wenn Herr Schlee von einem ersten Schritt in die richtige Richtung gesprochen und gemeint hat, auf den anderen Gebieten habe etwas zu geschehen - so haben Sie es ja ausgeführt -, dann sind wir völlig einverstanden. Wenn aber jemand meint, die jetzt vorgeschlagenen Änderungen der Verwaltungsgerichtsordnung wären ein erster Schritt vor weiteren Änderungen, dann möchte ich ganz deutlich erklären: Wir sind schon sehr weit gegangen. Wenn jetzt wieder überprüft wird, dann muß man auch all das ins Auge fassen, was uns wieder einmal als Beschleunigung angedient worden ist, und man muß dies mit der Erfahrung, von der ich gesprochen habe, auch daraufhin überprüfen, ob man nicht an der einen oder anderen Stelle zu weit gegangen ist und wieder etwas zurücknehmen muß. Das ist der Punkt, an dem wir mit dieser Gesetzgebung angekommen sind. Ihn wollen wir in den kommenden Jahren auch im Auge behalten.
Herzlichen Dank.
Als nächstes hat die Kollegin Eva Bulling-Schröter das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schaun mer mal - dieser Ausspruch wird meistens von Beckenbauer gebraucht. Aber gestern im Umweltausschuß hat ihn die Vertreterin der F.D.P., Frau Homburger, benutzt. Dies war ihre Reaktion auf Fragen der Opposition zu den Auswirkungen der Beschleunigungsgesetze. Neue, innovative Wege sollen gegangen werden. Das heißt auf deutsch: Der Abbau von Umwelt- und Sozialrechten ist modern. Deshalb sollen diese Gesetze auch möglichst schnell durch das Parlament gejagt werden, unbeachtet von der breiten Öffentlichkeit, die sich momentan mehr den Kopf darüber zerbricht, wie in Zukunft das Gebiß oder das Brillengestell bezahlt werden soll. Oder die Frauen, die demnächst später in Rente gehen sollen: in Zukunft alles modern und innovativ.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bekanntlich ist die Mehrheit dieses Parlaments immer schnell dabei, zivilen Widerstand gegen die Allmacht der Industrie und der Atomlobby zu verurteilen, j a zu kriminalisieren. Die Stichworte Gorleben und Gundremmingen sollen genügen. Am Dienstag nun haben Vertreterinnen und Vertreter der wichtigsten Umweltverbände auf ihrer Bonner Pressekonferenz angekündigt - ich zitiere -:
Wenn diese Beschleunigungsgesetze durchkommen, dann ist es wohl vorbei mit den Gängen durch die Instanzen, dann wird den Umwelt- und Bürgerbewegungen wieder die Straße gehören.
Damit sind wir beim Kern dieses Gesetzesbündels. Es bringt nicht Effizienz oder Geschwindigkeit, sondern Unfrieden über das Land. Bürgerrechte werden in ihrer verfassungsmäßigen Substanz ausgehöhlt. Ich frage die Abgeordneten der Koalition: Welche
Eva Bulling-Schröter
Möglichkeiten, sich zu wehren, wird denn ein Bürger zukünftig haben, wenn eine technische Anlage an seinem Gartenzaun erweitert wird und er erst, wenn sie unter Volldampf steht, abschätzen kann, ob er in seinen Rechten betroffen ist?
Gerade zur Konfliktregelung im Vorfeld waren doch die bisherigen Vorschriften gedacht. Dies soll es nun alles nicht mehr geben. Verwaltungen und Gerichte werden zu Dienstleistern für Unternehmen degradiert.
Unzweifelhaft müssen eine Fülle von Verwaltungsvorgängen vereinfacht und entbürokratisiert werden. In den meisten Fällen wird es sich um Änderungen in Verwaltungsvorschriften handeln, die einem rationellen Vollzug im Wege stehen. In den vorliegenden Gesetzentwürfen der Bundesregierung haben diese alltäglichen Probleme allerdings kaum Eingang gefunden. Eingang gefunden hat dafür die in Verwaltungsdeutsch gegossene Ideologie der sogenannten Standortdebatte. Der erste Redner hier hat es wieder einmal bewiesen: Mit dem Thema Arbeitsplätze wird zur Zeit, auf bayerisch gesagt, jede Sauerei begründet.
Diese Entwürfe sind bereits im Februar 1996 in den Bundesratsausschüssen beraten worden. Im März hat der Bundesrat eine in der Summe positive Stellungnahme zu den Entwürfen abgegeben. Das heißt, daß die SPD diesen Anträgen im Grundsatz zustimmt, nachdem sie im Bundesrat schon die milliardenschwere Luftnummer Transrapid durchgewunken hat. Vielleicht benutzt sie doch endlich einmal ihre Mehrheit im Bundesrat, um das Ruder herumzureißen.
Doch zurück zu den Regierungsanträgen: Meine Damen und Herren von der Koalition, wann werden Sie endlich begreifen, daß öffentliche Kritik kein Hemmnis, sondern ein wichtiger Antrieb zur gründlichen Planung und Prüfung umweltrelevanter Vorhaben ist?
Die Beteiligung Dritter und die Beteiligung von Verbänden haben nicht nur positiven Einfluß auf die Qualität, sondern auch auf den Bestand von Verwaltungsverfahren. Die Dauer von Genehmigungs- und Gerichtsverfahren ist abhängig vom Umfang des Vorhabens. Logisch, daß dann Fristen nicht losgelöst von Umfang und Komplexität des Vorhabens festgelegt werden können.
Die Bundesregierung macht uns dies allerdings in ihren Gesetzentwürfen vor. So soll es eine zulassungsfreie Berufung vor Gerichten nicht mehr geben. Zur Zulassung der Berufung muß innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Verwaltungsgericht ein Antrag gestellt werden. Eine Begründung muß sofort mitgeliefert werden. Wenn die Begründung formalen Anforderungen nicht genügt, soll die Berufung unzulässig sein. Meine Damen und
Herren, verstehen Sie das noch als Waffengleichheit zwischen Unternehmen und Bürgern?
Weiter: Die Beteiligung der Öffentlichkeit ist das wesentliche Merkmal des Planfeststellungsverfahrens. Für die neu anzuwendende Plangenehmigung ist aber keine Beteiligung der Öffentlichkeit vorgesehen. Im Anzeigeverfahren, das an die Stelle des Genehmigungsverfahrens tritt, erhalten Vorhabenträger die Möglichkeit, Anlagen schon auf Grund einer Baugenehmigung zu errichten. Einer immissionsschutzrechtlichen Anzeige bedarf es erst vor Inbetriebnahme. Das heißt, wer bauen will, der baut einfach.
Den Bürgern wird durch Plangenehmigung und Anzeigeverfahren die Möglichkeit genommen, frühzeitig Kenntnis von dem jeweiligen Vorhaben zu erhalten. Sie können sich nicht mit den möglichen Gefährdungen auseinandersetzen und Informationen erlangen, die sie für eine spätere Klagebegründung benötigen. Den Bürgern ist somit die Chance genommen, sich selbst davon zu überzeugen, ob sie vom Vorhaben betroffen sind oder nicht. Dies ist in dem ganzen Bündel von beabsichtigten Veränderungen einer der schwerwiegendsten Einschnitte in die Rechte der Bürger.
Plangenehmigungen dürfen in Zukunft auch ohne Umweltverträglichkeitsprüfung sowie ohne Mitwirkung der Umweltverbände erteilt werden. Auf die UVP soll zukünftig auch dann verzichtet werden, wenn erhebliche Umweltgefährdungen des Projekts erkennbar sind; denn Kriterium für den Prüfungsverzicht ist nicht das Gefährdungspotential.
War die Mitwirkung der Verbände bis jetzt schon mangelhaft geregelt, so sind diese Änderungen ein umweltpolitischer Skandal und eigentlich eine Ohrfeige für die Demokratie.
Die Bundesregierung hat mit letzterer überhaupt Schwierigkeiten. So sind Verzögerungen in politisch stark umstrittenen Vorhaben kein Mangel des Umweltrechts. In aller Regel weisen solche Verzögerungen auf einen nicht abgeschlossenen gesellschaftlichen Klärungsprozeß hin. Diese gesellschaftlichen Prozesse können nur bedingt beschleunigt, aber niemals umgangen oder ausgelassen werden.
Die meisten Verzögerungen haben allerdings eine ganz profane Ursache. Auch die Bundestagsanhörung vom 8. Mai zu den Gesetzentwürfen stellte fest: Verzögerungen von Genehmigungsverfahren werden hauptsächlich durch die mangelhafte Vorbereitung von Antragsunterlagen durch die Industrieunternehmen und durch die mangelhafte Personalausstattung von Genehmigungs- und Aufsichtsbehörden verursacht.
Hier beißt sich die Standortlogik der Bundesregierung in den eigenen Schwanz. Denn wer ständig nur dabei ist, Steuern für Besserverdienende und große Vermögen zu senken, hat am Ende kein Geld mehr für Beschäftigte in Genehmigungsbehörden und Verwaltungsgerichten. Die Zeit, die dadurch ver-
10354 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 116, Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1996
Eva Bulling-Schröter
plempert wird, dürfte die Unternehmen wohl auch Millionen kosten.
Unerträglich ist, daß Sie beteiligten Dritten, also Betroffenen und Umweltverbänden, vorwerfen, sie provozierten aus Eigeninteresse und mit juristischen Tricks - quasi um Wirtschaft und Staat zu ärgern - Verzögerungen in den Genehmigungsverfahren.
Warum sollten sie eigentlich nicht? Haben in dieser Gesellschaft nur Unternehmen und Millionäre das Recht, mit hochbezahlten Juristen ihre ureigensten Interessen durchzusetzen?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Widerstand gegen dieses Gesetzesbündel ist breit. Neben Umweltverbänden wenden sich vor allem Verwaltungsrichter zu Wort. So beispielsweise der Verband der Bayerischen Verwaltungsrichter, der meint, daß es schwerfällt, noch von einem effektiven Verwaltungsrechtsschutz zu sprechen. Und weiter, ich zitiere:
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes gehört es zu den fundamentalen Grundsätzen des öffentlichen Prozesses, daß Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben und nicht schon vor einer gerichtlichen Entscheidung vollendete Tatsachen geschaffen werden. Verfehlt wird dadurch auch das Ziel der Verfahrensbeschleunigung. Denn zwangsläufig wird sich die Zahl der Eilanträge und damit die Belastung der Gerichte automatisch erhöhen.
Unter dem Strich begünstigen die von der Bundesregierung eingebrachten Entwürfe in vielfacher Hinsicht die Eigentümer von Industrieunternehmen und schneiden andererseits tief in die Schutzrechte der Bürgerinnen und Bürger ein. Sie verwandeln Gerichte in Reparaturbetriebe der Verwaltung und machen aus der Erteilung einer Genehmigung eine Dienstleistung am Kunden.
Diesem Tenor schlossen sich auch alle Sachverständigen in der Anhörung an, mit Ausnahme des Bundesverbandes Junger Unternehmer und des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, was natürlich kein Zufall ist.
Zum Schluß: Nach Informationen des NABU soll in dem neuen Entwurf des Bundesnaturschutzgesetzes die Beteiligung anerkannter Verbände nach § 29 weitgehend ausgehebelt werden. Ich denke, damit geht der Skandal weiter.
Als nächster Redner hat das Wort der Bundesminister der Justiz, Herr Schmidt-Jortzig.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Über die Konkurrenzfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland, mitunter ja zum reinen Stichwort verkommen, ist jedenfalls in letzter Zeit viel nachgedacht, geschrieben und gesprochen worden.
Ein Wirtschaftsstandort lebt aber nicht allein von seinen objektiven Produktionsfaktoren Arbeit, Kapital und Boden.
Hinzu kommt vielmehr ein psychologisches Moment - in der Tat, Herr Kollege Schily -, nämlich das Vertrauen der Investoren in die Zukunftsträchtigkeit ihrer unternehmerischen Entscheidungen.
Deshalb darf nicht nur geredet werden, sondern es muß gehandelt werden. Und das tut die Bundesregierung jetzt.
Ein Kernproblem des Wirtschaftsstandortes Deutschland liegt sicher darin, daß die Faktoren Arbeit und Umwelt bei uns im Vergleich zu vielen Schwellenländern zu teuer sind. Das muß dann bei anderen Produktionsfaktoren oder bei den Rahmenbedingungen wettgemacht werden.
Im Bereich der Rechtsordnung heißt das: Der Staat muß für reduzierte und praxisnahe Gesetze, für einen raschen Vollzug sowie für eine effektive Gerichtsbarkeit sorgen. Diese Elemente sind in der wirtschaftlich guten Zeit mitunter aus dem Blick geraten. Hier die Spannkraft wieder zurückzugewinnen ist Ziel des von der Bundesregierung verfolgten Projektes „schlanker Staat" .
Als erstes gehört dazu eine Rücknahme und Begrenzung der staatlichen Einflußnahme und Reglementierung. Deregulierung ist das Stichwort.
Damit werden Entfaltungsräume für Bürger und Wirtschaft geschaffen, Innovation und Initialität erhalten wieder Luft.
Als zweites ist der Staatsapparat zu effektivieren.
Entbürokratisierung heißt das Stichwort. Die Bundesregierung hat dazu die Dienstrechtsreform auf den Weg gebracht, sie hat den Verwaltungs- und Behördenapparat gestrafft, worüber bereits im Februar dieses Jahres ausführlich vom Bundesfinanzminister berichtet worden ist, und sie bereitet eine Reform des Haushaltsrechts vor, die eine Flexibilisierung der alten Kameralistik und eine Nutzung der sogenannten neuen Steuerungsmodelle bringen soll.
Als drittes und eigentlich Grundlegendes geht es um eine ständige Überprüfung der staatlichen Aktivitäten und Vorhaben. Hier heißt das Stichwort Aufgabenkritik. Zur Beförderung dieses Ansatzes sowie zur Koordinierung des Gesamtprojektes hat die Bundesregierung den unabhängigen Sachverständigenrat „Schlanker Staat" eingesetzt, dem unser Kollege Scholz vorsitzt.
Meine Damen und Herren, die heute zur abschließenden Beratung vorliegenden Gesetzesvorhaben sollen sowohl zur Deregulierung wie zur Entbürokratisierung ihren Beitrag leisten. Bei konsequenter Um-
Bundesminister Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Setzung soll eine nachhaltige Beschleunigung von Verwaltungs- und Gerichtsverfahren gerade in investitionsrelevanten Wirtschaftszweigen eintreten, ohne daß dabei der gebotene Schutz Dritter oder die Belange der Allgemeinheit, insbesondere der Umweltschutz, beeinträchtigt werden.
An dieser Stelle nur ein Wort zur angeblichen Überhastung. Es gab die von der Bundesregierung berufene Schlichter-Kommission, die 1994 ihren Bericht vorgelegt hat, es gab die Ludewig-Kommission, die 1995 ihren Bericht vorlegte, und jetzt, nach einem Jahr Diskussion - ich nehme an, das ist für das Tempo, das sonst bei Gesetzgebungsverfahren herrscht, eine akzeptable Spanne -, ist das Produkt entscheidungsreif.
Mit dem Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz sollen die Behörden die Möglichkeit erhalten, die Verfahren stärker als bisher auf die Bedürfnisse des konkreten Einzelfalles zuzuschneiden und zwischen mehreren Verfahrensabläufen wählen zu können. Dies ermöglicht effektivere und damit kürzere Verfahren, die zudem bezüglich der Arbeitsplätze den berechtigten Interessen der Antragsteller, der Investoren also, besser Rechnung tragen können.
Diese sollen ihrerseits stärkere Einflußmöglichkeiten auf die Gestaltung der Verfahren erhalten. So sollen die Genehmigungsbehörden den Investor eingehend beraten und mit ihm zusammenarbeiten, indem sie etwa zur Vermeidung von Nachfragen frühzeitig mit ihm die erforderlichen Unterlagen erörtern oder in einem späteren Stadium des Verfahrens eine Antragskonferenz unter Einbeziehung aller beteiligten Stellen durchführen.
Eine wesentliche Beschleunigung ist auch von dem vorgesehenen Sternverfahren bei der Beteiligung anderer Behörden zu erwarten. Außerdem sollen Heilungsmöglichkeiten für Verfahrens- und Formfehler ausgeweitet und insbesondere auf Ermessensentscheidungen ausgedehnt werden. Gerade die für Investitionen besonders bedeutsamen Planfeststellungsverfahren werden durch Präklusionsregelungen und dadurch, daß die Erheblichkeit von Abwägungsmängeln eingeschränkt wird, deutlich beschleunigt.
Erteilte Genehmigungen - das ist der zweite Punkt, zu dem ich sprechen will - werden nicht selten quasi routinemäßig angefochten, so daß sich die Umsetzung von Investitionsvorhaben mitunter deutlich verzögert.
Außerdem ist der Geschäftsanfall bei den Verwaltungsgerichten ständig gestiegen, so daß ein zeitnaher Rechtsschutz bei gleichbleibender oder gar reduzierter Gerichtsausstattung zusätzlich behindert wird.
Um die Situation zu verbessern - bei diesem Reformziel sollten sich alle einig sein -, sieht der Regierungsentwurf zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung unter anderem vor, daß Fehler in der Verwaltungsentscheidung im gerichtlichen Verfahren einfacher zu korrigieren sind.
Einen erheblichen Beschleunigungseffekt verspreche ich mir auch davon, daß das Beweisantragsrecht in Massenverfahren eingeschränkt wird, Normenkontrollverfahren künftig nur noch von denjenigen eingeleitet werden können, die selbst in ihren Rechten beschränkt sind, und die Berufungsmöglichkeit gegen erstinstanzliche Urteile sowie die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen eingeschränkt werden.
Wir sind einigen kritischen Anregungen gern gefolgt, weil sie in der Tat berechtigt waren. Zwingende Hinweispflichten des Gerichts, die als einseitige Parteinahme zugunsten der Verwaltung ausgelegt werden könnten, sieht die Ihnen nun zur Abstimmung vorliegende Fassung des Entwurfs deshalb nicht mehr vor.
Diesen Hinweis gebe ich, weil hier die Behauptung von der angeblich nicht stattgehabten Beratung aufgestellt wurde.
Statt dessen wird durch erweiterte Antragsrechte für die Parteien und insbesondere entsprechende Kann-Regelungen für die Verwaltungsgerichte einerseits dem Beschleunigungsinteresse Rechnung getragen, andererseits aber das Mißverständnis vermieden, die Gerichte sollten zum Reparaturbetrieb der Verwaltung werden.
Auch bei der Ausgestaltung der Zulassungsberufung und des Beschwerdeverfahrens haben wir noch einige Verbesserungs- und Streichungsvorschläge aufgegriffen. Ich denke dabei an die Berufungsbeschränkung bei einzelrichterlichen Gerichtsbescheiden, welche unverhältnismäßig erschien, oder den eher kontraproduktiv wirkenden Beschwerdeausschluß im vorläufigen Rechtsschutz.
Insgesamt haben sich hier jedenfalls - darauf kann man ja auch einmal dankend hinweisen - die Beratung im Rechtsausschuß, die Sachverständigenanhörung und die Kritik des Bundesrates sehr konstruktiv und verbessernd ausgewirkt.
Wie angesichts dieses Sachverhaltes behauptet werden kann, es sei nicht genügend beraten worden, ist mir schlechterdings unverständlich.
Meine Damen und Herren, der Entwurf zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und der Entwurf eines Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetzes sind ein deutlicher Beleg für den Willen der Bundesregierung, mit konkreter Entschlakkungspolitik der Neigung zu Investitionen und zur Schaffung von Arbeitsplätzen Hindernisse aus dem Weg zu räumen.
Bundesminister Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Diesen Weg wird die Bundesregierung fortsetzen.
Wirksame Verbesserungen der Verfahrensabläufe bedürfen selbstverständlich nicht allein der Änderung im Recht, sondern ebenso einer Reform der Behördenorganisation; das muß hinzutreten. Aufbau, Ausstattung und Abläufe müssen gestrafft und verbessert werden. Daß die Bundesregierung hierzu bereits die Dienstrechtsreform eingeleitet und eine umfangreiche Straffung der Verwaltungseinheiten sowie ihres Personalbesatzes bewerkstelligt hat, habe ich schon erwähnt.
Aber einen Aspekt möchte ich bei Gelegenheit dieser Debatte noch einmal - wenn auch in der gebotenen Kürze - aufgreifen, weil ich ihn eigentlich für einen - ich bin vorsichtig und sage nicht: den - Kern des ganzen Bemühens halte: Dies ist die Reform des Haushaltsrechts. Die geltende Kameralistik ist mit dem Jährlichkeitsprinzip sowie der strikten Trennung von Haushaltstiteln und Einnahmen- und Ausgabenseite vielfach zu starr. Sparsames Wirtschaften wird nicht belohnt, sondern in der Regel dadurch bestraft, daß Stellenabzug und Etatkürzungen drohen, wenn Haushaltsmittel und Personaleinsatz im laufenden Haushaltsjahr nicht ausgeschöpft wurden.
Als Instrument für Flexibilisierung kommen insbesondere die weitere, umfänglichere Gewährung von Selbstbewirtschaftungsmitteln über das laufende Haushaltsjahr hinaus, die Erweiterung der gegenseitigen Deckungsfähigkeit von Haushaltstiteln und Eigenverantwortung insbesondere durch Auflockerung bei der Trennung von Einnahmen- und Ausgabenseite in Betracht. Hier muß und wird - das lege ich insbesondere auch dem unabhängigen Sachverständigenrat „Schlanker Staat" ans Herz - die Bundesregierung noch weiter vorankommen.
Meine Damen und Herren, es gilt insoweit für die Verwaltung, von den flexiblen Instrumenten der Wirtschaft zu lernen. Auch hier ist Lean management gefragt. Diese Regierungskoalition wird zudem durch eine ständige, kritische Überprüfung des Bestandes öffentlicher Aufgaben und der daran hängenden Aufwände den Staat weiter zu effektivieren suchen.
Die so durch Deregulierung und Entbürokratisierung eingesparten Mittel können an die Bürger und Unternehmen weiter- bzw. zurückgegeben werden,
um - auch dazu rufe ich die Kolleginnen und Kollegen in der Opposition gleichermaßen auf - so den Wirtschaftsstandort Deutschland auch an der Schwelle zum dritten Jahrtausend als attraktiven Platz für Investitionen zu erhalten oder wieder dazu zu machen.
Vielen Dank.
In der Debatte ergreift jetzt der Kollege Dietmar Schütz das Wort.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute in abschließender Lesung Gesetzesvorlagen, von deren Qualität niemand ehrlich überzeugt sein kann, der die Debatte in den letzten Wochen verfolgt hat.
Ich habe selten eine Anhörung zu Gesetzesvorhaben erlebt, die eine so eindeutige Ablehnung zum Kern der Gesetzgebungsmaterie ergab, wie die zu diesen Beschleunigungsgesetzen. Außer einigen Wirtschaftsvertretern haben alle Wissenschaftler und Praktiker - auch die von den Koalitionsparteien benannten - vor einer übereilten neuerlichen Regelungsflut nach der ersten Beschleunigungsnovelle gewarnt. Das sollten Sie sich hinter die Ohren schreiben.
Gleichwohl hetzen Sie uns nun wieder überhastet durch ein Regelungsgeflecht und fügen den vorhandenen Gesetzen weitere Verkomplizierungen hinzu, anstatt innezuhalten und in Absprache mit uns, der Opposition, und auch den Ländern diejenigen Regelungsteile herauszuarbeiten, die seriös sind und tatsächlich eine schnelle Verfahrensbewältigung garantieren, ohne die Bürgerbeteiligung und Umweltstandards zu senken.
Meine Damen und Herren, ich habe gesagt, daß Sie das Gesetzgebungsvorhaben übereilt durchziehen. Lassen Sie mich aber noch etwas zur Geschäftsordnungsdebatte sagen. Wir haben vorhin mit den Grünen nicht mitgestimmt, weil wir sonst vor der Situation gestanden hätten, in den Ausschüssen überhaupt nicht zu beraten. Wir haben uns in den Obleutegesprächen damit einverstanden erklärt. Man sollte die Ausschußberatung und die Befristung deutlich von der Gesetzgebungshetze trennen, die Sie hier betreiben. Ich halte es nicht für seriös, daß Sie uns deswegen vorführen wollen und Herrn Struck anmachen.
Die Politik der Bundesregierung setzt nach wie vor auf eine eher symbolhafte Politik, die lediglich den Signalmast der Beschleunigung bedient und auf einen Beschleunigungsaktionismus zielt, ohne daß im Kern die Verfahrenseffizienz gewonnen hätte. Es besteht deshalb keine Not, diese Gesetze derart übers Knie zu brechen, weil wir durchaus in einigen zentralen Bereichen mit Ihnen zusammen an einem effektiven Genehmigungsverfahren arbeiten wollen; denn wir sind der Meinung, daß die Effizienzsteigerung bei den Genehmigungsverfahren durchaus mit der Wahrung der Bürgerbeteiligung und der Rechte Dritter und auch mit der Sicherung der Umweltstandards vereinbar ist.
Dietmar Schütz
Ich will für mich und meine Fraktion feststellen: Wir sind nicht die Bremser bei der Beschleunigung, sondern wir sind die Garanten der Bürgerbeteiligung, der Umweltstandards und der Rechtssicherheit. Darauf legen wir Wert.
Worin stimmen wir mit Ihnen überein, und welche Verfahrensphilosophie trennt uns? Das Bundeswirtschaftsministerium hat eine Broschüre mit dem Titel „Standort Deutschland" herausgegeben, in der es dem Standortfaktor Genehmigungsverfahren ein besonderes Kapitel widmet. Darin steht ein Kurzaufsatz von Konrad Reiss zu einem neuen Managementansatz bei Genehmigungsverfahren, dessen Inhalt ich teile. Seine Kernaussage lautet: Der Beamte soll als Verfahrensmanager pro-aktiv die Verfahren vorantreiben und die Koordination von Bearbeitung und Genehmigung vornehmen - ich füge hinzu: auch von Widerspruch und Gegenvorstellungen von Bürgerinitiativen -, um so zu einer klaren Ablaufstruktur der Genehmigungsverfahren zu kommen.
Meine Damen und Herren, Sie haben dies im Verwaltungsverfahrensgesetz umgesetzt; das ist größtenteils vernünftig und richtig. Wir müssen in den Köpfen der handelnden Personen, vor allem in den Genehmigungsbehörden und bei deren Chefs, ein richtiges Denken bewirken.
Wir dürfen nicht den reaktiven, auf reine Fehlervermeidung gepolten Beamten mit der Genehmigung betrauen, sondern wir müssen denjenigen damit betrauen, der sowohl das Ansiedlungsinteresse des Unternehmens als auch das Interesse des Bürgers an Sicherheit und Umweltschutz im Kopf hat und danach handelt.
Die Beschleunigung der bisherigen Verfahren liegt zum größten Teil darin begründet, daß in den Behörden bereits ein solches Umdenken begonnen hat. Dieses fortzusetzen und auszubauen ist das Gebot der Stunde.
Die Verfahrensschritte, die Sie dafür vorschlagen, sind zum großen Teil richtig. Ich denke hier an Sternverfahren, Antragskonferenz usw. Gleichwohl würde ich sie nicht für jeden Fall zwingend vorschreiben, sondern es in das Ermessen der Behörde stellen. Nicht für jedes kleine Verfahren sollte man den ganz großen Apparat anschmeißen und in jedem Fall Antragskonferenzen, Sternverfahren etc. durchführen. Damit würden Sie über das Ziel hinausschießen. Wir schlagen daher vor, daß Sie in Übereinstimmung mit den Ländern eine Kann-Bestimmung einführen. Das haben Sie jedoch leider nicht getan.
Ich meine auch, daß die rigide abwehrende Haltung der Länder in dieser Frage, was die verfahrensrechtliche Fixierung dieser Management- und Beratungsfunktion im Gesetz angeht, zu vorsichtig ist. Die Länder befürchten offensichtlich Amtshaftung und Regreßansprüche, wenn sie falsch beraten oder fehlgeleitet koordinieren. Die Koordinierungs-, Beratungs- und Prozeßmanagementfunktion der Genehmigungsbehörden muß indes eher umfangreich wahrgenommen werden; sie darf nicht ausgebremst werden. Die Praxis der Länder ist auch anders. Die bereits erzielten Erfolge auf diesem Gebiet sollten nicht aufs Spiel gesetzt werden, nur weil eine verbindliche Normierung bisher gefehlt hat.
Festzuhalten ist also: Es ist richtig und erfolgversprechend, das Verfahrensmanagement im Genehmigungsverfahren zu verankern. Darin folgen wir Ihnen.
Worin ich Ihnen jedoch überhaupt nicht folgen kann, ist, daß Ihr entscheidender Beschleunigungsansatz darin liegt, ausnahmslos - ich wiederhole: ausnahmslos - die Rechte des Antragstellers einseitig auszubauen und zu stärken und dies notwendigerweise gegen die Rechte der sonstigen verfahrensbeteiligten Dritten zu wenden. Bei einem solchen Nullsummenspiel zu Lasten der Bürger und der Umwelt können wir nicht mitmachen.
Wie ein roter Faden zieht sich durch die Gesetzesformulierung die Möglichkeit des Antragstellers, seine Rechte nach seinem Gusto zu gestalten, um quasi eine Genehmigung à la carte zu bekommen, so zum Beispiel eine Genehmigung mit Einverständnis des Antragstellers oder eine Genehmigung mit dem Vorbehalt nachträglicher Auflagenerteilung oder auf Antrag den vorzeitigen Beginn zuzulassen oder auf Antrag eine Klage ohne Vorverfahren durchzuführen.
Diese einseitige Verfahrensgestaltung „auf Antrag" zeigt, daß es eine teilweise Verfahrensherrschaft bei dem Antragsteller geben soll und daß der Drittbeteiligte dabei umgangen oder ausgehebelt wird.
Möglicherweise liegt das Problem auch bei mir: Vielleicht denke ich zu stark in Regeln der Gleichheit und der Fairneß im Verfahren, die durch die Amtsmaxime gewährt werden sollten. Diese Grundsätze sind in der Novelle überhaupt nicht mehr enthalten.
Die Beratung im Umweltausschuß gestern morgen zum Wegfall des Vorverfahrens hat gezeigt, daß - Frau Homburger wurde vorhin schon darauf hingewiesen - das Beckenbauer-Prinzip eingeführt wird. Ganz offensichtlich nicht völlig überzeugt von den Schritten ins Neuland, haben Sie gesagt: Schaun mer mal, was herauskommt.
- Ja, Kaiserin Beckenbauer.
Ich sage in Übereinstimmung mit allen Professoren und Praktikern, die wir gehört haben, daß ein Aufgeben des Vorverfahrens kontraproduktiv zu den Bemühungen ist, schnellere Verfahrensergebnisse zu erzielen. Gerade im Vorverfahren kann die Behörde noch eine Klärung der Standpunkte zwischen Antragstellern, einsprechenden Bürgerinitiativen oder Drittbetroffenen und eigenen Positionen erreichen. Wenn den Behörden dieses Instrument nach Wahl des Antragstellers aus der Hand genommen wird,
Dietmar Schütz
trägt dies in der Regel nicht zur schnelleren Befriedung im Verfahren bei.
Wer schnell auch mit den Drittbetroffenen eine Regelung herbeiführen will, wird dieses Instrument erhalten müssen; denn es ist - wie alle Verwaltungsrechtler bestätigen - verfahrensbeschleunigend und -fördernd und nicht verfahrenshindernd. Die Regierung hört aber nicht auf die Praktiker, sondern sagt: Schaun mer mal, was da herauskommt.
Das Kernstück der Änderungsnovelle zum Bundes-Immissionsschutzgesetz ist die Ausgestaltung des Anzeigeverfahrens. Ein großer Beschleunigungseffekt liegt natürlich dann vor, wenn möglichst viele Anträge erst gar nicht in das aufwendige Genehmigungsverfahren kommen. Durch eine bloße Anzeige mit der Pflicht der Behörde, innerhalb einer Monatsfrist ein eventuell erforderliches Genehmigungsverfahren einzuleiten, erziele ich selbstverständlich einen großen Zeitgewinn.
Bei Ihrer Konstruktion ist allerdings die Abgrenzung zwischen den jeweiligen Verfahrensschritten zweifelhaft und problematisch. Es soll nur dann eine Anzeige und kein Genehmigungsverfahren geben, wenn die durch die Änderung hervorgerufenen nachteiligen Auswirkungen gering sind und durch Vorteile kompensiert werden. Ich frage mich hier: Wessen Vorteile und wessen Nachteile saldiert diese Formel? Was macht eigentlich der Bürger, der Nachteile erlebt? Erfährt er überhaupt etwas von der Anzeige? Wie wird abgegrenzt zu dem anderen Fall, daß erhebliche nachteilige Auswirkungen wegen der getroffenen Schutzmaßnahmen nicht zu befürchten sind? Dann soll es eine Genehmigung ohne Öffentlichkeitsbeteiligung geben. Was unterscheidet die Fälle voneinander? Sind sie genau voneinander abgrenzbar? So viele Fragen; so viele unklare Antworten.
Die große Ausweitung der Anzeigeverfahren geht zu Lasten der eventuell zu beteiligenden Dritten und der Öffentlichkeit. Diese erfährt immer weniger und kann deshalb eigene Rechte nicht geltend machen, weil ihr mögliche Verletzungen gar nicht erst bekannt sind.
Die Umweltverbände haben in dieser Woche deshalb zu Recht gerade auf diesen Abbau der Beteiligungsrechte der Bürger hingewiesen. Diese Verhinderung der Beteiligungsmöglichkeit liegt in der Ausgestaltung der Anzeigeverfahren begründet. Ich befürchte, daß durch die Verhinderung von Beteiligungsrechten gleichzeitig eine Gefährdung von Umweltstandards erfolgt, weil sehr wirksame Wächter über diese Standards nicht mehr informiert werden.
Schon im geltenden Recht gibt es ein ausgedehntes Anzeigeverfahren, das nicht in dieser Weise dem Vorwurf der Verkürzung der Bürgerrechte ausgesetzt ist. Wenn Sie unseren Änderungsanträgen zugestimmt hätten, hätten wir ein vernünftiges Anzeigeverfahren, das diesen Bedenken nicht ausgesetzt ist.
Die Bürgerinitiativen weisen zu Recht darauf hin, daß es eine massive Bevorzugung von Investoren
und Behörden gegenüber den Drittbeteiligten im Verfahren gäbe, also keine Verfahrensfairneß, und daß es eine Umfunktionierung der Genehmigungsbehörde zum einseitigen Dienstleister für Investoren gäbe, so daß sie ihrer Pflicht zum Interessenausgleich und zum Schutz der Bevölkerung nicht mehr nachkommen könnte.
Ich will an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen, daß mein häufig vorgetragener Vorwurf, bei Ihrem Verfahren werde der Bürger als Störfaktor betrachtet, eine richtige Beobachtung ist. Sie haben den Bürger aus diesem Verfahren herausgeschmissen. Wir sagen: Er muß wieder hereinkommen.
Nach wie vor manifestiert sich bei Ihnen ein vordemokratisches Staatsverständnis vom Verhältnis zwischen Bürger und Staat, nur mit dem Unterschied, daß die frühere offene Gewaltunterworfenheit des Bürgers durch ein subtileres, absichtsvoll geschaffenes Informationsdefizit ersetzt wird. Das führen Sie hier ein.
Ich plädiere in Richtung Bundesregierung und auch in Richtung der Unternehmen, die diese Änderungen vehement unterstützen, daß sie diese vor-demokratischen Vorstellungen aufgeben. Sie müssen sich mit der Frage auseinandersetzen, wie sie den Bürger in ein schnelles Verfahren einbeziehen und ihn nicht als Störfaktor ansehen.
Es ist durchaus machbar, die legitimen Interessen der Investoren auf schnelle Genehmigungserteilung mit demokratischen Beteiligungsstandards zu kombinieren. Die Möglichkeit des öffentlichen Diskurses über das Ob und Wie der Genehmigung muß nicht notwendigerweise zu längeren Verfahren führen. Der alte und neue Vorwurf, die Öffentlichkeitsbeteiligung würde zu Verfahrensverzögerungen führen, ist bislang empirisch noch nicht erhärtet worden. Im Gegenteil: Auf alle Verfahren bezogen werden nur in 0,5 bis 1,4 Prozent der Fälle Rechtsmittel eingelegt. Eine Reduzierung der Partizipationsrechte in den Verfahren brächte also keinen deutlichen Beschleunigungseffekt, wohl aber einen Abbau an Demokratie.
- Bei den Verfahren, um die es heute geht und die ich immer beschrieben habe, nämlich den Genehmigungsverfahren zum Bundes-Immissionsschutzgesetz.
Tatsache ist: Die Zusammenstellung der Genehmigungsunterlagen - darin sind wir uns einig, und darüber haben wir auch im Ausschuß noch diskutiert - dauert manchmal länger als das Genehmigungsverfahren selbst.
Das liegt vor allem daran, daß unser Umweltrecht
mehr und mehr ausufert, vielfach zersplittert ist und
Dietmar Schütz
für alle Beteiligten zunehmend unklarer wird. Das haben Sie vorhin auch gesagt.
Die Bundesregierung trägt an dieser Entwicklung Mitschuld, wie auch unser heutiger Debattengegenstand beispielhaft illustriert.
Kurz nach Verabschiedung der ersten Beschleunigungsgesetze und ohne auf die konkreten Erfahrungen mit diesen zu achten haben Sie die zweite Beschleunigungsnovelle aufgelegt. Sie hätten statt dessen am Umweltgesetzbuch und am Naturschutzgesetz beschleunigt arbeiten sollen,
um hier ein Verfahren aus einem Guß vorzulegen.
Ich möchte noch einmal ganz ausdrücklich meine Sympathie für Professor Sendler erklären, der dem Gesetzgeber ein Sabbatjahr im Umweltrecht empfohlen hat. Dieses Sabbatjahr hätten Sie für das Umweltgesetzbuch nutzen sollen.
Neben dem besseren Verfahrensmanagement, auf das ich bereits hingewiesen habe, wäre für eine weitere Beschleunigung der Genehmigungsverfahren die Formulierung von konkreten Beurteilungskriterien sinnvoll gewesen, statt eine Ausweitung unbestimmter Rechtsbegriffe vorzunehmen. Ich hätte es begrüßt, wenn wir hier zu einer Fixierung von dynamischen Grenzwerten in untergesetzlichen Regelwerken und zu Vereinfachungen und Vereinheitlichungen der Fachgesetze im Planungs-, Umwelt-, Bau-, Wasser- und Bodenrecht gekommen wären.
Um dies zu erreichen und damit die schnelle Umsetzung der Genehmigungen für Investoren zu ermöglichen - die wir wollen -, muß das in Vorbereitung befindliche Umweltgesetzbuch schnellstens vorgelegt werden. Das, was Sie hier vorgelegt haben, verdient nicht unsere Zustimmung; wir werden das vorgelegte Stückwerk ablehnen.
Danke sehr.
Es spricht jetzt Kollege Dr. Peter Paziorek.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Schütz, Sie haben gerade in großer Offenheit zugegeben, daß Ihnen einiges unklar geblieben sei. Ich habe den Eindruck, Ihnen ist bei der Novellierung des BundesImmissionsschutzgesetzes deshalb einiges unklar geblieben, weil Sie sich in den letzten Wochen bei den Beratungen einfach geweigert haben, die Veränderungen, Erläuterungen und Klarstellungen, die wir Ihnen in den letzten Sitzungen vorgelegt haben, überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Ihre ganze Rede
basiert auf dem Kenntnisstand der Anhörung vor einigen Wochen.
Das, was nach der Anhörung in diesen Regierungsentwurf neu eingebaut worden ist, haben Sie heute und hier unter den Tisch fallen lassen.
Der Grund dafür ist klar: weil Sie sich sonst, wenn Sie diese Veränderungen, die wir auf Grund der Anhörung eingebaut haben, heute hier vorgetragen hätten, den Großteil Ihrer Rede hätten sparen können.
Und das, Herr Schütz, ist aus meiner Sicht keine verantwortungsbewußte Haltung.
Deshalb möchte ich nun noch einmal die wesentlichen Punkte vorstellen, die wir als Kernpunkte für die Novellierung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes ansehen.
Erstens. Bei Neuanlagen und wesentlichen Änderungen kann nunmehr bei einem berechtigten Interesse des Antragstellers mit der Errichtung und dem Probebetrieb vorzeitig, also vor der Erteilung der Genehmigung, begonnen werden, wenn - lieber Herr Häfner, jetzt hören Sie einmal zu! - die Antragsteller sich gleichzeitig verpflichten, bei Ablehnung der Genehmigung den früheren Zustand wiederherzustellen. - So steht es im Gesetzentwurf, § 8 a des BundesImmissionsschutzgesetzes.
Wie kommen Sie denn dazu, in Ihrer heutigen Rede zu behaupten, die können einfach bauen, wie kommen Sie dazu, zu sagen: Wenn nachher die Genehmigung so nicht erteilt wird, dann sagt der Antragsteller „Aber ich habe jetzt so gebaut. Ätsch, liebe Genehmigungsbehörde, du schaust ins Leere"? Sie haben überhaupt nicht in den Gesetzentwurf geschaut
und wollen nur Stimmung machen, um hier aus Ihrer Grundposition heraus die ganz wichtige Novellierung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zu verhindern. Wenn Sie das wollen, dann tun Sie es bitte mit zutreffenden Argumenten und nicht unter Verleugnung des tatsächlichen Gesetzestextes.
Zweitens. Dem Anlagenbetreiber soll es natürlich möglich sein, im Genehmigungsverfahren den Nachweis bestimmter Genehmigungsvoraussetzungen bis zur Inbetriebnahme der Anlage aufzuschieben.
Drittens. Die Genehmigungsvorschriften sollen in der Tat, so wie es der Kollege Schütz gesagt hat, umgestellt werden, so daß das Anzeigeverfahren, das wir in dieser Art im deutschen Immissionsschutzrecht nicht kennen, wesentlich ausgeweitet und gestärkt wird, aber, meine Damen und Herren, liebe Kollegin-
Dr. Peter Paziorek
nen und Kollegen, nur in der Form - das ist sowohl von Herrn Häfner als auch von Herrn Schütz völlig unterschlagen worden -
Herr Paziorek, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Köhne?
- wenn ich diesen sehr wichtigen Satz beendet habe, gerne -, daß die Genehmigungsbehörde das Anzeigeverfahren jederzeit stoppen kann und die Möglichkeit hat, innerhalb einer Prüfungsfrist von vier Wochen die Bekanntgabe im Anzeigeverfahren zurückzustellen und zu verlangen, daß das Genehmigungsverfahren durchgeführt wird.
Mit anderen Worten: Auch beim Anzeigeverfahren bleibt die Genehmigungsbehörde immer Herr des Verfahrens. Die Behauptung, daß der Antragsteller selbst entscheiden kann, ob es nun zu einem Anzeige- oder Genehmigungsverfahren kommt, ist völlig falsch. Das ist mit unserer Formulierung des Gesetzestextes überhaupt nicht zu vereinbaren.
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Köhne.
Herr Paziorek, ich habe zur ersten Passage Ihrer Rede, also zu dem Disput mit den Kollegen Schütz und Häfner, eine Frage.
Nehmen wir ein Beispiel: Eine Fabrik ist gebaut worden, und es stellt sich heraus, daß sie so nicht genehmigt werden kann. Können Sie sich vorstellen, daß es in der Realität tatsächlich passieren wird, daß diese dann abgerissen wird? Wird es nicht vielmehr so sein, daß gerade auf Grund des Investitionsdrucks und auf Grund des vom Argument der Schaffung von Arbeitsplätzen ausgehenden Drucks hingenommen wird, daß an dieser so gebauten Fabrik dann nichts mehr geändert wird?
Nein, das kann ich mir nicht vorstellen, Herr Köhne. Sie können die Frage nur gestellt haben, weil Sie das Verantwortungsbewußtsein der deutschen Beamten in den Genehmigungsbehörden nicht kennen und es daher auch nicht beurteilen können.
Meine Damen und Herren, ich glaube, wenn man sich diese Punkte vor Augen führt, muß man zu dem Ergebnis kommen: Die Angriffe der Opposition gegen diesen Koalitionsentwurf sind völlig überzogen und nicht sachgerecht. Ich sage ganz deutlich: Die Opposition ist bei ihrem Erkenntnisstand des Jahres 1993 stehengeblieben. Sie haben hier nämlich Argumente vorgetragen, die wir in der gleichen Form schon 1993 von Ihnen gehört haben, als es darum ging, das Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz zu verabschieden. Damals haben Sie ebenfalls gesagt, das sei eine Verkürzung von Bürgerrechten, das bedeute im Grunde genommen, daß unpraktikable Vorschriften eingeführt würden.
Heute sagen uns viele Praktiker vor Ort: Wir können mit diesem Gesetz leben. Wir können mit diesem Gesetz sogar positiv arbeiten. - Deshalb habe ich die große Bitte: Akzeptieren Sie doch bitte die Erfahrung, die wir mit diesem Gesetz gemacht haben! Nehmen Sie diese Grundhaltung auch zum Anlaß, jetzt für eine weitere Novellierung der Beschleunigung im Verfahrensbereich zu stimmen! Das, was uns 1993 gelungen ist, wird in einem solch positiven Sinne, wie Sie, Frau Homburger, es im Ausschuß gemeint haben, sicherlich auch 1996 gelingen.
Herr Paziorek, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Schütz?
Gerne.
Herr Kollege Paziorek, Sie haben recht, wenn Sie sagen, daß wir schon vor drei Jahren ein bestimmtes Thema immer wieder angesprochen haben. - Sie reden im Rahmen dieses Verfahrens immer nur von dem Verhältnis des Antragstellers zur Behörde. Sie verkennen aber, daß es in unserem Rechtssystem noch immer einen sogenannten Drittschutz gibt. Wie erfährt dieser Dritte überhaupt von diesen Dingen? Wie ist er in das Verfahren eingebunden? Dazu äußern Sie sich eigentlich nie. Das ist der Kern der Auseinandersetzung, um den es hier geht.
Herr Schütz, Sie geben mir damit die Möglichkeit, Zeit zu gewinnen, indem ich jetzt einen Teil meiner Rede als Antwort auf Ihre Frage vortrage.
Ich habe Ihnen schon gestern im Ausschuß gesagt, daß der größte Teil der Genehmigungsverfahren bereits nach jetzigem Recht ohne Beteiligung der Öffentlichkeit durchgeführt wird.
Das ist geltendes Recht. Die Behauptung, daß jetzt mit der Einführung des Anzeigeverfahrens eine Verkürzung von Beteiligungsrechten einhergeht, ist nicht richtig. Es ändert sich nur das Rechtsverhältnis zwischen Antragsteller und Genehmigungsbehörde. Der Antragsteller bekommt ein besonderes Verfahren, das dazu führt, daß über seinen Antrag von der Genehmigungsbehörde viel schneller entschieden werden kann.
Deshalb, Herr Schütz, habe ich überhaupt kein Verständnis dafür, daß Sie immer noch so tun, als ob es darum gehe, das jetzige Genehmigungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung in das Anzeigeverfahren zu überführen. Es geht vielmehr darum, die Genehmigungsverfahren ohne Öffentlichkeitsbeteili-
Dr. Peter Paziorek
gung in Anzeigeverfahren zu überführen. Es handelt sich hier also keineswegs um eine Verkürzung der Beteiligungsrechte.
Meine Damen und Herren, schauen wir uns doch die Praxis an: Der jetzige § 15 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes fordert für wesentliche Änderungen die Durchführung eines Genehmigungsverfahrens nach den Vorschriften, die auch für die Neuerrichtung der zu ändernden Anlagen gelten. Das bedeutet in der Praxis - das muß man sich einmal vor Augen führen -, daß die Ersetzung einer genehmigungsbedürftigen alten Druckmaschine durch eine neue, weniger umweltbelastende Anlage desselben Anlagentyps, die in derselben Halle aufgestellt werden soll, änderungsgenehmigungspflichtig sein wird. Es kann sogar sein, daß die bloße Veränderung der Lage einer solchen Anlage, zum Beispiel aus betriebsorganisatorischen Gründen, um die Betriebswege der Mitarbeiter zu verkürzen, die Genehmigungspflicht auslöst.
- Wenn das unproblematisch ist, dann frage ich Sie: Warum kann das nicht ins Anzeigeverfahren überführt werden?
Warum muß das über das Genehmigungsverfahren laufen?
Jetzt frage ich Sie, ob Sie eine weitere Zwischenfrage, diesmal des Kollegen Häfner, gestatten.
Gern, ja.
Lieber Herr Kollege Paziorek, Sie haben mich eben der Unkenntnis der Gesetzentwürfe geziehen, indem Sie eine Passage zitiert haben, die ich angeblich unterschlagen habe. Ich habe zur Sicherheit alles noch einmal nachgelesen, obwohl es mich gewundert hätte, wenn ich etwas übersehen hätte; denn ich habe lange genug mitberaten, um den Entwurf zu kennen. Bei dem Verfahren, das hier gewählt worden ist, kann man aber nicht ausschließen, daß über Nacht noch etwas in den Gesetzentwurf aufgenommen worden ist, was ich vielleicht nicht kannte.
Jetzt frage ich Sie aber doch, Herr Paziorek: Ist Ihnen nicht bekannt, daß bei der Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung - dies war mein Thema - der Wegfall der aufschiebenden Wirkung ohne die von Ihnen zitierte Passage im Gesetz verankert worden ist, das heißt ohne die Passage, daß das nur dann der Fall ist, wenn sich der Betreiber verpflichtet, den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen? Was Sie zitieren, stammt aus einer ganz anderen Vorlage. Das heißt, der Gesetzgeber hat sich in der Abwägung zwischen Vollzugsinteresse einerseits und Rechtsschutzinteresse des Bürgers andererseits auf die
Seite des Vollzugsinteresses gestellt und damit das Rechtsschutzinteresse ins Leere laufen lassen.
Erst einmal schönen Dank dafür, Herr Häfner - das sage ich in dieser Runde einmal ganz persönlich -, daß Sie meinen Nachnamen korrekt ausgesprochen haben. Ich bin Ihnen sehr dankbar dafür.
Zweitens muß ich Ihnen recht geben, daß das nicht im Verwaltungsverfahrensgesetz steht. Der große Kernbereich der Diskussion ist aber eine Frage des Baus von Anlagen und eine Frage von Investitionen. Und dafür gilt nicht die Bestimmung, die Sie zitiert haben, sondern als Lex specialis § 8 a des Bundes-Immissionsschutzgesetzes. Die Entscheidung zu dieser wichtigen Kernfrage, die auch von Umweltschutzverbänden angesprochen wird, erfolgt im Rahmen des § 8 a und nicht im Rahmen der Bestimmung, die Sie genannt haben. Ich bin der Ansicht, daß wir mit all den Problemen sehr sorgfältig umgegangen sind und die juristische Gewährleistung dafür auch wirklich sicher gemacht haben, daß nämlich dann, wenn eine Genehmigung nicht erteilt wird, der Antragsteller dafür sorgen muß, daß der frühere Zustand wiederhergestellt wird.
Vielen Dank, Herr Paziorek.
Danke schön, Frau Präsidentin.
Ich hatte vorhin dargelegt, daß das verwaltungsrechtliche Instrumentarium im Bundes-Immissionsschutzgesetz nur sehr eingeschränkt als flexibel bezeichnet werden kann. Wir haben im Immissionsschutzrecht ein riesiges Problem: Das sind die Schnittstellen zwischen der Genehmigungsfreiheit und der Genehmigungspflicht, insbesondere bei Änderungsvorhaben.
Und wir haben große Probleme gerade vor dem Hintergrund der strafrechtlichen Absicherung durch § 327 des Strafgesetzbuchs. Das führt dazu, daß sich die Mitarbeiter in den Genehmigungsbehörden immer wieder auf die sichere Seite stellen und sich manchmal nicht für die Genehmigungsfreiheit aussprechen, sondern für Genehmigung plädieren, was vielleicht gar nicht notwendig ist. Diesen Kernbereich müssen wir mit der jetzigen Novellierung einer Klärung zuführen.
Deshalb sage ich ganz deutlich: Änderungen, die nachteilige, negative Wirkungen auf die Umwelt haben können, bedürfen auch weiterhin - das heißt: auch nach dieser Novelle - der Genehmigung. Eine Genehmigung ist nur dann nicht erforderlich, wenn über den Rahmen der vorhandenen Genehmigung hinaus durch die Änderung hervorgerufene nachteilige Auswirkungen gering sind bzw. im Verhältnis dazu jeweils vergleichbare Vorteile überwiegen. Än-
Dr. Peter Paziorek
derungen, die Auswirkungen auf die Umwelt haben, sind vor Beginn anzuzeigen, und die Behörde prüft dann, ob diese Änderungen im Anzeigeverfahren verbleiben können oder ob sie entgegen der Annahme des Antragstellers doch genehmigungsbedürftig sind. Hierfür hat die Behörde eine Überprüfungsfrist von vier Wochen.
Wenn ich dieses Anzeigeverfahren einmal beurteile, dann kann ich durchaus zu Recht feststellen: Wir wollen als Koalitionsfraktionen die Erleichterung im Verfahren, aber wir wollen die Beibehaltung der materiellen Standards. Weil das eben so ist, haben wir das Anzeigeverfahren so ausgestaltet, daß die Umweltschutzpolitik nicht auf der Strecke bleibt. Wer behauptet, bei einem solchen Verfahren bleibe die Umweltschutzpolitik auf der Strecke, der liegt völlig daneben und betreibt aus unserer Sicht parteipolitische Polemik.
Mit diesem Beschleunigungsgesetz kann der Deutsche Bundestag einen wichtigen Teilbeitrag zur Sicherung des Wirtschaftstandortes Deutschland leisten und gleichzeitig das hohe Umweltschutzniveau bewahren.
Was uns aber nicht hilft, Herr Schily, ist die Verschiebung der Neuorganisation des Genehmigungsverfahrens auf einen späteren Zeitpunkt, so wie Sie und auch der Kollege Schütz es vorgeschlagen haben. Das Warten auf das Umweltgesetzbuch, wie es auch seitens einiger Experten vorgeschlagen wurde, hilft doch jetzt, in 1996, und in 1997 nicht, die benötigten Verbesserungen der Rahmenbedingungen für den Standort Deutschland zu schaffen. Was nützt mir ein Umweltgesetzbuch, das im Jahre 2002 einen Sprung nach vorne bringt, wenn wir die Zeit von 1997 bis 2002 vertan haben?
Ich frage heute die Opposition ganz bewußt: Wollen Sie wirklich mit einer solchen Verzögerungstaktik die Verbesserung rechtlicher Rahmenbedingungen für den Wirtschaftsstandort Deutschland vor dem Hintergrund des globalen Wettbewerbs verweigern oder verhindern?
- Die Antwort ist vorher leider von Ihren Rednern gegeben worden.
Ich gestehe zu, daß gerade auch für Sie als Zwischenrufer viele Vorschläge schwer zu verstehen sind; denn viele Vorschläge sind neuartig. Sie verlassen eingefahrene Gleise und Bahnen. Sie sind deshalb teilweise nicht nur von Kolleginnen und Kollegen aus der SPD-Fraktion schwierig nachzuvollziehen, sondern auch von Sachverständigen aus der Verwaltung, Wissenschaft und Wirtschaft, und werden deshalb teilweise noch unterschiedlich eingeschätzt. Aber ich sage Ihnen noch einmal: Auf Grund der Erfahrungen, die wir im Bundestag vor gut drei Jahren bei einem Gesetzesvorhaben wie dem Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz gemacht haben, bin ich mir sicher, daß unsere Vorstellungen schon in den nächsten Monaten in der Praxis positive Auswirkungen haben werden. Haben wir doch endlich den Mut, diese Veränderungen durchzusetzen! Wir als Regierungskoalition haben den Mut.
Das Wort hat jetzt die Ministerin für Umwelt, Naturschutz und Raumordnung des Landes Sachsen-Anhalt, Frau Heidrun Heidecke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Nach dieser „eindrucksvollen" Rede des Kollegen - -
- Ich habe „in Anführungsstrichen" gesagt. - Diejenigen, die im Osten derzeitig mit Genehmigungsverfahren zu tun haben, beurteilen die Lage etwas anders. Dieses Gesetzespaket wird nicht zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts Deutschlands führen. Vielmehr ist eindeutig abzusehen, daß es im Falle einer Verabschiedung dieses Gesetzespakets wegen zu erwartender Wettbewerbsverzerrung, ausgesprochener Sonderrechte für einzelne und fehlender Rechtssicherheit für Investoren zu einer Schieflage kommen wird.
Ebensowenig kommt diese Novelle einer effektiven und bürgernahen Verwaltung entgegen. Vielmehr werden deren Kompetenzen noch weiter eingeschränkt.
Unstrittig ist zwar, daß die bisher erlassenen Beschleunigungsgesetze zur Vereinfachung geführt haben. Aber die andere Seite ist die, daß die Lage recht unübersichtlich geworden ist, was den gewünschten Effekt der Beschleunigung eher konterkariert hat.
Meine grundlegende Kritik an dem Gesetzespaket richtet sich gegen die über alle Maßen überzogene Darstellung des vermeintlichen Nutzens dieser Rechtsänderung. Es wird unterstellt, sie führe wirklich zu einer Beschleunigung. Wenn die Bundesregierung den Wirtschaftsstandort Deutschland sichern will, dann müßte die Dauer von Genehmigungsverfahren ein entscheidender Standortfaktor sein. Aber bei der Entscheidung über einen Standort zählen eher Arbeitsproduktivität, Arbeitskosten, soziales Klima und gesunde Umwelt. Das, meine Herren der Koalition, können Sie bei den Sachverständigen, die
Ministerin Heidrun Heidecke
I Sie gehört haben, selbst nachlesen, zum Beispiel bei Herrn Professor Steinberg von der Universität Bielefeld oder bei Frau Professor Lübbe-Wolf von der Universität Frankfurt. Solange nur auf die Dauer von Genehmigungsverfahren als Kriterium für Standortentscheidungen rekurriert wird, bleibt die Analyse unvollständig und kann nur zu einem falschen und verzerrten Bild führen.
Seit dem Jahre 1993 dauert die „Beschleunigungsdiskussion" nun schon an, und trotz aller gegenteiligen Beteuerungen ist sie ein Vorwand für eine Reduzierung der Umweltanforderungen und der Bürgerbeteiligung. Mehr noch: Das gesamte ordnungsrechtliche System des Umweltrechtes soll schrittweise abgebügelt werden. Das ist doch wohl eine zentrale Fragestellung!
Ich betone: Gerade die in Deutschland geltenden Umweltstandards sind ein positiver Standortfaktor für Deutschland. Es wird Zeit, daß sich die Bundesregierung dazu bekennt. Wenn aber die Umweltstandards, die im alten Bundesgebiet über Jahrzehnte demokratisch errungen worden sind, unter dem Vorwand des Aufschwungs im Osten ausgehebelt werden sollen, dann kann das nicht im Sinne des „Erfinders" sein.
Meine Damen und Herren, selbst die SchlichterKommission ist zu der Ansicht gelangt, daß es auf die tatsächliche Dauer der Genehmigungsverfahren gar nicht ankommt, sondern auf den Eindruck in der Öffentlichkeit.
Wenn die Bundesregierung konsequent gewesen wäre, hätte sie statt Gesetzesänderungen eine Imagekampagne für den Standort Deutschland und für unser Genehmigungsverfahren durchgeführt.
Die Vorschläge der Schlichter- und der LudewigKommission, die ursprünglich in die Novelle einfließen sollten, hatten allerhand allgemeine Abhandlungen, Leitlinien und dergleichen im Sinn - ein kompliziertes theoretisches Modell, das deutscher Gründlichkeit alle Ehre gemacht hat, angefangen von Regelbeschleunigung über Sonderbeschleunigung nach Wahl bis hin zur Angebotsbeschleunigung und zur Auswahlbeschleunigung.
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Am Ende der Rede.
Am Ende der Rede.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das geht bei Ihnen nicht? - Dann nicht, denn ich möchte meine Redezeit nutzen.
- Gut, meine Herren, dann lasse ich die Zwischenfrage zu. Bei uns wird das auf die Redezeit angerechnet.
Nein, hier nicht. - Bitte, Herr Hinsken.
Frau Minister, Sie haben sich darauf bezogen, daß Sie Erkenntnisse hätten, daß die Genehmigungszeiträume bei der Findung einer Standortentscheidung keine Rolle spielten.
Wie bewerten Sie dann, daß führende Leute der deutschen Wirtschaft immer wieder sagen, daß es eines der größten Hemmnisse sei, daß die Genehmigungsverfahren viel zu lange dauerten, nämlich in der Bundesrepublik Deutschland bei Großverfahren zwischen 14 und 16 Monaten, während sie zum Beispiel in Spanien nur 5 Monate und in Belgien nur 6 beziehungsweise 7 Monate dauern? Das ist doch ein klassischer Wettbewerbsnachteil für die deutsche Wirtschaft, den wir beseitigen wollen, und Sie behaupten hier das Gegenteil.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bedanke mich ganz herzlich für diese Frage. Da die Zeit für ihre Beantwortung auf die Redezeit nicht angerechnet wird, geben Sie mir Gelegenheit, den Teil der Rede, den ich auf Grund der fehlenden Zeit fast hätte streichen müssen, jetzt auszuführen.
Ich antworte Ihnen darauf gern, weil ich sehr überrascht bin, wenn die Bundesregierung in ihrem Bericht zur Zukunftssicherung des Standortes Deutschland messerscharf schließt, daß die Dauer der Genehmigungsverfahren gegenüber anderen Faktoren einen geringen Stellenwert aufweise. Auch die Wirtschaft, der eigentliche Träger des nach ihr benannten Aufschwungs im Osten, teilt diese Auffassung. Ein Bericht von Infratest aus dem Jahr 1994 stellt fest, daß nur 20 Prozent der befragten Unternehmen diesem Faktor eine große Bedeutung beigemessen haben, 10 Prozent der befragten Unternehmen noch eine gewisse, dagegen immerhin 70 Prozent nur eine weniger wichtige oder gar keine Bedeutung.
Ministerin Heidrun Heidecke
Nun möchte ich Ihnen gleich noch etwas zu den Genehmigungsverfahren im Osten sagen.
- Herr Kollege, wenn 70 Prozent der befragten Investoren feststellen, daß die Dauer der Genehmigungsverfahren für sie keine oder nur eine untergeordnete Bedeutung hat, dann erübrigt sich doch eigentlich Ihre Frage.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, und zwar des Kollegen Schily?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Schily.
Frau Ministerin, wie beurteilen Sie die Tatsache, daß bei gleicher Gesetzeslage die Genehmigungsverfahren in Bayern am längsten dauern?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Schily, ich möchte mich nicht auf Bayern kaprizieren, weil es weit weg von Sachsen-Anhalt ist. Ich möchte mich aber auf Sachsen und Sachsen-Anhalt konzentrieren, weil wir unterschiedliche Konstellationen des Verwaltungsaufbaus und auch unterschiedliche parteipolitische Kulissen haben. Es ist so, daß Sachsen-Anhalt immerhin einen Spitzenplatz bei den Genehmigungsverfahren einnimmt. 34 Prozent der Genehmigungsverfahren dauern in Sachsen-Anhalt weniger als 3 Monate. - Meine Herren aus den alten Bundesländern, vielleicht hören Sie einmal zu. -
Wenn es in Sachsen-Anhalt möglich ist, mit bestehenden Genehmigungsstandards 34,2 Prozent aller BImSch-Verfahren in weniger als 3 Monaten zu gewährleisten, während das im Freistaat Sachsen bei lediglich 7 Prozent aller Verfahren der Fall ist, dann liegt das wohl nicht am Gesetz, sondern an den Leuten, die dort arbeiten, und am Aufbau der Verwaltung.
Wenn ich sehe, daß in Sachsen-Anhalt nur 4,2 Prozent der Verfahren länger als ein Jahr gedauert haben, in Sachsen dagegen 13,1 Prozent, dann kann ich sagen: Das liegt nicht an der Gesetzeslage, sondern das hängt von der Art und Weise der Genehmigungsverfahren ab, die in den Verwaltungen praktiziert wird.
Frau Ministerin, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Hinsken?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja.
Bitte, Herr Hinsken.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Antworten überlassen Sie doch bitte der Gefragten, Herr Kollege.
Frau Ministerin, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß es ein Unterschied ist, ob es ein kleines oder ein großes Verfahren ist?
Sie greifen hier aus der allgemeinen Kiste etwas heraus und relativieren das Ganze.
Sie haben gesagt, daß bei der Standortentscheidung Genehmigungsverfahren keine Rolle spielen.
Deshalb noch einmal die Frage an Sie: Teilen Sie die Presseerklärung, die jüngst ein großes Werk herausgegeben hat, das feststellt:
Das neue Werk soll ein bestehendes ersetzen, das bereits 30 Jahre alt ist. Die Produktion der Spanplatten im neuen Werk soll 1998 anlaufen. Das Bauprojekt kostet nach derzeitigem Stand 200 Millionen Mark.
Der Unternehmenssprecher sagte, nur mit dem neuen Werk könnten die 1 500 Arbeitsplätze am Standort Neumarkt gesichert werden. Ein baugleiches Werk in Frankreich,
- und jetzt kommt es -
das man gleichzeitig beantragt habe, produziere bereits seit eineinhalb Jahren.
Wir sind hier leider immer im Verzug.
Deshalb die Frage: Können Sie sich nicht doch dazu
durchringen, anzuerkennen, daß eine Planungsbe-
Ernst Hinsken
schleunigung die Grundlage dafür schaffen wird, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland dringend benötigte Arbeitsplätze in Zukunft vermehrt bekommen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, ich nehme an, das Sitzland dieses Unternehmens wird wohl Bayern sein; denn ich kann von Sachsen-Anhalt beispielsweise sagen, daß eine Flachglasfabrik, bei der es mehrere große BImSchVerfahren gab, in nur 4 Monaten entstanden ist. An einem Standort, wo Dow Chemical und Elf investieren, sind alle Genehmigungsverfahren innerhalb eines Jahres gelaufen. Hier lobe ich meine Beamten, die in meiner Behörde sitzen. Die können mit diesen Genehmigungsverfahren anscheinend besser umgehen als die Bayern.
Ich möchte zu meiner Rede zurückkommen. Ich habe mich gerade darauf bezogen, daß die Vorschläge der Schlichter- und der Ludewig-Kommission ein ganz anderes Modell umfaßt haben und daß es nicht zuletzt der Industrie im Herbst 1995 mit zu verdanken war, daß das angebotene Paket als zu weitgehend und zu kompliziert verworfen worden ist. Trotzdem ist die Novelle ohne ausreichende Analyse der tatsächlichen Dauer der Genehmigungsverfahren weiter verfolgt worden.
Meine Damen und Herren, ich möchte nur noch auf einen spezifischen Punkt in diesem Beschleunigungspaket kommen, nämlich auf Art. 4 des Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetzes. Dieser soll nämlich das Atomgesetz ändern, und zwar § 9 b Abs. 1 des Atomgesetzes. Die einzige Anlage des Bundes, die von dieser Veränderung betroffen ist, ist das Endlager für radioaktive Abfälle in Morsleben. Diese Spitzfindigkeiten im Beschleunigungsgesetz entpuppen sich bei näherer Betrachtung als eine lex Morsleben, als ein verheerender Eingriff in die Rechte von Bürgern und die Landeskompetenzen von Sachsen-Anhalt. Wenn Sie an dieser Stelle dem Gesetzentwurf zustimmen, meine Damen und Herren, dann sanktionieren Sie einen der schlimmsten politischen Anachronismen des Einigungsvertrages.
Der undemokratische und ökologisch höchst bedenkliche Charakter der sogenannten Dauerbetriebsgenehmigung des alten DDR-Atommüllendlagers wird damit weiter ausgeweitet. Für mich stellt sich die Frage: Was kommt eigentlich als nächstes? Wesentliche Änderungen in Morsleben könnten in Form von Plangenehmigungen und damit ohne Beteiligung der Öffentlichkeit und auch unter Umgehung des Umweltministeriums in Sachsen-Anhalt zugelassen werden. In Fällen von unwesentlichen Änderungen kann damit gerechnet werden, daß meine Behörde nicht einmal mehr nachträglich davon erfährt. Im Detail, meine Damen und Herren, legitimieren Sie damit das Vorgehen des Betreibers, des Bundesamtes für Strahlenschutz, der ja in der Vergangenheit über 200 Veränderungen am Endlager durchgeführt hat, ohne daß hierzu auch nur eine Genehmigung von der Planfeststellungsbehörde eingeholt worden wäre. Das betrifft insbesondere Dinge wie den Brandschutz, aber auch die Einlagerungsbedingungen, den Genehmigungsrahmen für das zulässige Einlagerungsvolumen radioaktiver Abfälle und deren zulässige Gesamtaktivität.
Überhaupt sieht sich der Betreiber des Endlagers auch bei gravierenden Veränderungen des laufenden Betriebs nicht im geringsten veranlaßt, bei seinem aktuellen Vorgehen wesentliche Änderungen zu erkennen und dem Gesetz entsprechend zu verfahren. Selbst wenn der Bund einen Einlagerungshohlraum von 1 Million Kubikmeter im Ostfeld erschließen will und damit ein zehntausendfach höheres Strahleninventar, verbunden mit einer Kapazitätserweiterung von 30 000 auf immerhin 170 000 Kubikmeter, plant, dann sind das nach Bonner Lesart Peanuts.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schulze?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wenn ich den Abschnitt zu Ende habe.
Ich möchte den Gedanken zu Ende bringen.
Gut. Geben Sie mir dann bitte ein Zeichen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es sind aber keine Peanuts, die hier verabschiedet werden. Hier haben wir als Umweltministerium des Landes Sachsen-Anhalt gemäß § 24 Abs. 2 Satz 1 des Atomgesetzes in Verbindung mit der Zuständigkeitsverordnung des Landes Sachsen-Anhalt mitzureden. Statt dessen ignoriert das Bundesamt für Strahlenschutz die Empfehlungen seiner eigenen Rechtsgutacher und löst die Frage von wesentlichen und unwesentlichen Änderungen nicht einvernehmlich mit meiner Behörde. Der Betreiber nimmt diese Einordnung selbst vor, mit dem Ergebnis, daß dies alles angeblich nur unwesentliche Änderungen sind, die keines lästigen Verfahrens oder gar einer Öffentlichkeitsbeteiligung bedürfen. Wozu also dann die Novelle an diesem Punkt, meine Damen und Herren?
Fazit ist, daß es hier nicht um die Beschleunigung einer Investition, sondern um die Zementierung des Status quo der Atomendlagerpolitik geht, die ja nicht zum erstenmal in der Kritik steht.
Ministerin Heidrun Heidecke
An dieser Stelle würde ich erst einmal unterbrechen und Herrn Schulze die Gelegenheit geben. Wir kennen uns ja.
Darf ich einfach nur freundschaftlich darauf hinweisen, daß Sie auch ein bißchen auf die Zeit achten sollten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Herren bringen mich natürlich sehr aus dem Konzept.
Sie können reden, solange Sie wollen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gut.
Das ist Ihr Vorrecht. Das geht nur zu Lasten derer aus dem Bundestag, die danach sprechen. Das müssen Sie wissen.
Bitte schön, Herr Schulze.
Frau Minister, Sie sind ja stellvertretende Ministerpräsidentin und für den Umweltschutz im Lande Sachsen-Anhalt zuständig. Wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß ich Ihr Verhalten überhaupt nicht verstehen kann, wenn ich heute morgen - -
- Dicker, dich hat doch keiner gefragt. Wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen,
daß Sie Raubbau an der Natur betreiben, während Sie uns hier vorgaukeln, daß Sie für den Umweltschutz sind, wenn Sie jetzt ein Raumordnungsverfahren einleiten, um einen Großflugplatz Stendal zu bauen, der 80 Millionen Passagiere abfertigen soll, obwohl wir beispielsweise den Flugplatz in Berlin haben, obwohl wir einen Flugplatz in Hannover haben, und Sie sich aus der Verantwortung in Halle zurückziehen?
Ich glaube, das hat mit der Umweltverträglichkeit nicht viel zu tun. Dort bestehen Flugplätze, die man ausbaut.
Sie wollen weiter eine große Drehscheibe bauen. Sie brauchen mir aber nicht zuzustimmen. Die Aufregung in Ihrer Fraktion gibt mir bereits recht.
Bitte, Frau Ministerin.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe zwar nicht genau verstanden, was die Frage ist. Ich werde aber das Wortprotokoll über Ihre Äußerung gerne für Ihren Fraktionskollegen Bergner im Lande Sachsen-Anhalt mitnehmen.
Meine inhaltliche Position zu diesem Flugplatz - das konnten Sie in der Presse nachlesen - ist genau die gleiche wie vor zwei Jahren: Es ist ein ökologischer Blödsinn.
Wenn aber ein Investor mit einem ordentlichen Konzept an die Planungsbehörden des Landes Sachsen-Anhalt herantritt, dann hat er das Recht, ein ordentliches Genehmigungsverfahren zu bekommen. Die Einleitung eines Raumordnungsverfahrens bedeutet keine politische Entscheidung für oder gegen ein Projekt - für den Fall, daß Ihnen das nicht bekannt ist -, sondern eine Entscheidung auf einer objektiven Grundlage, ein eingereichtes Konzept objektiv zu prüfen. Wir unterhalten uns am Ende dieser Prüfung über ihren Ausgang.
Herr Präsident, ich möchte wenigstens die Passage zu Morsleben zu Ende bringen. Zwischendurch sind ja einige andere Sachverhalte, die nicht direkt zu meiner Rede gehört haben, hineingetragen worden. Ich hatte eben festgestellt, daß mit Art. 4 keine Investitionsbeschleunigung erreicht, sondern daß der Status quo zementiert werden soll.
Durch die Änderung des Atomgesetzes in Art. 4 des Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetzes würde im Nachgang lediglich das äußerst fragwürdige Vorgehen des Bundes legitimiert.
Plangenehmigungsverfahren können dann nach der Verabschiedung dieses Gesetzes auch bei wesentlichen Änderungen lediglich unter Ausschluß der Öffentlichkeit durchgeführt werden.
Ich glaube, hier liegt das große Problem: daß sich der Bund selbst eine Erweiterung des Lagers um das Fünffache im laufenden Betrieb genehmigt, wodurch das Risiko besteht, daß der Einigungsvertrag, der eine Laufzeit für das Endlager Morsleben nur bis zum 30. Juni 2000 vorsieht, aufgeknackt und ein Volumen eingelagert werden kann, das deutlich über dem liegt, was im Einigungsvertrag festgeschrieben worden ist. In diesem Sinne bitte ich Sie, sich Art. 4 dieses Gesetzpaketes noch einmal genau auf seine Wirkung, die er auf das einzige Endlager hat, anzuschauen.
Ich bitte Sie als Abgeordnete - sowohl der Koalition als auch der Opposition -, den Gesetzesvorschlägen in diesem Paket nicht zuzustimmen; denn sie werden zu einer wesentlichen Einschränkung der
Ministerin Heidrun Heidecke
Bürgerrechte führen. Sie werden aber nicht dazu führen, daß Genehmigungsverfahren schneller ablaufen.
Ich denke, die Verwaltung in den neuen Bundesländern zeigt, daß man auch mit kreativen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sehr schnelle Genehmigungsverfahren durchführen kann.
Das Wort hat die Kollegin Birgit Homburger, F.D.P.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, daß wir trotz aller Ernsthaftigkeit, mit der wir diese Vorlagen beraten, und trotz aller Bedeutung, die sie für uns haben, hin und wieder ein bißchen unseren Spaß miteinander haben. Das, was wir mit diesem Gesetzespaket zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren erreichen wollen, das werden wir auch erreichen.
- Da brauchen wir überhaupt nicht zu „schauen".
Es geht uns um den Abbau von überflüssiger Bürokratie. Herr Kollege Schily, ich kann überhaupt nicht nachvollziehen, von wem Sie geredet haben. Sie haben heute morgen gesagt, wer noch immer glaube, daß hohe Umweltstandards für die Wirtschaft nachteilig seien, der läge falsch. Das glaubt hier überhaupt keiner - im Gegenteil: Wir wissen, daß diese hohen Umweltstandards auch eine entsprechende Entwicklung bei der Umwelttechnologie und damit entsprechende Chancen für die deutsche Wirtschaft gebracht haben.
- Wunderbar. Deswegen wollte ich das klarstellen. Nichtsdestotrotz brauchen wir nach wie vor einen Beitrag zu weniger Gängelung und mehr Freiheit. Flexibilität ist neben den Produktionskosten ein ganz entscheidender Wettbewerbsfaktor. Da möchte ich Frau Heidecke nachdrücklich widersprechen, die das hier in Frage gestellt hat.
Es ist erfreulich, daß sich die Genehmigungsverfahren in den letzten Jahren deutlich beschleunigt haben. Das hat zwei Ursachen.
Erstens. Ausgehend von den neuen Bundesländern gab es einen gewissen Wettbewerb. Da war Interesse an Investitionen vorhanden. Diese waren erwünscht. Es hat ein Wettbewerb der Länder um raschere Genehmigungsverfahren begonnen, was dazu geführt hat, daß sich die Mentalität in den Behörden verändert hat.
Zweitens. Auch das ist ein wichtiger Punkt: Natürlich greift auch das Investitionserleichterungsgesetz, das wir beschlossen haben. Das haben die Sachverständigen in der Anhörung ausdrücklich bestätigt.
Deswegen, Herr Kollege Schütz und Herr Kollege Schily, kann ich Ihnen nur sagen: Wenn Sie sich hier hinstellen und sagen, das sei genug, das reiche doch, so sind wir der Meinung, das reicht nicht.
Ich kann Sie nur daran erinnern: Als wir damals das Investitionsbeschleunigungsgesetz gemacht haben, waren Sie auch gegen alles. Damals haben Sie genau dieselben Argumente vorgetragen. Damals haben Sie auch erklärt, das würde zum Desaster führen, zum Abbau von Umweltstandards, zum Abbau der Einwirkungsmöglichkeiten Dritter. Das tragen Sie jetzt wieder genauso vor. Wir haben damals recht gehabt, und wir werden jetzt recht behalten. Deswegen kann ich Ihnen nur sagen: Rot-Grün ist ein schlechter Ratgeber.
Frau Heidecke, wir können uns nicht darauf ausruhen, daß Genehmigungsverfahren schneller geworden sind. Sie sind zwar kürzer geworden, aber es sind immer noch zu viele Genehmigungsverfahren. Es entsteht Bürokratieaufwand bei Unternehmen und Behörden. Anlagenänderungen machen bis zu 85 Prozent der Genehmigungsverfahren aus. Viele dieser Änderungen bringen auch Verbesserungen im Umweltbereich und haben keine wesentlichen nachteiligen Auswirkungen. Hier halten wir es für wichtig, den Weg eines einfacheren Anzeigeverfahrens zu wählen.
Mit den Änderungen im Bundes-Immissionsschutzgesetz schaffen wir auch eine klare neue Systematik. Das ist schon mehrfach erklärt worden. Änderungen genehmigungsbedürftiger Anlagen sind danach grundsätzlich nur anzeigepflichtig. Wo allerdings von einer Änderung nachteilige Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit zu erwarten sind, gilt weiter das Genehmigungsverfahren. Wenn erhebliche nachteilige Auswirkungen zu erwarten sind, bleibt das Verfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung bestehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, ich kann also diesen Vorwurf, den Sie uns hier machen, wir würden Umweltstandards abbauen und auch die Rechte Dritter entsprechend abbauen, überhaupt nicht nachvollziehen. Das ist in keiner Weise der Fall, weil wir das, was wir in das Anzeigeverfahren hineinnehmen, von den Genehmigungsverfahren ohne Öffentlichkeitsbeteiligung her-übernehmen und nicht etwa von denen mit Öffentlichkeitsbeteiligung.
Herr Kollege Schütz, nun zum Stichwort „Bürger als Störfaktor" . Das geht genauso an der Wirklichkeit
Birgit Homburger
vorbei wie der Vorwurf des Kollegen Schily, auf den ich vorhin schon eingegangen bin. Wenn Sie immer sagen, alle Sachverständigen hätten uns eindeutig widersprochen und gesagt, das würde alles nichts bringen, vergessen Sie: Das hat auch seinen Grund und eine Vorgeschichte. Wir haben die SchlichterKommission eingesetzt, eine unabhängige Kommission von Sachverständigen. Diese hat sich ja auch etwas bei ihren Vorschlägen gedacht.
Wir haben einen Teil dieser Vorschläge übernommen, nicht alles, aber einen Teil, und zwar nach reiflicher Prüfung. Da können Sie sich doch nicht hier hinstellen und sagen, alle seien unisono gegen das, was wir machen.
Das Verfahren bleibt weiter in der Hand der Behörde. Sie kann durch Auflagen auch beim Anzeige-verfahren die notwendigen Schutzmaßnahmen durchsetzen, und sie kann sogar auf einem Genehmigungsverfahren bestehen, wenn doch erhebliche Auswirkungen zu erwarten sind. So wird auch in Zukunft dafür Sorge getragen, daß wir beim Schutz von Umwelt und Gesundheit einen hohen Standard erhalten. Alles andere - das sage ich deutlich - wäre in unserem hochindustrialisierten und dichtbesiedelten Land auch nicht verantwortbar.
Abschließend möchte ich nur sagen: Wir haben im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens und nach der Anhörung eine Reihe von Punkten aufgenommen, die auch in unseren Änderungsanträgen besprochen worden sind, so daß sich vieles von dem, was Sie an Argumenten vorgetragen haben, auf den Stand davor bezog und damit ins Leere ging.
Die F.D.P. nimmt die Forderung nach einem schlanken Staat ernst. Wir kämpfen für bessere Rahmenbedingungen, um Arbeitsplätze zu erhalten und neue zu schaffen. Das machen wir mit diesem Gesetzesvorhaben, und deswegen stimmen wir diesem auch zu.
Das Wort hat der Kollege Alfred Hartenbach, SPD.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß heute Stakkato sprechen, weil mir vier Minuten fehlen.
Bei dem, was ich in den Beratungen gehört habe, ist mir mein früheres Studium, das der Theologie, in den Sinn gekommen. Ich habe einige Sätze aus dem Buch Prediger gefunden, die hierauf genau passen. Sie lauten:
Worte von Weisen, die sich in Ruhe vernehmen lassen, sind besser als das Geschrei des Herrschers unter den Toren.
- Damit sind keine Fußballtore gemeint. -
Wenn aber der Unmut des Herrschers sich gegen dich erhebt, so verlasse deinen Posten nicht; denn Gelassenheit macht große Verfehlungen wett.
Das trifft genau auf das zu, was hier gelaufen ist.
- Während ihr klatscht, rede ich weiter.
Das Verhalten der Regierung bei der Vorbereitung dieser Gesetze ist durch ein überstürztes Vorgehen geprägt, so als habe man ein schlechtes Gewissen und etwas zu verbergen.
Zunächst wurde ein Referentenentwurf in Umlauf gebracht, der jedoch einer breiteren Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht wurde. Ich komme darauf noch einmal zurück.
Einige Verbände hatten gleichwohl Kenntnis davon erhalten und sprachen sich in übereinstimmenden Voten mit beachtlichen Argumenten gegen die geplanten Änderungen aus. Ungeachtet des einhelligen Urteils der Fachwelt brachte die Bundesregierung im März 1996 einen dem Referentenentwurf entsprechenden Entwurf in das Beratungsverfahren ein. Das Geschrei des Herrschers war eben doch größer als die Vernunft der Weisen. Alle in der Koalition dachten: Abwarten, nicht bewegen, Gelassenheit macht große Verfehlungen wett!
- Wenn ich Zeit hätte, würde ich es ein bißchen langsamer machen, Frau Albowitz.
Das sieht dann so aus: Das Parlament erfährt erst einmal nichts von dem Gesetz. Eine eingehende Beteiligung der Praxis - Verwaltung, Gerichte, Anwälte -, wie sonst üblich, fand nur auf Sparflamme statt. Oder war man nach den ersten Trendmeldungen gar nicht an der Meinung der Praxis interessiert?
Professor Redeker - ich zitiere ihn genauso wie Otto Schily - erklärt dazu unter dem Titel „Neue Experimente der VwGO?" unter anderem:
Angesichts der groben Mängel des Entwurfs und jedes Verzichts auf einen vorbereitenden klärenden Dialog mit den Vertretern der Gerichtsbarkeit wäre es für den Verwaltungsprozeß verheerend, wenn die Novelle verabschiedet würde!
Spät, sehr spät, erst nach unserer Kritik, erst nach den vernichtenden Urteilen der Sachverständigen aus zwei Anhörungen, rückten einige in der Koalition etwas von ihrem Posten ab - aber nicht entscheidend. Erst vor zehn Tagen hat in der Koalition das große Nachdenken begonnen. Berichterstatterge-
Alfred Hartenbach
spräche wurden unter enormem Zeitdruck geführt. Eine anständige Beratung, wie die Öffentlichkeit sie bei einem so wichtigen Gesetz erwarten darf, fand praktisch nicht statt.
Immerhin zeigt die Koalition in einem wichtigen Punkt Einsicht: Die beabsichtigte Regelung, das Gericht zu verpflichten, der Behörde bei der Nachbesserung eines fehlerhaften Bescheides zu helfen, gegen die Interessen des klagenden Bürgers zu handeln, sich dem Vorwurf der Parteilichkeit auszusetzen, ist nun Gott sei Dank vom Tisch. Welch absurde Vorstellung wäre das auch gewesen: unabhängige Richter als Gehilfen der Verwaltung! Mit dem Prinzip der Gewaltenteilung und dem Prinzip der Gerechtigkeit war das nicht vereinbar.
Wer sich dieses Bubenstück ausgedacht hat, muß sich ernsthaft fragen lassen, ob er noch auf dem Boden des Rechtsstaats steht.
Also: Auch wenn sich die Koalition in dem einen oder anderen Punkt von ihrem Posten bewegt hat, verbleiben immer noch große Mängel, bleibt immer noch ein Entwurf, der allen Bedürfnissen der Praxis zuwiderläuft, der schon in der Entstehung von der Praxis abgelehnt wurde, der auch heute, am Ende eines verdammt kurzen Beratungsweges, gegen überzeugende Argumente der Praxis und der Opposition im Hauruckverfahren durchgepeitscht, durchgeboxt werden soll. Das ist kein Gesetzgebungsverfahren, das ist ein Gesetzdurchsetzungsverfahren.
Das Gesetz sollte Verfahren vereinfachen und beschleunigen. So war es jedenfalls gedacht. Tatsächlich gibt es keine Beschleunigungseffekte, und die „Vereinfachung der Verfahren" liegt allein im Abschneiden von Rechtsgarantien und im Beschneiden von Rechtsmitteln.
Dort, wo man im Moment die größte Entlastung benötigt, bei den Verwaltungsgerichten, schafft das Gesetz gar eher noch zusätzliche Belastungen. Für die Genehmigung von Großprojekten, also bei jenen Verfahren, die zur Sicherung des Standortes Deutschland so notwendig sind, Herr Hinsken, bewirken die neuen Vorschriften nichts. Hier ist bei Klagen immer das Oberverwaltungsgericht die erste Instanz.
Wen wundert es da, daß der Präsident des Bundesverwaltungsgerichts von einem Placebogesetz redet? Vielleicht hilft es ja, wenn man nur fest daran glaubt.
Allein, der Glaube wird hier keine Berge versetzen. Nicht nur die Fachleute lehnen das Gesetz ab. Es war absolut peinlich, wie sie den Entwurf verrissen haben. Jeder Schauspieler, der etwas auf sich hält, würde sich bei einer solchen Kritik dem Bühnentod hingeben. Das war absolut peinlich! Mehr und mehr andere gesellschaftliche Gruppen mischen sich ein, bemängeln einzelne Vorschriften und fordern Nachbesserungen. Auch das Kommissariat der katholischen Bischöfe meldet sich zu Wort und will
bei der Regelung des Anwaltzwanges eine weitere Ausnahme. Dieser Forderung werden Sie natürlich stattgeben, meine Damen und Herren von der Koalition. Dann aber haben wir eine Regelung, die strikt etwas vorschreibt, aber durch Ausnahmen wieder alles relativiert. Das ist ungerecht und hilft dem Bürger nicht weiter.
Es geht mit den Ungerechtigkeiten und Ungereimtheiten munter weiter.
Nehmen wir die Zulassungsberufung als neue und wirkungsvolle Waffe gegen den Bürger,
der mit dem Urteil erster Instanz unzufrieden ist. Eine Berufung wird nur noch durchgeführt, wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen. Wann aber ist das der Fall? Wo legt das Oberverwaltungsgericht die Meßlatte an? Wir werden eine in sich zersplitterte Rechtsprechung in allen Bundesländern bekommen,
und nichts wird mehr bewirkt werden.
- Ich kann lauter schreien als Sie, Herr Geis.
Geradezu kontraproduktiv sind die Berufungsvoraussetzungen der „grundsätzlichen Bedeutung" sowie „der tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten" : Vor nicht ganz drei Jahren hat dieses Parlament Einzelrichter an Verwaltungsgerichten installiert und im Gesetz festgeschrieben, daß diese nur einfache Sachen ohne grundsätzliche Bedeutung verhandeln dürfen. Wie ist das nun, wenn gegen ein solches Urteil Berufung eingelegt wird? Muß sie gleich abgeschmettert werden?
Ich weiß, daß diese hohe Schule der Justiz nicht alle auf Anhieb verstehen. Deswegen verdeutliche ich es einmal mit einem populären Satz: Was dieser Bundestag vor drei Jahren mit den Händen aufgebaut hat, wird heute von der Koalition mit dem Hintern eingerissen.
Das ist genau das Ergebnis eines planlosen Handelns, ein Spiegelbild der Politik dieser Regierung.
Einen vorläufigen Höhepunkt des gedankenlosen und praxisfernen Werkeins erleben wir mit der Zulassungsbeschwerde. Ein Zulassungsverfahren zieht die Sache nur in die Länge, und in aller Regel geraten die Rechtsgarantien des Bürgers mehr und mehr ins Hintertreffen.
Alfred Hartenbach
Aber diese Regelung kann auch ein Eigentor werden. Wenn das Verwaltungsgericht die Behörde zu einer Handlung oder Duldung verpflichtet - etwa wie in Gorleben - und die Beschwerde nicht zuläßt, was dann?
Die in der Regierung diesen Gesetzentwurf auf dem Gewissen haben, wissen offensichtlich nichts über die Arbeit an der Basis, wissen vielleicht noch nicht einmal, wie ein solches Verwaltungsverfahren abläuft.
Wir werden diesen Entwurf zurückweisen. Wir haben uns in den Beratungen nicht verschlossen, haben vernünftige eigene Vorschläge unterbreitet, die natürlich von der Mehrheit abgelehnt worden sind. Wir haben einer Vielzahl von Kompromißvorschlägen sogar zugestimmt, und wir waren und sind zu weiterer konstruktiver Mitarbeit bereit. Wir heben unsere Hand aber nicht für ein Machwerk, das politisch schlampig vorbereitet, handwerklich unsauber erarbeitet, in sich widerspruchsvoll ist und in den wesentlichen Punkten die selbst vorgegebenen Ziele um Lichtjahre verfehlt.
Wieder einmal wird sich bestätigen - schaun mer mal! -, was auch andere Änderungsgesetze der letzten Zeit immer wieder gezeigt haben: Wahrnehmungsvermögen und Vorstellungskraft dieser Regierung stimmen mit den Bedürfnissen der gerichtlichen Praxis, des Justizalltags nicht überein.
Sie wollen hier ein Gesetz durchpauken, das von Sachverständigen in der Luft zerrissen wurde, das von der Praxis völlig abgelehnt wird, das Staatsverdrossenheit bei den Bürgern auslöst. Sie wissen selbst, daß Sie der Justiz, den Bürgern und uns allen einen schlechten Dienst erweisen.
Das sechste Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung ist überflüssig. Deshalb schließe ich mit dem Statement eines der Sachverständigen aus den Anhörungen: Lassen Sie die Finger von einer Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung! Es wird nicht besser, sondern nur viel schlimmer.
Danke schön.
Das Wort hat der Kollege Ronald Pofalla, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor uns liegt unter anderem ein umfangreicher Gesetzentwurf zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und anderer Gesetze. Auf die Verwaltungsgerichtsordnung möchte ich im Rahmen meiner Ausführungen näher eingehen, und ich erlaube mir die Vorbemerkung, Herr
Kollege Hartenbach - dasselbe gilt für den Kollegen Häfner -: Sie haben zu einer Sache und einem Antragsstand geredet, die vielleicht zum Zeitpunkt der Einbringung der beiden Gesetzentwürfe, sei es der Regierungsentwurf oder der Bundesratsentwurf, zutreffend waren, aber überhaupt nichts mehr mit dem zu tun haben, was jetzt Beschlußgegenstand im Rechtsausschuß war und im Anschluß im Plenum sein wird. Ich werde darauf gleich näher einzugehen versuchen.
Ich möchte vorab eine Bemerkung machen: Die SPD behauptet immer, grundsätzlich seien Verfahrensbeschleunigungen und Verfahrensvereinfachungen richtig. Wenn aber konkrete Vorschläge auf dem Tisch liegen, die substantielle Bedeutung haben, werden sie von seiten der Sozialdemokraten abgelehnt. Diese Doppelzüngigkeit haben wir auch im Rahmen der Beratungen im Rechtsausschuß immer wieder erlebt.
Ich möchte gern auf die Änderungen eingehen, Herr Kollege Schily, die im Laufe der Beratungen stattgefunden haben. Es wurde davon gesprochen, der Beratungszeitraum sei zu kurz gewesen. Ich erlaube mir dazu die Anmerkung, daß hier bereits jahrelang über die Einführung verschiedener Institute - Annahmeberufung, Zulassungsberufung und Verkürzungen im Normenkontrollverfahren - diskutiert wird. Es kann nicht so getan werden, als ob mit der Vorlage konkreter Gesetzentwürfe Diskussionen beginnen.
Ganz im Gegenteil: Der Rechtsausschuß hat seinerseits großen Wert darauf gelegt, zwei Anhörungen durchzuführen. Eine große Anhörung fand im Zusammenhang mit anderen Gesetzen am 8. Mai 1996 statt. Der Rechtsausschuß hat aber großen Wert darauf gelegt, Herr Kollege Schily, am 22. Mai eine eigene Anhörung ausschließlich zur Verwaltungsgerichtsordnung durchzuführen. Das, was dort vorgetragen worden ist - das will ich Ihnen gern erläutern -, hat im Vergleich zur ursprünglichen Regierungsvorlage zu umfangreichen Änderungen geführt.
Ich beginne mit den Heilungsvorschriften. Hier war der generelle Vorwurf der Sachverständigen, daß durch die Addition von vier oder fünf beabsichtigten Heilungsvorschriften das Verwaltungsgericht in seiner Neutralität möglicherweise gefährdet sei und eine Parteirolle zugunsten der Verwaltungsbehörden einnehmen würde. Wir haben dazu Änderungen vorgenommen, auf die ich jetzt näher eingehen möchte.
Wir haben eine Änderung in § 94 VwGO vorgenommen.
Dort ist die Frage geregelt, wann und durch wen ein
Aussetzungsantrag gestellt werden kann. Die Regierungsvorlage sah vor, daß ein solcher Antrag ledig-
Ronald Pofalla
lich von der Verwaltungsbehörde gestellt werden kann. Hier haben wir nachgebessert: Alle am Verfahren Beteiligten können diesen Aussetzungsantrag stellen. Es handelte sich ursprünglich um eine SollVorschrift. Aus ihr ist im Rahmen der Beratungen auf Grund der vorgetragenen Bedenken eine Kann-Vorschrift gemacht worden.
Es gab eine weitere Änderung. Das Antragsverfahren war an die Frage der Sachdienlichkeit gekoppelt. Die Sachdienlichkeit allein hat uns aber nicht ausgereicht, weil die Novelle unter dem Oberthema der Beschleunigung stand. Deshalb haben wir Wert darauf gelegt - und haben dies auch eingefügt -, daß ein Antrag nur dann gestellt werden kann, wenn im Sinne der Verfahrenskonzentration von Sachdienlichkeit geredet werden kann.
Wir haben damit deutlich gemacht, worauf es uns im Rahmen der Änderung des § 94 VwGO ankommt. Herr Kollege Schily, Sie werden es nicht wissen, aber Ihre sozialdemokratischen Kollegen haben dieser Neufassung des § 94 im Rechtsausschuß zugestimmt.
Deshalb kann doch nicht so getan werden, als ob ständig Rechte zu Lasten der Bürger oder von Antragstellern eingeschränkt würden. Ganz im Gegenteil, die Verfahrensweise an dieser Stelle hat Sie bewegt, ihr zuzustimmen. Dann tun Sie aber bitte schön nicht so, als ob dieser Gesetzentwurf in Gänze und in allen Teilen von Ihnen abgelehnt würde!
Ich nenne Ihnen ein zweites Beispiel: die Regelung des § 113 VwGO. Dagegen hat es erheblichste Bedenken der Sachverständigen gegeben. Diese Bedenken der Sachverständigen haben dazu geführt, daß wir uns nach einem langen Beratungsverfahren entschieden haben, den § 113 in dieser Form nicht zu übernehmen. Das hat doch die zweite Anhörung, Herr Kollege Hartenbach, am 22. Mai ergeben. Wir haben uns in der Frage bewegt; insofern hat doch jetzt der Beschlußtext in diesen beiden von mir genannten Fällen nichts, aber auch überhaupt nichts mehr mit der ursprünglichen Regierungsvorlage zu tun.
Herr Kollege Pofalla, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön.
Herr Kollege Pofalla, ich hatte ja gesagt, daß ich mich in meiner Redezeit etwas beschränken mußte, weil ich sie teilweise zugunsten des Landes Sachsen-Anhalt abgetreten hatte.
Aber Herr Kollege Pofalla, haben Sie meine sehr klare und deutliche Aussage nicht zur Kenntnis genommen, daß sich bei Ihnen in der Koalition etwas bewegt hat und wir einigen Vorschriften zugestimmt haben. Es gab sicherlich einige durchaus vernünftige. Haben Sie das zur Kenntnis genommen, oder soll ich es Ihnen noch einmal deutlich machen?
- Weil Sie dauernd dazwischengeschrien haben!
Herr Kollege Hartenbach, ich habe es zur Kenntnis genommen. Nur, meine Verwunderung über Ihren Redetext halte ich aufrecht.
Bei den ganzen Vorschlägen, die wir beraten haben - bleiben wir doch nur einmal bei der Annahmeberufung, um Ihnen auch weitere Änderungen aufzuzeigen -, haben wir uns im wesentlichen auf Bundesratsvorschläge konzentriert. Wenn ich die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat noch richtig in Erinnerung habe, gibt es dort entsprechende Mehrheiten, die Ihnen parteipolitisch wohl eher zugewandt sind. Bei der Annahmeberufung haben wir den Bundesratsvorschlag bei den Zulassungsgründen übernommen.
Ihr Vorwurf zu Beginn des Beratungsverfahrens war: Mit der Einführung der Zulassungsberufung würden wir quasi Rechtsinstanzen den Bürgern wegnehmen. Wir haben die Zulassungsgründe jetzt so weit und so umfangreich gestaltet, daß von einem Streichen nicht gesprochen werden kann. Insofern habe ich zwar zur Kenntnis genommen, daß Sie einzelnen Regelungen zugestimmt haben, aber ich habe kein Verständnis für die Kampfrede, die Sie hier gerade gehalten haben. Das hat nichts mit dem Beratungsstand des Rechtsausschusses zu tun.
Ich bleibe bei der Annahmeberufung.
- Bitte schön.
Wenn Sie ihn Platz nehmen lassen, lasse ich die Zeit wieder laufen.
Bitte. - Nach einer langen Beratungsphase entschied sich der Rechtsausschuß, die etwas offenere Formulierung des Bundesrates bei den Zulassungsgründen für den Fall zu übernehmen, wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist.
Von der jetzt geschaffenen Annahmeberufung behaupten wir, daß sie auf der Basis der Zulassungsgründe des Bundesrates und auf der Basis der Zulassungsgründe des Regierungsentwurfes eine so offene Gestaltung gefunden hat, daß nicht von einer Beschneidung der Rechtsinstanzen, sondern nur da-
Ronald Pofalla
von gesprochen werden kann, daß wir in einfachen Verfahren, wo in erstinstanzlichen Urteilen völlig klar ist, daß auch in weiteren Instanzen keine andere Entscheidung ergehen wird, durch die Annahmeberufung eine Beschränkung vornehmen.
Dieser Vorschlag kommt auch von seiten der sozialdemokratisch regierten Bundesländer. Diesen Vorschlag haben Sie im Rechtsausschuß abgelehnt. Sie haben ihn auch abgelehnt, nachdem wir sogar die Formulierungen des Bundesrates - ich habe das gerade vorgetragen - übernommen haben. Wie Sie diesen Spagat, von seiten der Länder die Erkenntnis zu haben, Gerichtsverfahren verkürzen zu müssen, im Bundestag aber zu behaupten, im Bereich der Verwaltungsgerichtsordnung würden Bürgerrechte beschnitten, schaffen, müssen sie nach außen selber vertreten. Wir werden immer wieder darauf hinweisen.
Herr Kollege Pofalla, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage von Herrn Hartenbach?
Bitte schön.
Herr Kollege Pofalla, stimmen sie mit mir überein, daß bei konsequenter Anwendung von Nummer 2 und 3 in § 124 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung, die Sie eingefügt haben, der Einzelrichter wieder abgeschafft werden müßte, weil nämlich der Einzelrichter nur Verfahren verhandeln darf, die rechtlich und tatsächlich einfach und die von keiner grundsätzlichen Bedeutung sind, während Sie mit der, Sie sagen: Zulassungsberufung -
Nein, Annahmeberufung.
- im Gesetz steht „Zulassungsberufung" -, während Sie mit der Annahmeberufung, von Ihnen „Zulassungsberufung" genannt, erreichen wollen, daß nur Sachen von tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeit und von grundsätzlicher Bedeutung zugelassen oder angenommen werden sollen? Stimmen Sie mit mir überein, daß damit entweder alle Urteile, die vom Einzelrichter kommen, von vornherein zurückgewiesen werden müßten, weil sie einfach sind und keine grundsätzliche Bedeutung haben, oder aber bei Annahme unverzüglich an das Verwaltungsgericht erster Instanz zurückgewiesen werden müßten, weil nämlich nicht vor dem gesetzlichen Richter verhandelt worden ist?
Ich bleibe jetzt gern zehn Minuten stehen.
Die Antwort ist relativ einfach, weil wir uns darüber bereits gestern im Ausschuß ausführlich ausgetauscht haben. Ich teile Ihre Auffassung ausdrücklich nicht. Im Rahmen der Anhörung ist dieses Argument von zwei Sachverständigen vorgetragen worden. Beide Sachverständige ha-
ben zusätzlich die Behauptung aufgestellt - ich kann nicht überprüfen, ob das so ist -, daß beispielsweise im Land Baden-Württemberg auf den Einzelrichter eben nicht nur einfache Verfahren übertragen würden, sondern auch schwierige und in ihrer Grundsatzbedeutung wichtige Verfahren.
Wenn das so ist, dann führt unser Vorschlag dazu, daß über den Hinweis, daß der gesetzliche Richter nicht geurteilt hat, das erstinstanzliche Urteil in der Tat wieder aufgehoben wird. Damit würde die Verteilungspraxis der Gerichte in solchen Bundesländern, in denen es offensichtlich anders gehandhabt wird, in eine Form gegossen, die der Deutsche Bundestag mit der letzten Novelle der VwGO immer gewollt hat. Insofern stimme ich Ihnen nicht zu. Im Gegenteil, ich bin zutiefst der Auffassung, daß diese Regelung dazu führt, daß wir beim Einzelrichtersystem endlich eine bundeseinheitliche Regelung bekommen werden.
Ich will versuchen, auf einen weiteren Punkt einzugehen, um der Öffentlichkeit aufzuzeigen, daß Sie zu Entwürfen, aber nicht - ich wiederhole mich - zu der Beschlußlage des Rechtsausschusses geredet haben.
Ich gehe auf § 114 VwGO ein. Im Regierungsentwurf war vorgesehen, daß die Begründung des angefochtenen Verwaltungsakts im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzt werden kann. Wir haben uns auf Grund von Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts jetzt auf eine Formulierung zurückgezogen, die zwar eingeschränkter, aber unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten völlig korrekt ist, weil sie der Spruchpraxis des Bundesverwaltungsgerichts entspricht. Wir haben jetzt nämlich festgelegt, daß in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren nur Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsakts bis zum Ende des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ergänzt werden können. Dies steht im Gegensatz zum Regierungsentwurf, der sich an dieser Stelle nur auf die Begründung des Verwaltungsaktes bezog. Ich glaube, daß diese Veränderung unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten korrekt ist und der Spruchpraxis des Bundesverwaltungsgerichts entspricht.
Wenn jetzt so getan wird, als würde bei den Heilungsvorschriften quasi in bestehende Rechte der Bürger eingegriffen - Sie haben eine Ausnahme gemacht, das gestehe ich Ihnen zu -, dann hat das, dabei bleibe ich, nichts mit der wirklichen Beschlußlage des Rechtsausschusses zu tun. Die beiden Anhörungen im Rechtsausschuß haben alle Gruppierungen dort - ich beziehe Sie ausdrücklich mit ein, uns aber auch - dazu bewegt, die Vorlage zur Verwaltungsgerichtsordnung Punkt für Punkt durchzugehen. Sie wissen selber, daß wir über 30 Seiten Änderungsanträge zum Regierungsentwurf beschlossen haben, die der unterschiedlichen Interessenlage auch der Bundesländer in erheblichem Maße Rechnung getragen haben.
Ronald Pofalla
Ich will zum Schluß auf die Ministerin Heidecke eingehen, weil für sie dasselbe gilt, was ich auf Sie bezogen, Herr Hartenbach, gesagt habe. Zwar haben Sie im Schwerpunkt gerade zum Bundes-Immissionsschutzgesetz, aber auch zum Gesetzespaket geredet. Dazu erlaube ich mir die Anmerkung, daß das, was Sie vorgetragen haben, nun wirklich nicht dem Beratungsstand und den Ergebnissen entspricht, die in den Fachausschüssen gesucht worden sind.
Bleiben wir bei der Verwaltungsgerichtsordnung. Der Bundesrat war der Träger dieser Gesetzesinitiative, auch im Blick auf die Bundesregierung. Ich erlaube mir die Einschätzung - ich habe es nicht nachgerechnet -, daß wahrscheinlich die Mehrzahl der Regelungen, die wir zur VwGO getroffen haben, auf eine Initiative des Bundesrates zurückzuführen ist. Auch in diesen Regelungen sind Verfahrensrechte von Bürgern eingeschränkt worden. Deshalb kann ich Ihre Ausführungen zu diesem Punkt nicht verstehen.
Wir folgen dem Bundesrat, und Sie kritisieren das. Diese Doppelzüngigkeit müssen Sozialdemokraten und Grüne nach außen selber verantworten.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Reinhard Schultz, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich - ohne jedes Vorurteil - der Vertreter eines ausländischen Unternehmens wäre, in Deutschland zum Beispiel eine Fabrik bauen wollte, mich umschauen würde, wie ich das organisieren muß, und vor einem halben Jahr in Deutschland eingetroffen wäre, dann wäre ich zunächst einmal zutiefst erschreckt gewesen. Die öffentliche Diskussion wird dadurch bestimmt, daß ein Teil der Politik offensichtlich meint, daß der Standort Deutschland kaputt sei, und nicht daran glaubt, daß auf ordentliche Art und Weise Genehmigungen für ein Vorhaben zustande kommen können. Ich würde mich zunächst einmal mit Grausen abwenden.
Dann würde mich der Kollege Schlee ansprechen und sagen: „Komm, wir regeln das. Wir beschleunigen die Genehmigungsverfahren." Eben hat er gesagt, schnelles Recht sei gutes Recht. Es werden also standrechtliche Genehmigungsverfahren ohne Drittschutz eingeführt.
Ich hätte Vertrauen in den Kollegen Schlee gefaßt, will noch bleiben und würde zuschauen, wie sich das entwickelt, möglicherweise auf der Zuschauertribüne sitzen und abwarten, ob der Bundestag die Probleme tatsächlich löst. Dabei würde ich den Kollegen
Kleinert hören. Der würde sagen: „Na, so meinen wir das auch nicht. Wenn wir etwas über das Ziel hinausschießen, müssen wir das eben zurücknehmen. Ich halte etwas von der empirischen Methode. Wir probieren das einmal aus. Wir starten eine Art Freilandversuch Rechtsstaat,
wenn auch zu Lasten des Schutzes Dritter." Das würde mich wiederum sehr nachdenklich machen. Denn für mich, der ich an einer schnellen Genehmigung interessiert bin, ist die Frage der Rechtssicherheit ein hohes Gut.
Dann würde der Kollege Paziorek kommen und sagen: „Hier in Deutschland werdet ihr demnächst anfangen können, eure Fabrik zu bauen, auch wenn noch kein Genehmigungsbescheid und auch noch kein letztinstanzliches Urteil vorliegt." Ich fühlte mich befreit. Doch dann kommt der Zusatz: „Wenn aber hinterher, nachdem du schon fast beim Richtfest bist, die Genehmigung versagt wird, dann mußt du alles abreißen und den ursprünglichen Zustand wiederherstellen. " Das würde mich als ausländischen Investor geradezu begeistern, und ich würde mich mit Grauen abwenden.
Das würde nämlich nur dann aufgehen, wenn mir Herr Paziorek gleichzeitig augenzwinkernd sagen würde: „In der Wirklichkeit wird das natürlich nie so eintreten. Denn wenn die Fabrik erst einmal gebaut ist, reißt die keiner mehr ab. Das ist nämlich eine Frage der Verhältnismäßigkeit. Dann nehmen wir notfalls zugunsten dieser Fabrik, die ohne Genehmigung zustande gekommen ist, die Störung der Rechte Dritter in Kauf." So wird die Wirklichkeit aussehen. Das ist etwas, was zwar den Investor im Augenblick beruhigt, nicht aber mich als Vertreter aller Bürger.
Beschleunigungsaktionismus ersetzt leider nicht die zu genehmigenden Investitionen. Wir haben Genehmigungsstatistiken von 1991 bis heute vorliegen. Die Zahl von Anträgen, die nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz genehmigt werden sollen, sind um über 20 Prozent zurückgegangen. Das liegt nicht am Genehmigungsrecht, sondern an der wirtschaftlich außerordentlich schwierigen Lage und an einer schlechten Wirtschaftspolitik. Das Genehmigungsrecht schreckt nicht ab, sondern es gibt offensichtlich keinen Bedarf und keinen Mut, zu investieren oder auch nur einen Antrag zu stellen. Das ist das Hauptproblem.
Wenn ich mir die Probleme im Genehmigungsverfahren angucke - ich habe mich jahrelang damit befaßt -, dann erkenne ich, daß das erste, was wirklich
Reinhard Schultz
verzögernd wirkt, das Erreichen einer Vollständigkeitserklärung von der genehmigenden Behörde ist. Selbst wenn wir Fristen für das Verfahren setzen, können die natürlich indirekt ausgedehnt werden, indem man den Antragsteller immer wieder vor die Pumpe rennen läßt und ihm immer wieder neue Dinge auferlegt, bis der Antrag vollständig ist. Dies wird oftmals als Schikane empfunden.
Ich denke, man muß Antragsteller an die Hand nehmen, aber nicht einseitig. Wenn man als Behörde den Antragstellern im Vorfeld hilft, dann muß man sich auch darauf verstehen, die möglicherweise betroffenen Dritten ebenfalls an die Hand zu nehmen, um ein Agreement, Akzeptanz für eine solche unbürokratische Vorgehensweise zu schaffen.
Alle Instrumente, die hier vorgeschlagen worden sind, auch als Pflichtprogramm mit Sternverfahren und anderen Verfahren, sind nur dann sinnvoll, wenn im Sinne der Waffengleichheit auch betroffene Dritte von vornherein in die Verfahren einbezogen werden und Genehmigungsverfahren nicht eine Veranstaltung sind, auf denen sich ausschließlich Antragsteller und Genehmigungsbehörde wechselseitig tief ins Auge blicken, verständigen und sich die Öffentlichkeit wundert.
Ein weiterer Grund, weshalb die Verfahren so lange dauern, ist, daß offensichtlich gegen viele Genehmigungsbescheide Rechtsmittel eingelegt werden. Schaut man sich diesen Sachverhalt aber näher an - ich beziehe mich auf die Genehmigungsstatistik von Nordrhein-Westfalen -, stellt man fest, daß bis zu 10 Prozent aller Verfahren mit Rechtsmitteln angefochten werden. Allerdings werden diese Rechtsmittel zu 80 Prozent von den Antragstellern und nicht etwa von Dritten veranlaßt.
Der Eindruck, daß in erster Linie wildgewordene Bürger, Bürgerinitiativen oder andere in einem normalen BImSch-Verfahren dafür verantwortlich wären, daß diese so lange dauern, ist irreführend. Ein Großteil der Verzögerung ist leider auf die Antragsteller selbst zurückzuführen, die einen Bescheid nicht akzeptieren.
Herr Kollege Schultz, achten Sie auf die Zeit.
Ja.
- Es ist wahr, Herr Dr. Paziorek. Manchmal fühle ich mich zeitlos, aber ich werde versuchen, mich an die Zeit zu halten.
Ein weiterer wichtiger und letzter Punkt ist, daß Sie mit Ihren Änderungen am Genehmigungsrecht den Stand der Technik im Grunde genommen einfrieren. Wenn einer nach Ihrem Recht einen Antrag stellt, Hauptbauteile einer Anlage, zum Beispiel eines Kraftwerkes, baugleich zu erneuern, ist das
keine Änderung mehr, die einer förmlichen Genehmigung bedarf.
Herr Kollege Schultz, es tut mir leid, Sie haben noch einen Satz. Dann müssen Sie aufhören.
Was wird der Antragsteller tun? Er wird immer wieder, möglicherweise über Jahrzehnte, dieselben Bausteine austauschen, und das Ergebnis wird sein, daß sozusagen der Faustkeil und nicht etwa eine dynamische Weiterentwicklung moderner Umwelttechnik der Stand der Technik bleibt.
Vielen Dank.
Das Wort hat die Bundesministerin Dr. Angela Merkel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Schultz, Ihr Investor, der auf der Tribüne sitzt und aus dem Ausland angereist ist, hat nun von Ihnen gelernt, daß bei uns der Faustkeil der Stand der Technik ist. Es steht zu befürchten, daß er nach Ihrem Beitrag nicht wiederkommt.
4 Millionen Arbeitslose in der Bundesrepublik Deutschland fordern uns doch wohl, in allen Bereichen darüber nachzudenken, wie wir diesen Wirtschaftsstandort so gestalten können, daß mehr Menschen in der Bundesrepublik Deutschland Arbeit bekommen können.
Für mich steht die Debatte heute im Zusammenhang mit dieser Aufgabe. Es ist nicht das einzige Problem, das wir zu lösen haben. Aber niemand wird bestreiten, daß es ein Problem ist, welches wir zu lösen haben.
Frau Heidecke, ich finde es ziemlich zynisch, wenn Sie dem Abgeordneten Hinsken entgegnen, es seien ja bloß 30 Prozent der befragten Unternehmer, die meinten, daß die Dauer von Genehmigungsverfahren ein wichtiger Beitrag für den Standort Deutschland sei. Vielleicht waren es gerade die 30 Prozent, die in den letzten Jahren investiert und sich über so etwas geärgert haben. Da kann man nicht einfach sagen, darüber brauche man nicht zu sprechen und alles, was unter 50 Prozent sei, interessiere uns nicht. Das paßt im übrigen mit Ihrer Vorstellung von Minderheitenbeteiligung nicht zusammen.
Niemand - ich möchte das als Umweltministerin noch einmal unterstreichen - wird bestreiten, daß die hohen Umweltstandards in der Bundesrepublik
Bundesministerin Dr. Angela Merkel
Deutschland an vielen Stellen investitionsfördernd wirken. Das sollen sie bleiben, und deshalb ändern wir an diesen Standards auch überhaupt nichts.
Ich muß Ihnen sagen, ich habe heute wieder kein Beispiel gehört, wo denn ein Umweltstandard in Frage gestellt wurde.
- Zu der Partizipation komme ich noch.
Unstrittig ist auch - das will ich ebenfalls noch vorausschicken -, daß die Genehmigungsdauer in einzelnen Regionen der Bundesrepublik Deutschland unterschiedlich ist. Es ist auch unstrittig, daß die neuen Bundesländer hier relativ gut herausragen, und so soll es auch bleiben.
Aber ist es denn nicht unsere Pflicht, aus den Erfahrungen, daß man unterschiedliche Fristen haben kann, die Schlußfolgerung zu ziehen, daß wir das Recht so gestalten müssen, daß möglichst alle sich verpflichtend an den kürzesten Zeiten orientieren müssen und nicht jeder machen kann, wie er will? Genau das ist unser Zweck heute.
Dann habe ich gehört, man dürfe im laufenden Spiel nicht die Regeln ändern. Nun ist die Frage ohnehin, wann man in der „laufenden" Bundesrepublik Deutschland die Regeln noch einmal ändern darf. Wahrscheinlich nie, und wir müßten auf dem Stand von 1949 stehenbleiben.
Aber ist nicht die Tatsache der Situation, in der wir uns heute befinden - drei Jahre nach der Verabschiedung des Investitionserleichterungsgesetzes im Februar 1993 -, der Punkt, wo man sagen kann: Wir haben Erfahrungen mit dem erneuerten Gesetz, und jetzt müssen wir schauen, was man noch besser machen kann.
Meine Damen und Herren, es ist eben nie der richtige Zeitpunkt, und es ist auch nie der richtige Weg. Herr Schütz hat am 12. Februar 1993 zu Herrn Töpfer gesagt: „Dieses Investitionserleichterungsgesetz ist eine Kriegserklärung an die Umweltverbände. Es greift in ihre Mitwirkungsfähigkeit ein. Es ist ein umwelt- und naturschutzrechtliches Roll-back hin zu bürokratischen und obrigkeitsstaatlichen Strukturen, und da können die Umweltverbände und selbstverständlich die SPD nicht mitmachen. "
Das waren Ihre Worte im Februar 1993.
Da Sie nun heute schon aus dem Ausschuß zitiert haben, wage ich das auch einmal. Jedenfalls nach dem, was mir übermittelt wurde, haben Sie gestern gesagt, das Investitionserleichterungsgesetz hätte eine zündende Wirkung gehabt.
Nun dürfe man nicht schon wieder anfangen, etwas zu ändern.
- Ich habe es deshalb betont.
Meine Damen und Herren, keiner hat heute ernsthaft in Frage gestellt, daß das Investitionserleichterungsgesetz ein wichtiger, richtiger Schritt war, und es hat auch keiner behauptet, daß die heutige Rechtslage keine Beteiligung der Bürger zulasse oder ähnliches mehr.
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schütz?
In diesem Falle ja, da ich ihn offensichtlich mißverstanden habe.
Ich muß betonen, daß ich zu dem ersten und dem zweiten und dem heutigen Gesetz gesagt habe und nach wie vor sage, daß die Frage der Beteiligungsstrukturen unbefriedigend gelöst ist; heute ist es eigentlich noch schlimmer als bei den Gesetzen zuvor. Darauf habe ich hingewiesen. Ich habe gesagt, es hat gewirkt in bezug auf die Veränderung in den Köpfen.
Die Frage, bitte.
Stimmen Sie zu, Frau Ministerin, daß es entscheidend darauf ankommt, wie die Behörden das organisieren? Wir haben das Sternverfahren eingeführt, wir haben die Antragskonferenzen eingeführt. Das haben Sie jetzt ins Verfahrensgesetz genommen, was ich gut finde. Das hat, auch nach Aussage von Praktikern, die entscheidenden Impulse gegeben. Das haben Sie in diesem Gesetz auch drin gehabt. Da bin ich nach wie vor der Meinung, das war gut und richtig. Aber bei der Frage, wie Sie am Dritten vorbeigehen, bleibe ich nach wie vor störrisch, weil Sie da eine Bürgerbeteiligung nicht einführen. Stimmen Sie mir darin zu?
Herr Schütz, ich stimme Ihnen partiell zu. Sie haben ja damals auch
Bundesministerin Dr. Angela Merkel
gesagt, Sie seien schon für eine prinzipielle Beschleunigung und Änderung, aber der eingeschlagene Weg sei falsch. Heute sagen Sie, unser Weg hat aber dazu geführt, daß eine Änderung im Denken der Menschen stattgefunden hat. Damals haben Sie gesagt, wir müssen eine Imagekampagne machen. Wir haben das Gesetz geändert, das Denken hat sich verändert, und es wird sich weiter in die Richtung ändern, in die wir gerne wollen und die auch Sie wollen.
Frau Ministerin, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Kollegin Hustedt?
Ja. Ich sage aber, daß es die letzte Zwischenfrage ist, dann möchte ich ein Stück vorankommen.
Frau Merkel, es gab ja eine sehr ausführliche Anhörung zu diesem Thema. Da hat zum Beispiel Professor Dr. Heinz Joachim Bonk vom Bundesverwaltungsgericht gesagt - wörtlich -, mit den jetzt geplanten Änderungen sei eine Beschleunigung nicht erreichbar. Und Frau Gabriele Versteegen, Bund deutscher Verwaltungsrichter -
Frau Kollegin, die Frage! Die Frage soll kurz sein.
- das ist die Frage -, hat ausgeführt: „Schnelles Recht ist nicht immer gutes Recht. " Es sei Etikettenschwindel, wenn die Bundesregierung erkläre, die Verfahren in erster Instanz würden beschleunigt werden. Das heißt, die Experten haben in der Anhörung gemeinsam festgestellt, daß es nicht zu einer Beschleunigung kommen kann.
Frau Kollegin, so geht das nicht! Hören Sie einen Augenblick, bitte, zu! In der Geschäftsordnung, die wir uns gemeinsam gegeben haben, steht, daß die Fragen kurz und präzise sein sollen. Ganz wichtig: Es soll eine Frage sein. Also fragen Sie jetzt bitte!
Die Frage ist kurz und präzise. Ich brauchte diese Zitate jedoch als Einleitung. Stimmen Sie den Aussagen Ihrer Experten, die Sie zur Anhörung eingeladen haben, zu? Wenn ja: Warum haben Sie dann nicht Ihren Vorschlag zur Gesetzesänderung zurückgezogen?
Frau Kollegin Hustedt, wir sind eine Volkspartei, und unsere Experten dürfen durchaus unterschiedliche Meinungen
haben. Manche dieser Meinungen übernehmen wir, manche übernehmen wir nicht.
Ich kann deshalb nur sagen: Wir haben uns alles angehört und an vielen Stellen etwas geändert. Wir sind jedoch nicht jeder Expertenmeinung gefolgt, weil auch unsere Experten durchaus manchmal eigene Interessen haben.
Ohne zu wissen, ob dieser Experte nun eigene Interessen vertreten hat, sage ich: Wir müssen zum Schluß eine vernünftige Mischung dessen finden, was die Interessenvertreter aus den verschiedenen Bereichen der Gesellschaft für richtig halten. Sie werden immer einen finden, der in seinen Besitzständen an irgendeiner Stelle tangiert ist und deshalb zu der Meinung kommt, es wäre am schönsten, wenn alles so bliebe, wie es ist.
Meine Damen und Herren, jetzt aber möchte ich dringend über die Beteiligung Dritter sprechen. Denn, Herr Schütz, das scheint in der Tat eine wichtige Frage zu sein: Welche Rolle spielt die Behörde? An mancher Stelle habe ich in der Diskussion heute den Eindruck bekommen, daß die Behörde sozusagen das willenlose Ausführungsorgan der Antragsteller ist, der man mit größtmöglicher Skepsis begegnen müsse, weil sie sich wahrscheinlich nur dann ordentlich verhalte, wenn sie der Überwachung durch Dritte untersteht. Dabei soll es nicht etwa der Staat sein, der überwacht, sondern die Bürger.
So kann es nicht sein. Die Behörden tun in unserem Lande das, was nach Recht und Gesetz möglich ist. Sie tun es gut und vernünftig. Das sollte man an dieser Stelle einmal sagen.
Es gibt aber Fälle, in denen es richtig ist, daß Dritte beteiligt werden.
Was das Bundes-Immissionsschutzgesetz anbelangt, sind die Fragen der Öffentlichkeitsbeteiligung in diesem Gesetzentwurf gar nicht tangiert. Das war 1993 und hat, wie wir gelernt haben, zu einem Umdenken geführt.
Diesmal haben wir in der Frage „Anzeige/Genehmigung" entschieden. Nicht eine einzige Genehmigung, die heute mit Öffentlichkeitsbeteiligung durchgeführt wird, darf nach unserem neuen Gesetzentwurf in das Anzeigeverfahren überführt werden. Sie dürfen diese Dinge nicht vermischen.
- Ich lasse jetzt keine weitere Zwischenfrage zu; das habe ich vorhin schon gesagt.
Bundesministerin Dr. Angela Merkel
Deshalb, meine Damen und Herren, kann ich nicht verstehen, daß die Umweltverbände unter dem Motto, die Behörden seien jetzt Dienstleister der Investoren und der Antragsteller, eine Kampagne entfachen, die im Kern ausdrückt, wir gäben den Umweltschutz auf. Die Behörden müssen zu einem guten Teil Dienstleister der Antragsteller und zu einem Teil auch Dienstleister für die Bürger sein
und deren Rechte und deren Schutz gewährleisten. Das ist die Aufgabe von Behörden.
Unsere Aufgabe ist es, die Arbeit der Behörden so gering wie möglich zu halten, damit das Prinzip „schlanker Staat" wirklich Realität wird.
Wir haben heute - das ist der Kern unserer Änderungen - 85 Prozent Änderungsgenehmigungen. Diese haben wir uns jetzt noch einmal mit der Überlegung angeschaut: Wie kann man hier bestimmte Vereinfachungen und ganz klare Fristen deutlicher definieren? Wir sind dazu gekommen, zu sagen: Zunächst einmal versuchen wir es mit einer Änderung bezüglich des Anzeigeverfahrens. Dies versuchen wir deshalb, weil wir wissen, daß viele neue Änderungen umweltpolitisch günstige Auswirkungen haben. Was reitet uns als Umweltpolitiker, wenn wir verhindern, daß umweltpolitisch gute Auswirkungen möglichst schnell zur Ausführung gelangen? Gerade dies ist doch unsere Kernaufgabe.
Wenn den Bedingungen einer Anzeige nicht Genüge getan wird, wird wiederum das Genehmigungsverfahren eingeleitet.
Erschwerend - ich nenne dies jetzt einmal so - kommt noch hinzu: Wer das Anzeigeverfahren nicht mag, weil es ihm nicht genügend Rechtssicherheit gibt, der kann das Genehmigungsverfahren wählen. Auch das haben wir ermöglicht. Das müssen Sie doch zur Kenntnis nehmen.
Das heißt: Wir haben dem Antragsteller ein Bündel von Maßnahmen zur Verfügung gestellt, mit denen er in der Lage ist, den nach seiner Meinung besten Weg ausfindig zu machen, wie er seine Investitionen schnell in die Tat umsetzt. Er wird nicht gezwungen; er kann auswählen. Wenn dann Herr Antwerpes sagt, das sei aber dumm, weil die Behörde zwischen so vielen Varianten entscheiden muß, womit sie überfordert sei, kann ich nur sagen: Das muß die Behörde aushalten, daß zwischen verschiedenen rechtssicheren Wegen ausgewählt werden kann.
Deshalb sage ich noch einmal: Sie dürfen hier die Dinge nicht einfach falsch darstellen, weil wir natürlich auch draußen gehört werden. Wenn einer von Ihren Rednern behauptet, der vorzeitige Beginn würde dazu führen, daß man das Richtfest feiern könne und anschließend die Anlage wieder abreißen müsse, verbreitet er doch bewußt eine Lüge. Vorzeitiger Beginn heißt, daß Sie äußerstenfalls mit dem Ausschachten der Baugrube beginnen können. Dazu sagen meine Fachleute, allerdings, das sei schon zu-
viel. Sie können einen Bauzaun errichten. Sie müssen es nicht; Sie können es, wenn Sie es wollen und soviel Vertrauen in die Behörde haben, daß sie Ihnen irgendwann auch die Genehmigung gibt. Unter diesen Umständen können Sie doch nicht davon sprechen, daß wir jetzt Umweltstandards auf den Kopf stellen.
Überlegen Sie es sich deshalb gut, Herr Schütz, damit Sie nicht in drei Jahren wieder dastehen und sagen: Es war ein gutes Gesetz im Jahre 1996; es hat eine Änderung in den Köpfen der Menschen bewirkt. - Alles andere, was Sie damals gesagt haben, muß ich Ihnen nicht noch einmal vorlesen. Gehen Sie also noch einmal in sich! Stimmen Sie zu! Das wäre eine gute Sache.
Herr Präsident, jetzt muß ich, wenn Sie gestatten, noch eine Minute auf Frau Heidecke und die Änderungen des Atomgesetzes verwenden. Frau Heidecke, wenn Sie dazu etwas vorbringen, hätten Sie sich in Ihrer Argumentation zur Plangenehmigung auf das Verwaltungsverfahrensgesetz stützen sollen. Dort nämlich wird die Plangenehmigung allgemein eingeführt. Im Atomgesetz wird lediglich sichergestellt, daß in den Fällen, in denen Umweltbelange eine Rolle spielen können, weiterhin die Umweltverträglichkeitsprüfung und das Planfeststellungsverfahren durchgeführt werden. Die Atomgesetzänderung ist ein Sicherungsmechanismus zur Wahrung umweltrechtlicher Belange im Rahmen des atomrechtlichen Verfahrens. Die nicht so spezifisch gefaßten Vorschriften im Verwaltungsverfahrensgesetz sollen nicht dazu führen, daß an bestimmten Stellen keine UVP mehr durchgeführt werden kann.
Aber, Frau Heidecke, das alles ist doch eine Scheindiskussion. Sie sind der Meinung, daß es sich, wenn man im Endlager Morsleben neue Verpackungen verwendet, die von der Sache her, wie jeder sagt, nicht unsicherer sind als die, die bisher verwendet werden, um eine wesentliche Änderung handelt und daß man deshalb ein Planfeststellungsverfahren braucht. Dieser Meinung sind Sie, und aus diesem Grunde mußte ich gestern wieder anweisen, wie ich wahrscheinlich auch in Zukunft anweisen muß. Das hat mit den geplanten Gesetzesänderungen überhaupt nichts zu tun. Sie wollen dieses Endlager nicht, und Sie werden es deshalb weiter bekämpfen. Genau für diese Art des Herangehens brauchen wir ordentliche und eindeutige Rechtsvorschriften, damit nicht Willkür und politische Emotionalität das Geschehen in Deutschland bestimmen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Dr. Rochlitz.
Werte Damen und Herren! Wir befinden uns in einer
Dr. Jürgen Rochlitz
skurrilen Situation. Die Fachleute von der Ökonomie diagnostizieren im Zusammenhang mit angeblichen Schwächen des Standorts Deutschland, daß die Unternehmen durch die Integration in Europa und durch die weltweiten Liberalisierungstendenzen an Standortflexibilität gewonnen haben. Die wichtigsten Politikfelder zur Steigerung innerer Flexibilität seien daher die Lohn- und Arbeitsmarktpolitik, die Abgabenpolitik, die Technologie-, Forschungs- und Ausbildungspolitik. Auf die skurrile Idee, Fragen der Genehmigungspraxis im engen Feld industrieller Anlagen hierbei aufzuführen, kommen diese Ökonomen erst gar nicht.
Die Fachleute aus der Verwaltungspraxis haben anläßlich der Anhörung zu den Beschleunigungsgesetzen überdeutlich ausgeführt, daß eher mit weiteren Vollzugsdefiziten und einer Mehrbelastung der Behörden zu rechnen sei als mit tatsächlicher Vereinfachung oder Beschleunigung. Also, Frau Ministerin, mehr Bürokratie statt Spielräume, das wird das Ergebnis sein.
Zudem kritisierten die kommunalen Spitzenverbände die Verschiebung der haftungsrechtlichen Verantwortung auf die Behörden. Die Fachleute aus der Verwaltungswissenschaft wiederum kritisieren harsch, daß keine gründliche Analyse der schon wirksamen Beschleunigungsgesetze von 1993 erfolgte und daß mit den jetzt vorliegenden eine weitere Auszehrung des Umweltschutzes drohe.
Insgesamt ist also wohl kaum ein Gesetzesvorhaben auf soviel Sachverständigenkritik gestoßen wie dieses, so daß es mir schwerfällt zu verstehen, wieso Sie, Frau Ministerin, noch an diesem Projekt festhalten, bei dem Umweltrecht wie auch Bürgerrechte auf der Strecke bleiben.
Ebenso vermag ich nicht nachzuvollziehen, wieso sich die SPD-Fraktion an dieser umweltpolitischen Demontage teilweise beteiligt.
Gerade weil heute Bürgerrechte verstümmelt werden sollen, möchte ich an dieser Stelle die Gelegenheit wahrnehmen und der Umweltministerin mehr als tausend Protestschreiben von umweltengagierten Bürgern übergeben.
Die Protestschreiben lauten: Wir protestieren mit allem Nachdruck gegen die geplante Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren - -
Herr Kollege Rochlitz, hören Sie mir bitte einen Augenblick zu! Die Kurzintervention - das muß ich Ihnen wirklich im Interesse des Hauses sagen - ist eine spontane Äußerung und keine vorbereitete Rede.
Auch ist mir nicht klar - denn das ergibt sich nicht aus Ihren Worten -, auf welchen Redebeitrag sich Ihre Kurzintervention bezieht. Sie kann nur auf einen
Redebeitrag bezogen gehalten werden. Tun Sie das jetzt bitte, sonst müßte ich Ihnen das Wort entziehen.
Herr Präsident, wenn Sie richtig zugehört haben,
haben Sie feststellen können, daß ich mich auf den Redebeitrag der Frau Ministerin beziehe.
Herr Kollege Rochlitz, diskutieren Sie nicht mit dem amtierenden Präsidenten über die Geschäftsordnung! Ich habe Sie auf dieselbe hingewiesen und sage Ihnen: Sie haben das Wort zu einer Kurzintervention und nicht zu einer vorbereiteten Rede.
Eine Kurzintervention muß sich auf einen Redebeitrag beziehen. Also bitte nur dazu!
Richtig. - In Anbetracht der Ausführungen der Umweltministerin protestieren wir zusammen mit den engagierten Bürgern, die Protestschreiben an dieses Haus gerichtet haben, mit allem Nachdruck gegen die geplante Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren
und fordern vom Bundestag: keine Beschneidung der Einspruchsrechte von Bürgern und Verbänden, keine Änderung des Bundes-Imissionsschutzgesetzes, keine vorläufigen Genehmigungen ohne Umweltverträglichkeitsprüfung, - -
Es tut mir leid. Herr Kollege Rochlitz, ich bitte Sie! Hören Sie jetzt freiwillig auf! Ich muß Ihnen ansonsten das Wort entziehen. Es hat keinen Sinn. Es liegt im Interesse des gesamten Parlaments, daß ich das nicht akzeptieren kann. Hören Sie jetzt also bitte auf! Bitte nehmen Sie Platz!
Ich komme zum Schluß. Wir stehen auf der Seite der - -
Hören Sie, Herr Kollege Dr. Rochlitz!
- Bitte erledigen Sie die Übergabe von Papieren außerhalb des Parlamentes, weil ich auch Demonstrationen im Hause nicht akzeptieren kann. Wir werden darüber im Ältestenrat reden.
Jetzt hat sich die Kollegin Schönberger zu einer Kurzintervention gemeldet.
Ich möchte gerne so lange warten, bis sich die Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen etwas beruhigt haben.
Bitte, Sie haben das Wort.
Ich denke, liebe Kolleginnen und Kollegen, Unterschriften von Bürgerinnen und Bürgern sollte man nicht in den Papierkorb werfen, sondern man sollte davon Kenntnis nehmen.
Wenn Sie, Frau Merkel, in Ihrer Rede der sachsenanhaltinischen Umweltministerin, die im Interesse der Bürgerinnen und Bürger ihres Landes handelt, wenn sie versucht, Ihre Willkür und Ihre politische Emotionalität, die Sie von Bundesseite aus an den Tag legen, einzudämmen, und versucht, die Möglichkeiten, die sie hat, zu nutzen, daß nicht wahllos und willkürlich in dieses Lager eingelagert wird, was das Zeug hält, Vorwürfe machen, dann, so denke ich mir, ist das verantwortliche Handeln auf seiten der sachsen-anhaltinischen Umweltministerin und das unverantwortliche Handeln auf Ihrer Seite.
Unter dem Deckmantel der Investitionserleichterung und der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft wird plötzlich das Atomgesetz in einem Artikel, der die Endlagerung von Atommüll betrifft, geändert. Frau Merkel, glauben Sie denn, daß es der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft nutzt, wenn die Einlagerung von Atommüll in Morsleben erleichtert wird?
In Ihrer Presseerklärung von gestern, die nicht ganz mit dem Inhalt Ihrer Weisungen übereinstimmt, sagen Sie, Sie verbieten der Ministerin, sich zum Thema Morsleben überhaupt noch politisch zu äußern, und Sie gehen davon aus, daß es, wenn der Bund das Lager betreibt, schon richtig und sicher sein wird. Das, Frau Merkel, ist eine Einstellung zu politischer Kontrolle und Demokratie, die, wie ich finde, fehl am Platz ist.
Wenn eine Behörde handelt, braucht sie Kontrollinstanzen.
Es kann nicht sein, daß es heißt: Die Behörde handelt per se gut und richtig, und niemand hat nachzuprüfen, ob das stimmt.
Frau Kollegin Merkel, bitte.
Ich bin gerne bereit, dies im Detail noch einmal darzulegen. Die Änderung im Atomgesetz betrifft eine Klarstellung, die deutlich macht, daß auch weiterhin umweltrelevante Verfahren durchgeführt werden können, weil im § 74 des Verwaltungsverfahrensgesetzes nicht explizit darauf rekurriert wird. Insofern ist die Argumentation der Frau Kollegin Heidecke sowieso nicht richtig. Das gilt nicht nur für das Endlager Morsleben, sondern - wir machen diese Gesetze ja nicht für drei Monate - insgesamt für die Endlager. Es ist ein völlig falscher Eindruck, so zu tun, als ob § 9 b des Atomgesetzes nur für Morsleben geändert wird. Das ist der erste Punkt.
Der zweite Punkt. Sie können nicht einfach behaupten - das möchte ich generell zurückweisen -, daß der Bund als Betreiber bzw. als Aufsichtsbehörde seinen Pflichten nicht nachkommt. Nur lassen wir nicht zu, daß das Recht beliebig interpretiert wird, sondern wir sorgen dafür, daß Recht wirklich Recht bleibt.
Eine neue Verpackung ist keine wesentliche Änderung. Das ist meine Aussage.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Grill.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Schönberger, wir können das, was Sie hier gemacht haben, - -
Einen Augenblick, Herr Kollege Grill, damit wir nicht wieder in
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Schwierigkeiten kommen! Eine Kurzintervention auf eine Kurzintervention gibt es nicht. Ich muß Sie einfach darauf hinweisen.
Sie können eine Kurzintervention zu einem Redebeitrag machen, aber nicht zu einer Kurzintervention.
Ist in Ordnung, Herr Präsident.
Dann, meine Damen und Herren, schließe ich die Aussprache. Ich bitte schon vorab um höchste Aufmerksamkeit, denn es wird jetzt etwas schwierig und langwierig werden.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetzes.
Das sind die Drucksachen 13/3995 und 13/5085 Buchstabe a. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/5093 vor, über den wir zuerst abstimmen, und zwar auf Wunsch der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - so ist es jedenfalls bei mir angekommen - getrennt nach Nr. 1 und Nr. 2. Ist das richtig? - Gut.
Dann stimmen wir jetzt über die Nr. 1 des erwähnten Änderungsantrages der SPD ab. Wer stimmt für die Nr. 1 des Änderungsantrages? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD bei Enthaltung des Bündnisses 90/Die Grünen und der PDS ist die Nr. 1 des Änderungsantrages abgelehnt.
Nun stimmen wir über die Nr. 2 des Änderungsantrages ab. Wer stimmt zu? - Gegenprobe! - Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition ist die Nr. 2 abgelehnt.
Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen! - Der Gesetzentwurf ist mit derselben Mehrheit wie vorher angenommen.
Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu dem Gesetzentwurf des Bundesrates zur Sicherung des Wirtschaftsstandortes Deutschland durch Beschleunigung und Vereinfachung der Anlagenzulassungsverfahren. Das sind die Drucksachen 13/1445 und 13/5085 Buchstabe b.
Der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der SPD bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und bei einem etwas unklaren Abstimmungsverhalten der PDS angenommen.
- Sie haben gar nicht mitgestimmt.
- Das tut mir leid. Aber es kommt auch nicht darauf an.
- Nicht so, wie Sie es jetzt verstehen. Es kommt für das Ergebnis nicht darauf an. Ich schaue schon hinüber - darauf können Sie sich verlassen -, schon der guten Ordnung halber.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung auf Drucksachen 13/3993, 13/4069 und 13/5098 Nr. 1 in der Ausschußfassung.
Die Fraktion der SPD hat Einzelabstimmung über eine Reihe von Vorschriften verlangt.
Ich rufe zunächst Art. 1 Nr. 1 auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Art. 1 Nr. 1 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der PDS angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 2 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 13/5119 Nr. I 1 ein Änderungsantrag der SPDFraktion vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt.
Ich bitte jetzt diejenigen, die Art. 1 Nr. 2 in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Art. 1 Nr. 2 ist in der Ausschußfassung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 3 auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Art. 1 Nr. 3 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 3 a auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Art. 1 Nr. 3 a ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 3 b auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Art. 1 Nr. 3 b ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPDFraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der PDS angenommen.
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Ich rufe Art. 1 Nr. 4 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 13/5119 Nr. I2 ein Änderungsantrag der SPDFraktion vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt.
Ich bitte diejenigen, die Art. 1 Nr. 4 in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Art. 1 Nr. 4 ist in der Ausschußfassung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 5 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 13/5119 Nr. I 3 ein Änderungsantrag der SPD-Fraktion vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD-Fraktion und der PDS bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Ich bitte diejenigen, die Art. 1 Nr. 5 in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Art. 1 Nr. 5 ist in der Ausschußfassung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nm. 5 a bis 5 d auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Art. 1 Nm. 5 a bis 5 d sind mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen
von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nm. 6 bis 9 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 13/5119 Nm. 14 bis 7 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt.
Ich bitte diejenigen, die Art. 1 Nm. 6 bis 9 in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Art. 1 Nm. 6 bis 9 sind mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 10 auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Art. 1 Nr. 10 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Gegenstimmen von Bündnis 90/ Die Grünen und Stimmenthaltung der PDS angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 11 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 13/5119 Nr. I8 ein Änderungsantrag der SPD-Fraktion vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von SPD und PDS abgelehnt.
Ich bitte diejenigen, die Art. 1 Nr. 11 in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Art. 1 Nr. 11 ist in der Ausschußfassung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nm. 12 und 13 auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Art. 1 Nrn. 12 und 13 sind mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nrn. 14 bis 16 auf. Dazu liegt auf Drucksache 13/5119 Nrn. I9 bis 11 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt.
Ich bitte diejenigen, die Art. 1 Nrn. 14 bis 16 in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Art. 1 Nm. 14 bis 16 sind in der Ausschußfassung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nm. 17 bis 18a auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Art. 1 Nrn. 17 bis 18a sind mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen der PDS bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 19 auf. Dazu liegt auf Drucksache 13/5119 I 12 ein Änderungsantrag der SPD-Fraktion vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen der SPDFraktion bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Ich bitte diejenigen, die Art. 1 Nr. 19 in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dafür? - Wer dagegen? - Enthaltungen? - Art. 1 Nr. 19 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 19a bis Nr. 21 Buchstabe a auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Art. 1 Nr. 19a bis Nr. 21 Buchstabe a ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 21 Buchstabe b auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Art. 1 Nr. 21 Buchstabe b ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 21 Buchstabe c auf. Dazu liegt auf der erwähnten Drucksache 13/5119 unter I 13 ein Änderungsantrag der SPD-Fraktion vor. Wer stimmt
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
für diesen Änderungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt.
Ich bitte diejenigen, die Art. 1 Nr. 21 Buchstabe c in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Art. 1 Nr. 21 Buchstabe c ist in der Ausschußfassung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 21 Buchstabe d bis Nr. 21 a auf. Ist das so korrekt?
- Es erscheint aber auf den ersten Blick nicht ganz plausibel.
Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Art. 1 Nr. 21 Buchstabe d bis Nr. 21 a sind mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 22 auf und bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Art. 1 Nr. 22 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/ Die Grünen und PDS angenommen.
Ich rufe Art. 2 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 13/ 5119 unter II ein Änderungsantrag der SPD-Fraktion vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt.
Ich bitte diejenigen, die Art. 2 zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Art. 2 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Ich rufe Art. 3 auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Art. 3 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen gegen die Stimmen der SPD-Fraktion und der PDS angenommen.
Ich rufe die Art. 4 und 5 auf und bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Art. 4 und 5 sind mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der PDS bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Ich rufe die Art. 6 bis 9b auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Art. 6 bis 9 b sind mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Ich rufe Art. 10 auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Art. 10 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen.
Ich rufe Art. 11 auf. Dazu liegt ein Änderungsantrag der SPD-Fraktion vor, Drucksache 13/5119 Nr. III. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt.
Ich bitte jetzt diejenigen, die Art. 11 in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Art. 11 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Ich rufe Art. 12, Einleitung und Überschrift auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Art. 12, Einleitung und Überschrift sind mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Nr. 1 der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu dem Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung auf Drucksache 13/5098. Der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf auf Drucksache 13/1433 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Das ist, soweit ich sehe, einstimmig angenommen.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 17 b, zunächst zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Beschleunigung und Vereinfachung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren, Drucksachen 13/3996 und 13/5100 Nr. 1.
Dazu liegt ein Änderungsantrag der SPD-Fraktion auf Drucksache 13/5109 vor, über den wir jetzt zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Gruppe PDS gegen die Stimmen der SPD-Fraktion bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/ Die Grünen abgelehnt. - Ich werde darauf hingewiesen, daß es bei der Abstimmung über den Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 13/5109 bei Bündnis 90/Die Grünen ein paar Gegenstimmen gab.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen „Kein Abbau von Umweltstandards und Bürgerrechten", das ist Nr. 2 auf Drucksache 13/5100. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/4075 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei Stimmenthaltung der SPD-Fraktion angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der SPD-Fraktion zum Gesetzentwurf zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung, zum Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz und zum Gesetz zur Beschleunigung und Vereinfachung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren auf Drucksache 13/5111.
Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, gegen die Stimmen der SPD-Fraktion, bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und PDS abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Gruppe PDS auf Drucksache 13/5110.
Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen Bündnis 90/Die Grünen und PDS abgelehnt.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 4 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Rudolf Scharping, Rudolf Dreßler, Ottmar Schreiner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über zwingende Arbeitsbedingungen bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen
- Drucksache 13/4888 —Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Leyla Onur.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Die Situation der Bauwirtschaft hat sich in den letzten Monaten tendenziell weiter zugespitzt. Viele Unternehmen mußten aufgeben oder stehen vor dem Ruin. Die Zahl der Konkurse von Bauunternehmen stieg im ersten Quartal dieses Jahres im Vergleich zum Vorjahr im Westen um 30 Prozent, in den neuen Ländern sogar um 45 Prozent. Die deutsche Bauwirtschaft liegt am Boden" . Dies hat der Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Baugewerbes, Fritz Eichbauer, gestern festgestellt. Als eine der Hauptursachen prangert der Arbeitgeberpräsident die „Blockade des Entsendegesetzes durch die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände im Tarifausschuß" an:
Gegenwärtig arbeiten mehr als 200 000 ausländische Arbeitnehmer
- er meint entsandte Arbeitnehmer -
auf deutschen Baustellen. Der Konkurrenzdruck durch die weitaus billigeren Subunternehmen aus Portugal, England oder aus Osteuropa ist mörderisch. Diese Sachlage zwingt die Baufirmen zur Entlassung ihrer Stammbelegschaft.
Wie Eichbauer feststellt, sind die Arbeitgeberverbände im Tarifausschuß verantwortlich für „den Zusammenbruch von rund 4 000 bis 6 000 Bauunternehmen allein in diesem Jahr und für den Abbau von 300 000 Arbeitsplätzen in den kommenden Jahren" . Das ist leider keine Schwarzmalerei eines Verbandsvertreters, sondern bittere Realität.
Das bestätigt auch eine dpa-Meldung von gestern mit der Überschrift: Züblin baut 10 Prozent der Arbeitsplätze ab. In der Meldung heißt es, daß das Stuttgarter Bauunternehmen Züblin AG verstärkt auf ausländische Subunternehmer zurückgreifen werde und mit der Streichung von 1 380 Stellen der Nachfrage nach billigen Leistungen Rechnung trage.
Es ist auch keine Schwarzmalerei, wenn Klaus Schmidt als Geschäftsführer des niedersächsischen Baugewerbes sinngemäß androht, sein Verband werde ab Herbst 1996 in Informationsveranstaltungen seine Mitglieder - die kleinen und mittleren Baubetriebe - für den Überlebenskampf fit machen, das heißt, ihnen den Einsatz von Billiglohnkolonnen empfehlen, um mit Hilfe einer Mischkalkulation konkurrenzfähig bleiben zu können.
Mischkalkulation bedeutet mit meinen Worten: Langjährige Mitarbeiter vor die Tür setzen und ent-
Leyla Onur
sandte Arbeitnehmer zu Dumpinglöhnen an deren Stelle beschäftigen,
und zwar ganz legal, solange das Entsendegesetz, das seit dem 1. März in Kraft ist, nicht greift.
Das Entsendegesetz konnte bisher nicht wirksam werden, weil die BDA am 28. Mai im Tarifausschuß den von den Bauarbeitgeberverbänden und der IG Bau vereinbarten Mindestlohn für entsandte Arbeitnehmer mit - Originalton Blüm - „fadenscheinigen Argumenten" abgelehnt hat.
Damit haben diese Spitzenverbände nicht nur die Bauarbeitnehmer, sondern auch ihre eigenen Mitglieder - das hat der Bundesarbeitsminister sehr richtig festgestellt - „im Stich" gelassen.
Starke Worte, Herr Minister. Ist er überhaupt da? Nein, obwohl das doch sein Lieblingsgesetz sein soll, zumindest habe ich mir das sagen lassen. Ihr Staatssekretär und Intimus Horst Günther - der ist da, das ist sehr nett - hat noch einmal kräftig nachgelegt, als er verkündete: „Ab sofort geht jeder weitere Arbeitslose auf das Konto der Arbeitgeber" . Günther nennt das Verhalten der BDA „unverantwortlich" und „eine dreiste Provokation der Tarifpartner im Baugewerbe" .
Der Parlamentarische Staatssekretär hätte hinzufügen müssen, daß die BDA mit ihrer anmaßenden Entscheidung die Bundesregierung, insbesondere Minister Blüm, aber auch den Bundestag und den Bundesrat brüskiert hat.
Herr Bundesminister, der 28. Mai 1996 war in der Tat „ein schwarzer Tag für die Sozialpartner",
aber auch für die Bundesregierung. Insbesondere für Sie, Herr Bundesarbeitsminister, war es ein schwarzer Dienstag. Sie, Herr Bundesminister, haben in Ihrer Presseerklärung am 28. Mai den Eindruck zu vermitteln versucht, daß Sie die Entscheidung der Arbeitgeber überrascht, ja geradezu schockiert habe.
Soviel Scheinheiligkeit nimmt Ihnen - mit Verlaub - keiner ab;
denn Sie wußten schon vor der Verabschiedung des Entsendegesetzes, daß sich die Arbeitgeber verweigern würden.
Der Hauptgeschäftsführer der BDA hat Sie „zu keinem Zeitpunkt im unklaren gelassen" und die Bedenken zum Entsendegesetz zum Ausdruck gebracht. Im Klartext: Diese Herren wollten und wollen kein Entsendegesetz und keinen Mindestlohn, ganz gleich, in welcher Höhe, auch wenn sie an jenem
schwarzen Dienstag nur noch mit der Höhe des Mindestlohns argumentiert haben.
Daß die Arbeitgeber den von den Tarifpartnern im Bau vereinbarten Mindestlohn und damit das Entsendegesetz zum Scheitern bringen wollten, war also keine Überraschung. Im Gegenteil: Diese Herren sind dazu ausdrücklich aufgefordert worden.
Noch bevor überhaupt das Entsendegesetz verabschiedet, geschweige denn ein Mindestlohn vereinbart worden war, hat kein Geringerer als Dr. Otto Graf Lambsdorff, Ihr Koalitionspartner, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, bereits am 20. Juli 1995 im „Handelsblatt" die Arbeitgeberverbände im Tarifausschuß aufgehetzt, „stur zu bleiben, dann werde es kein Entsendegesetz geben" .
Die Sozialabbruchunternehmer Lambsdorff, Rexrodt & Co.
haben erfolgreich die Strippen gezogen und Ihnen, Herr Bundesarbeitsminister - gestatten Sie es mir zu sagen -, so kräftig in die Kehrseite getreten. Eigentlich hätten Sie das böse Spiel dieser Drahtzieher im Vermittlungsausschuß durchschauen müssen. Oder haben Sie sich einfach der naiven Hoffnung hingegeben, daß ein Weihnachtsmann, oder besser gesagt die drei Weihnachtsmänner im Tarifausschuß Ihnen Ihren Wunsch erfüllen, wenn Sie nur sehr lieb darum bitten?
Ihre Jammertiraden über die bösen Arbeitgeberverbände helfen keinem weiter: nicht den ausländischen Arbeitnehmern, die für 6 Mark Stundenlohn auf deutschen Baustellen schuften; nicht den 200 000 arbeitslosen einheimischen Bauarbeitern; nicht der am Boden liegenden deutschen Bauwirtschaft. Als verantwortliches Regierungsmitglied hätten Sie vor dem schwarzen Dienstag die Gefahr erkennen müssen. Sie hätten dafür sorgen müssen, daß die Sozialpartnerschaft in Deutschland nicht von den Arbeitgebern, der F.D.P. und anderen Klientelgrüppchen mit Füßen getreten wird.
Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e. V., der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes e. V. und die IG Bauen - Agrar - Umwelt haben als zuständige Tarifpartner trotz größter Schwierigkeiten einen Mindestlohn für entsandte Arbeitnehmer vereinbart, einen Mindestlohn, der in ihrer Branche angemessen ist. Ihnen allein obliegt das Recht und die Verantwortung für die Angemessenheit der Mindestlohnhöhe. Diese Aufgabe hat der Gesetzgeber den Sozialpartnern im Bau im Entsendegesetz ausdrück-
Leyla Onur
lich übertragen. Ihr verantwortliches Handeln verdient unser aller Lob!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Auf Kosten der Bauindustrie will der Arbeitgeberverband diesen Konflikt nutzen, um mit der Brechstange die Löhne in Deutschland auf breiter Front runterzudrücken.
Die SPD-Bundestagsfraktion steht deshalb an der Seite des Bundesarbeitsministers, wenn er nicht zuläßt, daß die zuständigen Sozialpartner geschwächt werden - oder wie er es selbst formuliert hat, „ihre Vereinbarungsmacht einbüßen". Wir unterstützen den Bundesarbeitsminister nachdrücklich, wenn er den Totengräbern der Tarifautonomie, Lambsdorff, Rexrodt & Co. sowie deren Verbündeten im Tarif ausschuß, die Stirn bietet.
Wir sind mit ihm einig über das Ziel: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort - gegen Arbeitslosigkeit, gegen Ausbeutung.
Wir müssen uns jetzt sehr schnell auch hinsichtlich der Maßnahmen einig werden, sonst bricht der Damm, und eine Sturzflut von Konkursen und zusätzlichen Arbeitslosen wird über Deutschland hereinbrechen und andere Branchen mit sich reißen. Es reicht nicht aus, Herr Bundesarbeitsminister, wenn Ihre Pressestelle in Ihrem Namen erklärt:
Die Bundesregierung bedauert, daß sich die Sozialpartner im Tarifausschuß nicht auf eine Lösung für einen allgemeinverbindlichen Mindestlohn für die Bauwirtschaft verständigen konnten. Die Bundesregierung fordert die Tarifparteien und Spitzenverbände eindringlich auf, weiterhin tragfähige Lösungen zu suchen.
Was heißt eigentlich „weiterhin"? Wie lange sollen die Genannten nach Lösungen suchen dürfen? Bis der letzte einheimische Bauarbeiter entlassen worden ist? Nein, Herr Minister, lauwarmes Bedauern und pflaumenweiche Aufforderungen helfen den betroffenen Arbeitnehmern und Arbeitgebern am Bau nicht weiter.
Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat müssen ihrer Verantwortung gemäß das Heft des Handelns wieder in die Hand nehmen. Gemeinsam müssen wir das Entsendegesetz vom 26. Februar 1996 um einen Auflösungsmechanismus ergänzen, der nur - ich sage ausdrücklich: nur - für den Fall gilt, daß eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung entsprechend den Regeln des Tarifvertragsgesetzes nicht zustande kommt. Nur in diesem Fall - so sieht es der Gesetzentwurf der SPD-Bundestagsfraktion vor - soll der
Bundesarbeitsminister eine Ermächtigung erhalten, den von den Tarifparteien vereinbarten Mindestlohn durch Rechtsverordnung festzulegen. Das ist kein gesetzlicher Mindestlohn, denn der Gesetzgeber legt nicht die Mindestlohnhöhe fest.
Frau Kollegin, bitte achten Sie auf die Zeit!
Ich komme zum Schluß. - Der Gesetzgeber sorgt nur dafür, daß der von den Tarifpartnern vereinbarte Mindestlohn wirksam werden kann.
IG Bau und DGB, unbestrittene Hüter der Tarifautonomie, unterstützen nachdrücklich diesen Weg, weil hierdurch die Tarifautonomie voll erhalten bleibt. Wenn Sie wollen, daß endlich die Wettbewerbsfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt im Baubereich wiederhergestellt wird, dann müssen Sie, meine Damen und Herren von der Koalitionsmehrheit, unserem Vorschlag zustimmen. Es ist die richtige Entscheidung zur richtigen Zeit.
Danke schön.
Das Wort hat Kollege Heinz Schemken, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Gesetzentwurf der SPD zum Arbeitnehmer-Entsendegesetz soll im Kern eine Rechtsverordnung auslösen, mit der der Arbeitsminister im Grunde genommen schon fast als Schlichter einen einheitlichen Mindestlohn festlegt. Ich muß einmal ganz deutlich sagen: Das wäre ein Novum in der Tarifautonomie und auch ein Novum für die Tarifpartner.
Wir haben am 1. März ein Entsendegesetz mit dem Ziel in Kraft gesetzt, die Wettbewerbsfähigkeit der Bauwirtschaft zu stärken, insbesondere aber den kleinen und mittelständischen Betrieben die Möglichkeit zu eröffnen, unter gleichen Rahmenbedingungen ihre Angebote abzugeben und darüber hinaus den Mittelstand in die Lage zu versetzen, die Arbeitslosenzahlen in dieser Branche abzubauen.
Herr Kollege Schemken, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dreßen?
Bitte schön.
Herr Kollege Schemken, Sie haben gerade gesagt, daß es ein Novum in der Tarifautonomie wäre, wenn man unserem Gesetzentwurf folgen würde. Sind Sie bereit, zumindest zu erklären,
Peter Dreßen
daß das, was wir wollen, Ergebnis von Verhandlungen der Tarifparteien, der IG Bau und dem Arbeitgeberverband in der Bauindustrie ist? Wir wollen nur das übernehmen, was es dort gibt, um die Schweinerei, die sich der BDA geleistet hat, zu korrigieren und in Ordnung zu bringen. Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß dringender Handlungsbedarf gegeben ist? Wie sehen Sie das?
Ich sehe das so, daß es - auf den BDA komme ich gleich noch - sehr problematisch wäre, wenn wir es so regeln würden, daß wir, wenn am Ende das Ergebnis im Tarifausschuß nicht getragen wird, für einen der Beteiligten Partei ergreifen. Dies könnte auch bei einem anderen Fall auslösend wirken. Letztlich würden wir die Tarifautonomie - sie ist ein heiliges Gut - nicht beachten und damit der Regierung die Möglichkeit der Lohnfestsetzung übertragen. Nach unserem Verständnis des Arbeitsrechts geht das zu weit.
Wir bedauern allerdings - das sage ich ganz offen und unmißverständlich, Herr Dreßen - mit Nachdruck, daß sich der BDA weigert, die Zustimmung zur erforderlichen Allgemeinverbindlichkeitserklärung zu geben. Damit wird die schwierige Lage der Bauwirtschaft und des Bauhandwerks weiter verschärft, und sie wird sich dann weiter verschärfen; wir haben dazu eben schon einige Zahlen gehört. Ich muß ausdrücklich sagen: Die Verantwortung liegt nun einmal bei denen, die diesen Vorgang blockieren und damit den mit dem Entsendegesetz beabsichtigten Schutz der Baustellen vor Dumping und vor Bedingungen, die nicht gleichgewichtig sind, und somit die Unterstützung auch des Mittelstandes verhindern.
Die ablehnende Haltung der Arbeitgeberseite ist meiner Meinung nach deshalb um so unverständlicher, weil wir mit diesem Entsendegesetz eine befristete Regelung beschlossen haben. Diese befristete Regelung gilt für den unhaltbaren Zustand auf deutschen Baustellen, den wir beenden wollten. Insofern, Herr Dreßen, ist dies die Antwort auf Ihre Frage, auch im Hinblick darauf, daß es auf den Baustellen darauf ankommt, eine Regelung zum Schutz der Anbieter und Arbeitnehmer unter gleichen Rahmenbedingungen zu ermöglichen.
Ich sage: Konkurrenz ja, auch im internationalen Wettbewerb. Dem können wir uns nicht verschließen. Niemand will Europa vor der Türe lassen; das steht außer Frage. Aber ohne gleiche Rahmenbedingungen bringen wir den Mittelstand, besonders das Handwerk, in eine aussichtslose Lage - und dies in einer Zeit hoher Arbeitslosigkeit.
Gerade im Handwerk - das wissen wir und haben es in den letzten Wochen wiederholt feststellen müssen; wir behandeln ja das Problem in unterschiedlichen Gesetzesinitiativen - haben wir die große Chance, Arbeitsplätze zu schaffen. Das ist nachgewiesen, und die Zahlen der letzten Tage zeigen deutlich, daß Hunderttausende von Arbeitsplätzen im
Handwerk geschaffen worden sind, was bisher aus der Statistik nicht hervorging.
- Das ist so. Sogar Ihr Wirtschaftsminister im Lande Nordrhein-Westfalen, Herr Clement, hat dies erkannt und sagt: Das ist die Chance; wir brauchen gerade den Mittelstand in einem Land, in dem auch die Großindustrie ihre Probleme hat.
Herr Kollege Schemken, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schreiner?
Ja, bitte schön, Herr Kollege Schreiner.
Herr Kollege Schemken, ich wollte Sie angesichts der von Ihnen eben so euphorisch vermeldeten Zuwachszahlen im Bereich der mittelständischen Wirtschaft fragen, wie Sie die Aussagen des Präsidenten der Deutschen Bauindustrie von gestern, die heute in der Presse nachzulesen sind, beurteilen? Er geht davon aus, daß bei fortdauernder Untätigkeit der Bundesregierung auf diesem Feld - vor allem auf Grund der ausländischen Billigstlohnkonkurrenz - in diesem Jahr 1996 mit der Schließung von etwa 6 000 mittelständischen Bauunternehmen in Deutschland und in den nächsten Jahren mit etwa 300 000 zusätzlichen Arbeitslosen in diesem Bereich gerechnet werden muß.
Herr Schreiner, ich kann nur einfach feststellen: Genau das war der Grund, warum wir das Entsendegesetz hier beschlossen haben. Das widerspricht aber nicht dem, was ich vorhin festgestellt habe, daß im Bereich des Handwerks die Arbeitsplätze geschaffen werden. Weil sie dort geschaffen werden, muß das Entsendegesetz um so mehr greifen. Das ist meine Antwort.
Gestatten Sie eine weitere Frage?
Ja.
Ihr Entsendegesetz ist zu einem Zeitpunkt formuliert worden, zu dem die drei Vertreter der Arbeitgeber im Tarifausschuß beim Bundesarbeitsministerium ausdrücklich erklärt haben, daß sie entsprechenden Regelungen nicht zustimmen werden. Das heißt, Ihr Gesetz ist zu einem Zeitpunkt formuliert worden, zu dem die Bundesregierung fest davon ausgehen mußte, daß dieses Gesetz scheitert. Ich frage Sie: Was hat Sie gleichwohl bewogen, an dieser Konstruktion festzuhalten und was gedenken Sie jetzt zu tun, nachdem das Gesetz endgültig gescheitert ist?
Ich bin nach wie vor der Meinung, daß auf der einen Seite die Tarifpartnerschaft auch Verantwortung tragen muß, daß aber auf der anderen Seite die Tarifpartner das Recht haben, weitere Vorschläge einzubringen.
- Einverstanden. Sie stimmen aber nicht zu.
- Die Beteiligten müssen zustimmen, das gilt auch für die Gewerkschaften.
- Entschuldigung, Herr Schreiner, aber ich hatte die Antwort auf Ihre Frage schon vorhin gegeben. Es ist keine Mißachtung Ihrer Person, daß ich Sie nicht die ganze Zeit im Blick hatte. Ihre Zwischenfrage wurde konterkariert durch den Kollegen Dreßen.
Deshalb habe ich versucht, zwei Antworten zu geben, obwohl mir der Präsident dazu nicht die Vollmacht gegeben hatte. Das gebe ich zu.
- Schönen Dank, ja.
Nun versucht die SPD, durch einen Einstieg in eine staatliche Mindestlohnfestsetzung eine Regelung herbeizuführen. Das aber hat mit den Grundsätzen unserer Wirtschafts- und Sozialordnung, wonach den Sozialpartnern die Tarifhoheit über Lohnfindung und Festsetzung von Arbeitsbedingungen zusteht, nichts mehr zu tun. Mit diesen Grundsätzen würde gebrochen.
Die Entscheidungsverantwortung über das Ob der Festsetzung des einheitlichen Mindestlohnes dem Staat zu überantworten, würde sicherlich weitere gravierende Folgen für die Tarifpartnerschaft mit sich bringen. Aus diesen Gründen wollen wir die Verantwortung bei den Tarifpartnern belassen. Dies ist ja nicht nur eine Tradition; vor allem hat diese Verantwortung zum sozialen Frieden in Deutschland entscheidend beigetragen. Es geht hier also um mehr als nur um die augenblickliche Frage einer Forderung nach Mindestlohnfestsetzung.
Nach dem geltenden Entsendegesetz soll gerade der Tarifausschuß stellvertretend für alle Tarifparteien aus übergeordneter Sicht an der Allgemeinverbindlichkeitserklärung mitwirken und entscheiden.
Der SPD-Gesetzentwurf birgt die weitere Gefahr in sich, daß gerade die Spitzenverbände - jetzt komme ich zu dem entscheidenden Punkt, der uns hier ja auch beschäftigen muß - dies als eine Einladung verstehen, sich in schwierigen und brisanten Entscheidungssituationen aus der Verantwortung zu stehlen und diese auf staatliche Institutionen abzuwälzen. Dies würde den Tarifausschuß seiner alleinigen Verantwortung entheben und ihn faktisch entmachten, was im übrigen Konsequenzen mit sich bringen könnte, die sicherlich auch von Ihnen niemand will. Denn es kann ja auch einmal ein anderer Vorgang eine Rolle spielen, so schön es im Moment wäre, wenn man eine solche Sünde beginge und auf diese Art und Weise kurzfristig entscheiden könnte. Des weiteren führte es zu einer Politisierung der Lohnfindung und legte dem Staat letzten Endes die Pflicht einer Zwangsschlichtung auf; denn er muß sich ja irgendwie entscheiden, wobei er zweifellos den einen oder den anderen vor den Kopf stieße.
- Ja, sicher ist das ein befristetes Gesetz. Gerade deswegen erwarten wir ja von den Tarifpartnern, daß sie die Verhältnismäßigkeit der Dinge richtig einschätzen.
Wir stehen zu den Arbeitsplätzen am Bau, wir stehen zum Mittelstand und zum Handwerk. Auch wenn die Tarifpartner sich schwertun, die Verantwortung liegt bei ihnen.
- Selbstverständlich, die Verantwortung liegt dort. Wo soll sie sonst liegen?
Es besteht die große Gefahr, daß sich andere Branchen mit vergleichbaren Einigungsschwierigkeiten auf einen staatlichen Eingriff berufen. Das hätte zur Folge, daß die Sozialpartner nie mehr nach tragfähigen Kompromissen suchen würden, obwohl es eigentlich die Essenz einer Tarifpartnerschaft wie auch jedweden politischen Handelns ist, nach Kompromissen zu suchen.
Statt dessen aber würde der Staat bemüht werden, und er würde in eine Entscheidungsrolle hineingedrängt, die er nach den Grundsätzen unserer Arbeitsverfassung nicht ausüben darf. Das darf nach unserer Auffassung nicht sein; staatliches Handeln kann nicht die Verantwortung der Tarifpartner ersetzen.
Es kommt jetzt darauf an, daß in der Bauwirtschaft so bald wie möglich eine Einigung der Spitzenverbände erzielt wird, um damit einer weiteren Vergrößerung der Arbeitslosenzahl - diese steht gegenwärtig ja außer Frage; das beklagen wir auch - auf dem Bausektor entgegenzuwirken. Gerade in schwierigen Zeiten hat sich die Tarifpartnerschaft bewährt.
Heinz Schemken
Diesen Appell sollten wir jetzt auch an die Arbeitgeberverbände richten.
Einem Verhandlungsprotokoll der IG Bau entnehme ich - ich zitiere -:
Dennoch müssen sich die Tarifvertragsparteien auch in dieser Situation der großen Verantwortung für den Bauarbeitsmarkt in der Bundesrepublik Deutschland bewußt sein. Und selbstverständlich bekennen wir uns zu dieser Verantwortung - auch in schwieriger Zeit.
IG Bau!
- Ja, zum Tarifrecht.
Es geht um viele zehntausende Arbeits- und Ausbildungsplätze.
Ich sage das ausdrücklich. Deshalb haben wir dieses Entsendegesetz gemacht, auch gegen Ordnungspolitiker durchgesetzt, weil wir der Meinung sind: Auch hier, in einer schwierigen Lage, ist das Bauhandwerk auf unsere Hilfe angewiesen, und wir erwarten dort die Arbeitsplätze.
Herr Schreiner, ich sage es noch einmal ausdrücklich, auch bezogen auf die Ausbildungsplätze: Sie sind nun einmal im Handwerk angesiedelt. Wir können uns ja leider auf die Zusagen der Großen anscheinend nicht mehr verlassen; aber auf das Handwerk, auf den Mittelstand können wir uns verlassen. Es geht hier um die vielen Handwerks- und mittelständischen Existenzen. Deshalb müssen die Verbände sofort und ohne Verzug handeln. Zu dieser Aufforderung stehen wir. Das ist nicht nur ein Appell, sondern wir erwarten das Handeln in Verantwortung gegenüber den mittelständischen Existenzen und den Arbeitsplätzen.
Vielen Dank.
Frau Kollegin Buntenbach, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir stehen hier vor einer ungewöhnlichen Situation: Es ist von diesem Haus ein Gesetz verabschiedet worden, das auf den Baustellen gleichen Lohn für gleiche Arbeit sicherstellen sollte. Es ist in Kraft getreten, und es bewirkt schlicht gar nichts.
Da fragt man sich doch - und das nicht zum erstenmal -, wie ernst wir uns eigentlich als Legislative überhaupt nehmen.
Die Situation ist ungewöhnlich; aber, Herr Schemken, unerwartet ist sie nicht. Denn genau das, was zu befürchten stand, ist passiert, als Sie von den Regierungsfraktionen sich im letzten Herbst entschieden haben, vor den praktischen Nutzen dieses Gesetzes die Hürde der Allgemeinverbindlichkeitserklärung zu setzen.
Über diese Hürde zu springen hat die BDA schon vor der Verabschiedung abgelehnt. Jetzt hat sie erneut abgelehnt, trotz Tarifvereinbarung zum Mindestlohn in der Baubranche.
- Und trotz Appellen. - Die Branche selbst ist sich heute genauso einig wie damals in ihrer Forderung nach dem Entsendegesetz. Immer wieder ist es die Blockadepolitik der BDA, die keiner Vernunft zugänglich ist und Lohn- und Sozialdumping als gesellschaftlichen Normalfall durchsetzen will.
Wir können doch nicht hinnehmen, daß dadurch Gesetzgebung und Branchentarife zur Farce gemacht werden, es sei denn, Sie von den Regierungsfraktionen wollen zukünftig Ihre Politik vertrauensvoll gleich ganz in die Hände der Arbeitgeberverbände legen. Die Anzeichen dafür häufen sich. Sollte das wirklich Ihr Wunsch und Wille sein, dann belästigen Sie uns aber als Parlament, bitte, in Zukunft nicht mehr mit Beratungen, die eh eine Farce sind.
Nachdem die BDA die Allgemeinverbindlichkeitserklärung verweigert hat, ist der Schwarze Peter ganz eindeutig wieder beim Gesetzgeber, und Sie müssen jetzt umgehend handeln. Denn Sie wissen, das Problem ist ausgesprochen ernst, und es hat sich durch die jahrelange Verschleppung weiter zugespitzt.
Die Situation auf den Baustellen ist hochexplosiv; das wissen nun wirklich alle hier im Hause. In diesem Winter sind dank Ihres „Geniestreiches", der Abschaffung des Schlechtwettergeldes, sehr viele Bauarbeiter arbeitslos geworden. Als die Witterung wieder besser wurde, waren die Arbeitsplätze per Billiglohn neu besetzt, und viele hatten keine Chance auf Wiedereinstellung, schon gar nicht nach Tarif.
Ein immer größerer Teil der auf dem Bau Beschäftigten arbeitet zu Dumpinglöhnen zwischen 5 und 10 DM die Stunde. Die Unterbringung ist oft nicht einmal menschenwürdig; Unfall- und Arbeitsschutz sind überhaupt nicht mehr zu halten.
Zwischen den scheinselbständigen Arbeitnehmern aus der EU und den Werkvertragsarbeitnehmern aus Osteuropa blüht eine breite Zone illegaler Leiharbeit. Obwohl zum Beispiel polnische Werkvertragsarbeitnehmer laut Arbeitserlaubnisverordnung Anspruch auf gleiche Bedingungen wie die hier Beschäftigten
Annelie Buntenbach
inländischen Arbeitnehmer haben, sind sie ganz offensichtlich trotzdem Lohn- und Sozialdumping ausgesetzt. Sie werden mit falschen Versprechungen angeworben, haben nichts Schriftliches in der Hand. Sie werden nach Strich und Faden ausgenutzt, was Arbeitszeiten und Niedriglöhne angeht.
Da geht es den Arbeitnehmern aus der EU nicht viel anders. Es gibt Berichte aus den Botschaften, daß Arbeitnehmer im Krankheitsfall sofort hinausgeworfen werden, bei Unfällen die Existenz von Verträgen bestritten wird und die Menschen dann wieder über die Grenze gebracht werden.
Die Rechtssicherheit und Konfliktfähigkeit dieser Beschäftigten müssen wir unbedingt stärken. Mit der gängigen Praxis, Aufträge an Subunternehmen, die zu Dumpinglöhnen beschäftigen, durchzureichen, entsteht eine so unübersichtliche Situation, daß Fälle möglich werden, wie sie aus Berlin und Augsburg durch die Presse gegangen sind. Da geht es um Kollegen, die zu Dumpinglöhnen angeheuert und von der Leiharbeitsfirma ohne rechtlichen Schutz und ohne Sozialversicherung hängengelassen worden sind. Sie müssen um die Auszahlung ihrer Löhne kämpfen, die ihnen noch für mehrere Monate zustehen.
Wir brauchen endlich ein Entsendegesetz, das vernünftige Arbeitsbedingungen auf dem Bau für alle sicherstellt. Das heißt, gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Sie - das sage ich ganz ernsthaft, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen - haben schon viel zu lange nicht gehandelt. Damit tragen Sie mit die Verantwortung dafür, daß sich nationale Ressentiments in den Köpfen festsetzen; denn die Kollegen werden nach Hautfarbe und Paß gegeneinander ausgespielt.
Die Unternehmen der Baubranche, die sich korrekt verhalten und noch Tariflöhne zahlen, werden durch dieses Sozialdumping in den Konkurs getrieben oder gezwungen, ebenfalls Arbeit unter Tarif anzubieten.
Auch wenn Herr Murmann diesen Prozeß des freien Falls will: Wir wollen ihn nicht. Die Baubranche, und zwar beide Tarifparteien, will ihn ebenfalls nicht.
Tarife werden, wie die Lage am Bau zur Zeit ist, zur Farce; denn damit die Tarifautonomie funktioniert - das wissen auch Sie, Herr Schemken -, müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Dafür brauchen wir das Entsendegesetz.
Auch in anderen europäischen Ländern wird gleicher Lohn für gleiche Arbeit gesetzlich sichergestellt, solange wir keine gemeinsamen europäischen Mindeststandards entwickelt haben. Wenn der Gesetzgeber jetzt aktiv wird, dann bedeutet das keine Einschränkung der Tarifautonomie. Es geht vielmehr um die Geltung einer Tarifvereinbarung der Branche gegen die Blockade der BDA.
Das noch einmal an Ihre Adresse: Appelle an die BDA reichen einfach nicht. Die Spitzenverbände im
Baubereich sind nicht das Problem. Die BDA hat es aber schon zweimal abgelehnt, eine solche Regelung zu treffen. Eine Änderung ist überhaupt nicht zu erwarten.
Ich erwarte von Ihnen aus den Reihen der Koalition endlich Vorschläge, wenn es denn so ist, daß Sie gegen den Vorschlag, den die SPD auf den Tisch gelegt hat, Bedenken haben. Eines muß doch klar sein: Wenn wir als Gesetzgeber nicht umgehend handeln, dann bleibt die Katastrophe auf dem Bau genau so, wie sie jetzt ist, bzw. wird sich weiter zuspitzen. Ich möchte von Ihnen außer Appellen zumindest hören, was Sie unternehmen wollen. Wenn Sie nichts unternehmen wollen, dann wird die Situation noch katastrophaler.
Es gibt, um gleichen Lohn für gleiche Arbeit auf den Baustellen sicherzustellen, verschiedene vernünftige und gangbare Wege, die zum Teil schon bei der Verabschiedung des mißratenen Gesetzes diskutiert worden sind. Die SPD hat heute einen konkreten Vorschlag auf den Tisch gelegt, den wir unterstützen und von dem wir meinen, daß er Ihnen, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, wirklich nicht zuviel abverlangt.
Der Bundesarbeitsminister, aus Ihren Reihen, soll in enger Abstimmung mit dem Bundesrat eine zusätzliche Handlungsmöglichkeit haben, wenn solche Konflikte auftauchen. Jetzt ist von Herrn Blüm mehr gefordert als salbungsvolle Rhetorik. Ich bin einmal gespannt. Gefragt ist nämlich eine praktikable und schnelle Entscheidung.
Die Mehrheit in diesem Haus - das wissen wir alle - will das Entsendegesetz. Das ist unabweisbar nötig und eilt wirklich sehr.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Gisela Babel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag hat im Februar dieses Jahres das Entsendegesetz verabschiedet. Danach gelten tariflich vereinbarte und vom Bundesarbeitsminister für allgemeinverbindlich erklärte Regelungen über Mindestlöhne auch für ausländische Beschäftigte bei Firmen, die ihren Sitz im Ausland haben. Der Konkurrenz preiswerter Bau-
und Handwerksfirmen aus der Europäischen Union sollte so der Riegel vorgeschoben werden.
Ich will die seinerzeitige Diskussion über die Sinnhaftigkeit des Entsendegesetzes hier nicht neu aufrollen; wir haben es beschlossen. In einem allerdings waren wir uns alle einig, nämlich darin, die Entscheidung über die Festlegung branchenspezifischen Mindestlohnes in die Hände der Tarifpartner zu legen und nicht in die des Staates.
Was dann geschah, war vorhersehbar; insofern stimme ich der Kollegin Onur - ich glaube, sie war
Dr. Gisela Babel
es, die das gesagt hat - zu. Die Arbeitgeber im Tarifausschuß verweigerten ihre Zustimmung zur Allgemeinverbindlichkeit der tariflich vereinbarten Mindestlöhne. Diese Mindestlöhne waren nämlich in zweierlei Hinsicht unvertretbar und unrealistisch hoch.
Die für den Westen ausgehandelten 18,60 DM ab 1. Dezember 1996 lagen weit über dem Ecklohn für Facharbeiter in vielen anderen Branchen.
Schon deshalb mußten die Arbeitgeber ihre Zustimmung verweigern, wäre doch sonst das ganze Tarifgefüge durcheinander gebracht worden.
Noch klarer für eine Ablehnung sprach die Situation in Ostdeutschland.
Dort war ein Mindestlohn von 17,11 DM ab 1. April 1997 vereinbart worden. Nun muß man wissen, daß viele Unternehmer in Ostdeutschland nur deshalb überleben, weil sie Löhne und Gehälter weit unter Tarif zahlen, zum Teil von 12 DM. Die Allgemeinverbindlichkeitserklärung mit ihrer Verpflichtung, höhere Löhne zu zahlen, hätte für diese Unternehmen und ihre Arbeitsplätze das Aus bedeutet. Ich habe von niemandem aus der Opposition, weder von den Grünen noch von der SPD, einmal gehört, wie sie sich mit diesem Thema auseinandersetzen.
Ich habe, was ich, ehrlich gesagt, empörend finde, von den Arbeitgebern im Baugewerbe gehört, daß ihnen das nicht soviel ausmacht. Ich denke, daß wir uns im Parlament mit dieser Frage etwas ernsthafter auseinandersetzen sollten.
Der Sinn des Entsendegesetzes, Arbeitsplätze in Deutschland zu sichern, hätte sich dort in das Gegenteil verkehrt. Das ist alles Folge einer Tarifpolitik, die Löhne nur noch auf dem Papier aushandelt und festlegt. Diese Gesamtzusammenhänge im Sinn haben die Arbeitgeber im Tarifausschuß durchaus verantwortungsvoll gehandelt, und sie konnten auch nicht anders.
Nun behandeln wir heute einen Gesetzentwurf der SPD, der das Problem - ich gebe zu, daß wir jetzt in der Sackgasse sind - lösen soll.
Der Gesetzentwurf läßt tiefer in das Verhältnis der SPD zur Tarifautonomie blicken, als dieser lieb sein kann. Ich prophezeihe Ihnen schon heute, daß der Gesetzentwurf in der beginnenden Diskussion über Möglichkeiten und Grenzen der Tarifautonomie gegen Sie verwandt werden wird. Nur mühsam wird verschleiert, daß die SPD dort, wo es zur Sicherung
eines unrealistischen Lohnniveaus paßt, auf die Tarifautonomie freudig verzichtet.
Vielmehr setzt sie einen staatlichen Mindestlohnkommissar in der Figur des Bundesarbeitsministers ein. Man muß ihn vor dieser Rolle schützen.
Sie haben sich vehement gegen einen Sparkommissar gewandt, aber den Mindestlohnkommissar scheinen Sie für verantwortbar zu halten.
Meine Damen und Herren, man darf gespannt sein, wie die Tarifpartner, die im Tarifausschuß schlicht entmachtet wurden, sich zu Ihrem Gesetzentwurf in den Ausschußberatungen äußern werden.
Argumente nimmt die SPD nicht zur Kenntnis. Sie weigert sich, sich mit den oben geschilderten Tatsache auseinanderzusetzen. Sie bringt hier ein Gesetz ein, mit dem sie das Einvernehmen im Tarifausschuß einfach durch den Beschluß des Bundesarbeitsministers ersetzen will. Daß dieser Beschluß nicht zustande kommt, weil man bei solcher Unübereinstimmung auf den Bundesarbeitsminister setzt, kann man nur hoffen.
Meine Damen und Herren, das ist doch wirklich die Entmündigung eines Ausschusses,
wenn nicht mehr er das Letztentscheidungsrecht hat, sondern eine Instanz, die hinter ihm steht und sagt: Wenn es mir nicht paßt, mache ich es anders.
Sinn und Zweck des Tarifausschusses ist es ja gerade, die gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge zu berücksichtigen und nicht solche Zusammenhänge, die die unmittelbar handelnden Tarifpartner nicht sehen und vielleicht auch nicht sehen müssen.
Die Behauptung, die Tarifautonomie werde durch diesen Gesetzentwurf nicht berührt, ist eine Entstellung der Wahrheit. Das Gegenteil ist richtig. Der Gesetzentwurf belegt Ihre Staatsgläubigkeit. Sie ignorieren die Möglichkeiten staatlichen Handelns. Nun haben wir schon das Gesetz, das von den Tarifpartnern umgesetzt werden muß. Das hat im ersten Anlauf nicht geklappt. Die einzige Antwort hierauf kann doch nicht lauten, daß nun der Staat die Einigung der Tarifpartner ersetzen muß. Die einzige Antwort ist vielmehr die, daß sich die Tarifpartner erneut zusammensetzen und konsensfähige Vereinbarungen treffen müssen. Dazu gibt es Signale auch des Arbeitgeberverbandes, daß er konsensfähigen Lohnvereinbarungen durchaus zustimmen würde. Dieser Weg ist also nicht versperrt. Aber Sie würden ihn durch Eingreifen des Staates fehlleiten.
Dr. Gisela Babel
Ein Umstand in dieser ganzen Diskussion ist erschreckend: In den neuen Bundesländern werden bindende Tarifverträge inzwischen ganz offen ignoriert und unterlaufen. Es wäre allzu einfach, alle Schuld hieran den Arbeitgebern zuzuschieben. In Wirklichkeit ist die Auflehnung gegen Tarifdiktate die Folge einer völlig abgehobenen Lohnpolitik. Auch das steht heute in der Zeitung; lesen Sie sich einmal die Artikel durch, die sich mit der Beschäftigung im Osten befassen.
Was sind denn die Gründe dafür, daß das im Osten so große Schwierigkeiten macht? Das ist die Produktivität, und das sind die Löhne.
- Sehr richtig, Herr Schreiner. Sie haben wenigstens die Lektion begriffen.
Die Folge kann also nur sein: Entweder gehen wir mit den Löhnen herunter, oder wir machen den Betrieb dicht. Sicherlich gibt es Fälle, in denen Unternehmer und Arbeitnehmer an einem Strang ziehen, um die Existenz des Betriebes und der Arbeitsplätze zu sichern. Sicher gibt es auch Fälle, in denen Arbeitnehmer der Willkür des Arbeitgebers ausgeliefert sind. Die Drohung mit dem Verlust des Arbeitsplatzes tut ihre Wirkung. Deswegen will ich noch einmal sagen: Ich halte es für richtig und wichtig, daß es diese Tarifvereinbarungen gibt, um alle zu schützen: die Arbeitnehmer wie die Arbeitgeber.
Aber das, was hier eintritt, ist Wildost. Auch ein Entsendegesetz in der Baubranche hätte genau so eine Wirkung. Dann ist es nämlich nicht mehr die Flucht aus einem Tarifvertrag oder aus den Verbänden. Es wäre die Flucht aus einem Gesetz. Das sollten wir uns sehr genau überlegen. Der Weg, den Sie vorgeschlagen haben, halte ich für einen Irrweg.
Ich bedanke mich.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Heidi Knake-Werner.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die PDS wird den vorliegenden Gesetzentwurf unterstützen, weil auch wir der Auffassung sind, daß wir endlich mit dem bitter nötigen Entsendegesetz vorankommen müssen.
Der Vorschlag der SPD scheint uns ein praktikabler Weg zu sein, um die Kuh vom Eis zu bekommen.
Daß sie dort herumschlittert, hat vor allen Dingen damit zu tun, daß sich der Herr Bundesarbeitsminister auf die Zustimmung der Arbeitgeberverbände zur Allgemeinverbindlichkeitserklärung im Tarif ausschuß verlassen hat. Die Arbeitgeberverbände allerdings haben ihm eine kräftige Abfuhr erteilt und ihn im Regen stehen lassen.
Schon bei der Anhörung und bei der Lesung des Entsendegesetzes wurden aus den verschiedensten Bereichen unisono Bedenken geäußert, den Weg der Allgemeinverbindlichkeit zu wählen. Angesichts der Blockadehaltung der Arbeitgeber - das ist schon mehrfach gesagt worden - war schon zu diesem Zeitpunkt klar: Eine verantwortungsvolle und schnelle Lösung, um mit den dramatischen Entwicklungen am Bau fertig zu werden, wird es nicht geben, wenn nicht der Weg der Ortsüblichkeit gegangen wird, damit endlich gilt: „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort. "
Was hat der Herr Minister diesen Argumenten entgegengesetzt? Appelle, Hoffnungen und Glaubensbekenntnisse. Ich zitiere ihn einmal im Originalton aus der zweiten Lesung:
Ich hoffe, daß die Bundesvereinigung der Arbeitgeber nicht ihr letztes Wort gesprochen hat. Ich bin deshalb auch nicht ohne Hoffnung und Erwartung. Ich hoffe, daß auch der Dachverband der Arbeitgeber versteht, um was es geht.
Und was ist seitdem passiert? Erstens. Nach dem Motto: Aller schlechten Dinge sind drei, hat der Bundesverband der Arbeitgeber sein Nein zur Allgemeinverbindlichkeitserklärung keinen Millimeter zurückgenommen. Die beiden Arbeitgeberverbände der Bauwirtschaft haben vor 14 Tagen ihren Austritt aus dem BDA erklärt. Das Schlimmste an der gegenwärtigen Lage ist, daß das Entsendegesetz weiter in der Luft hängt und ohne Wirkung bleibt, obwohl die Tarifpartner ihre Arbeit getan haben - das haben wir immer von ihnen verlangt -, in dem sie einen Mindestlohn ausgehandelt haben. Der Bauwirtschaft wird so nicht geholfen; ganz im Gegenteil. So viel zum Thema Mittelstandsförderung. Das kann ich nur noch einmal an den Kollegen Schemken zurückgeben.
Zweitens. Lohn- und Sozialdumping am Bau bleiben fortbestehen.
Drittens - auch das, finde ich, ist eine dramatische Entwicklung -: Die Konkurrenz zwischen deutschen und ausländischen Kollegen am Bau droht in Fremdenfeindlichkeit umzuschlagen.
Mit Ihrem Glauben an die Arbeitgeber haben Sie auf Sand gebaut. Das ist deshalb besonders bedauerlich, weil ich natürlich weiß, daß auch der Minister Druck für ein Entsendegesetz ausgeübt hat. Er hat zu Recht, wie ich finde, das Entsendegesetz zu einem Überlebensthema der Bauwirtschaft erklärt und gesagt:
Ohne Entsendegesetz schaffen wir ein dreifaches Programm: erstens ein Programm zur Förderung der Arbeitslosigkeit, zweitens ein Programm von Firmenzusammenbrüchen und drittens ein Programm zur Förderung von Europaskepsis.
Dr. Heidi Knake-Werner
Jawohl, auf diesem Wege sind Sie inzwischen, weil Sie sich starrsinnig an die Allgemeinverbindlichkeitserklärung gehalten haben.
Die Situation am Bau ist noch dramatischer geworden. Seit das Entsendegesetz in Kraft ist, gibt es 100 000 zusätzliche Arbeitslose, die zu den schon 264 000 Arbeitslosen von März 1996 noch hinzukommen. Die Mittelstandsvereinigung und die entsprechenden Arbeitgeberverbände haben geschätzt, daß weitere 300 000 Bauarbeiter mittelfristig von Arbeitslosigkeit bedroht sein werden.
Es geht also um etwa 400 000 Arbeitsplätze, die in der ohnehin sehr gebeutelten Bauwirtschaft und bei den ohnehin sehr gebeutelten Arbeitnehmern zur Disposition stehen. Das heißt, jetzt ist Handeln angesagt. Die Zeit drängt. Es ist verantwortungslos, darauf zu warten, daß die Arbeitgeber ihre kurzfristige Blockadepolitik aufgeben.
Frau Babel, Ihr Bekenntnis zur Tarifautonomie ist einfach nicht mehr ernst zu nehmen. Sie verteidigen die Tarifautonomie immer nur dann, wenn es Ihnen ins Konzept paßt.
- Das kann ja sein. Ich bin aber immer noch der Meinung, daß das bei mir eine Grundsatzposition ist.
Ich will es Ihnen an einem Beispiel erklären. Sie greifen sie bei der Einschränkung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle an, und Sie greifen sie ebenso an
- natürlich - bei der Verlängerung der Ladenöffnungszeiten. Das schauen Sie sich einmal genau an. Das ist ein massiver Angriff auf die Tarifautonomie. Natürlich greifen Sie nicht in die bestehenden Tarifverträge ein.
Die Redezeit, Frau Kollegin.
Aber beim Schlechtwettergeld, beim Ladenschluß oder bei der Lohnfortzahlung schaffen Sie durch gesetzgeberische Maßnahmen -
Frau Kollegin, die Redezeit.
- ich bin sofort fertig - Tatsachen, die einseitig die Verhandlungsposition der Gewerkschaften schwächen. Das ist genau Ihre Absicht. Sorgen Sie endlich dafür - damit bin ich bei meinem letzten Satz -, daß
Frau Kollegin.
- mit dem Entsendegesetz ein wirksames Instrument gegen Lohndumping und Ausbeutung am Bau geschaffen wird.
Ich muß es leider wieder sagen: Wenn ich darauf hinweise, daß die Redezeit abgelaufen ist, dann ist sie meist schon etwas länger abgelaufen. Und dann sagen Sie noch einen Satz! Wir haben eine Geschäftsordnung - Entschuldigung, welche Gesten Sie auch immer machen -, und dann geht es nicht, daß man eine halbe Minute weiterredet, um sein Manuskript abzuspulen.
Ich erteile dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, unserem Kollegen Horst Günther, das Wort.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, daß es richtig ist, wenn wir dieses äußerst wichtige, aber auch sensible Thema, in Ruhe und aller Sachlichkeit behandeln und zu Ende bringen, wobei wir darauf achten sollten, daß gerade bei dieser Thematik die rechtsstaatliche Ordnung und die Verteilung von Verantwortung im Staat nicht verschoben werden.
- Hören Sie einmal zu, Herr Dreßen. Das ist ganz wichtig, weil Sie darauf immer besonderen Wert legen, sollten Sie nicht gleich das kritisieren, was ich sage. Sie haben doch den Kollegen Gilges, der darauf antworten wird. Dann kann er das kritisieren, was ich hier sage.
Ich will zu dem, was ich gerade ausgeführt habe, grundsätzlich feststellen: Wenn das ArbeitnehmerEntsendegesetz heute wieder auf der Tagesordnung steht, dann geschieht das aus einer Motivation heraus, die uns alle hier fraktionsübergreifend vereint. Darin sind wir uns sicher einig. Mit einer überwältigenden parlamentarischen Mehrheit der Zustimmung haben wir im Februar dieses Jahres das Entsendegesetz verabschiedet, um die Problematik zu lösen. Aus diesem Grunde, Frau Kollegin Onur, bedanke ich mich für das Angebot, unter bestimmten Voraussetzungen an der Seite des Bundesministers zu stehen; aber Sie sollten ihm nicht gleichzeitig Scheinheiligkeit in seinen Aussagen zu dieser Thematik vorwerfen. Sie wissen ganz genau, auf wessen Seite der Minister in dieser Sache steht und wie er die Sache sieht.
Der verstärkte Einsatz von Billigarbeitnehmern durch Bauarbeitgeber aus dem Ausland darf nicht länger die Existenz der Klein- und Mittelbetriebe unserer Bauwirtschaft gefährden und dem weiteren Ab-
Parl. Staatssekretär Joachim Günther
bau von Arbeitsplätzen im Baubereich Vorschub leisten. Auch da sind wir uns sicher einig.
Mit dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz hat der Gesetzgeber für den Baubereich die rechtlichen Voraussetzungen dafür geschaffen, daß gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort gezahlt wird. Die für inländische Arbeitgeber verbindlich geltenden tarifvertraglichen Mindestlohnvorschriften gelten gleichermaßen auch für Arbeitgeber mit Sitz im Ausland und ihre entsandten Arbeitnehmer.
Aus demselben Grund hat die Bundesregierung darauf gedrängt, die nationale deutsche Entsenderegelung auf europäischer Ebene zu flankieren. Sie wissen, daß wir im EU-Ministerrat die Verabschiedung eines förmlichen gemeinsamen Standpunktes zur EU-Entsenderichtlinie geschafft haben. Unser Entsendegesetz entspricht im übrigen der Konzeption der EU-Richtlinie und wird den wesentlichen Baustein für die Umsetzung im Parlament darstellen.
Auch ist richtig, daß die Entsendeproblematik ein kompliziertes Geflecht aus wirtschaftlichen, rechtlichen und politischen Einzelproblemen darstellt. Alle Beteiligten müssen im Rahmen ihrer jeweiligen rechtlichen Möglichkeiten und ihrer verfassungsmäßigen Aufgabenzuweisungen mitwirken. Darauf lege ich besonders Wert.
Dementsprechend hat der Staat mit dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz und dessen europarechtlichen Flankierung das geleistet, was bei der Entsendeproblematik in der alleinigen Rechtsmacht des Staates steht und deshalb zu Recht seine Aufgabe ist. Wir haben mit dem erforderlichen gesetzlichen Rahmen dafür gesorgt, daß die von den Sozialpartnern geschaffenen verbindlichen nationalen Mindestlohnvereinbarungen auch für grenzüberschreitend entsandte Arbeitnehmer gelten. Wir haben mit der Bundesanstalt für Arbeit ein schlagkräftiges Kontrollinstrument zur Verfügung gestellt. Wir sehen in der Entsenderichtlinie unter anderem auch die Zusammenarbeit der Kontrollbehörden vor, um der grenzüberschreitenden Dimension der Entsendeproblematik Rechnung zu tragen. Hier mußte der Staat handeln. Aber hier hat er auch gehandelt.
Damit das Arbeitnehmer-Entsendegesetz in der Praxis greifen kann, muß dieser rechtliche Rahmen durch tarifvertragliche Mindestlohnvereinbarungen ausgefüllt werden. Dieser Mindestlohn muß auf nationaler Ebene für alle Arbeitgeber und Arbeitnehmer der betreffenden Branche verbindlich sein, nicht nur für die tarifgebundenen unter ihnen. Auch darüber sind wir uns sicherlich einig. Ihr Gesetzentwurf, den wir heute in erster Lesung beraten, stellt das zu Recht nicht in Frage.
Wir alle wissen, daß sich die Tarifvertragsparteien der Bauwirtschaft auf einen Mindestlohntarifvertrag geeinigt hatten. Die erforderliche Allgemeinverbindlichkeitserklärung dieses Tarifvertrages ist wegen der Weigerung der BDA nicht zustande gekommen. Über die Bewertung dieses BDA-Verhaltens dürften wir uns weitgehend einig sein. Sie wissen - das haben Sie eben auch zitiert, Frau Kollegin Onur -, daß ich diese Verweigerung der Solidarität seitens der BDA gegenüber den Tarifvertragsparteien des Baugewerbes und gegenüber den betroffenen Arbeitnehmern deutlich verurteilt habe.
Der Tag der Tarifausschußsitzung war in der Tat ein schwarzer Tag für die Sozialpartnerschaft.
Ich sage noch einmal an die Adresse von Herrn Himmelreich - ich habe eben auch bei Ihnen, Frau Kollegin Babel, einen Schlenker in diese Richtung gehört, mit dem ich mich nicht einverstanden erklären kann -, daß Vergleiche von Mindestlohn im Baugewerbe mit Mindestlöhnen oder Anfangslöhnen in anderen Branchen sicherlich nicht zu ziehen sind. Das ist nicht sachgerecht.
Wir hatten diese Unterschiede immer schon. Warum haben wir diese Vergleiche nicht früher angestellt? Wenn das die einzige Begründung der BDA war, nicht zuzustimmen, dann kann man das sicherlich aufklären, um eine nachträgliche Zustimmung zu erreichen.
Welche Konsequenzen sind nun aus dem Nein der BDA in der Tarifausschußsitzung vom 28. Mai 1996 zu ziehen? Sie, meine Damen und Herren von der SPD, wollen mit Ihrem vorliegenden Gesetzentwurf das Arbeitnehmer-Entsendegesetz so abändern, daß das gewünschte Ergebnis auch ohne die sonst erforderliche Zustimmung des Tarifausschusses erzielt wird.
Wenn die Mehrheit im Tarifausschuß in einem ersten Anlauf nicht zustande kommt, dann soll die fehlende Mehrheit mit einem Federstrich des Gesetzgebers ersetzt und so der Weg zu einem verbindlichen Mindestlohn freigemacht werden. Damit - das müssen Sie wissen; das wissen Sie auch - reduzieren Sie die Befugnisse des Tarifausschusses auf ein bloßes Anhörungsrecht, nach dem Motto: „Stimmt er zu, ist es gut; stimmt er nicht zu, machen wir trotzdem, was wir wollen. " Das kommt am Ende bei Ihrer Regelung heraus.
Auch wenn Sie Ihren Vorschlag auf den Anwendungsbereich des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes beschränken, kann ich diesen Weg nicht gutheißen. Betrachten wir es realistisch: Ihr Gesetzentwurf, meine Damen und Herren von der SPD, bedeutet doch letztlich, auch wenn Sie es bestreiten, den Einstieg in den staatlichen Mindestlohn. Zwar trifft der Staat nach Ihrem Entwurf keine eigene Entscheidung über die angemessene Höhe der Vergütung. Doch würde der Staat durch die von Ihnen vorgesehene Entmachtung des Tarifausschusses die alleinige Verantwortung dafür übernehmen, daß ein bis dahin
Parl. Staatssekretär Joachim Günther
nur für tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer geltender tariflicher Mindestlohn auch für alle anderen Arbeitgeber und Arbeitnehmer der betroffenen Branche rechtlich zwingend wird. Hiervon kann ich nur abraten.
- Nein, lassen Sie mich das zu Ende führen, Herr Kollege Dreßen. Das führt zu nichts.
Deshalb will ich noch einmal im Zusammenhang sagen: Ich kann davon nur abraten. Denn ich weiß auch, wenn die Bundesregierung einen solchen Weg gehen und einen Mindestlohn festlegen würde, daß die ersten Kritiker aus Ihren Reihen kämen, daß er zu niedrig ist und daß die Tarifautonomie ausgehöhlt wurde. Das weiß ich ganz genau.
Werfen wir doch einmal gemeinsam einen Blick auf das wohlausgewogene Verfahren zur Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen. Zunächst müssen die Tarifvertragsparteien einer Branche einen Tarifvertrag schließen und dessen Allgemeinverbindlichkeit beantragen. Danach prüfen die Spitzenverbände der Sozialpartner im Tarifausschuß in eigener Verantwortung aus branchenübergreifender Sicht, ob die von den Tarifvertragsparteien gefundene Lösung auch mit berechtigten Belangen anderer Wirtschaftsbereiche vereinbar ist.
Erst nachdem dieser durch die Sozialpartner gestaltete und zu verantwortende Filter durchlaufen ist und ein positives Votum vorliegt, darf der Staat in Aktion treten und kann den Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklären. Meine Damen und Herren, unterschätzen Sie nicht die Stellung dieses Wertes in der Tarifautonomie, die Sie selbst immer so hochhalten - ich übrigens auch.
Dieser zweite Prüfungsschritt, das Verfahren im Tarifausschuß, gehört zu den wichtigen Bereichen, in denen der Staat aus gutem Grund seinen Einfluß zugunsten der Sozialpartner und ihrer Spitzenverbände zurücknimmt. Gerade bei der Lohnfestsetzung bewegen wir uns in einem sozialpolitisch äußerst sensiblen Bereich. Das hier in Jahrzehnten gewachsene und bewährte System einer ausgewogenen Balance staatlicher und gesellschaftlicher Kräfte darf nicht ad hoc über Bord geworfen werden, nur weil wir für einen zugegebenermaßen sehr ärgerlichen Einzelfall kein Verständnis haben können.
Bei allem Unmut darüber sollten wir uns weiterhin auf eine Lösung dieser Frage im Rahmen der vorgegebenen Gesetzessystematik konzentrieren.
Herr Staatssekretär, Verzeihung, die Kollegin Buntenbach würde gerne eine Zwischenfrage stellen.
Nein, ich möchte das jetzt insgesamt zu Ende führen.
Ich fordere deshalb die Tarifvertragsparteien und vor allem ihre Spitzenverbände auf, sich so schnell wie möglich auf einen für alle Beteiligten tragfähigen Mindestlohn zu verständigen. Die Bauwirtschaft und die in ihr beschäftigten Arbeitnehmer brauchen gerade in der gegenwärtig konjunkturell zugespitzten Situation dringend die durch das Arbeitnehmer-Entsendegesetz eröffnete Möglichkeit zur Entlastung, die von den für die Lohnfindung Verantwortlichen bewirkt werden kann.
Aus all diesen Gründen lehnen wir einen staatlich festgelegten Mindestlohn ab,
Vielen Dank.
Die Kollegin Babel meldet sich zu einer Kurzintervention.
Herr Staatssekretär, Sie haben mich angesprochen, weil Sie meinten, ich hätte die Überlegungen der BDA zu sehr gerechtfertigt, die Sie zu Ihrer Entscheidung bewogen hatten, den Vorschlag der Tarifpartner im Baugewerbe nicht zu akzeptieren. Sie haben darauf hingewiesen, daß es in anderen Bereichen andere Ecklöhne gibt. Das stimmt natürlich.
Aber glauben Sie nicht auch, daß die gesamtwirtschaftlichen Erwägungen - gerade auch im Hinblick auf diese Ostkomponente; Sie wissen, daß die Textilindustrie und die Metallindustrie gegen solche Allgemeinverbindlichkeitserklärungen votiert haben, es war nicht nur der Dachverband - die BDA sehr wohl verantwortlich zu ihrer Entscheidung haben kommen lassen? Glauben Sie nicht, daß der Druck, der jetzt entsteht, richtigerweise bei den Tarifpartnern im Baugewerbe vorhanden ist? Insofern könnte der Prozeß nach unserer Meinung akzeptabel verlaufen, was wir vielleicht alle gemeinsam hoffen.
Herr Staatssekretär, wünschen Sie zu replizieren?
Frau Kollegin Dr. Babel, ich habe Sie eben so verstanden, daß Sie einen Vergleich zwischen den Mindestlöhnen in der Bauwirtschaft und denen in anderen Branchen gezogen haben, so wie das auch Herr Himmelreich getan hat. Damit sollte die Ablehnung begründet werden.
Ich habe gesagt: Dieses kann man nicht vergleichen, weil es schon immer sachgerechte Unterschiede in den einzelnen Branchen gab und immer geben wird.
Vielleicht habe ich Sie mißverstanden, und Sie haben etwas anderes gemeint. Ich wollte klarstellen, daß dieser Vergleich nicht hergestellt werden kann. Aus diesem Grunde muß weiter abgesenkt werden.
Zu einer weiteren Kurzintervention gebe ich dem Kollegen Peter Dreßen das Wort.
Herr Staatssekretär, Sie haben angedeutet, daß wir mit unserem Entwurf unter Umständen gegen die Tarifautonomie handeln würden. Würden Sie mir zugestehen, daß wir die Situation haben, daß die Baugewerkschaft und die Bauarbeitgeberverbände ordnungsgemäß einen Tarifvertrag zustande bekommen haben, bei dem unter Umständen die Baugewerkschaft auch ihren gewerkschaftlichen Druck eingesetzt hat, und daß wir die Schwierigkeiten nur deswegen haben, weil eine dritte Instanz, gegen die die Baugewerkschaft überhaupt keinen Druck entwickeln kann, nun sagt: Wir sind gegen das Ergebnis, das dabei herausgekommen ist?
Daß Sie, wo wir jetzt fordern, daß das, was Bauarbeitgeber und Baugewerkschaften vereinbart haben, zustande kommt, davon sprechen, daß wir Eingriffe in die Tarifautonomie vornehmen, halte ich für sehr frivol und für unangemessen. Ich habe gedacht, Sie hätten ein bißchen mehr Sachverstand, um zu begreifen, was wir damit wollen.
Herr Staatssekretär.
Herr Präsident, ich dachte, wir wären nicht in der Fragestunde. Aber ich will gerne auf das, was der Kollege Dreßen gesagt hat, eingehen.
- Sie haben ja noch einen Redner, Herr Kollege Dreßen. Der kann das, wenn er will, richtigstellen. Im übrigen habe ich bei Ihnen keinen Nachholbedarf abzuholen, was meinen Sachverstand in dieser Frage angeht.
Ich arbeite mindestens so lange in diesem Geschäft wie Sie, wahrscheinlich etwas länger. Das lasse ich mir von Ihnen nicht vorwerfen. Lesen Sie im übrigen bitte meine Rede nach. Dann ist Ihre Frage beantwortet.
Herr Staatssekretär, ich muß Sie darauf hinweisen, daß es den Kollegen natürlich freisteht, in welche Form sie eine Kurzintervention kleiden. Das kann auch die Frageform sein.
Als nächstem erteile ich dem Kollegen Gilges das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Günther, es wäre angemessen gewesen, wenn Sie zu Beginn Ihrer Rede gesagt hätten, daß Ihr Gesetzeskonstrukt, das, was Sie vorhat-
ten, gescheitert ist. Dann wären wir schon einen Schritt weiter. Es nützt nichts, daß Sie jetzt weiter mit Appellen und Aufforderungen an die Tarifvertragsparteien oder sonst irgendwen herantreten.
Nach der Entscheidung des Tarifausschusses in Ihrem Ministerium ist es nicht durchsetzbar, daß eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung des ausgehandelten Tarifvertrages zwischen Bau, Steine, Erden, dem Bauhandwerk und der Bauindustrie zustande kommt. Wenn man in der Politik scheitert, sollte man das auch einmal zugeben.
Denn erst dann, wenn man gescheitert ist, wird die Debatte über eine Alternative möglich. Wir legen ja eine Alternative vor. Da kann man sagen, sie sei nicht die richtige Alternative. Aber auch Sie müssen jetzt einen Weg aus der Sackgasse, in die Sie sich hineinbegeben haben, aufzeigen. Dazu sind Sie gegenüber den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern verpflichtet.
Wir sind ja hier in der Debatte. Deshalb will ich noch zu Ihnen, Herr Schemken, etwas sagen. Wir haben, bezogen auf die Blockade, daß also einer oder die Mehrheit oder die Minderheit im Ausschuß das Zustandekommen einer Allgemeinverbindlichkeitserklärung verhindern kann, einen Auflösungsmechanismus entwickelt. Dieser Auflösungsmechanismus bedeutet: Wenn eine Blockade zustande kommt, kann eine Rechtsverordnung durch das Arbeitsministerium zusammen mit dem Bundesrat hergestellt werden, um diese Blockade zu beenden.
Nun können Sie mit Recht sagen: Das würde ja generell dieses Instrument der Allgemeinverbindlichkeitserklärung unterlaufen. Das ist ja Ihr Argument, wenn ich das richtig verstanden habe. Aber es ist nur dann eine Blockade feststellbar, wenn ein solches Verhalten sachlich nicht begründet ist. Das ist der entscheidende Punkt.
Das, was die Arbeitgeber, was die BDA gemacht hat, bezieht sich überhaupt nicht auf die Sache. Vielmehr haben sachfremde Dinge zu dieser Entscheidung der Arbeitgeber im Tarifausschuß des Arbeitsministeriums geführt.
Das heißt, man darf natürlich nicht zulassen, daß sachfremde Dinge darüber entscheiden, ob Arbeitnehmer in diesem Land ausgebeutet werden oder nicht. Unserer ethischen Vorstellung - auch Ihrer als Vorsitzender des Kolpingvereins - muß es widersprechen, zu sagen: Etwas, das überhaupt nichts mit der Sache zu tun hat, wird als Grundlage angeführt, und dann kann in diesem Land weiterhin Ausbeutung stattfinden. Ich hoffe, daß das nicht Ihre Meinung ist. Deshalb muß das geändert werden.
Ich glaube, Frau Babel hat nicht richtig verstanden, warum die AVE eigentlich notwendig ist und warum sie im Tarifvertragsgesetz verankert ist. Wir gehen seit Gründung dieser Republik davon aus, daß die Tarifvertragsparteien in der Lage sind, einen
Konrad Gilges
Tarifvertrag auszuhandeln, der bindend für den Arbeitgeber und für den Arbeitnehmer ist.
Bei der Erarbeitung des Tarifvertragsgesetzes hat man sich überlegt - ich finde, mit Recht; das war damals gesellschaftlicher Konsens -, daß es in unserem Land natürlich Arbeitsbereiche geben kann, in denen es keine Tarifvertragsparteien gibt, weder Arbeitgeberverband noch Arbeitnehmerorganisation. Das, was in der Weimarer Republik üblich war, daß sich ein Sektor breitmacht, in dem ausgebeutet wird, wo Billiglöhne, Löhne weit unterhalb des Tarifvertraglohns gezahlt werden, wollte man unterbinden.
Man wollte auch verhindern, daß sich Arbeitnehmer in einer rechtlichen Stellung befinden, die überhaupt nicht unseren Gesetzen entspricht. Denn vieles von dem, was den Sozialstandard in unserem Land ausmacht, ist ja in unseren Tarifverträgen geregelt. Um zu verhindern, daß ein Teil der Arbeitnehmer rechtlos ist, hat man die Allgemeinverbindlichkeitserklärung aufgenommen.
Es ist doch erschreckend und tangiert auch unsere Menschenwürde, daß es Arbeitnehmer gibt, die auf dem Bau für 5 bis 10 DM arbeiten. Sie fanden das ja besonders gut, Frau Babel; zumindest habe ich es so verstanden.
Ich finde das ganz schrecklich. Ich würde, selbst wenn er sich anbieten würde, keinen Menschen für 5 DM in der Stunde - und dann noch auf dem Bau - arbeiten lassen.
Das ist Prostitution und hat überhaupt nichts mit einer ehrlichen Auseinandersetzung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu tun. Hier bietet man sich billig an, so wie man es tut, wenn man auf den Strich geht. Das ist unter der Würde des betroffenen Menschen. Auch derjenige, der das mitmacht, hat seine Würde verloren.
Herr Kollege Gilges, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Dr. Babel? - Bitte.
Herr Kollege Gilges, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich keineswegs gesagt habe, ich hielte es für richtig oder vertretbar oder nicht für Ausbeutung, wenn in Deutschland zu solchen Löhnen gearbeitet wird?
Sind Sie auch bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß das von Ihnen vorgetragene Plädoyer, das sei alles zum Schutz der ausländischen Arbeitnehmer, den offen zu Tage tretenden Absichten dieses Gesetzes, nämlich möglichst die ausländischen Arbeitnehmer zu verdrängen, damit die deutschen Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz erhalten oder wiederbekommen,
widerspricht und insofern Ihre Argumentation nicht außerordentlich überzeugend ist?
Frau Babel, nach meiner Erinnerung habe ich bis jetzt bei meiner Rede kein einziges Mal das Wort „Ausländer" in den Mund genommen. Ich wollte nachher noch darauf zu sprechen kommen, aber jetzt geht es nicht um ausländische Arbeitnehmer. Es geht erst einmal generell um den Arbeitnehmer,
für den ein Stundenlohn zwischen 20 und 25 DM tariflich vereinbart ist, der aber von irgendeinem Sklavenhalter 5 bis 10 DM bekommt. Dann ist es mir egal, Frau Babel, ob das ein Türke oder ein Portugiese ist oder ob das ein Deutscher ist. Das ist menschenunwürdig; da gibt es überhaupt kein Vertun.
Wenn Sie nicht dieser Meinung sind, dann können Sie das ja ändern. Schlagen Sie doch einen anderen Weg vor als den, den wir vorgeschlagen haben. Das ist doch überhaupt nicht das Problem. Uns geht es doch nur darum, daß die Ausbeutung von Arbeitnehmern auf den Baustellen ein Ende hat. Das ist unser Ziel.
Selbst wenn Sie sagen, das mit der Ausbeutung ist Ihnen nicht so wichtig, so gibt es ja auch rationale Argumente, die dagegensprechen, daß so etwas toleriert werden darf. Ein rationales Argument ist, daß wir in der Bundesrepublik 304 000 arbeitslose Bauarbeiter registriert haben.
Das ist schon deswegen ein rationales Argument, weil unserem Land wichtige Fachkräfte und deren Qualifikationen verlorengehen. Glauben Sie denn, daß ein Jugendlicher noch bereit ist, einen Bauberuf zu erlernen,
wenn er jeden Tag lesen kann, daß es 304 000 arbeitslose Bauarbeiter gibt? Ich könnte das keinem Jugendlichen empfehlen. Wenn ich noch einmal vor der Alternative stünde - wie das 1956 der Fall war -, ob ich Fliesenlegerlehrling werde, würde ich mich heute dagegen entscheiden, weil ich weiß: Ich hätte keine Chance, mir auf der Baustelle ein gerechtes Einkommen zu erarbeiten. Diese Chance nehmen Sie den Handwerkern, den Bauhandwerkern in unserer Republik.
- Ja, Herr Kansy, es ist klar. Leute wie Sie kommen ja notfalls immer zurecht.
Es gibt auch einen Verfall der Qualität des Bauhandwerks. Es gibt gute Bauarbeiter, Maurer, Stukkateure usw., die in andere Berufsgruppen gehen, weil sie in ihrem Beruf keine Chance mehr sehen,
Konrad Gilges
und deshalb suchen sie sich andere Tätigkeitsbereiche.
Wir werden eines Tages - wenn nicht mehr möglich ist, was jetzt noch stattfindet - vor dem Dilemma stehen, daß wir keine Facharbeiter mehr finden. So war es doch in der früheren DDR, da hat man das ganze Handwerk zerstört. Deshalb leiden ja heute die fünf neuen Bundesländer darunter, nicht mehr ausreichend Qualitätsarbeiter im Baubereich zu haben. Jeder weiß das hier in diesem Bereich.
Deshalb muß es auch ein Anliegen unsererseits sein, als Parlament dafür zu sorgen, daß es ausreichend Facharbeiter gibt, die in der Lage sind, sich ihren gerechten Lohn auf der Baustelle zu erarbeiten.
Ein zweiter Punkt betrifft die Arbeitgeber aus dem Bereich des Bauhandwerks. Es ist schon gesagt worden, daß wir dort 5 000 Pleiten im vergangenen Jahr hatten. Das sind überwiegend kleine und mittlere Unternehmen, die da pleitegehen. Die großen werden sich über die Runden zu retten wissen. Nur, den kleinen gelingt das nicht. Die leiden unter dem Druck. Die werden von vielen Firmen noch gedrückt, insbesondere von den größeren, die sagen: Wenn du nicht so anbietest, wie es der Subsubunternehmer aus Polen oder Portugal anbietet, dann bin ich nicht bereit, dir den Auftrag zu geben. Das führt wiederum dazu, daß sie ihre Handwerksbetriebe zumachen müssen. Das kann doch auch nicht Sinn unserer ganzen Politik in diesem Hohen Hause sein.
Hinzu kommt noch alles das, was mit Unfallschutz und Unfallrisiko verbunden ist.
Weil die Zeit abgelaufen ist, will ich es dabei bewenden lassen, und ich möchte zum Schluß sagen: Wir haben ein dreistufiges System vorgesehen, einmal die Tarifvertragsvereinbarung zwischen den Tarifparteien. Wenn das zu aller Zufriedenheit gelöst wird, braucht, glaube ich, der Gesetzgeber nicht einzugreifen.
Die zweite Stufe, die ich für wichtig halte, um die Möglichkeit zu schaffen, daß sich niemand unter Wert verkaufen darf, ist die Allgemeinverbindlichkeit.
Zum dritten finde ich es richtig, daß die Allgemeinverbindlichkeit, wenn sie wegen sachfremder Erwägung verhindert wird, dann durch eine Rechtsverordnung hergestellt wird.
Ich glaube, das ist ein vernünftiger, politisch gangbarer Weg. Sie sollten dieser Lösung zustimmen.
Ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 13/4888 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor.
Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall, dann ist die Überweisung so beschlossen.
Meine Kolleginnen und Kollegen, die Fraktionen und die Gruppe haben sich eben geeinigt, daß wir die diversen Abstimmungen, die jetzt folgen sollten, nach der Aktuellen Stunde durchführen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf: Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ausladung des Bundesaußenministers durch die Volksrepublik China
Ich erteile Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst bitte ich sehr um Verständnis, daß ich unmittelbar nach meinem kurzen Beitrag hier weggehen muß - das ist ansonsten nicht meine Art -, weil wir, wie Sie wissen, am späten Nachmittag in Lyon mit dem Weltwirtschaftsgipfel beginnen. Ich will auch noch sagen, daß ja vorgesehen und abgesprochen war, diese Debatte kurz nach 13 Uhr zu beginnen. Ich respektiere natürlich die Gründe, die zu einer Verschiebung geführt haben.
Ich darf zu Beginn dieser Debatte einige kurze Anmerkungen machen: Es ist für mich und für die Bundesregierung das selbstverständliche Recht des Deutschen Bundestages, zu Fragen der Menschenrechte im Verhältnis zu einem anderen Land Stellung zu nehmen, mit dem wir gute Beziehungen unterhalten. Ich verwahre mich auch deswegen nachdrücklich gegen Äußerungen von amtlicher chinesischer Seite, die dem Deutschen Bundestag das Recht absprechen oder absprechen wollen, sich zur Lage der Menschenrechte in Tibet zu äußern,
und die eine Entschließung des Deutschen Bundestages als Einmischung in die inneren Angelegenheiten kritisieren. Es ist wichtig, daß wir bei jeder Gelegenheit - das ist eine solche Gelegenheit - deutlich machen: Das deutsche Parlament unterliegt keiner Zensur.
Zweitens. Ungeachtet der aktuellen Kontroverse liegt mir sehr daran, bei dieser Gelegenheit noch einmal kurz den Stellenwert unserer Beziehung zur Volksrepublik China hervorzuheben. Die Chinapolitik der Bundesrepublik Deutschland ist seit jeher auf die Erhaltung der politischen Stabilität und der territorialen Integrität der Volksrepublik China ausgerichtet gewesen. Wir wollen das traditionell freundschaftliche Verhältnis in allen Bereichen mit der Perspektive enger, das heißt immer auch langfristiger Zusammenarbeit ausbauen.
Bundeskanzler Helmut Kohl
Die Volksrepublik China ist eines der bedeutendsten Länder der Welt und ein besonders bedeutender Partner in der Weltpolitik. Zusammen mit unseren westlichen Partnern ist es unser Ziel, diese große Macht, eine der ältesten Kulturen der Welt, zur Übernahme größerer Verantwortung in der Welt zu ermutigen und bei der Lösung der internationalen Probleme voll einzubeziehen.
In unseren Beziehungen müssen daher alle Aspekte ihren angemessenen Platz haben. Dies gilt für die Menschenrechte ebenso wie für andere politische und natürlich auch wirtschaftliche Erwägungen.
Die gelegentliche Unterstellung, daß die Bundesregierung wirtschaftliche Interesse über menschenrechtliche Erwägungen stellt, ist falsch. In unseren Beziehungen zur Volksrepublik China geht es ganz entscheidend um einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung des Friedens in dieser Region Asiens und in der Welt.
Wir Deutschen haben wie die ganze Völkergemeinschaft ein großes Interesse daran, daß die wirtschaftlichen und politischen Reformen in der Volksrepublik China fortgesetzt werden können und damit die politische Stabilität des Landes erhalten bleibt. Wir wollen durch unsere Kontakte eine Öffnung Chinas unterstützen.
Wenn sich - das wäre eine gefährliche Entwicklung - die Volksrepublik China von der übrigen Welt isolieren würde, hätte das schwerwiegende Folgen für die politische Stabilität in Asien und in der Welt. Ich sage ganz offen: Ich hätte mir gewünscht, daß in der öffentlichen Diskussion der jüngsten Zeit auch dieser Aspekt mehr Berücksichtigung gefunden hätte.
Ich will des weiteren nachdrücklich feststellen, daß die Bundesregierung an ihrer Ein-China-Politik festhält. Seit der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen mit der Volksrepublik China haben alle Bundesregierungen - ich betone: alle! - diese Politik konsequent verfolgt.
Ich will auch daran erinnern, daß die Volksrepublik China immer von der Einheit der deutschen Nation ausgegangen ist und daß die Volksrepublik China die Wiedervereinigung Deutschlands unterstützt hat.
Drittens. Ich will zu dem Vorwurf, daß es die Vertreter der Bundesregierung bei ihren Kontakten zur chinesischen Führung in Menschenrechtsfragen am nötigen Nachdruck hätten fehlen lassen, etwas sagen. Diese Behauptung ist schlicht falsch und wird auch durch regelmäßige Wiederholung nicht richtig.
Sowohl der Kollege Kinkel als auch ich haben wie alle anderen Mitglieder der Bundesregierung bei all unseren Gesprächen mit der chinesischen Führung die Fragen der Menschenrechte in diesem Land und insbesondere das Thema Tibet immer wieder angesprochen.
Um es klar zu sagen: Für mich ist es selbstverständlich, daß es möglich sein muß, unter zwei partnerschaftlich verbundenden Staaten, die auf vielen Ebenen gut zusammenarbeiten, auch kritische und sensible Fragen offen anzusprechen. Daher habe ich die Entscheidung der chinesischen Regierung, den Besuch des Kollegen Kinkel zu verschieben, mit Bedauern und Unverständnis aufgenommen.
Uns, den Mitgliedern der Bundesregierung, kam es bei unseren Gesprächen immer darauf an, vor allem auch konkrete Einzelfälle aufzugreifen und Verbesserungen für die Betroffenen zu erreichen. Dies werden wir selbstverständlich auch in Zukunft tun.
Zu einer solchen Politik gibt es nach meiner Überzeugung keine Alternative. Ich lege großen Wert auf die Feststellung, daß der Bundesaußenminister diese Politik immer mit großem persönlichen Einsatz und Engagement vertreten hat. Er hat dabei ganz selbstverständlich die volle Unterstützung der Bundesregierung, und das gilt insbesondere auch für mich als Bundeskanzler.
Abschließend will ich noch einmal feststellen, daß ich die Reaktionen der letzten Woche aus Peking bedauere. Gute Partnerschaft setzt auch gegenseitigen Respekt voraus. Für uns ist das Ziel klar: Ungeachtet dieser augenblicklichen Situation wollen wir auch in Zukunft mit der Volksrepublik China gut zusammenarbeiten. Ich bin sicher, daß dieses auch in Peking von vielen genauso gesehen wird. Ich sage diesen Satz aus der Überzeugung heraus, daß er auch am heutigen Tag am Platz ist.
Das Wort hat der Kollege Günter Verheugen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben Verständnis dafür, daß der Bundeskanzler wegen einer wichtigen außenpolitischen Verpflichtung das Parlament verlassen mußte. Wir haben auf unser Recht, diese Debatte zu eröffnen, verzichtet, um ihm die Gelegenheit zu geben, ein paar klarstellende Äußerungen zu machen.
Mit dem, was der Bundeskanzler soeben zu den Grundlagen der deutschen China-Politik gesagt hat, kann man im wesentlichen einverstanden sein. Auf dieser Grundlage werden wir uns leicht einigen können. Allerdings bleibt eine große Frage völlig unbeantwortet: Warum hat die Bundesregierung in den vergangenen Jahren bis in die jüngsten Tage hinein nicht so gehandelt, wie der Bundeskanzler es gerade dargestellt hat?
Vor dieser Debatte hat es ja ein paar warnende Hinweise gegeben, besonders vom Vorsitzenden der F.D.P.-Fraktion, man solle die China-Politik nicht
Günter Verheugen
innenpolitisch instrumentalisieren. Damit bin ich einverstanden, ich bitte Sie aber, Herr Solms, Ihre Ermahnung an die richtige Adresse zu richten. Es sind Ihre eigenen Leute, die in Bonn herumlaufen und überall erzählen, der Außenminister sei nicht mehr tragbar. Sorgen Sie in Ihrem eigenen Laden einmal für Ordnung!
Wir hatten eine Debatte zur China-Politik gewünscht, weil das Parlament nicht schweigen kann, wenn eine Resolution zur Tibet-Frage, die von allen Fraktionen eingebracht und unterstützt wurde, von der chinesischen Führung zum Anlaß einer schweren Störung der Beziehungen genommen wird. Eine ruhige und gründliche Debatte wäre notwendig gewesen, weil es jetzt nicht mehr allein um die Menschenrechte in Tibet geht, sondern weil Grundsatzfragen der China-Politik, ja der Außenpolitik insgesamt zur Debatte stehen.
Die Tibet-Resolution ist ein Erfolg der Arbeit des gesamten Hauses. Der Deutsche Bundestag muß zu seinem Menschenrechtsengagement stehen.
Die chinesische Reaktion zeigt, daß die Führung Chinas dieses Engagement ernst nimmt. Vizepräsident Hirsch hat mit Recht gesagt: Wenn andere westeuropäische und nordamerikanische Parlamente dem Beispiel des Bundestages folgten, dann könnte man vielleicht auf ein Umdenken in Peking und eine Änderung der starren Haltung gegenüber Tibet hoffen.
Ich bedaure zutiefst, daß es Stimmen aus der CSU, an der Spitze Landesgruppenvorsitzender Glos, gegeben hat, die sich von der Tibet-Resolution schon wenige Tage nach ihrer einstimmigen Verabschiedung distanziert haben. Der Bundestag muß selbstbewußt zu seiner Entscheidung stehen. Er darf sich nicht unter chinesischem Druck auseinanderdividieren lassen.
Ich appelliere dringend an Sie alle, die erreichte Gemeinsamkeit aller Fraktionen in der Menschenrechtspolitik nicht aufs Spiel zu setzen. Wenn wir uns auf die falsche Alternative Geschäft oder Moral einlassen, beschädigen wir gleichermaßen unsere Wirtschaftsinteressen und unsere Grundüberzeugungen.
Die chinesische Reaktion auf die Tibet-Resolution ist nicht akzeptabel. Wir wollen den Dialog mit China. Aber es kann nicht angehen, daß die chinesische Seite am Dialog nur interessiert ist, wenn ihr unangenehme Themen ausgeklammert bleiben.
Die Frage allerdings: Wie konnte es zu dieser Reaktion Pekings kommen?, ist für uns heute die entscheidende. Ich sehe den Grund darin, daß der China-Politik der Regierung Kohl die innere Balance fehlt. Bundeskanzler und Außenminister haben sich so verhalten, daß es nahezu zwangsläufig zu einer chinesischen Fehleinschätzung kommen mußte. Ich zitiere ein ganz gewiß nicht im Verdacht sozialdemokratischer oder gar wirtschaftsfeindlicher Umtriebe stehendes Blatt, die „Neue Zürcher Zeitung" von gestern:
Auch Bundeskanzler Kohl hat sich in die Rolle eines Türöffners für die deutsche Wirtschaft drängen lassen und letztes Jahr das unterdrückerische Pekinger Regime sogar mit einem für die deutsche Politik eher peinlichen Besuch bei der Volksbefreiungsarmee erfreut.
Wie falsch die Signale sind, die mit solchen Regierungsaktionen den chinesischen Machthabern gegeben werden, lässt die jüngste Verstimmung zwischen Bonn und Peking erkennen. Die Volksrepublik wird durch den Kotau ausländischer Regierungen in ihrem Glauben bestätigt, sie könne die westliche Politik über die Wirtschaftskontakte ans Gängelband nehmen.
Die Bundesregierung hat keine eindeutige Haltung eingenommen. Was ist das, wenn der Außenminister einerseits Gelder für eine Veranstaltung der Friedrich-Naumann-Stiftung streicht, sie andererseits zugunsten der Durchführung privat sammelt? Er erklärt einerseits, mit der Tibet-Resolution nicht ausreichend einverstanden zu sein, stimmt ihr andererseits zu.
Ich denke, das muß die Volksrepublik China dann auch nicht sonderlich ernst nehmen. Aber ernst genommen hat sie immer den Bundeskanzler, weil dessen Haltung klar und eindeutig war. Er ist immer zur Akkomodierung chinesischer Interessen bereit gewesen, ob mit seinem Tibet-Besuch 1987 oder dem Besuch bei der Volksbefreiungsarmee 1995.
Die Ausladung des Bundesaußenministers ist aus Pekinger Sicht ganz folgerichtig. Um glaubwürdig erpressen zu können, muß auch glaubwürdig bestraft werden. Bestraft wurde aber eben nicht die wankelmütige Haltung des Außenministers, bestraft wurde die Unzuverlässigkeit des Kanzlers, von dem man angenommen hatte, er werde das Parlament gemäß dem Wunsch der chinesischen Seite dirigieren und zur Aufgabe des Resolutionsprojektes bewegen. Peking hat im Sinne des chinesischen Sprichworts gehandelt: Man tötet das Huhn, um den Affen zu erschrecken.
- Ich kann nichts für die chinesischen Sprichwörter.
Meine Damen und Herren, es ist an der Zeit, dieses für beide Seiten entwürdigende Verhalten zu been-
Günter Verheugen
den. Die deutsche Politik darf nicht erpreßbar erscheinen.
Deshalb muß für uns gelten: Wir wollen gute Beziehungen zu China. Dazu ist der politische Dialog mit der chinesischen Führung über alle Fragen von gegenseitigem Interesse nötig. Ein kontinuierlicher Dialog über Menschenrechtsfragen gehört dazu. Eine Konditionalität zwischen den Inhalten des politischen Dialogs und den Wirtschaftsbeziehungen herstellen zu wollen, daß wäre im Falle Chinas töricht. Man kann das eine tun, ohne das andere zu lassen. Dazu fordern wir die Regierung auf.
Das Wort hat der Kollege Rudolf Seiters.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag hat in der vergangenen Woche nach einer guten und ernsthaften Debatte mit breiter Mehrheit Position zum Thema Menschenrechte, Tibet und China bezogen. Alle Fraktionen haben betont, wie wichtig diese gemeinsame Position des Deutschen Bundestages sei. Die Bundesregierung hat den Antrag unterstützt.
Ich habe mich nach dem Sinn der heutigen Debatte gefragt, Herr Kollege Verheugen. Wer jetzt den parteipolitischen Streit sucht - Sie haben ihn in den letzten Tagen, genauso wie Kollege Voigt, ständig gesucht -, schmälert den Wert und das Gewicht der gemeinsam verabschiedeten Resolution aus der vergangenen Woche.
Sie helfen auch nicht den Menschenrechten, Sie helfen nicht den Tibetern, und Sie helfen auch nicht den deutsch-chinesischen Beziehungen. Alles andere - ich sage das ganz ruhig - ist pure Heuchelei.
Ich will unsere Position noch einmal in drei Punkten bekräftigen. Erstens. Wir wollen vernünftige und ausbaufähige Beziehungen zu China. Aber auch China muß begreifen, daß die Frage von Menschenrechten keine innere Angelegenheit einzelner Staaten ist. Der Deutsche Bundestag hat in den vergangenen Jahren immer wieder auf die universelle Geltung der Menschenrechte hingewiesen. Nach unserem Verständnis ist die Stellungnahme zu Menschenrechtsverletzungen, wo immer sie geschehen, nicht nur legitim, sondern ein Gebot der politischen Ethik.
Zweitens. In der Debatte des Bundestages bestand Konsens darüber, daß die Unterstützung von Autonomie und Selbstbestimmung kein Plädoyer für die Abspaltung Tibets vom chinesischen Staatsverband bedeutet. Niemand stellt die territoriale Integrität Chinas in Frage. Es ist aber legitim und notwendig, für das Verlangen des tibetischen Volkes einzutreten so-
wie die tibetische Kultur und Religion zu wahren und zu erhalten.
Drittens. Wir haben die Versuche der chinesischen Seite, gegenüber dem deutschen Parlament Druck auszuüben, ebenso zurückgewiesen, wie wir die chinesischen Reaktionen auf die Tibet-Entschließung des Deutschen Bundestages einschließlich der Ausladung des deutschen Bundesaußenministers für überzogen und für falsch halten.
Es ist völlig einsichtig, daß die Bundesminister Töpfer und Merkel Besuche in dieser Situation ebenfalls nicht für hilfreich halten. Die Besuche werden zu einem späteren Zeitpunkt wieder sinnvoll werden. Auch die Chinesen haben unabhängig von manchen Aufgeregtheiten dieser Tage ein Interesse an vernünftigen und ausbaufähigen Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland. Das zeigen auch ihre jüngsten Erklärungen.
Mir ist völlig unbegreiflich, warum die SPD die Reiseabsagen der beiden Minister abweichend von der bisherigen Gemeinsamkeit kritisiert.
Herr Poppe hat recht: Wären Herr Töpfer und Frau Merkel gefahren, wäre Verheugen der erste gewesen, der seiner Empörung freien Lauf gelassen hätte. Alles Heuchelei!
Zu Ihren Angriffen auf den Bundesaußenminister will ich im übrigen doch sagen: Er wurde ausgeladen, weil er sich hinter unsere Entschließung gestellt hat.
Vor diesem Hintergrund ist es nicht fair, den Bundesaußenminister anzugreifen. Vielmehr hätte es sich gehört - das sage ich zur Opposition -, sich in einer solchen Situation solidarisch an die Seite von Klaus Kinkel zu stellen. Das ist meine Meinung.
Bundestag und Bundesregierung haben in der vergangenen Woche deutlich gemacht, daß sie Menschenrechte nicht anderen Interessen unterordnen.
Ich bin überzeugt, daß sich die Einforderung von Menschenrechten und ökonomische Interessen nicht gegenseitig ausschließen. Wir werden unter Wahrung unserer Grundsätze weiterhin den Dialog mit China führen sowie die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen ausbauen. Bei dieser Politik haben die Bundesregierung, der Bundeskanzler und der Bundesaußenminister die volle Unterstützung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Schmitt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Seiters, ich stimme Ihnen ausdrücklich in der Bewertung der Debatte zur TibetResolution vom vergangenen Donnerstag zu. Es lag nicht in unserem Interesse, die Wirksamkeit dieser Resolution durch kleingeistiges, parteipolitisches Gezänk zu entwerten. Der Wert der Resolution besteht unter anderem darin, daß sie von diesem Hause einstimmig beschlossen worden ist.
Ich möchte Sie aber auch daran erinnern, daß es ein Mitglied der CDU/CSU-Fraktion war, nämlich Kollege Glos, der die Angriffe und Kommentare des chinesischen Außenministeriums - sie gipfelten in Begriffen wie Perversion, Abnormität; ja die Legitimität des gesamten Deutschen Bundestages wurde in Abrede gestellt - nicht deutlich zurückgewiesen hat. Vielmehr hat er am Samstag in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" verständnisvoll darauf hingewiesen, daß der Deutsche Bundestag seine Kritik an der chinesischen Regierung offenbar überzogen habe.
Meine Damen und Herren, durch solche Reaktionen werden Resolutionen, die wir hier verabschiedet haben, politisch entwertet. Damit wird unserem Engagement kein Gefallen getan.
Ich hätte vom Kollegen Glos erwartet, daß er den absurden Vorwurf der chinesischen Führung, der Deutsche Bundestag vertrete nicht die Interessen des deutschen Volkes, genauso zurückgewiesen hätte, wie in früheren Zeiten die CDU/CSU-Fraktion besonders harsch in Sachen Menschenrechtsverletzungen in Osteuropa zur Sache gegangen ist.
Für unsere Fraktion - ich will das noch einmal deutlich erklären - besteht kein Grund, von der hier verabschiedeten Resolution auch nur an einem Punkt irgend etwas zurückzunehmen. Wir sind nach wie vor davon überzeugt, daß sie im Ton und der Sache nach dem hier zur Debatte stehenden Gegenstand absolut angemessen war. Alle Fraktionen waren sich der außenpolitischen Bedeutung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik China sehr wohl bewußt, als wir diese Resolution verabschiedeten. Wir brauchen an diesem Punkt keinen Nachhilfeunterricht.
Meine Damen und Herren, wir haben erwartet, daß sich der Bundesaußenminister ebenso deutlich hinter das Parlament stellt. Herr Kollege Kinkel, Sie haben zu Recht Ihr Bedauern über die Ausladung durch die chinesische Regierung zum Ausdruck gebracht. Aber ich hätte am Montag, nachdem das
durch die Medien gegangen ist, von Ihnen auch deutlichere Worte als nur den Hinweis darauf erwartet, daß Sie sich in einer Spagatsituation befänden.
Herr Bundesaußenminister, der Spagat ist eine äußerst instabile Haltung. Da bedarf es nur eines kleinen Stupses, und Sie liegen auf der Nase. Daran haben auch wir kein Interesse.
Aber ich hätte von Ihnen erwartet, , daß Sie, statt auf vermeintliche konfuzianische Denktraditionen des Ostens hinzuweisen, deutlich darauf hingewiesen hätten, daß Menschenrechte universal gelten. Im übrigen ist der Hinweis auf andere Geistes- und Denktraditionen nicht angemessen. Hätten Sie mit dem früheren deutschen Botschafter in der Volksrepublik China, Herrn Fischer, gesprochen, dann hätte er Sie sicherlich sehr qualifiziert darauf aufmerksam gemacht, daß die konfuzianische Denk- und Philosophietradition sehr wohl eine Vorstellung von Menschenrechten kennt, wie sie auch in der abendländischen Tradition zu finden ist.
Nicht umsonst haben sich die Angehörigen der Opfer des Massakers auf dem Platz des Himmlischen Friedens bei ihren Appellen an den chinesischen Volkskongreß nicht auf abendländische Menschenrechtstraditionen, sondern auf konfuzianisches Gedankengut berufen, woran Sie sehen können, daß die Rede von den anderen Werten und die Feststellung, man könne unser Menschenrechtsverständnis nicht auf andere Weltgegenden übertragen, schlicht und einfach dummes Zeug ist.
Ich komme zum Schluß. Ich möchte der Bundesregierung nicht absprechen, daß sie rein subjektiv der Auffassung ist, daß sie sich entschlossen genug für Menschenrechtsfragen auch gegenüber der Volksrepublik China eingesetzt hat. Aber Sie sollten sich einmal fragen, warum die Reaktion der chinesischen Führung auf die Resolution des Deutschen Bundestages so harsch ausgefallen ist. Offenbar ist man auf chinesischer Seite durchaus der Meinung, daß die Verabschiedung der Tibet-Resolution des Deutschen Bundestages alles andere als in der Kontinuität der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und China steht. Mein Eindruck ist, das chinesische Außenministerium meint, darin einen Bruch zu identifizieren.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Treten Sie in Zukunft entschlossener der Pekinger Führung gegenüber. Machen Sie deutlich, daß diese Resolution, anders als es übrigens der Kollege Glos meint, in der Tradition der bundesdeutschen China-Politik steht. Falls es nicht so sein sollte: Wagen Sie einen entschlossenen Neuanfang. Beide Länder können davon profitieren.
Herr Kollege Dr. Wolfgang Gerhardt, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben uns in der vorigen Woche in einer gemeinsamen Resolution zu den Menschenrechten und zur kulturellen Identität Tibets bekannt. Es gibt keinen Zweifel daran, daß alle Kolleginnen und Kollegen auch dazu stehen. Der Bundesaußenminister hat in einem Interview auf die Frage „Wie bewerten Sie die Absage aus Peking?" klar erklärt:
Ich bedaure die Verschiebung des Besuchs. Der Besuch stand seit langem fest. Das sollten die jährlich vereinbarten Konsultationen sein. Ich sage nachdrücklich, daß ich mich immer für gute Beziehungen zu China eingesetzt habe und daß ich dies auch weiter tun werde. Andererseits lasse ich mir in Menschenrechtsfragen den Mund nicht verbieten, und der frei gewählte Deutsche Bundestag tut das auch nicht.
Das ist klar erklärt worden, das kann jeder nachlesen. Das entspricht unserer Haltung, und wir sprechen dem Bundesaußenminister auch unsere Solidarität aus. Er vertritt mit dem Bundeskanzler unsere Politik gegenüber diesem Land.
Im Deutschen Bundestag hat niemand die territoriale Integrität Chinas in Frage gestellt. Auch der Dalai-Lama hat sich bei seinem Besuch sehr klug geäußert. Ihm geht es um die kulturelle Identität seines Volkes und nicht um Staatsgründungsfragen in Tibet selbst. Deshalb muß man hier auch noch einmal sagen können: Wir sind ein frei gewähltes Parlament; der Dalai-Lama ist uns in Deutschland herzlich willkommen. Wir lassen uns von niemandem vorschreiben, wen wir hier zu empfangen haben und mit wem wir Gespräche führen.
Diese Persönlichkeit wird von uns respektiert.
Der souveräne Umgang von Staaten miteinander gebietet, daß man Handelsbeziehungen pflegt, daß man sich begegnet, daß man Kooperationen sucht, aber er bedeutet auch, daß man sich gegenseitig manchmal etwas kritisch mitzuteilen hat. Wer dies nicht erträgt, wer nicht die Kraft hat, mit anderen Staaten und Völkern auch kritische Sachverhalte zu erörtern, der hat keine überzeugende politische Führung. Das muß gesagt werden können, und das ist auch der Fall.
Deshalb ist die Absage und das, was ich auch in Deutschland an Diskussionen höre, kein Prestigeproblem für die Bundesrepublik Deutschland, es ist auch kein Zeichen der Stärke sondern ein Zeichen der Schwäche der chinesischen Führung. Es ist kein souveränes Reagieren auf eine Situation.
Es liegt jetzt an uns, wie wir damit umgehen. Mit Gelassenheit! Warum sollten wir hier aufgeregt innenpolitisch kleine Schachspielchen veranstalten, wenn es darum geht, auch der chinesischen Führung jetzt zu signalisieren, daß sie nicht beliebig mit einem Beschluß des deutschen Parlaments umspringen kann?
Wenn die chinesische Führung einen Besuch des Bundesaußenministers absagt, dann ist hier die Solidarität aller Kolleginnen und Kollegen gefordert. Wenn der deutsche Außenminister an der Vordertür eines Hauses abgewiesen wird, sollte von uns niemand den Versuch machen, durch die Hintertür hineinzukommen. Das muß klar sein.
Das muß klar sein im gegenseitigen Umgang: Es gibt eine gemeinsame China-Politik der Bundesregierung, es gibt eine gemeinsame Resolution dieses Hauses, und deshalb gibt es eine gemeinsame Haltung von uns allen gegenüber der chinesischen Führung.
Wenn die Aktuelle Stunde einen Sinn hat, Herr Kollege Verheugen, dann ist es die Gelegenheit, Sie zu bitten, Ihren ganzen Einfluß geltend zu machen, daß auch Ihre Fraktionskolleginnen und -kollegen sich so verhalten, wie wir uns verhalten.
Es ist nämlich wichtig, daß die chinesische Führung das Signal bekommt: Sie kann uns hier nicht auseinanderdividieren - weder den Bundeskanzler noch den Außenminister, noch die CDU, noch die CSU, Herrn Schäuble, Herrn Glos und den Wolfgang Gerhardt. Es ist jetzt an Ihnen, dies darzustellen. Ich könnte mir vorstellen, daß dies doch eine gewisse Wirkung hat.
Nein, die Aktuelle Stunde ist nicht beantragt worden, um die China-Politik in Zweifel zu ziehen. Jeder weiß, daß der Bundesaußenminister in Menschenrechtsfragen kämpft, daß er viele Einzelfälle geklärt hat, daß er durch sehr persönliche Gespräche manchen aus dem Gefängnis befreit hat, daß er etwas erwirkt hat. Nein, sie wird gemacht aus innenpolitischem Kalkül. Das ist mir aber zu klein. Ich kann auf Pepita nicht Schach spielen. Deshalb ist dies das einzige, was ich zu der Diskussion heute sagen kann.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Gregor Gysi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erstens. Es ist wahr: Aus den Reihen der Opposition, aber auch aus den eigenen Reihen der F.D.P. nimmt der Druck zu, den Bundesaußenminister auszuwechseln.
Ich füge hinzu, daß ich die Beziehungen zu China und die Menschenrechtssituation in China viel zu wichtig finde, als daß man sie zum Anlaß nimmt, Personalpolitik innerhalb der Bundesregierung zu betreiben.
Deshalb kritisiere ich das.
Zweitens. Den Begriff Menschenrechte kann man nur akzeptieren, wenn diese wirklich universell gelten und anerkannt werden, und zwar auch in ihrer Einheit von politischen und sozialen Rechten.
Ich sage deshalb deutlich: Wenn der Pressesprecher der chinesischen Botschaft in der Tageszeitung „Neues Deutschland" erklärt, daß man zum Beispiel nicht vergessen dürfe, daß China erreicht hat, daß über eine Milliarde Menschen nicht mehr hungern, dann ist das wahr, aber er möge mir doch bitte erklären, weshalb man das nicht erreichen kann unter den Bedingungen von Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und anderen politischen Freiheiten.
Ich bin eigentlich nicht mehr länger bereit, diese Gegenüberstellung hinzunehmen - allerdings auch umgekehrt nicht; das heißt, daß auch dieser Bundestag und die Bundesregierung die Verpflichtung haben, sich stärker weltweit für soziale Grundrechte einzusetzen, weil andernfalls natürlich politische Rechte einfach an Wert verlieren. Für jemanden, der hungert, ist eben die Pressefreiheit nicht das Entscheidende, sondern das Entscheidende für ihn ist, daß er sich ernähren kann. Wir müssen also von der Einheit ausgehen, und das viel stärker.
Ich glaube, daß man drittens festhalten muß, daß alle Regierungen auf diesem Erdball und, von den Grünen einmal abgesehen, auch alle Parteien in diesem Hause in ihrer Geschichte immer schon ein durch ein bestimmtes politisches Interesse geprägtes unterschiedliches Herangehen an Menschenrechtsverletzungen praktiziert haben. Das mag bei den einzelnen Parteien unterschiedlich gewesen sein. Es wäre aber einfach fatal, zu leugnen, daß das die Politik immer begleitet hat.
Natürlich verhält sich auch die Bundesregierung je nach Interessenlage sehr unterschiedlich. Ich kann hier nur Stichworte nennen: Wie ist es zum Beispiel mit der Auseinandersetzung der Bundesregierung mit der Türkei in bezug auf die Kurden? Wie ist es mit der Auseinandersetzung der Bundesregierung mit Rußland in bezug auf Tschetschenien? Ich könnte viele andere Beispiele nennen, will das aber nicht
tun. Dies setzt sich in der China-Politik dieser Bundesregierung fort.
Deshalb will ich dazu noch etwas sagen. Nachdem nun der Bundesaußenminister ausgeladen worden ist, fand ich die weiteren Meldungen schon deshalb so interessant, weil man dadurch erst erfahren hat, welche sonstigen Besuche geplant waren, von denen man gar nichts wußte.
So erfuhr man zum Beispiel, daß Frau Merkel, Herr Töpfer und Herr Rexrodt - dies mag auch noch andere Gründe haben - abgesagt haben. Viel spannender aber fand ich, daß Herr Rühe ein deutsch-chinesisches Offizierstreffen beim Heeresführungskommando in Koblenz abgesagt hat, von dem vorher kein Mensch wußte, daß es stattfinden sollte,
und daß er laut „Süddeutscher Zeitung" vom 25. Juni 1996 auch ein deutsch-chinesisches Generalstabstreffen in Peking abgesagt hat.
Ich sage Ihnen allen Ernstes: Wenn Sie ganz scharf auf Rüstungsaufträge aus China sind und der deutschen Wirtschaft sowie der Deutschen Bank diesen Weg ebnen wollen, dann sind Sie natürlich nicht in der Lage, die Politik, die auch der Kanzler gerade ausgeführt hat, umzusetzen. Dann sind Sie an Ihre eigene Politik gefesselt. Das wird täglich deutlich.
Übrigens übernimmt man mit Waffenexporten immer einen bestimmten Grad an Verantwortung. Das sollte man klar sehen.
Natürlich sind wir für den Dialog mit der chinesischen Regierung und mit anderen chinesischen gesellschaftlichen Kräften. Wir sind auch für wirtschaftliche Zusammenarbeit; das ist ganz klar. Wir selber führen Gespräche nicht nur mit chinesischen Politikerinnen und Politikern. Dabei stehen die Menschenrechte sehr wohl im Mittelpunkt; denn ich glaube, daß ohne ihre Verwirklichung letztlich gedeihliche Beziehungen überhaupt nicht möglich sind. Das gilt auf allen Ebenen und im Verhältnis zu allen Staaten. Hier kann gegenüber vielen Staaten noch mehr geleistet werden, als es in der Vergangenheit der Fall war.
Ich wünschte mir, das neue Jahrhundert wäre dadurch gekennzeichnet, daß wir alle - das sage ich nicht ohne Selbstkritik - an die Verwirklichung der Menschenrechte herangingen, ohne dabei die eigene politische, wirtschaftliche oder sonstige Interessenlage auch nur zu 50 Prozent oder 20 Prozent zu berücksichtigen.
Das nämlich ist die Voraussetzung dafür, Menschenrechte wirklich als universell anzusehen.
Das erfordert, ökonomische und andere Interessen auch einmal zurückzustellen. Genau dazu ist die
Dr. Gregor Gysi
Bundesregierung nicht bereit. Solange sie dazu nicht bereit ist, wird sie in diesen Fragen nicht ehrlich sein können - weder gegenüber China noch gegenüber der Türkei, noch gegenüber Rußland, noch gegenüber anderen Ländern auf dieser Welt.
Herr Kollege Volker Neumann, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Seiters, Herr Schmitt, Herr Gerhardt und Herr Gysi, ich bin der Meinung, daß eine Aktuelle Stunde nicht notwendigerweise einem parlamentarischen Angriff der Opposition auf die Regierung oder umgekehrt dienen muß. Ich finde, eine Aktuelle Stunde kann auch die Antwort des Deutschen Bundestages auf Ereignisse sein, die einer Stellungnahme bedürfen. Eine vereinbarte Debatte wäre im übrigen besser gewesen.
Die Antwort der chinesischen Regierung auf die Tibet-Resolution der letzten Woche macht deutlich, wie weit diese von einem selbstverständlichen und souveränen Umgang mit den Fragen der Menschenrechte und der Demokratie entfernt ist. Wer so massiv die Menschenrechte verletzt und seinem Volk demokratische Rechte vorenthält wie die kommunistische Regierung in Peking, ist offensichtlich noch weit davon entfernt, mit uns glaubwürdig über diese Fragen zu diskutieren. Sie ist auch nicht legitimiert, dem Deutschen Bundestag Belehrungen in Fragen der Demokratie zu erteilen.
Wenn der Sprecher des chinesischen Außenministeriums meint, der Bundestag vertrete nicht das deutsche Volk, so mag dies nur durch die Tatsache zu erklären sein, daß sich die chinesische Regierung noch nie freien, geheimen und gleichen Wahlen stellen mußte.
Der chinesischen Regierung ist offenbar die Rolle des Parlaments in westlichen Demokratien noch nicht klar. Die einstimmig angenommene Resolution des Deutschen Bundestages hält das chinesische Außenministerium für „das Werk weniger Leute in Deutschland". In dieser Einschätzung irrt die chinesische Regierung, wie die breite Zustimmung zu der Haltung des Bundestages durch die deutsche Öffentlichkeit beweist.
Aber ich will auch gern bestätigen, daß die chinesische Regierung mit einer anderen Einschätzung richtig liegt, nämlich der, daß „die Mehrheit des deutschen Volkes die Entwicklung von Freundschaft und Zusammenarbeit unterstützt". Das wollen wir uneingeschränkt. Aber wir werden deshalb unsere klare und eindeutige Haltung in Fragen der Menschenrechte und der Demokratie nicht verleugnen.
Mit dem mißlungenen verbalen Versöhnungsversuch des chinesischen Außenministeriums sollte wohl die Überreaktion auf die Ausladung des deutschen Außenministers wieder ausgebügelt werden. Dieses Hin und Her in der chinesischen Politik zeigt deutlich das mangelnde Selbstbewußtsein auf dem Gebiet der Menschenrechte und der Demokratie.
Das klärende Gewitter, das zu der jetzigen Krise in den deutsch-chinesischen Beziehungen geführt hat, kann aber auch für die Bundesregierung klärend gewesen sein. Sie ist endlich gezwungen, Farbe zu bekennen.
Es bringt im Verhältnis zu der chinesischen Regierung nämlich nicht viel ein, lediglich eine Schönwetterpolitik zu betreiben. Jede Meinungsverschiedenheit in politischen Fragen führt dann automatisch zu einer Krise in den politischen Beziehungen.
Die Bundesregierung, insbesondere der Bundeskanzler, hat bisher den Eindruck erweckt, aus Angst vor der Gefährdung wirtschaftlicher Beziehungen Konfliktthemen zu vermeiden. - Nein, sie ist darüber hinaus so weit gegangen, den Chinesen Konfliktfreiheit vorzugaukeln. Dies hat nicht nur hier, sondern überall dazu geführt, die Chinapolitik der Bundesregierung als widersprüchlich und konfus erscheinen zu lassen.
Nach der Diskussion und der Abstimmung am letzten Donnerstag und der Erklärung des Bundeskanzlers heute - ihm dazu Gelegenheit zu geben rechtfertigte übrigens schon diese Aktuelle Stunde - kann ich provokativ sagen: Es muß uns freuen, daß wir den Tibet-Antrag eingebracht haben. Wir sind dadurch nicht nur in der Menschenrechtsfrage, sondern auch in der gemeinsamen Chinapolitik ein Stück weitergekommen. Es war eine heilsame Krise, aus der wir gestärkt hervorgehen, und zwar auch gestärkt durch die Erfahrung, daß trotz politischen Unwetters und unterschiedlicher Auffassungen in den Fragen der Menschenrechte und der Demokratie die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen mit China weitergehen werden und weitergehen müssen. - Ich frage übrigens, wie lange wir uns unserer Reisetätigkeit enthalten sollen. Hat darüber einmal jemand nachgedacht?
Es ist kein Geheimnis, daß sich auch in China ein politischer Wandel vollzieht. In dieser Zeit will Peking Stärke zeigen, gibt sich aggressiver und spielt die nationalistische Karte. Taiwan und Hongkong zeigen das.
Meine Damen und Herren, die Propaganda war und ist in China immer ein Gradmesser für die Atmosphäre in der Führung. Die momentane Entwicklung läßt Veränderungen vermuten. Sie zeigt, daß Machtkämpfe und wahrscheinlich auch Instabilität der Führung zu erwarten sind. Gleichzeitig aber lenkt diese Propaganda ab und weist auf mutmaßliche äußere Feinde hin. Das ist ein altbekanntes Mittel der Außenpolitik; wir wissen es.
Volker Neumann
Angesichts der großen Gefahren, die ein instabiles China für die Welt mit sich bringt, ist eine berechenbare deutsche Chinapolitik unumgänglich. Wir sind deshalb gut beraten, alle Aspekte der Chinapolitik immer wieder zu überprüfen. Ich bin sicher, daß unsere Tibet-Resolution einen Anstoß dazu gegeben hat.
Und die Resolution hat ein Weiteres gezeigt, meine Damen und Herren: In Menschenrechtsfragen hat der Deutsche Bundestag seine gemeinsame Grundhaltung nicht verändert. Darin liegt unsere Stärke, und dafür werden uns alle dankbar sein, denen Menschenrechte und Demokratie vorenthalten werden.
Das Wort hat der Kollege Joschka Fischer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag hat in der letzten Sitzungswoche nach einer, wie ich finde, sehr guten und sehr eindrücklichen Debatte mit einer beeindruckenden einstimmigen Mehrheit eine bedeutsame Resolution verabschiedet. Das Wichtigste daran ist, daß wir in Menschenrechtsfragen über die Fraktions- und Parteigrenzen hinweg ein hohes Maß an Konsens im Umgang mit Menschenrechtsverletzungen in der auswärtigen Politik und in der Haltung, die die Bundesrepublik Deutschland dazu einnehmen soll, haben. Insofern brauchen wir diese Debatte heute nicht mehr zu führen.
Heute geht es um den offensichtlichen Widerspruch zwischen der einstimmigen Haltung des Deutschen Bundestages und der Haltung der Bundesregierung. Beim besten Willen, bei allem Konsens: Dazu wird man nicht schweigen können, Herr Gerhardt. Das hat nichts mit kleinkariertem parteipolitischen Gezänk zu tun.
- Überhaupt nicht! Ich könnte es mir ganz einfach machen. Ich könnte fragen, ob die Solidaritätserklärung des F.D.P.-Vorsitzenden mit dem F.D.P.-Außenminister eine Drohung oder eine Unterstützung ist.
Manches könnte für das erste sprechen.
Mir geht es um etwas anderes. Mir geht es darum, klarzumachen, daß wir bei den Widersprüchen zwischen der Haltung der Bundesregierung und der des Deutschen Bundestages in Menschenrechtsfragen Kontinuität haben. Herr Kinkel, Sie und auch der Bundeskanzler sind in der Velayati-Frage genauso wie bei der Erarbeitung der Tibet-Resolution zweimal an derselben Frage gescheitert: Sie waren beide Male der Meinung, daß der Deutsche Bundestag zu weit geht. Sie waren bei der Tibet-Resolution ähnlich
wie bei der Frage der Ausladung des Außenministers Velayati der Meinung, daß diplomatische Rücksichtnahmen schwerer zu wiegen haben als der klare, eindeutige Einsatz gegen Menschenrechtsverletzungen.
Diesen Punkt müssen wir herausarbeiten; denn faktisch bedeutet Ihre Haltung, daß Sie in Menschenrechtsfragen eine Politik des Hineintappens in selbstaufgestellte Mustöpfe weiterverfolgen werden. Ich prophezeie Ihnen, Herr Kinkel: Wir werden an diesem Punkt nicht nachlassen; denn der entscheidende Aspekt gerade und auch in der Chinapolitik - darin unterscheiden wir uns auch von Ihnen - wird sein: Wir werden eine friedliche Entwicklung Chinas nicht bekommen, wenn wir vor allen Dingen auf das Geschäft setzen. Gerade dieses große Land wird eine demokratische Entwicklung brauchen. Herr Glos, all diejenigen, die meinen, hauptsächlich der Markt China sei von Interesse, werden letztendlich eine chaotische Entwicklung zu Lasten der äußeren Sicherheit in der Region, aber auch auf dieser Welt fördern.
Deswegen müssen wir mit den Chinesen unnachgiebig über Menschenrechte, über tibetische Kultur und über den Schutz von Minderheiten in China sprechen. Wenn das Aufträge kostet, dann kostet es eben Aufträge.
An diesem Punkt erwarten wir von der Bundesregierung, daß sie endlich eine andere Haltung in Menschenrechtsfragen einnimmt. Damit das klar ist, Herr Kinkel: Uns geht es nicht darum, den Einsatz von Mitgliedern der Bundesregierung - auch von Ihnen persönlich - in Einzelfällen zu kritisieren. Wir erkennen dieses Bemühen durchaus an. Aber Sie müssen sich vorwerfen lassen, daß die Bundesregierung beim Besuch des Bundeskanzlers in China, im Umgang mit der chinesischen Führung den Eindruck erweckt hat, daß sie zwar an den Prinzipien der Menschenrechte festhält, daß sie diese aber im Zusammenhang mit der Geschäftsentwicklung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und China weit in den Hintergrund rückt mit der Konsequenz, daß die Chinesen dies als Einladung empfunden haben, in Menschenrechtsfragen selbst in die Innenpolitik Deutschlands eingreifen zu können. Das war ein fataler Fehler, den Sie und der Bundeskanzler zu verantworten haben.
Wenn die Bundestagsresolution von der Bundesregierung ernst genommen wird - wir hoffen, daß sie von ihr ernst genommen wird -, dann werden Sie Ihre Haltung zu den Menschenrechten im Spannungsverhältnis zwischen Geschäft und Menschenrechten im Umgang mit der Volksrepublik China, aber auch mit anderen Diktaturen endlich dergestalt überprüfen müssen, daß Menschenrechte unbedingten Vorrang haben. Es darf nicht weiter der Eindruck
Joseph Fischer
erweckt werden, wir ließen in Menschenrechtsfragen mit uns handeln.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Elke Leonhard.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zunächst ein Wort an die Regierungsparteien richten. Es scheint mir langsam zur Übung zu werden, daß Sie bei Fragen, die kniffelig sind oder Ihnen unangenehm werden, kneifen. Es war letzthin schon einmal so, daß Sie bei einer schwierigen sozialpolitischen Frage einfach nicht hierher gekommen sind und das Wort ergriffen haben. Ich ermahne Sie: Parlament ist Wort und Widerwort.
- Vielleicht wird er noch etwas sagen.
Ohne Emotionen fasse ich nun einmal nüchtern die Fakten zusammen. Bonn, 20. Juni 1996, 17.57 Uhr: Der Deutsche Bundestag verabschiedet die Tibet-Resolution: parteiübergreifender Konsens. Ein alltäglicher Vorgang? Ein normaler Vorgang? Jedenfalls kein Grund zur Aufregung. Wir, die deutschen Sozialdemokraten, werden Menschenrechtsverletzungen, wo immer sie geschehen, an den Pranger stellen. So, Herr Kollege Schmitt, haben wir es auch immer in Richtung Osteuropa getan. Das gehört zu unserem Selbstverständnis und ist unverzichtbar.
Da gibt es keine Erklärung, Herr Kollege Lamers, und keine Rechtfertigung. Von uns als Deutschem Bundestag, dem obersten Verfassungsorgan, von uns als frei gewählten Parlamentarierinnen und Parlamentariern wird billigerweise keiner erwarten können, daß wir uns die Augen zubinden, die Ohren zustopfen oder einen Maulkorb verordnen lassen - von niemandem. Wir haben andere Verfassungsorgane, die diplomatischen Gepflogenheiten unterworfen sind. Diese pflegen den Dialog: mal freundschaftlich, mal kritisch, aber immer nach dem Grundsatz: Reden ist immer besser als Nicht-Reden.
Neben den Verfassungsorganen - um einmal die verschiedenen Bereiche zu nennen - gibt es Produzenten, gibt es Kaufleute, gibt es Händler, denen wir nicht ins Geschäft reden. Im Gegenteil: Wir haben eine der liberalsten Außenwirtschaftsverordnungen, und das ist gut so. Ich werde jedenfalls immer dafür eintreten. Die wenigen Einschränkungen des freien Handels sind begründet, berechtigt und auch bitter notwendig.
Ob unsere Resolution auf Zustimmung oder Ablehnung stößt, wird uns wenig berühren. Leichte Zweifel äußerte beispielsweise Otto Wolff von Amerongen, Vorsitzender des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft: Man müsse verstehen, daß man in Ostasien - nicht nur in China - eine andere Einstellung zu Menschenrechten habe. - Ach so, kann ich da nur sagen. Ich wußte gar nicht, daß Menschenrechte geographisch differenzierbar sind.
Im Deutschland des 19. Jahrhunderts, in dem meine Partei begann, gegen Unterdrückung zu kämpfen, hatte die herrschende Klasse merkwürdigerweise ein ähnliches Verständnis wie heute Otto Wolff von Amerongen. Der Stand der gesellschaftlichen Entwicklung, meine Damen und Herren, Herr Präsident, ist ausschlaggebend für den qualitativen Stand der Menschenrechte. Jede andere Erklärung ist blanker Unsinn. Also, kein Mischmasch!
Noch einmal kurz zum Vorgang: Was ist am 20. Juni 1996 nach 17.57 Uhr passiert? Statt die Lage cool zu analysieren und professionelles Konfliktmanagement walten zu lassen, gab es völlig überflüssigerweise Aufgeregtheiten, Verletztheiten - und das auf beiden Seiten. Überreaktionen verhinderten ein außenpolitisches Konfliktmanagement. Ein Verfassungsorgan beschließt eine Resolution, ein anderes wird ausgeladen.
Die Tatsache, daß Außenminister Kinkel ausgeladen wurde, nenne ich freiweg einen hysterischen Akt, eine Überreaktion. Man mag unserem Außenminister manches nachsagen, man müßte sich aber sehr anstrengen, sein Auftreten als elegant zu bezeichnen. Manchmal ist er schon tollpatschig, aber eines kann man ihm nicht absprechen: daß er bemüht ist, an jeder Stelle der Welt Handelsbeziehungen und wertorientierte Außenpolitik als zwei Seiten ein und derselben Medaille zu sehen.
- Vielleicht ist es nicht freundlich, aber zutreffend; sonst müßten Sie das Gegenteil beweisen.
Was ihn am Erreichen des Gipfels an Selbstbewußtsein hindert, meine Damen und Herren, ist seine tiefe Loyalität gegenüber dem Bundeskanzler. Von solcher Loyalität wünschte ich mir als Sozialdemokratin manchmal etwas mehr für meine Partei.
Vielleicht wären wir dann schon an der Regierung.
Die Redezeit ist abgelaufen, Frau Kollegin.
Ich komme zum Ende und sage noch einmal, daß sich wertorientierte Außenpolitik und effektive Handelspolitik niemals gestört haben. Ich ende mit einem Satz aus der „F.A.Z.":
Dr. Elke Leonhard
Nicht mit Gefühlen ist China-Politik zu machen, sondern mit einer klaren Abwägung der Interessen.
Das Wort hat der Kollege Dr. Christoph Zöpel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die große Schnelligkeit, mit der die Resolution des Deutschen Bundestages aus der vergangenen Woche zu, über China und Deutschland hinaus verbreiteten, Reaktionen der chinesischen Regierung geführt hat, zeigt uns vielleicht allen - wenn wir zuhören -, daß in einer informationell global vernetzten Welt allen Parlamentariern, die sich mit Menschenrechtsfragen beschäftigen, zusätzliche Verantwortung zugewachsen ist.
Mein Eindruck ist: Unsere Debatten über globale Veränderungen sind manchmal noch etwas einseitig. Wir diskutieren darüber gern und mit wachsender
Zustimmung, wenn es um Welthandel geht und um den deutschen Exportanteil. Wir diskutieren darüber auch, wenn es um zusätzliche Infrastruktur für die Verbreitung weltweiter Informationen geht. Aber in dieser Woche stellen wir fest: Es bedarf gar keiner zusätzlichen Infrastruktur - gegen die ich deshalb nicht bin -, um relevante Informationen aus einem deutschen Parlament nach China zu bringen und die Reaktionen zurück.
Daraus ist, so meine ich, zunächst einmal - und das gilt für die Politik, für das Parlament wie für die Wirtschaft - eine Konsequenz zu ziehen: In einer global vernetzten Welt sind weltweite Marktwirtschaft und weltweite Zivilgesellschaft mit Meinungsfreiheit, Menschenrechten und Minderheitenschutz untrennbar miteinander verbunden. Man muß mit beidem gleichzeitig umgehen.
Ich würde alle, die beteiligt sind, vor allem die Unternehmen und die Exportwirtschaft, als erstes bitten, auch innerlich zu akzeptieren: Es kann keine weltweite Marktwirtschaft ohne weltweite Meinungsfreiheit geben.
Mit den Gütern kommen die Meinungen. Mit den Meinungen kommen die Güter. Wer das trennt, der irrt und wird irgendwann zurückfallen in Unfreiheit.
Daß die chinesische Regierung sich in diese Welt noch nicht integriert weiß, ist deutlich - weil dies schmerzhaft ist und nicht nur systemimmanent schmerzhaft, sondern auch, weil es in dieser Welt keinem chinesischen Generalsekretär, Ministerpräsidenten oder Staatspräsidenten mehr erspart bleiben darf, von Parlamenten, von Gruppen der Zivilgesellschaft damit konfrontiert zu werden, wann immer er sein Land verläßt,
aber auch dann, wenn er im Lande bleibt, daß Millionen in dieser Welt und ihre Repräsentanten Menschenrechtsverletzungen für unerträglich halten und dieses sagen.
Noch einmal an Unternehmen gewandt, sage ich: Es gibt einen Zusammmenhang zwischen Handel und Menschenrechten, der darin besteht, daß Handel dauerhaft nur unter Beachtung der Menschenrechte möglich ist.
Diese Situation weist uns Verantwortung zu. Ich sehe drei Punkte der Verantwortung und der Risiken in der Menschenrechtspolitik, die überall gelten, gegenüber China wie gegenüber dem Iran. - Die Iran-Debatte und die China-Debatte, die wir hier führen, hängen ja zusammen. - Die Risiken sind: erstens Mißbrauch von Menschenrechtspolitik in innerpolitischen Auseinandersetzungen vielfältigster Art, Herr Außenminister, zweitens Double-Standards und drittens Ungelerntsein im Umgang mit Symbolen. Bei globaler Politik, wo Sprache ja nicht überall sehr schnell übersetzt werden kann, werden Symbole immer bedeutender, weil alle sie verstehen.
Deshalb will ich an dieser Stelle sagen: Jeder, der in einer Menschenrechtsfrage eine parlamentarische Debatte zwischen Opposition und Regierung beginnt, Herr Kollege Fischer, und jeder - zumindest kann man das in der Zeitung lesen -, der wegen einer Menschenrechtsfrage eine Auseinandersetzung um die Position eines Ministers beginnt - ob das stimmt, weiß ich nicht; aber es stand in der Zeitung; ich kann mich ja nur auf die Zeitung verlassen -,
der muß darüber nachdenken, was die Menschen, deren Menschenrechte bedroht sind, wohl davon halten, daß sie instrumentalisiert werden - von wem auch immer und wozu auch immer. Das sollte angesichts dieser veränderten, informationell global vernetzten Welt jeder wissen.
Double-Standards sind immer ein Problem, aus vielerlei Gründen. Mit China muß man über Sicherheitsprobleme dieser Welt ernsthafter reden als mit relativ kleinen Staaten in Afrika. Das weiß jeder. Das ist eine Gefahr.
Die Redezeit, Herr Kollege.
Ich höre sofort auf, Herr Präsident. Vielen Dank für den Hinweis.
Ich möchte noch eine Bemerkung machen. Ich danke dem Bundesaußenminister dafür, daß er nicht wie die Vereinigten Staaten der Meinung ist, Libyen, Iran und Kuba seien die derzeit gefährlichsten Länder dieser Welt.
Noch kurz zum Umgang mit Symbolen.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist ein gutes Stück abgelaufen. Bitte nur noch ein Satz!
Es war ein falsches Symbol, daß der Kanzler seinen Besuch beim chinesischen Militär zumindest medienmäßig in den Mittelpunkt seines Besuchs rücken ließ.
Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Zöpel!
Und es ist ein ganz falsches Symbol, daß Sie hier schweigen.
Vielen Dank.
Die Geschäftsordnung ist auch in Aktuellen Stunden nicht aufgehoben. Wenn ich auf die Überschreitung der Redezeit hinweise, sprechen Sie bitte nicht noch eine Minute, sondern nur einen Satz.
Ich erteile dem Kollegen Freimut Duve das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kollegen! Das ist natürlich eine sehr ungewöhnliche Situation für uns: Wir dürfen reden; Sie hören manchmal zu;
aber Sie wollen nicht antworten. Ich habe nach einem beispielhaften Vergleich gesucht und mich gefragt: Wie hätte das Ergebnis gestern bei dem Elfmeterschießen ausgesehen, wenn eine Seite einfach gesagt hätte „Wir hören auf"?
- Hören Sie mal zu, Herr Schäuble!
Wir haben in unserer China-Debatte über das Spannungsfeld zwischen Ökonomie und Menschenrechten gesprochen. Ich halte es für sinnvoll, daß wir
in diesem Zusammenhang auch einmal über die Politik der Großmacht China sprechen. Ich halte es für sehr wichtig, daß es diese Entschließung des Deutschen Bundestages gegeben hat - nicht allein aus Menschenrechtsgründen, nicht allein auf Grund der erwähnten wirtschaftlichen Beziehungen, sondern auch aus einem dritten Grund. Dazu möchte ich etwas sagen.
Die derzeitige chinesische Führung scheint relativ unsicher zu sein, wie ihre eigene personelle Lage in den nächsten Jahren aussehen wird. Wir wissen, warum. China führt sich derzeit bereits als regionale Großmacht ohne Korrektiv auf. Das haben wir im Fall Taiwan erlebt, wo das Stoppschild plötzlich die amerikanische Flotte sein mußte und kein anderes politisches oder ökonomisches Stoppschild vorhanden war.
Das erleben wir zur Zeit bei der Beendigung des demokratischen Status von Hongkong, bei dem eine ganze Reihe der Versprechungen, die in der vertraglichen Vereinbarung zwischen China und London gemacht worden sind und auf die sich die Hongkong-Chinesen wirklich verlassen haben - viele, nicht alle -, nicht mehr eingehalten werden. Plötzlich merken sie: Der Charakter Hongkongs wird sich für die Menschen in Hongkong nach 1997 radikal verändern; Hongkong wird radikal entdemokratisiert. Wer sagt da eigentlich mal „Stopp, Peking! Wie geht ihr damit um?"?
Jetzt nenne ich den dritten Grund, aus dem ich so froh bin, daß ein großes Parlament, das deutsche Parlament, mit seiner Entschließung ein Zeichen gesetzt hat. Wir haben eine dramatische Situation in Nordkorea. Die zwei koreanischen Staaten sind ja nicht ohne das Zutun Chinas in der Form entstanden, in der sie jetzt existieren. China ist einer der Mitverursacher der Existenz dieser beiden Staaten und ihrer Teilung.
Nordkorea ist nach unseren Informationen zur Zeit kein handlungsfähiger Staat. Dort gibt es eine implodierende Situation ohne funktionierende Verwaltung mit unglaublichen Grausamkeiten. Wir haben darüber bisher noch nicht gesprochen. Was im Laufe der nächsten Zeit passieren kann, wenn sich die große Weltmacht, hinsichtlich der wir starke ökonomische Interessen haben, als Regionalmacht fühlt - in dem Moment, in dem Südkorea sehr unsicher auf das implodierende Nordkorea reagiert -, wissen wir nicht.
Aber wir können wenigstens eines herstellen: eine europäisch-amerikanisch-japanische Gemeinsamkeit, die nicht gleich nach der Flotte fragt, sondern feststellt: In einigen Grundfragen sagen wir auch dieser großen Macht und diesem großen Markt, der er morgen sein wird, daß es Diskussionsbedarf gibt und daß es über diesen Diskussionsbedarf hinaus auch Stoppschilder gibt. Japan ist zur Zeit allein nicht in der Lage, diese Stoppschilder zu setzen, Taiwan - aus anderen Gründen, die wir kennen - ebenfalls nicht. Wenn es diese Stoppschilder in der Welt nicht gibt, dann wird aus dem hübschen Wort „Weltmacht", „Sicherheitsratsmitglied" eine regionale Macht, die mehr Unfriedlichkeit erzeugen könnte, ohne daß die derzeitige Führung dies so will. Wobei
Freimut Duve
wir nicht wissen, wie die Führung dort morgen oder übermorgen aussieht. Dann hätten wir uns durch Unterlassung an einer starken Verunsicherung des asiatischen Raumes beteiligt, der bisher noch keine Wirtschaftsgemeinschaft hat, der bisher noch keine Demokratiegemeinschaft kennt, der bisher noch nicht in der Lage war, gemeinsame ethisch-moralische Ziele zu formulieren, der auch neidisch auf Europa sieht, weil wir in der Lage waren, dies zu tun. Dies wollte ich hier gerne gesagt haben. Also, es gibt auch eine politische Begründung für unsere gemeinsame Entschließung.
Vielleicht, Herr Glos, distanzieren Sie sich - das ist mein letzter Satz - das nächste Mal, wenn Sie wieder einmal in eine solche Lage geraten, nicht auf eine so peinliche Weise von einer gemeinsamen Entschließung, indem Sie sagen: Das haben meine Mitarbeiter gemacht; ich habe gar nicht so genau gesehen, was ich da unterschrieben habe.
Das Wort hat der Kollege Dr. Friedbert Pflüger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Zöpel hat sich eben die Frage gestellt, was wohl die Unterdrückten oder Verfolgten in China und in Tibet sagen würden, wenn sie den Eindruck gewönnen, wir sprächen in Wahrheit nicht über ihre Unterdrückung, sondern wir benutzten diese im Grunde nur dazu, parteipolitischen Profit daraus zu schlagen.Herr Kollege Zöpel, Sie haben völlig recht: Das wäre ein verheerender Eindruck. Ich nehme an, Sie haben Ihre Worte vor allen Dingen an den Kollegen Verheugen gerichtet. Denn der hat in den letzten Tagen nichts anderes gemacht, als den Versuch zu unternehmen, mit dieser wirklich schwierigen und schlimmen Situation parteipolitische Effekte zu erzielen.
Ich glaube aber, daß dieser Versuch der Sozialdemokraten mit der heutigen Debatte und mit den verschiedenen Presseäußerungen der letzten Tage ins Leere gelaufen ist. Wir haben nämlich - auch in sehr verantwortungsvollen Beiträgen von der Opposition, zum Beispiel in dem Beitrag des Kollegen Neumann - festgestellt, daß es hier im Hause in den wesentlichen Punkten einen Konsens gibt.Erstens. Hier will niemand von der Ein-China-Politik abgehen. Jeder will, daß es ein China gibt; wir befürworten keine Sezession und keine Unabhängigkeitsbewegung.Zweitens. Wir sind alle für gute Beziehungen zur Volksrepublik China, weil sie nicht nur aus ökonomischen Gründen wichtig und notwendig sind, sondern auch, weil wir China in vielen Fragen auf der Welt als internationalen Partner dringend benötigen.
Drittens. Wir haben Einigkeit darüber, daß wir uns für die Menschenrechte engagieren, wo immer sie verletzt werden. Das haben wir früher zur Zeit des Kalten Krieges getan, und das werden wir auch jetzt tun, da es immer noch Diktaturen auf dieser Welt gibt.
Wir haben viertens Einigkeit darüber erzielt, daß sich dieses Parlament nicht von außen zensieren läßt und daß dieses Parlament geradlinig zu dem steht, was es verabschiedet hat.Das ist ein breiter Konsens. Ich bitte Sie, zerreden Sie diesen Konsens in den nächsten Wochen nicht! Das nimmt ihm die Kraft und die Durchsetzungsfähigkeit gegenüber anderen Ländern in dieser Welt.
Wir sollten - finde ich jedenfalls - noch in einem weiteren Punkt Konsens erzielen, nämlich über ein Mindestmaß an Solidarität unter Parlamentariern und Politikern in der Bundesrepublik Deutschland. Wenn der Bundesaußenminister ausgeladen wird - auf Grund einer Resolution, die wir alle gemeinsam verabschiedet haben -, wenn der Unterausschuß für Menschenrechte, die Kollegen Schwarz-Schilling und Krautscheid ausgeladen werden und nicht nach China und Tibet reisen dürfen, dann geht es wirklich nicht, daß Frau Däubler-Gmelin dorthin reist und Herr Verheugen unsere Minister auffordert, diese Länder zu bereisen.
Natürlich ist es die freie Entscheidung eines Parlamentariers, ob er in einer solchen Situation fährt. Aber der Parlamentarier muß diese Entscheidung doch auch verantworten. Ich bitte Sie sehr, Frau Kollegin Däubler-Gmelin: Überlegen Sie noch einmal, ob das wirklich der richtige Weg und das richtige Signal ist oder ob das nicht in Wahrheit die Resolution, die wir verabschiedet haben, auf unverantwortliche Weise verwässert.
Nicht nur Regierungen und Länder können ihr Gesicht verlieren, auch Parlamentarier können ihr Gesicht verlieren. Ich finde, in dieser Situation müssen wir in der Tat Solidarität mit unserem Außenminister, mit dieser Bundesregierung und mit diesem Parlament, das eine gemeinsame Resolution beschlossen hat, üben.
Ich stelle fest: Der Versuch von Ihnen, Herr Verheugen, dieses Thema auszunutzen, ist schiefgegangen. Wir haben einen Konsens in diesem Haus, und
Metadaten/Kopzeile:
10410 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 116. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1996
Dr. Friedbert Pflügeres wird Ihnen nicht gelingen, diesen Konsens kaputtzumachen.
Die Aktuelle Stunde ist damit beendet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18a bis 18j und 15 sowie Zusatzpunkt 2 auf:
18. Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes
- Drucksache 13/4796 —
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Eheschließungsrechts
- Drucksache 13/4898 —
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 22. November 1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Dänemark zur Vermeidung der Doppelbesteuerung bei den Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie bei den Nachlaß-, Erbschaft- und Schenkungsteuern und zur Beistandsleistung in Steuersachen
- Drucksache 13/4903 —
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuß Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Zivilschutzes
- Drucksache 13/4980 —
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß Haushaltsausschuß
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 20. September 1994 über nukleare Sicherheit
- Drucksache 13/5018 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
f) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes
- Drucksache 13/4950 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Rechtsausschuß
g) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes
- Drucksache 13/5061 —
Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Gesundheit
h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann und der Gruppe der PDS
Integration des Flugverkehrs in die Bundesverkehrswegeplanung
- Drucksache 13/1297 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Dr. Dagmar Enkelmann, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS
Schienenwegesicherungsgesetz
- Drucksache 13/3762 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus Haushaltsausschuß
j) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael Jung , Dirk Fischer (Hamburg), Georg Brunnhuber, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Horst Friedrich, Lisa Peters, Dr. Klaus Röhl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit im internationalen Luftverkehr
- Drucksache 13/5060 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus
ZP2 Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes
- Drucksache 13/4774 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft Rechtsausschuß
15. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur sozialrechtlichen Behandlung von einmalig gezahltem Arbeitsentgelt
- Drucksache 13/5062 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Rechtsausschuß
Ausschuß für Gesundheit
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen jetzt zu Tagesordnungspunkt 19: Abschließende Beratungen ohne Aussprache Tagesordnungspunkt 19 b:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Hopfengesetzes
- Drucksache 13/3844 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
- Drucksache 13/4998 -
Berichterstattung: Abgeordnete Jella Teuchner
Der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten empfiehlt auf Drucksache 13/4998, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen worden.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 19 c:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abschaffung der Gerichtsferien
- Drucksache 13/200 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
- Drucksache 13/5001 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Wolfgang Bosbach Alfred Hartenbach
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der PDS angenommen worden.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit demselben Stimmenverhältnis angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 19 d:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Vereinbarung vom 1. Mai 1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Islamischen Republik Iran zur Aufhebung des Abschnitts II des Schlußprotokolls des deutschiranischen Niederlassungsabkommens
- Drucksache 13/3852 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses
- Drucksache 13/4911 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Albert Probst Karsten D. Voigt Amke Dietert-Scheuer
Ulrich Irmer
Der Auswärtige Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/4911, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 19e:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft
- zu dem Antrag der Abgeordneten Werner Schulz , Marieluise Beck (Bremen) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Krise der Bremer Vulkan und Zukunft der maritimen Industrie
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
- zu dem Antrag der Abgeordneten Rolf Kutzmutz, Dr. Christa Luft, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS
Sofortige politische Konsequenzen aus dem Umgang mit Subventionsmitteln beim Bremer Vulkan-Verbund
- Drucksachen 13/3975, 13/4079, 13/4669 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Werner Schulz
Der Ausschuß empfiehlt in Drucksache 13/4669 unter Buchstabe a, den Antrag auf Drucksache 13/ 3975 für erledigt zu erklären. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen aller Fraktionen gegen die Stimmen der PDS angenommen worden.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft zum Antrag der Gruppe der PDS zu sofortigen politischen Konsequenzen aus dem Umgang mit Subventionsmitteln beim Bremer Vulkan-Verbund, Drucksache 13/4669 Buchstabe b. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/4079 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist gegen die Stimmen der PDS angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 19f:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts der Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministeriums für Wirtschaft
Rechnungslegung über das Sondervermögen des Bundes „Ausgleichsfonds zur Sicherung des Steinkohleneinsatzes" für das Wirtschaftsjahr 1994
- Drucksachen 13/3451, 13/4737 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Kurt J. Rossmanith Dr. Wolfgang Weng Manfred Hampel
Antje Hermenau
Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen des ganzen Hauses bei Enthaltung der PDS angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 19g:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.
Fortschreibung des Rheumaberichts der Bundesregierung
- Drucksachen 13/3972, 13/5047 -
Berichterstattung: Abgeordnete Monika Knoche
Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/3972 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen?
- Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 19h:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu dem Antrag der Abgeordneten Siegfried Scheffler, Anette Faße, Elke Ferner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Befreiung von Elektrobooten mit photovoltaischer Energiegewinnung bis zu einer Motorleistung von 2,21 kW von der Fahrerlaubnispflicht auf Bundeswasserstraßen in Berlin
- Drucksachen 13/4378, 13/5048 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Siegfried Scheffler
Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/4378 in der Ausschußfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist ebenfalls einstimmig angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 19i:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für einen Beschluß des Rates zur Aufhebung des Beschlusses 94/939/EG über eine Finanzhilfe für die Slowakische Republik
- Drucksachen 13/4466 Nr. 2.28, 13/4914 -
Berichterstattung: Abgeordneter Friedrich Merz
Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen?
- Die Beschlußempfehlung ist gegen die Stimmen der PDS bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen aller anderen Fraktionen angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 19j:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über die Verbrauchsteuersätze gemäß der Richtlinie 92/79/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 zur Annäherung der Verbrauchsteuern auf Zigaretten, der Richtlinie 92/80/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 zur Annäherung der Verbrauchsteuern auf andere Tabakwaren als Zigaretten, der Richtlinie 92/84/EWG des
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Rates vom 19. Oktober 1992 über die Annäherung der Verbrauchsteuersätze auf Alkohol und alkoholische Getränke sowie der Richtlinie 92/82/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 zur Annäherung der Verbrauchsteuersätze für Mineralöle
- Drucksachen 13/3117 Nr. 2.24, 13/4923 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Friedrich Merz Reinhard Schultz
Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen?
- Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 19 k:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Bedingungen für die Zulassung von Verkehrsunternehmern zum Personenkraftverkehr innerhalb eines Mitgliedstaates, in dem sie nicht ansässig sind
- Drucksachen 13/4137 Nr. 2.52, 13/4953 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Heide Mattischeck
Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Die Beschlußempfehlung ist gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS mit den Stimmen der anderen Fraktionen angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 191:
Beratung der 17. Beschlußempfehlung und des Berichts des Wahlprüfungsausschusses
zu dem Wahleinspruch gegen die Gültigkeit der Berufung eines Listennachfolgers gemäß § 48 des Bundeswahlgesetzes
- Drucksache 13/4920 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dieter Wiefelspütz
Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen?
- Die Beschlußempfehlung ist gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen der anderen Fraktionen und der Gruppe der PDS angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 19m:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 127 zu Petitionen - Drucksache 13/4363 -
Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Die Sammelübersicht 127 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und der PDS angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 19n:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 128 zu Petitionen
- Drucksache 13/4976 -
Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 128 ist mit demselben Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 19 0:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 129 zu Petitionen
- Drucksache 13/4977 -
Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 129 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen der PDS bei Enthaltung des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen worden.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 c auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des öffentlichen Dienstrechts
- Drucksache 13/3994 -
- Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften
- Drucksache 13/1190 -
- Zweite und dritte Beratung des vorn Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Beamtenrechtsrahmengesetzes
- Drucksache 13/1447 -
- Zweite und dritte Beratung des vorn Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Anrechnung von Dienstzeiten im Angestelltenverhältnis auf die beamtenrechtliche Probezeit nach dem Einigungsvertrag
- Drucksache 13/4385 -
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
- Drucksache 13/5057 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Meinrad Belle Fritz Rudolf Körper
Dr. Antje Vollmer
Dr. Max Stadler
Maritta Böttcher
b) - Beratung der Beschlußempfehlung und des
Berichts des Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Antje Vollmer, Oswald Metzger und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Verwaltungsreform ist Staatsreform
- Drucksachen 13/2464, 13/5057 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Meinrad Belle Fritz Rudolf Körper
Dr. Antje Vollmer
Dr. Max Stadler
Maritta Böttcher
- Beratung der Ersten Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses
- zu dem Antrag der Fraktion der SPD
Modernisierung der öffentlichen Verwaltung
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Antje Vollmer, Oswald Metzger und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Nutzung der Reform des Dienstrechts für die Verwaltungsmodernisierung
- Drucksachen 13/2206, 13/4076, 13/5057 -
Berichterstattung: Abgeordnete Meinrad Belle
Fritz Rudolf Körper Dr. Antje Vollmer Dr. Max Stadler Maritta Böttcher
c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Antje Vollmer, Volker Beck , Gerald Häfner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Artikels 33 des Grundgesetzes
- Drucksache 13/4730 —
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß Innenausschuß
Zum Regierungsentwurf liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD vor. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Kollege Marschewski
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die grundlegende Modernisierung des öffentlichen Sektors ist eine wesentliche Voraussetzung für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Diese Staatsreform bedeutet zunächst eine Kritik an den Staatsaufgaben. Der Staat muß nicht alles, was er heute tut, auch künftig erledigen. Wir müssen dem mündigen Bürger das übertragen, was er besser allein tun kann.
Deswegen brauchen wir Entbürokratisierung, Dezentralisierung und Stärkung der individuellen Verantwortlichkeit im öffentlichen Dienst.
Wir reformieren heute das Beamtenrecht. Diese Reform ist, so meine ich, die tiefgreifendste Modernisierung des öffentlichen Dienstrechts seit Jahrzehnten. Wir erfüllen damit unsere Koalitionsvereinbarung. Unser Ziel ist es, den öffentlichen Dienst für das Jahr 2000 und darüber hinaus fit zu machen.
Unsere Reformvorstellungen waren ursprünglich Gegenstand unberechtigter Kritik. Manche meinten, diese Reform sei nicht durchsetzbar, andere meinten, sie sei nicht weitgehend genug, und wieder andere meinten, sie ginge erheblich zu weit.
Mittlerweile sind die meisten Kritiker von der Effektivität dieser Reform überzeugt. Deswegen zeigt die Stellungnahme des Bundesrates zu unserem Gesetzentwurf erheblich mehr Gemeinsamkeiten als Trennendes. Wir haben das, was der Bundesrat vorgeschlagen hat, selbstverständlich in unseren Entwurf eingebaut.
Es liegt nun an den Ländern, mit der Reform des öffentlichen Dienstes Ernst zu machen. Dabei sind nicht nur große Worte entscheidend, sondern Taten, was ich insbesondere an die Adresse von Frau Ministerpräsidentin Simonis aus Schleswig-Holstein sage. Wieso Sie, meine Damen und Herren der SPD - ich muß mich jetzt Ihnen zuwenden -, im Innenausschuß weitestgehend nein zu diesen Vorschlägen gesagt haben, werden Sie im Parlament erklären müssen. Hier nur ein paar Gemeinplätze anstatt konkrete Gesetzesvorschläge zu unterbreiten, meine Kolleginnen und Kollegen der SPD, ist nicht ausreichend. Dies gilt insbesondere für die Grünen, die gesagt haben, sie wollten irgendwann einmal - wir diskutieren schon zwei bis drei Jahre über diese Reform - einen Gesetzentwurf vorlegen; hoffentlich, meine Kolleginnen und Kollegen der Grünen, noch bis zum Ende dieser Legislaturperiode.
Wenn wir den öffentlichen Dienst reformieren, so gilt für die Union: Auch weiterhin muß das Berufsbeamtentum Rückgrat des öffentlichen Dienstes bleiben, weil es sich als unverzichtbarer Stabilitätsfaktor unserer Gesellschaftsordnung bewährt hat, weil wir eine unparteiische Amtsführung wollen und weil wir Gesetzmäßigkeit, Stetigkeit und Gleichheit im Ver-
Erwin Marschewski
waltungshandeln wollen. Darauf muß sich jeder Bürger und jeder Unternehmer verlassen können.
Weil es sich in der Praxis so verhält, vertraut die Union dem Beamtenstatus und den Beamten, insbesondere den Polizeibeamten, meine Damen und Herren der SPD und der Grünen, die Garant für Rechtsstaatlichkeit und für innere Sicherheit sind.
Offensichtlich stehe ich hiermit im Gegensatz zur Haltung der SPD und der Grünen in Nordrhein-Westfalen, die der Polizei wohl großes Mißtrauen entgegenbringen. Wie wäre es sonst verständlich, daß die rot-grüne Landesregierung vorschlägt, das Polizeigesetz von Nordrhein-Westfalen um folgende Bestimmung, die im Polizeigesetz festgeschrieben werden soll, zu ergänzen:
Die Polizei darf niemanden wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Hautfarbe, seiner Nationalität, seiner sexuellen Identität, seiner sozialen Herkunft oder Stellung, weltanschaulicher oder politischer Überzeugung oder einer Behinderung diskriminieren.
Eigentlich ist das hier Konstatierte eine Selbstverständlichkeit und Inhalt unseres Grundgesetzes. Dies ist die eine, die positive Sichtweise. Die andere ist wohl die der Landesregierung. Sie ist von Mißtrauen gekennzeichnet, bringt die Polizei an die Seite derjenigen, die dieses Selbstverständliche mißachten, und damit in die Nähe derer, die Recht und Gesetz zu- mindest brechen könnten und deren Handeln man durch neue Gesetze Einhalt gebieten müsse.
Wir protestieren mit der Gewerkschaft der Polizei gegen dieses Vorhaben der SPD und der Grünen in Nordrhein-Westfalen. Herr Ministerpräsident Rau, die Polizei in Nordrhein-Westfalen ist an Recht und Gesetz gebunden, und sie achtet auch Recht und Gesetz.
Hauptanliegen unserer Reform ist es, das Leistungsprinzip im Beamtenrecht nachhaltig zu stärken. Deswegen werden wir erstens Leistungsprämien und Leistungszulagen einführen. Die Richterbesoldung bleibt dagegen insgesamt unverändert, um jede Möglichkeit der Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit von vornherein auszuschließen.
Zweitens. Der überkommene Automatismus, in den Dienstaltersstufen alle zwei Jahre aufzusteigen, wird beseitigt. Es darf einfach nicht sein, daß allein das Verstreichen von Zeit Einkommenszuwächse garantiert.
Drittens. Wir wollen eine noch sorgfältigere Auswahl des Führungspersonals. Deswegen wollen wir Probezeiten von bis zu zwei Jahren für Führungspositionen im öffentlichen Dienst einführen.
- Halbherzig, Herr Kollege? Wir lehnen die Forderung des Bundesrates und der Opposition nach Führungspositionen auf Zeit ab. Das nennen Sie wahrscheinlich halbherzig. Wenn Sie dieses so verwirklichen wollen, wie Sie es vorhaben, dann wäre das meiner Meinung nach ein Treibsatz für Ämterpatronage in den Verwaltungen unseres Landes. Sie würde zu mehr Politisierung führen. Das lehnen wir ab.
Wir machen es nicht so wie die Genossen in Nordrhein-Westfalen. Das sollten Sie sich einmal merken.
- Ich habe es beim letztenmal schon gesagt und wiederhole es: In Nordrhein-Westfalen ist vom Hausmeister bis zum Oberstadtdirektor alles rot.
Das wollen wir auf Bundesebene nicht einführen.
Viertens. Wir wollen das Beurteilungssystem neu ordnen. Wir werden ebenfalls Änderungen und Veränderungen in der Gehaltstabelle der Besoldungsordnung A formulieren.
Ein zweiter wichtiger Punkt ist die Forcierung der Flexibilität und der Mobilität der Beamten. Wir wollen die Versetzung und die Abordnung erleichtern. Insbesondere können Beamte künftig bis zu fünf Jahren ohne ihre Zustimmung abgeordnet werden. Wir haben auch hier wieder einen Vorschlag des Bundesrates aufgegriffen, Beamte aus zwingenden dienstlichen Gründen bis zu einem Jahr ohne ihre Zustimmung unterwertig zu beschäftigen. Dies gilt dem Vorschlag des Bundesrates entsprechend auch für Lehrer, die aber ansonsten Beamte bleiben sollen. Wir sehen im Gegensatz zu Frau Simonis in Schleswig-Holstein überhaupt keinen Vorteil darin, aus den Beamten Angestellte zu machen, die einfach fünf, sechs Prozent teurer sind, als Beamte letzten Endes kosten.
Weiter wollen wir die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen gegen Abordnungen und Versetzungen entfallen lassen. Dies ist ein ganz wichtiger Punkt, Frau Kollegin Dr. Vollmer, den Sie oftmals gefordert haben, zugunsten der Frauen. Wir wollen die Flexibilisierung der Arbeitszeiten im öffentlichen Dienst weiter forcieren. Wir haben bereits über 1 100 000 Teilzeitbeschäftigte im öffentlichen Dienst; dies muß gesagt werden. Dies ist beachtlich. Wir wollen dies insbesondere im Lehrerberuf beispielsweise zugunsten beschäftigter Frauen tun, damit sie sich um die Familie, um die Kinder intensiver kümmern können.
Meine Damen und Herren, wir alle wissen - dies soll der letzte Punkt sein, aber es ist ein wichtiger Punkt -, daß die Pensionsleistungen im öffentlichen Dienst in Zukunft erheblich steigen werden. Dies gilt für den Bereich der Renten, wie die jüngste Diskus-
Erwin Marschewski
sion zeigt, natürlich in gleicher Weise. Es ist kein Vorwurf, es ist einfach eine Tatsache. Deshalb müssen wir alles tun, was rechtlich möglich und politisch verantwortbar ist, um die Pensionslasten für kommende Generationen finanzierbar zu halten. Deswegen wollen wir die Frühpensionierungen im öffentlichen Dienst reduzieren. Erstens erhöhen wir die Altersantragsgrenze von 62 auf 63 Jahre. Zweitens. Der Versorgungsabschlag wird bei Wahrnehmung der Antragsaltersgrenze auf den 1. Januar 1998 vorgezogen. Wir wissen natürlich, daß dieses Problem damit noch nicht gelöst ist. Wir werden den Versorgungsbericht des Bundesinnenministers abwarten, der im Herbst vorgelegt wird. Wir werden dann daraus natürlich die nötigen Konsequenzen ziehen.
Aber - das will ich schon jetzt festhalten - etwa erforderliche Einschnitte in die Beamtenversorgung müssen mit entsprechenden Neuregelungen im Rentenrecht einhergehen. Ich sage ganz klar: Sonderopfer für lediglich 1,5 Millionen Beamte bei 36 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland können und werden wir nicht zulassen. Alle Leute müssen da gleichbehandelt werden.
Die Erneuerung des öffentlichen Sektors fordert die Anstrengung aller politischen und gesellschaftlichen Kräfte. Wir wissen, daß wir dabei überholtes Besitzstandsdenken überwinden müssen, daß wir die wirtschaftliche Situation unseres Landes zu beachten haben. Aber ich meine, wir müssen dem Gemeinwohl auch unter erschwerten Bedingungen dienen. Wenn dies im öffentlichen Dienst gelingt, so kann der öffentliche Dienst zum Schrittmacher der Erneuerung in unserem Land werden. Dies wollen wir, dies ist das Ziel der Politik der Koalition, und dies ist das Ziel dieses Reformvorhabens.
Ich wiederhole: Es handelt sich um das größte Reformvorhaben im Bereich des öffentlichen Dienstes nach dem Kriege. Ich glaube, wir sind damit auf dem besten Wege.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Fritz Rudolf Körper.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Erwin Marschewski, eine Kandidatur im nordrhein-westfälischen Landtag ist für jemanden, der in Recklinghausen wohnt, immer möglich. Ich ermuntere dazu. Ich denke, die vorgetragenen Probleme gehören nicht hier in den Deutschen Bundestag.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung nennt das Dienstrechtsreformgesetz „Reform". Die Frage ist zu stellen, ob es in der Tat eine Reform des öffentlichen Dienstrechtes ist. Ich persönlich und meine Fraktion haben da erhebliche Zweifel. Hier wird eine Reformfassade errichtet, mit der sich nichts
Grundsätzliches verändert, denn die bisherigen Strukturen werden fortgeschrieben
und vielleicht ein Stückchen flexibilisiert. Ich sage, lieber Herr Kollege Stadler: Der größte Schwachpunkt ist, daß es keine Verzahnung mit einer notwendigen Verwaltungsmodernisierung gibt.
Die Bundesregierung hat nämlich kein wirkliches Modernisierungskonzept für unsere Verwaltung. Der Fehler Ihres Handelns ist, daß Sie an der hierarchischen Verwaltungsstruktur weiter festhalten und damit ignorieren, was sich in anderen europäischen Staaten, in den Ländern und Gemeinden an Veränderung entwickelt hat und was in Wissenschaft und Forschung einhellige Meinung ist. Die klare Tendenz einer Modernisierung muß sein: weniger Hierarchie und mehr dezentrale Eigenverantwortung.
Wir wissen nämlich, daß ausgeprägte Hierarchien durch eine Mißtrauenskultur geprägt sind. Das wirkt lähmend auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir brauchen aber die Verwaltung als lernende Organisation, und dies setzt Offenheit und Mut zum Risiko voraus.
Im Kern geht es um die Freisetzung von Kreativität. Es geht um mehr Innovation, und die kann nicht administrativ erzeugt werden.
Lieber Herr Kanther, wer wollte eigentlich Ihrer Aussage nicht zustimmen, das Leistungsprinzip müsse in der öffentlichen Verwaltung gestärkt werden? Das ist richtig. Aber was verstehen Sie darunter? Sie verstehen darunter lediglich einen von der Beurteilung abhängigen schnelleren oder langsameren Aufstieg in den Dienstaltersstufen.
Sie verstehen darunter Leistungszulagen und Leistungsprämien. Meinen Sie tatsächlich, daß Sie - vorausgesetzt, das Ganze funktioniert überhaupt - auf diese Weise mit einem Sanktionssystem Kreativität fördern und die Qualität der Verwaltungsarbeit verbessern können?
Auf diese Weise setzen Sie zwischen den Betroffenen einen Wettbewerb um Punktvorteile in Gang. Der Anteil der Selbstbeschäftigung, der in der traditionellen Verwaltung ohnehin schon sehr groß ist, wird damit nur noch weiter anwachsen.
Um dem Leistungsprinzip besser Geltung zu verschaffen, ist zuerst - das machen Sie falsch - eine Reform des Beurteilungswesens notwendig. Leistung muß nämlich an Zielen gemessen werden. Personalsteuerung muß im Rahmen einer Personalentwicklungsplanung erfolgen, die sich nicht in der Abwicklung von Personalbesetzungen erschöpfen darf. Auf-
Fritz Rudolf Körper
gabe eines modernen Personalmanagements muß es vielmehr sein, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entsprechend ihrer Eignung, Neigung und Befähigung zu fördern und einzusetzen. Dazu sind beispielsweise regelmäßige Personalführungsgespräche erforderlich.
Eine Reform des Laufbahnrechts und des Bezahlungsrechts muß hinzukommen. Auf diese Komplexe, die wir in unserem Entschließungsantrag - mit dem sich übrigens der Kollege Marschewski nicht auseinandergesetzt hat; er findet ihn aber offensichtlich gut - skizziert haben, will ich nicht im einzelnen eingehen. Ich sage auch: Ihr Gesetzentwurf trägt zum Teil richtige Überschriften, aber es folgen unzureichende Inhalte.
Erstens. Richtig ist, daß das Beurteilungswesen verbessert werden muß. Es kann aber keine Rede davon sein, daß starre Beurteilungsquoten das Beurteilungswesen verbessern.
Zweitens. Richtig ist, daß der Personaleinsatz optimiert werden muß. Es kann aber keine Rede davon sein, daß eine Ausweitung von Abordnung und Versetzung unter gleichzeitiger Einschränkung des Rechtsschutzes in der Regel zu einer Optimierung des Personaleinsatzes führt. Zwangsmittel - das sage ich sehr betont - können nicht das Engagement und die Motivation fördern. Deshalb sind sie möglichst zu vermeiden und die freiwilligen Mobilitätspotentiale besser zu nutzen.
Drittens. Richtig ist, daß das Laufbahnrecht durchlässiger und flexibler werden muß. Es kann aber keine Rede davon sein, daß die Ausweitung des Verwendungsaufstieges vom einfachen in den mittleren Dienst und vom mittleren in den gehobenen Dienst zu einer stärkeren Durchlässigkeit und größerer Flexibilität der Laufbahnen führt.
Viertens. Richtig ist nicht zuletzt, daß Führungsfunktionen optimal besetzt werden müssen.
Das haben wir auch im Bereich der Bundesverwaltung schon des öfteren erlebt. Dafür ist aber die Einführung von Probezeiten nicht ausreichend. Deshalb brauchen wir Führungsfunktionen auf Zeit. Hier unterstütze ich den Bundesrat voll und ganz.
Sie haben von vornherein die Dienstrechtsreform auf die Fortentwicklung des Berufsbeamtentums beschränkt. Leitlinie der Dienstrechtsreform - so der damalige Bundesinnenminister Zimmermann - sollte die Fortentwicklung des Berufsbeamtentums sein. Dabei aber sind Sie stehengeblieben. Auch dieses Gesetz handelt ausschließlich von der Stärkung oder der Flexibilisierung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums. Das Leistungsprinzip soll gestärkt werden, wobei nicht von vornherein klar ist, Herr Kanther, welchen Anteil das Leistungsprinzip im Verhältnis zum Lebenszeitprinzip und zum Alimentationsprinzip haben soll.
Sie wollen die rechtlichen Möglichkeiten zur Teilzeitbeschäftigung ein ganzes Stück ausweiten, was unsere volle Zustimmung findet. Das ist zweifellos eine fortschrittliche Weiterentwicklung der Verfassung, die aber nur deshalb durchgehen wird, weil es dazu keine Klage beim Bundesverfassungsgericht geben wird. Das ist ein Beispiel für die Fortentwicklung der Verfassung im breiten gesellschaftlichen Konsens. Ob das gleiche dann noch gelten wird, wenn durch Teilzeitbeschäftigung die Mindestversorgung unterschritten werden kann - das schlagen Sie ja vor -, bleibt nach meinem Dafürhalten abzuwarten.
Diese Entwicklung führt jedenfalls sehr weit von der ursprünglichen Vorstellung des Berufsbeamtentums weg. Das gleiche gilt für Ihre Absicht, bei Privatisierungen eine Möglichkeit zu schaffen, das vorhandene Personal der Dienststelle auf das Unternehmen in privater Rechtsform überzuleiten.
Meine Damen und Herren von der Bundesregierung und der Koalition, Sie legen ständig Bekenntnisse zum Berufsbeamtentum ab, und Verfechter des einheitlichen Dienstrechtes oder der Beschränkung des Berufsbeamtentums auf einen hoheitlichen Kernbereich werden von Ihnen heftig kritisiert.
Was Sie aber vorhaben, ist nach meinem Dafürhalten ein Aushöhlen des Berufsbeamtentums. Deswegen sind wir der Auffassung, daß einer verfassungsrechtlich saubereren Lösung der Vorzug zu geben wäre.
Vor allem ist es aber an der Zeit, daß Sie Ihren Blick endlich einmal weiten und von dem Herumbasteln an dem Berufsbeamtentum zu einem Gesamtkonzept für die Modernisierung der öffentlichen Verwaltung übergehen.
Während Sie für das Dienstrecht immer noch die richtigen Überschriften formulieren, befinden Sie sich bei dem Thema Verwaltungsmodernisierung in Untätigkeit. Sie sind hier offenbar - auch das sage ich in aller Deutlichkeit - von der Verschlankungsmanie mancher Industrieunternehmen angesteckt. In der Wirtschaft sind die endlose Verschlankung vieler Unternehmen und die Kompression der Löhne ein Rezept für die industrielle Selbstvernichtung geworden. Sie können uns nicht einreden, daß die von Ihnen gewollte Verschlankung des Staates dem Nutzen der Bürgerinnen und Bürger in unserem Lande dient.
Ich sehe die große Gefahr, daß der Staat einmal unter ideologischen Gesichtspunkten, einmal unter Kostengesichtspunkten, einmal mit dem Ziel, lukrative Teile an die Privatwirtschaft zu übertragen, der Magersucht anheimfällt und im Ergebnis so schwach ist,
Fritz Rudolf Körper
daß er die vielfältigen gesellschaftlichen Probleme nicht mehr auch nur annähernd bewältigen kann.
Meine Damen und Herren, das Ergebnis kann nur sein, daß Staat und Politik an Akzeptanz verlieren. Diese Entwicklung geht letztendlich zu Lasten unserer gesamten Demokratie.
Wir wollen die soziale Marktwirtschaft. Die Wirtschaft kann die sozialen Folgen ihres Handelns weder steuern noch kontrollieren. Deshalb brauchen wir einen handlungsfähigen Staat mit sozialer Verantwortung. Staat und Markt ergänzen sich. Die Marktwirtschaft wird erst durch staatliche Intervention zur sozialen Marktwirtschaft - lassen Sie sich das einmal sagen! -, und deshalb brauchen wir einen leistungsfähigen und kostenbewußten Staat, der sich besonders auf die Aufgabe einer sozialen Steuerung des Marktes konzentriert. Dazu gehören beispielsweise: die Sicherung der bürgerlichen und sozialen Grundrechte, die Abwehr ökologischer Gefahren, die Setzung ökonomischer Rahmenbedingungen, die Gewährleistung eines modernen Bildungswesens und einer leistungsfähigen Infrastruktur.
Meine Damen und Herren, ohne soziale Sicherheit sind auf Dauer weder Menschenwürde noch Demokratie, noch Freiheit, noch innerer Friede, noch Wohlstand in unserem Land möglich.
Es ist zwar richtig, daß längst nicht alles, was heute durch staatliche Institutionen geleistet wird, nur durch den Staat gemacht, vernünftig geregelt werden könnte. Eine ideologische Fixierung auf Privatisierung staatlicher Kompetenzen läßt aber außer acht, daß im Wettbewerb die staatliche Organisation häufig kostengünstiger und auch effizienter arbeitet als beispielsweise private Anbieter.
Das zeigen vor allem auch Erfahrungen in anderen Staaten, zum Beispiel in unserem Nachbarland England.
Dazu müssen wir allerdings den öffentlichen Dienst auch bei uns durch eine Modernisierung besser in die Lage versetzen, seine Wettbewerbsfähigkeit zu wahren und zu steigern.
In der Bundesverwaltung, und zwar in den Ministerien selbst, ist eine Reform dringend notwendig. Die Ministerien sind heute kopflastig und aufgeteilt in Klein- und Kleinstreferate, die reichlich Hierarchien aufbauen. Sicher, auch das ist eine Form der Arbeitsbeschaffung, aber die Energien könnten an anderer Stelle zur Aufgabenerledigung besser genutzt werden.
Unsere Vorschläge sind bekannt. Wir wollen kleinere, aber politisch handlungsfähigere Ministerien
und die Übertragung eines Teils ihrer bisherigen Aufgaben auf sogenannte Oberbehörden.
Meine Damen und Herren, die derzeitige Reformdiskussion und die wenigen ernsthaften Reformbemühungen im Bund bleiben perspektivlos, solange sie vorwiegend als Reaktion auf die prekäre Haushaltssituation und nicht als Zukunftsgestaltung begriffen werden.
- Das ist richtig, Herr Kollege Heinrich. Regierungs-
und Verwaltungsreform gehören zusammen, und danach müßten Sie eigentlich auch handeln.
Dabei geht es um nicht weniger als um die politische Handlungsfähigkeit zur Bewältigung der Zukunft; denn Staat und Verwaltung befinden sich in einem Zustand, der die Bewältigung der näheren Zukunft erschwert.
Regierungs- und Verwaltungsreform kommen nur im Rahmen einer übergreifenden Zielvorstellung voran. Dabei muß man beachten, daß es zu einer vernünftigen Aufgabenteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden kommt, daß eine Konzentration der Politik auf unabweisbare Schwerpunkte und eine Effizienzsteigerung im Vollzug sowie eine Vereinfachung von Verfahren berücksichtigt werden.
Ich will auch ein vieldiskutiertes Thema nicht aussparen: Nach meiner Überzeugung muß sich der deutsche Föderalismus den veränderten Rahmenbedingungen anpassen. Föderalismus ist notwendig und gewährleistet Vielfalt. Will man einen funktionsfähigen Föderalismus, so darf auch das Thema Länderneugliederung kein Tabu mehr sein.
Verzichtet man auf eine solche Neugliederung, müßte wenigstens die Aufteilung zwischen Bund und Ländern neu erfolgen. Der Bund muß zum Beispiel endlich davon Abstand nehmen, Herr Kollege Belle und meine Damen und Herren von der CDU, Länder und Gemeinden durch immer neue Aufgaben und Kosten des Aufgabenvollzugs finanziell zu belasten und zu überfordern.
Im heutigen öffentlichen Dienst gibt es zahlreiche unausgeschöpfte Rationalisierungsreserven. Über Organisationsvereinfachungen kann die Effizienz von Politik und Verwaltung schnell und wirksam gesteigert werden. Je größer und damit in sich differenzierter Verwaltungsorganisationen werden, desto mehr tragen sie dazu bei, daß Aufgaben auch vermehrt werden. Das Organisationswachstum zu beschneiden ist deshalb eine zentrale Aufgabe. Die Bundesregierung muß mit gutem Beispiel vorangehen.
Dabei ist es notwendig, über den Tellerrand zu blicken. Regierungs- und Verwaltungsreform in Deutschland lassen sich heute nicht mehr isoliert be-
Fritz Rudolf Körper
trachten und auch nicht mehr isoliert betreiben. Der Europäisierungsprozeß wirkt auch hier. Aus ihm ergeben sich zahlreiche Anregungen und auch die Möglichkeit, das jeweils Besondere zu erkennen und zu berücksichtigen.
Mein Fazit ist: Wir müssen Staat und Verwaltung für die Zukunft fit machen. Staat und Verwaltung müssen Steuerungsfähigkeit zurückgewinnen und durch verstärktes Kostenbewußtsein und erhöhte Wirtschaftlichkeit die Effizienz und Effektivität des Handelns steigern.
Von der Bewältigung dieser Zukunftsaufgaben ist die heutige Bundesregierung ein ganz weites Stück entfernt.
Ich halte zum Beispiel das Gerede von weniger Staat und mehr Freiheit, von weniger Bevormundung und mehr Eigenverantwortung, von weniger Bürokratie für politisch unverantwortlich.
Ich fürchte, lieber Herr Stadler, daß ein solcher Radikalliberalismus individualistische und auch egoistische Tendenzen in dieser Gesellschaft verstärkt. Gemeinsinn und Gemeinwohl könnten dabei auf der Strecke bleiben. Eine Gesellschaft ohne Gemeinsinn und ohne die Bereitschaft, eigene Interessen auch an den Maßstäben des Gemeinwohls zu messen,
eine Gesellschaft, in der der Stärkere recht und der Schwache unrecht hat, eine Gesellschaft ohne sozialen Ausgleich ist keine Gesellschaft, wie wir sie uns vorstellen.
Ich möchte mir unsere Zukunft nicht so vorstellen müssen und sie auch nicht so verwirklicht haben.
Schönen Dank.
Ich erteile unserer Kollegin Dr. Antje Vollmer das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Körper, bei dem vielen Guten und Klugen, was Sie gesagt haben, war ich doch erstaunt, daß Sie die Bürokratien verteidigen wollen. Für mich sind die Bürokratien der Feudaladel der heutigen Zeit. Sie haben eine ähnliche Tendenz, nämlich von der Gesellschaft zu schmarotzen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer immer sich bisher darangemacht hat, die öffentliche Verwaltung und das Beamtenrecht zu reformieren, dem wurde das Grundgesetz, insbesondere Art. 33 Abs. 5, entgegengehalten. Abbau der Hierarchien, der Bürokratien und des Zulagendschungels, Aufstieg und Vergütung nach Leistung, Quereinstiege, Führungspositionen auf Zeit - jeder dieser Vorschläge galt immer als aussichtslos, weil er angeblich den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums widerspricht.
Meine Fraktion hat sich deshalb dafür entschieden, doppelgleisig zu verfahren, zwei Wege zugleich zu gehen.
Wir wollen erstens - ich weiß, der Herr Kollege Marschewski ist schon neugierig darauf - den vollen Spielraum nutzen, den die Gesetzeslage schon jetzt für Reformen bietet und der viel größer ist, als immer behauptet wird. Zu diesem Zweck werden wir noch in diesem Jahr einen sehr umfassenden Gesetzentwurf zum öffentlichen Dienstrecht vorlegen.
Es ist das erste Mal, daß die Grünen dies machen. Angesichts des Zeitraums, bis der Machtwechsel erfolgen wird, ist es gerade noch rechtzeitig genug.
- Ich sagte: in diesem Jahr, also bis zum Ende dieses Jahres. Das ist mehr, als die SPD verspricht, wie Sie wohl wissen.
Wir wollen zweitens das Grundgesetz so verändern, daß die Politik wieder Herrin des Verfahrens wird und die Gestaltungsmacht bekommt, die sie braucht. Wir haben nämlich den begründeten Verdacht, daß die Reform viel tiefer ansetzen muß, als es der Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgibt. Wir wollen die Entscheidung über solche Reformen nicht länger nur dem Bundesverfassungsgericht und seiner in diesem Fall sehr engen Auslegung überlassen.
Zum Verweis auf die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums; ich komme zu Art. 33 Abs. 5. Hier geht es, wenn man in die Gründungsgeschichte sieht, lediglich darum, daß die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu berücksichtigen sind. Dennoch ist es auch der Rechtsprechung bislang nicht gelungen, diese Bestimmung dynamisch und zeitgemäß zu interpretieren. Sie wird quasi als institutionelle Betonierung des Berufsbeamtentums und als grundrechtsgleiches Recht angesehen, und das ist genau das Problem.
- Die Anhörung hat einige interessante andere Aspekte ergeben; das ist richtig. Deswegen verfahren wir auch zweigleisig. Aber die sauberere Lösung wäre die, die wir vorschlagen, nämlich den Art. 33 Abs. 5 anders zu fassen.
Die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes zeigt uns etwas ganz anderes von der Absicht der
Dr. Antje Vollmer
Verfassungsväter. Verfolgt man nämlich die Verhandlungen des Parlamentarischen Rates, so zeigt sich, daß eine stärkere Bindung des Gesetzgebers zwar diskutiert, letztlich aber nicht verabschiedet wurde, und zwar anders als in Weimar. Das Bonner Grundgesetz spricht von Berücksichtigung dieser Grundsätze und von ihrer Althergebrachtheit, also von ihrer Würde, während die Rechte der Beamten in der Weimarer Republik noch als wohlerworben und damit als Teil eines zu verteidigenden Besitzstandes, also quasi als eine Art Eigentumstitel, verstanden wurden. Gerade das wollte der Parlamentarische Rat nicht. Er wollte bestimmte Reformen auch in bezug auf die hergebrachten Grundsätze zulassen.
Der von uns vorgelegte Entwurf für eine Verfassungsänderung will hier mehr Klarheit schaffen und vor dem Hintergrund eines gewandelten Staatsverständnisses auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts endlich auf neue Grundlagen stellen. Wir schaffen damit - damit das klar ist - das Beamtentum keineswegs ab, sondern wir wollen es heutigen Anforderungen anpassen.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Burkhard Hirsch?
Die lasse ich immer zu. Dann geht es nämlich nicht von meiner Zeit ab, während ich sowieso schon immer auf ihn reagieren muß. Bitte.
Verehrte Frau Kollegin, indem ich Ihrer Verfassungsauslegung zustimme, daß das Grundgesetz mit der Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Beamtentums keineswegs so enge Fesseln anlegt, frage ich Sie: Warum wollen Sie denn dann gerade diese Bestimmung abschaffen?
Herr Hirsch, Sie sind nicht mehr im Innenausschuß. Deswegen kennen Sie unser doppeltes Vorgehen nicht.
Wir haben diesen Gesetzentwurf vorgelegt, weil wir ihn für die sauberere Lösung halten. Im übrigen folgen wir damit einer Vorlage von Schleswig-Holstein. Wir wollen erreichen, daß der Herr Bundesinnenminister nicht permanent sagen kann, daß er einer engen Interpretation folgen muß, sondern daß ihm endlich zu der Freiheit verholfen wird, alles, was er tun will, auch tun zu können, wenn er denn Reformen will.
Wir wissen natürlich, daß es zur Änderung des Grundgesetzes erheblicher Mehrheiten bedarf. Da wir nicht sicher sind, ob es diese Mehrheiten geben wird, werden wir Ihnen gleichzeitig einen Gesetzentwurf vorlegen - das ist die zweite Schiene, auf der wir fahren -, der bis zum Ende dieses Jahres fertig sein wird und mit dem Sie alle weitgehenden Reformen, die nach der jetzigen Gesetzeslage möglich sind, mit unserer Interpretation vorgelegt bekommen und über den Sie dann abstimmen können. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie dann zustimmen. Vielleicht können Sie dann ersatzweise auch wieder einmal im Innenausschuß erscheinen.
Wir schaffen also mit der Änderung des Art. 33 Abs. 5 keineswegs das Beamtentum ab, sondern wir wollen es heutigen Anforderungen anpassen.
Damit greifen wir, wie ich schon sagte, eine Bundesratsinitiative Schleswig-Holsteins auf, die wir auch im Bundestag diskutiert wissen wollen. Beamte sollen - das ist die Absicht - künftig auf Zeit berufen werden können.
Außerdem erhält der Gesetzgeber den Auftrag, die Voraussetzungen, die Rechte und Pflichten der Beamten, ihre Besoldung und ihre Versorgung und auch ihre Pensionsfragen gesetzlich zu regeln und damit den jetzigen Bedürfnissen anzupassen.
Noch einmal: Ermöglicht wird damit, daß der Staat tun kann, was er tun will, wenn er denn wirklich Reformen will. Das ist genau die Frage, die wir bei Ihnen überprüfen wollen.
Ermöglicht wird damit zum Beispiel eine stärkere Leistungsorientierung der Besoldung, die sich an der echt erbrachten Arbeitsleistung orientiert. Ermöglicht wird die Regelbeschäftigung in Teilzeit, während das Bundesverfassungsgericht bisher als Regeltypus des Beamtenverhältnisses allein die Vollzeitbeschäftigung ansieht. Dazu gehören auch alle Formen von Sabbatjahren, Freistellung, die besonders für Frauen wichtig ist, oder Altersteilzeit.
Ermöglicht wird schließlich auch die Vergabe von Führungspositionen auf Zeit, die Leistungsmotivation und Wettbewerb bei der Stellenbesetzung fördert, zugleich aber auch die eventuelle Korrektur von Fehlbesetzung zuläßt. Dazu hat der Kollege Körper schon einiges gesagt.
Ich weiß nicht, ob Sie vor einigen Tagen die FAZ gelesen haben. Wie man schon jetzt mit Reformen beginnen kann, hat in der letzten Woche erneut das Beispiel einer kleinen Kommune gezeigt. Die Verwaltungsgemeinschaft Bismark, eine kleine Gemeinde in der Nähe von Stendal, in Sachsen-Anhalt macht vor, wie man eine Verwaltung von Grund auf modernisieren, gleichzeitig auf die schwierige Situation unserer Finanzen eingehen und echt bürgernäher arbeiten kann.
Dr. Antje Vollmer
- Das alles auf geltender Gesetzeslage - und darum unser doppeltes Vorgehen. Sie sehen, wie klug das ist.
In einem Pilotprojekt werden dort erstmals in Deutschland öffentliche und private Dienstleistungen gemeinsam in einer multifunktionalen Servicestelle, dem Bürgerbüro, angeboten. Das ist hochinteressant. Dort verfolgt man also nicht den Königsweg der Privatisierung um jeden Preis, sondern den Königsweg der Bürgernähe um jeden Preis. In diesem Bürgerbüro begegnen sich dann die Bürger hinter dem Schreibtisch und die Bürger vor dem Schreibtisch.
- Vielen Dank. Auch die Bürgerinnen. Schön, daß Sie das inzwischen gelernt haben, Herr Marschewski. Bei Ihnen ist das besonders erfreulich.
Das Spektrum des Angebots - übrigens besonders interessant für die ländlichen Räume, die große Mühe haben, die öffentlichen Dienstleistungen an den Bürger zu bringen - reicht von der Kfz-Zulassung über die Bankleistung, die Lotto-Toto-Annahme bis zur Selbsthilfegruppe. Man kann schnelle Hilfe bekommen. Man kann schnell an Datenflüsse angeschlossen werden. Vor Ort stehen Mitarbeiter des Bürgerbüros zur Verfügung. Ein Selbstbedienungscomputer und mediale Techniken lassen sich mit den Zentralen der einzelnen Dienstleistungsanbieter verbinden, so daß eine optimale Versorgung von allem
) möglich ist.
Daneben könnten - das nur den Stendalern beziehungsweise den Einwohnern von Bismark zur Anregung - die örtlichen Abgeordneten ihre regelmäßigen Sprechzeiten in diesem Bürgerbüro abhalten und quasi einen kleinen Petitionsausschuß vor Ort bilden.
Dieses Modell ist gezielt dafür entwickelt worden, der immer schlechter werdenden Versorgung im ländlichen Raum mit Dienstleistungen von öffentlicher und privater Seite zu begegnen. In Bismark braucht kein Bürger mehr länger als drei Kilometer zu fahren, bis er alle staatlichen Leistungen erreicht hat. Das ist das Interessante an diesem Programm.
Es zeigt eines. Die Verwaltung kann heute kein Instrument staatlicher Verfügungsvollmacht mehr sein, die für Recht und Ordnung sorgt und im übrigen möglichst fern von den Leuten und wenig gestört sein will. Der moderne Staat versteht seine öffentlichen Einrichtungen als bürgerschaftliches Dienstleistungszentrum, das zum Mitmachen motivieren und dafür die organisatorischen Voraussetzungen liefern soll.
Wenn man dieses schöne Beispiel mit sehr viel Eigeninitiative vor Ort sieht, dann fragt man sich doch, warum Innenminister Kanther bei einer solchen Reformstimmung in den Kommunen und vor Ort einen so kleinen und ängstlichen Vorschlag vorlegt, wie wir ihn im Augenblick haben. Die große Unentschlossenheit in seinem Haus läßt sich an drei Dingen besonders deutlich erkennen.
- An drei zentralen Punkten.
Erstens. Obwohl auch die CDU/CSU und F.D.P. immer wieder erklären, daß sie mit vorsichtigen dienstrechtlichen Veränderungen im Beamtenrecht noch keine Verwaltungsreform machen können, gibt es keine grundlegende Aufgabenkritik.
Zweitens. Der Sachverständigenrat „Schlanker Staat" hatte genau damit angefangen, nämlich mit der grundlegenden Aufgabenkritik. Er hat gesagt, daß wir die Flut der Gesetzgebung begrenzen müssen.
Als drittes hat er erklärt, daß wir den Berlin-Umzug gerade dafür nutzen müssen, die entsprechende Dynamik für die Reform zu bekommen.
Alle drei Elemente tauchen nicht darin auf. Ich fürchte, daß es unter anderem damit zu tun hat - und das ist der Schluß meiner Rede -, daß der Herr Innenminister Kanther den seit Jahren überfälligen Versorgungsbericht immer noch nicht vorgelegt hat.
Das ist wider die gesetzliche Grundlage. Dazu sind Sie eigentlich verpflichtet. Sie werden gleich noch das Wort ergreifen, Herr Innenminister. Ich bitte Sie, dem Haus zu sagen, was es eigentlich zu bedeuten hat, daß Sie diesem Haus über den Umfang der Misere und der wirklichen Bedrohung für die öffentlichen Kassen keinen reinen Wein einschenken, und ob es vielleicht damit zu tun hat, daß Sie bezüglich der Reformen so ängstlich, so zögerlich und so begrenzt sind.
Danke schön.
Meine Kolleginnen und Kollegen, mir ist soeben ein unkorrigiertes Vorexemplar des Protokolls vorgelegt worden, demzufolge der Kollege Dr. Solms in der voraufgegangenen Aktuellen Stunde dem Kollegen Gysi „Heuchler" zugerufen hat. Da der Kollege Solms von der Möglichkeit, die der § 119 Satz 1 unserer Geschäftsordnung gibt, keinen Gebrauch zu machen gedenkt, habe ich ihm hiermit für diesen Zwischenruf eine Rüge zu erteilen.
Ich rufe als nächsten Redner den Kollegen Dr. Max Stadler auf.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die heutige Debatte über die Modernisierung der öffentlichen Verwaltung und die Reform des öffentlichen Dienstrechts kann nicht geführt werden, ohne einen Blick auf die aktuelle politische Diskussion über das Programm
Dr. Max Stadler
der Koalitionsfraktionen für mehr Wachstum und Beschäftigung zu richten. Dort ist uns die Aufgabe gestellt, unter anderem die Arbeitskosten zu senken. Auch die Beamtenschaft muß am selben Strang ziehen, selbst wenn ihr und uns Beamtenpolitikern dies nicht leichtfällt.
Ein gutes Beispiel gibt die Beamtenpolitik jedenfalls mit der Reform des öffentlichen Dienstrechts. Mit diesem Gesetzeswerk wird ein wichtiger Teil der Koalitionsvereinbarungen aus dem Jahre 1994 für diese Legislaturperiode umgesetzt. Es ist ein Gemeinschaftswerk der Koalitionsfraktionen und der Bundesregierung, das in vielen intensiven Vorgesprächen mit den Betroffenen erörtert worden ist. Viele liberale Zielsetzungen sind übernommen worden. Ich bin der Auffassung, Frau Kollegin Vollmer, daß der Spielraum, den Art. 33 Abs. 5 des Grundgesetzes bietet, mit dieser Reform sehr wohl ausgenützt wird.
Ich habe an Ihren Ausführungen zu dem Beispiel Stendal auch nicht recht verstanden, was die allerorten vorzufindenden Bemühungen der Kommunalverwaltungen, von einem eher hoheitlich geprägten Umgang mit den Bürgern zu einem modernen Dienstleistungsunternehmen zu werden, mit dem heute vorgelegten Reformgesetz zu tun haben soll.
Frau Kollegin Vollmer, ich kann nur sagen: Stendal ist überall, laßt tausend Blumen blühen. Überall in der Bundesrepublik finden Sie ähnliche Bemühungen, und zwar - wie ich vorhin in meinem Zwischenruf gesagt habe - auf der Grundlage der geltenden Gesetze.
Das ist sehr wohl möglich. Im übrigen haben Sie mit diesem Ihrem Beispiel völlig ausgeklammert, daß es natürlich auch eine rein hoheitlich orientierte Seite der öffentlichen Verwaltung gibt -
Herr Kollege!
- ich führe den Satz nur noch zu Ende - und daß, wie dies auch im Aufsatz von Badura, einer Wiedergabe seines bekannten Vortrags in Bad Godesberg vom April diesen Jahres, nachzulesen ist, damit der Vorstellung gewisse Grenzen gesetzt sind, eine Verwaltung könne nur ein Dienstleistungsunternehmen sein.
Herr Kollege, lege ich Ihre Reaktion richtig aus, daß Sie die Frage der Kollegin Vollmer zulassen?
Gerne.
Bitte, Frau Kollegin Vollmer.
Herr Kollege, ich habe aus Ihrem Zwischenruf gemerkt, daß Sie das Beispiel der Gemeinde nicht kannten. Nehmen Sie zur Kenntnis, daß die Gemeinde Bismark heißt und daß der Ruf „Bismark ist überall" nicht so passend wäre?
Da stimme ich Ihnen durchaus zu. Gleichwohl habe ich diesen Zwischenruf überhört.
Ihre Vorfrage, ob ich den Artikel in der „Frankfurter Allgemeinen" gelesen hätte, habe ich mit ja beantwortet, so daß mir dieses Beispiel bekannt ist, aber auch viele andere, zum Beispiel in meiner eigenen Heimatgemeinde Passau, die in einem Wettbewerb einen Preis dafür bekommen hat, daß sie die Gedanken der Verwaltungsreform innovativ aufgreift. Da ist sie nur eine von vielen in der ganzen Bundesrepublik. Nur darauf wollte ich aufmerksam machen.
Meine Damen und Herren, ich komme nun zu Details unserer Dienstrechtsreform und nenne als erstes: Wir wollen den Leistungsgrundsatz bei Beförderungen und bei der Übertragung von Spitzenpositionen stärken. Vor Beförderungen sind die Beamten auf anderen Dienstposten zu erproben. Leitungspositionen sollen zunächst nur für eine kürzere Zeit auf Probe übertragen werden.
Zweitens. Wir wollen mehr Mobilität für die Beschäftigten. Dazu gehört eine Erweiterung der Abordnungs- und Versetzungsmöglichkeiten. Wir wollen mehr Handlungsmöglichkeiten für die Personalverwaltungen, um sie für Aufgabenveränderungen zu rüsten. Dies gilt auch gerade für den kurzfristigen Personalbedarf.
Meine Damen und Herren, wir haben sehr darauf geachtet, daß wir das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Das zeigt sich an den komplizierten Gesetzesregelungen, die bewußt so gehalten sind, daß Abordnungen und Versetzungen auch künftig nicht etwa beliebig möglich sind. Wir wollen Mißbrauch vorbeugen und keine Tür öffnen, daß die Unabhängigkeit der Amtsführung der Beamten durch ungerechtfertigte Versetzungen oder Abordnungen gebrochen oder beeinträchtigt werden könnte.
Allerdings wird der Sofortvollzug von Abordnungen und Versetzungen zur Regel. Die Behauptung, damit werde der Rechtsschutz abgeschafft oder vermindert, ist jedoch eine Mär. Nach wie vor sind Anträge zur Herstellung des Suspensiveffekts an die Verwaltungsgerichte möglich. Außerdem bleiben die Mitbestimmungsregelungen für die Personalvertretungen völlig unverändert, so daß es zwei externe Kontrollinstanzen gibt. Sollte sich allerdings dabei herausstellen, daß die Abordnung oder Versetzung - was ja wohl im Regelfall so sein wird - rechtmäßig ist, kann man niemandem erklären, warum der Beamte nicht dort seinen Dienst versehen soll, wo der Staat ihn braucht.
Wir wollen aber zugleich auch mehr Planungssicherheit für die Betroffenen. Abordnungen oder Versetzungen, die den Beamten erst am Tag vor dem
Dr. Max Stadler
Dienstantritt am neuen Beschäftigungsort erreichen, sind eine Zumutung. Deswegen fordern wir die Personalverwaltungen auf, zu einer langfristigen Personalplanung zu kommen und die Betroffenen rechtzeitig anzuhören und auf die anderweitigen Verwendungen vorzubereiten.
Ich kündige für die F.D.P.-Fraktion an, daß wir uns eine Überprüfung der Abordnungs- und Versetzungspraxis in Bund und Ländern vorbehalten und uns nicht scheuen werden, gegebenenfalls gesetzliche Fristen vorzuschlagen, die bei Abordnungen und Versetzungen eingehalten werden müssen.
Drittens. Das nächste Stichwort ist die Beschränkung der Vorruhestandsfälle. Es genügt ein Blick auf die bisherige Statistik, um zu sehen, daß die Zahl der Vorruhestandsfälle zu hoch ist. Deswegen wollen wir die anderweitigen Verwendungsmöglichkeiten ausweiten. Den Berliner Vorschlag für eine breite Vorruhestandregelung werden wir dagegen nicht aufgreifen. Es wäre ein falsches Signal, Beamte auf breiter Front vorzeitig in den Ruhestand zu entlassen.
Viertens. Als positiv zu würdigen ist die Einführung der voraussetzungslosen Teilzeitbeschäftigung auf Antrag. Hier, Herr Kollege Körper - Sie haben das in Ihrem Beitrag mit einem Fragezeichen versehen -, sehen wir, daß dies ein Beispiel für die dynamische Verfassungsinterpretation des Art. 33 Abs. 5 ist. Es ist eben sehr wohl mit den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums vereinbar, wenn diese in der Interpretation an neue Anforderungen und an neue Situationen angepaßt werden. Wir wollen einen Beitrag zur Verbesserung der Arbeitsmarktlage durch einen Ausbau der Teilzeitbeschäftigung und auch mehr Freiheit und mehr Wahlmöglichkeit für die Betroffenen schaffen. Das geht sehr wohl im Rahmen des Art. 33 Abs. 5.
Fünftens. Ich halte es auch für einen besonderen Erfolg, daß zukünftig die Bezahlung individualisiert und in stärkerem Umfang als bisher an der Leistung des einzelnen orientiert werden kann. Was in der freien Wirtschaft möglich ist - wir wissen um die Problematik der Vergleichbarkeit -, muß prinzipiell auch im öffentlichen Dienst funktionieren. Zusätzlich müssen dazu natürlich immaterielle Leistungsanreize kommen. Wir brauchen neues Führungsverhalten und modernes Personalmanagement.
Herr Kollege Körper, ich habe Ihrem Beitrag deswegen Beifall gezollt, weil Sie sich in Ihrer Kritik eigentlich auf einen wesentlichen Punkt beschränkt haben. Sie haben im Kern ausgeführt, es sei Ihrer Auffassung nach kritikwürdig, daß diese Dienstrechtsreform nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit einer inneren Verwaltungsreform steht.
Wenn man das eine tut, braucht man das andere
trotzdem nicht zu lassen. Selbstverständlich sind wir
dafür, die innere Verwaltungsreform voranzutreiben. Das ist Konsens hier im Haus.
Meine Damen und Herren, eine Ihrer Forderungen ist allerdings nur scheinbar fortschrittlich, nämlich die nach Zeitbeamten in Spitzenpositionen.
Die Redezeit!
Ich komme zum Schluß.
Auf Grund von Erfahrungen im Freistaat Bayern, der nicht zufällig zu den heftigen Befürwortern dieses Vorschlags von SPD und Grünen gehört,
sage ich Ihnen ganz bewußt, daß die Beamten auf Zeit nicht mehr die erforderliche Unabhängigkeit bei der Wahrung ihrer Aufgaben haben, die wir in Spitzenpositionen verlangen.
Herr Kollege!
Mein Schlußsatz: Insgesamt meine ich, daß wir mit diesem Gesetzentwurf einen Teil dessen in Angriff nehmen, was bei der Reform der öffentlichen Verwaltung notwendig ist. Wir werden die anderen Teile zu gegebener Zeit fortführen und die uns übertragene Aufgabe zur Sicherung des Standorts Deutschland erfüllen.
Frau Kollegin Maritta Böttcher, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bereits Mitte der 70er Jahre begann die Kampagne, die sich den Übergang zum schlanken Staat, zu Entbürokratisierung, Deregulierung und eine Reform des öffentlichen Dienstes zum Ziel setzte.
Helmut Kohl sprach bereits 1983 in seiner Regierungserklärung das Thema Entbürokratisierung als Schwerpunkt der Regierungstätigkeit an. Reale Veränderungen gab es seitdem vor allem in einem fortschreitenden Sozialabbau und einer neuen Qualität der Privatisierung von staatlichen Unternehmen. So hat der Bund seinen Beteiligungsbesitz von 1 000 auf 400 Beteiligungen reduziert. Ansonsten sind die in dieser Zeit erzielten Erfolge eher dürftig.
Mit der Erläuterung ihrer konkreten Vorschläge zur Modernisierung der öffentlichen Verwaltung im Januar 1995 leitet die Bundesregierung eine neue Phase der konservativen Kampagne für einen schlanken Staat ein. Auch die PDS setzt sich für eine Modernisierung von Staat und Verwaltung ein, insbesondere im Zusammenhang damit, daß Verwaltungsreform Staatsreform ist.
Maritta Böttcher
Seit nunmehr 25 Jahren ist die Rede von Entbürokratisierung. Ich fürchte, es wird weitere 25 Jahre dauern, wenn nicht wirklich auf allen Ebenen ernsthaft daran gearbeitet wird.
Bürgerinnen und Bürger sehen sich der Bürokratie wehrlos ausgesetzt. Wenn eine Behörde etwas von einer Bürgerin oder einem Bürger will, setzt sie ihm Fristen und droht mit Strafen. Wollen Bürgerinnen und Bürger etwas von einer Behörde, reagiert sie oft gar nicht, oder, was manchmal viel schlimmer ist, sie schickt ihn auf die bürokratische Ochsentour: Formulare ausfüllen, Belege sammeln, Ämter ablaufen usw.
- Nein, das ist jetzt so.
Nach geltendem Recht ist es strafbar, wenn jemand einem Behördenangestellten eine fehlerhafte Auskunft gibt, während zum Beispiel ein Wahlbeamter, der in der Öffentlichkeit - ich sage es einmal so - nicht die Wahrheit sagt, straffrei bleibt.
Zur Abrundung des Bildes möchte ich Ihnen ein Beispiel aus den neuen Bundesländern geben: Ein Rentner klagte vor einem Gericht wegen seiner Rente. In der Verhandlung entspann sich ein bemerkenswerter Wortwechsel zu der Frage, wer eigentlich über die Höhe der Rente für eine konkrete Person entscheidet. Die Prozeßbevollmächtigte der beklagten Rentenversicherung führte dazu aus: Ein Mitarbeiter nimmt den Antrag auf, ein Mitarbeiter klärt das Rentenkonto, dann kommt die Akte nach Berlin. Dort wird alles in den Computer eingelesen, der rechnet und druckt einen zwölfseitigen Bescheid aus, welcher dann verschickt wird.
Der Anwalt des Rentners fragte nach, wer entschieden habe, daß diese oder jene rentenrechtliche Zeit nicht berücksichtigt wird. Darauf antwortete die Bevollmächtigte: Das ist nicht rekonstruierbar, ich weiß es nicht.
Eigentlich hätte ich gar nicht so weit nach einem Beispiel suchen müssen: Ein richtiges Glanzstück an Bürokratie und Verselbständigung von Verwaltung gegenüber dem Parlament konnten die Mitglieder des Bildungsausschusses gestern erleben.
Alle durchgeführten Anhörungen des Innenausschusses machten deutlich, daß eine Dienstrechtsreform in eine Verwaltungsreform eingebettet sein muß mit dem Ziel, die Leistungskraft der Verwaltung zu verbessern, ihre Bürgernähe auszubauen, und das vor allem durch die Einbeziehung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und deren ständige Weiterbildung.
Auch aus diesen Gründen unterstützen wir nachdrücklich die Debatte um eine Staatsreform, wie sie im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen entwickelt wird.
Auf eine wesentliche Seite bei der Einschätzung der Gesamtproblematik möchte ich noch verweisen. Es ist zu bedenken, daß 80 Prozent aller Bundesgesetze und sonstigen bundesrechtlichen Regelungen von den Kommunen auszuführen sind. Der Rest ist
im wesentlichen von den Ländern auszuführen. Herr Schleberger, Regierungspräsident a. D. aus Münster, schätzt die unmittelbar auf Bundesbehörden entfallende Ausführung von bundesrechtlichen Regelungen auf 1 bis 2 Prozent. Die Ausführung von bundesrechtlichen Regelungen wird also im wesentlichen nicht von den Urhebern, also Bundestag und Bundesregierung, sondern von den Kommunen und Ländern getragen und verantwortet. Die öffentlichen Verwaltungen leiden, verglichen mit der Privatwirtschaft, allesamt unter einem Modernisierungsrückstand. Einzig die Kommunen - insofern möchte ich Frau Vollmer in ihrer Auffassung ausdrücklich bestätigen - haben in einigen Feldern erfolgreich Vorreiterdienste geleistet. Solche vermisse ich beim Bund.
Als Erfahrung aus den Anhörungen, als Fazit der bisherigen Diskussionen - man soll ja bekanntlich die Hoffnung nie aufgeben - komme ich zu folgendem Schluß:
Trotz der in den vergangenen 25 Jahren gemachten Erfahrungen gibt es zwei Punkte, die den Schluß rechtfertigen, daß alle Anstrengungen auf diesem Gebiet nicht von vornherein aussichtslos sind: Erstens. Die Kosten der öffentlichen Verwaltung sind nicht mehr finanzierbar. Zweitens. Erstmals gibt es einen übereinstimmenden Willen aller Parlamente, Regierungen und Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes zur Umsteuerung.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch eine Bemerkung zur Frauenpolitik machen. Auf frauenpolitischem Gebiet gibt es einen Nachholbedarf, der nur aufzuholen ist, wenn sich, vor allem auf Bundesebene, endlich jemand ernsthaft Gedanken über prinzipielle Regelungen macht und wenn diese auch umgesetzt werden.
Insgesamt sind von rund 6 Millionen Personen, die derzeit im öffentlichen Dienst beschäftigt sind, knapp 49 Prozent Frauen. Im Bundesdienst - ohne Post und Bahn - beträgt der Frauenanteil lediglich 20 Prozent. Deutlich unterrepräsentiert sind Frauen in Beförderungsämtern und höheren Besoldungs-
und Vergütungsgruppen. Als Kommunalpolitikerin werde ich auch den Druck von unten verschärfen, damit aus der angesprochenen Hoffnung Realität wird.
Noch ein letzter Gedanke zum Dienstrecht. Bereits in unserem Verfassungsentwurf aus der letzten Legislaturperiode haben wir vorgeschlagen, eine Vereinheitlichung des Rechts des öffentlichen Dienstes auf den Weg zu bringen. Ich sage ausdrücklich: Diese Notwendigkeit besteht auch nach der heutigen Debatte. Auf diesem Gebiet werden Sie noch einiges von uns hören; denn es kann nicht um die Bewahrung eines abgeschotteten Apparates gehen, sondern es muß langfristig um eine transparente und bürgernahe Verwaltung gehen.
Ich erteile dem Kollegen Meinrad Belle das Wort, der nach langer schwerer
Vizepräsident Hans Klein
Krankheit zum erstenmal wieder unter uns ist. Wir freuen uns, daß Sie unter uns sind!
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir einige Vorbemerkungen.
Wir unterhalten uns heute über das öffentliche Dienstrecht und dessen Reform. Leider hat ein Großteil der Kolleginnen und Kollegen eigentlich zur Verwaltungsreform gesprochen. Wir wissen natürlich, daß die Verwaltungsreform weitergehen muß.
Aber wir sprechen heute über die Dienstrechtsreform.
Liebe Kollegin Vollmer, Sie haben vorhin die Pläne Ihrer Fraktion vorgetragen und gesagt, was Sie alles machen wollen. Das ist Zukunftsmusik. Wir haben jetzt mehr als ein Jahr lang an dieser Reform des öffentlichen Dienstrechts gearbeitet. Ich meine, Sie hätten schon Zeit gehabt, in diesem Zusammenhang etwas auf den Tisch zu legen.
Zu den Bürgerbüros hat der Kollege Stadler schon einiges gesagt. Ich kann aus meiner eigenen Erfahrung sagen: Schon vor über zehn Jahren, als ich noch Bürgermeister war, habe ich in meiner Gemeinde diese Bürgerbüros auf der Grundlage der bestehenden Gesetze eingerichtet. Dafür brauchen wir keine gesetzlichen Änderungen.
„Die Reform des Beamtenrechts ist überfällig", so lautete der Einstieg des Dozenten in der ersten Vorlesung über öffentliches Dienstrecht, die ich vor über 30 Jahren besucht habe. Nach diesen nunmehr 36 Jahren verabschieden wir heute die erste Änderung, die den Namen „Reform" auch tatsächlich verdient.
Systemveränderern mag sie nicht weit genug gehen. Wir wollen das System aber auch nicht ändern, sondern beim bewährten Berufsbeamtentum bleiben, das sich allerdings den veränderten Anforderungen stellen muß.
Dazu haben wir das Dienstrecht modernisiert und insbesondere leistungsorientiert gestaltet - nicht am grünen Tisch, sondern aus der Praxis für die Praxis. Ich bin froh, daß ich an dieser Reform mitarbeiten konnte.
Ich will durchaus bestätigen: Dieses Reformgesetz ist kein Selbstläufer; es muß im Alltag verwirklicht werden. Insbesondere die Einführung der Leistungselemente wie Leistungszulage, Leistungsprämie und vorzeitiges Aufrücken im Gehalt steht und fällt mit der Bereitschaft der Führung, der Vorgesetzten in der Verwaltung, die Möglichkeiten dieses Gesetzes aufzunehmen und im Alltag umzusetzen. Das so oft der Verwaltung zu Unrecht vorgeworfene Festhalten an den alten - etwas spaßig formulierten - Grundsätzen „Das haben wir schon immer so gemacht! ", „Das haben wir noch nie so gemacht! " oder „Da könnte ja jeder kommen und neue Vorschläge bringen!" muß spätestens jetzt endgültig der Vergangenheit angehören.
Als ehemaliger Behördenleiter bin ich mir durchaus bewußt, daß es nicht immer einfach sein wird, in allen Bereichen objektive Beurteilungskriterien zu schaffen und sie in der täglichen Praxis anzuwenden. Daher appelliere ich heute eindringlich an die Behördenleiter, an die Vorgesetzten: Begreifen Sie die Möglichkeiten dieses Gesetzes als Herausforderung! Die Modernisierung des öffentlichen Dienstrechtes in der Praxis ist wirklich des Schweißes der Edlen wert. Es kann nicht wie bisher nur positive Regelbeurteilungen geben. Auch negative Beurteilungen werden notwendig. Den damit verbundenen Ärger müssen Sie als Vorgesetzte oder Behördenleiter ertragen. Denken Sie daran: Die künftige Entwicklung des Berufsbeamtentums liegt auch in Ihren Händen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Vollmer?
Ja, bitte schön.
Herr Kollege, ich komme auf Ihren Satz zurück, es könne nicht nur positive Beurteilungen geben. Es wird jetzt vorgeschlagen, 10 Prozent besonders positiv zu Beurteilende auszuwählen. Sind Sie nicht der Meinung, daß das vermutlich so ablaufen wird, daß die Behördenleiter, wenn sie klug sind, ein rotierendes System anwenden und jedes Jahr einen anderen in den Kreis der Herausgesuchten aufnehmen, um Frieden in ihrer Behörde zu behalten? Meinen Sie nicht, daß es viel eher notwendig wäre, nach ganz anderen Formen von Führungsqualifikation zu suchen?
Zu den Führungsqualifikationen komme ich noch. Ich habe aber nicht Ihre Bedenken, Frau Kollegin. Ich bin der Meinung, die Vorgesetzten sind und werden in der Lage sein, die Beurteilungen objektiv durchzuführen. Zum rollierenden System: Da wird man mit der entsprechenden Budgetierung gegenhalten. Da habe ich gar keine Zweifel; das wird in der Praxis funktionieren.
Meine Damen, meine Herren, für mich steht außer Frage: Auch das Anforderungsprofil an die Führungskräfte in der Verwaltung wird sich zwangsläufig verändern. Konsequenterweise werden wir daher auch künftig Führungspositionen vorweg auf Probe besetzen.
Meinrad Belle
Sicherlich kann es auch nicht schaden, wenn man sich in der täglichen Arbeit der modernen Führungsgrundsätze in der Verwaltung erinnert, über die von mehr oder weniger befugten Leuten so viel geschrieben wird und die in mancherlei Seminaren gelehrt werden.
Über all diesen modernen Grundsätzen sollte nicht vergessen werden, daß die wichtigste Erkenntnis lautet: Vorgesetzter sein heißt Vorbild sein. Treffend beschreibt dies ein altes englisches Sprichwort, das ich vor vielen Jahren mal in meiner Bürgermeisterzeit gehört habe. Es lautet: Deine Taten seien so laut, daß ich Deine Worte nicht hören kann.
Meine Damen und Herren, die Erfahrung aus vielen Gesprächen mit Behördenleitern in der langen Zeit, in der wir an diesem Gesetz gearbeitet haben, stimmt mich optimistisch. Ich setze auf den Erfolg der Reform des öffentlichen Dienstrechtes.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Jochen Welt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Während uns die Bundesregierung heute ein Reförmchen des öffentlichen Dienstrechts vorlegt und noch immer an den notwendigen Reformen der öffentlichen Verwaltung herumarbeitet, sind - darauf hat Frau Vollmer vorhin auch schon hingewiesen - die Gemeinden schon längst zur Tat geschritten.
Jochen Dieckmann, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, erklärte am vergangenen Montag bei der Anhörung zur kommunalen Selbstverwaltung - an der übrigens interessanterweise kein Vertreter der Regierung teilgenommen hat -, daß rund 80 Prozent aller bundesdeutschen Gemeinden mit ihrem Umstrukturierungsprozeß begonnen haben und inzwischen sehr weit fortgeschritten sind.
Effizienzsteigernde Umstrukturierungen der Bundesverwaltung, meine Damen und Herren, gibt es kaum, wenn man einmal von der Einführung der Budgetierung bei der Bundesmünzanstalt absieht. Ein Abbau von Hierarchien wird nicht vorgenommen, im Gegenteil, an der Spitze der Bundesverwaltung und der Regierung befindet sich mit 68 Staatssekretären und Ministern die größte Zahl derartiger Führungskräfte in der Nachkriegszeit.
Ich denke, dies ist kein gutes Signal. Wenn die Koalition einen schlanken Staat will und ihn überall einfordert, dann muß sie auch bei sich selbst anfangen. Die Treppe, meine Damen und Herren, wird von oben nach unten gefegt.
Veränderungen haben auf Dauer nur dann eine Chance, wenn sie den kommunalen Verwaltungen und den Mitarbeitern in den Verwaltungen eine Perspektive, eine Zukunft geben. Es gilt also die Motivation für Veränderungen zu stärken, und dies geht nicht ohne eine grundlegende Reform des antiquierten öffentlichen Dienstrechtes. Eine derartige Reform wurde von den kommunalen Spitzenverbänden bei der Bundesregierung immer wieder angemahnt. Bis zum heutigen Tag hat die Regierung die Gemeinden diesbezüglich alleine gelassen.
Die als notwendig erkannte Umstrukturierung der kommunalen Verwaltung im Sinne von Effizienzsteigerung und mehr Bürgerorientierung wird durch eine immer stärkere Regelungsdichte, maßgeblich verursacht durch Bundesgesetze, und eine kaum mehr vorstellbare finanzielle Austrocknung der Gemeinden systematisch torpediert.
So führte wie viele Gutachter der Tübinger Rechtsexperte Ferdinand Kirchhof bei der Anhörung zur kommunalen Selbstverwaltung aus, daß der Bund, aber auch die Länder die kommunalen Haushalte als Reservekasse mißbraucht habe. Die Folgen sind radikale Personalkürzungen und Stellenabbau auf Grund der Finanznot statt systematischer Umstrukturierung und damit verbundener Effizienzsteigerung. Folgen sind Existenzangst und Motivationsverlust dort, wo Perspektive und Motivation zur Umgestaltung in eine leistungsstärkere Verwaltung notwendig wären.
Wenn in den mittleren Städten, meine Damen und Herren, innerhalb von drei Jahren bis zu 25 Prozent des Personalbestandes abgebaut werden müssen, dann handelt es sich nicht mehr um eine Verwaltungsstrukturreform, sondern um eine Kahlschlagpolitik, die insbesondere durch die desolate Finanzsituation der öffentlichen Haushalte bedingt ist.
Dieser drastische Personalabbau auf kommunaler Ebene führt zwangsweise zu einer Einschränkung des Dienstleistungsangebotes, und dies gerade in Zeiten sozialer und wirtschaftlicher Schwierigkeiten, in denen Angebote für sozial Schwache und Ausgegrenzte notwendiger denn je sind. Die Reichen und Wohlhabenden können auf kommunale Angebote verzichten. Für die durchschnittliche Arbeitnehmerfamilie, für die Mehrzahl der Bürgerinnen und Bürger einer Stadt bedeuten Angebote in den Bereichen Kultur, Sport und Freizeit die einzige Möglichkeit der Teilnahme am gesellschaftlichen Gemeinschaftsleben.
Wer hier wie die Bundesregierung mit dem Knüppel „Finanzpolitik" in der Hand einen schlanken Staat fordert und handlungsunfähige Städte und Gemeinden zuläßt, der zieht sich aus der sozialen Verantwortung zurück.
Aber auch das gegenwärtig geltende öffentliche Dienstrecht ist für alle weiteren Modernisierungsüberlegungen ein Klotz am Bein auch der Städte und
Jochen Welt
Gemeinden. Wenn ich mehr Eigeninitiative, mehr Kreativität, mehr Freundlichkeit und mehr Mitdenken will, dann benötige ich hochmotivierte Mitarbeiter. Dafür muß es Anreizsysteme und Zukunftsperspektiven geben. Wie kann ich dem 35jährigen Oberinspektor, der fleißig, engagiert und qualifiziert ist, klarmachen, daß er nicht befördert werden kann, obwohl er alle Voraussetzungen erfüllt, nur weil die Stellenobergrenzenverordnung es nicht hergibt?
Wie soll er unter solchen Voraussetzungen hochmotiviert bleiben, und wie kann er sich unter solchen Voraussetzungen hilfreich in die Umstrukturierung der Verwaltung einbringen?
Sie hatten lange Gelegenheit, auf diesbezügliche Forderungen der kommunalen Spitzenverbände zu reagieren und die Stellenobergrenzenverordnung zu schleifen. Nichts ist geschehen, es herrscht ein unerträgliches Schwarzer-Peter-Spiel zwischen den Ländern und der Bundesregierung.
Deshalb fordern wir, was wir im Antrag der Koalition vermissen: die heutigen Stellenobergrenzen auf der Grundlage gesetzlich vorgeschriebener und exakter als bisher kontrollierter Funktionsbewertungen zu beseitigen.
Im übrigen ist das überkommene Berufsbeamtentum für sämtliche Modernisierungsbemühungen der öffentlichen Verwaltung eher ein Hemmschuh. Bis auf die Ordnungsverwaltung könnten Städte und Gemeinden gänzlich auf das Beamtentum verzichten. Insbesondere die oben genannte Beförderungssystematik für die verbleibenden Beamten behindert derzeit eine effektive Umstellung. Hinzu kommen die anderen Strukturelemente, die wir in unserem Antrag gefordert haben und die eine Hilfe für die Gemeinden wären, so beispielsweise Leistungsanreize, Prämien ohne großen bürokratischen Zauber und die Vergabe von Führungspositionen auf Zeit. Wir brauchen - ich sagte das bereits - motivierte Mitarbeiter in der Verwaltung, die auf Dienstposten oder in konkreter Projektarbeit ihre Führungsfähigkeit auf Zeit unter Beweis stellen können. Das fordern übrigens auch der Deutsche Städtetag und die Gemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände. Das ist keine originäre Erfindung der Sozialdemokraten. Aber auch hier weist der Koalitionsentwurf Lücken auf.
Wir brauchen in der Gemeindeverwaltung eine Flexibilisierung der Arbeitszeit einschließlich der Lebensarbeitszeit. Wir brauchen Teilzeitarbeit ohne Sonderkonditionen und Sondervoraussetzungen. Das Beamtenrechtsrahmengesetz muß eine Öffnungsklausel für diese und andere Modelle vorsehen.
Nachdrücklich möchte ich vor der Illusion warnen, eine bloße Änderung der Rechtsgrundlagen für den öffentlichen Dienst könnte von heute auf morgen verkrustete Strukturen in den Gemeindeverwaltungen beseitigen. Es geht schließlich um eine Veränderung von Verhaltensmustern, die sich über Jahrzehnte eingeprägt haben.
Gerade deshalb ist es beklagenswert, daß es die Koalition in ihrer 14jährigen Regierungszeit zugelassen hat, daß der öffentliche Dienst nicht den modernen Erfordernissen angepaßt wurde. Sie alle wissen um die Bedeutung der Verwaltung - nicht nur in den Gemeinden - für die Infrastruktur, die Bautätigkeit, die Wirtschaftsförderung, die Schaffung von Arbeitsplätzen, um die Bedeutung als Standortfaktor im nationalen und internationalen Wettbewerb.
Durch Ihr Nichtstun, meine Damen und Herren von der Koalition, im öffentlichen Dienstrecht, bei der Verwaltungsvereinfachung und -modernisierung hat diese Koalition dem Standort Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern nachhaltig geschadet.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Marschewski?
Aber bitte.
Herr Kollege Welt, Sie haben gesagt, wir täten nichts. Können Sie die Frage beantworten, warum Ihre Fraktion bis heute nicht in der Lage war, einen Gesetzentwurf zur Reform des öffentlichen Dienstrechts vorzulegen?
Sehr verehrter Herr Kollege Marschewski, wir haben in unserem Antrag ein sehr umfassendes Werk an Grundlagen vorgelegt. Ich denke, Sie hätten sich daran orientieren können; dann hätten wir uns untereinander abgestimmt und ein gemeinsames Ergebnis erzielt. Was Sie uns vorlegen, ist halbherzig und bringt uns letztlich in der Sache nicht weiter.
Gestatten Sie eine zweite Frage?
Ja, bitte.
Diese Zusatzfrage ist genauso wie die erste Frage: Warum haben Sie keinen Gesetzentwurf, sondern nur Allgemeinplätze vorgelegt, die Sie in Ihrem Antrag auf ein paar Seiten irgendwie zusammengeschrieben haben? Sie lösen doch damit kein Problem. Warum legen Sie uns kein Gesetz vor? Die Frage hätte ich gerne beantwortet; vorhin haben Sie sie nicht beantwortet, Herr Kollege Welt.
Sehr geehrter Herr Kollege Marschewski, wir haben einen Antrag vorgelegt, der all diese Punkte, die Sie gerade einfordern, umfaßt.
Jochen Welt
Wenn Sie das nicht lesen können, ist das Ihr persönliches Problem und nicht meines.
Ich fasse zusammen: Der vorgelegte Koalitionsentwurf zum öffentlichen Dienstrecht greift zu kurz. Der Reformansatz läuft vor allem für die Gemeinden ins Leere, wenn die notwendigen Spielräume in der kommunalen Selbstverwaltung und Finanzpolitik nicht mehr gewährleistet werden. Modernisierung der öffentlichen Verwaltung muß als Teil der Sicherung unserer internationalen Wettbewerbsfähigkeit verstanden werden. Das verträgt keine Flickschusterei.
Meine Damen und Herren der Koalition, legen Sie endlich ein Modernisierungspaket vor, das seinen Namen verdient und die finanziellen, organisatorischen und dienstrechtlichen Perspektiven aufzeigt und verwirklicht.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Zeitlmann.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist schon erstaunlich - dies an die Adresse der Kollegen aus der SPD: Ich habe Ihren Antrag nun wirklich gelesen -, was Sie sich hier herausnehmen. Ich habe zuerst gemeint, das sei darauf zurückzuführen, daß mit dem Herrn Körper ein Theologe gesprochen hat, der sich halt gerne an den Formulierungen der Zehn Gebote orientiert und dadurch über Allgemeinplätze im Bereich des Dienstrechtes nicht hinauskommt.
Ich habe aber in Ihrem Antrag auch nicht viel mehr als fromme Sprüche gefunden. Da steht zum Beispiel über unser Dienstrecht pikanterweise nur der Satz, die Vorschläge seien unzureichend. Dann folgt viel Allgemeines:
Für die Bewältigung vieler Zukunftsaufgaben .. . sind die alten Strukturen ... nur bedingt tauglich.... Deshalb muß verstärkt auf Selbstorganisation ... gesetzt werden.
- Ja, gut. - Aber dann kommen solche Sätze vor:
Dezentralisierte Verantwortung ... Das bedeutet z. B.: Zwischen der politischen Ebene und den Verwaltungseinheiten wird ein dialogisches Spannungsverhältnis aufgebaut,
- man muß sich das einmal auf der Zunge zergehen lassen -
ein dialogisches Spannungsverhältnis aufgebaut, in dem Ziele fixiert werden, nach denen die Verwaltung anschließend arbeitet („Kontraktmanagement"). Dezentralisierung bedeutet auch, Ergebniskontrolle statt Verfahrens-
kontrolle und die Entwicklung neuer Kontroll-
und Steuerungsinstrumente.
Wer diesen Text liest, der hat das Gefühl, daß hier neue Verwaltungsstrukturen und neue Dienststellen errichtet werden sollen. Anders kann ich es mir beim besten Willen nicht erklären.
Herr Kollege Körper, ich habe mich auch gefragt,
in welchem Staat Sie leben. Sie trugen bei Ihrer Rede doch tatsächlich die Befürchtung vor, daß unser Dienstrecht zu einer Magersucht führt.
Sie haben gesagt, das könne doch nicht sein, daß in einem Staat der Stärkere recht und der Schwächere unrecht hat. Wissen Sie, ich hätte - da hat der Kollege Marschewski mit seiner Frage recht - von einer großen Partei wie der SPD, die in vielen Ländern Regierungsverantwortung hat, schon erwartet, daß sie in der Lage gewesen wäre, auch etwas vorzulegen. Ihre Verantwortlichen haben unendlich viele Interviews gegeben und dabei Vorschläge zur Zwangsteilzeit und zu anderen bekannten Dingen gemacht, daß zum Beispiel das Beamtentum auf einen Kernbereich von einigen wenigen zurückgeführt werden müßte. Ich sage Ihnen aber, was Sie im Grunde wollten. Sie wollen ein bißchen herumstänkern, sich aber natürlich nicht festlegen,
weil man es sich mit der großen Zahl der Beamten nicht verderben will. Man versucht den eleganten Schlenker, zu mosern, aber nie ganz Farbe zu bekennen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich will ein paar Sätze zu dem sagen, was hier wirklich stattfindet. Allgemein wird ein Reformieren unserer Verwaltung gefordert. Dem stimme ich weitgehend zu. Da sind wir auf einem, glaube ich, guten Weg. Aber Sie können, wenn das Thema Dienstrechtsreform zur Diskussion steht, nicht sagen: Ihr müßt das noch mit viel größeren Vorhaben koppeln. Ihr solltet zumindest beim Thema bleiben und euch hier zum Dienstrecht äußern. Da kommt man nicht darum herum, zu den Vorschlägen einer Leistungsprämie und einer Leistungszulage Alternativen vorzulegen. Dies hätte man erwarten können. Die jetzige Lage, daß der Leistungsorientierte die gleiche Chance und die gleiche Bezahlung bekommt wie der weniger Leistungsorientierte, kann auch Sie nicht befriedigen.
Deshalb stehe ich dazu, daß man zur Honorierung einer einmaligen herausragenden Leistung eine Prämie vorsieht, daß es eine Zulage für erheblich, über
Wolfgang Zeitlmann
dem Durchschnitt liegende Leistungen gibt und daß die Dienstaltersstufen in Leistungsstufen umgewandelt werden, so daß es für denjenigen, der besonders leistungswillig ist, Abstufungen gibt.
Ich gebe Ihnen zu, natürlich läuft alles auf eine bessere Beurteilung hinaus. Auch ich habe Fälle erlebt, bei denen die Beurteilung nach meinem Eindruck hervorragend war, und habe mir auch Verwaltungen angesehen, in denen die Courage beim Vorgesetzten bei der Beurteilung nicht vorhanden ist und er ganz offen zugibt: Es ist nicht einfach, dem Mitarbeiter zu sagen, man halte ihn nicht für so leistungsfähig. Dies erfordert ohne Zweifel Führungskraft, und sie ist halt nicht bei allen gegeben. Aber der Ansatz, Leistungsfähigere und Leistungswilligere unterschiedlich zu behandeln, ist trotzdem richtig.
Ich gebe ganz offen zu - das habe ich auch bei der ersten Lesung schon erklärt -, wir hätten als CSU ganz gern eine Öffnungsklausel für die Führungspositionen auf Zeit für die Länder gehabt, weil es draußen auch die Fälle gibt, daß jemand seinen Traumposten erreicht und anschließend alle viere von sich streckt und dann auf dieser Führungsposition sitzenbleibt.
Es ist jetzt Sache der Länder, ob sie eventuell im Wege des Vermittlungsverfahrens eine Öffnungsklausel erreichen. Der Bund muß nicht gezwungen sein, dasselbe zu machen. Aber warum sollten die Länder nicht eine Chance haben? Ich sehe dabei nicht unbedingt die Gefahr, daß gleich eine Fehlentwicklung eintritt. Für sehr wichtig gerade auch im Hinblick auf die Debatte über den Umzug Bonn/Berlin halte ich, daß wir die Versetzung und Abordnung erleichtern und daß es ganz deutliche Erleichterungen im Bereich der Teilzeit gibt.
Aber ich sage dazu: Diese Reform können wir auf gar keinen Fall gegen die Beschäftigten durchführen. Wir müssen in den nächsten Monaten eine breite Diskussion führen, damit die Reform auch von allen Beamten dieses Landes getragen wird und wir zu einer Optimierung der Situation im öffentlichen Bereich kommen. Dies ist Ziel des Gesetzentwurfs, dem wir zustimmen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Herr Kollege Dr. Burkhard Hirsch, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Welt, „leicht beieinander wohnen die Gedanken, doch hart im Raume stoßen sich die Sachen" . Es wäre schon sinnvoll gewesen, wenn eine so große Fraktion wie die SPD uns einen fertigen Gesetzentwurf vorgelegt hätte.
Wir wollen ein modernes Dienstrecht, und zwar in Übereinstimmung, liebe Frau Vollmer, mit den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums nach Art. 33 GG. Das heißt Mobilität, Möglichkeit der Versetzung auch in andere Laufbahnen und zu anderen Dienstherren, das heißt Leistungsanreize für tüchtige Beamte, wie in der gewerblichen Wirtschaft üblich, das heißt größere Durchlässigkeit der Laufbahnen, das heißt grundsätzlich Beförderung auf Probe. Wir schaffen eine fast unbeschränkte Möglichkeit der Teilzeitarbeit ohne Zwang zu Teilzeit. Wir schaffen auch die Möglichkeit einer unbezahlten mehrjährigen Beurlaubung, um den Beamten familiengerechtes Verhalten zu ermöglichen. Und wir kehren bei den Ländern zur Eigenverantwortung in der Gestaltung ihrer Besoldungsstrukturen zurück.
Der Beamte ist kein Relikt eines Obrigkeitsstaates.
Im Gegenteil, dort war er nämlich jedem politischen Zugriff des Dienstherrn ausgesetzt. Der Mechanismus des Obrigkeitsstaates ist es, seine Mitarbeiter zu Knechten zu machen und ihnen selbständige Entscheidungen zu nehmen.
Wir sagen demgegenüber: Wenn wir delegieren, wenn wir deregulieren, wenn wir dezentralisieren wollen, dann setzt das entscheidungsbereite und möglichst unabhängige Mitarbeiter voraus. Sonst würden wir in geradezu drastischer Weise die Möglichkeit politischer Zugriffe in alle Verwaltungsabläufe über personelle Entscheidungen vergrößern. Deswegen sagen wir auch, daß ein Beamter auf Zeit sich nicht anders verhalten wird, als der Politiker auf Zeit es will, der über seine Ernennung oder Rückversetzung zu entscheiden hat.
Dienstrechtsreform ist nur ein Teil des Unternehmens Modernisierung des Staates. In der Kommission „Schlanker Staat", die hier mehrfach erwähnt worden ist, arbeiten wir unter Vorsitz des Kollegen Scholz mit Gewerkschaftlern, Wissenschaftlern, Managementberatern, Politikern aus Bund und Ländern zusammen, um die Grenzen der Wirksamkeit des Staates neu zu vermessen, bürokratische Verhaltensweisen zu verändern, modernes Personalmanagement und Budgetierung der Haushalte einzuführen. Dabei sind wir ziemlich weit gekommen.
Frau Kollegin Vollmer, Ihr Beispiel der Gemeinde Bismark ist sehr schön. Aber wir haben in Nordrhein-Westfalen schon vor 20 Jahren eingeführt, daß der Bürger jeden Antrag fristenwahrend bei seiner Gemeinde einreichen kann.
Die Grünen haben einen Gesetzentwurf mit dem einzigen Ziel vorgelegt, das Beamtenrecht dem einfachen Gesetzgeber nach Belieben zu überlassen. Wie sie es verändern wollen, wird in dem Gesetzentwurf natürlich nicht gesagt. Das ist eine gesetzgeberische Nullnummer, eine Luftbuchung, abgeschrie-
Dr. Burkhard Hirsch
ben von einem Gesetzentwurf aus Schleswig-Holstein,
der im Rechtsausschuß des Bundesrates bis zur Vorlage des Versorgungsberichtes beerdigt worden ist.
Bei diesem Gesetzentwurf geht es nämlich in Wirklichkeit nicht um die Reform des öffentlichen Dienstrechtes und nicht um die Modernisierung von Verwaltungsabläufen, sondern es ist ein Rückfall in die Steinzeit der Dienstrechtsreformbemühungen vergangener Jahre:
altes Denken, beherrscht von Statusfragen, beherrscht von der Vorstellung, die Modernisierung des Staates hänge vom Versorgungsrecht ab, beherrscht von der traditionellen, aber falschen Vorstellung, die Arbeitsleistung des Angestellten sei preiswerter als die des Beamten.
Wir wollen hier und heute über ein konkretes modernes Dienstrecht entscheiden und sagen klar, was und wie wir es haben wollen. Wir wollen Mobilität, Leistungsbereitschaft, politische Unabhängigkeit und Loyalität. Das ist eine hier und heute zutreffende Entscheidung. Wir hätten sehr gerne, daß auch Sie dazu ja oder nein sagen, damit wir wissen, wohin Sie wollen.
Ich erteile das Wort dem Bundesminister des Innern, Manfred Kanther.
Herr Präsident! Verehrte Damen, meine Herren! Dies ist der bedeutendste Ansatz zur Reform des öffentlichen Dienstes in unserem Land seit Jahrzehnten.
Stets zuvor haben sich solche Ansätze an den vielerorts ausgestreckten Beinen verfangen und sind nicht weitergekommen. Meine Dienstrechtsnovelle erreicht heute in letzter Lesung dieses Haus. Das ist ein ganz wesentlicher Fortschritt, den wir in die Modernisierung unseres Landes einbetten müssen, wie es eben Dr. Stadler gesagt hat.
Das ist kein isoliertes „Herumfummeln" an Rechtsvorschriften, sondern gehört zur Modernisierung Deutschlands für die Zukunft, weil ein guter, leistungsfähiger öffentlicher Dienst von unschätzbarer Bedeutung für unser Land ist. Wenn wir andere Länder, in denen es einen solchen nicht gibt, in ihren
Standortbedingungen mit uns vergleichen, dann wissen wir, wieviel zu unserer Standortgunst, die es ja auch gibt, ein funktionierender, leistungsfähiger öffentlicher Dienst beiträgt.
Auf dieser hohen Qualität muß er erhalten und, wo sich Starrheiten zeigen, verbessert und weiter entwickelt werden.
In diesen Tagen, die tatsächlich auch von vielerlei Sparnotwendigkeiten und deshalb auch von Neiddebatten in unserem Volk gezeichnet werden, wehre ich mich dagegen, daß eine allgemeine Neiddebatte gegen den öffentlichen Dienst oder gar noch einmal verschmälert gegen Beamte geführt wird. Das führt nicht weiter, das löst kein Problem.
Wir müssen uns mit dem Innovationsbedarf im öffentlichen Dienst selbstverständlich befassen - das ist ja gerade das Wesen der Vorlage -, mit den Aspekten, die den öffentlichen Dienst im Laufe von Jahrzehnten zu teuer gemacht haben, mit den Aspekten, die ihn effizienter machen können, eben wo Starrheiten eingetreten sind. Das ist das Stichwort „schlanker Staat" . Wir müssen uns damit beschäftigen, wie wir in veränderten Zeiten mit weniger Geld und schlanker werdenden Stellenplänen die Serviceleistung des öffentlichen Dienstes voll aufrechterhalten, und deshalb Fragen an die Arbeitspräsenz im öffentlichen Dienst richten.
Es ist nicht wahr, daß das im Tarifrecht etwa einfach oder leichter wäre als im öffentlichen Dienstrecht, das wir per Gesetz regeln können. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Man muß für Beamtenrecht auch deshalb eintreten - und es gilt ja schließlich nur für ein Drittel aller öffentlichen Bediensteten -, weil auf diese Weise das gesamte öffentliche Dienstrecht auch pionierhaft neu gestaltet werden kann - dort, wo man eine zweite Unterschrift unter Tarifverträge nicht ohne weiteres bekommt. Das ist doch ein ganz wesentlicher Punkt von Beamtenrecht neben allem anderen, was mit den besonderen Treuepflichten des Beamten zu tun hat.
Deshalb ist der Ansatz, den wir wählen und der hier vielfältig dargestellt worden ist - das erspare ich mir jetzt -, von zusätzlichen Leistungselementen in Besoldungsordnung und Beförderung, von Mobilität auch dort, wo der Dienstherr sie fordern muß, und vom Vorgesetztenverhalten auszugehen, so ungeheuer wichtig für die Effizienz des öffentlichen Dienstes, auch für das Klima in den Dienststellen.
Wenn wir uns mit dem Krankenstand im öffentlichen Dienst vertieft beschäftigen müssen, kommt man doch zu erstaunlichen Ergebnissen: daß er nicht zuletzt ganz differenziert nach den einzelnen Ebenen des öffentlichen Dienstes und den einzelnen Verwaltungen eintritt. Das liegt dann nicht an der Aufgabenstellung oder dem Gesundheitszustand der Beteiligten, sondern an gutem oder schlechtem Arbeitsklima, an engagierten guten oder schlechten Vorgesetzten. Wir treten ausdrücklich dafür ein, die Vorgesetzteneigenschaft als einen zu stärkenden Aspekt im öffentlichen Dienstrecht zu erkennen.
Bundesminister Manfred Kanther
Ich muß Sie fragen, verehrte Kollegen von der SPD, die in 14 von 16 Bundesländern Mitverantwortung in Regierungen trägt,
10 von 16 Innenministern stellt - die Finanzminister habe ich gerade eben nicht nachgezählt -: Sie können sich doch beim allerbesten Willen in so einer Debatte nicht freizeichnen mit einem vielseitigen Entschließungsantrag, wenn es um die Modernisierung des öffentlichen Dienstes geht und ich einmal schätze, daß zwei Drittel aller öffentlichen Bediensteten unter dem Patronat eines sozialdemokratischen Dienstherrn stehen.
Das ist doch ein knappes Angebot. Und deshalb, verehrte Kollegen: Das Neinsagen als Opposition kann auch zur Angewohnheit werden; das ist keine gute Angewohnheit.
Deshalb haben sich Ihre Bundesratsmitglieder ja auch anders zu diesem Thema eingestellt und werden sich auch weiterhin anders einstellen. Sie haben die Grundzüge des Reformwerks akzeptiert - gestatten Sie, Herr Präsident, daß ich den Gedanken vor einer Zwischenfrage zu Ende führe -, sie haben eine Vielzahl von Vorschlägen eingebracht, die wir aufgenommen haben.
Verehrte Kollegen von der SPD, Sie sagen nein zu den Vorschlägen der von Ihnen gestellten Dienstrechtsminister, wenn es darum geht, die modifizierte Polizeidiensttauglichkeit anzusprechen, Stellenplanobergrenzen zu öffnen. Herr Kollege, Sie müssen einen anderen Gesetzentwurf vorliegen haben als ich. Wenn Sie das nicht finden, verweise ich Sie auf § 26 des Besoldungsgesetzes.
Wir haben die Aufnahme der kommunalen Wahlbeamten in die Direktionsmöglichkeiten der Länder und viele weitere Vorschriften aufgegriffen, weil der Bund nur 12 Prozent des Personals stellt und natürlich nicht allein die Bundesregierung bzw. die Mehrheit im Bundestag Zielvorstellungen abgeben kann. Der Bund hat vielmehr dafür zu sorgen, daß in Deutschland in Grenzen ein einheitliches, leistungsfähiges und bezahlbares Dienstrecht gilt, mit vielen Variationsmöglichkeiten.
Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Kollege Krüger, bitte.
Herr Minister, würden Sie mir zustimmen, daß wir zum einen nicht nur nein gesagt haben, sondern eine Vielzahl von Vorschlägen auf den Tisch gelegt haben, die im einzelnen diskutiert und bewertet werden,
und daß zum zweiten die konkreten Sachverhalte hinsichtlich der Versorgung auch von dem Versorgungsbericht abhängen? Mich würde einmal interessieren, wann der von Ihnen lange angekündigte Versorgungsbericht endlich auf dem Tisch liegt.
Aber Herr Kollege, was für eine Verkennung der Problematik, die Effizienz des öffentlichen Dienstrechtes an seiner Versorgung festmachen zu wollen!
Herr Kollege, Sie gehen vom Denkansatz her in die Irre. Das Thema, das wir jetzt diskutieren, ist nicht mit dem Thema Versorgung gleichzusetzen.
Im Herbst werde ich Ihnen den Versorgungsbericht vorlegen. Ich hätte es gerne früher getan. Die Arbeit hat sich als außergewöhnlich schwierig erwiesen. Ich habe alle Kollegen, auch die in Ihren Reihen, davon unterrichtet, daß es mir lieber ist, die Herausgabe um einige Monate zu verzögern, um dann umfassend und richtig zu informieren,
als einen volkswirtschaftlichen Sektor, der mit 18 Millionen Menschen an diesem Thema hochinteressiert ist, mit Halbwahrheiten und unrichtigen Sachverhalten zu füttern.
Erst seit gut einem Jahr liegen die Daten der von Ihnen regierten Bundesländer vor,
die ich brauche, um den Versorgungsbericht zu erstellen.
Die Koalition der Innenminister hat ein hohes Interesse an der Vorlage des Versorgungsberichts. Ich sage Ihnen aber: Es ist Methusalem-Denken, zu glauben, daß die Effizienz des öffentlichen Dienstes von der Gestaltung seines Versorgungsrechts abhänge.
Das ist Gott sei Dank nicht der Fall.
Wir haben viele Vorschläge aufgenommen und nur ganz wenige zurückgewiesen. Wir werden an den bewährten Strukturen des öffentlichen Dienstrechts, auch an seiner Vielgestaltigkeit, festhalten. Dazu gehört das Beamtenrecht.
Herr Kollege, Sie haben von mir mit Sicherheit noch nie gehört - das werden Sie auch nie hören -, daß für mich die Grenzen der Modernisierung durch die hergebrachten Grundsätze des Beamtenrechts fixiert sind, ohne Rücksicht darauf, ob sie vernünftig sind. Wenn ich den notwendigen Modernisierungs-
Bundesminister Manfred Kanther
bedarf innerhalb dieser Grenzen und des Art. 33 Abs. 5 nicht erfüllen könnte, würde ich wie auch bei anderen Gelegenheiten vor Sie treten und sagen: Wir müssen die Verfassung ändern. Das aber ist doch gerade nicht der Fall. Der Modernisierungsbedarf ist innerhalb vernünftig verstandener, fortgeschriebener Grenzen zu erfüllen.
Das ist doch gerade die Aufgabe.
Da gibt es Dinge, die wir nicht mitmachen werden. Dazu gehört zum Beispiel die Einführung der Zwangsteilzeit für junge Beamte. Dadurch nämlich kämen wir automatisch in die Lage, daß der junge Beamte, der in den Dienst tritt, von seinem Salär, das ihm der Staat gewährt, seine Familie nicht mehr unterhalten kann,
auf den Nebenjob angewiesen ist und damit die Bindung des Beamten an den Dienstherrn und seine Aufgabe verlorengeht. Das werden wir nicht tun.
Ein zweiter Aspekt des Länderpakets, der von Gewicht ist - es gibt eigentlich nur diese beiden Punkte -, ist der Dienstvorgesetzte auf Zeit. Das konkrete Modell lautete: Er wird zweimal für fünf Jahre berufen. Wenn er dann nichts taugt, weil er auf seinen Meriten eingeschlafen ist, wird die Besoldung abgesenkt und er auf eine andere Stelle gesetzt.
Meine Damen, meine Herren, ich bestreite nicht, daß es in seltenen Fällen nach zehn Jahren einen eingeschlafenen Obervorgesetzten geben kann.
Ich kenne auch einige solcher Fälle. Machen Sie dann aber doch bitte einen vernünftigen Vorschlag, wie man so etwas regeln kann. Dann nehmen Sie sich Mut und fordern eine Sonderpensionierungsvorschrift, oder schaffen Sie politische Beamte in der ausreichenden Zahl - das Institut kennen wir -, die man ohne Begründung ablösen kann, wenn man sie nicht mehr will. Aber setzen Sie doch nicht die Fiktion in die Welt, Sie könnten den Regierungspräsidenten, weil er auf seinen Meriten eingeschlafen ist, anschließend als Abteilungsleiter für Polizeiwesen oder Schulen oder Wasserwirtschaft oder Umweltschutz im Lande verwenden. Über einen solchen Wasserwirtschaftsvorgesetzten lachen doch die Hühner!
Andere Vorschläge, die im Zusammenhang mit Teilzeit am Anfang der Berufsaufnahme diskutiert worden sind, gehen dahin, zum Beispiel Zweidrittelbeamte für fünf Jahre einzuführen und sie dann wählen zu lassen, ob sie Ganzzeitbeamte werden wollen.
Das bedeutet, daß Sie nach fünf Jahren ein Drittel mehr Stellen vorhalten müssen; denn die werden das aus Gründen der Absicherung zunächst alle wählen, selbst wenn sie sich später - Mütter zum Beispiel - beurlauben lassen. Sie werden als Zweidrittelleute anfangen und später Dreidrittelleute werden wollen. Wenn Sie ein solches Stellenaufwuchsprogramm für vertretbar halten, dann müssen Sie das sagen.
Oder Sie können einen anderen Weg gehen: Sie können Zweidrittellehrer als Angestellte einstellen. Wenn Sie in Gottes Namen Lehrer nicht als Beamte wollen - was ich für falsch halte -, warum stellen Sie sie dann in den vielen von Ihnen regierten Ländern nicht als Angestellte ein? Und wenn Sie sie als Zweidrittelangestellte haben wollen, dann stellen Sie sie doch als Zweidrittelangestellte ein! Wenn ich mich umschaue, sehe ich das aber unter sozialdemokratischer Regierung kaum. Die Sache kann also nicht ganz hasenrein sein; sonst würden Sie doch wenigstens in den Ländern, in denen Sie die Mehrheit haben, Ihre eigenen Vorschläge anwenden.
Ich möchte gern, daß wir in dieser Angelegenheit nicht künstliche Gegensätze züchten. Ich möchte gern, daß wir - vermutlich auch noch im Bundesrat, wenn ich Ihre heutige Einlassung recht verstehe - zu vernünftigen Beschlüssen kommen, die der Praxis standhalten. Ich weiß um den Erneuerungsbedarf der öffentlichen Verwaltung weit über das Dienstrecht hinaus. Noch nie war eine Regierung so dabei, an allen Punkten anzupacken, was sich in der Scholz-Kommission widerspiegelt, Stellenpläne schlanker zu machen, Aufgaben abzubauen, das Haushaltsrecht neu zu ordnen, Statistik zu durchforsten und zurückzuführen, Informationstechnologie statt Personal einzusetzen und in der Verwaltung neu einzubringen. Dies alles geschieht jetzt mit Nachdruck.
Ich sage Ihnen beispielsweise - ich werde immer gern konkret -, daß die von mir zusammengeführten Abteilungsleiter aller Ministerien innerhalb eines halben Jahres 45 Statistiken mit einer Ersparnis von 12 Millionen DM Aufwand aus dem Statistikbedarf des Bundes entfernt haben. Ich habe in meinem Verantwortungsbereich eine Wiederbesetzungssperre jenseits aller Haushaltssperren verordnet und damit 572 unbesetzte Stellen erwirtschaftet. Wir haben durch die Einführung von Plafonds und mit Budgetierungsmaßnahmen, probeweise erst mit fünf, jetzt mit mehr Budgets, die wir im neuen Haushalt vorsehen wollen, die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß in der Verwaltung nach der Art von Betrieben neue Erfahrungen im selbständigen Umgang mit Geld gemacht werden können. Wir haben völlig neue Modelle auch im Zusammenhang mit dem Bonn-Berlin-Umzug in der Informationstechnologie aufgelegt. Da gibt es noch viele Massenarbeiten, die wir aus dem öffentlichen Bereich herausnehmen und bei Privaten kostengünstig ansiedeln können. Aber man kann nicht beides haben: den öffentlichen Dienst, wie Sie es jahrelang gefordert haben, als Personalreservoir für die gewerbliche Wirtschaft zu
Bundesminister Manfred Kanther
nutzen und gleichzeitig die Rationalisierung von Massenarbeiten zu betreiben und aus dem öffentlichen Dienst auszulagern. Dann gehen die Scheren nicht mehr zusammen.
Das heißt also: Wir müssen sehr konkret arbeiten, und wir müssen weg von den Phrasen. Nur das Ergebnis rechtfertigt den stimmlichen Aufwand. Das Ergebnis wollen wir als Bundesregierung zusammen mit den sozialdemokratischen Ländern und Kommunen erzielen. Deshalb bitte ich Sie darum, daß Sie Ihren Einfluß einsetzen, daß dieses wichtige Reformvorhaben im Bundesrat einen glatten Durchgang erhält.
Ich danke Ihnen.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Reform des öffentlichen Dienstrechts. Das sind die Drucksachen 13/3994 und 13/5057 Nr. 1. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der SPD-Fraktion auf Drucksache 13/5073. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD-Fraktion bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und PDS abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften auf Drucksache 13/1190. Der Innenausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/5057 Nr. 2, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 13/1190 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD-Fraktion bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und PDS abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des Beamtenrechtsrahmengesetzes, Drucksache 13/1447. Der Innenausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/5057 Nr. 2, auch diesen Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 13/1447 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Gruppe der PDS gegen die Stimmen der SPD bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Damit entfällt nach der Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Abstimmung über den Gesetzentwurf des Bundesrates zur Anrechnung von Dienstzeiten im Angestelltenverhältnis auf die beamtenrechtliche Probezeit, Drucksache 13/4385. Der Innenausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/5057 Nr. 2, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse jetzt über den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 13/4385 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt. Auch damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Verwaltungsreform. Das ist die Drucksache 13/5057 Nr. 3. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/2464 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei Stimmenthaltung der SPD-Fraktion angenommen.
Erste Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Modernisierung der öffentlichen Verwaltung. Das ist die Drucksache 13/5057 Nr. 4 a. Der Ausschuß empfiehlt, den Abschnitt III des Antrags auf Drucksache 13/2206 abzulehnen und die übrigen Punkte einer späteren Beschlußfassung vorzubehalten. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Wir kommen zur ersten Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Nutzung der Reform des Dienstrechts für die Verwaltungsmodernisierung. Das ist die Drucksache 13/5057 Nr. 4 b. Der Ausschuß empfiehlt, den Abschnitt II des Antrags auf Drucksache 13/4076 abzulehnen und die übrigen Punkte einer späteren Beschlußfassung vorzubehalten. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei Stimmenthaltung der SPD angenommen.
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des Gesetzentwurfes der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung des Grundgesetzes auf Drucksache 13/4730 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie damit einverstanden? - Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 6 a bis 6 f auf:
Petitionsdebatte
a) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 48 zu Petitionen
- Drucksache 13/1768 -
b) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 22 zu Petitionen
- Drucksache 13/820 -
c) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 32 zu Petitionen
- Drucksache 13/1326 -
d) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 107 zu Petitionen
- Drucksache 13/3901 -
e) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 115 zu Petitionen
- Drucksache 13/4376 -
f) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 116 zu Petitionen
- Drucksache 13/4377 -
Es liegen zwei Änderungsanträge der SPD und fünf Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zehn Minuten erhalten soll. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Christa Nickels, Bündnis 90/Die Grünen.
Darf ich die Kolleginnen und Kollegen, die an dieser Debatte nicht teilnehmen, darum bitten, das Plenum möglichst schnell und geräuschlos zu verlassen. Frau Kollegin Nickels, warten Sie noch einen Augenblick. - Ich glaube, jetzt ist genügend Ruhe. Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir schicken uns an, in einer Stunde eine Kraut-und-Rüben-Debatte zu halten. Allein das ist meines Erachtens schon geschäftsordnungswidrig.
Wir behandeln hier sechs Petitionen, die inhaltlich nicht das mindeste miteinander zu tun haben. Ich will Ihnen einmal die Themen der Petitionen nennen, bei denen sich die Bürgerinnen und Bürger teilweise mit 80 000 Unterschriften die Mühe gemacht haben, sich an das Parlament zu wenden, die wir in einer Stunde beraten.
Erstens handelt es sich um eine Petition gegen die Diskriminierung von Schwulen und Lesben.
Zweitens handelt es sich um Petitionen, die sich mit der Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe befassen.
Drittens handelt es sich um Petitionen, die das Begehren haben, das Projekt „Jäger 2000" zu stoppen. Dazu haben 50 Organisationen aus Kirchen, Wohlfahrtsverbänden und Friedensgruppen insgesamt 80 000 Unterschriften von Bürgerinnen und Bürgern über lange Zeit gesammelt, draußen viele Debatten geführt und an uns überwiesen mit der Erwartung, daß der Petitionsausschuß das Ganze so aufbereitet, daß es im Parlament ordentlich und sachgerecht zur Kenntnis gebracht und debattiert wird.
Weiter haben wir Petitionen vorliegen, die sich mit den Ausbaumaßnahmen an Elbe, Saale und Havel befassen, in denen sich Bürgerinnen und Bürger aus den fünf neuen Bundesländern, die weiß Gott sehr mit der neuen Situation beschäftigt sind, um den Umweltschutz große Gedanken machen und sich hiermit intensiv befaßt haben. Auch das beraten wir in dieser einen Stunde.
Wir beraten außerdem einen tragischen Einzelfall eines Mannes, der an einer schweren krebsähnlichen Asbestose erkrankt ist und der zu Recht erwartet, daß mit seinem Anliegen ernsthaft umgegangen wird.
Diese grundverschiedenen Anliegen, bei denen man als normaler Mensch mit gesundem Menschenverstand sagen muß, daß sie nichts miteinander zu tun haben, müssen wir heute in einer verbundenen Debatte innerhalb von 60 Minuten abhandeln. Eine verbundene Debatte bedeutet nach der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, daß man inhaltsähnliche, sachgleiche Papiere und Anträge in einer gemeinsamen Aussprache miteinander beraten kann. Davon kann hierbei überhaupt keine Rede sein. Ich finde dieses Verfahren absolut unwürdig und überhaupt nicht in Übereinstimmung zu bringen mit dem hohen Rang, den das Petitionsrecht hat, und mit der Mühe, die sich die Bürgerinnen und Bürger
Christa Nickels
gemacht haben, um sich an das Parlament zu wenden.
Ich möchte ganz klar sagen: Die Arbeit des Petitionsausschusses und die Petitionen der Bürgerinnen und Bürger - es waren im letzten Jahr 9 Prozent mehr als im vorletzten Jahr, über 21 000 - sind von diesem Parlament nicht wie ein Gemischtwarenladen zu behandeln, wo man nach eigenem Gusto die Rolladen raufmacht, einmal durchmarschiert, wieder rausmarschiert, die Rolladen runtermacht nach dem Motto: Schluß und vorbei, unserer Pflicht ist Genüge getan.
Wie konnte es dazu kommen? Das ist ein einmaliger Vorgang. Der erste Grund dafür liegt darin, daß von seiten des Parlamentarischen Geschäftsführers der CDU/CSU-Fraktion seit dem letzten Jahr hartnäckig die geschäftsordnungswidrige Meinung vertreten wird, daß die Fraktionen ihre Änderungsanträge zu strittigen Petitionen aus ihrem eigenen Redezeitkontingent im Deutschen Bundestag beraten müssen. Das ist natürlich absurd und völlig geschäftsordnungswidrig. Das Petitionsrecht verlangt - ich zitiere § 112 Abs. 2 der Geschäftsordnung -, daß die Berichte des Petitionsausschusses gedruckt, verteilt und innerhalb von drei Sitzungswochen nach der Verteilung auf die Tagesordnung gesetzt, beraten und beschlossen werden müssen. Hier wird also da, wo es einem nicht paßt, nach Gutsherrenmanier von der Geschäftsordnung abgewichen. Ich finde das unerträglich und nicht hinnehmbar.
Das hat dazu geführt, daß diese Petitionen geschoben und geschoben worden sind und wir geschäftsordnungswidrig nicht imstande waren, den Leuten einen Bescheid zu schicken. Wir haben sie im Petitionsausschuß über alle Fraktionsgrenzen hinweg gründlich beraten. Die Berichterstatter aller Fraktionen haben sich sehr große Mühe gemacht, auch bei verschiedener Auffassung. Wir können aber die Bescheide erst dann abschicken, wenn der Bundestag insgesamt beschlossen hat, was bisher verhindert worden ist.
Wir haben als Petitionsausschuß keine Konfrontationslinie gesucht, sondern wir waren uns mit allen Obleuten einig, daß wir das Problem hier noch einmal darlegen, weil man es vielleicht nicht richtig gesehen hat, und haben es an Frau Präsidentin Süssmuth mit der Bitte übermittelt, dafür Sorge zu tragen, daß das Ganze auf die Tagesordnung gesetzt wird. Das hat zu einer lebhaften Debatte im Ältestenrat geführt, in der aber der Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion nicht bereit war, von seiner Meinung abzugehen. Das alles wurde ausgesetzt.
Wir haben versucht, einen Weg in Güte zu finden, und haben, auch sehr vom Parlamentspräsidium unterstützt, versucht, eine Erweiterte öffentliche Ausschußsitzung dazu zu machen. Bekanntlich ermöglicht uns die Parlamentsreform - diese kleinere Reform, dieses Reförmchen vom letzten Jahr -, das Plenum zu entlasten und gleichzeitig in einer Art Ersatzplenardebatte die Aufmerksamkeit der betroffenen Menschen und auch der Fachöffentlichkeit noch einmal gebündelt zum Tragen zu bringen.
Wir haben das seit einem halben Jahr mit viel Mühe in einer gründlichen Debatte im Petitionsausschuß diskutiert und viele Ungereimtheiten, die bei der Reform im Verfahren nicht bedacht worden sind, selber ausgeräumt, weil die Petitionen ja ein Sonderfall im Deutschen Bundestag sind. Wir haben nach Voranfrage bei der Verwaltung schon zeitig nach der Osterpause einen einzigen Termin angeboten bekommen, und zwar den 26. Juni nachmittags. Diesen brauchten wir zu diesen uns heute zur Beratung vorliegenden Petitionen dringend, weil wir sonst Probleme bekommen hätten. Sobald einer dieser Petenten gegen uns klagen würde, weil wir ihm seit Monaten keinen Bescheid schicken, würde er wahrscheinlich recht bekommen.
Wir mußten also diese Petitionen beraten. Es waren im Januar 1996 bereits 14, die weit über der Frist lagen. Im März lagen einige schon über ein Jahr vor. Wir haben gesagt: Gut, das machen wir dann. Wir drängen von uns aus nicht. Am 26. findet diese Erweiterte öffentliche Ausschußsitzung statt. - Es war also alles in trockenen Tüchern.
Woran ist es gescheitert? An zwei fehlenden Stenographen. Das wurde uns so übermittelt.
Herr Kollege Reuter, Obmann der SPD, würde sagen: „Da lacht die Koralle" , wobei ihm das Lachen im Halse steckenbleibt.
So hat man sich darauf verständigt - damit die zuständige Stelle im Parlament nicht vielleicht im Laufe der Sommerpause die Klage eines empörten und geschäftsordnungskundigen Petenten bekommt -, diese Debatte heute zu führen.
Ich möchte Ihnen sagen, meine Damen und Herren Geschäftsführer: Ich danke Ihnen nicht dafür, daß man uns jetzt hier mit einer besseren Redezeit bedacht hat. Ich gehe davon aus, daß das der letzte Fall dieser Art war, der letzte Fall einer Kraut-und-Rüben-Debatte, der letzte Fall, wo eine Erweiterte öffentliche Ausschußsitzung mit dem Argument, zwei Stenographen fehlten, verhindert worden ist. Das vertragen auch die Abgeordneten nicht, die bei uns zusätzlich diese Arbeit machen. Im letzten Jahr hatten wir über 4 000 Berichterstattungen.
Das heißt, alle Kollegen im Petitionsausschuß machen unheimlich viel zusätzlich zu dem, was jeder normale Abgeordnete in anderen Ausschüssen tut. Wir sind, wenn wir lange planen und das gründlich besprechen, auf eine verläßliche Planung angewiesen, wann und wie unsere Debatten hier stattzufinden haben. Ich hoffe, das war das letztemal so problematisch.
Christa Nickels
Da meine Redezeit sehr knapp ist, möchte ich auch davon Abstand nehmen, in einem Hürdenlauf sozusagen den Bauchladen der grünen Änderungsanträge zu sechs ernstzunehmenden Petitionen auszubreiten. Die Interessierten können diese Änderungsanträge lesen und unsere Meinung erfahren, wie wir das Anliegen der Petenten gerne unterstützen wollen. Man kann das auch gerne verschicken.
Ich schließe meine Ausführungen mit der Hoffnung, daß die Debatten demnächst anders stattfinden.
Danke schön.
Das Wort hat der Kollege Frederick Schulze, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Nickels, Sie haben sehr engagiert gesprochen. Ich freue mich über Ihr Engagement. Mehr hätte ich mich natürlich gefreut, wenn Sie zur Sache gesprochen hätten.
Unsere Geschäftsführer sind sehr wohl offen für Petitionen.
Man muß an dieser Stelle festhalten, daß diese Petitionen entschieden sind. Nur auf Grund der Änderungsanträge, die Sie eingebracht haben, befassen wir uns überhaupt noch mit diesem Thema.
Ich komme zum Thema. Eine Petition, die Sie angesprochen haben - sie wird durch 80 000 Unterschriften unterstützt -, wendet sich gegen die Entwicklung und Anschaffung des europäischen Jagdflugzeuges „Eurofighter 2000" für die Bundeswehr. Hierzu gibt es klare Entscheidungen des Fachausschusses. Man muß die Notwendigkeit einer Beschaffung erkennen. Die zur Zeit geflogenen Maschinen sind, wenn neue beschafft werden, etwa 40 Jahre alt und können durchaus zu einem Sicherheitsrisiko werden.
Wir werden auch die technische Weiterentwicklung nicht aufhalten wollen. Ich meine - auf diese Fragen wird gleich noch der ehrenwerte Kollege Nolting fachlich eingehen -, wir sollten bei dem bleiben, was im Fachausschuß eindeutig entschieden wurde. In diesem Zusammenhang möchte ich ausdrücklich betonen, daß ich die Position des Bundesministers Rühe - auch während der derzeitigen Diskussion über den Haushalt - unterstütze.
Ich komme zur Sammelübersicht 48. Einem Petenten geht es darum, daß § 81 des Soldatenversorgungsgesetzes so geändert wird, daß eine Wehrdienstbeschädigung auch dann anerkannt wird, wenn noch keine Gesundheitsstörung vorliegt. Das
muß man sich auf der Zunge zergehen lassen. Als Angehöriger der Marine hatte der Petent 25 Jahre seinen Dienst verrichtet und ist auch auf asbestbelasteten Schiffen eingesetzt gewesen. Wir haben im Petitionsausschuß auch dieses Petitionsverfahren mehrheitlich abgeschlossen.
Ich möchte ganz kurz auf die Begründung eingehen. Ich habe durchaus Sympathie für das Petitum. Aber wir müssen auch erkennen, daß die Fürsorgepflicht des Dienstherrn in keiner Weise verletzt worden ist, da diese Schiffe seinerzeit nach dem modernsten Stand der Technik gebaut wurden und Gesundheitsrisiken nicht bekannt waren.
Der Petent hatte eine Klage vor dem Sozialgericht Schleswig eingereicht. Diese ist abgewiesen worden. Das Verfahren ist formal korrekt verlaufen und erlaubt keinen korrigierenden Eingriff durch den Ausschuß.
: So ist es!)
Der Petent fordert, daß er im Falle eines noch nicht stattgefundenen Schadens - das möchte ich unterstreichen - die Kosten für den Risikozuschlag seiner Krankenkasse und für notwendige Vorsorgeuntersuchungen nach dem Soldatenversorgungsgesetz von seinem Arbeitgeber erstattet bekommt.
Die Gesetzeslage ist eindeutig; genau das hat der Petitionsausschuß zu prüfen.
- Lieber Herr Kollege Reuter, ich weiß doch, daß Sie nachher darauf eingehen. Deshalb können Sie sich Ihre Bemerkung jetzt sparen.
Alle Vorschriften, die versorgungsrechtliche Tatbestände beinhalten, setzen voraus, daß ein einen konkreten Körperschaden verursachendes Ereignis bereits stattgefunden haben muß. Das ist in diesem Fall nicht gegeben.
Ich weise noch einmal darauf hin, daß der Dienstherr seine Fürsorgepflicht nicht verletzt hat und daß das Urteil des Sozialgerichtes in Schleswig nicht anzuzweifeln ist.
Ich plädiere dafür, daß wir beide Verfahren endgültig abschließen. Ich sehe keinen Anlaß, das Gesetz zu ändern - auch wenn wir gleich etwas anderes suggeriert bekommen sollten.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Kollege Bernd Reuter, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann Frau Nickels nur bei-
Bernd Reuter
pflichten, daß es nicht möglich ist, in einer so kurzen Debatte wie dieser eine Vielzahl höchst unterschiedlicher Petitionen sachgerecht zu behandeln. Doch das sind wir den Bürgerinnen und Bürgern, die sich vertrauensvoll an uns gewandt haben, schuldig. Sie haben sich auf ihre Weise für unser Land und unsere Demokratie engagiert. Das dürfen wir nicht ignorieren.
Wir müssen diesem Engagement vielmehr die gebührende Aufmerksamkeit schenken. Es ist unsere Pflicht als Abgeordnete, hochgeschätzter Kollege Frederick Schulze, unsere Ohren aufzusperren, zuzuhören und gemeinsam zu versuchen, die Probleme der Menschen zu lösen.
Lassen Sie mich auf drei Änderungsanträge eingehen. Bündnis 90/Die Grünen haben zur Petition auf Sammelübersicht 32 einen Änderungsantrag eingebracht, den wir in der vorliegenden Form nicht unterstützen können. Es ist wohl unbestritten, daß wir in der heutigen Zeit über Sinn, Zweck und Auswirkung des Strafvollzugs in unserem Lande nachdenken müssen. Aber eine Abschaffung der lebenslangen Haft halten wir nicht für sinnvoll, da nach 15 Jahren Haft eine Entlassung der Inhaftierten bei positiver Prognose sowieso geprüft werden muß. Diesen Weg hat uns das Bundesverfassungsgericht vorgegeben.
Eine Verbesserung der Haftbedingungen von Menschen, die eine lebenslange Haftstrafe verbüßen, sollte jedoch nicht aus den Augen verloren werden. Was bringt es einem Inhaftierten, wenn er nur 15 Jahre Haft bekommt, aber danach wegen einer negativen Beurteilung der Entwicklung seiner Persönlichkeit in Sicherungsverwahrung genommen wird? Wir können deshalb diesen Änderungsantrag nicht mittragen.
Dem Änderungsantrag des Bündnisses 90/Die Grünen zur Petition auf Sammelübersicht 107 stimmen wir dagegen uneingeschränkt zu. Es handelt sich hierbei um eine Massenpetition, die die Entwicklung und Anschaffung des Eurofighters 2000 zu verhindern sucht. Abgesehen davon, daß unsere Fraktion der Entwicklung dieses Flugzeuges sowieso ablehnend gegenübersteht, halten wir es für angebracht, die Petition, die von 80 000 Bürgerinnen und Bürgern unterschrieben wurde, der Bundesregierung zur Kenntnis zu bringen.
Ich bin nicht der Meinung des Kollegen Schulze, daß es richtig ist, wie der Fachausschuß entschieden hat.
Ich bin vielmehr der Meinung, daß die Politik flexibel
auf Entwicklungen in der Bevölkerung reagieren
muß. Wo haben Sie eigentlich noch den Feind, den Sie mit Ihren Fightern bekämpfen wollen?
- Für jede Aussage wird sich eine Belegstelle finden lassen, Herr Kollege Nolting.
Herr Kollege Reuter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schulze?
Ich gestatte dem Kollegen eine Zwischenfrage.
Herr Kollege, Sie geben doch zu, daß wir bereits im Petitionsausschuß und nicht nur im Fachausschuß diese Petition behandelt und entschieden haben. Ich gehe davon aus, daß der Fachausschuß, in dem die Mitglieder Ihrer Fraktion ebenfalls zugestimmt haben, mit hoher Sachkompetenz ausgestattet ist.
Lieber Kollege Frederick Schulze, ich bin davon überzeugt, daß der Fachausschuß mit großem Sachverstand ausgestattet ist, zumal ich weiß, daß Sie darin sitzen.
Es ist nach § 112 der Geschäftsordnung doch unser Recht, über diesen Gegenstand eine Debatte zu führen, wenn wir im Fachausschuß unterliegen. Von diesem Recht machen wir Gebrauch. Daß Sie heute Ihre Haltung ändern werden, habe ich nicht erwartet.
- Gut.
Auch auf die Gefahr hin, daß ich mich wiederhole, stelle ich fest: Wenn wir einerseits den Vertrauensverlust bei den Menschen gegenüber der Politik und dem Parlament beklagen, müssen wir doch andererseits Maßnahmen ergreifen, Vertrauen wiederherzustellen. Das erreichen wir am besten mit der angemessenen Behandlung von Petitionen.
Ich komme nun zu einer Petition, die mir sehr am Herzen liegt und die auch der Kollege Schulze angesprochen hat. In dieser Petition aus dem Jahre 1994 führt ein Petent Klage, der als Bundeswehrsoldat 25 Jahre Dienst auf Schiffen geleistet hat. Wegen des Lungenkrebsrisikos wurde ärztlicherseits eine Vorsorgeuntersuchung durchgeführt, bei der eine Asbestose festgestellt wurde. Weil es sich um Schiffe handelte, die asbestverseucht waren, ist ein Kausalzusammenhang gegeben. Der Petent wollte daraufhin seine Wehrdienstbeschädigung feststellen lassen. Das wurde abgelehnt. Daß seine Klage gegen die Ablehnung erfolglos blieb, hängt damit zusammen, daß der entsprechende § 81 des Soldatenversorgungsgesetzes nicht zieht.
Bernd Reuter
Also wendet er sich mit der Bitte an den Petitionsausschuß, dafür Sorge zu tragen, daß wir eine Änderung dieses Paragraphen anstoßen. Ich möchte dem Menschen helfen. Ich möchte mitwirken, daß hier eine Wehrdienstbeschädigung anerkannt werden kann.
Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wundern uns manchmal sehr, wie die Mehrheit dieses Hauses mit solchen Fällen umgeht. Das Gesetz und die Bürokratie vertreten hier den Grundsatz: Aus den Augen, aus dem Sinn. Das werden wir so nicht hinnehmen.
Der Mann ist gesundheitlich gefährdet. Er lebt mit dem Risiko: Er kann jeden Moment an Krebs erkranken. Er hat die Asbestose in seinem Körper. Sie kam nur noch nicht zum Ausbruch. Es genügt nicht, sich in Sonntagsreden für den Ehrenschutz von Soldaten einzusetzen und sich in der praktischen Politik kaltherzig über die Probleme dieser Soldaten hinwegzusetzen.
Meine Damen und Herren, wir tragen eine Fürsorgepflicht auch für Soldaten, die bereits aus dem aktiven Dienst ausgeschieden sind. Unser Handeln muß sich daher an den wirklichen Sorgen dieser Menschen orientieren. Deshalb plädiert die Bundestagsfraktion der SPD dafür, diese Petition der Bundesregierung zur Erwägung zu überweisen. Denn wir sind der Auffassung, daß hier dringender Handlungsbedarf besteht.
Ich hätte mich gefreut, wenn Sie, Herr Kollege Schulze, als ehemaliger Berufssoldat einmal über Ihren Schatten gesprungen wären und sich an unsere Seite gestellt hätten, um diesem Menschen, der in Not ist, wirklich zu helfen.
Es kann doch nicht wahr sein, daß er jetzt in die Krankenkasse einen erhöhten Beitrag, einen Risikozuschlag zahlen muß, weil er diese Asbestose hat, und Sie sagen: Das hat mit dem Dienstherrn nichts zu tun. - Dieser Auffassung kann ich mich nicht anschließen.
Meine Damen und Herren, die Arbeit im Petitionsausschuß ist in der Regel von vertrauensvoller Zusammenarbeit aller Fraktionen und Gruppen dieses Hauses geprägt.
Das ist gut so. Es geht bei den meisten Petitionen um das Schicksal einzelner Bürgerinnen und Bürger. Es kommt aber auch vor, daß Petitionen auf Probleme hinweisen, die grundsätzlicher Natur sind und die in der politischen Auseinandersetzung gelöst werden müssen.
Unser Land und unsere Gesellschaft verändern sich rasant. Die Petitionen sind dafür ein gutes Barometer. Wir sollten die Chance nutzen, die Anregungen der Petenten aufzunehmen und in unsere Alltagsarbeit als Politiker einzubeziehen. Ich bitte Sie darum sehr herzlich, den Änderungsanträgen zu den Petitionen auf den Sammelübersichten 48 und 107 zuzustimmen, damit die darin angesprochenen Anregungen und Probleme nicht in der Versenkung verschwinden, sondern auf der Tagesordnung bleiben.
Meine Damen und Herren, zum Schluß noch eine Anmerkung zu dem merkwürdigen Verfahren. Wenn wir uns selbst ein Regelwerk geben, nämlich eine Geschäftsordnung, dann können wir auch erwarten und verlangen, daß unsere Parlamentarischen Geschäftsführer und alle, die dafür Verantwortung tragen, wie die Tagesordnung zusammengesetzt wird, nach diesem Regelwerk verfahren. Wenn die Menschen unseres Landes, die Bürgerinnen und Bürger, erfahren, daß wir ihre Sorgen insofern nicht ernst nehmen, als es dem einen oder anderen nicht paßt, daß kritische Themen hier erörtert werden, dann warte ich schon heute mit Freude darauf, daß irgendeine Petentin oder irgendein Petent auf die Idee kommt, die Parlamentarischen Geschäftsführer abzulösen.
Schönen Dank.
Das Wort hat der Kollege Nolting, F.D.P.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Reuter, ich will gleich mit dem Thema beginnen, das Sie angesprochen haben, nämlich dem Soldatenversorgungsgesetz. Es ist richtig: Dieser Petent war in den Streitkräften einer erhöhten Asbestbelastung ausgesetzt. Da hier zwar ein Risiko vorliegt, auf das Sie zu Recht hingewiesen haben, eine Erkrankung aber nicht eingetreten ist, wurde ein vom Petenten gestellter Antrag auf Anerkennung einer Wehrdienstbeschädigung abgelehnt. Der geschätzte Kollege Schulze hat schon darauf hingewiesen: Diese ablehnende Entscheidung wurde durch ein sozialgerichtliches Urteil bestätigt. Ich denke, auch dies, Herr Kollege Reuter, haben wir hier zur Kenntnis zu nehmen. Um in seinem Fall zu einer für ihn günstigeren Lösung zu kommen, begehrte der Petent, daß der betreffende § 81 des Soldatenversorgungsgesetzes dahin gehend geändert werde, daß eine sogenannte ruhende Wehrdienstbeschädigung ohne Entschädigungspflicht auch dann besteht, wenn noch gar keine Gesundheitsstörung vorliegt.
Herr Kollege Nolting, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Nickels?
Ja, bitte.
Herr Kollege Nolting, Sie haben ja die Akte sehr gründlich studiert. Würden Sie mir bestätigen, daß hier hinsichtlich des Krankheitsbildes ein Sonderfall vorliegt? Würden Sie mir bestätigen, daß erstens im Lungenröntgenbild zweifelsfrei eine Asbestose erkennbar ist und daß zweitens diese Asbestose, die oft als Präkanzerose angesehen wird, nach allen Regeln der ärztlichen Kunst sehr oft zu dem Ausbruch einer Krebserkrankung führt? Sind auch Sie der Meinung, daß dafür engmaschige Untersuchungen notwendig sind und der Patient als stark gefährdet angesehen werden muß?
Frau Kollegin, wir haben uns im Ausschuß sehr lange mit dieser Petition beschäftigt. Ich denke, Sie stimmen mit mir darin überein, daß die Krankheit noch nicht ausgebrochen ist und daß dieser Petent regelmäßig zur Vorsorgeuntersuchung gehen muß.
Wenn wir das gesetzlich regeln wollten, müßten wir dies nur auf Grund einer Vermutung tun, also ohne daß eine Schädigung und ohne daß eine erwiesene Gesundheitsstörung vorliegt. Wenn wir eine Regelung nur auf Grund einer Vermutung - ich will das ausdrücklich so bezeichnen - vornehmen, ist das weder im Sinne des Soldatenversorgungsgesetzes noch irgendeines anderen Versorgungsgesetzes.
Ich will auch darauf hinweisen, daß es auch bei den Berufsgenossenschaften keine vergleichbaren Leistungsvorschriften gibt. Diese Thematik haben wir im Ausschuß intensiv behandelt. - Damit ist Ihre Frage aus meiner Sicht beantwortet.
Ich weiß, daß Sie eine andere Sichtweise dazu haben.
Meine Damen und Herren, die Frau Vorsitzende hat, genauso wie der Kollege Reuter darauf hingewiesen, daß wir heute eine Vielzahl von Themen zu behandeln haben. Auch ich werde das später noch würdigen. Ich will noch einmal - der Kollege Schulze hat es angedeutet - auf das Thema Eurofighter eingehen. Ich könnte es mir einfach machen und auf die Redebeiträge meiner Kollegen aus der F.D.P.-Fraktion und auf Redebeiträge, die ich selbst zu dieser Thematik gebracht habe, verweisen. Ich will aber einige wenige Punkte zu diesem Thema noch einmal ansprechen.
Bei einer Vielzahl der hier behandelten Petitionen geht es nicht nur darum, die Beschaffung des Eurofighters zu verhindern. Es wird vielmehr versucht, die Beschaffung eines neuen Flugzeuges für die Bundesluftwaffe insgesamt zu verhindern.
Wir sagen: Ohne eine moderne Ausstattung ist die Luftwaffe nicht mehr einsatzbereit. Sie macht keinen Sinn mehr und müßte abgeschafft werden. Ohne Luftstreitkräfte macht aber auch die Bundeswehr keinen Sinn mehr und müßte ebenfalls abgeschafft werden. So wünscht eben auch eine Mehrzahl der pazifistisch gesonnenen Petenten, daß letztendlich die Bundeswehr abgeschafft wird.
Dies entspricht aber keineswegs den Vorstellungen der Mehrheit der Bundesbürger, und es entspricht auch nicht dem Wunsch der Mehrheit der hier anwesenden Bundestagsabgeordneten. Mit der Mehrheit unserer Bürger wollen wir Streitkräfte als Risikovorsorge zur Sicherheit Deutschlands und Europas unterhalten. Ich verweise hier auf jüngste Umfragen, wonach das Vertrauen der Bürger in die Bundeswehr sehr groß ist; es liegt im Vergleich zu anderen Institutionen mit an der Spitze. Wir brauchen also angemessen modern ausgerüstete Luftstreitkräfte und somit auch Ersatz für die derzeit vorhandenen völlig überalteten Jagdflugzeuge.
Herr Kollege Reuter, ich will zum Schluß - ich habe das vorhin schon in einem Zwischenruf zum Ausdruck gebracht - auf einen Artikel verweisen, den der frühere SPD-Kollege Horst Niggemeier, damals Mitglied des Verteidigungsausschusses, unlängst unter die Überschrift stellte: „Müssen Piloten erst vom Himmel fallen?" Er beschäftigt sich in diesem Artikel mit der Parteiratssitzung der SPD Mitte Dezember. Dort ist der Beschluß gefaßt worden - ich darf zitieren -, „die Beschaffung eines neuen Jagdflugzeuges eindeutig abzulehnen" .
Der Kollege Niggemeier, SPD, verweist auf die - ich zitiere - „nicht als Verteidigungsexpertin" ausgewiesene stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Ingrid Matthäus-Maier, die diesen Beschluß begrüßt hat, genau wie der Bundesvorsitzende der SPD, Lafontaine, der diesen Beschluß ebenfalls begrüßt hat. Aber der ehemalige SPD-Kollege Horst Niggemeier verweist darauf, daß sich der niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder nicht durchgesetzt habe und sich deutlich für die Beschaffung eines neuen Jagdflugzeuges ausgesprochen habe.
Die Frage des Kollegen Niggemeier möchte ich hier gerne wiederholen - ich zitiere -, wie es die SPD mit ihrer Verantwortung gegenüber den Soldaten hält. Auch nach SPD-Meinung hat die Bundeswehr im Rahmen des NATO-Bündnisses einen unverzichtbaren militärischen Auftrag zu erfüllen. Die Soldaten dafür entsprechend auszurüsten gehört zur Fürsorgepflicht der Politik.
Ich kann nur unterstützen, was der Kollege Niggemeier in dem Artikel vorgetragen hat. Die Koalition wird ihre Verantwortung für unsere Soldaten wahrnehmen. Daher wünschen wir uns eben auch ein Umdenken bei der Opposition, hier speziell bei der SPD. Es wäre schön, wenn wir hier gemeinsam zu Lösungsvorschlägen kommen könnten.
Herr Kollege Nolting, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Reuter?
Beim geschätzten Kollegen Reuter selbstverständlich immer.
Lieber Kollege Nolting, Sie haben hier die Fürsorgepflicht angesprochen und darauf hingewiesen, daß wir wegen der Fürsorgepflicht für die Soldaten neue Flieger brauchen.
Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß wir dann, wenn ein Soldat durch einen Einsatz zu Schaden kommt, eine noch größere Fürsorgepflicht haben, wie bei dem Soldaten mit der Asbestose, der auf den Schiffen gefahren ist?
Richtig, wir haben eine Fürsorgepflicht gegenüber den Soldaten; da stimmen wir absolut überein. Nur muß diese Fürsorgepflicht auch gerechtfertigt sein. Ich habe vorhin zum Ausdruck gebracht, daß wir als Koalition eine andere Sichtweise dazu haben.
- Nein, das ist überhaupt kein gespaltenes Bewußtsein. Sie können sich das nicht gerade so zurechtlegen, wie Sie es gerne möchten. Ich weiß ja, daß Sie die Ausführungen des ehemaligen SPD-Kollegen Niggemeier stören. Das ginge mir genauso. Aber Sie müssen uns gestatten, daß wir in dieser Debatte, wo es um eine Vielzahl von Petitionen und um Petenten geht, einmal unterschiedliche Sichtweisen aufzeigen, um vielleicht auch die Petenten davon zu überzeugen, daß ihre ursprüngliche Sichtweise nicht ganz richtig war. Ich denke, auch das ist die Aufgabe, die wir heute hier mit zu bewältigen haben.
Herr Kollege Nolting, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Dem Kollegen Reichardt selbstverständlich auch.
Kollege Nolting, nachdem Sie die Stimmenvielfalt der SPD in der Frage Eurofighter zutreffend zusammengefaßt haben, würden Sie mit mir in der Einschätzung übereinstimmen, daß die SPD in der Frage der Jagdflugzeuge handlungsunfähig in die Sommerpause geht?
Herr Kollege, die Frage will ich ganz kurz beantworten. Wie die Sommerpause aussehen wird, werden wir im September wissen. Ich kann nur hoffen, daß sich unsere Fraktionen an diesem Sommertheater nicht beteiligen werden.
Aber Sie haben recht, auch in dieser Frage ist die SPD gespalten, auch in dieser Frage ist allein in der Fraktion der SPD kein Konsens. Ich bedaure das.
Herr Kollege Reichardt, ich will das ausdrücklich bedauern. Ich bin in die Politik gegangen und habe mich für Politik interessiert in einer Zeit, als es eine Große Koalition gab. Ich wünschte mir damals eine starke Opposition. Deshalb bin ich zur F.D.P. gegangen,
um die F.D.P., die damals in der Opposition war, mit zu unterstützen. Ich würde mir auch heute eine starke Opposition wünschen.
Ich möchte noch einen letzten Punkt ansprechen, nämlich die Petition zum Thema Wasserstraßenplanung und -bau. Wir haben die Petition der Bundesregierung als Material überwiesen mit dem Ziel, bei den geplanten Maßnahmen zum Ausbau von Elbe, Saale und Havel im besonderen Maße auf den Schutz der natürlichen Landschaft und auf den Hochwasserschutz Rücksicht zu nehmen.
Es gibt eine Berichtspflicht durch die Bundesregierung. Darauf haben wir Wert gelegt. Es muß auch darauf hingewiesen werden, daß es durch die vorgesehenen Ausbaumaßnahmen künftig möglich sein wird, mehr Güterverkehr auf dem Wasserwege durchzuführen. Die Binnenschiffahrt - darauf will ich ausdrücklich hinweisen - ist das kostengünstigste und umweltfreundlichste Verkehrsmittel.
Wir stimmen überein, daß jede einzelne Baumaßnahme vor Baubeginn auf ihre Vereinbarkeit mit dem Naturschutz geprüft werden sollte. Ich denke, das geschieht auch. Den Anliegen und den Sorgen der Petenten wird Rechnung getragen, und sie werden in die Planungen einbezogen. Wir lehnen es aber ab, auf die geplanten Wasserbaumaßnahmen vorerst zu verzichten.
Gestatten jetzt Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Altmann?
Herr Präsident, ich gestatte es.
Herr Nolting, zu meinem Schrecken haben Sie gerade gesagt, das sei Ihre letzte Äußerung zu einer letzten Petition. Ich habe eigentlich erwartet, daß die Liberalen etwas zu der Petition zum Thema Schwule und Lesben sagen würden. Mich würde interessieren, warum Sie die Änderungsanträge von Bündnis 90/ Die Grünen abgelehnt haben, die doch Ihrem Parteiprogramm bei den Themen Partnerschaften und sexuelle Identität ähneln.
Liebe Frau Kollegin, ich habe vorhin darauf hingewiesen: Die Qualität einer Sommerpause kann man erst im September beurteilen. Was hier inhaltlich vorgetragen wurde, können Sie erst am Ende dieser Debatte feststellen und dann inhaltlich bewerten. Warten Sie den Verlauf der Debatte ab! Sie werden sehen, daß ein weiterer Liberaler, nämlich der liberale Justizminister, noch sprechen wird. Ich gehe davon aus, daß er speziell dieses Thema ansprechen wird. Ihren Vorstellungen wird also in voreilendem Gehorsam Rechnung getragen.
Die Frau Vorsitzende hat eingangs Kritik geübt. Ich stimme zu, wenn es um die Vielzahl der Petitionen geht. Hier, Herr Kollege Reuter, sind die Geschäftsführer aller Fraktionen gefordert, darauf zu achten, daß themengleiche Petitionen in einer Debatte aufgerufen werden.
Ich widerspreche aber, wenn gesagt wird, es stehe zu wenig Zeit zur Verfügung. Die Obleute, die Arbeitsgruppen, die Berichterstatter und der Petitionsausschuß haben sich intensiv mit den Themen, die heute zur Debatte stehen, beschäftigt. Sie haben dazu Beschlüsse gefaßt.
Heute geht es um Änderungsanträge der Fraktionen, um nichts anderes. Ich sage das ausdrücklich, damit in der Öffentlichkeit nicht der falsche Eindruck entsteht, daß sich der Petitionsausschuß als solcher nicht intensiv mit den Petitionen, die bei ihm eingehen, beschäftigt.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Beck. Bitte seien Sie so nett und sagen Sie, auf welchen Redebeitrag Sie sich beziehen.
Ich beziehe mich einmal auf die Schlußausführungen von Herrn Nolting zur Frage der Homosexuellen als auch auf die Ankündigung von Herrn Reuter, daß die SPD-Fraktion unsere Anträge zur lebenslangen Freiheitsstrafe ablehnen will.
Zunächst zur Schwulen- und Lesbenthematik: Herr Nolting, ich bin auf die Ausführungen von Herrn Schmidt-Jortzig gespannt. Ich wundere mich allerdings, daß die F.D.P. der Bundesregierung dieses Material angesichts der Tatsache, daß es sich zum Teil um wortgleiche Forderungen aus Ihrem Parteiprogramm handelt, nicht zur Berücksichtigung überweisen will, und ich frage mich, warum Sie als F.D.P.-Fraktion nicht gemeinsam mit uns der Bundesregierung endlich einen Handlungsauftrag in der Thematik der rechtlichen Regelung von Partnerschaften und die Aufnahme der sexuellen Identität wenigstens in die bestehenden Antidiskriminierungsklauseln bundesdeutschen Rechts erteilen wollen, obwohl Sie das in Ihrem Parteiprogramm zur Bundestagswahl 1994 gefordert haben. Offensichtlich setzen
Sie Ihr Parteiprogramm bei Ihrem parlamentarischen Handeln nicht um.
Nun zum zweiten Punkt: lebenslange Freiheitsstrafe. Wir lehnen die lebenslange Freiheitsstrafe grundsätzlich als inhuman ab und bitten dringend, zu überprüfen, ob das der Weisheit letzter Schluß ist.
Ich glaube, die Bundesregierung braucht diese Petition des Komitees für Grundrechte und Demokratie dringend als Material, um bei ihren Überlegungen zur Novellierung des Mordparagraphen weiterzukommen. Der bestehende Mordparagraph - § 211 StGB - stammt noch aus der Nazizeit, folgt in seiner Wortwahl zum Teil auch noch der rassistischen Ideologie. Das Justizministerium erzählt uns seit 15 Jahren, man wolle den Mordparagraphen wegen der darin vorkommenden Formulierungen, wie Heimtücke usw., endlich novellieren, wobei die lebenslange Freiheitsstrafe nicht in Frage gestellt werden soll.
Ich meine, es ist dringend notwendig, das jetzt endlich auf den Weg zu bringen. Wenn Sie schon unserem Anliegen nicht folgen wollen, daß die Bundesregierung die Petition berücksichtigen müßte, wäre doch wenigstens eine Überweisung als Material von Ihrer Seite aus etwas Angemessenes, was Sie zumindest hätten vorschlagen und unterstützen sollen. Ich verstehe nicht, warum Sie hier keinen Reformbedarf sehen.
Was die zweite Petition angeht - es gibt ja zwei Petitionen zu diesem Thema -, scheint mir die Herausnahme einer lebenslangen Freiheitsstrafe aus dem Bundeszentralregister schon deshalb geboten, um den Menschen, die früher entlassen werden, die Möglichkeit zur Resozialisierung zu geben. Wenn sie das ein Leben lang mit sich herumschleppen, haben sie nämlich keine Chance, auf dem Arbeitsmarkt entsprechend integriert zu werden. Deshalb bitte ich Sie, wenigstens diese zweite Petition in diesem Punkt zu unterstützen, damit hier eine Möglichkeit der Resozialisierung gegeben ist.
Vielen Dank.
Kollege Beck hat auf zwei Redebeiträge reagiert. Deshalb frage ich zunächst den Kollegen Nolting: Wollen Sie erwidern?
Herr Präsident, ich kann eigentlich nur mit einem Satz darauf antworten.
Herr Kollege Beck, wenn Sie unser Programm ansprechen, sage ich Ihnen: Wir werden dieses Programm Schritt für Schritt umsetzen, nur nicht alles auf einmal.
Herr Kollege Reuter.
Ich will dem Kollegen Beck gern eine Antwort geben. Ich verstehe seine Intention. Er macht sich Gedanken um die Menschen, die mit einer lebenslangen Haftstrafe inhaftiert sind. Aber ich kenne die Auswirkungen der Ankündigung seines Parteifreundes in Hessen, des Justizministers von Plottnitz, in der Bevölkerung. Wir kommen dann nämlich leicht in eine Schieflage, indem wir im Grunde genommen den Tätern eine größere Beachtung schenken als den Opfern.
Deshalb bin ich der Meinung, daß man durchaus darüber nachdenken kann, aber ich halte es nicht für gerechtfertigt, Herr Kollege Beck, daß Sie, obwohl Sie wissen, daß Sie für Ihr Anliegen hier keine Mehrheit bekommen, versuchen, das breit auszuwalzen.
Wir haben doch eine klare Regelung. Es gibt eine lebenslange Haftstrafe, die in der Regel nach 15 Jahren endet.
- Ja, aber Sie wollten das umkehren. Ich warne vor den Folgen, die eintreten würden, wenn wir jetzt öffentlich eine Diskussion darüber führten, ob es nicht sinnvoll sei, die lebenslange Haftstrafe abzuschaffen.
Ich kann für meine Fraktion nur sagen, daß wir gerne willens und bereit sind - ich habe mit Professor Meyer und einigen anderen Rechtsexperten unserer Fraktion darüber gesprochen -, alles zu unternehmen, um darüber nachzudenken, wie wir solchen Menschen helfen können.
Wir wollen auch die Resozialisierung. Aber es kann nicht sein, daß hier ein Prinzip auf den Kopf gestellt wird, ohne daß man den Menschen wirklich hilft. Denn wenn der Inhaftierte die Bedingungen erfüllt, wenn er also eine positive Entwicklung genommen hat, wird er nach 15 Jahren entlassen. Hat er diese Entwicklung nicht genommen, wird er bei Anwendung Ihres Prinzips in Sicherungsverwahrung genommen. Dann hätte er sicherlich keine lebenslängliche Haftstrafe, sondern nur 15 Jahre Haft, aber an der Wirkungsweise würde sich nichts ändern.
Daher bin ich der Meinung, daß wir das so, wie es derzeit ist, belassen und nicht schlafende Hunde wecken sollten.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Heidi Lüth, PDS.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Da mir das demokratisch fragwürdige Kunststück, innerhalb. von fünf Minuten zu sechs verschiedenen Petitionen inhaltlich Stellung zu nehmen, kaum gelingen wird, stelle ich vor Ablauf meiner Redezeit fest, daß die Bundestagsgruppe der PDS den von der SPD und vom Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten Änderungsanträgen zustimmen wird, wie wir es auch schon in den Ausschußsitzungen entgegen dem Votum der Regierungskoalition getan haben. Nur bei dem Änderungsantrag der SPD zu Sammelübersicht 116 werden wir uns enthalten.
Es sei mir ein kurzer Hinweis auf die Rede von Herrn Nolting gestattet. Herr Nolting, Sie sagten, es handelt sich immer um Änderungsanträge der Fraktionen. Wenn man sich aber diese Änderungsanträge anschaut, sind sie natürlich nahezu wortgleich in bezug auf das, was die Petenten gerne umgesetzt sehen wollen. Das ist meiner Meinung nach schon etwas völlig anderes als ein normaler inhaltlicher Antrag einer Fraktion; denn diejenigen, die hier den Antrag stellen, wollen den Petenten zu ihrem Recht verhelfen.
Frau Kollegin Lüth, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Nickels?
Ja, bitte.
Frau Kollegin Lüth, können Sie mir mit Blick auf Ihre gerade gemachten Ausführungen bestätigen, daß der Petitionsausschuß kein Selbstbefassungsrecht hat? Das heißt, daß wir uns, ganz gleich, ob wir dem Anliegen der Petenten ablehnend oder zustimmend gegenüberstehen, immer nur auf das beziehen können, was uns die Bürgerinnen und Bürger vortragen, und damit auch die Änderungsanträge immer direkt Ausdruck der Beratung und der Befassung mit den Bürgeranliegen sind.
Ja, Frau Kollegin Nickels, ich bestätige Ihnen das sehr gerne.
Ich möchte noch einmal kurz auf die Äußerungen des Kollegen Nolting eingehen, obwohl mir das einen Teil meiner Redezeit stiehlt. Wenn diese Dinge inhaltlich diskutiert wurden und es zu keiner Einigung kam, aber Fraktionen oder Gruppen meinen, man sollte den Petenten zu ihrem Recht verhelfen, ist eine Befassung damit hier in der Tat völlig legitim.
Zunächst aber noch einige Ausführungen zum Umgang mit dem Petitionsrecht. Ich erlaube es mir als eine Rednerin zu sagen, die jetzt nach dem Motto verfahren muß: Wiederholung ist die Mutter aller Weisheit. Oder: Steter Tropfen höhlt den Stein. Oder: Man soll die Hoffnung nie aufgeben.
Mit der Übergabe des Tätigkeitsberichts des Petitionsausschusses für das Jahr 1995 hat die Präsidentin des Bundestages vor einer Woche wieder hervorgehoben, welch großes Vertrauen Bürgerinnen und
Heidemarie Lüth
Bürger in das Parlament setzen und nach Art. 17 GG 21 000 Petitionen eingebracht haben.
Aber es gilt: Recht hin, Vertrauen nicht her, sondern möglichst recht weit weg! Das verdeutlicht die Tatsache, daß allein die Sammelübersicht 22 vom 15. März 1995 bis heute benötigte, damit sie hier behandelt werden kann. Das ist, denke ich, ein klein bißchen mehr als drei Wochen Aufsetzungsfrist, wie sie die Geschäftsordnung eigentlich vorsieht. Selbst das Argument: „Was sind schon 19 Petitionen von 21 000?" greift nicht. Vielmehr sollte man als Maßstab nehmen: Eine unerledigte Petition ist eine zuviel. Wenn man dann noch die 80 000 Unterschriften bedenkt, die sich in der Sammelübersicht 107 in einer der sieben Petitionen gegen die Anschaffung des Eurofighters 2000 befinden, also 80 000 Petenten im Grunde genommen hinzukommen, dann ist dieses Hinausschieben auf die lange Bank doch ein Arbeitsstil, der von erheblicher Arroganz zeugt.
Es sollte die Petenten schon wundern, wie im Parlament mit ihren Anliegen umgegangen wird, sind doch Petitionen ein Spiegelbild und kein Zerrbild der Wirkung der durch die Mehrheit dieses Hohen Hauses beschlossenen Gesetze. Allein die 27 Überweisungen von Petitionen an die Bundesregierung zur Berücksichtigung, 477 zur Erwägung und über 1 100 Überweisungen als Material im Jahr 1995 dokumentieren doch, wie rechtliche Regelungen an den gesellschaftlichen Erfordernissen und an den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger vorbeigehen.
Einige Ausführungen möchte ich noch zur Sammelübersicht 22 machen. Der Standpunkt der Gruppe der PDS unterscheidet sich in seinem emanzipatorischen Ansatz nicht von den Vorstellungen von Bündnis 90/Die Grünen. Sie allerdings wollen die für heterosexuelle Paare bestehenden Bürgerrechte auf den erweiterten Personenkreis homosexueller und lesbischer Paare ausdehnen.
Die Bündnisgrünen haben ja zu der Petition, die sich mit der Forderung befaßt, jegliche Diskriminierung auf Grund der sexuellen Identität zu beseitigen, einen Antrag vorgelegt. Der Kollege Beck hat das bereits erwähnt.
Wir werden diesem Antrag zustimmen, da wir ebenfalls dieser Auffassung sind. Allerdings gehen unsere Vorstellungen darüber hinaus. Wir wollen nicht die Übertragung der Privilegierung der Ehe auch auf homosexuelle Paare, sondern wir wollen eine Abschaffung der Privilegierung der Ehe.
Wir gehen auch davon aus, daß heute immer mehr Menschen - unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung - aus nur von ihnen zu vertretenden Gründen nicht mehr, nicht oder noch nicht in einer Zweierbeziehung leben. Dies darf nicht dazu führen, daß sie rechtlich anders behandelt werden oder benachteiligt werden.
Frau Kollegin Lüth, Sie müssen zum Schluß kommen.
Bereits 1988 vertrat die Bundesregierung diese Auffassung. Von daher könnte man eigentlich nur hoffen, daß die Bundesregierung, wenn diese Petition zur Erwägung empfohlen oder zumindest als Material in die Ausschüsse überwiesen wird, endlich vom Lippenbekenntnis wegkommt und zur Tat schreitet.
Danke.
Das Wort hat der Bundesminister der Justiz, Professor Schmidt-Jortzig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte meine knapp bemessene Zeit - wenn ich es richtig in Erinnerung habe, sind es sechs Minuten, auch wenn auf der Uhr nur fünf Minuten angezeigt werden,
Es sind sechs Minuten. Das ist die Technik, Herr Minister.
- Deutschland, das High-Tech-Land! - also sechs Minuten - dazu nutzen, auf zwei Punkte einzugehen, nämlich auf die Buchstaben b und e. Das betrifft in der Tat die beiden Themen, die vorhin schon angesprochen wurden und zu denen angekündigt wurde, daß ich dazu sprechen werde: keine Benachteiligung von Personen auf Grund ihrer sexuellen Identität und Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe.
Zum ersten: keine Benachteiligung auf Grund der sexuellen Identität. Wir alle sind uns der Verantwortung bewußt, die wir als Vertreter des ganzen Volkes gerade für gesellschaftliche Minderheiten und damit auch für die gleichgeschlechtlich orientierten Mitbürgerinnen und Mitbürger tragen. Jedenfalls steht für mich als Liberalen der Respekt vor der Persönlichkeit des einzelnen - selbstverständlich auch in Fragen der sexuellen Identität - im Mittelpunkt meiner politischen Überzeugungen.
Unser Grundgesetz stellt den Schutz individueller Entfaltungsfreiheit an die Spitze seines grundrechtlichen Einzelkatalogs und verbietet in seinem allgemeinen Gleichheitssatz jede sachwidrige Ungleichbehandlung von Menschen. Das gilt selbstverständlich auch in bezug auf die sexuelle Orientierung. Zugleich aber stellt das Grundgesetz ausdrücklich Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung.
Sie wissen, Herr Beck: Vorschläge, die eine Ergänzung des Art. 3 unseres Grundgesetzes um ein spezielles, auf die sexuelle Identität bezogenes Diskriminierungsverbot zum Inhalt hatten, und Änderungswünsche, die in Art. 6 des Grundgesetzes neben dem
Bundesminister Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Schutz von Ehe und Familie zusätzlich der Achtung von Lebensgemeinschaften außerhalb der Ehe Ausdruck geben wollten, haben bei der Verfassungsreform von 1994 nach eingehender Diskussion nicht die erforderlichen Mehrheiten gefunden. Sie werden
- das zu sagen ist gar nicht prophetisch - auch jetzt mit Sicherheit keine Mehrheit finden.
- Ich bin mit diesem Punkt gleich fertig. Dann können Sie fragen, Herr Beck. - Auch ein allgemeines Antidiskriminierungsgesetz könnte also die Gebote des Respekts des Staates vor der Privatsphäre sowie die Willkürfreiheit staatlichen Handelns nicht besser verwirklichen, als es unser Grundgesetz bereits tut.
Jetzt, Herr Kollege Beck, bitte.
Herr Schmidt-Jortzig, können Sie mir bestätigen, daß diese Verfassungsänderung zum Art. 3 des Grundgesetzes unter anderem am Widerstand der F.D.P. gescheitert ist? Wenn Sie der Ansicht sind, daß heute schon Rechtsgleichheit auf Grund der sexuellen Orientierung oder sexuellen Identität besteht, wie erklären Sie mir dann die Rechtsprechung des Ersten Senates des Bundesverwaltungsgerichtes zur Situation von Soldaten und Offizieren in der Bundeswehr, wonach für die Bundeswehr ausdrücklich ein Recht zur Diskriminierung festgeschrieben wird? Wie verträgt sich das mit Ihrer Rechtsauffassung zum Grundgesetz?
Zum ersten sage ich Ihnen ausdrücklich: Nein, das kann ich Ihnen nicht bestätigen. Zum zweiten sage ich ebenso ausdrücklich, daß das Bundesverwaltungsgericht mit Sicherheit nicht ein Recht zur Diskriminierung von Homosexuellen festgeschrieben hat.
Meine Damen und Herren, worum es den homosexuell orientierten Mitbürgerinnen und Mitbürgern vor allem gehen dürfte, sind praktische Schritte zu ihrer vollen gesellschaftlichen Integration und zur Verhinderung bzw. zum Abbau von Diskriminierung. Jetzt hören Sie bitte: Soweit gesetzliche Einzelregelungen wie etwa in bezug auf die Stellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften im Mietrecht hierzu beitragen können, wird die F.D.P. diese unterstützen.
Als Politiker müssen wir im übrigen aber auch den tatsächlichen Intoleranzen im Alltag entgegenwirken. Mit gesetzlichen Maßnahmen ist da wenig auszurichten. Es ist immer ein Irrglaube, daß man mit Gesetzen gesellschaftliche Wirklichkeiten oder möglicherweise sogar Bewußtheiten verändern könne. Um so mehr ist es unsere Aufgabe und die Aufgabe aller, Verständnis zu wecken und Akzeptanz zu fördern.
Meine Damen und Herren, ich komme nun zu den Petitionen, die die Forderungen betreffen, die lebenslange Freiheitsstrafe abzuschaffen. Zunächst weise ich darauf hin, daß sich die Bundesregierung in der Vergangenheit bereits mehrfach für die Beibehaltung dieser Sanktion ausgesprochen hat. Ich möchte noch einmal erklären, warum; denn an der Richtigkeit dieser Entscheidung hat sich überhaupt nichts verändert.
Auch ich halte den geforderten Verzicht auf die lebenslange Freiheitsstrafe für einen rechtlich und kriminalpolitisch falschen Weg. Aufbauend auf der vom Bundesverfassungsgericht bestätigten Feststellung, daß die lebenslange Freiheitsstrafe im Einklang mit den Grund- und Menschenrechten steht, sprechen vor allem zwei Gründe gegen diesen Vorschlag:
Erstens. Ziel der Kriminalpolitik - ich füge hinzu: einer liberalen Kriminalpolitik - ist es, der Kriminalität entgegenzuwirken, und das nicht nur mit Strafe, sondern vor allem mit präventiven Maßnahmen. Unser Strafrecht hat daher unter anderem die Aufgabe, allein schon durch die Pönalisierung das Bewußtsein der Bevölkerung von der besonderen Strafwürdigkeit bestimmter Verhaltensweisen wachzuhalten. Deshalb hebt es durch die Androhung lebenslanger Freiheitsstrafen für bestimmte Straftaten mit Todesfolge den Schutz des menschlichen Lebens in besonderer Weise hervor.
- Herr Fischer, ich nehme eigentlich an, daß dieses Thema Ihnen am Herzen liegt. Dann sollten Sie auch zuhören; denn ich erkläre Ihnen gerade die richtige Sicht der Dinge.
Die Hervorhebung des besonderen Schutzes des menschlichen Lebens erfolgt dadurch, daß man für ein Verbrechen gegen das menschliche Leben die höchste Strafdrohung, die unsere Rechtsordnung kennt, ausweist.
Nähme man hier die schwerste Sanktion unserer Rechtsordnung zurück, legte dies die fatale Schlußfolgerung nahe, der Gesetzgeber wolle den Schutz des menschlichen Lebens gegen entsprechende Straftäter zurücknehmen. Ein solches Signal wäre gerade bei der Zunahme der Gewaltdelikte grundverkehrt.
Zweitens. Es bestehen bereits nach geltendem Recht hinreichende Mittel und Wege, die Folgen der
Bundesminister Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
gesetzlichen Androhung einer lebenslangen Freiheitsstrafe dort abzumildern, wo dies geboten ist. So hat der Gesetzgeber die Möglichkeit geschaffen, nach Verbüßung von 15 Jahren Freiheitsstrafe unter bestimmten Voraussetzungen den Strafrest lebenslang Verurteilter zur Bewährung auszusetzen. Das bedeutet konkret: Kein Täter mit guter Sozialprognose muß in der Regel die lebenslange Freiheitsstrafe bis zu seinem Lebensende verbüßen.
Darüber hinaus verfügt die gerichtliche Praxis über die Möglichkeit, bei Mord schon bei der Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe ausnahmsweise davon abzusehen, wenn dies außergewöhnliche schuldmildernde Umstände bestimmen.
Deswegen mein Schlußsatz: Aus diesen Gründen kann es auch bei einer längerfristig anzustrebenden Reform speziell bei den Tötungsdelikten - da gebe ich Ihnen ja völlig recht - nicht um eine Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe gehen.
Danke sehr.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Christa Nickels. Seien Sie bitte so gut und sagen Sie auch, auf welchen Redebeitrag Sie sich beziehen.
Danke schön. - Ich mache es auch ganz kurz. Ich beziehe mich auf den geschätzten Kollegen Nolting.
Herr Nolting, es würde mir im Traum nicht einfallen, zu sagen, daß wir im Vorfeld einer möglichen Debatte und Abstimmung Petitionen nicht gründlich, auch zeitlich gründlich bearbeiteten. Jeder, der diese Arbeit gerne macht, intensiv macht, weiß, daß wir sehr gründlich daran arbeiten. Etwas anderes habe ich auch nicht gesagt.
Ich habe allerdings gesagt, daß die Art und Weise, wie sechs fachlich grundverschiedene Petitionen in eine sogenannte verbundene Debatte - die keine verbundene, sondern eine Kraut-und-Rüben-Debatte ist - hier in 60 Minuten hineingepackt werden, zum einen jeder Geschäftsordnung hohnspricht, daß zum anderen das Zeitbudget für die grundverschiedenen Anliegen viel zu gering ist.
Darauf bezog sich mein Einwand zu dieser Debatte. Ich glaube, da stimmen Sie mir eigentlich zu.
Danke. Das war's schon.
Herr Kollege Nolting.
Frau Kollegin, Sie haben ja recht: Ich kritisiere genauso wie Sie, daß hier sechs verschiedene Themen in einer Debatte abgehandelt werden. Aber ich bitte wirklich damm, wenn es um die Bearbeitung der Petitionen geht, nicht den Eindruck entstehen zu lassen - Sie wissen ja, wie schnell nach außen hin der Eindruck entstehen kann -, als behandele das deutsche Parlament, in dem Falle der Petitionsausschuß, Eingaben nicht sorgfältig, nicht intensiv genug. Deswegen habe ich darauf ausdrücklich noch einmal hingewiesen.
Was die vielen unterschiedlichen Petitionen anbelangt, stimme ich mit Ihnen überein. Ich sage noch einmal ausdrücklich: Hier sind die Geschäftsführer aller Fraktionen angesprochen. Wenn Sie insofern die Kritik in diesem Bereich umfassend anbringen, stimme ich mit Ihnen überein, und ich bin gerne bereit, mit Ihnen gemeinsam dafür Sorge zu tragen, daß das in Zukunft nicht mehr der Fall sein wird. Das ist allerdings jetzt ein Stückchen Hoffnung.
Das Wort hat jetzt der Kollege von Klaeden, CDU/CSU.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe heute die Ehre, zu den Sammelübersichten Nr. 22 und Nr. 115 zu sprechen. Unsere Vorsitzende hat bereits gesagt, daß man in dieser Debatte zu verschiedenen Fragen Stellung nehmen soll. Ich will deshalb gleich zu Anfang ankündigen, daß ich den Versuch, eine Verbindung zwischen beiden Themen herzustellen, unterlassen werde.
Ich will die Debatte mit einem Lob der vielgescholtenen Parlamentarischen Geschäftsführer beginnen, die doch sehr geräuschlos und effizient hier den Parlamentsbetrieb ordnen.
- So ist es.
Zunächst zur Sammelübersicht Nr. 22, die eben schon Gegenstand der Diskussion war, zum Antrag des Schwulenverbandes in Deutschland und der Ökumenischen Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche, auf den der Bundesjustizminister bereits eingegangen ist, dem im Grunde nichts mehr hinzuzufügen ist.
Ich will nur sagen, daß es richtig ist, daß Art. 6 des Grundgesetzes eine Privilegierung von Ehe und Familie enthält und daß wir diese Privilegierung wollen. Sie ist deswegen verfassungsgemäß, weil sie sachlich begründet ist. Deshalb kann man auch nicht, wie das die Petenten tun, von einer Diskriminierung im klassischen Sinne sprechen. Es ist eben gerade kein Verstoß gegen Art. 3 des Grundgesetzes.
Auch in der Stellungnahme des Ausschußsekretariats wird darauf hingewiesen, daß eine Ergänzung von Art. 3 nicht notwendig ist,
Eckart von Klaeden
da die allgemeine Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 und der Gleichheitsgrundsatz selbstverständlich auch für Homosexuelle gelten.
Herr Kollege von Klaeden, es gibt Zwischenfragen.
Ich habe die Zwischenfragen erwartet und lasse sie gerne zu, Herr Präsident.
Ich weiß jetzt nicht, wer sich zuerst gemeldet hat: Frau Schenk oder Herr Beck? - Frau Schenk, fangen Sie an. Bitte.
Herr von Klaeden, Sie führten eben aus, daß die Privilegierung der Ehe, wie Sie sie aus dem Grundgesetz zu lesen glauben, sachlich gerechtfertigt sei. Ich möchte Sie bitten, dafür einige Gründe anzuführen.
Ich will Ihnen dazu gern das Verfassungsgericht zitieren: Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Ehe nach Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz die Vereinigung von Mann und Frau zu einer Lebensgemeinschaft; prägendes Merkmal einer Ehe ist demnach die Geschlechtsverschiedenheit. Ich glaube, das ist eine zutreffende Definition der Ehe, der jedenfalls wir uns anschließen können.
Herr Kollege Beck.
Herr Beck, bitte.
Ich will hier nicht einen Streit um den Ehebegriff und dergleichen ideologische Debatten führen. Mir geht es um das Vorankommen in der Sache.
Ist Ihnen die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur „Aktion Standesamt" bekannt, worin ausgeführt wird, daß die bestehende Rechtslage bezüglich homosexueller Lebensgemeinschaften durchaus gegen den Schutz der Handlungsfreiheit in Art. 2 und den Gleichheitsgrundsatz in Art. 3 verstoßen könne und der Gesetzgeber gehalten sei, die bestehenden Benachteiligungen homosexueller Lebensgemeinschaften zu beseitigen? Welche rechtspolitische Antwort geben diese Regierung und ihre Koalition auf diese, für die Gruppe der homosexuellen Minderheit in unserer Gesellschaft wichtige Lebensfrage?
Der Beschluß vom 4. Oktober 1993 ist mir bekannt. Ich habe daraus gerade zitiert.
Ich stimme Ihnen zu, daß das Verfassungsgericht diese Ausführungen macht. Ich will jedenfalls für meine Person sagen, daß wir diese Fragen, die verschiedene Rechtsbereiche betreffen, in denen gegebenenfalls Änderungen notwendig sind, mit der notwendigen Ernsthaftigkeit betrachten sollten - ganz
im Geiste Friedrich des Großen, daß jeder nach seiner Fasson selig werden soll.
Jetzt komme ich zur Sammelübersicht 115, die die Frage der lebenslangen Freiheitsstrafe betrifft. Dazu will ich vorausschicken, daß wir bei der Diskussion über diesen Bereich berücksichtigen müssen, daß das Verfassungsgericht besondere Anforderungen stellt.
Zum einen bezieht sich dies auf die Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe. Hier stehen nicht wie bei einer normalen Feststellung im Strafurteil letztlich nur persönliche Fragen im Vordergrund. Wenn es um die Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe geht, ist das Gericht gerade in Anbetracht der hohen Strafe gehalten, im Rahmen der Schuld eine besondere Abwägung, eine besondere Gesamtwürdigung des Tatverlaufs vorzunehmen.
Zum anderen geht es um die Regelung in § 57 a des Strafgesetzbuchs. Darauf ist eben schon hingewiesen worden.
Die lebenslange Freiheitsstrafe ist schon dadurch von erheblichen verfassungsrechtlichen Grenzen eingerahmt.
Das Verfassungsgericht hat festgestellt: Die lebenslange Freiheitsstrafe verstößt nicht gegen Grund- und Menschenrechte. Das halten auch wir für richtig. Ich will einmal die beiden Argumente nennen, die für uns darüber hinaus wesentlich dafür sind, an der lebenslangen Freiheitsstrafe festzuhalten.
Zum einen gilt: Der Auffassung, der Maßstab für die Anerkennung des Lebens als höchstem Rechtsgut werde nicht durch das Strafrecht vermittelt, ist die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts entgegenzuhalten, daß gerade eine so schwerwiegende Strafe wie die lebenslange Freiheitsstrafe besonders geeignet sei, im Bewußtsein der Bevölkerung die Erkenntnis zu festigen, daß das menschliche Leben ein besonders wertvolles und unersetzliches Rechtsgut sei, das besonderen Schutz und allgemeine Achtung und Anerkennung verdiene.
Ich will zum anderen darauf hinweisen, daß sich der Petitionsausschuß der Auffassung angeschlossen hat, daß auf die lebenslange Freiheitsstrafe „insbesondere im Hinblick auf die Schwere von Straftaten wie Körperverletzung, Tötung und Sexualdelikte" nicht verzichtet werden kann. „Eine generelle Höchstgrenze von zehn Jahren" - oder auch 15 Jahren - „Freiheitsstrafe für alle Delikte würde einen massiven Eingriff in das gesamte Sanktionssystem darstellen. Dies erscheint insgesamt unvertretbar und wird dem Ausmaß der Gewaltkriminalität nicht gerecht. "
Deswegen lehnen wir unsererseits die Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe ab. Die von Ihnen zu Recht angesprochene Notwendigkeit von Reformen im Zusammenhang mit Tötungsdelikten steht
Eckart von Klaeden
hier außer Frage, hat aber mit der Strafzumessung nichts zu tun.
Das Wort hat die Kollegin Christel Hanewinckel, SPD.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die „Kraut-und-Rüben"Debatte geht weiter. Was dem Kraut und was den Rüben zuzuordnen ist, überlasse ich gern Ihnen.
Ich fange mit der Petition an, in der die Petenten darum bitten, auf den Ausbau von Elbe, Saale und Havel im Interesse der natürlichen Flußlandschaften jedenfalls vorläufig zu verzichten. Sie möchten sicherstellen, daß zunächst mit Hilfe von Wissenschaftlern geklärt wird, wie sich die von der Bundesregierung geplanten baulichen Veränderungen auf die ökologischen Gegebenheiten auswirken würden.
Ich denke, das ist eine ausgesprochen vernünftige Forderung der Petenten, und ich kann immer noch überhaupt nicht verstehen, weshalb Sie nicht bereit oder vielleicht auch nicht in der Lage sind, sich darauf einzulassen.
Wir stimmen heute über Petitionen ab, die besonders den Menschen in den östlichen Bundesländern sehr am Herzen liegen. In einem Brief der Petenten, zweier evangelischer Pfarrgemeinden, heißt es:
Wir haben den Eindruck, daß die Belange einer ganzen Region und die Wünsche der dort lebenden Menschen nicht genügend Beachtung finden.
Hier versuchen Menschen, ihre Region und deren seit 250 Jahren gewachsenes Gesicht zu schützen. Es handelt sich dabei unter anderem um den Bereich des Wörlitzer Parks. Die betroffenen Menschen sehen das ganz einfach: Sie haben diese einzigartige Landschaft mit ihren Auenwäldern, Wiesen und Hölzern von ihren Eltern und Großeltern übernommen, und sie fühlen sich nicht nur der Vergangenheit und der Gegenwart, sondern auch der Zukunft verpflichtet.
Deshalb wollen sie diese Region in ihrem jetzigen Zustand an ihre Kinder und Enkelkinder weitergeben. Ich denke, das ist unterstützenswert.
Die ostdeutschen Flußlandschaften an Elbe, Saale und Havel sind ein Glücksfall für das vereinte Deutschland. Sie sind eine Arche für die bedrohten Pflanzen und Tiere. Hier siedeln noch Adler, Storch und Biber. Hier gibt es die größten noch erhaltenen Auenwälder Europas, die artenreichsten Lebensräume überhaupt. Wenn Sie sich durchsetzen, sind wir auf dem besten Wege dazu, dies zu vernichten.
Aus diesem Grunde hat die SPD-Fraktion bei ihrem Antrag zur Nutzung der Bundeswasserstraßen den ökologisch verantwortbaren Ausbau der ostdeutschen Flüsse vor die ökonomische Bedeutung gestellt. Aus unserer Sicht sind diese Flüsse ungeachtet ihrer sonstigen Nutzung in erster Linie natürliche Gewässer und komplexe Lebensräume. Die Fehler, die in Westdeutschland gemacht wurden, müssen nicht wiederholt werden.
Abschreckendes Beispiel sind die Kanalisierungspolitik an der Donau, an Rhein und Mosel und die daraus resultierenden Hochwasserkatastrophen, die wir hier hautnah oder mit feuchten Füßen miterleben können. Das muß nicht von West nach Ost transferiert werden!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Wirtschaftlichkeitsrechnungen für das Verkehrsprojekt Deutsche Einheit fallen doch nur deshalb so günstig aus, weil die sozialen Folgekosten dort nirgendwo auftauchen.
Frau Kollegin Hanewinckel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Nolting?
Ja, wenn ich den Satz zu Ende gesprochen habe.
Schäden und Verluste der Kanalisierungspolitik für Natur und Mensch müssen bei der Kalkulation aber als Kosten berücksichtigt werden. Wie hoch die Kosten wirklich sind, die allein der Verlust der ökologisch sensiblen Auenwälder mit sich bringen würde, läßt sich in Mark und Pfennig überhaupt nicht ausrechnen.
Bitte schön, Herr Kollege Nolting. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Bitte.
Frau Kollegin, können Sie sich noch daran erinnern, daß wir beschlossen haben, daß es bei allen Wasserbaumaßnahmen erforderlich ist, die Auswirkungen auf die Umwelt und auf den Hochwasserschutz besonders sorgfältig zu prüfen, Eingriffe in die gewachsenen Flußlandschaften auf ein Minimum zu reduzieren, jede einzelne Baumaßnahme vor Beginn auf ihre Vereinbarkeit mit dem Naturschutz zu prüfen, und daß wir auch beschlossen haben, daß wir nach Ablauf von zwei Jahren einen schriftlichen Bericht erwarten, so daß das, was Sie hier vortragen, nicht dem entspricht, was wir im Petitionsausschuß beschlossen haben? Und geben Sie mir Recht, daß das, was wir beschlossen haben, sehr wohl dem Anliegen der Petenten Rechnung trägt, weil es in die Planung mit einbezogen wird?
Das trägt dem Anliegen der Petenten insofern nicht Rechnung, weil die Petenten fordern, daß entsprechende Untersuchungen - dazu gehört noch mehr als das, was Sie gerade vorgestellt haben, Herr Kollege Nolting - abgeschlossen sein müssen. Es gibt noch andere Argumente, zu denen ich gleich komme, die es in der Tat nicht sinnvoll erscheinen lassen. Die Bundesregierung hat an einer Stelle schon einen Rückzieher gemacht, aber nicht, weil sie von Argumenten überzeugt worden ist, sondern weil ihr plötzlich das Geld ausgegangen ist. Daran wird deutlich, daß es in erster Linie nicht die Argumente, sondern andere Gründe sind, weshalb anders entschieden wird.
Das, was wir im Petitionsausschuß beschlossen haben, ist der eine Punkt. Das, was die Petenten fordern, geht darüber hinaus. Insofern ist es nur recht und billig, an dieser Stelle den Petenten zuzustimmen, die nicht einen totalen Stopp oder ähnliches fordern, sondern daß entsprechend geprüft wird und dann, wenn die Prüfung insgesamt abgeschlossen ist, mit den Ergebnissen weitergearbeitet wird. Das geht etwas über das hinaus, was Sie eben vorgetragen haben. Deshalb sind wir an dieser Stelle dafür, die Petition anders zu bescheiden.
Das Verkehrsprojekt Deutsche Einheit der Bundesregierung und das EU-Projekt Transeuropäische Netze lassen befürchten, daß auf Grund inzwischen zweifelhafter Daten über zukünftige Verkehrsaufkommen die weitere Schädigung unserer Flüsse in Kauf genommen wird.
Am Beispiel der Saale möchte ich die absurde Argumentation des Bundesverkehrsministeriums verdeutlichen. Die in seinem Antrag erstellten Prognosen zum Güteraufkommen auf der Saale trafen bei Fachleuten von Anfang an auf Skepsis. Derzeit fahren nach Angaben des BUND lediglich drei Schiffe pro Woche die Saale entlang. Das entspricht etwa 0,1 Millionen Tonnen pro Jahr. Nach den Prognosen, die das Bundesministerium für Verkehr im Bundesverkehrswegeplan zugrunde gelegt hat, sollen im Jahr 2010 3,6 Millionen Tonnen transportiert werden - eine Schätzung, die bei der Anhörung in Klein Rosenburg an der Saale, also vor Ort, vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung als völlig unrealistisch gewertet wurde.
Das vom Bundesverkehrsministerium beauftragte Institut schreibt weiter: 90 Prozent der Güter sollen von der Bahn und nur 10 Prozent der Güter von der Straße auf die Saale verlagert werden. Mit der vom Verkehrsministerium betonten „ökologisch verträglichen Bewältigung des steigenden Verkehrsaufkommens" hat das wohl herzlich wenig zu tun. Denn die parallel zur Saale liegende Bahnlinie ist nach Angaben der Deutschen Bahn AG nur zu 30 Prozent ausgelastet. Die freie Transportkapazität liegt bei 23 Millionen Tonnen. Das ist das Zehnfache dessen, was ausgerechnet worden ist, was vielleicht nach dem Ausbau der Saale im Jahre 2010 transportiert werden soll.
Es war also von Anfang an deutlich: Der Ausbau der Saale ist abgesehen von dem zerstörerischen Eingriff in den letzten frei fließenden Abschnitt des Flusses auch volkswirtschaftlich einfach unsinnig.
Der Hinweis auf überhöhte Prognosen und unseriöse Wirtschaftlichkeitsrechnungen hat nichts gefruchtet. Aber das Glück für die Menschen in Sachsen-Anhalt lag in diesem Fall wohl eher in den leeren Bundeskassen. Die hartnäckigen Umweltschützer, die alljährlich mit einem Camp gegen den bisher geplanten Ausbau der Saale protestieren, erreichte jetzt eine gute Nachricht: Zumindest in den nächsten 10 Jahren wird es keine Staustufe an der Saalemündung bei Klein Rosenburg geben. Die offizielle Sprachregelung lautet natürlich anders: Das Projekt sei nicht mehr im vordringlichen Bedarf des Bundesverkehrswegeplans. Die Wahrheit lautet wohl eher: Nicht Argumente, sondern leere Kassen sind bei der Bundesregierung überzeugend.
Es bleibt zu hoffen, daß bei der Elbe und vor allem auch bei der Havel die Chance für einen neuen Umgang mit der Natur genutzt wird. Die SPD-Bundestagsfraktion unterstützt die Forderung der Petenten, auf den Ausbau von Elbe und Havel zumindest so lange zu verzichten, bis alle ökologischen Bedenken ausgeräumt sind. Dies kann nur durch die Einbeziehung von unabhängigen Sachverständigen und Umweltschutzverbänden geschehen. Ein Ausbau, der nicht nach neuesten Erkenntnissen ökologisch und ökonomisch verantwortbar ist, muß abgelehnt werden.
Jetzt bin ich bei meinem nächsten Punkt, bei den „Rügen" . Kolleginnen und Kollegen, ich spreche zu der Petition, in der vom Schwulenverband gefordert wird, daß erstens in der Verfassung klarzustellen ist, daß keine Person auf Grund ihrer sexuellen Identität benachteiligt oder bevorzugt werden darf, daß zweitens auch andere auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaften als Ehe und Familie von der staatlichen Ordnung geachtet werden und daß drittens mit einem Antidiskriminierungsgesetz alle bestehenden Benachteiligungen zu beseitigen sind.
Am 30. Juni 1994 hat der Deutsche Bundestag das Grundgesetz geändert. Dem ging eine dreijährige Arbeit in der Gemeinsamen Verfassungskommission voraus. Der Gesetzentwurf der SPD enthält auch entsprechende Vorschläge zu Art. 3 und Art. 6 des Grundgesetzes. Die von den Schwulenverbänden geforderten Punkte sind inhaltsgleich und fast wörtlich identisch mit unserem damaligen Gesetzentwurf. Leider, liebe Kolleginnen und Kollegen, wurde die Chance damals verpaßt, das Grundgesetz zeitgerecht und zukunftsorientiert zu modernisieren.
Ich bin ganz überrascht, wenn ich von Herrn Schmidt-Jortzig hören muß, daß die F.D.P. offenbar keinen Anteil daran hat, daß wir das Grundgesetz in Art. 3 und Art. 6 nicht haben entsprechend ändern können. Ich denke, Sie hatten einen erheblichen An-
Christel Hanewinckel
teil daran. Sie hätten nämlich entsprechend mitstimmen können. Vorschläge lagen auf dem Tisch.
Aber entweder haben Sie sich vor der Auseinandersetzung mit Ihrem Koalitionspartner gedrückt, oder Sie meinen das, was in Ihrem Programm steht, nicht ganz so ernst, wie Sie es eigentlich meinen sollten. Aber vielleicht ist noch Hoffnung, wenn es in dem neuen Programm wieder steht, daß Sie demnächst bereit sind, gemeinsam mit uns eine entsprechende Grundgesetzänderung vorzunehmen.
Zur ersten Forderung des Petenten. Im Gesetzentwurf der SPD-Bundestagsfraktion zur Verfassungsreform von 1993 findet sich bereits die Forderung nach einem Verbot von Diskriminierung in bezug auf die sexuelle Identität. Homosexuelle Männer und lesbische Frauen, Bi- und Transsexuelle werden in diesem Land sozial und rechtlich diskriminiert. Das bekommen sie noch viel zu oft zu spüren, sei es in ironischen Bemerkungen, sei es durch soziale Isolation; das geht bis zur Gewalt.
Es ist offensichtlich: Der allgemeine Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Grundgesetz reicht hier nicht aus. Aus diesem Grund haben wir bereits damals gefordert, ein Diskriminierungsverbot zugunsten der sexuellen Identität in die speziellen Gleichheitsgebote des Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz aufzunehmen.
Zweitens fordern die Petenten, daß auch andere auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaften als Ehe und Familie von der staatlichen Ordnung geachtet werden sollen. Mit der Ausdehnung des Schutzbereiches von Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz auf andere auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaften wäre dem gesellschaftlichen Wandel Rechnung getragen worden. Immer mehr Kinder wachsen in einer Familie auf, der keine Ehe zugrundeliegt. Zwar ist die Ehe noch immer die häufigste Form der auf Dauer angelegten Bindung. Aus diesem Grund soll ihr der besondere Schutz der Verfassung erhalten bleiben.
Aber: Was ist mit den Menschen, die in einer anderen Lebensform dauerhaft nach Liebe, Geborgenheit, Anerkennung und Wärme suchen und die verantwortlich in ihrer Partnerschaft Kinder erziehen?
Frau Kollegin Hanewinckel, achten Sie bitte auf die Zeit.
Soweit ich weiß, Herr Präsident, habe ich noch Redezeit von meinem Kollegen Reuter.
- Es tut mir leid, es ist mir gesagt worden, daß der Kollege Reuter nur sechs Minuten seiner zehnminütigen Redezeit in Anspruch genommen hat und ich deshalb nicht zehn, sondern vierzehn Minuten reden kann.
Es ist Ihnen gerade ein bißchen Redezeit bewilligt worden, zum Beispiel von den Grünen. Ich gebe Ihnen noch zwei Minuten.
Danke. Es tut mir leid, aber ich hatte eine andere Information, sonst hätte ich schon etwas gekürzt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht uns nicht damm, jeder Beziehung den gleichen staatlichen Schutz zu gewähren wie der Ehe; denn wie die Petenten haben auch wir in unserem damaligen Entwurf bewußt auf die Dauerhaftigkeit der Lebensgemeinschaft abgestellt. Um dieses Kriterium festzustellen und die Beziehung von einer reinen Wohn-
und Wirtschaftsgemeinschaft abzugrenzen, liegen genügend Anhaltspunkte vor. Aber: Es muß endlich aufhören, daß Menschen dafür diskriminiert werden, und zwar im Steuerrecht, bei der Wohnungssuche, im Sozialrecht und im Mietrecht, weil sie ohne Trauschein leben, gleichwohl aber zeigen und beweisen, daß sie für andere Verantwortung übernehmen.
Frau Kollegin Hanewinckel, einen Augenblick bitte. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es ist zu laut,
und es ist nicht fair gegenüber der Rednerin, wenn sich die Aufmerksamkeit des Hauses ausschließlich auf private Gespräche konzentriert und nicht auf die Rednerin.
Bitte.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es muß gewährleistet sein, daß die Entscheidung von Menschen, dauerhaft gemeinsam zu leben, die gleiche Achtung verdient wie die Entscheidung, sich dafür den staatlichen Schein oder den kirchlichen Segen zu holen.
Die letzte Forderung der Petenten ist ein Antidiskriminierungsgesetz, das alle bestehenden Benachteiligungen beseitigen soll. Die SPD-Bundestagsfraktion spricht sich dafür aus, daß Gleichstellung und Gleichbehandlung im Sinne des Art. 3 Grundgesetz zum tragenden Baustein des gesellschaftlichen Miteinanders werden. Nicht nur im Verhältnis zum Gesetzgeber, sondern auch innerhalb des sozialen Gefüges muß das Benachteiligungs- und Bevorzugungsverbot wirken. Menschen sollen und müssen auch ohne Angst anders sein können. In der SPDBundestagsfraktion gibt es zu einem solchen Gesetz Vorarbeiten.
Ich fordere Sie auf, liebe Kolleginnen und Kollegen - vor allem die F.D.P. -, dem Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zuzustimmen. Denn die Petitionen zeigen, daß die Grundgesetzänderung von 1994 nicht weit genug gegriffen hat. Wichtige Möglichkeiten zur zeitgemäßen Modernisierung unseres Grundgesetzes sind damals durch die Gegen-
Christel Hanewinckel
stimmen der Koalitionsabgeordneten verhindert worden. Doch es ist fast nie zu spät, liebe Kolleginnen und Kollegen, eine falsche Entscheidung zu revidieren. Heute können Sie das tun.
Das Wort hat die Kollegin Wilma Glücklich von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Petitionsausschuß gehört an sich nicht zu den Gremien, die große Politik machen. Das ist auch ganz gut so. Denn die Hauptaufgabe, der wir nachkommen, ist ja, uns um Bürgerbeschwerden und Bürgerbitten zu kümmern. In letzter Zeit ist jedoch bei einigen Kollegen zu merken, daß sie sich doch eher mit Lorbeeren schmücken möchten und doch eher mit Publizität liebäugeln.
Ich kann mich oft des Eindrucks nicht erwehren, daß es bei einzelnen Petitionen für Sie nur darum geht, eine rechtlich fundierte Entscheidung, die Ihnen nicht gefällt, zu hintertreiben. Das machen auch Ihre Anträge heute deutlich. Aufgabe des Petitionsausschusses bleibt allerdings, die Richtigkeit eines Verfahrens zu prüfen. Eine entgegengesetzte oder etwa geänderte Beurteilung der Sache steht uns nicht zu.
Nur das wird auch der Gewaltenteilung in unserem Land gerecht.
Für mich wird deshalb immer unverständlich bleiben, wie Sie eigentlich dazu kommen, sich selbst immer ausschließlich auf der richtigen Seite zu sehen
und alle anderen, insbesondere die Fraktionen, die die Bundesregierung tragen, auf der falschen Seite. Das zeugt ein wenig von moralischer Arroganz, finde ich.
Die Wasserstraßenplanung und der Ausbau der Wasserstraßen sind ein solches Beispiel, bei dem mir die Einteilung in gut und böse, richtig und falsch besonders unangenehm auffällt. Jede noch so differenzierte Ansicht, jedes vorgetragene Argument wird gerne als unzutreffend und inkompetent von Ihnen zurückgewiesen. Trotz aller politischen Gegensätzlichkeiten, so meine ich, müssen wir aber der Versuchung widerstehen, das Gremium Petitionsausschuß als indirekte Gerichtsbarkeit oder gar als Nebenverwaltung oder Nebenparlament zu mißbrauchen.
Frau Kollegin Glücklich, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lüth?
Nein. Ich habe sehr wenig Zeit, Herr Präsident.
Zur Sache: Die Umsetzung des Projekts 17 wird weder auf Bundesebene noch auf Länderebene einhellig unkritisch und einhellig positiv gesehen. Selbstverständlich sind die möglichen Auswirkungen des Ausbaus auf Ökologie und wasserwirtschaftliche Verhältnisse zu bewerten. In meiner Heimatstadt Berlin ist beispielsweise die Frage, ob der Neubau der Charlottenburger Schleuse so, wie vorgesehen, durchgeführt werden muß oder ob es nicht denkbare Varianten gibt, von allen Parteien diskutiert worden. Alle Parteien haben sich dazu sehr differenziert geäußert.
Ich habe deshalb als Berichterstatterin zu dieser Petition die Äußerungen des Verkehrsministeriums ganz besonders kritisch gewertet und eine zusätzliche Berichterstattung vom Umweltministerium angefordert. Beide Ministerien haben zwischen Zielen abwägen müssen, die, meine ich, für uns etwa gleichwertig sind: einmal den wachsenden Güterverkehr ökologisch verträglicher zu bewältigen und dann natürlich den Ausbau der Flüsse auf die ökologisch verträgliche und wirtschaftlich wichtige Maßnahme zu konzentrieren.
Zur Durchführung des Wasserstraßenausbaus sind Planfeststellungsverfahren erforderlich und zum Teil sogar eingeleitet. Sie werden nach den geltenden Gesetzen die Eingriffe minimieren. Man kann es nicht oft genug wiederholen - einige meiner Vorredner haben das bereits getan -: Der Petitionsausschuß hat die Bundesregierung aufgefordert, alle Auswirkungen auf die Umwelt und auf den Hochwasserschutz zu prüfen, und wir haben gebeten, daß wir innerhalb eines Jahres einen Bericht darüber erhalten.
Ich meine, daß im Natur- und Umweltschutz die Verantwortung dem Träger zugewiesen werden muß, der ein Vorhaben durchzuführen hat, um einen unnötigen Flaschenhals zu verhindern. Auch das ist eine unserer Verantwortungen. Unsere Aufgabe als Petitionsausschuß kann daher nur sein, die gesetzlichen Vorhaben zu konkretisieren, zu interpretieren, durch den geforderten Bericht zu kontrollieren - jedoch nicht zu konterkarieren.
Wir bleiben deshalb bei unserem Votum und lehnen die Anträge von SPD und Bündnis 90/Grüne ab.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Nickels.
Liebe Frau Kollegin Glücklich! Ich möchte noch einmal zitieren: „Jedermann" - und natürlich jedefrau - hat das Recht, sich ... mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen ... zu wenden. " Das Peti-
Christa Nickels
tionsrecht ist eben kein Belobigungsrecht, sondern ein Beschwerde- und Initiativrecht.
Im Petitionsausschuß beschäftigen wir uns mit dem, was den Leuten nicht gefällt, was sie zu beklagen haben und was sie falsch finden - das liegt in der Natur seiner Aufgaben -, unabhängig davon, welche Parteien Regierungsverantwortung tragen; rot-grünen Regierungen geht das nicht anders.
Dieses Recht, Bitten an den Petitionsausschuß zu richten, bedeutet auch, daß man initiativ werden und Gesetzesänderungen vorschlagen kann. Also ist es originäre Pflicht des Petitionsausschusses, genau zu prüfen, was das Begehren der Petenten ist. Dabei kann man, weil sich im Petitionsausschuß Mehr- und Minderheit spiegeln, zu verschiedenen Auffassungen kommen. Wenn man diese verschiedenen Auffassungen artikuliert, ist das nicht Mißbrauch des Petitionsrechts, sondern sein sinngemäßer Gebrauch in einer parlamentarischen Demokratie.
Das Für und Wider dessen, was die Petenten vorbringen, muß dann, auf Antrag in strittigen Fällen im Bundestag noch einmal debattiert werden. Das ist originärer Sinn des Petitionsrechts und kein Mißbrauch.
Danke schön.
Frau Kollegin Glücklich.
Frau Nickels, ich danke für den völlig unnötigen Vortrag. Selbstverständlich ist mir bekannt, was die Aufgaben des Petitionsausschusses sind.
Ich habe lediglich deutlich gemacht, daß die Entscheidungen, die wir dort nach reiflicher Überprüfung und nach vielen Diskussionen treffen, im Plenum nicht erneut überprüft und vielleicht anders gelöst werden können.
Ich denke, es besteht ein Unterschied zwischen dem, was wir als parlamentarischer Ausschuß als Aufgabe wahrnehmen, und dem, was wir als Nebenparlament manchmal geboten bekommen.
Das Wort zu einer weiteren Kurzintervention hat die Kollegin Lüth.
Frau Kollegin Glücklich, ich muß schon sagen: Sie haben meiner Meinung
nach ein sehr merkwürdiges Verständnis von der Aufgabe einer Opposition im Bundestag, wenn Sie das, was hier heute abgegangen ist - das sage ich mal ganz salopp -, als Hintertreiben der Regierungsmeinung betrachten. So haben Sie sich ausgedrückt: ein Hintertreiben der Dinge, die als Gesetze formuliert sind. Auch Sie können etwas sagen, wenn Sie es möchten.
Ich möchte darauf verweisen: Viele Petitionen - darauf sind Sie überhaupt nicht eingegangen - stimmen völlig mit dem überein, was die Berichterstatter meinen, weil auch diese der Auffassung sind, daß manche Dinge gegenwärtig nicht zu klären sind. Die Petitionen, bei denen wir die Auffassung vertreten, daß sie zu klären sind, sollten von der Opposition eingebracht werden dürfen; dieses Recht sollten Sie ihr einräumen.
Ein letzter Punkt: Ich denke, wenn Bürgerinnen und Bürger Petitionen einbringen, dann meinen sie damit, daß die Gesetze, die hier beschlossen wurden, nicht gut sind, zumindest nicht in ihrem Sinne. Ich muß mich sehr darüber wundern, mit welcher Arroganz man hier darüber hinweggeht.
Frau Kollegin Glücklich, möchten Sie antworten?
Ich antworte ganz rasch; es wird die Opposition nicht überfordern. - Ich wehre mich lediglich dagegen, daß Sie behaupten, Sie seien der Anwalt der Bürger, und daß Sie uns generell als Gegner darstellen.
Das Wort für eine weitere Kurzintervention hat die Kollegin Schönberger.
Frau Glücklich, nicht jeder von uns liest die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages ausführlich durch. Dort ist in § 112 Nr. 2 - Beschlußempfehlung und Bericht des Petitionsausschusses - ausdrücklich vermerkt - vielleicht ist Ihnen das entgangen -:
Die Berichte werden gedruckt, verteilt und innerhalb von drei Sitzungswochen nach der Verteilung auf die Tagesordnung gesetzt; sie können vom Berichterstatter mündlich ergänzt werden. Eine Aussprache findet jedoch nur statt, wenn diese von einer Fraktion oder von anwesenden fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages verlangt wird.
Ursula Schönberger
Es ist also ausdrücklich geregelt, daß auf Antrag einer Fraktion eine Aussprache im Bundestag stattfinden kann.
Frau Kollegin Glücklich? - Sie wollen nicht erwidern.
Ich schließe die Aussprache.
Die Kollegin Dr. Enkelmann gibt eine Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung zu Protokoll.*)
Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zunächst zu der Sammelübersicht 48 auf Drucksache 13/1768, Soldatenversorgungsgesetz. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 13/5069? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt.
Wer stimmt für die Sammelübersicht 48 in der Ausschußfassung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 48 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Wir kommen zur Sammelübersicht 22, Gleichstellung anderer Lebensgemeinschaften mit der Ehe, Drucksache 13/820. Dazu liegt ein Änderungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/5120 vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt.
Wer stimmt für die Sammelübersicht 22 in der Ausschußfassung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 22 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Wir kommen zur Sammelübersicht 32 - Tilgung lebenslanger Freiheitsstrafen -, Drucksache 13/1326. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/5121 vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt.
Wer stimmt für die Sammelübersicht 32 in der Ausschußfassung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen! - Die Sammelübersicht 32 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Wir kommen zur Sammelübersicht 107 - „Eurofighter 2000" - auf Drucksache 13/3901. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/5097 vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt.
*) Anlage 3
Wer stimmt für die Sammelübersicht 107 in der Ausschußfassung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 107 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Wir kommen zur Sammelübersicht 115 auf Drucksache 13/4376, Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/5070 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS abgelehnt.
Wer stimmt für die Sammelübersicht 115 in der Ausschußfassung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Sammelübersicht 115 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Wir kommen zur Sammelübersicht 116 auf Drucksache 13/4377, Ausbau von Elbe, Saale und Havel. Dazu liegt je ein Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen vor, über die wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 13/5071? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und PDS abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/5096? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei Stimmenthaltung der SPD-Fraktion abgelehnt.
Wer stimmt für die Sammelübersicht 116 in der Ausschußfassung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Sammelübersicht 116 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 7 a bis 7 c und Zusatzpunkt 4 auf:
7. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Friedbert Pflüger, Kurt-Dieter Grill, Gunnar Uldall und der Fraktion der CDU/ CSU sowie der Abgeordneten Detlef Kleinert , Walter Hirche, Günther Bredehorn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
EXPO 2000
- Drucksache 13/4367 —Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft
Sportausschuß
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus Haushaltsausschuß
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rolf Köhne, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS
Auflösung der Verträge zur Weltausstellung EXPO 2000
- Drucksache 13/4668 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft
Sportausschuß
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus Haushaltsausschuß
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Edelgard Bulmahn, Gerd Andres, Arne Börnsen , weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
EXPO 2000
- Drucksache 13/4887 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft
Sportausschuß
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus Haushaltsausschuß
ZP4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Steffi Lemke, Dr. Helmut Lippelt, Gila Altmann , weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
EXPO 2000
- Drucksache 13/5058 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft
Sportausschuß
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus Haushaltsausschuß
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. Widerspruch? - Keiner. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Hans-Peter Repnik, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gastgeber für die Welt - das ist eine große Herausforderung und gleichzeitig eine große Chance für Deutschland. Deutschland wird im Jahr 2000, zehn Jahre nach der Wiedervereinigung, Forum für die Diskussion von Antworten auf die Fragen der Zukunft und für die Präsentation von Lösungsansätzen sein.
„Mensch - Natur - Technik" ist dabei das Motto, das zugleich die Marschroute ins neue Jahrtausend beschreibt. Wir müssen allen drei Bereichen gleichermaßen gerecht werden. Wie sich die CDU in ihrem Grundsatzprogramm der ökologischen und der Sozialen Marktwirtschaft verschrieben hat, so muß sich unsere gesamte Gesellschaft von eindimensionalen Zielen freimachen. Weder Ökodirigismus noch pure Technologiehörigkeit noch menschliche Egozentrik sind gangbare Wege.
In einer immer schneller immer enger zusammenwachsenden Welt müssen wir neue, kooperative Konzepte und Verknüpfungen finden. Eine verantwortliche Politik für die Zukunft kann und darf sich nicht der Erkenntnis verschließen, daß die Welt des ausgehenden 20. und des 21. Jahrhunderts sich als eine unteilbare Einheit darstellt. Dies gilt für weltwirtschaftliche Verflechtungen ebenso wie für die globalen Herausforderungen im Bereich des Umwelt- und Ressourcenschutzes. Auch dies herauszuarbeiten und Deutschland als Chance auf der Expo zu eröffnen ist unser Ziel.
Was geschieht, wenn Ressourcen knapper werden und wenn das Ökosystem Erde zunehmenden Energiebedarf und steigende Belastungen durch Abfälle und Emissionen nicht mehr verkraften kann? Die langfristig für mich wohl wichtigste Frage wird sein, ob es gelingt, in einer Welt, in der täglich zahllose Entscheidungsträger Entscheidungen fällen, die in letzter Konsequenz uns alle betreffen, einen Konsens zu erzielen, der es ermöglicht, daß Milliarden von Menschen auf dieser Erde menschenwürdig leben.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, auf dem Umweltgipfel in Rio hat die Bundesregierung dabei mitgewirkt, einen Meilenstein für nachhaltige Entwicklung zu legen. Wirtschaftliches Wachstum steht spätestens seit Rio nicht länger allein als Maßstab für die Leistungsfähigkeit eines Landes. Gleichberechtigt daneben steht der Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Auch dies zu demonstrieren bietet die Expo in Hannover eine Möglichkeit.
Auch die Industrie, die sich engagiert an der Expo beteiligt, setzt weitere Zeichen für zunehmenden Umweltschutz. Anläßlich der Berliner Klimaschutzkonferenz hat sich die deutsche Wirtschaft dazu verpflichtet, besondere Anstrengungen zur Senkung der CO2-Emissionen zu unternehmen. Diese freiwilligen Anstrengungen gilt es zu unterstützen.
Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir wissen, daß all dies, was bisher angedacht und eingeleitet wurde, nicht ausreichen wird, um auch den kommenden Generationen eine intakte Umwelt zu
Hans-Peter Repnik
sichern. Es sind weitere Anstrengungen erforderlich. Leistungswille und Investitionsbereitschaft dürfen dabei aber nicht durch unvertretbar hohe Belastungen und durch übermäßige Reglementierung blokkiert werden.
Gerade mit Blick auf die internationalen wirtschaftlichen Verflechtungen müssen wir Deutschland fit machen und Schädigungen unseres Wirtschaftsstandortes verhindern. Nur so können wir auch für andere Länder - auch und gerade für Entwicklungsländer - weiterhin ein starker Partner sein.
Wir müssen unsere eigenen Stärken hervorkehren. Damit tritt der dritte Aspekt des Expo-Mottos in den Vordergrund, nämlich die Technik. Um diesem Motto gerecht zu werden, brauchen wir Innovationen. Jahrzehntelang standen deutsche Produkte weltweit für intelligente Problemlösungen und hohen Standard. Diese Aktien, wir wissen es, drohen im internationalen Wettbewerb an Wert zu verlieren. Wir brauchen Menschen, die gute Ideen tatkräftig umsetzen. Wir müssen vor allem die Chancen neuer Entwicklungen erkennen, ohne sofort den ersten neuen Gedanken auf mögliche Risiken zu durchforsten.
Die Debatte im Deutschen Bundestag zu diesem Thema heute sollte nicht streitig geführt werden. Sie sollte uns alle einen in dem Ziel, diese Expo zum Erfolg werden zu lassen.
Wenn man den Antrag der Koalitionsfraktionen und den der SPD liest, dann stellt man viele Parallelen fest. Möglicherweise wird die Ausschußberatung uns dazu bringen, einen gemeinsamen Antrag zu diesem für Deutschland so wichtigen Thema zu formulieren.
Dennoch möchte ich, ohne jetzt Salz in eine Wunde streuen zu wollen, ein kontrovers diskutiertes Thema herausstellen, das vielleicht gerade im Hinblick auf die Expo symbolisch sein könnte, nämlich das Thema Transrapid.
Der Transrapid ist eines der wenigen großtechnologischen Projekte in Deutschland.
Ich meine, wir sollten die Chance nutzen, diese Technik, die nicht nur in bezug auf den Verkehr, sondern auch ökologisch eine Zukunftstechnologie ist,
auch auf der Expo als Antwort Deutschlands auf viele Fragen darzustellen. Ich würde mich sehr freuen, Herr Ministerpräsident Schröder, wenn Sie in Ihrem Beitrag bei diesem für Ihr Bundesland so wichtigen Thema auch auf diese Technik eingehen könnten.
Mit Verweigerung, gerade von Zukunftstechnologien, allein
- damit reagiere ich auf Einwürfe der Grünen - können wir Deutschland keine Perspektive und anderen Ländern keine Impulse geben.
Ich möchte Sie alle bitten, daß wir den Rat eines herausragenden Wissenschaftlers, des Präsidenten des Max-Planck-Instituts, des Verhaltensbiologen Professor Hubert Markl, beherzigen. Er sagte im Zusammenhang mit neuen Technologien:
Wer keine Angst hat, ist dumm, aber nicht wer
die größte Angst hat, beweist die größte Klugheit.
Wir sollten, so glaube ich, auch diesen Spruch beherzigen.
Auch dies, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann die Expo in Hannover verdeutlichen: Die als schick und verantwortungsvoll geltende Technikphobie gefährdet Arbeitsplätze und ist mittelfristig umweltpolitisch schädlich.
Neue Techniken bieten die Möglichkeit, wirtschaftliches Wachstum mit Umweltschutz zu verbinden. Mensch und Natur können durch technologische Innovationen versöhnt werden. Wir wissen: Weltweit ist deutsche Umwelttechnologie derzeit vorbildlich, erfüllen deutsche Produkte höchste Umweltstandards.
Mit einer verstärkten Umweltorientierung verbinden sich außerdem handfeste wirtschaftliche Chancen. Auch dies kann die Expo in Hannover deutlich machen. Das Weltmarktvolumen für Umweltprodukte beträgt derzeit rund 300 Milliarden DM, ein Wachstumspotential von 8 Prozent pro Jahr, in wenigen Jahren, zur Jahrtausendwende, zum Zeitpunkt der Expo, 500 Milliarden DM Investitionen ausschließlich in Umwelttechnologien. Wenn wir allein im Raum der entwickelten OECD-Staaten nach vorhandenen Schätzungen die Umweltstandards auf den Standard der Bundesrepublik Deutschland ausrichten würden, hätten wir in diesem Bereich ein Investitionspotential von rund 2 Billionen DM. Auch dies ein Thema - „Umwelt - Mensch, Umwelt -Technik" -, das auf der Expo nach vorn gebracht werden kann.
Ich glaube, meine sehr verehrten Damen und Herren, den hier der Bundesrepublik Deutschland gegebenen Technikvorsprung der deutschen Wirtschaft in den nächsten Jahren weiterzuentwickeln und auf der Expo zu präsentieren, das müßte unser aller Ehrgeiz sein. Aufgabe der Zukunft ist es, im Spannungsfeld
Hans-Peter Repnik
Mensch - Natur - Technik vorbehaltlos Problemlösungen zu suchen und umzusetzen.
Wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, wollen es nicht nur bei dieser heutigen Debatte belassen, sondern wir haben uns entschieden, zu diesem für den Standort Deutschland so wichtigen Thema am 3. September in Hannover eine große Veranstaltung unserer Fraktion durchzuführen. Ich möchte Sie, sehr verehrter Herr Ministerpräsident, schon heute sehr herzlich bitten, zu dieser Veranstaltung zu kommen, um gemeinsam mit uns für den Erfolg dieser Ausstellung zu werben.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Ministerpräsident des Landes Niedersachsen, Gerhard Schröder.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Repnik, herzlichen Dank für die Einladung. Sie ergeht für eine Veranstaltung, die, glaube ich, zwölf Tage vor der Kommunalwahl stattfinden soll. Ich nehme natürlich nicht an, daß Sie das erstens wußten und zweitens damit irgend etwas in dieser Richtung verbunden haben, sondern es geht Ihnen um Sachklärung, wie das so Ihre Art ist. Selbstverständlich stehe ich Ihnen zur Verfügung und werde gerne eine tragende Rolle auf der Veranstaltung, die Ihre Fraktion durchführen wird, spielen. Ich habe damit nicht das geringste Problem.
Ich habe sehr aufmerksam zugehört und festgestellt, meine Damen und Herren, daß hier gesagt worden ist, man solle die Weltausstellung aus dem üblichen Kampf zwischen unterschiedlichen Positionen in den Parteien und zwischen den Parteien selbst raushalten. Ich bin sehr einverstanden damit, nur muß man das natürlich auch durchhalten. Da macht es wenig Sinn, die Auseinandersetzung über Transrapid, wozu man so oder so Position beziehen kann, jetzt mit der Expo zu verbinden. Das ist nicht sachgerecht.
Wenn ich das richtig verstanden habe, ist die Diskussion über Transrapid hier ausführlich geführt worden, im Bundesrat ebenso, und es sind Entscheidungen getroffen worden. Also was soll das, dieses Thema jetzt mit der Expo zu verbinden? Auf dem Gelände der Expo den Transrapid demonstrieren zu wollen, verehrter Herr Repnik, das geht schon technisch nicht. Aber ich bin gern bereit, den Menschen, die zur Expo kommen, zu sagen, sie sollen sich dieses Demonstrationsprojekt im Emsland - das ist ja auch Niedersachsen - einmal anschauen und gute Erinnerungen an diese wundervolle Landschaft mit nach Hause nehmen.
Aber meine Bitte: Schmieden wir Dinge nicht zusammen, die nicht zusammengehören.
Meine Damen und Herren, was wollen wir mit der Weltausstellung? Zunächst einmal gibt es von dem einen oder anderen den Einwand dahin gehend, daß große Ereignisse wie dieses eigentlich überholt seien. Ich halte den Einwand deshalb für falsch, weil mir Kommunikation nur über technische Möglichkeiten wenig mit dem zu tun zu haben scheint, was Menschen auch in Begegnungen erleben wollen. Gerade die Möglichkeit, mit anderen persönlich umzugehen, andere Kulturen kennenzulernen - und um deren Darstellung geht es auch -, ist besser, als wenn man nur über Technik miteinander kommuniziert.
Also, die Dialogfähigkeit einer Gesellschaft nachzuweisen und in diesem Dialog andere Standpunkte ebenso kennenzulernen wie andere Kulturen, das ist ein ganz wichtiger Punkt, der von den Kritikern häufig übersehen wird.
Der zweite Einwand, dem ich gelegentlich begegne, ist, dies sei eine hannöversche oder niedersächsische Veranstaltung. Wer das so begriffe, begriffe die Veranstaltung falsch. Die Weltausstellung im Jahr 2000 ist ein nationales Ereignis, und ich bin froh, daß Sie es genau so sehen. Wir sind Gastgeber und wollen Gastgeber sein in Hannover, in Niedersachsen.
Lassen Sie mich genauso klar sagen: Wir wollen ökonomisch und auch bezüglich unserer Entwicklungschancen etwas davon haben. Aber wir wollen nicht engstirnig mit dem Projekt umgehen, wir sind nicht zufällig die Gastgeber. Wir wollen in diese Gastgeberrolle investieren und haben das bereits nachgewiesen, aber wir bestehen darauf, daß die Weltausstellung als nationales Projekt begriffen und exakt so von der deutschen Politik behandelt wird.
Worum geht es inhaltlich? Wir haben im Jahre 2000 die einmalige Chance, das neu zu definieren, was wir uns unter Modernität vorstellen. Wir haben die einmalige Chance auch deshalb, weil das Konzept der Weltausstellung - das haben die Kritiker nicht hinreichend realisiert - eines ist, das vom Konkurrenzkampf zwischen Nationen und deren Darstellung weggeht - das war das Konzept der alten Weltausstellungen - und zur Konkurrenz um Themen und zu deren Lösungen hingeht.
Das fundamental Neue, weswegen sich das alte Projekt aus sich selbst heraus neu rechtfertigt, ist, daß wir eben nicht in erster Linie Leistungskataloge der teilnehmenden Länder anbieten wollen, sondern Modernität als die Fähigkeit begreifen wollen, Probleme zu erkennen und Lösungen für die meist globalen Probleme auf der Weltausstellung anzubieten. Insoweit geht das, was dort stattfinden wird, auch weit über die Funktion einer, wenn auch anspruchsvollen, Messe hinaus.
Wir wollen Lösungen für die globalen Probleme anbieten. Ich finde, es müßte Deutsche - jedenfalls
Ministerpräsident Gerhard Schröder
I ist es bei uns so - durchaus stolz machen, daß wir die Chance haben, im Jahre 2000 solche Lösungsmöglichkeiten für globale ökonomische, ökologische und soziale Probleme in Deutschland und - lassen Sie es mich so sagen - in Niedersachsen und Hannover anzubieten.
Dies ist der Grund, warum ich mich von vornherein für das Projekt eingesetzt habe, und zwar auch in Konstellationen politischer Art, in denen das nicht so ganz einfach war. Das gebe ich gern zu. Gelungen ist es; denn die Vorbereitungen, die das Land und die Stadt, insbesondere, was die Verkehrsinfrastruktur angeht, treffen mußten, sind auf einem guten Weg, sie sind geleistet. Auch die Region wird etwas davon haben, daran kann kein Zweifel bestehen.
Da wir schon einmal dabei sind, Überparteilichkeit zu üben - dieses Projekt rechtfertigt das -, will ich Ihnen sagen: Ich habe jetzt keine Schwierigkeiten - anfänglich war das anders - zuzugeben, daß Herr Bohl und der Bundeskanzler hinter diesem Projekt stehen und daß wir das als Unterstützung der Position begriffen haben und dafür durchaus dankbar sind.
Was die Verkehrsprobleme angeht, gibt es bezüglich der Autobahnen etwas Entlastung, aber es muß noch ein bißchen mehr her. Wenn Sie - das wird zweifellos so sein - von den Koalitionsfraktionen Unterstützung für das Projekt ankündigen, dann denken Sie bitte daran, daß Unterstützung immer willkommen ist, Geld noch willkommener, um die Aufgaben, die bisher nicht erledigt sind, ausführen zu können.
Schließlich geht es auch darum, das Projekt nicht nur als Chance für ökonomischen und ökologischen Fortschritt zu begreifen, sondern - darauf wird noch hinzuweisen sein - es auch als eine Chance zu begreifen, Kultur und kulturelle Möglichkeiten im Zusammenhang mit der Expo neu zu definieren und vorzuführen, daß Deutschland bei all dem, was wir im übrigen über Standortfragen und was sich damit verbindet zu debattieren haben, nie ein Land werden wird, in dem hinter den wichtigen sozialen, ökonomischen und ökologischen Fragen Kultur vergessen wird.
Letztlich geht es auch darum, deutlich zu machen, daß das Werden der Expo, das Ausgestalten und Diskutieren des Konzeptes für uns fast so wichtig ist wie die Veranstaltung selbst. Diejenigen, die immer einfordern: Ihr müßt morgen oder übermorgen bereits ein festes und umsetzbares Konzept vorlegen, gehen von einem Fehlschluß aus, nämlich dem, daß sich diese Forderung natürlich auf die Infrastruktur, nicht aber auf die Konzeption selber beziehen muß.
Wir möchten gern, meine Damen und Herren, daß hin zur Expo über die Gestaltung der Inhalte dieser Weltausstellung eine lebhafte, eine lebendige, auch kontroverse Diskussion geführt wird; denn die Kontroverse über die Inhalte der Weltausstellung hin zur Expo, also in den nächsten Jahren, ist uns deshalb wichtig, weil sich mit diesem Projekt Phantasie verbindet und verbinden soll und weil wir es natürlich gern sähen, wenn sich dieses Verbinden auch auf die Region und auf die Landeshauptstadt Hannover bezöge.
Kurzum, es geht uns nicht nur darum, im Jahre 2000 die Lösungsmöglichkeiten für die Probleme anzubieten und gute Gastgeber für diejenigen zu sein, die zu uns kommen werden. Es geht uns auch darum, im Prozeß des Entstehens dieses Projekts als Region, als Standort, attraktiv zu bleiben und noch attraktiver zu werden.
Ich finde - damit will ich es dann auch bewenden lassen, meine Damen und Herren -, es ist auch angemessen, wenn ich vor dem Deutschen Bundestag nicht so tue, als wenn es uns in der Region, im Bundesland Niedersachsen, nicht auch um ganz handfeste Vorteile ginge. Es geht uns um handfeste Vorteile etwa insoweit, als wir wissen, daß die einzelnen Regionen Europas heute miteinander konkurrieren als Standorte für Investitionen und damit für Arbeitsmöglichkeiten, und den Schub an Internationalität, an Imagegewinn, den uns dieses Projekt geben kann, können wir gut gebrauchen, meine Damen und Herren, und den wollen wir auch. Ich bestreite das überhaupt nicht.
Hier liegt der Grund, warum wir nicht anstehen zu sagen: Es ist in Ordnung, daß die wesentlichen Leistungen für die Entwicklung der Infrastruktur aus den Mitteln finanziert werden, die das Land Niedersachsen aus Bundesbahn- oder GVFG-Mitteln ohnehin bekommt. Es ist unsere Aufgabe - das wissen wir sehr wohl -, die Gastgeberrolle ordentlich vorzubereiten, und wir sind bei den Investitionen insoweit nie kleinlich gewesen und werden es auch nicht sein, obwohl unsere finanziellen Ressourcen wahrlich begrenzt sind. Aber da es ein nationales Projekt ist, kann ich mir vorstellen, meine Damen und Herren, daß wir aus der Mitte des Bundestages heraus mit Unterstützung der Bundesregierung, wenn es denn möglich ist, was ich mir wünschen würde, noch ein bißchen mehr tun können.
Dies ist die erste Debatte im Deutschen Bundestag über dieses Thema. Meine Hoffnung ist, daß es nicht die letzte sein wird. Ich könnte mir vorstellen, Herr Repnik, daß Veranstaltungen wie die, die Sie planen, stattfindend in Niedersachsen, in Hannover, auch dazu führen könnten, daß wir bis zum Jahr 2000 meinethalben jedes Jahr vor dem Deutschen Bundestag Rechenschaft über den Stand der Vorbereitungen ablegen. Wir als Landesregierung - das werden wir auch bis zum Jahr 2000 bleiben -, sind jedenfalls dazu bereit.
Herr Kollege Dr. Helmut Lippelt, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Ministerpräsident! Erlauben Sie mir, daß ich nach so viel um das Motto „Mensch - Natur - Technik" gerankter Ökophilosophie von Herrn Repnik, nach der Betonung der Notwendigkeit der Kommunikationsmöglichkeiten durch den Herrn Ministerpräsidenten ein bißchen zu den „Hard facts of life" zurückkehre, und erlauben Sie mir, da der Ministerpräsident eine durchhaltende Position erwartet, daß ich sage: Die Expo und ihre Planer stehen mit dem Rükken zur Wand - finanziell, mehr noch aber ideell.
Vor einem Jahr - ich sage extra: vor einem Jahr, weil sich inzwischen etwas geändert hat -, sieben Jahre nach Abgabe der offiziellen Bewerbung, waren die Schubladen noch leer. Es gab Personalquerelen in der Expo GmbH, einen Landtagsuntersuchungsausschuß und einen Bürgerentscheid, der deutlich machte, daß fast die Hälfte der Bürgerinnen und Bürger Hannovers keine Expo wollten. Es gab aber keine Konzepte für die Umsetzung des anspruchsvollen Mottos und keine Sponsorenliste von Firmen, die entsprechend dem Motto bereit waren, sich mit der Expo zu identifizieren.
Frau Breuel mußte erst zur Generalkommissarin berufen und das bisherige Management gefeuert werden, um noch einmal einen Versuch zu wagen. Dieser Versuch, die Expo nochmals in Richtung auf das Motto zu organisieren, scheiterte spätestens in der Aufsichtsratssitzung der Expo GmbH Ende März, als Herr Werner von Mercedes-Benz das Machtwort der Industrie sprach: keine Systemführerschaft bei Gestaltung des Herzstückes der Ausstellung, des Themenparks, durch Umweltinstitute ohne Zustimmung der ausstellenden Industrie. Nicht Ernst Ulrich von Weizsäcker wird das letzte Wort haben, sondern BASF und die anderen Industriesponsoren.
Damit ist nun das eingetreten, was die Grünen in Hannover von Anfang an befürchtet haben und was vor einem halben Jahr durch eine zwischenzeitliche Bewertung des Bundesrechnungshofs bestätigt wurde. Der Bundesrechnungshof hat darauf hingewiesen, daß der Themenpark mindestens eines Aufwandes von einer Milliarde DM bedarf. In der Kalkulation der Expo GmbH waren 350 Millionen DM eingesetzt. Jetzt meint man, mit 250 Millionen DM hinzukommen, denn die Industrie wird es schon machen. Der Rechnungshof hat die Besorgnis ausgedrückt, daß die Firmen sich entweder als Aussteller oder als Sponsoren engagieren. Man wird sie daher kaum an beiden Stellen in die Rechnung einsetzen können.
Um so wichtiger ist, daß man dann über die Eintrittsgelder der Besucher aus dem Schneider kommt. 40 Millionen Besucher sind kalkuliert; das bedeutet eine Besucherzahl zwischen 300 000 und 400 000 an Spitzentagen. Bisher lag die Besucherzahl der beiden Hannovermessen an Spitzentagen bei 75 000. Der Rechnungshof stellt fest, daß schon auf Grund der Infrastruktur ein großer Teil der eingeplanten Besucher das Ziel, die Messe, überhaupt nicht erreichen kann. Der schöne Traum, sie alle mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu einer ökologisch orientier-
ten Weltausstellung zu befördern, ist ohnehin ausgeträumt. Jetzt spricht man davon, die Nord-Süd-Autobahn notfalls mit Kreide von 4 auf 6 Spuren zu erweitern.
Die Befürchtungen der Grünen, riesige Autostaus und CO2-Schwaden, scheinen kein Horrortraum zu sein. Eine Weltausstellung, die ökologisch orientiert sein sollte, produziert nur noch ökologische Belastungen. Trotzdem - so der Rechnungshof - werden nicht alle Besucher an ihr Ziel kommen. Fehlen aber nur 10 Prozent der angepeilten Besucher, kommt ein Defizit von 160 Millionen DM auf Land und Bund zu. Die Industrie bestimmt zwar den Themenpark, beteiligt sich aber nicht an der Defizitabdeckung.
Ich erwähne die übrigen Probleme nur mit einem Stichwort. Das zur Entlastung des Wohnungsmarkts zugesagte Sonderbauprogramm mit einem Umfang von 2 500 Wohnungen sollte 1997 abgeschlossen sein. Jetzt wird es auf die Hälfte bis Mitte des Jahres 2000 heruntergeschraubt. Den durch die Expo bedingten Mietpreissteigerungen entgeht Hannover also nicht.
Wir, Bündnis 90/Die Grünen, wollen die Expo in Hannover wegen all ihrer geschilderten Konsequenzen nicht.
- Richtig. So, wie die Vorbereitungen gelaufen sind, wurden unsere Befürchtungen bestätigt.
Etwas ganz anderes wäre natürlich eine regionale Ausstellung in einer von der Planwirtschaft im Raum Bitterfeld zerstörten Landschaft, wo nur Landschaftssanierung dargestellt werden kann. Das sind die Pläne des sogenannten Expo-Korrespondenzstandortes Bitterfeld-Dessau-Wittenberg. In der bisherigen Expo-Planung gab es dafür keinen Pfennig. Trotzdem will Sachsen-Anhalt die Ausstellung mit bescheidensten Mitteln durchführen, um das Augenmerk auf die Möglichkeiten der Landschaftssanierung zu richten. So etwas ist natürlich unterstützenswert, insbesondere wenn hier an Traditionen angeknüpft werden kann wie die des Bauhauses und des Wörlitzer Parks.
Wir geben der Bundesregierung und ihrem Finanzminister einen guten Rat: Brechen Sie das Abenteuer ab, das Defizite geradezu heraufbeschwört und dem die Bevölkerung mit sehr gemischten Gefühlen als einer heute nicht mehr zeitgemäßen Mammutschau entgegensieht. Tokio hat es drei Jahre vor der geplanten Eröffnung im Jahr 1968 getan. Wien hat die Ausstellung drei Jahre und Budapest zwei Jahre vor der geplanten Eröffnung im Jahr 1996 abgesagt. Sie vergeben sich nichts, wenn Sie die Expo in Hannover vier Jahre vorher absagen.
Sie sparen viel Geld; Sie ersparen sich und uns große ökologische und soziale Schäden; Sie ersparen sich, der Stadt Hannover, dem Lande Niedersachsen und Ihrem Ministerpräsidenten erhebliche Defizite.
Dr. Helmut Lippelt
Nehmen Sie ein bißchen von der gesparten Summe, und unterstützen Sie damit so löbliche Ausstellungen wie die in Sachsen-Anhalt geplante! Das wird dann zwar nicht dem Anspruch „Deutschland ruft die Welt" durch protzige Selbstdarstellung gerecht, wohl aber dem des bescheidenen Maßes, der ökologischen, naturschützerischen Notwendigkeiten und der knappen Mittel in allen Kassen.
Ein letztes Wort: Es wäre doch wirklich ein positiver Beitrag der Grünen zum Sparprogramm der Bundesregierung.
Herr Kollege Walter Hirche, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die internationale Völkergemeinschaft hat Deutschland eine großartige Chance eingeräumt: Das 21. Jahrhundert beginnt in Deutschland. Mit der Expo 2000, der ersten Weltausstellung auf deutschem Boden, hat Deutschland die Chance, zum Beispiel die Agenda 21, die 1992 auf der Rio-Konferenz beschlossen wurde, konkret mit Inhalt zu füllen.
Natürlich ist die Expo für den Veranstaltungsort Hannover und für die Region - der Ministerpräsident hat darauf hingewiesen - ein ähnlich wertvolles Ereignis, wie es die Olympiade für München war. Aber die Expo ist kein Lokalereignis; Gastgeber ist Deutschland als Nation. Die Bewerbung in Paris 1988
erfolgte namens der Bundesregierung durch den Bundeswirtschaftsminister.
Der persönliche Einsatz des Bundeskanzlers hat diese nationale Bedeutung unterstrichen. Es ist gut, wenn sich heute der Deutsche Bundestag - ich denke, mit breiter Mehrheit - noch einmal nachdrücklich zu der Expo 2000 mit ihren Möglichkeiten für den Wirtschafts-, Kultur- und Umweltstandort Deutschland bekennt.
Die Expo 2000 bietet die einmalige Gelegenheit, Deutschland zehn Jahre nach der Wiedervereinigung und gut ein halbes Jahrhundert nach dem demokratischen Neuanfang als innovativen, leistungsstarken und weltoffenen Staat zu präsentieren, der sich den globalen Herausforderungen des neuen Jahrhunderts stellt. Der F.D.P. fehlt jedes Verständnis dafür, daß Provinzpolitiker in der Region oder - wie es Herr Lippelt eben deutlich gemacht hat - hier in Bonn diese Chance kaputtmachen wollen.
Der Antrag, den die Grünen vorgelegt haben, trieft angesichts der Herausforderung und der Globalisierung aller Prozesse sowie der Chance in Deutschland, zusammen mit den Staaten der Welt Antworten auf die wichtigen Fragen zu geben, geradezu vor
Provinzialismus. Herr Lippelt, der Zug hält nicht mehr auf dem Bahnhof, auf dem Sie stehen.
Das in der Agenda 21 von Rio verankerte Leitbild der nachhaltigen Entwicklung soll alle Beiträge, Veranstaltungen und Ausstellungsstücke der Expo prägen. Das Motto „Mensch - Natur - Technik" verdeutlicht das. Die thematischen Leitlinien für die Ausstellungsbeiträge, die die Generalversammlung des Bureau International des Expositions Mitte dieses Monats genehmigt hat, bestätigen das. Im Unterschied zu den bisherigen Weltausstellungen, die nicht selten ein Jahrmarkt nationaler Eitelkeiten waren, soll die Expo 2000 ein globales Forum für innovative Lösungsansätze und Zukunftsstrategien sein, die unter anderem Ökonomie und Ökologie in Einklang bringen.
Jeder weiß, wenn er sich die Weltprobleme anschaut: Rasche Industrialisierung, Bevölkerungswachstum, knapper werdende Ressourcen und die Entwicklungs- und Umweltprobleme überall auf der Welt müssen bewältigt werden. Es steht außer Frage, daß wir unser Versorgungsniveau mit den heutigen Techniken nicht auf die Entwicklungsländer übertragen können. Unser Planet wäre damit in kürzester Zeit überfordert. In Hannover hat die deutsche Wirtschaft die besondere Chance, ihre innovativen Lösungen für all diese Fragen zu zeigen.
Die Expo 2000 ist deshalb eine große Herausforderung für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Damit können auch Zeichen für die Akzeptanz modernster Techniken in Deutschland gesetzt werden.
Meine Damen und Herren, die vielen kleinkarierten Widerstände vor Ort sollten in dieser Debatte sicherlich nicht breitgetreten werden. Festzuhalten ist allerdings, daß die Zeitverzögerung, die in den Planungen entstanden ist, einzig und allein der Tatsache zuzuschreiben ist, daß die Grünen mit großen Teilen der hannoverschen SPD zwischen 1990 und 1994 versucht haben, diese große Chance Deutschlands als Forum der Zukunft zu sabotieren. Ich bin dem Ministerpräsidenten dankbar, daß er deutlich gemacht hat, daß er hier immer anderer Meinung war.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß Hannover mit zwei Messen pro Jahr seinen Standortvorteil eigentlich ausreizen könnte, und
Dr. Helmut Lippelt
daß man, wenn das nicht erfolgt, die Wirtschaftsförderungsabteilungen des niedersächsischen Wirtschaftsministeriums und auch der Stadt Hannover auflösen sollte? Hannover kann doch soviel Wirtschaftsförderung und Wirtschaftswerbung treiben, wie es will. Wenn zusätzlich noch eine Expo gebraucht wird, ist dann nicht die bisherige Wirtschaftsförderung schlecht gewesen, so daß man die Leute nach Hause schicken sollte?
Herr Lippelt, darauf gibt es zwei mögliche Antworten: Entweder haben Sie überhaupt nicht verstanden, was die Expo eigentlich will. Vor der Genehmigung ist ausdrücklich geklärt worden, daß die Expo etwas völlig anderes als eine Messe ist. Ich habe seinerzeit selbst an den Gesprächen mit den Vertretern des Pariser Büros teilgenommen. Da ich aber nicht glaube, daß Sie das nicht verstanden haben, vermute ich andererseits, daß Sie nach wie vor versuchen, den Charakter der Expo anders darzustellen, als er angelegt ist. Sie versuchen damit bösartig, die Überlegungen im Hinblick auf die Themenfindung - der Weg ist ein Stück des Zieles; insofern stimme ich den Ausführungen, die eben von Herrn Schröder gemacht worden sind, ausdrücklich zu - zu mißachten, wegzudrücken, nicht wahrhaben zu wollen. Des weiteren versuchen Sie, Horrorszenarien in der Region aufzubauen, um die Leute zu erschrecken, statt sich an Zukunftsarbeit zu beteiligen.
Sie verweigern ein Stück Gestaltung der Zukunft nicht nur in Deutschland, sondern insbesondere im Dialog mit den Ländern der übrigen Welt. Das ist bedauerlich, meine Damen und Herren, weil am Beginn des 21. Jahrhunderts etwas anderes gefragt ist.
Herr Kollege Hirche, ohne sprachliche Engherzigkeit mache ich Sie darauf aufmerksam, daß der Begriff „bösartig" in dem Zusammenhang ein bißchen zu stark gewesen ist. Wenn Sie ihn relativierten, wäre es auch nicht schlecht.
Ich will gerne den Begriff „kenntniswidrig" verwenden; jeder weiß, was gemeint ist.
Die Expo 2000 verlangt ja geradezu Beiträge aus aller Welt zur Lösung von Klimaproblemen, Verkehrs- und Energiefragen und von Problemen der Ballungsräume, etwa der Bodenerosion, sowie zur Antwort auf die Fragen, wie die Sicherung der Nahrungsgrundlage erreicht und gesunde Lebensverhältnisse geschaffen werden können. Meine Damen und Herren, in all diesen Bereichen muß Technik eingesetzt werden. Das ist eine Chance für Wirtschaft.
Das ist auch eine Chance für Kommunikation, und selbstverständlich gehört der Dialog der Kulturen in diesen Gesamtzusammenhang. Jeder, der sich ein bißchen mit dem Konzept der Expo beschäftigt hat, weiß, daß auch die Durchführung selbst und nicht nur die Themen eine neue Form der Kommunikation verlangen und daß das auch insgesamt geplant ist. Die Besucher sollen entdecken, welche Möglichkeiten der persönlichen Einflußnahme auf Entwicklungen des eigenen Lebensumfeldes, der eigenen Region und der Erde insgesamt bestehen.
Meine Damen und Herren, im Jahre 2000 werden wir zehn Jahre vereintes Deutschland feiern können. Auch wenn bei den ersten Überlegungen zu der Expo diese Möglichkeit noch weit hinter dem Horizont war, so haben wir doch die Gelegenheit, im Jahre 2000 der Weltöffentlichkeit deutlich zu machen, in welcher Weise Deutschland zum Beispiel die Herausforderung gemeistert hat, die verheerenden Umweltschäden des Sozialismus in den Griff zu bekommen. Auch daraus ergeben sich Anregungen für die Länder der Welt. Deswegen ist die Region Bitterfeld-Dessau-Wittenberg als Korrespondenzstandort wichtig. Dabei müssen wir neben allen Einzelbeispielen im deutschen Expo-Beitrag auch verdeutlichen, wie eng wirtschaftlicher Wohlstand und eine offene Gesellschaft mit den Grundprinzipien Freiheit und Verantwortung zusammenhängen.
Meine Damen und Herren, nach den großen UN-Konferenzen in Rio zu Umwelt und Entwicklung, in Kairo zur Bevölkerungsentwicklung, in Kopenhagen zu Sozialfragen, in Peking zu Frauenfragen, in Istanbul zum Städtebau und in Berlin zum Weltklima wird die Expo 2000 in Hannover alle Aspekte der Weiterentwicklung im 21. Jahrhundert bündeln. Die Faszination der Zukunft soll auf der Expo 2000 deutlich werden. Dazu müssen noch einige handfeste Infrastrukturprobleme in der Region gelöst werden. Meine Fraktion ist gern bereit, sich daran zu beteiligen, auch in den Beratungen dieses Hauses. Wir sollten die Chance gemeinsam nutzen, meine Damen und Herren. Die F.D.P. ist dazu entschlossen.
Das Wort hat der Kollege Roll Köhne.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herren Ministerpräsidenten! Die Kollegen Repnik und Hirche sowie die vorliegenden Anträge von CDU/CSU, F.D.P. und SPD verbreiten eine schöne Vision: Die Expo soll die programmatischen Aussagen der Agenda 21 für eine nachhaltige Entwicklung mit Leben erfüllen und konkret werden lassen; sie soll einen wesentlichen Beitrag bei der Suche nach einem neuen, an Nachhaltigkeit orientierten Verhältnis zwischen Mensch, Natur und Technik an der Schwelle zum nächsten Jahrtausend leisten. Hübsch!
Da ist die Expo aber das falsche Mittel zum richtigen Zweck. 40 Millionen Besucher, die halbe Republik, verteilt auf fünf Monate, also zirka 300 000 täglich - täglich etwa soviel wie neulich bei der Demonstration hier in Bonn -, die Verkehr verursachen,
Rolf Köhne
Energie und Trinkwasser verbrauchen, Abwässer erzeugen und Abfälle hinterlassen - das ist mit Sicherheit keine nachhaltige Situation!
Sinnvolle dezentrale Projekte wie in Bitterfeld/ Dessau können auch ohne solch ein gigantisches Projekt durchgeführt und weltweit bekanntgemacht werden.
Im Zeitalter von Internet und Telekommunikation ist eine solche zentrale Mammutshow ein Stückchen Steinzeit.
Aber um das Motto geht es ja auch nicht mehr. „40 Millionen Besucher lockt man nicht mit populärwissenschaftlichen Darbietungen" , so Originalton Frau Birgit Breuel auf einer Werbeveranstaltung gegenüber niedersächsischen Bundestagsabgeordneten.
Deshalb ist auch KEKS angesagt. Mit Kultur, Entertainment, Kunst und Sport sollen die Massen gelockt werden. Das Thema rückt völlig in den Hintergrund.
Was bleibt also von diesen Visionen? Die trügerische Hoffnung, es ließen sich über die Einnahmen aus diesem Massentourismus zukunftsfähige Projekte finanzieren.
Der Bundesrechnungshof hat dazu aber festgestellt, daß diese Rechnungen nicht aufgehen werden. Die Fakten dazu hat der Kollege Lippelt bereits hier vorgetragen.
Herr Ministerpräsident, auch Ihre Hoffnung, die Expo 2000 in Hannover würde anders, sie würde kein Konkurrenzkampf der Nationen wie frühere Weltausstellungen, ist auf Sand gebaut. Wenn Sie den Kollegen Repnik und Hirche zugehört hätten, dann hätten Sie nämlich genau das Gegenteil von dem gehört, was Sie sich erhoffen. Ausnahmsweise einmal nicht am deutschen Wesen, sondern an deutscher Technik soll die Welt genesen. Das ist doch das, was man hier auf den Punkt bringen kann.
Die Expo wird also weder inhaltlich dem gesteckten Ziel gerecht, noch werden sich über sie Projekte finanzieren lassen. Es wird eine Pleite für die Allgemeinheit. Profitieren werden letztendlich wieder nur Banken und Konzerne. Genau für diesen Zweck hat man auch die richtige Frau als Generalkommissarin eingesetzt.
Damit Frau Breuel keine Gelegenheit erhält, Hannover in eine „blühende" Landschaft zu verwandeln
wie die neuen Länder, möchte ich mit der Forderung schließen: Expo absagen!
Herr Kollege Dr. Friedbert Pflüger, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege Repnik hat den Herrn Ministerpräsidenten zu der Tagung der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion am 3. September eingeladen, und Herr Schröder hat sich selbst sofort eine tragende Rolle dabei zugeschrieben.
Herr Schröder, die Einladung hat sich auf eine tragende Rolle als Zuhörer erstreckt. Als solcher sind Sie uns herzlich willkommen.
Ich glaube, daß es Ihnen genauso wie uns allen sehr gut tun wird, auf dieser Tagung den Zuhörer zu spielen und den Experten aufmerksam zu folgen; denn den Rat der Experten können Sie genausogut gebrauchen wie wir alle in diesem Haus.
Der Ministerpräsident Schröder hat eine sachliche Rede gehalten; darüber hat sich das ganze Haus gefreut. Er hat sich allerdings nicht verkneifen können, das Interesse seiner Landesregierung zu dokumentieren, im Jahre 2000 noch im Amt zu sein. Offenbar hat Herr Schröder nicht mehr das Interesse, vor dem Jahr 2000 als Kanzlerkandidat oder gar als Bundeskanzler aufzutreten.
Ich kann nur sagen: Auch das trägt auf allen Seiten des Hauses zur Beruhigung bei, Herr Ministerpräsident.
Zur Expo: Die beiden vorgelegten Anträge, der von den Sozialdemokraten und der von der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion, sind von der Sache her nicht weit voneinander entfernt.
Insofern glaube ich, Frau Bulmahn, daß wir die Möglichkeit haben - wir jedenfalls würden das Angebot unterbreiten -, in den Ausschüssen darüber zu reden, gemeinsam, als Koalition und Opposition, einen Antrag in dieses Parlament einzubringen. Das Thema Expo ist für unsere Region und unser Land so
Dr. Friedbert Pflüger
I wichtig, daß das Zustandebringen eines solchen Antrags eine sehr gute Idee wäre.
Es ist schade, daß sich die Grünen in der Art und Weise verweigern, wie es der Kollege Lippelt getan hat. Ich zweifle nach manchen Gesprächen, die ich mit Grünen-Abgeordneten geführt habe, daran, ob diese Position von allen geteilt wird; vielleicht ist sie eher aus einer hannoverschen Befindlichkeit grüner Abgeordneter geboren worden. Die Grünen sind leider nicht in der Lage, die gerade für die Ökologie gewaltige Chance, die sich mit diesem Projekt verbindet, ernsthaft zu würdigen.
Der Präsident des Club of Rome, Herr Díez-Hochleitner, hat vor wenigen Tagen zur Weltausstellung im Jahr 2000 in Hannover ausgeführt: Wenn die Expo so stattfindet, wie sie jetzt geplant ist, dann werde ich als Spanier sehr stolz auf Deutschland sein.
Herr Díez-Hochleitner, der Club of Rome, Umweltinstitute, Umweltexperten aus aller Welt sehen in der Expo die Chance für eine weltweite Bewußtseinsbildung, für eine Wende in unserem Bewußtsein.
Und nun kommen Sie mit Argumenten grüner Kirchturmpolitik und wollen das verhindern, weil der Müllberg in Hannover um ein paar Zentimeter höher wird. Das ist ökologischer Provinzialismus und nicht verantwortliche ökologische Politik, Herr Kollege Lippelt.
Herr Kollege Pflüger, der Kollege Lippelt würde Ihnen gern eine Frage stellen. Sind Sie bereit, diese zu beantworten?
Gerne. Vizepräsident Hans Klein: Bitte.
Herr Kollege Pflüger, wie schätzen Sie die Berichte über die Sitzung des Expo-Aufsichtsrats Ende März und die Differenz, die es da zwischen den von Ihnen so hochgeschätzten Öko-Wissenschaftlern und der Industrie in der Frage der Systemführerschaft gegeben hat, ein?
Ich glaube, daß das Wichtigste im Bereich der Systemführerschaft der Themenpark der Unabhängigkeit ist. Ich darf zur Erläuterung für die anderen Kollegen sagen: Es ist das erste Mal, daß sich auf einer Weltausstellung nicht mehr in erster Linie nur die Nationen präsentieren, sondern tatsächlich die Themen der Agenda 21 der Vereinten Nationen in einem Themenpark ausgestellt werden. Die Systemführer sind nicht Unternehmer, sondern unabhängige Fachleute mit Erfahrung.
Meine feste Überzeugung ist, daß das der richtige Weg ist. Soweit ich sehe - wir werden nachher noch Herrn Hedrich hören -, wird diese Auffassung vom Aufsichtsrat geteilt.
Unabhängige Fachleute zum Beispiel aus den Museen und den Universitäten sollen für die einzelnen Bereiche die Systemführerschaft übernehmen, um zu gewährleisten, daß dies keine große Industrie-Show alten Stils wird, sondern eine an einem inhaltlichen Thema - „Mensch - Natur - Technik" - aufgezogene Veranstaltung.
Herr Kollege Lippelt, ich glaube, daß wir auf dem richtigen Weg sind. Daß wir uns auf dem Weg dorthin über verschiedene Konzepte unterhalten können und natürlich auch die Grünen eingeladen sind, dort ihre Stimme geltend zu machen, ist doch gar keine Frage. Es wird auch Konflikte und unterschiedliche Auffassungen geben. Sich aber zu verweigern und von vornherein zu sagen, dieses Projekt sei falsch, steht allem entgegen, was Experten auf ökologischem Gebiet in aller Welt sagen. Sie nämlich sehen hier erstmals eine Chance, die Agenda 21 mit Leben zu erfüllen, sie konkret zu machen, sie an Hand ganz klarer Beispiele und Konzepte der Weltöffentlichkeit zu präsentieren. Sich dem zu verweigern ist eine falsche Politik. Dafür werden Sie in Hannover noch einmal bezahlen.
Ich glaube, daß der Bundeskanzler, der in Rio gewesen ist, mit seinem Begriff der „einen Welt, in der wir leben" völlig recht hat. Diese eine Welt gilt es zu gestalten. Es gilt, die großen Gefahren, die Überlebensgefahren für die Menschheit, zum Beispiel die drohende Klimakatastrophe, den Raubbau an unseren Ressourcen, all diese Dinge, von denen auch der Kollege Repnik gesprochen hat, in den Griff zu bekommen. Dabei haben wir in unserem Land, in Deutschland, die Möglichkeit, eine Führungsrolle einzunehmen. Und da verweigern sich ausgerechnet die Grünen? Ich glaube, daß das eine falsche Politik ist, die in die Irre geht.
Wir haben die Chance, die Umrisse für einen neuen globalen Gesellschaftsvertrag in den Veranstaltungen bis zur Expo in Hannover, von denen Sie, Herr Ministerpräsident, gesprochen haben, anzudenken. Ich glaube, daß das eine zu ernste Sache ist, als daß sie kurzfristig parteitaktisch und populistisch in Hannover dadurch ausgenutzt werden sollte, daß man die Menschen, die zum Teil in der Tat über zusätzliche Belastungen zu klagen haben werden, in dieser Weise gegen dieses Projekt aufhetzt.
Ich verhehle nicht - und ich finde es richtig, daß das auch der Ministerpräsident angesprochen hat -, daß wir uns aus hannoverscher Sicht, aus niedersäch-
Dr. Friedbert Pflüger
sischer Sicht für unsere Region, für den Standort Niedersachsen und für den Standort Hannover, natürlich von der Expo auch etwas versprechen. Wir haben Steuermehreinnahmen zu erwarten. Wir bekommen durch das gewaltige Investitionsvolumen zusätzliche Arbeitsplätze. Das alles wird der Region gerade in einer Zeit mit viel Arbeitslosigkeit zugute kommen. Ich glaube, daß die Hannoveraner das inzwischen verstanden haben.
Es wäre gut gewesen - ich möchte diese eine Anmerkung hier noch machen -, wenn wir das in Hannover ein bißchen früher über die Bühne gebracht hätten und nicht so viele Zweifel von seiten der SPD geäußert worden wären.
Sie haben uns in eine Bürgerbefragung hineingetrieben und haben damit eine große Chance für Hannover in einer sehr gefährlichen Weise riskiert, in eine Bürgerbefragung übrigens, die in keiner Verfassung vorgesehen ist.
Die Zeit, die wir verloren haben, haben wir in dieser überflüssigen Debatte in Hannover verloren.
Hier in Bonn haben in der Tat - ich will das ganz offen sagen - die Haushälter, die Politiker meiner Fraktion und auch anderer Fraktionen gezögert, ob sie ein solches großes Projekt durchführen könnten. Sie zögern vor allen Dingen dann, wenn in Hannover selbst die Signale nicht klar gestellt sind und Hannover selbst nicht weiß, was es eigentlich will.
Diese Phase ist glücklicherweise vorbei. Ich will hier an die Gemeinsamkeit anknüpfen, von der hier mehrfach die Rede gewesen ist. Ich will diese Gemeinsamkeit auch pflegen. Ich will nur sagen: Ich glaube, daß die Dinge jetzt auf einem sehr guten Weg sind.
Heute steht in der „Süddeutschen Zeitung" ein interessanter Artikel über die Expo, in dem vor allem die Arbeit der Generalkommissarin Birgit Breuel gewürdigt und gesagt wird, es gehe zu einem großen Teil auf ihr Engagement zurück, daß die Expo heute durchgesetzt worden sei.
Die Redezeit, Herr Kollege!
Inzwischen sind es 64 Länder, die zugesagt haben, zur Expo zu kommen. Das ist unter anderem auf die erfolgreiche Überzeugungsarbeit des Generalkommissariats zurückzuführen, das wir in seiner Arbeit unterstützen sollten.
Herr Kollege Pflüger!
Die Expo ist ein Aushängeschild für uns alle. Sie ist ein Aushängeschild für ein weltoffenes leistungsfähiges Deutschland. Deshalb bitte ich Sie alle um Unterstützung für dieses großartige Projekt.
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort der Kollegin Steffi Lemke.
Herr Pflüger, Sie haben in Ihrer Rede eben dem Bündnis 90/ Die Grünen vorgeworfen, sich dem Projekt Weltausstellung im Jahre 2000 aus ideologischen Gründen zu verweigern. Sie sind, wenn ich richtig informiert bin, Hannoveraner. Ich gehe davon aus, daß Sie die Diskussion um die Expo von Anfang an sehr aufmerksam verfolgt haben. Dabei dürfte Ihnen nicht entgangen sein, daß sich die Grünen sehr wohl an der Diskussion beteiligt haben, daß es den Grünen aber nicht ausgereicht hat, eine Weltausstellung unter dem Motto auszurufen „Wir machen eine ökologische Weltausstellung", sich dieses Label draufzupakken, ohne es mit Inhalt zu erfüllen.
Wir haben sehr wohl inhaltlich diskutiert, Vorschläge in Hannover unterbreitet: Wie kann es aussehen? Wie könnte eine Expo funktionieren? Diese Vorschläge sind nicht angenommen worden.
Die Expo wird, so wie es derzeit aussieht, auch nach Einschätzung von Fachexperten zu einem ökologischen Desaster werden. Wir haben mit Sachsen-Anhalt, der Korrespondenzregion, versucht, von einem dezentralen Ausstellungskonzept ausgehend, auch dazu Vorschläge vorzulegen. Von einer plumpen Verweigerungshaltung zu sprechen finde ich in diesem Zusammenhang wirklich problematisch.
Herr Kollege Pflüger, Sie haben das Wort zur Replik.
Frau Kollegin, ich habe in der Tat die Debatten in Hannover von Anfang an verfolgt. Das, was ich bedauerlich finde, ist, daß Sie von Anfang an gegen die Expo gewesen sind. Es ist keineswegs so gewesen, daß Sie erst abgewartet oder versucht hätten, die Diskussion zu beeinflussen. Vielmehr war das erste, was Sie gesagt haben: Bei der Expo gibt es Verkehrsstaus. Es müssen neue Straßen gebaut werden. Es gibt Investitions- und Großprojekte. So etwas wollen wir nicht. In unserer Zeit ist eine solche Weltausstellung generell überflüssig.
Dr. Friedbert Pflüger
Das ist doch Ihr Argument gewesen. Das und Ihre absolute Verweigerungshaltung mache ich Ihnen in der Tat zum Vorwurf. Ich lade Sie auch jetzt noch ein: Machen Sie doch mit! Überlegen Sie doch, ob Sie nicht in die Gremien zurückkommen und mitdiskutieren und die ganze Weltausstellung in Ihrem Sinne beeinflussen! Wenn es um Nachhaltigkeit und darum geht, diesen Planeten ökologisch zu retten, dann werden wir doch einer Meinung sein.
Also kommen Sie aus Ihrer Ecke heraus, und arbeiten Sie mit uns zusammen daran, daß die Expo vernünftig wird! Dann wird es gut werden.
Frau Kollegin Edelgard Bulmahn, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Expo 2000 ist eine nationale Angelegenheit. Sie ist für unser Land eine einmalige Chance und zugleich eine große Herausforderung. Das machen die Anträge deutlich. Herr Pflüger, ich wäre froh gewesen, wenn Sie etwas schneller gewesen wären und mein Angebot zu einem interfraktionellen Antrag, das ich Ihnen vor fünf Monaten gemacht habe, angenommen hätten.
Nichtsdestotrotz bin ich froh, daß Sie dazugelernt haben. Ich nehme das Angebot gerne an.
Mit dem Leitthema „Mensch - Natur - Technik" thematisiert die Expo 2000 die zentrale Herausforderung der Menschheit an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, nämlich die Versöhnung von Mensch, Natur und Technik, die Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen. Die gegenwärtig dominierende ressourcen- und energieverschwendende Wirtschaftsweise - das ist jedem klar - ist nicht zukunftsfähig. Der Treibhauseffekt, das Ozonloch oder das Waldsterben sind Anzeichen dafür, daß die Belastbarkeit ökologischer Systeme mißachtet wurde. Die sozial-ökologische Umgestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft auf ein an dauerhafter Entwicklung orientiertes Zukunftsmodell muß deshalb gelingen, wenn das Überleben der Menschheit gesichert werden soll.
Dies ist keine einfache Aufgabe und keine einfache Sache. Wir stehen nämlich neben den ökologischen Problemen gleichzeitig vor gewaltigen ökonomischen und sozialen Herausforderungen. Die Wirtschaft der Industrieländer eilt zwar von einem Produktivitätsrekord zum anderen. Gleichzeitig erreicht jedoch auch die Arbeitslosigkeit neue Rekordmarken.
In den Ländern der Dritten Welt breiten sich soziales Elend und Hoffnungslosigkeit aus. Zugleich nehmen die sozialen und ethnischen Konflikte an Heftigkeit zu. Vor kaum geringeren Problemen stehen die Reformstaaten des Ostblocks. Deshalb sind die Verbesserung der sozialen Lage der Menschen, die Überwindung von Arbeitslosigkeit, von Armut, von Hunger, die Sicherung der Menschenwürde, die Gleichstellung von Frauen sowie von ethnischen und sozialen Minderheiten die zentralen Herausforderungen für die Menschheit. Hierfür brauchen wir Antworten und Handlungskonzepte.
Herr Lippelt, ich muß Ihnen ganz offen sagen: Hier vermisse ich den Gestaltungswillen der Grünen. Es kann und darf nicht die Politik einer Partei sein, sich aus dieser Gestaltung zurückzuziehen.
Es gibt Konflikte. Aber man muß sich an dem Austragen der Zielkonflikte beteiligen. Die Grünen müssen sich einmischen. Sie sind gefordert, dabei mitzumachen. Ich bitte Sie darum, dies zu tun.
Es kann nämlich bei der Expo nicht darum gehen, wer die besten Autos, die schnellsten Flugzeuge, die größten Kernkraftwerke baut oder wer als erster zu fernen Planeten vordringt.
Frau Kollegin Bulmahn, es gibt zwei Kollegen, die Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen würden: der Kollege Köhne und der Kollege Lippelt.
Aber selbstverständlich.
Wenn Sie bereit sind zu antworten, erteile ich dem Kollegen Köhne das Wort.
Frau Kollegin Bulmahn, wozu brauchen Sie für all die schönen Dinge, die ich ja richtig finde und die notwendig sind, eine Weitausstellung diesen Stils, ein Massentourismusprojekt mit 40 Millionen Besuchern? Warum geht das Ganze nicht auch völlig anders? Die Frage müssen Sie beantworten.
Weil ich Ihnen als regelmäßige Internet-Benutzerin sagen kann, daß das Internet nicht den persönlichen Kontakt, nicht die persönliche Kommunikation und nicht die persönliche Zusammenarbeit an der Bearbeitung dieser Probleme, an der Erarbeitung von Konzepten ersetzt.
Das persönliche Zusammentreffen und auch der Austausch von alternativen Vorstellungen, zum Beispiel, wie wir unsere Energieprobleme und das Problem der großen Städte lösen, das Zusammentreffen sowie das Zusammenarbeiten von Personen ist not-
Edelgard Bulmahn
wendig, gerade in einer Welt. Wenn wir globalen Problemen gegenüberstehen, müssen wir zusammenarbeiten. Es tut mir leid, aber das Internet kann dieses nicht ersetzen.
Herr Kollege Lippelt.
Frau Kollegin Bulmahn, können Sie nachvollziehen, daß es ein Empfinden geben kann, daß ökologische Politik bewußt konterkariert werden könnte durch die Art und Weise, wie sie umgesetzt wird?
Können Sie zweitens nachvollziehen, daß sich eine solche Einstellung offensichtlich immerhin fast der Hälfte der hannoverschen Bevölkerung mitteilt? Deshalb sind die Grünen, die dieses Projekt seit acht Jahren kritisch begleiten, der Meinung, daß 48,5 Prozent der Bevölkerung, Herr Ministerpräsident, natürlich demokratisch vertreten werden müssen.
Haben Sie außerdem mitbekommen, daß beispielsweise der Umweltdezernent, der ein Grüner ist, in vollem Einverständnis mit der grünen Partei in der Sache positiv mitarbeitet? Denn wir verstehen sehr wohl zu unterscheiden zwischen einer entsprechenden Mitarbeit und einer Parteimeinung, die in diesem Falle etwas anders sein kann, aber von 48 Prozent der Bevölkerung geteilt wird?
Herr Lippelt, das kann ich sehr gut nachvollziehen, weil diese Sorgen sehr viele Menschen in Hannover gehabt haben.
Deshalb haben wir uns ganz massiv dafür eingesetzt, daß zum Beispiel der Nahverkehr in Hannover ausgebaut wird. Und wir haben einen immensen Ausbau des Nahverkehrs in Hannover erreicht.
Deshalb haben wir uns dafür eingesetzt, daß die Schienenverbindungen ausgebaut werden, weil wir immer gesagt haben: Es darf nicht sein, daß wir eine Expo durchführen unter dem Motto „Mensch, Natur und Technik" , mit der wir beispielhaft Problemlösungen für Verkehrs- und Siedlungsprobleme vorstellen wollen, aber genau dieses Problem dann selber wieder praktizieren, das heißt, daß die Menschen im Stau stehen und mit ihrem Auto nicht mehr weiterkommen.
Gerade deshalb, weil wir dies durchaus sehen, haben wir alternative Vorschläge gemacht, zum Beispiel den Vorschlag für ein anderes Verkehrssystem. Wir sind dabei, dieses zu bauen. Wir haben dabei eine Reihe von Fortschritten erreicht. Wir planen und führen gemeinsam mit dem Umweltdezernat den
Bau einer beispielhaften Siedlung durch, mit der wir exemplarisch zeigen können, wie umweltfreundliches und sozialverträgliches Bauen wirklich praktiziert werden kann und welche Lösungsmöglichkeiten es gibt.
Wir haben uns auch - das ist ein Punkt, wo meines Erachtens nach alle mitwirken müssen - in Diskussionen und Gesprächen immer wieder überlegt, wie man die bisher erarbeiteten Konzepte noch weiter verbessern kann.
Lassen Sie mich zuletzt noch einen Punkt aufgreifen. Ich halte die Themenparks - Herr Pflüger hat bereits darauf hingewiesen - wirklich für ein zukunftsweisendes Modell. Dort arbeiten wir an verschiedenen Konzepten. Beispiel: Leben und Wohnen.
Hier können wir darstellen, wie diese Problemlösungsmodelle für unterschiedliche Regionen und Kulturen aussehen können. Dort können wir abwägen, welches die beste Lösung ist. Wir können vergleichen, verbessern und überlegen, wie man in einen gemeinsamen Arbeitsprozeß eintreten kann.
Ich hoffe - Herr Lippelt, ich kann das nur noch einmal sagen -, daß dabei nicht nur der Umweltdezernent, von dem ich dies sehr wohl weiß, mitwirkt, sondern die Grünen als Partei insgesamt. Denn gerade bei dieser Frage sind sie gefordert. Meiner Meinung nach dürfen sie sich dieser Herausforderung nicht verweigern.
Die Fragen, die wir uns stellen müssen, lauten nämlich: Wie bewahren wir unseren Planeten vor der Zerstörung? Wie lösen wir die vielschichtigen ökologischen, ökonomischen und sozialen Probleme, ohne zugleich noch neuere, größere zu erzeugen, wie wir das in der Vergangenheit häufig getan haben?
Wie erreichen wir, daß aus technischem Fortschritt auch ökologischer und sozialer Fortschritt wird, und wie können wir dazu beitragen, daß aus der Verunsicherung über die Zukunft, die viele Menschen spüren und wahrnehmen, aktives und vorausschauendes gesellschaftliches Handeln wird?
Patentrezepte zur Lösung dieser Fragen gibt es nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen. Aber was klar ist: Wir brauchen komplexe, ganzheitliche Lösungen. Wir müssen eindimensionales Denken ebenso überwinden wie nationale Egoismen und engstirniges Besitzstandsdenken. Es gibt auf dieser Welt nur die Chance des gemeinsamen Lebens und Überlebens. Diese Chance muß gestaltet werden.
Die Expo 2000 stellt meines Erachtens eine hervorragende Möglichkeit dar, den nötigen Bewußtseinswandel nicht nur in Deutschland, sondern überall auf dieser Welt ein Stück voranzubringen und symbolisch wie praktisch die nötigen Signale zu setzen. Sie sollte ein Ort des Zusammentreffens, des Austauschs,
Edelgard Bulmahn
der Verständigung und des Nachdenkens über die Fehler der Vergangenheit, vor allem aber über die gemeinsamen Handlungsmöglichkeiten für die Zukunft sein. Als internationale Zukunftswerkstatt eröffnet sie die Möglichkeit, Innovationen und Lösungen für das Zusammenleben der Menschen in der einen Welt darzustellen und auf ihre Machbarkeit sowie ihre politische und gesellschaftliche Realisierbarkeit zu testen.
Die Expo 2000 darf deshalb nicht zu einem technikfixierten Science-fiction-Markt geraten. Sie muß vielmehr zu einem Laboratorium der Zukunft werden, in dem technische und soziale Innovationen präsentiert werden. Sie sollte beispielhaft zeigen, wie schrittweise ökologisch und sozial verträglich neue Möglichkeiten ausgelotet und Veränderungen in Gang gebracht werden können.
Der für die Expo 2000 geplante Themenpark ist ein sehr anspruchsvolles Vorhaben, diesen Anforderungen gerecht zu werden. Er soll den Kernbereich der Ausstellung bilden und in themenorientierten Häusern die zentralen Zukunftsfragen in den Handlungsfeldern Leben und Lernen, Umwelt und Entwicklung, Wohnen und Gesundheit, Mobilität und Kommunikation, Zukunft von Arbeit, Produktion, Technik und Energieversorgung, Gleichberechtigung und Chancengleichheit aller Menschen aufgreifen.
Konkrete, auf nachhaltige Entwicklung zielende Initiativen und Projekte gibt es überall auf der Welt. Die Expo 2000 bildet eine ideale Plattform, diese Beispiele nicht nur weltweit bekannt zu machen, sondern auch miteinander zu vernetzen und die Kommunikation und die Zusammenarbeit voranzubringen. Die Ergänzung der künstlichen Welt auf dem Ausstellungsgelände durch reale, dezentrale Projekte kann und soll Mut machen, soll den Hand-lungs- und Gestaltungswillen herausfordern; denn nichts ist ermutigender für Menschen, die handeln wollen, als das Beispiel realisierbarer und auch funktionsfähiger Alternativen.
Auf Landesebene sind in Niedersachsen bereits 45 dezentrale Projekte im Rahmen eines Ideenwettbewerbs „Stadt und Region als Exponat" ausgewählt worden, die bis zur Expo 2000 realisiert werden sollen. Eine besondere Rolle spielt dabei auch die Korrespondenzregion Bitterfeld/Dessau/Wittenberg in Sachsen-Anhalt. Hier soll die ökologische und industrielle Umgestaltung des Chemiedreiecks der früheren DDR beispielhaft vorangebracht und dokumentiert und damit ein Beispiel für die Welt gegeben werden, wie man eine derartige Verwüstung rückgängig machen kann. Ich hoffe, daß uns dies wirklich erfolgreich gelingt.
Ein weiterer wichtiger Eckpfeiler des Expo-Konzepts ist die in unmittelbarer Nähe zum Expo-Gelände entstehende Expo-Siedlung am Kronsberg.
Herr Lippelt, ich habe bereits darauf verwiesen. Hier sollen 2 500 Wohnungen entstehen. Diese Siedlung und diese Wohnungen sollen dabei unter Beweis stellen, was umweltfreundliches und energiesparendes Bauen bereits heute möglich macht. Ich erwarte, daß dieser Anspruch ernst genommen und im Rahmen der Siedlung auch wirklich technologisches Neuland betreten wird. Beispielhaft möchte ich in diesem Zusammenhang nur die Errichtung einer „Solar-City" nennen, deren Energiebedarf möglichst weitgehend durch Solarkraft gedeckt wird.
Das Leitthema der Expo 2000 soll schließlich auch in den nationalen Pavillons thematisiert werden. Dabei freut mich ganz besonders, daß die Länder der Dritten Welt ein sehr großes Interesse an der Teilnahme an der Expo 2000 gezeigt haben.
Ich sage allerdings auch ganz klar und deutlich, daß es unsere gemeinsame Verantwortung auch hier im Deutschen Bundestag ist, dafür Sorge zu tragen - auch durch finanzielle Unterstützung -, daß den Län-dem der Dritten Welt tatsächlich die Teilnahme wirklich möglich ist.
Für die Bundesrepublik bietet die Ausrichtung der Expo 2000 insgesamt die Chance, ihre politische Verantwortung, ihre wissenschaftliche und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit unter Beweis zu stellen. Das setzt aber voraus, daß wir jetzt mit Entschlossenheit den ökologischen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft voranbringen. Ich wünsche mir, daß die Bundesregierung das mit vielen Einzelentscheidungen deutlich macht, Entscheidungen, die wir im Bundestag Tag für Tag treffen müssen - nicht nur bezüglich der Expo 2000.
Das bedeutet, daß wir jetzt für eine solidarische Partnerschaft zwischen Norden und Süden Sorge tragen müssen. Das bedeutet, jetzt Sorge dafür zu tragen, daß unsere internationalen Gäste Deutschland als demokratisches, weltoffenes und gastfreundliches Land erfahren. Auch dafür müssen wir noch ein ganzes Stück arbeiten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Durchführung der Weltausstellung in Hannover kann, wenn sie entschlossen vorbereitet und in eine schlüssige Politik der zukunftsfähigen Erneuerung unserer Industriegesellschaft eingebettet wird, dem ökologischen Strukturwandel, der notwendig ist, -
Die Redezeit, Frau Kollegin.
- neue Impulse verleihen.
Sie eröffnet der deutschen Wirtschaft aber auch eine Vielzahl von Experimentierfeldern, um mit eigenen Pilot- und Referenzprojekten die Problemlösungskompetenz und den Problemlösungswillen - das
Edelgard Bulmahn
möchte ich doppelt unterstreichen: auch den Problemlösungswillen - im Bereich umweltverträglicher Produkte und Verfahren zu demonstrieren und zusätzliche Marktpotentiale zu erschließen.
Meine Herren und Damen, der mit der Durchführung der Expo verbundene Anspruch ist sehr hoch. Wir werden dafür arbeiten, diesem Anspruch gerecht zu werden.
Vielen Dank.
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir haben heute noch einen langen Abend vor uns, sind morgen das letzte Mal vor der Sommerpause zusammen und haben noch ein stattliches Programm abzuwickeln. Deshalb erkläre ich hiermit: Ich werde vor allem den Rednern, die schon gesprochen und Zwischenfragen gestellt haben, bei diesem Thema keine Kurzinterventionen mehr genehmigen.
Ich erteile das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Klaus-Jürgen Hedrich.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der niedersächsische Ministerpräsident hätte sich mit seiner Rede natürlich die gleiche Chance eröffnen können wie eben Frau Kollegin Bulmahn, so daß auch bei ihm zum Schluß die große Mehrheit des Hauses geklatscht hätte. Aber durch die Formulierung haben Sie sich das einfach verdorben.
Sie brauchen aber keine Sorgen zu haben. Wie auch immer Wahlen ausgehen: Im Zweifelsfalle würden auch ehemalige Ministerpräsidenten eingeladen.
- Ja, das macht nichts.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, es ist eindeutig festgehalten worden: Die Weltausstellung Expo 2000 ist keine Industriemesse. Aber sie ist natürlich eine großartige Chance für die deutsche Volkswirtschaft und damit auch für die deutsche Wirtschaft, sich mit ihren vielfältigen Angeboten im technischen und technologischen Bereich auf dieser Ausstellung zu präsentieren.
Ich habe durchaus Verständnis dafür, wenn Bürger uns in diesem Lande fragen: Sind in unserem Zeitalter Weltausstellungen eigentlich noch zeitgemäß?
Auf diese Frage sollten wir durchaus eine Antwort geben.
Man spricht von unserer modernen Welt oft als einem globalen Dorf, in dem jeder mit jedem kommunizieren kann, die Beschaffung von Informationen nur noch eine Frage des technischen Aufwandes zu sein scheint. Aber je technischer die Welt wird, desto mehr sehnen sich die Menschen nach Begegnungen und Gedankenaustausch. Zu menschlichen Kommunikationen gehören Staunen, Schweigen, Lachen ebenso wie Sprechen, Sehen, Hören, Lesen. Nur in persönlicher Begegnung werden all diese Kommunikationsmöglichkeiten vereint und bieten dem gegenüberstehenden Menschen ein Gesamtbild.
Mit diesen Worten hat die Generalkommissarin Birgit Breuel wie kaum jemand anderes den Charakter dieser Weltausstellung Expo 2000 beschrieben. Es ist in der Tat eine faszinierende Herausforderung, daß sich dort die eine Welt präsentiert.
Ich möchte Ihnen nicht verhehlen, daß wir diese Weltausstellung Expo 2000 in einer Kette sehen - Hans-Peter Repnik hat darauf hingewiesen - mit den Weltkonferenzen der UNO, mit Rio, mit der Weltbevölkerungskonferenz in Kairo, mit dem Weltsozialgipfel in Kopenhagen und mit der Weltfrauenkonferenz in Peking. All die Fragen, die dort erörtert wurden, die Schicksals- und Zukunftsfragen der Menschheit schlechthin, werden auf der Expo 2000 zu präsentieren sein.
Deshalb legen wir natürlich auch besonders viel Wert darauf, daß möglichst viele Staaten dieser Erde auf der Expo 2000 präsent sind. Im Einzelplan 23, also im Haushalt des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, haben wir dafür 100 Millionen DM vorgesehen. Das ist sehr viel Geld. Aber unter den 64 bisher eingegangenen Anmeldungen sind bereits 28 Entwicklungsländer, Länder also, die zu den ärmeren Staaten dieser Erde gehören. Es gehört zum Reglement von Weltausstellungen, daß der Gastgeber auch denjenigen die Teilnahme an der Expo ermöglicht, die über begrenzte finanzielle Ressourcen verfügen. Nach unserer Einschätzung werden es zwischen 50 und 60 Entwicklungsländer sein, denen wir über Beratung, über die Bezuschussung von Länder- oder Regionalpavillons die Teilnahme an der Expo 2000 ermöglichen werden. Ich halte das für einen guten Weg.
Ich habe übrigens auch die Hoffnung noch nicht aufgegeben, daß mittelfristig auch die Grünen mitmachen. Vielleicht ist Ihnen das, Herr Lippelt, verborgen geblieben. Ich hatte zum Beispiel vorgestern mit allen Leitern der fünf politischen Stiftungen, der internationalen Institute, ein Gespräch. Es war interessant: Besonders der grüne Vertreter - Sie kennen ihn auch - hat dafür plädiert, daß man sich an der Expo 2000 beteiligt. Unterhalten Sie sich einmal mit Vertretern der Regenbogen-Stiftung! Denn sie hat sich mit der Chance, die Probleme der Agenda 21 in Hannover zu präsentieren, vielleicht stärker ausein-
Klaus-Jürgen Hedrich
andergesetzt als kleinkarierte Egoisten oder auch kleinkarierte Lokalegoisten.
Die Welt wird sich in Hannover treffen. Aber ich möchte uns alle noch einmal an folgendes erinnern - das geht in der Diskussion manchmal verloren -: Es ist keine hannoversche Ausstellung. Sie findet zwar in Hannover statt. Aber Gastgeber ist die Bundesrepublik Deutschland. Das heißt, es ist eine nationale Veranstaltung. Die Besucher aus allen Teilen der Welt sollen wissen: Sie sind im Jahre 2000 in Hannover willkommen.
Herzlichen Dank.
Herr Kollege Detlef Kleinert, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Zu Recht ist eben betont worden, daß es sich - das ist übrigens, wenn ich das einmal einflechten darf, auch rechtlich so - um eine bundesdeutsche Veranstaltung handelt, die erfreulicherweise auch von allen getragen wird. Für die Bundesregierung ist das eben noch einmal deutlich gemacht worden. Ich komme nachher noch einmal zu der interessanten Frage, ob die Hannoveraner so etwas alleine könnten. Ich bin ganz sicher, daß sie es nicht könnten. Die bisherigen Erfahrungen sprechen leider dagegen.
Alles das, was hier in bezug auf Gefahren, insbesondere aber auch in bezug auf die Möglichkeiten für die Gestaltung der Zukunft auf dieser Erde ausgeführt worden ist, unter dem Motto „Mensch - Natur - Technik" zu fokussieren, ist in der langen Geschichte der Weltausstellungen ein großer Gedanke. Daß dieser Gedanke hier in Deutschland verwirklicht werden soll, ist sehr bedeutend. Das ist natürlich in erster Linie nicht Ehre und wirtschaftliche Chance, sondern das ist zunächst einmal ein Auftrag, eine Verpflichtung, eine Arbeit und eine große Anstrengung, damit daraus etwas wird, was sich sehen lassen kann.
Die Sache schon am Anfang niederzumachen, wie es den Grünen und auch anderen beliebt, kann der Sache beim besten Willen nicht dienlich sein. Die Kritiker sollen doch im Jahre 2000 einmal nach Hannover kommen. Sie werden sich dann, soweit sie ehrlich genug sind, bei all denen, die das heute anders sehen und sich noch viel Mühe geben, für alles das entschuldigen, was sie heute völlig unberechtigterweise an Verdächtigungen ausgesprochen haben.
Das Thema soll sachlich behandelt werden. Diese Ausstellung muß auf Grund dessen interessant sein,
was sachlich angesprochen und dargestellt wird. Es muß aber mit Sicherheit auch positiv und heiter sein,
wenn dabei etwas herauskommen soll, was die Menschen beeindruckt und was dem Ziel, etwas für die Zukunft zu bewirken, entspricht. Mit Nölerei und Miesmacherei kann man da beim besten Willen nichts bewegen und nichts erreichen.
Die Niederländer haben einen wenig schmeichelhaften Ausdruck für ihre deutschen Nachbarn. Aber wir wollen uns bei dieser Gelegenheit einmal mehr nicht „moffig" zeigen, sondern uns ganz im Gegenteil von unserer besten, positiven, angenehmen und heiteren Seite zeigen. Das ist wichtig.
So eine Sache soll man in Niedersachsen mindestens Achte lang angehen. Herr Ministerpräsident Schröder wird mir da zustimmen. Das entspricht seinem Naturell.
Aber es müssen vorher die Leinen und die Zügel geordnet werden,
sonst geht es ganz wild durcheinander, wenn man es Achte lang mit so einem Todder versucht. Daran hat es längere Zeit gefehlt.
Inzwischen ist das alles wunderbar geregelt. Der Bundeskanzler ermuntert den Ministerpräsidenten, -
Herr Kollege Kleinert - -
- der Ministerpräsident den Bundeskanzler und wir uns alle gegenseitig.
Da kann man schon besser weiterkommen.
Herr Kollege Kleinert, ich weiß: Es gehört zu den besonderen Herausforderungen eines amtierenden Präsidenten, Sie im Redefluß zu stoppen. Aber Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ich bitte vielmals um Vergebung, Herr Präsident; da muß ein Irrtum zugrunde liegen.
Ich habe hier noch etwas stehen.
Detlef Kleinert
Ich möchte wenigstens - ich habe insofern eine gewisse Auflassung durch die Schlußbemerkung von Herrn Ministerpräsidenten Schröder bekommen - ein klein wenig hannoversche Politik einführen.
Das Durcheinander, das dort zwischen der SPD und ihren grünen Haushaltshelfern, zwischen dem Oberbürgermeister und dem Oberstadtdirektor und innerhalb der ganzen Stadtverwaltung seit Jahrzehnten eine ungute Tradition ist,
das unter anderem zu diesem illegalen Unfug mit der Postkartenaktion geführt hat, die auch noch als Volksbefragung ausgegeben wird, ist so betrüblich, daß man nur denen gratulieren kann, die die Sache jetzt mit großem persönlichem Einsatz auch bei der SPD allmählich in Ordnung gebracht haben.
Aber wenn es wirklich gut werden soll, dann sollten Hannovers Bürger am 15. September insoweit für eine grundlegende Verbesserung der Verhältnisse sorgen.
Danke schön.
Ich erteile dem Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Norbert Lammert das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Präsident wird mir nicht böse sein, wenn ich jetzt in einer Variante des Beitrages des Kollegen Kleinert in der Redezeit, die ich noch habe, nicht das vortrage, was auch mir aufgeschrieben worden ist,
weil ich meine, daß weder das viele Richtige, das in der Diskussion bereits vorgetragen worden ist, noch das wenige Falsche, das auch in dieser Diskussion vorgetragen worden ist, wiederholt werden muß.
Ich will mich deswegen - mit Ihrer freundlichen Genehmigung - auf eine einzige Bemerkung beschränken.
Ich halte es natürlich für völlig legitim - ich sage das insbesondere an die Adresse der Kritiker dieser Ausstellung -, daß man sich insbesondere im Vorfeld der Entscheidung, ob man sich überhaupt für eine solche Ausstellung an der Schwelle zu einem neuen Jahrtausend mit diesem oder jenem Konzept bewerben sollte, all die Fragen stellt, die auch hier gerade wieder vorgetragen worden sind. Aber ich will ganz ruhig auf den schwerlich bestreitbaren Sachverhalt aufmerksam machen: Diese Entscheidung haben wir hinter uns. Wir richten nun diese Weltausstellung aus. An den Themen, an den Sachverhalten, die nicht nur, aber auch bei dieser Weltausstellung behandelt werden, die die erste Weltausstellung des dritten Jahrtausends sein wird, müssen wir ein gemeinsames Interesse haben.
Nachdem nun auf unseren Antrag hin entschieden worden ist, daß diese Weltausstellung, die erste Weltausstellung des dritten Jahrtausends, in Deutschland stattfindet, sollten wir gemeinsam dafür sorgen, daß sie ein großer Erfolg wird und insbesondere die Ziele erreicht, die wir gemeinsam als politische Orientierung für das nächste Jahrhundert für notwendig halten.
Auch wenn es nicht ganz üblich ist: Gestatten Sie mir, Ihnen, Frau Kollegin Schoppe - Sie sitzen hier in der ersten Reihe -, zum Geburtstag zu gratulieren, auch wenn es kein runder ist.
Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/ 4367, 13/4668, 13/4887 und 13/5058 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8a bis 8c auf: Bildungsdebatte
a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Achtzehnten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes
- Drucksache 13/4246 -
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
- Drucksache 13/5116 -
Berichterstattung: Abgeordnete Roland Richwien
Dr. Christian Ruck Doris Odendahl Matthias Berninger
Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Ludwig Elm
Vizepräsident Hans Klein
bb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 13/5117 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Schanz
Steffen Kampeter Antje Hermenau Jürgen Koppelin
- Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
- zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias Berninger, Marieluise Beck , Andrea Fischer (Berlin), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Einrichtung eines Bundesausbildungsförderungsfonds
- zu dem Antrag der Abgeordneten Maritta Böttcher, Dr. Ludwig Elm und der Gruppe der PDS
Zielgerichtete Ausbildungsförderung - Grundlegende Reform der Studienfinanzierung
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Elfter Bericht nach § 35 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes zur Überprüfung der Bedarfssätze, Freibeträge sowie Vomhundertsätze und Höchstbeiträge nach § 21 Abs. 2
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung zur Notwendigkeit der Studienabschlußförderung vor dem Hintergrund derzeit geplanter Strukturreformen an Hochschulen
- Drucksachen 13/4361, 13/4553, 13/3413, 13/3414, 13/5116 -
Berichterstattung: Abgeordnete Roland Richwien
Dr. Christian Ruck Doris Odendahl Matthias Berninger
Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Ludwig Elm
b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Hochschulbauförderungsgesetzes
- Drucksachen 13/4335, 13/4720 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
- Drucksache 13/5118 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Josef Hollerith
Tilo Braune
Elisabeth Altmann Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Ludwig Elm
c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
- zu dem Antrag der Abgeordneten Tilo Braune, Stephan Hilsberg, Reinhard Weis , weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Zusammenführung und bedarfsgerechte Fortsetzung der Hochschulsonderprogramme I, II und des Hochschulerneuerungsprogramms
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Ludwig Elm, Wolfgang Bierstedt, Maritta Böttcher, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS
Weiterführung von Maßnahmen zur Integration der bis 1996 im Wissenschaftler-Integrations-Programm geförderten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
- Drucksachen 13/2930, 13/3491, 13/4608 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr.-Ing. Rainer Jork Dr.-Ing. Joachim Schmidt Tilo Braune
Elisabeth Altmann Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Ludwig Elm
Es liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen vor. Zum Hochschulbauförderungsgesetz hat die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen einen Änderungsantrag eingebracht.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Damit ist das Haus offenkundig einverstanden. Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Dr. Rainer Jork das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn wir heute im Zusammenhang mit der Zusammenführung von Hochschulprogrammen, über ein neues Hochschulsonderprogramm diskutieren, dann müssen wir etwas über die Ausgangssituation und das Ziel des Programms sagen.
Dr.-Ing. Rainer Jork
Zunächst können wir die Notwendigkeit eines solchen Programms nicht losgelöst sehen von der Arbeitslosigkeit und dem Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung, von der Situation an den Hochschulen, von der Notwendigkeit einer gemeinsamen Finanzierung durch Bund und Länder und von dem Zwang, die neuen Bundesländer angemessen zu berücksichtigen und deren Spezifik zu beachten. Es ist deshalb nötig, gemeinsam mit den Ländern das Ende 1996 auslaufende Hochschulerneuerungsprogramm und ein modifiziertes Wissenschaftler-Integrations-Programm in ein neues Hochschulsonderprogramm zu integrieren.
Wir sind uns alle darüber einig - es wird in jeder Bildungsdebatte in diesem Haus wiederholt -, daß die hohe Qualifikation und Motivation unserer Arbeitskräfte in Deutschland den wesentlichen Standortvorteil ausmachen. Wenn wir unser Lebensniveau, wenn wir - dies sei besonders an die Adresse der Opposition gerichtet - unseren Sozialstaat erhalten wollen, langt es nicht, konkurrenzfähig zu sein.
Wir müssen besser sein als andere, Herr Tauss.
Für mich bedeutet das: Sowohl die berufliche Bildung als auch die Hochschulbildung müssen eine im internationalen Vergleich besonders hohe Qualität besitzen. Dies ist natürlich nicht nur eine Frage von Innovationsfähigkeit, sondern auch von Geld. Mit dem Hochschulsonderprogramm III muß daher auch finanziell der Übergang der Hochschulpolitik in das nächste Jahrtausend gesichert werden.
- Das werden wir sehen, lieber Kollege Braune. Wir sind alle gefordert, darüber nachzudenken.
Damit verbinden sich für mich auch wichtige Erwartungen an die Hochschulen. Es liegen ausreichende Analysen zur aktuellen Situation vor, zum Beispiel vom Wissenschaftsrat, von der Hochschulrektorenkonferenz, von Wirtschaftsverbänden oder der Quandt-Stiftung. Auch in der Anhörung des Wirtschaftsausschusses am vergangenen Montag hier im Bundestag
- Herr Rixe, Sie waren nicht dabei, Sie sollten in diesem Moment einmal die Luft anhalten! - Zur Situation in den neuen Bundesländern wurde über die Forschungsförderung gesprochen. Allesamt weisen sie auf den beträchtlichen Reformbedarf hin.
Im Mai 1993 haben sich Bund und Länder auf ein „Eckwertepapier" geeinigt, das dem bestehenden Maßnahmebedarf Rechnung trägt. Seitdem sind mehr als drei Jahre vergangen, ohne daß es die nötigen entscheidenden Reformschritte gegeben hat.
Wir müssen uns doch fragen, warum es eigentlich nicht ausreichend vorangeht. Liegt es vielleicht an den Egoismen, die gemeinsame Lösungen fast unmöglich machen? Wenn ich an unsere Diskussionen
um die BAföG-Reform oder an die gestrige Aktuelle Stunde zur Lehrstellensituation denke,
- Herr Rixe, da waren wir beide da -, dann könnte es fast so scheinen. Egoismen sollte man in Frage stellen, Herr Rixe.
Die Hochschulen müssen deshalb ihren Teil zum Gelingen des Programms beitragen. Nur wenn sie dies tun, werden die mit dem HSP III von Bund und Ländern verabredeten Rahmenbedingungen zu einer Verbesserung der Studienbedingungen beitragen.
Das HSP III muß einen ausreichenden finanziellen Rahmen sichern. Bund und Länder sollen insgesamt 3,6 Milliarden DM bis zum Jahr 2000 in die Hochschulen investieren. Lehre und Studium müssen verbessert, die Auslandsattraktivität der Hochschulen muß erhöht und der wissenschaftliche Nachwuchs - auch die Frauen - muß nachhaltig gefördert werden.
- Das steht im HSP III als besonderer Punkt, lieber Herr Kollege.
Ich erwarte, daß damit auch die Studierbarkeit in den jeweiligen Regelstudienzeiten gesichert wird. Ich halte das für ganz besonders wichtig.
Mir liegt bei der Umsetzung dieses Programms besonders am Herzen, daß die Studenten möglichst frühzeitig auf die Bedingungen des Arbeitsmarktes und der Wirtschaft eingestellt werden. Praxisnähe des Studiums und die Einübung integrativer Denkweisen sind in meinen Augen Gradmesser für den Erfolg dieses Programms.
Wer wünschte sich nicht, mehr Geld zur Verfügung zu haben? Hochschulen haben sicher eine besondere Berechtigung für diesen Wunsch, sind Aufwendungen für den Bildungsbereich doch Investitionen in unsere eigene Zukunft und in die unserer Kinder. Wir tun ihnen aber keinen Gefallen damit, Schuldenberge aufzuhäufen, die sie morgen mitbezahlen müssen. Wir müssen also hier, wie überall, sehr verantwortungsbewußt mit unserem Geld umgehen.
In diesem Sinne erwarte ich auch, Herr Braune, daß die in der Vorlage des BMBF „Studienstandort Deutschland attraktiver machen" vom Mai 1996 aufgezeigten Felder mit vorrangigem Handlungsbedarf zu gemeinsamen Schlußfolgerungen führen, daß also unter anderem die Hochschulzugangsberechtigungen überprüft und korrigiert, die Studienabläufe und -zeiten überschaubarer, Leistungskriterien stärker beachtet und ausländerrechtliche Hemmnisse für das Studium in Deutschland beseitigt werden.
Wenn wir beispielsweise mit dem Angebot an Tutorien, für das im HSP III ebenfalls Mittel eingestellt sind, auf eine bessere Einhaltung der Regelstudienzeit hinarbeiten und die Abbrecherquote senken, wäre das ein großer Erfolg und eine Investition, die uns allen nützen würde.
Dr.-Ing. Rainer Jork
Ich hoffe in diesem Sinne, daß die geplanten Effekte des Hochschulsonderprogramms auch erzielt werden. Der Bund wird mit der Bereitstellung eines Rahmenprogramms sowie der anteiligen finanziellen Mittel einen Teil der Aufgabe erledigen. Jetzt müssen die Hochschulen ihrerseits Reformbereitschaft und -fähigkeit unter Beweis stellen.
Danke.
Herr Kollege Professor Dr. Peter Glotz, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt so Probleme mit Paketen. Der Vorschlag von Herrn Rüttgers hat unterschiedliche Themen umfaßt. Kollege Jork hat jetzt schätzenswerte Ausführungen zum Hochschulsonderprogramm gemacht, jemand anderes wird dann zum BAföG reden, wieder ein anderer wird zum Wissenschaftler-Integrations-Programm reden, und ob sich da ein richtiger Zusammenhang ergibt, wird sich zeigen.
Ich will den wichtigsten Punkt dieses Programms aufgreifen und sagen: Die SPD-Bundestagsfraktion wird dem BAföG-Kompromiß, über den heute auch zu beschließen ist, zustimmen.
') Wir tun das aber nicht, weil es sich, wie man heute in manchen Zeitungen lesen konnte, um eine „Reform" handelt. Es ist eine Unsitte, alle möglichen, vielleicht nötigen, aber keineswegs reformerischen Gesetzentwürfe mit dem Begriff „Reform" zu behängen.
Wir stimmen diesem Gesetz zu, weil es der SPD-Bundestagsfraktion in Verbindung mit der Mehrheit der Bundesländer - übrigens Ländern mit unterschiedlichen Regierungen - gelungen ist, die Verzinsung der Studienfinanzierung in der Regelstudienzeit zu verhindern.
Es macht in der Politik viel weniger Spaß, als Leute von außen meinen, recht zu behalten. Hier müssen wir sagen: Wir haben Ihnen, Herr Rüttgers, immer prophezeit, daß Sie die einzig tragende Idee Ihrer bisherigen Bildungspolitik nicht durchsetzen werden. Jetzt ist es soweit: Sie sind mit dieser Idee gescheitert, Herr Bundesminister.
Die. Verzinsungsidee ist vom Tisch. Machen Sie sich nichts vor: Sie ist auch für das Zukunftskonzept, das wir jetzt gemeinsam beraten wollen, mausetot, toter geht es überhaupt nicht.
Der zweite Grund für unsere Zustimmung ist die Einigung von Bund und Ländern, jetzt ohne Vorbedingungen über ein ganz neues Konzept der Studienfinanzierung zu verhandeln. Wir begrüßen, daß der Bund seine Strategie der Gesprächsverweigerung aufgibt. Wir müssen allerdings bitter hinzufügen, daß Herr Bundesminister Rüttgers mit seiner bisherigen Strategie knapp zwei Jahre verspielt hat. Wir hätten uns schon vor zwei Jahren an einen Tisch setzen können, um gemeinsam, Bund und Länder, über dieses Thema zu reden.
Das Gesetz entspricht in vielen Einzelheiten nicht unseren Vorstellungen. Dazu werden sich meine Kolleginnen und Kollegen, vor allem Frau Odendahl, noch äußern. Wir haben das auch in einem Entschließungsantrag formuliert. Ich möchte nur zwei Punkte davon herausgreifen.
Erstens. Wir konnten Sie mit Mühe und Not daran hindern, die Studierenden in den neuen Bundesländern durch eine überholte Regelung der Berechnungszeiträume massiv zu benachteiligen. Ich anerkenne, daß es auch Debatten in Ihrer Koalition gegeben hat. Herr Guttmacher, daß Sie die Kosten, die diese kleine Gerechtigkeit zwischen Ost und West verursachen würde, jetzt von den durch BAföG geförderten Studenten durch eine Verzögerung der Anpassung der Freibeträge bezahlen lassen, lehnen wir als ungerecht ab.
Zweitens. Ich habe vor einer Woche in einer hinteren Reihe gesessen und mit Begeisterung dem Bundeskanzler und dem Bundesaußenminister in der Debatte um die Auswärtige Kulturpolitik zugehört, die sich nachdrücklich für eine Förderung der Internationalität unserer Universitäten ausgesprochen haben. Das darf doch nicht nur für Ausländer gelten, die bei uns studieren; die Internationalität muß doch auch für die Auslandsstudien deutscher Studierender gelten, und zwar genauso.
Daß die Bundesregierung eine Woche nach den Äußerungen des Bundeskanzlers und des Außenministers eine Regelung durchsetzt, die Auslandsstudien bei der Bemessung der Förderungshöchstdauer nicht berücksichtigt, ist ein ziemlich dreister Widerspruch von Reden und Handeln.
Ich schließe noch eine letzte, freundlich-polemische Bemerkung an die Grünen an. Ich entnehme allen Zeitungen und habe es auch gestern im Ausschuß gemerkt, Herr Berninger, daß Sie diesem Kompromiß nicht zustimmen wollen. Das Problem ist nur: Offensichtlich haben Ihre Parteifreunde in der nordrhein-westfälischen Landesregierung andere Erkenntnisse. Als wir gestern im Ausschuß beraten haben, haben sie dieser Regelung zugestimmt. Wir hal-
Dr. Peter Glotz
ten es nicht für sinnvoll, daß regierende Sozialdemokraten in den Ländern etwas völlig anderes sagen als die Opposition im Bund. Wenn Sie den Grünen in den Landesregierungen widersprechen, machen auch Sie mir ein wenig den Eindruck, als ob Sie sich bei den Studierenden - einige sitzen oben auf der Besuchertribüne - einen weißen Fuß machen wollen. Besonders glaubwürdig, Herr Berninger, ist das auch nicht.
- „Vereinzelter Beifall im ganzen Haus."
- Darüber, was immer weiße Füße sein mögen, Herr Kubatschka, können wir einmal ein Kolloquium abhalten, zum Beispiel eine Sommerschule „weiße Füße".
Da ich demnächst aus diesem Parlament ausscheide, ist das meine letzte Rede zur Bildungs- und Forschungspolitik.
- Danke schön, Herr Laermann. - Lassen Sie mich deshalb bitte mit einer kurzen grundsätzlichen Bemerkung schließen.
Bildung und Forschung sind in diesem Land, anders als in den Jahren von 1965 bis zum Ende der 70er Jahre, kein erstrangiges Thema mehr, sondern nur noch ein drittrangiges. Ich könnte jetzt die Etats bis 1982 mit denen nach 1982 vergleichen und aus dieser Bewertung parteipolitisches Kapital schlagen. Nicht ganz ohne Selbstkritik und Bitternis muß ich aber feststellen: Die Einsicht in einigen sozialdemokratischen Landesregierungen ist auch nicht viel größer als in der Bundesregierung.
Es ist Zeitgeist, die Subventionen für eine unsinnige Agrarpolitik oder die Regelung des Ladenschlusses wichtiger zu nehmen als das Absinken des Niveaus unserer Universitäten. Ich sage Ihnen aus tiefer Überzeugung: Dieser Zeitgeist ist für ein Land wie die Bundesrepublik ruinös und falsch.
Daß die - wie wir das in unserer sprachschöpferischen Genialität nennen - „öffentlichen Hände" angesichts von Globalisierung der Wirtschaft und Zusammenbruch des Kommunismus leer sind, grob gesagt, daß viele Haushalte pleite sind, weiß ich auch. Ich weiß auch, daß sich das nicht ändern würde, wenn die heutige Opposition Regierung würde. Kürzlich hat es aber eine Äußerung der finnischen Regierung gegeben. Sie sagte, die Haushalte seien so eng, daß man leider nur noch bei Forschung und
Bildung aufstocken könne. Das ist die richtige Politik, unsere ist die falsche.
Ich scheide also mit dem Wunsch aus der aktiven Politik, daß es Ihnen und uns allen - denn wir bleiben alle verantwortlich, ob im Parlament oder nicht - gelingen möge, diesen Zeitgeist wieder umzudrehen.
Ein preußischer König - ich habe ihn kürzlich zitiert - hat in der tiefsten Krise dieses inzwischen historisch gewordenen Staates gesagt: Der Staat muß durch geistige Kräfte ersetzen, was er an materiellen verloren hat. - Wir haben keinen Krieg verloren, wir haben die Wiedervereinigung gewonnen; daraus folgen allerdings große Herausforderungen. Ich bin davon überzeugt, daß wir sie nur meistern werden, wenn wir begreifen: Deutschland kann nur dann ein erfolgreicher Staat sein, wenn unsere Einrichtungen für Forschung und Bildung exzellent sind. Ich hoffe, daß uns gemeinsam die dazu notwendige Trendwende gelingt.
Bei Ihnen bedanke ich mich für eine lange Zusammenarbeit. Ich wünsche Ihnen allen Gutes.
Danke schön.
Herr Kollege Glotz, am Beifall mögen Sie bitte ablesen, daß das Haus Ihnen Ihre guten Wünsche herzlich zurückgibt.
Ich erteile dem Kollegen Matthias Berninger das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als wir die erste Lesung der 18. BAföG-Novelle in diesem Parlament behandelt haben, waren sich Teile der Regierung, nämlich die F.D.P.-Fraktion, und die Opposition darin einig, daß das Rüttgersche Konzept zur Sanierung der Hochschulen nicht funktionieren kann. Dieses Rezept zielte darauf ab, auf der einen Seite das BAföG im Vergleich zum heutigen Stand massiv zu beschneiden, die BAföG-Leistungen massiv einzuschränken und auf der anderen Seite mit dem ersparten Geld in den Hochschulen in Form von Sonderprogrammen zumindest zum Teil wieder Gutes zu tun.
Ich halte diese Logik nach wie vor für grundfalsch. Der Fehler dieser Logik ist, daß man den Ärmsten der Studierenden, denjenigen, die auf BAföG-Leistungen angewiesen sind, um überhaupt studieren zu können, diese Kosten zumutet, während alle anderen von diesem Vorschlag profitieren. Das halte ich für sozial ungerecht. Ich bedauere, daß der Kompromiß zwischen den Ministerpräsidenten auf der einen und dem Bundeskanzler auf der anderen Seite, den wir heute in Form der 18. Novelle vorliegen haben, an dieser Logik festhält.
Matthias Berninger
Ich glaube, wenn wir dauerhaft auf diese Art und
Weise Hochschulpolitik machen, ruinieren wir das Hochschulsystem. Da nützen schöne Worte nichts. Da nützt es auch nichts, wie Kollege Jork es versucht hat, an alle zu appellieren. Dann werden wir uns diesen Klotz ans Bein binden, und wir werden diesem Land eine Menge Probleme bereiten.
Das ist für mich der Grund, warum ich diesen Kompromiß in der vorliegenden Form ablehne.
Ich glaube, ein zweiter Fehler wurde in diesem Kompromiß dadurch gemacht, daß wir unsere Möglichkeiten, Normen zu setzen, mit den Realitäten an den Hochschulen verwechselt haben. Jeder, der sich an Hochschulen auskennt, weiß, daß die Studienzeiten mindestens aus zwei Gründen zur Zeit so lang sind: Ein Grund ist die ungenügende materielle Ausstattung von Studierenden; der andere Grund ist die ungenügende materielle, aber auch ideelle Ausstattung von Hochschulen. Herr Kollege Glotz spricht immer wieder die Frage an, welchen Stellenwert Hochschulen noch in diesem Land haben.
Im Bundestag hingegen behaupten wir, einfach mal eben per Gesetz eine Verkürzung der Studienzeiten beschließen zu können, und, indem wir es im vorhinein beim BAföG probieren, in irgendeiner Form positiv Einfluß auf die im Moment zu langen Studienzeiten zu nehmen. Abgesehen davon glaube ich, daß lange Studienzeiten oft gar nicht so ein großes Problem darstellen. Daher behaupte ich, daß wir einen sehr großen Fehler machen und dabei sind, an
der realen Situation der Hochschulen vorbei Politik zu betreiben. Das lehne ich ab.
Daß der Vorschlag, verkürzte Regelstudienzeiten zur Grundlage der bestehenden Förderung durch das BAföG zu machen, einen anderen Grund hat, wissen Sie alle. Indem wir die Verkürzung in dieser 18. Novelle vornehmen, kommen Studierende schneller in eine Phase, wo sie auf ein Volldarlehen zurückgreifen müssen, wodurch die Ersparnis für den Staat größer wird. Etwa 1 Milliarde DM will man durch weitere Einschnitte beim BAföG einsparen.
Sie können von mir, meine Damen und Herren, nicht erwarten, daß ich diesem Vorschlag zustimme. Die meisten rot-grünen Landesregierungen werden auf Grund des Vetos der Grünen ebenso verfahren. Was in Nordrhein-Westfalen passiert ist, kann ich nicht beurteilen. Dafür müssen letzten Endes die Verantwortlichen vor Ort geradestehen. Ich will mir keinen weißen Fuß machen, Herr Kollege Glotz, sondern auch ich teile Ihre Sorge, daß die zur Zeit an den Hochschulen geplanten Einschnitte ein Riesenproblem verursachen werden.
Aus diesem Grund haben wir nur eine Chance, nämlich den positiven Teil des Kompromisses letzten Endes für uns zu nutzen. Der positive Teil ist: Nach 25 Jahren BAföG scheint man sich in diesem Hause über eine grundsätzliche Reform einig zu sein. Ich habe die Weisheit nicht mit Löffeln gefressen; ich glaube auch nicht, daß der von Bündnis 90/Die Grünen eingebrachte Vorschlag die Ultima ratio ist, aber wir haben zumindest den Mut aufgebracht, einen
Vorschlag einzubringen, der neue Gedanken zur Sache beiträgt.
Lassen Sie uns die materielle Ausstattung von Studierenden an den Hochschulen massiv verbessern! Lassen Sie uns die materielle Ausstattung an die Realitäten anpassen, das heißt eine Förderung über zwölf Semester! Lassen Sie uns eine Initialzündung an den Hochschulen vornehmen, damit sich die Studierenden wieder schwerpunktmäßig dem Studium widmen können und nicht etwa Geld durch Jobben erwerben müssen! Lassen Sie uns diesen Anfang wagen! Wie er gelingt, weiß ich nicht.
Wir müssen aber auf jeden Fall die bisher sehr unregelmäßig fließenden Transfers für den Lebensunterhalt der Studierenden in irgendeiner Form bündeln. Wir müssen, weil das nicht ausreichen wird, noch etwas drauflegen. Hierfür müssen wir uns überlegen - alle hier im Haus behaupten ja, daß wir relativ wenig Geld haben -, wie man eine vernünftige Refinanzierung vornimmt. Mit dem Bundesausbildungsförderungsfonds haben wir einen Vorschlag gemacht, über den man diskutieren kann. Dieser Vorschlag besagt, daß Studierende in Abhängigkeit von ihrer finanziellen Belastbarkeit Beiträge über einen sehr langen Zeitraum in einen Fonds zurückzahlen müssen. Das ist das Prinzip eines Generationenvertrages, nur umgedreht. Dieses Prinzip halte ich für sehr vernünftig. Es ist zumindest eine Chance, die wir in der Debatte nutzen können.
Lassen Sie mich noch einen Punkt ansprechen, der mich wahnsinnig ärgert, weil er wieder einmal deutlich macht, daß die Mehrheit in diesem Haus keinen Wert auf eine aktive Beteiligung der Studierenden an der Reform der Hochschulen legt. Auch die Sozialdemokraten kritisieren völlig zu recht, daß Studierende für Gremientätigkeiten in Zukunft insofern bestraft werden, als sie nach der Regelstudienzeit viel früher auf bankübliche Darlehen für ihren Lebensunterhalt angewiesen sind. Wenn Studierende an der Reform der Hochschulen mitarbeiten sollen - ich kann Ihnen versichern, daß Sie das ohne die Studierenden vergessen können -, müssen wir in diesem Parlament den Versuch unternehmen, in diesem Punkt eine Verbesserung zu erzielen. Im Ausschuß haben wir das probiert. Wir wissen: Es ist nicht an den Ländern gescheitert.
Die Redezeit, Herr Kollege.
Es ist an der Bundesregierung gescheitert - wenn ich diesen letzten Satz noch sagen darf. Die Bundesregierung hat nicht den Mut gehabt, wenigstens etwas Gutes von diesem Kompromiß zu übernehmen. Deswegen lehne ich diesen Kompromiß ab. Ich bedaure, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, daß Sie ihn nicht ablehnen, hoffe aber, daß wir gemeinsam an einer Reform arbeiten können. Dazu gehört, daß Herr Rüttgers -
Herr Kollege!
- seinen Vorschlag nun wirklich in die Mottenkiste packt. Mit einer Verzinsung des BAföG sollten wir in Zukunft keine Politik mehr machen und die Debatten nicht unnötig belasten.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Karlheinz Guttmacher.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Durch die Einbringung eines Regierungsentwurfs zum Achtzehnten Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes durch den Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung wurde eine leidenschaftliche Diskussion eingeleitet. Über die Notwendigkeit einer Neustrukturierung des BAföG waren sich alle an der Diskussion beteiligten Verbände, Länder und Fraktionen des Bundestages einig. Die als „Rüttgers-Modell" vorgesehene BAföGReform sah vor, den Studenten je zur Hälfte einen Zuschuß und ein verzinstes Darlehen zu geben. Ich erkläre für meine Fraktion: Die F.D.P.-Fraktion hat dieses Modell abgelehnt, weil nur die BAföG-Empfänger - 25 Prozent der Studenten - für institutionelle Finanzierung allgemeiner Bildungsaufgaben herangezogen werden sollten.
In dem Beschluß der Regierungschefs von Bund und Ländern hat man sich darauf verständigt, eine notwendige tiefgreifende BAföG-Reform bis 1998 durchzuführen, die das Recht der individuellen Ausbildungsförderung und andere Bestimmungen über die Gewährung öffentlicher Leistungen, die der Studienfinanzierung dienen, einbezieht. Die Neuregelung des Ausbildungsförderungsgesetzes soll im Zusammenhang mit der Steuerreform gestaltet und noch in dieser Legislaturperiode abgeschlossen werden.
In die Reformüberlegungen sollen die von Bund und Ländern vorgestellten Leistungs- und Finanzierungsmodelle einbezogen werden. Die verfassungsrechtlich notwendige Änderung zum Beispiel des Unterhaltsrechts nach dem BGB muß bei der Prüfung berücksichtigt werden, wie auch andere finanzielle Auswirkungen auf die Familie und die öffentliche Hand geprüft werden müssen. Vorstellbar ist in diesem Zusammenhang, daß man die Kindergelder, die Freibeträge, Ortszuschläge und sonstige staatliche Leistungen zu einem Bildungsbürgergeld, das alle Studenten elternunabhängig erhalten, zusammenfaßt. Dieser Sockelbetrag könnte dann durch ein an Leistungskriterien und soziale Verhältnisse gebundenes elternabhängiges BAföG ergänzt werden.
Als kurzfristige Lösung sieht der Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen zum Regierungsentwurf vor, daß in der Regelstudienzeit, die von nun an mit der Förderungshöchstdauer identisch sein wird, die
Bundesausbildungsförderung wie bisher je zur Hälfte als Zuschuß und unverzinstes Darlehen gezahlt wird. Die Studienabschlußförderung wird bis 1999 beibehalten und soll von neun auf zwölf Monate verlängert werden. In dieser Zeit erfolgt die Ausbildungsförderung der Erstausbildung nur als vollverzinsliches Bankdarlehen. Für soziale Härtefälle wie bei Schwangerschaft, Betreuung eigener Kinder oder bei Behinderung wird eine Ausnahmeregelung vorgesehen.
Die durch diese Änderungen verursachten geringeren Einsparungen innerhalb des Haushalts erlauben nicht mehr die ursprünglich vorgesehene Anhebung der Freibeträge und der Bedarfssätze der Studenten um jeweils 6 Prozent. Die Regierungschefs von Bund und Ländern haben sich auf eine Anhebung der elterlichen Freibeträge um 3 Prozent ab 1996 verständigt, wobei sie in Kauf genommen haben, daß gleichzeitig eine dauerhafte Ungleichbehandlung der neuen Bundesländer gegenüber den alten Bundesländern bei der Wahl der Bemessungszeiträume des BAföG festgeschrieben wurde.
Durch die F.D.P. konnte eine Korrektur herbeigeführt werden, die im Sinne einer Angleichung für alle Bundesländer ab dem 1. Juli 1997 die Berechnung der BAföG-Sätze auf das elterliche Einkommen des vorletzten Jahres bezieht. Zur Deckung der finanziellen Mehraufwendungen ist vorgesehen, die elterlichen Freibeträge ab dem 1. August 1996 um 2 Prozent und zum 1. Juli 1998 um ein weiteres Prozent auf dann 3 Prozent zu erhöhen.
Meine Damen und Herren, die gerechte und gleiche Behandlung aller Studenten unseres Landes war uns wichtiger als ein Prozentpunkt bei der Anhebung der elterlichen Freibeträge. Die Vereinheitlichung der Berechnungsgrundlage für das BAföG wird den Verwaltungsaufwand der BAföG-Berechnungsstellen deutlich minimieren.
Die durch die kurzfristige BAföG-Regelung freiwerdenden Mittel in Höhe von 1 Milliarde DM im Zeitraum 1996 bis 1999 werden mit 600 Millionen DM für die Anhebung der Elternfreibeträge und mit 400 Millionen DM für das neue Hochschulsonderprogramm eingesetzt. Zusätzliche Mittel, wie im Regierungsentwurf vorgesehen, stehen für den Hochschulbau nicht zur Verfügung.
Um so wichtiger ist es, das Hochschulbauförderungsgesetz so zu verändern, daß sich die Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau wieder auf ihre wesentlichen Aufgaben konzentrieren kann. Das 2. Hochschulbauförderungs-Änderungsgesetz sieht vor, die seit 1970 unveränderten Bagatellgrenzen anzuheben. Die neue Schwelle beträgt für Bauvorhaben 3 Millionen DM statt bisher 0,5 Millionen DM und für Großgeräte an Universitäten 250 000 DM statt bisher 150 000 DM. Die Anhebung der Bagatellgrenzen eröffnet finanzielle Spielräume für die beschleunigte Realisierung besonders wichtiger Vorhaben und zur Setzung neuer Schwerpunkte. Dies bewirkt zugleich eine administrative Entlastung der Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau.
Dr. Karlheinz Guttmacher
Die F.D.P. hat mit Unterstützung des Landes Rheinland-Pfalz auch maßgeblich Anteil daran, daß bei Bauvorhaben zur Mitfinanzierung Leasing- oder Optionsleasingmodelle eingeführt werden können. Voraussetzung hierfür ist, daß diese Finanzierungsform im Vergleich zu allen anderen wirtschaftlicher ist.
Entfallen ist gegenüber dem Regierungsentwurf die Präzisierung der Verwendung der Mittel im Medizinbereich hinsichtlich ihrer Zuordnung zu Forschung oder Krankenversorgung.
- Lieber Herr Braune, als Vertreter der Universität Jena
weiß ich, daß auch das Klinikum dieser Universität daran denkt, daß es mit seinen Lehrkrankenhäusern und mit anderen Universitätskliniken kooperieren muß. Diesen Weg werden wir als ersten gehen, wenn wir hier zu einem Reformansatz kommen wollen.
Im Hochschulbau können künftig in besonders bedeutsamen Bereichen wie der Biotechnologie, den Materialwissenschaften und der Multimedia-Ausstattung Vorhabenprogramme durch den Planungsausschuß einstimmig beschlossen werden. Die Gerätebeschaffung im Rahmen solcher Vorhabenprogramme unterliegt dann nicht der Bagatellgrenze. Ferner soll zukünftig die Mitfinanzierung von Vorhaben mit einer verbindlichen Kostenobergrenze ermöglicht werden. Bei ihnen entfällt eine aufwendige Baukostenprüfung.
Nach dem Änderungsgesetz zum HBFG wird der Planungsausschuß für den Hochschulbau ermächtigt, eine Verwendung von gemeinschaftlich finanzierten Vorhaben auch für Zwecke der gemeinsamen Forschungsförderung zu gestatten. Es entfällt damit die bislang bestehende Rückzahlungsverpflichtung der Länder, wenn ein mit HBFG-Mitteln gebautes Hochschulinstitut in eine außeruniversitäre Forschungseinrichtung, zum Beispiel in eine Einrichtung der Blauen Liste, eingebracht werden soll.
Im Bereich der Hochschulsonderprogramme soll, aufbauend auf dem HSP I und HSP II und dem Hochschulerneuerungsprogramm, ein neues Hochschulsonderprogramm III mit einem Gesamtvolumen von 3,6 Milliarden DM und einer Laufzeit bis zum Jahr 2000 auf den Weg gebracht werden. Von Herrn Jork wurde hier darauf hingewiesen, daß in diesem Hochschulsonderprogramm auch Finanzmittel für die weitere Integration von Wissenschaftlern an den Hochschulen der neuen Bundesländer vorgesehen sind.
Eine der wichtigsten Aufgaben des veränderten Hochschulbauförderungsgesetzes und des Hochschulsonderprogramms III ist, meine Damen und Herren, daß sie den begonnenen Strukturwandel an den Universitäten und Fachhochschulen beschleunigen, so daß die Studienvoraussetzungen geschaffen werden, um Regelstudienzeiten einschließlich der
Studienabschlußförderung von einem weiteren Jahr einhalten zu können.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat die Kollegin Maritta Böttcher.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Guttmacher, ich hoffe, es war nur ein Versprecher, als Sie bei Schwangerschaften von sozialen Härtefällen sprachen.
Meine Damen und Herren, schade, daß zu so einer Debatte eine kleine Gruppe Betroffener, nämlich Studierende, nicht auf der Zuschauertribüne bis zum Schluß sitzen bleiben dürfen; aber das sagt ja wohl die Ordnung.
Ich möchte zunächst einige Bemerkungen zum Hochschulsonderprogramm III, speziell zum Wissenschaftler-Integrations-Programm, machen.
Das Wissenschaftler-Integrations-Programm hat sein Ziel, das ihm den Namen gab, nämlich grundlagenforschende Wissenschaftler aus den Akademien der DDR in die Hochschulen zu integrieren, weit verfehlt. Nur für ca. 5 Prozent der 1 500 WIPianer ist eine Integration gelungen.
Gescheitert ist das WIP unabhängig davon, ob im Hochschulsonderprogramm III jetzt ein Sockelbetrag zur Förderung innovativer Forschergruppen in den neuen Ländern in Höhe von 100 Millionen DM vorgesehen ist oder nicht. Diese Maßnahme bedeutet keine Integration im gewollten Sinne. Sie rettet oder ersetzt auch nicht das WIP und schließt es auch nicht ab.
Ein solcher Abschluß hätte erreicht werden können, wenn dem Antrag unserer Gruppe zugestimmt worden wäre. Im Antrag unserer Gruppe ist der von vielen Sachverständigen als vernünftigste Lösung betrachtete Vorschlag enthalten, für die WIPianer von Bund und Ländern gemeinsam finanzierte personengebundene zusätzliche unbefristete Personalstellen zu schaffen.
Die von Bund und Ländern vorgeschlagene Maßnahme einer sogenannten Sockelförderung ist zwar besser als nichts - und das sehen auch viele WIPianer so, die unmittelbar vor dem vollständigen Aus standen -, aber doch sehr zu kritisieren.
Zu den weitgehend offenen Fragen gehören: Was sollen innovative Forschergruppen in Abgrenzung zu welchen anderen sein? Wer soll als Drittmittelgeber auftreten? Soll das möglicherweise die DFG sein? Was machen Einzelforscher, da nur Gruppen gefördert werden sollen?
Die WIPianer sind als Grundlagenforscher evaluiert und zur Integration vorgesehen worden. Jetzt werden sie in Richtung wirtschaftsnaher Forschung nach dem Fraunhofer-Modell gedrängt. Mit etwa 400 Millionen DM wäre eine Weiterführung bzw. ein
Maritta Böttcher
Abschluß des WIP in Form steuerfinanzierter zusätzlicher personengebundener Stellen möglich gewesen. Wäre das nicht effektiver als die erneute ziemlich verworrene Flickschusterei?
Ich möchte jetzt einige Bemerkungen zur BAföGNovelle machen. In den letzten Tagen erreichte mich - wie sicherlich viele hier - unter anderem ein Brief eines besorgten Vaters aus Leipzig, aus dem ich hier kurz zitieren möchte.
Es ist doch sehr beschämend, daß die reiche Bundesrepublik nur BAföG an Studenten zahlt und kein Stipendium wie in der DDR. Jetzt sollen das BAföG noch verzinst und Studiengebühren gezahlt werden. Als Vorwand werden lange Studienzeiten und Studienmißbrauch angeführt. Dem könnte man auf andere Weise beikommen. So ist die Studienorganisation oft mangelhaft, so daß die Studenten beim besten Willen gehindert sind, Lehrveranstaltungen zu besuchen. Außerdem ist die Beantragung und Beibringung von Unterlagen derart entwürdigend, daß ich mir als Vater vorkomme wie ein potentieller Wirtschaftsverbrecher, der durch die komplizierte Prozedur abgehalten werden soll, BAföG zu beantragen. Das ganze Regierungsvorhaben läuft offensichtlich darauf hinaus, Studenten unter sozialem Aspekt zu diskriminieren und auszugrenzen.
So weit das Zitat.
Nun erlebe ich die Debatten um die BAföG-Novellierung in diesem Hause erst zum zweitenmal, aber nicht zuletzt die Abstimmungsprozeduren im Ausschuß über Änderungsanträge der Änderungsanträge zu den Änderungsanträgen bestätigen den Eindruck: Es wird allerhöchste Zeit, überschaubare Strukturen in diese gesamte Gesetzgebung zu bringen.
Insofern begrüßen auch wir, daß endlich der Entschluß gefaßt wurde, eine Arbeitsgruppe mit der Vorbereitung grundlegender Neuregelungen des Ausbildungsförderungsrechts zu beauftragen. In diese Reformüberlegungen sollten unserer Ansicht nach aber nicht nur die von Bund und Ländern vorgestellten Leistungs- und Finanzierungsmodelle einbezogen werden, sondern auch die Vorstellungen von Studierendenverbänden, Sachverständigen usw. Die BAföG-Anhörung zeigte eine Vielfalt von Überlegungen, an denen sich auch eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe orientieren muß.
Der Preis für diese Arbeitsgruppe ist das heute hier zu diskutierende Bund-Länder-Kompromißpapier zur sogenannten kurzfristigen Lösung anstehender Probleme. Wenn ich an die dazu anberaumten Ausschußberatungen denke, so kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, daß mit den „anstehenden Problemen" weniger die Probleme der Studierenden als die finanztechnischen Probleme im Zukunftsministerium gemeint sind.
Für die Studentinnen und Studenten bedeutet der Bund-Länder-Deal eine eindeutige Verschlechterung gegenüber der bestehenden Förderpraxis. Die fällige Anhebung der Bedarfssätze entfällt genauso wie die Anhebung des Kranken- und Pflegeversicherungszuschlags. Die Elternfreibeträge steigen lediglich um 3 Prozent.
Wenn man bedenkt, daß es seit 1992 nicht mehr gelungen ist, den steigenden Lebenshaltungskosten und veränderten Einkommensverhältnissen mit entsprechender Angleichung der Leistungsparameter beim BAföG zu folgen, so ist klar, daß es sich hier um eine satte Minusrunde für die Geförderten handelt und die Gefördertenquote weiter zurückgehen wird.
Damit aber nicht genug. In dem Kompromißpapier wird das Zinsmodell grundsätzlich eingeführt, wenn auch nicht ganz so radikal wie ursprünglich geplant. Zins-BAföG gibt es nun für alle, die zur Absolvierung des Studiums länger brauchen, als es die abstrakt vorgegebenen Regelstudienzeiten vorsehen. Es wird also versucht, mit einem untauglichen Instrument, nämlich einem Sozialleistungsgesetz, die Verkürzung von Studienzeiten zu erzwingen. Dafür braucht es Strukturreformen ganz anderer Art; auch darüber waren sich die Sachverständigen einig.
Das Gegenteil wird eintreten, wenn Studierende, die bereits jetzt zu 60 Prozent jobben, um sich den Lebensunterhalt zu verdienen, wegen mangelnder Absicherung weiter in die Erwerbstätigkeit neben dem Studium gedrängt werden. Die Diskrepanzen zwischen den administrativ vorgegebenen verkürzten Regelstudienzeiten und der im Durchschnitt wesentlich längeren realen Studiendauer sind vor allem auf strukturelle und finanzielle Defizite an den Hochschulen zurückzuführen.
Das Problem ist also keinesfalls dadurch zu lösen, daß man Langzeitstudierende, die noch dazu auf BAföG angewiesen sind, bestraft. Ein solches Vorgehen bewirkt ausschließlich eine leistungsindifferente Aufteilung der Studierenden auf kurze und lange Studiengänge entsprechend der sozialen Herkunft.
Wir werden der Ersetzung einer überfälligen Studienreform durch die finanzielle Gängelung von Studierenden aus einkommensschwächeren Schichten nicht zustimmen und halten an den in unserem Antrag aufgestellten Forderungen fest.
Dem Entschließungsantrag der SPD stimmen wir zu, weil er die wichtigsten Punkte für eine wirkliche BAföG-Reform für die Zukunft enthält.
Ich erteile dem Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, Dr. Jürgen Rüttgers, das Wort.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Peter Glotz hat heute zum letztenmal als Bildungspolitiker im Deutschen Bundestag gesprochen.
Ich weiß noch nicht, lieber Herr Glotz, wie freundlich ich zu Ihnen sein darf, ohne Ihnen in der eigenen Fraktion zu schaden.
Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
- Daß er das aushält, weiß ich. Daß dies aber schon das eine oder andere Mal Thema war, weiß ich ebenfalls.
Was ich sagen möchte, ist: Lieber Herr Glotz, bei allen Verschiedenheiten in den Positionen fand ich es immer ganz wichtig, daß ein gutes Gespräch stattfinden konnte und daß es in vielen Fällen auch möglich war, Übereinstimmung zu finden. Sie haben sich nicht gescheut, das als vernünftig zu bezeichnen, was vernünftig ist, auch wenn es aus anderen Schubladen kam.
Denkverbote haben Sie nie beeindruckt.
Irgendwo ist es schade, daß Sie aus dem Deutschen Bundestag ausscheiden. Ganz sicher verliert der Deutsche Bundestag, sicherlich auch Ihre Fraktion, einen engagierten und profilierten Verfechter für mehr Bildung und Forschung in Deutschland. Für Ihren Einsatz möchte ich Ihnen herzlich danken.
Vielleicht kann ich dies am besten dadurch tun, daß ich einem Satz aus Ihrer Rede, die mir natürlich nicht in allem gefallen hat, zustimme, nämlich daß unser Land mit den Problemen, die uns alle beschäftigen - Arbeitslosigkeit, Zukunftschancen für junge Leute, das Problem der Globalisierung, der völlig neuen Rahmenbedingungen einer neuen Weltordnung -, nur dann fertig wird, wenn es konsequent auf Forschung und Bildung setzt.
Vor einigen Wochen habe ich den Vermerk eines meiner Mitarbeiter bekommen, der ein wenig darüber nachgedacht hat, wie man das machen sollte, speziell im Bereich der Bildungspolitik, und der das in die Formel gefaßt hat: Brauchen wir einen neuen Humboldt, oder brauchen wir einen gnädigen Waigel?
Lieber Herr Glotz, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde schon, wir sollten uns nicht nur auf den gnädigen Waigel verlassen,
sondern sollten gemeinsam darüber nachdenken, was wir verändern können.
Dies heißt aber nicht, lieber Herr Schily, das eigene Denken einzustellen und nur finanzielle Forderungen zu erheben. Herr Glotz hat es eben gesagt: Die Lage ist, wie sie ist, und die öffentlichen Hände - wie er es formuliert hat - sind nun einmal weitgehend leer. Gerade da, finde ich, liegt die Intelligenzleistung, die wir hier zu erbringen haben, indem wir Wege öffnen müssen, Wege für mehr Bildung, Wege für mehr Forschung. Das heißt konkret Strukturreform, und es heißt auch zu versuchen, das eine oder andere zu überdenken.
Lieber Herr Glotz, als Sie vor etwas mehr als einem Jahr hier gestanden und wir das erstemal über bildungspolitische Themen diskutiert haben, haben Sie mir gesagt: Aus dem, was Sie hier vorschlagen, wird nie etwas! Wenn ich heute sage, es ist doch etwas daraus geworden, dann sage ich das, weil ich dankbar dafür bin, daß es in einem sehr schwierigen Diskussionsprozeß - ich habe auch einige Kübel abbekommen - gelungen ist, einige Ergebnisse zu erzielen, die ich für richtig halte.
Ich will jetzt in dieser Rede nicht gegeneinander abwägen und Thesen aufstellen nach dem Motto: Während der Regelstudienzeit gibt es keine Verzinsung, und nach der Regelstudienzeit gibt es Verzinsung; also ist der Einstieg in die Verzinsung gelungen. Das ist zwar wahr, aber es ist nicht das Wesentliche. Das Wesentliche ist, daß es uns erstens gelungen ist, für unsere Hochschulen bis zum Jahre 2000 eine Finanzausstattung zu definieren, wenn auch nicht auf komfortablem Niveau, und auch in Zeiten knapper Kassen sicherzustellen.
Zweitens ist es uns gelungen - das ist das, was über den Tag hinausreicht -, eine mehr als zehnjährige Blockade aufzuheben, die sich im Verhältnis von Bund und Ländern entwickelt hat, und miteinander zu vereinbaren, daß wir jetzt konsequent an eine Hochschulreform gehen, eine Hochschulreform, die - so ist es in der Ministerpräsidentenkonferenz mit dem Bundeskanzler von allen Ministerpräsidenten formuliert worden - auch auf Leistungskriterien setzt.
Der dritte Punkt: In einem Jahr, in dem es sehr stark um Haushaltskonsolidierung und auch um Rückführung des Bundeshaushalts geht, in diesem Jahr nämlich, ist es uns gelungen, eine schwierige Vereinbarung zu treffen, die nicht nur im Bereich BAföG eine Lösung darstellt, sondern die darüber hinaus im Bereich Hochschulbau eine Perspektive aufzeichnet und die den Hochschulen mit einem großen Hochschulsonderprogramm III mit 3,6 Milliarden DM bei der Lösung ihrer Probleme unmittelbar hilft.
Ich habe zugegebenermaßen mehr für die Hochschulen umschichten wollen; das ist wahr. Es ging um rund 2 Milliarden DM. Herausgekommen ist etwas mehr als 1 Milliarde DM. Deshalb haben wir verschiedene auch nach meiner Meinung notwendige Veränderungen und Leistungen nicht erzielen können. Das ist nun einmal bei einem Kompromiß so. Wichtig ist mir, daß das, was an Grundsätzen, was an Überlegungen angedacht worden ist, jetzt unmittelbar umgesetzt wird. Es muß uns gelingen - und ich hoffe sehr, daß uns das gemeinsam gelingen kann -, eine Hochschulstrukturreform einzuleiten, die weit über das hinausgeht, was an gängigen kleinen Veränderungen im Bereich des Hochschulrahmengesetzes bisher diskutiert worden ist.
Ich finde, wir sollten gemeinsam diesen Anspruch erheben und darüber nachdenken. Denn die Defizite sind uns allen bekannt. Wir wissen, daß die Abschlüsse an unseren Hochschulen zügiger vermittelt werden müssen, damit junge Leute bessere Berufschancen haben. Wir wissen, daß unsere Universitäten schlanker werden müssen auch im Hinblick auf ihre innere Organisationskraft. Wir geben in diesem Jahr in Deutschland 240 Milliarden DM für Bildung
Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
aus. Das ist wahrlich viel Geld; so viel wie der Jahresumsatz von General Motors. Aber wir organisieren die Hochschulen wie einen Kulturverein in einer beliebigen Kleinstadt.
Ich glaube, daß wir uns mit dem Thema zentrale Studienplatzverteilung auseinandersetzen müssen. Wir haben dazu beigetragen, daß aus unseren Hochschulen vielfach Regionalhochschulen geworden sind und daß sie nicht die Chance bekommen haben, ein eigenständiges Leistungsprofil zu entwickeln.
Ich bin der Meinung, daß die Hochschulen mehr Eigenverantwortung übernehmen sollten. Das heißt im Klartext: Sie sollen über ihre Finanzen frei verfügen und auch die Professoren selbst berufen. Die Hochschulfinanzierung muß insgesamt leistungsorientiert erfolgen. Auch da muß gelten: gutes Geld für gute Leistung und nicht für Sitzen auf irgendwelchen Stühlen.
Die Forschungsergebnisse an unseren Hochschulen sind nach wie vor gut. Sie müssen konsequenter auch für Erfindungen und Patente genutzt werden; denn mit dem Geld, das in diesem Bereich investiert wird, müssen neue Arbeitsplätze geschaffen werden.
Die geplanten Änderungen sind nur eine Zwischenetappe. Ich habe an anderer Stelle gesagt: Was wir hier jetzt machen, ist so etwas wie ein Notprogramm; ein Notprogramm, das sicherstellen soll, daß Menschen nicht entlassen werden müssen, weil wir kein neues Hochschulsonderprogramm - etwa in den ostdeutschen Bundesländern - zustande bringen; ein Notprogramm, weil wir uns nicht darüber einigen können, wie der Hochschulbau effizienter durchgeführt, entbürokratisiert, schlanker und privates Kapital einbezogen werden kann; ein Notprogramm, weil es uns nicht gelingt, unmittelbare Investitionen für Tutorien, für Graduiertenkollegs, für Begabtenförderung, für Frauenförderung und für andere wichtige Dinge an den Hochschulen zu mobilisieren.
Meine Damen und Herren, es ist uns gelungen, dieses Notprogramm aufzustellen. Angesichts der großen Aufgabe, die jetzt vor uns steht, weiß ich: Dieser Streit hat sich gelohnt.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Doris Odendahl.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! In der Debatte zur ersten Lesung der 18. BAföG-Novelle haben wir vorausgesagt, daß Sie mit Ihren Plänen, die Ausbildungsförderung auf ein verzinsliches Bankdarlehen abzuschieben, scheitern würden. Wir haben Sie dringend ersucht, endlich Ihre Blockadehaltung gegen eine grundlegende Reform der Ausbildungsförderung aufzugeben, um das mehr als brüchig gewordene Flickwerk beim BAföG endlich zu beenden. Das war vor zwei Monaten.
Ich freue mich darüber, daß der von Herrn Minister Rüttgers gemeinsam mit dem Finanzminister ausgehandelte Coup zu Lasten der Studierenden und der Chancengleichheit in der Bildung gestoppt wurde. Die Verzinsungsdebatte, Herr Minister Rüttgers, ist beendet. In der Regelstudienzeit wird es keine verzinslichen privaten Bankdarlehen geben.
Für die SPD-Fraktion ist es ein Anlaß zur Erleichterung und auch zur Genugtuung, daß die Ministerpräsidenten der Länder und der Bundeskanzler am 13. Juni den mühseligen Kompromiß zu dieser 18. Novelle und zu einer zukunftsweisenden BAföGReform beschlossen haben. Noch bis zum 12. Juni hat sich Minister Rüttgers diesem sich abzeichnenden Kompromiß entgegengestellt und die von allen Beteiligten eingeforderte grundlegende Reform verweigert. Noch einmal: Ich freue mich, daß dieses unsinnige Tauziehen beendet ist.
Daß Sie nun, Herr Minister Rüttgers, den Kompromiß als Ihren Erfolg verkaufen, soll Ihnen vergönnt sein; denn bekanntlich hat der Erfolg viele Väter. Als Mutter bin ich mehr daran gewöhnt, mich um die Umsetzung zu kümmern. Das will ich jetzt tun.
Das starre Festhalten an dem einhellig abgelehnten Zinsmodell hat leider dazu geführt, daß die notwendigen Änderungen zu dieser 18. Novelle unter größtem Zeitdruck entstanden sind und der Ausschuß für Bildung und Forschung weitgehend ausgeschaltet war. Ich halte das unter parlamentarischen Gesichtspunkten für ein äußerst fragwürdiges Verfahren.
Was mit so heißer Nadel genäht ist, weist auch Schwachstellen auf. Die SPD-Fraktion hat während der Beratungen nachdrücklich darauf hingewiesen.
In einem Punkt konnte glücklicherweise Einvernehmen erzielt werden. Sie haben Ihren ursprünglichen Plan, die Studienabschlußförderung auf maximal neun Monate zu begrenzen, nun fallengelassen, so daß diese wieder auf maximal zwölf Monate festgelegt ist. Angesichts der Verzinsung war die Logik dieser Begrenzung sowieso nicht vermittelbar.
Die SPD stimmt dieser verzinslichen Bankdarlehensregelung in der Studienabschlußphase zu, allerdings verbunden mit dem dringenden Appell an Bund, Länder und an die Hochschulen, nun endlich dafür zu sorgen, daß das Studium tatsächlich in der Regelstudienzeit abgeschlossen werden kann.
In allen anderen Punkten konnten wir uns nicht einigen. Deshalb stellt die SPD-Fraktion in zweiter
Doris Odendahl
Lesung einen Entschließungsantrag zur Abstimmung, auf den ich kurz eingehe.
Erstens. Es darf doch nicht wahr sein, daß nunmehr die für 1997 vorgesehene Angleichung der Einkommensanrechnung in Ostdeutschland mit einer niedrigeren Anpassung der Elternfreibeträge kompensiert werden soll. Die Regierungschefs hatten eine dreiprozentige Anhebung der Freibeträge beschlossen.
Ihre Auslegung des Kompensationsbegriffs ist bezeichnend. Sie nehmen dazu der Gruppe der Betroffenen durch niedrigere Anpassung der Elternfreibeträge das Geld ab, das Sie für die Angleichung der Einkommensanrechnung in Ostdeutschland benötigen. Wir lehnen diese Art der Kompensation nachdrücklich ab.
Dazu noch eine Anmerkung. Bekanntlich ist das Kindergeld ein anzurechnender Einkommensbestandteil beim BAföG. Das Jahressteuergesetz 1996 mit der Anhebung des Kindergeldes auf 200 DM wird für BAföG-Empfänger bzw. für ihre Eltern ab 1998 Folgen haben, wenn nämlich die Nettoeinkommen des Jahres 1996 der BAföG-Berechnung zugrunde gelegt werden. Der Staat kassiert dann bei Teilgeförderten die gesamten 130 DM der Kindergelderhöhung wieder ein. Das ist auch eine Kompensation, meine Damen und Herren, und noch ein Grund mehr für eine grundlegende BAföG-Reform in dieser Legislaturperiode.
Zweitens. Zu Auslandsstudien hat Peter Glotz das Notwendige gesagt und auch dazu, wie schnell Festreden sich einholen lassen. Sehr schnell geht das. Selbstverständlich müssen Auslandsstudien bei der BAföG-Reform mit aufgenommen werden. Aber warum schränken Sie denn zuerst ein, was Sie anschließend ganz besonders fördern wollen? Ich habe das einfach nicht kapiert.
Drittens. Wir halten die Ausnahmeregelung für soziale Härtefälle für unzureichend, weil sie zum Beispiel die Tätigkeit in Gremien ausschließt. Damit bleibt die Mitwirkung in demokratischen Gremien der Hochschulen und Studentenwerke künftig nur noch Studierenden aus bessergestellten Familien vorbehalten. Das ist kein Beitrag zur Demokratie an Hochschulen.
Viertens. Wir wenden uns gegen die faktische Streichung der Förderung postgradualer Studiengänge, also von Zusatz-, Ergänzungs- und Aufbaustudien, und gegen die erhebliche Einschränkung der Förderung bei Fachrichtungswechsel aus wichtigem Grund.
Fünftens. Die jetzt festgelegte Karenzzeit bei der Rückzahlung der verzinslichen Bankdarlehen ist völlig unzureichend. Die von der Bundesregierung vorgesehene Regelung entspricht nicht berechtigten Perspektiven der Studierenden insbesondere bei Arbeitslosigkeit und Kindererziehung und auch nicht
ihrer wirtschaftlichen Situation. Die Rückzahlung, meine Damen und Herren, fällt nämlich mit Sicherheit in die Existenz- und Familiengründungsphase. Betroffen sind nicht zuletzt auch Doktoranden, soweit sie Stipendien erhalten, die in der Größenordnung von rund 1 600 DM liegen. Sie rutschen bei Inkrafttreten der Rückzahlung unter Sozialhilfeniveau. Eine wesentliche Anhebung der Karenzzeit wäre schon deshalb erforderlich.
Sechstens. Die Regierungschefs von Bund und Ländern hatten ausdrücklich beschlossen, daß die Freibeträge zum Herbst 1996 um 3 Prozent angehoben werden sollen. Diesen Beschluß haben Sie mit der vorher erwähnten Kompensation unterlaufen. Wir wissen alle, daß eine deutlichere Anhebung sowohl der Bedarfssätze als auch der Elternfreibeträge notwendig wäre.
Wenn wir uns dennoch darauf verständigt haben, daß der Anhebung der Elternfreibeträge Priorität einzuräumen ist, dann deshalb, weil sie letztlich die Gefördertenquote mit beeinflußt. Bei der jetzt vorgesehenen Anhebung von 3 Prozent wird es einen weiteren Rückgang der Gefördertenquote in den nächsten drei Jahren geben. Deshalb halten wir es für dringend erforderlich, Herr Minister Rüttgers, mit den Ländern über eine weitere Anhebung der Freibeträge um 3 Prozent im Herbst 1997 zu verhandeln und über das Ergebnis zusammen mit Vorschlägen zur Änderung des Gesetzes im Herbst 1996 zu berichten.
Wenn wir heute trotz dieser Kritikpunkte dem gefundenen Kompromiß - ich gebe für mich zu: schweren Herzens - zustimmen, dann vor allem deshalb, weil wir diese Bereitschaft zu einer grundlegenden BAföG-Reform als eine große Chance betrachten, um die von der SPD schon mit der 17. Novelle eingebrachten Reformvorschläge zur Ausbildungsförderung durch Einbeziehung des Kindergeldes, der Kinder- und Ausbildungsfreibeträge zu einem elternunabhängigen Sockelbetrag zu verwirklichen.
Bei einer BAföG-Reform kann es doch nicht darum gehen, zu einer fiskalischen Regelung zu kommen, wer in Zukunft wieviel für wen zu zahlen hat. Dies wäre in der Tat zu kurz gesprungen. Es geht um einen entscheidenden Teil des Generationenvertrages in unserer Gesellschaft. Dieser Generationenvertrag hat schon heute eine dramatische Schlagseite durch einen Schuldenberg von derzeit 2,1 Billionen DM, durch eine nicht bezifferbare ökologische Hypothek, durch die steigende Zahl der älteren Menschen, für die die heutigen Auszubildenden einmal die Renten aufzubringen haben.
Das vom Bündnis 90/Die Grünen jetzt vorgelegte BAFF-Modell ist für diesen Generationenvertrag - gestatten Sie mir diese Bemerkung, Herr Kollege Berninger - eine Zumutung,
Doris Odendahl
weil es den jetzt Studierenden darüber hinaus auch noch die Finanzierung ihrer eigenen Ausbildung aufhalsen will. Allen, die von der Bildungsexpansion der 60er und 70er Jahre profitiert haben und nun von den heute Studierenden Akademikersteuern, Studiengebühren oder Einzahlungen in den BAFF verlangen, kann auf eine andere Art Gelegenheit gegeben werden, ihre durch ihren Bildungsabschluß erreichten Einkommensvorteile an die jüngere Generation zurückzugeben.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Berninger?
Nach dem folgenden Satz, Frau Präsidentin.
Sie sollten sich also überlegen, welchen Beitrag sie an Stelle eines Bündnisses zur Sicherung ihres eigenen Lebenseinkommens - ich meine die bis jetzt Teilhabenden - einer solidarischen Gesellschaft schuldig sind. Das kann man anders lösen.
Nun gerne, Herr Kollege Berninger.
Frau Kollegin Odendahl, stimmen Sie mit mir überein, daß man die Beitragsbelastungen bei BAFF nicht so einfach, wie Sie es jetzt dargestellt haben, darlegen kann, sondern daß es so ist, daß Leute, die BAFF-Beiträge zahlen, letzten Endes natürlich nicht mehr für ihre Kinder, die studieren, in irgendeiner Form aufkommen müssen? Stimmen Sie mit mir des weiteren darin überein, daß die jetzige aktive Gesellschaft - das fordere ich ja auch - dadurch, daß sie die Anschubfinanzierung am Anfang unseres Vorschlages tragen müßte, letzten Endes einen ganz massiven Beitrag leisten müßte, um diesen Generationenvertrag überhaupt in Gang zu bringen, und insofern Ihr Vorwurf, der Vorschlag sei sozial ungerecht oder habe eine Generationenschieflage, zumindest relativiert werden müßte?
Ich sehe keine Notwendigkeit dazu, Herr Kollege Berninger, weil Ihre Anschubfinanzierung eine Größenordnung von rund 10 Milliarden DM umfassen würde. Ich sehe derzeit nicht die Möglichkeit, daß die Generation, die jetzt in der entsprechenden Einkommenssituation ist, dazu bereit wäre oder es könnte, diese 10 Milliarden DM aufzufangen.
Noch einmal: Ich freue mich, daß der Durchbruch für die Reform endlich gelungen ist, Herr Minister Rüttgers. Das ist in der Tat eine große Chance für unser Bildungssystem. Gefährden Sie diese Reformbereitschaft nicht dadurch, daß Sie Ihren alten Ladenhüter der privaten Bankdarlehen wieder mit hineinmischen. Beim ersten Versuch sind Sie in den Seilen
gelandet. So ist das beim Boxen. Ein K. o. wäre dann abzusehen.
Bei der Verabschiedung des BAföG-Gesetzes am 23. Juli 1971, also vor nunmehr 25 Jahren, lautete die gemeinsame Begründung im Deutschen Bundestag:
Der soziale Rechtsstaat, der soziale Unterschiede durch eine differenzierte Sozialordnung auszugleichen hat, ist verpflichtet, durch Gewährung individueller Ausbildungsförderung auf eine berufliche Chancengleichheit der jungen Menschen hinzuwirken.
Die SPD ist in diesem Sinne zur Mitarbeit an der BAföG-Reform bereit.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Christian Ruck.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wie Herr Glotz schon angekündigt hat, haben wir eine gewisse Arbeitsteilung, weil es auch heute nicht allen von uns vergönnt sein kann, zu allem zu sprechen. Ich darf in diesem Zusammenhang sagen, daß ich nicht nur alles, was Herr Rüttgers gesagt hat, teile, sondern auch sehr vieles, was Sie gesagt haben, Herr Glotz.
Ich mache einige Bemerkungen zum BAföG.
- Darum sage ich es ja.
Wenn wir heute im Rahmen dieser Debatte die 18. BAföG-Novelle in zweiter und dritter Lesung verabschieden, ist das für uns und auch für die Studenten ein gewisser Grund zur Erleichterung: Sie wissen vorerst einmal, woran sie sind.
Es gibt gewisse Verbesserungen, die schon genannt wurden: die Freibeträge, die Angleichung der Berechnungszeiträume, neue Akzente und eine Neustrukturierung bei den Hochschulsonderprogrammen. Aber auch für uns und für mich ist diese Freude natürlich nicht ganz ungetrübt. Verfahrenstechnisch waren wir betroffenen oder interessierten Parlamentarier in den letzten Monaten oft in einer sehr schwierigen Lage, weil - verfassungsmäßig sicher einwandfrei - sehr viele Köche am Werk waren, wodurch der BAföG-Brei zwar nicht verdorben, aber doch sehr zähflüssig geriet.
Nur, Frau Odendahl, daß quasi fast jeden Tag oder jede Woche eine andere Sau durchs Dorf getrieben wurde, ist eigentlich nicht unsere Schuld.
Diese Kritik muß man natürlich auch an die Adresse der Länder richten, die erst vor einigen Tagen wieder einen sehr tränenreichen Auftritt bei uns im Ausschuß hatten. Immerhin gelang es dem Ausschuß noch, gestaltend auf den vorliegenden Entwurf ein-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode .116. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1996 10481
Dr. Christian Ruck
zuwirken. Insgesamt kann es aber niemanden befriedigen, wenn er als Bildungspolitiker springt und als Teppichhändler landen muß.
- Sie, Herr Kubatschka, nicht. Dazu sind Sie wahrscheinlich nicht in der Lage.
Damit komme ich zu dem inhaltlichen Wermutstropfen. Ich war und bin Anhänger des Rüttgers-Modells, weil es den Versuch unternimmt, vor dem Hintergrund eines überaus reformbedürftigen Hochschulsystems auch das BAföG-System zu reformieren, ohne daß sein Kerngedanke verlorengeht.
Dies geht nicht, Herr Kollege Tauss, mit dem Gießkannenprinzip, sondern nur mit einer klaren Schwerpunktsetzung, wenn man nicht mehr, sondern eher weniger Geld zur Verfügung hat.
Daß Sie sich jetzt, meine Damen und Herren von der Opposition, insbesondere von der SPD, an die Brust schlagen, das Rüttgers-Modell via Bundesrat verwässert zu haben, ist Ihr gutes Recht.
- Verwässert. - Aber dann müssen Sie, Frau Odendahl, die Klage, die Sie für all das, was nicht mehr darin ist, geführt haben, fairerweise an die richtige Adresse, nämlich an die Länder, richten.
Sie müssen dann ehrlicherweise auch auf Ihre Kappe nehmen, was Sie via Bundesrat alles verhindert haben, nämlich die sechsprozentige Anhebung der BAföG-Sätze und der Freibeträge sowie 1 Milliarde DM mehr an Investitionsmitteln zugunsten einer Verbesserung der Studien- und Forschungsbedingungen der Studenten.
Die Verwässerung eines Reformmodells ist noch lange kein eigener Reformvorschlag. Den hat die SPD bisher nicht vorgelegt -
Herr Kollege Ruck, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Odendahl?
- gleich - im Gegensatz zu den Grünen, die allerdings weit über das Ziel hinausgeschossen sind. Meine Damen und Herren von der SPD, Sie verschanzen sich hinter dem KMK-Modell, das erstens aus Sachsen stammt und zweitens in sich äußerst widersprüchlich ist.
Herr Kollege, ich habe Sie nicht richtig verstanden: Haben Sie „nein" oder „gleich" gesagt?
Das ist nicht einmal ein SPD-Modell.
Herr Kollege Ruck, würden Sie mir bitte antworten.
Ja.
Haben Sie eben „gleich" gesagt, oder haben Sie „nein" gesagt? Ich habe es nicht verstanden.
Ich habe „gleich" gesagt.
Gleich. Gut.
Ich habe vorhin „gleich" gesagt, und jetzt ist „gleich".
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das ist gut.
Danke, Herr Kollege Ruck. - Herr Kollege Ruck, sind Sie auch angesichts der etwas späten Stunde
Ihr Kollege hat nicht für mich gesprochen, sondern für sich. Ich persönlich kann mich noch relativ gut an gestern erinnern. Ich möchte Ihnen auch nicht widersprechen. Es ist nicht einfach, die Gemengelage beim BAföG - das habe ich, glaube ich, in meinen Eingangsbemerkungen gesagt - schwarz auf weiß festzuhalten. Vielmehr war es für uns Parlamentarier besonders schwierig, unsere Vorstellungen überhaupt entsprechend umzusetzen. Insofern möchte ich Ihnen nicht widersprechen. Nur, ich sage: Jeder nimmt auf seine Kappe, was er hat fallen lassen müssen und was er
Dr. Christian Ruck
durchgebracht hat, und den Rest sollen die anderen machen.
Mich freut auch, daß wir uns gestern auf diesen Entschließungsantrag einigen konnten, der die Reformbedürftigkeit sowohl des BAföG als auch des Hochschulsystems noch einmal bekräftigt. Ich kann aus Zeitgründen leider nicht
- jetzt seien Sie doch nicht so unnett! - einen ausführlichen Neuanfang in der Diskussion um vorhandene oder neue Reformmodelle machen. In einem möchte ich Herrn Glotz und den anderen Vorrednern zustimmen: Das, was jetzt auf dem Tisch liegt, ist keine Reform - sie kann es auch nicht sein -, sondern sie muß erst noch kommen. Ich möchte einige Punkte nennen, die bei einer grundsätzlichen Reform für mich wichtig sind:
Erstens. Es muß sichergestellt sein, daß staatliche Unterstützung vor allem denen zugute kommt, die es nötig haben. Daß Eltern wenig Geld haben, darf auch in Zukunft kein Hindernis für das Studium der Kinder sein. Deswegen bin ich aber auch skeptisch gegenüber allen Modellen der familienunabhängigen Förderung.
Zweitens. Leistungsnachweise und Regelstudienzeiten müssen für alle gelten; sie dürfen nicht nur für BAföG-Empfänger gelten. Nur, die Studienbedingungen müssen das Erreichen dieser Leistungen auch möglich machen.
Drittens. Das gesamte System der Unterstützung für Studenten und deren Eltern, einschließlich Kindergeld, muß vereinfacht, aufeinander abgestimmt und überschaubar gemacht werden.
Viertens. Die Unterstützungsleistungen müssen angemessen sein und daher so bald wie möglich erhöht werden.
Fünftens. Im Zuge der Globalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft sind Auslandsstudienaufenthalte stärker als bisher zu unterstützen.
Sechstens. Durch Straffung und Entrümpelung des Studiums eingesparte Geldmittel sind für Investitionen im Hochschulbau zu verwenden.
Nimmt man diese Prämissen zusammen, erkennt man zumindest auf den zweiten Blick, daß hier Forderungen sowohl von Rüttgers als auch von den Ländern, insbesondere von Bayern, als auch vom Ausschuß eingeflossen sind. Trotz der vielen Köche haben wir bei einem gemeinsamen politischen Willen und einer sachlichen Diskussion also durchaus die Chance einer Verständigung auf eine tragfähige und vernünftige Reform.
Wir alle wissen, daß das BAföG-System nur ein, wenn auch wichtiger Teil des gesamten Hochschulsystems ist, dessen Erneuerung überfällig und eine Vorbedingung für eine Verbesserung des Forschungs- und Wirtschaftsstandorts Deutschland ist.
Achten wir alle darauf, daß trotz aller hitzigen Diskussion um das BAföG - ähnlich wie im Wirtschaftsbereich beim Ladenschlußgesetz - wertvolle politische Energie nicht verschleudert wird und der Blick auf das Wesentliche nicht verlorengeht.
Vielen Dank.
Jetzt hat die Kollegin Elisabeth Altmann das Wort.
Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Ruck, was hat es mit Reform zu tun, wenn Studierende, die BAföG, zum Beispiel elf Semester Vollförderung, bezogen haben und bis jetzt 34 000 DM zurückzahlen, nach der sogenannten Reform 45 000 DM zurückzahlen müssen, das heißt, sich in ihrem späteren Leben mit über 11 000 DM mehr belasten? Wenn zwei zusammenkommen, die das zahlen müssen, dann sind es zweimal 45 000 DM, also 90 000 DM. Das ist ein „guter" Start ins Berufsleben.
- Oh!
Gut, dann will ich ihn bestätigen.
Herr Minister, Herr Glotz und auch die anderen, in der Analyse sind wir uns, was die Hochschulen in Deutschland angeht, ziemlich einig. Die „ Wirtschaftswoche" beschrieb es in der vorletzten Woche drastisch:
Willkürliche Anerkennung von Vorleistungen, .. . überlange Studienzeiten, dazu ein fehlendes Angebot weltweit üblicher Abschlüsse ... und die Anonymität der Massenuniversitäten - die Probleme des deutschen Hochschulbetriebs haben längst auch das Ausland erreicht.
Diese Schilderung macht uns hellhörig. Wir beraten, wie wir das ändern können. Aber die Forderungen von Ihnen, Herr Minister Rüttgers, und von Ihrem Kollegen, Herrn Kinkel, nach mehr akademischer Internationalität bleiben, so meine ich, Lippenbekenntnisse, wenn keine Taten folgen. Ich sehe in dieser sogenannten BAföG-Reform keine Taten. Die ungünstigen Regelungen für Auslandsstudien zeigen dies. Wie Sie, Herr Minister schon sagten, müssen wir das eine oder andere neu überdenken.
Der Anteil der Ausländerinnen und Ausländer an unseren Universitäten liegt bei geringen 4 Prozent. Dadurch verliert die Bundesrepublik mehr und mehr ihre Partnerinnen und Partner in der Welt. Wenn wir uns in aller Welt menschliche, wirtschaftliche und
Elisabeth Altmann
wissenschaftliche Kontakte wünschen, wenn wir den Wirtschaftsstandort Deutschland hochhalten wollen, dann können wir es uns einfach nicht leisten, in eine selbstverschuldete Isolation zu geraten.
Das kam auch bei der Hochschulbauanhörung deutlich heraus. Horst Bachmann vom Deutschen Studentenwerk sagte, das sei „nicht zuletzt auch eine Frage der Unterbringung für Studierende". Nur 10 Prozent der Studentinnen und Studenten im Westen finden zum Beispiel einen Platz in einem studentischen Wohnheim. In den neuen Bundesländern gibt es immer noch viele Wohnheime mit Vier- oder Sechsbettzimmern, die sich meist in miserablem baulichem Zustand befinden. Das ist für Studierende unzumutbar.
Auch das wäre ein Punkt, den man anpacken könnte, um Deutschland als Studienland wieder attraktiver zu machen. Wir brauchen wohnlich gestaltete Gästehäuser. Gerade ausländische Studierende sind darauf angewiesen. Das wäre ein Beitrag zur gewünschten Mobilität und Internationalisierung. Deshalb sollte man den Bau von studentischen Wohnungen mit in den Hochschulbau einbeziehen, wie wir es in unserem Änderungsantrag fordern.
Der Abstieg bundesdeutscher Hochschulen von einem Spitzenplatz in die Mittelmäßigkeit rührt auch daher, daß die Mitverursacher der Misere jetzt zum Teil als die Reformer auftreten. Die „Wirtschaftswoche" titelt: „Reaktionäre sind selbst Reformer" . Sich selbst rekrutierende Männerbünde beherrschen seit Jahrzehnten die Spitzenplätze in Bildung, Forschung und Hochschulpolitik.
Generell gilt: Je höher Qualifikationen und berufliche Tätigkeiten angesiedelt sind, desto geringer ist der Frauenanteil an unseren Universitäten. Bei den Promotionen liegt er bei 30 Prozent, bei den Berufungen bei 15 Prozent. Wir müssen dies durch eine gezielte Frauenförderung ausgleichen - deshalb unser Entschließungsantrag zur Frauenförderung. Wir fordern, 50 Prozent der Qualifikationsstellen an Frauen zu vergeben. Das heißt, wir wollen für Frauen die Hälfte der Stellen des Hochschulsonderprogramms.
Es gibt noch immer gravierende geschlechtsspezifische Benachteiligungen, die wir aufheben könnten. So beträgt der Studentinnenanteil an den Fachhochschulen 35 Prozent, was nachteilige Wirkungen für Frauen bei den technisch-wirtschaftlichen Berufen hat. „Der Spiegel" berichtet in dieser Woche, daß ein Viertel aller Akademikerinnen weit unter ihrer Qualifikation beschäftigt sind und daß sie durchschnittlich 46 Prozent weniger verdienen als männliche Akademiker.
Herr Rüttgers, ich finde es unverständlich, daß Sie die Zahlen aus einer Studie von der TU Berlin seit einem halben Jahr verheimlichen.
Wir wollen mit dem von uns vorgelegten Antrag diese ungerechte Situation zumindest verbessern. Mit den vom Bündnis 90/Die Grünen gemachten
Vorschlägen werden die Kapazitäten für den Studienstandort Deutschland besser erschlossen. Deshalb sollten Sie unseren Anträgen zustimmen.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Joachim Schmidt.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben vor einigen Monaten an dieser Stelle schon einmal über das WissenschaftlerIntegrations-Programm diskutiert. Es ist richtig und notwendig, auch heute noch einmal über dieses Problem zu reden.
Ich will zuerst feststellen, daß es dabei bleibt: Die im derzeitigen Wissenschaftler-Integrations-Programm tätigen Forschergruppen und Einzelforscher müssen auch nach Auslaufen dieses Programms Ende 1996 eine faire Chance erhalten, weiterhin aktiv Forschung und Entwicklung zu betreiben.
- Ich komme dazu gleich.
Es geht im Osten Deutschlands darum, Forschungskapazitäten zu erhalten und neue aufzubauen, jedenfalls keine in Gefahr zu bringen und abzubauen. Deshalb ist es konsequent, daß die Zukunft der sogenannten WIPianer einen Schwerpunkt in der Innovationsoffensive Ost der ostdeutschen CDU-Abgeordneten bildet, die im Mai in Strausberg beschlossen wurde.
Es war von Anfang an unser Ziel, daß Bund und Länder gemeinsam in der Pflicht bleiben. Nicht zuletzt auf unser Drängen hin hat die Bundesregierung vorgeschlagen, im kommenden Hochschulsonderprogramm III eine Maßnahme mit dem Titel „Förderung innovativer Forschergruppen und Einzelforscher in den neuen Bundesländern" vorzusehen.
- Ich komme darauf gleich, Herr Braune. Sie können sich ganz ruhig zurücklehnen.
Mit diesem Programm sollen erfolgreiche Forscher und Forschergruppen, denen es mit ihren Vorhaben gelingt, sich auf dem Drittmittelmarkt zu behaupten, eine Perspektive über das Jahr 1996 hinaus erhalten. Die Förderung durch eine Sockelfinanzierung soll ausschließlich nach Leistungsgesichtspunkten organisiert werden und damit geeignet sein, die Wettbewerbsfähigkeit dieser Wissenschaftler zu stärken.
Diese Maßnahme ist ein Schritt, der unsere Zustimmung findet. Ich will allerdings zum Ausdruck bringen, daß dieses Programm nicht in Einzelfällen auch für Mitarbeiter des bisherigen Wissenschaftlerprogramms verfügbar sein darf, sondern bevorzugt den bisherigen „ WIPianern" zugängig sein muß. Diese Wissenschaftler wurden bisher mehrfach positiv
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
evaluiert. Sie haben in ihren Sondergruppen eine beachtliche und wertvolle wissenschaftliche Arbeit geleistet. Ich bin sicher, daß sich die übergroße Mehrheit der im WIP tätigen Forscher im wissenschaftlichen Wettbewerb behaupten kann.
Das BMBF hat für dieses Programm eine Finanzausstattung in Höhe von 100 Millionen DM für vier Jahre vorgesehen. Ich halte diesen Betrag für zu niedrig.
Das habe ich auch schon vor einem Vierteljahr gesagt.
- Die Haushaltsdiskussion ist noch nicht abgeschlossen. - Im Rahmen der Haushaltsdiskussion wird Gelegenheit sein, über einen notwendigen Zusatz zu verhandeln. Das werden wir auch tun.
Aber besonders wichtig erscheint - jetzt komme ich zu Ihnen -, daß jüngeren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die jetzt im Rahmen des WIP gefördert wurden, verstärkt die Chance gegeben wird, Promotions- und Habilitationsstipendien in Anspruch zu nehmen, um die Voraussetzungen für eine wissenschaftliche Karriere zu erlangen. Nach meinen Informationen könnte dies auf zirka 200 ehemalige „WIPianer" zutreffen.
Sowohl Hochschulen als auch außeruniversitäre Forschungseinrichtungen müssen in das Programm einbezogen werden. Wo dies wissenschaftlich sinnvoll ist, muß auch die außeruniversitäre Forschung den bisherigen Angehörigen des WIP geöffnet werden. Die entscheidende Voraussetzung für die Verwirklichung dieses Programmes aber ist, daß sich die neuen Länder an ihm beteiligen; denn ihre Kofinanzierung ist selbstverständlich unbedingt erforderlich.
- Sie wissen nicht, wovon Sie reden.
Die diesbezügliche Unentschlossenheit der Länder ist das eigentliche Hemmnis.
Nur wenn sie sich bald und klar zu ihm bekennen, und zwar in bezug auf die Fach- und die Finanzseite, wird es zustande kommen. Wenn sie sich nicht beteiligen, werden sie das Problem allein lösen müssen.
Deshalb meine Aufforderung an Sie, und zwar unabhängig davon, auf welcher Seite des Hauses man hier sitzt. Bemühen Sie sich in Ihren Ländern, daß sich die Länderregierungen eindeutig dazu bekennen!
Ich will Ihnen die Situation einmal schildern. Es geht nicht nur um finanzielle, sondern auch um arbeitsrechtliche Fragen. Die Situation sieht gegenwärtig so aus: Sachsen und Thüringen werden wahrscheinlich das Programm mittragen. In Brandenburg, Sachsen-Anhalt und auch Mecklenburg-Vorpommern ist die Situation - vorsichtig ausgedrückt - unübersichtlich. Berlin ist ein echter Problemfall, nicht zuletzt deshalb, weil Berlin die größte Zahl an WIPianern hat.
Herr Braune, gehen Sie nach Berlin!
Die Finanzsenatorin ist von Ihrer Partei. Die blockiert die Sache im Moment.
- Mit dem Radunski haben wir gesprochen. Der stimmt zu, wenn die Finanzsenatorin die Mittel bereitstellt.
Gehen Sie nach Sachsen-Anhalt und Brandenburg, und überzeugen Sie die Finanzminister, daß sie mitspielen! Dann kann das was werden. Dann können wir auch über Aufwuchs reden.
So ist mit uns nicht zu verhandeln.
In Sachsen hat sich die Bildung einer Arbeitsgruppe bewährt, die alle relevanten Fragen, die mit der künftigen wissenschaftlichen Forschungstätigkeit von derzeitigen WIPianern zusammenhängen, behandelt. Die Sächsische Staatsregierung, der sächsische WIP-Rat und die Gewerkschaften arbeiten konstruktiv zusammen. Ich kann nur empfehlen, daß derartige Gremien baldigst in anderen Bundesländern gebildet werden. Sorgen Sie dafür, daß in Ihren Ländern auch WIP-Räte gebildet werden!
- Nein, aber wir wollen, daß die Leute verantwortlich mitspielen können. Herr Braune, Sie haben keine Ahnung! Sie wissen nicht, wovon Sie reden!
Selbstverständlich bleiben die neuen Länder, die im übrigen auch Träger der von mir beschriebenen HSP-III-Maßnahme zur Sockelfinanzierung werden sollten, nachdem die DFG eine diesbezügliche koordinierende Tätigkeit abgelehnt hat, aufgefordert, Überlegungen anzustellen und entsprechende Vorbereitungen zu treffen, um geeignete Gruppen des WIP in An-Institute zu überführen.
Denn eines steht fest: Zeit tut not. Merken Sie sich das! Die Sorge der noch heute im WIP tätigen Mitarbeiter und ihrer Familien im Hinblick auf die weitere berufliche Zukunft ist verständlich. In Freiberg funktioniert das hervorragend.
Herr Kollege, Sie müssen mit Ihrem Text zum Schluß kommen.
- Ich habe noch einen Satz. - Bund und Län-
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
der stehen in der Pflicht, dafür Sorge zu tragen, daß uns dieses Forschungspotential erhalten bleibt. Ich glaube, dafür lohnt jede Anstrengung. Vor allen Dingen, spielen Sie mit!
Vielen Dank.
Jetzt hat der Abgeordnete Tilo Braune das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Schmidt! Martialisches Auftreten, das Sie hier zeigen, täuscht natürlich nicht darüber hinweg, daß Sie vor wenigen Monaten mit großen Worten Hunderte von Millionen für die WIPianer gefordert haben und damit kläglich gescheitert sind. Das wollen wir doch hier mal ganz deutlich machen.
Die Stunde, in der diese Debatte hier stattfindet, zeigt so ein wenig den Stellenwert der Bildung, den dieses Thema mittlerweile in dieser Republik bekommen hat. Am Ende der Fahnenstange reden wir über diese wichtigen Themen. Es ist betrüblich.
In der zuvor abgelaufenen Debatte zur Expo 2000 wurde Herr Dìez-Hochleitner, Präsident des Club of Rome, zitiert. Ich möchte diesem Zitat noch etwas hinzusetzen. Herr Dìez-Hochleitner hat, zu den drei größten Herausforderungen unserer Zeit befragt, gesagt:
Erstens. Fundamental sind Antworten zu Erziehung, Bildung, Ausbildung, Know-how und Wissenschaft. - Wir müssen zweitens die Umwelt ernst nehmen wie einen Freund oder Verwandten und drittens das Problem der Arbeit in seiner weltweiten Dimension erkennen, auch in ihrer Wirkung auf Bildung und Wissenschaft.
Ich denke, das sind die Essentials, die uns in den nächsten Jahren und vielleicht Jahrzehnten politisch begleiten.
Deshalb ist es so fatal, daß hier in Form eines Kuhhandels über diese wichtigen Themen in den letzten Wochen und Monaten verhandelt wird, mit einem spärlichen Ergebnis.
Der wahrlich konservative französische Staatspräsident Jacques Chirac machte Verbesserungen des Bildungssystems zu einem zentralen Wahlkampfthema. Was aber tut diese Bundesregierung seit ihrer Machtübernahme 1982? Sie senkt seitdem systematisch die Ausgaben für Wissenschaft und Forschung. 1970 brachte der Bund noch 14,3 Prozent der Hochschulausgaben auf, 1994 waren es noch ganze 7,2 Prozent. Dieses essentielle Thema für die Zukunft
unseres Landes, für das Wohl seiner Bürgerinnen und Bürger wird ignorant und sträflich vernachlässigt, rangiert unter „ferner liefen" in der Wahrnehmung der regierenden Koalition.
Die dringende Reform unserer überlasteten und chronisch unterfinanzierten Hochschulen ist maximal Thema von Sonntagsreden. Kommt es jedoch zum Schwur der Finanzierung, wenden sich die Protagonisten der Regierung schulterzuckend ab. Die Verzinsung des BAföG als sozial unerträgliche Verschiebung von Kosten aus öffentlichen Haushalten auf die Schultern wirtschaftlich schwacher Studierender war die vermeintliche Rettungsvariante liberal-konservativer selbsternannter Reformatoren.
Der sogenannte Zukunftsminister organisiert nicht die Zukunft von Wissenschaft und Forschung, er agiert nicht als Lobbyist der Hochschulen und Forschungseinrichtungen, er schafft nicht die Aufbruchstimmung, die unsere Hochschulen so dringend benötigen.
Der sogenannte Zukunftsminister rührt weiter in der trüben Brühe des „Weiter so". Statt in innovativen Sprüngen bewegt er sich, als habe er Blei in den Schuhen. Die Lage an den Hochschulen ist weiter dramatisch. Diese Bundesregierung reitet das hohe Bildungsgut dieser Republik mehr und mehr zuschanden.
War es vor 20 Jahren noch attraktiv, in Deutschland zu studieren, so wenden sich immer mehr ausländische Studienbewerber in die USA oder nach Australien.
Dieser Niedergang darf so nicht weitergehen.
Ein Ausweg wäre die bessere bauliche Ausstattung der Hochschulen und die gezielte Beseitigung bestehender, längst focussierter Mängel mit einem neuen Hochschulsonderprogramm III. Öffentlicher Druck der Hochschulen, aber auch der Opposition und der Länder, die Mitverantwortung tragen, führte zu Neuverhandlungen in diesem Bereich; man konnte wieder hoffen.
Die Länder waren bereit, eine Gesamtsumme in Höhe von 4,1 Milliarden DM mitzufinanzieren - Herr Schmidt, hören Sie zu -, der Bund bot klägliche 3,6 Milliarden DM mit einem Schlüssel von 50:50 an, und das zunächst nur unter dem Vorbehalt einer BAföG-Verzinsung. Dies war eine völlig unannehmbare Haltung. Besonders für die neuen Bundesländer ist die Unterfinanzierung auf Grund des massiven Nachholebedarfs am größten.
Tilo Braune
Ein besonderes Problem war das bereits mehrfach angesprochene Wissenschaftler-IntegrationsProgramm. Zirka 2 000 mehrfach evaluierte Wissenschaftler der ehemaligen Akadamie der Wissenschaften der DDR sollten weiter in die Lage versetzt werden, ihre wissenschaftlichen Potenzen der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen. Auf Grund realitätsferner Entscheidungen seinerzeit am grünen Tisch im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft wurde das Programm so konzipiert, daß es nicht gelingen konnte.
Deshalb, liebe Frau Kollegin von der PDS, ist eine schiere Fortsetzung dieses als falsch erkannten Programms nicht sinnvoll und möglich. Bisher sind lediglich 5 Prozent der WIPianer integriert bzw. können integriert werden. Weit über 1 000 Wissenschaftlern droht die Arbeitslosigkeit nach Auslaufen des HEP.
Der nunmehr getroffene Kompromiß zwischen Bund und Ländern bleibt unbefriedigend. Herr Rüttgers vermochte es nicht, die notwendigen Mittel zu mobilisieren. Die Kollegen der Koalition räumten zwar in Pausengesprächen ein, daß das nicht ausreiche. Kollege Schmidt sprach - wir hörten es gerade - in der Debatte am 18. Januar sogar von 400 Millionen DM, die er den WIPianern geben wollte. Herausgekommen ist jedoch ein kläglicher Rest von 100 Millionen DM für sogenannte innovative Forschergruppen und ein nichtssagender flauer Beschluß der Koalitionsmehrheit im Ausschuß mit der Formulierung „für geeignete Maßnahmen". Eine jämmerliche Leistung!
Lediglich die Mittel für die „Verbesserung der Qualität der Lehre" und zur „weiteren Entwicklung des Fachhochschulbereichs" könnten noch kompensierend wirken. Der Bedeutung der über 1 000 Wissenschaftler wird das jedoch nicht gerecht.
Zum Hochschulbau: Auch dieser Bereich ist chronisch unterfinanziert. Der Wissenschaftsrat empfahl für 1996 ein Volumen von 2,45 Milliarden DM; im Bundeshaushalt stehen 1,88 Milliarden DM, davon sind 80 Millionen DM gesperrt. In nahezu allen Ländern existiert ein Investitions- und Werterhaltungsstau.
Zu begrüßen ist das Scheitern der Verknüpfung des Handlungsbedarfes hier mit der unsäglichen BAföG-Verzinsung à la Rüttgers. Der Erpressungsversuch - das ist deutlich zu sagen - ist gescheitert.
Die Anhebung der Bagatellgrenzen auf 3 Millionen DM für Bauvorhaben ist vernünftig, schafft Bewegungsfreiheit und mindert Bürokratie. Fragwürdig bleibt die Kompensation der Mehrausgaben der Länder durch diese Anhebung.
So entsteht, um ein Beispiel zu nennen, für Sachsen-Anhalt zunächst eine Belastung von zirka 24 Millionen DM, es gibt eine Kompensation von 10 Millionen DM, verbleibt eine Mehrbelastung von etwa 14 Millionen DM. Dies ist angesichts der problematischen Finanzlage der neuen Bundesländer ein nicht zu unterschätzender Faktor.
Mit der Möglichkeit der Mitfinanzierung von Optionsleasing ist meines Erachtens ein qualitativer Durchbruch gelungen. Die Praxis wird zeigen, ob die Hoffnungen gerechtfertigt sind oder ob deutsche Bürokratie wieder einmal vernünftige Lösungen aushöhlt. Es sollten mit dieser Variante die dringlichsten zu realisierenden Bauvorhaben umgesetzt werden, was gerade für Ostdeutschland sehr wichtig ist.
Als Erfolg muß der Fall der Rüttgerschen Absicht gefeiert werden, sich partiell aus der bisherigen Förderung der Investitionen der Medizinischen Fakultäten zurückzuziehen. Die künstliche und willkürliche Trennung von Betten für Forschung und Lehre und solchen für Krankenversorgung hätte die Länder in eine äußerst prekäre Situation gebracht. Ich kenne keinen Patienten - und ich weiß, wovon ich spreche -, der sich allein als Objekt für Lehre und Forschung in irgendein Krankenbett legt.
Herr Rüttgers hat es nicht vermocht, von seinem Kollegen Seehofer einen Ausgleich für wegfallende HBFG-Mittel zu erhalten. Das Ergebnis wäre eine deutliche Entlastung des BMBF-Haushaltes zuungunsten der Länder gewesen. Auch hier wären vor allem die neuen Bundesländer die Leidtragenden gewesen.
Fazit: Die Absicht von Herrn Rüttgers, die Länder mit seinem Paket aus BAföG-Verzinsung, HBFG-Novelle und HSP zu erpressen, ist fehlgeschlagen. Das muß man feiern. Die mangelnde Prioritätensetzung dieser Bundesregierung in Wissenschaft und Forschung mit dauerhaft unterfinanziertem BMBFHaushalt hat nach viel zu langen Verhandlungen auf Druck der sozialdemokratischen Seite einen Kompromiß ergeben, der nicht ideal, aber tragfähig erscheint. Er rettet die Hochschulen über die nächste Klippe, löst das Problem jedoch nicht.
Wir brauchen in Deutschland - das sollte man sehr ernst nehmen - eine neue, breite Debatte zum Stellenwert der Bildung.
Nur so entsteht ein öffentlicher Druck auf die Politik, die chronische Unterfinanzierung zu durchbrechen, die Hochschulen angemessen auszustatten.
Aber auch die Hochschulen müssen sich bewegen. Autonome Haushalte, engere Kontakte zur Wirtschaft, stärkere Profilbildung, Flexibilität und besseres Management werden für die Zukunft unverzichtbar sein. Alle müssen sich bewegen, um die jahrzehntelangen Verkrustungen aufzubrechen.
Wie titelte doch Peter Glotz in seinem jüngsten Aufsatz zur deutschen Bildungspolitik in der „Zeit" vom 21. Juni 1996? „Verjuxt nicht unser Kapital!"
Wie spitzte Ricardo Dìez-Hochleitner, um ihn abschließend noch einmal zu zitieren, zu: Wir dürfen
Tilo Braune
eine „Inkompetenz der Omnipotenz" nicht mehr tolerieren.
Packen wir es an, meine Damen und Herren!
Als letzter hier sprechender Bildungspolitiker unserer Fraktion sei mir gestattet, noch einmal unser Bedauern über den Weggang von Peter Glotz auszudrücken. Ich glaube, wir in der Fraktion verlieren einen charismatischen Denker, der nicht immer bequem war, auch nicht immer main stream der politischen Aussagen unserer Fraktion lag, einen glänzenden Rhetoriker mit einer mich beeindruckenden eindringlichen Motorik.
Die Fraktion wird vielleicht ein Stück ärmer mit dem Weggang von Peter Glotz, möglicherweise aber wird die Hochschullandschaft Deutschlands reicher. Die Buchläden, lieber Peter, werden vielleicht etwas mehr gefüllt. Die intellektuelle Debatte dieser Republik wird sicherlich davon profitieren, daß du jetzt mehr Zeit hast. Wir freuen uns auch zukünftig auf deine Beiträge.
Ich, lieber Peter, habe gern mit dir zusammengearbeitet, und ich glaube, wir werden auch in Zukunft weiter deinen Rat brauchen. Ich danke dir.
Das war eine richtig große Abschiedsrede, der sich das Haus sicherlich gern anschließt.
Als nächster hat der Kollege Josef Hollerith das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Novelle zum Hochschulbaufördergesetz ist ein Erfolg. Ich begrüße ganz ausdrücklich, daß es gelungen ist, mit dem Optionsleasing neue Finanzquellen zu erschließen, Möglichkeiten zu eröffnen, um kostensparendes Bauen zu gewährleisten. Erfahrungen aus der Privatwirtschaft zeigen uns, daß mit Generalübernehmer-/Generalunternehmerverträgen Kostensenkungen durch mehr Wirtschaftlichkeit um bis zu 30 Prozent möglich sind, und dies, meine sehr verehrten Damen und Herren, in Zeiten knapper öffentlicher Haushalte.
Ausdrücklich bedaure ich, daß die Forderung, bei den Universitätskliniken die Finanzierung von Forschung und Lehre von der Gesundheisvorsorge zu trennen, nicht durchgesetzt werden konnte. Ich bedaure dies um so mehr, weil offensichtlich auch die Bundesländer hier Handlungsbedarf erkennen. Es gibt den Beschluß der Kultusministerkonferenz vom 29. September 1995. Ich zitiere aus dem Bericht „Überlegungen zur Neugestaltung von Struktur und Finanzierung der Hochschulmedizin":
Unabhängig von diesen weiterzuverfolgenden
Forderungen war das bereits den Vorschlägen
vom 9. August 1993 zugrunde gelegte Ziel, die Wirtschaftlichkeit der Universitätsklinika in dem Maße zu verbessern, daß sie grundsätzlich in der Lage sind, die Erfüllung der ihnen obliegenden Krankenversorgungsaufgabe mit den Entgelten der Krankenkassen zu finanzieren, weiterhin die Grundlage der Überlegungen der Arbeitsgruppe. Maßgeblich war hierbei der Gedanke, daß nur auf diesem Wege verhindert werden kann, daß ein zunehmender Anteil der den Universitäten für die medizinische Forschung und Lehre zur Verfügung zu stellenden Mittel zur Subventionierung der Krankenversorgung „zweckentfremdet" werden muß.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, daß es sich bei dieser Zweckentfremdung nicht um kleine Beträge, nicht um Peanuts handelt, sondern um Milliardenbeträge, zeigt ein Blick auf die Gesamtfinanzierung der Universitätsklinika in Deutschland: Wir geben bei den 37 deutschen Universitätskliniken insgesamt rund 21 Milliarden DM aus. In den Forschungs-, Bildungs- und Wissenschaftsetats der Länder sind für Universitätskliniken 7 Milliarden DM angesetzt. Wenn Sie nun den durch Forschung und Lehre induzierten Anteil herausrechnen, kommen Sie auf einen Anteil von etwa 15 Prozent. Tatsächlich beträgt der Anteil in der Finanzierung der Universitätskliniken zwischen 20 und 40 Prozent. Das heißt, wir gewönnen bei Einführung von Kostenwahrheit und -klarheit einen Finanzspielraum von rund 3,5 Milliarden DM für die Länder, um zusätzliches Personal in Forschung und Lehre zu finanzieren.
Herr Kollege Braune, das, was Sie uns vorhin erzählt haben, zeugt natürlich von einem großen Maß an Scheinheiligkeit.
Wenn Sie die Forderung erheben, daß der Bund im Rahmen des Hochschulsonderprogramms sich stärker finanziell beteiligen soll, dann verkennen Sie, daß nach unserer Verfassung für die Finanzierung des Personals an den Universitäten ausschließlich die Länder zuständig sind. Was der Bund hier zusätzlich leistet, tut er freiwillig, um die Situation in Forschung und Lehre zu verbessern.
Ein Zweites unterstreicht die Scheinheiligkeit Ihrer Argumentation in besonderer Weise: Wenn Sie in den von der SPD regierten Bundesländern die Etats für Forschung und Lehre prüfen, können Sie feststellen, daß nirgendwo mehr Planstellen als in den von der SPD regierten Bundesländern eingezogen werden. Gehen Sie in das vom Musterministerpräsidenten Schröder regierte Niedersachsen; dort werden 1 100 Planstellen an den Hochschulen eingezogen, weil das Land faktisch pleite ist.
Josef Hollerith
Ich bedaure diese Scheinheiligkeit, Herr Braune, weil ich Sie immer als Kollegen geschätzt habe, der auch zu sachlicher Argumentation fähig ist.
Herr Kollege Glotz, ich stimme Ihnen zu. Wenn Sie bereit sind, die Realität wahrzunehmen und die entsprechenden Schlüsse aus der Situation der knappen öffentlichen Haushalte zu ziehen - wir brauchen die von der SPD regierten Länder für die notwendigen Weichenstellungen -, dann müßten Sie meiner Meinung nach aus der Verantwortung für das Ganze in der Lage sein, mit uns zusammen die Weichenstellungen im Hochschulbau vorzunehmen und die Trennung der Finanzierung von Forschung und Lehre bis hin zur Gesundheitsvorsorge an den Universitätskliniken mit zu tragen und mit uns zu beschließen.
Ein letztes, Herr Braune. Sie haben die Frage der Finanzierung des Hochschulbaus angesprochen. Ich behaupte: Würde der Bund die 2,45 Milliarden DM bereitstellen, wären nur zwei oder drei Bundesländer überhaupt in der Lage, ihren 50prozentigen Co-Finanzierungsanteil aufzubringen. Die übrigen Länder - siehe das Beispiel Niedersachsen - wären wegen ihrer prekären Finanzsituation zu dieser Leistung nicht fähig.
Insoweit bitte ich, daß Sie, Herr Glotz, im Sinne des Ganzen, der Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland, zur Sachlichkeit zurückkehren und mit uns die notwendigen Gesetze beschließen.
Herzlichen Dank.
Zur Kurzintervention erhält der Abgeordnete Otto Schily das Wort.
Der Beitrag des Kollegen Hollerith gibt mir Veranlassung zu folgenden Bemerkungen. Wenn eine außergewöhnliche, eigenwillige, brillante und zugleich unbequeme Persönlichkeit wie Peter Glotz das Parlament verläßt, ist das, denke ich, für uns alle ein herber Verlust. Menschen seines Formats sind rar. Es spricht für Peter Glotz, daß er seinen Geist nicht kaskoversichert hat, daß er das experimentelle Denken liebt und praktiziert, daß er sich nicht scheut, auch einmal einen Irrtum zu riskieren, daß er seine politische Leidenschaft auch in Zeiten des grauen politischen Alltags in Bonn nicht verloren hat und daß er sich auch bei seinen politischen Gegnern Respekt zu verschaffen wußte.
Der Herdentrieb ist bei Peter Glotz, das gebe ich zu, schwach ausgebildet; das mag manchem nicht geheuer sein. Eigenständiges, souveränes Denken nach dem Vorbild von Peter Glotz macht aber unsere Debatten erst spannend und interessant. Für seine neuen Aufgaben wünsche ich Peter Glotz viel Glück und Erfolg. Ich bin sicher, daß uns auf diese Weise viele anregende und manchmal vielleicht auch aufregende Ideen erreichen werden.
Auguri Peter Glotz!
Danke schön. Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesausbildungförderungsgesetzes, Drucksachen 13/4246 und 13/5116 Nr. I a. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen worden.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit demselben Stimmenverhältnis angenommen worden.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/5126. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von SPD und PDS abgelehnt worden.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Einrichtung eines Bundesausbildungsförderungsfonds, Drucksache 13/ 5116 Nr. Ib.
Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/4361 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei einer Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen mit den übrigen Stimmen des Hauses angenommen worden.
Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Gruppe der PDS zu einer zielgerichteten Ausbildungsförderung. Das ist die Drucksache 13/ 5116, Nr. I c. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/4553 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist gegen die Gruppe der PDS bei einer Enthaltung von Bündnis 90/ Die Grünen mit den übrigen Stimmen des Hauses angenommen worden.
Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zum Elften Bericht nach § 35 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/5116 unter Nr. I d, die Unterrichtung auf
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Drucksache 13/3413 zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist, soweit ich sehe, mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen worden.
Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zu dem Bericht der Bundesregierung zur Notwendigkeit der Studienabschlußförderung. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/5116 unter Nr. I e, die Unterrichtung auf Drucksache 13/3414 zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Auch diese Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen worden.
Der Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung empfiehlt unter Nr. II seiner Beschlußempfehlung die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Gruppe der PDS mit den übrigen Stimmen des Hauses angenommen worden.
Wir kommen zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 8 b, den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Hochschulbauförderungsgesetzes, Drucksachen 13/4335, 13/4720 und 13/5118.
Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/5133 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/ Die Grünen und der Gruppe der PDS bei Enthaltung der SPD abgelehnt worden.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS angenommen worden.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit demselben Stimmverhältnis angenommen worden.
Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Zusammenführung und bedarfsgerechten Fortsetzung der Hochschulsonderprogramme I, II und des Hochschulerneuerungsprogramms sowie zum Antrag der Gruppe der PDS zur Weiterführung von Maßnahmen im Wissenschaftler-Integrations-Programm. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/4608, die Anträge auf Drucksachen 13/2930 und 13/3491 zusammengefaßt in der Ausschußfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/5125. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt worden mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS bei Enthaltung der SPD.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9a und 9 b auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Erblastentilgungsfonds-Gesetzes
- Drucksache 13/4175 -
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Christine Lucyga, Rolf Schwanitz, Klaus Barthel, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Erblastentilgungsfonds-Gesetzes
- Drucksache 13/3895 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses
- Drucksache 13/5022 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Arnulf Kriedner Dr. Wolfgang Weng Karl Diller
Oswald Metzger
- Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses
- zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.
Regelung der kommunalen Altschulden auf gesellschaftliche Einrichtungen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Werner Schulz , Franziska Eichstädt-Bohlig, Antje Hermenau, Steffi Lemke und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
Streichung der Altschulden auf gesellschaftliche Einrichtungen
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Rössel, Dr. Barbara Höll, Roll Kutzmutz, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS
Vollständige Übernahme der sogenannten Altschulden auf gesellschaftlichen Einrichtungen ostdeutscher Kommunen durch den Bund
- Drucksachen 13/4098, 13/4115, 13/ 2434, 13/5022 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Arnulf Kriedner Dr. Wolfgang Weng Karl Diller
Oswald Metzger
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Rolf Schwanitz, Dr. Christine Lucyga, Ernst Bahr, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Altschulden ostdeutscher Gemeinden auf gesellschaftliche Einrichtungen
- Drucksachen 13/2587, 13/5028 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Joseph-Theodor Blank Gisela Schröter
Rezzo Schlauch Dr. Max Stadler Maritta Böttcher
Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an die Aussprache über den Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des Erblastentilgungsfonds-Gesetzes namentlich abstimmen werden.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. Nach dieser einen Stunde wird dann die namentliche Abstimmung folgen. - Ich sehe keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Ich eröffne hiermit die Aussprache und rufe als ersten auf den Ministerpräsidenten des Landes Brandenburg, Manfred Stolpe.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Thema der sogenannten kommunalen Altschulden hat mit Vergangenheit und Zukunft zu tun; denn genaugenommen beantwortet die Frage nach den Altschulden die der künftigen Investitionsfähigkeit von 1 400 betroffenen ostdeutschen Kommunen.
Eigentlich gibt es an dem Phänomen kommunale Altschulden nichts Neues mehr. Die Zahl von 8,7 Milliarden DM liegt drohend auf dem Tisch. Alle östlichen Bundesländer bitten darum, diese Schulden in den Erblastentilgungsfonds einzustellen.
Quer durch die Bundesländer und Parteien gehen inzwischen auch die Zweifel an der Berechtigung
der Altschuldenforderung. Es kann nicht oft genug daran erinnert werden, wie die DDR-Gemeinden zu diesen Belastungen kamen: Die Filialen der Staatsbank schlossen mit den jeweiligen Kommunen Verträge nach Plan ab, Verträge, die zentral gesteuert und per diktatorischer Staatsmacht durchgesetzt wurden.
Wer heute behauptet, die sogenannten örtlichen Volksvertretungen der DDR-Städte und -Gemeinden hätten dem in freier Entscheidung zugestimmt, möge doch bitte Entscheidungen benennen, in denen sich Kommunen erfolgreich gegen den Plan, das heißt, gegen die Auferlegung von Schulden durchgesetzt haben.
Es gab keine Alternative zur Zwangsentscheidung des Zentralstaates. Nicht die Städte und Gemeinden konnten entscheiden, was sie für nötig hielten, sondern die DDR verfügte über sie. Sie bekamen Bauten, die nicht auf ihren Bedarf, sondern auf Staatspolitik zugeschnitten waren; ihnen wurden Lasten auferlegt, die sie freiwillig nie übernommen hätten.
Meine Damen und Herren, man kann doch nicht einerseits feststellen, daß in der DDR die Kommunen zu Organen des Zentralstaates degeneriert worden sind, und andererseits behaupten, daß sich diese Städte und Gemeinden in freier Entscheidung verschuldet hätten.
Altschulden waren Zwangskredite der DDR. Dennoch wurden sie im Einigungsvertrag so behandelt, als wären sie echte, in einem marktwirtschaftlichen Sinne übliche Kredite. Das ist wirklich Unrecht!
Um es einmal plastisch zu machen: Die brandenburgische 350-Einwohner-Gemeinde Milow bekam von Frau Honecker eine Zentralschule verordnet, die sie für sich nie gebraucht hätte, und ist allein deswegen heute mit über 3 Millionen DM verschuldet. Welcher Kommunalpolitiker würde hier behaupten, daß dies dem Willen der Bevölkerung entsprach?
Die Stadt Schwedt hat 49 000 Einwohner und eine Verschuldung allein wegen der gesellschaftlichen Bauten von 102 Millionen DM, Bauten, die errichtet wurden, damit ausländischen und auch westdeutschen Gästen der „Sieg des Sozialismus" demonstriert werden konnte. Kein Mensch in Schwedt hätte damals einer Pro-Kopf-Verschuldung von 2 100 Mark für diesen Zweck zugestimmt, zumal bei dieser Gelegenheit auch noch das schöne Markgrafenschloß weggeräumt wurde.
Nun wird argumentiert: Aber dafür haben die Kommunen doch jetzt das Eigentum an Schulen, Kul-
Ministerpräsident Dr. Manfred Stolpe
turhäusern etc. Wer so redet, den lade ich herzlich zu einer Besichtigungsreise ein.
In der Regel sind nämlich selbst die gefürchteten Plattenbauten noch Prachtstücke im Vergleich zu den Sanierungslasten der Gebäude, die jetzt von den Kommunen zu tragen sind.
Besonders bedrückend ist es, daß der Bund den betroffenen ostdeutschen Kommunen oder den Ländern nicht einmal vollständige Akteneinsicht gewährt. Wer, meine Damen und Herren, würde eine Forderung akzeptieren, von der er nicht einmal weiß, wie sie im einzelnen zustande kam und wie hoch sie berechtigterweise ist?
Wir wissen heute, wie die DDR sich und ihre Kommunen finanziert hat und daß dies mit den Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen nicht vergleichbar ist. Die bittere Konsequenz aus diesem Verfahren: Den betroffenen Kommunen ist auf Jahre jede Investitionsmöglichkeit verwehrt. Investitionen sind aber genau das, was wir dringend brauchen. Unsere Kernprobleme sind nach wie vor die hohe Arbeitslosigkeit und die damit einhergehenden steigenden Ausgaben für Sozialhilfe.
Meine Damen und Herren, wenn es bei der Linie der Bundesregierung bleibt, wird auf Dauer für die
I ostdeutschen Kommunen ein Minderstatus festgelegt. Das kann doch im Ernst wirklich niemand wollen.
Der Erblastentilgungsfonds wurde geschaffen, um Benachteiligungen, die ihren Grund in der Vergangenheit haben, solidarisch auszugleichen. In diesen Fonds gehören sachgerecht auch diese sogenannten Schulden. Viele Kollegen aus den hier vertretenen Parteien und Fraktionen haben sich in diesem Sinne geäußert. Vergessen Sie doch bitte einmal die Parteitaktik! Stimmen Sie diesem Gesetzesvorschlag zu!
Der Erblastentilgungsfonds weist noch genügend Spielraum auf. Es entstehen keine unzumutbaren Belastungen. Ich bitte Sie im Namen aller ostdeutschen Länder und der betroffenen Kommunen: Stimmen Sie dem Gesetz zu! Es geht um eine praktische Aufbauhilfe für 1 400 ostdeutsche Kommunen. Es geht um eine klare Absage an das DDR-Unrecht an ostdeutschen Städten und Gemeinden. Es geht auch um ein Zeichen gesamtdeutscher Solidarität aus diesem Hause, ein Zeichen, das Deutschland braucht.
Helfen Sie bitte mit!
Es spricht jetzt der Abgeordnete Paul Krüger.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Erblasten aus der DDR-Zeit lassen uns auch im sechsten Jahr der Einheit nicht los. Wir befassen uns nun schon zum wiederholten Mal mit den kommunalen Altschulden, obwohl wir dieses Thema schon längst hätten abschließend klären können. Daß wir statt dessen weiterhin Unruhe und Unsicherheit in die Kommunen tragen, verdanken wir der SPD.
Wo ist das Problem? Als die Kommunen nach der Wiedervereinigung freiwillig - freiwillig, Herr Stolpe - Anträge auf Vermögensübertragung von Grundstükken und Immobilien stellten, wußten sie, daß auf diesen Objekten Schulden lasten. Dabei waren diese Objekte sowohl bezüglich ihres Wertes als auch bezüglich ihrer Belastung durch Altschulden völlig unterschiedlich.
Von nicht nutzungsfähigen Objekten ohne Ertragswert mit hohen Schuldenbelastungen, gegebenenfalls sogar mit erheblichen Nachsorgeaufwendungen - das muß man anerkennen -, über Objekte, bei denen das Verhältnis zwischen Ertragswert und Belastungen ausgewogen ist, bis hin zu hochwertigen Objekten mit sehr marginalen oder ohne Belastungen reicht hier die Spanne.
Einige Kommunen ziehen bereits erhebliche Gewinne aus ihren Objekten. Andere warten darauf, daß die Objekte entschuldet werden, damit sie meistbietend verkauft werden können.
Daneben gibt es eine große Anzahl von Kommunen, die zur Erfüllung ihrer Aufgaben notwendige Gebäude erst finanzieren müssen und dabei erhebliche Schuldenbelastungen in Zukunft auf sich zu nehmen haben.
Bezüglich dieser ungerechten und ungeklärten Situation der kommunalen Altschulden wird nunmehr seit mehreren Jahren nach einer einvernehmlichen Lösung gesucht. Dabei war von Anfang an klar: Wir brauchen keine juristische, sondern eine politische Lösung, wie das auch in allen anderen Schuldenfällen der Fall gewesen ist.
Klar war auch, daß Willkür dabei nicht festgeschrieben werden darf. Wir waren uns einig, daß wir eine möglichst gerechte Lösung suchen müssen.
Es gab die Notwendigkeit, auszugleichen zwischen unterschiedlich belasteten Kommunen und der Werthaltigkeit der Objekte, auszugleichen auch bei
Dr.-Ing. Paul Krüger
I der Belastung durch Schulden zwischen Bund, Ländern und Kommunen.
Nachdem man im Dezember 1995 einer Lösung nahegekommen war, hat der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Herr Höppner, mit seinem Vorschlag den erreichten Kompromiß wieder in weite Ferne rücken lassen. Herr Stolpe, Sie wissen ganz genau, daß eine Einigung unmittelbar bevorstand. Höppners Vorschlag, auf den sich die Oppositionsanträge, über die wir heute abstimmen, stützen, ist jedoch eine Scheinlösung, man könnte auch sagen: eine Mogelpackung. Sie sieht vor, daß die gesamten Schulden in den Erblastentilgungsfonds übernommen werden. Damit wird vorgegaukelt, daß damit alle Probleme gelöst seien und daß eine Lösung zum Nulltarif möglich sei.
Dabei wird verschwiegen, daß diese vermeintliche Lösung alle Lasten einseitig auf den Bund verschiebt, und es wird bewußt offengelassen, meine Damen und Herren von der SPD, woher das Geld kommen soll.
Höppners Vorschlag wird verbunden mit der Aussage, man würde etwas für den Osten tun. Das funktioniert jedoch nur, wenn man zusätzliche Gelder für die neuen Länder bereitstellt. Liebe Kollegen von der SPD, sagen Sie uns bitte: Woher wollen Sie das Geld nehmen? Auf diese Antwort bin ich gespannt, Herr Thierse. Vielleicht machen Sie Herrn Lafontaine
den Vorschlag, Gelder von der Steinkohleförderung zu verwenden.
Oder sind die Westländer vielleicht ausnahmsweise bereit, ihren Beitrag zur Förderung des Aufbaus im Osten zu leisten?
Ich würde mich freuen, wenn uns Ihr Parteivorsitzender, Herr Lafontaine, eine Antwort darauf nicht schuldig bliebe.
Meine Damen und Herren von der SPD, Ihr Vorschlag ist nicht nur nicht finanzierbar, er ist auch inhaltlich ungerecht, insbesondere gegenüber den Kommunen, die zu DDR-Zeiten willkürlich benachteiligt wurden.
Ihr Vorschlag schreibt gewissermaßen diese Willkür fort.
Notwendig, meine Damen und Herren, bleibt ein für alle Zeiten verträgliche politischer Kompromiß. Eine gerichtliche Klärung würde nur weiteren ideellen und finanziellen Schaden anrichten.
Seit Ende letzten Jahres liegt ein politisch vernünftiger und zwischen Bund und Ländern weitgehend abgestimmter Kompromißvorschlag vor.
- Ich werde Ihnen heute noch besseres Wissen beibringen!
Der Vorschlag der hälftigen Teilung, den die ostdeutschen Unionsabgeordneten in unserem Antrag vertreten, bietet einen fairen Interessenausgleich zwischen allen Beteiligten.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Fuchs?
Ja bitte, gern.
Herr Kollege, können Sie mir einmal erklären, wie Ihre Landesregierung zu diesem Thema steht?
Es ist nicht verwunderlich, daß sowohl viele Kommunen als auch Landesregierungen um ihres eigenen Vorteils willen natürlich zunächst eine völlige Entschuldung und damit eine einseitige Belastung des Bundes anstreben. Das kann man nicht parteipolitisch interpretieren, sondern das muß man regionalpolitisch interpretieren und kann es sogar verstehen.
Gestatten Sie auch eine Zwischenfrage der Kollegin Gleicke?
Ja bitte, gern.
Herr Kollege Krüger, Sie sprechen hier von Belastungen. Würden Sie diesem Hause und der Öffentlichkeit einmal erklären, wie Sie dazu stehen, daß sich die Altschulden im Zeitraum von sechs Jahren fast verdoppelt haben durch die Zinsen, die aufgelaufen sind, und wie Sie das vertreten können, was nämlich durch Untätigkeit von Ihrer Seite, von der Seite der Bundesregierung, entstanden ist?
Insbesondere werden sich die Altschulden weiter aufsummieren, wenn wir nicht bald zu einer einvernehmlichen Lösung kommen.
Deshalb wäre es gut, wenn Sie den Lösungsvorschlag, den wir nun seit einem halben Jahr vorliegen
haben und dem Sie ursprünglich zustimmen wollten,
Dr.-Ing. Paul Krüger
endlich zur Entscheidung brächten. Dazu wünschte ich gerne, daß Sie Ihre Zustimmung geben.
Herr Kollege Krüger, es möchte noch jemand eine Zwischenfrage stellen, nämlich der Kollege Küster.
Ja bitte, Herr Küster.
Herr Kollege Krüger, Sie reden immer von der SPD. Können Sie bestätigen, daß der Ministerpräsident des Landes Sachsen nach wie vor der CDU angehört?
Ja, ich glaube, das ist so.
- Darf ich weitermachen, Frau Präsidentin? Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Bitte.
Unser Vorschlag fordert Bund, Länder und Kommunen auf, eine ausgewogene Regelung mit folgenden Kernpunkten auszuhandeln: Die Altschulden sind auf konkret zugeordnete Grundstücke einzugrenzen. Der Bund übernimmt die Hälfte der Altschulden. Dabei ist es buchungstechnisch völlig zweitrangig, ob dieses im Erblastentilgungsfonds eingestellt wird oder nicht. Die Länder übernehmen gleichrangig neben ihren jeweiligen Kommunen die Haftung für die andere Hälfte der Schulden. Eine Überforderung einzelner Kommunen ist über den kommunalen Finanzausgleich auszuschließen. Die Refinanzierung erfolgt nicht zu Lasten der neuen Länder, sondern gesamtdeutsch. Die verbleibende wirkliche Belastung pro Jahr und einzelne Kommune wird dann nicht unverhältnismäßig hoch sein.
Unser Vorschlag schafft rasch Klarheit für alle, vermeidet einseitige Lastenverteilungen und sorgt für einen fairen Finanzausgleich. Deshalb appelliere ich an Sie alle: Lassen Sie uns schnell weiterverhandeln, und stimmen Sie dem Kompromißvorschlag der ostdeutschen Unionsabgeordneten zu.
Dies ist nicht nur meine Meinung. Noch vor wenigen Monaten hat diese Auffassung ausdrücklich auch die SPD vertreten.
Warum nur, meine Damen und Herren von der SPD,
haben Sie diese klare, vernünftige Linie verlassen?
Warum verzögern Sie die nötige Einigung? Lassen
Sie uns dort weitermachen, wo bereits vor einem halben Jahr die Verhandlungen geendet haben.
Ich zitiere, weil Sie mir offensichtlich nicht glauben wollen, aus einer SPD-Pressemitteilung vom 6. Dezember 1995. Ich bitte Sie, mir aufmerksam zuzuhören. Ich beginne:
Eine Lösung ist jetzt in greifbare Nähe gerückt, mit der alle Seiten leben können: Der Bund auf der einen Seite und die ostdeutschen Länder und Kommunen auf der anderen Seite teilen sich jeweils zur Hälfte die Altschulden. Länder und Kommunen müssen sich in den neuen Ländern rasch auf eine Formel verständigen, mit der die verbleibenden Altlasten gerecht untereinander aufgeteilt werden können.
Ich zitiere weiter:
Nachdem eine solidarische Lösung des Altschulden-Problems auf vertikaler Ebene zu gelingen scheint, sind nun die Länder und Gemeinden in den neuen Ländern aufgefordert, eine gemeinsame und solidarische Lastenteilung zu entwikkeln. Denn die von Altschulden betroffenen Gemeinden dürfen jetzt nicht im Regen stehen gelassen werden.
Ich darf Sie beim Wort nehmen und Sie auffordern, weiter zu verhandeln. Nehmen Sie das, was Sie vor einem halben Jahr gesagt haben, ernst.
Das Wort hat jetzt der Kollege Wolfgang Thierse.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Verdacht schwelt weiter und wurde nie ernsthaft entkräftet: Für manche Bank muß die Übertragung der D-Mark auf die DDR ein sehr zufriedenstellendes Geschäft gewesen sein und ist es wohl immer noch.
Die „Südthüringische Zeitung" will aus dem Bundesrechnungshof erfahren haben, daß Altschulden aus der DDR Anlaß gewesen sind, doppelt oder sogar dreifach marktübliche Zinsen für Beträge zu kassieren, die diese Geschäftsbanken selbst nie zur Verfügung gestellt hatten.
Selbst wenn dies ein Irrtum sein sollte, wird man den Eindruck, daß hier vielleicht etwas viel öffentliches Geld privatisiert worden ist, nicht los. Wir reden aber heute nicht über die Gesamtsumme der DDRAltschulden. Am 1. Juli 1990 waren das im Inland 375 Milliarden DM. Wir reden von vergleichsweise wenigen 4 Milliarden DM Altschulden, die einen Teil der ostdeutschen Kommunen belasten. Durch die
Wolfgang Thierse
wirklich dynamischen Zinsen hat sich dieser Betrag längst mehr als verdoppelt.
Die belasteten Kommunen haben über die staatlichen Kredite in keinem Fall selbst entscheiden können. Das war im System der DDR gar nicht möglich. Manfred Stolpe hat das ausführlich erklärt. Sie haben allerdings zu DDR-Zeiten weder Zins noch Tilgung zahlen müssen, was immer in Gesetzen und Verordnungen gestanden haben mag. Das alles war Sache des Staatshaushaltes, den ja der Bund geerbt hat.
Erst mit der deutschen Einheit entstand das Problem, aus leeren Kassen Banken bedienen zu müssen, statt mit neuen Krediten Investitionen tätigen zu können.
Die Höhe der Belastungen ist extrem unterschiedlich. Die Pro-Kopf-Verschuldung reicht von 512 DM in Crivitz bis zu 3 509 DM in Kogel. Das ist mehr, als westdeutsche Städte nach 40 Jahren Aufbauleistung tragen müssen.
Es sind in vielen Fällen Schulden für nichts. Die belasteten Gebäude existieren nicht mehr, sind unbrauchbar oder unverkäuflich, haben einen extrem hohen Sanierungsbedarf usw. Die immerhin etwa 1 600 Gemeinden, ca. 16 Prozent von allen, sind wegen dieser Lasten fast handlungsunfähig. Ihr händereibender Gläubiger ist die „Gesellschaft für Altkredite und Sonderaufgaben der Währungsumstellung", ein anderes Wort für „der Bund" .
Meine Damen und Herren, so das Problem. Wir müssen nun miteinander pragmatisch klären, wie wir mit Gemeinden umgehen wollen, die ohne eigenes Zutun in eine finanzielle Schieflage geraten.
Ich glaube nicht, daß dies ein parteipolitisches Problem ist. Kurt Biedenkopf glaubt das auch nicht, son-dem hat - ich zitiere ihn - „von Anfang an die Auffassung vertreten, daß die Altschulden der Gemeinden ... in den Erblastenfonds aufgenommen werden sollten" .
Kluge Leute gelten aber oft nicht viel in den eigenen Reihen, deshalb könnte ich wahlweise den Ministerpräsidenten von Thüringen, den Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern, Frau Landesministerin Lieberknecht oder auch den Kollegen Manfred Kolbe zitieren mit der einfachen und einleuchtenden Feststellung: „Die kommunalen Altlasten aus der DDR-Zeit gehören systemgerecht in den Erblastentilgungsfonds."
Dem, Herr Kollege, wäre nichts hinzuzufügen, gäbe es nicht einen anderen Kollegen - wir haben
ihn eben gehört -, der geradezu eifrig die Auffassung des Bundesfinanzministers propagiert. Zitat Paul Krüger:
Die ostdeutschen CDU-Abgeordneten erwarten vom Bund, daß die Bundeshälfte in den Erblastentilgungsfonds eingestellt wird und nicht über die Kürzung von Osttiteln im Bundeshaushalt refinanziert wird.
Es ist hier also nur von der Hälfte der Altschulden die Rede. Dem „Deutschlandfunk" und seinen Hörern vermittelte Herr Kollege Krüger trotzdem vollmundig, daß - Zitat - „wir als CDU ... auch am meisten für den Osten tun".
Das Zitat belegt, daß er vor allem um Herrn Waigel bemüht ist. Aber seine Meinung wird nicht überall geteilt, auch nicht in seiner eigenen Partei:
Mit Bestürzung und Verärgerung mußten wir Pressemeldungen entnehmen, daß die kommunalen Altschulden laut Ihren Vorstellungen zur Hälfte nun doch Land und Kommunen überlassen werden sollen. Wir haben dafür kein Verständnis und können ... in diesem Fall auch kein Einsetzen für die Interessen der Ostländer erkennen.
Dieser Brief des CDU-Fraktionsvorsitzenden im Rat der Stadt Rostock - die übrigens sehr von dem Problem betroffen ist - an den mecklenburgischen Abgeordneten Paul Krüger enthält im übrigen noch eine weitere interessante Aussage. In verschiedenen Interviews haben Sie, Herr Kollege, ein abweichendes Stimmverhalten Ihrer Gruppe ostdeutscher Abgeordneter kategorisch ausgeschlossen. Den Gefallen würden Sie der Opposition nicht tun, haben Sie gesagt.
Aber, lieber Kollege Krüger, liebe Kollegen, es geht doch nicht damm, uns einen Gefallen zu tun, sondern den ostdeutschen Gemeinden zu helfen,
ihnen zu helfen, eine schwere, unverschuldete Last aus der Vergangenheit abzubauen: im Interesse der ostdeutschen Bürger, im Interesse der ostdeutschen Kommunen, ganz gleich, von welcher Partei sie regiert werden.
Mit dieser Verantwortung müssen Sie zurechtkommen.
Ich zitiere noch einmal den Rostocker CDU-Fraktionsvorsitzenden wörtlich - das ist an Sie gerichtet -:
Wir möchten Sie deshalb auffordern, sich im tatsächlichen Interesse der ostdeutschen Kommunen zu entscheiden und dem SPD-Antrag, der, wie Sie wissen, auch die Unterstützung von CDU-geführten Ländern findet, zuzustimmen.
Wolfgang Thierse
Meine Damen und Herren ostdeutsche Abgeordnete in den Regierungsfraktionen: Die hier zu entscheidende Initiative des Bundesrates gibt Ihnen dazu Gelegenheit, sich im Interesse der ostdeutschen Kommunen zu entscheiden.
Herr Kollege Thierse, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Krüger?
Ja.
Herr Thierse, wir bemühen uns ja immer um ausgewogene Lösungen. Ich hatte Ihnen in meiner Rede eine Frage gestellt. Ich glaube, ich habe sogar Ihren Namen genannt und Sie angesprochen. Ich möchte diese Frage wiederholen. Sie wollen ja eine einseitige Zuordnung der Schulden auf den Bund. Das heißt, der Bund soll auf der einen Seite alle Lasten tragen, obwohl auf der anderen Seite erhebliche Werte - nicht nur Immobilienwerte, vor allen Dingen auch Grundstückswerte - den Kommunen kostenlos auf ihren Antrag hin übertragen wurden. Daß diese Schuldenverteilung und auch die Werthaltigkeit der Objekte völlig unterschiedlich sind, haben Sie eingangs Ihrer Rede anerkannt.
Meine Frage ist nun: Wenn Sie schon diese Geschenke an die Kommunen mit werthaltigen Objekten machen wollen, aus welchen Titeln des Bundeshaushalts - denn der Bundeshaushalt muß ja den Erblastentilgungsfonds refinanzieren - wollen Sie dann die Mittel zur Refinanzierung des Erblastentilgungsfonds aufbringen?
Lieber Herr Kollege Krüger, das ist eine eigentümliche Vorstellung vom Schenken. Wer hat hier eigentlich wem etwas geschenkt?
Können Sie als Ostdeutscher ernsthaft sagen, der Bund habe den ostdeutschen Gemeinden ihre eigenen Grundstücke oder Gebäude geschenkt? Das kann doch wohl nicht wahr sein, daß Sie das ernsthaft meinen!
Im übrigen ist unser Vorschlag doch wohl sehr eindeutig - mit den ostdeutschen Ministerpräsidenten, und zwar allen, egal, welcher Partei sie angehören -, das in den Erblastentilgungsfonds zu übernehmen, der seinerzeit genau für diese gemeinschaftliche Aufgabe eingerichtet worden ist.
Deswegen bleiben wir bei diesem Vorschlag.
Herr Kollege Thierse, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lucyga?
Ja.
Herr Kollege, würden Sie mir zustimmen - da wir gerade von Geschenken sprechen -, daß es im Zusammenhang mit den kommunalen Altschulden eben doch Geschenke gegeben hat, und zwar in Form erhöhter Zinsleistungen für die Banken?
Ich stimme dem zu. Das war ja meine Einleitungsbemerkung, wer hier woran wirklich viel verdient hat. Da kann man schon von einem Geschenk sprechen.
Unser Vorschlag - dies ist eine pragmatische Lösung, keine parteipolitische - ist zugleich - ich zitiere den thüringischen Ministerpräsidenten Vogel - „die eleganteste Lösung" .
- Herr Krüger, warten Sie doch einen Moment darauf.
Herr Krüger, Sie haben in diesem Jahr mit einer Kampagne den Eindruck zu erwecken versucht, daß die ostdeutschen CDU-MdB für unseren Teil des Landes wirklich etwas bewegen. Ich wäre dankbar und würde mithelfen, wenn der Eindruck zuträfe. Er ist aber so falsch wie das Versprechen von den blühenden Landschaften.
Meine Damen und Herren, es ist überzeugend und wirklich ausreichend dargelegt worden, daß der Erblastentilgungsfonds nicht - wie beispielsweise der Bundeshaushalt - in einer dramatischen Lage ist. Deswegen ist genau dies unser Finanzierungsvorschlag. Die ursprünglich angegebenen Summen werden gar nicht genutzt. Deswegen ist da eine Finanzierungsmöglichkeit. Deswegen ist Ihre Frage, wie er refinanziert werden kann, durchaus eine überflüssige Frage.
Es gibt eine Möglichkeit, dies über den Erblastentilgungsfonds zu refinanzieren. Es ist genügend Luft darin, um die ostdeutschen Gemeinden entlasten zu können.
Wolfgang Thierse
Ihr Vorschlag, einen Teil der ungerechtfertigten Lasten über die Länder auf alle ostdeutschen Kommunen zu verteilen, ist nicht plausibel. Das wäre allenfalls Linderung, aber nicht Heilung.
Auch dann noch blieben die alten Schulden ungerechtfertigte Schulden und die neuen Zinsen unrechte Belastungen. Darum geht es im Kern.
Es handelt sich in der Sache und in der Systematik der Einheit um eine Angelegenheit des Bundes. Man kann Ihnen, Herr Kollege Kolbe, da nur zustimmen.
Deswegen bitte ich Sie: Entscheiden Sie nicht nach parteipolitischen Gesichtspunkten, sondern der Sache nach und im ostdeutschen Interesse! Stimmen Sie dem Gesetzentwurf des Bundesrates zu, der von allen ostdeutschen Landesregierungen mitgetragen wird!
Zu einer Kurzintervention erhält das Wort der Kollege Manfred Kolbe.
Lieber Kollege Thierse, wenn Sie mich schon zitieren, dann auch richtig. Ich habe in der Tat gesagt: Der Bundesanteil gehört in den Erblastentilgungsfonds. Das ist auch heute noch meine Position sowie die der ostdeutschen Kollegen. Das können Sie auch dem Interview mit Herrn Wonka in der „Leipziger Volkszeitung" entnehmen. Er wird Ihnen erklären, daß er mich im Januar unvollständig zitiert hat. Da oben sitzt er; Sie können nachher mit ihm sprechen.
Wenn Sie fünf Minuten lang die angeblichen Mißerfolge der ostdeutschen Kollegen darstellen, dann sollten Sie auch mal unsere Erfolge darstellen.
Wie war der Stand im Herbst? Das Bundesfinanzministerium wollte überhaupt keine Altschulden übernehmen. Dann kam auf unser Drängen unser Fraktionsvorsitzender Schäuble und regte die Drittellösung an. Danach übernahm, ebenfalls auf unser Drängen, Kanzleramtsminister Bohl anstelle des Bundesfinanzministeriums die Verhandlungsführung: Es kam zum Halbe-halbe-Vorschlag. Am 4. Dezember waren sich Bund, Länder und Kommunen fast einig. Eine Einigung scheiterte lediglich noch daran, daß das Zuordnungsrisiko und die Refinanzierung nicht geklärt waren, Herr Stolpe. Nur diese beiden Punkte waren am 4. Dezember noch offen. Diese beiden Punkte haben wir ostdeutschen CDU-Bundestagsabgeordneten im Sinne der Länder geklärt.
Laut unseres Entschließungsantrags behält der Bund das Zuordnungsrisiko, und die Refinanzierung ist geklärt. Sie erfolgt nicht über ostdeutsche Titel im Bundeshaushalt.
Wenn ich alles in allem betrachte - Zuordnungsrisiko und mittlerweile verjährte Zinsen -, stelle ich fest, daß der Bund nach unserem Vorschlag rund 60 Prozent der kommunalen Altschulden der DDR trägt. Das ist wahrlich ein respektables Ergebnis! Das ist, Herr Stolpe, eine gute Verhandlungsgrundlage für die nächsten Wochen. Sie werden sich in den nächsten Wochen auf dieser Basis einigen. Wenn man mit Ihren Landesvertretern unter vier Augen vernünftig redet, dann sagen die das auch. Ich wette, in den nächsten Wochen gibt es auf dieser Basis eine vernünftige Einigung.
Zur Antwort der Kollege Thierse.
Erste Bemerkung: Herr Kollege Kolbe, ich kann mich natürlich nur auf Zitate beziehen, die lesbar waren. Ich beziehe mich auf eines in der „Leipziger Volkszeitung" , in der wörtlich der Satz steht: „Mir muß entgangen sein, daß Sie dieses Zitat dementiert haben." Es muß mir entgangen sein. Sie haben es soeben gemacht; aber das ist ein bißchen spät.
Zweite Bemerkung: Sie sagen, Sie hätten das nun im Sinne der ostdeutschen Länder geregelt. Ich finde es verwunderlich, daß die Regierungen aller dieser Länder genau dies nicht so finden, sondern den Antrag des Bundesrates vertreten. Das müßte Ihnen doch zu denken geben.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Vera Lengsfeld.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Kollege Krüger, für mich zeigt die Altschuldendebatte das Versagen der ostdeutschen Abgeordneten. Darüber wird auch keine noch so vehemente Schuldzuweisung Ihrerseits an die SPD hinwegtäuschen.
Sie müssen bloß mal einen Blick in den Saal werfen; dann sehen Sie, wie viele bzw. wie wenige OstAbgeordnete hier versammelt sind. Ich wage gar nicht, mir auszudenken, wie wenige da wären, wenn
Vera Lengsfeld
wir anschließend nicht namentliche Abstimmung hätten. Ich finde, das ist eine Schande.
Ich kann direkt dankbar für die Kurzintervention des Kollegen Kolbe sein, der auf die Rede von Herrn Thierse einging und die vermeintlichen Erfolge der Ost-Abgeordneten herausstreichen wollte. Aber wen nannte er dann? Den Fraktionsvorsitzenden Schäuble und Kanzleramtsminister Bohl. Ich frage mich: Wo ist denn der Beitrag der Ostabgeordneten? Sie hätten hier einmal beweisen können, daß Sie zu etwas anderem in der Lage sind, als Papiere über Ostbefindlichkeiten und über den angeblich mangelnden Einfluß der Ostabgeordneten in Bonn zu schreiben.
Man hat genau so viel Einfluß, wie man ihn ausübt. Ich sehe in diesem Fall nicht, wo Sie Ihren Einfluß ausüben. Wer anderes als Sie hätte Ihren westdeutschen Kollegen erklären sollen, daß die sogenannten Altschulden schon aus Rechtsgründen nicht von den heutigen politischen Gemeinden eingefordert werden können? Es handelt sich nicht um Kredite im Sinne der Rechtsordnung der BRD; denn Grundvoraussetzung - das wissen wir alle - für diese Kredite ist nach dem BGB, daß zwei Vertragsparteien da sind, daß einer das Geld gibt und der andere das Geld nimmt.
Ich muß jetzt nicht das wiederholen, was der Herr Ministerpräsident Stolpe hier schon richtigerweise ausgeführt hat. Es hat solche Art von Kreditparteien in der DDR nicht gegeben, sondern da hat eine staatliche Stelle oder das staatliche Zentralorgan anderen staatlichen Stellen Geld „geliehen" und auch gleichzeitig die Rückzahlung übernommen.
Sie wissen ganz genau - das hätten Sie Ihren westdeutschen Kollegen erklären können und müssen -, daß es keine Eigenverantwortung oder keine Selbstbestimmung der ostdeutschen Kommunen gegeben hat. Sie hätten Ihren westdeutschen Kollegen auch erklären können und müssen, daß die heutigen Gemeinden, Städte und Landkreise eben keine Rechtsnachfolger der ehemaligen Räte der Kreise und der Städte sind. Das ist inzwischen übrigens durch höchstrichterliche Entscheidung festgestellt worden. Im Gegensatz dazu gibt es keine einzige Rechtsprechung, durch die die Auffassung gestützt wird, daß der Bund Ansprüche gegenüber den Gemeinden hat.
Es gibt auch - darauf möchte ich hier noch einmal hinweisen - keinerlei gesetzliche Regelung, die eine Übernahme der sogenannten Altschulden auf gesellschaftliche Einrichtungen vorsieht. Zwar ist uns allen bekannt, daß durch Gesetze und Staatsverträge der
Fortbestand der Altkreditverpflichtungen bei schrittweiser Anpassung an marktwirtschaftliche Verhältnisse beabsichtigt war. Das mußte jedoch in den entsprechenden Fällen ausdrücklich in die Gesetze und Staatsverträge aufgenommen werden. Genau das ist bei den sogenannten Altschulden auf gesellschaftliche Einrichtungen nicht passiert.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, was wird denn passieren, wenn der Antrag der Koalition heute angenommen wird? Herr Krüger, durch den von Ihnen ausgearbeiteten Antrag wird das Problem überhaupt nicht gelöst, sondern es wird dadurch verschoben und vertagt. Da die Kommunen in den neuen Bundesländern nicht in der Lage und auch nicht willens sind, die sogenannten Altschulden anzuerkennen und zu tilgen, wird die Folge davon sein, daß die GAW gezwungen sein wird, gegen 1 400 Kommunen in den neuen Bundesländern zu klagen. Was ist denn das für eine politische Situation? Das ist in der Geschichte der Bundesrepublik einmalig.
Zu solchen Folgen der Politik kann ich Ihnen nur gratulieren. Jede Opposition wird sich das wünschen. Auf den nächsten Wahlkampf freue ich mich schon.
Ich möchte Sie auch daran erinnern, daß Sie hier sind, um die Interessen Ihrer Wahlkreise zu vertreten, die Interessen der Städte, der Gemeinden und der Länder, aus denen Sie kommen. Ich vermisse das hier bei Ihnen. Ich habe die Kollegen immer sagen hören: Wir sind doch vor allen Dingen dazu da, die Bundespolitik durchzusetzen.
Ich weiß nicht, ob Sie den Menschen vor Ort wirklich klarmachen können, daß Sie hier in Bonn dafür kämpfen müssen, daß unsere Städte und Gemeinden mit Schulden belastet werden, die sie nicht tragen können und die sie daran hindern, wichtige Aufgaben zu erfüllen, die Arbeitslosigkeit einzudämmen usw. usf.
Sie kennen ja vielleicht unseren Antrag. Wir sind der Meinung, daß fiktive Schulden, die man rechtlich nicht anerkennen kann, einfach gestrichen werden müssen.
Ich möchte noch ein Wort zu Ihrer Argumentation sagen, der Erblastentilgungsfonds sei nicht in der Lage, diese Schulden aufzunehmen. Der Fonds wird voraussichtlich statt mit 400 Milliarden DM nur mit 360 Milliarden DM belastet werden. Die Zinsbelastungen werden niedrig ausfallen. In den nächsten Jahren ergibt sich eine weitere Senkung der Belastung, die sich im Bereich von 10 bis 15 Prozent bewegen wird.
Vera Lengsfeld
Ein Argument möchte ich noch hinzufügen: Aus dem Bericht des Bundesrechnungshofes vom September 1995 geht hervor, daß der Bund in bezug auf alle Schulden jährlich zusätzlich einige Milliarden DM hätte einsparen können, wenn die Refinanzierung durch öffentlich-rechtliche Banken, die günstigere Zinsbedingungen bieten, und nicht durch Geschäftsbanken erfolgt wäre. Wir haben heute abend schon über die Geschenke an die Banken gesprochen. Ich meine, wenn es die Geschenke an die Banken nicht gegeben hätte, dann wäre jetzt das Geld da, um diese sogenannten Altschulden auszugleichen.
Herr Kollege Krüger, Sie haben gesagt: Es muß noch verhandelt werden. - Jetzt hört er mir gar nicht zu. -
Ich hätte mir gewünscht, daß die Verhandlungen nach der Anhörung eingesetzt hätten und daß Sie nach der Anhörung nachdenklicher geworden wären. Es hätte danach wahrscheinlich nur noch einer kurzen Zeit bedurft, bis eine Vereinbarung zustande gekommen wäre, die alle hätten tragen können, wenn man den Experten wirklich gefolgt wäre.
Aber was haben Sie statt dessen gemacht? Sie haben in der Anhörung einen Professor Stoll als Experten präsentiert, der uns erklären sollte, daß es sich um wirkliche Kredite handele. Ebendieser Professor Stoll hat noch vor vier Jahren in einer Fachzeitschrift genau das Gegenteil behauptet. Diese Peinlichkeit hätten Sie sich ersparen können und müssen.
Vor allen Dingen finde ich es sehr erstaunlich, daß die Ergebnisse der Anhörung gar nicht richtig ausgewertet wurden. Statt dessen sind Sie heute mit diesem Antrag gekommen, ohne die wirkliche Diskussion abzuwarten. Ich hoffe, daß Sie sich in den von Ihnen angemahnten Verhandlungen noch besinnen und sich zu einer Streichung der Schulden durchringen können.
Es spricht jetzt der Abgeordnete Wolfgang Weng.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Kollege Thierse konnte mit seinen nebulösen Sätzen über den Erblastentilgungsfonds eines nicht vernebeln, nämlich die Tatsache, daß die SPD-Bundestagsfraktion hier fordert, daß aufgelaufene Schulden von 8 Milliarden DM voll vom Bund übernommen werden. Darum geht es im Kern.
Das wollen wir aus naheliegenden Gründen, die ich Ihnen erläutern werde, nicht.
Meine Damen und Herren, in der vergangenen Woche haben in einer ganz anderen Sache alle Fraktionsvertreter im Haushaltsausschuß einen Beschluß gefaßt, der mit Blick auf die Europäische Währungsunion die gesamtstaatliche Verschuldung in der Verantwortung zuteilte. Auch die SPD hat dort zugestimmt, daß eine Gesamtansicht der öffentlichen Finanzen erforderlich ist.
Auch die SPD hat zugestimmt, daß die Länder hierbei die Verantwortung für die kommunalen Finanzen tragen.
Dieses neue Denken in der großen Oppositionsfraktion hat hoffen lassen. Wir brauchen ja eine gute Opposition. Bei dem Problem, über das wir heute debattieren, zeigt sich aber, daß man noch in einem sehr alten Denken verhaftet ist, -
Herr Kollege Weng, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Catenhusen?
- daß sich die SPD bei ihrem eigenen Gesetzentwurf und ebenso beim Bundesratsentwurf von diesem alten Denken hat lenken lassen. - Frau Präsidentin, nach Ende des Satzes gerne. Herr Kollege Catenhusen, bitte.
Herr Weng, verstehe ich Sie richtig, daß eine Demonstration des neuen Denkens der F.D.P., wenn man die Probleme der Schulden von Bund, Ländern und Gemeinden insgesamt sehen sollte, auch im Hinblick auf die Maastricht-Kriterien, Ihr neuer Weg darin besteht, daß für Sie entscheidend ist, daß die Schulden bei den Kommunen und Ländern bleiben und nicht vom Bund getragen werden?
Nein, Herr Kollege Catenhusen. Aber die Darstellung, daß auch Ihre Fraktion der Auffassung ist, daß die Länder in diesem Zusammenhang Verantwortung für die Kommunen haben, läßt natürlich den logischen Schluß zu, daß das auch in anderem Zusammenhang geschieht. Das will ich daraus ableiten.
Es ist meines Erachtens unverständlich, wenn eine Fraktion des Deutschen Bundestages bei einer Finanzfrage einseitig die Position des Bundesrates übernimmt. Natürlich, beim Geld hört die Freundschaft üblicherweise auf; jeder handelt bestmöglich im eigenen Interesse. So ist es überhaupt nicht unverständlich, daß der Bundesrat die Haltung eines Teiles seiner Mitglieder, der östlichen Bundesländer, übernimmt, nämlich in einer Finanzfrage bestmöglich dem Bund in die Tasche zu greifen. Aber daß eine wichtige Fraktion im Bundestag blindlings den gleichen Gesetzentwurf - sogar Wort für Wort gleichlautend - vorlegt, zeigt meines Erachtens fehlendes Verantwortungsbewußtsein. Die SPD-Bundestags-
Dr. Wolfgang Weng
fraktion muß in ihrer Verantwortung für den Bund
meines Erachtens konsequenterweise umdenken.
Meine Damen und Herren, wir müssen in diesem Zusammenhang, so glaube ich, doch etwas zur Gesamtsituation der öffentlichen Finanzen sagen, auch mit Blick auf die Zeit nach der Wiedervereinigung. Der haushaltspolitische Sprecher der Bündnisgrünen zum Beispiel wird nicht müde, den Umfang des Sparpakets der Koalition als zu gering zu bezeichnen, weil er den Ernst der Finanzsituation des Bundes sieht.
Er hat mehrfach erklärt, daß der Bundesfinanzminister beim Solidarpakt zwischen Bund und Ländern damals hinsichtlich der Finanzverteilung über den Tisch gezogen worden sei. Die Logik dieser Äußerung kann ja nur sein, daß der Bund bei dieser Finanzverteilung schlecht weggekommen ist. Dies wird ja auch von uns nicht bestritten. Um so mehr muß aber bei neuen Fragen von finanziellem Belang diese Gesamtsicht Berücksichtigung finden.
Der Bund darf nicht ausbluten.
Der Sachverhalt ist bekannt: Durch Kredite der damaligen DDR an Gemeinden zum Aufbau gesellschaftlicher Einrichtungen sind infolge der Wirtschafts- und Währungsunion und dann der Wiedervereinigung echte Schulden entstanden, die nach Auffassung der Koalition formal Schulden dieser Kommunen sind.
Die Aufteilung dieser Schulden unter den Gemeinden ist ungerecht. Natürlich werden die Extremfälle - dies hat auch der Ministerpräsident des Landes Brandenburg hier getan - besonders in den Vordergrund gestellt. Auch wir wissen, daß einzelne Gemeinden so hoch belastet sind, daß sie diese Schuldenlast niemals selbst tragen könnten. Aber - auch das muß hierbei betont werden - das sind einzelne Extremfälle.
Überhaupt sind nur 16 Prozent der Gemeinden mit solchen Schulden belastet - wenn sie sie denn haben; darauf werden wir noch zu sprechen kommen.
Es müssen Wege zu einer Lösung gefunden werden. In der vorhin angesprochenen Logik, daß die Länder für die Finanzen der Gemeinden verantwortlich zeichnen, muß dies eine Regelung unter den Ländern sein, die für Gerechtigkeit sorgt.
Meine Damen und Herren, wir haben im Haushaltsausschuß - darauf hat die Kollegin der Grünen Bezug genommen - eine sehr ausführliche Anhörung in dieser Sache veranstaltet. Diese Anhörung hat zwei Dinge ganz sicher ergeben: Erstens. Begnadete Kronjuristen waren, wie das häufig so ist, zu
100 Prozent unterschiedlicher Meinung. Das heißt, die Jurisprudenz führt uns ganz sicher zu keiner Lösung. Zeitverzug und Kosten des Klageweges würden zusätzlichen Schaden anrichten.
Zweitens. Ich bitte die Kollegen der SPD, zu bedenken, daß es tatsächlich kein einziges theoretisch vorstellbares Gerichtsurteil gibt, das eine vernünftige Lösung bringen könnte. Also ist ganz zwangsläufig die Politik gefordert. Diese Politik kann - ich habe es gesagt - die Gesamtlastenverteilung nicht außen vor lassen.
Wenn die Koalition mit ihrem Beschlußantrag deutlich macht, daß der Bund ohne Anerkennung rechtlicher Verpflichtungen die Hälfte der Last zu übernehmen bereit ist, dann sollte auf dieser Basis eine Einigung mit den betroffenen Ländern gefunden werden können.
Die F.D.P.-Fraktion jedenfalls ist, wie ja auch die Union, zu diesem Entgegenkommen bereit.
Zusätzlich haben die Kollegen der Koalition aus dem Osten dafür Sorge getragen - das ist hier vorgetragen worden, aber findet bei Ihnen offensichtlich überhaupt keine Anerkennung, weil Sie sich doch relativ blind verrannt haben -, daß diese Last nicht einseitig den neuen Bundesländern auferlegt würde, wenn der Bund zur Zahlung verpflichtet wird, ob freiwillig oder unfreiwillig. Wir hätten doch - ich sage das jetzt mal theoretisch und etwas böse - auch sagen können: Gut, wir übernehmen diese Lasten und bringen dann einfach durch Kürzungen von Transferleistungen in die neuen Bundesländer bei uns die Kasse wieder in Ordnung. Wenn die Kollegen der F.D.P. und der Union aus den neuen Bundesländern - der Union, glaube ich, hier sogar etwas stärker - treiben, dann muß man auch lobend sagen, daß dies hier erreicht wurde. Der Bund wird sich das nicht durch Kürzung anderer Transferleistungen wieder holen. Ich danke ausdrücklich den Kollegen meiner Fraktion und den Kollegen der Union aus Ostdeutschland, daß sie ihrer gesamtstaatlichen Verantwortung gerecht werden und in ihren Ländern - wie hier auch von der Kollegin gefordert - nicht billigem Populismus nachgeben, wie das Oppositionsabgeordnete machen.
Meine Damen und Herren, hier sind keine Abgeordneten gewählt, um möglichst viel in ihre Wahlkreise oder in ihre Länder zu holen, sondern die Abgeordneten, die hier gewählt sind, sind in der gesamtstaatlichen Verantwortung, auch auf der Seite der Opposition.
Wenn Sie zu Hause den Eindruck erwecken, daß es Ihre Aufgabe sei, in Bonn möglichst viel Geld locker zu machen, dann haben Sie Ihren Verfassungsauftrag wirklich total falsch verstanden.
Dr. Wolfgang Weng
Meine Damen und Herren, die F.D.P.-Fraktion folgt der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses. Sie lehnt die Anträge von Bündnisgrünen und der PDS ab und fordert die Regierung auf, schnellstens - weil Zeitverzug ja weiteren Schaden bedeutet - mit den östlichen Bundesländern zur gewünschten politischen Regelung zu kommen. Diese war schon angeboten, der finanzielle Umfang war schon akzeptiert. Dies sollte jetzt erreicht werden.
Die vom Bundesrat und der SPD-Fraktion gleichlautend eingebrachten Gesetzentwürfe, die einseitig und alleine den Bund belasten, lehnen wir auch in der abschließenden Beratung heute abend ab.
Vielen Dank.
Es spricht jetzt der Kollege Uwe-Jens Rössel.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht eine Stunde vor Mitternacht wieder einmal darum, fatale Versäumnisse der Bundesregierung bei den Verhandlungen zum Einigungsvertrag zu reparieren.
Im Einigungsvertrag war bekanntlich eine eindeutige Regelung zu den sogenannten kommunalen Altschulden entweder vergessen oder von der Bundesregierung nicht gewollt worden. Seither wird von der Bundesregierung, teils mit Drohgebärden, teils mit Kanzleramtsdiplomatie, versucht, dieses Manko auszugleichen, aber alles auf dem Rücken ostdeutscher Länder, ostdeutscher Städte, Gemeinden und Landkreise, ihrer Einwohnerinnen und Einwohner. Das lehnen wir ganz entschieden ab.
Denn was sind das für Schulden? Die Gemeinden in Ostdeutschland, für die kommunale Selbstverwaltung nur in den Sternen stand, waren niemals Vertragspartner. Auch Zins- und Tilgungsleistungen, Kollege Weng, waren nie durch die Kommunen zu erbringen. Vielmehr sind es Schulden des Staates DDR, die nunmehr in den Erblastentilgungsfonds gehören.
Einen Moment bitte, Herr Kollege, ich muß hier mal um etwas Ruhe bitten. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, man muß den Redner verstehen können! - Danke. Sie haben das Wort.
Der Erblastentilgungsfonds ist nicht annähernd ausgeschöpft. Für die Einbeziehung der Altschulden in den Erblastentilgungsfonds bedarf es einer politischen Lösung, eines politischen Willens. Genau auf diesen Willen beziehen sich die vorliegenden Anträge der Opposition,
meiner Gruppe, die als erste eine entsprechende Initiative im Bundestag ergriffen hat.
Absonderlich dagegen, meine Damen und Herren, der Antrag der Regierungskoalition. In einer Zeit, da die Pro-Kopf-Verschuldung der ostdeutschen Kommunen bereits nach sechs Jahren altbundesdeutsches Niveau nach 47 Jahren erreicht hat, sollen die ostdeutschen Kommunen über die Länder nunmehr auch noch fragwürdige Altschulden draufgesattelt bekommen. In einer Zeit chronischer Finanznot und existenzbedrohlicher Finanzknappheit würden die ostdeutschen Kommmunen damit erneut zur Ader gelassen. Mehrere von ihnen sind schon jetzt pleite. Es ist absehbar, daß die Kommunen als wichtige Auftraggeber für öffentliche Investitionen damit keinen finanziellen Spielraum mehr besitzen. Die kommunale Investitionstätigkeit bewegt sich vielerorts gegen null: ein wahrlich heroischer Beitrag der Bundesregierung zum Aufschwung Ost.
Ganz offensichtlich soll Ostdeutschland von der Koalition bis zu den nächsten Wahlen in die Ecke gestellt werden. Ich prophezeie Ihnen aber: Jede Mark, die der Bundesfinanzminister für Altschulden heute nicht den Erblastentilgungsfonds übernimmt, wird er morgen doppelt und dreifach zur Finanzierung der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland ausgeben müssen.
Die Bundesregierung meint, mit der Teilung der Altschulden zwischen Bund und Ländern sei der Stein der Weisen gefunden. Welche vernünftigen Gründe sollten jedoch die Länder veranlassen, ihrerseits für diese Altschulden aufzukommen? Keine.
Die Landesregierung von Thüringen hat bereits jetzt die Katze aus dem Sack gelassen. Wenn Erfurt an Bonn wegen der Altschulden zahlen soll, würde bei den Landeszuweisungen an die thüringischen Kommunen entsprechend abgeknapst werden. Damit wird den ohnehin finanziell angeschlagenen Kommunen der Schwarze Peter zugeschoben.
Ein fieser Trick noch nebenbei: Da den Kommunen formal keine Altschulden zugeordnet wurden, sondern nur den Ländern, könnten die Kommunen dagegen nicht einmal klagen.
Zum Abschluß noch ein persönliches Wort an die ostdeutschen Kolleginnen und Kollegen der Koalition: Bitte bedenken Sie, daß gerade auf Sie eine Reihe von ostdeutschen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern Ihrer eigenen Partei hoffen, um von den rechtswidrigen Altschulden vollständig befreit zu werden.
Ähnliches erwarten auch fast alle Landtagsabgeordneten der CDU in Ostdeutschland. Sie würden Sie bei Ihrer Zustimmung zum vorliegenden Ent-
Dr. Uwe-Jens Rössel
schließungsantrag ganz gewiß freundlich in Ihren Wahlkreisen begrüßen.
Ich appelliere deshalb an Sie: Entscheiden Sie sich in der heutigen namentlichen Abstimmung im Interesse Ihrer Einwohnerinnen und Einwohner in Ostdeutschland für die Annahme der Anträge der Opposition und des Bundesrates. 1 400 betroffene ostdeutsche Kommunen müssen noch vor Sonnenaufgang vollständig von unsäglichen Altschuldenforderungen befreit werden. Nutzen wir jetzt diese Chance!
Das Wort hat jetzt Herr Staatssekretär Hansgeorg Hauser.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung hat ihre Haltung in der Altschuldenfrage schon wiederholt vorgetragen, und sie bleibt dabei: Die vorliegenden Gesetzentwürfe sind für den Bund völlig unakzeptabel. Der Versuch, die Lasten aus dem Bau kommunaler Einrichtungen in der DDR einseitig dem Bund aufzubürden, kann nicht hingenommen werden.
Verehrter Herr Ministerpräsident, wenn Sie davon reden, daß es hier um die künftige Investitionsfähigkeit der Kommunen geht, dann machen Sie sich die Sache sehr einfach. Sie wollen vom Thema ablenken.
Die Expertenanhörung des Haushaltsausschusses hat die unterschiedlichen Auffassungen zu den Altschulden für gesellschaftliche Einrichtungen nochmals deutlich gemacht. Es bestand jedoch weitgehendes Einvernehmen unter den Sachverständigen, daß für die Altschuldenfrage eine gerichtliche Klärung nicht der geeignete Ansatz ist. Wir brauchen eine politische Lösung.
Eine politische Lösung muß aber auf der Grundlage der bestehenden rechtlichen und finanziellen Voraussetzungen erfolgen, wie sie auch in der Anhörung vor zwei Wochen bestätigt wurden. Die gesellschaftlichen Einrichtungen einschließlich der Kreditverbindlichkeiten, mit denen der Bau dieser Einrichtungen finanziert wurde, sind durch den Einigungsvertrag auf die Kommunen übertragen worden.
Die Gemeinden nutzen diese Liegenschaften in der Regel zur Erfüllung ihrer kommunalen Aufgaben. Im Einigungsvertrag wurde damit als Anknüpfungspunkt das Vermögen und nicht, wie häufig angenommen, die Frage der Rechtsnachfolge gewählt. Vor diesem Hintergrund ist es deshalb auch ohne Bedeutung, ob die Kommunen in der DDR eigenständig über den Bau gesellschaftlicher Einrichtungen und
den Abschluß der Kreditverträge entscheiden konnten.
Maßgeblich ist allein der Übergang des Aktivvermögens und damit untrennbar verbunden des Passivvermögens. Auf diese Weise wurden die Gemeinden Schuldner der Altverbindlichkeiten für kommunale Einrichtungen.
Am Kreditcharakter der Altverbindlichkeiten kann ebenfalls kein Zweifel bestehen. Auch die Opposition und der Bundesrat gehen im übrigen davon aus, daß diese Kredite real existieren und nicht fiktiv sind. Sonst wäre die Forderung nach Übertragung in den Erblastentilgungsfonds unsinnig.
Die Anhörung hat keinen Beleg für die oft wiederholte Behauptung erbracht, daß die Kredite in der DDR den Kommunen angeblich willkürlich zugeordnet worden wären. Als Beleg wird dafür regelmäßig der kleine Ort Grabow in Mecklenburg-Vorpommern angeführt, der laut Presseveröffentlichungen mit mehreren tausend D-Mark je Einwohner belastet sei, obwohl er keine einzige kommunale Einrichtung habe. Man muß jedoch wissen, daß es in Mecklenburg-Vorpommern mehrere Orte mit dem Namen Grabow gibt und daß die Veröffentlichung auf einer Verwechslung basierte. Eine Nachfrage bei der GAW hätte diesen Irrtum leicht richtigstellen können; denn in den Kreditunterlagen der GAW sind alle Kredite den Objekten zugeordnet und dokumentiert.
Die objektkonkrete Vergabe von Krediten für gesellschaftliche Einrichtungen der DDR wurde auch durch den Sachverständigen Dr. Richter in der Anhörung bestätigt.
Die Forderung nach Übernahme der Altschulden in den Erblastentilgungsfonds wird häufig damit begründet, daß einzelne Bezirke in der DDR in der Mitte der 80er Jahre aus Mitteln des Republikhaushalts entschuldet wurden. Auch dieses Argument ist jedoch nicht stichhaltig. Entlastungen in Ostberlin, Dresden und Chemnitz können kein Anlaß sein, generell eine Finanzierung des Baus kommunaler Einrichtungen in den neuen Ländern aus Mitteln des Bundeshaushalts zu fordern. Der Sachverständige Professor Hommelhoff nahm hierzu eindeutig Stellung. Ich zitiere aus seinen Ausführungen:
So hat beispielsweise Leipzig zwar wie jede ostdeutsche Gemeinde einen Anspruch auf Hilfe bei der Bewältigung der Altschuldenproblematik, aber eben keinen Anspruch auf eine altkreditfreie Übergabe des Gewandhauses, nur weil Dresden die Semperoper „geschenkt" erhielt. Eine solche Forderung läßt sich auch nicht auf den Grundsatz der Gleichbehandlung stützen, ansonsten hätte der Bund wohl für die Ausstattung aller Gemeinden einer bestimmten Größenordnung mit Opernhäusern und anderem zu sorgen.
Eine Übernahme der gesamten Altschulden durch den Erblastentilgungsfonds wäre auch deshalb ungerechtfertigt, weil den Kommunen mit den gesellschaftlichen Einrichtungen erhebliche Vermögens-
Parl. Staatssekretär Hansgeorg Hauser
werte übertragen wurden. Dazu hat Kollege Krüger entsprechende Ausführungen gemacht.
Meine Damen und Herren, es wäre nicht sachgerecht, die Altschulden in den Erblastentilgungsfonds zu übertragen. Um einen langwierigen und kostspieligen Rechtsstreit zu vermeiden, hat sich der Bund gleichwohl in Verhandlungen mit Ländern und Gemeinden um einen Kompromiß bemüht.
Der Bund hat in den Gesprächen erhebliche Zugeständnisse gemacht. Er hat angeboten, die Hälfte der Altschulden zu übernehmen, wenn Länder und Gemeinden die andere Hälfte tragen. Darüber hinaus hat sich der Bund bereit erklärt, eine Refinanzierung seiner Belastungen durch die hälftige Übernahme der Altschulden nicht überproportional bei Leistungen an die neuen Länder vorzunehmen. Dieses Angebot bildet auch die Basis für den Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen, der heute ebenfalls beraten wird. Meine Damen und Herren, der Bund hat damit seine Solidarität gezeigt, und für ihn ist damit die Grenze des Vertretbaren erreicht.
Die hälftige Teilung der Altschulden stellt eine faire und ausgewogene Lösung dar. Die Finanzkraft der Länder und Gemeinden wird durch die jährlich für ihren Teil aufzubringenden Zinsen keinesfalls überfordert. Soweit einzelne, insbesondere kleinere Gemeinden von den Altschulden in besonderem Maße betroffen sind, können nur die Länder im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs durch eine breitere Lastenverteilung zwischen den Gemeinden eine Lösung herbeiführen.
Aus Sicht der Bundesregierung kann es keine Lösung der Altschuldenfrage ausschließlich zu Lasten des Bundes geben. Die Finanzierung kommunaler Einrichtungen ist keine Bundesaufgabe. Nach Abschluß dieser Beratungen wird der Bund die Verhandlungen mit den Ländern wieder aufnehmen.
Die Länder dürfen sich nicht länger aus ihrer Aufgabe der Sicherung der Gemeindefinanzen, die ihnen nach der Finanzverfassung eindeutig obliegt, davonstehlen. Äußerungen des Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt in der vergangenen Woche, in denen er auf die Gerichte verweist, erwecken nicht den Eindruck, daß die Länder dieser Verantwortung gerecht werden. Ich appelliere an die Länder, im Interesse ihrer Gemeinden konstruktiv an einer raschen Lösung des Altschuldenproblems mitzuarbeiten. Sechs Jahre nach der Wiedervereinigung muß das Thema Altschulden endlich abgeschlossen werden.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Rolf Schwanitz.
Herr Staatssekretär, ich hätte in Ihrer Rede zumindest erwartet, daß Sie uns vor der Abstimmung einmal erklären, wie denn Ihre Vorstellungen der tatsächlichen Belastungsplanung für die ostdeutschen Länder und Kommunen aussehen. Damit meine ich nicht nur den durch Ihren Vorschlag, eine hälftige Teilung zwischen Bund und
Ländern zu organisieren, entstehenden politischen Streit, der vollständig vor der Tür der Länder ausgetragen wird. Der Bund nimmt sich damit vollständig aus dem Obligo.
Ich hätte auch gerne einmal gewußt, was Sie sich unter dem Satz vorstellen, den Sie im Gegensatz zu Herrn Krüger - was ich ausdrücklich begrüße - hier ja wenigstens zitiert haben. In dem Antrag der Koalition steht- das möchte ich noch einmalwiederholen-:
Der Bund stellt sicher, daß die Refinanzierung des von ihm zu übernehmenden Schuldendienstes nicht überproportional bei den Transfers an die neuen Länder erfolgt.
Das heißt also: Proportional erfolgt die Refinanzierung bei den Transfers für die neuen Länder nach Planung des Bundes sehr wohl. Das gehört auch in die Belastungsplanung hinein. Wer sich hier hinstellt und sagt, es gebe keine zusätzliche Refinanzierung für die Hälfte der Altschulden, die der Bund zu übernehmen vorgibt, der ist bis zur letzten Minute vor der Abstimmung unredlich.
Antwort wird nicht gewünscht. Als letzter Redner folgt dann der Kollege Arnulf Kriedner.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Herr Kriedner, wenn Sie bitte einen Augenblick warten würden.
Es ist der letzte Redner, und ich freue mich, daß Sie alle da sind. Aber wenn der Redner auch noch zu Gehör kommt, kommen wir schneller an die Urne.
Vielen Dank, Frau Präsidentin, aber ich bin relativ nervenstark.
Herr Ministerpräsident Stolpe, ich habe Ihre Ausführungen, auch wenn ich inhaltlich nicht damit übereinstimme, als wohltuend sachlich empfunden, ganz im Gegensatz zu den Ausführungen, die Herr Thierse hier vorgetragen hat. Herr Thierse, es tut mir leid, aber ich muß das so sagen: Sie sind unter Ihr Niveau gegangen. Teile Ihrer Ausführungen waren demagogisch.
Das bedaure ich wirklich, weil ich sonst eine ganze Menge von dem, was Sie sagen, schätze, auch wenn wir nicht einer Meinung sind.
Herr Thierse, Sie werfen uns erstens eine parteipolitisch-taktische Abstimmung vor. Ich weise dies aus
Arnulf Kriedner
drücklich zurück. Wir haben - eben hat das der Kollege Weng noch einmal ausgeführt - als Abgeordnete des Bundestages eine Verantwortung. Ich sitze zum Beispiel auch im Haushaltsausschuß und nehme die Verantwortung wahr.
Sie sind der Beantwortung der Frage, die Ihnen der Kollege Krüger mehrfach gestellt hat, ausgewichen. Sie haben nicht gesagt, daß die Übernahme von Schulden in den Erblastentilgungsfonds selbstverständlich auch Verschuldung des Bundes ist.
Es überrascht hier schon, meine Damen und Herren, daß dieselben Abgeordneten, dieselben Mitglieder dieses Hauses, die ständig die steigende Verschuldung des Bundes beklagen, ironisch applaudieren, wenn zum Beispiel der Kollege Weng von einem Anstieg der Schulden des Bundes spricht. Offensichtlich sind doch Ihre Klagen, die Sie ständig in bezug auf die Verschuldung des Bundes anbringen, unbegründet. Ich finde Ihre hier vorgetragene Haltung schwach. Ich habe doch selbstverständlich das größte Verständnis, wenn Bundesländer beim Bund das herausholen, was herauszuholen ist. Wir haben bereits vor einem Dreivierteljahr das erste Mal eine Debatte gehabt. Damals wurde die hälftige Lösung nur angedacht. Ich habe in diesem Haus von Ihrer Seite Beifall erhalten, als ich diese hälftige Lösung vorgetragen habe. Der Kollege Schwanitz, der eben gefragt hat, hat die Pressemeldung, die der Kollege Krüger zitiert hat, unterschrieben. Er hat noch im Dezember des vorigen Jahres die hälftige Lösung für einen Durchbruch gehalten.
Ich finde es bemerkenswert, wenn auch nicht überraschend, daß sich die Opposition bereits ein halbes Jahr danach schon wieder einmal von einer innegehabten vernünftigen Position verabschiedet.
Wir halten an der Position fest, daß der Bund zu spät - das räume ich ein - ein vernünftiges Angebot gemacht hat. Daß die Einigung, Herr Kollege Stolpe, ohne Herrn Höppner zustande gekommen wäre, wissen wir doch alle.
Wenn Höppner nicht in letzter Minute die Reißleine gezogen hätte, wäre diese Einigung längst zustande gekommen. Das wäre zum Segen der Gemeinden ausgegangen, nicht zu deren Nachteil.
Deshalb appelliere ich zu dieser späten Stunde noch einmal an Sie: Gehen Sie in sich und geben Sie der Vernunft eine Chance. Die Vernunft heißt hälftige Teilung, fifty-fifty. Wenn Sie das mitmachen, dann werden Sie Ihrer Verantwortung gegenüber dem Bund, gegenüber den neuen Ländern und den Kommunen gerecht.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des Erblastentilgungsfonds-Gesetzes auf Drucksache 13/4175. Der Haushaltsausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/ 5022 unter Nr. 1, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 13/4175 abstimmen. Die Fraktion der SPD verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Ich weise darauf hin: Nach der namentlichen Abstimmung folgen weitere Abstimmungen.
Ich eröffne die Abstimmung. -
Haben alle Kolleginnen und Kollegen ihre Stimme abgegeben? - Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird später bekanntgegeben. )
Wir setzen die Beratungen fort. Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD zur Änderung des ErblastentilgungsfondsGesetzes auf Drucksache 13/3895. Der Haushaltsausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/5022, unter Nr. 2, den Gesetzentwurf abzulehnen.
Ich lasse über den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/3895 abstimmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der CDU/CSU und der F.D.P. gegen die Stimmen der SPD, vom Bündnis 90/Die Grünen und der PDS abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zur Regelung der kommunalen Altschulden auf gesellschaftliche Einrichtungen, Drucksache 13/5022 Nr. 3. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/4098 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der CDU/CSU und der F.D.P. gegen die Stimmen der SPD, vom Bündnis 90/Die Grünen und der PDS angenommen.
Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Streichung der Altschulden auf gesellschaftliche Einrichtungen. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/4115 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU und der F.D.P. gegen die
*) Seite 10506D)
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Stimmen vom Bündnis 90/Die Grünen und der PDS bei Enthaltungen aus der SPD angenommen.
Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Gruppe der PDS zur vollständigen Übernahme der sogenannten Altschulden auf gesellschaftlichen Einrichtungen ostdeutscher Kommunen durch den Bund. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/2434 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU und der F.D.P. gegen die Stimmen vom Bündnis 90/Die Grünen und der PDS bei Enthaltung der SPD angenommen.
Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD zu den Altschulden ostdeutscher Gemeinden auf gesellschaftliche Einrichtungen. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/2587 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU und der F.D.P. bei Gegenstimmen der SPD, vom Bündnis 90/Die Grünen und der PDS angenommen.
Ich teile mit, daß ich das Ergebnis der namentlichen Abstimmung, das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelt wird, später bekanntgebe, und rufe den Zusatzpunkt 5 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Reform des Sozialhilferechts.
- Drucksachen 13/2440, 13/2764, 13/3904, 13/4211, 13/4239, 13/4687, 13/4758, 13/4865, 13/5067 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Heribert Blens
Hier sind ebenfalls alle Beiträge zu Protokoll gegeben worden. Die zu Protokoll gegebenen Reden werden als Anlage 5 im Nachtrag zu diesem Stenographischen Bericht abgedruckt.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß im Deutschen Bundestag gemeinsam abzustimmen ist über die in der Anlage zu Ziffer 1 enthaltenen Änderungen zum Gesetz zur Reform des Sozialhilferechts und die Ziffer 2, Erledigterklärung des Gesetzentwurfs zur Änderung von § 22 des Bundessozialhilfegesetzes.
Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 13/5067? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD bei Gegenstimmen vom Bündnis 90/ Die Grünen und der PDS angenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 6 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Telekommunikationsgesetz (TKG).
- Drucksachen 13/3609, 13/4438, 13/4864, 13/4938, 13/5066 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Anke Fuchs
Wir kommen zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist.
Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 13/5066? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P. bei Gegenstimmen vom Bündnis 90/ Die Grünen und Enthaltung der PDS angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19a auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Dienstrechtlichen Begleitgesetzes im Zusammenhang mit dem Beschluß des Deutschen Bundestages vom 20. Juni 1991 zur Vollendung der Einheit Deutschlands
- Drucksache 13/2377 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Ältestenrates
- Drucksache 13/5130 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Ina Albowitz Brigitte Baumeister
Wilhelm Schmidt Werner Schulz (Berlin)
Auch zu diesem Punkt sind alle Beiträge zu Protokoll gegeben worden.'
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Entwurf eines Dienstrechtlichen Begleitgesetzes. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Fassung des Ältestenrates zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der CDU/CSU, F.D.P. und SPD bei einer Gegenstimme aus der PDS und Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und den übrigen Stim-men der PDS angenommen.
*) Die zu Protokoll gegebenen Reden werden als Anlage 6 im
Nachtrag zu diesem Stenographischen Bericht abgedruckt.
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen.
Der Ältestenrat empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/5130 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und Abgeordneten der PDS angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung des Antrages der Abgeordneten Albert Schmidt , Angelika Graf (Rosenheim), Halo Saibold sowie weiterer Abgeordneter
Information der Bundesregierung für Urlauberinnen und Urlauber - Überarbeitung der „Ferienfahrt"-Broschüre
- Drucksache 13/4728 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus
Alle Redebeiträge sind zu Protokoll gegeben worden.*)
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/4728 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Die Überweisung ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/ CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.
Weltkongreß gegen kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern
- Drucksache 13/5063 -
Auch hier sind alle Beiträge zu Protokoll gegeben worden.**)
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, des Bündnisses 90/ Die Grünen und der F.D.P. zum Weltkongreß gegen die kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern auf Drucksache 13/5063. Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist einstimmig angenommen.
*) Die zu Protokoll gegebenen Reden werden als Anlage 7 im Nachtrag zu diesem Stenographischen Bericht abgedruckt.
**) Die zu Protokoll gegebenen Reden werden als Anlage 8 im Nachtrag zu diesem Stenographischen Bericht abgedruckt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Heuer, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Behebung und Wiedergutmachung von politischen Ungerechtigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland
- Drucksache 13/1797 —
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß Innenausschuß
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Gruppe der PDS fünf Minuten erhält.
Die meisten Beiträge hierzu sind zu Protokoll gegeben worden.*)
Es haben sich nur noch zwei Redner zu Wort gemeldet: Herr Heuer beginnt; anschließend Herr Mahlo. - Aber Herr Mahlo gibt soeben seine Rede ebenfalls zu Protokoll.
Herr Heuer, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer nicht reden will, muß hören! Ich kann nichts dafür, daß der Gesetzentwurf erst jetzt, um 23.35 Uhr, beraten wird. Die PDS erhält gewöhnlich am Donnerstagabend das Recht, zu ihren Anträgen zu sprechen. Das ist nicht meine Schuld.
Meine Damen und Herren, am 19. März 1992 führte der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages eine Anhörung zum Entwurf des ersten SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes durch. Im Mittelpunkt stand die Kritik von Opfervereinigungen, darunter auch an der Entschädigungshöhe. Ich sprach mich damals für das Grundanliegen dieses Entwurfs aus.
Ein knappes Jahr später, am 20. Januar 1993, veranstaltete die Gruppe der PDS eine Anhörung zu ihrem Gesetzentwurf zur Behebung und Wiedergutmachung von politischen Ungerechtigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland. Auch dabei waren vor allem Opfer, diesmal der bundesdeutschen Justiz der 50er Jahre, anwesend.
Ich verschließe mich keineswegs den Unterschieden, die es zwischen der politischen Strafjustiz in beiden deutschen Staaten gab. Die Strafurteile waren vor allem in den 50er Jahren ungleich härter als in der Bundesrepublik Deutschland.
Aber mein Haupteindruck aus beiden Veranstaltungen war: Hier waren Menschen, die meist vor längerer Zeit in dem einen deutschen Staat gelebt und mit dem anderen sympathisiert, ihn unterstützt hatten oder denen dies jedenfalls vorgeworfen wurde, Menschen, die Leiden ausgesetzt waren, die zum Teil längere Zeit in Haft gewesen waren und die zuletzt in hohem Alter Gerechtigkeit forderten. Sie
*) Die zu Protokoll gegebenen Reden werden als Anlage 9 im
Nachtrag zu diesem Stenographischen Bericht abgedruckt.
Dr. Uwe-Jens Heuer
waren, gewollt oder ungewollt, Opfer eines kalten deutschen Bürgerkrieges, der jetzt abgeschlossen ist oder jedenfalls abgeschlossen sein sollte. Daß das noch nicht der Fall ist, zeigt beispielsweise das Urteil gegen Karl Wienand, „ein Urteil wie aus der heißen Zeit des kalten Krieges", so die „Süddeutsche Zeitung" vom 27. Juni 1996.
Daß die Opfer im Osten rehabilitiert und entschädigt werden müssen, war die Entscheidung dieses Hauses. Was aber ist mit den Opfern im Westen? Oder hat der kalte Krieg dort gar nicht zu Verzerrungen oder auch zu Unrecht geführt? Über die Frage, wer im Konflikt beider deutscher Staaten in welchem Umfang eine gerechtere Sache verfochten hat, werden wir uns hier kaum einigen.
Jedenfalls hat es global über mehrere Jahrzehnte hinweg eine Situation hart am Rande des Krieges zwischen den beiden großen Staatenblöcken in Ost und West, eben den kalten Krieg, gegeben. Aus diesem kalten Krieg resultierte die Spaltung Deutschlands. An der Trennlinie der Staatenblöcke gelegen, meinten beide deutschen Staaten ein Strafrecht schaffen zu müssen, um „im kalten Krieg bestehen zu können" , wie es der CDU-Abgeordnete Horst Haasler am 8. Februar 1957 im Bundestag meines Erachtens sehr treffend formulierte.
Es gab nach vorsichtigen Schätzungen etwa 250 000 Ermittlungsverfahren. Das waren weitaus mehr Verfahren, als die KPD in Westdeutschland jemals Mitglieder hatte. Inhaftiert bzw. verurteilt wurden ungefähr 10 000 Bürgerinnen und Bürger. Das sind Zahlen - so sah es Werner Maihofer schon 1965 -, „die einem ausgewachsenen Polizeistaat alle Ehre machen".
Dann hat sich im August 1988 eine Initiativgruppe zur Rehabilitierung der Opfer des kalten Krieges in Westdeutschland konstituiert, deren Erwartungen wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf weitgehend Rechnung tragen. In einem Antwortschreiben des damaligen Bundesjustizministers Dr. Klaus Kinkel vom 1. Juli 1991 an diese Initiativgruppe räumte dieser immerhin ein, daß es „Ungerechtigkeiten im Bereich des Staatsschutzstrafrechts" gegeben habe. Allerdings meinte er, diese Ungerechtigkeiten seien 1968 „soweit möglich" geheilt worden. Genau das ist nicht richtig. Es gibt keine Rehabilitierung und Entschädigung für diese „Ungerechtigkeiten" . Die Haftzeiten werden nicht als Rentenausfallzeiten anerkannt. Widerstandskämpfern aus der Nazizeit werden nach wie vor Entschädigungszahlungen vorenthalten.
Viele Beispiele zeigen, daß damals nicht rechtsstaatlich gehandelt wurde. Thomas Dehler formulierte damals den Grundsatz, man solle an den Ernst der Zeit denken und sich dessen bewußt sein, daß man „kein übertriebenes Maß an Ängstlichkeit bei der Fixierung strafbarer Tatbestände" anlegen dürfe.
Eine Vielzahl von Bürgerinnen und Bürgern mußte ins Gefängnis, weil sie als Kommunisten entweder als unabhängige Kandidaten oder im Rahmen einer Wählergemeinschaft kandidiert hatten.
In der rechtswissenschaftlichen Literatur wie auch in den Medien wird längst anerkannt, daß die politische Strafverfolgung der 50er und 60er Jahre ein dunkles Kapitel in der Geschichte der alten Bundesrepublik war. Darum ist es nicht gut bestellt. Ich bin mir durchaus bewußt, daß für einen Sieger das Eingestehen von Unrecht ebenso schwierig ist, wie ihn zur Versöhnung zu bringen. Aber im Interesse einer wirklichen Vereinigung muß dieser Weg gegangen werden. Alle Opfer des kalten Krieges müssen rehabilitiert und entschädigt werden.
Die Geschichte der politischen Strafjustiz in beiden deutschen Staaten macht deutlich, daß das eine und das andere Deutschland im guten wie im schlechten miteinander verbunden waren. Wer die Wiedervereinigung will, wird um die Aufarbeitung beider Geschichten schwerlich herumkommen, so der Süddeutsche Rundfunk vom 9. Oktober 1993.
Die Redezeit ist zu Ende.
Noch einen Satz, Frau Präsidentin.
Meine Damen und Herren, Sie haben hier mit großem Nachdruck beim Besuch Mandelas den Versöhnungswillen der Schwarzen in Südafrika gelobt. Sie haben es sehr positiv bewertet, daß die Schwarzen in Südafrika nicht von der These ausgehen: Unsere Sache war gerecht, deshalb gab es kein Unrecht. Vielleicht sollten auch die Schwarzen in Deutschland zu einer solchen Einsicht fähig sein.
Ich gebe zunächst das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt. Abgegebene Stimmen: 623. Mit Ja haben gestimmt:. 299. Mit Nein haben gestimmt: 324. Enthaltungen: keine. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.*)
Ich komme jetzt zu der Schlußfolgerung des letzten Tagesordnungspunktes. Der Ältestenrat schlägt Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 13/1797 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Marina Steindor, Rita Grießhaber, Kristin Heyne, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
*) Das endgültige Ergebnis mit der Namensliste wird im Nachtrag zu diesem Stenographischen Bericht als Anlage 4 abgedruckt.
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Rechtliche Regelung gentechnischer Lebensmittel
- Drucksache 13/2181—Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Gesundheit
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Es ist vereinbart, alle Redebeiträge zu Protokoll zu geben*). Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/2181 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Uta Zapf, Gernot Erler, Volker Kröning, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Umfassendes Atomteststoppabkommen - Drucksachen 13/4567, 13/4999 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Friedbert Pflüger Gert Weisskirchen Ludger Volmer
Dr. Olaf Feldmann
*) Die zu Protokoll gegebenen Reden wurden als Anlage 10 im
Nachtrag zu diesem Stenographischen Bericht abgedruckt.
Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Es wurde vereinbart, alle Redebeiträge zu Protokoll zu geben *).
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD zu einem umfassenden Atomteststoppabkommen, Drucksache 13/4999. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/4567 in der Ausschußfassung anzunehmen.
Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/5068 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der CDU/ CSU, F.D.P. und SPD abgelehnt.
Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Freitag, den 28. Juni 1996, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche eine kurze gute Nacht.