Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich möchte zunächst die Abgeordneten Frau Probst, Heinrich und Schmidt herzlich begrüßen.
Wollen Sie zur Geschäftsordnung sprechen, Herr Kollege Schmidt?
- Bitte schön.
Herr Präsident, ich bitte um Verständnis, aber ich empfinde es als geradezu peinlich, wenn auf der Regierungsbank ein Minister und neun Staatssekretäre sitzen,
die sich hier der Befragung stellen und uns Informationen geben wollen, auf unserer Seite aber nur drei Geschäftsführer. Ich beantrage, daß wir die Befragung der Bundesregierung heute nicht durchführen und die Sitzung des Bundestages bis zum Beginn der Fragestunde unterbrechen.
Die Geschäftsordnung sieht die Möglichkeit vor, daß das Präsidium im Einverständnis mit den Fraktionen entsprechend diesem Antrag die Sitzung unterbricht. Ehe ich das tue, möchte ich den Parlamentarischen Staatssekretär Kolb, der sich hier eingefunden hat, um für den erkrankten Bundeswirtschaftsminister Rexrodt einen Bericht zu geben, bitten, dem Wirtschaftsminister unsere herzlichsten Genesungswünsche und unseren Wunsch, daß er möglichst bald vollständig genesen wieder hier sein möge, auszusprechen.
Ich unterbreche die Sitzung bis 13.35 Uhr.
Wir setzen die unterbrochene Sitzung fort.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf: Fragestunde - Drucksache 13/5016 -
Bei einer ganzen Reihe von Fragen ist um schriftliche Beantwortung gebeten worden. Ohne daß ich vorwegnehmen will, wie lange wir uns über die verbleibenden Fragen unterhalten werden, ist jedenfalls damit zu rechnen, daß die Aktuelle Stunde wesentlich früher beginnt als erst in zwei Stunden. Ich sage das auch an die Adresse der Kolleginnen und Kollegen, die die Fragestunde über ihre Lautsprecher verfolgen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Bundesminister Friedrich Bohl zur Verfügung.
Ich rufe Frage 24, gestellt von der Kollegin Annelie Buntenbach, auf:
Wie begründet der Bundeskanzler seine Aussage am 16. Juni 1996 anläßlich der Verleihung des Konrad-Adenauer-Preises in München, Kurt Ziesel verdiene für sein „Eintreten für die freiheitlich demokratische Grundordnung unserer Bundesrepublik Deutschland Anerkennung und großen Respekt", vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Vergangenheit Kurt Ziesels, seiner Tätigkeit als Autor des „Völkischen Beobachters" in Wien, der „Westfälischen Landeszeitung Rote Erde" oder der Zeitung der Hitlerjugend „Wille zur Macht" (vgl. Dieter Bamberg, Die Deutschlandstiftung, Meisenheim/Glan 1978)?
Herr Bundesminister, ich darf Sie um Beantwortung bitten.
Herr Präsident, wegen des Sachzusammenhangs würde ich gern Frage 25 gleich mit beantworten.
Frau Kollegin Buntenbach, sind Sie einverstanden?
Wenn sich das nicht auf die Zahl der möglichen Nachfragen auswirkt, ist das kein Problem.
Natürlich nicht.
Vizepräsident Hans Klein
Dann rufe ich auch Frage 25 der Kollegin Annelie Buntenbach auf:
Wie begründet der Bundeskanzler seine Rede am 16. Juni 1996 anläßlich der Verleihung des Konrad-Adenauer-Preises durch die Deutschlandstiftung in München ferner vor dem Hintergrund der Aussagen deren geschäftsführenden Vorstandsmitglieds Kurt Ziesel in den „Eckartschriften" vom 11. Juni 1963, die von Dieter Bamberg folgendermaßen zusammengefaßt wurden: „Die ,neudeutsche Demokratie' pflege Positives wie .werterhaltende Kunst' nicht. Als .Pseudodemokratie' sorge sie ,im Rahmen der sogenannten Pressefreiheit' vor allem durch die Duldung von .Meinungsmachern)', die ,in einem freundlichen Ballspiel mit der deutschfeindlichen Presse im Westen und Osten politisch, moralisch und geistig den Sieg des Weltbolschewismus' vorbereiten, für .Entartung', ,Selbstzerstörung und Selbstbeschimpfung'" ?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundeskanzler hat am 16. Juni 1996 anläßlich der Verleihung der Konrad-Adenauer-Preise der Deutschland-Stiftung e. V. die Festansprache gehalten. Die von Ihnen, Frau Abgeordnete zitierte Äußerung des Bundeskanzlers aus dieser Rede bezieht sich auf die Deutschland-Stiftung. Der Bundeskanzler hat eingangs seiner Rede der Stiftung für ihre Leistungen in den 30 Jahren ihres Bestehens gedankt, die ein Zeugnis von staatsbürgerlichem Engagement und gelebtem Patriotismus sind und bleiben. Dabei hat er Anerkennung und großen Respekt für das Eintreten der Stiftung für die freiheitlich-demokratische Grundordnung unserer Bundesrepublik Deutschland und für die Einheit unseres Vaterlandes in den Jahrzehnten der Teilung geäußert. Im Anschluß daran hat der Bundeskanzler Herrn Kurt Ziesel für seine langjährige Tätigkeit für die Deutschland-Stiftung gedankt.
Frau Kollegin, erste Zusatzfrage.
Die Fakten, Herr Bohl, waren mir im Grundsatz bekannt. Auch liegt mir die Rede vor. Ich hätte zu Ihrer Aussage noch einige Nachfragen. Sieht die Bundesregierung eine publizistische, oder besser: propagandistische Kontinuität Kurt Ziesels hinsichtlich seiner Veröffentlichungen in der rechtsextremen „Nation Europa", der „Deutschen Wochen-Zeitung" oder der „Deutschen National- Zeitung", bei der er zum Beispiel am 5. Januar 1962 in Anregungen an den „Lieben Herrn Dr. Frey" für eine Ziesel-Kolumne warb, und wie sind auf dem Hintergrund solcher Informationen die Äußerungen des Bundeskanzlers zur Person von Ziesel und seine Würdigung zu werten?
Frau Abgeordnete, ich habe schon darauf hingewiesen, daß sich der Bundeskanzler in seiner
Rede ausschließlich zum verdienstvollen Wirken Kurt Ziesels für die Deutschland-Stiftung geäußert hat.
Zweite Zusatzfrage.
Dann möchte ich noch einmal nachfragen. „Die Deutschland-Stiftung arbeitet mit Vertretern des bundesdeutschen Rechtsextremismus zusammen" ist eine Äußerung, die laut einem Urteil des Landgerichts München vom 25. Juli 1994 der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Gruppe der PDS zugestanden worden ist. Wenn dies der Gruppe zugestanden wird und das Gericht im selben Zusammenhang bestätigt, daß über das von Ziesel herausgegebene „Deutschlandmagazin" behauptet werden darf: „Das Deutschlandmagazin propagiert antiliberale, antidemokratische, geschichtsrevisionistische und ausländerfeindliche Positionen", wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund die würdigenden Worte, die der Bundeskanzler gegenüber der Tätigkeit der Deutschland-Stiftung und gegenüber Kurt Ziesel geäußert hat?
Frau Abgeordnete, das Wirken der Deutschland-Stiftung ist nach Auffassung der Bundesregierung in der Tat sehr verdienstvoll. Wenn es Urteile deutscher Gerichte geben sollte, die eine andere Wertung im Sinne des Art. 5 des Grundgesetzes für zulässig erachten, bedeutet das nicht, daß die Bundesregierung diese Bewertungen Dritter übernehmen muß.
Dritte Zusatzfrage.
Vielleicht könnten Sie mir dann erklären, was denn der Bundeskanzler vor dem Hintergrund der Kontinuität von Kurt Ziesels Tätigkeit gemeint hat, als er den Patriotismus der Deutschland-Stiftung hervorgehoben und betont hat, die Deutschland-Stiftung habe - jetzt zitiere ich den Bundeskanzler - vor allen Dingen die Frage nach der geistigen Orientierung unseres Landes immer wieder neu gestellt. Wie begründet der Bundeskanzler vor diesem Hintergrund die lobenden und anerkennenden Worte über Kurt Ziesel?
Es ist so, wie ich es gesagt habe, daß die Tätigkeit der Deutschland-Stiftung in der Tat die Qualifizierung erfährt, die der Bundeskanzler vorgenommen hat. Die Tätigkeit der Deutschland-Stiftung und die Tätigkeit von Herrn Ziesel sind an dieser Stelle deckungsgleich. Deshalb kann ich keine andere Bewertung vornehmen, als ich sie während der bisherigen Fragestunde vorgenommen habe.
Ich möchte gerne noch wissen, ob die Bundesregierung nicht befürchtet, mit der Würdigung der Deutschland-Stiftung und der Ehrung Kurt Ziesels
Annelie Buntenbach
rechtsextreme Positionen mit einer besonderen Reputation zu versehen.
Wie ordnet denn die Bundesregierung die Rede des Bundeskanzlers hinsichtlich ihrer immer wieder eingeforderten geistig-politischen Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus ein?
Ich kann den ersten Teü Ihrer Frage noch einmal definitiv verneinen. Zum zweiten sage ich, daß die Tätigkeit der Deutschland-Stiftung Würdigung und Anerkennung durch die Bundesregierung erfahren hat und auch weiterhin erfährt.
Herr Kollege Schily.
Herr Kollege Bohl, ich gehe davon aus, daß die Bundesregierung die Informationsmöglichkeiten des Bundesamtes für Verfassungsschutz und der Landesämter für Verfassungsschutz nutzen kann. Deshalb möchte ich Sie fragen: Hat sich die Bundesregierung durch Nachfrage bei diesen Ämtern über die vermeintlich positiv zu beurteilenden Aktivitäten des Herrn Ziesel vergewissert und hat sie vielleicht auch auf diese Weise in Erfahrung bringen können, wie die Verbindungen des Herrn Ziesel zu rechtsextremistischen Kreisen beschaffen sind?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung ist nicht verpflichtet, darzulegen, auf welchen Wegen sie zur Beurteilung der Deutschland-Stiftung und des Wirkens von Herrn Ziesel kommt. Ich kann Ihnen aber sagen, daß die Bundesregierung sich ihres Urteiles gewissenhaft versichert hat. Ich betone und unterstreiche es noch einmal, daß die Tätigkeit der Deutschland-Stiftung ausgesprochen verdienstvoll ist.
Herr Kollege Bohl, besitzt denn die Bundesregierung Erkenntnisse über die Verbindungen von Herrn Ziesel zu rechtsextremistischen Kreisen oder über die Unterstützung solcher rechtsextremistischen Kreise?
Herr Abgeordneter Schily, wenn Sie Fragen dieser Art stellen, bitte ich Sie, sie in den zuständigen Gremien des Deutschen Bundestages zu stellen.
Entschuldigung, Herr Kollege Schily, der Deutsche Bundestag hat ein Fragerecht,
und die Bundesregierung hat eine Beantwortungspflicht. In welcher Form und in welchem Ausmaß sie antwortet, liegt im Ermessen der Bundesregierung.
- Herr Kollege Schily, bitte keinen Disput!
Herr Kollege Dr. Brecht, Sie haben das Wort.
- Das Wort hat der Kollege Dr. Brecht!
Herr Bohl, ich möchte mich einer Wertung der Arbeit der Deutschland-Stiftung enthalten, möchte Sie aber fragen, ob Sie der Auffassung sind, daß der Bundeskanzler eine Persönlichkeit wegen einer singulären Leistung auszeichnen kann, ohne dabei die Gesamtintegrität dieser Person in Betracht zu ziehen.
Die Lebensleistung von Kurt Ziesel während der dreißig Jahre seiner Tätigkeit für die Deutschland-Stiftung steht für sich.
Herr Kollege Koppelin.
Herr Bundesminister, war dem Bundeskanzler bei seinen lobenden Worten für Kurt Ziesel bekannt, daß Herr Ziesel früher zum Beispiel für den „Völkischen Beobachter" geschrieben hat?
Der Bundeskanzler kennt Kurt Ziesel seit vielen Jahren, um nicht zu sagen: seit Jahrzehnten und kann sich sehr wohl ein Urteil über Herrn Ziesel erlauben.
Herr Kollege Koppelin.
Wenn die Bundesregierung die Tätigkeit und die bisherigen Aktivitäten von Herrn Kurt Ziesel würdigt - der Bundeskanzler hat das ja getan -, ist sie der Auffassung, daß Herr Kurt
Jürgen Koppelin
Ziesel in seinem politischen Wirken ein Beispiel für die deutsche Jugend ist?
Ich glaube, daß die Tätigkeit der Deutschland-Stiftung auch für die junge Generation im Hinblick auf das Einstehen für die freiheitlich-demokratische Grundordnung vorbildlich ist.
Frau Kollegin Sonntag-Wolgast.
Da alle Ihre Antworten, Herr Kollege Bohl, den meiner Meinung nach untauglichen Versuch unternehmen, zwischen Kurt Ziesel und der Deutschland-Stiftung doch irgendwie zu unterscheiden - Sie betonen immer, die Würdigung sei der Deutschland-Stiftung ausgesprochen worden -, möchte ich Sie fragen, ob der Bundesregierung nicht klar ist, daß die Person Kurt Ziesel in der öffentlichen Wahrnehmung und sicherlich auch tatsächlich mit der Deutschland-Stiftung praktisch gleichgesetzt wird.
Frau Abgeordnete Sonntag, genau das habe ich gesagt.
Darf ich dann nachfragen, ob das und solche Art von Laudationen zum Bestandteil der geistig-moralischen Wende gehören, die uns seit zwölf oder dreizehn Jahren angekündigt wird.
Frau Abgeordnete, da die Tätigkeit der Deutschland-Stiftung über dreißig Jahre hinweg im Hinblick auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung und das Engagement dafür vorbildlich sind und da mit dieser Tätigkeit untrennbar die Aktivitäten von Herrn Ziesel verbunden sind,
kann ich Ihnen nur sagen, daß das keiner weiteren Darlegung bedarf.
Frau Kollegin Altmann.
Ich möchte fragen, ob vor dem Hintergrund dessen, was Sie zur Reputation Kurt Ziesels gesagt
haben, der Bundesregierung das Urteil des Landgerichts München aus dem Jahre 1968 bekannt ist, das eine Klage Ziesels gegen seine Charakterisierung als
- Zitat - „notorischen Nationalsozialisten" auch unter Bezugnahme auf seine Tätigkeit nach 1945 zurückweist, inwieweit die Bundesregierung davon Kenntnis hat und, wenn ja, woher sie die Bewertung nimmt, die Sie soeben noch einmal geäußert haben.
Es ist so, daß in Deutschland Gerichtsurteile über Bewertungen von Personen nicht immer dem entsprechen müssen, was man selber von einer Person oder einer Tätigkeit hält.
Dieses Urteil gibt gar keinen Hinweis darauf, wie die Bundesregierung eine Person oder eine Tätigkeit zu bewerten hat.
Es war ihr bekannt?
Pardon!
- Ihre zweite Frage war, ob das bekannt war.
Meine Frage war, ob dieses Urteil der Bundesregierung definitiv bekannt war.
Sie wissen, daß eine solche Frage nicht abschließend beantwortet werden kann, weil ich, wenn ich für die Bundesregierung antworte
- aber, Herr Schily, beruhigen Sie sich doch bitte -, nicht garantieren kann, daß seit 1968, seitdem es dieses Urteil gibt, alle amtierenden Bundesregierungen und Bundesminister bis heute von diesem Urteil keine Kenntnis gehabt haben. Ich kann nicht ausschließen, daß zum Beispiel die Bundeskanzler Willy Brandt oder Helmut Schmidt von diesem Urteil Kenntnis hatten.
Herr Kollege Schmidt.
Herr Minister Bohl, unabhängig davon, daß ich Ihre Antwort auf die Frage des Kollegen Schily als unangemessen, wenn nicht sogar als unverschämt bezeichne, -
Herr Kollege Schmidt, das ist in der Geschäftsordnung nicht vorgesehen. Das müßten Sie eigentlich wissen.
- würde ich Sie gerne fragen, was Sie mit dem „Gremium des Bundestages", in dem diese Frage besser gestellt werden könnte, gemeint haben.
Ich habe nicht gesagt, daß sie besser gestellt werden kann. Vielmehr hat dieser Deutsche Bundestag Gremien dafür geschaffen, in denen irgendwelche Erkenntnisse des Verfassungsschutzes, des Militärischen Abschirmdienstes und des Bundesnachrichtendienstes, nach denen Herr Schily gefragt hat, erfragt werden können.
Es ist eine Staatspraxis aller Bundesregierungen, daß solche Fragen an die zuständigen Gremien verwiesen werden. Nicht mehr und nicht weniger habe ich getan.
Wollen Sie eine zweite Zusatzfrage stellen, Herr Kollege?
Ja. - Stimmen Sie mir zu, daß Sie bewußt das mißinterpretiert haben, was Herr Schily offensichtlich gemeint hat?
Ich habe es nicht bewußt mißinterpretiert. Allenfalls bin ich intellektuell nicht in der Lage gewesen, die Frage voll zu erfassen.
Frau Kollegin Schönberger.
Herr Bohl, wie erhalten Sie Ihre Aussage, daß die Arbeit der Deutschland-Stiftung vorbüdlich ist, auch angesichts dessen aufrecht, daß zum Beispiel in der „Jüdischen Rundschau" vom 30. Juni 1994 zu lesen ist:
Unter den Preisträgern der Deutschlandstiftung befinden sich mehrere Personen, die sich durch antisemitische Äußerungen hervorgetan haben.
Zum Beispiel der Schweizer Armin Mohler, einer der Stammväter der Neuen Rechten, der 1988 ein Machwerk des Fred Leuchter - der die Massentötung von Juden in Auschwitz leugnet - enthusiastisch besprochen hatte.
Ja.
Herr Kollege Vergin.
Herr Kollege Bohl, Sie haben uns darauf aufmerksam gemacht, daß Sie nicht verpflichtet sind, Auskunft darüber zu geben, wie die Bundesregierung die Beantwortung der Fragen vorbereitet. Trotzdem frage ich Sie: Haben Sie bei der Vorbereitung Ihrer Antwort auf die Frage der Kollegin Buntenbach überprüft, ob die in der Frage aufgestellten Behauptungen auch tatsächlich zutreffen?
Welche Behauptungen meinen Sie?
Die in der Frage formuliert sind, daß er als Autor des „Völkischen Beobachters" in Wien und der „Westfälischen Landeszeitung Rote Erde" tätig war. Die Quelle ist sogar angegeben.
Ich weiß, was Sie meinen. - Nein, ich habe das persönlich nicht überprüft.
Dazu bestand auch keine Veranlassung.
- Es ist keine Unverschämtheit, Herr Abgeordneter Schily.
Herr Kollege Schily, bitte mäßigen Sie sich in Ihrer Ausdrucksweise.
Nein, es ist keine Mißachtung des Parlaments. Vielmehr bestand angesichts des Tatbestandes, auf den ich Sie versuche aufmerksam zu machen
- daß es um eine Würdigung der Deutschland-Stiftung und der damit untrennbar verbundenen Tätigkeit von Herrn Ziesel während dieser Zeit ging -, aus meiner Beurteilung keine Veranlassung, die angegebenen Zitate und Quellen zu überprüfen.
Herr Kollege Vergin, wollen Sie eine zweite Frage stellen? - Bitte.
Herr Bohl, Sie haben darauf verwiesen, daß die Deutschland-Stiftung für die Fundierung und die Erhaltung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und für ihre Umsetzung hervorragende Leistungen aufzuweisen hat. Würden Sie uns bitte sagen, welche Leistungen im einzelnen Sie spontan nennen würden?
Ich sehe keine Notwendigkeit, Ihnen sozusagen den Tätigkeitsbericht der Deutschland-Stiftung vorzulesen, zumal die Deutschland-Stiftung auch die Möglichkeiten unserer modernen Massenmedien wahrnimmt, auf ihre Arbeit hinzuweisen. Sie kennen die Publikationen der Deutschland-Stiftung. Sie kennen auch die entsprechenden Kommentare von Herrn Ziesel zum aktuellen politischen Geschehen. Sie kennen sicherlich auch die Berichterstattung über die Veranstaltung in München anläßlich der Verleihung des Konrad-Adenauer-Preises an verschiedene hervorragende und ausgewiesene Demokraten. All dies macht deutlich, daß die Deutschland-Stiftung ohne Zweifel diese Qualifikation verdient, die ich vorgenommen habe. Aber ich bin nicht in der Pflicht, Ihnen enumerativ den Geschäftsbericht der Deutschland-Stiftung vorzulesen. Insbesondere kann ich das nicht aus meiner Erinnerung wiedergeben.
Frau Kollegin Schönberger zu einer zweiten Frage.
In Ihren Äußerungen, Herr Bohl - meine Kollegin hat das vorher gesagt -, kommt eine geistigmoralische Wende, zumindest aber eine andere Einschätzung von solchen Einrichtungen wie der Deutschland-Stiftung oder des Werks von Herrn Ziesel zum Ausdruck, als sie, wie ich dachte, Allgemeingut in diesem Lande und auch in diesem Parlament wäre.
Nun habe ich die Frage, ob sich diese andere Einschätzung auch in anderen Äußerungen oder Festreden dieser Bundesregierung so wiederfindet und ob man das auch in der bislang unveröffentlichten Rede von Ihnen vor dem Kyffhäuser-Bund erkennen kann.
Da Sie zu meiner, wie ich finde, sehr guten Rede vor dem Kyffhäuser-Bund selber noch eine Frage vor dem Deutschen Bundestag eingebracht haben,
möchte ich die Beantwortung dieser Frage jetzt nicht vorwegnehmen. Ich stehe aber zu meiner Rede vor dem Kyffhäuser-Bund und finde, daß jedes Wort zu-
treffend ist und daß der Kyffhäuser-Bund diese Würdigung auch verdient.
Herr Kollege Catenhusen.
Herr Bohl, ist der Bundesregierung irgendein Dokument, eine Aussage oder ein Aufsatz von Herrn Ziesel bekannt, wo er zu seiner Tätigkeit im Dritten Reich Stellung nimmt und wo er wie mancher andere, ich sage einmal: einen Schlußstrich unter diese Sache im Sinne auch von Bewältigung gezogen hat? Ist Ihnen irgendeine Aussage von Herrn Ziesel in dieser Hinsicht bekannt, und wo kann man sie nachlesen?
Diese Frage würde ich Ihnen gerne schriftlich beantworten. Wenn Sie dazu Quellenmaterial brauchen, werden wir unsere Unterlagen dazu im einzelnen noch einmal durchsehen und Ihnen entsprechendes Material zur Verfügung stellen.
Zu den Fragen 24 und 25 werden keine weiteren Zusatzfragen gestellt.
Dann rufe ich die Frage 26 auf, die die Kollegin Ursula Schönberger gestellt hat:
Hat der Bundeskanzler bei seiner Aussage am 16. Juni 1996 anläßlich der Verleihung des Konrad-Adenauer-Preises in München, Kurt Ziesel verdiene für sein „Eintreten für die freiheitlich demokratische Grundordnung unserer Bundesrepublik Deutschland Anerkennung und großen Respekt", berücksichtigt, daß u. a. von Kurt Ziesel und dem stellvertretenden Reichspressechef der NSDAP, Helmut Sündermann, die Gründung der rechtsextremen „Gesellschaft für Freie Publizistik e. V." (GfP) initiiert wurde (vgl. Kurt Hirsch, Rechts von der Union, München 1989), wenn nein, warum nicht, und wenn ja, wie begründet er vor diesem Hintergrund seine Aussage?
Bitte, Herr Bundesminister.
Herr Präsident, ich kann nur auf meine eben gegebene Antwort verweisen.
- Die Frage hat den gleichen Inhalt. Wie soll ich etwas Neues dazu sagen?
- So ist es. Das ist die Kontinuität, in der die Bundesregierung wirkt.
Frau Kollegin Schönberger.
Ich nehme an, Sie meinen Ihre Antworten, die Sie zu den Fragen 24 und 25 vorgelesen haben.
Sie haben in diesen Antworten ausdrücklich betont, daß der Bundeskanzler nicht etwa Herrn Ziesel selbst, sondern Herrn Ziesel nur im Zusammenhang mit der Deutschland-Stiftung seinen Respekt gezollt hat. Wie ist das vor dem Hintergrund zu verstehen, daß sich in der Rede des Bundeskanzlers folgender Absatz findet:
Heimat, Vaterland, Europa - das ist der Dreiklang der Zukunft. Und dieses Europa wird stets in enger Freundschaft mit Amerika verbunden sein. Ich danke der Deutschland-Stiftung und vor allem Ihnen, lieber Herr Ziesel, noch einmal sehr herzlich dafür, daß Sie stets - oft auch gegen den Widerstand des Zeitgeistes - für diese Werte eingetreten sind.
Das ist ja eine Würdigung des Handelns von Herrn Ziesel allgemein. Der Bundeskanzler dankt zwar auf der einen Seite der Deutschland-Stiftung, aber vor allem Herrn Ziesel persönlich, der „stets . . . für diese Werte eingetreten" ist.
Aus dem Zusammenhang der Rede wird offenkundig, daß sich „stets" auf die Tätigkeit von Herrn Ziesel während seines Wirkens für die Deutschland-Stiftung bezieht.
Zweite Zusatzfrage.
- Herr Kollege Schily.
Herr Bohl, ich mache jetzt noch einmal einen Versuch: Es gibt Verfassungsschutzberichte, und es gibt Auskünfte der Verfassungsschutzämter, welche Organisationen sie für beobachtungswert oder -würdig halten. Deshalb meine Frage, ob Sie über Erkenntnisse verfügen, daß man es doch für notwendig gehalten hat, Aktivitäten, die gerade in der Frage der Kollegin Schönberger angesprochen wurden, nämlich die Gründung der Gesellschaft für freie Publizistik, von der Verfassungsschutzseite her zu beobachten.
Herr Abgeordneter, es handelt sich hierbei offensichtlich um angebliche Aktivitäten von Herrn Ziesel vor der Zeit der Deutschland-Stiftung, wenn ich das richtig verstehe.
Hier ist die Jahreszahl 1989 angegeben. Aber das ist eine —
Nein, der Autor hat 1989 geschrieben.
Ja. Ich bin demselben Irrtum erlegen wie der Kollege Schily.
Herr Präsident, ich muß aus dem Zusammenhang entnehmen, daß es sich um eine Aktivität aus der Zeit vor der Tätigkeit von Herrn Ziesel für die Deutschland-Stiftung handelt.
- Die NSDAP gibt es seit 1945 Gott sei Dank nicht mehr. Also muß ich aus dem Gesamtzusammenhang schließen, daß es sich um eine Aktivität aus der Zeit vor der Tätigkeit von Herrn Ziesel für die Deutschland-Stiftung handelt.
Herr Kollege Schily?
Nein, danke.
Frau Kollegin Buntenbach, bitte.
Herr Bohl, ich kann Ihre Unterscheidung in der Biographie von Herrn Ziesel, dessen Werk vom Bundeskanzler gewürdigt wird, so nicht akzeptieren. Es ist so, daß die GfP in der Tat 1960 gegründet worden ist, daß Kurt Ziesel sich an dieser Tätigkeit über längere Strecken beteiligt hat und daß er nach wie vor in diesem Zusammenhang lobend erwähnt wird, auch in gedruckter Form. Das heißt: Es liegt nach wie vor ein Zusammenhang vor.
Ich möchte Sie folgendes fragen: Erstens. Liegen der Bundesregierung Informationen über den Charakter der GfP vor? Zweitens. Wie können Sie, wenn Sie diesen Zusammenhang von vornherein von der Hand weisen, eigentlich sagen, daß diese Aktivität von Kurt Ziesel mit seiner Tätigkeit in der Deutschland-Stiftung nichts zu tun hat?
Weil ich es so sehe. Wenn Sie wollen, daß wir dem ersten Teü Ihrer Frage noch einmal nachgehen, dann will ich gerne im Bundesinnenministerium nachfragen. Aber wenn Sie die Gesellschaft für freie Publizistik so qualifizieren wollen, stelle ich anheim, das in den zuständigen Gremien des Bundestages zu tun.
Herr Kollege Brecht.
Herr Bohl, wenn die Fragen von Frau Buntenbach und Frau Schönberger nach der Preisverleihung gestellt worden sind, wäre es dann nicht ein Anlaß für das Kanzleramt gewesen, durch diese Angaben alarmiert, die angegebenen Quellen zu recherchieren und dann im Bundestag dazu Stellung zu nehmen?
Das mögen Sie so sehen, Herr Abgeordneter; ich habe es anders beurteilt.
Kollege Catenhusen.
Herr Minister, können Sie denn heute verbindlich ausschließen, daß diese Würdigung, die der Bundeskanzler der Deutschland-Stiftung und ihrem Vorsitzenden hat zukommen lassen, in voller Kenntnis der hier vorgetragenen Informationen über das Lebenswerk von Herrn Ziesel vorgenommen worden ist?
Ich habe diese Frage schon gegenüber Herrn Abgeordneten Koppelin beantwortet.
Frau Kollegin Schönberger.
Herr Bohl, ich möchte auf meine zweite Frage doch nicht verzichten. Wenn Sie angesichts der Tatsache, daß Herr Kohl Herrn Ziesel gewürdigt hat, darauf verweisen, daß es dabei nur um dessen Tätigkeit bei der Deutschland-Stiftung gehe, wie ist das dann damit in Einklang zu bringen, daß sich im Vorstand der Deutschland-Stiftung auch der ehemalige SS-Obersturmbannführer Paul Karl Schmidt, der Leiter der Nachrichten- und Presseabteilung des Außenamtes im Dritten Reich war und heute Paul Carell heißt, befindet?
Es kommt auf die Beurteilung der Tätigkeit der Adenauer-Stiftung an.
- Deutschland-Stiftung, Entschuldigung. AdenauerPreis und Deutschland-Stiftung der Adenauer-Preis wird von der Deutschland-Stiftung vergeben. Sie wissen, daß die Adenauer-Stiftung gar nicht so erfreut ist, weil sie selbst gerne einen Adenauer-Preis verleihen möchte. Das ist doch kein Thema, über das Sie sich aufregen müßten. Die Tätigkeit von Herrn Ziesel und die Tätigkeit der Deutschland-Stiftung habe ich entsprechend qualifiziert. Mehr brauche ich dazu nicht zu sagen.
Frau Kollegin Altmann.
Ich habe noch eine Frage. Gedenkt die Bundesregierung vor dem Hintergrund dieser Diskussion, vor dem Hintergrund der Informationen, die Sie heute erhalten haben und die Sie anscheinend zum Teil noch nicht kannten, irgendwelche Konsequenzen aus dieser ganzen Angelegenheit zu ziehen? Wenn ja, welche? Wenn nein, warum nicht?
Die Bundesregierung wertet die Fragestunden des Deutschen Bundestages immer aus, also auch diese.
Frau Kollegin SonntagWolgast.
Sind der Bundesregierung außer den hier gestellten Fragen und den entsprechenden Nachfragen in der Fragestunde von anderer Seite kritische Anmerkungen oder auch Proteste zu den jetzt zitierten Äußerungen des Bundeskanzlers bezüglich der Deutschland-Stiftung zur Kenntnis gekommen?
Das kann ich nicht ausschließen. Wir bekommen, wie Sie wissen, Tausende von Briefen. Ich kann nicht ausschließen, daß es dazu auch Protestschreiben gegeben hat.
Herr Kollege von Larcher.
Herr Minister, hat sich das Bundeskanzleramt oder hat sich der Bundeskanzler vor der Würdigung von Herrn Ziesel durch Herrn Bubis beraten lassen? Wenn nein, warum nicht?
Der Bundeskanzler führt auch mit Herrn Bubis Gespräche. Ob mit Herrn Bubis ein Gespräch zur Vorbereitung dieser Preisverleihung stattgefunden hat, weiß ich nicht.
Herr Kollege Vergin.
Herr Bohl, haben Sie Verständnis dafür, daß ein Abgeordneter sehr frustriert ist, wenn er auf seine Frage eine ausweichende Antwort bekommt, wie es mir ergangen ist? Ich hatte nämlich nicht darum gebeten, daß Sie den Geschäftsbericht der Deutschland-Stiftung referieren sollen, sondern nach einigen Fakten gefragt, die Sie der Öffentlichkeit sagen sollten, warum Sie die Deutschland-Stiftung so hoch bewerten.
Ich hatte mich bemüht darzulegen, Herr Äbgeordneter, sicherlich mit unzulänglichen Mitteln, worin ich die Verdienste der Deutschland-Stiftung sehe.
Aber ich darf Ihnen sagen: Ich bin viele Jahre Oppositionsabgeordneter gewesen und bin jetzt einige Jahre Mitglied der Bundesregierung. Die
Bundesminister Friedrich Bohl
unterschiedlichen Gefühle während der Fragestunde sind mir sehr wohl bekannt.
Werden zur Frage 26 weitere Zusatzfragen gestellt? - Das ist nicht der Fall. Herr Bundesminister, ich bedanke mich für die Beantwortung.
Ich rufe auf den Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Inneren. Die Fragen 1 und 2, gestellt von dem Kollegen Manfred Such, mögen bitte schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Das gleiche gilt für die Frage 3, gestellt von der Kollegin Elke Leonhard, aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Schriftliche Antwort erbittet auch der Kollege Dr. Eckhart Pick für seine Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Schriftliche Antwort wird erbeten im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend von dem Kollegen Klaus Hagemann für die Fragen 5 und 6 und von der Kollegin Monika Knoche für die Fragen 7 und 8. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Wolfgang Gröbl zur Verfügung.
Die beiden Fragen 9 und 10, gestellt vom Kollegen Rolf Olderog, mögen bitte schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 11 auf, gestellt vom Kollegen Ulrich Heinrich:
Wie bewertet die Bundesregierung die Notwendigkeit einer generell durchzuführenden Analyse von Mischfuttermitteln für Rauhfutterfresser, um die Angabe der deklarierten eiweißhaltigen Inhaltsstoffe zu überprüfen, damit so eine bessere Bewertung des Übertragungsrisikos des BSE-Erregers ermöglicht wird?
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ich bitte um Beantwortung.
Herr Abgeordneter Heinrich, nach § 19 Abs. 1 Futtermittelgesetz wird die Einhaltung der futtermittelrechtlichen Bestimmungen durch die nach Landesrecht zuständigen Behörden überwacht. Die Überwachung wird stichprobenartig und in begründeten Verdachtsfällen auch systematisch durchgeführt. Untersucht wird dabei unter anderem der Gehalt der Futtermittel an Inhaltsstoffen , an Zusatzstoffen, an unerwünschten und an verbotenen Stoffen. Gleichzeitig können mikroskopische und mikrobiologische Untersuchungen durchgeführt werden. Aus methodisch-analytischen Gründen ist
es allerdings mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, zwischen Komponenten, die aus Säugetiergewebe bestehen, und anderen Komponenten tierischen Ursprungs sicher zu unterscheiden. Die Einführung einer generellen Untersuchungspflicht würde jedoch das Vorhandensein einer solchen sicheren und routinemäßig anwendbaren Analysemethode voraussetzen. Hieran wird in der Bundesanstalt für Fleischforschung in Kulmbach gearbeitet.
Durch die Zweite Verordnung zur Änderung der Viehverkehrsverordnung vom 18. März 1994 wurde in Deutschland die Verfütterung von in Tierkörperbeseitigungsanstalten erzeugtem Tiermehl an Wiederkäuer verboten. Dies ist ein Verbot, das die gängige Praxis in Deutschland bestätigt hat.
Mit der Entscheidung 94/381/EG der Kommission vom 27. Juni 1994 wurde dieses Verbot EU-einheitlich festgelegt und anschließend durch die Dritte Verordnung zur Änderung der Viehverkehrsverordnung national umgesetzt. Verboten ist die Verfütterung von Futtermitteln, die „aus Gewebe warmblütiger Landsäugetiere bestehen oder solche enthalten".
Der Vollzug der Viehverkehrsverordnung obliegt den nach Landesrecht zuständigen Behörden.
Herr Kollege Heinrich, erste Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben betont, daß es nur stichprobenartige Untersuchungen gibt, und gleichzeitig darauf hingewiesen, daß dieser Bereich der Länderhoheit unterliegt.
Sehen Sie nicht an Hand der im Zusammenhang mit BSE total veränderten Diskussion die Notwendigkeit, von der stichprobenartigen Überprüfung Abstand zu nehmen und zu einer generellen Untersuchung der Kraftfuttermischungen zu kommen, um klar und eindeutig feststellen zu können, ob sich in den Mischfuttermitteln tatsächlich von Säugetieren stammende Eiweiße befinden oder nicht?
Erstens, Herr Abgeordneter Heinrich, gibt es eine Selbstverpflichtung der Futtermittelindustrie, die in Deutschland im Zuge unserer Marktwirtschaft sehr verantwortungsbewußt gehandhabt wird. Wir sollten diese Bemühungen der deutschen Futtermittelindustrie in aller Form würdigen.
Zweitens. Eine generelle Untersuchungspflicht -hier verweise ich auf meine Antwort auf Ihre Frage -setzt voraus, daß ein Untersuchungsverfahren zur Verfügung steht, das die von Ihnen gewünschte sichere Unterscheidung möglich macht.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, es sind Verfahren bekannt, die zuverlässig und aussagekräftig sind. Ich wundere mich darüber, daß sich die Bundesregierung seither offensichtlich noch nicht mit
Ulrich Heinrich
diesen Verfahren auseinandergesetzt hat, da Sie ansonsten nicht diese Antwort gegeben hätten.
Solche Verfahren sind der Bundesregierung nicht bekannt. Um dieses Defizit auszugleichen, hat die Bundesanstalt für Fleischforschung auf diesem Sektor den wissenschaftlichen Auftrag erhalten, von sich aus entsprechende Forschungsarbeiten einzuleiten.
Drittens, Herr Abgeordneter Heinrich, darf ich feststellen, daß wir in Deutschland dafür gesorgt haben, daß die Tierkörperbeseitigungsanstalten mit Verfahren arbeiten, die ein solches Problem mit dem Tiermehl, wie es in Großbritannien aufgetreten ist, bei uns nicht entstehen lassen. Das sollte man in der öffentlichen Diskussion nicht durch andere Fragestellungen verdrängen.
Nein, Sie haben nur zwei Zusatzfragen.
Nachdem Sie gegenseitig Frage und Antwort qualifiziert haben, stelle ich die Frage, ob eine der Kolleginnen oder einer der Kollegen zu diesem Fragenkomplex eine Zusatzfrage zu stellen wünscht. - Dies ist nicht der Fall. Dann, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, bedanke ich mich für die Beantwortung.
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Horst Günther zur Verfügung. Die Fragen 12 und 13, gestellt vom Kollegen Dr. Uwe Küster, mögen bitte schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zur Frage 14 des Abgeordneten Kolbe:
Welche haushaltsmäßigen Auswirkungen wird es bei einer Umsetzung des „Programms für mehr Wachstum und Beschäftigung" nach Einschätzung der Bundesregierung haben, daß die geplante Festlegung, bis zum Jahre 2000 das Ausgabenvolumen für beschäftigungsfördernde Maßnahmen in den neuen Bundesländern schrittweise an das Westniveau anzugleichen, „entsprechend der Arbeitslosenentwicklung" erfolgen soll?
Ich bitte den Herrn Parlamentarischen Staatssekretär um die Beantwortung.
Herr Kollege Kolbe, sind Sie einverstanden, wenn ich die Fragen 14 und 15 gemeinsam beantworte?
Herr Präsident, sind Sie auch einverstanden?
Ja. Dann rufe ich auch die Frage 15 des Abgeordneten Kolbe auf:
Wird die Einschränkung „entsprechend der Arbeitslosenentwicklung" bei dieser geplanten Festlegung nach Auffassung
der Bundesregierung bei der Umsetzung des Programms dazu führen, daß es nicht zu einem Rückgang beschäftigungsfördernder Maßnahmen in den neuen Bundesländern kommt, wenn die Arbeitslosenzahlen 1997 im Osten Deutschlands gleich hoch bleiben oder ansteigen?
Vielen Dank, - Herr Kollege Kolbe, die von Ihnen genannte Bundestagsdrucksache 13/4610 enthält den Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung des „Programms für mehr Wachstum und Beschäftigung" in den Bereichen der Rentenversicherung und Arbeitsförderung. Dieser Gesetzentwurf enthält keine rechtlichen Regelungen für das im Programm enthaltene Vorhaben der Angleichung des Ausgabenvolumens für beschäftigungsfördernde Maßnahmen in den neuen Bundesländern - schrittweise entsprechend der Arbeitslosenentwicklung - an das Westniveau.
Das gleiche gilt für den am 20. Juni 1996 in erster Lesung behandelten Gesetzentwurf zur Reform des Arbeitsförderungsrechts. In der finanziellen Begründung dieses Gesetzentwurfs sind zwar Planzahlen für eine Angleichung in den Jahren 1997 bis 2000 enthalten, diese Planzahlen sind jedoch mit folgendem Vermerk versehen:
Die Angleichung soll schrittweise entsprechend der Arbeitslosenentwicklung bei der Aufstellung des jeweiligen Haushaltsplans der Bundesanstalt für Arbeit und der Genehmigung durch die Bundesregierung erfolgen.
Damit ist es nicht möglich, heute eine verbindliche Aussage darüber zu treffen, in welcher Größenordnung für arbeitsfördernde Maßnahmen Mittel in den kommenden Jahren in den jeweiligen Haushalten der Bundesanstalt veranschlagt sein werden.
Ihre zweite Frage beantworte ich wie folgt: Der Hinweis auf die Arbeitslosenentwicklung besagt, daß diese bei der jeweiligen Haushaltsaufstellung und -genehmigung zu berücksichtigen ist. Aus der Berücksichtigung eines wichtigen Faktors kann nicht geschlossen werden, daß sämtliche anderen Faktoren unberücksichtigt bleiben; denn in dem Programm heißt es einleitend, daß Sparen Voraussetzung für mehr Beschäftigung, mehr Investitionen, geringere Steuern und Abgaben sowie sichere Renten und Sozialleistungen ist. Über die Art und Weise, wie einzelne Faktoren zu berücksichtigen sind, kann jeweils nur in der konkreten Situation und den dann gegebenen Umständen entschieden werden.
Herr Kollege Kolbe, Sie haben jetzt vier Zusatzfragen. Bitte.
Herr Staatssekretär, ich bedanke mich zunächst für diese Antwort.
So wie ich die Antwort verstanden habe, kann ich also davon ausgehen, daß es sich bei den im Gesetzentwurf genannten Zahlen um Planzahlen handelt, die noch nicht feststehen, und daß über die endgültigen Einsparbeträge erst entschieden wird, wenn die Entwicklung der Arbeitslosigkeit in den nächsten Jahren bekannt ist. Ist das so richtig?
Nicht nur aus diesem, aber auch aus diesem Grunde.
Die zweite Frage.
Herr Staatssekretär, kann ich davon ausgehen, wenn eintritt, was wir alle nicht hoffen - wir alle hoffen auf einen wirtschaftlichen Aufschwung, und ich glaube auch, daß er kommen wird -, nämlich daß wider Erwarten die Arbeitslosenzahlen stagnieren,
daß dann diese Einsparungen nicht erzielt werden können?
Das kann ich nicht unbedingt bestätigen, Kollege Kolbe. Ich kann erstens Haushaltsplanfeststellungen jährlicher Art nicht vorgreifen, und zweitens sind noch mehrere Faktoren zu berücksichtigen, auch - das steht ja ebenfalls deutlich geschrieben - im Verhältnis zu den alten Bundesländern. Sie müssen auch die Entwicklung dort beobachten. So stellen wir fest, daß es dort mittlerweile in bestimmten Schwerpunktregionen Arbeitslosenzahlen gibt, die teilweise vergleichbar sind mit denen in den neuen Bundesländern.
Deshalb ist auch eine Angleichungsüberprüfung ständig notwendig, um die gegenseitige Akzeptanz der Förderleistungen zu gewährleisten.
Danke.
Herr Kollege Schily, wollten Sie eine Frage stellen?
Herr Staatssekretär, Sie wollen sich auf Größenordnungen nicht festlegen. Dafür habe ich Verständnis. Aber wären Sie in der Lage, dem Haus einen Schätzwert mitzuteilen, in welchen Größenordnungen sich das bewegen könnte?
Ich beteilige mich nicht an der Nennung von Schätzwerten, Herr Kollege Schily. Wir werden im Zuge der Haushaltsaufstellung insgesamt und auch der Haushaltsaufstellung der Bundesanstalt für Arbeit im Einvernehmen - hoffe ich - mit der Selbstverwaltung der Bundesanstalt für Arbeit überprüfen, welche Notwendigkeiten bei arbeitsfördernden Maßnahmen noch gegeben sind.
Ich kann dabei nicht ausschließen - um Ihre zweite Frage, die wahrscheinlich kommen würde, gleich mit zu beantworten -, daß es Reduzierungen bei den Förderleistungen gibt.
Herr Kollege Brecht.
Um der Größe der haushaltsmäßigen Mittel etwas näherzukommen: Könnten Sie vielleicht eine Angabe darüber machen, wie viele Personen in den neuen Bundesländern, die sich jetzt in ABM oder Fortbildung und Umschulung befinden, bis zum Jahre 2000 in die Arbeitslosigkeit entlassen werden?
Die Zahlen habe ich nicht vorliegen. Ob diese Personen, die sich jetzt in einer Fördermaßnahme befinden, überhaupt in die Arbeitslosigkeit entlassen werden, ist die Frage. Aber daß jede Fördermaßnahme im Zeitablauf endet, ist klar. Was dann mit den Menschen passiert, ob sie vermittelt werden können oder ob sie in die Arbeitslosigkeit gehen, weiß ich nicht. Dazu gibt es sicher Entwicklungstendenzen der letzten zehn, zwanzig Jahre. Wir haben schon sehr lange Fördermaßnahmen. Das kann man im einzelnen nicht sagen. Das hängt ein bißchen von der strukturellen und konjunkturellen Entwicklung ab. Man kann im vorhinein nicht abschätzen, in welchen Wirtschaftszweigen welche Fördermaßnahmen für welche Berufe und für wie viele Personen durchgeführt werden.
Herr Kollege Brecht.
Würden Sie denn konstatieren, daß bei gleichbleibender Konjunkturlage in den neuen Bundesländern, die derzeit nicht allzu rosig aussieht, doch mit einem leichten Anwachsen der Arbeitslosenzahlen zu rechnen ist, wenn die Reduzierung der AB-Maßnahmen erfolgt?
Das kann ich aus den Erfahrungen nicht bestätigen, denn auch in den letzten Jahren sind Zahlen reduziert worden, ohne daß es zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit kam. Von daher spricht eher alles dafür, daß sich die Vermittlungsmöglichkeiten verbessern.
Weitere Zusatzfragen werden nicht gestellt. Herr Parlamentarischer Staatssekretär, vielen herzlichen Dank für die Beantwortung.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr auf. Die Fragen wird uns der Parlamentarische Staatssekretär Johannes Nitsch beantworten.
Die Fragen 16 und 17, gestellt vom Kollegen Gerhard Neumann, sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 18 auf, die der Kollege Wieland Sorge gestellt hat:
Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, daß das Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nr. 16 durch Strekkung der Finanzmittel zunächst nur abschnittsweise gebaut werden kann und an der ehemaligen innerdeutschen Grenze endet, so daß eine Durchgängigkeit des Verkehrs zwischen den alten und den neuen Bundesländern nicht mehr - wie ursprünglich geplant - gewährleistet bzw. deren Finanzierung bis weit
Vizepräsident Hans Klein
über die Jahrtausendwende verschoben ist und damit auch der wirtschaftliche Aufschwung Ost?
Ich bitte um Beantwortung.
Das Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nr. 16, das die Autobahnen A 71 und A 73 umfaßt, kann wie viele andere Maßnahmen aus planerischen und finanziellen Gründen nur abschnittsweise realisiert werden. Die Einteilung in verkehrswirksame Abschnitte längs der vorgesehenen Trasse erfolgt mit dem Ziel einer möglichst frühzeitigen Nutzung fertiggestellter Teilabschnitte. Diese Verfahrensweise wird seit Jahrzehnten praktiziert und ist keine Besonderheit für die Thüringen und Bayern verbindenden Autobahnen. Die Autobahnen selbst werden kontinuierlich gebaut und fertiggestellt.
Die angeführte Einordnung der Abschnitte nach verkehrlichem Nutzen berücksichtigt unter anderem Gesichtspunkte wie den Bündelungsabschnitt mit der Deutschen Bahn AG, die Durchtunnelung des Thüringer Waldes und die Entlastung besonders frequentierter Ortsdurchfahrten. Diese Gesichtspunkte sind auch mit den beiden Ländern abgestimmt.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, kann ich davon ausgehen, daß nach Realisierung der geplanten Baumaßnahmen, die bis zum Jahre 2005 abgeschlossen sein soll, die verbleibenden Abschnitte kontinuierlich weitergebaut werden?
Herr Abgeordneter, die Verkehrsprojekte Deutsche Einheit haben höchste Priorität. Die jetzige Einteilung in verkehrswirksame Abschnitte sieht vor, daß wir nach Fertigstellung der bis 2005 eingeordneten Teilabschnitte kontinuierlich weiterbauen und wir die beiden Autobahnen zu einem frühestmöglichen Zeitpunkt komplett fertiggestellt haben werden.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung auch nach Alternativen gesucht, um den Plan, den Sie bis 2005 aufgelegt haben, durch andere Möglichkeiten einer durchgängigen Verkehrsanbindung zu realisieren, das heißt möglicherweise von Erfurt bis Schweinfurt bzw. Lichtenfels eine durchgängige einbahnige Bauweise zu praktizieren und auf die zweibahnige Ausbaustufe von Erfurt bis zur Gabelung von A 71 und A 73 zu verzichten?
Herr Abgeordneter, diese Untersuchungen sind angestellt und auch umfangreich diskutiert worden.
Vorrangig war das Kostenelement. Eine durchgängige einbahnige Bauweise nähme schon für diesen Teil 70 Prozent der gesamten Kosten in Anspruch. Wir haben uns deshalb dazu entschlossen, dort, wo wir schon bauen, den Bau komplett fertigzustellen und unter anderem auch die Durchtunnelung des Thüringer Waldes in einem Zuge und nicht in zwei Bauabschnitten durchzuführen.
Wir werden aber dort, wo wir leistungsfähige Bundesstraßen haben, zunächst die Anbindung von fertiggestellten Autobahnabschnitten an diese Bundesstraßen vornehmen, zum Beispiel im Bereich der A 71 an die B 19 und im Bereich der A 73 an die B 4.
Werden aus dem Kreis der Kolleginnen und Kollegen dazu weitere Zusatzfragen gestellt? - Das ist nicht der Fall.
Dann rufe ich die Frage 19, die ebenfalls unser Kollege Wieland Sorge gestellt hat, auf:
Stimmt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang der Auffassung zu, daß ohne eine durchgängige Verkehrstrasse, die die alten und neuen Bundesländer verbindet, zum einen die Gefahr der weiteren Abwanderung von Arbeitnehmern aus den neuen in die alten Bundesländer besteht und zum anderen sich Unternehmen in den neuen Ländern gar nicht erst ansiedeln, weil keine Verkehrsachse in die Wirtschaftszentren besteht, was bedeutet, daß der wirtschaftliche Aufschwung Ost nicht vorankommen kann?
Ich bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, um Beantwortung.
Die Bundesregierung sieht da keinen Zusammenhang. Die abschnittsweise Realisierung dieser durchgängigen neuen Verkehrstrasse zwischen den alten und den neuen Bundesländern birgt nicht die Gefahr einer weiteren Abwanderung von Arbeitnehmern aus den neuen in die alten Bundesländer.
Die Ansiedlung von Unternehmen in den neuen Bundesländern und damit die Schaffung von Arbeitsplätzen ist natürlich ein wichtiges Anliegen der Bundesregierung. Eine gute infrastrukturelle Erschließung der Regionen ist eine der wichtigsten Rahmenbedingungen und wird die Standortgüte benachteiligter Regionen durch leistungsfähige und sichere Verkehrsverbindungen verbessern.
Gleichzeitig trägt die Realisierung von Verkehrsinfrastrukturvorhaben zur Stärkung der regionalen Wirtschaftskraft bei. Einer der wichtigsten Gesichtspunkte, Herr Abgeordneter, weshalb die Bundesregierung die Verkehrsprojekte Deutsche Einheit beschlossen hat, war, auf diese Weise eine der bisher fehlenden Rahmenbedingungen für die neuen Bundesländer zu schaffen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, es geht jetzt um den Punkt der A 71, an dem sie auf die B 89 trifft. Was hat die Bundesregierung für das Jahr 2005 vorgesehen, um den starken Verkehr, der auf der A 71 herrscht, nicht weiterhin durch die Ortschaften
Wieland Sorge
zu führen, sondern eventuell Ortsumgehungen beispielsweise für Untermaßfeld und Meiningen zu bauen?
Das war eine der schwierigsten Fragen, die im Zuge der Diskussionen, die ich angeführt habe, zu lösen waren. Es liegt jetzt eine verbindliche Lösung vor. Wir werden am Ende der A 71 südlich von Meiningen den Verkehr zunächst auf die B 89 bis südlich von Untermaßfeld leiten. Dort müssen wir eine neue Ortsumgehung bauen, weil wir den Verkehr von der A 71 nicht auf diesen Ort verlagern können. Wir gehen nördlich von Untermaßfeld wieder auf die B 89 bis südlich von Meiningen, dort mit einer kleinen Spange auf die B 19 bis Münnerstadt.
Ich denke, das ist eine gute Lösung und belastet die Region Untermaßfeld nicht. Vielmehr ist es günstig, daß wir den Bau der Ortsumgehung vorziehen konnten.
Vielen Dank, das ist eine sehr gute Lösung für diese Region.
Ich habe noch eine Frage zur A 73. Was hat die Bundesregierung vorgesehen, um die Ortsumgehungen bei Schleusingen und Eisfeld mit den übrigen Landes- bzw. Bundesstraßen zu vernetzen?
Wir gehen auf der A 73 bis Suhl-Süd, dort auf die B 247 und werden dann ein Stück Autobahn als Ortsumgehung von Schleusingen bauen. Dann führen wir den Verkehr wieder auf der B 4 bis Eisfeld, vor Eisfeld - von der B 4 auf die B 89 - zu einem Autobahnzubringer. Diesen würden wir später ohnehin brauchen. Diesen Autobahnzubringer benutzen wir als Spange zwischen der B 89 und der B 4 und leiten den Verkehr dann auf der B 4 weiter bis Coburg. Ab Coburg gibt es dann die zweibahnige Autobahn bis Lichtenfels.
Werden dazu weitere Zusatzfragen gestellt? - Das ist nicht der Fall. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Nitsch, ich bedanke mich für die Beantwortung.
Im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit sollen alle Fragen - nämlich die Frage 20, gestellt von Dr. Egon Jüttner, die Frage 21, gestellt von der Kollegin Ursula Schönberger, sowie die Fragen 22 und 23, gestellt von unserer Kollegin Ulrike Mehl - schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes auf. Die Fragen wird uns Staatsminister Dr. Werner Hoyer beantworten.
Ich rufe die Frage 27, gestellt von unserer Kollegin Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, auf:
Wie viele Visumanträge von ausländischen Staatsangehörigen zum Besuch bei Verwandten in der Bundesrepublik
Deutschland sind in den vergangenen drei Jahren abgelehnt worden?
Herr Staatsminister, ich bitte um Beantwortung.
Herr Präsident! Frau Kollegin, in den vergangenen drei Jahren wurden von den deutschen Auslandsvertretungen insgesamt 724 530 Anträge abschlägig beschieden. Die Anzahl der Ablehnungen im einzelnen: 1993: 200 255; 1994: 264 275; 1995: 260 000.
Die bei den Auslandsvertretungen geführten Statistiken über abgelehnte Visa unterscheiden bislang nur zwischen kurz- und längerfristigen Aufenthalten. Zu den kurzfristigen Aufenthalten gehören neben Besuchs- zum Beispiel auch Geschäftsreisen.
Zusatzfrage.
Können Sie mir Auskunft darüber geben - ich verlange angesichts dieser großen Zahl natürlich nicht nähere Informationen im einzelnen; die können Sie mir nicht geben -, welche Hauptgründe für die Ablehnung ins Feld geführt wurden?
Die Hauptgründe hegen in der Regel darin, daß nicht klar ist, ob derjenige, der die Bundesrepublik besuchen will, die Absicht hat, die Bundesrepublik anschließend auch wieder zu verlassen, ob also der im Visumantrag angegebene Besuchszweck zutreffend ist. Darüber hinaus kann es natürlich auch konkrete Ausweisungsgründe geben, die dann dazu führen, daß kein Einreisevisum ausgestellt werden kann.
Für die Frage der Bereitschaft des Antragstellers, in sein Heimatland zurückzukehren, ist natürlich ein wichtiges Indiz, inwiefern er in seiner Heimat verwurzelt ist, zum Beispiel, ob er den Nachweis eines Arbeitsplatzes erbringen kann, ob er den Nachweis erbringen kann, daß er in der Zeit des Aufenthaltes in der Bundesrepublik den Lebensunterhalt aus entsprechenden Mitteln bestreiten kann, ob hinreichender Krankenversicherungsschutz besteht und ähnliches. Diese Nachweise können in der Regel dadurch erleichtert werden, daß ein Einladender entsprechende Erklärungen abgibt.
Wenn diese Voraussetzungen aber einmal nicht gegeben sind, kann es durchaus zur Ablehnung kommen. Um das Zahlenwerk noch einmal auszuleuchten: Die Anzahl der von uns positiv beschiedenen Visumanträge in dem genannten Berichtszeitraum war etwa zehnmal so hoch wie die der abgelehnten. Die Quote der abgelehnten Anträge ist mit 10 Prozent in etwa konstant geblieben.
Eine zweite Zusatzfrage.
Sie erwähnten bestimmte Zusicherungen, ich vermute, schritt-
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast
lich-verbaler Art. Kommt es auch vor, daß die Ablehnung oder die Genehmigung eines solchen Visumantrages von der Leistung bestimmter Geldsummen abhängig gemacht wird? Ich nenne das Beispiel der Botschaft in Pakistan, wo ein Betrag gezahlt wurde, der sich in der Größenordnung von annähernd 10 000 DM bewegte.
Ich bin mangels entsprechender Vorwarnung nicht in der Lage, das zu bestätigen oder zu dementieren. Ich bin aber gerne bereit, Ihnen eine Aufstellung zukommen zu lassen, aus der, falls es solche Differenzen zwischen verschiedenen Auslandsvertretungen gibt, das hervorgeht.
Herr Kollege von Larcher.
Herr Staatsminister, vor einer Woche habe ich Fragen zu Familienbesuchen gestellt. Heute interessieren mich zwei andere Bereiche; zu einem von ihnen stelle ich jetzt eine Frage: Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß Musiker, die hierher kommen wollen, um bei kulturellen Veranstaltungen aufzutreten - mir ist ein Fall von Künstlern aus Nepal, Indien und Pakistan bekannt -, zu 90 Prozent eine Ablehnung ihrer Anträge auf Visum erfahren müssen?
Herr Kollege, Sie wissen, daß ich das parlamentarische Fragerecht ganz besonders hoch einschätze und mich immer darum bemühe, möglichst präzise zu antworten. In dieser Frage müßte ich aber nachforschen, warum es in diesen konkreten Fällen eine so hohe Ablehnungsquote gibt und welche Gründe dies haben könnte. Ich kann die Frage jetzt nicht beantworten.
Herr Kollege Brecht.
Herr Staatsminister, darf ich Sie in diesem Zusammenhang fragen, ob Staatsangehörigen der früheren Bundesrepublik Mazedonien inzwischen die Möglichkeit gegeben wird, über ein multiples Einreisevisum nach Deutschland zu kommen, speziell dann, wenn sie Geschäftsreisende sind oder mit einem Diplomatenpaß ausgestattet sind?
Herr Kollege, ich verweise auf die Vorbemerkung, die ich soeben gemacht habe. Ich bin gern bereit, alle Fragen - schriftlich, mündlich oder wie Sie wollen - zu beantworten, Sie müssen mir nur eine entsprechende Vorwarnung geben.
Kollege Schily.
Herr Staatsminister, da ich Verständnis dafür habe, daß Sie nicht alle Fakten prä-
sent haben können, ich es aber so verstanden habe, daß Sie der Frage des Kollegen von Larcher nachgehen werden, möchte ich Ihnen eine Frage stellen: Wenn sich das bestätigen sollte, was Ihnen Herr von Larcher gerade vorgetragen hat, werden Sie dann im Interesse eines wünschenswerten Kulturaustausches mit den Ländern, die dabei eine Rolle spielen, dafür sorgen, daß die Visaerteilung unbürokratischer vor sich geht?
Sie können davon ausgehen, Herr Kollege Schily, daß wir jedes Interesse daran haben, den Kulturaustausch und die Förderung desselben tatsächlich umzusetzen und nicht nur zu einer Papierformel werden zu lassen. Wenn sich das so herausstellen sollte, bin ich gern bereit, dem nachzugehen. Ich möchte aber vorher einen Blick in die Akten werfen, um genau zu wissen, woran gegebenenfalls die hohe Ablehnungsquote liegt.
Kollege Özdemir.
Herr Staatsminister, könnte man sich nicht in den Fällen, in denen es sich um Länder wie beispielsweise die Türkei handelt, in denen es eine hohe Zahl von Antragstellern und sehr lange Wartezeiten gibt, für ältere Menschen und Menschen mit Gebrechen, die zu Besuch zu ihren Angehörigen in die Bundesrepublik Deutschland kommen wollen, ein besonderes Verfahren einfallen lassen, damit diese Menschen keine tagelange Reise antreten müssen, um sich dann mehrere Stunden anzustellen? Kann man sich dazu keine unbürokratische Reform einfallen lassen?
Ich gehe entsprechenden Hinweisen sehr gerne nach, Herr Kollege Özdemir. Ich sehe hier sowohl in der Türkei als auch in den Ländern der früheren Sowjetunion ganz erhebliche Probleme. Unsere Auslandsvertretungen stehen dort unter einem ganz enormen Druck.
Die Zahlen, die ich auf die Frage der Kollegin Sonntag-Wolgast genannt habe, zeigen, um welche Dimension es sich handelt. In Zeiten, in denen wir die Dinge personell und finanziell eher beschneiden müssen, ist es eine ausgesprochen schwierige Aufgabe, welche die Auslandsvertretungen zu bewältigen haben. Daß wir flexible Lösungen brauchen und insbesondere gebrechlichen, älteren Menschen, denen es schwerfällt, lange in einer Warteschlange zu verharren, helfen müssen, liegt auf der Hand. Für entsprechende konkrete Hinweise wäre ich dankbar.
Weitere Zusatzfragen? -Das ist nicht der Fall.
Ich rufe die Frage 28 der Kollegin Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast auf:
Unterliegt die Erteilung eines Besuchervisums für die Bundesrepublik Deutschland für junge asiatische Staatsangehörige besonderen Anforderungen, falls ja, unter welchen Voraussetzun-
Vizepräsident Hans Klein
gen können sie ein Besuchervisum für die Bundesrepublik Deutschland erhalten?
Herr Staatsminister, ich bitte um Beantwortung.
Ich denke, daß ich einen Teil der Antwort auf diese Frage bereits vorweggenommen habe. - Es darf kein Ausweisungsgrund vorliegen, und es müssen die entsprechenden Kriterien, die etwas über die Bereitschaft des Antragstellers sagen, in sein Heimatland zurückzukehren, nachgewiesen werden. Welche Indizien dafür geltend gemacht werden können, habe ich Ihnen bereits in der Beantwortung der Frage 27 dargelegt.
Zusatzfrage?
Sie haben auf die Dimension dieser Fälle hingewiesen. Diese wird auch uns Abgeordneten in unserer täglichen Praxis durch entsprechende Anfragen und Klagen von Betroffenen deutlich. Das ist auch der Grund für meine Fragen.
Meine Zusatzfrage: Trifft es zu, daß etwa bei jungen asiatischen Staatsangehörigen, die zu Besuchszwecken hier herkommen wollen, die Genehmigung ihres Visumantrags davon abhängig gemacht wird, ob sie in ihrem Heimatland verheiratet sind oder nicht?
Die Frage kann ich nicht beantworten. Ich muß auch sagen, daß ich sie nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der ursprünglichen Frage sehe. Man hätte die Frage gegebenenfalls präzise stellen können, dann wäre ich jetzt auch in der Lage, sie präzise zu beantworten. Ich werde Ihnen die Antwort gern nachreichen.
Ich habe aus gegebenem Anlaß - wie Sie sich denken können -nach besonderen Anforderungen gefragt. Da Sie auf eine so spezielle, aber aus unserer Praxis stammende Frage nicht antworten können, möchte ich Sie fragen, ob zum Beispiel der Famiüenstand ein Kriterium dafür ist, zu sagen: Wir sind nicht sicher, ob die Betroffenen bereit sind, in ihr Heimatland zurückzukehren. Das würde junge Ledige, die etwa eine Schwester oder einen Bruder hier besuchen würden, extrem benachteiligen, weil wir nicht unbedingt davon ausgehen können, daß sie familiär schon fest verwurzelt sind, sie vielleicht aber doch entschlossen sind, nach einer gewissen Zeit des Besuchs wieder in ihr Heimatland zurückzukehren.
Ich kann eher versuchen, eine Plausibilitätsüberlegung in die andere Richtung anzustellen, nämlich im Umkehrschluß zu sagen: Wenn im Heimatland eine stabile, sehr enge familiäre Bindung vorhanden ist, ist die Wahrscheinlichkeit, daß die Rückreise auch tatsächlich beabsichtigt ist, höher. Von daher weil ich eher von einer Positivvermutung ausge-
hen, aber nicht umgekehrt von einer Negativvermutung bei einem Ledigen.
Herr Kollege von Larcher.
Meine vorherige Frage bezog sich auf den kulturellen Bereich. Jetzt habe ich eine Frage aus dem wirtschaftlichen Bereich, wo ich auch nicht verstehe, was da eigentlich abläuft. -Wie beurteilen Sie die Tatsache, daß sich ein Unternehmer aus meinem Wahlkreis, wenn er seinen Geschäftspartner, einen Unternehmer, treffen will, um eine geschäftliche Besprechung abzuhalten, mit ihm in Holland treffen muß, weil der Geschäftspartner kein Einreisevisum für die Bundesrepublik Deutschland erhält?
Es gibt einen zweiten Fall aus dem wirtschaftlichen Bereich; er ist ähnlich gelagert. Jemand macht in Pakistan Karriere, lebt in einer angesehenen Familie mit viel Geld und wird mit Sicherheit zurückkehren. Auch er darf seinen Onkel nicht besuchen, weil er seine Rückkehrwilligkeit offenbar nicht nachweisen kann.
Wie erklären Sie sich solche Ablehnungen, bei denen es um geschäftliche Beziehungen geht?
Meine Vorbemerkung: Bei aller Bedeutsamkeit der wirtschaftlichen Beziehungen kann bei einem wirtschaftlichen Kontakt natürlich nicht grundsätzlich eine Positivvermutung höherer Art zugrunde gelegt werden als bei einem Antragsteller, der aus kulturellen Gründen in die Bundesrepublik reisen will. Trotzdem ist es natürlich ärgerlich, daß solche Fälle vorkommen.
Den Fall mit den Niederlanden, den Sie geschildert haben, müßte man sich einmal genauer ansehen, weil auf Grund der Erteilung von „Schengen-Visa" hier mittlerweile, zumindest in aller Regel, kein Unterschied mehr bestehen dürfte. Von daher kann ich das nicht nachvollziehen. Ich würde vorschlagen, daß Sie uns, wenn Sie konkrete Fälle dieser Art haben, diese konkret benennen; denn es ist sicherlich nicht in unserem Sinne, daß solche Ärgernisse entstehen.
Ich weise allerdings im Interesse unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Auslandsvertretungen einmal darauf hin, was hier für ein Riesenproblemberg zu bewältigen ist und wie hoch der Anteil derer ist, die bestimmte Sachverhalte leider vortäuschen, um in den Genuß des Einreisevisums zu kommen. Das heißt, wir haben eine beachtliche Mißbrauchsquote. Es gehört natürlich zu den Amtspflichten unserer Mitarbeiter dort, dafür zu sorgen, daß ein solcher Mißbrauch unterbunden wird. Daß dabei Fehlentscheidungen zustande kommen können oder in Einzelfällen Ärgernisse entstehen können, be-
Staatsminister Dr. Werner Hoyer
daure ich sehr. Wir sind sehr bemüht, sie dann auch auszuräumen.
Herr Kollege, bitte keinen Dialog mehr.
Herr Kollege Schily.
Herr Staatsminister, da ich jetzt den Eindruck habe, daß inzwischen das Auswärtige Amt für die Zuwanderungspolitik verantwortlich ist und die F.D.P. vielleicht noch einmal prüfen muß, ob ihre Überlegungen zu einem Zuwanderungsgesetz damit in einem Zusammenhang stehen, möchte ich Ihnen die Frage stellen: Auf welche Weise stellen Sie sicher, daß nicht durch eine restriktive Visaerteilung deutsche Interessen bei der Entfaltung von Wirtschaftsbeziehungen mit anderen Ländern beeinträchtigt werden?
Herr Kollege, den ersten Hinweis erlaube ich mir damit zu kontern, daß wir von Visapolitik und nicht von Einwanderungspolitik reden. Ich bin gern bereit, mit Ihnen heute nachmittag darüber zu philosophieren.
Was die zweite Frage angeht: Natürlich haben wir ein nachhaltiges Interesse, daß die Schwerpunkte unserer Außenpolitik - dazu gehört das Herstellen von Wirtschaftsbeziehungen und das Knüpfen von Wirtschaftskontakten - nicht durch eine übermäßig restriktive oder bürokratische Visaerteilungspolitik behindert werden. Deshalb ist unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vor Ort natürlich sehr bewußt, daß sie darauf achten sollen, entsprechende Anträge so sorgfältig zu prüfen, daß kein wirtschaftlicher Schaden entsteht. Auf der anderen Seite haben sie die Aufgabe, dafür zu sorgen, daß Mißbrauch vermieden wird.
Weitere Zusatzfragen zu dieser Frage? - Bitte sehr.
Herr Staatsminister, wir erhalten im Petitionsausschuß in diesem Zusammenhang immer besonders häufig Beschwerden in bezug auf das Verhalten der Deutschen Botschaft in Manila. Bei der Prüfung haben wir festgestellt, daß es schwer nachvollziehbar ist, daß bei Umständen, die eigentlich eine Visaerteilung ohne Probleme gerechtfertigt erscheinen ließen - sowohl in bezug auf Besuchsvisa als auch bei Visa zum Zwecke des Familienzusammenzugs sehr restriktiv entschieden wurde. Ist dieses Problem speziell mit der Botschaft in Manila schon einmal von seiten des Auswärtigen Amtes angesprochen worden?
Da Sie die Frage mit Sicherheit in Anwesenheit
unserer zuständigen Mitarbeiter behandelt haben, gehe ich fest davon aus, daß diese Angelegenheit auch mit der Botschaft in Manila abgeklärt worden ist. Ich selber kann zu der Frage nicht Stellung nehmen, bin aber gerne bereit, der Sache - ebenso wie bei den vorherigen Zusatzfragen - nachzugehen.
Herr Kollege Erler.
Herr Staatsminister, welchen Rat können Sie uns denn als Kollegen geben, die wir in solchen Fällen Wünsche von Petenten zu betreuen haben,
die wir uns an Sie wenden und dann vorgefertigte, allgemeine Antworten erhalten, die natürlich diese Petenten nicht befriedigen? Wie sollen wir uns in solchen Fällen verhalten?
„Entre nous", wie der Herr Kollege Duve das angeregt hat, würde ich vorschlagen, daß wir so wie bisher verfahren: Sie tragen die Dinge an uns heran; wir bemühen uns dann um individuelle Antworten. Wenn das nicht der Fall ist, bitte ich, mich darauf aufmerksam zu machen.
Ich bitte Sie allerdings auf der anderen Seite, Herr Kollege von Larcher, auch bei Ihren Gesprächspartnerinnen und -partnern im Wahlkreis oder sonstwo -ich weiß, wovon wir hier reden - um Verständnis dafür zu werben, daß diese Dinge in den Auslandsvertretungen angesichts der Quantitäten, um die es hier geht, ganz besonders schwierig zu handhaben sind. Ich glaube, wenn wir mit gutem Willen an die Sache herangehen, werden wir die Einzelfälle lösen können.
Werden zu dieser Frage weitere Zusatzfragen aus dem Kreis der Kolleginnen und Kollegen gestellt? - Das ist nicht der Fall.
Ich rufe dann die vom Kollegen Volker Beck gestellte Frage 29 auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung ein Papier von Beamten des Auswärtigen Amtes, das vorschlägt, bei „passender Gelegenheit" -jenseits des 50. Jahrestages des Kriegsendes - die gegenwärtige Einwanderungsregelung für Juden aus der GUS in Frage zu stellen, und zu einer öffentlichen Diskussion geführt hat , und über welchen Verteiler wurde es verbreitet?
Das sogenannte Papier, auf das Sie Bezug nehmen, analysiert die Praxis bei der Umsetzung der Absprache von 1990. Es kommt zu dem Schluß, daß es keinen Anlaß zur Änderung der Zuwanderungspolitik gibt, daß aber zunehmenden Mißbräuchen entgegengewirkt werden muß. Dabei wird auf die notwendige engere Abstimmung in der Zuwanderungsfrage
Staatsminister Dr. Werner Hoyer
mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland hingewiesen. Es handelt sich um interne Überlegungen.
- Ich bin gerne bereit, durch technische Manipulation zur besseren Verständigung beizutragen.
Herr Staatsminister, es gibt den einen oder anderen Punkt, wo Sie bei einer bestimmten Lautstärke in diesem Raum überhaupt nichts hören. Deshalb ist der Einwand schon berechtigt.
Ich bin dankbar für den Hinweis. Die Raumakustik in diesem Saal hat mich schon immer ganz besonders begeistert.
Dieses Papier kommt - wie gesagt - zu dem Schluß, daß es keinen Anlaß zur Änderung der Zuwanderungspolitik gibt, aber zunehmenden Mißbräuchen entgegengewirkt werden muß. Auf die notwendige enge Abstimmung in dieser Angelegenheit mit dem Zentralrat der Juden ist hingewiesen worden. Es handelt sich um interne Überlegungen, die an Auslandsvertretungen zur Unterrichtung übersandt wurden. Sie haben keinen operativen Charakter.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich bin über Ihre Ausführungen etwas verwundert. Wie erklären Sie in bezug auf Ihre Bewertung des Papieres die darin enthaltene Aussage, daß die politische Grundsatzfrage nach wie vor offen sei,
ob wir angesichts des weitgehenden Wegfalls des mit der Aufnahme ursprünglich angestrebten Zwecks das Aufnahmeverfahren überhaupt noch fortführen wollen.
Dann wird darüber räsoniert, daß im Lichte der Entwicklung wir
bei passender Gelegenheit ... - 50 Jahre nach Kriegsende bot sich hierfür das Jahr 1995 nicht an - die Grundsatzfrage stellen, in welcher Weise die jüdische Zuwanderung künftig fortgesetzt werden soll.
Ich meine, das ist doch eine eindeutige Aussage, daß man die Regelung insgesamt, so wie sie vereinbart wurde, in Frage stellen will.
Bitte, Herr Staatsminister.
Die politische Führung des Hauses hat gar keinen Zweifel daran gelassen und unverzüglich klarge-
stellt, daß sie diese Frage nicht für offen hält und es von daher keine Notwendigkeit gibt, über irgendwelche Veränderungen dieser Vereinbarung zu räsonieren.
Zweite Zusatzfrage.
Ist die Auffassung, die Sie gerade vorgetragen haben, auch die Meinung der Bundesregierung oder nur die Ihres Hauses? Ich beziehe mich in diesem Zusammenhang auf Aussagen des Ministers Spranger, der bei seinem Besuch in Kiew ähnliche Fragen aufgeworfen und verschiedene Begründungszusammenhänge, offensichtlich aus diesem Papier zitierend, vorgetragen hat.
Es ist völlig klar, daß eine so hochsensible Frage für die Bundesregierung insgesamt beantwortet werden muß. Ich habe keinen Zweifel daran, daß uns allen daran gelegen ist, Mißbräuche zu verhindern, aber nicht das Grundprinzip, das dieser Vereinbarung zugrunde gelegen hat und weiter zugrunde hegen wird, in Frage zu stellen.
Kollege Vergin.
Wenn ich Sie recht verstanden habe, haben Sie gesagt, daß das Papier an die Botschaften verschickt wurde, aber keinen operativen Charakter habe. Wozu ist es dann überhaupt verschickt worden?
Herr Kollege Vergin, wir pflegen die Kommunikation mit den Angehörigen unseres Hauses, die naturgemäß weit über die Welt verstreut sind, auch bei Themen, bei denen es noch nicht die Notwendigkeit operativer Umsetzung, wohl aber die Notwendigkeit des Gedankenaustausches gibt. Wenn Beamte es für sinnvoll halten, hierüber mit Kolleginnen und Kollegen in einen Gedankenaustausch einzutreten, ist das legitim. Nur, eine Entscheidung, gar im Sinne eines Runderlasses, wie „Der Spiegel" unzutreffend berichtet, ist das natürlich nicht.
Frau Kollegin Buntenbach, bitte.
Ich möchte gerne wissen, wie die Bundesregierung, da dieses Papier versandt worden ist, die Aussage beurteilt, daß das Auswärtige Amt Panikmache betreibt, wenn in dem Papier davon gesprochen wird, daß - ich zitiere — „Hunderttausende in der Warteschlange" seien und beabsichtigten, Anträge zu stellen.
Die sehr hohe Zahl und die damit verbundene Panikmache ist auf einen Irrtum zurückzuführen, der
Staatsminister Dr. Werner Hoyer
sich in einer Protokollnotiz befindet. Diese wiederum gründet sich auf eine Besprechung im Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen am 12. März dieses Jahres. In dieser Besprechung wurde in Anwesenheit von Vertretern des Zentralrats und der Zentralen Wohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland nach der Gesamtzahl der auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion lebenden Juden gefragt. Die vom Vertreter des Auswärtigen Amtes hierauf angegebene geschätzte Zahl von 2 bis 3 Millionen, die auch von staatlichen und jüdischen Stellen in der GUS genannt wird, wurde im Protokoll fälschlicherweise als die Zahl der potentiellen Umsiedler bzw. Zuwanderer wiedergegeben. Dieses Protokoll ist mittlerweile berichtigt worden. Die Vertreter des Zentralrats haben sich in der Besprechung zu den Zahlen übrigens nicht geäußert.
Kollege Schily.
Herr Staatsminister, hat Herr Außenminister Kinkel einmal versucht, mit seinem Kabinettskollegen Spranger die unterschiedlichen Auffassungen miteinander in Einklang zu bringen, oder hat er dafür im Moment keine Zeit?
Für wichtige Aufgaben hat der Bundesminister des Auswärtigen immer Zeit, insbesondere wenn es darum geht, mit einem geschätzten Kabinettskollegen solche sensiblen Fragen abzustimmen. Ich kann Ihnen aber nicht sagen, ob es persönliche Gespräche der beiden darüber gegeben hat.
Kollege Brecht.
Herr Staatsminister, unabhängig von dem Gewicht des Papieres, über das wir jetzt hier streiten, darf ich Sie fragen, ob Sie sich meiner Meinung anschließen, daß, bevor es zu irgendeinem Zeitpunkt zu einer Veränderung der Einwanderungsregelungen käme, der Zentralrat der Juden, aber auch die israelische Regierung konsultiert werden sollten.
Herr Kollege, es ist vollkommen klar, daß die enge Abstimmung mit dem Zentralrat der Juden in dieser Frage weitergehen muß und weitergehen wird - sie findet übrigens kontinuierlich statt - und daß der Zentralrat der Juden, nicht zuletzt der Vorsitzende, Ignatz Bubis, selber ein sehr starkes Interesse daran hat, daß diese Vereinbarung mit der Bundesregierung nicht mißbraucht wird. Das heißt, die Miß-brauchsbekämpfung müssen wir dem Zentralrat der Juden keineswegs abtrotzen, sondern das liegt im gemeinsamen Interesse.
Kollege Özdemir.
Herr Staatsminister, treffen Informationen zu, daß dieses Papier auch an israelische Stellen gegangen ist, und
wenn ja, mit welchem Ziel, und wäre die Bundesregierung angesichts des großen Verteilers, an den dieses Papier ging, möglicherweise gewillt, dieses Papier auch dem Parlament zur Verfügung zu stellen?
Wir haben dieses Papier als ein internes Papier der Bundesregierung behandelt. Es ist in einem Verteiler an die Auslandsvertretungen gegangen, der sicherstellt, daß dieses Papier nicht jedermann zugänglich ist, auch nicht jedem Mitarbeiter der Auslandsvertretungen. Von daher haben wir kein Interesse daran - unabhängig von der Frage, wie irgend jemand von außerhalb an dieses Papier herangekommen sein mag, wie es „Der Spiegel" geschafft hat -, diesem Papier höhere Bedeutung zu verleihen, indem wir es sozusagen an die ganze Welt verteilen.
Frau Kollegin Schönberger.
Ich sehe davon ab, daß das Parlament nicht „die ganze Welt" ist.
Sie haben es eben so dargestellt, als sei dieses Papier an die Auslandsvertretungen verschickt worden, um die Frage der Mißbrauchsbekämpfung zu thematisieren. Wenn aber am Ende steht, daß wir „bei passender Gelegenheit" die Grundsatzfrage stellen sollten, und sich das 1995 nicht angeboten hat, weil durch den 50. Jahrestag des Kriegsendes die Erinnerung an den Holocaust in besonderer Weise gegeben war, kann das dann nicht von den Auslandsvertretungen so verstanden werden, daß von Ihrer Seite durchaus der Wille besteht, diese Grundsatzdiskussion anzustoßen, um im Laufe der nächsten Monate oder Jahre zu einer grundsätzlichen Änderung zu kommen? Warum würde dieser Ausblick auf die Grundsatzdiskussion dort sonst stehen?
Nein, das sehe ich überhaupt nicht so. Ich halte es, wie gesagt, für legitim, daß sich Beamte des Hauses Gedanken über solche Fragen machen und sie auch untereinander austauschen. Aber die politische Entscheidung in dieser Frage ist eben nicht offen. Der Bundesminister, Klaus Kinkel, hat in dem Moment, als er dieses Papier sah, verfügt, daß in dieser Angelegenheit nichts ohne seine Zustimmung zu geschehen hat. Die Angelegenheit ist für die Bundesregierung in der Sache entschieden.
Frau Kollegin DietertScheuer, bitte.
Ich möchte aus dem reichen Fundus meiner
Amke Dietert-Scheuer
Beispielfälle aus dem Petitionsausschuß schöpfen und daher folgende Fragen stellen:
Erstens. Ist es bei dem Aufnahmeverfahren ein übliches Kriterium, ob beide Elternteile oder nur ein Elternteil jüdischer Herkunft ist? Wenn ja, gibt es einen Unterschied, ob es Vater oder Mutter ist?
Zweitens. Ist es ein Kriterium, daß der Auswanderungswillige eine Verfolgung oder Diskriminierung nachweist, nicht nur behauptet? Einen solchen Fall hatten wir gerade im Petitionsausschuß. Mit der Begründung, eine Diskriminierung sei nicht nachgewiesen worden, wurde eine Zuwanderungsbewilligung versagt.
Diese Frage kann ich nicht beantworten. Ich bin aber gerne bereit, Ihnen den Kriterienkatalog zu übersenden, damit Sie sich selber ein Bild machen können. Ich kann mich gerade bei der ganz entscheidenden Frage, ob ein bestimmter Sachverhalt nachgewiesen oder nur behauptet werden muß, nicht auf unsicheres Gelände begeben.
Keine weiteren Zusatzfragen zur Frage 29.
Dann rufe ich die Frage 30, ebenfalls gestellt vom Kollegen Volker Beck, auf:
Wie reagiert die Bundesregierung vor dem Hintergrund dieses Papiers des Auswärtigen Amtes auf die Behauptung, die gegenwärtige Einwanderungsregelung für Juden aus der GUS führe zu einer Belastung der deutschen Rentenversicherungsträger?
Bitte, Herr Staatsminister.
Herr Kollege Beck, die deutsche Rentenversicherung erbringt grundsätzlich nur dann Leistungen, wenn sie Beiträge hierfür erhalten hat. Ausnahmen gibt es nach dem deutschen Rentenrecht zum Beispiel dann, wenn die Voraussetzungen für die Anwendung des Fremdrentengesetzes erfüllt sind oder ein internationales Sozialversicherungsabkommen entsprechende Regelungen enthält. Da die Bundesrepublik Deutschland mit den Nachfolgestaaten der ehemaligen UdSSR bisher noch keine Sozialversicherungsabkommen abgeschlossen hat, kommt bei den von Ihnen angesprochenen jüdischen Einwanderern als Anspruchsgrundlage für Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung nur das Fremdrentengesetz in Frage.
Hauptgruppe der nach dem Fremdrentengesetz Begünstigten sind die anerkannten Vertriebenen und Spätaussiedler nach dem Bundesvertriebenengesetz. Außerdem können sich Ansprüche ergeben für Personen, die bis zu dem Zeitpunkt, in dem der nationalsozialistische Einflußbereich sich auf ihr jeweiliges Heimatgebiet erstreckt hat, 1. dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört haben, 2. das 16. Lebensjahr bereits vollendet hatten oder im Zeitpunkt des Verlassens des Vertreibungsgebietes dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört haben und 3. sich wegen ihrer Zugehörigkeit zum Ju-
dentum nicht zum deutschen Volkstum bekannt hatten und die Vertreibungsgebiete nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 des Bundesvertriebenengesetzes verlassen haben.
Darüber hinaus können Verfolgte im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes nach § 20 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung, die lediglich deswegen nicht als Vertriebene anerkannt sind oder anerkannt werden können, weil sie sich nicht ausdrücklich zum deutschen Volkstum bekannt haben, Vertriebenen im Sinne des Fremdrentengesetzes gleichgestellt werden.
Nach den vorliegenden Erkenntnissen erfüllen die von Ihnen angesprochenen jüdischen Einwanderer diese in der Regel nicht. Soweit in Einzelfällen die Voraussetzungen erfüllt sind, ist es mit den Regelungen des Fremdrentengesetzes gerade beabsichtigt, Leistungen aus den im Herkunftsgebiet zurückgelegten Zeiten mit zu berücksichtigen.
Um die rentenrechtliche Gleichstellung der Juden aus dem deutschen Sprach- und Kulturkreis mit den deutschen Aussiedlern zu erreichen, wurden sie im Rahmen des Rentenreformgesetzes 1992 mit Wirkung vom 1. Juli 1990 in das Fremdrentengesetz einbezogen.
Zusatzfrage.
Vielen Dank, Herr Staatsminister, für diese Ausführungen. Das entspricht auch weitgehend meinem Kenntnisstand.
Ich frage mich aber: Auf welches rentenrechtliche Problem wollte Minister Spranger mit seiner Äußerung hinweisen, es könnte sich durch die jüdische Zuwanderung ein Problem für die deutsche Rentenversicherung ergeben? Oder hat das Auswärtige Amt Herrn Spranger diese Tatsachen, die Sie uns hier vorgetragen haben, mittlerweile insoweit zur Kenntnis gebracht, daß er seine Ausführungen damals, die durchaus geeignet sind, Stimmung gegen jüdische Einwanderer zu machen, zurücknimmt?
Ich glaube, die Fakten in diesem Zusammenhang sind bekannt und sollten vielleicht noch bekannter gemacht werden.
Bei allen rentenrechtlich relevanten Fragen kommt es entscheidend darauf an, wie die Altersstruktur der betreffenden Personen ist. Da kann sich sowohl eine Belastung des Rentensystems entsprechend dem Fremdrentengesetz als auch eine Entlastung ergeben, wie wir es in vielen anderen Fällen auch haben. Von daher warne ich sehr vor pauschalen Äußerungen zu diesem Thema.
Zweite Zusatzfrage.
Würden Sie mir denn insoweit zustimmen, daß angesichts der Abkommen, die wir kürzlich mit Israel und
Volker Beck
den USA zum Fremdrentengesetz und zur Frage osteuropäischer Juden, die dem deutschen Kulturkreis zugehören, getroffen haben, eine Belastung deutscher Rentenversicherungsträger in diesen Fällen bei der Auswanderung von Juden in die Bundesrepublik Deutschland oder nach Israel und in die USA nicht unterschiedlich ausfällt? Dies sind ja die drei Hauptauswanderungsländer für Juden aus dem Gebiet der GUS.
Man muß jetzt sehr in die Details einsteigen, was die unterschiedlichen Rentenansprüche im Zusammenhang mit den unterschiedlichen Zielorten der betreffenden Personen angeht. Weiterhin muß man eine Unterscheidung nach der Altersstruktur der Betroffenen machen. Insofern ist eine pauschale Aussage hier nicht möglich.
Es ist häufig etwas voreilig, im Zusammenhang mit Übernahmen ins Fremdrentengesetz irgendwelche rentenrechtlichen Schlußfolgerungen zu ziehen bzw. Belastungen für die Rentenversicherungen aufzubauen.
Frau Kollegin Schönberger.
Ich hätte gerne gewußt, wie viele derjenigen, die hier einwandern, tatsächlich rentenberechtigt sind, wie viele also prozentual Leistungen aus der Rentenversicherung beziehen, und ob die Tendenz steigend oder fallend ist.
Die Fragen kann ich so nicht beantworten. Ich bin aber gerne bereit, Ihnen die exakten Daten zu liefern.
Weitere Zusatzfragen werden nicht gestellt.
Dann rufe ich die Frage 31 des Kollegen Cem Özdemir auf:
Hält die Bundesregierung den Autor des Papiers des Auswärtigen Amtes zur Revision der Einwanderungsregelung für Juden aus der GUS für weiter tragbar, der in seinem Papier gegen die Einwanderung von Juden nach Deutschland argumentiert?
Ich bitte, Herr Staatsminister, um Beantwortung.
Herr Kollege Özdemir, in der Sache habe ich zu dem Papier das Notwendige schon gesagt. Es handelt sich in der Tat keineswegs um einen Runderlaß, sondern um eine interne Informationsvorlage, Diskussionsgrundlage ohne operativen Charakter.
Die darin als offen beschriebene politische Frage ist beantwortet. Insbesondere wird in dem Papier, das bei uns im Hause entstanden war und diese Formulierung enthielt, nicht gegen die Einwanderung von Juden nach Deutschland argumentiert. Das ist, glaube ich, wichtig festzuhalten.
Von daher erübrigt sich die Beantwortung der Frage, sofern sie sich auf Konsequenzen gegenüber der angesprochenen Person bezieht.
Zusatzfrage.
Ihre Äußerungen waren, glaube ich, sehr wichtig, um hier einiges geradezustellen, da hier ein falscher Eindruck entstanden ist.
Aber ich möchte schon die Frage stellen, ob die Bundesregierung für Herrn Dr. Born nicht eine angemessenere Verwendung hat, möglicherweise in der Registratur oder wo auch immer. Ich denke, daß es durchaus angemessen wäre, zu überlegen, ob nicht dienstrechtliche Schritte hier angebracht sind.
Für eine solche Angelegenheit hat die politische Führung den Kopf hinzuhalten. Bei dem genannten Mitarbeiter handelt es sich um einen ganz besonders geschätzten, erfahrenen und versierten Mitarbeiter, an dem keinerlei Kritik anzubringen ist.
Zweite Zusatzfrage.
Sieht die Bundesregierung, daß wegen des Verhaltens des Autors beim Zentralrat der Juden in Deutschland der Eindruck entstanden ist, daß es eine Art Kampagne gegen jüdische Zuwanderung gibt?
Ich kann mir das überhaupt nicht vorstellen, weü wir mit dem Zentralrat in einem ganz engen Kontakt stehen und standen. Auch im Hinblick auf die beteiligten Personen sind bisher in keiner Weise irgendwelche Mißverständnisse entstanden. Deswegen möchte ich schon die Andeutung eines solchen Eindrucks von vornherein vermeiden bzw. ausräumen.
Frau Kollegin Schönberger.
Auch wenn von Ihnen festgestellt worden ist, daß die Bundesregierung nicht daran denkt, diese Regelung zu ändern, sondern daß dieses Papier nur der Hinweis auf die Mißbrauchsbekämpfung gewesen ist, sind Sie dann nicht trotzdem der Meinung, daß dieses Papier, in dem man Sätze findet wie „Sehr viele der bei der Antragstellung auf Aufnahme vorgelegten Nachweise jüdischer Zugehörigkeit sind gefälscht" - das betrifft also die Regelungen zum Zuzug von jüdischen Mitbürgern in unser Land -, ein Szenario nach dem Motto „Es kommen ganz viele", „Es ist eigentlich gar nicht mehr angemessen" oder vor allen Dingen „Es handelt sich hauptsächlich um Menschen, die Mißbrauch mit dieser Regelung treiben" schafft?
Frau Kollegin, ich wehre mich in der Regierung, im Parlament und in der Öffentlichkeit - wo auch immer - massiv dagegen, daß diese Dinge zu irgendeiner Form von Stimmungsmache mißbraucht werden. Diese Gefahr sehe ich bei einem solch sensiblen Thema stets. Ich denke, wir sind gut beraten, uns einem solchen Versuch der Stimmungsmache entgegenzustellen. Ich halte es für völlig unvertretbar, ein solches Thema in dieser Weise zu mißbrauchen. Deswegen herrscht von der Sache her absolute Klarheit.
Es ist allerdings auch im Interesse der Betroffenen - die sind nach wie vor in der Not, daß sie gegebenenfalls zu uns kommen müssen und, wenn sie die Voraussetzungen erfüllen, auch dürfen -, daß sichergestellt wird, daß kein Mißbrauch stattfindet. Wenn in einem solchen internen Papier steht, daß es sehr viel Mißbrauch gibt - das ist leider der Fall dann ist das ein Hinweis an unsere Außenvertretungen, die sich mit dieser Frage zu beschäftigen haben, präzise darauf zu achten, daß es keinen Mißbrauch gibt, weil der gerade diejenigen in Mißkredit bringen würde, die die Ansprüche aus dieser Vereinbarung mit vollem Recht geltend machen. Deswegen bin ich an folgendem besonders interessiert: keine Stimmungsmache in dieser Angelegenheit und konsequente Bekämpfung des Mißbrauchs.
Kollege Beck.
Angesichts der Ausführungen, die Sie gerade gemacht haben, wonach diesem Papier falsche Zahlen zugrunde gelegt wurden, frage ich mich, wie es zu den Ausführungen des Ministers Spranger in diesem Zusammenhang kommen konnte, die im Juni gemacht wurden. Damals wurde von 800 000 einwandernden Juden allein aus der Ukraine gesprochen. Wie beurteilt die Bundesregierung die These von Herrn Spranger, eine Einwanderung von Juden aus der GUS sei außenpolitisch nicht tragbar, da Israel Heimstatt der Juden sei? Das frage ich insbesondere vor dem Hintergrund der Auswirkungen für die Juden, die in Deutschland leben und die deutsche Staatsbürger sind, und der Diskussion, die wir erst vor einigen Wochen oder Monaten anläßlich des Besuches von Herrn Weizmann zwischen dem Zentralratsvorsitzenden und dem Vorsitzenden der Bundeszentrale für politische Bildung hatten, der Herrn Bubis zu der Rede seines Präsidenten gratuliert hat und damit - sozusagen immanent - gedanklich ausgebürgert hat.
Was Sie zum Schluß angesprochen haben, ist natürlich ein bedauerliches Verhalten, was in dieser Republik immer wieder zu beobachten ist und wogegen sich niemand mehr und konsequenter wendet als Ignatz Bubis selbst. Wir sollten das in gleicher Weise tun.
Das Papier, das den ganzen Sturm ausgelöst hat, sagt über solche „Horrorzahlen" überhaupt nichts
aus. Diese basieren offensichtlich - laut dem Bericht im „Spiegel" - auf dem falschen Protokoll der Besprechung im Ministerium in Düsseldorf. Dieses Protokoll ist korrigiert; von daher sollte man das herunterzonen. Ich appelliere an alle, bei diesem Thema kühlen Kopf zu bewahren.
Daß im Hinblick auf die Bewertung der politischen Position Israels in dieser Frage auch Meinungsunterschiede bestehen können, ist doch ganz klar. Israel hat ein natürliches Interesse daran, daß die genannten Personen möglichst alle nach Israel kommen. Aber diese Personen wollen zum großen Teil nicht nach Israel gehen, sondern nach Deutschland kommen. Wer wären wir eigentlich mit unserer Geschichte, wenn wir dazu nein sagen würden? Von daher gibt es hier eine Interessenkonkurrenz zwischen Israel und der Bundesrepublik, was wir auf freundschaftlichem Wege aufzulösen versuchen; denn es kann auf keinen Fall sein, daß wir denjenigen, die ihren Antrag mit gutem Grund stellen, die Einreise verweigern.
Kollege Vergin.
Herr Staatsminister, bei mir ist jetzt der Eindruck entstanden, daß Sie bei diesem Komplex eigentlich nicht für die Bundesregierung hätten antworten sollen. Ich habe den Eindruck, daß Herr Staatsminister Spranger hören müßte, was Sie hier zum vorsichtigen Umgang mit diesem Problem gesagt haben. Deswegen frage ich Sie, nachdem Sie hier erklärt haben, Sie wüßten nicht, ob zwischen Herrn Kinkel und Herrn Spranger ein Gespräch stattgefunden habe: Halten Sie es nicht für dringend notwendig, auf jeden Fall sicherzustellen, daß zwischen diesen beiden Herren ein Gespräch stattfindet?
Ich denke, daß die Dichte der Kommunikation zwischen den verschiedenen Bundesministerien, auch zwischen diesen beiden Ministern, überhaupt nicht in Frage steht. Wenn es da noch irgendwelchen Gesprächsbedarf gibt, wird einer von beiden ihn schon anmelden.
Weitere Zusatzfragen dazu werden nicht gestellt.
Dann rufe ich die Frage 32 auf, die ebenfalls von unserem Kollegen Cem Özdemir kommt:
Bei welcher „passenden Gelegenheit" wird die Bundesregierung die Einwanderungsregelung für Juden aus der GUS abschaffen oder beschränken?
Ich bitte um Beantwortung, Herr Staatsminister.
Implizite ist die Frage beantwortet. Die Absprache über die Zuwanderung jüdischer Bürger aus der früheren Sowjetunion zwischen dem Bundeskanzler, dem Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in
Staatsminister Dr. Werner Hoyer
Deutschland und den Ministerpräsidenten der Länder gilt unverändert fort.
Zusatzfrage?
Wie beurteilt die Bundesregierung die Aussage, das Auswärtige Amt betreibe Panikmache? Ich darf zitieren: Hunderttausende seien in der Warteschlange und beabsichtigten, Anträge zu stellen. Die Einwanderung führe nur in vermindertem Umfang zur Stärkung jüdischer Gemeinden. - Hier liegen uns andere Informationen vor. - Juden würden in GUS-Staaten nicht mehr verfolgt und diskriminiert. - Und das angesichts des Hintergrunds, der aktuell noch Gültigkeit besitzt, von Pamijat, Schirinowski und anderen, die wir alle in der Öffentlichkeit mit großer Besorgnis verfolgen.
Das letzte Argument wird von mir überhaupt nicht geteilt. Wir sind angesichts unserer Geschichte in einer ganz klaren Verantwortung, der wir gerecht werden müssen, indem wir an der Bestandskraft dieser Vereinbarung keinen Zweifel aufkommen lassen. Daß wir es mit großen Zahlen zu tun haben und dementsprechend auch mit großen Zahlen von Mißbrauch, ist unbestritten. Es ist keine Panikmache, wenn man das in einem internen Papier schreibt; denn daraus resultiert zum einen die Aufforderung, diese politisch sehr heikle Angelegenheit besonnen durchzusteuern, und auf der anderen Seite da konsequent die Argumente auszuräumen, die von denjenigen, die das nicht wollen, immer wieder leicht ins Feld geführt werden können, weil sie mit dem Mißbrauch argumentieren und nicht mit dem wohlverstandenen Interesse derer, die mit gutem Grund die Einreise in die Bundesrepublik verlangen.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, gibt es gegenüber dem Zentralrat der Juden in Deutschland eine offizielle Äußerung von seiten der Bundesregierung in Sachen Einwanderungsregelung für Juden aus Osteuropa, und, wenn ja, wie lautet diese offizielle Erklärung?
Ich kann nicht beantworten, ob es eine offizielle Äußerung gibt. Wir sind im engen ständigen Kontakt. Insofern kann es durchaus auch ein offizielles Papier geben. Aber aus sehr vielen persönlichen Gesprächen mit dem Zentralratsvorsitzenden ist mir klar, daß hier zwischen dem Auswärtigen Amt und dem Vorsitzenden des Zentralrats keine Meinungsunterschiede bestehen, die es erforderlich machen würden, irgendwelche Papiere durch die Gegend zu schicken.
Herr Kollege Beck.
Sind Sie denn bereit, sich im Namen der Bundesregierung grundsätzlich ohne Wenn und Aber auch zu der zukünftigen Fortsetzung dieser Einwanderungsregelung für Juden aus der GUS zu bekennen? Unter „grundsätzlich" verstehe ich die Zusagen gegenüber dem Zentralrat der Juden in Deutschland, daß es sich um eine zeitlich und von den Zahlen her unbegrenzte Regelung handelt. Will die Bundesregierung wie wir, daß dieser Rahmen der Regelung neben der von uns durchaus nicht in Frage gestellten Absicherung eines ordentlichen Verfahrens und der Bekämpfung eventueller Mißbräuche auf jeden Fall erhalten bleibt?
Von Überlegungen, hier etwas zu ändern, ist mir nichts bekannt. Von daher kann ich Ihre Frage mit Ja beantworten.
Bitte, Frau Kollegin.
Wie bewertet die Bundesregierung die Aussage im Papier von Dr. Born, daß nur etwa 20 Prozent der aus der GUS in Deutschland eingewanderten Juden auf Dauer Mitglieder der jüdischen Gemeinden würden? Ist beabsichtigt, auf diese Weise einen Hinweis auf Mißbrauchstatbestände zu geben, mit der Unterstellung, daß nur 20 Prozent der Anträge überhaupt gerechtfertigt seien?
Hält die Bundesregierung das für ein geeignetes Kriterium, vor allen Dingen vor dem Hintergrund, daß eine Diskriminierung von Juden in der GUS sich sicherlich nicht nur daran festmacht, ob diese Menschen religiöse Bindungen haben?
Vor Fehlschlüssen aus solchen Zahlen ist zu warnen.
Zum einen ist natürlich richtig, daß es jüdische Gemeinden gibt, die aus verständlichen Gründen beklagen, daß von der Zahl X der Personen, die in ihrem Gemeindebereich leben, sich nur so wenige zur Gemeinde bekennen bzw. sich dort anmelden. Das mag verständlich sein.
Zum anderen ist es für jeden Bürger, egal woher er kommt und welchem religiösen Umfeld er angehört, legitim, sich, wenn er in Deutschland seinen Platz gefunden hat, zu seiner Religionszugehörigkeit zu bekennen oder nicht.
Ich lege großen Wert darauf, daß man aus der Zahl „20 Prozent" nicht die falschen Schlüsse zieht.
Werden weitere Zusatzfragen dazu gewünscht? - Dies ist nicht der Fall.
Dann rufe ich die Frage 33, die der Kollege Freimut Duve gestellt hat, auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die Vorgänge um das Institut für Auslandsbeziehungen für das Ansehen unserer auswärtigen Kulturpolitik im Ausland, und welche konkreten
Vizepräsident Hans Klein
Maßnahmen will die Bundesregierung ergreifen, um der Gefahr eines Vertrauensverlustes, die durch die Vorgänge um das IfA hervorgerufen wurde, zu begegnen?
Ich bitte um Beantwortung, Herr Staatsminister.
Kollege Duve, die Bundesregierung ist natürlich über die Entwicklung der letzten Monate im IfA besorgt. Sie hat seit Bekanntwerden der Vorwürfe gegen den Generalsekretär auf ihre schnelle und rückhaltlose Aufklärung hingewirkt. Sie trägt durch ihre aktive Mitarbeit in den Aufsichtsgremien dazu bei, die Arbeitsfähigkeit des Instituts und sein hohes Ansehen im In- und Ausland zu gewährleisten.
Die eingeleiteten Maßnahmen, die zur strukturellen Verbesserung in der Institutsarbeit führen sollen - Änderungen in der Geschäftsordnung, der Satzung und in den Arbeitsabläufen -, werden von der Bundesregierung unterstützt.
Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, könnten Sie bitte noch etwas genauer sagen, in welcher Form und durch welche Personen die Mitwirkung an der Umkonstruktion durch die Bundesregierung zur Zeit erfolgt?
Die Bundesregierung hat neben anderen eine wesentliche Verantwortung für das Institut. Sie versucht ihr dadurch gerecht zu werden, daß Mitarbeiter der Bundesregierung in den entsprechenden Gremien vertreten sind.
Im Vorgriff auf Ihre nächste Frage sage ich Ihnen schon jetzt, daß wir natürlich im Vorstand vertreten sind, und zwar durch den zuständigen Ministerialdirigenten der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes, und darüber hinaus auch im Verwaltungsrat durch drei Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes, des Innenministeriums und des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung. Zudem ist mein Kollege Staatsminister Pfeifer schon in vorangegangener Tätigkeit, also nicht in seiner Eigenschaft als Staatsminister beim Bundeskanzler, von der Mitgliederversammlung des IfA in den Verwaltungsrat gewählt worden.
Das heißt: Diese Personen, die von uns dorthin delegiert bzw. in den Verwaltungsrat gewählt worden sind und zugleich der Bundesregierung angehören, haben natürlich die Aufgabe, auf die weitere Entwicklung der IfA, die uns, wie gesagt, Sorgen macht, zu achten bzw. sie mitzugestalten.
Zweite Zusatzfrage.
Wie ist es denn möglich, daß sich bei einer so eindrucksvollen Präsenz von Mitarbeitern und Mitgliedern der Bundesregierung in den Aufsichtsgremien diese von Ihnen als sehr bedauerlich und sehr befremdlich empfundenen Vorgänge jetzt über ein halbes Jahr hinziehen und bisher über-
haupt noch nicht abzusehen ist, in welche Richtung die geplanten Änderungen gehen sollen?
Wenn das Institut sozusagen zu 100 Prozent im Geschäftsbereich der Bundesregierung und des Auswärtigen Amtes läge und man entsprechenden Einfluß nehmen könnte, wäre vielleicht alles leichter. Sie wissen um die komplizierte Rechtskonstruktion, die dem Institut zugrunde liegt, um die Eifersüchteleien und persönlichen Probleme, die da sehr stark hineinspielen, was aus Sicht der Bundesregierung nicht immer nur erfreulich ist.
Kollege Vergin.
Der Kollege Duve hat nach der Gefahr des Vertrauensverlustes gefragt. Wie bewerten Sie den Vorgang, daß die Universität von New Mexico die bereits bestehenden Beziehungen zum Institut abgebrochen hat? Und reicht es tatsächlich aus, nur über die innere Neugestaltung dieses Instituts durch Beirats Veränderung, Verwaltungsratsänderung zu reagieren? Denn der Verlust des Vertrauens in dieses Institut erfolgt ja nicht durch die Gremien als solche, sondern durch die Personen, die dieses Institut nach außen vertreten. In dem Bereich hört man überhaupt noch nichts, wie das Problem gelöst werden soll, daß das Institut von außen her wieder als eine sehr traditionelle und sehr wichtige Einrichtung der auswärtigen Kulturpolitik betrachtet wird.
Herr Kollege Vergin, Sie legen den Finger exakt in die Wunde. Dieses Institut braucht auch draußen im Ausland Anerkennung und Wertschätzung. Die Voraussetzung muß auch dadurch erbracht werden, daß die Vorfälle, die es dort gegeben hat, voll aufgeklärt werden, daß dort Strukturen eingezogen werden, die so etwas in Zukunft unmöglich machen.
Das setzt allerdings voraus, daß sich alle Träger an dieser Arbeit beteiligen. Die Vertreter der Bundesregierung in den Gremien des Instituts sind auf jeden Fall dazu in vollem Umfang bereit.
Was die Kündigung der Zusammenarbeit mit der University of New Mexico betrifft, die ich sehr bedauere, weil die Summer Academy dort sicherlich eine ganz besonders interessante Plattform für eine Zusammenarbeit geboten hat, so muß festgehalten werden, daß Herr Professor Pabisch bereits vor Bekanntwerden der Vorwürfe gegen das Institut Mitte Oktober letzten Jahres dem Institut die Kündigung mitgeteilt hat. Er hat Anfang des Jahres gegenüber dem Vorstandsvorsitzenden des IfA diese Kündigung der Zusammenarbeit zurückgezogen und ist dann, nachdem die ganze Sache hier eine solche Publizität gewonnen hat, zu seiner ursprünglichen Kündigungsabsicht zurückgekehrt.
Kollege Hilsberg.
Wie beurteilen Sie, Herr Hoyer, angesichts der Skandale und Skandälchen um die IfA und des Vertrauensverlustes, den die IfA für die Bundesrepublik zu verantworten hat, den Plan der Bundesregierung, jener Organisation der IfA einen Platz im Rundfunkrat der Deutschen Welle zuzuweisen?
Ich bin überfragt. Ich werde die Frage gern schriftlich beantworten. Ich höre das Argument hier zum ersten Mal.
Kollege Grotz.
Herr Staatsminister, gehen Sie mit mir einig, daß ein Teil des heute hier beklagten Vertrauensverlustes des Instituts für Auslandsbeziehungen in Stuttgart auch daraus resultiert, daß es im einzelnen gar nicht mehr um die Vorwürfe geht, die ursprünglich sehr gezielt und sehr weitgehend gegen den Generalsekretär gingen, aber mittlerweile von den Aufsichtsgremien ja insofern verneint wurden, als es eben zu keinen arbeitsrechtlichen Konsequenzen führen kann, sondern daß es sich schon mehr um eine Art Selbstläufer und auch Inszenierung handelt?
Ja.
Weitere Zusatzfragen zur Frage 33 werden nicht gestellt.
Wir kommen zur Frage 34 des Kollegen Freimut Duve:
Warum hat die Bundesregierung in der Antwort auf meine Frage 67 in Drucksache 13/4908, wen die Bundesregierung als Mitglied von Vorstand und Verwaltungsrat des IfA entsandt hat, nur Ministerialdirigent Klaus Bald, Auswärtiges Amt, als Mitglied im Vorstand des IfA genannt, und trifft die Vermutung zu, daß auch Staatsminister Anton Pfeifer Mitglied in einem der Gremien des IfA ist?
Bitte.
Es trifft zu, daß die Bundesregierung im Vorstand allein mit Herr Ministerialdirigenten Bald vertreten ist. Die Ursprungsfrage wurde versehentlich nur auf den Vorstand und nicht auf den Verwaltungs-rat bezogen. Im Verwaltungsrat sitzen für die Bundesregierung zusätzlich Herr Dr. Hiller vom Auswärtigen Amt, Frau Dr. Peters vom Bundesministerium des Innern und Herr Dr. Pflaumer vom Presse- und Informationsamt. Staatsminister Pfeifer gehört dem Verwaltungsrat ebenfalls an, aber er ist bereits vor seiner Berufung in die Bundesregierung von der Mitgliederversammlung des IfA in den Verwaltungsrat gewählt worden.
Zusatz.
Diese personelle Präsenz deutet auf eine sehr viel engere Wahrnehmungsfähigkeit
der Bundesregierung gegenüber Vorgängen in diesem Institut und den grundsätzlichen Entscheidungen des Instituts hin, als durch Ihre Beantwortung der Frage meines Kollegen von der CDU deutlich wird, in der Sie seine Vorstellungen, es sei eine Inszenierung und ein Selbstläufer in sechs Monaten, mit Ja beantwortet haben. Das heißt, die Präsenz all dieser Persönlichkeiten, die Sie eben genannt haben, hat etwas mit dem Selbstläufertum zu tun. Oder nicht?
„Oder nicht?" war die Frage?
„Oder nicht?" war die Frage.
Eher nicht, Herr Kollege. Aber noch so hervorragende Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes und anderer Bundesministerien können natürlich nicht verhindern, daß auch in den Verwaltungsräten solcher Institutionen manchmal merkwürdige Entscheidungen zustande kommen. Wir können immer nur versuchen, unseren Einfluß geltend zu machen. Er ist dann allerdings auch begrenzt. Dazu muß man sagen, daß in den Gremien in der Tat die Vorwürfe, die zum Beispiel gegenüber dem Generalsekretär gemacht worden sind, ausdrücklich nicht dazu geführt haben, daß die Aufsichtsgremien Konsequenzen gezogen haben. Auch das muß man zur Kenntnis nehmen. Wenn dann weiter so heftig auf der politischen Klaviatur gespielt wird, dann liegt bisweilen der Verdacht der Inszenierung nahe.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, hat es jemals in diesen letzten sechs Monaten ein Zusammentreffen der von Ihnen eben genannten Personen außerhalb der regulären Sitzungen mit dem Geschäftsführer oder dem Vorstandsvorsitzenden des IfA zum Zwecke einer Übereinkunft gegeben, ja oder nein?
Die Frage kann ich nicht beantworten. Ich bin gerne bereit, Sie mit den betreffenden Personen zusammenzubringen. Welche Formen der formellen wie informellen Kommunikation die von uns entsandten Verwaltungsratsmitglieder mit dem Vorsitzenden des Verwaltungsrates oder dem Generalsekretär pflegen, diese zu überwachen und dem Bundestag mitzuteilen, sehe ich nicht als meine Aufgabe an.
Kollege Vergin.
Sie haben darauf hingewiesen, daß dort sehr komplizierte Konstruktionsverhältnisse bestehen. Kann es sein, daß personalrechtliche Fragen im Augenblick noch nicht gelöst wurden, weil die personalrechtliche Hoheit nicht eindeutig bei dem größten Geldgeber für dieses Institut liegt,
Siegfried Vergin
sondern weil sie, soweit ich unterrichtet bin, bei der Landesregierung von Baden-Württemberg liegt?
Die Konstruktion ist in der Tat recht kompliziert. Sie haben es mit einer Kombination von Vorstand und Verwaltungsrat zu tun, insgesamt mit 47 Personen. Davon kommen vier aus dem Geschäftsbereich der Bundesregierung. Diese beiden Gremien haben gemäß Satzung übergeordnete fachliche Einwirkungs- und Kontrollbefugnisse, aber die Rechtsaufsicht liegt beim Lande Baden-Württemberg, dem Kultusministerium in Stuttgart.
Werden aus dem Kreis der Kolleginnen und Kollegen weitere Zusatzfragen gestellt? - Das ist nicht der Fall.
Dann rufe ich die Frage 35, gestellt vom Kollegen Siegfried Vergin, auf:
Warum wurde die Firma WIBERA mit der Sonderprüfung des Instituts für Auslandsbeziehungen beauftragt, obwohl die Firma selbst ihre Handlungsmöglichkeiten und Fachkompetenz von vornherein als eingeschränkt ansah, und wie sah der Auftrag im einzelnen aus?
Bitte, Herr Staatsminister, um Beantwortung.
Das Auswärtige Amt hat Ende Februar dieses Jahres gegenüber dem Vorstandsvorsitzenden Piazolo angeregt, eine private Wirtschaftsprüfungsgesellschaft mit der Untersuchung des Finanzgebarens des Instituts zu beauftragen. Die Auswahl der Gesellschaft sowie ihre Beauftragung erfolgten durch den Vorstandsvorsitzenden ohne Rücksprache mit dem Auswärtigen Amt.
Zusatzfrage.
Heißt das, daß Sie den zweiten Teil meiner Frage, wie der Auftrag im einzelnen aussah, auf Grund dieser Tatsache nicht beantworten können?
Pardon, das kann ich gern nachliefern. Entsprechend einem Schreiben der WIBERA AG an den Vorstandsvorsitzenden sollte sich der Auftrag auf die Untersuchung folgender Sachverhalte beziehen: erstens auf die Dienstreisepraxis des Generalsekretärs und bestimmter Mitarbeiter, zweitens auf die Überstundenabrechnung bei dem Institut, insbesondere bei den Planungsreferenten, drittens auf die Personalpolitik des Generalsekretärs, insbesondere Personaleinstellung, -eingruppierung und -beförderung, und viertens auf das Finanzgebaren der Rave-Stiftung. Das war der Prüfungsauftrag der WIBERA.
Zweite Zusatzfrage.
Wenn sich der Prüfungsauftrag hauptsächlich auf den Personalbereich bezogen hat: Können Sie uns sagen, ob die Prüffirma zu
dem Ergebnis kam, personalrechtliche Maßnahmen seien nicht notwendig?
Nach intensiver Diskussion der Ergebnisse des Berichts und ausführlicher Befragung des Berichtsverfassers ist der Vorstand am 10. Mai dieses Jahres zu jenem Ergebnis gekommen, das im Beschluß des Vorstandes zum Ausdruck kommt. Der Bericht hat im Vorstand nur eine einzige Gegenstimme gefunden.
Kollege Duve.
Herr Staatsminister, nachdem Sie meine ersten Fragen sehr kritisch beantwortet und dem IfA gegenüber selber eine kritische Haltung gezeigt haben: Muß ich der Beantwortung der letzten Frage meines Kollegen Vergin entnehmen, daß die Bundesregierung keinerlei Anlaß sieht, an der Spitze des IfA mit all ihren Mitteln auf eine personelle Veränderung zu drängen?
Die Bundesregierung ist - auch angesichts dieser sehr aufgeregten Diskussion über das IfA - sehr darum bemüht, dafür zu sorgen, daß in das Institut wieder Ruhe kommt und daß es seine Reputation wiedergewinnt, insbesondere auch im internationalen Kontext. Deswegen kann man nicht von vornherein irgend etwas ausschließen.
Wir tun dem IfA sicherlich keinen Gefallen, wenn wir den Kräften, die es eben auch gibt, nachgeben, die ständig versuchen, diesen Befriedungsprozeß und den Gestaltungsprozeß für die Zukunft durch öffentliche Diskussionen zu behindern und zu beeinträchtigen.
Wir sind sehr daran interessiert, daß die Vertreter von Bund, Land und Stadt gemeinsam die Sitzungen vorbereiten, die am 18. und 19. Juli stattfinden sollen. Die Bundesregierung hat dann allerdings keine weitergehende Einflußnahme als über ihr Stimmrecht in den jeweiligen Gremien.
Personelle Veränderungen hat es an der Spitze des Vorstandes gegeben. Der zurückgetretene Vorstandsvorsitzende will durch eine Mitgliederversammlung nun offenbar neue Fakten schaffen. Das warten wir in aller Gelassenheit ab.
Meine Kolleginnen und Kollegen, entgegen meiner Prognose dauert die Fragestunde gerade noch eine Minute. Wir sind aber noch nicht ganz fertig. Bevor ich die Fragestunde schließe, möchte ich gern die zweite Frage des Kollegen Vergin aufrufen und ihm die Möglichkeit zu Zusatzfragen geben.
Ich rufe die Frage 36 des Abgeordneten Siegfried Vergin auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Firma WIBERA bei der Sonderprüfung des IfA nicht allen Fragen nachgehen konnte, weil sowohl Unterlagen „nicht oder z. T. nur bruchstückhaft vorhanden" waren als auch die notwendige Unterstüt-
Vizepräsident Hans Klein
zung von seiten der Institutsleitung unterblieb, und welche Konseguenzen wird sie daraus ziehen?
Herr Staatsminister, ich bitte um Beantwortung.
Es trifft zu, daß der Prüfungsbericht der Firma WIBERA die in Ihrer Frage genannten Einschränkungen enthält. Nach intensiver Diskussion der Ergebnisse und - wie ich schon eben ausführte - nach intensiver Befragung des Berichtsverfassers von der Firma WIBERA ist der Vorstand am 10. Mai bei nur einer Gegenstimme zu seiner Bewertung gekommen. Er ist in diesem Zusammenhang, bei ebenfalls nur einer Gegenstimme, auch zu der Bewertung gekommen, daß - ich zitiere -
die auf Grund der bisherigen Untersuchungen festgestellten Tatsachen juristisch eine Kündigung von Generalsekretär Daweke nicht rechtfertigen.
Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ich hatte ja nicht nach Konsequenzen gefragt. Ich hatte vielmehr darauf hingewiesen, daß die Firma in ihrem Bericht mitgeteilt hat, daß Unterlagen nicht oder zum Teil nur bruchstückhaft vorhanden waren und daß die notwendige Unterstützung von seiten der Institutsleitung unterblieb. Haben Sie zur Vorbereitung auf Ihre Antwort diesen Komplex noch einmal untersucht?
Ja. Es ist ganz klar: Die Bundesregierung hat als wichtigster Geldgeber nachhaltiges Interesse daran, daß mit Steuergeldern sorgfältig und sparsam umgegangen wird und daß die entsprechende Rechnungslegung präzise und nachvollziehbar ist. Daher sind uns natürlich auch die Einschränkungen in dem Bericht des Wirtschaftsprüfers aufgefallen. Wenn das zuständige Aufsichtsgremium in der Beratung mit dem Wirtschaftsprüfer zu dem Ergebnis kommt - bei nur einer Gegenstimme daß auch aus der Tatsache, daß es Lücken gibt, keine Schlußfolgerungen im Hinblick auf weitergehende Vorwürfe an Personen zu ziehen sind, dann muß ich das zur Kenntnis nehmen.
Die Bundesregierung wird aber auch weiterhin darauf achten, daß im Hinblick auf die Rechnungslegung und die Überprüfbarkeit derselben beim IfA klare Verhältnisse herrschen.
Zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Vergin.
Heißt das, daß Sie im Augenblick eine weitere Prüfung durch den Bundesrechnungshof oder durch den Landesrechnungshof nicht für notwendig halten?
Dazu möchte ich jetzt nicht Stellung nehmen;
das geht momentan zu weit. Ich denke, daß wir dann, wenn irgendwelche Zweifel an der Rechnungslegung und Probleme ihrer Nachvollziehbarkeit aufkommen, gut beraten sind, nichts von vornherein auszuschließen. Allerdings wollen wir auch keine Verdächte wecken, indem wir irgend etwas in die Welt setzen, was einer konkreten Prüfung nicht standhält. Ich halte diese Frage für offen.
Danke, Herr Staatsminister. Ich schließe die Fragestunde und rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der SPD
Haltung der Bundesregierung zur Ausbildungsplatzsituation
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Franz Thönnes das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich eingangs dem für dieses Ressort verantwortlichen Minister, Herrn Rüttgers, zu seinem heutigen Geburtstag ganz herzlich gratulieren, genauso wie unserem Kollegen Bodo Seidenthal.
Geschenke gab es schon heute morgen, in Form von Protestunterschriften gegen die BAföG-Regelung. Präsente seitens der Wirtschaft in Form eines erfüllten Versprechens, genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen, gibt es leider noch nicht.
Die Aktuelle Stunde ist von der SPD beantragt worden, weil es um einen der wesentlichsten Investitionsbereiche unseres Wirtschaftsstandorts Deutschland geht, weil es um die Zukunft von Hunderttausenden von jungen Menschen geht. Die Aktualität ergibt sich aus den wieder einmal alarmierenden Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit und dem dramatischen Rückgang des Ausbildungsplatzangebotes, der sich für dieses Jahr wieder ankündigt.
So lauteten die Überschriften Mitte Juni in der Presse: „Jagoda beklagt zu kleines Lehrstellenangebot", „Lehrstellen werden immer knapper". Und selbst die Spitzen der CDU sind mittlerweile alarmiert und appellieren nahezu flehend an die Wirtschaft, doch endlich ihr Lehrstellenversprechen einzulösen oder auf die Tube zu drücken.
Dabei will ich die Gelegenheit nutzen, in dieser Debatte all denen zu danken, die in den letzten Monaten, in den letzten Wochen als Ausbildungsplatzentwickler, als Verbandsvertreter von Handwerkskammern und Handelskammern in den Betrieben für
Franz Thönnes
ein Mehr an Ausbildungsplätzen geworben und gestritten haben.
Ich will all den Teilen der Wirtschaft Dank sagen, die ausbilden. Ich will all denen Dank sagen, die ihr Angebot in den letzten Jahren erhöht haben. Hier gilt der Dank insbesondere den Handwerkern. Der Dank gilt auch all denjenigen, die erstmalig ausbilden, die sich bereit erklärt haben, diesen Schritt erstmals zu tun.
Aber genauso, wie ich diesen Dank formuliere, formulieren wir Kritik an all denjenigen, die ihre Ausbildungskapazitäten in den letzten Jahren zurückgefahren haben, die keine Ausbildungsplätze mehr anbieten, und an denjenigen, die sich ganz aus der Verantwortung zurückziehen, obwohl sie ausbildungsfähig sind. Wir formulieren Kritik an der Bundesregierung, die in den letzten Jahren die von uns immer wieder geäußerten Befürchtungen in den Wind geschlagen hat und nahezu blauäugig auf die Zusagen der Wirtschaft vertraut.
In den letzten vier Jahren ist nahezu jeder sechste Ausbildungsplatz in Deutschland gestrichen worden. Das Lehrstellenangebot sank 1993 um 9,1 Prozent, 1994 um 5,2 Prozent. Gerade junge Frauen waren davon überproportional betroffen; denn für sie sank das Angebot um 7 Prozent. 1995 war eine Reduzierung um 0,8 Prozent festzustellen, so daß am 30. September des letzten Jahres 25 000 junge Menschen unversorgt, ohne einen Ausbildungsplatz in der Statistik der Bundesanstalt für Arbeit registriert wurden.
Der Minister spricht von einer Trendwende. Das ist eine Einschätzung, die das Bundesinstitut für Berufsbildung überhaupt nicht teilt, sondern ganz im Gegenteil: In den nun vorliegenden Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit von Ende Mai spiegelt sich wider, daß es sich nicht um eine Trendwende handelt. Ende Mai werden 439 500 Bewerber registriert und nur 438 700 angebotene Ausbildungsplätze. Das ist ein Rückgang um 6 Prozent bei einer gleichzeitigen Nachfragesteigerung von 7,8 Prozent, und das, obwohl wir in diesem Jahr 620 000 Ausbildungsplätze benötigen.
Damit setzt sich eine Entwicklung fort, die das Bundesinstitut für Berufsbildung als viel tiefgreifender kennzeichnet, als wir sie in den bisherigen Rezessionen erfahren haben. Zunehmend werden Ausbildungsplätze in den Metallberufen, im Elektro- und Industriebereich vernichtet. Zunehmend stellen wir fest, daß vor dem Hintergrund radikalen Arbeitsplatzabbaus in vielen Bereichen der Industrie angeblich kein Bedarf an betrieblicher Ausbildung besteht.
Zunehmend stellen wir fest, daß sich falsches und kurzfristiges Kostendenken in der Wirtschaft breitmacht, und zunehmend stellen wir fest, daß sich Großbetriebe aus der Ausbildung verabschieden. Zunehmend erfahren wir eine verfehlte Politik im Bereich der Berufsausbildung, die die Folge einer ver-
fehlten Wirtschafts-, Steuer-, Finanz- und Arbeitsmarktpolitik ist. Dafür ist diese Bundesregierung verantwortlich.
Ich denke, der Herr Bundespräsident skizzierte in einer Rede am 21. Juni vor Führungskräften eines großen Energieunternehmens in Deutschland die Situation ganz konkret und auch sehr wahr. Er sagte:
Früher waren Entlassungen Beweis für die wirtschaftlichen Mißerfolge. Heute sind sie - zumindest für Aktienmärkte - zum Erfolgsausweis eines Unternehmens geworden.
Er sagte weiter:
Nicht Sozialpflichtigkeit, sondern schlichte Gewinnmaximierung und Kapitalvermehrung gelten nunmehr als bester Weg.
Auch für diese gesellschaftliche Entwicklung und für diese neue Wirtschaftsethik ist die Bundesregierung verantwortlich.
Die Zeit, Herr Kollege!
Wir wollen Ihnen deutlich machen, Herr Minister, daß es notwendig ist, daß Sie nun endlich handeln, daß Sie die Situation angehen und nicht bis zum 30. September warten, um mit eilig angefertigten Sonderprogrammen jungen Menschen zu helfen. Wir brauchen einen Minister, der sich um die Zukunft der jungen Menschen in diesem Lande kümmert, wir brauchen einen Zukunftsminister und keinen Last-minute-Minister.
Das Wort hat der Kollege Hollerith, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Jahr 1995 markiert die Trendwende bei den Lehrstellen in Deutschland.
Erstmals seit zehn Jahren haben wir wieder mehr Lehrstellen als im Vorjahr. Mit knapp 600 000 Ausbildungsplatznachfragern und 623 000 Ausbildungsplätzen konnte eine nahezu ausgeglichene Ausbildungsplatzbilanz erreicht werden.
Der Ausbildung im Betrieb kommt im Rahmen des dualen Systems der Berufsbildung besondere Bedeutung zu. Der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, Dr. Jürgen Rüttgers, sagte, sie sei der Kern und das Erfolgsrezept der deutschen Berufsausbildung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte an dieser Stelle die Gelegenheit nutzen, unserem Mi-
Josef Hollerith
nister herzlich zu seinem heutigen 45. Geburtstag zu gratulieren.
Es zeichnet ihn in besonderer Weise aus, daß er dem Parlament auch an seinem Geburtstag in dieser Aktuellen Stunde zur Verfügung steht.
Gleichwohl stehen die Ausbilder, denen diese Qualität der deutschen Berufsausbildung zu verdanken ist, die Unternehmer des Mittelstandes, die Handwerksmeister, der aktuellen Handhabung der Lehrlingsausbildung zunehmend skeptisch gegenüber. Nur noch ein Drittel der Betriebe bildet heute selbst aus. Die Gründe hierfür sind: unbefriedigende politische Rahmenbedingungen der Berufsausbildung, als dirigistische Maßnahmen empfundene Einflußnahmen des Staates auf die Berufsausbildung im Betrieb, geringe zeitliche Verfügbarkeit der Lehrlinge im Betrieb auf Grund des hohen Anteils außerbetrieblicher Ausbildung. All diese Probleme werden immer wieder an die Mandatsträger vor Ort herangetragen.
Daß die Bundesregierung mit dem Perspektivbericht zur beruflichen Bildung in diesem Frühjahr eine dringend notwendige Kursbestimmung im Bereich der Berufsbildungspolitik vorgenommen hat, ist erfreulich. Die Problematik wurde erkannt. Die Zeitanteile in der Ausbildung haben sich in Richtung Schule verändert, die Kosten für die Betriebe sind auch durch rechtliche Anforderungen gestiegen, die nicht mehr zeitgemäß sind. Die Ausbilder vor Ort stehen der Zielsetzung des Perspektivberichts zur beruflichen Bildung, den Kurs neu zu bestimmen und die Erfordernisse der Ausbildungsbetriebe stärker zu berücksichtigen, eher noch skeptisch gegenüber. Von einer zügigen, zielorientierten Umsetzung der Vorgaben der Bundesregierung wird daher ein entscheidender Motivationsschub für die Ausbilder ausgehen.
Geplante Maßnahmen der Bundesregierung zur Stärkung der Ausbildungsbereitschaft sind folgende: Die bisher einjährige Anrechnung des schulischen Berufsgrundbildungsjahres auf die betriebliche Ausbildungszeit soll auf sechs Monate verkürzt werden, eine darüber hinausgehende Anrechnung bleibt möglich. Bei über 100 Ausbildungsberufen mit derzeit rund 460 000 Auszubildenden ist seit 1995 die Modernisierung abgeschlossen oder im Gang. Sieben modernisierte Ausbildungsordnungen wurden bereits in Kraft gesetzt. 1996 werden 15 weitere hinzukommen. Bei rund 80 Berufen wird zur Zeit an der Modernisierung gearbeitet. Die Entwicklung neuer Berufe mit Zukunft in Beschäftigungsfeldern mit großen Wachstumspotentialen wird weiter vorangetrieben werden. Das Angebot an Ausbildungsberufen muß stärker differenziert werden, damit mehr Jugendliche mit Lernschwierigkeiten oder eher praktischen Begabungen Ausbildungschancen haben.
All diese Ankündigungen geben Grund zu Optimismus. Für eine effektive Umsetzung der Ziele sind aber auch die zielorientierte Zusammenarbeit und
ein Entgegenkommen der Kammern, Innungen und Verbände nötig. Mangelnde Kooperation zwischen den einzelnen verantwortlichen Gruppen, auch den Tarifpartnern, zwischen den für die Berufsausbildung Verantwortlichen in den Ministerien und in den Kammern und Innungen hat in der Vergangenheit das Zustandekommen ausbilderfreundlicherer Regelungen zum Teü vereitelt. Alle müssen in einem Boot arbeiten.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Antje Hermenau, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Kollege Hollerith, ich weiß nicht, in welchem Deutschland Sie wohnen, jedenfalls nicht im selben wie ich. Das muß man einmal klarstellen.
Wenn Sie hier von Trendwende sprechen und sagen, daß es mehr Lehrstellen gibt, dann meinen Sie natürlich nur den westdeutschen Teil. Zum zweiten muß man, wenn Sie von Verbesserung und Trendwende sprechen, darauf hinweisen, daß im letzten Jahr zwar eine Kraftanstrengung zu verzeichnen war und sich alle Mühe gegeben haben; aber das Problem ist doch, daß die Schulabgängerzahlen steigen werden, wir jede Menge Zweitbewerber haben und noch gar nicht klar ist, wer alles noch in der Warteschleife ist. Wie können Sie also davon ausgehen, daß mit den selbstverständlichen Begleitmaßnahmen schon jetzt alles erreicht worden ist? Ich finde das unmöglich. Damit erwecken Sie einen Eindruck, Herr Hollerith, der eindeutig nicht zutrifft.
Sie werfen Nebelkerzen. Sie sind nicht der einzige, der das tut. Auch der Herr Minister macht das. Da wird zum Beispiel erzählt, eine Umlagefinanzierung wäre verfassungswidrig. Dabei wissen eigentlich alle, die sich damit beschäftigt haben, daß sie damals aus formalen Gründen abgewiesen worden ist und das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil erklärt hat, daß eine solche Umlagefinanzierung zulässig ist und die Ausbildung auch Aufgabe der Wirtschaft und nicht Aufgabe des Staates ist.
Jetzt sage ich Ihnen einmal, wie der Anteil staatlicher, öffentlicher Mittel an der Ausbildung aussieht. Bei uns in Sachsen sind 76 Prozent, in Brandenburg 80 Prozent, in NRW 25 Prozent aller Lehrplätze staatlich teil- oder vollfinanziert. Wo ist denn da noch Ihre Dualität, von der Sie immer sprechen?
Entweder schaffen wir die Dualität ab - das ist die eine Möglichkeit -, oder - das ist die andere Möglichkeit - wir setzen sie durch. Darüber müßten wir uns unterhalten. Statt dessen wird eine weitere Nebelkerze geworfen und erzählt: Wenn man eine Umla-
Antje Hermenau
gefinanzierung machen würde, wäre das wie bei der Behindertenabgabe; da würden sich die Betriebe freikaufen. Das hängt natürlich erst einmal von der Bemessungsgröße ab, ob sich das lohnt. Zum zweiten kann man das, glaube ich, nicht vergleichen; aber darüber können wir ja noch streiten.
Ich persönlich habe große Schwierigkeiten damit, daß jetzt alle möglichen halbseidenen Vorschläge gemacht werden, nur um zu vermeiden, der Wirtschaft einmal klar zu sagen, daß zu unserer Gesellschaft alle etwas beitragen müssen.
Da wird über ein Sparpaket geredet, da wird den Leuten das Geld gekürzt, und auf der anderen Seite soll über steuerliche Vorteile etwas erreicht werden, was nicht erreicht werden kann, weil inzwischen selbst die Arbeitgeberverbände zugeben, daß steuerliche Vorteile und Anreizsysteme nicht verwirklicht werden können, weil dadurch Klagemöglichkeiten zwischen den Branchen hergestellt werden. Das ist inzwischen klar und jeder weiß es, aber es wird weiter behauptet und so getan, als sei das Problem nicht lösbar. Ich verstehe das nicht.
- Geben Sie sich nur Mühe, noch eine Nebelkerze zu werfen!
Es kann nicht angehen, daß man, wenn selbst ein Drittel der Betriebe auf Anfrage sagt, sie würden sich mit einer Umlagefinanzierung gedanklich auseinandersetzen und die Idee gar nicht so übel finden, so tut, als würde dieses von der gesamten Wirtschaft abgelehnt. Vielleicht bildet auch nur dieses Drittel überhaupt noch aus.
Diese Betriebe haben natürlich ein Interesse daran, daß diejenigen Betriebe, die nicht bezahlen, aber ihnen nachher die mühsam ausgebildeten Gesellen abspenstig machen, mit zur Finanzierung der Ausbildung herangezogen werden. Wenn ein Betrieb nicht ausbilden will, dann soll er sich an der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe beteiligen. Das ist seine Pflicht.
Wenn Sie in den Zeiten knapper Kassen weiterhin eine systemwidrige Steuerfinanzierung von Berufsbildung durchgehen lassen, so wie sie im Moment in diesem Land stattfindet, ist das Ihr real existierender Kapitalismus. Sie praktizieren die systemwidrige Finanzierung einer Aufgabe aus Steuermitteln, die das Bundesverfassungsgericht eindeutig der Wirtschaft zugeordnet hat. Im Prinzip betreiben Sie eine Art von Protektionismus, den ich von früher her kenne.
- Wir können uns gerne im Ausschuß einmal darüber streiten, mein lieber Herr. Versuchen Sie es doch einmal auf diese Art.
Danke schön.
Das Wort hat der Kollege Professor Laermann, F.D.P.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will mich nicht mit Statistiken und Zahlenspekulationen befassen. Ich möchte zunächst noch einmal - ich hoffe, mit Ihrer aller Einvernehmen - sagen, daß es nach wie vor eine unserer dringenden und wichtigen Aufgaben ist, für jeden Jugendlichen, der es will, einen Ausbildungsplatz zu garantieren und zu schaffen. Machen wir uns keine Illusionen darüber, wie schwierig die Lage ist. Wir haben sicherlich auch noch zwischen der Situation in den alten und neuen Bundesländern zu unterscheiden.
In den vergangenen Jahren haben wir immer gesagt, daß die außerbetriebliche Ausbildung, die von staatlicher Seite finanziert wird, die Ausnahme sein muß und daß wir uns dringend bemühen müssen, bei der Weiterentwicklung der Wirtschaft auch diese Aufgabe wieder an die Wirtschaft zurückzugeben. Denn da gehört sie hin. Das duale System hat sich in der Tat bewährt. Wir sollten keinesfalls davon ausgehen, daß jetzt auch die berufliche Bildung sozusagen zur staatlichen Pflichtaufgabe wird. Hier liegt unsere politische Aufgabe und unser Bemühen in der Politik.
Es geht ja auch nicht nur ums Geld, sondern wir haben auch eine Vielzahl von Hemmnissen zu beklagen. Ausbildung, auch die berufliche Ausbildung ist teuer geworden. Wir haben eine Vielzahl von Überregulierungen. Denken Sie nur daran, welche Hemmnisse wir mit der Ausbilder-Eignungsverordnung und anderer Geschichten haben. Ich glaube, hier hat Bundesminister Rüttgers doch eine Reihe von Ansätzen aufgezeigt und Maßnahmen ergriffen, die in der Tat an dieser Stelle ansetzen müssen. Ich wiederhole von dieser Stelle aus für meine Fraktion den dringenden Appell an die Wirtschaft und insbesondere an die Industrie - da stimmen wir, glaube ich, auch in der Bewertung überein aber auch an die Verwaltungen, noch einmal über den Bedarf hinaus auszubilden.
Das haben wir schon immer getan. Nur, meine Damen und Herren, wenn wir dies tun, dann dürfen wir anschließend nicht den Vorwurf erheben, daß die Auszubildenden nicht in ein Beschäftigungsverhältnis übernommen werden. Auch darum haben wir uns zu kümmern. So wichtig und notwendig es ist, daß wir jedem jungen Menschen eine Ausbildung für seinen Lebensweg als Grundvoraussetzung für seine
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann
Selbstverwirklichung und Lebenserfüllung mitgeben: Genauso wichtig ist es, ihn nicht mit der Aussicht zu demotivieren, daß er nach Abschluß seiner Ausbildung nicht weiß, ob er einen Arbeitsplatz bekommt.
- Ja, es ist leider Gottes so, daß durch diese Demotivierung mehr und mehr Jugendliche gar nicht mehr ein Ausbildungsverhältnis eingehen wollen. Das ist leider der Trend. Hier müssen wir also ganz energisch ansetzen, damit wir diesen Trend umkehren.
Mein Vorschlag ist - dafür will ich die wenigen Minuten, die ich habe, nutzen zur Überwindung dieser Anfangsarbeitslosigkeit der Überlegung nahezutreten, daß sich zwei Ausgebildete einen Arbeitsplatz teilen. Wir können doch auch bei den Jugendlichen mit Teilzeitarbeit anfangen. Ich bin allerdings nicht dafür, daß sie in der restlichen Freizeit auf der Straße liegen. Das geht auch nicht. Die übrige Zeit sollten sie vielmehr zur Weiterbildung nutzen. Wir müssen Weiterbildung und Fortbildung organisieren.
Stellen Sie sich vor: Ein junger Maurergeselle trägt sich mit der Absicht, später die Meisterprüfung zu machen. Wir haben die neuen Regelungen zum Meister-BAföG. Was wäre daran falsch, wenn wir ihm schon frühzeitig die Möglichkeit gäben, Kurse zu belegen, Sprachkompetenzen, soziale Kompetenzen und andere Kompetenzen zu erwerben, um später viel bessere Berufsaussichten zu haben und für die Aufgaben, die ihn im Berufsleben erwarten, viel besser gerüstet zu sein, auch im Hinbück auf den europäischen Binnenmarkt?
Meine Damen und Herren, das müssen nicht alle machen. Wenn wir auf freiwilliger Basis 20 oder 25 Prozent der Absolventen dazu bewegen könnten, sich an solchen Maßnahmen zu beteiligen, hätten wir, glaube ich, das Problem der Anfangsarbeitslosigkeit überwunden. Wir müßten dann nicht mehr an die ausbildenden Betriebe mit der Forderung herantreten: Nun müßt ihr die, die ihr ausgebildet hat, übernehmen. Es ist doch geradezu widersinnig, wenn wir im öffentlichen Dienst - egal, auf welcher Ebene - Personal abbauen und gleichzeitig sagen: Ihr müßt jetzt ausbilden. Wo sollen denn die frisch Ausgebildeten anschließend beschäftigt werden? Dann werden sie ein halbes Jahr beschäftigt, werden anschließend in die Arbeitslosigkeit entlassen, haben kaum Beiträge in die Arbeitslosenversicherung gezahlt, und die Bundesanstalt für Arbeit muß für sie zahlen. Das kann doch nicht richtig sein. Lassen Sie uns doch darüber nachdenken, wie wir neue Modelle finden, die mit den erkennbaren Problemen fertig werden. Das ist meine dringliche Bitte zu diesem Thema.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Kollegin Maritta Böttcher, PDS.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den letzten Tagen erreichte mich - wie sicher viele hier im Saal -ein Brief der Jugend- und Auszubildendenvertretung bei der Deutschen Bahn AG, in dem auf die katastrophale Situation im Entsendebereich Sachsen hingewiesen wird. Von 18 Ausbildungsstätten für 517 Auszubildende im nichttechnischen Bereich 1994 sollen 1996 15 geschlossen werden. Die Reduzierung von 21 auf elf Ausbilder ohne vorgeschriebene pädagogische Grundausbildung bedeutet einen Ausbilder auf 40 Lehrlinge. Von 13 Ausbildungsstätten im gewerblich-technischen Bereich sollen 1996 ganze fünf übrigbleiben. Dementsprechend soll eine Reduktion der Zahl der Auszubildenden erfolgen: Von möglichen 40 bis 50 pro Lehrjahr auf zehn bis 15. Ich möchte kurz aus diesem Schreiben zitieren:
Wir erkennen daran, daß die Bundesregierung kein Interesse an ihrem mit dem DGB ausgehandelten Bündnis für Arbeit hat. Sie schafft es nicht einmal, in einem Betrieb, der zu 100 % dem Bund gehört, den Forderungen nach mehr Ausbildungsplätzen Nachdruck zu verleihen. Wir sind der Meinung, daß die Bundesregierung kein Interesse zeigt, um die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland zu reduzieren. Auslernende Schüler haben keine berufliche Zukunftsperspektive, wobei die Gefahr besteht, daß Jugendliche immer mehr in die Jugendkriminalität abdriften.
Soweit ein Auszug aus diesem Brief.
Mit diesen Befürchtungen steht die Auszubildendenvertretung nicht allein. Auf einer kürzlich durchgeführten Fachtagung zur Kinder- und Jugendkriminalität wurde von den Forschern der Skandal angeprangert, daß die reichste Gesellschaft Europas ihre Jugend verkommen läßt. Der extreme Streß individueller Selbstbehauptung wird durch Erfahrungen von Arbeitslosigkeit und Armut verschärft und mündet in eine Perspektivlosigkeit, aus der Gewalt und Straftaten erwachsen können.
Vor diesem Hintergrund ist die Lösung des Lehrstellenproblems schließlich auch eine erstrangige politische Aufgabe. Was die Zusagen der Wirtschaft bringen, konnten wir in den letzten Jahren hinreichend studieren. Es ging in keinem Falle ohne das Vehikel der Gemeinschaftsinitiativen. Von den Berufsberatern bei den Arbeitsämtern wird bereits seit Monaten auf die wiederum zu erwartenden Versorgungslücken bei den Ausbildungsplätzen hingewiesen. Währenddessen erinnert der Bildungsminister seine Industriellen zaghaft an ihr Versprechen von 1995, binnen zwei Jahren 10 Prozent mehr Lehrstellen anzubieten. Dagegen steht die Realität in den Zahlen der BfA, die ich nicht wiederholen möchte. Aber eines möchte ich sagen: Die neue Qualität, Herr Hollerith - - Er ist gar nicht mehr da.
Sie sollten vielleicht die richtige Statistik lesen. Erstmals seit zehn Jahren gibt es auch im Westen weniger Lehrstellen als Bewerber. Da werden wohl auch keine noch so schönen Mobilitätsprogramme mehr helfen. Da es sich offensichtlich nicht um einen vorübergehenden Engpaß handelt, der mit Appellen
Maritta Böttcher
aus der Welt zu schaffen wäre, sind staatliche Initiativen erforderlich, die die Lasten der Ausbildung auf mehr Schultern verteilen als auf die von bislang nur 20 Prozent der Unternehmen.
Wenn außerdem das duale System gerettet werden soll, muß die Wirtschaft sehr viel deutlicher in die Pflicht genommen werden. Dazu wurde hier schon gesprochen. Die ersten Erfahrungen mit dem sogenannten sächsischen Modell, das im Ursprung auch den Sinn einer betriebsnäheren Ausbildung haben sollte, zeigen, daß im Endeffekt Ausbildungsbetriebe kostenlos Lehrlinge angeboten bekommen, die ihre Ausbildung in zum Teil hochmodernen außerbetrieblichen Einrichtungen auf Kosten des Bundes und der Länder machen. Mit solchen Unternehmungen wird die Wirtschaft vollends aus der Pflicht entlassen und das duale System endgültig aufs Spiel gesetzt.
Den einzig gangbaren Weg - hier möchte ich Frau Antje Hermenau zustimmen - aus diesem Dilemma weist der DGB mit seinem Eckwertepapier für ein Bundesgesetz zur solidarischen Finanzierung der dualen Berufsausbildung. Wir unterstützen diese Forderung an die Bundesregierung, ein solches Gesetz zu verabschieden, da damit die staatliche Subventionierung von Berufsbildung auf ein vertretbares Maß zurückgeführt werden kann. Umfragen zufolge sprechen sich bereits - das will ich noch einmal ausdrücklich betonen - mehr als ein Drittel, in den neuen Bundesländern sogar mehr als die Hälfte der Unternehmen für eine solche Umlagefinanzierung aus.
Das Zögern der Bundesregierung ist nicht nur unverständlich, sondern auch unverantwortlich. Herr Bildungsminister, da Sie heute Geburtstag haben: Drücken Sie endlich auf die Tube, damit jeder Jugendliche einen Ausbildungsplatz erhalten kann!
Das Wort hat der Kollege Dr. Rainer Jork, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Situation ist tatsächlich kritisch. Sie ist schlechter geworden als in den letzten Jahren. Aber wir müssen sie sehr differenziert sehen.
Wir wissen, daß das so zu erwarten war, nicht nur deshalb, weil die wirtschaftliche Situation in den neuen Bundesländern sehr kritisch ist, sondern auch weil es eine bestimmte demoskopische Entwicklung gibt. Deshalb bin ich sehr froh, daß die Bundesregierung dieses Jahr sehr früh ein Signal gesetzt und geholfen hat. Ich meine, wir sollten das auch sagen. Ich bin froh, daß der angesetzte Maßnahmenmix funktioniert, und ich möchte dafür danken.
Ich habe noch ein Zitat von Herrn Rixe aus dem vorigen Jahr im Kopf. Da haben Sie, Herr Rixe, gesagt: Jedes Jahr dasselbe, nichts Neues. Ich frage mich: Wo machen wir denn einmal etwas Neues?
Ich meine, das ist eine Aufforderung an alle.
Herr Tauss, ich finde es gut, daß Sie schon jetzt klatschen. Ich will nämlich einmal sagen, was wir neu gemacht haben. Die CDU-Abgeordneten aus den neuen Bundesländern haben am 14. und 15. Mai in Berlin eine Anhörung veranstaltet und einmal wirklich alle, die mit der Frage zu tun haben, an einen Tisch gebracht. Das sind die Kammern - Sie wissen das -, die Arbeitsämter, übrigens auch der DGB, Büdungseinrichtungen, die verschiedenen politischen Ebenen.
Wir hatten das Ziel, aktuelle Rückmeldungen zu bekommen. Auch der sächsische Weg, der ein Weg ist und nicht als Allheilmittel angeboten wird, stand zur Diskussion. Es ging um Schlußfolgerungen.
Ich kann die Ergebnisse hier nicht alle aufzählen. Dafür ist die Zeit zu begrenzt. Wichtig war für uns aber das Ergebnis, daß Wirtschaftsförderung im Vordergrund steht. Wir können nichts von der Wirtschaft fordern, wenn sie nicht existiert oder nicht dazu in der Lage ist.
Als zweites kam heraus, daß Elemente des sächsischen Wegs sehr wohl allgemein nutzbar sind. Es geht mir hier vor allem um die Frage der Nutzbarkeit in den neuen Bundesländern, weil das Problem dort besonders kraß ist und weil dort besonders schnell Lösungen gebraucht werden. Ich stimme mit Ihnen überein, daß der hohe Grad staatlicher Förderung auf die Dauer einfach nicht akzeptabel ist.
Als drittes Ergebnis kam heraus, daß die Bundesförderung angesichts der aktuellen Situation sicher in den nächsten Jahren erforderlich ist. Wir wissen aus Rückmeldungen, daß das allgemein bekannt ist.
Wir haben bestimmte Schlußfolgerungen an die Bundesministerien für Bildung und Wissenschaft, Forschung und Technologie und an das Finanzministerium weitergeleitet. Wir haben uns in einem Schreiben aber auch an den Bundeskanzler gewendet.
Aus unserer Sicht ist sehr wohl, angepaßt an die aktuelle Situation, immer dynamisch zu reagieren. Eine solche Reaktion - das haben wir in diesem Jahr gesehen - erfolgt frühzeitig und, so hoffe ich, rechtzeitig.
Es sind 26 500 DM angesetzt, um den einzelnen Lehrstellenplatz zu fördern. Bei der Anhörung haben wir gehört, daß dieser Betrag wahrscheinlich nicht ausreicht. An dieser Stelle müssen wir darüber nachdenken, was wir noch tun können.
Wir haben durch die Anhörung erfahren, daß die tatsächlichen Kosten bei ungefähr 40 000 DM liegen; sie werden je zur Hälfte von Bund und Ländern getragen.
Ursprünglich waren 12 000 durch die Bundesregierung geförderte Plätze angesetzt. Ich freue mich, daß wir als Ergebnis der Anhörung erreichen konnten, daß diese Zahl auf 13 000 angehoben wurde, und zwar ohne den anfangs angesetzten Anteil, der von
Dr.-Ing. Rainer Jork
den Ausbildungsplatzentwicklern geleistet werden soll.
Wir haben in der Anhörung von den Beteiligten erfahren, daß man mit einem Bedarf von ungefähr 18 000 Plätzen rechnet. Ich möchte an dieser Stelle betonen, daß das eine momentane Arbeitsgröße ist. Wir müssen natürlich je nach Situation abschätzen, wie diese Zahl dynamisch anzupassen ist, wenn die Wirtschaft, so hoffe ich, ihre Zusagen einhält.
Weil die Zeit weitgehend um ist, nur noch ein Hinweis darauf, daß steuerliche Abzüge bei den Fördergeldern bei den Beteiligten nicht auf Verständnis stoßen. Dort ist sicher eine Korrektur nötig. Die Argumentation, daß das so bleiben soll wie bisher, kann ich nicht nachvollziehen.
Ich meine - damit möchte ich zum Schluß kommen -, daß angesichts der Dynamik alle gefordert sind, damit die Wirtschaft weiterarbeiten kann.
Auf unsere Schlußfolgerungen wird der Kollege Dr. Päselt im einzelnen etwas mehr eingehen.
Im übrigen - weil Sie so freundlich gucken und lächeln - gebe ich Ihnen gerne einmal die Auswertung des Papiers. Vielleicht können wir uns im Ausschuß einmal darüber unterhalten, was wir gemeinsam durchsetzen.
Morgen findet eine Beratung zwischen Bund und Ländern statt. Ich hoffe, daß im Ergebnis des Zusammenspiels der genannten Partner am Ende jeder, der es wünscht, einen Ausbildungsplatz bekommt. Dabei beziehe ich mich auf die Zusage des Bundeskanzlers.
Danke schön.
Das Wort hat der Kollege Günter Rixe, SPD.
Herr Präsident! Meine heben Kolleginnen und Kollegen! Herr Hollerith hat vor Schreck gleich das Parlament verlassen, so daß man ihn nicht mehr auf den Unsinn ansprechen kann, den er hier von sich gegeben hat. Es tut mir wirklich leid, was Abgeordnete über die berufliche Bildung hier von sich geben.
Herr Laermann, Sie sind Hochschulprofessor - das wissen wir ja -, und da sind Sie vielleicht ganz gut. Aber was Sie eben zur beruflichen Bildung vorgeschlagen haben, kann man überhaupt nicht umsetzen. Wie wollen wir einen Ausbildungsplatz halbieren? Nach den Ausbildungsverordnungen, die Sie überhaupt nicht ändern können, kann man einen Ausbildungsplatz nicht halbieren.
Zweitens. Ein Auszubildender, der 17 ist und anderthalb Jahre Ausbildung hinter sich hat, kann sich doch noch nicht auf die Meisterprüfung vorbereiten. Er muß doch erst einmal die Facharbeiterprüfung ablegen. Dann soll er sich um die Meisterprüfung kümmern.
Die Handwerksordnung sieht vor, daß man erst drei Jahre nach Abschluß der Ausbildung mit der Meisterprüfung beginnen kann. Erzählen Sie doch nicht so etwas Dummes hier!
- Natürlich haben Sie davon gesprochen.
- Natürlich! Wir können das ja nachlesen.
Herr Rüttgers - herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag -, Sie haben am 24. April so ein hervorragendes Papier über Zukunft, Bündnis und Lehrstellen herausgebracht. Da ich davon ausgehe, daß Sie gleich noch an dieses Pult treten, möchte ich Sie fragen, was Sie davon bis zum heutigen Tage umgesetzt haben.
Ich halte das, was in diesem Papier steht - wir haben das auch nicht kritisiert -, für eine gute Sache. Dabei kommen 12 000 Ausbildungsplätze heraus. Aber Herr Jork - er ist übrigens der einzige auf Ihrer Seite, der ein klein wenig von der Berufsausbildung versteht - hatte eben festgestellt, daß wir in der Bundesrepublik in einer - Entschuldigung - beschissenen Situation sind. In der Tat gibt es heute, Herr Laermann, noch 133 000 Personen, die noch einen Ausbildungsplatz suchen. Wir haben nicht mehr viel Zeit. Juli, August und September - in diesen drei Monaten noch 133 000 Ausbildungsplätze zu suchen ist sehr schwer. Deswegen sind die 12 000, Herr Minister, ein bißchen wenig, zumal ich Herrn Jorks Rechnung nicht nachvollziehen kann, daß es am Jahresende nur noch 18 000 sind. Zieht man 12 000 ab, bleiben allemal 6 000 immer noch übrig.
So geht es im Grunde nicht weiter. Jedes Jahr wird ein Programm vorgelegt; dieses ist sehr früh gekommen, das habe ich auch gelobt. Ich kann mich noch erinnern, daß ich gesagt habe, das sei gut und das sollten wir so machen. Dennoch kann es so nicht weitergehen. Das hat Herr Jork Ihnen selber gesagt. Wir müssen uns in der Tat etwas Neues überlegen. Wie Antje Hermenau eben schon gesagt hat, wird immer gleich diskutiert und von Umlage geredet. Das ist alles Unsinn.
Die SPD-Bundestagsfraktion wird noch in diesem Jahr einen Gesetzentwurf einbringen. Damit werden wir uns hier am Rednerpult und hier im Parlament auseinandersetzen. Dieser Gesetzentwurf wird nicht mehr nur noch appellieren und den Kanzler drängeln, er solle die Wirtschaft ein bißchen treten und ein bißchen streicheln, damit endlich jeder seinen Ausbildungsplatz bekommt. Seit fünf Jahren legen wir jedes Jahr eine Milliarde DM drauf, um dieses duale Ausbildungssystem zu retten, indem wir überbetriebliche Ausbildung finanzieren. Wir müssen doch in der Tat in dieser Gesellschaft alle diejenigen an den Tisch holen, die für die Ausbildung verantwortlich sind. Mein Kollege, der Bäckermeister Hinsken, nickt auch schon mit dem Kopf. Wir müssen doch mit allen Partnern reden.
Wir wollen einen Leistungsausgleich gesetzlich organisieren, also so organisieren, daß die Jugendli-
Günter Rixe
chen nicht immer bis zum September warten müssen, bis sie einen Ausbildungsplatz haben, oder dann wieder in die Warteschleifen müssen, die im übrigen nirgends registriert wird.
Wir wissen doch, daß sie nirgendwo registriert werden und die Jugendlichen wieder ein Jahr auf der Straße sitzen. Wir wissen doch auch, daß sie denn in unserer Gesellschaft untergehen.
Wir müssen also eine gesetzliche Vorschrift haben. Nachdem wir nun zwei Stunden mit den Hauptvertretern des Handwerks im ZDH geredet haben, haben die gesagt: Jawohl, setzen wir uns doch einmal mit der SPD zusammen und reden über einen vernünftigen Ausgleich. Ein solches Gespräch werden wir auch mit der Industrie führen. Wir lassen uns nämlich nicht mehr von der Industrie ständig sagen: Es gibt keinen Leistungsausgleich; das werden wir schon regeln; wir werden genug Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen. Denn genau das erfolgt auch in diesem Jahr wieder nicht.
Wenn das also freiwillig nicht mehr gelingt - wir wissen doch, Herr Hinsken, daß Industrie und Handwerk die Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen müssen -, dann müssen wir eine Möglichkeit finden, das gesetzlich zu regeln. Das darf die Betriebe aber nicht belasten, sondern muß sie entlasten. Wir müssen aber die Betriebe belasten, die heute noch meinen, sie könnten sich die Jugendlichen nach deren Ausbildung holen. Ford ist doch heute die größte Bäckerei der Bundesrepublik! Damit muß Schluß sein.
Ford und VW müssen doch einmal gesetzlich gezwungen werden, ihre Aufgabe wahrzunehmen.
Ich habe schon bei der Rede zum Berufsbildungsbericht gesagt: Wir dürfen uns nicht mehr öffentlich beschweren, wenn die Jugendlichen uns nicht mehr zuhören. Wenn die jungen Leute das gehört hätten, was Herr Hollerith gesagt hat, hätten sie mit dem Kopf geschüttelt und gesagt: Was ist das denn für eine Politik? Was redet der denn für ein Zeug?
Die Jugendlichen wollen einen Ausbildungsplatz. Das Wie interessiert dabei den Jugendlichen gar nicht. Wir sind dafür verantwortlich. Herr Minister, ich lade Sie herzlich ein. Wir werden mit Ihnen über diesen Leistungsausgleich reden; und wir werden in der Tat mit Industrie und Handwerk darüber reden. Danach sind Sie gefordert, hier am Rednerpult ja oder nein zu sagen.
Danke schön.
Nun hat - ganz zufällig - der Herr Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers das Wort.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich muß zuerst einmal feststellen, daß der Kollege Rixe mit seiner Rede richtig gut gestartet ist.
Er hat mich gelobt; das war völlig richtig, völlig okay. Dann hat er sich wieder aufgeregt und gesagt: Jetzt müssen wir endlich mal was Neues machen. Und dann hat er wieder die alte Abgabe vorgeschlagen, die er seit fünf Jahren hier vorschlägt. Also nichts Neues, sondern immer wieder das Alte.
- Doch, das haben wir.
Zum zweiten: Dies ist eine Aktuelle Stunde. Ich habe ein bißchen Probleme damit, die Aktualität insofern zu erkennen, als ein Bück in das Protokoll des Deutschen Bundestages zeigt, daß diese Debatte just zu dieser Zeit jedes Jahr wieder geführt wird.
- Das hat überhaupt nichts mit Jugendlichen zu tun, sondern das hat damit zu tun, Herr Tauss, daß Sie sich hier hinstellen und sagen: Die Katastrophe kommt! Und am Ende des Jahres stellen wir fest: Jeder hat eine Lehrstelle bekommen. Das ist Verhöhnung von jungen Leuten.
Es ist einfach unredlich, zu behaupten, daß in den vergangenen Jahren nicht jeder Jugendliche eine Lehrstelle bekommen habe.
Ich bin gern bereit, mit Ihnen über jeden neuen Weg und jeden neuen Vorschlag zu diskutieren und über die Frage nachzudenken, wie wir es erreichen, daß mehr Betriebe ausbilden. Da treffen wir uns, lieber Herr Rixe, wieder in aller Sachlichkeit, denn wir haben uns darum bemüht, und wir haben auch schon miteinander darüber geredet. Das ist überhaupt nicht der Punkt, in dem wir unterschiedlicher Auffassung sind. Es belastet mich genauso wie jeden hier im Hause, daß nur etwas mehr als ein Drittel der Betriebe ausbilden.
Das hat mehrere Gründe. Auch das haben wir miteinander analysiert. Es gibt einen Grund, der in der Ökonomie, in dem Trend begründet hegt, den wir alle miteinander „Globalisierung" nennen. Dennoch sage ich, und das ist völlig klar: Es ist ein Fehler, wenn Betriebe Ausbildungsplätze abbauen; denn wer heute nicht ausbildet, hat morgen keine Facharbeiter.
Das ist schlichtweg falsch; es ist kurzsichtig gedacht.
Wenn man hingeht und fragt, woran das liegt, dann stellt man fest, daß es mehrere ganz objektiv vorhandene Gründe gibt. Einer dieser Gründe hegt in unserem System, in dem System, das wir gemeinsam in den letzten 20 Jahren aufgebaut haben, nämlich darin, daß in vielen Bereichen der deutschen Wirtschaft überhaupt keine Berufsbilder zur Verfü-
Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
gung stehen. Es ist einfach die Wahrheit, daß vor allen Dingen in modernen Zukunftsbereichen wie dem Informations- und Kommunikationsbereich, im Tourismus und im Freizeitbereich wie auch im ganzen Pflegebereich keine Berufsbilder existieren und deshalb nicht ausgebildet wird. Das hat nicht die Bundesregierung zu verantworten, sondern das ist eine Geschichte, die wir alle miteinander - Sozialpartner und Bundesregierung - ein Stück weit zu tragen haben.
Ich bin froh, daß wir erreicht haben, daß das Verfahren zur Entwicklung neuer Berufsbilder von neun Jahren auf zwei Jahre verkürzt worden ist, und daß wir jetzt mit Hochdruck dabei sind, den Rückstand aufzuholen. Wir haben die ersten neuen Berufsbilder schon in Kraft gesetzt. Wir haben zur Zeit mehr als ein Dutzend Berufsbilder in Arbeit, die in diesem Jahr und im kommenden Jahr in Kraft gesetzt werden, und ich habe den Ehrgeiz, daß wir auf eine noch größere Zahl, nämlich auf rund 30, kommen.
Wir sind dabei, uns mit den Tarifpartnern und den Sozialpartnern zu einigen, dies zu tun. Das ist ein schwieriger Prozeß. Da gibt es Konflikte, weil unter anderem, Herr DGB-Vorsitzender aus Köln, der DGB sagt: Das wollen wir an der Stelle nicht, und die Wirtschaft sagt: Das wollen wir an der Stelle nicht. Das ist alles nicht ganz einfach. Aber wir kriegen es schon hin. Das ist der erste Punkt, der wichtig ist.
Der zweite wichtige Punkt - jetzt blicke ich einmal in die letzte Reihe der SPD-Fraktion - ist folgender: Ich finde, wir werden unserer Verantwortung nicht gerecht, wenn nicht ein jeder dort, wo er kann, etwas tut. Dazu gehören die Appelle, dazu gehört genauso der Versuch, Betrieb für Betrieb durchzugehen. Dazu gehört, dafür zu sorgen, daß sich dort, wo man selber Verantwortung trägt, etwas tut. Deshalb wäre ich froh, wenn ich jetzt nicht nur Herrn Kollegen Rappe loben könnte. Das tue ich wirklich aus vollem Herzen, weil er nicht nur ein Trendsetter war, sondern einen Durchbruch geschaffen hätte, wenn dies bereits für alle Sozial- und Tarifparteien gelten würde.
Er hat als erster in einem Tarifvertrag bei der IG Chemie durchgesetzt, daß sich die beiden Parteien darauf geeinigt haben, wie es mit der Ausbildung weitergehen soll. Es gibt Gott sei Dank inzwischen welche, die dem gefolgt sind, Textil zum Beispiel, jetzt der Bund und die ÖTV. Das heißt, wir haben auch da eine Änderung im Denken. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Ich habe gesagt: Kompliment; das ist eine Sache, die wir jetzt weiter fördern müssen. Das ist vermutlich sogar der entscheidende Punkt.
Dann habe ich gesagt: Wir müssen dort etwas tun, wo wir selber Verantwortung tragen. Das heißt im Klartext, daß der Bund - wie schon im vergangenen Jahr - die Anzahl seiner Lehrstellen um 5 Prozent steigern muß. Ich wäre froh, ich könnte sagen, daß das für die gesamte öffentliche Hand gilt. Ich wäre froh, ich könnte sagen, daß dies flächendeckend für die Republik gilt; denn jeder von uns trägt in einer Stadt, in einem Land Verantwortung, und wir alle können etwas tun. Leider gibt es nach wie vor - darüber sind wir gemeinsam ein bißchen traurig - keine
Statistik, was eigentlich die Städte und die Gemeinden und was die verschiedenen Länder tun. Was da passiert, ist schlichtweg ein Skandal. Deshalb müssen wir versuchen zu analysieren, wo wir etwas Neues tun können.
Ich will Ihnen noch etwas sagen, worauf ich ein Stück weit stolz bin: In meinem eigenen Geschäftsbereich habe ich das Ausbildungsplatzangebot für das neue Lehrjahr um 101 auf 552 Plätze, das sind 22 Prozent, erhöht.
Ich finde, wenn das jeder für sich sagen könnte, wären wir entspannter.
Herr Kollege, wir werden auf über 5 Prozent kommen. Das ist nicht in jedem Ressort so leicht möglich wie in meinem; denn ich kann auch etwas in den Forschungseinrichtungen tun.
Ich finde es aber wichtig, das Gefühl zu haben, daß sich jeder darum kümmert. Für die Bundesregierung kann ich das zusagen.
Ein Wort zu der ostdeutschen Situation. Wir wissen, daß diese besonders problematisch ist. Ich habe mich ganz bewußt über die alte Diskussion hinweggesetzt, in der es immer heißt: Das darf man immer nur in der letzten Minute tun. Ich würde mich aber ungern kritisieren lassen, wenn jetzt 12 000, vielleicht 13 000 Lehrstellen zur Verfügung gestellt werden, mit dem Argument: Das ist zuwenig.
Wenn wir ehrlich miteinander umgehen, müssen wir feststellen: Im letzten Jahr haben wir gemeinsam
- Sie und die ostdeutschen Länder haben das begrüßt - 14 000 Lehrstellen zur Verfügung gestellt. Die Wahrheit aber ist, daß fast 1 500 dieser Stellen nicht abgerufen worden sind, und zwar gerade von denjenigen, die uns just vor einem Jahr, nämlich vor der Sommerpause, beschimpft haben, wir täten zuwenig. Warum sind denn in Sachsen-Anhalt mehr als 1 000 der Lehrstellen und in Mecklenburg-Vorpommern mehr als 300 Stellen, die zur Verfügung standen, nicht besetzt worden?
Entweder gibt es keinen Bedarf, oder es darf vorher nicht geschrieen werden - eines von beiden.
- Eines von beiden, lieber Herr Rixe.
Was ich nicht verstehe, ist, daß eine Landesregierung vorher sagt: Das ist eine Katastrophe. Es wird nichts für die jungen Leute getan. - Werden aber Plätze zur Verfügung gestellt, werden sie nicht besetzt. Das geht so nicht. So kann man mit jungen Leuten nicht umgehen.
Der letzte Punkt, den ich ansprechen will, ist genauso wichtig; Herr Rixe hat gesagt, er wolle dazu noch etwas wissen.
Natürlich haben diejenigen, die ausbilden - das weiß er als Handwerker, und die anderen Handwer-
Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
ker wissen das ebenfalls; auch ich selber komme aus einem Handwerksbetrieb bestimmte Meinungen, von denen man manchmal das Gefühl hat, sie seien nicht ganz richtig. Diese Meinungen aber gibt es. Da die Meinungen zum Teil das Verhalten bestimmen, müssen wir sie ernst nehmen.
Zu diesen Meinungen gehört zum Beispiel, daß viele, die ausbilden, sagen: Ich sehe die Auszubildenden ja gar nicht mehr: zwei Tage Berufsschule in der Woche, überbetriebliche Ausbildung. Inzwischen haben die Lehrlingsvergütungen teilweise das Niveau der Vergütungen erreicht, die früher die Referendare bekommen haben. - Ich kritisiere das nicht; ich stelle das nur fest. Dann wird vom Gefühl her eine Kosten-Nutzen-Analyse aufgestellt und gesagt: Das ist zu teuer! Das lohnt sich nicht mehr! - Deshalb halte ich diesen Punkt aus psychologischen Gründen für ganz wichtig.
Sie haben eben gesagt, daß wir über Gesetze reden werden. Wir werden - das hat das Bundeskabinett beschlossen - das Jugendarbeitsschutzgesetz ändern. Ich hoffe sehr, daß Sie das unterstützen; denn dies ist ganz wichtig. Ich hoffe sehr, daß alle, auch die SPD-regierten Länder - einige SPD-regierte Länder tun dies bereits -, zum Beispiel dafür sorgen, daß in Zukunft jeder junge Mann und jede junge Frau mit einer Lehrstelle im Schnitt vier Tage in der Woche im Betrieb sind.
- Das ist eine Frage der Organisation, also eine Frage des guten Willens. Daß das geht, könnte ich an Hand SPD-regierter Länder nachweisen.
- Wenn es geht, dann lassen Sie es uns doch bitte machen. Warum wird das nicht schon zum neuen Lehrstellenjahr in allen Ländern der Bundesrepublik gemacht? Warum muß man sich dauernd beschimpfen lassen?
Herr Kollege Rüttgers, da Sie Geburtstag haben, muß ich Sie aus fürsorglichen Gründen darauf hinweisen, daß die 10-Minuten-Grenze erreicht ist.
Ich weiß das. Ich will nur noch diesen einen Satz sagen: Wenn wir konkret werden und die alten Schlachten weglassen, dann werden wir auch zu Lösungen kommen. Das hat die Debatte zwischen dem Kollegen Rixe und mir jetzt gerade gezeigt.
Das Wort hat der Kollege Stephan Hilsberg, SPD.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und KoUegen! Sehr geehrter Herr Rüttgers, der große Wurf war das eben wirklich nicht. Offenbar haben Sie ein schwieriges Verhältnis zur Statistik. Uns ist bekannt, daß es eine ganze Reihe von ausbildungsplatzsuchenden Jugendlichen gegeben hat, und zwar in solchen Größenordnungen, daß viele keine Lehrstelle bekommen haben. Woher Sie Ihre Zahlen haben, ist mir ein Rätsel.
Zudem frage ich mich, ob Sie ein Stück weit Opfer Ihrer eigenen Ideologie sind. Man kann doch nicht im Ernst davon ausgehen, daß bei einer Arbeitslosigkeit in Höhe von 4 Millionen Menschen im Lande, bei einer verdeckten von zusätzlich 3 Millionen Menschen und den Effekten der nachwirkenden Deindustralisierung in Ostdeutschland das Problem des Ausbildungsmarktes allein auf dem innerwirtschaftlichen Gebiet gelöst werden kann, ohne daß wirksam etwas getan wird.
Ich habe manchmal das Gefühl, als hätten Sie sich im Grunde genommen schon auf die Verfestigung der Strukturkrise im dualen System eingestellt, sich damit abgefunden und versuchen gar nicht mehr, den großen Wurf zu landen, der diese Probleme mit einem Mal beseitigen könnte.
Ich halte es auch für ein bißchen zynisch - „ein bißchen" ist hier sehr vorsichtig ausgedrückt -, wenn Sie gerade vorführen wollen, als wären Ihre großzügigen Hilfen gen Ostdeutschland gar nicht gebraucht worden und deshalb sei es auch nicht nötig, sie weiter zu finanzieren. Ja, wenn man politisch so weiterverfährt, wie Sie im letzten Jahr verfahren sind, daß Sie nämlich fünf Minuten nach Ultimo die Mittel zur Verfügung gestellt haben, dann ist es doch überhaupt kein Wunder, wenn sich die Jugendlichen, die beim Suchen einer Lehrstelle eine Zitterpartie hinter sich haben, inzwischen nach anderen Orten umschauen.
Das ist ja zur Zeit wieder so. Ich bin im Wahlkreis einem Fall begegnet, daß selbst eine Abiturientin -und mein Wahlkreis ist in der Lausitz, Südbrandenburg - nach monatelangem Suchen erst in Bayern eine Lehrstelle fand. Wenn es selbst einer Abiturientin so geht, wie geht es dann den Nichtabiturienten, die hier nach einer Lehrstelle suchen?
Dieses Problem des Lehrstellenmangels hat eine hohe soziale und politische Brisanz. Das ist mit schönredenden Worten von der Trendwende oder wenn man so tut, als wäre dieses Problem gar nicht existent, in keiner Weise zu regeln.
Nun will ich darauf zu sprechen kommen, wo unser eigentlicher Ansatz der Lösung liegt. Es handelt sich in der Tat um ein gerechtes Finanzierungssystem. Man kann das Ausbildungsplatzumlage nennen, es handelt sich wirklich um eine gerechte Finanzierung. Denn Sie haben ja völlig recht, einer der großen Strukturmängel liegt darin, daß bei den Betrieben die kurzfristigen Kostenfaktoren dazu führen, zumindest überzählige Ausbildung abzubauen und
Stephan Husberg
den Rest auch weiter abzubauen. Letztlich handeln diese Betriebe nicht nur verantwortungslos, sondern sie handeln ein Stück auch parasitär.
Langfristig nützt ihnen das überhaupt nichts, kurzfristig mag das ein gewisser Vorteil sein. In der Situation, in der sich die Wirtschaft zur Zeit befindet, kann ich da manch einen Unternehmer verstehen. Genau deshalb muß dieses Paradigma, daß man nämlich aus Kostengründen die Ausbildungsplatzkapazität absenkt, geändert, es muß sozusagen in ein anderes System umgewandelt werden. Dann müssen eben die Betriebe, die absichtlich nicht ausbilden, an der Finanzierung der anderen Betriebe beteiligt werden. Damit werden Sie dieses Paradigma ausschalten. Das ist der ganze Sinn und der ganze Zusammenhang. Sie werden es auf die Art und Weise möglich machen, einen Teil der Ressourcen, die in der deutschen Wirtschaft in der Tat brachhegen - wie hat früher VW ausgebildet, wie hat BMW ausgebildet, wie hat Mercedes ausgebildet? -, wieder zu heben, weil die nämlich auch finanziell etwas besser dastehen.
Zum zweiten muß man auch darüber nachdenken, ob nicht das Vollzeitschuljahr in weit stärkerem Maße als bisher als voll anerkanntes Berufsschuljahr verwendet werden kann, weit mehr unterstützt durch entsprechende überbetriebliche Ausbildungsstätten. Denn das Argument von seiten der Betriebe ist durchaus ernst zu nehmen, die sagen: Im ersten Jahr ist mir der Lehrling zu teuer. Hier können wir durchaus konstruktiv auf die Probleme der Betriebe eingehen.
Zum anderen will ich Ihnen aber sagen, es wird ohne Geld nicht gehen. Sie sagen, mit zwei Milliarden wird das Ausbildungssystem subventioniert. Wenn ich mir das viel teurere Hochschulsystem ansehe, dann sind zwei Milliarden dagegen ein Klacks. Die Alternative wäre ein Kaputtgehen des dualen Systems. Das äußert sich dann in der entsprechend gestiegenen Jugendarbeitslosigkeit. Jugendarbeitslosigkeit ist noch viel, viel teurer, als das, was zur Zeit zu subventionieren ist und was für meine Begriffe noch mehr zu zahlen ist. Da kann ich nur sagen: Herzlichen Glückwunsch, nicht nur zu Ihrem Geburtstag.
Das Wort hat der Kollege Werner Lensing, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wieder einmal beantragt die SPD eine Aktuelle Stunde, um die, wie es heißt, Haltung der Bundesregierung zu dem dramatischen Rückgang der Ausbildungsplätze zu erkunden.
Meine Damen und Herren, um es auf den Punkt zu bringen: Ich mache mir hier, wenn Sie das in diesem Ritual jedes Jahr vorführen, ganz erhebliche Sorgen um die Folgen, die so eine Einlassung mit sich bringt; denn auf diese Art und Weise schüren Sie, wie ich meine, ebenso unnötig wie unverantwortlich die Ängste junger Menschen. Sie verunsichern zudem
die Kräfte des freien Unternehmertums und unseres kreativen Mittelstandes.
Sie reden den Standort Deutschland halbtot und wundern sich dabei nicht einmal darüber,
daß das ewige Jammern und Klagen ein Klima schafft, das jedem von uns in der Bundesrepublik nur noch Schaden bringen kann. - Die große Unruhe, die jetzt auftritt, verdeckt noch lange nicht Ihre geistige Windstille.
Ich weiß beispielsweise angesichts des zur traurigen Routine gewordenen jährlichen Rituals bald wirklich nicht mehr, ob es Ihnen hierbei primär um die Thematik und damit um die Jugendlichen geht oder lediglich um eine an Worthülsen festgemachte und dazu völlig unpassende Dauerkritik an der Bundesregierung.
All die Zahlen, die Sie hier nennen, beziehen Sie zu gerne aus den sogenannten Berufsberatungsstatistiken. Doch diese erfassen lediglich - und das wissen Sie genau - einen Ausschnitt des Lehrstellenmarktes und sind deshalb für eine realistische Standorteinschätzung überhaupt nicht geeignet.
Wenn man beispielsweise am Montag in die Zeitung schaut, etwa in das „Pfälzer Tagesblatt", dann liest man die Überschrift: „Fast 500 Ausbildungsstellen im AA-Bezirk Landau noch frei". Ich sage das einfach nur deswegen, weil man bei der Betrachtung der sicherlich - das gebe ich ja zu - ernsten Situation die einzelnen Regionen und die individuellen Berufsziele auseinanderhalten muß.
Was wir brauchen, meine Damen und Herren, ist ganz konkret ein Umdenken. Die Ursachen der Jugendarbeitslosigkeit, die ich nicht leugnen will, sind vielfältig und seit Jahren Gegenstand der öffentlichen Diskussion: Zu hohe Kostenbelastung, ein zu kompliziertes Steuerrecht, administrative Immobilität und zum Teil politisch herbeigeführte Überreglementierungen sind nur einige der strukturellen Probleme. Deshalb setzen wir hier seitens der Koalitionsfraktionen ganz konkret an. So versuchen wir beispielsweise, durch das Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung rasch Abhilfe zu schaffen. Die SPD kennt jedoch nur eine Antwort: Ablehnung. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat ein 50-PunkteProgramm vorgelegt. Die SPD kennt nur eine Antwort: Ablehnung. Die Koalitionsfraktionen haben im vorigen Jahr einen Gesetzentwurf zur beruflichen Aufstiegsfortbildung eingebracht. Die Opposition stimmte erst zu, nachdem der SPD-Ministerpräsident von Niedersachsen dies so ausgehandelt hatte.
Meine Damen und Herren, das sind die Fakten. Wenn heute, unter anderem von Herrn Kollegen Hilsberg, noch einmal die Frage der Ausbildungsabgabe bemüht wird, dann kann ich nur sagen, es
Werner Lensing
müßte einem jeden von Ihnen klar sein, daß sich dann erst recht viele Betriebe aus der Ausbildung zurückziehen. Sie werden doch lieber eine Abgabe zahlen, als junge Menschen einzustellen und anzulernen.
Wir sollten, meine Damen und Herren, über folgende drei Aspekte nachdenken: Erstens muß deutlich werden: Die Verringerung der Ausbildungsanstrengungen weist einen betriebswirtschaftlich zweifelhaften und gesamt- wie regionalwirtschaftlich gefährlichen Weg. Schließlich brauchen Unternehmen und Wirtschaft praxisnah qualifizierte Fachkräfte -und dies nach einer Überwindung der aktuellen Probleme in noch deutlich steigender Zahl. Deswegen wiederhole ich das, was der Minister erklärt hat: Wer heute den Fachkräftenachwuchs abkoppelt, steht morgen möglicherweise neben dem Markt. Zugleich wird auch heute schon nach innen wie nach außen deutlich, daß einer, der nicht einstellt, kein Vertrauen in seine eigene Zukunft hat.
Der zweite Aspekt. Wir brauchen ein neues Verfahren - wir sind dabei - zur Neuordnung von Ausbildungsberufen mit einer deutlichen Beschleunigung der Abwicklung. Rund 90 Berufsbilder - ich will nur eine Zahl nennen - für mehrere hunderttausend Lehrlinge werden derzeit schon modernisiert. Es soll bereits ab 1997 in 40 Bereichen nach den neuen Berufsbildern ausgebildet werden. Das ist ein neuer Weg.
Der dritte Aspekt: Stärkung unseres dualen Systems. Die Bundesregierung hat dies im Perspektivbericht „Berufliche Bildung" im einzelnen dargelegt. Ich brauche das hier nicht zu zitieren.
Meine Damen und Herren, was immer wieder deutlich werden muß, ist - und das gilt für alle hier im Hause -, daß sich Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften zum gemeinsamen Handeln im Interesse unserer Jugendlichen zusammenzufinden haben. Diese Aufgabe kann nicht von irgendeinem in der Berufsausbildung tätigen Partner allein geleistet werden. Hier sind vielmehr die öffentliche Hand, die Gewerkschaften, die Verbände, die berufsbildenden Schulen vor Ort, die Bezirksregierungen, die Landesministerien und auch die Kammern gefragt.
Deswegen sage ich abschließend: Einseitige Schuldzuweisungen und ein unproduktives Jammern nutzen uns und vor allen Dingen den Jugendlichen rein gar nichts.
Das war ein sehr schöner Schlußsatz, Herr Kollege; denn Sie sind weit über Ihre Redezeit.
Wir sollten uns daher auf ein gemeinsames Tun verständigen, Herr Präsident.
In Ordnung!
Das Wort hat der Kollege Heinz Schmitt, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Die Bundesregierung redet sehr viel über Zukunft. Sogar einen Zukunftsminister hat sie aus der Taufe gehoben. Wir haben ihn gerade gehört. Es gibt viele Worte; es gibt viele Ankündigungen. Doch wie sieht es mit den Taten aus?
Ausgerechnet die jungen Menschen in unserem Land, die die Zukunft gestalten sollen, stehen weiter im Regen. Die derzeitige Ausblidungssituation für die betroffenen Jugendlichen und für unsere Gesellschaft insgesamt ist ernüchternd: In Deutschland sind derzeit knapp eine Million junge Menschen unter 25 Jahren arbeitslos. Für Schulabgänger stehen nicht genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung. Die Verwirklichung von individuellen Berufswünschen und Neigungen ist für immer weniger Auszubildende realisierbar.
Die nächste Hürde baut sich für viele Jugendliche auf, wenn sie ihre Ausbildung hinter sich haben. Die Übernahme in geregelte Beschäftigungsverhältnisse
ist immer weniger garantiert. Allein im letzten Jahr wurden 166 000 junge Leute trotz bestandener Prüfung arbeitslos. Dies ist ein Skandal.
Der Berufseinstieg wird zu einem immer größeren Problem. Dies zeigt auch, wie wichtig es ist, die Arbeitslosigkeit in unserem Land ingesamt entschlossen zu bekämpfen.
Die Engpässe auf dem Ausbildungsmarkt führen zu einem Verdrängungsprozeß, unter dem besonders junge Frauen, Ausländer, Aussiedler, Behinderte und Lernschwächere leiden. Dies sind sicherlich keine Perspektiven, die unserer Jugend Lust auf Zukunft machen.
Arbeitslosigkeit ist für jeden ein schweres Schicksal. Für junge Menschen, die noch keine feste Orientierung gefunden haben, die ihren Platz in unserer Gesellschaft noch suchen, sind fehlende Ausbildungsplätze und Arbeitslosigkeit eine besonders schmerzliche Erfahrung. Das Gefühl, unnütz zu sein, nicht gebraucht zu werden, ist eine Erfahrung, die ein ganzes Leben prägen kann.
In einer Welt, in der traditionelle Strukturen wie Familie, wie Kirche, wie Politik nicht mehr automatisch Halt geben und Lebenswege vorzeichnen, dürfen wir junge Menschen nicht auch noch mit ihren Ausbildungsproblemen allein lassen. Wenn wir Jugendliche in Selbstzweifel, Mutlosigkeit und Resignation abrutschen lassen, werden fehlende Ausbildungs- und Berufsperspektiven auch für die Demokratie zu einer Gefahr. Schauen Sie nach Großbritannien, wo man die Jugend verkommen läßt und sie dann einem miesen Nationalismus preisgibt. Die jüngsten Schlagzeilen in der englischen Boulevardpresse sind ein warnendes Beispiel.
Heinz Schmitt
Meine Damen und Herren von der regierenden Koalition, schauen Sie einer solchen Entwicklung nicht weiter tatenlos zu! Staat, Länder und Kommunen tun immer weniger für die Ausbildung. Die Zahl der Betriebe, die noch ausbilden, ist auf unter 35 Prozent gesunken. „Lean production" hat also auch vor der Ausbildung nicht haltgemacht. Die Wirtschaft übersieht dabei: Die Ausbildungsdefizite von heute schaffen den Personalmangel von morgen.
Ob Selbstverpflichtungsgarantien der Wirtschaft an diesem Zustand etwas ändern werden, darf nach den Erfahrungen beim „Bündnis für Arbeit" bezweifelt werden. Hier entwickelt sich alles andere als eine gute Zukunftsfähigkeit für den Standort Deutschland.
Meine Damen und Herren von der Regierung, Sie sagen doch, oberstes Ziel sei Ausbildung in der Wirtschaft, sei der Erhalt des dualen Systems. Also tun Sie auch etwas dafür. Handeln Sie!
Angesichts steigender Zahlen von Bewerberinnen und Bewerbern - in Rheinland-Pfalz rechnet das Landesarbeitsamt mit einem Zuwachs von 32 Prozent allein bis zum Jahr 2007 - fordern wir Sozialdemokraten eine sofortige Ausbildungsinitiative und eine Reform des Berufsbildungssystems. Wir Sozialdemokraten haben unsere Vorstellungen zur Reform der beruflichen Bildung in verschiedenen Anträgen detailliert dargelegt und auch heute nochmals formuliert.
Das bedeutendste Zukunftskapital eines Landes und einer Gesellschaft sind immer noch seine jungen Menschen. Es ist höchste Zeit, daß wir uns darauf wieder besinnen.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Gerhard Päselt, CDU/CSU.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Aktuelle Stunde zur Lehrstellensituation
findet jedes Jahr statt.
Das ist der Tatsache geschuldet, daß die Zahl der betrieblichen Ausbildungsplätze den Bedarf in den zurückliegenden Jahren wie auch in diesem Jahr nicht decken konnte bzw. kann. Auch für die nächsten Jahre ist noch keine Entwarnung in Sicht.
Vergegenwärtigen wir uns die Ausgangssituation: Der Bedarf an Lehrstellen wird in den neuen Bundesländern durch stärkere Jahrgänge gegenüber dem Vorjahr um 14 000 auf 140 000 Plätze ansteigen. Trotz der vielfältigen Bemühungen der Wirtschaft, des öffentlichen Dienstes und der Arbeitsämter wird sich am Ende des Vermittlungsjahres wieder ein Defizit an betrieblich besetzbaren Lehrstellen ergeben,
dessen Höhe vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie unter Zugrundelegung der Vorjahreserfahrungen mit 12 000 angegeben wird. Andere Schätzungen sprechen von etwa 25 000 unversorgten Plätzen. Die wahre Größe dürfte dazwischen hegen.
Die für Lehrstellen im dualen System Verantwortlichen, Industrie, Handwerk und öffentlicher Dienst, dürfen einerseits nicht aus ihrer Verantwortung entlassen werden, sind aber andererseits in den neuen Bundesländern aus wirtschaftlichen Gründen objektiv nicht in der Lage, den Lehrstellenbedarf zu befriedigen. Dies war bisher jedes Jahr so und wird auch in diesem Jahr nicht anders sein.
Da Industrie, Handwerk und öffentlicher Dienst in den neuen Ländern das Lehrstellenproblem auch 1996 allein nicht lösen können, ist ein staatliches Begleitprogramm erforderlich. In den vergangenen Jahren hat sich gezeigt, daß eine pauschale Förderung von außerbetrieblichen Ausbildungsplätzen das Problem nicht lösen kann. Es bedarf vielmehr der konkreten Anpassung an die Bedingungen vor Ort.
Durch das von Bundesminister Rüttgers vorgelegte Zukunftsbündnis Lehrstellen wurde rechtzeitig reagiert. Ich möchte hier aber nicht verschweigen, daß die Lage auf dem Lehrstellenmarkt in den letzten Jahren und auch in diesem Jahr nicht einfach war und ist. Dennoch konnte das Problem in den vergangenen Jahren gelöst werden. Wir hoffen, daß dies auch in diesem Jahr der Fall ist.
Bei der von unserer Fraktion veranstalteten Anhörung in Berlin hatte ich den Eindruck, daß alle an einem Strang in die gleiche Richtung ziehen, von der Gewerkschaft bis zum Handwerk; mit leichten Einschränkungen gilt dies auch für die Industrie. So stellt sich auch die gesamtdeutsche Situation dar: Die Industrie hat ihre dem Bundeskanzler gegebene Zusage von 10 Prozent mehr Ausbildungsplätzen im Zweijahreszeitraum 1995 und 1996 bisher noch nicht eingelöst. Im Jahre 1995 waren es nur etwa 2 Prozent, so daß 1996 noch 8 Prozent ausstehen.
Wir richten auch von dieser Stelle den Appell an die Industrie, zu ihrer Zusage zu stehen.
Gestatten Sie mir, noch einige Bemerkungen zur ostdeutschen Situation zu machen. Ich habe von der Anhörung die Ausführungen des Vertreters vom DGB, Dr. Jürgen Weißbach aus Sachsen-Anhalt, mitgebracht.
Sie dürfen sich das selbst durchlesen. Mir steht es nicht zu, das alles zu zitieren. Nur soviel: Die ostdeutsche Industrie hat zu ihren Verpflichtungen gestanden.
Dr. Gerhard Päselt
Mehr kann sie in der Regel nicht machen.
Ich betone das hier, weil immer wieder der Vorwurf erhoben wird, die lösten ihr Versprechen nicht ein. Sie haben es eingelöst. Mehr Industrie ist, bitte schön, nicht vorhanden. Auch darauf muß hingewiesen werden, wenn hier laufend nur kritisiert wird.
Die Vertreter aus Cottbus - da sollte Herr Hilsberg zuhören - haben darauf hingewiesen, daß die Großindustrie dort, zum Beispiel Laubag, über ihre Maßen ausbildet, obwohl die Betriebe keinen Bedarf sehen, weil sie keine Zukunft haben.
Sie sollten sich dieses ganze Material ansehen. In diesem Punkt bestand eine weitgehende Übereinstimmung. Gleiches wurde mir auf einer Veranstaltung der CDA in Gotha gesagt. Leider weiß ich den Namen des Vertreters der IG Metall aus Frankfurt am Main nicht mehr, der bestätigt hat: Es gibt keine Differenzen. Ihre Forderungen für Ostdeutschland zur Lage auf dem Arbeits- bzw. Ausbildungsmarkt stimmen in dieser Form einfach nicht.
Zu Ihnen, Herr Rixe, darf ich noch sagen: Er bejahte eindeutig die Qualität der außerbetrieblichen Ausbildung. Ich sage Ihnen das. Er sagt: Die wird in Ostdeutschland noch lange oder längere Zeit notwendig sein.
Ich möchte an dieser Stelle einige Eckpunkte aus dem „Zukunftsbündnis Lehrstellen" darstellen. Von allen Seiten wurde es als Schritt in die richtige Richtung gelobt.
Herr Kollege, ich muß Sie geschäftsleitend darauf aufmerksam machen, daß Sie Ihre Zeit erschöpft haben. Allzuviel Redezeit haben Sie nicht mehr. Ich sage das nur für die Planung Ihrer letzten Sätze.
Gut. - Ich möchte aus meinem Wahlkreis ein Beispiel nennen, das zeigt, wie man mit Engagement Lehrplätze akquirieren kann. Mir wurde vom Arbeitsamt Gotha heute zugefaxt, daß man vom 15. April bis zum 3. Mai die Berufsberater in 1 170 Betriebe geschickt hat und daß in diesem Zeitraum 309 zusätzliche betriebliche Ausbildungsplätze akquiriert wurden.
Ich hoffe, daß unsere Ausbildungsplatzentwickler genausoviel Erfolg haben werden und daß wir das Problem auch dieses Jahr gemeinsam lösen werden. Dieser Wunsch gilt für dieses Jahr; alles Weitere wird sich mit dem gerade Dargestellten lösen lassen.
Das Wort hat die Kollegin Edelgard Bulmahn, SPD.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist richtig, daß wir bereits vor einem Jahr fast zur gleichen Zeit die Ausbildungsplatzsituation in der Bundesrepublik im Deutschen Bundestag diskutiert haben. Es ist richtig, daß wir das auch schon vor zwei Jahren getan haben. Aber ich frage Sie, Herr Minister Rüttgers, und auch Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen: Macht Sie das nicht ein wenig nachdenklich?
Macht es Sie nicht nachdenklich, daß wir in dieser Frage nicht den Erfolg erreicht haben, den wir alle miteinander wünschen und den wir brauchen?
Was ist aus der Trendwende, die vor einem Jahr mit großem Pomp angekündigt worden ist, geworden? Wir stehen heute vor der Situation, daß es nahezu als 130 000 Jugendliche gibt, die keinen Ausbildungsplatz gefunden haben. Was, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist denn dramatischer?
Was für ein Parlament wären wir, wenn wir in die Sommerpause gingen und diese Situation hier nicht diskutiert hätten?
Sie sagen: Jeder muß das tun, was ihm möglich ist und was in seiner Verantwortung liegt. Dazu sage ich: Ja. Ich sage aber auch zu Ihnen, Herr Minister Rüttgers: Es ist Ihre Pflicht, das Ihrige zu tun.
Das, was wir in den vergangenen Jahren immer wieder erlebt haben, ist, daß die Vorschläge, die gemacht wurden, nicht ausreichten. Wir müssen feststellen, daß das Lehrstellenversprechen der deutschen Wirtschaft im letzten Jahr nur halbherzig umgesetzt worden ist. Herr Minister Rüttgers, sind denn 25 000 Jugendliche, die im letzten Jahr keine Lehrstelle gefunden haben,
für Sie nichts? Sind sie Luft?
Sie haben gesagt, es sei im letzten Jahr zum Erfolg gekommen, alle hätten einen Ausbildungsplatz gefunden.
Eine offizielle Verlautbarung der Bundesregierung, die sozialpolitische Umschau des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, sagt: 25 000 Jugendliche wurden diesen Zahlen zufolge im Jahre 1995 nicht vermittelt. Das ist eine offizielle Verlautbarung dieser Bundesregierung. Sie stammt nicht aus Ihrem Haus, Herr Rüttgers, das ist richtig, aber sie stammt aus einem anderen Hause.
Edelgard Bulmahn
Interessiert es Sie denn überhaupt nicht, daß 25 000 Jugendliche keine Lehrstelle bekommen?
Können Sie das wirklich als vollen Erfolg verkaufen? Ich nicht.
Wir stehen alle in der Pflicht, auch Sie, Herr Minister Rüttgers. Ich halte es für dringend notwendig, daß jetzt endlich gehandelt wird und daß Sie mit Bitten und Betteln an die Adresse der Wirtschaft aufhören. Die Politik der Appelle hilft nicht mehr weiter, das hat das Ausbildungsjahr 1995 sehr deutlich gemacht,
und das zeigt sich mit aller Härte bei den neuesten Zahlen.
Ihr zusätzliches Programm „Zukunftsbündnis Lehrstellen" ist gut und schön. Sie haben in vielen Punkten unsere Unterstützung, denn viele dieser Punkte haben wir von seiten der SPD schon lange gefordert. Wir halten es für richtig, daß sie umgesetzt werden. Ich muß aber ganz klar sagen: Das Programm reicht nicht aus.
Das Hauptproblem, vor dem wir heute stehen und das offensichtlich immer noch nicht zur Kenntnis genommen wird, besteht darin, daß das duale System strukturell bedroht ist und daß Sie endlich handeln müssen. Wenn sich nur knapp ein Drittel der Betriebe, liebe Kolleginnen und Kollegen, an der Ausbildung beteiligen, wenn nur 15 Prozent aller Auszubildenden in Großbetrieben mit über 1000 Beschäftigten ausgebildet werden, so muß das doch auch Ihnen Anlaß zum Nachdenken geben. Der Rückzug der großen Unternehmen aus der beruflichen Bildung - das ist das Hauptproblem, über das wir reden -
muß gestoppt werden.
Dazu bedarf es einer Reform der beruflichen Bildung, mit der die Qualität der Ausbildung verbessert, veränderte Qualifikationsanforderungen aufgenommen und so die Attraktivität für die Unternehmen erhöht werden.
Mein Kollege Günter Rixe hat gesagt, daß wir einen gerechten Leistungsausgleich vorschlagen, mit dem wir erreichen wollen, daß sich alle Betriebe an der Ausbildung beteiligen. Dabei geht es nicht darum, wie Sie von den Koalitionsparteien uns immer wieder gerne unterstellen, der deutschen Wirtschaft neue Lasten aufzubürden. Nein, wir wollen endlich eine gerechte Verteilung der Lasten und eine gerechte Beteiligung aller Unternehmen: Wer überdurchschnittlich ausbildet, soll von den Kosten entla-
stet werden, wer unterdurchschnittlich ausbildet, soll wenigstens an den Kosten der Ausbildung beteiligt werden.
Damit können gerade das Handwerk sowie kleine und mittlere Unternehmen zusätzlich gefördert werden, und die großen Unternehmen bekommen wir endlich stärker in die Verantwortung für die Ausbildung zurück.
Es gibt verschiedene Wege, liebe Kolleginnen und Kollegen, einen gerechten Leistungsausgleich einzuführen. Welcher Weg zu gehen ist, werden wir mit den Arbeitgebern, den Gewerkschaften und den Handwerkskammern diskutieren. Diese Beratung aktiv einzuleiten, das, finde ich, wäre ein angemessener Beitrag auch der Bundesregierung zu einem glaubwürdigen und wirklich überzeugenden „ Bündnis für Ausbildung".
Ich finde, es muß endlich Schluß damit sein, das Thema „Ausbildungsfinanzierung" als ideologisches Kampffeld zu betrachten und zu diffamieren. Vorschläge müssen auf ihre Wirksamkeit hin geprüft werden. Das sind wir den Jugendlichen wirklich schuldig. 130 000 Jugendliche, über die wir reden, sind unsere Zukunft.
Frau Kollegin, achten Sie bitte auf die Zeit!
Ich selber habe in den vergangenen Monaten bei vielen Gesprächen mit Handwerksbetrieben, Handwerkskammern und kleinen und mittleren Unternehmen immer wieder festgestellt, daß dort eine große Bereitschaft vorhanden ist, über neue Formen einer solidarischen Ausbildungsfinanzierung zu beraten, weil nämlich sie bisher die Lasten getragen haben.
Ich finde, es wäre an der Zeit, daß wir uns in diesem Parlament auf die Suche nach einer sachlichen Lösung für dieses Problem begeben. Das sind wir den Jugendlichen in unserem Land, die einen Anspruch auf eine qualifizierte und zukunftsorientierte Ausbildung haben, schuldig.
Das Wort hat der Kollege Dr. Paul Krüger, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben in dieser Debatte heute große Worte gehört. Es war ein vielstimmiger Chor insbesondere von der Opposi-
Dr.-Ing. Paul Krüger
tion. Leider gab es kein Konzept. Zum einen wird gesagt, die Wirtschaft sei allein verantwortlich, zum anderen, der Staat habe die Schuld. Wenn hier vom real existierenden Kapitalismus geredet wird, dann muß ich sagen: Wer das sagt, hat nicht begriffen, daß die Ausbildungsplatzsicherung - das zeigen die letzten Jahre - gerade in den neuen Bundesländern der Beweis dafür ist, daß wir in einer sozialen Marktwirtschaft leben.
Der Staat hat immer gehandelt. Der Staat macht allerdings nicht alles. Die SPD will natürlich, daß der Staat immer möglichst alles regelt.
Angesichts dieser Äußerungen appelliere ich zunächst einmal an die Länder. Wenn überhaupt der Staat in der Pflicht steht, dann betrifft dies die Länder.
Zum zweiten darf ich Ihnen folgendes sagen. Ein Umlagesystem, das Sie fordern, würde gerade in den neuen Bundesländern dazu führen, daß viele Betriebe in das sichere Aus gingen. Daneben gibt es übrigens viele Betriebe, die gern ausbilden und sogar kostengünstig ausbilden. Die Lösung, die Sie uns immer wieder anbieten, wird uns das Problem nicht vom Hals schaffen.
Lassen Sie mich kurz etwas zur Ausbildungssituation in den neuen Ländern sagen. Die Situation ist wie jedes Jahr kritisch und problematisch. Ich finde es nicht gut, daß wir hier jedes Jahr gerade zu dieser Zeit die Jugendlichen dadurch verunsichern,
daß wir ihnen suggerieren, wir würden nicht genügend Ausbildungsplätze schaffen. An jedem Jahresende haben wir bewiesen, daß wir mehr Plätze als Ausbildungsplatzsuchende haben. Wir haben jedes Jahr gehandelt. Wir werden auch dieses Jahr wieder handeln. Wir haben uns bereits im Oktober letzten Jahres mit dem Bundeswirtschaftsministerium und dem Bundesbildungsministerium zusammengesetzt und ein Konzept entwickelt, welches seinen Niederschlag letztlich im Zukunftsbündnis für Lehrstellen gefunden hat. Die Schwerpunkte sind heute zum Teil schon angesprochen worden. Ich darf sie zusammenfassen: Modernisierung der Berufsausbildung, Schaffung neuer Berufsbilder, Nutzung sogar von Kreditprogrammen zur Schaffung von Ausbildungsbedingungen in den Unternehmen, Einsatz zusätzlicher Ausbildungsplatzentwickler, finanzielle Beteiligung an der Förderung zusätzlicher Plätze - das ist der Schwerpunkt dieses Programms - für zunächst 13 000 Plätze - wir werden sehen, ob wir noch weitere brauchen; darüber müssen wir uns dann genauer informieren - bis hin zur Unterstützung der Berufsausbildung bei den Existenzgründern.
Dieses ganze Programm, insbesondere auch die Förderung der Ausbildungsplätze über Bund und Länder, ist ein subsidiäres Programm. Das finde ich bemerkenswert. Die Länder haben die Freiheit, selbst zu entscheiden, wie sie dieses Programm ausfüllen wollen. Jetzt sind Länder, Kammern und Arbeitsämter gefragt, dieses Programm umzusetzen. Sie müssen initiativ werden, und wir wissen, daß sie das auch tun.
Wir wünschen uns, daß in jedem neuen Bundesland ein Bündnis für Ausbildung entsteht, vielleicht entsprechend der Sachsen-Initiative.
Die Sachsen haben haben eine echte Innovation vorgelegt. Sie haben durch eine ganze Reihe von neuen Schritten bei der Berufsausbildung gezeigt, wie man es machen kann, Dazu gehören Ausbildungsvereine, Ausbildungsverbünde, Mobilitätshilfen und flexiblere Formen zwischen der betrieblichen und der außerbetrieblichen Ausbildung - hier müssen und sollten wir neue Ideen entwickeln - bis hin zur Flexibilisierung des Berufsschulunterrichtes.
Das sind Innovationen, die, wie ich denke, die alten Länder von den neuen Ländern übernehmen könnten, um die anstehenden Probleme zu lösen. All das ist Beweis genug dafür, daß die Bundesregierung und die sie tragende Koalition gehandelt haben.
Wir werden in unseren Appellen gegenüber der Wirtschaft nicht locker lassen und weiter betonen, daß die Wirtschaft in der Pflicht steht. Darin stimmen wir ausnahmsweise auch überein. Aber wir dürfen uns keine Illusionen über die Möglichkeiten und die Kraft der Wirtschaft machen. Deswegen werden wir weiterhin die Entwicklung beobachten
und mit großer Aufmerksamkeit dafür Sorge tragen, daß alle Ausbildungsplatzsuchenden am Jahresende auch einen Ausbildungsplatz erhalten,
wie das bisher immer der Fall war. Das, meine Damen und Herren, garantiere ich Ihnen.
Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung angekommen.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 27. Juni 1996, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.