Protokoll:
13114

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 13

  • date_rangeSitzungsnummer: 114

  • date_rangeDatum: 21. Juni 1996

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 14:53 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 13/114 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 114. Sitzung Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 Inhalt: Abwicklung der Tagesordnung 10203 A Begrüßung einer Delegation von Gouverneurinnen aus Usbekistan 10239 C Tagesordnungspunkt 15: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Ladenschluß und zur Neuregelung der Arbeitszeit in Bäckereien und Konditoreien (Drucksachen 13/4245, 13/4975) . . 10203 B Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ladenschlußgesetzes (Drucksachen 13/201, 13/4975) 10203 B Jochen Feilcke CDU/CSU 10203 C Hans-Eberhard Urbaniak SPD 10205 C Eckart von Klaeden CDU/CSU . . . 10206 B Hans Michelbach CDU/CSU . . 10206D, 10207 B Margareta Wolf (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10208 B Dr. Wolfgang Gerhardt F.D.P. . . . 10209D, 10212B Christa Nickels BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10211B Ingrid Holzhüter SPD 10211 D Manfred Mülller (Berlin) PDS . . 10212 D Dr. Peter Ramsauer CDU/CSU 10214 A Renate Rennebach SPD 10216A Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 10217 B Gabriele Iwersen SPD 10218 D Günter Graf (Friesoythe) SPD 10219 B Sabine Kaspereit SPD 10219C Dr. Winfried Pinger CDU/CSU (Erklärung nach § 31 GO) 10220 D Ernst Hinsken CDU/CSU (Erklärung nach § 31 G0) 10221C Namentliche Abstimmung 10222 B Ergebnis 10222 C Tagesordnungspunkt 16: Erste Beratung des von den Abgeordneten Ottmar Schreiner, Rudolf Dreßler, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beseitigung des Mißbrauchs der Geringfügigkeitsgrenze in der Sozialversicherung (Drucksache 13/3301) 10225 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Dauerhafte Beschäftigungen sozialversichern (Drucksache 13/4969) 10225B Leyla Onur SPD 10225 C Julius Louven CDU/CSU 10227 A Annelie Buntenbach BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10227 D Dr. Gisela Babel F.D.P 10229B Petra Bläss PDS 10230 C Peter Dreßen SPD 10231 D Rudolf Kraus, Parl.Staatssekretär BMA 10234A Tagesordnungspunkt 17: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Erwin Marschewski, Wolfgang Zeitlmann und der Fraktion der CDU/ CSU sowie der Abgeordneten Dr. Max Stadler, Cornelia Schmalz-Jacobsen und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung straf-, ausländer- und asylverfahrensrechtlicher Vorschriften (Drucksache 13/4948) 10235 B b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes (Drucksache 13/3331) . . . 10235 C c) Erste Beratung des von der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Gruppe der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ausländergesetzes (Drucksache 13/3626) . . . 10235 C d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes/EWG (Drucksachen 13/3941, 13/4340) 10235 C e) Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Gruppe der PDS: Abschiebestopp für algerische Flüchtlinge (Drucksache 13/1891) . . . . . . 10235 C f) Antrag der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), Christa Nickels und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Verhinderung von Abschiebungen in den Sudan (Drucksache 13/2361) . . 10235 D g) Antrag der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), Amke Dietert-Scheuer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Schutz für Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge (Drucksache 13/3430) 10235 D h) Antrag der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), Amke Dietert-Scheuer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Altfallregelung für seit langem hier lebende Asylsuchende (Drucksache 13/3877) 10235 D i) Antrag der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), Amke Dietert-Scheuer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Menschenrechtlich orientierte Asyl- und Flüchtlingspolitik (Drucksache 13/4379) 10236 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 10: Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ausländergesetzes (Drucksache 13/4981) . . . . . . . 10236 A Erwin Marschewski CDU/CSU . . 10236B, 10240B Hanna Wolf (München) SPD 10237 C Otto Schily SPD 10238B Sabine Leutheusser-Schnarrenberger F.D.P. 10239A Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10239D Dr. Willfried Penner SPD 10240C, 10259 C Kerstin Müller (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10244 A Cornelia Schmalz-Jacobsen F.D.P. 10245D, 10260A Irmingard Schewe-Gerigk BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10246D Ulla Jelpke PDS 10247 D Wolfgang Zeitlmann CDU/CSU . . . 10249C Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast SPD . . 10251A Dr. Max Stadler F D P. 10254 D Cern Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10256 C Erika Steinbach CDU/CSU . . . . 10258A, 10259D Otto Schily SPD 10259A, 10260D, 10261A, 10261D Manfred Kanther, Bundesminister BMI . 10260 B Tagesordnungspunkt 18: Antrag der Abgeordneten Petra Bläss und der Gruppe der PDS: Gegen Armut und Abhängigkeit - für eine eigenständige Alterssicherung von Frauen (Drucksache 13/4684) . . . 10263B Petra Bläss PDS 10263 C Helmut Heiderich CDU/CSU 10264 C Ulrike Mascher SPD 10266A Uwe Lühr F.D.P 10267 B Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10268A Tagesordnungspunkt 19: a) Antrag der Abgeordneten Dr.-Ing. Dietmar Kansy, Peter Götz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Hildebrecht Braun (Augsburg), Dr. Klaus Röhl und der Fraktion der F.D.P.: Umsetzung der Habitat II-Empfehlungen (Drucksache 13/4951) 10269A b) Antrag der Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig, Dr. Angelika KösterLoßack, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Einlösung der Versprechen von Rio auf der VN-Konferenz Habitat II in Istanbul (Drucksache 13/4919) . . 10269B Zusatztagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Volkmar Schultz (Köln), Ingrid Becker-Inglau, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der SPD: Siedlungspolitik mit der Agenda von Habitat II in Einklang bringen (Drucksache 13/4966) . . . . 10269C Zusatztagesordnungspunkt 11: Antrag der Abgeordneten Achim Großmann, Angelika Mertens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Städtebauförderung als wichtiges Investitionsinstrument erhalten und ausbauen (Drucksache 13/4761) . . . . 10269 C Tagesordnungspunkt 20: Antrag der Abgeordneten Gila Altmann (Aurich) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Verschärfung der Maßnahmen gegen die fortschreitende Gefährdung der menschlichen Gesundheit und der Umwelt durch bodennahes Ozon (Drucksache 13/4727) 10269 D Zusatztagesordnungspunkt 9: Antrag der Fraktion der SPD: Änderung des „Sommersmog-Gesetzes" (Gesetz zur Änderung des BundesImmissionsschutzgesetzes vom 19. Juli 1995) (Drucksache 13/4974) 10270A Nächste Sitzung 10270C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 10271 A Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes über den Ladenschluß und zur Neuregelung der Arbeitszeiten in Bäckereien und Konditoreien (Tagesordnungspunkt 15) 10271* B Anneliese Augustin CDU/CSU 10271* B Dr. Wolf Bauer CDU/CSU 10271* C Renate Blank CDU/CSU 10271* D Klaus Bühler (Bruchsal) CDU/CSU . . 10272* C Hartmut Büttner (Schönebeck) CDU/CSU 10273* A Dr. Uschi Eid BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10273* B Hans-Joachim Fuchtel CDU/CSU . . . . 10273* C Claus-Peter Grotz CDU/CSU 10273* C Siegfried Hornung CDU/CSU 10273* D Dr. Uwe Jens SPD 10273* D Dr. Egon Jüttner CDU/CSU 10274* B Sigrun Löwisch CDU/CSU 10274* D Dr. Norbert Rieder CDU/CSU 10275* A Franz Romer CDU/CSU 10275* B Reinhard Freiherr von Schorlemer CDU/ CSU 10275* B Gert Willner CDU/CSU 10275* D Michael Wonneberger CDU/CSU . . . 10276* B Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Alois Graf von Waldburg-Zeil und Dr. Renate Hellwig (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes über den Ladenschluß und zur Neuregelung der Arbeitszeiten in Bäckereien und Konditoreien (Tagesordnungspunkt 15) . 10276* C Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 19a und b (a - Antrag: Umsetzung der Habitat II-Empfehlungen; b - Antrag: Einlösung der Versprechen von Rio auf der VN-Konferenz Habitat II in Istanbul); und Zusatztagesordnungspunkte 8 und 11 (Antrag: Siedlungspolitik mit der Agenda von Habitat II in Einklang bringen; Antrag: Städtebauförderung als wichtiges Investitionsinstrument erhalten und ausbauen) 10277* A Peter Götz CDU/CSU 10277* A Gert Willner CDU/CSU . . . . . . . 10278* C Volkmar Schultz (Köln) SPD . . . . . 10279* B Ingrid Becker-Inglau SPD 10280* C Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10281* D Dr. Irmgard Schwaetzer F.D.P 10282* D Klaus-Jürgen Warnick PDS . . . . . . 10283* B Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister BMBau 10284* A Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 20 (Antrag: Verschärfung der Maßnahmen gegen die fortschreitende Gefährdung der menschlichen Gesundheit und der Umwelt durch bodennahes Ozon); und zu Tagesordnungspunkt 9 (Antrag: Änderung des „Sommersmog-Gesetzes" - Gesetz zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes vom 19. Juli 1995) 10286* A Gila Altmann (Aurich) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10286* A Christa Reichard (Dresden) CDU/CSU . 10287* A Dr. Angelica Schwall-Düren SPD . . . 10288* D Birgit Homburger FD P. 10290* D Eva Bulling-Schröter PDS 10291* D Anlage 6 Immatrikulationen an den Technischen Universitäten MdlAnfr 46 - Drs 13/4908 - Dr. Egon Jüttner CDU/CSU SchrAntw PStSekr'in Cornelia Yzer BMBF 10292' B Anlage 7 Amtliche Mitteilungen 10293* B 114. Sitzung Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 Beginn: 9.00 Uhr
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    *) Anlage 5 Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Behrendt, Wolfgang SPD 21. 6. 96 *) Belle, Meinrad CDU/CSU 21. 6. 96 Blunck, Lilo SPD 21. 6. 96 Dr. Peter Glotz SPD 21. 6. 96 Gysi, Andrea PDS 21. 6. 96 Dr. Höll, Barbara PDS 21. 6. 96 Horn, Erwin SPD 21. 6. 96 Dr. Kinkel, Klaus F.D.P. 21. 6. 96 Knoche, Monika BÜNDNIS 21. 6. 96 90/DIE GRÜNEN Dr. Kohl, Helmut CDU/CSU 21. 6. 96 Michels, Meinolf CDU/CSU 20. 6. 96 Nolte, Claudia CDU/CSU 21. 6. 96 Pretzlaff, Marlies CDU/CSU 21. 6. 96 Dr. Rexrodt, Günter F.D.P. 21. 6. 96 Schaich-Walch, Gudrun SPD 21, 6. 96 Scharping, Rudolf SPD 21. 6. 96 Schlauch, Rezzo BÜNDNIS 21. 6. 96 90/DIE GRÜNEN Siebert, Bernd CDU/CSU 21. 6. 96 *) Steindor, Marina BÜNDNIS 21. 6. 96 90/DIE GRÜNEN Dr. Waigel, Thoeodor CDU/CSU 21. 6. 96 Wimmer (Neuss), Willy CDU/CSU 21. 6. 96 *) für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes über den Ladenschluß und zur Neuregelung der Arbeitszeiten in Bäckereien und Konditoreien (Tagesordnungspunkt 15) Anneliese Augustin (CDU/CSU): Ich bin der festen Überzeugung, daß die Neuregelung des Ladenschlusses zu einem nachteiligen Strukturwandel innerhalb des Handels führen wird und insbesondere der mittelständische Einzelhandel in weiten Teilen nachteilig betroffen sein wird. Ebenso werden zum Anlagen zum Stenographischen Bericht Schaden des Familienlebens Hundertausende von Beschäftigten - insbesondere Frauen - gezwungen sein, in den Abendstunden zu arbeiten. Nur der Respekt vor dem Mehrheitsbeschluß meiner Fraktion hat mich dazu bewogen, dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neuregelung des Ladenschlusses in der modifizierten Ausschußfassung zuzustimmen. Dr. Wolf Bauer (CDU/CSU): In der heutigen namentlichen Abstimmung werde ich für eine Änderung des Ladenschlußgesetzes stimmen, obwohl ich diese Entscheidung für falsch halte. Durch mein Abstimmungsverhalten möchte ich der Handlungsfähigkeit unserer Koalition nicht dergestalt schaden, daß andere wichtige Gesetzesvorhaben, die im Zusammenhang mit dem Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung stehen, gefährdet werden. Die geplante Änderung des Ladenschlußgesetzes führt zu einer weiteren Konzentration im Einzelhandel. Das Gebot der Stunde hingegen ist, den Mittelstand zu stärken. Hinzu kommt, daß mit einer Ausweitung der Ladenöffnungszeiten eine weitere Benachteiligung des ländlichen Raumes einhergeht. Diese Benachteiligung wird nicht zuletzt auch vom Bundeswirtschaftsminister bestätigt, der am 9. Mai 1996 vor dem Deutschen Bundestag erklärte, sich vorstellen zu können, „daß längere Öffnungszeiten am Sonnabend durchaus ein Stück Umsatzverlagerung vom ländlichen Raum in das städtische Gebiet mit sich bringen können". Renate Blank (CDU/CSU): Dem Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Ladenschluß kann ich in dieser Form nicht zustimmen. Jede Entscheidung ist für mich eine Abwägung von Werten. Ich erlaube mir auch den Hinweis, daß eine zwischen den Koalitionspartnern vereinbarte gleichzeitige Änderung des § 5 c Kartellgesetz (Verbundgruppen) bisher nicht vorliegt; ich bedaure dies sehr, denn gerade diese Änderung könnte dem mittelständischen Einzelhandel helfen. Das ifo-Gutachten und die Anhörung haben deutlich gemacht, daß kleine und mittlere Unternehmen und die dort Beschäftigten die Verlierer einer Änderung sein werden. Für mich ist das bestehende Ladenschlußgesetz nach wie vor ein für Verbraucher, Beschäftigte und Arbeitgeber tragfähiger Kompromiß. ' Auf die Verbraucher werden bei verlängerten Öffnungszeiten höhere Kosten zukommen, da ab 18.30 Uhr höhere Tarife bezahlt werden müssen; zudem entstehen höhere Raumkosten. Der Kunde hat die Möglichkeit zum Preisvergleich und Einkaufsvergnügen nur, wenn alle am Wettbewerb beteiligten Unternehmen zu gleicher Zeit geöffnet haben - dies ist bei einer Ausweitung nicht mehr gewährleistet. Ferner ist - Ausnahme Großstädte - der ÖPNV ab 19.00 Uhr ausgedünnt bzw. nicht mehr vorhanden. Das ÖPNV-Angebot müßte also mit großem Kostenaufwand, was sich auf den Steuerzahler auswirken würde, erweitert werden. Und nun zu den Beschäftigten im Handel: Schon heute sind in den Nachmittags- und Abendstunden keine Fachkräfte mehr zu erhalten. Im Einzelhandel gibt es auch noch nicht besetzte Ausbildungsplätze, warum wohl? Schlechte Bezahlung und unregelmäßige Arbeitszeiten, einschl. Samstag, sind daran schuld! Damit möchte ich auf die dritte Komponente des Ladenschlußgesetzes kommen, nämlich die Arbeitgeber. Wahrscheinlich entzündet sich die ganze Diskussion um das Ladenschlußgesetz nur am schlechten Service. Wer ist nicht schon öfters nach langem Suchen in den Regalen an nur einer geöffneten Kasse Schlange gestanden und hat sich geärgert über zuwenig Personal in den Supermärkten und Waren- und Kaufhäusern. Gerade die Großen im Handel haben in den beiden letzten Jahren je ca. 30 000 Voll- und Teilzeitarbeitskräfte entlassen und sehr stark auf 590-DM-Jobs umgestellt. Äußerungen aus diesem Bereich signalisieren bereits auch für 1996 eine Freistellung von ca. 30 000 Beschäftigten. Das ifo-Gutachten hat eindeutig dargelegt, daß kleine und mittlere Unternehmen die Verlierer einer Änderung sein werden. Zur Erinnerung: Es gibt ca. 170 Unternehmen mit je über 1 000 Beschäftigten, ca. 80 000 Betriebe ohne Arbeitnehmer und ca. 290 000 Betriebe mit bis zu 10 Beschäftigten; letztere werden die Verlierer sein und damit auch die dort Angestellten und letztendlich auch die Verbraucher! Die Konzentration im Handel wird weiter zunehmen. Dies hat schon die Einführung des langen Donnerstag gezeigt. Das ifo-Gutachten führt auch aus, daß es eine strukturelle Veränderung geben wird. Wenn dies politisch so gewollt ist, zumindest ist es auf jeden Fall der dringliche Wunsch der F.D.P., sollte man es deutlich sagen und nicht auf eine Flexibilisierung der Arbeitnehmer hinweisen, denn diese ist bei einer Öffnungszeit von über 60 Stunden und einer Arbeitszeit von 37,5 Stunden bereits gegeben. Der öffentliche Dienst, aber auch die Industrie, sind weitaus weniger flexibel als die im Handel Beschäftigten. Meines Erachtens besteht Handlungsbedarf im Bereich des Wettbewerbsrechts. Wir haben keinen echten Wettbewerb mehr, sondern eine Kapitaleinkaufsmacht. Im berechtigten Interesse eines mittelständischen Handels, der keine Arbeitsplätze ins Ausland verlagern kann, und der deutschen Industrie sind dringend Rahmenbedingungen erforderlich, die eine weitere Konzentration mit Oligopol- oder sogar Monopolbildung verhindern. Hier besteht Handlungsbedarf und nicht beim Ladenschlußgesetz! Ein Blick noch über den Zaun zu unseren Nachbarn, die in den Medien immer als so modern und wettbewerbsfähig dargestellt werden: In den USA gibt es ein Diskriminierungsverbot, und in Frankreich ist der Verkauf unter Einstandspreis „strafbewehrt". In Italien gibt es Öffnungszeiten von nur 44 Wochenstunden, und in Spanien wird wieder ein Ladenschlußgesetz eingeführt. Niederländer fahren trotz der dort vorhandenen Abendöffnungszeiten zum Einkaufen nach Deutschland - aufgrund der niedrigeren Verbraucherpreise. Zum Thema Tankstellenverkauf und Tele-shopping: Der Tankstellenumsatz macht zirka 3 Prozent des deutschen Einzelhandelsumsatzes aus, und Versandhandel und Tele-shopping liegen derzeit bei zirka 4 Prozent und werden in den nächsten Jahren über einen 6-Prozent-Anteil wahrscheinlich nicht hinauskommen. Der Einzelhandel benötigt Rahmenbedingungen im Wettbewerb und keine Änderung des Ladenschlußgesetzes! Die Folgen verlängerter Öffnungszeiten werden unter anderem sein: Weiterer Personalabbau durch Kostenmanagement im Zuge weiterer Konzentration sowie durch Schließungen bei kleinen und mittelständischen Unternehmen, Verschärfung der Konzentration mit Zentralisierung und Verringerung von Einzelhandelsstandorten, höhere Verbraucherpreise! Für mich besteht die Attraktivität des Einzelhandels für den Verbraucher in einer Vielzahl und Vielfalt von Geschäften aller Größenordnungen - diese Vielfalt muß im Interesse der Verbraucher erhalten bleiben! Klaus Bühler (Bruchsal) (CDU/CSU): Die langjährige Debatte um die Änderung des Ladenschlußgesetzes geht in die letzte Runde. Der Bundestag stimmt heute über den ausgehandelten Gesetzeskompromiß in zweiter und dritter Lesung ab. Ich habe zu keiner Zeit einen Zweifel daran gelassen, daß ich einer Änderung des Ladenschlußgesetzes äußerst kritisch gegenüberstehe. In den Diskussionen über die angestrebte Änderung habe ich mich immer mit Engagement für die Beibehaltung der bisherigen Regelung ausgesprochen. Mehrere Gründe haben mich in dieser Haltung bestärkt: Erstens. Die Ausdehnung der Ladenöffnungszeiten ist mit erheblichen familien- und arbeitnehmerunfreundlichen Auswirkungen verbunden. Zweitens. Im Gegensatz zu vielen anderen Kollegen vermag ich in der Öffnung der Ladenschlußzeiten keine konjunkturbelebenden Impulse zu sehen, vielmehr sehe ich darin eine Umsatzverlagerung vom ländlichen Raum in die umliegenden Großstädte und Ballungszentren sowie vom kleinen Einzelhandelsgeschäft zu den Großkaufhäusern und Einkaufsmärkten. Eine solche Konzentrationswirkung kann nicht erwünscht sein. Wenn ich dem Gesetz in seiner jetzigen Ausgestaltung dennoch zustimme (in dem zur Abstimmung vorliegenden Entwurf sind zumindest weitergehende Öffnungszeiten, wie sie der ursprüngliche Entwurf vorsah, vermieden worden), so sind für mich folgende Gründe ausschlaggebend: Erstens. Die Bundestagsfraktion der CDU/CSU hat auf ihrer Sitzung Anfang Juni in Berlin mit großer Mehrheit den zustande gekommenen Kompromiß gebilligt. Trotz zahlreicher Gespräche, die ich zusammen mit gleichgesinnten Fraktionskollegen geführt habe, ist es nicht gelungen, das Reformvorhaben aufzuhalten. Zweitens. Die öffentliche Diskussion um das Ladenschlußgesetz ist in den letzten Wochen - meiner Meinung nach völlig zu Unrecht - so geführt worden, als hänge von der Liberalisierung auf diesem Felde das weitere Schicksal des Wirtschaftsstandortes Deutschland ab. Damit wurde die Entscheidung über die Liberalisierung der Ladenschlußzeiten unzulässigerweise zu einem Prüfstein für die Handlungsfähigkeit der Regierungskoalition aufgewertet. Die dadurch erzeugte Stimmung läßt meines Erachtens eine ausschließlich auf die Thematik „Ladenschlußgesetz" bezogene Entscheidung nicht mehr zu; statt dessen herrscht der Eindruck vor, als müßten die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsparteien in dieser Frage ihren politischen Erneuerungswillen, ihre Geschlossenheit und nicht zuletzt ihre Regierungsfähigkeit beweisen. In dieser Situation sehe ich mich notgedrungen veranlaßt, zumal es sich bei dieser Abstimmung nicht um eine Gewissensentscheidung handelt, den Mehrheitsbeschluß meiner Fraktion zu akzeptieren. Hartmut Büttner (Schönebeck) (CDU/CSU): Ich stimme dem Vorschlag der Bundesregierung zum Ladenschlußgesetz zu, obwohl die gesetzliche Neuregelung erhebliche Gefahren für die weitere Entwicklung der Handelsstruktur in Deutschland beinhaltet. Als einer der - wenigen - Abgeordneten, der beruflich aus einem kleinen Handwerksbetrieb mit Ladengeschäft kommt, kann ich die Bedeutung des Beschlusses für die mittelständische Einzelhandelsstruktur aus eigener Erfahrung gewichten. Ich befürchte eine Beschleunigung der Strukturveränderungen in unserer Handelslandschaft, besonders zu Lasten der ländlichen Bereiche und der Peripherie von Großstädten. In den kommenden Monaten wird der Deutsche Bundestag über zahlreiche - auch teilweise umstrittene - Einzelfragen im Rahmen des Programms für Wachstum und Beschäftigung zu entscheiden haben. Hierbei kann es immer wieder zu Akzeptanzschwierigkeiten bei einzelnen Kollegen kommen. Die Handlungsfähigkeit der Regierungskoalition muß für den unverzichtbaren Umbau der Gesellschaft erhalten bleiben. Nur wenn die im Programm für Wachstum und Beschäftigung verankerten Gesetzesvorhaben durchgesetzt werden, haben wir eine Chance, die Sozialversicherungssysteme zu stabilisieren und für mehr Beschäftigung zu sorgen. In der Abwägung zwischen den möglichen Negativauswirkungen des Ladenschlußgesetzes und einer weiteren Handlungsfähigkeit der Regierungskoalition entscheide ich mich für einen funktionierenden Fortbestand der Koalition. Dr. Uschi Eid (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich halte eine Änderung des Ladenschlußgesetzes für notwendig, stimme aber gegen den von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Ladenschluß, weil er zu kurz greift. Hans-Joachim Fuchtel (CDU/CSU): Aus meiner Sicht bedarf es am bisherigen Ladenschlußgesetz keiner gravierenden Änderung, vor allem keiner generellen Verlängerung an Samstagen. Wenn ich dennoch dem Kompromiß, wie er jetzt Gesetz werden soll, zustimme, dann zur Abwendung einer weitgehenderen Regelung, gegen die ich mich mit Hinweisen auf die Auswirkung für den ländlichen Raum mit anderen Kolleginnen und Kollegen erfolgreich gewandt habe. Claus-Peter Grotz (CDU/CSU): Die Diskussion um das Ladenschlußgesetz hat für mich im Hinblick sowohl auf den mittelständischen Einzelhandel - gerade im ländlichen Raum - als auch die Verbraucher und die Beschäftigten eine besondere Bedeutung. In vielen Diskussionen habe ich das Für und Wider abgewägt. Zahlreiche Vorschläge und Argumente wurden ausgetauscht. Anfangs geäußerte Pläne gar einer völligen Freigabe der Ladenöffnungszeiten bzw. Öffnung bis 22.00 Uhr konnte ich zusammen mit anderen Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion abwenden. Der jetzt erlangte Kompromiß, die Öffnung bis 20.00 Uhr bzw. 16.00 Uhr an Samstagen, ist ein Erfolg dieser Bemühungen. Dadurch wird ein weiterer Abfluß der Kaufkraft vom ländlichen Raum in die Städte verhindert. Ich stimme für diese Änderung, da mit diesem Kompromiß den Interessen aller Betroffenen Rechnung getragen wird. Siegfried Hornung (CDU/CSU): In der Diskussion um das Ladenschlußgesetz wurden zahlreiche Vorschläge gemacht und Argumente ausgetauscht. Anfangs geäußerte Pläne einer völligen Freigabe der Ladenöffnungszeiten konnte ich zusammen mit anderen Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion abwenden. Auch die zur Diskussion gestandene Regelung der Öffnungszeiten werktäglich bis 22.00 Uhr konnte verhindert werden. Den Kompromiß, die Öffnung bis 20.00 Uhr, habe ich unter der Prämisse mitgetragen, daß an Samstagen keine Ausweitung der Ladenschlußzeiten erfolgt, die gerade für die mittelständischen Unternehmen des ländlichen Raumes eine große wirtschaftliche Belastung mit sich bringt. Dieser Vorschlag fand leider in der Fraktion keine entsprechende Mehrheit. Nur im Interesse einer regierungsfähigen Mehrheit stimme ich deshalb heute der Gesetzesvorlage zu. Dr. Uwe Jens (SPD): Wenn sich weltweit und um uns herum in Europa spürbare sozialökonomische Änderungen vollziehen, kann in Deutschland nicht alles so bleiben, wie es war. Die Bundesrepublik Deutschland ist keine Insel. Zur Zeit haben die Schaffung und der Erhalt von Arbeitsplätzen absolute Priorität. Unter dieser Zielsetzung sind alle Rahmenbedingungen unserer Volkswirtschaft auf Anpassung hin zu überprüfen. Wenn es nicht gelingt, wieder mehr Dynamik in die bundesrepublikanische Wirtschaftsentwicklung zu bringen, so ist der Abstieg der deutschen Wirtschaft in die 2. weltwirtschaftliche Liga vorprogrammiert. Solange es das Ladenschlußgesetz gibt, ist es umstritten. Bisher hat das Polit-Kartell aus HDE und HBV jede gravierende Änderung verhindert. Die Arbeitszeitbedingungen im Handel werden aber schon jetzt und sind in Zukunft verstärkt - wie in allen anderen Branchen - durch Tarifvertrag zu regeln. Die jetzt anstehende Änderung zum Ladenschlußgesetz ist jedoch lediglich quantitativer Natur und der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich die Interessengruppen in den Koalitionsfraktionen einigen konnten. Der vorgesehene Lösungsvorschlag wird keinen wesentlichen Beitrag zur Verringerung des Arbeitslosenproblems leisten können. Es ist vielmehr zu vermuten, daß diese Maßnahme weitere, umfassendere Novellierungsvorstellungen für die überschaubare Zeit verhindern wird. So wie in anderen Politikbereichen sind aber auch in diesem Falle qualitative Veränderungen mit intelligenten Lösungsansätzen gefragt. Die von der Koalition vorgesehene Regelung fördert eher den Trend zum Einkauf auf der Grünen Wiese. Mit umfassenderen Lösungsvorstellungen würden im übrigen eher zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen. Dazu gehören unter anderem: Die Prüfung, warum der Staat den Unternehmern überhaupt vorschreiben muß, wann sie ihre Geschäfte öffnen oder schließen dürfen. Der Bund verzichtet auf seine Regelungskompetenz und überläßt sie den Kommunen, um vor Ort zu entscheiden, wann die Geschäfte geöffnet werden sollen. Zumindest können alle Kleinbetriebe völlig vom Ladenschluß freigestellt werden, um ihre Wettbewerbsposition gegenüber den Größeren zu verbessern. Alle diese Regelungen würden mit Sicherheit auch zur Belebung der Innenstädte beitragen. Ich werde in meiner Fraktion dafür werben, effektivere Lösungen zur Verringerung wirtschaftlicher Verkrustungen vorzuschlagen. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ignoriert bedauerlicherweise die notwendigen strukturellen, qualitativen Veränderungen. Dr Egon Jüttner (CDU/CSU): Heute stimmt der Deutsche Bundestag über die Änderung des Ladenschlußgesetzes ab. Ich habe mich stets gegen eine Änderung der Ladenschlußzeiten ausgesprochen. Nach wie vor halte ich diese Gesetzesänderung nicht für erforderlich. Vielmehr sehe ich darin die Gefahr, daß es hierdurch zu Umsatzverlagerungen vom Einzelhandel zu den großen Kaufhäusern und Einkaufsmärkten sowie von den städtischen Randzonen in die Innenstädte kommen wird. Außerdem befürchte ich, daß eine Änderung des Ladenschlußgesetzes weitreichende Folgen für die Beschäftigten im Einzelhandel und deren Familien haben wird. Diese und andere Gründe haben mich dazu bewogen, eine Änderung dieses Gesetzes nicht zu befürworten. Auch bei der Anhörung haben sich keine neuen Gesichtspunkte ergeben, die mich zu einer Meinungsänderung bewogen hätten. Auch nach dem Berliner Mehrheitsbeschluß der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, das Ladenschlußgesetz zu ändern, habe ich mich weiterhin gegen eine Gesetzesänderung in der Hoffnung eingesetzt, daß zumindest die Verlängerung der Öffnungszeiten an Samstagen zurückgenommen wird. In vielen Einzelgesprächen mit Kolleginnen und Kollegen habe ich für eine solche Änderung geworben. Mit großem Bedauern mußte ich dann bei der Fraktionssitzung am 18. Juni 1996 feststellen, daß der von mir erhoffte Meinungsumschwung nicht mehr stattgefunden hat und ein erneuter Vorstoß zur Rücknahme der Samstagsverlängerung keine Resonanz mehr fand. Unabhängig davon ist nun in den vergangenen Tagen eine Entwicklung eingetreten, die es mir jetzt unmöglich macht, weiterhin gegen den Gesetzentwurf stimmen zu können. Besonders gravierend ist: Erstens. Von verschiedenen Seiten wurde die Ladenschlußfrage zunehmend nicht mehr als eine reine Sachfrage behandelt. Die Entscheidung für oder gegen den Gesetzentwurf über die Ladenschlußzeiten wurde plötzlich zum Gradmesser für die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung erklärt. Auf diese Weise wurde mir als Mitglied einer Koalitionsfraktion jeglicher Entscheidungsspielraum genommen. Ich bin nun gezwungen, mein Abstimmungsverhalten nach der übergeordneten Frage der Zukunft der Koalition auszurichten. Zweitens. Beim Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung hat es vor wenigen Tagen wichtige Verbesserungen für die Arbeitnehmer gegeben, insbesondere Änderungen in der Frage der Lohnfortzahlung und des Kündigungsschutzes sowie eine deutliche zeitliche Streckung bei der Heraufsetzung des Rentenalters bei Frauen. Das Ladenschlußgesetz wird als Teil dieses Gesamtpakets gesehen. Bei einem Scheitern des Ladenschlußgesetzes würden automatisch auch die Verbesserungen bei der Lohnfortzahlung, beim Kündigungsschutz und bei der Rentenfrage scheitern, was ich nicht verantworten kann. Als Abgeordneter, der das Wohl des Ganzen im Auge haben muß und der gleichzeitig den Bestand der Regierung nicht gefährden darf, muß ich auch mein Abstimmungsverhalten nach übergeordneten Gesichtspunkten ausrichten. Nach Abwägung aller Gesichtspunkte und auf Grund der Tatsache, daß es sich bei der Entscheidung über das Ladenschlußgesetz um keine Gewissensentscheidung handelt, bin ich deshalb zu dem Ergebnis gekommen, daß ich nicht gegen den Gesetzesvorschlag meiner Fraktion stimmen kann. Dies fällt mir im Hinblick auf meine Einstellung zum Ladenschlußgesetz wahrlich nicht leicht, weil ich weiß, daß ich damit viele Menschen enttäusche. Die Entwicklung der letzten Tage und die genannten Gesichtspunkte lassen mir aber keine andere Wahl. Hierfür bitte ich alle diejenigen, die gegen eine Änderung des Ladenschlußgesetzes sind, um Verständnis. Sigrun Löwisch (CDU/CSU): Ich stimme gegen den Entwurf zur Änderung des Ladenschlußgesetzes, weil er nach meiner persönlichen Überzeugung vor allem Fachgeschäfte, Klein- und Familienbetriebe und die in ihnen tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu sehr belastet, ohne daß dem ein absehbarer Zuwachs an Arbeitsplätzen gegenüberstünde. Die Einkaufsvielfalt wird eingeschränkt werden. Den erhöhten Personal- und Betriebskosten werden keine erhöhten Einnahmen gegenüberstehen, eine Umwälzung dieser Kosten auf die Ware ist vorprogrammiert. Die Alternative, die Geschäfte zu bestimmten Zeiten, beispielsweise am Vormittag, später zu öffnen, wäre ein Rückschritt. Die Tätigkeit im Einzelhandel wird sehr stark vom Engagement und der Qualifikation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geprägt - durch eine Änderung der Ladenschlußzeiten im Sinne des vorgelegten Ladenschlußgesetzes wird die Tätigkeit im Einzelhandel unattraktiver, und die Ausbildung in diesem Bereich wird von vielen jungen Menschen nicht mehr angestrebt werden. Einer Neufassung des Ladenschlußgesetzes, die den genannten Bedenken mehr Rechnung trägt als der jetzt abgelehnte Entwurf, werde ich zustimmen. Es wäre falsch, aus meiner Stimmabgabe zu schließen, ich hätte Bedenken auch gegen die von den Koalitionsfraktionen eingebrachten Gesetzentwürfe zum Wachstums- und Beschäftigungsprogramm. Diese werden von mir im Gegenteil voll inhaltlich unterstützt. Dr. Norbert Rieder (CDU/CSU): In der Diskussion um das Ladenschlußgesetz wurden zahlreiche Vorschläge gemacht und Argumente ausgetauscht. Den anfangs geäußerten Plänen zu einer völligen Freigabe der Ladenöffnungszeiten bzw. Öffnung bis 22.00 Uhr konnte ich zusammen mit vielen anderen Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion nicht zustimmen, da eine Freigabe der Ladenöffnungszeiten nach meiner Ansicht zu großen Strukturbrüchen, vor allem im Umkreis der Städte, geführt hätte. Auch an die Mitarbeiter und an die Eigentümer vor allem der Familienbetriebe im Einzelhandel muß gedacht werden. Der Kompromiß, die Öffnung bis 20.00 Uhr bzw. 16.00 Uhr an Samstagen, ist ein Erfolg unserer Bemühungen. Vor allem wurde mit der Abschaffung der langen Samstage einem weiteren Abfluß der Kaufkraft vom ländlichen Raum in die Städte vorgebeugt. Ich stimme für diese Änderung, die ich als gerade noch erträglichen Kompromiß betrachte. Franz Romer (CDU/CSU): Die Beratungen und Diskussionen um das Ladenschlußgesetz haben zahlreiche Vorschläge mit sich gebracht und führten zum Austausch facettenreicher Argumente. Glücklicherweise konnte ich zusammen mit anderen Kollegen meiner Fraktion die völlige Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten bzw. Öffnung bis 22.00 Uhr verhindern. Obwohl ich der jetzigen „ Samstagslösung " immer noch sehr skeptisch gegenüberstehe, halte ich die gefundene Regelung für einen akzeptablen Kompromiß. Vor allem wurde mit der Abschaffung der langen Samstage ein weiterer Abfluß der Kaufkraft vom ländlichen Raum in die Städte verhindert. Ich stimme für diese Änderung, trotz meiner großen Bedenken bezüglich des Samstags, da ich der Ansicht bin, der Kompromiß trägt den Interessen aller Betroffenen Rechnung. Reinhard Freiherr von Schorlemer (CDU/CSU): In der Diskussion über die Verlängerung der Ladenöffnungszeiten habe ich von Anfang an bei verschiedensten Gelegenheiten, etwa bei Podiumsdiskussionen oder in Gesprächen mit Gewerkschaften und mit Einzelhändlern, meine großen Bedenken gegenüber der Ausweitung von Ladenöffnungszeiten zum Ausdruck gebracht. Ich sah und sehe darin Gefahren für die jahrzehntelang gewachsene Einzelhandelsstruktur dörflicher und kleinstädtischer Zentren. Im gleichen Zusammenhang befürchtete und befürchte ich eine Verlagerung von Kaufkraft und von Verbrauchergruppen in vorstädtische Einkaufsparks auf der „grünen Wiese". Dadurch würden gerade die gewachsenen Dorf- und Kleinstadtzentren, und damit auch kulturelle Mittelpunkte, eher zerstört als erhalten werden. Ich habe aus den vorgenannten Motiven in der CDU/CSU-Fraktionssitzung in Berlin gegen die Verlängerung der Ladenöffnungszeiten gestimmt. Nun ist in dieser laufenden Sitzungswoche deutlich geworden, daß SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS aus rein taktischen Gründen geschlossen gegen die Verlängerung der Ladenöffnungszeiten votieren wollen. So war auch in der FAZ vom 19. Juni 1996 zu lesen: Die Koalition kann dabei nicht auf Stimmen der Opposition zählen, auch wenn etliche SPD-Abgeordnete für längere Öffnungszeiten sind. „Wir werden dafür bezahlt, die Opposition zu stellen, und nicht dafür, der Regierung Mehrheiten zu verschaffen", hieß es in der SPD auf eine Anfrage der CSU. Obwohl zahlreiche Abgeordnete der SPD in den vergangenen Monaten für eine Verlängerung der Ladenöffnungszeiten eingetreten sind, will die SPD-Fraktion die Schlußabstimmung nun zu einer Machtfrage und zu einem Testfall für die Regierungsfähigkeit der Koalition hochstilisieren und auf diese Weise reine Fundamentalopposition betreiben. Ich stelle deshalb meine inhaltlichen Bedenken gegen die Änderung des Ladenschlußgesetzes hintan und stimme heute für den Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen, damit nicht zuletzt angesichts weiterer Gesetzesvorhaben in der laufenden Legislaturperiode die Politik- und Regierungsfähigkeit der erfolgreich arbeitenden Bundesregierung gesichert bleibt. Gert Miner (CDU/CSU): Erstens. Das Gesetz enthält im Interesse des Bäckerhandwerks Regelungen, die die Herstellung und den Vertrieb von Backwaren erleichtern und im Sinne der Betriebe und Verbraucher sind. Zweitens. Das Thema Ladenschluß und Ladenöffnung allerdings ist umstritten - die öffentliche Diskussion und die heutige Debatte beweisen es. Auch bei den Verbrauchern gibt es keine einheitlichen Aussagen. Drittens. Änderungen der Öffnungszeiten bis 22.00 Uhr - wie vom ifo-Institut vorgeschlagen - sind für den mittelständischen Einzelhandel eine Existenzfrage. Auch die vorgesehene 20-Uhr-Regelung wirft für den mittelständischen Einzelhandel unbestritten Probleme auf - die Sonnabendregelung mit 16.00 Uhr ist ohnehin schwierig begründbar. Viertens. Die jetzt zur Abstimmung anstehende Frage gehört zu dem Programm der Bundesregierung mit einem Paket von Vorhaben wie zum Beispiel der Senkung der Lohnzusatzkosten, der Steuerreform, der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte und der steuerlichen Entlastung mittelständischer Unternehmen, also zielgerichteten mittelstandsfreundlichen Maßnahmen. Diese Maßnahmen, wie die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer, die Absenkung der Gewerbeertragsteuer und die verfassungsrechtliche Absicherung der Beteiligung der Städte und Gemeinden an der Mehrwertsteuer sind Ziele, für die ich in der CDU/ CSU-Fraktion für Mehrheiten eintrete, Entscheidungen, die dann von der Fraktion im Gesetzgebungsvorhaben insgesamt getragen werden müssen. Zu dem Gesamtpaket gehört auch ein entschlossener Stabilisierungskurs. Dieses Gesamtpaket darf nicht scheitern. Obwohl ich die Änderung der Ladenschlußzeiten so nicht befürworte, habe ich dem Gesetzentwurf heute dennoch zugestimmt, um die Geschlossenheit der Regierungsparteien bei der Umsetzung der Maßnahmen für Wachstum und Beschäftigung und Stabilisierung der Sozialversicherungssysteme nicht zu gefährden. Die Bundesregierung steht vor großen Aufgaben, für die sie den Rückhalt der sie tragenden Fraktionen uneingeschränkt benötigt. Das Gesetz geht jetzt in das Vermittlungsverfahren im Bundesrat. Die endgültige Entscheidung im Gesetzgebungsverfahren steht dann an, wenn das Ergebnis der Bundesratsentscheidung und des Vermittlungsverfahrens auf dem Tisch liegt. Michael Wonneberger (CDU/CSU): Bei der anstehenden Abstimmung zur Liberalisierung der Ladenschlußzeiten werde ich - entgegen meiner bisher öffentlich angekündigten Stimmenthaltung - dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung zustimmen. Dieses Verhalten erfordert zweifellos eine Erklärung, und ich will sie weder Ihnen noch den Bürgerinnen und Bürgern in meinem Wahlkreis vorenthalten: Ich war - und das ist in mehreren Presseartikeln zu diesem Thema und auch in meinen Antworten an verschiedene Petenten nachzulesen - stets für eine Öffnung der Ladenschlußzeiten, denn die bestehenden Öffnungszeiten sind meiner Meinung nach gerade im europäischen Vergleich äußerst antiquiert. Sie wirken wettbewerbs- und verbraucherunfreundlich. Ich achte den Samstag als Familientag, gerade auch für die im Handel Tätigen. Die im Gesetz verankerte Sonnabendöffnungszeit bis 16.00 Uhr sehe ich nach wie vor als familienunfreundlich, inhuman und unsozial an. Ich bedaure außerordentlich, daß nach den Abschlußberatungen der mit diesem Gesetzentwurf befaßten Ausschüsse auch eine regionale Regelung der samstäglichen Öffnungszeiten im Zeitraum von 14.00 bis 16.00 Uhr nicht mehr möglich ist. Dennoch werde ich in Ermangelung alternativer Anträge der jetzigen Regelung - wenn auch schweren Herzens - zustimmen, um die von mir bisher stets vertretene generelle Flexibilisierung der Ladenöffnungszeiten nicht in Gänze zu gefährden. Als völlig ungeeignet, in einem sachlichen Dialog doch noch eine parlamentarische Entscheidung in Abwägung aller Interessenlagen herstellen zu können, erweist sich die vom SPD-Kollegen Ernst Schwanhold über „ddp" verbreitete Meldung, in dieser Frage die Mehrheitsfähigkeit der Koalition auf den Prüfstand stellen zu wollen. Diese politische Herausforderung macht es selbst Kritikern des Gesetzes unmöglich, sich der Stimme zu enthalten. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Alois Graf von Waldburg-Zeil und Dr. Renate Hellwig (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes über den Ladenschluß und zur Neuregelung der Arbeitszeiten in Bäckereien und Konditoreien (Tagesordnungspunkt 15) Zur Frage des Ladenschlußgesetzes haben wir im Wahlkreis intensive Gespräche mit Betroffenen geführt. Die überwiegende Meinung tendierte zur Beibehaltung des geltenden Rechts. Die Begründung: Im ländlichen Raum erhöhten längere Öffnungszeiten den Umsatz nicht, daher sinke der Gewinn. Besonders hart würden kleine Betriebe betroffen, die sich mehr Personal nicht leisten könnten und zu überlangen Dienstzeiten gezwungen würden. Darüber hinaus wurde die Sorge geäußert, Kaufkraft könne aus kleinen Städten in Ballungszentren oder Großbetriebe auf der grünen Wiese abwandern. Als Vertreter eines ländlichen Wahlkreises haben wir uns deshalb mit vielen Mitgliedern unserer Fraktion für Beibehaltung der jetzt geltenden Bestimmungen eingesetzt. Diese Bemühungen sind nicht ohne Erfolg geblieben. Weder ist die Position, die Ladenschlußregelung völlig aufzugeben, durchgekommen noch die Forderung, werktags bis 22 Uhr und samstags bis 18 Uhr offenzuhalten. Der jetzt gefundene Kompromiß erlaubt Geschäften im ländlichen Raum durchaus, ihre bisherigen Gepflogenheiten beizubehalten, ohne befürchten zu müssen, daß Kunden in Zentren abwandern. Bei 11/2 Stunden Verlängerung an Werktagen ist die Gefahr des Abwanderns gebannt, am Samstag - uns wäre der Kompromiß 14 Uhr lieber gewesen - reduziert. Wir stimmen deshalb für den Komromiß und nicht für seine Ablehnung, weil es keinen Sinn gibt, bei zwei weit auseinanderweichenden Positionen - Beibehaltung oder Abschaffung eines Gesetzes - die eine Seite zum Einlenken zu bewegen, dann aber auf der Extremposition zu beharren. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 19a und b (a - Antrag: Umsetzung der Habitat II-Empfehlungen; b - Antrag: Einlösung der Versprechen von Rio auf der VN-Konferenz Habitat II in Istanbul); und Zusatztagesordnungspunkte 8 und 11 (Antrag: Siedlungspolitik mit der Agenda von Habitat II in Einklang bringen; Antrag: Städtebauförderung als wichtiges Investitionsinstrument erhalten und ausbauen) Peter Götz (CDU/CSU): „In den Städten entscheidet sich die Zukunft der Menschheit." Die Richtigkeit dieses in den letzten Monaten immer wieder genannten Satzes, wurde auf der Weltsiedlungskonferenz der Vereinten Nationen über menschliche Siedlungen, Habitat II, in Istanbul bestätigt. Denn noch vor der Jahrtausendwende wird die Hälfte der Erdbevölkerung in Städten leben. In 30 Jahren dürften es schon zwei Drittel sein. Das heißt, die Verstädterung wird in den kommenden Jahren alarmierend zunehmen und vor allem die Entwicklungsländer in wachsende Bedrängnis bringen. Im Mittelpunkt von Habitat II standen die Themen „angemessene Unterkunft für alle" und „nachhaltige Entwicklung in einer Welt mit zunehmender Verstädterung". Auf der Konferenz wurde deutlich, daß sich die zu bewältigenden Herausforderungen aus der Verantwortung der Regierungen nicht nur für die Entwicklungsländer, sondern auch für die Industrieländer und die Reformstaaten Mittel- und Osteuropas ergeben. So ist nach langen Diskussionen das Recht auf angemessene Unterkunft ausdrücklich als Bestandteil der Menschenrechte bestätigt worden. Die Regierungen haben ihre Verpflichtung anerkannt, Schritt für Schritt die Wohn- und Lebensverhältnisse in den Städten im Interesse der dort lebenden Menschen zu verbessern. Hier an dieser Stelle danke ich für unsere Fraktion der Bundesregierung, an vorderster Stelle Ihnen, Herr Minister Töpfer, ganz besonders für Ihren persönlichen Einsatz vor und in Istanbul. Wir wissen, daß die Deklaration von Istanbul an den unterschiedlichen Positionen zu scheitern drohte. Es ist Ihrem international hohen Ansehen und Ihrem persönlichen Engagement zu verdanken, daß Sie mit einem Votum der Europäischen Union, aber auch der Amerikaner im Rücken quasi in den letzten Stunden vor Konferenzende eine Einigung erreicht haben. Insofern ist die „Deklaration von Istanbul" nicht nur ein positives Ergebnis der Weltkonferenz, sondern auch Ihr ganz persönlicher Erfolg. Wir Parlamentarier haben uns bei einem zweitägigen Treffen der „Global Parliamentarians on Habitat" zu Beginn der Konferenz intensiv mit den Themen „nachhaltige Siedlungsentwickung" und „angemessene Unterkunft" auseinandergesetzt und uns nach langwierigen Diskussionen auf eine Erklärung verständigt, die in die Beratungen eingebracht worden ist. Demnach sollen die Siedlungen so entwickelt werden, daß sie wirtschaftlichen, sozialen und umweltbezogenen Anforderungen in gleicher Weise gerecht werden. Was bringt Habitat II wem? Eine Frage, die von Unbeteiligten immer wieder gestellt wird, gehört auch in eine solche Debatte wie die heutige. Ich sage: Habitat II war bereits insofern erfolgreich, weil sich die Nationen dieser Erde zur Vorbereitung auf die Weltkonferenz mit den eigenen Problemen der Stadt- und Siedlungsentwicklung, aber auch mit Fragen der Wohnraumversorgung intensiv auseinandergesetzt haben. Auf der ganzen Welt sind - wie in Deutschland - Nationalkomitees gebildet worden, die sich die Erstellung eines Nationalen Aktionsplans und einer nationalen Agenda zur Aufgabe gemacht haben. Allein die stattgefundene Bewußtseinsbildung und der Erfahrungsaustausch untereinander sind ein besonderer Wert an sich, der hoch einzuschätzen ist. Ein großer Erfolg von Istanbul ist für mich auch, daß die Gemeinden auf internationaler Ebene stärker beteiligt werden. Hier hat eine für die UN wichtige Weichenstellung stattgefunden. Die Tatsache, daß sich neben den Regierungen nicht nur die Parlamentarier, sondern auch die Städte und Gemeinden sowie die Nichtregierungsorganisationen einbringen konnten, war in der Vergangenheit nicht selbstverständlich. In den westlichen Ländern ist die Erkenntnis, daß die Fragen einer nachhaltigen Stadtentwicklung zu den großen Herausforderungen der Menschheit gehören, auffällig gestiegen. Nur, dabei darf es nicht bleiben. Der wichtigere Teil der Botschaft von Istanbul beginnt jetzt - nach Istanbul. Die entscheidende Frage lautet: Wie erfolgt die Umsetzung dessen, was beraten und beschlossen wurde? Wir brauchen in der Zukunft verstärkt eine globale Umwelt- und Entwicklungszusammenarbeit in Fragen der Siedlungsentwicklung. Wenn wir wissen, daß die Weltbevölkerung täglich um 280 000 Einwohner, also um eine Stadt der Größe Bonns, wächst und in 25 bis 30 Jahren nach Schätzungen der UNO doppelt so viele Menschen in den Städten leben werden wie heute, macht dies die Dimension, um die es geht, deutlich. Das heißt, wir müssen die Vereinbarungen der Habitat-Agenda Schritt für Schritt umsetzen. Alle Regionen der Welt müssen ein gemeinsames Interesse an der Bewältigung der unlösbar erscheinenden Herausforderungen haben: Erstens. Um ortsspezifische Lösungen durchzusetzen, sind starke demokratische Strukturen in den Gemeinden gemeinsam mit ausreichenden finanziellen und institutionellen Kapazitäten unabdingbar, das heißt, Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung. Dazu gehören für uns selbstverständliche Begriffe wie Subsidiarität und Dezentralisierung. Ohne solche lokal-demokratische Strukturveränderungen erscheinen die Probleme der Mega-Städte unlösbar. Dies gilt übrigens nicht nur für die Dritte Welt, sondern genauso für die Ballungsräume in den Industrienationen. Zweitens. Wir brauchen eine Erfolgskontrolle in Form von internationalen und nationalen Berichtsmodalitäten. Im Rahmen des Treffens von über 150 Parlamentariern aus aller Welt haben wir in Istanbul verabredet, die jeweiligen nationalen Regierungen bei der Umsetzung der getroffenen Vereinbarungen kritisch zu begleiten. Dies wird in Deutschland einfacher sein als in vielen Ländern mit anderen parlamentarischen und demokratischen Strukturen. Auf der Konferenz - aber auch in der großen internationalen Ausstellung in Istanbul, in der sich übrigens Deutschland eindrucksvoll und angemessen mit einer Auswahl von 16 Modellbeispielen über den Stand deutscher Stadtentwicklung präsentierte - wurde deutlich, daß sehr wohl geschaut wird: „Wie machen's die Deutschen?" Wir müssen mit gutem Beispiel vorangehen, wenn wir Veränderungen anstoßen wollen. Insofern haben wir eine besondere Verantwortung, der wir gerecht werden wollen und müssen. So sind wir selbstverständlich gefordert, auch bei uns die möglichen Schritte zur Umsetzung der Habitat-Agenda zu tun. Sowohl der bereits angesprochene Nationalbericht als auch der im Deutschen Nationalkomitee erarbeitete Nationale Aktionsplan bieten hierfür geeignete Orientierungspunkte und Leitlinien. Das heißt, wir müssen selbst unsere Hausaufgaben machen. Es wird Aufgabe des Parlaments sein, bei anstehenden Gesetzesänderungen sorgfältig darauf zu achten, daß die in Istanbul vereinbarten Rahmenbedingungen beachtet werden. Mit der gestern im Deutschen Bundestag gemeinsam beschlossenen Änderung des Baugesetzbuches und der damit verbundenen Verfahrenserleichterung bei der Genehmigung von Wind- und Wasserkraftanlagen stärken wir regenerative Energien. Auch das ist ein positives Signal im Sinne der Deklaration von Istanbul. Die anstehende Novelle des Baugesetzbuches wird uns in den nächsten Monaten beschäftigen. Sie bietet weitere Ansätze für praktisches Handeln im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung. Auch die Förderkriterien der Städteförderung sollten wir vor diesem Hintergrund überprüfen. Darauf wird mein Kollege Willner noch näher eingehen. In unserem ureigensten Interesse sind wir - bei allen Problemen, die wir in Deutschland zu bewältigen haben - gut beraten, nicht zu vergessen, daß bei einer immer enger zusammenwachsenden Welt der Friede und die Lösung globaler Umweltprobleme auch davon abhängen, daß die Menschenrechte weltweit verwirklicht werden und angemessene, menschenwürdige Unterkunft für alle ermöglicht wird. Wanderungsbewegungen auf den Kontinenten haben Ursachen. Zu diesen Ursachen gehören an vorderster Stelle neben Armut, Hunger und Arbeitslosigkeit Fragen der Lebensqualität und der Wohnraumversorgung. Deshalb kann es nur im Interesse der Industrienationen sein, mit Wissen und Knowhow dort zu helfen, wo diese Probleme zum Mittelpunkt des täglichen Lebens gehören. Die politisch Verantwortlichen aller Ebenen müssen bei dem raschen Wachstum städtischer Agglomeration weltweit neue Ansätze für die Integration von Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik sowie von Wirtschafts- und Umweltpolitik finden, um die sozialen, kulturellen und ökologischen Herausforderungen der Städte qualitätvoll für die Stadtbewohner meistern zu können. Dafür lohnt es sich, gemeinsam zu arbeiten. Gert Willner (CDU/CSU): Erstens. Städtebauförderung heißt Beschäftigung für Handwerk und Mittelstand. Deshalb lautet die wichtigste Botschaft: Die Städtebauförderung wird nicht - wie befürchtet - gestrichen. Damit sind die aktuell geäußerten Sorgen vieler Städte und Gemeinden und der kommunalen Spitzenverbände vom Tisch. Das ist ein klares Signal an die Länder. Ich stelle ausdrücklich fest: Die Städtebauförderung ist für die CDU/CSU-Fraktion ein wichtiges Anliegen. Mit der Städtebauförderung existiert seit 25 Jahren ein Förderprogramm für die städtebauliche Erneuerung von Innenstädten und Gemeinden. Insgesamt hat der Bund dafür bisher über 12 Milliarden DM ausgegeben. Zweitens. Die Frage nach der künftigen Ausrichtung der Städtebauförderung muß im Mittelpunkt der Diskussion stehen. Die Aufforderung der SPD an die Bundesregierung, die Städtebauförderungsmittel für „umweltpolitische" und „soziale Aufgaben" einzusetzen, ist weder die einzige noch die richtige Antwort. Diese SPD-Überlegungen erscheinen wenig präzise und verschwommen. Wir haben Zweifel, ob mit dem Einsatz von Mitteln der Städtebauförderung für umweltpolitische und soziale Aufgaben die bisher anerkannten Wirkungen für Investitionen und Beschäftigung erreicht werden können. Aus der Sicht der CDU/CSU ist folgendes wichtig: Die Städtebauförderungsmittel müssen auf den Einsatz im Rahmen des Wohnungsbaus konzentriert werden - sowohl für Neubau als auch die Modernisierung veralteter Wohnungen. Dies gilt für den sozialen als auch den frei finanzierten Wohnungsbau. Damit werden attraktive Wohnbereiche in der Innenstadt geschaffen. Auch ein Einsatz für die Umnutzung von Brachflächen im Innenbereich für Wohnbauzwecke ist Ziel, aber auch die Prüfung, wie Städtebauförderung gleichgewichtiger in den neuen und alten Bundesländern möglich ist, und das uneingeschränkt weiter zu verfolgende Ziel der Städtebauförderung muß es sein, auch künftig private Investitionen zu aktivieren. Drittens. Nun reicht es nicht, wie die SPD es macht, einfach mehr Geld zu fordern. Geld ist knapp, und wir wollen nicht eine zusätzliche Verschuldung. Wir wollen runter von den Schulden. Wenn man nicht eine Neuverschuldung in Kauf nehmen will, müssen Alternativen überlegt werden. Deshalb wollen wir einen flexibleren Mitteleinsatz im Haushalt des Bauministers und der Länder, wie es durch den Einstieg auf Grund der Anträge der CDU/CSU-Fraktion im Haushalt 1996 bereits geschehen ist: Es muß möglich sein, Mittel des sozialen Wohnungsbaus in städtebaulichen Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen einzusetzen. Die Revitalisierung der Innenstädte und Stadtteilzentren ist eine städtebauliche Herausforderung und orientiert sich an dem Leitbild des Ausbaus und der Stärkung dezentraler Raum- und Siedlungsstrukturen. Dies entspricht auch in hohem Maße den Wünschen der Bevölkerung. Deshalb kann es keine einseitige Förderung von wenigen Wachstumsregionen geben. Deshalb muß die regionale Eigenkraft gestärkt werden, d. h. auch die Förderung regionaler kommunaler Initiativen. Dabei kommt aus unserer Sicht einer engen Zusammenarbeit von Städten und Gemeinden eine herausgehobene Bedeutung auch mit der Bildung von Schwerpunkten der Entwicklung und infrastrukturellen Ausstattung zu. Viertens. Die herausragende wirtschaftliche Bedeutung der Städtebauförderung für die Städte und Gemeinden wird nicht nur durch die Feststellung der Bundesregierung im Finanzplan des Bundes 1995 bis 1999 belegt, sondern auch durch zwei gerade vorgelegte Gutachten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsförderung. Im Ergebnis werden mit jeder Mark, die Bund und Länder im Städtebauförderungsprogramm bereitstellen, zusätzlich 2,20 DM an weiteren öffentlichen Mitteln eingesetzt, zusammen also 3,20 DM. Und dieser Bündelungseffekt, so stellt es auch das Institut fest, trägt wesentlich zur positiven Wirkung der Städtebauförderung auf das private Investitionsvolumen bei. Alle zur Sanierung eingesetzten öffentlichen Mittel regeln das 1,8fache an privaten Investitionen an. Rechnerisch stehen nach Darstellung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung jeder Mark, die Bund und Länder im Städtebauförderungsprogramm finanzieren, 5,80 DM private Investitionen gegenüber. Fünftens. Die Städtebauförderung hat also erstens Investitionswirkung, zweitens Beschäftigungswirkung und gibt Anstoßeffekte. Und was besonders hervorgehoben werden muß: Die Anstoßeffekte aus Städtebauförderungsmitteln beschränken sich nicht nur auf die geförderten Gebiete, sondern haben Ausstrahlung weit in den Nachbarschaftsraum der Städte und Gemeinden. Lassen Sie uns gemeinsam - Bund und Länder - dafür einsetzen, daß Städtebauförderung auch künftig erhalten bleibt, wir Einvernehmen in den Zielen erreichen und die Städtebauförderung auch künftig positive Wirkungen für Investitionen und Beschäftigung entfalten kann. Volkmar Schultz (Köln) (SPD): „Stadtluft macht frei" - mit dieser Hoffnung zogen Millionen von Menschen in früheren Jahrhunderten vom Land in die Stadt, von der Zinsknechtschaft in ein besseres Leben. Die Städte wurden die Kraftzentren von Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und gesellschaftlicher Entwicklung. In den Städten entstanden die neuen sozialen Bewegungen. Wer sich Mexiko City oder Monrovia heute anschaut, der muß bezweifeln, ob Stadtluft immer noch frei macht. Die explosionsartigen Veränderungen in den Megacities finden ebendort statt, wo jegliche Voraussetzungen für ein anständiges Leben fehlen. Sie führen zu ökonomischen, sozialen und kulturellen Entwurzelungen ganzer Generationen. Und das endet bekanntlich in ökologischem, ökonomischem und sozialem Desaster. Die marodierenden Kinderkrieger in Westafrika, die ihre Familienbande, ihre Heimat, ihre Stammeskultur und ihre Autoritäten verloren haben, sind nur ein lebendes Beispiel. Leider hat Habitat wichtige Fragen nicht diskutiert, etwa den Zusammenhang fehlender ziviler Entwicklung und überhoher Rüstungsausgaben. Diese Nichtbefassung ist wohl Ausdruck des schlechten internationalen Gewissens. Aber ich will nicht verkennen, daß Habitat auch wichtige Fragen angeschnitten, wenigstens für einige Zeit die Aufmerksamkeit der Welt auf die meines Erachtens gefährlichste tickende Zeitbombe gelenkt hat. Habitat hat auch deutlich gemacht, daß es die reichen Industriegesellschaften sind, die eine besondere Verantwortung dafür tragen, daß ökologisch nachhaltige Entwicklungen eingeleitet werden. Immerhin verbraucht ein Viertel aller Menschen in den reichen Industrieländern drei Viertel aller Primärenergie. Der von der Bundesregierung vorgelegte Nationalbericht liefert über weite Strecken zutreffende Analysen der Probleme der Stadt- und Siedlungsentwicklung in unserem Lande. Aber die aktuelle Politik dieser Regierung entspricht den Erkenntnissen in wesentlichen Punkten nicht. Im Gegenteil: Sie fördert weitere Suburbanisierung und Flächenfraß. Sie reduziert ihr Engagement für die Wohnungsversorgung ärmerer Bevölkerungsschichten. Sie läßt die Gemeinden mit den wachsenden Problemen der Innenentwicklung und der sozialen Segregation im Stich. Sie verweigert schließlich ein Steuersystem, das den sparsamen Umgang mit Ressourcen fördert. Selbst die Automobilfirmen wie etwa BMW oder Ford sind gedanklich schon viel weiter als diese Regierung. Deutschland hat sich in Rio verpflichtet, die Agenda 21 umzusetzen - und sie beläßt es bei zweifelhaften Selbstverpflichtungen der Industrie. Längst ist allen Experten klar, daß der CO2-Ausstoß in Deutschland nicht sinken, sondern zunehmen wird. „Tu nix und rede darüber", ist das Motto dieser Regierung, die es einem einzelnen Bundesland, nämlich NRW, überläßt, eine Transferstelle für nachhaltige Entwicklung in den Städten und Regionen des Landes einzusetzen. Dafür an dieser Stelle ein Dank an Frau Ministerin Brusis und die Beschämung darüber, daß so etwas auf Bundesebene offensichtlich nicht möglich ist. Statt dessen sonnt sich Herr Töpfer in Istanbul mit den „best practices" aus Deutschland, allen voran mit der internationalen Bauausstellung Emscherpark, die freilich erst auf Intervention eines einzelnen Ab- geordneten im Nationalkomitee nachnominiert werden mußte. Meine Damen und Herren, die Zukunft unserer Städte entscheidet über die Zukunft des Standortes Deutschland, und insofern steht die Stadtentwicklungspolitik vor einer entscheidenden Anpassungsphase. Was Theoretiker der Stadtentwicklung schon seit einigen Jahren vorhersagen, scheint heute für viele in den Städten ansatzweise sichtbar zu werden: eine Gefahr der Auflösung unserer traditionellen, vitalen, durchmischten und kompakten Stadt ohne soziale Ausgrenzung in Richtung auf große uniforme, ungestaltete suburbane Räume, in Richtung auf zunehmende Disparitäten zwischen Armut und Reichtum, überhöht durch ethnische Probleme, in Richtung auf kulturelle Verflachung, auf Mißachtung der Baukultur und Bedeutungslosigkeit des Stadtbildes, in Richtung auf dramatisch steigende Mobilität und in Richtung auf ökologischen Raubbau an lebenswichtigen Ressourcen. Dies ist ein weltweites Phänomen. Vieles haben wir bisher verhindern können. Vieles haben wir dank dem Einsatz bedeutender Fördermittel vor allem der Länder und der Gemeinden, dank viel Phantasie und Überzeugungskraft und einfach besserer Alternativen mildern und abbremsen können. Aber massive ökonomische, weltweit angelegte Tendenzen wird man auf die Dauer nicht aufhalten können, wenn es nicht gelingt, die Rahmenbedingungen deutlich zu verändern. Denn diese Entwicklung ist keine Zwangsläufigkeit. Kein Sachzwang höhlt die Urbanität unserer Städte aus. Es sind die von uns allen gesellschaftlich gesetzten Rahmenbedingungen. Die Kosten der Mobilität, die Kosten des Verbrauchs von Fläche, die Energiekosten, die Kosten von Arbeit, die Steuerung von Zuwanderung nach Deutschland, die Verteilung von Arbeit und Einkommen, die gesellschaftliche Relevanz des sozialen Netzes, das Kapital, das wir in die Köpfe der Menschen investieren, die Art und Weise, wie staatliche Institution und private Unternehmen miteinander umgehen, die Intensität, wie wir die vorhandenen Möglichkeiten des technischen Fortschrittes etwa in der Automobilproduktion nutzen - dies alles sind entscheidbare, auf der Agenda gegenwärtiger Politik stehende Fragen, die über das Schicksal unserer Städte im Übergang zum nächsten Jahrhundert entscheiden. Wenn es also, wie ich meine, Optionen gibt, wenn wir nicht Gefangene einer vorgegebenen Entwicklungsrichtung sein wollen, dann macht es Sinn, über den Tellerrand des aktuellen Geschehens hinaus zu denken. Das vermissen wir bei der Bundesregierung und den Regierungsparteien. Sie können durch Ihre Mehrheit Anträge der Opposition zur Stadterneuerung auf die Tagesordnung setzen und wieder absetzen. Aber Sie können uns nicht davon abhalten, über das Thema zu reden. Sie werden auch die vielfältigen und qualifizierten Stimmen, die im Nationalkomitee versammelt sind, nicht mehr zum Schweigen bringen. Wir werden alle gemeinsam immer wieder von dieser und von allen weiteren Bundesregierungen nachhaltige Stadtentwicklung, die wirklich diesen Namen verdient, als politische Priorität einfordern. Wir werden so lange nachsetzen, bis Sie endlich den schönen Reden eine gute Praxis folgen lassen, bis Sie aufhören, die Gemeinden, in denen sich Fortschritt und Zukunftsgestaltung vollzieht, finanziell aufzuzehren. Erst dann, wenn wir unserer Verantwortung vor der Weltgesellschaft und vor unseren eigenen Enkelkindern gerecht werden, erst dann können wir nachhaltige Stadtentwicklung zum „Exportschlager", wie Herr Töpfer das nennt, machen. Die jetzige Politik der Bundesregierung wird diesem Anspruch in keiner Weise gerecht. Ingrid Becker-Inglau (SPD): In den vergangenen zwei Wochen hat in Istanbul die letzte große Weltkonferenz der Vereinten Nationen in diesem Jahrtausend stattgefunden. Die wohl wichtigste Erkenntnis dieser zweiten Konferenz über menschliche Siedlungen „Habitat II" läßt sich folgendermaßen zusammenfassen: Die Zukunft der Menschheit liegt in den großen Städten. Angesichts der enormen Probleme der ausufernden Riesenmetropolen wird es nun aber entscheidend darauf ankommen, daß die zwei zentralen Forderungen des Aktionsplans und der Deklaration von Istanbul erfüllt werden: Das heißt erstens, daß das Menschenrecht auf eine angemessene Unterkunft verwirklicht werden muß. Das heißt zweitens, daß wir geeignete Maßnahmen ergreifen müssen, um die Städte sicherer, gesünder, lebenswerter zu machen. Die ökologischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Probleme der urbanen Ballungszentren haben bedrohliche Ausmaße angenommen. Dies spiegelt sich auch im Sprachgebrauch wider. Mittlerweile reden wir nicht mehr von Städten, sondern von sogenannten Megacities. In den Medien werden die Riesenmetropolen sogar als „tickende Zeitbomben" und „urbane Monster" bezeichnet. Die Zeit drängt also - und das unterstreicht auch der im Mai vorgelegte Weltbevölkerungsbericht der Vereinten Nationen deutlich. In weniger als zehn Jahren wird der größte Teil der Menschen in Städten leben! In absoluten Zahlen bedeutet das: 3,3 Milliarden Menschen im Jahre 2005. Schon heute leben weltweit 2,6 Milliarden Menschen in Städten. Davon sind 600 Millionen obdachlos, und dies überwiegend in Entwicklungsländern. Die Folgen dieser Entwicklung sind Umwelt- und Luftverschmutzung, Müll- und Abwasserentsorgungsprobleme und Wasserknappheit in den Megacities. Alle Fachleute sind sich einig, daß diese Folgeerscheinungen eines unkontrollierten Wachstums der Städte auch eine Situation ergeben, die nicht nur für die betroffenen Länder und Städte explosiv ist. Denn die Slumbewohner von heute sind die Flüchtlinge von morgen; und das ist auch unser Problem. Die gestern von den Vereinten Nationen organisierten Aktionen zum „Tag des Flüchtlings in Afrika" haben das ganze Ausmaß der Flüchtlingsproblematik noch einmal in geradezu bedrückender Weise deutlich gemacht. Folgerichtig sind deshalb auch die Industrieländer in der Agenda 21 des Umweltgipfels von Rio aufgefordert worden, eine nachhaltige Entwicklung in der Stadt- und Siedlungsplanung zu unterstützen. Demnach sollen sich Siedlungen so entwickeln, daß sie wirtschaftlichen, sozialen und umweltbezogenen Anforderungen in gleicher Weise gerecht werden. Dabei, und das ist der entscheidende Punkt, sind alle Partner gefordert, sowohl auf internationaler wie auch auf nationaler und lokaler Ebene. Bedauerlich ist jedoch, daß die Bundesregierung für die Umsetzung der eingegangenen Verpflichtungen im internationalen Bereich keine zusätzlichen Mittel im Entwicklungshaushalt bereitgestellt hat. Es fehlt wieder einmal das Geld - es fehlen aber auch die notwendigen ergänzenden Maßnahmen. Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf, im Rahmen ihrer Entwicklungspolitik dafür Sorge zu tragen, daß die großen Metropolen stärker als bisher gefördert werden - ohne die ländlichen Regionen völlig zu vernachlässigen. Das Ziel dieser Förderung muß sein, regierbare Verwaltungseinheiten zu schaffen und die Bewohner an Entscheidungen teilhaben zu lassen. In diesem Zusammenhang sind die Stichwörter Dezentralisierung und Verteilung von Verantwortlichkeiten von besonderer Bedeutung: Die Städte und Kommunen müssen auch selbst aktiv werden können - sie müssen sich selbst helfen dürfen. Und sie wollen es auch: Dies beweist die Teilnahme von 500 Bürgermeistern und 6 000 Vertretern von Nichtregierungsorganisationen am Städtegipfel. Beeindruckend war, daß die Praktiker an der Basis nicht mehr alles den Zentralregierungen überlassen wollen. Hier besteht die Chance, Demokratisierung, Dezentralisierung und Partizipation wirklich umzusetzen. Nutzen wir sie, helfen wir, sie zu organisieren. Es hat sich außerdem gezeigt, daß finanzielle Unterstützung immer dort erfolgreich ist, wo die Gelder direkt in die Verantwortung der Städte gelangen - nach dem Prinzip Hilfe zur Selbsthilfe. Die Gemeinden wissen einfach besser, wo der Schuh am ehesten drückt. Und sie haben durch die bereits bestehenden Vorzeigemodelle im Rahmen des weltweiten „Best Practices''-Wettbewerb des Habitat-II-Sekretariats in Nairobi ermutigende und vor allem konkrete Beispiele dafür erhalten, wie in Zukunft die Ideen für umweltverträglichen Städtebau, Stadterneuerung und soziales Wohnen umgesetzt werden können. Der Erfolg dieses Best-Practices-Projektes gibt Anlaß zur Hoffnung. Deshalb sind in diesem Bereich auch weitere Anstrengungen in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit erforderlich. In der verabschiedeten Deklaration von Istanbul heißt es, die Städte müßten „sicherer, gesünder, lebenswerter werden" und von einer nachhaltig wirkenden Siedlungs- und Stadtentwicklungspolitik geprägt werden. Diese Ziele können jedoch nur erreicht werden, wenn auch elementare Aufgaben wie Abfall, Abwasserentsorgung und Wasserversorgung, Bildung und Gesundheit, Gewerbeflächenerschließung und Verkehr und Wohnungsbau in den Städten und Gemeinden der Entwicklungsländer entsprechend gefördert werden. Wir fordern die Bundesregierung deshalb auch auf, ihre entwicklungspolitischen Bemühungen gerade in diesen Bereichen zu verstärken. Die Beispiele der Best Practices sind ein erster und zukunftsweisender Einstieg. Aber auch in dem Bereich der Frauenförderung müssen die Anstrengungen verstärkt werden: Das in Istanbul proklamierte Menschenrecht auf Wohnen hat auch viel mit Frauenrechten zu tun. Weltweit werden ein Drittel der Haushalte von Frauen alleine geführt, in Afrika und Lateinamerika liegt die Zahl sogar bei 50 Prozent. Von den 1,4 Milliarden Armen auf der Welt sind 70 Prozent Frauen und Mädchen. Gesetze, Traditionen bzw. Gewohnheitsrechte machen es ihnen schwer, aus dieser bedrückenden Lage herauszukommen. In vielen Ländern haben Frauen wenig Chancen, einen Kredit für den Kauf einer eigenen Unterkunft zu erhalten. Noch gravierender sind die fehlenden Erb- und Besitzrechte. Hier müssen wir mithelfen, Änderungen zu erwirken. Eine wichtige Voraussetzung ist die Aufnahme von Gleichberechtigung der Frauen und sozialer Gerechtigkeit in das Habitat-Abschlußdokument. Absichtserklärungen alleine helfen nicht weiter. Wir müssen die Umsetzung wollen. Das bedeutet: mehr Bildungs- und Gesundheitsfürsorgeprogramme, insbesondere für den Bereich der Familienplanung, um die Entwicklungsmöglichkeiten ,von Frauen in der Gesellschaft zu stärken. Darüber hinaus sollten alle Bemühungen unterstützt werden, die den Bedürfnissen von Frauen und Familien bei der Städteplanung Rechnung tragen. Was die Nichtregierungsorganisationen und die sogenannten Basisgruppen betrifft, so meine ich, hat Habitat II positive Akzente gesetzt. Die Zivilgesellschaft, wie etwa Initiativgruppen oder Nachbarschaftshilfen, wird durch die Beschlüsse von Istanbul zur Mitarbeit und Mitwirkung ermutigt. Regierungen und Verwaltungen allein sind mit der Bewältigung der vielen Probleme überfordert. Die Bundesregierung sollte sich deshalb der Förderung dieser Gruppen in besonderer Weise widmen und darauf achten, daß in diesem Bereich die internationale Zusammenarbeit verbessert wird. Der Tagungsort Istanbul war selbst ein Ort, der all diese Probleme der Megacities präsentiert hat. Istanbul war aber auch ein Ort, der all denen Mut gemacht hat, die die Bewältigung der Probleme in Angriff nehmen müssen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt viel zu tun. Packen wir es an, und zwar möglichst jetzt! Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zuallererst möchte ich mich bei Ihnen, Herr Minister Töpfer, sehr herzlich für das große inhaltliche Engagement bedanken, das Sie bei der Konferenz für die Qualifizierung der Habitat-Agenda und für die Durchsetzung der „Istanbul Declaration" aufgebracht haben. Bedanken möchte ich mich auch bei Ihnen und bei allen Kolleginnen und Kollegen aus den beteiligten Ministerien für den offenen und kollegialen Umgang in der deutschen Delegation und gegenüber allen NGO-Vertreterinnen. Vor allem möchte ich mich dafür bedanken, daß Sie sich dafür eingesetzt haben, türkische Polizeieinsätze zu verhindern und die schnelle Freilassung von türkischen Menschenrechtlern einzufordern, die auf der Demonstration am 8. Juni 1996 verhaftet wurden. Auch, daß Sie Herrn Kanar, den Vorsitzenden der türkischen Menschenrechtsvereinigung, empfangen haben, war ein wichtiges politisches Zeichen. Die Habitat-Konferenz war nur teilweise ein wirklicher Schritt nach vorne. Die Probleme der rapiden Verstädterung und der Verarmung in den Megastädten sind der Weltgesellschaft eigentlich schon längst über den Kopf gewachsen. Dies war auch in Istanbul deutlich spürbar. Habitat II war eine Demonstration guter Absichten, die aber nur punktuell die Wurzeln der Probleme tangieren und die keine einklagbaren Verpflichtungen enthalten. Beinahe wäre die Habitat-Agenda hinter die Konventionen der bisherigen UN-Konferenzen zurückgefallen. Das Recht auf eine angemessene Unterkunft ist in einer Weise festgeschrieben worden, die nicht individuell einklagbar ist, die aber hilft, gesellschaftlichen und moralischen Druck auszuüben. Positiv ist, daß das Recht auf Wohnen auch die Forderung nach einer Mindestausstattung an Licht, Wasser, Sanitäranlagen und Abfallentsorgung enthält und die Forderung nach öffentlicher Gesundheitsvorsorge. Auch soll das Wohnen besser mit Arbeitsplätzen und Arbeitsgelegenheiten verknüpft werden. Die in Peking formulierten Frauenrechte sind mehr schlecht als recht gerade noch gerettet worden. Die „nachhaltige Entwicklung" als ökologisch-ökonomisches Oberziel wurde diplomatisch aufgelöst in „wirtschaftliches Wachstum, soziale Gerechtigkeit und Umweltschutz". Schließlich wollen weder die Länder des Südens ihr Recht auf Wirtschaftswachstum beschnitten sehen noch wollen die reichen Länder des Nordens sich zu Wachstumsverzichten verpflichten. Zentrale Fragestellungen wurden ausgeklammert oder oberflächlich abgehakt, zuallererst die Frage, ob und wieweit die beiden Grundforderungen der Konfernz - das Recht auf Wohnen und eine nachhaltige Siedlungsentwicklung - bei anhaltendem Bevölkerungswachstum überhaupt miteinander vereinbar sind. Tabu war auch der Einfluß der Weltwirtschaftsordnung auf die Verstädterung und die Verarmung. Die dramatischen Flüchtlingsströme durch regionale Kriege und brutale Menschenrechtsverletzungen wurden höflich thematisiert. Immerhin - darauf hatte ich in der deutschen Delegation sehr gedrungen - ist es gelungen, eine Formulierung zur Ächtung der Menschenrechtsverletzungen in die „Istanbuler Erklärung" aufzunehmen. Der wichtigste Erfolg von Habitat II lag in der Einbeziehung der Bürgermeisterinnen und Kommunalvertreterinnen und der „Nicht-Regierungs-Organisationen". Natürlich war dies zugleich ein Zeichen der Hilflosigkeit der Nationalregierungen, die selbst immer weniger mit den Problemen der Megastädte fertig werden. Aber dieses Zeichen heißt: Nicht mit weniger, sondern nur mit mehr Demokratie und mit mehr Aktivierung und Beteiligung der Bürgerinnen können die Probleme angepackt werden. Für uns ist klar, daß die Versprechungen von Istanbul ebenso wie die von Rio im eigenen Land und in den internationalen Beziehungen Folgen haben müssen, und wir werden mit Entschiedenheit nachhaken und selbst weitere eigene Initiativen entwickeln. Denn schließlich ist Habitat ein Beweis, daß grüne Positionen die richtigen und dringend notwendigen sind, wenn der Planet Erde und die Menschheit im nächsten Jahrhundert noch miteinander auskommen sollen. Unsere vier zentralen Forderungen sind ein Armutsbekämpfungsprogramm im eigenen Land mit deutlichen Zeichen für den Abbau von Wohnungsnot und Obdachlosigkeit, die Suche nach wirksamen Instrumenten zum Abbau der Arbeitslosigkeit, eine Städtebaupolitik, die die Zersiedelung nachhaltig eindämmt und nicht weiter forciert - wie das mit den Beschleunigungsgesetzen und mit dem Regierungsentwurf zur Novelle des Baugesetzbuches beabsichtigt ist - und eine Politik der internationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit, die nicht unsere Exportinteressen, sondern die wirtschaftliche, soziale und ökologische Stabilisierung in den Ländern der Dritten Welt in den Mittelpunkt rückt. Dr. Irmgard Schwaetzer (F.D.P.): Herr Präsident, meine Damen und Herren, mit Habitat II geht eine Serie wichtiger Weltkonferenzen der Vereinten Nationen zu Ende. Nach dem Umweltgipfel in Rio war der Weltbevölkerungsgipfel in Kairo und der Weltsozialgipfel in Kopenhagen für das Thema der globalen Entwicklung menschlicher Siedlungen von besonderer Bedeutung. Bis zum Jahr 2025 wird sich die Zahl der Stadtbewohner aller Voraussicht nach auf 5 Milliarden verdoppelt haben. Dann werden allein in den Städten so viele Menschen leben wie heute auf dem Globus insgesamt. Menschen, die sauberes Wasser, Arbeit und angemessene Unterkunft brauchen. Und es ist noch nicht ausgemacht, ob die Entschlossenheit zur Lösung der damit verbundenen Probleme überall vorhanden ist. Insofern ist es mehr wie bedauerlich, daß nur so wenige Staats- und Regierungschefs den Weg nach Istanbul gefunden haben. Die Bundesregierung allerdings war ausgezeichnet vertreten. Mein besonderer Dank gilt Ihnen, Herr Töpfer, und Ihrem Engagement. Sie haben mit Ihrem großen Ansehen in den Vereinigten Nationen eine wichtige Rolle auf dieser Konferenz gespielt. Dies wird der gewachsenen Bedeutung der Bundesrepublik Deutschland gerecht. Bitte geben Sie diesen Dank auch Ihren Mitarbeitern weiter, die in der jahrelangen Vorbereitung ausgezeichnete Arbeit geleistet haben. Wie immer bei diesen Konferenzen zu globalen Problemen enthält das Schlußdokument eine Mischung aus Absichtserklärungen und konkreten Forderungen an die Regierungen. Insofern liegt das Schlußdokument von Istanbul auf der Linie vorangegangener Konferenzen. Wirtschaftliches Wachstum, soziale Gerechtigkeit und Umweltschutz, drei gleich- wertige einander beeinflussende Ziele, sind die Vorgaben für die zukunftstaugliche „nachhaltige" Entwicklung der Städte. Diese Formulierung spiegelt deutlich wider, daß die Politik in Deutschland auf dem richtigen Weg ist. Entgegen den Einlassungen der Opposition ist für die F.D.P. die Formulierung, daß das Recht auf menschenwürdige Unterkunft für alle aus den allgemeinen Menschenrechten abgeleitet wird und damit einen Auftrag an die Regierung beinhaltet, ohne daß er vom einzelnen Bürger einklagbar wäre, vernünftig. Mit großem Bedauern mußten wir sehen, wie noch in der Schlußphase der Konferenz die Fundamentalisten dieser Welt versuchten, die Ergebnisse der Bevölkerungskonferenz von Kairo wieder umzuwerfen. Die Bauexperten aller europäischen Regierungen verdienen einen besonderen Dank dafür, daß sie auf diesem, ihnen höchstens persönlich nahe liegenden Feld, die Freiheit der Familienplanung im Dokument bewahrt haben. Ein besonders wichtiger Punkt war die Einbeziehung der NROs, der Bürgermeister und Stadtexperten. Eine menschenwürdige Entwicklung der mit ständig größer werdenden Armuts- und Umweltproblemen kämpfenden Städte kann nur über die engagierte Arbeit der Verantwortlichen vor Ort sichergestellt werden. Insofern ist dieser Schritt der Vereinten Nationen ein Meilenstein hin zu einer Dezentralisierung, einer Voraussetzung für die Nachhaltigkeit von Entwicklung. Dokumente haben wir nun genug. Jetzt sind Regierungen und Parlamente zum Handeln aufgefordert. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit mit der Regierung in der Umsetzung der Ergebnisse von Istanbul für eine menschenwürdige Welt. Klaus-Jürgen Warnick (PDS): Unbestritten ist, daß die deutsche Delegation mit Minister Töpfer in Istanbul einen rührigen Chef hatte, welcher sich redlich um ein gutes Ergebnis mühte. Um so mehr möchte ich heute drei Punkte einklagen, und ich hoffe, sehr geehrter Herr Minister, in Ihnen dabei einen Partner zu haben. Schließlich geht es auch um Ihre Glaubwürdigkeit. Was meine ich? - Die Weltkonferenz Habitat II war noch nicht beendet, schon verkündete Entwicklungsminister Spranger, daß auch sein Ressort einen Beitrag zum Sparhaushalt leisten und die Entwicklungshilfe kürzen wird. Die Bundesregierung schiebt ihre miserable Finanzpolitik vor, um die ohnehin lächerlichen Summen für soziale Verpflichtungen gegenüber anderen Staaten und Völkern zusammenzustreichen. Dabei sind die Leidtragenden der Strukturanpassungspolitik auch des deutschen Kapitals gerade die Entwicklungsländer. Deswegen fordert die PDS zum ersten, daß die Bundesregierung durchsetzt, daß mindestens die in der UNO vereinbarten 0,7 Prozent des Bruttosozialproduktes für Entwicklungspolitik bereitgestellt werden. Alles andere ist für eines der reichsten Länder der Welt unmoralisch und unakzeptabel. Die Situation in der Bundesrepublik ist gekennzeichnet durch konsumorientierte und ressourcenverzehrende Lebensstile und Wirtschaftsweisen. Zunehmender Reichtum und Wohnflächenverbrauch bei den einen führen gleichzeitig zu vermehrter Armut und Wohnungsnot für einen wachsenden Teil der Bevölkerung. Zu den Ursachen gehören Kapitaldominanz in der Wohnungswirtschaft, großzügige Rechte der wirtschaftlichen Verwertung von Wohnungen bei Neubau, Modernisierung und Eigentümerwechsel sowie die Spekulation mit Boden. Die Bundesregierung trägt mit ihrer Politik Verantwortung dafür, daß ein wachsender Teil der Bevölkerung unter ungesunden und menschenunwürdigen Wohn- und Lebensbedingungen leidet. Die vorrangige Förderung und Propagierung der Eigentumsbildung verschärft diese Entwicklung. Folgen sind steigender Wohnflächenverbrauch, Ghettobildung, Zersiedlung und Bodenversiegelung sowie wachsender motorisierter Individualverkehr. Der offensichtliche Widerspruch zwischen den Zielstellungen in der Agenda von Habitat II und im nationalen Aktionsplan zur nachhaltigen Siedlungsentwicklung einerseits und der von der Bundesregierung praktizierten, propagierten und geförderten Politik, vor allem in den Bereichen Siedlungsentwicklung, Wohnen, Verkehr und Umwelt, andererseits muß aufgelöst werden. Es gibt ausgezeichnete Analysen und Situationsdarstellungen im Nationalbericht, aber die Vorschläge der Bundesregierung für eine künftige Wohnungs- und Siedlungspolitik stehen dazu im Widerspruch, sofern überhaupt konkrete Schlußfolgerungen angeboten werden. Deshalb eine zweite Forderung nach Istanbul: Die Siedlungspolitik in Deutschland muß mit der Agenda von Habitat II in Einklang gebracht werden. Für das Jahr 1995 geht laut dem Nationalbericht Habitat II die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e. V. von einem weiteren Anstieg der Obdachlosigkeit auf eine Gesamtzahl von Wohnungslosen zwischen rund 870 000 und 960 000 aus, davon rund 43 000 in den neuen Ländern. Neben diesen Obdachlosen gibt es eine nicht bekannte Zahl unmittelbar von Wohnungslosigkeit bedrohter Menschen. Im rasanten Tempo nähern sich Obdachlosenzahlen in ostdeutschen Städten dem in über 40 Jahren aufgebauten Westniveau. Herr Töpfer, ich frage Sie: Was ist das für eine nachhaltige Entwicklung, wenn Kinder in diesem Land zu Tausenden in Obdachlosenasylen aufwachsen? Es ist und bleibt ein Skandal, wenn sich die Koalitionsparteien für ihre angeblich erfolgreiche Wohnungspolitik - wie in der gestrigen wohnungspolitischen Debatte - mit Eigenlob überschütten. Eine realitätsferne Selbstbeweihräucherung, wie ich es noch sehr unangenehm von der 1989 davongejagten DDR-Führung in Erinnerung habe. Kein Wort von den Herren Töpfer, Braun und Kansy zu der wachsenden Zahl von Obdachlosigkeit bedrohter und betroffener Menschen. Kein Wort zum Fehlen einer bundesweiten Wohnungsnotfallstatistik sowie eines tragfähigen Gesamtkonzeptes zur Bekämpfung und Beseitigung von Wohnungsnot und Obdachlosigkeit - wohlgemerkt, von Obdachlosigkeit, nicht von Obdachlosen. Das Vertreiben von Obdachlosen aus den Stadtzentren und Bahnhöfen, das Schleifen von Wagenburgen und die Räumung von Häusern, die nach länge- rem ungenehmigten Leerstand besetzt wurden, sind jedenfalls keine Lösung. Ebenso finde ich es unerträglich, wenn einige sich an der Obdachlosigkeit dumm und dämlich verdienen, während für wirklich helfende Projekte und Initiativen die Mittel gestrichen werden. Deshalb eine dritte Forderung nach Habitat II: Das Menschenrecht auf Wohnung muß als Staatsziel in das Grundgesetz aufgenommen und die Politik entsprechend mit neuen Prioritäten versehen werden. Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau: Habitat II liegt nun hinter uns; heute vor einer Woche haben wir die Verhandlungen in Istanbul zum Abschluß geführt. Ich bin mir mit meinem Ministerkolleginnen und Kollegen aus den anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union einig, daß diese Konferenz ein Erfolg ist. Was haben wir bei Habitat II erreicht? Wir haben zwei Dokumente verabschiedet, die Habitat-Agenda mit einem Globalen Aktionsplan und die Erklärung von Istanbul, die beide deutlich machen, daß die Herausforderung durch das Städtewachstum in der ganzen Welt eine gemeinsame Verantwortung aller Staaten begründen, auch gemeinsame Antworten zu finden. Diese Beschlüsse unterstreichen, daß sich eine „Kultur der weltweiten Solidarität" entwickelt hat, in der die Industrieländer gemeinsam mit den Entwicklungsländern und den Reformstaaten Mittel- und Osteuropas nach Lösungen für globale Herausforderungen suchen. Und da nunmehr bald die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten lebt, da etwa zwei Drittel des Bevölkerungswachstums in den Städten stattfindet, ist die Zukunft der Städte ein zentraler Aspekt der weltweiten nachhaltigen Entwicklung, die wirtschaftliche Entwicklung, sozialen Ausgleich und umweltpolitische Verträglichkeit einschließt. Istanbul selbst ist als eine rasch wachsende Megastadt an der Schnittstelle zwischen Europa und Asien ein eindrucksvolles Beispiel für die soziale und politische Sprengkraft, die in dieser Entwicklung steckt. Lassen Sie mich einige zentrale Ergebnisse hervorheben: Das Prinzip der nachhaltigen Stadtentwicklung wurde von allen Staaten anerkannt und festgeschrieben. Es ist von allen Staaten anerkannt, daß sich auch die Siedlungsentwicklung in den Rahmen einer weltweiten Strategie der nachhaltigen Entwicklung stellen muß, so wie sie in Rio 1992 beschlossen wurde. Noch vier Monate vor der Konferenz, bei der letzten Vorbereitungskonferenz in New York, hatte es nicht so ausgesehen, als ob eine Einigung möglich wäre. Es hat sich bestätigt, daß der Gedanke einer nachhaltigen Entwicklung gerade von Ländern, die unter starkem Wachstumsdruck stehen, mit Mißtrauen betrachtet und häufig als der Versuch einer Einschränkung eigener Entwicklungsperspektiven angesehen wird. Voraussetzung für diese Einigung war, daß die Industrieländer ihre eigene Verantwortung für eine nachhaltige Stadtentwicklung anerkannt haben. Nachhaltige Produktions- und Kosummuster in den Städten herbeizuführen, den Energieverbrauch zu mindern und die Energieeffizienz zu erhöhen, die "Stadt der kurzen Wege" zu fördern - dies ist vor allem eine Aufgabe der Industrieländer. Die Städte, wie sie sich im Norden entwickelt haben, können nicht das Modell für die rasch wachsenden Megastädte der Dritten Welt sein. Hier stehen die Industrieländer in der Verantwortung, Technologien und Konzepte zu entwickeln, die auch in der Dritten Welt eine nachhaltige Stadt, die nicht die ökologischen Ressourcen des ländlichen Raumes ausplündert und vernichtet, möglich machen. Das „Recht auf angemessene Unterkunft" wird ausdrücklich als Bestandteil der Menschenrechte bestätigt, so wie es bereits in der Allgemeinen Menschenrechtserklärung von 1948 festgelegt wurde. Die Regierungen habe ihre Verpflichtung unterstrichen, die Herstellung von Mindeststandarts für würdige Wohn- und Lebensverhältnisse in den Städten als eine öffentliche Aufgabe zu verfolgen. In diesem Zusammenhang wurde immer wieder auf das Beispiel der Bundesrepublik Deutschland verwiesen, wo sich Bund, Länder und Gemeinden mit einem erheblichen Einsatz an öffentlichen Mitteln für eine Verbesserung der Wohnungsversorgung einsetzen. Erstmals ist in einem UNO-Dokument die besondere Rolle der Gemeinden anerkannt und festgeschrieben worden. Das Prinzip der örtlichen Selbstverwaltung, der Dezentralisierung von Verantwortung und der Ausstattung der örtlichen Körperschaften mit eigenen finanziellen Mitteln ist ein wichtiger Meilenstein für eine strukturelle Verbesserung des institutionellen Aufbaus. Dies wird nicht nur zu einer Effizienzsteigerung der bilateralen und multilateralen Entwicklungshilfe führen; es ist auch ein Signal für Demokratie, Transparenz und bürgernahe Verwaltung auf der ganzen Welt. Die Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeister, die in Istanbul anwesend waren, sind für diesen Erfolg außerordentlich dankbar. Ein sehr wichtiges Thema war das Konzept für die Umsetzung der Konferenz-Beschlüsse. Der Globale Aktionsplan der Habitat-Agenda ist auf mindestens 10 Jahre angelegt, und wir haben erreicht, daß die Umsetzung der Empfehlungen in regelmäßigen Abständen, zuerst im Jahr 2001, gemeinsam verfolgt wird. Diese Umsetzung muß zu allererst in den einzelnen Ländern, in den Gemeinden, in den Stadtteilen stattfinden. Die staatliche Seite, Bund und Länder, müssen hierzu ihren Beitrag leisten. Viele Empfehlungen, die im Globalen Aktionsplan stehen, müssen darüber hinaus durch den privaten Sektor, ja auch durch die privaten Haushalte und die einzelnen Bürger umgesetzt werden. Ich weise nur auf das zentrale Problem des Wasserverbrauchs in den Städten hin, das sich immer mehr als ein kritischer Aspekt der globalen Zukunft herausschält. Der private Sektor muß neue Technologien entwickeln, die eine Verminderung des Wasserverbrauchs in den Städten ermöglichen, und der Kunde, der Verbraucher, muß diese Technologien am Markt nachfragen und einsetzen. Die Umsetzung der Habitat-Agenda geht also über die öffentliche Hand weit hinaus. Hinsichtlich der Umsetzung im internationalen Rahmen haben wir uns darauf geeinigt, das Mandat der hierfür eingesetzten UN-Organisationen, also der Kommission für Menschliche Siedlungen und des UN-Zentrums für Menschliche Siedlungen in Nairobi, zu stärken. Diese Mandate sind im nächsten Jahr zu überprüfen und an die Aufgabenstellung der Habitat-Agenda anzupassen. Die Erwartungen einiger Entwicklungsländer nach zusätzlichen Finanztransfers für den Globalen Aktionsplan konnten sich nicht erfüllen. Die westlichen Länder haben sehr deutlich gemacht, daß der Reformprozeß in den Vereinten Nationen zu einer Straffung und damit zu einer Stärkung der jeweiligen Fachorganisationen führen muß und daß die neue Prioritätensetzung, die die Habitat-Agenda ohne Zweifel erfordert, in diesen Reformprozeß eingebunden sein muß. In der Erklärung von Istanbul sind die wichtigsten Ergebnisse in prägnanter Form zusammengefaßt. Daß diese Erklärung doch noch zustande kam, nachdem die Vorarbeiten auf Expertenebene ins Stocken geraten waren, ist auch ein Ergebnis der politischen Solidarität der Europäer und der engen Abstimmung mit den USA. Dafür möchte ich mich bei unseren Partnern ganz herzlich bedanken. Ich möchte mich auch bei allen Delegationsteilnehmern aus der Bundesrepublik Deutschland sehr herzlich für ihre Beiträge bedanken. Die Delegation des Deutschen Bundestages hat sehr effektiv unsere gemeinsamen politischen Prioritäten auch bei den Versammlungen der Parlamentarier geltend gemacht. Es ist wieder einmal deutlich geworden, daß die Regierungsdelegationen sehr viel wirksamer arbeiten können, wenn die Unterstützung von der parlamentarischen Seite her deutlich wird. Ich möchte ferner den Vertreterinnen und Vertretern der Gemeinden danken, die in Istanbul die Rolle einer selbstbewußten gemeindlichen Selbstverwaltung überzeugend demonstriert haben. Die Gemeinden waren in Istanbul erstmals als Konferenzpartner mit hervorgehobenen Mitwirkungsrechten am Tisch. Dies hat sich positiv auf die Konferenzbeschlüsse ausgewirkt. Es ist gemeinsam zu überlegen, wie in Zukunft sichergestellt werden kann, daß die wichtigen Beiträge der Gemeinden in den einschlägigen UN-Gremien Gehör finden können. Auch die Kolleginnen und Kollegen aus den Bundesländern haben unsere Verhandlungsführung unterstützt, wofür ich ebenfalls danke. Schließlich gilt mein Dank auch den Vertreterinnen und Vertretern der Verbände, der Berufsvereinigungen, der Bürgergruppen und auch der Landesentwicklungsgesellschaften, die in der Deutschen Delegation und dann außerhalb das Bild Deutschlands auf dieser Konferenz mitgeprägt haben. Die Konferenz ist zu Ende; jetzt geht es darum, die Umsetzung zu gestalten. Istanbul hat deutlich gemacht, daß nachhaltige Stadtentwicklung für uns in Deutschland vor allem in unseren Gemeinden, in Stadt und Land, vorangebracht werden muß. Nur wenn wir unsere eigenen Aufgaben ernsthaft verfolgen, können wir glaubwürdig mit anderen Ländern darüber verhandeln, was weltweit zu tun ist. Die Umsetzung ist nicht nur eine Sache der Bundesregierung, sondern sie muß Länder und Gemeinden, Verbände, Bürgergruppen in gleicher Weise einbeziehen wie bei der Vorbereitung der Konferenz. Ich werde deshalb für den Herbst zu einer Umsetzungskonferenz einladen, bei der wir uns mit allen Beteiligten über ein gemeinsames Konzept zur Umsetzung verständigen wollen. Wir fangen nicht bei Null an. In vielen Städten und Gemeinden sind bereits Vorhaben unterwegs oder abgeschlossen, die Schritte in Richtung nachhaltige Stadtentwicklung sind. Über die Projekte des umweltgerechten Planens und Bauens, über „Lokale Agenda 21" , über nachhaltige Stadtentwicklungskonzepte finden bereits viele Empfehlungen der Habitat-Agenda ihren Eingang in die Praxis. Gleichwohl können wir noch nicht zufrieden sein. Wir müssen den Rückenwind, den wir von Habitat II erhalten haben, nutzen, um diese Vorhaben in den Städten und Gemeinden weiter zu unterstützen. Lassen Sie mich noch etwas zur politischen Begleitmusik dieser Konfenz sagen: Im Vorfeld von Habitat II wurden Befürchtungen laut, daß diese Konferenz Anlaß zu heftigen Auseinandersetzungen um die Verwirklichung der Menschenrechte in der Türkei und vor allem um die Kurdenpolitik der türkischen Regierung geben könnte. Wir haben uns hiermit während der Konferenz intensiv auseinandergesetzt. Auch während der Konferenz schien es zeitweise so, als ob eine Zuspitzung der in der Türkei bestehenden Konflikte mit Auswirkungen auf die Konferenz eintreten könnte. Dies ist zum Glück nicht geschehen, was nicht zuletzt auch auf eine feste Haltung der Europäischen Union zurückzuführen war. Ich selbst habe ein Gespräch mit dem Vorsitzenden des türkischen Menschenrechtsvereins geführt und dabei die Schritte erläutert, die die Europäische Union im Interesse eines unbeeinflußten und ungestörten Konferenzablaufs unternommen hat. Insgesamt hat auch die türkische Regierung ihr Interesse an einer erfolgreichen Konferenz richtig bewertet und eine Zuspitzung vermieden. Ich möchte von hier aus der türkischen Regierung und insbesondere den Bewohnern von Istanbul meinen herzlichen Dank dafür aussprechen, daß sie so eindrucksvolle Gastgeber dieser Konferenz waren. Habitat II war voraussichtlich die letzte der großen UNO-Konferenzen in diesem Jahrzehnt. Wir treten jetzt voll in die Phase der Umsetzung, der Erfolgskontrolle und der Prioritätenüberprüfung ein. Ich möchte alle Beteiligten ermutigen, an der Umsetzung mit dem gleichen Engagement mitzuwirken, das sie in der Vorbereitung von Habitat II gezeigt haben. 10286* Deutscher Bundestag - 13, Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 20 (Antrag: Verschärfung der Maßnahmen gegen die fortschreitende Gefährdung der menschlichen Gesundheit und der Umwelt durch bodennahes Ozon); und Zusatztagesordnungspunkt 9 (Antrag: Änderung des „Sommersmog-Gesetzes" - Gesetz zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes vom 19. Juli 1995) Gila Altmann (Aurich) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit diesem Zitat aus einer Presseinformation kann man das Handlungskonzept der Umweltministerin zusammenfassen. Frau Merkel versucht sich in der jetzigen Situation einzurichten, versucht Normalität vorzugaukeln, wo nichts normal und dringender Handlungsbedarf angesagt ist. Die ausführliche Debatte ist letztes Jahr geführt worden, dieses Jahr ist anscheinend aus dem Thema die Luft raus, weil die Wetterlage bislang für vergleichsweise geringe Ozonwerte gesorgt hat. Und trotzdem ist es höchste Zeit, aktiv zu werden: Daß Ozon Schädigungen unabhängig von Schwellenwerten bei Menschen, Tieren und Pflanzen hervorruft, ist nichts Neues, auch nicht, daß Kinder, Allergiker, Asthmatiker besonders gefährdet sind. Ab Konzentrationen von 100-150 μg/m3 Luft sind signifikante Lungenfunktionseinbußen vor allem bei Kindern nachweisbar. Die Schädigungen der inneren Organe sind ungleich höher als bei Erwachsenen. Anlaß für unseren Antrag ist, daß in den letzten Monaten eine Vielzahl von neuen Forschungsergebnissen über die Auswirkungen bodennahen Ozons bekanntgeworden sind, die auf ein bisher unterschätztes Risikopotential für Mensch und Umwelt hinweisen und uns eigentlich die Ruhe rauben sollten. Ich möchte hier nur drei Beispiele nennen: Beispiel 1: Eine Studie des Department of Public Health Sciences, St. George's Hospital, London, zum Zusammenhang zwischen Luftverschmutzung und täglicher Sterblichkeitsziffer in London in den Jahren 1987-1992 kommt zu dem Schluß, daß „die OzonWerte mit einem signifikanten Anstieg der Sterblichkeitsziffer bei Herz- und Kreislauf- und Atemwegserkrankungen in Zusammenhang gebracht werden müssen". Beispiel 2: Eine Untersuchung des GSF-Forschungszentrums für Umwelt und Gesundheit im Auftrag des bayerischen Umweltministeriums hat ergeben, daß eine „klare Korrelation zwischen der Ozondosis und dem Fall von grünen Fichtennadeln" besteht und belegt damit erstmals einen Zusammenhang zwischen der Ozondosis und Waldschäden. Beispiel 3: Greenpeace hat 600 wissenschaftliche Arbeiten zum Thema Ozon ausgewertet. Ergebnis: Es besteht ein eindeutig nachweisbarer Zusammenhang zwischen Ozonsmog sowie Asthma und anderen Atemwegserkrankungen bei Kindern. Nach Meinung der Verfasser müssen Kinder als Hauptbetroffene des Sommersmogs angesehen werden. Sie fordern für Fahrzeuge ohne Katalysator Fahrverbote ab einem Wert von 120 µg/m3 Luft. Nach einem Jahr Ozon-Verordnung ist es an der Zeit Bilanz zu ziehen. Sowohl von uns wie auch von der SPD-Fraktion liegen Anträge zur Verschärfung vor, auf Bundesratsebene sind ähnliche Initiativen im Gang. Ein Wort zu dem Antrag der SPD-Bundestagsfraktion: Ich verstehe wirklich nicht, warum Sie nicht unseren Antrag unterstützen, sondern einen eigenen, völlig unzureichenden Antrag eingebracht haben, der auch die Initiative der SPD-regierten Bundesländer, die genau wie wir Fahrverbote ab 180 μg/m3 Luft fordern, konterkariert. Die Ozon-Verordnung hat sich - wie erwartet - in der Praxis als völlig unbrauchbar erwiesen. Selbst bei Werten, die weit über 240 μg/m3 Luft liegen, wird kein Fahrverbot ausgesprochen, da der Wert an drei, mindestens 50 Kilometer entfernten Stationen gemessen werden muß. Und selbst wenn einmal ein Ozon-Alarm ausgelöst werden würde: Zahlreiche Ausnahmeregelungen sorgen dafür, daß praktisch alle weiterfahren können. Die vorliegende Ozon-Verordnung ist und bleibt die Lizenz zum Weiterrasen! Und was macht die Bundesregierung? Frau Merkel verfällt in Ignoranz, redet schön, verharmlost in unverantwortlicher Weise. Anstatt diese alarmierenden Ergebnisse zur Kenntnis zu nehmen und in Handeln umzusetzen, werden frisierte Erfolgsmeldungen in die Öffentlichkeit lanciert. Eine konsequente Ursachenbekämpfung ist endlich angesagt. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen zum Beispiel fordert eine Reduzierung der Ozon-Vorläufersubstanzen Kohlenwasserstoffe und Stickoxide um 50 Prozent bzw. um 80 Prozent, um zu einer merklichen Senkung der Ozonbelastung zu kommen. Es wird höchste Zeit, die geltende Ozon-Verordnung an die Realität anzupassen und drastisch zu verschärfen: Herabsetzung des Grenzwertes für Fahrverbote von 240 µg/m3 Luft auf 180 µg/m3 Luft, Einschränkungen der Ausnahmeregelungen von Fahrverboten, jährliche Überprüfung der Grenzwerte auf ihre Plausibilität und Praktikabilität. Das ist ja wohl das mindeste und kann nur der erste Schritt sein. Wir wiederholen unsere Forderung nach einem Vorsorgekonzept zur drastischen Reduktion der Ozon-Vorläufersubstanzen, um bereits im Vorfeld absehbarer Ozon-Perioden vorbeugende Maßnahmen zu ergreifen, sowie umgehend den Entwurf einer neuen, verschärften Ozon-Verordnung anhand oben genannter Punkte. Auch die Kinder in diesem Land haben das Recht auf Gesundheitsschutz! Zu diesem Vorsorgekonzept gehören: Erarbeitung eines Konzepts zur schrittweisen Reduktion der gefahrenen Pkw- und Lkw-Kilometer, die Einführung autofreier Sonntage, ein Tempolimit von 30/80/100 - grundsätzlich, und nicht erst bei Ozonalarm -, strengere Abgasvorschriften für Pkw's und Lkws, eine Raumordnungspolitik, die, wie von der EnqueteKommission „Mobilität und Klima" gefordert, die Verkehrsvermeidung in den Mittelpunkt stellt. Wir werden daher eine öffentliche Anhörung zur Überprüfung der '95er Ozon-Verordnung angesichts der neuen wissenschaftlichen Studien und veränderten Meßmethoden beantragen, damit das Versteckspiel des Bundesumweltministeriums endlich ein Ende hat! Aussitzen und verharmlosen ist unverantwortlich. Kommen Sie endlich Ihrer Sorgfaltspflicht für alle Bürgerinnen und Bürger nach, anstatt der Autolobby die Stange zu halten! Christa Reichard (Dresden) (CDU/CSU): Weltweit besitzen wir in der Bundesrepublik das strengste Ozongesetz. Leider ist es wieder einmal notwendig, einen Beitrag zur Versachlichung der öffentlichen Diskussion zu leisten. Mit ist völlig unklar, warum man wenige Monate, nachdem das Ozongesetz den Vermittlungsausschuß verlassen hat, schon wieder mit der Diskussion über Grenzwerte und zusätzliche Fahrverbote beginnen muß, obwohl weder ausreichende Erfahrungen mit dem Gesetz noch neue Erkenntnisse der Wissenschaft vorliegen. Aus dem Blickwinkel der Grünen mag es enttäuschend sein, daß in der Bundesrepublik im Sommer immer noch Autos auf den Straßen fahren. Die Tatsache, daß die im Gesetz vorgegebenen Werte dieses Jahr noch nicht eingetreten sind, ist doch vielmehr ein Erfolg und bestätigt die Politik der langfristigen Senkung der Emission der Ozonvorläufersubstanzen. Doch - wie kann es anders sein - wenn die Grünen das Thema pünktlich zum Sommerbeginn wieder auf die Tagesordnung setzen, holt auch die SPD ihre alten Anträge aus der Schublade und frisiert sie etwas um. Im Antrag der Grünen werden, wie schon vor einem Jahr, u. a. die Herabsetzung der im Gesetz festgeschriebenen Werte von 240 auf 180 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft und eine weitere Verschärfung der Fahrverbote gefordert; Sonntage in den Sommermonaten sollten zu autofreien Sonntagen erklärt werden. Weitere Verbote und die Beschränkung der Fahrgeschwindigkeiten, also Tempolimits, werden als Allheilmittel angepriesen - also nichts Neues. Was ein solches Konzept - eine weitere Absenkung der Grenzwerte und weitere Fahrverbote - für den Wirtschaftsstandort bedeutet, dürfte allen klar sein. Die Forderung, schon bei 180 μg/m3 Luft Fahrverbote zu erlassen, kann nur zum Ziel haben, die Mobilität der Bevölkerung in den Sommermonaten, also in der Hauptreisezeit, einzuschränken. Dabei sieht die Realität ja so aus, daß die Spitzenozonwerte seit den 80er Jahren beständig gesunken sind. In den 70er Jahren waren die Ozonwerte in etwa doppelt so hoch. Sogar in Ihrem Antrag räumen Sie auf Seite 2 ein, daß an den Stationen eigentlich sinkende Meßwerte gemessen werden. So deutlich wollen Sie das hier nur nicht sagen, da sonst offensichtlich wird, wie wenig Sinn Ihr Antrag zu diesem Zeitpunkt hat. Auf Seite 3 des Antrages haben Sie erkannt, daß die langfristige Doppelstrategie, die wir ja seit langem verfolgen, sinnvoller ist, als sich eingleisig auf Fahrverbote zu verlassen. Ich hoffe, Sie sind sich darüber im klaren, welche Wirkung die alljährliche Neuauflage dieser Diskussion auf die Bevölkerung hat. Ängste der Bürger werden doch hier für parteipolitische Zwecke mißbraucht. Mit der Sache an sich hat das hier gar nichts mehr zu tun! Durch falsche Risikoeinschätzung und falsche Tatsachen soll die Öffentlichkeit verunsichert werden. Wir haben schon bei der Konzeption des Gesetzes vor einem Jahr darauf gedrängt, Problemlösungen zu entwickeln, die vernünftig und - das möchte ich hier auch noch einmal ausdrücklich betonen - auch umsetzbar sind. Nach der Absenkung des Konzentrationswertes für Ozon auf 240 µg/m3 und der Klarstellung der Ausnahmebestimmungen bei den Fahrverboten wird eine Regelung getroffen, die im Gegensatz zu den von den Fraktionen der SPD und der Grünen angestrebten Regelungen sowohl gesundheitsschädliche Ozonkonzentrationen im Sommer vermeiden hilft wie auch die verkehrsbeschränkenden Maßnahmen auf das notwendige Maß beschränkt. Die Sachverständigenanhörung des Umweltausschusses zum Ozon-Gesetzentwurf der Koalition im vergangenen Jahr hatte unsere Position weitgehend bestätigt. Die Grünen haben schon damals mit ihren panikerzeugenden Horrorvisionen von wissenschaftlicher Seite kaum Unterstützung erfahren. Die von ihnen beschworene gesundheitsschädigende Wirkung von 120 μg/m3 ist reines Schüren von Angst. Dieser Wert geht von einer vollkommen unrealistischen Voraussetzung aus. Die Belastung müßte täglich acht Stunden in geschlossenen Räumen, und das ununterbrochen an 220 Tagen im Jahr, erfolgen. In der Anhörung ist außerdem deutlich geworden, daß die immer wieder geforderten Tempolimits keine große Wirkung auf die Reduzierung bodennahen Ozons haben. Wir lehnen daher ein Tempolimit ab. Bei der Durchsetzung eines Tempolimits bei einer Ozonkonzentration von 180 μg/m3 Luft, wie das von der Opposition gefordert wird, würde sich, wenn sich 80 % der Autofahrer an die Tempolimits halten würden, eine Reduzierung der flüchtigen organischen Substanzen um nur ca. 1,58 % ergeben. Das Ozon würde lediglich um maximal 3 bis 5 % reduziert. Einige Versuche ergaben sogar nur eine Reduktion des Ozons von 1 bis 3 %, was dem Bereich der Meßungenauigkeit zugerechnet werden kann. Bei den im Gesetz fesgeschriebenen Maßnahmen - Fahrverbote für Kfz mit hohem Schadstoffausstoß bei Überschreiten des Warnwertes von 240 μg/m3 Luft - würden hingegen die flüchtigen organischen Substanzen um ca. 55 % vermindert, und das Ozon würde sich um 10 bis 15 % verringern. Ein weiteres Ergebnis der Anhörung aber war, daß mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen bei empfindlichen Personen ab 240 μg/m3 Luft gerechnet werden muß. Es ist hinsichtlich unserer Zielsetzung klar: Diese möglichen Belastungen auch eines Teils der Bevölkerung müssen durch die Senkung der Ozonspitzenwerte auf dem Wege vernünftiger, praxisorientierter Regelungen vermieden werden. Auch bei kurzfristigen Maßnahmen zur Kappung von Ozonspitzenwerten hat eine Rechsgüterabwägung zu erfolgen. So muß von vornherein deutlich werden, daß Berufspendler, die in einer anderen zumutbaren Art und Weise ihren Arbeitsplatz nicht erreichen können, doch ausnahmsweise auf ein nicht schadstoffarmes Fahrzeug zurückgreifen dürfen, um ihren Arbeitsplatz erreichen zu können. Außerdem werden andere Maßnahmen, wie die Einführung der emissionsbezogenen Kfz-Steuer, die Zahl der Autos ohne geregelten Kat bis zum Jahr 2000 weiter stark reduzieren. Ich halte steuerliche Anreize hier für wesentlich sinnvoller als das Bevormunden der Bürger durch immer mehr Verbote. Derzeit ist nichts und niemand in Gefahr! Das ist das Ergebnis aller seriöser Studien. Neuerdings wird mit Hilfe einer Greenpeace-Studie, die auf falschen Voraussetzungen beruht, versucht, das Thema neu aufzuwärmen. Auch die Unterstellung, die Bundesregierung habe die Meßmethoden geändert, um das Auslösen des Ozonalarms zu verhindern, ist völlig unsinnig. Das Meßverfahren wurde bereits im Sommer 1992 an die EU-Richtlinie hierzu angepaßt. Dieser Umsetzung wurde im Bundesrat auch zugestimmt. Seit 1994 war dieses Meßverfahren das gültige Meßverfahren. Das heißt, die Bundesregierung hat dieses geltende Meßverfahren zugrunde gelegt. Der Vorwurf ist also völlig falsch; eigentlich wissen Sie das ganz genau! Außerdem frage ich mich, ob Untersuchungen der Ozonwirkungen bei 0 °C wesentlich sinnvoller sind als bei 20 °C. Meines Wissens entsteht Sommersmog - wie der Name schon sagt -, im Sommer, also in der Regel deutlich über 0 °C. Eine Umrechnung auf die alten Werte ist schon allein deswegen unsinnig, da die alte Skala nicht fehlerfrei war und außerdem heute international nicht mehr vergleichbar wäre. Menschen in Grenzgebieten würden die wechselnden Angaben nicht mehr verstehen. Es geht hier aber um eine sachgerechte Behandlung des Problems. Vorrangiges Ziel unserer Politik ist, eine dauerhafte und nachhaltige Verminderung der Ozon-Vorläufersubstanzen zu erreichen und kurzfristig reagieren zu können. Das Ozongesetz wird genau dieser Zielrichtung gerecht. Dieses Gesetz ist ein Schritt in die richtige Richtung gewesen. Von der Bundesregierung wurden in der Vergangenheit bereits eine ganze Reihe von Maßnahmen eingeleitet, wie insbesondere die Einführung des Katalysator, die Großfeuerungsanlagenverordnung sowie die TA Luft, die dazu geführt haben, daß derzeit ca. 600 000 Tonnen Stickstoffoxide und Kohlenwasserstoffe pro Jahr weniger emittiert werden als noch zu Beginn der 80er Jahre. Die Mineralölindustrie hat bereits auf freiwilliger Basis emissionsarme Benzinsorten angeboten, und die Bundesregierung hat seit langem auf EU-Ebene am AUTO-Öl-Programm mitgearbeitet. Jedoch stammt nur ein Drittel aller „Ozonvorläufer" aus dem Autoverkehr. Deshalb ist darüber hinaus u. a. eine Reduzierung der Lösemittelemissionen dringend geboten. Das betrifft insbesondere den industriellen und den gewerblichen Bereich. Wir stehen dafür ein, daß mit einem verstärkten Einsatz des Öko-Audit, mit ökonomischen Anreizen und gegebenenfalls auch mit ordnungspolitischen Instrumenten die Emissionen bis zum Jahr 2005 in diesem Bereich deutlich gesenkt werden. Ich sehe keinen Sinn darin, die Bürger, die auf ihr Auto angewiesen sind, unnötigerweise zu drangsalieren. Ein Vorgehen, wie die Grünen und die SPD das wollen, kann für den Burger kaum noch nachvollziehbar sein. Außerdem ist es noch zu früh für eine Novellierung des Gesetzes, da derzeit noch keine neuen Erkenntnisse vorliegen. Deswegen werden wir den Antrag der Grünen und den Antrag der SPD ablehnen. Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD): Die ersten sonnigen Wochen im Frühling 1995 bescherten uns sehr schnell die bekannten hohen Ozonwerte des Sommersmogs. „Keine Panik!" hätte man sich gerne gesagt. Im Sommer 1995 hatte der Bundestag ja ein Gesetz zur Bekämpfung des bodennahen Ozons erlassen. Die Bevölkerung würde also vor den Gesundheitsschädigungen des giftigen Reizgases geschützt werden. Doch das ist keinesfalls so! Obwohl in der Anhörung im parlamentarischen Prozeß von der Mehrheit der Experten niedrigere Grenzwerte für die Auslösung des Ozonalarms zum Schutz der Gesundheit eingefordert wurden und außerdem die Vollziehbarkeit des von der Regierung eingebrachten Gesetzentwurfs angezweifelt wurde, haben die Koalitionsfraktionen mit ihrer Mehrheit einen Papiertiger geboren. Denn das gültige Sommersmog-Gesetz ist völlig unwirksam. Eine vom Heidelberger Umwelt- und Prognose-Institut (UPI) vorgenommene Auswertung aller Ozondaten der letzten sechs Jahre in der Bundesrepublik ergibt, daß das Gesetz nahezu keinerlei Auswirkung auf die realen Ozonbelastungen hat. In den letzten sechs Jahren wurde der Auslösewert des Sommersmog-Gesetzes (240 Mikrogramm) rund 400mal überschritten; es wäre jedoch nur an einem einzigen Tag 1992 wegen der Bedingungen dieses Gesetzes Sommersmog-Alarm in Hessen und BadenWürttemberg ausgelöst worden. Das liegt daran, daß die 240 µg/m3 an mindestens drei Meßstellen in 50 km Entfernung überschritten sein müssen. Aber selbst wenn der seltene Fall eintreten sollte, daß die harten Bedingungen des Ozongesetzes erfüllt wären, um Alarm auszulösen, könnte dies keine große Wirkung entfalten; denn es werden nicht nur zur „Versorgung der Bevölkerung mit lebensnotwendigen Gütern und Dienstleistungen sowie für andere unabweisbar erforderliche Fahrten auch für schadstoffreiche Fahrzeuge Ausnahmen zugelassen", sondern auch zur Aufrechterhaltung des Produktionsablaufs. Dies aber wird so verstanden, daß sowohl die Berufspendler als auch die Ferienreisenden ihren Weg weiter im PKW fortsetzen dürfen. Damit wird das Gesetz in seiner Auswirkung so lächerlich, daß sogar das Geld für die Durchführung der Anhörung zum Fenster hinausgeschmissen ist. Der Gesetzesinhalt steht in krassem Gegensatz zu einer Äußerung von Umweltministerin Merkel in ihrer Broschüre „Schritte zu einer nachhaltigen, umweltgerechten Entwicklung: Umweltziele und Handlungsschwerpunkte in Deutschland", die sie in diesem Monat herausgegeben hat. Dort lesen wir auf Seite 17f.: Neue Erkenntnisse über Zusammenhänge zwischen dem Eintrag gefährlicher Stoffe in die Umwelt ... und bestimmten Krankheitsbildern . . . geben Anlaß, dem Thema „Umwelt und Gesundheit" anhaltend besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Weit gefehlt! Denn: Der Schwellenwert für einen Ozonalarm wird dadurch weiter erhöht, daß die Meßmethoden zur Erfassung der Ozonkonzentrationen umgestellt worden sind. Eine veränderte Kalibrierung der Meßgeräte und eine Normierung der Meßwerte an 20 °C statt bisher 0° führt dazu, daß der Auslösewert für Fahrverbote für Autos ohne Katalysator tatsächlich bei 287 Mikrogramm/m3 Luft liegt, wenn die alten Meßdaten zur Grundlage gemacht werden. Diese Unwirksamkeit und die im Frühjahr dieses Jahres veröffentlichte Studie „Krank durch Ozonsmog" hat uns veranlaßt, erneut einen Versuch zu unternehmen, Sie, liebe Kollegen und Kolleginnen von den Koalitionsfraktionen, davon zu überzeugen, daß Handeln dringend erforderlich ist, statt Symbolpolitik zu betreiben, wie Sie es im vergangenen Jahr mit Ihrem Ozongesetz getan haben. Die Greenpeace-Studie weist vor allem noch einmal auf die Gesundheitsschäden bei Kindern hin. Ozonsmog schwächt danach u. a. die Immunabwehr, löst Allergien aus und begünstigt selbst bei gesunden Menschen die Asthmabereitschaft. Staatssekretär Klinkert meinte allerdings auf meine Frage am 22. Mai 1996, welche Konsequenzen die Bundesregierung aus der Studie zu ziehen gedenke, es würden darin keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse vorgetragen. Da kann ich nur sagen: Um so schlimmer, wenn Ihnen dies alles schon bekannt war und Sie dennoch nicht gehandelt haben! Aber - so Staatssekretär Klinkert - die Bundesregierung sieht auch heute keine Veranlassung - weitergehende Konsequenzen aus der Studie zu ziehen. Ob man in dieser Hinsicht auf europäischer Ebene sensibler ist? In einem Bericht zu Ozonkonzentrationen in den Monaten Juni und Juli 1994 lesen wir: Mit über 3 100 Episoden im Sommer 1994 wurde die Häufigkeit deutlich, mit der der zum Schutz der menschlichen Gesundheit bestimmte Grenzwert von 180 µg/m3 überschritten wird. Dieser Schwellenwert stellt lediglich eine geringe Sicherheitsmarge dar. Besonders im Falle des Ozons, mehr als für die meisten anderen Schadstoffe, ist es deshalb von entscheidender Bedeutung, den Ernst der im Sommer 1994 erreichten Belastungswerte zu erkennen. Und in ihrem Grünbuch zum Verkehr schreibt die EU Ende 1995: Da jedoch der Hauptanteil der Emissionen auf den Straßenverkehr entfällt, sollten Maßnahmen für diesen Verkehrsträger mit einer gewissen Dringlichkeit entwickelt werden. Zahlreiche Untersuchungen verweisen uns immer wieder darauf, daß die Belastung der Umwelt und der menschlichen Gesundheit durch ubiquitär vorkommende organische und anorganische Schadstoffe und Verbrennungsprodukte an einem kritischen Punkt angelangt ist. Dabei spielt der photochemisch-oxidative Smog mit hohen Konzentrationen an Ozon, Stickoxiden, Kohlenwasserstoffen und Aldehyden eine besondere Rolle. In der Vergangenheit betrugen natürliche mittlere Ozonwerte der nördlichen Hemisphäre 20-40 μg/m3, heute werden während Sommersmog-Episoden bereits zehnfach höhere Werte erreicht. Gleichzeitig nehmen die entzündlichen Erkrankungen der Atemwege, besonders in Städten mit hoher Luftverschmutzung durch Verkehr und Industrie signifikant zu. Man weiß heute, daß die Erkrankungen der Atemwege als ein Warnzeichen für umweltbedingte Erkrankungen verstanden werden müssen; nämlich als Ausdruck steigender Expositionen einer komplexen Mischung von Fasern, Partikeln, Bakterien, Allergenen, flüchtigen organischen Chemikalien (VOCs), Tabakrauch und anderen Verbrennungsprodukten. Eine Vielzahl unerwünschter gesundheitlicher Auswirkungen sind die Folge: Irritationen der Schleimhaut; Infektionen der Schleimhaut; Allergien und Pseudoallergien und Hyperreagibilität in den Atemwegen mit einem Anstieg allergischer und nichtallergischer Infekte sowie Asthma. Kinder und Jugendliche sind davon besonders betroffen. Daß die Zunahme entzündlicher und/oder chronischer Atemwegserkrankungen nicht nur der morbiden Phantasie einiger Ökospinner entspringt, belegen epidemiologische Studien, die zumindest auch der Bundesregierung bekannt sein dürften. Dabei können Umweltschadstoffe nicht nur selbst antigen und somit Verursacher von allergischen Reaktionen sein, sondern sie können auch zu einer aggressiveren Allergenität natürlicher Antigene (z. B. Birkenpollen) führen. Das erklärt auch das häufigere Auftreten von Pollenallergie in Industrie- und Stadtgebieten gegenüber ländlichen Bereichen. In diesem Zusammenhang spielen hohe Ozonbelastungen eine wichtige Rolle; denn sie verursachen nicht nur Schäden an den empfindlichen Pflanzen und an bestimmten Materialien, sondern sie gefährden auch die Gesundheit von Menschen und Tieren. Ozon verstärkt die virusinduzierten immunologischen Reaktionen in der Lunge. Die Gruppe der Allergiker und Asthmatiker ist erhöht gefährdet, wenn auch auf Grund interindividueller Differenzen nicht vorhergesagt werden kann, wer zu den „Empfindlichen" gehört. Auch die wissenschaftliche Datenlage bezüglich der chronischen und langfristigen Schädigungen der Schleimhaut der Atemwege ist eindeutig. Aus Kreisen der Hals-, Nasen-, Ohrenärzte wird uns mitgeteilt, daß die Schleimhaut im Bereich der Atemwege so geschädigt werden kann, daß weitere Schadstoffe, die sich im Feinstaub befinden, verstärkt wirken können und in einem Synergieeffekt Allergien, Störungen des Immunsystems und pathologisch nachweisbare Veränderungen in der Lunge hervorrufen können. Wenn Patienten mit symptomatischem Asthma (SAB) und chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) geschützt werden sollen, dürften Tagesmittelwerte von 90 gg/m3 nicht überschritten werden. Über den begründeten Verdacht der Kanzerogenität und gentoxischen Wirkung des Reizgases Ozon haben wir ja bereits im vergangenen Jahr gesprochen. Darüber hinaus ergaben einjährige Untersuchungen eines Münchner Forscherteams in Büroräumen, daß in geschlossenen Räumen die negativen Auswirkungen bezüglich der eingeschränkten Lungenfunktionen noch stärker sind. Prof. Fruhmann: Fest steht, daß die Ozonwerte im Büro durch veraltete Kopiergeräte, Laserdrucker, Luftfilteranlagen und ultraviolette Lampen ansteigen können. Auf jeden Fall spielt Ozon in Innenräumen eine wesentlich größere Rolle, als man bisher angenommen hat. Wir sind es den Menschen schuldig, daß wir handeln. Mit unserem Antrag legen wir Ihnen erneut den Vorschlag vor, ein Stufenkonzept zur Sommersmog-bekämpfung umzusetzen. Wir fordern, 1. daß die Bevölkerung bei einem Wert von 110 µg/ m3 bodennahem Ozon (120 µg/m3 altes Meßverfahren) über mögliche gesundheitliche Auswirkungen auf besonders empfindliche Gruppen, wie z. B. Kinder und Allergiker, informiert wird, 2. daß bei 160 µg/m3 Ozon (180 gg/m3 altes Meßverfahren) differenzierte Tempolimits und Fahrverbote für Kraftfahrzeuge ohne Abgasreinigungsanlagen verordnet werden, 3. daß bei 210 gg/m3 Ozon (240 gg/m3 altes Meßverfahren) flächendeckende Fahrverbote mit nur begrenzten Ausnahmen und Produktionseinschränkungen ausgesprochen werden. Daß unsere Grenzwerte keinesfalls übertrieben sind, belegt Ihnen die Tatsache, daß die Weltgesundheitsorganisation - WHO - und der Verein Deutscher Ingenieure - VDI - eine Belastung von 120 Mikrogramm Ozon pro Kubikmeter Luft als Obergrenze zur Vermeidung von Gesundheitsschäden ansetzen. Die Forderung nach Zurückdrängung des Individualverkehrs und der „Vorfahrt für Gesundheit und Umwelt" findet zahlreiche Verbündete. So forderte die Ärztekammer Niedersachsen bereits 1994 „dauerhafte Fahrverbote in innerstädtischen Ballungszonen, zeitlich befristete Fahrverbote in weiteren Gebieten, Geschwindigkeitsbegrenzungen, Verminderung vor allem des nächtlichen Verkehrs, Verbesserung und Verbilligung des öffentlichen Nahverkehrs" usw. Ich will auch gleich Ihrem Einwand entgegentreten, den Sie mit Sicherheit wieder vorbringen werden: nämlich unser Antrag auf eine verbesserte Ozongesetzgebung sei Panikmache und Hysterie. Wir verängstigten die Menschen draußen nur, während es angezeigt sei, langfristig etwas gegen Ozonbildung zu tun. In dem letzten Punkt kann ich Ihnen natürlich recht geben, und Sie finden in unserem Antrag auch verschiedene Maßnahmen, die dringend durchgeführt werden müßten, damit die Vorläufersubstanzen von Ozon wirksam zurückgedrängt werden. Diese Maßnahmen kündigen Sie zum Teil auch an, aber mit der Umsetzung hapert es gewaltig. Denn: daß die Bundesregierung hier Entscheidendes tut, konnten wir bisher nicht feststellen. Deshalb werden wir in den kommenden Jahren immer noch mit viel zu hohen Ozonkonzentrationen rechnen müssen, und die Politik ist aufgefordert, hier auch kurzfristig etwas zu tun. Wenn wir dafür sorgen, daß es durch ein abgestuftes Verfahren erst gar nicht zum Erreichen dieser hohen Ozonwerte kommt, dann wird die Bevölkerung beruhigt sein können, weil wir tatsächlich vorsorgenden Gesundheitsschutz betreiben. Wenn aber das Handeln der Politik nur darin besteht, Papier zu produzieren, muß die Bevölkerung sich selbst um ihren Gesundheitsschutz kümmern, muß sie sich informieren, muß über die Auswirkungen von Ozon geredet werden. Es wird nicht zu vermeiden sein, daß hier auch Ängste - und zwar berechtigte Ängste - entstehen und nicht verdrängt werden können. Nehmen wir also unsere Verantwortung als Politiker ernst, sorgen wir dafür, daß im Jahre 1996 ein wirksames Ozongesetz verabschiedet wird! Birgit Homburger (F.D.P.: Mit dem Antrag versuchen die Grünen, die parlamentarische Abstimmungsniederlage im letzten Sommer zu korrigieren. Mit angeblich neuen Erkenntnissen werden alte Forderungen wieder aufgewärmt. Alter Wein in neuen Schläuchen, und dazu noch schlecht gemacht: Sie verlangen eine Novellierung der „Ozon-Verordnung" ! Haben Sie vergessen, daß der Deutsche Bundestag ein Ozon-Gesetz verabschiedet hat? Haben Sie es überhaupt gelesen? Dann wüßten Sie, daß das Gesetz keine „Grenzwerte" festsetzt, wie Sie es nennen, sondern Konzentrationswerte als Auslöser von Ländermaßnahmen. Und Sie fordern die Bundesregierung auf, einen neuen Verordnungsentwurf vorzulegen. Kann die grüne Fraktion keinen eigenen Gesetzentwurf formulieren? Vergessen haben Sie wohl auch die Ergebnisse der Anhörung im letzten Jahr, die Grundlage unserer Entscheidung war. Es liegen keinerlei neue Erkenntnisse vor. Die Sachverständigenanhörung hat gezeigt, daß wir mit dem Schwellenwert von 240 Mikrogramm/m3 Luft für Fahrverbote richtig liegen. Deshalb hat die F.D.P. damals bei der CDU diesen schärferen Schwellenwert durchgesetzt, damit die Fahrverbote auch wirklich greifen. Ebenso ist die F.D.P. für sachgerechte und nicht zu großzügige Ausnahmeregelungen eingetreten. Wir können die Schichtarbeiter, das Krankenhauspersonal, die Hotelfachkräfte, Menschen, die nachts oder früh am Morgen arbeiten, wenn der ÖPNV nicht zur Verfügung steht, nicht von den Arbeitsplätzen fernhalten. Das wäre einfach unverhältnismäßig. Deshalb lehnen wir Ihre Forderungen nach weiterer Reduzierung der Ausnahmen ab. Und die von Ihnen geforderte jährliche Überprüfung der Grenzwerte, oder genauer gesagt, der Schwellenwerte, ist ein Beispiel der grünen Regelungswut. Je nach dem wie sonnig das Jahr ist, wird das Gesetz geändert. Wir brauchen Verläßlichkeit und nicht grüne Regelungshektik. Die SPD läuft mit ihrem nachgeschobenen Antrag den Grünen hinterher. Auch sie wärmt die alten Forderungen auf. Vergessen oder eher verdrängt ist der Flop mit dem Heilbronner Großversuch. Die Anhörung hat es vor einem Jahr bestätigt: Kurzfristige Tempolimits nützen zur Ozonreduzierung nichts. Sie bringen keine Erfolge, die über die üblichen Meßungenauigkeiten hinausgehen. Sie wollen Tempolimits nicht weil sie helfen, sondern weil sie leichter zu überwachen sind als Fahrverbote. Das ist AlibiPolitik, die die F.D.P. nicht mitmacht. Das Ozon-Gesetz wird vor allem bei langen, schönen Wetterperioden zur Senkung der Ozonspitzenkonzentrationen beitragen. Nicht mehr aber auch nicht weniger. Zentrales Anliegen der F.D.P. ist es, solche Spitzenwerte gar nicht erst entstehen zu lassen. Deshalb bleibt die F.D.P. bei Ihrer Forderung, daß die Grundbelastung mit Vorläufersubstanzen gesenkt werden muß. Dazu gehört nicht nur der Ausstoß von Stickstoffoxiden aus dem Straßenverkehr, sondern dazu gehören auch die flüchtigen Kohlenwasserstoffe. Hier besteht noch ein großer Handlungsbedarf. In der Industrie, im Gewerbe und im Freizeitbereich müssen mehr lösemittelfreie oder zumindest lösemittelarme Produkte eingesetzt werden. Der Bundestag hat mit seiner Entschließung bei der Verabschiedung des Ozon-Gesetzes darauf hingewiesen und die Bundesregierung schnellstens zur Vorlage von Vorschlägen gebeten. Daß der Bericht noch nicht vorliegt, ist kein Zeichen von Untätigkeit. Ich weiß, daß über eine Lösemittel-Richtlinie in der EU verhandelt wird. Ich bitte die Bundesregierung, sich mit Nachdruck für eine baldige Verabschiedung der Richtlinie einzusetzen. Es wäre allerdings schön, wenn wir im Zusammenhang mit den Ausschußberatungen zu diesem Antrag auch über einen Bericht mit Vorschlägen der Bundesregierung beraten könnten. Bei der Reduzierung von Schadstoffen aus dem Straßenverkehr sind wir auf gutem Wege. Die EURO- 2-Norm ab 1997 halbiert den Schadstoffausstoß von Pkw gegenüber den heute gültigen Grenzwerten. Und EURO 3 wird in vier Jahren eine weitere Absenkung bringen. Die Erneuerung der Fahrzeugflotte durch die Ausmusterung der älteren bei zunehmendem Anteil der modernen schadstoffarmen Fahrzeuge wird die Schadstoffreduzierung beschleunigen. Mit dem jetzt von der Koalition eingebrachten Kraftfahrzeugsteueränderungsgesetz wird - nach Nachbesserung durch die F.D.P. - ein finanzieller Anreiz gesetzt, um Kat-lose Fahrzeuge durch schadstoffarme Fahrzeuge zu ersetzen. Gerade diese Fahrzeuge tragen weit überproportional zum Ausstoß der Vorläufersubstanzen bei. Ihre Ausmusterung wird dadurch beschleunigt. Und mit der ab 2003 vorgesehenen Umlegung der Kfz-Steuer auf die Mineralölsteuer werden wir über den Spritpreis weitere Signale für Verkehrsvermeidung und Verbrauchssenkung setzen. Mit ihrem Antrag konzentrieren sich die Grünen nur auf den Straßenverkehr, und damit zeigen sie, worum es den Grünen wirklich geht: nicht um eine umfassende Strategie zur dauerhaften Senkung der Ozon-Belastung, sondern um ein Vehikel, um ein Angstthema für ihr verkehrspolitisches Steckenpferd, das flächendeckende Tempolimit. So wird mit Ängsten Politik gemacht. Eva Bulling-Schröter (PDS): Der Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist einleuchtend, eindeutig und klar, wir unterstützen ihn vorbehaltlos. Als vor einem Jahr die Ozonverordnung erlassen wurde, kritisierten die Umweltverbände und die Opposition die Grenzwerte für die Vorwarnstufe von 180 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft und für das Fahrverbot bei 240 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft als völlig unzureichend - unzureichend wegen des von diesen Grenzwerten ausgehenden mangelnden Gesundheitsschutzes, unzureichend wegen der zahllosen Ausnahmen und der absurden Meßverfahren, die den eigentlichen Sinn dieses Gesetzes völlig durchlöchern. Nun ist der Wissensstand ein anderer als vor einem Jahr. Die Erkenntnisse über die Gefährlichkeit des bodennahen Ozons sind durch neue Gutachten weiter untersetzt. Ich möchte die Gutachten nicht noch einmal im einzelnen erwähnen, meine Kollegin Gila Altmann hat sie in ihrer Rede schon erläutert. Die Konsequenz kann nur lauten, die Sommersmogverordnung muß geändert werden. Für uns steht die Ursachenvermeidung für die Entstehung des bodennahen Ozons im Mittelpunkt. Dort 10292* Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 steht an erster Stelle der Straßenverkehr. Wie im Antrag erwähnt, stammen von ihm 80 Prozent der Vorläufersubstanzen bei Stickoxiden und über 55 Prozent bei den flüchtigen Kohlenwasserstoffen. Während die Wuppertal-Studie „Zukunftsfähiges Deutschland" unter anderem fordert, bis zum Jahre 2005 die Emissionen dieser beiden Stoffgruppen auf 20 Prozent des heutigen Niveaus zu senken, arbeitet die Politik der Bundesregierung offensichtlich daran, den entsprechenden Ausstoß zu erhöhen. Der Vergleich der Entwicklung des Straßengüterverkehrs mit der des Schienengüterverkehrs zeigt dies deutlich. Während sich der Schienengüterverkehr in den letzten sechs Jahren nahezu halbiert hat, ist der Straßengüterfernverkehr im selben Zeitraum um fast die gleiche Dimension, daß heißt um sage und schreibe 60 Milliarden Tonnenkilometer gewachsen. Die Verkehrsleistungen auf den Straßen stiegen insgesamt um 50 Prozent. Alle seriösen Prognosen rechnen mit einem weiteren Anstieg des Güterverkehrs auf der Straße - zu Lasten des Verkehrs auf der Schiene - und mit einem erhöhten NOx- und VOC-Ausstoß, also einem Ansteigen der Ozonwerte, als toxischer Folge. Die Bahn wird trotzdem weiter demontiert. Nach Angaben der Bundesregierung wurden seit 1994 mehr als 7 500 Weicheneinheiten und 1 140 Kilometer Betriebsgleise abgebaut. Tendenz steigend, denn insgesamt sind 7 000 des heute noch 40 000 Kilometer umfassenden Eisenbahnnetzes unmittelbar von Stillegung bedroht. Das System Flächenbahn steht vor dem Aus. Die Autoindustrie und ihre Lobby wird dank Wissmann und Dürr verkehrspolitische Freudenfeste feiern. Die Novellierung der Ozonverordnung kann nur ein dünnes gesundheitspolitisches Schutzschild sein. Notwendig ist darüber hinaus eine verkehrspolitische Offensive in Richtung Schienenverkehr und ÖPNV. Aber wer will das schon? Anlage 6 Antwort der Parl. Staatssekretärin Cornelia Yzer auf die Frage des Abgeordneten Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU) (Drucksache 13/4908 Frage 46): Was unternimmt die Bundesregierung gegen den nicht zuletzt aus einer immer stärker zu beobachtenden Technikfeindlichkeit in Schule und Gesellschaft resultierenden, dramatischen Rückgang der Immatrikulationen an den Technischen Universitäten? Zu der Frage einer generellen Technikfeindlichkeit in Schule und Gesellschaft gibt es in einschlägigen Studien der Bildungsforschung keine eindeutigen Belege. Dies ergibt z. B. die Auswertung der CD-ROM „Bildungsforschung" des Fachinformationssystems Bildung zum Stichwort ,,Technikfeindlichkeit" aus den letzten acht Jahren. In dieser Hinsicht gleichermaßen unergiebig sind die großen Jugenduntersuchungen oder -befragungen, z. B. von SINUS und SHELL. Unbestritten ist sicher, daß in der Bevölkerung ein kritisches Bewußtsein gegenüber den Risiken von Technik gewachsen ist. Dies ist aber nicht automatisch mit Technikfeindlichkeit gleichzusetzen. Voraussetzung für mehr Technikakzeptanz ist allerdings eine umfassende Information der Öffentlichkeit, die transparent und objektiv Chancen und Risiken neuer technologischer Entwicklungen aufzeigt. Wissenschaft, Wirtschaft und Politik stehen hier gleichermaßen in der Verantwortung, aber auch den Medien kommt dabei eine Schlüsselfunktion zu. Angesichts der für den Nichtfachmann oftmals kaum zu überblickenden Komplexität technischer Zusammenhänge sind sachliche Information und objektive Berichterstattung notwendige Voraussetzungen, um eine stärkere Aufgeschlossenheit gegenüber den Chancen und Möglichkeiten der Technik zu erreichen. Dies gilt in besonderem Maße für den Schulbereich, wobei anzumerken ist, daß diejenigen Schülergruppen, die sich für ein natur- oder ingenieurwissenschaftliches Studium interessieren, in der Regel eine positive Grundeinstellung zur Technik mitbringen. Mit dem in den letzten Jahren deutlichen Rückgang der Immatrikulationen an Technischen Universitäten wird ein Tatbestand angesprochen, dessen weitere Entwicklung auch von der Bundesregierung mit Sorge beobachtet wird. Dies gilt insbesondere für die natur- und ingenieurwissenschaftlichen Studiengänge. Zur Verdeutlichung zunächst einige Daten der aktuellen amtlichen Statistik: Demnach ist die Zahl der Studienanfänger in den Natur- und Ingenieurwissenschaften an den Hochschulen in der Bundesrepublik Deutschland von 1992 bis 1995 um rd. 23,5 % (von rd. 107 600 auf 82 400) gesunken. In diesem Zeitraum lag der Rückgang in den Ingenieurwissenschaften mit rd. 25 % (von rd. 64 900 auf rd. 48 800) höher als in den Naturwissenschaften mit rd. 21 % (von rd. 42 700 auf rd. 33 600). Die Situation an einzelnen technisch orientierten Universitäten sieht dabei durchaus unterschiedlich aus. Während an einigen Standorten die Studienanfängerzahl um etwa ein Drittel, in einem Fall sogar um mehr als die Hälfte abgesunken war, erfolgte an anderen Standorten ein geringerer Rückgang, in wenigen Fällen sogar bereits eine gegenläufige Entwicklung. Zu berücksichtigen ist auch, daß an vielen Hochschulen durch die sinkenden Studienanfängerzahlen auch Überauslastungen abgebaut wurden. Erklärungsansätze für den Rückgang der Studienanfängerzahlen in den Natur- und Ingenieurwissenschaften müssen dabei unterschiedliche Einflußfaktoren einbeziehen: - So ist der o. g. Rückgang der Studienanfängerzahlen 1992 bis 1995 auch vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung in diesem Zeitraum zu sehen. Dieser beträgt rd. 9 %. Gleichwohl sind die natur- und ingenieurwissenschaftlichen Studiengänge mit rd. 23,5 % deutlich überproportional betroffen. - Als traditionell besonders konjunkturabhängige Fächer haben sich die in den letzten Jahren relativ plötzlich und deutlich verschlechterten Arbeitsmarktchancen der Absolventen entsprechend negativ auf das Studienwahlverhalten ausgewirkt. Die gegenwärtige Situation ist dabei kein neues Phänomen. Durch marktwirtschaftliche Konjunkturverläufe bedingte Schwankungen der Studienanfängerzahlen wie auch der - durch lange Studienzeiten zeitverzögerten - Absolventenzahlen hat es auch in der Vergangenheit gerade auch im Ingenieurbereich wiederholt gegeben. - Allerdings ist auch zu fragen, inwiefern sich hier neben den konjunkturabhängigen Schwankungen zusätzlich grundlegendere und langfristige Strukturveränderungen der Wirtschaft im Rahmen von Globalisierungsstrategien und Kostenreduzierungen im Produktions- und Personalbereich auswirken. Den veränderten Anforderungen des Arbeitsmarktes an die Qualifikationen der Absolventen natur- und ingenieurwissenschaftlicher Fachrichtungen entsprechend, sind weitere inhaltliche und strukturelle Anpassungen der jeweiligen Studiengänge notwendig. Dies gilt insbesondere für die nicht-technischen Qualifikationsanforderungen im Bereich von Kommunikations- und Sozialkompetenzen. Angesichts der kurzen Innovationszyklen des Wissens gerade im technischen Bereich ist auch eine deutlichere Aufteilung zwischen grundständigen Studienangeboten und entsprechenden Weiterbildungsangeboten erforderlich. Die erforderliche Neuorientierung der Ausbildung an den Hochschulen wird vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBF) im Einklang mit den Zielsetzungen der Hochschulstrukturreform nachhaltig gefordert. Für die aus Sicht des BMBF unbefriedigende und schleppende Umsetzung dieser Zielvorstellungen stehen allerdings in erster Linie die zuständigen Länder sowie die Hochschulen in der Verantwortung. Angesichts der gegenwärtig allein im Ingenieurbereich mit rd. 40 000 sehr hohen Arbeitslosenzahl - darunter im übrigen eine beträchtliche Zahl junger Ingenieure unter 35 Jahren und Berufsanfänger - müssen auch die Unternehmen und Betriebe ihr Einstellungsverhalten, ihre Angebote und ihre Beteiligung am Qualifikationserhalt, an Weiterbildung und Teilzeit überdenken. Ausgehend vom Deutschen Ingenieurtag des letzten Jahres in Saarbrücken hat Bundesminister Dr. Rüttgers daher eine Initiative zum ,, Ingenieurdialog" mit den hier Verantwortlichen aus Wirtschaft, Hochschulen und Ländern ergriffen. Erste Ergebnisse des Ingenieurdialogs wird Bundesminister Dr. Rüttgers noch in diesem Jahr der Öffentlichkeit vorstellen. Anlage 7 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 698. Sitzung am 14. Juni 1996 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen: - Gesetz zur Änderung von Erstattungsvorschriften im sozialen Entschädigungsrecht (ErstÄG) - Gesetz zur Änderung von Verbrauchsteuergesetzen und des EG-Amtshilfe-Gesetzes - Gesetz zur Änderung des AGB-Gesetzes und der Insolvenzordnung - Markenrechtsänderungsgesetz 1996 - Allgemeines Magnetschwebebahngesetz (AMbG) - Gesetz zu der Vereinbarung vom 21. Juni 1994 über die Satzung der Europäischen Schulen - Gesetz zu dem Europäischen Übereinkommen vom 24. November 1983 über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten - Gesetz zu den Protokollen Nr. 1 und Nr. 2 vom 4. November 1993 zu dem Europäischen Übereinkommen zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe - Gesetz zu dem Abkommen vom 9. Mai 1995 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Volksrepublik China über den Seeverkehr - Gesetz zu dem Abkommen vom 10. Mai 1995 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Bosnien und Herzegowina über den Luftverkehr - Gesetz zu dem Abkommen vom 10. November 1993 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Malediven über den Luftverkehr - Gesetz zu dem Abkommen vom 9. September 1994 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Malta über den Luftverkehr - Zwanzigstes Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und Siebzehntes Gesetz zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes - Gesetz zur Feststellung des Bedarfs von Magnetschwebebahnen (Magnetschwebebahnbedarfsgesetz - MsbG) Zu dem letztgenannten Gesetz hat der Bundesrat folgende Entschließung gefaßt: Die Bundesregierung wird aufgefordert sicherzustellen, - daß der Bau der Transrapidstrecke Berlin-Hamburg nicht zu Kürzungen oder zur zeitlichen Streckung von Projekten nach dem Bundesschienenwegeausbaugesetz führt und - daß Investitionsausgaben für den Bau des Fahrwegs der Magnetschwebebahn nach Maßgabe des Magnetschwebebahnbedarfsgesetzes vom Bund nur im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel finanziert werden. Die Bundesregierung wird des weiteren aufgefordert, dafür Sorge zu tragen, daß Kosten des Betriebs der Magnetschwebebahn Berlin-Hamburg nicht aus öffentlichen Mitteln finanziert werden. Begründung: Mit seiner Entschließung verdeutlicht der Bundesrat - unabhängig von der Haltung einzelner Länder zur Referenzstrecke der Magnetschwebebahn - seine Auffassung, daß angesichts der bislang nicht abschließend geklärten Finanzierungsfragen Absicherungen notwendig sind. Sowohl im Interesse der Gleichstellung mit anderen Verkehrsträgern als auch im Hinblick auf die Investitions- und Folgekosten des Projekts selbst hält der Bundesrat die Wahrung des Vorrangs der Projekte nach dem Bundesschienenwegeausbaugesetz und den Haushaltsvorbehalt für erforderlich. Angesichts der neuen Finanzierungsform, die gesetzlich nicht geregelt ist, bedarf es nach Ansicht des Bundesrates zusätzlich der Klarstellung, daß die Betriebslasten des Transrapid nicht aus öffentlichen Mitteln zu finanzieren sind. Eine derartige Finanzierung von Betriebskosten bedeutet zudem eine Wettbewerbsverzerrung, die insbesondere den Fernverkehr der Bahn schlechter stellen würde. Die Fraktion der SPD hat mit Schreiben vom 19. Juni 1996 ihren Antrag „Zügige Auszahlung der Kapitalentschädigung für ehemalige politische Häftlinge in den fünf neuen Bundesländern" - Drucksache 13/299 - und ihren Antrag „Unzulässige Verschärfung des Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes des Bundes vom 21. August 1995 durch das Bayerische Schwangerenberatungsgesetz und das Bayerische Schwangerenhilfeergänzungsgesetz" - Drucksache 13/4827 - zurückgezogen. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat mit Schreiben vom 14. Juni 1996 ihren Antrag „Einlösung der Versprechen von Rio auf der VN-Konferenz Habitat II in Istanbul" - Drucksache 13/4616 - zurückgezogen. Der Vorsitzende des Innenausschusses hat mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: 1. Unterrichtung durch die Bundesregierung Förderung von Teilzeitbeschäftigung bei den Bundesressorts - Drucksachen 12/6868, 13/725 Nr. 16 - 2. Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über das Prgramm zur Schaffung zusätzlicher Teilzeitarbeitsplätze im öffentlichen Dienst - Drucksachen 12/6936, 13/725 Nr. 17 - 3. Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung zu Punkt 16 „Mehr Teilzeitarbeit" des Aktionsprogramms für mehr Wachstum und Beschäftigung - Drucksachen 12/6983, 13/725 Nr. 18 - Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EU-Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Innenausschuß Drucksache 13/4466 Nr. 2.12 Drucksache 13/4466 Nr. 2.52 Drucksache 13/4466 Nr. 2.59 Drucksache 13/4514 Nr. 1.3 Drucksache 13/4514 Nr. 2.33 Finanzausschuß Drucksache 13/4514 Nr. 1.2 Drucksache 13/4514 Nr. 2.28 Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 13/3668 Nr. 1.1 Drucksache 13/3668 Nr. 1.2 Drucksache 13/3668 Nr. 1.3 Drucksache 13/3668 Nr. 1.9 Drucksache 13/3668 Nr. 1.15 Drucksache 13/3668 Nr. 1.16 Drucksache 13/3668 Nr. 1.17 Drucksache 13/3668 Nr. 1.18 Drucksache 13/3668 Nr. 1.22 Drucksache 13/3668 Nr. 1.23 Drucksache 13/3668 Nr. 2.6 Drucksache 13/3668 Nr. 2.9 Drucksache 13/3668 Nr. 2.10 Drucksache 13/3668 Nr. 2.18 Drucksache 13/3668 Nr. 2.21 Drucksache 13/3668 Nr. 2.23 Drucksache 13/3668 Nr. 2.26 Drucksache 13/3668 Nr. 2.27 Drucksache 13/3668 Nr. 2.41 Drucksache 13/3668 Nr. 2.42 Drucksache 13/3668 Nr. 2.45 Drucksache 13/3668 Nr. 2.56 Drucksache 13/3668 Nr. 2.57 Drucksache 13/3668 Nr. 2.64 Drucksache 13/3668 Nr. 2.67 Drucksache 13/3668 Nr. 2.68 Drucksache 13/3668 Nr. 2.69 Drucksache 13/3668 Nr. 2.70 Drucksache 13/3668 Nr. 2.73 Drucksache 13/3790 Nr. 2.11 Drucksache 13/4137 Nr. 2.28 Drucksache 13/4466 Nr. 2.37 Drucksache 13/4514 Nr. 2.31 Ausschuß für Verkehr Drucksache 13/3938 Nr. 2.9 Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 13/2988 Nr. 1.2 Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 13/3938 Nr. 1.2
Gesamtes Protokol
Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1311400000
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Interfraktionell ist vereinbart worden, den Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des Ausländergesetzes auf Drucksache 13/4981 in erster Beratung mit Tagesordnungspunkt 17 aufzusetzen. Von der Frist für den Beginn der Beratung soll abgewichen werden.
Darüber hinaus soll ein Antrag der Fraktion der SPD „Städtebauförderung als wichtiges Investitionsinstrument erhalten und ausbauen" auf Drucksache 13/4761 in verbundener Beratung mit den Vorlagen zu Habitat II behandelt werden.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall; wir verfahren so.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Ladenschluß und zur Neuregelung der Arbeitszeit in Bäckereien und Konditoreien
- Drucksache 13/4245 - (Erste Beratung 104. Sitzung)

- Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ladenschlußesetzes
- Drucksache 13/201 -

(Erste Beratung 104. Sitzung)

Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuß)

- Drucksache 13/4975 -
Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Gisela Babel
Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an die Aussprache die Schlußabstimmung über den Regierungsentwurf namentlich durchführen werden.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Der erste Redner ist Jochen Feilcke.

Jochen Feilcke (CDU):
Rede ID: ID1311400100
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Als das derzeit geltende Ladenschlußgesetz vor 40 Jahren in einer völlig anderen historischen Situation verabschiedet wurde, wollte man den Arbeitnehmerschutz regeln. Der Arbeitnehmerschutz ist heute durch ein Netzwerk von Regelungen gesichert:

(Lachen bei Abgeordneten der SPD)

Ich nenne das Betriebsverfassungsgesetz und die Tarifverträge.

(Widerspruch bei der SPD)

Es ist auch kein Zufall, daß das Ladenschlußgesetz in den vergangenen Jahrzehnten mehr von den Einzelhandelsverbänden als von den Arbeitnehmern verteidigt worden ist. Es schützt sie ja tatsächlich vor Konkurrenz, und ich füge hinzu: Es machte die Anpassung an den Markt und an veränderte gesellschaftliche Situationen überflüssig.
Inzwischen haben sich die Zeitumstände dramatisch verändert. Gesellschaften richten sich nun einmal nicht nach verabschiedeten Gesetzen. Gesetze müssen gesellschaftliche Entwicklungen berücksichtigen und gegebenenfalls gesellschaftliche Erfordernisse regeln.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die Mobilität der Menschen ist gestiegen, der Bedarf an Freiräumen entsprechend. In einer Zeit offener Grenzen dürfen unsere Geschäfte nicht länger als notwendig geschlossen gehalten werden. Gäbe es das Ladenschlußgesetz nicht, kein vernünftiger Mensch käme heute auf die Idee, es zu fordern.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie bei der F.D.P.)


Jochen Feilcke
Freiräume für selbständige Unternehmer und Kunden, Freiräume für Anbieter von und Nachfrager nach Dienstleistungen müssen doch nicht begründet werden. In keine andere Wirtschafts- und Beschäftigungsstruktur wird ähnlich eingegriffen. Weder im Gesundheitswesen noch bei der Polizei, bei der Feuerwehr, beim Öffentlichen Personennahverkehr oder gar bei Freiberuflern, in der Gastronomie und im Freizeitbereich - denken Sie nur an die Theater - käme man auf die Idee zu sagen: Wir müssen dich vor Selbstentfaltung schützen.
In den vergangenen zehn Jahren habe ich an Dutzenden, wenn nicht Hunderten von Diskussionen und Streitgesprächen teilgenommen. Ich bilde mir deshalb ein, nahezu alle Argumente pro und kontra zu kennen. So ähnlich wie mir geht es offensichtlich auch vielen anderen hier im Hause. Dabei stellen wir auch fest, daß es im Laufe der Zeit immer schwieriger geworden ist, auf die Argumente des jeweils anderen überhaupt noch zu hören, weil man ja meint, sie zu kennen. Ich versuche trotzdem zu argumentieren.
Die Befürchtung, meine Damen und Herren, daß sich der Konzentrationsprozeß im Einzelhandel verstärken würde, wenn wir liberalisierten, ist in der Anhörung eindeutig widerlegt worden.

(Zuruf von der SPD: Von wem?)

Es wurde dort gesagt, daß es keinen Zusammenhang zwischen der Ladenöffnungszeit und der Konzentration im Einzelhandel gebe.

(Widerspruch bei der SPD Zuruf von der SPD: Das weiß keiner!)

Wenn es einen solchen Zusammenhang gäbe, müßte man ja die Ladenöffnungszeiten verkürzen; denn der Konzentrationsprozeß in den letzten 40 Jahren hat während der Laufzeit des geltenden Gesetzes stattgefunden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich behaupte sogar, daß dies nicht nur während der Laufzeit, sondern wegen des Gesetzes geschehen ist. Denn wir machen doch alle die Erfahrung, daß wegen des knappen Zeitbudgets jeder von uns und jeder von unseren Nachbarn nach Feierabend in die Kaufhäuser eilt, weil er dort alles unter einem Dach findet, vom Parkplatz bis zum gesamten Warensortiment. Davon machen übrigens auch diejenigen Gebrauch, die in der Stadt arbeiten und auf dem Lande leben. Nach Feierabend kaufen sie nämlich in der Stadt ein, weil dann, wenn sie zu Hause sind, dort die Geschäfte bereits geschlossen haben.
Es ist meiner Auffassung nach auch typisch, daß gerade die Großbetriebe, daß zum Beispiel die Geschäfte auf der grünen Wiese für die Erhaltung solcher Schutzbestimmungen geradezu kämpfen - auch wenn sie sich gelegentlich anders äußern -, weil sie vom Kuchen unter den gegebenen Umständen am meisten abbekommen.
Meine Damen und Herren, zu dem Argument von der berühmten D-Mark, die nur einmal ausgegeben werden kann: Es kommt meiner Auffassung nach darauf an, wo sie ausgegeben wird.

(Lachen bei der SPD Zuruf von der SPD: Sehr wahr!)

- Ja, sehr wahr!
Das Gutachten des Ifo-Instituts geht von einer Umsatzsteigerung von 3 Prozent in drei Jahren aus. Man kann die Größenordnung sehr wohl bestreiten, aber nicht die Tendenz.

(Zurufe von der SPD: Doch!)

Denn eines ist sicher: Nicht nur Umsatzverlagerungen in Richtung kleinerer Betriebseinheiten sind zu erwarten - wer wollte das eigentlich kritisieren? -, sondern auch Umsatzverlagerungen vom Urlaubsland nach Deutschland zurück.

(Zuruf von der SPD: Wo lebt ihr denn?)

Jeder macht doch die Erfahrung, daß er in entspannter Situation bereit ist, gemeinsam mit der Familie Einkäufe zu tätigen, die eben nicht genau für diesen Tag geplant waren. Warum eigentlich sollte der deutsche Einzelhändler nicht auch die Chance bekommen, seine Ware dann anzubieten, wenn die Kunden wirklich Zeit haben? Warum sollten die Kunden nicht auch in Deutschland Zeit zum Preisvergleich haben?

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Zuruf von der SPD: Siehe Donnerstag!)

Mehr Freiheit, meine Damen und Herren, bedeutet mehr Chancen. Das Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung geht von 50 000 zusätzlichen Beschäftigungsstellen aus.

(Zurufe von der SPD: Für 590 Mark!)

Auch diese Aussage wird übrigens nur der Höhe, nicht der Sache nach bestritten. Die Wahrscheinlichkeit ist also groß, daß mehr Arbeitsplätze entstehen.

(Zuruf von der SPD: Welcher Art?)

Lassen Sie mich auf die 590-DM-Verträge eingehen. Die Sachverständigenanhörung hat ergeben, daß diese Arbeitsverhältnisse in den Großbetrieben und in den Warenhäusern zwischen 3 und maximal 6 Prozent der Gesamtzahl der Beschäftigten ausmachen. Es wurde gesagt: Je kleiner das Unternehmen, desto größer ist die Nachfrage nach diesen Arbeitsverhältnissen, und die Nachfrage geht überwiegend von den Arbeitnehmern aus.

(Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: Ja, die wollen später alle in die Sozialhilfe! Das ist ihr sehnlichster Wunsch!)

Meine Damen und Herren, ich habe den sicheren Eindruck, daß die positiven Beschäftigungseffekte und der Gewinn an Umsatz und auch an Lebensqualität von allen Parteien gesehen werden. Differenzierungen gibt es eigentlich nur hinsichtlich der Größenordnung.
Wer wird eigentlich vom geltenden Gesetz geschützt, und wer wird geschädigt? Geschützt werden die Großbetriebe, insbesondere die Märkte auf der

Jochen Feilcke
grünen Wiese; geschützt wird der Versandhandel; geschützt werden auch die Tankstellen. Geschädigt hingegen werden Einzelhändler, die langlebige Konsumgüter anbieten, die sich spezialisieren,

(Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Richtig!)

Geschäfte in teuren Lagen und vor allem auch Existenzgründer. Viele selbständige Einzelhändler in den östlichen Bundesländern sind fassungslos, wenn sie feststellen müssen, daß sie in der freien Gesellschaft Bundesrepublik Deutschland daran gehindert werden, ihre Läden dann zu öffnen, wenn ihre Kunden Zeit haben. Sie wollen Geschäfte machen und nicht schließen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie bei der F.D.P.)

Die hohen Mieten, insbesondere in den Ballungsgebieten, können nur erwirtschaftet werden, wenn die jeweils richtige Ladenöffnungszeit auch möglich ist. Die Öffnung in unserer Gesellschaft sollte die Regel, die Schließung die Ausnahme sein. Was wir brauchen, ist ein Ladenöffnungsgesetz.
Wir haben uns auch deshalb für eine Liberalisierung eingesetzt, weil wir uns davon eine Entzerrung des öffentlichen Personennahverkehrs und des Straßenverkehrs versprechen,

(Lachen bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

Einkaufen frei von Streß,

(Zurufe von der SPD: Das ist doch wohl nicht zu fassen! Unglaublich, was Sie erzählen!)

ja, Einkaufen auch als Erlebnis für alle Beteiligten. Das wollen wir so früh wie möglich.

(Unruhe)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1311400200
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe den Eindruck, hier herrscht eher eine Marktatmosphäre als eine des Zuhörens.

(Zuruf von der SPD: Das liegt aber am Redner!)


Jochen Feilcke (CDU):
Rede ID: ID1311400300
Ich bin, Frau Präsidentin, sehr erfreut, daß mit solchem Engagement zugehört wird.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/ CSU und der F.D.P.)

Wir haben uns deshalb für den 1. November als Termin des Inkrafttretens dieses Gesetzes entschieden, weil die Laufzeit der Tarifverträge im Einzelhandel in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich ist. Insofern gibt es keinen Zeitpunkt, mit dem man es allen recht machen könnte.
Behaupte doch bitte keiner, bei der Entscheidung über die Liberalisierung des Ladenschlußgesetzes handele es sich um eine Gewissensfrage. Ich akzeptiere die Meinung anderer ganz genauso, wie ich hoffe, daß sie meine Meinung akzeptieren. Mir ist sehr wohl bekannt, daß es in allen Fraktionen dieses Hauses Gegner und Befürworter gibt. Nun hat allerdings die Opposition dieses Thema zu einer Machtfrage hochstilisiert.

(Widerspruch bei der SPD)

Sie hat allen denen - von ihnen kenne ich etliche -, die Sympathie für unseren Gesetzentwurf haben, verboten, dafür zu stimmen.

(Unruhe bei der SPD Zuruf von der SPD: Das ist eine Lüge!)

Meine Damen und Herren, da Sie die Machtfrage stellen, werden wir sie beantworten: im Sinne von mehr Mündigkeit, mehr Freiraum, mehr Beweglichkeit und mehr Arbeitsplätzen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1311400400
Das Wort hat der Kollege Hans Urbaniak.

Hans-Eberhard Urbaniak (SPD):
Rede ID: ID1311400500
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! So viel Sorge um die Arbeitnehmer, wie sie sich Herr Feilcke bei seiner Darstellung gemacht hat, habe ich von der Koalition in der ganzen Legislaturperiode nicht erlebt; das will ich hier einmal feststellen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

Nun hat sich ja Herr Deuss, der Vorstandsvorsitzende des Karstadt-Konzerns, in dieser Woche geäußert, und zwar dahin gehend, daß der deutsche Einzelhandel für 1996 feststellt, daß eine Belebung des Geschäftes überhaupt nicht zustande kommt, ganz im Gegenteil: Die Umsätze sind sehr stark geschrumpft, um 1,3 Prozent im vorigen Monat. Im Textileinzelhandel sieht es ganz schlimm aus; da sind die Umsätze um 3 Prozent zurückgegangen. Diese Fakten und Zahlen müssen wir bedenken, wenn wir über die Änderung des Gesetzes entscheiden, der wir als Sozialdemokraten überhaupt nicht zustimmen können.

(Beifall bei der SPD und der PDS)

Deuss stellt fest, daß die Anschaffungsbereitschaft der Verbraucher sehr stark zurückgegangen ist. Die Diskussion um das Kürzungspaket und um die Sicherheit der Renten sowie insbesondere die Arbeitslosigkeit bedrücken die Bürger so sehr, daß kein rechtes Vertrauen für die Zukunft aufkommt. - Das ist ja bei der Politik dieser Bundesregierung auch gar nicht anders zu erwarten; das hätte Deuss noch anfügen müssen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

Ich erwähne dies, weil ja immer wieder betont wird, zusätzliche Arbeitsplätze würden geschaffen. Aber Herr Deuss hat gesagt: Wir müssen damit rechnen, daß 1996 weitere 30 000 Arbeitsplätze abgebaut werden. Es ist Ihr Vertreter in der Anhörung gewesen, der sich ein wenig positiv, so möchte ich es nennen, zu den Änderungen geäußert hat. Also: Das Ifo-

Hans-Eberhard Urbaniak
Gutachten ist nutzlos, es bringt nichts. 30 000 Arbeitsplätze werden abgeschafft.
Er sagt selber: 14 Hertie-Läden mache ich platt und konzentriere mich auf die I a-Lagen. - Darüber hinaus wissen Sie, daß sich ein enormer Konzentrationsprozeß durch den Aufkauf Metro/Kaufhof vollzieht. Was das an Potential und Möglichkeiten bedeutet, den Markt und die Konzentration zu beeinflussen, können Sie sich doch im einzelnen vorstellen.
Es wird der ländliche Raum getroffen, es werden die Mittelstädte und die Nebenzentren getroffen. Wir haben eine Untersuchung der HBV, daß in Düsseldorf zwar die I a-Lagen gewonnen, aber alle Kaufnebenstraßen schon beim langen Donnerstag erheblich verloren haben.

(Zuruf von der SPD: Richtig, und das ist in Berlin genauso!)

Das führt ganz zwangsläufig dazu, daß der kleine Einzelhandel und der mittelständische Bereich weiter getroffen werden.
Gerade dieser, den wir als Stütze in den Strukturbereichen des Einzelhandels sehen, wird entscheidend zurückgedrängt werden. Die Pleitewelle der Einzelhandelsgeschäfte wird weiter vorangehen. Das wollen wir Sozialdemokraten verhindern, weil wir den Mittelstandsbereich unterstützen wollen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Uns kommt eine Meldung des Europaverbands der Selbständigen ins Haus, der uns mahnt: Wir sollen dem Gesetz nicht zustimmen. Er stellt in einer Presseerklärung fest: Politiker und Parteien, die sich für die Regierungsvorlage mit der Änderung der Ladenöffnungszeiten einsetzen, sind für die Selbständigen der kleinen und mittleren Einzelhandelsbetriebe, für ihre Familienangehörigen und ihre Mitarbeiter nicht wählbar.
Man muß diese Leute doch ernst nehmen!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1311400600
Herr Urbaniak, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen von Klaeden?

Hans-Eberhard Urbaniak (SPD):
Rede ID: ID1311400700
Sie stehen unmittelbar im Brennpunkt der wirtschaftlichen Auseinandersetzung.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1311400800
Herr von Klaeden, bitte.

Eckart von Klaeden (CDU):
Rede ID: ID1311400900
Herr Kollege, haben Sie eine plausible Erklärung dafür, daß wir in Deutschland im westeuropäischen Vergleich die restriktivsten Ladenschlußzeiten und gleichzeitig die größte Konzentration im Einzelhandel haben?

Hans-Eberhard Urbaniak (SPD):
Rede ID: ID1311401000
Sie müssen davon ausgehen, daß der Kompromiß, der damals geschaffen worden ist, alle Seiten einbezogen hat und daß es sich hierbei um ein Arbeitnehmerschutzgesetz handelt.

(Zurufe von der CDU/CSU)

- Wie ich das beantworte, ist doch meine Sache. Das können Sie mir nicht vorschreiben.

(Beifall bei der SPD und der PDS)

Herr Hintze kann natürlich nur abwinken. Was kann der denn sonst noch? Abwinken, sonst kann er ja nichts.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

Daher sage ich: Sie kommen nicht aus diesem Konzentrationsprozeß heraus. Was Sie den Einzelhändlern und dem mitelständischen Bereich erzählen, ist dummes Zeug; denn sie werden darunter leiden, und sie werden ihre Existenz in Gefahr sehen. Das müssen Sie verantworten,

(Zuruf von der SPD: Richtig!)

und darum haben Sie kein Recht, für diese Leute zu sprechen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1311401100
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Hans-Eberhard Urbaniak (SPD):
Rede ID: ID1311401200
Ja.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1311401300
Herr Michelbach, bitte.

Hans Michelbach (CSU):
Rede ID: ID1311401400
Herr Kollege Urbaniak, warum beschreiben Sie hier ein solches Horrorszenario für die Beschäftigten im Einzelhandel? Ist Ihnen nicht bekannt, daß es einen hohen Bedarf an Teilzeitarbeitsplätzen in Deutschland gibt

(Zuruf von der SPD: Überhaupt bei Männern!)

und daß der Anteil der Teilzeitbeschäftigten an allen Erwerbstätigen in Deutschland, in Prozenten ausgedrückt,

(Zuruf von der SPD: Unglaublich!)

mit 15,1 Prozent weitaus geringer ist als beispielsweise in den Niederlanden oder Großbritannien, wo es doppelt so viele Teilzeitbeschäftigte gibt?

(Zuruf von der PDS: Aber nicht im Einzelhandel!)



Hans-Eberhard Urbaniak (SPD):
Rede ID: ID1311401500
Wollen Sie eigentlich noch mehr 590-DM-Arbeitsverhältnisse haben?

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS Zuruf von der SPD: Natürlich!)

Wollen Sie eigentlich noch mehr ungeschützte Arbeitsverhältnisse haben?

(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Wollen Sie noch mehr Arbeitslose? Das ist doch die Frage!)

Wollen Sie noch mehr Sozialhilfeempfänger produzieren? Das ist die Konsequenz von dem, was Sie hier fordern.
Das Ifo-Gutachten geht davon aus, daß mehr Beschäftigung nur über Teilzeitbeschäftigung möglich ist. Ich sage Ihnen: Dadurch wird es mehr ungeschützte Arbeitsverhältnisse geben. Das darf man nicht unterstützen.

(Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1311401600
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, Herr Urbaniak?

Hans-Eberhard Urbaniak (SPD):
Rede ID: ID1311401700
Ja.

Hans Michelbach (CSU):
Rede ID: ID1311401800
Herr Kollege Urbaniak, ist Ihnen nicht bekannt, daß der Handel nach einer Untersuchung des Kölner Instituts für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik einen Anteil von nur 10,8 Prozent an den sozialversicherungsfrei Beschäftigten hat,

(Zurufe von der SPD: Was heißt „nur"? Das ist doch wohl genug!)

so daß Ihre Polemik hinsichtlich der sozialversicherungsfreien Beschäftigung im Handel völlig unangebracht ist? Nur 10,8 Prozent!

(Zuruf von der SPD: Das stimmt nicht! Das ist eine falsche Zahl!)


Hans-Eberhard Urbaniak (SPD):
Rede ID: ID1311401900
Ich will Ihnen das gern beantworten. Tatsache ist - das ist wohl entscheidend -: Es hat noch nie so viele ungeschützte Arbeitsverhältnisse im Einzelhandel gegeben wie unter dieser Regierung. Der Konzentrationsprozeß würde dies noch fortsetzen.

(Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Betriebsräte von Kaufhalle, Kaufhof, C & A, Boecker und anderen Häusern haben festgestellt: Mit Entsetzen und Wut haben wir den Beschluß der CDU/CSU- und der F.D.P.-Fraktion vom 11. Juni 1996 in bezug auf ein neues Ladenschlußgesetz zur Kenntnis genommen. Aus unserer Sicht sind damit alle Versprechungen der uns nahestehenden CDU/ CSU-Abgeordneten, eine Verschlechterung ganz zu verhindern oder den Regierungsentwurf wesentlich zu verändern, gebrochen worden. Wir bitten, über Ihre Fraktion Einfluß zu nehmen, daß die berechtigten Interessen der Arbeitnehmer nicht aus den Augen verloren werden. Wir bitten, das Gesetz abzulehnen.
Wir nehmen hier Einfluß, und wir bitten Sie, diesem Appell der Betriebsräte und der Beschäftigten im Einzelhandel zu folgen.

(Beifall bei der SPD und der PDS sowie der Abg. Elisabeth Altmann [Pommelsbrunn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Dieselbe Arbeitssituation gibt es auch in den Bäkkereien. Sie wollen Arbeitszeiten ermöglichen, die die Nachtarbeit in den Bäckereien ganz wesentlich ausweiten. Ihr Argument, man könne dann auch am Sonntag frische Brötchen besorgen, ist natürlich überzeugend und gehört selbstverständlich zum kulturellen Geschehen dieser Republik. Machen Sie sich in dieser Frage nicht lächerlich, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD und der PDS sowie der Abg. Elisabeth Altmann [Pommelsbrunn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich will auf folgende Punkte aufmerksam machen, damit Sie sich noch mal genau überlegen, was Sie hier eigentlich tun. Es wird keine Umsatzsteigerungen geben, damit auch kein Kapital für weitere Beschäftigung. Die Unternehmen werden nicht investieren, sondern weiter rationalisieren. Es wird also zu einem Personalabbau kommen. Es werden keine weiteren sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen entstehen können; sondern es wird zu einem Ausbau geringfügiger Beschäftigung mit allen Konsequenzen kommen, ferner zur Verschärfung der Konzentration mit Zentralisierung und Verringerung des Einzelhandels. Die Häuser in I a-Lagen werden profitieren. Andere werden weitestgehend versanden. Eine Revitalisierung der Städte wird - so hat es das Ifo-Institut festgestellt - durch dieses Gesetz nicht erreicht. Dazu bedarf es noch vieler anderer Dinge.
Darüber hinaus wird eine Verschlechterung der Versorgungslage, insbesondere der wohnnahen Gebiete und des ländlichen Raums, der Arbeitszeiten bei Häusern in I a-Lagen und der Arbeitsbedingungen im Einzelhandel erfolgen.
Die Situation der Familien schließlich darf hier nicht außer acht gelassen werden. Denn die schweren Belastungen, die damit verbunden sind, werden sich bei den Müttern und Alleinerziehenden selbstverständlich bemerkbar machen.
Meine Damen und Herren, Sie sprechen davon, weitere Arbeitsplätze schaffen zu wollen. Ich weise aber darauf hin: Die realen Nettolöhne in Westdeutschland sind im Jahre 1995 kaum höher als 1980. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik.
Die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung hat uns in der Anhörung, aber auch in Schreiben eindringlich gebeten: Lehnen Sie dieses Gesetz ab. - Der sehr geehrte Herr Pützhofen hat ein Schreiben von den

Hans-Eberhard Urbaniak
Betriebsräten und den Beschäftigten des Krefelder Einzelhandels erhalten mit der Bitte, dagegenzustimmen. Er muß sich diesen Arbeitnehmern in seinem Wahlkreis stellen.
Wir als Sozialdemokraten lehnen dieses Gesetz ab. Wir werden dem Einzelhandel unsere Aktion noch näher vorstellen: Herr Bundeskanzler, jetzt ist Feierabend! - Wir werden der Gesetzesvorlage nicht zustimmen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

- Es ist sehr gut, daß Sie sich erheitern. Was sollen Sie bei Ihrer Demontagepolitik sonst machen? Wir verfolgen das seit Jahren. Für uns muß das Gesetz, so wie es jetzt besteht, erhalten bleiben. Die Kollegen in Ihren Reihen sollten sich das genau überlegen. Wir fordern: keine zusätzlichen Belastungen für Arbeitnehmer!

(Widerspruch bei der CDU/CSU Zuruf von der CDU/CSU: Feierabend!)

Sorgen Sie mit dafür, daß wir keine weiteren ungeschützten Arbeitsverhältnisse bekommen.

(Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.: Feierabend!)

Wir wollen nicht mehr, sondern weniger Menschen, die im Alter von der Sozialhilfe leben müssen.

(Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Zuruf von der CDU/CSU: Um 9.25 Uhr ist Feierabend! Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Verheugen ist gegen die Liberalisierung!)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1311402000
Das Wort hat jetzt die Kollegin Margareta Wolf.

Margareta Wolf-Mayer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1311402100
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte - vielleicht beseitigt das diese Stammtischstimmung hier - die Gelegenheit nutzen, Herrn Rexrodt, der ja federführend an diesem Gesetzentwurf beteiligt ist, von dieser Stelle aus alles Gute und baldige Genesung zu wünschen.

(Beifall)

Herr Feilcke, ich glaube, wir sind uns in einer Sache völlig einig: Diese ganze Debatte ähnelt ein bißchen der Geschichte von Sisyphus, der den Stein hochgehoben hat, und auf halbem Wege flog der Stein wieder herunter. Die Frage ist: Wem fällt er eigentlich auf den Kopf?
Diese Bundesregierung läßt das Land nunmehr seit 17 Jahren über dieses herzzerreißende Thema diskutieren. Zwischen der heutigen Debatte und der letzten sind die Mittelständler der Union, wie ich im Wirtschaftsausschuß verfolgen durfte, mit folgendem Argument überzeugt worden, dem Antrag zuzustimmen: An den anderthalb Stunden einer längeren Ladenöffnungszeit hängt das Image Deutschlands in
Europa, in der Welt. Ich kann dazu nur sagen: guten Abend.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)

Wenn man die Presse der letzten Tage verfolgt, läßt einen die Vermutung tatsächlich nicht los, daß an den anderthalb Stunden auch das Nichtsein oder Sein dieser gewichtigen Bundesregierung hängt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)

Soviel zur Machtfrage, Herr Feilcke.
Meine Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wird den vorliegenden Gesetzentwurf ablehnen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

- Wir werden ihn ablehnen, Sie werden es schon sehen.
Herr Feilcke, Sie haben gesagt, Ihr Gesetzentwurf korrespondiere mit den gesellschaftlichen Erfordernissen. Das bezweifle ich.

(Widerspruch bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

- Es ist wirklich herzzerreißend.
Wir haben die Befürchtung, daß die vorgesehene Neuregelung tatsächlich die Konzentration im Einzelhandel verschärft. Das hat sich für meine Begriffe aus der Anhörung ergeben.

(Widerspruch bei der F.D.P.)

Ich glaube, daß die strukturellen Fehlentwicklungen im Einzelhandel eher verstärkt als relativiert werden. Die Großfilialisten werden meines Erachtens diese anderthalb Stunden kostenneutral auffangen können. Die Leidtragenden sind die kleinen Einzelhändler. Fragen Sie Ihre Mittelständler! Im Ernst, sie sehen das ganz genauso.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der von Ihnen vorgesehene Vorschlag zieht keine Konsequenz aus den Konzentrationsanalysen, die aus dem Inland und Ausland vorliegen, er setzt keine Rahmenbedingungen auf dem Weg hin zu einer innovativen Dienstleistungsgesellschaft, und er ermöglicht Kleinunternehmen eben nicht, ihre spezifischen Vorteile - Wohnortnähe, Flexibilität - zum Einsatz zu bringen.
Herr Kollege Feilcke, Sie haben vorhin gesagt: Wenn es das Ladenschlußgesetz nicht gäbe, wer würde es fordern? Niemand. - Richtig, kann ich Ihnen nur sagen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

Aber wenn Sie schon der Meinung sind, daß wir aus ordnungspolitischen Gründen ein Ladenschlußgesetz brauchen,

(Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Nein!)


Margareta Wolf (Frankfurt)

dann muß ich Sie fragen: Warum wirken Sie mit diesem Ladenschlußgesetz eben nicht wettbewerbspolitisch, verbraucherpolitisch und ökonomisch verantwortlich? Ordnungspolitik kann nur einen Sinn haben, nämlich daß sie lenkend wirkt. Wie Sie mit diesem Vorschlag lenkend wirken wollen, ist mir völlig unklar. Sie tun damit mit Sicherheit nichts gegen die Konzentration im Einzelhandel. Sie ignorieren, wie ich glaube, die akute Gefährdung der wohnortnahen Versorgung in den alten wie den neuen Bundesländern. Sie wissen auch, es gibt eine immer stärkere Gefährdung der wohnortnahen Versorgung.
Warum spricht denn der DIHT, warum spricht denn der Deutsche Städtetag, warum spricht denn das Institut für Urbanistik von der Gefahr einer Amerikanisierung in den ostdeutschen Bundesländern? Auch Herr Töpfer spricht davon. Warum werden Sie dem nicht gerecht? Warum entwickeln Sie eben keine ordnungspolitischen Strategien, um diesem Prozeß entgegenzuwirken, wie es zum Beispiel der französische Wirtschaftsminister macht, der eine lange Erfahrung mit Ladenschlußgesetzen und vor allen Dingen liberaler gestalteten Ladenschlußgesetzen hat? Auch ostdeutsche Gemeinden versuchen, der Konzentration entgegenzuwirken. Aber Sie tun es nicht.
Ich muß Sie auch fragen: Warum nehmen Sie den kleinen Einzelhandel nicht aus dem Ladenschlußgesetz heraus? Warum reagieren Sie nicht auf die erwiesenen Wettbewerbsverzerrungen, mit denen der kleine Einzelhandel seit Jahren zu kämpfen hat? Warum tun Sie nichts gegen die steigende Insolvenzrate? Es kann mir doch in diesem Hause keiner sagen, daß der vorliegende Gesetzentwurf der Insolvenzrate im Einzelhandel, die gerade im Osten dramatisch ist, entgegenwirkt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

Herr Feilcke hat vom Qualitätswettbewerb und davon geredet, daß die Leute Preise vergleichen wollen. Wir hätten heute die Chance, einen Qualitätswettbewerb dem wahnsinnigen Kostenwettbewerb entgegenzusetzen. Aber mit Ihrem Gesetzentwurf tun Sie es nicht.

(Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Aber er ist auf dem richtigen Weg!)

Ich glaube, meine Damen und Herten, Sie benutzen das Ordnungsrecht zugunsten der Großfilialisten. Anders kann ich Ihren Gesetzentwurf leider nicht interpretieren. Wir lehnen ihn ab, weil wir ihn für strukturkonservativ halten.

(Lachen bei der F.D.P.)

- Herr Westerwelle bekommt einen Lachanfall. Ein Vögelchen spitzte den Mund und vergaß zu pfeifen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)

Sie ignorieren tatsächlich den Innovationsdruck. Deshalb lehnen wir Ihren Gesetzentwurf ab. Was innovativ ist, werde ich Ihnen gleich vorstellen.
Es kommt noch viel schöner. Alle in diesem Hause vertretenen Fraktionen haben in den Ausschüssen in den letzten Wochen den Antrag des Bundesrates einhellig abgelehnt. Mit den im Gesetzentwurf des Bundesrates vorgesehenen Öffnungsmöglichkeiten „sollen zugleich mittelständische Familienbetriebe gefördert und die durch die Konzentration auf Großbetriebe lückenhaft gewordene Versorgung in der Fläche", vor allen Dingen in den neuen Bundesländern, wiederhergestellt und somit eine wohnortnahe Versorgung sichergestellt werden, eine wohnortnahe Versorgung, die gerade für die alten Menschen und für die Behinderten in den neuen Bundesländern nicht gewährleistet ist. So der Gesetzentwurf des Bundesrates.
Dieses System ist in den neuen Bundesländern eingeführt. Die Fortführung war durch Einigungsvertrag gesichert. Jetzt hat der Bundesrat einen Gesetzentwurf vorgelegt. Könnten Sie mir einmal sagen, warum Sie die Existenz der Nachbarschaftsläden in den fünf neuen Bundesländern nicht sichern wollen? Ich hätte dazu gern eine Erklärung. Alle, die Sie hier sitzen, haben in den Ausschüssen dagegengestimmt. Ich halte das für unverantwortlich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Denn wer redet eigentlich immer von der Notwendigkeit von Existenzgründungen, wer redet denn immer davon, daß wir in den fünf neuen Bundesländern etwas tun müssen? Ich verstehe nicht, wieso Sie diesen Gesetzentwurf ablehnen wollen. Wir werden dem Gesetzentwurf des Bundesrates zustimmen. Wir glauben, daß er ein Ansatz auf dem Weg ist, den kleinen Einzelhandel zu unterstützen.
Ihren Gesetzentwurf lehnen wir ab, der eindeutig die ordnungsrechtlichen Voraussetzungen dafür schafft, daß die Großen immer größer werden. Bei der Gewichtung Ihrer Zustimmung zu den heute vorliegenden Anträgen haben Sie deutliche Zeichen in die von mir beschriebene Richtung gesetzt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1311402200
Als nächster spricht der Kollege Dr. Wolfgang Gerhardt.

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Oh, der Ladenhüter spricht zum Ladenschluß!)


Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP):
Rede ID: ID1311402300
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Einzelhandel war in den letzten Jahren der Verlierer von Kaufkraftverlagerungen. Die bestehenden Ladenschlußzeiten haben nicht verhindert, daß er verloren hat, und haben auch die Entwicklung auf der grünen Wiese nicht gebremst.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Wolfgang Gerhardt
Das Zusammenlaufen von kommunalen Bebauungsplänen und der Einkaufsdruck von vielen Familien bei bestehenden Arbeitszeiten waren viel entscheidender als die jetzige Ladenschlußregelung. Deshalb muß man sich im klaren darüber sein, wie sich Kaufkraft verlagert hat.
Der Erhalt der jetzigen Zeiten ist keine Bremse gegen Veränderungen. Im Gegenteil: Die Veränderungsunbereitschaft ist das Problem für den deutschen Einzelhandel.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Deshalb geht es auch nicht nur um die Frage, ob man eineinhalb Stunden länger öffnet. Im Kern geht es hier um die Frage, ob diese Gesellschaft überhaupt noch fähig ist, eine Veränderung herbeizuführen, und die Kraft hat, etwas neu zu entscheiden.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Angst vor Veränderung war immer ein schlechter Ratgeber.

(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Sehr richtig!)

Im übrigen befinden sich auch nach allen Umfragen, die wir vorliegen haben, im Bereich des Einzelhandels Menschen und Geschäftsinhaber, die Veränderungen möchten. 40 Prozent aus dem Bereich des Einzelhandels sind veränderungsbereit. Über 20 Prozent möchten neue Chancen wahrnehmen. Wir vergeuden angesichts von 4 Millionen Arbeitsuchenden eine ganze volkswirtschaftliche Kraft von 20 Prozent Einzelhändlern, die etwas mehr tun wollen als bisher.

(Beifall bei der F.D.P.)

Welchen Grund gibt es eigentlich, daß wir im Deutschen Bundestag 20 Prozent der Einzelhändler verweigern, ihre Geschäfte länger zu öffnen, wenn sie es möchten? Wer aus dem Bereich von SPD und Grünen nennt mir einen stichhaltigen Grund, die Freiheitsmöglichkeiten von Menschen einzuschränken, die Freiheitsmöglichkeiten wollen? Das ist hier nicht vorgetragen worden.

(Beifall bei der F.D.P.)

Wenn 11 Prozent der Verbraucher mehr Einkaufsmöglichkeiten möchten,

(Sabine Kaspereit [SPD]: 11 Prozent von 100 Prozent!)

wenn auch von den 70 Prozent der Verbraucher, die mit den jetzigen Zeiten einverstanden sind, zumindest abends eine Verlängerung gewünscht wird, wer begründet mir dann, warum eine freiheitliche Gesellschaft sie daran hindert, zu Zeiten einzukaufen, zu denen sie einkaufen möchten, und Einzelhändler
daran hindert, ihre Geschäfte zu den Zeiten zu öffnen, zu denen diese Menschen einkaufen möchten.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Ingrid Holzhüter [SPD]: Freiheit ist auch immer die Freiheit der anderen!)

Es gibt keine überzeugende Begründung; denn solche Veränderungen, solche Zeitpioniere braucht eine Gesellschaft, wenn sie ein Stück weiterkommen will.

(Zurufe von der SPD Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zeitpioniere! Was es nicht alles gibt!)

Diese Zeitpioniere habe Veränderungen in Frankreich bestimmt. Sie haben sie in Schweden bestimmt. In Schweden gibt es eine ganze Reihe von neuen Beschäftigungsverhältnissen. Es gibt Teilzeitbeschäftigungsverhältnisse zwischen 20 und 30 Stunden pro Woche, zwischen 10 und 20 Stunden pro Woche, je nachdem, wie Beschäftigung im Einklang mit Familie gewünscht wird. Nur wir Deutschen denken nach dem alten Motto, nach Regelungsbedarf und nach festen Zeiten.
Der Einzelhandel hat nur eine Chance, wenn er veränderungsbereit ist, wenn er sich neue Marktnischen sucht, wenn er Geschäfte etwas weiter öffnet und wenn er jenen etwas mehr Bewegungsspielraum gibt, die ihn wünschen. Jedenfalls wollen wir das tun.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das ist auch für die Koalition keine leichte Entscheidung, weil wir wissen, daß der Einzelhandel wichtig ist, daß er im kleinstädtischen Bereich ein Stück sozialen Zusammenhaltes ist und weil er die Atmosphäre bestimmt,

(Sabine Kaspereit [SPD]: Und obwohl Sie es wissen, machen Sie das!)

aber weil wir auch wissen, daß er nicht überleben wird, wenn er starr bleibt und wenn er keine Veränderungsbereitschaft zeigt. Das ist doch die Grundlage der Entscheidung.

(Beifall bei der F.D.P.)

. Meine Damen und Herren, im übrigen sollte man manche Argumente genau prüfen und ehrlich sein. Die Veränderung dieser Zeit bedeutet nicht, daß ein unglaubliches Mehrarbeitszeitvolumen auf die Beschäftigten zukommt. Sie bedeutet die Chance, neue Teilzeitverträge zu bekommen. Jeder Teilzeitvertrag, der jemanden in Beschäftigung bringt, ist besser als ein weiterer Arbeitsloser in Deutschland.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Jedenfalls gibt er eine Chance für ein Stück mehr Beschäftigung. Er ist, meine Damen und Herren, noch nicht einmal ein großer Wurf. Er ist doch nur ein Stück Öffnung.
Viele kritisieren uns, indem sie sagen, wir hätten nicht genügend Mut, das ganze Gesetz zu beseitigen. Wir nehmen doch mit diesem Kompromiß auch

Dr. Wolfgang Gerhardt
noch Rücksicht auf das Denken von Einzelhändlern, die wir auf diesem Weg gerne mitnehmen wollen, die wir nicht überfordern, sondern überzeugen wollen. Über dieses Stückchen mehr möchten wir heute entscheiden, weil dieses Stückchen mehr bedeutet, als nur bis 20 Uhr zu öffnen, weil es doch das erste Signal aus Deutschland auch für die anderen Nachbarländer wäre, daß wir in der Lage sind, in Deutschland noch etwas zu verändern, wenn eingetretene Lagen so schwierig sind.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Bei der Demonstration der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen gab es eine Äußerung eines Demonstrationsteilnehmers, die besagt - man muß sich das genau anhören -: Die Menschen wollen am Sonntag keine frischen Brötchen. Wer maßt sich eigentlich in Deutschland an, den Menschen zu sagen, was sie am Sonntag mögen sollen? Wir von der Koalition jedenfalls nicht.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Wer am Sonntag frische Brötchen haben möchte, muß in einem aufgeklärten Land in Zukunft am Sonntag frische Brötchen kaufen können. Das ist das grundsätzlich andere Denken der Koalition gegenüber dem der Opposition.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Unruhe bei der SPD)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1311402400
Herr Gerhardt, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Nickels?

Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP):
Rede ID: ID1311402500
Gerne,

(Anhaltende Unruhe)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1311402600
Darf ich im Saale um etwas mehr Ruhe bitten, denn sonst macht die Debatte keinen Sinn mehr.
Frau Nickels.

Christa Nickels (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1311402700
Herr Kollege, Sie haben über ein Stückchen mehr gesprochen. Ich möchte Sie fragen, ob es für Sie auf der anderen Seite nicht ein erhebliches Stück weniger an Kultur und an gemeinschaftlicher Art in der Gesellschaft wäre, wenn die Freizeit, die alle gemeinsam haben, wo sie Vereine besuchen können, wo sie gemeinsam feiern können, rigoros zurückgefahren wird, damit sie dieses Stückchen mehr haben und sonntags vielleicht anstatt eines aufgebackenen Brötchens und selbstgebackenen Kuchens auch noch welche kaufen können.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der PDS)


Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP):
Rede ID: ID1311402800
Ich habe erstens festgestellt, daß die Bäcker den Wettbewerb mit
Tankstellen wieder aufnehmen wollen und im Wettbewerb mit Tankstellen nicht unterliegen wollen.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Zweitens gibt es viele Menschen in unserer Gesellschaft, die nachts arbeiten müssen, und es gibt viele Menschen, die von 4 bis 8 Uhr tagsüber arbeiten, manche vielleicht von 9 bis 14 Uhr. Die Menschen sind vielfältiger, als sich das die Fraktion der Grünen vorstellen kann. Diesen Wünschen möchten wir nachkommen.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Im Kern - lassen Sie mich das zum Abschluß sagen - geht es symbolhaft um die Zeit bis 20 Uhr und um die Fähigkeit zu einer Dienstleistung am Sonntag. Im Kern geht es um die Frage, ob der Deutsche Bundestag in einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung Verbrauchern und Anbietern vorschreiben will, wann sie einzukaufen hätten, bis wann sie nur einkaufen dürfen, wann sie anzubieten hätten und bis wann sie ihre Läden schließen müssen. Ein Stück neues Denken muß in den Bereich der Orientierung des Einzelhandels und der Verbraucher kommen. Der Einzelhandel hat nur eine Chance, wenn er sich von denen mitreißen läßt - auch aus seinem eigenen Bereich -, die Veränderungen wollen, die dem Strukturwandel begegnen wollen und die die eigenen Dispositionsmöglichkeiten zulassen. Der Deutsche Bundestag würde einen gewaltigen Fehler machen, wenn er dieses zarte Pflänzchen der Veränderungsbereitschaft durch ein Beibehalten der alten Ladenschlußregelung abtöten würde.

(Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.])

Wir haben in unserer Gesellschaft ein ganzes Potential, das wir volkswirtschaftlich nicht nutzen, nur weil wir zu eng denken. Heute ist der Tag gekommen, wo über ein Stück Öffnung beschieden werden muß. Ich bitte die Koalition, das einvernehmlich und ganz klar zu signalisieren.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1311402900
Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Ingrid Holzhüter.

Ingrid Holzhüter (SPD):
Rede ID: ID1311403000
Herr Gerhardt, ich möchte mich ganz besonders auf Ihre Bemerkung melden, warum wir die 20 Prozent Zustimmung nicht berücksichtigen.
Ich zitiere hier Clara Zetkin: Weil die Freiheit auch immer - -

(Unruhe)

- Jawohl! - Weil die Freiheit auch immer - - Entschuldigung, das war Rosa Luxemburg. Entschuldigen Sie bitte!

(Zuruf von der CDU/CSU: Oh! Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Ingrid Holzhüter
- Entschuldigen Sie bitte. Ich bin relativ aufgebracht über das, was hier passiert ist. Deswegen bitte ich meine Aufgeregtheit und meinen Fehler an der Stelle zu entschuldigen.
Freiheit ist auch immer die Freiheit der anderen. - Freiheit ist zum Beispiel die der 80 Prozent und zum Beispiel auch die der Angestellten.
Meine Herren von der Koalition, mir kommen bei dieser Debatte die frauenpolitischen Aspekte zu kurz. 70 Prozent der im Einzelhandel Beschäftigten sind Frauen. Ich war zehn Jahre lang eine von ihnen und weiß, wovon ich spreche, im Gegensatz zu einigen, die vielleicht noch nicht einmal selber einkaufen gehen, weil sie ihre Frauen schicken.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Ich bin auch für Veränderung, und deshalb will ich diese einmal ganz kurz hier nennen. Sehr viel Zeit bleibt ja bei einer solchen Intervention nicht.
Die Sozialwissenschaftlerin Dr. Gisela Notz hat in der Anhörung folgende Punkte vorgetragen, weil nämlich im Gegensatz zur Meinung einiger die Einzelhandelsbeschäftigten nicht im Tal der Glückseligen leben und arbeiten. Ich fordere Sie auf, dazu Stellung zu nehmen: keine Ausweitung des Ladenschlusses; Ausbau von existenzsichernden Arbeitsplätzen; keine Kinderarbeit, auf die die Familienbetriebe bei Ausweitung der Ladenschlußzeiten zurückzugreifen gezwungen sind; Steuer- und Sozialsysteme, die Frauen nicht als Zuverdienerinnen, sondern als eigenständige Individuen behandeln; qualifizierte Kinderbetreuung, die auch jetzt schon nicht gewährleistet ist, weil die Kindergärten sehr viel früher schließen als die Läden, in denen dann eben nicht einmal um 20 Uhr Schluß ist, weil der Abschluß der Kasse, das Putzen und anderes noch hinzukommen; Tarifverträge, die die Arbeit im Einzelhandel neu bewerten; Aufnahme sozialer Kompetenzen in den Tarifvertrag; Qualifizierungsangebote; Wiederaufnahme der Debatte um allgemeine Verkürzung der Arbeitszeit in Zeiten knapper Arbeitsplätze.
Mir ist nämlich im Gegensatz zu manchen anderen die gemeinsame Familienfreizeit sehr wichtig, und das nicht nur in Sonntagsreden, wo man der Familie immer auferlegt, die sozialen Verwerfungen im Lande zu kompensieren. Ich lasse mich für diese Veränderungen von Ihnen auch gern als „ Steinzeitpolitikerin" bezeichnen, weil für mich in dieser Gesellschaft noch etwas mehr zählt als Konsum und Humankapital.
Ich bedanke mich.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1311403100
Herr Gerhardt.

Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP):
Rede ID: ID1311403200
Frau Kollegin, für mich ist es aber überraschend, daß 50 Prozent der Beschäftigten im Einzelhandel selbst erklärt haben, sie seien auch zu Veränderungen bereit.

(Peter Dreßen [SPD]: Das ist doch nicht wahr! Das ist eine Lüge, Herr Gerhardt!)

Über 30 Prozent sind sogar zur Beschäftigung in den Abendstunden bereit. Und wenn Sie Arbeitslose fragen, ob sie zu bestimmten Zeiten in Teilzeitbeschäftigungsverhältnisse einsteigen würden, dann beantworten sie Ihnen diese Frage glatt mit Ja. 68 Prozent der Verbraucher, die erklären, sie seien mit den bisherigen Ladenöffnungszeiten im großen und ganzen zufrieden, erklären ganz bestimmt in übergroßer Mehrheit, abends bräuchten sie etwas länger Zeit.
Sie müssen, wenn Sie Menschen wahrnehmen, immer davon ausgehen, daß es ganz vielfältige Wünsche gibt und daß dieses Parlament bei diesen vielfältigen Wünschen einen mittleren Weg finden muß, um sie zufriedenzustellen.
Der Vorschlag der Koalition, den wir vertreten, ist die Rücksichtnahme auf erkennbare Verbraucherwünsche und auf erkennbar mehr Motivation im Einzelhandel in einem guten Kompromiß, und diesem gerecht zu werden bemühen wir uns, weil wir in ihm die einzige Chance sehen, daß sich der Einzelhandel wieder Marktanteile erkämpfen kann, die er bis heute verloren hat. Das ist unser Ziel, darum machen wir das.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1311403300
Jetzt spricht Kollege Manfred Müller.

(Zuruf von der CDU/CSU: Provinz! Gegenruf des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS]: Gerade Sie müssen von Provinz reden!)


Manfred Müller (PDS):
Rede ID: ID1311403400
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Gerhardt, es ist ja wohl Zynismus in Potenz, was Sie hier eben in Ihrer Antwort geleistet haben.

(Beifall bei der PDS)

Erst sind Sie dafür mitverantwortlich, daß wir mehr als 4 Millionen Arbeitslose haben, davon mehr als 1 Million Dauerarbeitslose, und dann berufen Sie sich auf diesen Personenkreis, der wirklich am Boden liegt, darauf, daß sie bereit seien, abends im Einzelhandel zu arbeiten. Sie haben sie so weit heruntergebracht und benutzen sie jetzt als Argument gegen die bestehenden Vollzeitarbeitsverhältnisse.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ihre gesamte Rede, Herr Dr. Gerhardt, hat wieder deutlich gemacht: Die Ideologen sitzen hier auf dem rechten Flügel des Deutschen Bundestages.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD Widerspruch bei der CDU/ CSU und der F.D.P. Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind die Ladenhüterideologen!)


Manfred Müller (Berlin)

Sie haben bisher nichts unternommen - obwohl Sie jeweils die Wirtschaftsminister gestellt haben -, um der gewaltigen Konzentration im deutschen Einzelhandel Einhalt zu gebieten. 84 Milliarden DM werden von einem einzigen Einzelhandelskonzern gemacht, der auch zu den Gewinnern einer möglichen Änderung des Ladenschlußgesetzes gehören wird. Sorgen Sie dafür, daß diese Marktmacht endlich eingeschränkt wird! Und sorgen Sie nicht dafür, daß dieser Konzern seine Marktmacht noch weiter ausbaut.
s hat in dieser Legislaturperiode zu keinem Thema so viele Resolutionen von Unternehmerverbänden und einzelnen Unternehmen gegeben, die diesen Bundestag erreicht haben, und zwar alle Fraktionen dieses Hauses. Der Mittelstand, die kleinen Einzelhändler, haben zusammen mit ihren Belegschaften an uns als Abgeordnete appelliert, diesen verhängnisvollen Weg der Konzentration im Einzelhandel nicht weiterzugehen.
Und wenn Sie jetzt sagen, daß Konzentration trotz des Bestands des Ladenschlußgesetzes eingesetzt hat, so ist das ebenso zynisch!

(Zurufe von der CDU/CSU: Wegen! Wegen!)

Wenn Sie jetzt die Konzentration noch dadurch beschleunigen, daß Sie die Bedingungen für den kleinen und mittelständischen Einzelhandel weiter verschlechtern, dann schauen Sie sich die Situation an, die sich um den sogenannten Dienstleistungsabend ergeben hat. Nur in den großen Ia-City-Lagen und auf der grünen Wiese wird der lange Donnerstag genutzt. Und das geht zu Lasten der kleinen Einzelhändler, der Tante-Emma-Läden, zu Lasten der wenigen, die überhaupt noch übriggeblieben sind.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die haben nämlich keine Möglichkeit, die zusätzlichen Personalkosten, die durch längere Öffnungszeiten entstehen, zu kompensieren. Wenn in den großen Einzelhandelsunternehmen die Personalkosten trotz längerer Öffnungszeiten nicht steigen, dann deshalb, weil sie die Möglichkeit haben, ihren Personaleinsatz weiter zu spreizen, weil sie die Möglichkeit haben, 590-DM-Kräfte einzusetzen! Deshalb werden für diese Unternehmen die Personalkosten nicht steigen, während der kleine Einzelhandel zusätzliche Personalkosten überhaupt nicht aufwenden kann. Das wissen Sie!
Wer wird also Gewinner einer Novellierung, einer Änderung des Ladenschlußgesetzes sein? Die Verbraucherinnen und Verbraucher mit Sicherheit nicht; denn sie haben die Vorteile einer lebhaften Konkurrenz im Einzelhandel, einer Konkurrenz, die ihnen erlaubt, auf die grüne Wiese zu fahren, die ihnen erlaubt, in die Kaufhäuser zu gehen, die ihnen aber auch erlaubt, wenn in den Kaufhäusern und auf der grünen Wiese keine Beratungskapazität mehr vorgehalten wird, auch den kleinen Einzelhandelsbetrieb, den Facheinzelhandel weiter zu besuchen. Und diesen kleinen Facheinzelhandel machen Sie mit Ihren Regelungen kaputt.

(Beifall bei der PDS)

Das heißt, der Verbraucher hat überhaupt keine Vorteile.
Sie setzen sich mit Ihrer Zeitpiraterie und mit Ihren Freiheitsträumen über die Interessen von mehr als dreieinhalb Millionen im Einzelhandel Beschäftigten hinweg, von denen mehr als 70 Prozent Frauen sind. Diese Frauen, die in der Dreifachbelastung der Familie stecken, schließen Sie künftig auch noch davon aus, daß sie sich um die Schularbeiten ihrer Kinder kümmern und überhaupt den Feierabend genießen können. Das heißt, Sie teilen, Sie splittern diese Gesellschaft in immer mehr Individuen auf. Insofern sind Sie die eigentlichen Ideologen in unserem Land.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)

Sie, Herr Feilcke, wissen ganz gut - wir haben ja viele Diskussionen zu diesem Thema gehabt -, daß Sie sich mit Ihrem Vorhaben, mit dem Inkrafttreten zum 1. November dieses Jahres ganz bewußt und ganz gezielt über die Interessen der Tarifvertragsparteien hinwegsetzen. Tarifvertragsparteien sind Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände. Sie haben Tarifverträge abgeschlossen, deren Laufzeit in Berlin bis Ende nächsten Jahres geht, deren Laufzeit in den neuen Bundesländern bis Ende 1998 reicht. Nach diesen Tarifverträgen können tarifgebundene Unternehmen ihre Läden nicht öffnen, es sei denn, sie verstoßen gegen den Tarifvertrag. Was Sie damit bezwecken, ist eine Spaltung des Unternehmerverbandes. Es beginnt ja in Berlin bereits mit dem Versuch der Durchsetzung der langen Samstage über die gesetzliche Regelung hinaus.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1311403500
Herr Müller, kommen Sie bitte zum Ende.

Manfred Müller (PDS):
Rede ID: ID1311403600
Betriebsräte werden dadurch unter Druck gesetzt, daß es nichttarifgebundene Unternehmen gibt, die an den tarifgebundenen Unternehmen vorbei öffnen. Sie spielen die einen Belegschaften gegen die anderen aus. Genau das ist Ihr Ziel: Sie wollen die Unternehmerverbände, die bisher Vertragstreue mit den Gewerkschaften bewiesen haben, dafür bestrafen, daß sie Tarifverträge bis 1998 abgeschlossen haben.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1311403700
Ihre Redezeit ist zu Ende, Herr Müller.

Manfred Müller (PDS):
Rede ID: ID1311403800
Dazu müssen Sie sich hier erklären, wie Sie die kommenden Auseinandersetzungen im Deutschen Bundestag begleiten wollen, ob Sie etwa auch noch das Tarifvertragsgesetz aushebeln wollen, damit diese Spaltung vielleicht auch noch in den anderen Wirtschaftsbereichen Wirklichkeit wird.

(Beifall bei der PDS)


Manfred Müller (Berlin)

Ich appelliere an alle Einzelhandelsbeschäftigten, wenn wir heute eine Abstimmungsniederlage erleiden, -

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1311403900
Herr Müller, ich habe Sie jetzt zum drittenmal aufgefordert, Ihre Rede zu beenden.

Manfred Müller (PDS):
Rede ID: ID1311404000
- daran zu denken, daß 1998 die nächsten Wahlen sind, und die Konservativen endlich abzuwählen, damit wir zu vernünftigen sozialpartnerschaftlichen Beziehungen zurückkehren können.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1311404100
Das Wort hat der Kollege Dr. Ramsauer.

Dr. Peter Ramsauer (CSU):
Rede ID: ID1311404200
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Gerade nach dem bisherigen Verlauf dieser Debatte kann man mit Fug und Recht behaupten, daß nur wenige Gesetzgebungsvorhaben, obwohl oftmals von weit größerer politischer Tragweite, eine solche Resonanz und ein derartiges Maß an Emotionen in der Öffentlichkeit und in diesem Hause hervorgerufen haben wie die Liberalisierung des Ladenschlußgesetzes. Dieses Thema weckt natürlich Emotionen, die zur wirklichen politischen Bedeutung aber bei genauem Hinsehen in keinem Verhältnis stehen.

(Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Der Ladenschluß ist ein Symbolthema wie nur wenige andere. Sehen die einen hierfür das Symbol für die Reformfähigkeit oder Reformbereitschaft unserer Gesellschaft, so sehen die Gegner hierin den Todesstoß für den kleinen und mittelständischen Einzelhandel. Wie so oft bei Symbolthemen werden sowohl die positiven als auch die negativen Aspekte überschätzt, und Argumente sind oft auch nur schwer herüberzubringen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich mache kein Hehl daraus, daß der nun vorliegende Gesetzentwurf so nicht den Idealvorstellungen der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag entspricht. Uns wäre mehrheitlich lieber gewesen, wenn wir am Samstag die bestehenden Ladenöffnungszeiten beibehalten hätten und wenn wir auch beim Bäkkereiarbeitszeitgesetz den Vorschlägen des Bäckerhandwerks gefolgt wären. Diese vermittelnde Lösung, für die mein Kollege Ernst Hinsken auch bis zum letzten Augenblick um Mehrheiten gerungen hat, wäre nach unserer Auffassung den Belangen der mittelständischen Einzelhandelsunternehmen einerseits, aber auch den Interessen der Mitarbeiter im Einzelhandel eher gerecht geworden

(Beifall des Abg. Michael Glos [CDU/CSU])

als die Festsetzung des Ladenschlusses am Samstag auf 16 Uhr und die völlige Abschaffung des Bäckereiarbeitszeitgesetzes.

(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: 18 Uhr wäre besser gewesen!)

Meine Damen und Herren, wir kennen die Sorgen der mittelständischen Einzelhändler. Sie befürchten, durch liberalisierte Ladenöffnungszeiten von der Konkurrenz der Großkaufhäuser in den Toplagen der Ballungsräume erdrückt zu werden. Wir kennen natürlich auch die Sorgen und Nöte der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Einzelhandel, die um ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Leben bzw. um den Familienfrieden bangen und eine Verschlechterung von Arbeitsbedingungen fürchten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben diese Sorgen und Nöte äußerst ernstgenommen, und wir haben uns in der Tat die Entscheidung bis zum letzten Augenblick nicht leicht gemacht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Auch wenn den meisten von uns eine andere Lösung lieber gewesen wäre, werden wir dem Gesetzentwurf mit großer Mehrheit zustimmen, und dies nicht nur, weil man in einer Demokratie Mehrheitsentscheidungen mitzutragen hat. Einerseits muß man sehen, daß wir neueren Entwicklungen im Einzelhandel wie etwa dem sich entwickelnden Teleshopping, den zu Supermärkten ausgebauten Tankstellen, florierenden Bahnhofszentren, aber auch offenen Grenzen in Europa und dem daraus resultierenden Einkaufstourismus Rechnung tragen müssen.
Andererseits hat die CSU aber auch eine Reihe von Dingen erreicht, die den Interessen des Mittelstandes entgegenkommen: So haben wir bereits sehr früh klargemacht, daß mit uns ein Ladenschluß um 22 Uhr, so wie er im ursprünglichen Gesetzentwurf vorgesehen war, nicht zu machen wäre.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir haben erreicht, daß der Ladenschluß am Samstag bundeseinheitlich geregelt wird. Diese Änderung ist deshalb von Gewicht, weil sonst ein ungesunder Wettbewerb über Ländergrenzen hinweg entstanden wäre.
Wir haben ebenfalls durchgesetzt, daß künftig Empfehlungen über Ladenöffnungszeiten auch unter Einbeziehung der Großbetriebsformen des Einzelhandels zulässig sind.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das heißt, künftig können Einzelhändler vor Ort Vereinbarungen über Ladenöffnungszeiten so treffen, daß sie den örtlichen Gegebenheiten und Bedürfnissen entsprechen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Schließlich haben wir auch durchgesetzt, daß bei der nächsten Novelle zum Kartellgesetz geprüft wird, ob die kartellrechtliche Freistellung für Kooperationen kleiner und mittlerer Unternehmen um die Mög-

Dr. Peter Ramsauer
lichkeit gemeinsamer Vermarktungsaktivitäten erweitert wird.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Hermann Otto Solms [F.D.P. ])

Wir wollen damit die Nachfrageposition gerade des kleinen und mittelständischen Einzelhandels verbessern.
Außerdem - dies war für uns im Abwägungsprozeß von sehr großer Bedeutung - ist auch der Mittelstand keineswegs geschlossen in seiner Ablehnung einer Erweiterung von Ladenöffnungszeiten. So hat zum Beispiel der Zentralverband des Deutschen Handwerks die Liberalisierungspläne ebenso begrüßt wie der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

Auch mittelständische Einzelhändler haben durchaus zu erkennen gegeben, daß sie durch die mit der Verlängerung der Ladenöffnungszeiten verbundene Flexibilisierung neue Chancen im Wettbewerb sehen,

(Uwe Lühr [F.D.P.]: So ist das!)

insbesondere diejenigen, die nicht durch Tarifvertrag oder Betriebsräte daran gehindert werden,

(Manfred Müller [Berlin] [PDS]: Aha, also Spaltung!)

diese neuen Chancen und Möglichkeiten auch zu nutzen.
Schließlich - auch dies muß, so banal es klingen mag, gesagt werden -: Wir zwingen ja niemanden, die neuen Ladenöffnungszeiten voll auszuschöpfen. Nein, wir wollen nur neue Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen,

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

im übrigen auch für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die flexiblere Arbeitszeiten wollen. Es nützt nichts, immer nur von Teil- oder Mobilzeitarbeit zu reden; man muß auch die Rahmenbedingungen dafür schaffen.
Ich rufe deshalb alle Beteiligten dazu auf: Nutzen Sie die neuen Möglichkeiten der Schaffung von sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsmöglichkeiten, damit Frauen nicht nur als Kundinnen, sondern auch als Arbeitnehmerinnen zu den Gewinnern dieser Reform zählen werden!

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: 30 000 Arbeitsplätze werden abgebaut!)

Nachdem der Kollege Urbaniak darauf hingewiesen hat, es sei nicht notwendig, am Sonntag frische Ware aus Bäckereien zu bekommen, noch ein Wort zum Bäckereiarbeitszeitgesetz: Daß frische Ware nicht gerade mit dem Markentitel SPD assoziiert wird, ist vollkommen klar.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Aber die keineswegs einheitliche Haltung des Berufsstandes der Bäcker ist sicherlich auch ein gewichtiger Grund dafür, daß unser Werben nur für eine Änderung des Bäckereiarbeitszeitgesetzes nach den Vorstellungen des Bäckerhandwerkes am Ende nicht erfolgreich sein konnte.
Der Kampf um das Bäckereiarbeitszeitgesetz wurde nicht von uns verloren. Hierfür gibt es keinen zuverlässigeren Zeugen als den Präsidenten des Zentralverbandes des Deutschen Bäckerhandwerks, Hans Bolten, der sagte - ich zitiere -:
Dieser Kampf ist verloren worden von den zahllosen Kollegen im Bäckerhandwerk, die sich an dieses Gesetz nicht gehalten haben und nicht halten konnten.
Und weiter:
Welche Schutzwirkung soll denn eine gesetzliche Vorschrift für irgendeinen Betrieb noch entfalten, wenn eine große Zahl von Betrieben diese Vorschrift überhaupt nicht einhält?

(Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Ja!)

Diese Aussagen müssen all denjenigen entgegengehalten werden, die in der Streichung des Bäckereiarbeitszeitgesetzes einen Verrat am mittelständischen Bäckerhandwerk sehen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, sicherlich wird der jetzt vorliegende Kompromiß nicht alle zufriedenstellen. Vielen wird die Liberalisierung zu weit gehen. Wieder andere hätten sich noch deutlich mehr gewünscht. Aber es gehört zum Wesen des Kompromisses, daß jede Seite nachgeben muß, um zu einem gerechten Ausgleich zwischen Interessen des Einzelhandels, der im Einzelhandel Beschäftigten und der Verbraucher zu gelangen.
Jetzt noch kurz ein Wort an die Opposition, insbesondere an Sie von der SPD. Diejenigen unter Ihnen, die glauben, daß alle Kolleginnen und Kollegen im Oppositionslager wirklich mit dem Herzen gegen eine Erweiterung der Ladenöffnungszeiten wären,

(Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: Mit dem Kopf!)

täuschen sich oder verbreiten falsche Behauptungen; denn wir wissen ganz genau, daß sich eine ganze Reihe unter Ihnen entweder lieber der Stimme enthalten, dem Gesetzentwurf zustimmen oder sogar noch darüber hinausgehen würde.

(Eduard Oswald [CDU/CSU]: So ist es! Natürlich!)

Wir wissen ganz genau, daß diejenigen unter Ihnen, die lieber mit uns gehen würden, vergattert wurden,

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. Widerspruch bei der SPD)


Dr. Peter Ramsauer
damit Sie von der Opposition die Machtfrage stellen können, was Sie uns immer vorwerfen. In Wirklichkeit geht es Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, überhaupt nicht um den Ladenschluß, sondern es geht Ihnen darum, den durchschaubaren politischen Versuch zu starten, einen Keil in das Koalitionslager zu treiben. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Von Ihnen lassen wir uns nicht auseinanderdividieren. Von Ihnen schon gar nicht! Sie werden sehen: Wir halten zusammen.
Besten Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Denn wir schreiten Seit' an Seit'!)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1311404300
Als nächste hat die Kollegin Renate Rennebach das Wort.

Renate Rennebach (SPD):
Rede ID: ID1311404400
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Dr. Ramsauer, fast hätte ich Ihnen Teile Ihrer Rede abgenommen, nämlich die mit der sorgfältigen Beratung, mit der Überlegung, mit den Sorgen. Aber Sie haben zum Schluß gesagt, daß wir Sie auseinanderdividieren wollen, bloß weil bei Ihnen Kolleginnen und Kollegen sitzen, die eine Einsicht haben, die wissen, was im Lande los ist, und die nicht wollen, daß Frauen weiterhin ausgebeutet werden.

(Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

Ein Wort an Herrn Dr. Gerhardt, den Herrn F.D.P.-Vorsitzenden. Zu Ihrer Information: Nicht 50 Prozent der Beschäftigten des Einzelhandels stimmen zu, sondern 73 Prozent lehnen Ihre Regelung ab. Zu Ihrer Rede fällt mir auch nicht viel mehr ein, als zu sagen: Der Herr F.D.P.-Vorsitzende hat hier extrem kleine Brötchen gebacken.

(Beifall bei der SPD Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Ihr seid eine richtige Wach und Schließgesellschaft geworden!)

- Ich gehe gleich darauf ein, Herr Dr. Gerhardt. Sie können Ihre Stimme schonen.
Meiner Partei, der SPD, wird immer zum Vorwurf gemacht, sie verpasse den Zug in eine moderne Gesellschaft oder verhindere ihn gar, so auch bei der Änderung der Ladenschlußzeiten. Wenn es denn modern ist, mehr ungeschützte Arbeitsverhältnisse zu schaffen, wenn es denn modern ist, Arbeitsbedingungen für eine große Zahl von Frauen zu verschlechtern, wenn es denn modern ist, immer mehr Arbeitsschutzbestimmungen - selbst Herr Feilcke weiß inzwischen, daß das Ladenschlußgesetz als Arbeitsschutzgesetz geschaffen worden ist - abzubauen, dann erkläre ich Ihnen hiermit: Ich bleibe gerne altmodisch.

(Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich werde dafür eintreten, daß Schutzbestimmungen und soziale Rechte in unserem Land erhalten bleiben - das gilt auch für meine Partei -, auch wenn Tarifverträge und Arbeitsschutzbestimmungen in den neuen Ländern heute nicht mehr viel wert sind und der Wettbewerb darin besteht, diese zu unterlaufen. Hierin liegt der wahre Mißbrauch in unserer Gesellschaft. Ich würde mich freuen, wenn Sie den einmal aufgreifen würden und dies nicht nur unseren Kolleginnen und Kollegen von HBV und DAG überlassen würden.

(Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Kolleginnen und Kollegen, die Änderung der Ladenschlußzeiten wird dafür sorgen, daß Frauen „endlich" mehr Arbeitsplätze auf 590-DM-Basis erhalten können. Die geplante Änderung wird dafür sorgen, daß immer mehr Einzelhandelsgeschäfte in den ländlichen Regionen kaputtgehen. Dies wird zur Folge haben, daß immer mehr ältere Menschen nicht nur auf dem Land, sondern auch in städtischen Randlagen Hilfe beim Einkaufen brauchen, weil die überlebenden großen Geschäfte für sie alleine nicht mehr erreichbar sind.
Es gibt aber noch weitere Punkte in dieser „modernen" Geschichte, die eigentlich, wenn ich recht überlege - wir diskutieren schon lange darüber -, eine unendliche Geschichte ist.
Mit mir bzw. meiner Partei sind etwa 80 Prozent der Einzelhändler altmodisch, weil sie, wie eine Verbandsumfrage ergeben hat, die Änderung der Ladenschlußzeiten ablehnen. Sie wissen genau - das wissen auch die Kolleginnen und Kollegen im Einzelhandel -, daß diese durch den dadurch entstehenden Konkurrenzdruck großer Unternehmensketten immer mehr verdrängt werden, auch dann, wenn sie kämpfen und alle verfügbaren Familienmitglieder einsetzen, um längere Öffnungszeiten bewältigen zu können.

(Unruhe)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1311404500
Einen Augenblick, Frau Rennebach.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist extrem rücksichtslos: Die Stimme der Rednerin muß überstrapaziert werden, nur weil Sie immer lauter werden. Ich bitte jetzt um Ruhe.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Renate Rennebach (SPD):
Rede ID: ID1311404600
Vielen Dank, Frau Präsidentin.
In der Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung schilderte ein Vertreter des Einzel-

Renate Rennebach
handels, daß ein weiteres Problem verstärkt wird, das von unserer „modernen" Regierung und ihren praxisfernen, dem BDA hörigen Mitspielern überhaupt nicht berücksichtigt wird: Es geht um die Kinder, die unter dem Ladentisch aufwachsen.
Als ich dies hörte, fiel mir meine Kindheit wieder ein: Meine Eltern mußten noch lange nach Feierabend die Bücher machen, den Laden aufräumen und Ware auffüllen. Da blieb für das Kind im Haushalt nicht mehr viel Zeit. Ich will das nicht weiter ausbreiten. Was ich erlebt habe, ist natürlich schon einige Zeit her, aber immer noch aktuell und gehört auf die Tagesordnung auch von 1996. Diese „moderne" Verschlechterung der Bedingungen gilt für sehr viele Selbständigenhaushalte. Zugegeben: Ich meine die, die sich eine Citylage wegen der horrenden Gewerbemieten nicht leisten können.
Diese Verschlechterung nehmen Sie, meine Damen und Herren von der regierenden Koalition, billigend in Kauf, um Umsätze für große Unternehmen dieser Branche zu erhöhen. Gleichzeitig sind Sie so modern, Gesetze zu verabschieden, die auch die Kaufkraft in unserem Land noch wesentlich verschlechtern. Der von Ihnen so sehr erwartete Umsatzanstieg wird nicht erfolgen. Der Umsatz wird weiter stagnieren bzw. zurückgehen; das ist die Realität. Nur die Verteilung wird sich ändern: weg von den Kleinen und hin zu den Großen. Worin hier der volkswirtschaftliche Nutzen liegen soll, ist der unbefangenen Betrachterin sehr rätselhaft.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1311404700
Frau Rennebach, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Renate Rennebach (SPD):
Rede ID: ID1311404800
Es tut mir leid. Ich bin durch meine Husterei und diese Störungen etwas aus dem Konzept gekommen.
Auch sozialpolitisch ist diese Änderung wegen der ungeschützten Arbeitsverhältnisse Unsinn.
Es bleibt mir nur noch ein Satz, Frau Präsidentin: Ich möchte an Sie, Kolleginnen und Kollegen von der Regierungskoalition, appellieren und Sie auffordern, diesem Gesetz nicht zuzustimmen.
Ich betone nochmals: Wenn das, was Sie mit dem Ladenschlußgesetz erreichen wollen, modern ist, bleibe ich aus voller Überzeugung altmodisch. Ich glaube, Fortschritt in unserer Gesellschaft ist eher der Schutz der Ressource Mensch als das, was Sie für modern halten.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1311404900
Es spricht jetzt der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Dr. Norbert Blüm.

Dr. Norbert Blüm (CDU):
Rede ID: ID1311405000
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Ladenschlußgesetz hat einen sehr langen Weg hinter sich; es ist 40 Jahre alt. Das Bäckereiarbeitszeitgesetz stammt aus dem Jahre 1915, ist 81 Jahre alt. Niemand kann bestreiten, daß es hier einen Regelungsbedarf gibt. Das Leben ist weitergegangen.

(Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: Es gibt noch immer Bäcker!)

Was die Sache auf allen Seiten schwierig macht, ist die Tatsache, daß bei diesem Gesetz ganz unterschiedliche Interessen zu berücksichtigen sind, und zwar berechtigte Interessen, über die man nicht hinweggehen kann. Da ist das Interesse des Kunden. Frau Rennebach, auch der Kunde ist ein Mensch.

(Renate Rennebach [SPD]: Vielen Dank!)

Da ist das Interesse der Verkäufer. Da ist das Interesse der Inhaber eines kleinen Geschäftes, da ist das Interesse der Inhaber eines großen Geschäftes. Da ist das Interesse in der Stadt. Da ist das Interesse auf dem flachen Land.
Das Interesse von Verkäufer und Verbraucher ist aber nicht identisch. Was bietet sich in einem solchen Fall an? In einem solchen Fall bietet sich ein Kompromiß an. Das ist überhaupt nichts Schädliches. Es gibt, wenn die Interessen so unterschiedlich sind, nämlich keine sachgemäße Entscheidung zwischen der Möglichkeit, alles freizugeben, und der Alternative, nichts zu verändern. Das ist nicht sachgemäß. Sachgemäß ist ein angemessener Kompromiß.
Offenbar ist das, was wir vorlegen, ein Kompromiß. Denn dem einen geht die Veränderung nicht weit genug und dem anderen zu weit. Das zeigt: Im Rahmen eines Kompromisses ist es schwer, einen Ausgleich zu finden. Was dem einen vorteilhaft erscheint, erscheint dem anderen nachteilhaft. Wir haben uns für eine mittlere Lösung entschieden.
Seien Sie vorsichtig mit den ganz großen Kanonenkugeln. Ausbeutung? Daß es Bedenken und Probleme gibt, negiere ich nicht. Aber Ausbeutung? Die Ladenöffnungszeiten werden am Werktag von 18.30 Uhr auf 20 Uhr und an drei Samstagen um zwei Stunden verlängert und an einem Samstag um zwei Stunden verringert. Seien Sie vorsichtig damit, mit ganz großen Hämmern draufzuschlagen.
Nichts zu entscheiden wäre auch noch eine Alternative. Das ist die schlechteste von allen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wissen Sie, warum? Das Leben richtet sich nicht immer nach den Beschlüssen des Deutschen Bundestages. Das ist so.

(Abg. Christa Nickels [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1311405100
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Norbert Blüm (CDU):
Rede ID: ID1311405200
Ich glaube, der Bundestag wie auch die Öffentlichkeit ist neugieriger auf die Abstim-

Bundesminister Dr. Norbert Blüm
mung als auf meine Rede. Deshalb will ich das Ganze nicht verzögern.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Man muß bescheiden sein.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Eine Hängepartie ist das Schlechteste, nicht nur im Schach, sondern auch in der Politik. Das Leben richtet sich nicht nach den Beschlüssen des Bundestages. Das Ganze ist wie ein Fluß, der gestaut ist.

(Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: Die Regierung hängt aber schon lange durch!)

Frau Wolf, Sie haben vom Stein des Sisyphus gesprochen. Wissen Sie, wo dieser Stein liegt? Er liegt in einem Flußbett, und das Flußbett staut sich und sucht tausend Nebenarme.
Da gibt es die Tankstellen. Manche Tankstelle erscheint mir wie ein Kaufhaus mit angeschlossenem Benzinverkauf.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Im Vorgarten Benzin und in der Tankstelle selber das große Kaufhaus. Genauso ist es mit Bahnhöfen.
Oder: Wie wollen Sie das in grenznahen Gebieten machen? Falls Sie es noch nicht gemerkt haben, Herr Urbaniak aus Dortmund: Wir leben in Europa. Wie wollen Sie in grenznahen Gebieten den jetzt geltenden Ladenschluß eigentlich durchhalten? Sie halten ihn nur durch, wenn Sie werktags nach 18.30 Uhr und samstags ab 14 Uhr ein Fahrverbot einrichten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wer das will, der kann in grenznahen Gebieten den Ladenschluß durchhalten.
Zum Bäckereiarbeitszeitgesetz. Meine Damen und Herren, wissen Sie, warum das Gesetz 1915 geschaffen wurde? Es war ein Kriegswirtschaftsgesetz. Brötchen waren damals Luxus; das war der Kaviar der Backwaren. Heute sind Brötchen Gott sei Dank für alle da. Wann - das frage ich die Künstler der Unterscheidung - wird ein Brötchen zur leichtverderblichen Konditorware? Welcher Zuckerguß muß auf ein Brötchen gegossen werden, so daß es sonntags verkauft werden darf? Sagen Sie mir das einmal.
Die Backkunst der Bäcker - mein Respekt - steht längst nicht mehr in Konkurrenz zu den Konditoren. Deshalb unterscheiden wir nicht mehr zwischen Bäkker und Konditor. Diese Unterscheidung ist so alt wie die SPD oder noch älter.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich plädiere sehr für den Mittelstand. Das ist ein großes Thema, und zwar für die Arbeitnehmer und die Mittelständler. Handel ist nicht nur Geldwechsel, sondern hat auch etwas mit Kultur zu tun. Deshalb geht es auch darum, den Mittelstand zu erhalten, und zwar nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen. Das hat etwas mit der Kultur zu tun. Ich möchte auch nicht nur noch Kaufhäuser und nur noch Städte als Verkaufsorte.

(Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: Nennen Sie die Konsequenzen dieses Gesetzes!)

Deshalb finde ich es gut, daß in diesem Gesetz auch die Selbsthilfe des Mittelstandes eine neue Chance bekommt, auch zu Absprachen unter Einschluß der Großbetriebe.
Lieber Kollege Urbaniak, in einem Punkt stimme ich Ihnen zu. Sie haben gesagt: Es gibt große Probleme in bezug auf die Arbeitslosigkeit und die Renten. In der Tat, Kollege Urbaniak, das sind größere Probleme als die Regelung des Ladenschlusses. Laßt uns deshalb heute mit der Diskussion um den Ladenschluß Schluß machen, damit wir uns mit ganzer Kraft der Lösung noch größere Probleme zuwenden können!
Der Worte sind genug gewechselt. Die geltende Regelung paßt nicht mehr in die Zeit. Wir sind nicht die idyllische Insel von Robinson in Europa. Wir schütten auch nicht das Kind mit dem Bade aus. Ausdrücklich sage ich: Wir schütten ein bißchen frisches Wasser dazu, aber es wird nicht ausgeschüttet. Auch ein Beweis dafür sind die Schwierigkeiten bei der Verabschiedung: Den einen ist es zu viel, den anderen ist es zu wenig, Propheten rechts, Propheten links.
Mein Appell lautet: Versammeln wir uns in der Mitte zu einer Veränderung mit Augenmaß.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1311405300
Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Gabriele Iwersen.

Gabriele Iwersen (SPD):
Rede ID: ID1311405400
Nachdem hier das große Rennen von Zeitpionieren und Badewasserministern vonstatten gegangen ist, möchte ich doch noch einmal auf einen Aspekt zu sprechen kommen, der nur ganz kurz angesprochen wurde, und zwar auf die zu Recht erwähnte notwendige Revitalisierung der Innenstädte. Dabei muß man ohne Wenn und Aber akzeptieren, daß auch kleine Städte wunderschöne Innenstädte haben, die durch das heute vorgelegte Ladenschlußgesetz gewaltig in Gefahr geraten.
Der Gesetzentwurf zeigt eindeutig, daß das Ziel der Raumordnung, abgestufte Zentren mit unterschiedlicher Versorgungsfunktion zu schaffen bzw. zu erhalten, weder vom Bundesbauminister - der ist ja wohl auch gar nicht anwesend -

(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Doch, der ist anwesend!)

noch von den Koalitionsfraktionen ernst genommen wird. Wahrscheinlich soll es einfach fallengelassen werden. Weder Städte mit 10 000 noch solche mit 50 000 oder 90 000 Einwohnern verfügen über die berühmten I a-Lagen, die allein von dem Gesetz profitieren werden. Für alle anderen ist eine drastische
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114, Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 10219
Gabriele Iwersen
Verschärfung des Existenzkampfes mit ungewissem Ausgang angesagt.
Trotzdem muß die Versorgungsfunktion der zentralen Orte erhalten bleiben, wenn die Fläche nicht hoffnungslos ins Abseits geraten soll. Auch hier besteht der Anspruch auf wohnungsnahe Versorgung - wie schon einmal erwähnt worden ist -, die bereits in über 8 000 Gemeinden in Ost und West nicht mehr gegeben ist, weil dort überhaupt kein einziges Einzelhandelsgeschäft mehr existiert. Damals waren es die dörflichen Einzelhandelsgeschäfte; jetzt geht es den kleinen Zentren an den Kragen, weil die Familienbetriebe auch bei längerer Öffnungszeit keine Umsatzsteigerung erwarten dürfen, die zusätzliches Fachpersonal finanzieren könnte.

(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Das ist ein langes Ablesen und keine Kurzintervention!)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1311405500
Frau Iwersen, ich mache darauf aufmerksam, daß wir bei einer Kurzintervention und nicht bei einem neuen Redebeitrag sind.

Gabriele Iwersen (SPD):
Rede ID: ID1311405600
Ich fasse mich ja ganz kurz.
Der Konkurrenzkampf wird sich in Zukunft nicht mehr zwischen den alteingesessenen Fachhändlern und den vielgelobten neuen Existenzgründern abspielen,

(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Ein Rechtsbruch der Geschäftsordnung!)

sondern zwischen den Giganten, die zu fördern nicht Sinn eines solchen Gesetzes sein dürfte.
Schönen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1311405700
Das Wort zu einer weiteren Kurzintervention hat der Kollege Günter Graf.

Günter Graf (SPD):
Rede ID: ID1311405800
Ich mache es auch kurz.
Herr Minister Blüm, Sie haben von den Interessen der Kleinen und der Großen gesprochen, der Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Sie haben kein Wort dazu gesagt, wo die Interessen der Bewohner ländlicher Räume liegen. In diesem Parlament gibt es eine überparteiliche Arbeitsgemeinschaft, die sich mit den Problemen ländlicher Räume beschäftigt. Alle im Hause wissen, daß dieses Gesetz, wenn es durchkommt, dazu führen wird, daß die ländlichen Räume wie in der Vergangenheit weiter ausgehungert werden und die Ballungszentren davon profitieren. Das kann nicht Sinn des Gesetzes sein.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

All denen, die ihre Entscheidung noch nicht endgültig getroffen haben, möchte ich es leichter machen. Im Antrag der CDU-Fraktion im Niedersächsischen Landtag vom 30. April 1996 mit der Überschrift „Aktionsprogramm zur Stärkung des ländlichen Raumes in Niedersachsen" heißt es unter „Infrastruktur" - ich darf zitieren -:
1. Sicherstellung und Förderung privater und öffentlicher Dienstleistungen und Einkaufsmöglichkeiten.
Als Begründung zu dieser Nummer 1 wird dann genannt:
Die Einrichtung sowie die Unterstützung von Dorfläden sollte vorangetrieben werden.
Machen Sie sich diese Argumentation zu eigen! Stärken Sie die ländlichen Räume! Hungern Sie sie nicht weiter aus.
Danke.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1311405900
Als letzte Rednerin spricht Frau Sabine Kaspereit.

Sabine Kaspereit (SPD):
Rede ID: ID1311406000
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach dem launigen Vortrag des Ministers Blüm über Kompromisse und den merkwürdigen Schlußfolgerungen daraus möchte ich diese reichlich emotional geführte Debatte wieder auf eine sachliche Ebene zurückbringen, falls das irgend möglich ist.
Eines verbindet uns doch alle, hier in diesem Hause und draußen im Lande: Wir sind alle Kunden, haben Wünsche und schätzen gewisse Annehmlichkeiten. Aber nicht nur die Verbraucher, sondern auch die Händler und die Beschäftigten des Handels verlangen von uns Politikern, daß wir uns ernsthaft und sachlich mit ihren Argumenten auseinandersetzen.

(Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Spätestens seit der Anhörung zum Ladenschlußgesetz am 20. Mai 1996 sind der Koalition ihre Argumente irgendwie abhanden gekommen. Wenn man den neuesten Argumenten der Koalition folgt, scheint nun das Ansehen Deutschlands in der Welt auf dem Spiel zu stehen. Am Ladenschluß wird unser Ansehen in der Welt gemessen? Liebe Kolleginnen und Kollegen, ist das nicht reichlich übertrieben?

(Beifall bei der SPD und der PDS)

Der Ruf nach freier Marktwirtschaft darf die Fürsorge- und Wohlfahrtspflicht der Politik nicht übertönen. Verbraucher, Händler und Beschäftigte des Handels wollen wissen, welchen volkswirtschaftlichen Schaden oder Nutzen uns eine solche Änderung beschert. Sie wollen wissen, welche Konsequenzen für den kleinen und mittelständischen

Sabine Kaspereit
Händler zu erwarten sind. Sie wollen aber auch wissen, welche sozialen Folgen zu erwarten sind.
Meine Damen und Herren der Koalition, Sie wissen genau, daß es negative Folgen sein werden. Sie haben ja auch die Stellungnahmen der Betroffenen - Kunden wie Händlern - in den letzten Monaten bekommen. Deshalb verstehe ich Ihre Interpretation dieser Dinge nun wirklich nicht.
Wir beraten heute eine Gesetzesänderung für eine Branche, die einen erheblichen Teil zum Bruttoinlandsprodukt beiträgt. Angesichts dramatischer Marktanteilsverluste für kleine und mittelständische Händler wird dieses neoliberale Prestigegesetz den Konkurrenzkampf um schrumpfende Märkte zusätzlich und vor allen Dingen ohne Not verschärfen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Seit 1980 ist der Marktanteil kleiner und mittelständischer Händler von ehemals 55 auf jetzt 37 Prozent gesunken. Angesichts der Verschuldung privater Haushalte, angesichts von Massenarbeitslosigkeit und wachsender Langzeitarbeitslosigkeit werden verlängerte Öffnungszeiten dem Handel keine müde Mark mehr an Umsatz bescheren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

Und bedenken Sie auch, meine Damen und Herren: Wir beraten diesen Vorschlag der Regierung angesichts der Kürzungsmaßnahmen, die die Kaufkraft der Bevölkerung um Milliarden schmälern und damit auch die Umsatzerwartungen für den Handel trüben werden.

(Beifall bei der SPD)

Ich frage Sie also: Woher sollen die Löhne für die Beschäftigten im Handel kommen? Zur Erinnerung: Um eine Verkäuferin bezahlen zu können, muß der Händler etwa 25 000 DM mehr Umsatz machen. Die Hoffnungen auf höhere Umsätze brechen aber wie ein Kartenhaus zusammen und als Folge davon natürlich auch die Hoffnungen auf mehr Arbeitsplätze. Es wird im Gegenteil zum öffnungsbedingten Abbau sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze kommen. Die durch längere Öffnungszeiten bedingten erhöhten Betriebskosten bei - wohlgemerkt - bestenfalls gleichbleibenden Umsätzen lassen für den Händler die Beschäftigung einer Fachverkäuferin zum Risiko werden.
Der Kostendruck und die vereinbarten Arbeitszeiten werden zwangsläufig zu einem höheren Anteil der geringfügig Beschäftigten führen. Wir werden einer wachsenden Zahl von Menschen gegenüberstehen, die auf der Basis von 590-DM-Jobs ihren Lebensunterhalt bestreiten müssen. Gerade mit diesen sich abzeichnenden sozialen Folgen und den sich daraus ergebenden Mindereinnahmen der Sozialkassen können wir uns nicht einverstanden erklären.
Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich auf folgendes aufmerksam machen: Es gibt bekanntlich - Herr Ramsauer hat darauf hingewiesen - auch in der SPD-Fraktion einige Kolleginnen und Kollegen, die in der Frage einer Liberalisierung der Ladenschlußzeiten durchaus offen und zum Teil dafür sind. Diese
Kolleginnen und Kollegen haben mich ausdrücklich ermächtigt, in ihrem Namen hier zu sagen: Solange diese Bundesregierung nicht bereit ist, die 590-DM-
Regelung drastisch einzuschränken, werden sie Ihrem Gesetz nicht zustimmen.

(Beifall bei der SPD und der PDS)

Sie wollen nämlich nicht dazu beitragen, daß weitere hunderttausende Billigjobs ohne ausreichende soziale Absicherung geschaffen werden. - Dazu mußten meine Kolleginnen und Kollegen nicht „vergattert" werden, Herr Ramsauer.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

Im Handel arbeiten derzeit noch 3,6 Millionen Menschen. Überwiegend sind dort Frauen als Teilzeitkräfte oder in 590-DM-Jobs tätig. Diese Frauen arbeiten dort nicht etwa, weil sie sich zu Hause langweilen und ein bißchen unter die Leute kommen wollen. Nein, sie arbeiten dort, weil dies oft das einzige reguläre Familieneinkommen aus Erwerbstätigkeit darstellt. Jedenfalls ist das im Osten so.

(Beifall bei der SPD und der PDS)

Der Anteil dieser Beschäftigungsart ist von 1982 bis heute von 25 Prozent auf jetzt 33 Prozent gestiegen. Das betrifft 1,2 Millionen Menschen im deutschen Einzelhandel. Wir müssen uns bewußt machen, was diese Zahl bedeutet - und dies besonders für Frauen.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1311406100
Frau Kaspereit, kommen Sie zum Ende!

Sabine Kaspereit (SPD):
Rede ID: ID1311406200
Ja. - Herr Blüm, das bedeutet, daß noch mehr Frauen als Beitragszahlerinnen für unsere sozialen Sicherungssysteme ausfallen. Das bedeutet für Herrn Waigel, daß noch mehr Frauen nicht mehr in der Lage sind, als Steuerzahlerinnen ihren Beitrag zum Haushalt zu leisten.
Solange die Lösung der Probleme, die sich aus der geringfügigen Beschäftigung ergeben, nicht ernsthaft in Angriff genommen wird, kann man nicht von uns verlangen, daß wir dieser Änderung zustimmen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1311406300
Ich schließe die Aussprache.
Bevor wir zur Abstimmung kommen, gibt es noch zwei mündliche Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung.
Als erster der Kollege Pinger.

Dr. Winfried Pinger (CDU):
Rede ID: ID1311406400
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich kann dem Gesetz nicht zustimmen; ich werde mich der Stimme enthalten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Winfried Pinger
Die Änderung des Ladenschlusses wird die Einzelhandelsstruktur in unserem Land weiter verschlechtern.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Der Umsatz verlagert sich vom ländlichen Raum in die Städte, von den kleinen Städten in die Großstädte und innerhalb der Großstädte in die I a-Lagen. Es wird zu einer weiteren Verlagerung in die Geschäfte auf der grünen Wiese kommen. Die ohnehin vorhandene Konzentration und Vermachtung im Einzelhandel werden verstärkt.
In Zukunft werden die Arbeitszeiten für die Mitarbeiter noch ungünstiger sein, und es wird noch schwerer sein, qualifizierte Mitarbeiter für den mittelständischen Facheinzelhandel zu finden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der PDS Zuruf von der SPD: Der hat recht, der Mann!)

Wenn ich das Gesetz dennoch nicht ablehnen werde, sondern mich der Stimme enthalte, so hat das zwei Gründe:
Erstens ist dies begründet in der Solidarität mit meiner Fraktion und nicht zuletzt in der Notwendigkeit der Handlungsfähigkeit der Bundesregierung.
Zweitens. Ich fordere und erwarte, daß die Bundesregierung, insbesondere der Bundeswirtschaftsminister, in Kürze Regelungen für das Kartellrecht vorlegen wird, die den leistungswidrigen Verdrängungswettbewerb von Großunternehmen gegen den leistungsfähigen Mittelstand in Zukunft unterbinden.

(Beifall bei der SPD und der PDS)

In keinem Land mit einer derartig entwickelten Wirtschaft gibt es diese Möglichkeiten, sich leistungswidriger Praktiken durch Einsatz der Nachfragemacht zu bedienen.
Die mit dem Gesetzentwurf vorgelegte Beschlußempfehlung löst das Problem nicht. Sie stärkt zwar die Verbundgruppen, aber sie mindert die Selbständigkeit der Einzelhändler innerhalb der Verbundgruppen und führt zu einer weiteren Vermachtung in der Wirtschaft.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, wenn sich Marktmacht an Stelle von Leistung lohnt, wenn leistungswidrige Praktiken durch Nachfragemacht ermöglicht werden, wird es einen weiteren Zwang zur Konzentration im Einzelhandel zu Lasten des Mittelstandes geben. Diese Vermachtung im Einzelhandel hat Einfluß auf den industriellen Mittelstand, der ebenfalls einer systematischen Vernichtung ausgesetzt ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Nicht zuletzt das ist für mich der eigentliche Punkt.
Ich hoffe und erwarte, daß dieser Entwicklung Einhalt geboten wird, und ich hoffe, daß wir sehr bald
im Deutschen Bundestag die notwendigen gesetzlichen Regelungen treffen.
Ich bedanke mich.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1311406500
Die zweite Erklärung zur Abstimmung erfolgt durch den Kollegen Hinsken.

Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1311406600
Verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sie dürfen mir abnehmen: Es bedrückt mich sehr, die Meinung des größten Teils meiner Fraktion nicht teilen zu können. Ich kann dem Gesetz in der vorliegenden Fassung nicht zustimmen, weil ich Gefahren für den Fortbestand des mittelständischen Einzelhandels und mittlerer Bäckereien in der Bundesrepublik Deutschland befürchte.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Neben Hunderten von Briefen in den letzten Monaten haben mich in den letzten zwei Tagen zig Faxe erreicht, in denen ich bestärkt wurde, gegen das Gesetz zu stimmen, was ich aber aus Solidarität gegenüber meiner Fraktion nicht tue. Ich werde nicht mit der Opposition stimmen, sondern ich werde mich der Stimme enthalten.
Ich bin nicht von gestern und sehe die Zwänge, in denen wir uns momentan befinden. Neue Entwicklungen dürfen nicht wegdiskutiert werden. Teleshopping macht sich breit, die Tankstellen werden zu Supermärkten der Neuzeit, die Grenzen sind offen usw. Vieles davon wurde heute bereits gesagt. Deshalb bin ich für eine Teilliberalisierung, aber das Kind darf nicht mit dem Bade ausgeschüttet werden. Ich möchte mich ausdrücklich bei meiner Fraktion dafür bedanken, daß sie viele Vorschläge und Wünsche, die ich eingebracht habe, zu akzeptieren bereit war.
Worüber ich mich ärgere und was mich stört, ist, daß man nicht gesehen hat, daß sich gerade der lange Samstag sehr verhängnisvoll auf den Einzelhandel auswirkt. Hier befürchte ich Kaufkraftverlagerungen von schlechten Lagen und Stadträndern, von der Fläche in Top-I a-Lagen und Supermärkte auf der grünen Wiese.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Letztere werden die Gewinner der neuen Regelung sein.
Ich stelle fest, daß - das sollte jedem zu denken geben - gerade Großkaufhäuser und Supermärkte auf der grünen Wiese am langen Samstag in der Zeit von 14 bis 18 Uhr über 10 Prozent des gesamten Umsatzes einer Woche machen. Das geht letztendlich anderen ab, nämlich denjenigen, die nicht diese gute Lagen haben.

Ernst Hinsken
Ich frage mich auch, warum in der Bundesrepublik Deutschland nur 16 Prozent aller Geschäfte vom langen Donnerstag Gebrauch machen. 84 Prozent tun es nicht, aber nicht etwa deshalb, weil sie genügend in der Kasse haben, -

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1311406700
Herr Hinsken, reden Sie zur Abstimmung.

Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1311406800
- sondern deshalb, weil es sich nicht rentiert.
Letzte Bemerkung: Ich kann mich auch nicht mit den Vorschlägen der Grünen anfreunden. Sie sagen: Lassen Sie uns eine Kleinbetriebsregelung finden! Nehmen wir einmal an, das sei eine Regelung für Betriebe mit bis zu fünf Mitarbeitern. Was passiert nun, wenn der Betrieb mehr Umsatz macht und auf sechs oder sieben Mitarbeiter aufstocken müßte? - Dann müßte er sich wieder an die Ladenschlußzeiten halten. Nein, wir brauchen eine Regelung für alle.
Ich sage noch einmal: Aus Solidarität zu meiner Fraktion werde ich nicht mit der Opposition stimmen, sondern mich der Stimme enthalten und somit dem Gesetz meine Zustimmung verweigern.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1311406900
Schriftliche Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung liegen vor von Anneliese Augustin, Renate Blank, Dr. Wolf Bauer, Klaus Bühler (Bruchsal), Hartmut Büttner (Schönebeck), Dr. Uschi Eid, Claus-Peter Grotz, Hans-Joachim Fuchtel, Siegfried Hornung, Dr. Egon Jüttner, Dr. Uwe Jens, Sigrun Löwisch, Dr. Norbert Rieder, Reinhard Freiherr von Schorlemer, Franz Romer, Alois Graf von WaldburgZeil mit Dr. Renate Hellwig, Gert Willner und Michael Wonneberger.*)
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf zur Änderung des Gesetzes über den Ladenschluß und zur Neuregelung der Arbeitszeit in Bäckereien und Konditoreien. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der CDU/CSU und der F.D.P. gegen die Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der PDS angenommen.
Wir treten in die dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Die Fraktion der SPD verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Wenn alle Urnen besetzt sind, können wir mit der Abstimmung beginnen. -
Haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimme abgegeben?

(Zurufe: Nein!)

- Also warten wir noch. *) Anlagen 2 und 3
Ich frage noch einmal: Sind alle Stimmkarten abgegeben? - Das ist der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung.
Ich unterbreche die Sitzung und weise schon jetzt darauf hin, daß im Anschluß noch weitere einfache Abstimmungen durchzuführen sind.

(Unterbrechung von 10.47 bis 10.54 Uhr)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1311407000
Liebe Kollegen, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.
Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Schlußabstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung, Drucksachen 13/4245 und 13/4975 Buchstabe a, bekannt. Abgegebene Stimmen: 651, mit Ja haben gestimmt: 327, mit Nein haben gestimmt: 321, Enthaltungen: 3. Der Gesetzentwurf ist angenommen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 652; davon
ja: 327
nein: 322
enthalten: 3
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Altmaier
Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten
Dr. Wolf Bauer
Brigitte Baumeister
Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank
Dr. Heribert Blens Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig
Rudolf Braun (Auerbach)

Paul Breuer
Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Klaus Bühler (Bruchsal) Hartmut Büttner

(Schönebeck)

Dankward Buwitt
Manfred Carstens (Emstek) Peter Harry Carstensen

(Nordstrand)

Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert Gertrud Dempwolf Albert Deß
Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjürgen Doss Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn Wolfgang Engelmann
Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann
Horst Eylmann Anke Eymer
Ilse Falk
Jochen Feilcke Dr. Karl H. Fell Ulf Fink
Dirk Fischer (Hamburg)

Leni Fischer (Unna)

Klaus Francke (Hamburg) Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich
Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler Michael Glos Wilma Glücklich
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Joachim Gres Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund
Horst Günther (Duisburg) Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke

(Großhennersdorf)

Gerda Hasselfeldt
Otto Hauser (Esslingen) Hansgeorg Hauser

(Rednitzhembach)


Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Klaus-Jürgen Hedrich Rudolf Meinl Andreas Schmidt (Mülheim) Jörg van Essen
Helmut Heiderich Dr. Michael Meister Hans-Otto Schmiedeberg Dr. Olaf Feldmann
Manfred Heise Dr. Angela Merkel Hans Peter Schmitz Gisela Frick
Dr. Renate Hellwig Friedrich Merz (Baesweiler) Paul K. Friedhoff
Peter Hintze Rudolf Meyer (Winsen) Michael von Schmude Horst Friedrich
Josef Hollerith Hans Michelbach Birgit Schnieber-Jastram Rainer Funke
Dr. Karl-Heinz Hornhues Dr. Gerd Müller Dr. Andreas Schockenhoff Hans-Dietrich Genscher
Siegfried Hornung Elmar Müller (Kirchheim) Dr. Rupert Scholz Dr. Wolfgang Gerhardt
Joachim Hörster Engelbert Nelle Reinhard Freiherr von Joachim Günther (Plauen)

Hubert Hüppe Bernd Neumann (Bremen) Schorlemer Dr. Karlheinz Guttmacher
Peter Jacoby Johannes Nitsch Dr. Erika Schuchardt Dr. Helmut Haussmann
Susanne Jaffke Claudia Nolte Wolfgang Schulhoff Ulrich Heinrich
Georg Janovsky Dr. Rolf Olderog Dr. Dieter Schulte Walter Hirche
Helmut Jawurek Friedhelm Ost (Schwäbisch Gmünd) Birgit Homburger
Dr. Dionys Jobst Eduard Oswald Gerhard Schulz (Leipzig) Dr. Werner Hoyer
Dr.-Ing. Rainer Jork Norbert Otto (Erfurt) Frederick Schulze Ulrich Irmer
Michael Jung (Limburg) Dr. Gerhard Päselt Diethard Schütze (Berlin) Detlef Kleinert (Hannover)
Ulrich Junghanns Dr. Peter Paziorek Clemens Schwalbe Roland Kohn
Dr. Egon Jüttner Hans-Wilhelm Pesch Dr. Christian Schwarz- Dr. Heinrich L. Kolb
Dr. Harald Kahl Ulrich Petzold Schilling Jürgen Koppelin
Bartholomäus Kalb Anton Pfeifer Wilhelm-Josef Sebastian Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann
Steffen Kampeter Angelika Pfeiffer Horst Seehofer Dr. Otto Graf Lambsdorff
Dr.-Ing. Dietmar Kansy Dr. Gero Pfennig Wilfried Seibel Sabine Leutheusser-
Manfred Kanther Dr. Friedbert Pflüger Heinz-Georg Seiffert Schnarrenberger
Irmgard Karwatzki Beatrix Philipp Rudolf Seiters Uwe Lühr
Volker Kauder Ronald Pofalla Johannes Selle Jürgen W. Möllemann
Peter Keller Dr. Hermann Pohler Jürgen Sikora Günther Friedrich Nolting
Eckart von Klaeden Ruprecht Polenz Johannes Singhammer Dr. Rainer Ortleb
Dr. Bernd Klaußner Marlies Pretzlaff Bärbel Sothmann Lisa Peters
Hans Klein (München) Dr. Albert Probst Margarete Späte Dr. Klaus Röhl
Ulrich Klinkert Dr. Bernd Protzner Carl-Dieter Spranger Helmut Schäfer (Mainz)

Manfred Kolbe Dieter Pützhofen Wolfgang Steiger Cornelia Schmalz-Jacobsen
Norbert Königshofen Thomas Rachel Erika Steinbach Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Eva-Maria Kors Hans Raidel Dr. Wolfgang Freiherr von Dr. Irmgard Schwaetzer
Hartmut Koschyk Dr. Peter Ramsauer Stetten Dr. Hermann Otto Sohns
Manfred Koslowski Rolf Rau Dr. Gerhard Stoltenberg Dr. Max Stadler
Thomas Kossendey Helmut Rauber Andreas Storm Carl-Ludwig Thiele
Rudolf Kraus Peter Harald Rauen Max Straubinger Dr. Dieter Thomae
Wolfgang Krause (Dessau) Otto Regenspurger Matthäus Strebl Jürgen Türk
Andreas Krautscheid Christa Reichard (Dresden) Michael Stübgen Dr. Wolfgang Weng
Arnulf Kriedner Klaus Dieter Reichardt Egon Susset (Gerlingen)

Heinz-Jürgen Kronberg (Mannheim) Dr. Rita Süssmuth Dr. Guido Westerwelle
Dr.-Ing. Paul Krüger Dr. Bertold Reinartz Michael Teiser
Reiner Krziskewitz Erika Reinhardt Dr. Susanne Tiemann
Dr. Hermann Kues Hans-Peter Repnik Dr. Klaus Töpfer Nein
Werner Kuhn Roland Richter Gottfried Tröger
Dr. Karl A. Lamers Roland Richwien Dr. Klaus-Dieter Uelhoff

(Heidelberg) Dr. Norbert Rieder Gunnar Uldall CDU/CSU

Karl Lamers Dr. Erich Riedl (München) Wolfgang Vogt (Duren)
Dr. Norbert Lammert Klaus Riegert Dr. Horst Waffenschmidt Sigrun Löwisch
Helmut Lamp Dr. Heinz Riesenhuber Alois Graf von Waldburg-Zeil
Armin Laschet Franz Romer Dr. Jürgen Warnke
Herbert Lattmann Hannelore Rönsch Kersten Wetzel SPD
Dr. Paul Laufs (Wiesbaden) Hans-Otto Wilhelm (Mainz)
Karl-Josef Laumann Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Gert Willner Brigitte Adler
Werner Lensing Dr. Klaus Rose Bernd Wilz Gerd Andres
Christian Lenzer Kurt J. Rossmanith Matthias Wissmann Robert Antretter
Peter Letzgus Adolf Roth (Gießen) Simon Wittmann Hermann Bachmaier
Editha Limbach Norbert Röttgen (Tännesberg) Ernst Bahr
Walter Link (Diepholz) Dr. Christian Ruck Dagmar Wöhrl Doris Barnett
Eduard Lintner Volker Rühe Michael Wonneberger Klaus Barthel
Dr. Klaus W. Lippold Dr. Jürgen Rüttgers Elke Wülfing Ingrid Becker-Inglau

(Offenbach) Roland Sauer (Stuttgart) Peter Kurt Würzbach Hans Berger

Dr. Manfred Lischewski Ortrun Schätzle Cornelia Yzer Hans-Werner Bertl
Wolfgang Lohmann Dr. Wolfgang Schäuble Wolfgang Zeitlmann Friedhelm Julius Beucher

(Lüdenscheid) Hartmut Schauerte Benno Zierer Rudolf Bindig

Julius Louven Heinz Schemken Wolfgang Zöller Arne Börnsen (Ritterhude)

Heinrich Lummer Karl-Heinz Scherhag Anni Brandt-Elsweier
Dr. Michael Luther Gerhard Scheu Tilo Braune
Erich Maaß (Wilhelmshaven) Norbert Schindler F.D.P. Dr. Eberhard Brecht
Dr. Dietrich Mahlo Dietmar Schlee Edelgard Bulmahn
Erwin Marschewski Ulrich Schmalz Ina Albowitz Ursula Burchardt
Günter Marten Bernd Schmidbauer Dr. Gisela Babel Hans Martin Bury
Dr. Martin Mayer Christian Schmidt (Fürth) Hildebrecht Braun Hans Büttner (Ingolstadt)

(Siegertsbrunn) Dr.-Ing. Joachim Schmidt (Augsburg) Marion Caspers-Merk

Wolfgang Meckelburg (Halsbrücke) Günther Bredehorn Wolf-Michael Catenhusen

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Peter Conradi Volker Kröning Ulla Schmidt (Aachen) BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Dr. Herta Däubler-Gmelin Thomas Krüger Dagmar Schmidt (Meschede)

Christel Deichmann Horst Kubatschka Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Gila Altmann (Aurich)
Karl Diller Eckart Kuhlwein Regina. Schmidt-Zadel Elisabeth Altmann
Dr. Marliese Dobberthien Konrad Kunick Heinz Schmitt (Berg) (Pommelsbrunn)
Peter Dreßen Christine Kurzhals Dr. Emil Schnell Marieluise Beck (Bremen)

Rudolf Dreßler Dr. Uwe Küster Walter Schöler Volker Beck (Köln)

Freimut Duve Werner Labsch Ottmar Schreiner Angelika Beer
Ludwig Eich Brigitte Lange Gisela Schröter Matthias Berninger
Peter Enders Detlev von Larcher Dr. Mathias Schubert Annelie Buntenbach
Gernot Erler Waltraud Lehn Richard Schuhmann Amke Dietert-Scheuer
Petra Ernstberger Robert Leidinger (Delitzsch) Franziska Eichstädt-Bohlig
Annette Faße Klaus Lennartz Reinhard Schultz Dr. Uschi Eid
Elke Ferner Dr. Elke Leonhard (Everswinkel) Andrea Fischer (Berlin)
Lothar Fischer (Homburg) Klaus Lohmann (Witten) Volkmar Schultz (Köln) Joseph Fischer (Frankfurt)
Gabriele Fograscher Christa Lörcher Ilse Schumann Rita Grießhaber
Iris Follak Erika Lotz Dr. R. Werner Schuster Gerald Häfner
Norbert Formanski Dr. Christine Lucyga Dietmar Schütz (Oldenburg) Antje Hermenau
Dagmar Freitag Dieter Maaß (Herne) Dr. Angelica Schwall-Düren Kristin Heyne
Anke Fuchs (Köln) Winfried Mante Ernst Schwanhold Ulrike Höfken
Katrin Fuchs (Verl) Dorle Marx Rolf Schwanitz Michaele Hustedt
Arne Fuhrmann Ulrike Mascher Bodo Seidenthal Dr. Manuel Kiper
Monika Ganseforth Christoph Matschie Lisa Seuster Monika Knoche
Norbert Gansel Ingrid Matthäus-Maier Horst Sielaff Dr. Angelika Köster-Loßack
Konrad Gilges Heide Mattischeck Erika Simm Steffi Lemke
Iris Gleicke Markus Meckel Johannes Singer Vera Lengsfeld
Günter Gloser Ulrike Mehl Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Helmut Lippelt
Uwe Göllner Herbert Meißner Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Oswald Metzger
Günter Graf (Friesoythe) Angelika Mertens Wieland Sorge Kerstin Müller (Köln)
Angelika Graf (Rosenheim) Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Wolfgang Spanier Winfried Nachtwei
Dieter Grasedieck Ursula Mogg Dr. Dietrich Sperling Christa Nickels
Achim Großmann Siegmar Mosdorf Jörg-Otto Spiller Egbert Nitsch (Rendsburg)

Karl-Hermann Haack Michael Müller (Düsseldorf) Antje-Marie Steen Cem Özdemir

(Extertal) Jutta Müller (Völklingen) Ludwig Stiegler Gerd Poppe

Hans-Joachim Hacker Christian Müller (Zittau) Dr. Peter Struck Simone Probst
Klaus Hagemann Kurt Neumann (Berlin) Joachim Tappe Dr. Jürgen Rochlitz
Manfred Hampel Volker Neumann (Bramsche) Jörg Tauss Halo Saibold
Christel Hanewinckel Gerhard Neumann (Gotha) Dr. Bodo Teichmann Christine Scheel
Alfred Hartenbach Dr. Edith Niehuis Margitta Terborg Irmingard Schewe-Gerigk
Dr. Liesel Hartenstein Dr. Rolf Niese Jella Teuchner Rezzo Schlauch
Klaus Hasenfratz Doris Odendahl Dr. Gerald Thalheim Albert Schmidt (Hitzhofen)

Dr. Ingomar Hauchler Günter Oesinghaus Wolfgang Schmitt
Dieter Heistermann Leyla Onur Wolfgang Thierse (Langenfeld)

Reinhold Hemker Manfred Opel Dietmar Thieser Ursula Schönberger
Rolf Hempelmann Adolf Ostertag Franz Thönnes Waltraud Schoppe
Dr. Barbara Hendricks Kurt Palis Uta Titze-Stecher Werner Schulz (Berlin)

Monika Heubaum Albrecht Papenroth Adelheid Tröscher Marina Steindor
Uwe Hiksch Dr. Wilfried Penner Hans-Eberhard Urbaniak Christian Sterzing
Reinhold Hiller (Lübeck) Dr. Martin Pfaff Siegfried Vergin Manfred Such
Stephan Hilsberg Georg Pfannenstein Günter Verheugen Dr. Antje Vollmer
Gerd Höfer Dr. Eckhart Pick Ute Vogt (Pforzheim) Ludger Volmer
Jelena Hoffmann (Chemnitz) Joachim Poß Karsten D. Voigt (Frankfurt) Frankfurt Helmut Wilhelm (Amberg)
Frank Hofmann (Volkach) Rudolf Purps Josef Vosen Margareta Wolf (Frankfurt)
Ingrid Holzhüter Hermann Rappe Hans Georg Wagner
Eike Hovermann (Hildesheim) Hans Wallow
Lothar Ibrügger Karin Rehbock-Zureich Dr. Konstanze Wegner PDS
Barbara Imhof Margot von Renesse Wolfgang Weiermann
Brunhilde Irber Renate Rennebach Reinhard Weis (Stendal) Wolfgang Bierstedt
Gabriele Iwersen Otto Reschke Matthias Weisheit Petra Bläss
Renate Jäger Bernd Reuter Gunter Weißgerber Maritta Böttcher
Jann-Peter Janssen Dr. Edelbert Richter Gert Weisskirchen (Wiesloch) Eva Bulling-Schröter
Ilse Janz Günter Rixe Jochen Welt Heinrich Graf von Einsiedel
Dr. Uwe Jens Reinhold Robbe Hildegard Wester Dr. Ludwig Elm
Volker Jung (Düsseldorf) Gerhard Rübenkönig Lydia Westrich Dr. Dagmar Enkelmann
Sabine Kaspereit Dr. Hansjörg Schäfer Inge Wettig-Danielmeier Dr. Ruth Fuchs
Susanne Kastner Gudrun Schaich-Walch Dr. Norbert Wieczorek Dr. Gregor Gysi
Ernst Kastning Dieter Schanz Heidemarie Wieczorek-Zeul Hanns-Peter Hartmann
Hans-Peter Kemper Bernd Scheelen Dieter Wiefelspütz Dr. Uwe-Jens Heuer
Klaus Kirschner Dr. Hermann Scheer Berthold Wittich Dr. Willibald Jacob
Marianne Klappert Siegfried Scheffler Dr. Wolfgang Wodarg Ulla Jelpke
Siegrun Klemmer Horst Schild Verena Wohlleben Gerhard Jüttemann
Hans-Ulrich Klose Otto Schily Hanna Wolf (München) Dr. Heidi Knake-Werner
Dr. Hans-Hinrich Knaape Dieter Schloten Heidi Wright Rolf Köhne
Walter Kolbow Günter Schluckebier Uta Zapf Rolf Kutzmutz
Fritz Rudolf Körper Horst Schmidbauer Dr. Christoph Zöpel Dr. Christa Luft
Nicolette Kressl (Nürnberg) Peter Zumkley Heidemarie Lüth

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Dr. Günther Maleuda Enthalten
Manfred Müller (Berlin)

Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel CDU/CSU
Christina Schenk
Steffen Tippach
Klaus-Jürgen Warnick Renate Blank
Dr. Winfried Wolf Ernst Hinsken
Gerhard Zwerenz Dr. Winfried Pinger
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Ladenschlußgesetzes, Drucksache 13/4975 Buchstabe b. Der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf auf Drucksache 13/201 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine. Damit ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der CDU/CSU und der F.D.P. gegen die Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der PDS angenommen.
Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/4975 die Annahme von Entschließungen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der CDU/CSU und der F.D.P. gegen die Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der PDS angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 16 und Zusatzpunkt 7 auf:
16. Erste Beratung des von den Abgordneten Ottmar Schreiner, Rudolf Dreßler, Christel Hanewinckel, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beseitigung des Mißbrauchs der Geringfügigkeitsgrenze in der Sozialversicherung
- Drucksache 13/3301 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend) Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Gesundheit
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
ZP7 Beratung des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Dauerhafte Beschäftigungen sozialversichern - Drucksache 13/4969 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend)

Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Dagegen gibt es keinen Widerspruch. Wir verfahren so.
Ich eröffne die Aussprache. Als erste bitte ich die Kollegin Leyla Onur ans Rednerpult.

Leyla Onur (SPD):
Rede ID: ID1311407100
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit Ihrer Entscheidung zum Ladenschlußgesetz, sehr geehrte Kollegin und Kollegen von den Mehrheitsfraktionen, haben Sie heute gleichzeitig beschlossen, daß über die derzeit bestehenden 500 000 geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse hinaus weitere hunderttausende im Handel entstehen werden.

(Uwe Lühr [F.D.P.]: Unfug!)

Schon 1992 waren laut des Forschungsberichtes des Institutes für Sozialforschung 4,5 Millionen Männer und Frauen in ungeschützten Beschäftigungsverhältnissen tätig. Das war allein in den alten Bundesländern eine Million mehr als 1987. Neuere Zahlen liegen nicht vor. Das Mittelstandsinstitut Niedersachsen jedoch schätzt, daß es inzwischen etwa 6 Millionen 590-DM-Jobs gibt. Trotz dieser dramatischen Zunahme ungeschützter Arbeitsverhältnisse in den letzten Jahren haben Sie, die Sie die Mehrheit in diesem Hause haben, heute vormittag Ihre sozialpolitische Verantwortung an der Garderobe abgegeben.

(Beifall bei der SPD und der PDS)

Sie haben den Arbeitgebern im Einzelhandel den Vorwand geliefert, weitere Hunderttausende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nur noch geringfügig zu beschäftigen.

Dr. Norbert Blüm (CDU):
Rede ID: ID1311407200
Was schert mich mein Geschwätz von gestern? Genauer gesagt: sein Geschwätz vom 19. November 1995 im Deutschlandfunk. Gefragt nach der Problematik versicherungsfreier Beschäftigungsverhältnisse im Zusammenhang mit dem Ladenschluß hat er geantwortet:
Was wir nicht hinnehmen können, ist, daß ganze Betriebsabteilungen, ganze Kolonnen umstellen von einem normalen Arbeitsverhältnis auf diese Geringfügigkeit.

(Vorsitz : Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch)

Der Sozialstaat verliert Beitragszahler. Anschließend beschweren sich dieselben, die das organisieren, daß die Beiträge steigen. Ja, wenn die Beitragszahler flüchten, dann müssen die Zurückgebliebenen mehr zahlen. Das kann ich nicht hinnehmen, und deshalb muß dieser Flucht aus sozialstaatlichen Pflichten der Riegel vorgeschoben werden.
Ich frage Sie, Herr Blüm: Wer flüchtet hier aus sozialstaatlichen Pflichten? Nicht die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sondern die Arbeitgeber, die sozialversicherungspflichtige Teil- und Vollzeitarbeitsplätze abbauen und ihre Beschäftigten bzw. Arbeitsuchende zwingen, einen 590-DM-Job zu akzeptieren oder gar keine Arbeit zu bekommen.
Ich frage Sie weiterhin, Herr Blüm: Wann wollen Sie endlich den besagten Riegel vorschieben? Wann tun Sie endlich etwas gegen den Mißbrauch von geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen? Markige Worte haben wir und insbesondere die Betroffenen

Leyla Onur
oft genug von Ihnen gehört. Wann folgen endlich die Taten?
Wie Sie selbst in Ihrem Beitrag im „Deutschlandfunk" festgestellt haben, Herr Blüm, erfüllen diese Arbeitsverhältnisse nicht mehr den gewünschten Zweck, vorübergehende Personalengpässe in den Betrieben aufzufangen, also einen zeitlich flexiblen Personaleinsatz zu ermöglichen. Geringfügige Beschäftigungsverhältnisse werden mißbräuchlich genutzt und wirken wie eine Subvention ungeschützter Arbeitsverhältnisse, die von Beitragszahlern, also von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, finanziert werden müssen. Dieser Mißbrauch widerspricht eklatant dem Grundsatz der Wettbewerbsneutralität auf dem Arbeitsmarkt und muß schnellstens beseitigt werden.
Die SPD-Bundestagsfraktion bringt deshalb heute - wie übrigens schon 1994 - einen Gesetzentwurf zur Beseitigung des Mißbrauchs der Geringfügigkeitsgrenze in der Sozialversicherung ein. Unser Gesetzentwurf enthält die notwendigen Regelungen zur Beseitigung objektiv vorhandener sozialer Defizite und Mißbrauchsmöglichkeiten. Er läßt weiter den zeitlich flexiblen Personaleinsatz zu, soweit er betriebswirtschaftlich notwendig ist und im Interesse der Beschäftigten liegt.
Unsere Vorschläge berücksichtigen die Interessen der Beschäftigten und der Betriebe, denn sie stellen die Wettbewerbsneutralität auf dem Arbeitsmarkt wieder her, indem Arbeitgeber generell ab einer Bagatellgrenze auch für geringfügig Beschäftigte beitragspflichtig werden. Dadurch werden sowohl Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber, die heute ausschließlich oder überwiegend sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer beschäftigen, entlastet, weil unser Vorschlag zu Beitragssenkungen führt.
Die Beschäftigten sollen, differenziert nach Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung, persönlich nur dann versicherungspflichtig werden, wenn ein Schutzbedürfnis besteht oder der Grundsatz der solidarischen Finanzierung der Sozialversicherung dieses erfordert.
Meine Redezeit erlaubt mir nicht, auf alle Einzelheiten unseres Entwurfes einzugehen. Ich nenne heute nur einige wichtige Elemente.
Die bisherige Geringfügigkeitsgrenze in der Sozialversicherung von derzeit 590 DM und die Geringverdienergrenze von 610 DM werden aufgehoben. Kurzzeitige Beschäftigung wie Saisonarbeiten und Krankheitsvertretungen bis zu zwei Monaten oder fünfzig Arbeitstagen unabhängig vom Verdienst bleiben sozialversicherungsfrei. Für Dauerarbeitsbeschäftigungsverhältnisse mit einem Arbeitsentgelt unter einer Bagatellgrenze von 82 DM bzw. 68 DM pro Monat werden keine Versicherungsbeiträge erhoben. Das heißt, in beiden Fällen zahlen weder Arbeitgeber noch Arbeitnehmer Beiträge.
Darüber hinaus werden Arbeitgeber generell beitragspflichtig. Das gilt auch, wenn sie Schüler, Studenten, Rentner, Selbständige und Beamte geringfügig beschäftigen. Diese generellen Arbeitgeberbeiträge führen zu Beitragsmehreinnahmen und entsprechenden Beitragssenkungen. Das ist ein Baustein zur Absenkung der Lohnnebenkosten im Interesse aller Beschäftigten und der Betriebe.
Unser Entwurf schert auch künftig nicht alle Arbeitnehmer über einen Kamm, sondern beinhaltet notwendige Differenzierungen. Das heißt, auch künftig soll ein Teil der geringfügig Beschäftigten versicherungsfrei bleiben, beispielsweise Beschäftigte unterhalb der ehemaligen 590-DM-Grenze, wenn sie bisher nicht dem System der gesetzlichen Krankenversicherung angehört haben.
Diese Regelung verhindert, daß beispielsweise Ehepartner und -partnerinnen von Selbständigen und Beamten durch Zahlung von Minimalbeiträgen einen billigen Versicherungsschutz zu Lasten der Solidargemeinschaft erhalten. Auch Schüler, Studenten, Beamte, Selbständige und Angestellte über der Beitragsbemessungsgrenze bleiben versicherungsfrei.
In der Rentenversicherung sollen Schüler, Studenten und Beamte versicherungsfrei bleiben. In der Arbeitslosenversicherung bleibt es im wesentlichen bei der Versicherungsfreiheit für Kurzzeitbeschäftigte unter bisher 18 Stunden nach geltendem Recht und neu 17 Stunden.
Beitragspflichtig werden künftig alle anderen geringfügig Beschäftigten, auch unterhalb der 590-DM-Grenze, wenn sie bisher in einer gesetzlichen Krankenversicherung persönlich oder familienversichert waren. Diese Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer leisten damit ihren solidarischen Beitrag zur Krankenversicherung und erwerben gleichzeitig individuelle, uneingeschränkte Leistungsansprüche, wie zum Beispiel den Anspruch auf Krankengeld.
Die allgemeine Beitragspflicht der Beschäftigten in die Rentenversicherung - die Ausnahmen habe ich genannt - führt selbst bei noch so niedrigen Beiträgen zur Verbesserung der Alterssicherung, insbesondere von Frauen. Die notwendigen Ergänzungen im Leistungsrecht, um überproportionale Rentenvorteile zu verhindern, sind in unserem Entwurf natürlich enthalten.
Zur Arbeitslosenversicherung sei in der Kürze der verfügbaren Zeit nur beispielhaft angeführt, daß die Kurzzeitbeschäftigten bei neu 17 Stunden versicherungsfrei bleiben. Jedoch wird für alle Beschäftigten ein reiner Arbeitgeberbeitrag eingeführt, auch für Schüler, Studenten und Rentner. Diese Arbeitgeberbeiträge in die Arbeitslosenversicherung begründen keine Ansprüche auf Arbeitslosengeld, jedoch auf Geldleistungen bei Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen. Dieses sogenannte Unterhaltsgeld kommt insbesondere Frauen zugute, die ins Erwerbsleben zurückkehren wollen.
Unsere Vorschläge, meine Damen und Herren von den Mehrheitsfraktionen, führen nicht zu nennenswerten zusätzlichen Leistungsansprüchen in der Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung. Die ausdrücklich gewünschten zusätzlichen Leistungsansprüche an die Rentenversicherung werden erst

Leyla Onur
langfristig wirksam und sind durch Beitragsmehreinnahmen gedeckt.
Generell erreichen wir durch interne Umschichtungen der Sozialversicherungsbelastungen zwischen den Beitragszahlern Beitragsmehreinnahmen und gleichzeitig Beitragssenkungen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Die genauen Zahlen können Sie in unserem Entwurf nachlesen.
Meine Damen und Herren von der Mehrheitskoalition, Herr Bundesarbeitsminister, bisher heute haben Sie nichts, aber auch gar nichts getan, um dem Mißbrauch einen Riegel vorzuschieben, also den Mißbrauch zu beseitigen. Die SPD-Bundestagsfraktion ist sich ihrer sozialpolitischen Verantwortung bewußt und legt deshalb heute diesen Gesetzentwurf vor. Holen Sie auch Ihre sozialpolitische Verantwortung wieder von der Garderobe ab, und beschließen Sie mit uns gemeinsam dieses überfällige Gesetz.
Danke schön.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1311407300
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Julius Louven.

Julius Louven (CDU):
Rede ID: ID1311407400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Instrument der geringfügig Beschäftigten ist seinerzeit eingeführt worden, um dem Mittelstand die Möglichkeit zu geben, Auftragsspitzen abzufangen. Vom Mittelstand und von den Beschäftigten wird diese unkomplizierte Regelung sehr geschätzt. Ich hätte beispielsweise mein Geschäft nicht führen können, wenn es dieses Instrument nicht gegeben hätte.
Frau Onur, Sie reden davon, daß 4,5 Millionen Deutsche in ungeschützten Arbeitsverhältnissen seien. Nun muß man wohl diese Zahl ein wenig zurechtrücken. In diesen 4,5 Millionen Beschäftigten ist sowohl derjenige mitgezählt, der im Jahr zwölfmal 590 DM verdient, wie auch derjenige oder diejenige, der oder die einmal im Jahr 100 DM verdient. Aus diesem Grunde muß man mit der Zahl von 4,5 Millionen wohl vorsichtig sein.

(Leyla Onur [SPD]: Die Zahlen sind aus dem BMA!)

Wir haben, als wir erkannten, daß es in diesem Bereich Mißbrauch gibt, in der Vergangenheit gehandelt. Wir haben die Meldepflicht eingeführt, wir haben den Sozialversicherungsausweis eingeführt, wir haben die Betriebe verpflichtet, auch für diesen Bereich Lohnunterlagen zu führen.
Ich verkenne nicht, daß wir auch heute noch Mißbrauch haben. Insbesondere bekümmert es uns, daß offensichtlich auf Grund des großen Kostendrucks die Unternehmen sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse in geringfügige umwandeln.
So ist dieses Instrument nicht gedacht, und wir arbeiten mit Nachdruck daran, um diesen Mißbrauch hier verhindern zu können. Aber um es in aller Klarheit zu sagen: Wir stellen das Instrument geringfügige Beschäftigung nicht in Frage. Der Mittelstand braucht dieses Instrument.
Sie kommen nun mit einem Vorschlag in Ihrem Gesetzentwurf, dem wir nicht folgen können, wo ich eigentlich nur sagen kann: ein typischer SPD-Entwurf - regulieren, komplizieren. Das, was Sie vorschlagen, ist nicht handhabbar. Die unterschiedlichen Regelungen für die einzelnen Sozialversicherungszweige führen zu einem gewaltigen Verwaltungsaufwand,

(Leyla Onur [SPD]: Das ist falsch!)

und das wird unter dem Strich nichts bringen. Mal gibt es einen Leistungsanspruch in einem Sozialversicherungssystem, mal gibt es keinen. In der Rentenversicherung ist eine individuelle Regelung vorgesehen, wo minimale Rentenansprüche entstehen, wo aber andererseits Leistungsansprüche erwachsen, besonders im Bereich von Reha.
Ihre Regelungen führen - das muß ich Ihnen so deutlich sagen - direkt in die Schwarzarbeit. Wenn das, was Sie fordern, Wirklichkeit würde, dann würden viele mittelständische Betriebe im Einverständnis mit vielen Arbeitnehmern in Schwarzarbeit ausweichen. Dann fehlten auch noch die Steuereinnahmen.
Im übrigen sind diese Arbeitsverhältnisse nicht völlig rechtlos. Die Arbeitnehmer haben nach dieser Regelung Anspruch auf Urlaub, auf Feiertagsbezahlung, auf Lohnfortzahlung, auf Kündigungsschutz. Hier davon zu reden, sie seien völlig rechtlos, ist falsch.
Wenn Sie uns eben vorgeworfen haben, Frau Kollegin Onur, wir hätten unsere sozialpolitische Gesinnung heute mit der Verabschiedung des Ladenschlußgesetzes an der Garderobe abgegeben, so muß ich dies zurückweisen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Nehmen Sie bitte zur Kenntnis: Wir arbeiten daran, den hier erkennbaren Mißbrauch zu beseitigen. Aber nehmen Sie bitte auch zur Kenntnis: Wir stellen das Instrument nicht in Frage. Ihre Vorschläge lehnen wir ab, weil sie zu kompliziert sind, weil sie nicht handhabbar sind.
Sie können davon ausgehen, daß wir in absehbarer Zeit mit Vorschlägen kommen, die besser, handhabbarer sind, mit denen dann auch die mittelständische Wirtschaft und die 590-Mark-Beschäftigten leben können.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1311407500
Das Wort hat die Abgeordnete Annelie Buntenbach.

Annelie Buntenbach (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1311407600
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Louven, wir reden heute nicht zum erstenmal in dieser Legislatur über geringfügige Beschäftigung. Wenn Sie jetzt sagen, Sie arbeiten mit Hoch-

Annelie Buntenbach
druck daran, daß dieser Mißbrauch beseitigt wird, dann hätte ich eigentlich erwartet, daß schon lange ein Vorschlag auf dem Tisch liegt; denn Sie wissen genau, daß dieses Problem wirklich drängend ist.

(Julius Louven [CDU/CSU]: Wir sind noch nicht fertig, Frau Kollegin!)

Es war bis jetzt nicht nur die Opposition, die das Problem zum Thema gemacht hat. Ich will zwei der Äußerungen, die in diesem Rahmen gefallen sind, einmal zitieren.
Die erste:
Die Lage von Frauen ist sehr verschieden. Schaffen wir nicht erneut Altersarmut für die nachfolgenden Frauengenerationen! Deswegen sage ich abschließend noch einmal: Dieses Parlament kommt nicht umhin, sich mit den geringfügig Beschäftigten zu befassen.
Ein zweites Zitat.
Teilzeitarbeitsplätze sind sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze. Dem Mißbrauch der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse müssen
wir entgegenwirken. Darin stimmen wir überein.
Das erste Zitat stammt von Frau Süssmuth aus einer Debatte anläßlich des Internationalen Frauentages 1995, das zweite von Frau Ministerin Nolte anläßlich des Internationalen Frauentages 1996. Bevor Sie jetzt am nächsten 8. März wieder in einer Sonntagsrede Zustände beklagen, die Sie ändern können, sollten Sie endlich etwas unternehmen, um das Problem zu lösen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)

Statt dessen verschärfen Sie die brisante Situation noch. Mit Ihrer Verlängerung der Ladenschlußzeiten, die eben beschlossen worden ist, erreichen Sie nicht nur, daß die Konzentration im Einzelhandel sich weiter zuspitzt und daß dezentrale Versorgungsstrukturen zerstört werden, sondern es werden auch ungeschützte Beschäftigungsverhältnisse ausgeweitet. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche; spätestens die Anhörung hat dies eindeutig ergeben.
Dabei ist das Problem jetzt schon riesengroß. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse haben in den letzten Jahren - das hat Frau Onur schon dargestellt - erschreckende Ausmaße angenommen. Dazu gehören Teilzeitarbeit, die nicht ausreichend abgesichert ist, geringfügige Beschäftigung unterhalb der Sozialversicherungspflicht, Scheinselbständigkeit, Heimarbeit, Leiharbeit, unständige Beschäftigung usw. Der Billiglohnsektor wird von Ihnen aufgebläht, und die Flucht aus der Sozialversicherung wird zur Massenbewegung.
Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, unternehmen nichts dagegen. Im Gegenteil, Sie fördern diese Entwicklung noch, indem Sie für all diese Formen von Beschäftigung keinen vernünftigen Ordnungsrahmen schaffen, sondern mit Ihrem arbeitsrechtlichen Maßnahmenbündel weiter deregulieren. In dem AFG-Entwurf, den Sie gestern eingebracht haben, drehen Sie weit über die Schmerzgrenze hinaus an der Zumutbarkeitsschraube. Damit wollen Sie die Menschen zwingen, jede Arbeit unter jeder Bedingung anzunehmen.
In 590-DM-Jobs arbeiten zum größten Teil Frauen. Diese Beschäftigungsverhältnisse unterhalb der Sozialversicherungspflicht werden immer mehr zu einem systematischen Mittel von Personalplanung, insbesondere im Handel, in der Gebäudereinigung und im Gaststättengewerbe. Vollzeit- oder abgesicherte Teilzeitarbeitsplätze werden in Bruchteilbeschäftigungen zerlegt, und Neueinstellungen finden vielfach nur noch zu 590-DM-Konditionen statt, um von Arbeitgeberseite die Sozialversicherungskosten zu sparen.
Gerade in der harten Konkurrenzsituation, in der zum Beispiel der Handel in Ostdeutschland mit bekanntlich 50 Prozent Überkapazität steht, wird an Personal- und Sozialversicherungskosten und an der Logistik gespart. Wer das nicht tut, sondern seine Angestellten vernünftig absichert, hat in diesem Konkurrenzkampf von vornherein die schlechteren Karten.
Das ist eine Wettbewerbsverzerrung, und Sie setzen eine Dumpingspirale in Gang, wie sie sich ganz deutlich im Einzelhandel zeigt. Dort hat sich in den letzten zehn Jahren schon die Zahl der geringfügig Beschäftigten verdoppelt, und zwar zu Lasten von sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen. Sie müssen hier endlich eingreifen und einen ordnungsrechtlichen Rahmen schaffen, mit dem Sie die Sozialversicherungspflicht für jede dauerhafte Beschäftigung sicherstellen und in diesem Sinn für alle Unternehmen die gleichen Bedingungen herstellen.
Das Mindeste ist aber, den Anreiz für die Unternehmen zu beseitigen, auf diese für sie ja ungemein billigen Arbeitsverhältnisse zurückzugreifen.

(Julius Louven [CDU/CSU]: So billig sind die nicht, Frau Kollegin!)

Faktisch läuft hier doch eine versteckte Dauersubvention dieser Unternehmen durch diejenigen, die mit ihren Beiträgen das soziale Sicherungssystem finanzieren; denn wenn bei den Unternehmen die Sozialversicherung eingespart wird, trägt die Folgekosten für die mangelhafte Absicherung der Menschen die Allgemeinheit.
Die Allgemeinheit und die Beschäftigten zahlen letztlich die Zeche. In solchen Arbeitsverhältnissen - das habe ich eben schon gesagt - sind zum allergrößten Teil Frauen beschäftigt. Sie haben keinen Zugang zu einer eigenständigen sozialen Absicherung. Die Krankenversicherung läuft über das bekanntlich unstabile Konstrukt des Familienernährers, so er denn vorhanden ist. Es gibt keine Mark für die Arbeitslosenversicherung und für Rentenansprüche. Für viele Frauen heißt das, im Alter auf Sozialhilfe angewiesen zu sein, anstatt eine eigene Rente zu bekommen. Dann wird ihnen die Rechnung für ihre Doppelbelastung, die darin besteht, in dieser Gesellschaft immer noch für Kindererziehung und Haushalt meist allein verantwortlich zu sein, noch einmal präsentiert.

Annelie Buntenbach
Diesen Frauen nutzen auch keine großartigen Sonntagsreden oder hehre Absichtserklärungen, wie auch dieses Haus sie schon abgegeben hat, als erklärt wurde, durch einen Zugang zu eigenständiger sozialer Absicherung zur Gleichstellung von Frauen in der Gesellschaft beitragen zu wollen. Dann tun Sie es endlich!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vorschläge aus den Reihen der Opposition liegen auf dem Tisch, als einen Schritt hin zur eigenständigen sozialen Absicherung von Frauen die Geringfügigkeitsgrenze bis auf eine Bagatellgrenze abzuschaffen. Die Wege unterscheiden sich. Daß ich unseren Ansatz für den besseren halte, wird Sie kaum wundern.
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, stellen mir in Ihrem Antrag die Sanierung der Sozialkassen zu sehr in den Vordergrund, wenn Sie trotz gezahlter Sozialversicherungsbeiträge eine Reihe von gerade für die Frauen wichtigen Ansprüchen wie das Auffüllen von Anwartschaftszeiten für die Rente aus den Leistungen ausschließen. Wenn eingezahlt wird, kann man die Leute nicht aus solchen zentralen Leistungen ausschließen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Aber darüber werden wir uns in den Ausschußberatungen genauer auseinandersetzen.
Eine wesentliche Sache haben die Oppositionsparteien in diesem Hause der Regierung voraus, nämlich die Grundentscheidung: Wir wollen jede dauerhafte Beschäftigung sozialversichern.
Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, jetzt sind Sie dran: Lassen Sie Ihren Sonntagsreden endlich praktische Politik folgen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1311407700
Ich gebe das Wort der Abgeordneten Dr. Gisela Babel.

Dr. Gisela Babel (FDP):
Rede ID: ID1311407800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mindestens einmal pro Legislaturperiode bittet die SPD den Bundestag um Zustimmung zur Sozialversicherungspflicht für 590-Mark-Verträge. Diesen Entwurf haben wir fast wortgleich im Jahre 1994 beraten und dazu eine Anhörung im Ausschuß durchgeführt. Die Stellungnahmen der Verbände, der Versicherungen und vor allem der Sachverständigen waren durchweg ablehnend. Das hindert Sie aber nicht, tapfer immer wieder dasselbe zu versuchen.

(Ulrich Irmer [F.D.P.]: Nicht lernfähig! Leyla Onur [SPD]: Weil es richtig ist und auch richtig bleibt!)

Dabei sprechen und schreiben Sie von „Mißbrauch"

(Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]:Und Sie fordern dies!)

und folgern dies aus der Zahl von 4,5 Millionen geringfügig Beschäftigten. Dieselbe Zahl haben Sie auch 1994 schon angeführt.

(Leyla Onur [SPD]: Das tut Herr Blüm auch!)

Zumindest gibt es also keinen Zuwachs in diesem Bereich.
Von „Mißbrauch" spricht die Bundesregierung - korrekterweise - in ihrer Antwort auf die von meiner Kollegin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger unterzeichneten Kleinen Anfrage dagegen nur in zwei Fällen: dann nämlich, wenn offiziell nur eine geringfügige Beschäftigung vereinbart wird, verdeckt aber höhere Entgelte geleistet werden, oder wenn ein Arbeitnehmer mehrere geringfügige Beschäftigungen hat, aber gesetzeswidrig keine Sozialversicherungsabgaben abführt.
Auch hinsichtlich der exakten Zahlen herrscht Unklarheit. Wie Sie auf 4,5 Millionen kommen, weiß ich nicht.

(Ulrich Irmer [F.D.P.]: Die konnten doch noch nie rechnen! Leyla Onur [SPD]: Das Bundesarbeitsministerium hat die gegeben!)

Der Mikrozensus von 1990 beziffert die Zahl der ausschließlich geringfügig Beschäftigten, also ohne Nebentätigkeitsverhältnisse, auf 1,5 Millionen. Der Mikrozensus von April 1994 nennt - ohne die Nebentätigkeiten - 1,8 Millionen. Die Bundesregierung, die diesen Zahlen unerklärlicherweise ebenfalls mißtraut, geht von 2,9 Millionen aus. Vielleicht ließen sich diese Widersprüche einmal aufklären.
Was ist nun überhaupt der Grund dafür, daß die SPD die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse in die Sozialversicherungspflicht überführen will? Interessant ist, daß Sie gar nicht sozialpolitisch argumentieren. Sie behaupten, es gehe Ihnen um die Wettbewerbsneutralität auf dem Arbeitsmarkt. Offensichtlich hat sich inzwischen auch bei Ihnen die Erkenntnis durchgesetzt, daß die Einbeziehung der 590-
Mark-Verträge in die Sozialversicherungspflicht sozialpolitisch nicht nur nicht geboten, sondern geradezu schädlich ist. Dazu lassen Sie mich einiges sagen.
Zunächst einmal: „Ungeschützte Arbeitsverhältnisse" ist der falsche Ausdruck. Die in 590-Mark-
Verträgen Beschäftigten unterliegen - das wissen Sie - voll den Schutzbestimmungen des Arbeitsrechts.

(Beifall bei der F.D.P.)

Die Einbeziehung in die Versicherungspflicht für Arbeitnehmer darüber hinaus ist in keinem Punkt erstrebenswert. Beispiel Krankenversicherung: Gerade einmal 1 Prozent der sozialversicherungsfrei Beschäftigten genoß 1992 keinen Krankenversicherungsschutz. Alle anderen waren familienversichert, als Studenten oder Rentner versichert oder anderweitig abgesichert.
Die SPD sieht in ihrem Gesetzentwurf daher vor, daß eine Abgabe an die Krankenversicherung dann zu zahlen ist, wenn der Betroffene anderweitig versi-

Dr. Gisela Babel
chert ist. Auf diesen Punkt möchte ich Ihre besondere Aufmerksamkeit lenken. Also: Man soll versichert werden, wenn man schon versichert ist.

(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Das macht doch keinen Sinn!)

So werden zum Beispiel Millionen von Hausfrauen, die bisher voll familienversichert sind, plötzlich abgabepflichtig, ohne daß sich an ihrem bisherigen Versicherungsschutz nur das Geringste ändert. Es entstehen zwar zusätzliche Beiträge, aber keine zusätzlichen Leistungen. Hier wird unter dem sozialpolitischen Deckmäntelchen schlicht abkassiert.
Beispiel Rentenversicherung: Alle geringfügig Beschäftigten sollen in die Versicherungspflicht einbezogen werden. Begründung: Jede noch so geringe Aufstockung der Altersversorgung ist erstrebenswert. Sie wissen, daß man den Frauen mit einem solchen Rentenanspruch gerade einmal 30 DM im Monat gibt. Die Auffassung, daß das der sozialpolitische Durchbruch zu der eigenständigen Sicherung der Frau sein kann, ist doch wohl schlicht daneben.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Auch wir glauben, daß das Thema Alterssicherung der Frauen angegangen werden muß, aber doch nicht bei diesen Minibeschäftigungsverträgen. Es da hineinzuziehen, ist meiner Ansicht nach reine Nebelwerferei. Bei diesen kleinen Verträgen bringt das ganz bestimmt nichts; da ist das Porto, das man aufbringen muß, um die Beiträge abzuführen, ja fast schon höher als die Leistung.

(Beifall bei der F.D.P.)

Wie wäre es denn nun, wenn das Gesetz der SPD in Kraft träte? Sie sprechen selbst von einer internen Umschichtung der Sozialversicherungsbelastung in einem Volumen von 6,9 Milliarden DM. Das soll eine Absenkung der Sozialversicherungsbeiträge ermöglichen. Das ist Ihre Version.
Zunächst einmal: Von Umschichtung kann überhaupt nicht die Rede sein. Sie verteuern die Arbeit einfach. Das ist Ihr Beitrag zur Entlastung von Arbeit.

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

Zum zweiten: In die Sozialkassen spülen Sie nur dann mehr Geld - hören Sie gut zu -, wenn sich an der Zahl der versicherungspflichtigen Verhältnisse nichts ändert, das heißt, wenn das Volumen erhalten bleibt.
Aber jetzt mache ich Sie auf eines aufmerksam: Für den Arbeitgeber, der heute schon 20 Prozent Lohnsteuer zahlt - er muß also schon 120 DM abführen -, würden noch einmal 20 Prozent, also weitere 120 DM fällig. Für die Arbeitnehmer wären es 370 DM statt 590 DM. Ich prophezeie Ihnen daher, daß die einzige Folge die sein wird, daß der Bundesarbeitsminister verlautbaren muß, daß es eine Explosion bei der Schwarzarbeit gibt. Es wird solche Verträge in diesem Volumen nicht mehr geben, weil sie einfach zu teuer sind.
Zum Schluß möchte ich insgesamt zu dem Gesetzentwurf Stellung nehmen. Es ist ein kleines Segment. Arbeit sollte in unserem Staat frei von Abgaben und Versicherungsbeiträgen sein. Sicher, wir haben die 20prozentige Lohnsteuer. Wir haben die Verträge durch Bedingungen schon eingeengt. Die Insel der Freiheit ist also ganz klein. Aber diejenigen, die diese Beschäftigungsform nutzen, drängen darauf, daß es so bleibt. Es ist ein dringender Appell der Arbeitgeber. Es ist auch ein dringender Appell zum Beispiel der Unternehmerinnen, die die Parlamentarier zu Gesprächen eingeladen haben. Hören wir bitte damit auf, Ameisen melken zu wollen, und lassen wir die 590-DM-Verträge unangetastet!
Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P.)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1311407900
Ich gebe das Wort der Abgeordneten Petra Bläss.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1311408000
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Plazierung dieser Aussprache zur Beseitigung des Mißbrauchs der Geringfügigkeitsgrenze und zur Sozialversicherungspflicht jeder dauerhaften Beschäftigung ist zweifellos symbolisch. Mich macht nicht nur das vorherige Abstimmungsergebnis wütend, sondern vor allem auch die dürftige Anwesenheit bei dieser Debatte. Sie zeugt davon, daß man sich weigert, sich mit den Konsequenzen der Entscheidung, die getroffen worden ist, auseinanderzusetzen.

(Beifall bei der PDS)

Vorhin wurde mit der Annahme des Ladenschlußgesetzes der Weg für eine unermeßliche Zergliederung der Arbeit frei gemacht. Zu Recht haben Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter davor gewarnt, daß eine Verlängerung der Ladenöffnungszeiten zur massenhaften Umwandlung von Vollzeit- in Teilzeit- und vor allem in 590- bzw. 500-DM-Jobs für Frauen führen wird.
Wenn DAG-Chef Roland Issen in diesem Zusammenhang darauf verweist, daß mit den heutigen 590-DM-Arbeitskräften die Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger der Zukunft geschaffen werden, so stößt uns das unmittelbar auf das Thema Altersarmut. „Gegen Armut und Abhängigkeit - für eine eigenständige Alterssicherung von Frauen" - dieses Thema werden wir ja in einigen Stunden diskutieren.
Bezeichnend ist, daß das Gesetz, das die Ursachen von Armut produziert, von der Regierungskoalition kommt, und die Initiativen zu deren Beseitigung allein der Opposition vorbehalten sind. „Tendenz steigend" lautet das einmütige Analyseergebnis von Untersuchungen zum Ausmaß prekärer Beschäftigungsverhältnisse. Insofern ist jede Initiative, etwas gegen die Ausweitung und den Mißbrauch von geringfügiger Beschäftigung zu tun, begrüßenswert.
Ich finde es schon symbolisch, daß unsere Frauenministerin einzig und allein zur Abstimmung zum La-

Petra Blass
denschlußgesetz hierherkommt und genau bei dieser Debatte den Raum wieder verläßt,

(Beifall bei der PDS und der SPD)

obwohl sie nach der Weltfrauenkonferenz in Peking keine Gelegenheit ausgelassen hat, in jeder Sonntagsrede darauf hinzuweisen, daß einer ihrer Schwerpunkte ist, den Mißbrauch mit ungeschützten Beschäftigungsverhältnissen abzubauen.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Die taucht doch immer ab, wenn es um Frauen geht!)

Allerdings bezweifeln wir, daß das Anliegen mit den Vorschlägen des SPD-Gesetzentwurfs erreicht werden kann, wenngleich wir mit dem Grundanliegen übereinstimmen. Wir haben eher den Eindruck, daß das Sozialversicherungssystem damit noch mehr verkompliziert wird und die Transparenz für die Versicherten völlig auf der Strecke bleibt.

(Julius Louven [CDU/CSU]: Ja, Frau Onur!)

- Herr Louven, wir können darüber ja noch reden. Das ist erst einmal ein Vorschlag. Sie haben einen solchen Vorschlag nicht gemacht.
Wenn Sie die Geringfügigkeitsgrenze zwar abschaffen, aber zwischen der neu eingeführten Bagatellgrenze und der ehemaligen Geringfügigkeitsgrenze besondere Versicherungsverhältnisse schaffen, ist das wohl wenig hilfreich.
Für Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung soll nur der Arbeitgeber Beiträge zahlen, was damit begründet wird, daß bis auf das Unterhaltsgeld keine Leistungsansprüche entstehen. Bei der Rentenversicherung sollen beide, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Beiträge entrichten, gerade aber die Elemente des Rentenrechts, die für Frauen einen gewissen Ausgleich für Diskriminierungen bringen, wie zum Beispiel die Rente nach Mindestentgeltpunkten und der Rentenbeginn mit 60 Jahren, nicht aktiviert werden. Die Kollegin Buntenbach hat auf diesen Knackpunkt schon verwiesen.
Ihr Gesetzentwurf bringt vor allem mehr Geld in die Kassen der Sozialversicherung und sichert nicht vorrangig die prekär Beschäftigten. Damit verharrt der Gesetzentwurf in der einst angedachten Struktur, bei der man davon ausging, daß geringfügige Beschäftigung eine zusätzliche Beschäftigung von bereits Versicherten ist, also eine Ausnahme in der Sozialversicherung darstellt. Mittlerweile aber hat sich die geringfügige Beschäftigung zum Regelfall von Arbeitsbeziehungen und Preiskalkulationen in verschiedenen Wirtschaftsbereichen entwickelt.
Herr Kollege Louven, sicher ist die Gruppe der geringfügig Beschäftigten äußerst heterogen. Entscheidend aber ist, daß für rund 1 Million Frauen in diesem Land diese Arbeit die einzige Erwerbsquelle ist.
Insofern reflektiert der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen die bestehende Situation. Für die Beschäftigten, für die kein anderes Arbeitsverhältnis zustande kommt, soll ein normaler Zugang zur Sozialversicherung ermöglicht werden.
Als kontraproduktiv sehen wir allerdings die Koppelung der Versicherung jeder dauerhaften Beschäftigung an die Errichtung eines Dienstleistungspools an. Anstatt Bedingungen für eine Verbindung von Berufstätigkeit und Familienarbeit zu schaffen, legitimiert die Dienstmädchenoffensive den weiteren Rückzug des Staates aus öffentlichen Dienstleistungen wie den Abbau kommunaler und betrieblicher Dienstleistungsangebote.

(Beifall bei der PDS)

Die traditionelle geschlechtsspezifische Rollenzuweisung wird damit zementiert. Heraus kommt ein skurriles Erwerbsarbeitsmodell: Die eine Hälfte der Gesellschaft ermöglicht mit billiger Arbeit und Verzicht der anderen Hälfte die Teilnahme an Wettbewerb und Konsum. Das soll nun der moderne Weg in das 21. Jahrhundert sein? Ich nenne das antiquiert.
Geringfügige Beschäftigung muß unseres Erachtens für Beschäftigte sicher und für Arbeitgeber unlukrativ gemacht werden. Dazu schlägt die PDS in ihrem Grundsicherungsantrag neben der Versicherungspflicht für jede Stunde Arbeit die alleinige Tragung beider Beitragsanteile durch den Arbeitgeber vor, wenn der Verdienst des Beschäftigten bzw. der Beschäftigten unter dem Existenzminimum bleibt.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1311408100
Sie müssen zum Schluß kommen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1311408200
Der letzte Satz: So könnte ein Stimulus geschaffen werden, daß Arbeit nicht, wie bisher, weiter zergliedert wird, sondern reguläre Arbeitsverhältnisse bestehen bleiben oder entstehen.

(Beifall bei der PDS)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1311408300
Ich gebe dem Abgeordneten Peter Dreßen das Wort.

Peter Dreßen (SPD):
Rede ID: ID1311408400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir wollen mit diesem Gesetzentwurf, den meine Kollegin Onur erläutert hat, wieder einen Rechtszustand herstellen, der einen Mißstand beseitigen soll und wieder mehr Gerechtigkeit schaffen wird.
Niemand konnte erahnen, daß die Subventionen von Arbeitsplätzen dieses Ausmaß annehmen würden. - Frau Babel ist leider schon weg.

(Ulrich Irmer [F.D.P.]: Sie läßt sich entschuldigen; sie mußte dringend weg! Ich sage es ihr aber gern weiter!)

- Ich habe Verständnis dafür, daß man zu dieser Zeit nicht mehr anwesend ist. Ich wollte ihr nur sagen - sie hat die Zahlen bezweifelt -, daß die Zahl 4,5 Millionen von Staatssekretär Günther auf eine Frage der Kollegin Löwisch hin hier im Parlament genannt wurde; das ist in Drucksache 13/3094 nachzulesen. Man sollte diese Zahlen also nicht bezweifeln und damit Nebenkriegsschauplätze eröffnen.
Erstens: Hier wird auf dem Rücken der Beschäftigten das Solidaritätsprinzip bei den Sozialversicherun-

Peter Dreßen
gen schamlos eklatant verletzt. Zweitens findet eine Selbstausbeutung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer statt. Drittens subventioniert der Staat, also wir alle, Arbeitsverhältnisse in ungeahntem Ausmaß.
Wer also dauernd davon spricht, daß Subventionen abgebaut werden müssen, der hat hier die einmalige Chance, Taten folgen zu lassen. Dabei schaue ich in Richtung F.D.P. Es ist doch ein Unding, daß viele Arbeitgeber nach dem Motto handeln: Teile einen Vollarbeitsplatz in drei sogenannte 590-DM-Jobs auf, und du hast viel Geld gespart!
Das Zitat von Frau Nolte wurde hier schon erwähnt. Obwohl diese Erkenntnis nicht neu ist, frage ich mich: Wann tut die Regierung eigentlich etwas? Herr Louven hat hier verkündet, daß schon einiges getan worden ist. Das aber, was getan worden ist, erinnert mich an den Feuerwehrmann, der mit einem Eimer Wasser auf eine komplett brennende Scheune zuläuft.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben nämlich mit dem, was Sie bisher getan haben, wirklich nichts erreicht, um diesen Mißstand zu beseitigen. Wenn man einen Mißbrauch erkennt, dann muß man ihn doch abstellen dürfen.
„Selbsterkenntnis ist der beste Weg zur Besserung" sagt ein Sprichwort.

(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Das ist ein kluges Wort!)

Aber selbst solche Binsenweisheiten treffen auf diese Regierung leider nicht zu.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1311408500
Eine Sekunde. Meine Herren Geschäftsführer, der Redner hat Herrn Louven angesprochen, und Sie verdecken ihn. Das finde ich nicht so gut.
Bitte, fahren Sie fort.

Peter Dreßen (SPD):
Rede ID: ID1311408600
Sie beschneiden mit Ihrem Horrorkatalog die Sozialleistungen, weil die Zahl der Beitragszahler durch die hohe Arbeitslosenquote immer weiter sinkt, statt darüber nachzudenken, wie man ein Stück mehr Gerechtigkeit schaffen kann. Mit der Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf kämen Sie der Gerechtigkeit ein Stück näher.
Wenn ich mir Ihre Standortberichte anschaue, muß ich immer wieder feststellen: Sie betonen, daß Ihnen das Kartell der Arbeitsplatzbesitzer ein Dorn im Auge sei. Nach Ihrer Logik sind die Löhne für eine Steigerung der Beschäftigung zu hoch. Da Sie noch nicht - ich sage: noch nicht; bei der F.D.P. würde ich dieses „noch nicht" weglassen - in die Tarifautonomie eingreifen wollen oder können oder sich noch nicht trauen, arbeiten Sie mit Hochdruck daran, die Rahmenbedingungen so zu verändern, daß der Druck auf die Beschäftigten zunimmt.
Dazu gehört der rasante Anstieg der Zahl von 590-DM-Jobs. Weitere Beispiele, die dieser Logik folgen, sind: das lasche Verfolgen von illegaler Beschäftigung einschließlich des Debakels beim Entsendegesetz; die früheren Umwelt-Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, wobei für 100 Prozent Arbeit 80 Prozent Lohn gezahlt werden; die Verschärfung der Zumutbarkeitskriterien für Arbeitslose, die dazu führt, daß Beschäftigte Arbeit unter Tarif annehmen müssen. Die forcierte Heranziehung von Sozialhilfeempfängern für gemeinnützige Arbeit führt zwangsläufig dazu, daß reguläre Arbeitsverhältnisse kaputtgehen. Gartenbauunternehmen haben dazu einige Briefe geschrieben. Wer sich diesem Lohndumping entziehen will, der wird mit Sperrzeiten belegt und von der CDU als jemand, der in der sozialen Hängematte liegt, verteufelt.

(Julius Louven [CDU/CSU]: Nur dann, wenn er nicht arbeiten will!)

Wie wir gestern in diesem Hohen Hause vernommen haben, wird alles durch das neue Arbeitslosenkatastrophengesetz, von Ihnen als Reform des Arbeitsförderungsgesetzes umschrieben, nur noch verschärft. Arbeitslose mit geringen Vermittlungschancen sollen benutzt werden, um noch Beschäftigte mit geringer Qualifikation beim Lohn unter Druck zu setzen.
Diesen Zusammenhang muß man sehen, wenn man die Praxis der 590-DM-Jobs diskutiert und debattiert. Von solchen Niedriglöhnen sind in erster Linie Frauen und Männer mit einfacher oder fehlender Berufsausbildung betroffen.
Ihre Politik führt zur Segmentierung, man könnte auch sagen: zur Spaltung der Gesellschaft.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Am Ende haben wir auf der einen Seite diejenigen, die in kreativen, hochproduktiven und gut bezahlten Bereichen 40 Stunden und länger arbeiten, denen aber zugleich die Zeit fehlt, sich um ihre Kinder zu kümmern - deswegen die Änderung der Ladenschlußzeiten und ähnliches -, die sich also am gesellschaftlichen Leben nicht beteiligen können. Auf der anderen Seite stehen alle diejenigen, die auf Billigjobs angewiesen sind. Auch sie können am gesellschaftlichen Leben nicht teilnehmen, und zwar, weil ihnen die finanziellen Mittel fehlen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Dies läuft wiederum auf eine Teilung der Gesellschaft in die da oben, die reich sind, und in die da unten, die arm sind, hin.
Ich will Ihnen noch etwas sagen, Herr Louven: Schauen Sie sich einmal an, was in den USA passiert. Dort gibt es Stadtviertel, in denen 20 Sheriffs ein Wohngebiet bewachen müssen und in denen ein paar Bodyguards die Kinder in die Schule bringen. Auf einen solchen Staat möchte ich verzichten; in eine solche Richtung möchte ich nicht. Genau das er-

Peter Dreßen
reichen Sie aber, wenn Sie weiterhin zulassen, daß die Arbeitsplätze in dieser Weise geteilt werden.

(Julius Louven [CDU/CSU]: Neulich hat Herr Lafontaine hier auf Amerika verwiesen!)

Ich will kein neues Zeitalter, in dem Herrschaftshäuser und Dienstboten wieder die Regel werden. Statt gut bezahlte Arbeit zu teilen bzw. für Solidarität zwischen den Einkommensgruppen von seiten des Staates zu sorgen, forcieren Sie die Teilung der Gesellschaft. Wir müssen deshalb Rahmenbedingungen setzen, die solche Ausuferungen verhindern. Dazu gehört, daß wir alle Beschäftigungsverhältnisse, von geringen Ausnahmen abgesehen, wieder sozialversicherungspflichtig machen. Die heutigen 590-DM-
Jobs werden von einigen - ich sage bewußt: von einigen - Arbeitgebern genutzt, um Voll- oder abgesicherte Teilzeitarbeitsplätze zu vernichten. Dies zu verhindern ist für uns der wichtigste Aspekt für die Vorlage unseres Gesetzentwurf es.
Betroffene sind in großem Ausmaß - das habe ich schon erwähnt - die Frauen. Es wird oft gesagt: In der Ehe ist man ja mitversichert. Sie vergessen allerdings, Herr Louven, daß es heute sehr viele alleinstehende Frauen gibt. Auch Trennungen führen dazu, daß Frauen nicht mitversichert sind. Sie müssen in diesem Zusammenhang auch berücksichtigen, daß es Personen gibt, die diese Mitversicherung haben. Aber haben Sie sich einmal gefragt, ob es solidarisch ist, wenn Sie diese Leute aus der Sozialversicherungspflicht herausnehmen? Wir haben doch den Grundsatz, daß jeder, der arbeitet, seinen Anteil an der Sozialversicherungspflicht erbringen muß. Genau dem widersetzen Sie sich permanent.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Die bisherigen Bemühungen zur Vermeidung der Altersarmut von Frauen, etwa durch Kindererziehungszeiten, laufen meines Erachtens ins Leere. Sie würden mit der Annahme des Gesetzentwurfs diese Altersarmut zumindest mildern.
Die geringfügige Beschäftigung hat trotz einiger gewerkschaftlicher Erfolge für die Betroffenen mehr Nachteile als Vorteile. Ich darf nur daran erinnern, daß es oft noch immer keine Lohnfertzahlung im Krankheitsfall gibt und daß der Urlaub sehr häufig nicht gewährt wird, obwohl es Tarifverträge gibt. Wir wissen, daß es in der Praxis eben anders läuft; denn selten werden bei diesen Arbeitsverhältnissen Kontrollen durchgeführt. Es gibt immer noch riesige Nachteile.
Ich bin der Meinung, daß von der Partei der Besserverdienenden, der F.D.P., nicht zu erwarten ist, daß sie dem Gesetz zustimmt. Aber ich bin schon stark enttäuscht, wie sich die CDU in dieser Angelegenheit verhält: Ich glaube, angesichts der Entwicklung der CDA würde sich Adolf Kolping im Grabe umdrehen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD Uwe Lühr [F.D.P.]: Sie sind ein Kleingeist!)

Für uns Sozialdemokraten ist es unerträglich, daß normale Arbeitsverhältnisse permanent vernichtet werden, um die vorhandene Arbeit mit den geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen zu erledigen. Angesichts von 4,3 Millionen registrierten Arbeitslosen ist es an der Zeit, daß Sie handeln.

(Uwe Lühr [F.D.P.]: Welch ein Dünnbrettbohrer!)

Über 4,5 Millionen geringfügig Beschäftigte sind ein Skandal. Ich frage mich: Wie wollen Sie die Arbeitslosigkeit denn wirksam bekämpfen? Uns werfen Sie immer vor, wir hätten keine Konzepte.

(Uwe Lühr [F.D.P.]: Das ist wenigstens wahr!)

Dieses Gesetz würde dafür sorgen, daß mindestens einige 100 000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen entstehen. Wenn Sie uns beim Entsendegesetz gefolgt wären, hätten wir jetzt 150 000 Beschäftigte mehr und weitere 100 000, wenn Sie uns bei der Überstundenregelung folgen würden. Wenn Sie unseren ASFG-Entwurf übernehmen würden, kämen Sie noch einmal auf 500 000 Beschäftigte.
Sie sehen: Wir haben Konzepte. Wir sind sicher, daß diese Konzepte irgendwann von der Bevölkerung anerkannt werden und wir den Rückhalt erhalten, diese Gesetze durchsetzen zu können.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte zum Schluß noch ein Wort an den Bundesarbeitsminister richten. Er ist zwar nicht da, aber vielleicht kann er es im Protokoll nachlesen.

(Julius Louven [CDU/CSU]: Der Stellvertreter ist da!)

- Ja, der Stellvertreter ist anwesend.
Ich bin tief betroffen über die vielen Schweinereien, die der Bundesarbeitsminister beim Zurückschneiden der vielen sozialen Gesetze hier vertritt.

(Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Ungeheuerlich!)

Ich bin betroffen darüber, wie er das alles immer wieder verkauft, und ich frage mich, ob der Bundesarbeitsminister am Morgen noch in den Spiegel sehen kann. Eigentlich wäre es notwendig, daß er seinen Hut nimmt; denn was er der deutschen Arbeitnehmerschaft zumutet, ist ein Unding.

(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Das glauben Sie doch selber nicht!)

- Doch, Frau Schnieber-Jastram.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1311408700
Herr Kollege Dreßen, Ihre Redezeit ist bei weitem überschritten. Sie müssen zum Schluß kommen.

Peter Dreßen (SPD):
Rede ID: ID1311408800
Ja, ich bin gleich fertig. - Ich wollte nur sagen: Wenn jemand mit Sozialgesetzen so umgeht, wie der Bundesarbeitsminister, dann hat

Peter Dreßen
er es einfach nicht verdient, sich Sozial- und Arbeitsminister dieser Republik zu nennen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1311408900
Ich geben das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Rudolf Kraus.

Rudolf Kraus (CSU):
Rede ID: ID1311409000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Dreßen, ich werde gern dem Herrn Bundesarbeitsminister über Ihre Rede berichten. Ich bin nur nicht sicher, welches von beiden ich ihm sagen soll: daß Sie sehr betroffen oder aber sehr beeindruckt waren von der Art und Weise, wie es dem Bundesarbeitsminister immer wieder gelingt, darzulegen, wie die wohlverstandenen Interessen der deutschen Arbeitnehmer hier im Parlament zu vertreten sind.

(Peter Dreßen [SPD]: Betroffen!)

Sie haben das Thema, welches wir heute diskutieren, sehr weit gefaßt, Herr Dreßen. Unter anderem haben Sie darauf hingewiesen, daß wir das Entsendegesetz nicht gut gemacht hätten. Ich sage Ihnen eines: Ich glaube, wir haben beim Entsendegesetz das gemacht, was notwendig ist. Daß es Schwierigkeiten gibt, das hat nicht die Politik zu vertreten. Das wissen auch Sie.
Ich denke, daß es nicht im Interesse der Sozialdemokraten wäre, massiv in die Tarifautonomie einzugreifen. Das wird auch meines Erachtens immer weniger gefordert.
Ihre Vorstellung, daß wir Leute, die jung und gesund sind und nicht durch Erziehungspflichten abgehalten werden, einer Arbeit nachzugehen, die aber trotzdem Sozialhilfe bekommen, in besonderer Weise schonen sollten, liegt, glaube ich, nicht im Interesse der ganz großen Mehrheit unseres Volkes, die sehr wohl bereit ist, Opfer auf sich zu nehmen und für sich selber zu sorgen. Ich denke, diese Teilung können wir, falls Sie das so aufgefaßt haben sollten, durchaus vertreten.
Im übrigen haben Sie einen Gesetzentwurf vorgelegt, zu dem meine Vorredner bereits festgestellt haben, daß er im wesentlichen ein Aufguß dessen ist, was bereits im Jahre 1984 und früher gesagt worden ist. Daß zwischenzeitlich eine Anhörung stattgefunden hat, die sehr differenzierte Ergebnisse gebracht hat, nehmen Sie offenbar überhaupt nicht zur Kenntnis. Man fragt sich, warum derartige Anhörungen dann überhaupt gemacht werden.
Sie versuchen hier den Eindruck zu erwecken, als ob die Tatsache, daß jede Beschäftigung mit einem Betrag von mehr als 82 DM bzw. mehr als 70 DM in den neuen Ländern prinzipiell versicherungspflichtig gemacht würde, ein ganz großer Schritt in Richtung auf sozialen Schutz der Betroffenen wäre. Das glauben wir nicht.
Es ist ja so, daß die arbeitsrechtliche Lage der geringfügig Beschäftigten weitgehend derjenigen der Vollbeschäftigten entspricht. In der gesetzlichen Unfallversicherung sind sowieso alle erfaßt. Wie Frau Babel ausgeführt hat, sind insgesamt 99 Prozent krankenversichert, wenn auch, zum Beispiel als Hausfrau, in erster Linie über den Ehemann.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, man muß auch sagen, was bei der Rentenversicherung passiert. Die Auffassung, man könne, indem man derartige geringfügige Beschäftigungsverhältnisse der Rentenversicherungspflicht unterwirft, einen wesentlichen Beitrag zur Bekämpfung der Altersarmut leisten, ist falsch. Wenn Sie geringfügig mehr als 82 DM verdienen, würden Sie einen Rentenanspruch von monatlich 1 DM oder etwas weniger erwerben. Wenn Sie 590 DM rentenversicherungspflichtig machen, dann erwerben Sie einen Rentenanspruch von 6,40 DM. Damit können Sie die Altersarmut nicht wirksam bekämpfen.
Etwas anders ist das bei dem, was wir mit der Anerkennung der Erziehungszeiten gemacht haben. Dadurch wird immerhin pro Jahr ein Rentenanspruch von derzeit etwas über 34 DM monatlich erworben.
Sie versuchen den Eindruck zu erwecken, als ob diese Versicherungspflicht ein wesentlicher Beitrag zur Konsolidierung der Sozialkassen wäre. Auch das wird sich vermutlich als nicht richtig herausstellen, weil nämlich den geringen Beitragsleistungen ganz erhebliche Leistungsverpflichtungen der Sozialversicherung gegenüberstehen würden. Ich denke hier nur an die Kuren und derartige Dinge, die in einem Mißverhältnis zu dem geleisteten Beitrag stehen würden.
Die weitgehende Abschaffung derartiger Arbeitsverhältnisse - das wurde insbesondere auch von Herrn Louven ausgeführt - würde insbesondere im Bereich der mittelständischen Betriebe in vielen Branchen zu ganz erheblichen Schwierigkeiten führen.
Ganz besonders wichtig ist die Tatsache, daß, wie wir aus Umfragen wissen, die Betroffenen selber gar kein Interesse daran haben, sozialversicherungspflichtig beschäftigt zu werden. Das gilt jedenfalls für den größeren Teil derer, die befragt worden sind.
Wir sind übrigens nicht gegen jede Änderung, sondern wir denken nur, daß die Änderungen wirklich durchdacht sein und sehr behutsam vorbereitet werden müssen. Auf dem Papier, Herr Dreßen, läßt sich alles mögliche lösen, aber ich glaube, es ist Aufgabe der Politik, das Mögliche und Sinnvolle zu verwirklichen. Ich muß mir bei jeder politischen Maßnahme überlegen, was am Ende dabei herauskommt. Wenn die Alternative weniger Beschäftigung ist, weil verschiedene Arbeiten dann, wenn sie zu teuer gemacht werden, nicht mehr nachgefragt werden oder weil die Betroffenen in Illegalität oder Schwarzarbeit ausweichen, dann komme ich zu dem Schluß, daß sich das, was ich vielleicht gut gemeint will, zum Schlechteren wenden wird.

(Beifall bei der F.D.P.)




Parl. Staatssekretär Rudolf Kraus
Die Bundesregierung hat übrigens immer wieder gesagt - sie ist auch darum besorgt -, daß wir die mit Sicherheit stattfindenden Mißbräuche beseitigen müssen. Wir sind dabei, eine entsprechende gesetzliche Regelung vorzulegen. Auf die Maßnahmen, die wir bereits hinsichtlich des Sozialversicherungsausweises, der Meldepflicht und ähnlicher Dinge getroffen haben, hat Herr Louven schon ausreichend hingewiesen.
Ich möchte nur noch auf einen Punkt kurz zu sprechen kommen: Sie wissen ja, daß wir derzeit versuchen, eine Regelung für die Förderung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung in Privathaushalten zu verwirklichen. Die Rahmenbedingungen sollen deutlich verbessert werden. Das soll durch die Verdoppelung der steuerlich anrechenbaren Beträge auf der einen Seite und durch den Wegfall bisher bestehender behindernder Regelungen auf der anderen Seite geschehen. Das wollen wir arbeitgeberfreundlich und verwaltungsfreundlich durch das Haushaltsscheck-Verfahren gestalten. Ich denke, das wird sehr viel dazu beitragen, das Problem, das heute zur Debatte steht, zu beseitigen.
Lassen Sie mich noch einmal zusammenfassen: Das Problem ist außerordentlich vielschichtig. Es wird nicht geleugnet, daß Handlungsbedarf besteht. Wir wollen versuchen, die Mißbräuche zu beseitigen, ohne dadurch allerdings mehr Schaden anzurichten als Nutzen zu stiften. Genau dieser Punkt veranlaßt uns, den Gesetzentwurf, den die SPD vorgelegt hat, abzulehnen.
Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1311409100
Ich schließe damit die Aussprache.
Herr Kollege Dreßen, da der Bundesarbeitsminister im Saal ist, können Sie ihm nun alles selber sagen.

(Peter Dreßen [SPD]: Das ist nun vorbei!)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Drucksachen 13/3301 und 13/4969 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17a bis 17i und Zusatzpunkt 10 auf:
17a) Erste Beratung des von den Abgordneten Erwin Marschewski, Wolfgang Zeitlmann, Dr. Rupert Scholz, Erika Steinbach und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Max Stadler, Cornelia Schmalz-Jacobsen und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung straf-, ausländer- und asylverfahrensrechtlicher Vorschriften
- Drucksache 13/4948 -
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß (federführend)

Rechtsausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes
- Drucksache 13/3331 -
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß (federführend)

Rechtsausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
c) Erste Beratung des von der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Gruppe der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ausländergesetzes
- Drucksache 13/3626 -
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß (federführend)

Rechtsausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes/EWG
- Drucksachen 13/3941, 13/4340 -
Überweisungsvorschlag;
Innenausschuß (federführend)

Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Gruppe der PDS
Abschiebestopp für algerische Flüchtlinge
- Drucksache 13/1891 -
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß (federführend) Auswärtiger Ausschuß
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), Christa Nickels, Cem Özdemir, Amke Dietert-Scheuer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Verhinderung von Abschiebungen in den Sudan
- Drucksache 13/2361 -
Überweisungsvorschlag:
innenausschuß (federführend) Auswärtiger Ausschuß
Rechtssausschuß
g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), Amke DietertScheuer, Cem Özdemir und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Schutz für Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge
- Drucksache 13/3430 -
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß (federführend) Auswärtiger Ausschuß
Haushaltsausschuß
h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), Amke DietertScheuer, Christa Nickels und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN



Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Altfallregelung für seit langem hier lebende Asylsuchende
- Drucksache 13/3877 -
Überweisungsvorschlag: Innenausschuß (federführend)

i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), Amke DietertScheuer, Christa Nickels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
Menschenrechtlich orientierte Asyl- und Flüchtlingspolitik
- Drucksache 13/4379 -
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß (federführend)

Auswärtiger Ausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für die Angelegenheiten
der Europäischen Union
ZP10 Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ausländergesetzes
- Drucksache 13/4981 -
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß (federführend) Rechtsausschuß
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Abgeordneten Erwin Marschewski.

Erwin Marschewski (CDU):
Rede ID: ID1311409200
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und F.D.P. unterbreiten heute dem Deutschen Bundestag eine Reform des Ausländer- und Asylverfahrensrechts. Wir haben dazu das im Januar 1991 beschlossene und in Kraft getretene Ausländergesetz auf den Prüfstand gestellt; wir haben fünf Jahre Erfahrung berücksichtigt. Wir haben bei den Beratungen dieses Gesetzentwurfes natürlich auch Vorschläge der Oppositionsfraktionen mit berücksichtigt, mit dem Ziel, die Ausländerpolitik fortzuentwickeln.
Dieses Ziel wird insbesondere durch zwei Schwerpunkte geprägt:
Erstens. Wir wollen die Integration der hier lebenden Ausländer verbessern.
Zweitens. Wir wollen aber die Ausländer, die gegen Recht und Gesetz verstoßen oder die sich unrechtmäßig in Deutschland aufhalten, ausweisen können.
Das Ergebnis unserer Überlegungen stellt der Koalitionsentwurf dar, der zweierlei offenbart:
Erstens. Das Ausländerrecht hat sich im großen ganzen bewährt.
Zweitens. Die letzten fünf Jahre haben jedoch gezeigt, daß in einzelnen Bereichen Verbesserungen nötig sind. Dies gilt insbesondere für das Recht der Aufenthaltsbeendigung, was dadurch verdeutlicht worden ist, daß gewalttätige Ausschreitungen durch Kurden im März dieses Jahres in Dortmund erfolgen konnten.
Ausländer, die Gewalt anwenden, die unsere Rechtsordnung vorsätzlich gröblich verletzen, die schwere Straftaten begehen, sollen nicht darauf vertrauen dürfen, in Deutschland bleiben zu können. Diese kleine Gruppe von Ausländern ist vielmehr abzuschieben. Ich meine, wer die Integration der ausländischen Bevölkerung in Deutschland verbessern will, der muß auch dafür Sorge tragen, daß diese Aufgabe nicht durch eine kleine Zahl von Rechtsbrechern gefährdet wird.
Daher haben wir beschlossen: Wer bei einer Demonstration Gewalt gegen Menschen oder Sachen verübt und wer dabei Schußwaffen mit sich führt oder plündert oder eine schwere Körperverletzung begeht, der wird zwingend ausgewiesen. Auch wer bei einer verbotenen Demonstration einfachen Landfriedensbruch begeht, muß Deutschland verlassen.
Bisher scheiterten Ausweisungen und Abschiebungen insbesondere deswegen, weil immer festgestellt werden mußte, daß der Ausländer im Einzelfall die öffentliche Sicherheit und Ordnung bedrohte und daß Wiederholungsgefahr bestand. Deswegen haben wir § 48 Ausländergesetz verändert.
Schwerwiegende, die Ausweisung rechtfertigende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung liegen danach in der Regel bei allen Ist-Ausweisungsgründen vor, also bei schwerem Landfriedensbruch, bei verbotenen Demonstrationen und einfachem Landfriedensbruch und bei einer Verurteilung zu mehr als drei Jahren Freiheitsstrafe.
Das bedeutet, daß insbesondere Rädelsführer, aber nicht nur die, jetzt konsequent ausgewiesen und abgeschoben werden können. Ich erwarte dabei, daß die Länder von der Verfahrensabsprache, die wir mit der Türkei getroffen haben, häufiger Gebrauch machen als in der Vergangenheit.
Ich meine, es ist gut, daß sich die Türkei uns gegenüber noch einmal verpflichtet hat, die in ihr Heimatland zurückzuführenden Kurden strikt nach Recht und Gesetz zu behandeln, daß sie uns vor eventuellen Abschiebungen über Art und Maß etwa zu erwartender Strafverfolgungsmaßnahmen informiert und daß jederzeit Ärzte und Rechtsanwälte bei Vernehmungen und auch danach anwesend sein können.
Mit der Ausweisung Gewalttätiger, die dann möglich wird, nützen wir natürlich der deutschen Bevölkerung, aber wir nützen vor allen Dingen den Kurden, die hier leben und sich überwiegend - zu 99 Prozent - rechtstreu verhalten.

(Otto Schily [SPD]: Erzählen Sie nicht solchen Unsinn! - Das ist bisher schon möglich!)


Erwin Marschewski
- Nein, das war bisher nicht möglich, Herr Kollege Schily. § 48 Ausländergesetz, von dem ich gerade gesprochen habe, setzte voraus, daß in jedem Einzelfall eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung bevorstand. Das heißt, es mußte die Wiederholungsgefahr in bezug auf mittlere und schwere Kriminalität konkret nachgewiesen werden. Deswegen war die Ausweisung nicht möglich.
Ich gebe Ihnen in einem Punkt recht: Ich habe schon damals erwartet, daß die Länder vom Ausländerrecht und seinen Möglichkeiten strikt Gebrauch machen. Aber dieser Fall gilt hier nicht, er ist anders.
Wir mußten auch das Asylverfahrensgesetz ändern, allerdings nicht wegen der Entscheidung der Karlsruher Richter und Richterinnen zum Asylrecht. Das Bundesverfassungsgericht hat unsere Asylrechtskonzeption - das wissen Sie - voll bestätigt, und die damaligen Kritiker der Reform hatten unrecht. Das gilt für die Drittstaatenregelung, das gilt für die Regelung hinsichtlich der sicheren Herkunftsstaaten, und das gilt auch für die Flughafenregelung.
Wir begrüßen diese Entscheidung. Ich meine, das Asylrecht kann seine friedensstiftende Wirkung wie seit dem Tag seines Inkrafttretens weiter entfalten.
Wir mußten das Asylverfahrensrecht wegen anderer Ungereimtheiten ändern, die sich in der Praxis zeigten; denn immer wieder war festzustellen, daß Asylbewerber, während ihr Verfahren lief, in ihre Heimat zurückkehrten. Sie zeigten damit doch, daß ihnen dort keine Verfolgung drohte. Das wird in Zukunft nicht mehr möglich sein.
Eine zweite Änderung hielten wir für erforderlich: Es war nicht mehr hinnehmbar, daß jemand, der sich in Abschiebehaft befand, automatisch aus der Haft entlassen wurde, wenn er einen Asylantrag stellte. Das wird in Zukunft nicht mehr zwingend sein.
Ein zweiter Teil des Ausländerrechts betrifft die Erleichterungen für die hier lebenden Ausländerinnen und Ausländer. Ich meine, der bedeutsamste Punkt ist die Neuregelung des eigenständigen Aufenthaltsrechts des Ehegatten nach Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft. Dieses Recht wird zukünftig, wenn wir uns mit dem Gesetzentwurf durchsetzen, großzügiger gewährt.
Erhielten namentlich mißhandelte und vergewaltigte ausländische Ehefrauen bisher erst nach vier Jahren, in besonderen Härtefällen nach drei Jahren Ehe im Bundesgebiet ein eigenständiges Aufenthaltsrecht, so wird in Zukunft dieses Aufenthaltsrecht zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte bereits dann erteilt werden können, wenn die Frau ein Jahr in Deutschland verheiratet ist. Dasselbe gilt natürlich für Männer.
Ich meine, daß wir mit diesem Recht dem Schicksal mißhandelter Frauen besser Rechnung tragen als in der Vergangenheit.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1311409300
Herr Kollege Marschewski, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Wolf?

Erwin Marschewski (CDU):
Rede ID: ID1311409400
Bitte schön.

Hanna Wolf (SPD):
Rede ID: ID1311409500
Herr Kollege, Sie haben das eigenständige Aufenthaltsrecht in § 19 angesprochen. Dieser Paragraph ist gerade hinsichtlich seiner Auswirkung in Zusammenhang mit Gewalt in Ausländerehen schon seit Jahren in der Diskussion. Wir haben hierzu bis jetzt keine Änderung erreicht.
Ihr Vorschlag ist: Wenn nach einem Jahr Ehe eine außergewöhnliche Härte vorliegt, ist die Bundesregierung so gnädig, den betroffenen Frauen ein eigenständiges Aufenthaltsrecht zu gewähren. Können Sie mir bitte erklären, was Sie unter „außergewöhnlicher Härte" verstehen? Wieso muß sich eine Frau eigentlich ein Jahr der Gewalt in einer Ehe aussetzen? Ich finde, damit ist dem Schutz dieser Frauen in der Bundesrepublik nicht Genüge getan. Warum müssen sie ein Jahr lang Gewalt aushalten, um das Aufenthaltsrecht zu bekommen?

(Beifall der Abg. Ulla Jelpke [PDS])

Könnten Sie mir erklären, warum Sie diese Regelung anstreben?

Erwin Marschewski (CDU):
Rede ID: ID1311409600
Erstens. Es ist ein Fortschritt. Wir kommen Ihnen mit dieser Regelung entgegen. Sie sollten sie zunächst einmal loben.

(Beifall des Abg. Ulrich Irmer [F.D.P.] Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich dachte, es geht um die Frauen! Cern Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollten den Frauen entgegenkommen!)

Zweitens. Sie wissen doch, daß es in Deutschland auch eine Menge Scheinehen gibt und daß dieses Aufenthaltsrecht - das zeigt die praktische Erfahrung mit dem Ausländerrecht - leider sehr oft mißbraucht wird. Gehen Sie zu den Ausländerämtern nach München, Frankfurt usw. Sie werden feststellen: Dieses Recht wird leider mißbraucht.
Drittens. Wir haben dem Gesetzentwurf eine Begründung angefügt. In ihr haben wir dargestellt, was wir unter „außergewöhnlicher Härte" verstehen. Ich bitte Sie, das nachzulesen. Ich kann es auch kurz zusammenfassen.
„Außergewöhnliche Härte" liegt natürlich vor, wenn eine Frau vergewaltigt wird, wenn Kinder vergewaltigt werden, wenn die Erziehung der Kinder gefährdet wird. Das sind die Fälle, die wir an Hand eines Katalogs genau beschrieben haben. Unsere Frauengruppe hat sich da besonders engagiert. Diesen Damen danke ich sehr herzlich.
Aus der Sicht der betroffenen Frauen könnte eine noch kürzere Frist besser sein; das räume ich ein. Aber ich warne auch vor der praktischen Möglichkeit von Mißbrauch. Das ist die Problematik dabei.
Ich will in meiner Rede fortfahren. Haben Sie Verständnis dafür. Ich glaube, daß wir gerade in diesem Bereich einen Fortschritt erzielt haben. Wir haben

Erwin Marschweski
versucht, den Ausländerinnen und Ausländern auch in diesem Punkt vernünftig entgegenzukommen.
Wir haben weitere Verbesserungen vorgesehen: für behinderte ausländische Kinder, für junge Ausländer, die sich in Ausbildung befinden, und für die ältere Ausländergeneration; denn diese wird bei der Rückkehr in die Heimat ihr Aufenthaltsrecht in Deutschland künftig nicht verlieren. Damit ist einem alten Anliegen der älteren Ausländergeneration Rechnung getragen worden, die nach Beendigung ihres Erwerbslebens ihren Lebensabend in der Heimat verbringen möchte, aber auch die Möglichkeit behalten will, zum Beispiel für längere Aufenthalte zu ihren Kindern nach Deutschland zu kommen. Das sind Erleichterungen im Ausländerrecht.
Wir haben im Ausschuß darüber hinaus - sie gehört nicht unmittelbar zu dem Paket, ich will sie aber erwähnen, weil sie Gegenstand anderer Anträge ist - eine Härtefallregelung beschlossen. Demnach werden abgelehnte Asylbewerber mit Kindern nach sechs Jahren, andere nach neun Jahren Aufenthalt in Deutschland ein Aufenthaltsrecht erhalten, wobei die Integration natürlich Voraussetzung ist.
Dies beinhaltet aber auch die Zusage der Länder, zirka 335 abgelehnte Asylbewerber, die bislang nicht zur Ausreise gebracht wurden, in ihre Heimat zurückzuführen. Ich erwarte von den Ländern, dieser Verpflichtung konsequent nachzukommen.
Leider gibt es da Anlaß zur Sorge; denn offensichtlich sind nicht alle Landesregierungen gewillt - namentlich die rot-grünen Regierungen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen -, das zu tun. Sie haben nämlich besondere Härtefallkommissionen eingesetzt. Ich denke, dies konterkariert die Entscheidung der Ausländerbehörden, dies konterkariert die Entscheidung der Gerichte. Das Recht wird verletzt, wenn die Länder weiterhin so handeln.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1311409700
Herr Kollege Marschewski, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schily?

Erwin Marschewski (CDU):
Rede ID: ID1311409800
Bitte schön, Herr Schily.

Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1311409900
Herr Kollege Marschewski, es gehört zwar nicht unmittelbar zu der Thematik, die wir heute diskutieren; aber ich glaube, wenn wir über Aufenthaltsrecht und ähnliches reden, muß man auch die Regelung der Staatsangehörigkeit im Blickfeld haben. Deshalb würde mich an der Stelle interessieren, ob es in der Koalition eine Mehrheit zu den interessanten Vorstellungen geben wird, die einige Ihrer Kollegen in der CDU/CSU-Fraktion in dieser Richtung entwickelt haben.

Erwin Marschewski (CDU):
Rede ID: ID1311410000
Ich könnte Sie jetzt auch nach Dingen fragen, die nicht hierhergehören. Ich will Ihre Frage trotzdem beantworten. Herr Kollege Schily, diese Koalition und gerade die Innenpolitiker haben in den zwei Jahren seit der Bundestagswahl - das wissen Sie - Beträchtliches geleistet: die Regelung betreffend den Lauschangriff, Maßnahmen zur Kriminalitätsbekämpfung, Regelungen in Beamtengesetzen, Änderungen im Ausländerrecht und vieles mehr. Ich sage Ihnen: Wir werden genauso, wie wir diese Gesetze formuliert und diese Probleme in den Griff bekommen haben, selbstverständlich den Bereich des Staatsbürgerrechts mit Ruhe und Sorgfalt hier in den Deutschen Bundestag einbringen. Sie wissen - Sie haben darüber gelesen -, daß wir in der Koalition darüber diskutieren.

(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seit 13 Jahren!)

Sie können sich darauf verlassen, daß dies in geraumer Zeit der Fall sein wird. Auch die deutsche Bevölkerung kann sich wie immer auf die Innenpolitiker der Koalition verlassen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Otto Schily [SPD]: Das war keine Antwort auf meine Frage!)

- Das war eine Antwort auf Ihre Frage. Ich sage Ihnen: Wir werden natürlich umgehend diese Dinge aufgreifen und darüber beraten.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch kurz zu einem Punkt Stellung beziehen, nämlich zu der Forderung in einem der vorgelegten Anträge, Deutschland brauche ein Einwanderungsgesetz. Dagegen spricht, daß Deutschland keine zusätzliche Einwanderung ermöglichen kann.

(Otto Schily [SPD]: Jetzt hört die F.D.P. ganz genau zu!)

Ich will Ihnen die Zahlen einmal nennen: 120 000 Asylbewerber pro Jahr. Zirka 100 000 Familienangehörige ziehen pro Jahr nach Deutschland. Wir haben - es ist gut, daß wir das gemacht haben - 350 000 Bürgerkriegsflüchtlinge aufgenommen. Wir wollen rund 220 000 Spätaussiedler pro Jahr integrieren. Wir brauchen keine zusätzliche Einwanderung. Was wir brauchen, ist eine Begrenzung der Einwanderung. Da reicht, so meine ich, das derzeitige Ausländerrecht aus.

(Otto Schily [SPD]: Aber es gibt immerhin eine Einwanderung! Also sind wir doch ein Einwanderungsland!)

Wenn Sie, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, ein Zuwanderungsbegrenzungsgesetz vorlegen wollen, frage ich mich, wie das gehen soll. Wie wollen Sie vorhersehen, wieviel Bürgerkriegsflüchtlinge oder Asylbewerber nach Deutschland kommen? Wir haben ja gerade das subjektive Grundrecht durch das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe bestätigt bekommen.

(Otto Schily [SPD]: Jetzt stellt Frau Schmalz-Jacobsen sicher eine Zwischenfrage!)

Sie können die Zahl der Asylbewerber überhaupt nicht begrenzen. Oder wollen Sie vielleicht den Entwicklungsländern gut ausgebildete, qualifizierte Leute entziehen, die sie eigentlich selbst benötigen?

(Lachen bei der F.D.P.)


Erwin Marschweski
Ist das nicht doch ein bißchen egoistisch, anstatt diesen Ländern zu helfen? Ein nächster Punkt. Sie kennen doch die Vereinbarung über die Freizügigkeit in Europa. Wie soll denn da eine Begrenzung möglich sein?
Meine Damen und Herren, ich sehe keinen Raum für ein Einwanderungs- oder Zuwanderungsbegrenzungsgesetz. Wer dennoch meint, Frau Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger, das sei zu regeln, der möge diesem Deutschen Bundestag umgehend ein solches Gesetz vorlegen.

(Otto Schily [SPD]: Das machen wir!)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1311410100
Herr Kollege Marschewski, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Leutheusser-Schnarrenberger?

Erwin Marschewski (CDU):
Rede ID: ID1311410200
Ja, bitte schön, Frau Kollegin.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
Rede ID: ID1311410300
Herr Kollege, ich habe die Frage an Sie, wie Sie aus heutiger Sicht den doch unter sehr schwierigen Bedingungen errungenen Asylkompromiß von 1992 bewerten. Denn er enthielt ja zwei Komponenten: einerseits den sehr interessanten Vorstoß auch aus den Kreisen der CDU hinsichtlich einer Änderung des Staatsangehörigkeitsrechtes und andererseits den Punkt, daß man sich mit den Fragen der Steuerung, Regelung und eben auch der Begrenzung der Zuwanderung beschäftigen muß. Ich frage Sie, Herr Marschewski: Sehen Sie nicht, daß das eine Aufgabe ist, die vielleicht nicht schon in diesem Jahr endgültig geregelt werden kann, bei der wir als Politiker aber doch unter Berücksichtigung langfristiger Bevölkerungsentwicklungen und demographischer Veränderungen doch sehr wohl politische Gestaltungsmöglichkeiten wahrnehmen müssen?

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Erwin Marschewski (CDU):
Rede ID: ID1311410400
Frau Kollegin, wir haben ja damals ein Jahr unseres Lebens mit dem Asylkompromiß verbracht. Ich glaube, daß das Verfassungsgericht zu Recht das, was wir damals erarbeitet haben, bestätigt hat. Das ist gut so.

(Otto Schily [SPD]: Das haben Sie schon einmal gesagt!)

Sie sprechen von einer Zuwanderungsbegrenzung. Ich habe Ihnen gesagt: Ein Zuwanderungsbegrenzungsgesetz, wie es vorgeschlagen wird, ist nicht vollziehbar. Wissen Sie, was der Begrenzung der Zuwanderung dient? Der Begrenzung der Zuwanderung dient die konsequente Anwendung des Ausländerrechtes und nicht nur und dauernd die Beschäftigung mit Altfallregelungen und Ausnahmen. Die konsequente Anwendung des Gesetzes ist nötig. Dann haben wir die Zuwanderungsbegrenzung, von der Sie sprechen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen: Der Koalitionsentwurf bringt die Interessen der deutschen und ausländischen Bevölkerung, so meine ich, zu einem angemessenen Ausgleich. Er trägt auch dem zwingenden Gebot einer Zuzugsbegrenzung Rechnung. Er berücksichtigt die Interessen der deutschen Bevölkerung und die Interessen der ausländischen Mitbürger. Er hilft, so meine ich, das Ziel zu erreichen, die Integration der ausländischen Mitbürger weiter zu verbessern, aber auch gewalttätige, kriminelle Ausländer des Landes zu verweisen.
Dies wollen wir mit unserer Novelle zum Ausländerrecht erreichen. Für diese Politik, meine Damen und Herren, bitten wir um Unterstützung.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1311410500
Ehe ich das Wort weitergebe, möchte ich auf der Tribüne eine Delegation von Gouverneurinnen aus Usbekistan, und zwar aus den Provinzen Taschkent, Samarkand, Buchara und Namangan begrüßen.

(Beifall)

Wir freuen uns, daß die Beziehungen und die Kontakte zwischen der Bundesrepublik und den zentralasiatischen Republiken immer enger und freundschaftlicher werden. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt in der Bundesrepublik.

(Beifall)

Zu einer Kurzintervention gebe ich dem Abgeordneten Häfner das Wort.

Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1311410600
Herr Präsident! Ich möchte unmittelbar im Anschluß an die Rede von Herrn Marschewski folgenden Punkt kurz ansprechen. Herr Marschewski, Sie haben die ganze Zeit von Änderungen im Ausländergesetz geredet, die zum Beispiel die Fragen des Aufenthaltsrechts usw. berühren. Sie haben aber mit keinem Wort erwähnt, daß Sie gleichzeitig massive Änderungen im materiellen Recht planen, die dann ja zwangsläufig für alle Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland gelten werden. Was Sie im ausländerrechtlichen Teil machen, ist schon schlimm genug. Darüber wird in dieser Debatte ja noch geredet werden. Aber diese Art von verdeckter Gesetzgebung, bei der unter der Hand ganz andere Gesetze einmal eben mit geändert werden sollen, Dinge, die wirklich von gewaltiger Auswirkung auch für das Klima in diesem Land, für die Versammlungsfreiheit, für das Recht zu öffentlichen Demonstrationen sind, kann nicht schlicht und einfach unerwähnt gelassen werden.

(Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Darüber habe ich gesprochen! Guten Morgen, Herr Kollege!)

Lassen Sie mich kurz folgendes sagen, Herr Marschewski. Im Gesetzentwurf ist vorgesehen, § 125 a des Strafgesetzbuches so zu ändern, daß künftig

Gerald Häfner
schwerer Landfriedensbruch nicht erst dann vorliegt, wenn Schußwaffen getragen werden, wenn Gewalttätigkeiten usw. begangen werden, wie das nach bisheriger Fassung der Fall war, sondern beispielsweise auch schon bei einer sogenannten „psychischen Unterstützungshandlung" etwa, wenn Lieder gesungen werden, wenn angefeuert wird und anderes mehr.

(Dr. Max Stadler [F.D.P.]: Nicht richtig zitiert!)

Dies ist völlig inakzeptabel und führt dazu, daß die Polizei - wie das ja jetzt schon bei dem Vermummungsverbot oder dem Verbot der sogenannten passiven Bewaffnung der Fall ist -, gezwungen wird, dort einzugreifen, wo es sich nach bisherigem Verständnis um überhaupt keine Gewalt- oder Straftat handelt.

(Dr. Max Stadler [F.D.P.]: Sie haben nicht gelesen!)

Die vorgesehene Strafe hierfür reicht von drei Monaten bis zu zehn Jahren.
Ich halte dies für eine derartig fahrlässige Verschärfung des Klimas in diesem Land und für einen derartig schweren Eingriff in das materielle Recht, daß ich finde, es darf nicht unerwähnt bleiben. Es wäre gut, wenn auch hierüber in diesem Hause deutlich diskutiert würde.

(Dr. Max Stadler [F.D.P.]: Man muß schon lesen, was drinsteht!)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1311410700
Herr Kollege Marschewski, Sie können darauf antworten.

Erwin Marschewski (CDU):
Rede ID: ID1311410800
Herr Kollege Häfner, ich kann das sagen, was Kollege Stadler eben gerufen hat: Man muß lesen, was im Gesetzentwurf steht. Ich habe darüber hinaus zu diesem Punkt sehr ausführlich Stellung bezogen.
Wir wollen folgendes: Wir wollen die Integration der hier lebenden Ausländer fördern. Das ist die eine Seite. Die zweite Seite aber ist: Wer mit Gewalt gegen Menschen vorgeht, wer mit Gewalt wertvolle Sachen beschädigt, wer Dortmund kurz und klein schlägt, hat in diesem Lande nichts zu suchen und ist auszuweisen. Das ist unser Gesetz. Dies gilt auch für denjenigen, der schweren Landfriedensbruch begeht, der mit Waffen vorgeht, der Menschen körperlich schwerst beschädigt oder aber - bei einem einfachen Landfriedensbruch - zu einer verbotenen Demonstration geht. Derjenige weiß doch, was ihm bevorsteht. Fragen Sie einmal die Menschen in Dortmund, fragen Sie einmal die Menschen in dieser Republik, wie man sich da verhalten soll!
Ich sage Ihnen: 99 Prozent oder 99,9 Prozent der ausländischen Mitbürger leben friedlich unter uns. Wir wollen die Integration verbessern. Krawallmacher, Gangster, Verbrecher wollen wir ausweisen. Das ist unsere Politik.

(Beifall bei der CDU/CSU Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deutsche auch? Gerald Häfner [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie haben zu meiner Frage nichts gesagt!)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1311410900
Ich erteile dem Abgeordneten Willfried Penner das Wort.

Dr. Willfried Penner (SPD):
Rede ID: ID1311411000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der vergangenen Woche standen acht Vorlagen zur Ausländerpolitik auf der Tagesordnung des Innenausschusses, und in der heutigen Sitzung des Plenums sind es sogar neun, die uns beschäftigen. Ausländerpolitik ist ein zentrales Thema der deutschen Innenpolitik und wird uns auf allen politischen Ebenen, ob im Bundestag, im Bundesrat, ob in den Landtagen oder auch in den Gemeindeparlamenten, nicht loslassen, ja nicht loslassen können.
Das Thema wird uns begleiten müssen, weil die Politik sich gerade auf diesem Feld nicht aufs Zusehen beschränken kann und sich nicht allein auf Regeln der gesellschaftlichen Prozesse des Integrierens, des Assimilierens, des Duldens und des Sichentwikkelnlassens verlassen darf.

(Beifall bei der SPD)

Es geht um den rechtlichen Schutz einer Minderheit, um rechtsfeste Rahmenbedingungen, um die Einbeziehung von Ausländern in unser Grundwertesystem, beispielsweise dem der Familie, die unabhängig von der Nationalität zusammengehört und nicht getrennt werden darf, '

(Beifall bei der SPD)

weil es unsere Verfassung, jener Artikel 6 des Grundgesetzes, so gebietet. Aber es geht auch um Toleranz. Es geht um Gastfreundschaft, es geht um Humanität, die staatlich nicht verordnet werden kann, die man ganz einfach vorleben und erleben lassen muß.
Aber zum allerwenigsten ist Ausländerpolitik ein Feld für Schwarmgeister, die vor lauter Weltenliebe vergessen, daß Ausländerpolitik eines der steinigsten nationalen Politikfelder ist, dessen Bearbeitung gleichermaßen Nüchternheit, Zähigkeit, Geduld, Realitätssinn und humanitäres Engagement, zum allerwenigsten aber Weltenferne im Gefolge haben darf.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Cornelia Schmalz-Jacobsen [F.D.P.])

Bei der Ausländerpolitik und allen diesbezüglichen konkreten politischen Einzelinitiativen muß Grundlage sein und bleiben, daß wir Deutschen allem Nationalismus abgeschworen haben, im Hinblick auf das Zusammenführen von Nationen und Menschen in der Europäischen Union beispielsweise ohne jede Attitüde und ohne jedes imperiale Gelüst werbend in vorderster Reihe stehen, daß wir aber auch nach Osteuropa hin, besonders nach Polen,

Dr. Willfried Penner
nach Ungarn und Tschechien, die nimmermüden Beteuerungen Kohls und aller maßgeblichen politischen Kräfte in der Bundesrepublik Deutschland einlösen müssen, und die heißen Öffnung und nicht Abschottung. Sie weisen auf Integration und verbieten Segregation.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Cornelia Schmalz-Jacobsen [F.D.P.])

Wir wissen, daß das nicht ohne gesellschaftlichen Rückhalt geht, der sich auch auf eine sehr konkrete und belastbare finanzielle Basis stützen muß.

(Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Sie schränken jetzt ein!)

Natürlich geht es auch um sehr Konkretes: um Regelungen von Einzelheiten, beispielsweise um Aufenthaltsrechte ebenso wie deren mögliche Beendigung, um Familienzusammenführung, um Teilhabe an beruflichen Chancen, an schulischen Chancen, aber auch um staatliche Reaktionen auf Zuwiderhandlungen von Ausländern gegen die Ordre public der Bundesrepublik Deutschland.

(Beifall bei der SPD)

Selbstverständlich geht es auch um ordnende Regeln der Zuwanderung. All diese Gesichtspunkte finden sich beispielhaft in konkreten Vorlagen wieder, von gestern, von heute und demnächst.
Bei allen unterschiedlichen Akzentuierungen geht es der Opposition durchweg auch und nicht zuletzt um die Berücksichtigung humanitärer, moralisch unterfütterter Positionen im Ausländerrecht. Ziemlich einig ist sich die Opposition bei allen Schattierungen darin, daß das Aufenthaltsrecht des nachgezogenen Ehegatten verfestigt werden muß, und da auch die Koalition in diesem Punkt für Veränderungen plädiert, müßte eine übergreifende Einigung in diesem Punkt möglich sein. Sie wäre jedenfalls wünschenswert.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der F.D.P. und des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Weil jetzt auch die Koalitionsparteien wie die Opposition die Notwendigkeit bejahen, für abgelehnte Asylbewerber in besonderen Fällen ein Aufenthaltsrecht zu schaffen, halte ich es trotz der vergleichsweise schüchternen Vorstellung der Koalitionsmehrheit zu diesem Punkt für möglich und erstrebenswert, auch hier eine parteiübergreifende Einigung zu erzielen. Dabei wird die Koalition sicherlich eine Antwort darauf zu geben haben, wie ihre Altfallregelung greifen soll, wenn, wie sie es fordert, zuvor alle wichtigen Kriterien für eine Integration in das Leben in Deutschland erfüllt sein müssen, wo sich doch die bisherige Politik, gerade die Politik der jetzigen Koalition, für diesen Personenkreis der Asylbewerber gerade das Gegenteil von Integration zum Ziele setzt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Was die einschlägigen Vorschläge der Koalition zur Regelung humanitärer Fragen insgesamt angeht, so wenig beherzt und kärglich das Ergebnis auch für den einzelnen aussehen mag, so werden sie nach meiner Einschätzung am allerwenigsten auf Widerstand der Opposition stoßen. Ich möchte darum werben, daß wir uns im Interesse der Minderheit wenigstens in diesem Bereich von ernstlichen Bemühungen um Konsens leiten lassen, die sich in der Regel nicht wehren kann. Dies würde bedeuten, daß Initiativen der Mehrheit nicht schon deshalb abgelehnt werden sollten, weil es solche der Mehrheit sind, was natürlich in besonderer Weise die Bereitschaft der Koalition abfordert, Anträge der anderen Seite ernst zu nehmen und aufzunehmen. Daß ich mich dabei besonders für die Vorlagen der SPD einsetze - sie sind zum wesentlichen Teil dem Innenausschuß seit langer Zeit überwiesen -, versteht sich von selbst. Was hindert die Mehrheit eigentlich daran, den Vorschlägen der großen Vorlage der SPD aus der letzten Innenausschußsitzung beizutreten? Sind wir wirklich und wahrhaftig so weit auseinander oder ist es nicht vielmehr der immer kurioser wirkende Versuch, dem Volk unter allen Umständen, koste es, was es wolle, politische Unterschiede vorzuspiegeln, die es in Wahrheit gar nicht gibt?
Herr Präsident, meine Damen und Herren, was die Verbesserung des Rechtsstatus der Ausländerbeauftragten angeht, so fällt es auch für einen Wohlmeinenden gerade unter dem Gesichtspunkt des Respekts vor der jetzigen Amtsinhaberin schwer, dazu passende Worte zu finden, zumal Sie, Frau SchmalzJacobsen, den Neuerungen zugestimmt haben müßten.
Beginnen wir mit dem Angenehmen. Gewiß ist es besser, auf gesetzlicher Grundlage tätig zu werden, an Stelle wie bisher nur auf der Grundlage eines bloßen Regierungserlasses, der jederzeit verändert werden kann. Das kräftigt die Legitimation und ist sicherlich nicht ohne Belang für die Durchsetzungsfähigkeit von Kompetenzen, die im wesentlichen die gleichen geblieben sind. Aber Sie, Frau Schmalz-Jacobsen, bleiben als jetzige Amtsinhaberin Beauftragte der Bundesregierung beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung und müssen für all die Ungereimtheiten geradestehen, die mit dieser Einbeziehung verbunden sind, und das ist schade.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie können, wie bisher auch, jederzeit und das heißt ohne Angabe von Gründen und nunmehr nach Ihren Vorstellungen auch mit der erhöhten Autorität des Gesetzes entlassen werden. Dabei wird es Ihnen wenig helfen, daß nach der neuen Vorschrift des § 91 a die Amtsbezeichnung Ausländerbeauftragte auch in der männlichen Form geführt werden kann. Da haben Sie sich aber etwas einfallen lassen. Die Konsequenz ist also: Die Ausländerbeauftragte kann wählen, ob sie der Ausländerbeauftragte oder die Ausländerbeauftragte sein möchte. Dies ist eine Formulierung, die auszusprechen einen geniert und die mit der von der Koalition postulierten Reform auf diesem Gebiet nur für außerordentlich absonderliche Gemüter etwas zu tun haben kann.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dr. Willfried Penner
Für Herrn Marschewski hieße das folgendes: Wenn Sie einmal das Amt bekämen - die Regelvermutung spräche für die Ausländerbeauftragte Erwin Marschewski, aber es steht Ihnen frei, auch die männliche Form zu wählen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Der Mann hat Probleme! Otto Schily [SPD]: Nein, Sie haben Probleme!)

Zurück zur Ausländerbeauftragten.

(Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Das, was Sie bringen, ist die philosophische Antwort auf Dortmund!)

Sie, Frau Schmalz-Jacobsen, können als Ausländerbeauftragte der Bundesregierung Vorschläge machen und Stellungnahmen von Gesetzes wegen der Bundesregierung zuleiten. Mein Gott, ist das nicht jedermanns Recht? Bedarf es dazu der gesetzlichen Vergönnung, verehrte Frau Schmalz-Jacobsen? - Sagen Sie doch bitte nein, damit wir uns nicht zu genieren brauchen.
Und schließlich: Die Bundesregierung kann, sie muß nicht eine Ausländerbeauftragte bestellen. Ich frage mich, ob das alles so richtig ist. Je mehr ich persönlich in Sachen Ausländerpolitik Erfahrungen gesammelt habe, um so mehr festigt sich bei mir die Überzeugung, daß die Wirkkraft dieses Instituts im wesentlichen von seinen Kompetenzen, der Qualität der Legitimation, der Unabhängigkeit und - nicht regelbar - von der Leidenschaft des Amtsträgers zur Sache bestimmt wird.

(Zuruf von der F.D.P.: Die ist jetzt gesichert!)

Deshalb plädiere ich für einen vom Bundestag in geheimer Wahl zu bestimmenden Obmann oder eine solche Obfrau für Ausländerpolitik mit klaren Kompetenzen und Rederecht im Bundestag und in den Fachausschüssen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Herr Präsident, meine Damen und Herren, wir haben es vorhin erlebt, und wer länger hier ist, der hat es früher erleben können: Wenn es um Ausländerpolitik geht, kann die Koalition und dabei namentlich die CDU/CSU-Fraktion und dabei besonders die CSU auf das gesetzgeberische Zähnefletschen nicht verzichten.

(Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Na komm!)

Es kann und soll nicht geleugnet werden, daß auch aus dem tiefsten Bayern bewegende Initiativen für das Verbleiben von Jusuf, für das Verbleiben von Ali und für das Verbleiben von Mohammed entgegen dem geltenden Recht bekanntgeworden sind. Man kennt sich eben, man schätzt sich, man ist gut Nachbar miteinander und manchmal auch gut Freund, und da fällt es sehr schwer, so mir nichts, dir nichts für Abschiebung zu plädieren, auch wenn es das Gesetz so befiehlt.
Sobald es aber um den Ausländer an sich geht oder um den Ausländer als solchen, wird tadelnswertes, ja auch verbrecherisches Verhalten typisiert und die Gesetzgebungsmaschinerie mit gnadenloser Lust in Gang gesetzt. Es treibt Sie von der Koalition einfach um; gedrucktes Papier muß her. Sie, die Mehrheit, müssen die gesetzgeberischen Muskeln spielen lassen, und diesmal lautet Ihr diesbezügliches Thema „Aufenthaltsbeendigende Maßnahmen und Schaffung einer Strafvorschrift", nämlich der Strafvorschrift gegen den Landfriedensbruch.
Der Anlaß, wie Sie ihn selbst angeben - Herr Marschewski hat es ja heute bestätigt -, sind die Kurdenkrawalle des Frühjahrs.

(Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Nicht nur, nicht nur, das war ein weiterer Anlaß! Es gibt viel mehr!)

Ich gehe davon aus, daß Sie nicht die friedlichen Aufzüge der Kurden aus Anlaß ihres Neujahrsfestes mit im Auge haben. Also bleiben die unfriedlichen, ja die gewalttätigen kurdischen Auftritte.
Was in aller Welt hat Sie von der CDU/CSU - und ich muß die F.D.P. einbeziehen - bewogen, dem deutschen Volk vorzugaukeln, in diesem Zusammenhang würde in Deutschland die gebotene Abschiebung nicht möglich sein, weil dies ein inakzeptabler Abschiebungsschutz verhindere?
Wir haben in Deutschland eine ganze Kette, eine ganze Serie von Abschiebungsregeln, konkrete Möglichkeiten, aber auch Verpflichtungen, gesetzlich begründete Verpflichtungen zum Abschieben, wohlsortiert und nach dem Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit des Handelns aller staatlichen Gewalt bestimmt.
Sie von der Koalition erwecken den Eindruck, als ob es auf diesem Feld eine unterschiedliche Ausweisungspraxis in den Ländern gäbe. Diese gibt es nun gerade nicht. Richtig ist, daß es praktische Meinungsunterschiede zwischen konservativ und sozialdemokratisch regierten Ländern über aufenthaltsbeendigende Maßnahmen ohne Kriminalitätsbezug gibt.
Ja, es stimmt, da ist Bayern, Wolfgang Zeitlmann, besonders unerbittlich, und das ist kein Ruhmesblatt für dieses ansonsten schöne Land.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Aber unabhängig davon - Sie wissen es selbst doch sehr genau, und die Zuschauer am Fernseher haben es Tag für Tag verfolgen können -: Die Haupttäter der Krawalle vom Frühjahr 1996 kamen aus unseren westlichen Nachbarländern und sind dorthin ganz rasch zurückgekehrt. Wie wollen Sie die eigentlich ausweisen?
Sie befinden sich ja gar nicht auf deutschem Boden und sind damit der deutschen Staatsgewalt entzogen. Mit Ihrer Gesetzeswerkelei im Zusammenhang mit dem Ausweisungsrecht haben Sie allerdings eines erreicht, was uns international noch teuer zu stehen kommen kann.
Sie eröffnen damit auch - nicht nur, aber auch - erweiterte Möglichkeiten für die Ausweisung jugendli-

Dr. Willfried Penner
cher Straftäter mit ausländischem Paß, die hier geboren und aufgewachsen sind, hier leben, teilweise lediglich die deutsche Sprache beherrschen und die Sprache ihrer Staatsangehörigkeit überhaupt nicht und so gut wie keinen Bezug zur Heimat ihrer Väter und Ahnen haben. Und da, sage ich, läuft Abschiebung auf Verbannung hinaus

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Erwin Marschewski [CDU/ CSU]: Sie können nicht lesen, Herr Penner; Sie haben das Gesetz nicht gelesen!)

und gibt die Verantwortung für krumme Lebensläufe weiter an Länder, die auf die strafrechtliche Entwicklung dieser Staatsangehörigen überhaupt keinen Einfluß nehmen konnten und können.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Herr Präsident, meine Damen und Herren, es wird schon Mühe genug kosten, dieser Krawallmacher des Frühjahrs im Ausland habhaft zu werden,

(Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Ich würde Sie bitten, das an Hand des Gesetzes zu begründen. Das stimmt doch nicht!)

damit sie wegen Körperverletzung, wegen versuchten Totschlags und anderer schwerer Straftaten hier in Deutschland empfindlich belangt werden können.
Aber dafür brauchen wir kein neues Strafrecht. Jene Gewalttäter haben strafrechtlich genug auf dem Kerbholz. Wir brauchen auch keinen selbständigen Straftatbestand für „Anheizer", wie Sie von der Koalition es erfreulich ungeniert formulieren. Der „Anheizer", um in Ihrer Diktion zu bleiben, der Rädelsführer oder der Haupttäter, wie es in der Sprache der Justiz heißen würde, ist ein Fall für den Gerichtssaal, für das erkennende Gericht, denn es geht der Sache nach um Strafzumessung, die nie Sache des Gesetzgebers sein kann und Sache der Rechtsprechung bleiben muß.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Das Ganze setzt im übrigen voraus, daß ein Täter dingfest gemacht worden ist; denn ohne Täter kann es keine Strafe geben. Wie Sie von der Koalition mit geänderten Strafrechtsvorschriften einem Täter zu Leibe rücken wollen, den Sie gar nicht haben, wird wohl immer Ihr Geheimnis bleiben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

In Wahrheit offenbaren Sie mit Ihrer Gesetzeswuselei im Strafrecht Hilflosigkeit, weil Sie keine Täter haben, und noch so empörtes Schnauben kann nicht darüber hinwegtäuschen: Mit Ihrer Zeugungssucht im Ordnungsrecht dienen Sie der inneren Sicherheit nicht!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Das Strafrecht kann nur das ethische Minimum im
Zusammenleben der Menschen sichern helfen, und
deshalb ist Sparsamkeit - nicht Opulenz - bei der Schaffung neuer Strafrechtsregeln das Gebot einer vernünftigen Strafrechtspolitik.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Das Strafrecht eignet sich am allerwenigsten zur politischen Meisterung von Augenblickslagen der Innenpolitik. Sie machen damit die scharfe Schneide des Strafrechts stumpf! Und noch eines sollte nicht übersehen werden: Auch das kompletteste Strafrecht kann begangene Verbrechen nicht ungeschehen machen. Mehr praktische Bemühungen auch um Verhinderung und Verhütung von Straftaten würden meines Erachtens nicht schaden.

(Beifall bei der SPD)

Der Strafrechtskanon ist zureichend, ja reichlich bestückt. Allerdings gibt es gelegentliche Defizite bei der Durchsetzung des Strafanspruchs des Staates. Auch dies hat Gründe, aber dies ist eine andere Geschichte.
Keinesfalls werden wir Sozialdemokraten uns dafür hergeben, die Gefährdung „des legitimen Sicherheitsempfindens der Bevölkerung", wie es in der Vorlage der Koalition geschrieben steht, als Grund für die Schaffung neuen Ordnungsrechts zu akzeptieren.

(Beifall bei der SPD)

Was hat Sie von der Koalition eigentlich geritten, mit diesem Begriff „legitimes Sicherheitsempfinden der Bevölkerung" eine sprachliche Anleihe mit nur leichter Verfremdung bei genau jenem berüchtigten § 2 des alten Strafgesetzbuches unseligen Angedenkens zu machen, nach dem unter anderem bestraft werden mußte, wer eine Tat beging, die - Zitat -„nach gesundem Volksempfinden" Strafe verdient?

(Beifall bei der SPD)

Mit dieser Formulierung hatte Nazideutschland seinerzeit seinen Austritt aus der Gemeinschaft der zivilisierten Rechtsstaaten besiegelt und den Rechtsstaat selbst zerstört.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Seit Kriegsende sind diese Formulierung, ihr Inhalt und auch das Umfeld der Formulierung gebannt. Sie ist mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar. Das ist bisher Allgemeingut gewesen. Ich beschwöre die Kollegen von der CDU/CSU und denke dabei besonders an Horst Eylmann, an Heiner Geißler, an Norbert Blüm und an Rita Süssmuth. Ich beschwöre die Kollegen von der F.D.P. und denke besonders an Burkhard Hirsch, an Edzard Schmidt-Jortzig und auch an Detlef Kleinert. Ich sage Ihnen: Es gibt keine sprachliche Brücke zu jener Zeit der Rechtsbarbarei. Es darf sie nicht geben.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Wem das nicht reicht, dem sage ich: weil sonst der politische Brückenschlag zu jener Zeit der Rechtsbarbarei ins Haus stünde.

Dr. Willfried Penner
Nochmals und am Schluß: Der Gesetzesstaat ist für die innere Sicherheit bestens gerüstet, auch was die schwierigen Ausländerfragen angeht. Wohl gibt es Lücken bei der Durchsetzung des Rechts. Im Bewußtsein, daß diese Lücken nie ganz zu schließen sein werden, sollten wir miteinander wetteifern, diese Schwächen mehr und mehr abzustellen.
Schönen Dank für die Geduld.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1311411100
Ich gebe das Wort der Abgeordneten Kerstin Müller.

Kerstin Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1311411200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Angesichts des Gesetzentwurfes der Bundesregierung frage ich mich, wie es um die Ausländerpolitik im Lande steht. Der Gesetzentwurf, den Sie, Herr Marschewski, uns heute vorgelegt haben und den Sie ja überhaupt nur auf Druck der Opposition im normalen parlamentarischen Verfahren zu behandeln bereit waren, läßt sich aus meiner Sicht in drei Worten zusammenfassen: Er setzt auf Abschottung, auf Abschiebung und auf Kriminalisierung von Ausländern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Daran ändern auch die kleinen Verbesserungen nichts, die Sie vielleicht vorgenommen haben.
Damit ist nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts genau das passiert, was wir und die Flüchtlingsorganisationen befürchtet haben. Das Urteil war ein fatales Signal, es war ein Freifahrtschein für eine Politik der Abschottung und der schnellen Abschiebung. Die Menschenrechte sind dabei leider auf der Strecke geblieben. Darüber ist hier heute auch zu sprechen, und ich finde es schade, Herr Penner, daß Sie darauf nicht eingegangen sind.
Aber zunächst zu den Vorschlägen der Koalition: Sie wollen das Ausländerrecht und das allgemeine Demonstrationsrecht verschärfen. Wenn aus einer verbotenen Demonstration heraus Straftaten begangen werden, soll aus einem einfachen Landfriedensbruch ein schwerer werden. Dieser sogenannte Friedensbruch - Herr Penner hat das schon angesprochen - kann dabei schon in einer anheizenden Rede am Megaphon bestehen.
Herr Marschewski, verstehen Sie mich nicht falsch: Wir verurteilen nachdrücklich Gewalttaten, gerade auch die der PKK. Aber das, was Sie hier vorhaben, ist einfach der falsche Weg, diesen Auseinandersetzungen zu begegnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Das haben Sie bei Asyl auch gesagt!)

- Ja, wir bleiben da auch bei unserer Position.
Selbst Asylberechtigte sollen künftig trotz festgestellter politischer Verfolgung in ihr Verfolgerland abgeschoben werden, wenn sie zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt wurden. Diese Regelung stößt nicht nur auf völkerrechtliche Bedenken des UNHCR - er hat sich hier geäußert -, sie ist auch zutiefst zynisch. Damit machen Sie nämlich das Ausländerrecht zum zweiten Strafrecht und demontieren den Rechtsstaat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir lehnen diese inhumane Doppelbestrafung von Ausländern ab.
All diese Verschärfungen verfolgen eine bekannte Logik Ihrer Ausländerpolitik: Sie bekämpfen nicht die Ursachen von Kriminalität, sondern Sie kriminalisieren weiter. Sie suchen nicht den politischen Dialog, sondern ziehen den Knüppel des Strafrechts. Zudem entledigen Sie sich der Probleme durch Abschiebung ins Verfolgerland.
Der Gesetzentwurf zeigt meines Erachtens die ganze Phantasielosigkeit Ihrer Ausländerpolitik. Im Zweifel setzen Sie auf Abschiebung, und Sie schieben die politische Verantwortung für die Betroffenen gleich mit ab. Hinzu kommt: Die Preisgabe menschenrechtlicher Verpflichtungen gegenüber Ausländern und Flüchtlingen ist nur mit massiven Eingriffen in das Demonstrationsrecht für alle hierzulande zu haben.
Meine Damen und Herren von der F.D.P., Frau Schmalz-Jacobsen, ich finde, daß das ein sehr schlechter Kuhhandel war: Für ein kleines Reförmchen bei der Stelle der Ausländerbeauftragten tragen Sie solche weitreichenden Verschärfungen des Demonstrationsrechts mit. Da bleibt der neuentdeckte Liberalismus aber ganz schön auf der Strecke!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bei einem, meine Damen und Herren von der Koalition, kann man sich bei jedem Ihrer Vorstöße zum Asyl- und Ausländerrecht sicher sein: Ausländer und Flüchtlinge haben eine Verschlechterung ihrer Rechtslage zu erwarten.

(Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Nur Kriminelle, kein normaler Ausländer!)

- Ich rede von Flüchtlingen. - Sie wollten sich schon mit dem Asylkompromiß der Flüchtlinge entledigen. Und auch wenn diese unmenschliche Politik jetzt von höchster Stelle abgesegnet wurde, versichere ich Ihnen: Das Flüchtlingsproblem hat sich mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht erledigt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir als Parlament können uns nicht hinter dem Verfassungsgericht verstecken. Im Gegenteil, Karlsruhe hat lediglich erklärt, was verfassungsrechtlich gerade noch zulässig ist. Was politisch und menschlich notwendig ist und was rechtlich möglich ist, das steht eben nicht in diesem Urteil. Das liegt in unserer politischen Verantwortung.
Mit dem Urteil wurden die Probleme nicht gelöst, sie wurden nur verschoben. Aus dem Asylproblem wurde ein Abschiebeproblem gemacht - und damit ein Menschenrecht demontiert. Die Flüchtlinge wer-

Kerstin Müller (Köln)

den abgeschoben in sogenannte sichere Drittländer, angeblich sichere Herkunftsländer und verschwinden in der Abschiebehaft oder tauchen ab in die Illegalität.
Noch nie war die Zahl der Abschiebehäftlinge in der Bundesrepublik so hoch. Seit Inkrafttreten des inhumanen Asylrechts hat es allein 20 Selbstmorde in Abschiebehaftanstalten gegeben. Vor dieser Realität verschließen Sie die Augen.

(Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Das ist doch gar nicht wahr!)

Das wird hier nicht thematisiert. Sie haben Ihre Verantwortung für die Schicksale der Flüchtlinge auf die anderen Länder abgeschoben, nach dem Motto: Aus den Augen, aus dem Sinn.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Dann machen Sie etwas dagegen! Sie sitzen doch in Nordrhein-Westfalen in der Landesregierung! Nicht reden, machen!)

Meine Damen und Herren, meine Fraktion bringt daher heute zu dieser Debatte einen Antrag für eine menschenrechtlich orientierte Flüchtlingspolitik sowie weitere Initiativen ein. Unser Antrag formuliert, ohne die Verfassung ändern zu müssen, auf einfachgesetzlicher Ebene Mindeststandards für eine humane Flüchtlingspolitik. Vor allem hat der Antrag ein Anliegen: Nicht der Fluchtweg, sondern der Fluchtgrund muß wieder über das Schicksal der Flüchtlinge entscheiden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der PDS)

Niemand darf abgeschoben werden, bevor seine Asylgründe nicht wenigstens überprüft wurden. Die geltende Drittstaatenregelung erfüllt diese Grundsätze nicht. Denn wer aus einem sogenannten sicheren Drittstaat einreist, wird ausnahmslos vom Verfahren ausgeschlossen. Die Drittstaatenregelung mißachtet das Rückschiebungsverbot der Genfer Konvention. Ein Asylrecht, das offenläßt, ob sich ein Staat überhaupt noch zu einer inhaltlichen Überprüfung eines Asylantrages bereit findet, hat seine menschenrechtliche Qualität eingebüßt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Wo leben Sie denn?)

Der Bundestag muß dem entgegentreten. Wir dürfen uns nicht am Aufbau eines Systems organisierter Verantwortungslosigkeit beteiligen.
Wir schlagen daher in dem Antrag vor: Flüchtlinge dürfen nur in den Drittstaat zurückgewiesen werden, wenn dort ein rechtsstaatliches Verfahren garantiert ist. Vor jeder Rückführung, bei jedem Einzelfall, ist die Zustimmung des Landes einzuholen.
Das Bundesverfassungsgericht spricht vom Prinzip der Lastenverteilung in Europa. Eine europäische Lösung existiert aber bisher nicht. Weder Schengen noch die Asylkonvention der EU garantieren wirklich den Zugang zu Asylverfahren. Die Rücknahmeabkommen, die mit den osteuropäischen Ländern bestehen, reden nicht einmal mehr davon. Herr Kanther, es ist Aufgabe der Bundesregierung, hier nachzuarbeiten. Damit hat das Bundesverfassungsgericht aus unserer Sicht einen klaren Auftrag erteilt.
Auf ebenso unsicherem Grund wie die Drittstaatenregelung stehen die Regelungen für Flüchtlinge aus sogenannten sicheren Herkunftsländern und das Flughafenverfahren. Auch hier entscheidet der Weg und nicht der Fluchtgrund. Ich glaube, wir haben im Falle Ghanas bei der mündlichen Verhandlung deutlich sehen können, auf welch wackligen Füßen diese Regelung steht. Das Auswärtige Amt mußte nach Ausführung von Amnesty International zugeben, daß es ein paar Todesurteile und Hinrichtungen in Ghana schlicht übersehen hat. Ich begrüße deshalb den Antrag der SPD auf Streichung Ghanas aus der Liste. Wir werden dem gerne zustimmen. Für uns ist das aber nur ein allererster Schritt.
Herr Kanther, Sie haben gedroht, wer den mit der SPD ausgehandelten Kompromiß in Frage stelle, müsse mit schwerwiegenden Konsequenzen für das friedliche Zusammenleben von Deutschen und Ausländern rechnen. Ich frage Sie: Was ist das für ein innerer Friede, der sich auf Abschottung gründet und der sich nur durch Unmenschlichkeit erhalten läßt? Meine Fraktion hat eine andere Vorstellung von einer friedlichen Gesellschaft. Wir stehen hier nicht alleine. Es gibt immer mehr Bürgerinnen und Bürger, immer mehr Kirchengemeinden, die Widerstand leisten.
Ich glaube, unser Antrag wird auch für Sie, meine Damen und Herren von der SPD, zu einer Glaubwürdigkeitsprobe. Sie müssen zum Urteil des Verfassungsgerichts Stellung beziehen.

(Zuruf des Abg. Otto Schily [SPD])

Ich glaube, der Asylkompromiß war ein fataler Irrweg.

(Zuruf des Abg. Otto Schily [SPD])

Lassen Sie uns gemeinsam der Menschenwürde wieder zu ihrem Recht verhelfen. Stimmen Sie unserem Antrag zu.
Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1311411300
Ich erteile das Wort der Abgeordneten Cornelia Schmalz-Jacobsen.

Cornelia Schmalz-Jacobsen (FDP):
Rede ID: ID1311411400
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Unser Ausländerrecht ist fünf Jahre alt. Von Anbeginn an hat es immer wieder die Frage gegeben: Brauchen wir nicht eine Novellierung? Brauchen wir nicht Veränderungen? Es hat im Laufe der Jahre etliche Initiativen gegeben. Ich denke, das ist Ausdruck eines lebendigen Parlamentarismus. Es hat Initiativen von allen Seiten und von allen Fraktionen des Hauses gegeben. Es hat aus der Opposition und aus der Regierungskoalition Initiativen zur Erleichterung gegeben.

Cornelia Schmalz-Jacobsen
Es geht hier um Erleichterungen. So haben unsere Beratungen angefangen. Ich möchte das in die Köpfe zurückholen: Die Beratungen haben mit der Diskussion von Erleichterungen für friedlich und seit Jahren hier lebende Nichtdeutsche begonnen.
Die F.D.P.-Fraktion hat in der vergangenen Legislaturperiode eine Anhörung mit einer sehr breiten Palette von Sachverständigen durchgeführt. Exakt die Dinge, die dort und auch immer hier im Hause geäußert worden sind, die Dinge, die für die hier lebende ausländische Wohnbevölkerung am wichtigsten sind, haben Eingang in unsere Vorschläge gefunden.
Ich habe versucht, mich ein bißchen in einen Nichtdeutschen, eine Nichtdeutsche hineinzuversetzen, die dieser Debatte folgt. Als Nichtdeutsche hätte ich den Eindruck gehabt, daß hier aus verschiedenen Blickwinkeln nur über Gefahren, Abschotten und Abschieben gesprochen wird, womit das Gesetz sehr einseitig beschrieben wäre.
Wir machen Gesetze für den Normalfall. Wir sind immer in der Gefahr - ähnlich wie die Sensationspresse, für die eine schlechte Nachricht eine gute Nachricht ist -, den Extremfall und nicht den Normalfall besonders zu thematisieren.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Dadurch entstehen bei den Betroffenen leider sehr leicht Irritationen. In einer renommierten deutschen Tageszeitung stand, daß jugendliche Ausländer, die in die Heimat gegangen sind und jetzt zurück nach Deutschland wollen, nicht einmal ein Rückkehrrecht hätten. In Wahrheit steht längst im Gesetz, daß Jugendliche zwischen dem 15. und 21. Lebensjahr unter bestimmten Voraussetzungen, die sehr großzügig gewählt sind, fünf Jahre nach Ausreise zurückkehren können. Aber solche Desinformationen entstehen. Mich haben viele Briefe und Anrufe von jungen Leuten und Eltern erreicht, die gefragt haben, ob das so ist. Es ist nicht so.

(Zuruf des Abg. Otto Schily [SPD])

Worum geht es? Es geht um Verbesserungen für alte Leute, für junge Leute, für Behinderte, für Ehepartner und übrigens auch für ehemalige Vertragsarbeitnehmer aus der DDR. Ich sehe das Schwergewicht bei den Erleichterungen ein bißchen anders als mein Kollege Marschewski. Ich glaube, das Wesentlichste ist, es der ersten Generation der Gastarbeiter, die nach mindestens 15 Jahren Aufenthalt deutsche Renten beziehen - dazu steht in unserem Gesetzentwurf Präzises -, zu ermöglichen, so hin und her zu reisen, als ob sie Deutsche oder EU-Angehörige wären. Daß sie dies nicht konnten, war für die erste Generation der Gastarbeiter, für die Großeltern ein so großes Obstakel, ein so großer Stolperstein, daß die Neuregelung eine große Erleichterung und Befreiung sein wird.

(Beifall bei der F.D.P.)

Sie haben das ja auch erwähnt. Da sind wir gar nicht weit auseinander. Aber das halte ich für den wesentlichsten Punkt.

(Zuruf von der SPD)

Ein anderer Punkt, der vor allen Dingen aus psychologischen Gründen außerordentlich wichtig ist, ist die Tatsache, daß junge Leute, die hier geboren und aufgewachsen sind, nicht mehr 60 Monate lang Sozialversicherungsbeiträge zahlen müssen, um eine Aufenthaltsberechtigung zu bekommen. Es ist geradezu absurd, daß jemand, der sich um eine Ausbildung bemüht, so lange auf einen guten Aufenthaltsstatus warten muß.
Auch für behinderte Jugendliche ist es wichtig, daß sie einen Aufenthaltsstatus erhalten, der sie nicht mit einer möglichen Ausweisung konfrontiert. In der Bundesrepublik Deutschland hat es zwar nie eine solche Ausweisung gegeben, es ist aber wichtig, daß diese Menschen in ihrem familiären Zusammenhalt gestärkt werden und beruhigt sein können.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Auch der vielzitierte und oft beratene § 19, der dem Eindruck in der Öffentlichkeit nach den allerwichtigsten Punkt darstellt, wird, wie Sie wissen, geändert. In Fällen einer außergewöhnlichen Härte wird nach einem Jahr ein eigenständiges Aufenthaltsrecht gewährt. Dies gilt übrigens sowohl für Frauen als auch für Männer; das eigenständige Aufenthaltsrecht gilt für beide gleichermaßen.
Ich bin gespannt, ob es in der Praxis tatsächlich eine Unterscheidung zwischen besonderen Härtefällen und außergewöhnlichen Härtefällen geben wird; denn all die Härtefälle, die an mich herangetragen worden sind, waren nach der jetzigen Ausführung außergewöhnliche Härtefälle.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1311411500
Frau SchmalzJacobsen, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Schewe-Gerigk.

Cornelia Schmalz-Jacobsen (FDP):
Rede ID: ID1311411600
Selbstverständlich.

Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1311411700
Frau Schmalz-Jacobsen, Sie haben gerade von der Verbesserung für die ausländischen Ehefrauen durch die Einführung der Einjahresfrist gesprochen.
Die Koalition kann sich diesem Unrecht auch wirklich nicht länger verweigern.

(Cornelia Schmalz-Jacobsen [F.D.P.]: Haben wir auch nicht!)

Sie selbst wissen, daß durch viele Petitionen transparent geworden ist, welches Unrecht das für die ausländischen Frauen bedeutet.
Meine Frage an Sie: Warum sind Sie mit der Einjahresfrist auf halbem Wege stehengeblieben? Warum sagen Sie nicht, daß es für die Frauen ein nicht vom Ehemann abgeleitetes, eigenständiges Aufenthaltsrecht geben muß, das entweder mit dem Tag der Eheschließung oder mit der Einreise Gültigkeit erhält? Wollen Sie wirklich, daß eine Ehefrau vier Jahre lang in einer Ehe ausharren muß, obwohl sie sich von ihrem Ehemann trennen lassen will, oder

Irmingard Schewe-Gerigk
daß sie sich quälen lassen muß, damit sie nicht ausgewiesen wird? Was wollen Sie unternehmen, damit Heiratshändler nicht länger mit dem deutschen Recht aggressiv Werbung machen und den Ehemännern versprechen: Innerhalb eines Jahres könnt ihr eure ausländischen Ehefrauen loswerden, wenn sie sich nicht so verhalten, wie ihr es wollt?

Cornelia Schmalz-Jacobsen (FDP):
Rede ID: ID1311411800
Frau Kollegin, zunächst einmal: Mich stört, daß diesen Ehen geradezu ein Siegel der Miserabilität aufgedrückt wird. Das ist nicht die Regel. Die Regel ist, daß diese Ehen friedlich und vernünftig verlaufen. Mir bereitet es Probleme, daß man bei der ganzen Diskussion so tut, als ob diese Ehen a priori schlechte Ehen seien. Das ist nicht der Fall.
Wir haben uns darauf verständigt, daß die Vierjahresfrist ein Zeitrahmen ist, der durchaus vernünftig ist. Eine andere Frage wäre, ob nicht die Zeit, in der die Ehe im Ausland geführt worden ist, mit einbezogen werden soll. Das ist aber nicht unser Thema.
Eine Ehe beginnt in der Regel eben nicht mit Prügel, Mord und Totschlag.

(Dr. Willfried Penner [SPD]: Darüber müssen wir uns einmal unterhalten!)

- Herr Kollege Penner! - Der Zeitraum von einem Jahr ist, so glaube ich, ein vernünftiger Kompromiß.
Im übrigen: Glauben Sie wirklich, daß es für die betroffenen Frauen, die als Fremde hierherkommen, von besonderem Belang ist, ob sie sofort ein eigenständiges Aufenthaltsrecht erhalten? Meinen Sie, daß sie sich hier dann besser zurechtfinden und glücklich sein werden? Ich bin der Meinung, diese Ein-Jahr-Regelung wird vielen Argumenten gerecht. Wir werden sehen, was die Praxis zeigt. Ich glaube aber, es ist vernünftig.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Ich habe die Vertragsarbeitnehmer angesprochen, von denen hier interessanterweise niemand mehr spricht, die aber doch ein wesentlicher Bestandteil der Wahrnehmung unserer Kolleginnen und Kollegen aus den neuen Ländern sind.

(Dr. Willfried Penner [SPD]: Warum sind Sie nicht für die 50 Prozent!)

- Ich war nicht für die 50 Prozent, Herr Kollege Penner. Es ist eine gegriffene Zahl. Daß aber ein Aufenthalt hier anerkannt wird, wenn auch nur zu 50 Prozent, bedeutet eine Besserstellung gegenüber den geduldeten Ausländern. Diese nämlich beginnen bei Null. Insofern ist hier einem Petitum nachgekommen worden, das aus den neuen ,Bundesländern immer wieder an uns herangetragen worden ist.
Diese Novellierung hat auch noch eine andere Seite. Wenn ich mir die Wohnbevölkerung, egal, mit welchem Paß in der Tasche, ansehe, dann ist die bittere Erkenntnis, daß es notwendig war, einen deutlicheren Trennstrich zwischen den friedlich hier Lebenden und den Straftätern zu ziehen. Wir müssen immer darauf achten: Für wen setzen wir uns eigentlich ein? Wir setzen uns hier doch für die friedlichen, rechtmäßig bei uns lebenden Ausländer ein.
Es geht nicht an, daß Resozialisierung nur auf Jugendliche mit einem deutschen Paß in der Tasche angewandt werden kann. Deswegen haben wir den besonderen Ausweisungsschutz nicht aus dem Gesetz herausgenommen.

(Dr. Max Stadler [F.D.P.]: Das ist sehr wichtig!)

Wir müssen einen Unterschied machen, meine Kolleginnen und Kollegen, zwischen einem Jugendlichen, der mehr oder weniger wie alle unsere Kinder aufgewachsen ist und eine erhebliche Dummheit, vielleicht sogar eine schwere Straftat, begeht, und jemandem, der als Tourist hierher kommt oder gar den Schutz unseres Landes sucht und dann unsere Gesetze mit Füßen tritt. Das ist ein Unterschied.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Daß wir niemanden in Tod und Folter zurückschikken, das versteht sich doch von selbst.
Ich bitte Sie alle sehr herzlich die Erleichterungen, die hier vorgesehen sind, bekanntzumachen. Wir brauchen in der Bevölkerung einen Rückhalt für Toleranz und für das Miteinander. Diesen Rückhalt haben wir, glaube ich, in sehr viel größerem Maße, als uns das Stammtischgerede manchmal weiszumachen versucht. Nur muß man dazu die Erleichterungen auch laut und deutlich bekanntmachen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1311411900
Ich gebe nun der Abgeordneten Ulla Jelpke das Wort.

Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1311412000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Schmalz-Jacobsen, ich habe wirklich das Gefühl, daß wir hier über völlig verschiedene Anträge reden. Sie reden die Anträge schön; denn ich bin der Meinung: Das, was hier vorgelegt wurde, ist von Zuckerbrot und Peitsche geprägt.
Zuckerbrot gibt es nämlich für die Flüchtlinge sowie die Migrantinnen und Migranten, die schon seit langem hier leben und ihren Integrationswillen in Ihren Augen ausreichend bekundet haben. Für sie sieht dieser Entwurf in der Tat einige Verbesserungen vor.
Die Peitsche schwingen Sie, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, gegen all diejenigen, die aufmüpfig sind, die für Ihre Rechte hier oder im Herkunftsstaat eintreten, und gegen straffällige Menschen, die verurteilt wurden.
Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: Wir sind dagegen, daß Demonstrationen gewalttätig verlaufen. Aber zur Ahndung möglicher Straftaten auf solchen Veranstaltungen gibt es Gesetze, und diese reichen unseres Erachtens völlig aus. Es ist nicht nur überflüssig, sondern es kommt einer doppelten Bestrafung gleich, wenn verurteilte Menschen auch noch ausgewiesen werden. Dies gilt für alle

Ulla Jelpke
Straftäter unabhängig davon, ob sie politische oder andere Hintergründe haben.
Ihr Plan zur Doppelbestrafung setzt meines Erachtens die Grundfrage bei allen ausländerrechtlichen Fragen erneut auf die Tagesordnung: Betrachten wir Menschen, die ohne deutschen Paß hier leben, als gleichberechtigte Bürger und Bürgerinnen, oder sind sie lediglich Gäste, denen man sein Wohlwollen beliebig entziehen kann?

(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Letzteres!)


(Vorsitz: Vizepräsident Hans-Ulrich Klose)

Sie von der Koalition betrachten Menschen ohne deutschen Paß als Gäste ohne wesentliche Rechte.

(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Richtig!)

Unter Gästen versteht man allerdings gemeinhin, daß sich Menschen vorübergehend zu Besuchen aufhalten. Die meisten hier lebenden Nichtdeutschen sind aber nicht zu Besuch hier, sondern sie haben ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland: leben hier, arbeiten hier, erziehen hier ihre Kinder usw. Sie sind darüber hinaus politisch denkende und handelnde Menschen. Schon eine Verurteilung wegen einer Straftat zu drei Jahren soll ausreichen, einen Menschen auszuweisen. Bislang waren dazu immerhin schwere Verbrechen mit einer Strafe von mindestens fünf Jahren notwendig. Mehrfach verurteilte Menschen sollen bereits ausgewiesen werden können, wenn ihre Strafen innerhalb von fünf Jahren zusammen drei Jahre Haft ergeben. Das kann schon bei mehreren Bagatelldelikten der Fall sein.
Meine Damen und Herren, Herr Penner hat es eben angesprochen: Diese Regelung wollen Sie nun auch auf minderjährige Jugendliche, die hier geboren sind bzw. lange in Deutschland leben, ausweiten. Ich frage Sie allen Ernstes: Ist Ihnen etwa nicht bekannt, daß diese Jugendlichen ihre Länder häufig nur als Urlaubsländer kennen und kaum deren Sprache beherrschen?
Besonders verwerflich ist, daß Sie auch vor der weiteren Demontage des internationalen Flüchtlingsrechts nicht haltmachen. Künftig sollen politisch Verfolgte in den Staat abgeschoben werden, der sie verfolgt hat, wenn sie eine besondere Gefahr für die Sicherheit und Ordnung der Bundesrepublik Deutschland darstellen und zu mindestens drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurden.

(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Da müssen sie schon viel ausgefressen haben!)

Abgesehen von der Tatsache, daß die Sicherheit und Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland ein subjektives Kriterium darstellt, das je nach Interessenlage der jeweils Regierenden definiert wird, bricht dieser Plan mit der Genfer Flüchtlingskonvention. Diese sieht die Ausweisung politisch Verfolgter nur in begründeten Ausnahmefällen vor. Sie aber machen das mit Ihren Vorlagen zur Regel.
Auf die hier lebenden und politisch aktiven Kurden zielt Ihr Vorhaben, einfachen Landfriedensbruch bei verbotenen Demonstrationen zu besonders schwerem Landfriedensbruch umzudefinieren, der dann zwingend die Ausweisung zur Folge hat. Für eine solche Verurteilung soll es bereits ausreichen, wenn jemand ein Megaphon in der Hand hält. Ihm oder ihr unterstellen Sie, daß er oder sie sich als Anheizer betätigt. Nebenbei erreichen Sie, daß das Demonstrationsrecht insgesamt verschärft wird.
Aber damit nicht genug. Das Verbot politischer Betätigung wollen Sie ebenfalls verschärfen. Schon ein einmaliger Verstoß dagegen reicht für eine Verurteilung zu einem Jahr Freiheitsstrafe. Bislang waren dazu immerhin wiederholte Verstöße notwendig. Wer sich verbotenermaßen dreimal politisch äußert, wird dreimal verurteilt. Das ergibt eine Gesamtstrafe von drei Jahren, und daraus folgt die Abschiebung.
Die PDS spricht sich vehement gegen alle Verschärfungen der Ausweisungsbestimmungen und gegen jede Ausweitung politischer Betätigungsverbote aus. Wir fordern, daß Nichtdeutschen das volle Recht auf Meinungsäußerung, auf Koalitions- und Versammlungsfreiheit eingeräumt wird.

(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Das hättet ihr vor zehn Jahren machen müssen! Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Sie hatten 40 Jahre Zeit dazu!)

Ebenfalls auf mißliebige Ausländerinnen und Ausländer zielt die Ausweitung von Abschiebehaftgründen. Die meisten in Abschiebehaft sitzenden Menschen haben sich nichts weiter zuschulden kommen lassen, als hier Zuflucht zu suchen. Dafür werden sie eingesperrt und schlechter behandelt als Strafgefangene.
Sie wollen, daß der während der Abschiebehaft gestellte Asylantrag nicht mehr zur sofortigen Entlassung aus der Haft führt. Bis zu vier Wochen müssen Asylbewerberinnen und Asylbewerber warten, bis das Bundesamt eine Entscheidung getroffen hat. Sie unterstellen von vornherein, daß Anträge mißbräuchlich und offenkundig aussichtslos sind, daß sie allein aus taktischen Gründen gestellt werden, um eine Abschiebung zu verhindern. Sie nehmen kalt lächelnd in Kauf, daß es kaum möglich ist, von einem Gefängnis aus ein Asylverfahren mit Aussicht auf Erfolg zu betreiben.
Völlig unzureichend ist Ihr Vorschlag, den § 19 des Ausländergesetzes zu ändern. Es bleibt dabei, daß das Aufenthaltsrecht des nachgezogenen Ehegatten - in den meisten Fällen der Ehefrau - von dem des Mannes abgeleitet wird. Die Ehe muß weiter vier Jahre Bestand im Bundesgebiet haben, bevor die Frau ein eigenständiges Aufenthaltsrecht bekommt. In Härtefällen reichen drei Jahre. Nur zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte kann die Frist auf ein Jahr verkürzt werden.
Dabei verzichtet die Koalition im Gesetz auf die Definition dieser außergewöhnlichen Härte. Nur aus der Begründung des Gesetzentwurfes läßt sich herauslesen, daß Sie damit auch Mißhandlungen durch den Mann oder Zwang zur Prostitution meinen könnten. Die Ausländerbehörden pflegen im allgemeinen jedoch weniger die Begründung zu lesen. Sie lesen vor allen Dingen die Paragraphen, und die handhaben sie meistens ziemlich restriktiv.

Ulla Jelpke
Die Neuauslegung hat also allenfalls Alibicharakter; denn es bleibt Fakt, daß Frauen sich mindestens ein Jahr lang mißhandeln lassen müssen, bevor sie sich von ihrem Ehemann trennen können, und daß deutsche Ehemänner sich weiterhin nicht mehr genehmer Ehefrauen per Ausländerbehörde entledigen können, ohne Unterhaltszahlungen befürchten zu müssen usw. Dies spricht vielen Frauen Hohn. Es geht hier, Frau Schmalz-Jacobsen, vor allen Dingen um diejenigen Frauen, die durch Heiratshändler vermittelt werden, und um diejenigen, die mißhandelt werden.
Wir bleiben bei unserem Antrag, daß Ehepartnerin und Ehepartner mit der Einreise in die Bundesrepublik sofort ein eigenständiges, vom Ehegatten unabhängiges Aufenthaltsrecht bekommen.

(Beifall der Abg. Dr. Ruth Fuchs [PDS])

Wir fordern auch, daß der Sozialhilfebezug als Ausweisungsgrund gestrichen wird.
Von schreiender Ungerechtigkeit geprägt ist auch Ihr Vorschlag, den ehemaligen Vertragsarbeitnehmerinnen und Vertragsarbeitnehmern aus der DDR für die Verfestigung ihres Aufenthaltsstatus hier in der Bundesrepublik nur die Hälfte ihrer Aufenthaltszeit in der DDR anzuerkennen.
Betroffen sind 15 000 Menschen, vorwiegend Vietnamesinnen und Vietnamesen, die derzeit im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis sind. Sie müssen nach Ihrer Regelung jetzt meistens bis zu 13 Jahre und im Extremfall sogar 19 Jahre warten, bis sie eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung erhalten. Das Ausländergesetz sieht im übrigen vor, daß eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung nach acht Jahren rechtmäßigen Aufenthalts in der Bundesrepublik erteilt werden kann.
Zu behaupten, die Vertragsarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer aus Vietnam würden durch die 50prozentige Anerkennung der DDR-Zeit privilegiert, weil sie eigentlich nicht mit einem dauerhaften Aufenthalt hier hätten rechnen können, ist blanker Zynismus. Auch die sogenannten Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter im Westen sind hier nur als Arbeitskräfte auf Zeit angeworben worden. Sie mußten sich den langen Aufenthalt erkämpfen, frei nach dem Motto von Max Frisch: Sie riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen.
Die ehemaligen Vertragsarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer werden durch diese Regelung auf Jahre hinaus daran gehindert, wenigstens den Migrantinnen und Migranten im Westen gleichgestellt zu werden. Sie müssen erhebliche Behinderungen beim Zugang zum Arbeitsmarkt hinnehmen, bekommen kein Kindergeld und kein Erziehungsgeld. Darauf haben Ausländerbeauftragte der neuen Länder ebenso wie die Interessenvertretungen der Ausländer besonders hingewiesen.
Wir fordern Sie deshalb auf, dem von Sachsen-Anhalt vorgelegten Gesetzentwurf, der die Gleichstellung von Ausländerinnen und Ausländern im Westen und in der ehemaligen DDR fordert, zuzustimmen. Er formuliert genau das, was unserer Meinung nach nötig ist.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ansonsten möchte ich Sie bitten, das gesamte Paket, das heute vorgelegt wurde, noch einmal einer öffentlichen Anhörung zuzuführen; denn ich glaube, daß es sehr wichtig ist, Flüchtlingsorganisationen und -gruppen bzw. Experten nochmals zu den Auswirkungen dieser Anträge zu hören.
Danke.

(Beifall bei der PDS und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1311412100
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Zeitlmann, CDU/CSU.

Wolfgang Zeitlmann (CSU):
Rede ID: ID1311412200
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich muß eingangs einen Satz zum Kollegen Penner sagen. Herr Kollege Penner, ich habe die Formulierung in der Begründung nachgelesen, die Sie so erzürnt hat und derentwegen Sie hier solche Temperamentsausbrüche hatten. In dem Satz geht es um das Abschieben und um Erleichterungen bei der Abschiebung von Ausländern, die schwere Straftaten begehen. Dort heißt es:
Dies gilt gerade auch für die Ausländer, die durch die Begehung des besonders schweren Landfriedensbruchs das legitime Sicherheitsempfinden der Bevölkerung und die Rechtsordnung gefährden bzw. verletzen.

(Dr. Willfried Penner [SPD]: Genau das ist es!)

Herr Penner, Sie haben den Begriff „legitimes Sicherheitsempfinden" kritisiert und so getan, als sei dies schon NS-Gedankengut

(Dr. Willfried Penner [SPD]: Das habe ich überhaupt nicht!)

und mit dem Begriff „gesundes Volksempfinden" vergleichbar.

(Dr. Willfried Penner [SPD]: Ich habe von sprachlicher Anleihe gesprochen! Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Das ist das Schlimmste, was ich seit Jahren gehört habe!)

Ich will Ihnen klipp und klar sagen: Nach 50 Jahren freiheitlicher Demokratie kann mich mit so einer Formulierung niemand mehr attackieren. Es ist legitim, auch auf ein Sicherheitsempfinden in unserer Bevölkerung Rücksicht zu nehmen.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auf das Sicherheitsbedürfnis, aber nicht auf irgendein Empfinden!)

Alle führenden Köpfe in der Politik haben nach den Demonstrationen und den auf deutschen Straßen verübten Gewalttaten auch sehr deutlich diesem Sicherheitsempfinden der Bevölkerung Rechnung ge-

Wolfgang Zeitlmann
tragen und Verschärfungen gefordert, Herr Penner, auch die Vorturner Ihrer Partei.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, nach der letzten großen Reform des Ausländergesetzes 1990 befassen wir uns heute wieder mit einschneidenden Änderungen, allerdings in einem Paket, das die Änderung von Vorschriften des Strafrechts und des Asylverfahrensgesetzes enthält. Bevor ich im einzelnen auf Änderungen eingehe, möchte ich doch Sinn und Zweck des Ausländerrechts allgemein darstellen.
Das Ausländerrecht kann und darf nur den Zweck haben, die Belange des in Deutschland lebenden bzw. nach Deutschland kommenden Ausländers und die Belange der Bundesrepublik Deutschland in ein vernünftiges Verhältnis zueinander zu setzen. Deswegen regelt es die die Ausländer betreffenden Voraussetzungen des Zugangs nach Deutschland und des Aufenthalts in Deutschland.
Bei allem Verständnis für die individuellen Belange der Ausländer darf aber nicht verkannt werden, daß das Ausländerrecht kein Sozialrecht, sondern Sicherheitsrecht ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es regelt die Vereinbarkeit von Zuzug und Aufenthalt von Ausländern mit dem öffentlichen Interesse. Dieser Zusammenhang ist vielfach in Vergessenheit geraten oder wird gar verdrängt.
Das deutsche Ausländerrecht zeichnet sich durch große Liberalität aus.

(Lachen bei der PDS Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Das muß gerade die PDSTante sagen! Das ist ja nicht zu glauben!)

- Dieser Einwurf von der ganz linken Seite kann mich überhaupt nicht treffen. Wie hier jemand als - so sage ich es einmal - Überbleibsel der DDR lachen kann, wenn von Liberalität die Rede ist, ist mir unerfindlich. Man müßte einmal Geschichtsforschung betreiben, um herauszufinden, was ihr da drüben mit den Ausländern gemacht habt.

(Zuruf des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS])

Ich will einmal ein paar Zahlen nennen. Lebten im Jahre 1950 in Deutschland knapp 568 000 Ausländer, so waren es im Jahre 1990 bereits knapp 5,5 Millionen und im Jahre 1995, also fünf Jahre später, 7,2 Millionen. Der Anteil der EU-Ausländer bewegt sich zwischen 20 und 25 Prozent. Ich finde, allein diese Zahlen machen deutlich, daß unser Ausländerrecht wohl in eine Reihe mit den liberalen und freiheitlichen Ausländerrechten der westlichen Welt gestellt werden kann.
Vor dem Hintergrund zunehmender Gewaltbereitschaft ausländischer Straftäter allerdings setzt sich meine Partei insbesondere für eine Verschärfung der Ausweisungsvorschriften ein. Mit dem derzeitigen Ausländerrecht kann nur unzureichend auf gewalttätige Massendemonstrationen reagiert werden. Demjenigen, der sein Gastrecht - ich betone: sein Gastrecht; um mehr handelt es sich nicht; nur das vermitteln die Aufenthaltstitel des Ausländerrechts - mißbraucht, muß dieses entzogen werden.

(Beifall bei der CDU/CSU Zuruf der Abg. Ulla Jelpke [PDS])

Deswegen fordert die CSU mit Nachdruck, daß die bewiesene Begehung eines Landfriedensbruchs zwingend zur Ausweisung des Ausländers führt. Diese Forderung - das gebe ich offen zu - war in der Koalition nicht durchsetzbar. Nunmehr muß eine rechtskräftige Verurteilung wegen schweren Landfriedensbruchs zu zumindest zwei Jahren vorliegen; erst unter diesen Voraussetzungen ist der Ausländer zwingend auszuweisen. Wir von der CSU haben dieses Ergebnis nolens volens mitgetragen. Allerdings muß die Zukunft erweisen, ob die nunmehr gefundenen Ergebnisse im gewünschten Sinn Erfolge zeigen.
Auch die vorgesehene Erleichterung des eigenständigen Ehegattenaufenthaltsrechts ist ein Kompromiß zugunsten des Koalitionspartners. Es bleibt zu hoffen, daß diese Neuregelung - eigenständiges Ehegattenaufenthaltsrecht bereits nach einem Jahr bei Vorliegen der außergewöhnlichen Härte - nicht zu verstärktem Mißbrauch führt.
Nicht zuletzt auf Drängen der CSU wurden die Bestimmungen über die Beendigung des Aufenthalts bei strafrechtlicher Verurteilung verschärft. Mußte bisher bei Verurteilung wegen vorsätzlicher Straftaten zu Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens fünf Jahren bzw. bei mehrfacher Verurteilung von mindestens acht Jahren zwingend ausgewiesen werden, so gilt dies künftig bei Freiheitsstrafen von drei Jahren bei Mehrfachverurteilungen innerhalb von maximal fünf Jahren. Mit dieser Regelung wird die Gesetzeslage an die Spruchpraxis der Strafgerichte angepaßt, die sich bei der Verhängung langjähriger Freiheitsstrafen als sehr, sehr zurückhaltend erwiesen haben.
Mit dieser Regelung korreliert die Änderung der Ausweisungsschutzvorschriften. Der Ausweisungsschutz entfällt künftig regelmäßig bei schwerwiegenden Straftaten. Darüber hinaus haben wir durchgesetzt, daß zukünftig allein die Asylantragstellung aus der Abschiebehaft heraus nicht mehr automatisch zur Haftentlassung führt. So kann vermieden werden, daß auch eine mißbräuchliche Asylantragstellung zwingend die Freilassung aus der Haft nach sich zieht.
Mit den jetzt vorgelegten Änderungen des Ausländerrechts werden nicht nur die Möglichkeiten zur Ausweisung und Abschiebung Krimineller verbessert; es wird auch die Rechtsstellung der sich legal in Deutschland aufhaltenden Ausländer verbessert. So wird zukünftig ausländischen behinderten Kindern unter erleichterten Voraussetzungen eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis oder sich in Ausbildung befindlichen ausländischen Jugendlichen leichter eine Aufenthaltsberechtigung erteilt.
Das nun vorliegende Paket stellt einen im wesentlichen ausgewogenen Kompromiß zwischen Verschärfungen einerseits und Erleichterungen andererseits dar. Die Effektivität dieses Pakets wird sich allerdings erst erweisen müssen.

Wolfgang Zeitlmann
Bei allen jetzigen und zukünftigen Forderungen nach noch weitergehenden Erleichterungen werden wir alle uns fragen müssen, ob nicht bereits die Grenzen des Machbaren erreicht sind. Ich habe die Zahlen und Steigerungsraten am Anfang meiner Rede genannt. Angesicht der anstehenden Einschnitte, insbesondere im sozialen Bereich, wird eine weitere Liberalisierung des Ausländerrechts an die Grenzen der Aufnahmefähigkeit der Bundesrepublik Deutschland und die Aufnahmebereitschaft ihrer Bevölkerung stoßen. Wir dürfen die deutsche Bevölkerung nicht überfordern; sonst besteht die Gefahr, daß sich deren grundsätzliche Ausländerfreundlichkeit ins Gegenteil verkehrt.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1311412300
Das Wort hat die Kollegin Cornelie Sonntag-Wolgast, SPD.

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD):
Rede ID: ID1311412400
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zum Kollegen Zeitlmann eine Bemerkung machen. Daß Sie bedauern, straffällig Gewordene nicht auch ohne rechtskräftiges Urteil ausweisen zu können, zeigt mir, daß Sie Geist und Sinn des Rechtsstaates offenbar nicht voll begriffen haben. Ich bedaure das sehr.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS Erwin Marschewski [CDU/CSU]: So ein unsinniger Vorwurf! Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Es gibt ganz klare Beweislagen!)

Seit vielen, vielen Monaten liegen Anträge der SPD-Bundestagsfraktion und anderer Oppositionsparteien zur Änderung des Ausländergesetzes vor.

(Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Was soll das? Das ist geltende Rechtslage im Ausländerrecht!)

- Ich rede jetzt von unserem Antrag zur Ausländergesetzänderung.
Unser Antrag datiert - hören Sie bitte zu - vom 10. März 1995, hat vor mehr als einem Jahr seine erste Lesung erfahren, und anschließend erlebten wir bei diesem Thema wie auch bei manchen anderen ausländerrechtlichen Fragen, bei denen es im Gebälk der Koalition knirscht, Funkstille im Innenausschuß.
Nun plötzlich überraschten uns in der letzten Woche CDU/CSU und F.D.P. mit der Ankündigung, sie wollten ihre eigenen Gesetzesinitiativen als Änderungsanträge zu unseren Vorlagen einbringen. Hätte es sich um wirkliche Alternativen zu unseren Novellierungsvorschlägen gehandelt, hätte man darüber reden können.

(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Überrascht könnt ihr nicht gewesen sein! Ich habe es euch ja vorher gesagt!)

Statt dessen aber präsentieren Sie uns einen gesetzgeberischen Gemischtwarenladen in wilder Zusammenballung: ein gewisses Quantum an Vorschlägen zu aufenthaltsrechtlichen Verbesserungen, gefolgt von einschneidenden Veränderungen im Strafgesetzbuch, bei den Ausweisungstatbeständen und beim Demonstrationsrecht und zu guter Letzt ein paar Vorschriften zur Stellung der Ausländerbeauftragten.
Das war der unverfrorene Versuch, umfassende Gesetzesänderungen noch vor der Sommerpause durchzupeitschen, eine glatte Mißachtung parlamentarischer Sitten und der Rechte der Opposition

(Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Meinen Sie das wirklich ernst?)

auf eine sorgfältige und eingehende Beratung ihrer eigenen Initiativen. Das konnten wir uns nicht bieten lassen. Wir haben Sie zum Glück von diesem Vorhaben abbringen können.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Natürlich ist mir klar, warum Sie es mit Ihrem Gesetzespaket plötzlich so eilig haben und warum Sie jetzt auch unruhig werden. Sie wollen angesichts der zweifellos bedrückenden Aktionen der Kurden vom vergangenen Frühjahr Handlungsfähigkeit und Härte demonstrieren.
Damit das Ganze nicht so rabiat wirkt, haben Sie die Gesetzesverschärfungen in ein paar schon vorher ins Auge gefaßte aufenthaltsrechtliche Minimalverbesserungen hineingepackt und eine gewisse Aufwertung des Amtes der Ausländerbeauftragten als Garnierung vorgesehen. Der Geruch nach „law and order" sollte offenbar mit ein paar liberalen Duftmarken abgemildert werden. Das ist aber zuwenig und zu beiläufig für ein gesellschaftlich wichtiges Ziel, nämlich die Integration dauerhaft hier lebender Menschen nichtdeutscher Herkunft zu fördern

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

und ihnen Sicherheit für ihre Lebensplanung zu ermöglichen.
Ich finde es schade: Was Sie uns in diesem Teil Ihres Gesetzespaketes präsentieren, ist in sich enttäuschend, unzureichend und kleinmütig. Das gilt auch für einen Kernpunkt der öffentlichen Auseinandersetzung, nämlich für § 19 des Ausländergesetzes. Die Bestimmungen zu diesem Punkt sind seit langem dringend reformbedürftig. Herausgekommen ist aber leider lediglich, daß in außerordentlichen Härtefällen die Frist bis zur Erlangung des eigenständigen Aufenthaltsrechts verkürzt werden soll; die eheliche Gemeinschaft muß demnach nur mindestens ein Jahr bestehen.
Das ist vor allen Dingen für die schwer mißhandelten Frauen ein schwacher Trost. Das wird auch die leidige Praxis erzwungener Prostitution nicht eindämmen - eine herbe Enttäuschung für alle, die seit

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast
langem auf eine durchgreifende Besserung gedrängt haben.

(Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Da sind die meisten in Ihrer Fraktion völlig anderer Meinung! Die haben mir gesagt, das sei gut!)

Deswegen fordern wir, im Härtefall die Mindestfrist für die Dauer der ehelichen Gemeinschaft ganz entfallen zu lassen. Im Regelfall soll diese Frist von jetzt vier Jahren auf zwei Jahre verkürzt werden. Wir meinen, das ist angemessen und wird auch die Gefahr der Scheinehen ausreichend eindämmen können.
Gelegentlich habe ich in den Diskussionen um diesen § 19 - auch von Ihnen, Frau Schmalz-Jacobsen -, gehört, das alles sei ein bißchen hochstilisiert und übertrieben. Ich finde, Sie dürfen solche Anliegen nicht einfach vom Tisch wischen. Fragen Sie doch, warum ein solches Thema eine solche Bedeutung erlangt! Dann werden Sie vielleicht darauf kommen, daß es etwas mit dem Streben nach Menschenwürde und Eigenverantwortlichkeit zu tun hat. Wenn Sie das in der Migrationspolitik insgesamt begreifen würden, wären wir einen Schritt weiter.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

Versäumt haben Sie in Ihrem Gesetzespaket leider auch ein anderes wichtiges Reformprojekt: das Wiederkehrrecht der jungen Ausländer. Frau SchmalzJacobsen, natürlich gibt es so etwas. Aber es ist zu eng gefaßt. Wir brauchen großzügigere Regelungen für diejenigen, die in das Herkunftsland ihrer Eltern zurückkehren und dann merken, daß sie dort nicht mehr Fuß fassen. Es ist schade, daß Sie diesem Mangel der zu engen Fristen nicht abgeholfen haben.
Ich will aber auch eine echte Verbesserung herausheben. Sie betrifft etwas, was für die älteren ausländischen Arbeitnehmer geplant ist: Wenn sie in der Bundesrepublik länger als 15 Jahre berufstätig sind, erhalten sie praktisch Reisefreiheit, ohne ihren Aufenthaltsstatus in der Bundesrepublik einzubüßen. Damit haben Sie eine wichtige Forderung,

(Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Der SPD natürlich erfüllt!)

die wir seit langem stellen, aufgegriffen. Das ist ausdrücklich zu begrüßen. Es ist einer der wenigen Lichtblicke, Herr Marschewski, in dem ansonsten trüben Umfeld, das Ihre Ausländerpolitik uns seit Jahren bietet.

(Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Das Böse kommt von uns; das ist klar!)

- Ich lobe Sie doch. Merken Sie das doch!
Leider wiegt dieses positive Element die schwerwiegenden Mängel Ihrer Vorlagen ansonsten nicht auf. Schlimmer noch: Ich finde, Sie haben mit Ihrem eigentümlichen Gesetzeskonglomerat die Chance verspielt, wirklich mal ein Zeichen für die hier lebenden Menschen anderer Nationen und Religionen zu setzen,

(Beifall bei der SPD)

ein Zeichen für den echten Willen zur Integration und zur fairen Partnerschaft von Deutschen und Nichtdeutschen. Das hätte mit einer deutlichen Geste geschehen müssen: entweder in einem echten Änderungsantragspaket zu unseren Vorstellungen oder auch zu den Eckwerten eines Einwanderungsgesetzes. Aber wir hören hier schon wieder das krasse Nein.

(Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Legen Sie eines vor!)

Ich finde es ausgesprochen schade, daß Sie diese Elemente mit den Gesetzesverschärfungen vermengen und dadurch auch überdecken. Das ist sicherlich ein grundlegender Fehler.
Ich will keine Mißverständnisse aufkommen lassen. Wer in diesem Land blutige Randale macht, wer Polizisten prügelt, der verdient eine deutliche Antwort dieses Staates. Auch die Zustände in der Türkei, auch das brutale Vorgehen von Militärs und Sicherheitskräften gegen die Kurden rechtfertigen nicht die militanten Aktionen auf diesem Boden, die sich einige geleistet haben.

(Beifall bei der SPD und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Auf der anderen Seite hört man freilich von der Bundesregierung in den letzten Monaten wenig darüber, wie weit sie sich eigentlich noch dafür einsetzt, gegenüber der Türkei darauf zu dringen, das Kurdenproblem mit politischen, das heißt friedlichen Mitteln zu lösen.

(Beifall der Abg. Otto Schily [SPD] und Cern Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Statt dessen legen Sie einen Katalog verschärfter Maßnahmen für Ausweisungen und Abschiebungen vor. Ich halte ihn in erster Linie für populistisch und aktionistisch verbrämte Hilflosigkeit in einem wesentlichen Bereich. Alles, was man an diesen Gesetzen ändern will, ist einzig und allein daran zu Bernessen, ob die ausländischen Gewalttäter wirklich schneller abgeschoben werden können, ohne daß unsere völkerrechtlichen Bindungen und unsere Verpflichtungen zum Schutz der Menschenwürde über den Haufen geworfen werden können. Sie wissen doch alle, was die Genfer Flüchtlingskonvention und die Menschenrechtskonvention zu Abschiebungshindernissen äußern. Im übrigen haben wir ein dicht gewebtes gesetzliches Regelwerk. Der Beweis, ob das bei konsequenter Anwendung nicht ausreicht, ist bislang nicht erbracht.
Die Ausländerbeauftragten von Bund und Ländern haben mit Recht Anstoß daran genommen, daß auch jugendliche ausländische Straftäter unter die geplanten Maßnahmen fallen sollen. Ich finde: Ein hier geborener junger Ausländer der zweiten oder dritten Ausländergeneration sollte nicht besser, aber auch

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast
nicht schlechter gestellt werden als ein straffällig gewordener junger Deutscher.

(Beifall des Abg. Cern Özdemir [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] Erwin Marschewski [CDU/ CSU]: Wird er doch gar nicht! Wieso wird er schlechter gestellt?)

Im übrigen geht Ihr Gesetzentwurf bei der Verschärfung der Ausweisungsbestimmungen weit über den Problembereich des Ausländerrechtes hinaus. Sie berühren das Demonstrationsrecht schlechthin, wenn beispielsweise die Kriterien für den einfachen und den schweren Landfriedensbruch verändert werden und wenn bei einer verbotenen, aber noch friedlich verlaufenden Versammlung schon jemand, der über das Megaphon spricht, als sogenannter Anheizer Gefahr läuft, hart bestraft zu werden.

(Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Sie haben nur friedliche Menschen in Ihrem Leben!)

Davor warnen wir dringend, ebenso davor, daß die Kurdenkrawalle in diesem Frühjahr, die ich nicht beschönigen will, jetzt zum Hauptmaßstab künftiger staatlicher Reaktionen gemacht werden. Es ist auch ungerecht gegenüber den Ausländern im allgemeinen und den Kurden im besonderen, die ihren Forderungen auf friedliche Weise Ausdruck geben wollen. Ich darf noch einmal daran erinnern, daß es eine friedlich verlaufene Demonstration in Hamburg mit 40 000 bis 60 000 Menschen gegeben hat. Dies ist ja zumindest einmal einer Erwähnung wert.
Meine Damen und Herren, es ist das erste Mal nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, daß wir hier im Plenum auch über den künftigen Umgang mit der Asyl- und Flüchtlingspolitik sprechen. Denn auf diesen Komplex beziehen sich ja eine Reihe von Anträgen, die wir in unserer heutigen Debatte diskutieren. Das Karlsruher Urteil hat - wie konnte es anders sein - ein höchst unterschiedliches Echo gefunden. Für mich heißt das nun keinesfalls, daß die Befürworter der Neuregelung jetzt sozusagen in Siegerposen schwelgen sollten und die Gegner in tiefer Resignation. Das Asylrecht begleitet uns ja in seiner Praxis Tag für Tag weiter. Parlamentarische Dauerpflicht bleibt, es kritisch zu begleiten und immer wieder unter die Lupe zu nehmen.
Was ich allerdings nicht für möglich halte, ist das, was Sie, Frau Müller, in Ihrem Antrag unter dem Titel „Menschenrechtlich orientierte Asyl- und Flüchtlingspolitik" jetzt fordern. Denn dies ist doch eine grundlegende Umkrempelung der Gesetze. Das war seinerzeit - noch vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts - sicherlich als legitimer Versuch eines politischen Signals aufzufassen. Nur, jetzt - nach Verkündung des Urteils - fehlt es ja doch an Realitätsnähe. Es geht nicht an, daß wir die Karlsruher Entscheidung regelrecht unterlaufen, daß wir wesentliche Teile des neuen Asylrechts einfach aufheben und uns gewissermaßen zu dem Stand von 1992 zurückbegeben. Das, meine ich, geht nicht.

(Beifall bei der SPD)

Ich schlage demgegenüber eine andere Strategie vor, und da werden Sie wohl noch Reformansätze finden: Auf dem Fundament der bestätigten Asylrechtsänderungen sollten wir jetzt die humanitären Spielräume voll ausloten, die diese hergeben. Wir sollten Mängel ausräumen und nicht zuletzt, meine Damen und Herren aus der Koalition, das einfordern, was im Asylkompromiß vom 6. Dezember 1992 ausgehandelt, bis heute von der Bundesregierung jedoch nicht umgesetzt worden ist.

(Beifall bei der SPD)

Ich will noch einmal illustrieren, was da noch aussteht: das immer noch nicht eingelöste Versprechen des besonderen Status für Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge.

(Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Das ist wohl wahr!)

Der steht immer noch auf geduldigem Papier, ist aber nicht Wirklichkeit geworden - obwohl im Asylkompromiß vorgesehen -, weil sich der Bund hartnäckig weigert, sich an den Kosten gemeinsam mit den Ländern hälftig zu beteiligen. Deswegen bleibe ich dabei: Dies ist eine skandalöse Verweigerungshaltung. Sie wird nicht hingenommen und bleibt für uns auf der Tagesordnung.

(Beifall bei der SPD)

Ähnliches gilt auch für die wirklich humane Altfallregelung für abgelehnte Asylbewerber. Ich weiß: Die Innenminister von Bund und Ländern haben sich Ende März auf eine Regelung geeinigt. Ich meine aber, die Hürden sind zu hoch gesteckt, die Bedingungen zu eng gefaßt. Auch da ist eine Bringschuld aus dem Asylkompromiß nicht voll beglichen.
Jetzt kommt der nächste Punkt - ich darf Ihrem Gedächtnis, meine Damen und Herren, insofern auf die Sprünge helfen, auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen -: Im Asylkompromiß war auch der Grundstock für ein Einwanderungsgesetz gelegt. Ich darf zitieren:
Die Fraktionen stimmen darüber überein, daß die Möglichkeiten einer Regelung zur Begrenzung und Steuerung der Zuwanderung auf nationaler Ebene geprüft und Verhandlungen hierzu auf europäischer Ebene fortgesetzt werden.
Das ist ein Auftrag. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen aus der Union, wollen offenbar von alledem nichts mehr wissen. Herr Marschewski hat das heute wieder schön kundgetan.

(Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Wir haben das überprüft und abgelehnt! Das ist ganz einfach!)

Sie sperren sich, von wenigen Einsichtigen in Ihren eigenen Reihen abgesehen, gegen das Eingeständnis und die Einsicht, daß hier Einwanderung stattgefunden hat und weiter stattfinden wird und daß wir dieses Thema mit umfassenden politischen Gestaltungsmöglichkeiten behandeln müssen.
Für uns jedenfalls ist in diesem Zusammenhang zwingend, daß wir ein Konzept vorlegen. Dabei ist die Integration der Neuankömmlinge ebenso wie der

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast
hier schon lange lebenden Migranten die wichtigste politische Richtschnur.
Wir haben noch einen taufrischen Parteitagsbeschluß der angeblich neu erstarkten F.D.P. für ein Zuwanderungsgesetz. Wir können Sie, Herr Stadler, einfach einladen, sich unseren Initiativen anzuschließen. Aber ich muß auch sagen: Was haben Ihre Parteitagsbeschlüsse und Ihre großspurigen Ankündigungen schon zu bedeuten?

(Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Trübe Erfahrungen aus der jüngsten Vergangenheit zwingen mich da zur Skepsis.
Ich lese und höre immer wieder: Die F.D.P. in der Ausländerpolitik auf Gegenkurs zur CDU/CSU. Aber den Beweis erbringen Sie nicht. Ich höre seit Beginn dieser Legislaturperiode flammende Bekenntnisse aus Ihrem Lager für die Erleichterung der Einbürgerung, für die Hinnahme der doppelten Staatsangehörigkeit mit der Geburt für die dritte Ausländergeneration und dergleichen mehr. Aber nie haben Sie die Konfrontation mit Ihrem Koalitionspartner wirklich ehrlich zustande gebracht. Sie gebärden sich wie eine Operndiva, die auf der Bühne ständig den Mund aufmacht, ohne daß jemals ein Ton herauskommt. Irgendwann glaubt man der Dame nicht, daß sie singen kann.
Von den sogenannten jungen Aufmüpfigen der CDU/CSU höre ich etwas zu Bemühungen um erleichterte Einbürgerung.

(Unruhe)

Auch dort, meine Damen und Herren, ist der Beweis nicht erbracht, wie Sie sich durchsetzen. Also warten wir ab. - Ich merke, wie unruhig Sie sind, und freue mich darüber. Mehr ist da im Moment auch überhaupt nicht drin.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Die dürfen wir nicht so auskommen lassen! Wo sind die Jungen abgeblieben?)

- Das frage auch ich mich.

(Unruhe)

Ich nenne am Schluß meiner Rede weitere wenige Stichpunkte zum Bereich der Ausländer- und Asylpolitik, damit sie Ihnen im Gedächtnis bleiben. Ich erwähne, daß wir die Bedingungen, unter denen im Moment minderjährige unbegleitete Flüchtlinge in dieses Land kommen, verbessern müssen.

(Unruhe)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1311412500
Ich darf einmal dazwischengehen. Zwischenrufe von Bank zu Bank gehen nicht an. Das ist zu laut. - Bitte.

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD):
Rede ID: ID1311412600
Es ist eine schöne, lebendige Diskussion.
Ich war bei der Situation der minderjährigen unbegleiteten Flüchtlinge. Ich meine, daß sich da im Sinne von mehr Humanität und mehr Kindgerechtigkeit etwas ändern muß, und setze da auf fraktionsübergreifende Verbesserungen.
Ich erwähne auch europäische Verpflichtungen, zum Beispiel den Rechtsakt, der für Minderjährige den Anspruch auf besonderen Schutz und Hilfe gemäß dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes anmahnt. Vom Innenminister ist offensichtlich nichts zu erwarten. Europäische Vorlagen scheinen nicht viel zu bedeuten. Aber, wie gesagt, ich habe noch nicht alle Hoffnung aufgegeben, daß wir aus dem Parlament heraus weiterkommen.
Menschlichere Bedingungen für die Abschiebehaft gehören weiterhin zu einem Anliegen, das wir weiter verfolgen wollen. Hierher gehören auch detaillierte Fragen dazu, in welchem Umfang geschlechtsspezifische Verfolgung vor allem bei Asylbewerberinnen berücksichtigt und ob Folteropfer und traumatisierte Flüchtlinge mit ausreichender Sensibilität bei den Anhörungen behandelt werden. Dazu hat meine Fraktion soeben eine Anfrage eingebracht.
Meine Damen und Herren, Asylrecht, Ausländerpolitik - mein Kollege Penner hat es schon gesagt - gehören zu den wesentlichen Aufgaben und vor allen Dingen zu einer permanenten Aufgabe nicht allein für die Verwaltung, sondern auch für uns als Parlamentarier. Der Alltagsroutine sollten wir sie auf alle Fälle nicht überlassen.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1311412700
Das Wort hat Kollege Dr. Max Stadler, F.D.P.

Dr. Max Stadler (FDP):
Rede ID: ID1311412800
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Sonntag-Wolgast, wir hatten mit Zustimmung der SPD zunächst beabsichtigt, unsere Vorschläge als Änderungsantrag im Ausschuß einzubringen.
Ich bin froh, daß am Ende hier in erster Lesung im Plenum des Deutschen Bundestages eine Debatte stattfindet. Denn eines muß man über unser Ausländerrecht - man könnte sagen: leider; ich sage: es geht kaum anders - feststellen: Es ist außerordentlich kompliziert, und es bleibt auch nach den von uns vorgeschlagenen Regelungen kompliziert, so daß die heutige Debatte die Gelegenheit bietet, wenigstens einiges klarzustellen, was in den vorangegangenen Redebeiträgen an Mißverständnissen vorhanden war.
Meine Redezeit reicht allerdings - Frau Kollegin Jelpke, es tut mir leid, daß ich das sagen muß - nicht aus, sämtliche Mißverständnisse - man könnte auch sagen: sachliche Unrichtigkeiten - hier klarzustellen, die in Ihrem Beitrag enthalten waren. Sie haben zum Beispiel über die Ausweisung von Minderjährigen gesprochen, ohne zu erwähnen, daß bereits nach § 47 Abs. 3 Satz 4 des geltenden Rechts bei Minderjähri-

Dr. Max Stadler
gen keine zwingenden Ausweisungen und keine Regelausweisungen zulässig sind.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Das müßte eigentlich ein ehemaliger Staatsanwalt wissen! Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Ich habe von Jugendlichen gesprochen!)

Meine Damen und Herren, ich will auch nicht die Quantität und die Qualität hier gegeneinander abwägen. Das liegt mir fern. Aber es sei doch der Hinweis erlaubt, daß die Verbesserungen, die wir für in Deutschland lebende Ausländer mit diesem Gesetzentwurf vorstellen, wesentlich mehr Menschen betreffen als die Verschärfungen, die zugegebenermaßen im Bereich der Ausweisung und Abschiebung auch enthalten sind. Millionen von Ausländern werden an den Erleichterungen teilhaben, die wir beschließen werden.

(Uwe Lühr [F.D.P.]: Sehr richtig!)

Einige wenige, insbesondere gewalttätige Ausländer werden von den Verschärfungen betroffen sein. So ist die Relation.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Mit dem vorliegenden Entwurf wird die Rechtsstellung der Ausländer deutlich verbessert. Ich will dies nicht mehr im Detail wiederholen, sondern nur die Freude der F.D.P.-Fraktion zum Ausdruck bringen, daß es gelungen ist, die Rechtsstellung der Beauftragten für Ausländerfragen nunmehr gesetzlich festzuschreiben. Wir stellen allerdings fest, daß schon im Rahmen ihrer jetzigen Rechtsstellung unsere Kollegin Cornelia Schmalz-Jacobsen als Ausländerbeauftragte eine vorzügliche Arbeit leistet, die zu Recht allgemein große Anerkennung findet, so daß ich es für angebracht halte, ihr an dieser Stelle dafür einmal herzlich zu danken.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Wir betrachten es auch als Bestätigung der ausgezeichneten Arbeit von Frau Schmalz-Jacobsen, wenn die Position der Ausländerbeauftragten nunmehr gesetzlich geregelt und damit aufgewertet wird.
Die vorgeschlagenen Veränderungen berücksichtigen freilich auch das berechtigte Interesse des Staates, auch im Sinne einer Prävention klarzustellen, daß Gewalttätigkeiten und schwer kriminelles Verhalten nicht nur strafrechtliche, sondern auch ausländerrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.
Es ist in der Debatte bisweilen heute das Argument gebracht worden, daß sich eine Ausweisung gewissermaßen als Doppelbestrafung darstelle. Das mag in der Konsequenz von dem Betroffenen so empfunden werden, aber wenn man sich dieses Argument zu eigen macht, dann wäre die konsequente Folge, daß eine Ausweisung überhaupt ausscheiden müßte. Das kann wohl nicht richtig sein, sondern zu diskutieren ist über die Voraussetzungen, die, wie ich gleich darlegen werde, nach wie vor eng genug sind.
Ich bin der Meinung, daß der Entwurf der Koalitionsfraktionen - das ist bei so einschneidenden Maßnahmen wie Ausweisung und Abschiebung richtig - das notwendige Augenmaß bewahrt. Entscheidend für uns ist, daß für die Ausländerbehörden und die Verwaltungsgerichte auch künftig der notwendige Spielraum erhalten bleibt, um die individuellen Umstände eines Falles berücksichtigen zu können und zu einer gerechten Einzelfallentscheidung zu gelangen. Rechtsstaatliche Grundsätze wie die Anknüpfung an die Rechtskraft eines Strafurteils als Voraussetzung für Ausweisungen bleiben gewahrt.
Meine Damen und Herren, der Gesetzgeber steht bei der Formulierung von Ausweisungsgründen vor einem grundsätzlichen Problem: Je mehr Ermessen der Praxis zugebilligt wird, um so größer ist die Gefahr einer uneinheitlichen Rechtsanwendung. Ich darf sehr wohl feststellen, daß in der Vergangenheit zu beobachten war, daß die Bundesländer die schon jetzt bestehenden Möglichkeiten der Reaktion auf Gewalttaten nicht hinreichend umgesetzt haben.
Daher geht der Entwurf vorsichtig in die Richtung, mehr zwingende Ausweisungsgründe vorzusehen. Wir sind uns freilich der Tatsache bewußt, daß damit die prinzipielle Gefahr verbunden ist, daß bei einer strikten Fassung von Ausweisungsgründen ungerechte und unangemessene Ausweisungsentscheidungen im Einzelfall vorprogrammiert sind. Ich bitte alle Kritiker, sich dieses etwas komplizierte System einmal wirklich vor Augen zu führen. Deswegen hat die F.D.P.-Fraktion darauf Wert gelegt, daß am bisherigen Grundsystem des Ausweisungsrechts festgehalten wird. Damit bleibt es dabei, daß sogar bei zwingenden Ausweisungsgründen in bestimmten Fällen, nämlich der Mehrzahl der Fälle, nach wie vor Raum für eine Einzelfallösung besteht. Wir haben darauf Wert gelegt, daß der besondere Ausweisungsschutz in § 48 Ausländergesetz erhalten bleibt.
Herr Kollege Penner, ich gebe gerne zu, daß es vielleicht wünschenswert wäre, für Minderjährige, für Jugendliche, die hier aufgewachsen sind, einen absoluten Ausweisungsschutz vorzusehen. Wenn man sich die bestehenden Regelungen vor Augen führt, wird man aber unschwer erkennen, daß auch der jetzt gegebene Ausweisungsschutz sehr weitgehend ist und nahezu ausschließt, daß diese auch von uns nicht gewünschte Möglichkeit einer Quasiverbannung für Jugendliche, die hier aufgewachsen sind, tatsächlich eintritt.
Auch in § 48, wonach bei „schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung . . . in der Regel" der Ausweisungsschutz entfällt, wird durch die Formulierung „in der Regel" dargestellt, daß wir Einzelfallumstände sehr wohl abzuwägen wissen. Es macht, wie Frau Schmalz-Jacobsen gesagt hat, natürlich einen Unterschied, ob jemand einreist und schwerwiegende Straftaten begeht oder ob jemand sich seit langen Jahren hier aufhält, völlig rechtmäßig und straffrei lebt und dann wegen einer einzelnen Straftat eine Ausweisung riskieren müßte.
Meine Damen und Herren, wir haben bei der Neuformulierung des § 47 auf zwei weitere rechtsstaatliche Sicherungen geachtet.
Soweit es um Mehrfachtäter geht, die bei einer Gesamtstrafe von insgesamt drei Jahren Freiheitsstrafe

Dr. Max Stadler
künftig zwingend auszuweisen sind, haben wir dafür gesorgt, daß nur noch Verurteilungen aus den letzten fünf Jahren herangezogen werden können. Wir wollen nicht, daß jemand, der sich schon sehr lange in Deutschland aufhält, wegen einer lange zurückliegenden Straftat in die Gefahr der zwingenden Ausweisung gerät.
Zum zweiten - ich habe es schon kurz angesprochen - bestehen wir selbstverständlich darauf, daß an die Rechtskraft von Strafurteilen angeknüpft wird. Nach unserem Verständnis wäre sonst das Grundprinzip der Unschuldsvermutung tangiert.
Meine Damen und Herren, ich habe nur noch wenig Zeit, um kurz auf die Neuformulierung des § 125a StGB einzugehen. Im Laufe der Beratungen sind wir zu der Überzeugung gelangt, daß derjenige, der an einer verbotenen Demonstration teilnimmt und dabei einen Landfriedensbruch begeht, schwereres Unrecht verwirklicht als ein anderer. Der richtige Regelungsort ist, wenn man sich dieser Überzeugung anschließt, das Strafgesetzbuch. Denn es entspräche in der Tat einer eigentümlichen Rechtsauffassung, wenn man hier ein Sonderrecht für Ausländer schaffen würde. Die Konsequenz, daß das dann alle Straftäter unabhängig von der Staatsangehörigkeit trifft, muß man in Kauf nehmen. Voraussetzung für eine solche Strafbarkeit ist freilich, daß das Verbot der Demonstration dem Täter bekannt war, daß er vorsätzlich dagegen verstoßen hat und daß er einen Landfriedensbruch, wie er schon jetzt in § 125 StGB definiert ist, begeht.
Herr Kollege Häfner, das ist leider in Ihrer Fragestellung offenbar völlig mißverstanden worden. Es wird nicht etwa ein neuer Straftatbestand geschaffen. Vielmehr ist der einfache Landfriedensbruch schon jetzt ein Straftatbestand. Deswegen ist die Demonstrationsfreiheit nicht tangiert. Es geht um jetzt schon strafbares Verhalten. Es wird ein neues Regelbeispiel dafür geschaffen, daß der Strafrahmen verschärft wird. Das ist ein gewaltiger Unterschied zu dem, was Herr Kollege Häfner in seiner Frage zum Ausdruck gebracht hat.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1311412900
Herr Kollege Stadler, achten Sie bitte auf die Zeit!

Dr. Max Stadler (FDP):
Rede ID: ID1311413000
Herr Kollege Penner, ich gehe daher auf Ihre Äußerung zu diesem Thema, die mich, ehrlich gesagt, sehr getroffen hat, in der Ausschußsitzung ein, weil man darüber vielleicht sine ira et studio reden muß. Jede Annäherung an ein undemokratisches oder dem grundrechtlichen Bestimmtheitsgebot nicht entsprechendes Strafrecht weisen wir in der Tat zurück.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Ich komme zum Schluß, meine Damen und Herren. Einschneidende Maßnahmen wie Ausweisung und Abschiebung sind nicht der geeignete Anlaß für scheinbar einfache Lösungen. Wer von uns eine simple Ausweisungs- und Abschiebungsautomatik erwartet hat, den werden wir mit diesem Gesetzentwurf enttäuschen.
Wir enttäuschen aber auch gerne diejenigen, die unsere Vorschläge voreilig als Beleg für die Abkehr von liberaler Rechtsstaatlichkeit heranziehen wollen. Dies trifft gewiß nicht zu. Vielmehr haben wir ausgewogene, dem Schutz der in Deutschland lebenden In- und Ausländer dienende, rechtsstaatliche und dem liberalen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechende Vorschläge vorgelegt.
Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1311413100
Das Wort hat der Kollege Cern Özdemir, Bündnis 90/Die Grünen.

Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1311413200
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Während die Koalition glaubt, sich bei der dringenden Reform des Ausländergesetzes und des Staatsangehörigkeitsrechtes Zeit lassen zu können, die Fachdiskussionen geflissentlich ignoriert werden, werden Verschärfungen im Ausländergesetz mit heißer Nadel gestrickt und sollen quasi im Schweinsgalopp durch den Innenausschuß und den Bundestag gejagt werden.
Herr Marschewski - ich glaube, er ist jetzt nicht mehr anwesend - hat vorher den Aspekt der inneren Sicherheit mehrfach strapaziert. Mir gefällt die Art der Arbeitsteilung nicht, die dabei nach dem Motto herübergebracht wird: Die Koalition ist für die innere Sicherheit und die Opposition möglicherweise für das Gegenteil zuständig.
Ich möchte Ihnen zum Thema innere Sicherheit nur so viel sagen: Jeden Tag werden in Deutschland 300 Kinder ausländischer Eltern geboren, die Ausländer sind, während dieser Debatte ungefähr 25. Auch das ist ein Aspekt der inneren Sicherheit, daß Sie bis zum heutigen Tage nicht bereit sind, Menschen, die zu diesem Land und zu dieser Gesellschaft gehören, hier das Licht der Welt erblicken, zu Bürgern erster Klasse, zu Bürgern dieser Republik zu erklären. Auch das ist ein Aspekt, über den Sie nachdenken sollten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)

Damit schaden Sie deutschen Interessen, damit schaden Sie den Interessen dieses Landes. Denken Sie darüber bitte einmal nach.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wo ist da eine Logik?)

Wenn Sie schon nicht auf das hören wollen, was wir sagen, was die Opposition sagt, so hören Sie doch auf das, was beispielsweise die Ausländerbeauftragten der Länder sagen, was das Hohe Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen sagt, was die Kirchen sagen, was die Gewerkschaften sagen, die Seelsorge in den Gefängnissen und all die anderen! Sie sollten sich anhören, was die Genannten von Ihren Vorschlägen halten. Ihre Parole scheint zu sein: Augen zu und durch!
Es ist schlimm genug, was Sie im einzelnen an Änderungen im Ausländergesetz planen. Das eigent-

Cem Özdemir
liche Problem scheint mir hingegen, daß Sie offensichtlich die Augen vor den Realitäten der Gesellschaft verschließen wollen und daß Sie im Grunde dabei sind, zu einer Art babylonischer Sprachverwirrung beizutragen.
Sie reden hier von einem Gastrecht; wir erleben im Grunde einen Rückfall in die Gastarbeiterära, ohne zu sehen, daß es sich bei Menschen, die seit 30, 40 Jahren in dieser Republik leben, die hier geboren sind, die hier mittlerweile schon ihren Lebensabend verbringen, nicht mehr um Gäste handelt, sondern um Menschen, die zu dieser Gesellschaft dazugehören, um Bürger, leider um Bürger ohne deutschen Paß. Das wollen wir ändern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)

Sie reden von den PKK-nahen Gewalttätern, doch wer ist denn tatsächlich von Ihren Gesetzesänderungen betroffen? - Es sind eben auch genau diese Menschen, denen Sie das Recht auf Einbürgerung bisher immer noch verweigern. So wird das Ausländerrecht zu einer Art zweitem Strafrecht, so wird die Ungleichbehandlung ausländischer und deutscher Straffälliger zum Prinzip. Das Prinzip scheint Verbannung statt Resozialisierung zu sein.
Statt endlich das auch von den Ausländerbeauftragten immer wieder geforderte unentziehbare Aufenthaltsrecht für Angehörige der zweiten Generation einzuführen, machen Sie jetzt die Doppelbestrafung und die Abschiebung in die Heimat der Eltern oder gar der Großeltern zur Regel. Dies ist Deutschlands unwürdig.
Ich möchte allerdings auch die Gelegenheit nutzen, an die SPD zu appellieren, daß sie im Sinne dessen, wie wir hier in der Opposition die Debatte geführt haben, auch auf die Vertreterinnen und Vertreter der SPD-geführten Bundesländer einwirken, damit sie nicht umfallen. Ich denke, wir müssen hier aufpassen, daß diese Verschärfungen spätestens im Bundesrat zu Fall kommen.
Keine Frage: Wer hinter Gittern sitzt, hat etwas auf dem Kerbholz. Es handelt sich um Mörder, es handelt sich um Vergewaltiger und Dealer. Aber diese Menschen sind hier sozialisiert worden, sie sind in unserer Gesellschaft aufgewachsen und eben auch in unserer Gesellschaft kriminell geworden.
Früher haben wir Leute auf Gefängnisinseln verschifft, heute schicken wir sie in fremde Länder und exportieren damit Probleme, unsere Probleme in Länder, die damit eigentlich nichts zu tun haben.
Ich habe manchmal ein wenig den Eindruck, als ob sich manche ein bißchen darüber ärgern, daß wir 1890 Sansibar gegen Helgoland eingetauscht haben. Womöglich hätten sie jetzt die Möglichkeit, darauf eine Strafkolonie einzurichten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)

Aber auch die geplanten Verbesserungen im Ausländergesetz bleiben weit hinter dem zurück, was notwendig wäre, was von Experten, Migrantenorganisationen angemahnt wird. Auch hierzu nur ein Beispiel: Ehemaligen DDR-Vertragsarbeitnehmern, die bisher lediglich die unzureichende Aufenthaltsbefugnis erhalten haben, soll die Anwesenheitszeit in der DDR nun auf die Achtjahresfrist für die unbefristete Aufenthaltserlaubnis angerechnet werden, jedoch nur zur Hälfte. Die Uhren müssen in der DDR wohl anders gelaufen sein; denn anders kann es nicht erklärbar sein. Ich habe bisher keinen vernünftigen Grund von Ihnen gehört, daß man so verfahren möchte.
Schließlich soll das Amt der Ausländerbeauftragten - endlich - auf eine gesetzliche Grundlage gestellt werden. Unsere Gratulation wurde bereits zum Ausdruck gebracht. Wir hoffen natürlich alle, daß es Ihrer Arbeit, Frau Schmalz-Jacobsen, zuträglich wird. Allerdings haben Sie das initiative Vorschlagsrecht gegenüber dem Parlament, das Recht zur Beteiligung an Beratungen nicht erhalten. Aber Sie können auch hier unsere Ankündigung für bare Münze nehmen. Wir werden weiterhin Ihre Anträge, beispielsweise im Staatsangehörigkeitsrecht, in dieses Parlament einbringen.
Die „Inthronisierung" als Ombudsfrau für die Belange der Einwanderinnen und Einwanderer wird mit dem gleichen Gesetz ad absurdum geführt; denn sie werden und müssen den Gesetzesänderungen, die hinreichend gewürdigt worden sind, den Verschärfungen der Abschiebung von straffällig gewordenen Jugendlichen dieser Gesellschaft zustimmen. So wird die Ungleichbehandlung von Kindern ausländischer und deutscher Eltern gesetzlich festgeschrieben.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1311413300
Herr Kollege, Sie schauen auf die Uhr.

Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1311413400
Ich komme zum Schluß.
Wir brauchen dringend ein Umdenken in dieser Frage. Einige in diesem Hause haben offensichtlich immer noch nicht begriffen, daß es dort, wo es keine Probleme gibt, auch nicht notwendig ist, welche zu machen.
Ich darf zum Abschluß zitieren:
Wenn ich mich heute nacht mit einer Negerin ins Bett lege, und ein Kind kommt dabei heraus, was ist das dann: ein Deutscher, ein Mischling, oder was?
So sagte Kollege Zeitlmann in der Zeitung „Die Woche" vom 31. Mai 1996. Erstens, auf gut neudeutsch: Das war „politically absolutely not correct". Zweitens: Ich will Ihnen die Frage gern beantworten. Es ist ein deutscher Staatsbürger erster Klasse, so wie auch 300 000 schwarze Deutsche, die in diesem Lande leben.
Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)



Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1311413500
Das Wort hat die Kollegin Erika Steinbach, CDU/CSU.

Erika Steinbach-Hermann (Plos):
Rede ID: ID1311413600
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Diskussion hat es heute für mich noch einmal bestätigt. Es hat mich erstaunt, daß Sie keinen anderen Weg eingeschlagen haben. Die vorliegenden Gesetzentwürfe der Oppositionsparteien und des Bundesrates zum Gesamtkomplex Ausländerrecht und dem Teil Asylrecht im weitesten Sinne machen eines überdeutlich: eine Scheuklappenpolitik ganz gefährlicher Art und Weise.
Diese Gesetzesentwürfe von Ihrer Seite konzentrieren sich ausschließlich auf Erleichterungen zugunsten von Ausländern in Deutschland. Dabei wird die dringende Notwendigkeit, auf Ausländerkriminalität, auf Landfriedensbruch durch Ausländer und auf offenkundigen Asylmißbrauch mit einem geschärften gesetzlichen Instrumentarium zu reagieren, völlig ausgeblendet.
Eine solch eingeschränkte Blickrichtung hilft weder den gesetzestreu und legal im Lande lebenden Ausländern, noch dient es der Akzeptanz von Politik überhaupt. Wenn Sie heute einmal Ausländer fragen, die lange in Deutschland leben, dann würden die Ihnen sagen, daß sie zu noch ganz anderen Maßnahmen greifen würden, um Ausländerkriminalität zu bekämpfen. Darauf können Sie sich verlassen. Sprechen Sie einmal mit Ausländern, die lange und rechtstreu hier im Lande leben.
Herr Kollege Penner, wenn Sie bei dieser Diskussion die Nazikeule schwingen, ist das völlig unangemessen. Sie vergreifen sich in dieser Debatte in der Wahl der Mittel. Sie tragen dazu bei, daß sie entsachlicht wird. Erleichterte Ausweisung und Abschiebung von ausländischen Straftätern ist für die Opposition dieses Hauses ganz erkennbar ein Tabuthema. Darüber soll nach Ihrer Auffassung am besten überhaupt nicht gesprochen werden. Es soll nicht darüber diskutiert werden. Es sollen nach Ihrer Meinung schon gar keine gesetzlichen Regelungen vorgeschlagen werden, um hier etwas zu bewirken.
Eine Lösung ist aber nötig. Ihre Haltung muß bei Bürgern auf Unverständnis stoßen. Es trägt am Ende auch nicht zum Demokratieverständnis bei. Sie sollten das wissen. Sie sollten aus der bitteren Zeit der Asyldiskussion gelernt haben, wieviel Unzufriedenheit sich im Lande aus ungelösten Problemen dieser Art ergeben kann und wieviel am Ende die ausländische Bevölkerung dadurch mitzuleiden hat. Sie dienen den Menschen nicht.
So wie jeder im privaten Bereich von Gästen erwartet, daß sie nicht die Wohnungseinrichtung demolieren, erwarten wir das selbstverständlich auch von freundlich hier im Lande aufgenommenen Gästen. Wer Gastrecht durch Gewalt und Kriminalität mißbraucht, darf nicht darauf vertrauen können, nach wie vor als Gast in unserem Land willkommen zu sein.
Warum lehnen Sie denn all das ab, was wir Ihnen hier als Instrumentarium vorschlagen? Sie haben doch in all Ihren Beiträgen heute eines deutlich gemacht: Sie wollen in dieser Frage nichts verändern, nichts, aber auch gar nichts.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion haben deshalb besonderen Wert darauf gelegt, daß ausländische Straftäter leichter als bisher in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt werden können, wobei meine Fraktion - das sage ich gern in Richtung der Kolleginnen und Kollegen der F.D.P. - in diesen Fragen gerne noch weiter gegangen wäre. Ich sage das deshalb, damit sie ihr liberales Image auch noch ein bißchen weiter nach außen pflegen können. Aber wir haben ja einen gangbaren Weg gefunden. Das nur als Einwurf.

(Zurufe von der SPD Gegenruf des Abg. Horst Friedrich [F.D.P.]: Das schaffen wir schon alleine!)

Sollte die Zukunft erweisen, daß weitere Maßnahmen erforderlich sind, werden wir seitens unserer Fraktion wieder die Initiative ergreifen.
Herr Kollege Özdemir, wenn Sie hinsichtlich unserer heutigen Gesetzesvorlage von heißer Nadel sprechen: Das Gegenteil ist der Fall. Wir haben sehr sorgfältig darüber beraten. Sie haben uns immer wieder angemahnt, aber wir haben es nicht übereilt, sondern wir haben sehr sorgfältig darüber beraten, was wir ändern wollen.
Erstens. Wir wollen erstens verbotene politische Tätigkeit eines Ausländers künftig nicht mehr als Ordnungswidrigkeit wie falsches Parken oder Überschreiten der Geschwindigkeit ansehen, sondern sie wird zu einer Straftat.
Zweitens. Die Verurteilung wegen schweren Landfriedensbruchs ohne Bewährung hat künftig die zwingende Ausweisung des Ausländers zur Folge. Das ist notwendig.
Drittens. Der Tatbestand des schweren Landfriedensbruches soll von uns erweitert werden, damit kollektive Ausschreitungen gewaltbereiter Ausländer wie die dramatischen Kurdendemonstrationen, die schon mehrfach stattgefunden haben, im Vorfeld verhindert und am Ende auch wirksamer geahndet werden können.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1311413700
Frau Kollegin Steinbach, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schily?

Erika Steinbach-Hermann (Plos):
Rede ID: ID1311413800
Ich möchte nur noch den vierten Punkt anschließen, damit die Aufzählung komplett ist, Herr Kollege Schily.
Viertens. Wir wollen § 48 des Ausländergesetzes so verändern, daß schwerkriminelle Ausländer, auch wenn sie eine Aufenthaltsberechtigung haben, zwingend ausgewiesen werden müssen.
So, Herr Kollege Schily!

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1311413900
Bitte sehr.


Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1311414000
Frau Kollegin, Sie haben uns eben mitgeteilt, daß Sie auf das liberale Profil der F.D.P. Rücksicht nehmen wollen.

(Zuruf von der SPD: Mäntelchen!)


Erika Steinbach-Hermann (Plos):
Rede ID: ID1311414100
„Mäntelchen" habe ich nicht gesagt.

Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1311414200
Nein, nein, „das liberale Profil" haben Sie gesagt.

(Zuruf von der SPD: Image!) - Oder „Image".

Nun hätte ich von Ihnen gerne die Frage beantwortet: Würden Sie es denn auch tolerieren, wenn mit den Stimmen der F.D.P.-Fraktion vom Deutschen Bundestag ein Zuwanderungsgesetz verabschiedet wird?

Erika Steinbach-Hermann (Plos):
Rede ID: ID1311414300
Wir leben in einer so konstruktiven Koalition, daß wir uns am Ende einigen. Es ist ein Ringen um Positionen; aber am Ende steht eine Einigung. Trotz aller Unkenrufe zu Beginn dieser Legislaturperiode haben wir ja gezeigt, daß unsere Zusammenarbeit fruchtbar ist und daß wir alles umsetzen können, was wir möchten, sogar den schwierigen Tagesordnungspunkt heute früh.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, neben den wesentlichen Verschärfungen im Ausländerrecht wollen wir auf der anderen Seite für menschliche Härtefälle des alltäglichen Lebens Lösungen anbieten, die auch geboten sind. Frau Kollegin SchmalzJacobsen hat das im einzelnen erläutert, und ich danke ihr an dieser Stelle auch ganz herzlich für ihre Arbeit, die sie mit sehr viel Kompetenz und Engagement macht. Wir wollen für ältere ehemalige ausländische Arbeitnehmer, die nach Beginn des Rentenbezuges für einen längeren Zeitraum in ihr Herkunftsland zurückgekehrt sind, bis hin zum eigenständigen Ehegattenaufenthaltsrecht nach Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft bei einer außergewöhnlichen Härte bereits nach einem Jahr Erleichterungen anbieten. Einen Verzicht auf jedwede Frist in solchen Fällen halten wir aber im Hinblick auf das noch größere Risiko von Scheinehen für unverantwortlich. Schon heute gibt es ja deutliche Belege dafür - Herr Kollege Schily, Sie können das mit Sicherheit bestätigen -, daß Ehen lediglich zu dem Zweck geschlossen werden, einem Ausländer das Aufenthaltsrecht hier in Deutschland zu beschaffen. Dem wollen wir auf gar keinen Fall Vorschub leisten.
Mir liegen Briefe vor, in denen sich deutsche Ehefrauen, die einen Ausländer geheiratet haben, beklagen: „Ich habe jetzt erst, nach drei, vier Jahren, herausgefunden, daß ich mißbraucht worden bin, daß mein Mann nur geheiratet hat, damit er eine Aufenthaltsberechtigung erhält." Die Intention der Klage geht dahin - ich zitiere jetzt nur -: „Schafft mir den Kerl vom Hals, weist ihn aus!"
Diese Fälle gibt es auch. Man muß sich darüber Gedanken machen; denn dieses Ausbeuten des Ehepartners - eine Ehe zu schließen unter dem Vorwand, ihn zu lieben - ist eine unerträgliche Sache.
Unser vorgelegter Gesetzentwurf hat zwei gleichwertige Standbeine. Das eine soll dieses Land besser als bisher vor kriminellen Ausländern schützen, dann auch von ihnen befreien, das andere nimmt sich menschlicher Probleme gesetzestreuer und hier legal lebender Ausländer an.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1311414400
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Penner.

(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Jetzt sind wir sehr gespannt!)


Dr. Willfried Penner (SPD):
Rede ID: ID1311414500
Frau Kollegin Steinbach, das ist wohlfeil. Sie sind für die Wortwahl verantwortlich, nicht ich. Das Wort liegt eben in der Nähe jener schrecklichen Vorschrift des § 2 unseligen Angedenkens. Es kann nicht so sein, daß derjenige, der die Problematik aufzeigt, dann dafür in Haft genommen wird.

(Beifall der Abg. Eva Bulling-Schröter [PDS])

Ich stelle Ihnen ganz präzise die Frage: Warum haben Sie an Stelle dieses ominösen, wabernden Wortes „Sicherheitsempfinden" nicht das Wort „Sicherheitsbedürfnis" gewählt?

(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Weil wir nicht so pingelig sind! Gegenruf des Abg. Otto Schily [SPD]: Genau, das ist die Geisteshaltung!)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1311414600
Bitte, Frau Kollegin Steinbach.

Erika Steinbach-Hermann (Plos):
Rede ID: ID1311414700
Herr Kollege Penner, kürzlich habe ich eine für mich sehr aufschlußreiche Diskussion aus einem ganz anderen Feld, im Bereich der Kultur, erlebt, die auch uns Politiker nachdenklich machen sollte. Da hat der Jude Ephraim Kishon - ich sage „Jude", weil das an dieser Stelle wichtig ist -, befragt danach, warum er die Wortwahl „entartete Kunst" getroffen hatte, als Antwort gesagt: „Erstens wurde diese Wortschöpfung nicht im Dritten Reich geboren, sondern schon Ende vorigen Jahrhunderts,

(Dr. Willfried Penner [SPD]: Das gilt aber nicht für dieses Gesetz!)

und zweitens werde ich nicht deshalb zum Kettenraucher, weil Hitler Nichtraucher war."
Wenn wir zu jeder Formulierung Verbindungen knüpfen wollten - so wie Sie jetzt behaupten, sie hätte ihre Wurzeln möglicherweise in einem anderen Zeitabschnitt unseres Jahrhunderts -, dann begeben wir uns der Möglichkeit, uns der deutschen Sprache in ihrer ganzen Fülle zu bedienen. Ich bin nicht bereit, eine Zeit, die ich persönlich nicht mehr erlebt habe, zunächst darauf abzuklopfen, welche Voka-

Erika Steinbach
beln dort besonders gerne benutzt oder nicht benutzt worden sind.
Die Formulierung, verehrter Herr Kollege Penner, die Sie jetzt anprangern, empfinden Sie deshalb als fehl am Platze, weil Sie nur in solchen Kategorien denken. Für mich ist es gar nicht begreifbar, daß man auf solch einen Gedankengang kommen kann.

(Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Dann beschäftigen Sie sich einmal mit der historischen Bedeutung von Sprache und Wortwahl! Gegenruf des Abg. Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Das sind zwei Paar Stiefel! Das ist Unsinn!)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1311414800
Das Wort zu einer weiteren Kurzintervention hat die Kollegin Schmalz-Jacobsen.

Cornelia Schmalz-Jacobsen (FDP):
Rede ID: ID1311414900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie, diese Debatte nicht länger fortzuführen. Ich habe großes Verständnis, wenn jemand besonders empfindsam für Worte ist, die an diese Zeit erinnern. Mein Name steht mit über diesem Entwurf. Ich muß gestehen: Ich habe dieses Wort nicht als problematisch empfunden.
Ich habe Verständnis dafür, wenn es anders gesehen wird. Dann sollten wir aber auch die Kraft haben, ein solches Wort zu ändern.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS])

Denn es geht nicht an, daß sich Leute davon getroffen, gekränkt oder beleidigt fühlen.

(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Das ist ja nur der Penner!)

Vielleicht können wir das Problem damit aus der Welt schaffen.

(Beifall bei der SPD)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1311415000
Jetzt hat der Herr Bundesminister Manfred Kanther das Wort.

Manfred Kanther (CDU):
Rede ID: ID1311415100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr knapp, zum Schluß: Die Debatte hat aufgezeigt, worum es im Ausländerrecht geht.
Es geht zum einen um die Integration von Millionen Ausländern in unserem Land. Das dürfte die wichtigste Frage der Innenpolitik für viele Jahre sein. Ich teile völlig die Meinung, daß die Zeit vor 20, 30, 40 Jahren, als in diesem Land im wesentlichen nur Deutsche lebten, nicht wiederkehren wird, nicht wiederkehren soll. Es ist vernünftig, notwendig und ganz und gar unausweichlich, mit Millionen von Ausländern in diesem Land in immer besserem Einvernehmen zu leben.
Dafür tun wir viel. Es kann der Stolz dieses Landes sein, wie es über Jahrzehnte - von ganz wenigen unrühmlichen Ausnahmen abgesehen - politisch mit
Ausländern umgegangen ist. Es kann der Stolz dieses Landes sein, was es auch materiell aufwendet, um Ausländern im Land und außerhalb dieses Landes, im Ausland zu helfen. Ich empfinde es als sehr deplaziert, wenn in diese Debatte solche gesuchten Verhärtungen eingeführt werden, Herr Kollege Penner, wie Sie es getan haben, oder von der Strafinsel Sansibar gesprochen wird, wie es ein grüner Abgeordneter getan hat.

(Dr. Willfried Penner [SPD]: Ich finde es unerhört, daß ein Verfassungsminister nicht ein klärendes Wort zu dieser Frage sagt! Unglaublich!)

Integration ist eine große Aufgabe. Diese Integration ist abhängig von Zeit und Zahl. Sie ist abhängig von den Mitteln. Deshalb ist es wichtig: Wer Integration will, muß Zuzug begrenzen. „Nur durch eine konsequente und wirksame Politik der Begrenzung des Zuzugs von Ausländern, die nicht Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft sind, läßt sich die unverzichtbare Zustimmung der deutschen Bevölkerung zur Ausländerintegration sichern. Dies ist zur Aufrechterhaltung des sozialen Friedens unerläßlich."

(Abg. Otto Schily [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Dies ist, Herr Kollege Schily - damit kann ich Ihnen vielleicht die Frage ersparen - ein Zitat aus einem Kabinettsbeschluß der sozialliberalen Koalition vom 3. Februar 1982, aus einer Zeit also, als es in diesem Land etwa 4,5 Millionen Ausländer gab. Was ist 14 Jahre nach diesem sozialdemokratischen Kabinettsbeschluß daran falsch, zu einer Zeit, in der es über 7 Millionen Ausländer gibt?

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1311415200
Herr Kollege Kanther, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schily?

Manfred Kanther (CDU):
Rede ID: ID1311415300
Aber gerne.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1311415400
Bitte.

Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1311415500
Herr Minister, wenn ich den Beschluß des F.D.P.-Parteitages richtig verstanden habe, dann ist es das Anliegen der F.D.P. wie auch das Anliegen der Oppositionsfraktionen, in einem Gesetz ein Instrumentarium zu schaffen, um den Zuzug von Ausländern zu begrenzen und zu steuern. Darum frage ich Sie: Werden Sie in Ihrer Eigenschaft als Minister ein solches Vorhaben mit dieser Zielsetzung unterstützen und vielleicht auch aus Ihrem Ministerium einen entsprechenden Entwurf vorlegen?

Manfred Kanther (CDU):
Rede ID: ID1311415600
Herr Kollege Schily, Sie machen es mir einfach. Ich wäre an anderer Stelle noch darauf zu sprechen gekommen. Ihr letzter Parteitagsbeschluß - ich glaube, er ist aus dem vorigen Dezember - ist nun schon fast acht Monate alt; der Parteitagsbeschluß der F.D.P. ist erst 14 Tage alt. Ich frage Sie immer wieder - ich habe Sie das schon ein dutzendmal in der Öffentlichkeit ge-

Bundesminister Manfred Kanther
fragt -: Warum legen Sie als Sozialdemokraten das von Ihnen geforderte Einwanderungsgesetz denn nicht endlich einmal vor?

(Otto Schily [SPD]: Das werden wir tun!)

- Dann tun Sie es doch und erklären Sie den Menschen in unserem Land, daß Sie entweder eine Einwanderungsquote auf den eh schon hohen und nicht zuletzt illegalen Zuzug draufsetzen wollen oder daß Sie im übrigen einen Weg finden, mit dem geltenden Asylrecht und dem hunderttausendfachen Mißbrauch des Asylrechts weiterhin fertig zu werden. Herr Kollege Schily, wenn Sie das getan haben, wenn Sie den von Ihnen oft angekündigten Entwurf auf den Tisch des Hauses gelegt haben, dann reden wir weiter darüber. Von mir werden Sie keinen bekommen.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1311415700
Herr Kollege Kanther, gestatten Sie eine Nachfrage des Kollegen Schily?

Manfred Kanther (CDU):
Rede ID: ID1311415800
Aber gerne.

Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1311415900
Die Passivität der Bundesregierung in bestimmten Bereichen ist uns ja geläufig. Selbstverständlich ist es auch Aufgabe dieses Hauses, Gesetzentwürfe vorzulegen, Herr Minister. Die SPD-Fraktion wird Ihnen im Laufe dieses Jahres einen Gesetzentwurf vorlegen. Nur, Sie sind Partner in einer Koalitionsregierung, und dort gibt es nun auch Bestrebungen, die ich begrüße. Sie stellen Erwartungen an uns; das ehrt uns. Aber jetzt frage ich Sie: Was werden Sie uns aus Ihrem Koalitionslager in dieser Richtung präsentieren?

Manfred Kanther (CDU):
Rede ID: ID1311416000
Herr Kollege, ich dachte, ich hätte es klar beantwortet. Wir haben eine Koalitionsvereinbarung. Diese Koalitionsvereinbarung werden beide Seiten erfüllen. Ich sage Ihnen ausdrücklich, damit das völlig klar ist: Die Bundesregierung, die Koalition definiert Deutschland nicht als Einwanderungsland - und ich ganz gewiß auch nicht.

(Beifall der Abg. Erika Steinbach [CDU/ CSU])

Deshalb werde ich ganz gewiß kein Einwanderungsgesetz vorlegen, das die Gefahr heraufbeschwört, die weitere Zuwanderung von Ausländern aus Nicht-
EU-Ländern eher zu erhöhen, während unser Problem doch die Dämpfung dieser Zuwanderung ist, insbesondere der über den Mißbrauch des Asylrechts. Ich glaube, das ist eine klare Antwort.

(Otto Schily [SPD]: Ja, an die F.D.P.! Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Die F.D.P. ist aufgelaufen!)

- Das ist vor allem eine klare Antwort an diejenigen,
die ständig mit diesen politischen Begriffen um sich
werfen und anschließend kein Fleisch an die Knochen bringen. Legen Sie ein Gesetz vor, Herr Schily!

(Otto Schily [SPD]: Das wird wahrscheinlich auch die F.D.P. tun!)

- Es ist denkbar, daß die F.D.P. das tut.
Es gibt eine Koalition unserer Fraktionen in diesem Haus, und wir werden die Koalitionsvereinbarung einhalten. Daß alle drei Parteien dieser Koalition jenseits der Koalitionsvereinbarung gelegentlich weitere Wünsche haben, ist das Natürlichste von der Welt. Diese sind aber in der Koalition nicht konsensfähig. Wir werden uns daher auf das beschränken, was wir miteinander vereinbart haben.
Ich füge ausdrücklich hinzu: Die Begrenzung der Zuwanderung, insbesondere der über den Mißbrauch des Asylrechts, ist weiterhin eine wichtige Aufgabe der Politik. Es ist natürlich notwendig, daß daraus Konsequenzen gezogen werden,
Deshalb kann ich Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, gar nicht verstehen. Ich habe manchmal den Eindruck, Sie leben hier in Bonn unter einer Glocke - ganz im Gegensatz zu Ihren Innenministern. Vor dem Hintergrund der Gespräche mit den Innenministern der Bundesrepublik - darunter sind immerhin elf Sozialdemokraten - über die Vereinbarung zur Härtefallregelung kommen Sie mir wie von einem anderen Stern vor. Ihre Kollegen in den Ländern wissen, daß die illegale Zuwanderung begrenzt werden muß. Sie wissen, daß Ausländer ohne Bleiberecht in diesem Land zurückgeführt werden müssen.

(Otto Schily [SPD]: Da sind wir doch einer Meinung!)

Wir haben im März vorigen Jahres eine Vereinbarung getroffen, die in ihrer ersten Passage vorsieht, daß die Rückführung der Ausländer ohne Bleiberecht stattfindet. Wir sind zu der Überzeugung gekommen, daß für eine kleine Zahl von etwa 15 000 Personen - so schätzen wir gemeinsam -, die sich schon sehr lange im Land befinden, die nicht zuletzt auch auf Grund der Unklarheiten der vormaligen Asylrechtsordnung in das Land gekommen bzw. darin verblieben sind, die Härtefallregelung gelten soll.
Darüber haben wir einen Konsens erzielt. Deshalb sind alle heftigen Töne Ihrerseits im Zusammenhang mit der Rückführung dieser Menschen bzw. der Forderung, daß hier mehr getan werden sollte, unbegründet.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1311416100
Herr Kollege Kanther, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Schily?

Manfred Kanther (CDU):
Rede ID: ID1311416200
Aber
ja.

Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1311416300
Herr Minister, wie kommen Sie zu der Auffassung, daß es da einen Widerspruch zwischen den sozialdemokratischen Innenministern und

Otto Schily
der Bundestagsfraktion gebe? Selbstverständlich ist auch die Bundestagsfraktion nicht nur für die Begrenzung, sondern sogar für die Unterbindung illegaler Zuwanderung. Wenn Sie aber in diesem Bereich zu vernünftigen Regelungen kommen wollen, müssen Sie ein Angebot machen, unter welchen Voraussetzungen eine Zuwanderung möglich ist. Das ist doch eine Frage, in der wir durchaus mit den sozialdemokratischen Innenministern übereinstimmen. Sind Sie bereit, das zur Kenntnis zu nehmen?

Manfred Kanther (CDU):
Rede ID: ID1311416400
Herr Kollege Schily, ich stelle mit Freude fest, daß Sie - das gilt für einen Teil Ihrer Initiativen, die auch in diesem Jahr Gegenstand der Beratungen gewesen sind - die Vereinbarung der Innenminister für gut und richtig halten und ihr zustimmen. Das wird manche Debatte entkrampfen können.

(Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Da geht es um eine Härtefallregelung, nicht um Zuwanderung!)

- Bezüglich der Härtefallregelung; das stelle ich fest.
Im übrigen haben wir, was den Zuzug angeht, ein geltendes Asylrecht. Von den 130 000 Asylbewerbern werden etwa 10 bis 12 Prozent anerkannt. Etwa 88 bis 90 Prozent kommen zu Unrecht in dieses Land und müssen es deshalb wieder verlassen. Das ist die Realität.
Ich frage mich, wozu wir ein Einwanderungsgesetz brauchen, wo wir doch schon beim Asyl einem 80- bis 90prozentigen Mißbrauch des Zuzugs ausgesetzt sind. Das muß mir irgend jemand irgendwann einmal erklären.

(Otto Schily [SPD]: Ich erkläre Ihnen das bei Gelegenheit, Herr Kanther!)

Wir haben 320 000 Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien aufgenommen, 60 Prozent aller, die in Westeuropa Aufnahme gefunden haben. Das ist eine gewaltige Leistung des deutschen Volkes, auch in materieller Hinsicht. Wenn dort - hoffentlich - dauerhaft Frieden herrscht, müssen wir gemeinsam darangehen, diese Bürgerkriegsflüchtlinge nach BosnienHerzegowina zurückzuführen.
Wieder ist dies einstimmige Überzeugung der Innenminister von Bund und Ländern, darunter elf Sozialdemokraten. Ich frage mich: Warum bringen wir eigentlich Heftigkeiten in die Debatte, wenn wir sie nicht nur akademisch führen wollen? Dort, wo das Ganze praktisch stattfindet, bin ich mit Ihren Kollegen weitgehend überein.
Das liegt daran, daß Regierungen - auch sozialdemokratische Regierungen - verpflichtet sind, die Interessen ihres Landes wahrzunehmen und nicht einfach daherzureden. Die Interessenwahrnehmung ist nicht immer einfach, und sie ist nicht immer bequem. Es ist leider so, daß es mit Härten belastet ist, wenn Menschen ein Land verlassen müssen. Es ist für niemanden und schon gar nicht für Ausländerbehörden und Polizei ein Vergnügen, diese Härten umsetzen zu müssen. Denn die meisten ohne Bleiberecht wollen ja bleiben. Trotzdem ist dies keine Alternative.
Wenn wir diejenigen im Lande lassen, die hier Asyl erhalten, weil sie in ihren Heimatländern politisch verfolgt sind - dabei handelt es sich um etwa 10 Prozent -, dann ist das selbstverständlich. Aber wenn wir auch diejenigen im Lande ließen, die nach einem meist aufwendigen Gerichtsverfahren kein Asyl und kein Bleiberecht zugestanden bekommen haben, dann könnten wir uns doch wenigstens das Verfahren sparen. Dann wäre das Ganze doch absurd. So geht es also nicht, und diese Einsicht werden Sie gewinnen müssen.
Zur Interessenvertretung gehört vieles mehr. Dazu gehört, daß wir die deutsche Politik im ganzen in den Dienst der Lösung dieses Problems stellen, auch die Auswärtige Politik, wie wir es mit Schwierigkeiten etwa gegenüber Vietnam oder Serbien auch tun. Ich stelle wiederum fest, daß ich mit meinen sozialdemokratischen Kollegen der Länder in allen wesentlichen Fragen in diesen Punkten überein bin.
Das ist eine Politik - ich sage das, weil im Zusammenhang mit § 19 vorhin nach Härten und außergewöhnlichen Härten gefragt worden ist -, die leider nicht ohne menschliche Schwierigkeiten abgeht. Aber es ist im Interesse unseres Landes unverzichtbar, daß wir nicht auf dem Umweg über den Mißbrauch von Asylrecht oder anderen Zuzugsregelungen verdeckt zum Einwanderungsland werden. Wir wollen das nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

In den Zusammenhang der Akzeptanz des liberalsten Ausländerrechts der Welt - das besteht in Deutschland - gehört, daß gegen ausländische Straftäter, die in diesem Land schwerkriminell Unrecht tun - ob das politisch bemäntelt wird oder ob das normal schwerkriminell ist, ist jetzt nicht der Punkt -, mit aller Entschiedenheit vorgegangen wird.

(Dr. Willfried Penner [SPD]: Kein Dissens!)

- Kein Dissens, stelle ich fest. Dann frage ich mich, warum Sie in diesem Zusammenhang Geister einer schrecklichen Vergangenheit durch den Raum führen, wenn in dieser Frage kein Dissens besteht.

(Dr. Willfried Penner [SPD]: Ach du liebe Zeit!)

Ich freue mich darüber, Herr Penner, wenn Sie sagen: Kein Dissens. Aber dann lassen Sie doch die Emotionalisierung solcher Debatten. Dann bringen Sie es doch auf den Punkt, um den es uns geht: die Wahrnehmung der Interessen auch des gastgebenden Landes gegen ungeordneten Zuzug oder Kriminalität. Das ist die Forderung an die Regierung, und dieser Forderung werden wir nachkommen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wer in diesem Lande schwerkriminell wird oder die Grundfragen des Umgangs in der Öffentlichkeit, nämlich Gewaltlosigkeit bei Demonstrationen, mißachtet, der geht wissentlich das Risiko ein, daß das Ausländerrecht dahin gehend wirkt, ihn außer Landes zu bringen.

(Dr. Willfried Penner [SPD]: Deshalb weisen wir ihn aus Belgien aus!)


Bundesminister Manfred Kanther
- Mit diesem Zwischenruf bleiben Sie allein.

(Dr. Willfried Penner [SPD]: Richtig, weil Sie ihn nicht beantworten können!)

Die Ausweisung und Abschiebung schwerkrimineller Ausländer ist unverzichtbar. Das ist übrigens keine Eigenart des deutschen Rechts, sondern selbstverständlich des Rechts aller unserer Partnerländer in Europa und weit darüber hinaus.
Diese Koalition wird auch in Zukunft alles daran setzen, zu tun, was notwendig ist, um die Integration von Menschen, die dauerhaft in Deutschland leben, im Interesse des inneren Friedens zu erleichtern. Es ist eine entscheidende Forderung an Länder und Kommunen, die das in der Praxis weitgehend erledigen müssen, daß sie diesen Auftrag auch in Zeiten umsetzen, in denen es finanziell sehr knapp ist. Das ist ja derzeit so. In den Bereichen des Sozialwesens, des Sports, der Kultur, der Vereine und im Arbeitsleben werden, von den Familien und den persönlichen Begegnungen einmal abgesehen, die wichtigsten Integrationsbeiträge geleistet.
Es stellt keinen Beitrag zur Integration dar, wenn man das Vorhaben einer Regierung problematisiert, sich von schwerkriminellen Ausländern durch Ausweisung und Abschiebung zu trennen.
Wir müssen beides machen: Integration anbieten, fördern und unterstützen und gleichzeitig Deutschen wie Ausländern in Deutschland klarmachen, daß wir für die innere Sicherheit dieses Landes jederzeit die notwendigen Maßnahmen ergreifen. Beides bringt die Novelle zum Ausdruck.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1311416500
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des Ausländergesetzes auf Drucksache 13/4981 soll zur federführenden Beratung dem Innenausschuß und zur Mitberatung dem Rechtsausschuß sowie dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Kein Widerspruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung des Antrags der Abgordneten Petra Bläss und der Gruppe der PDS
Gegen Armut und Abhängigkeit - für eine eigenständige Alterssicherung von Frauen
- Drucksache 13/4684 -
Vereinbart ist im Ältestenrat eine Aussprache von einer halben Stunde Dauer. Die PDS erhält davon fünf Minuten. - Kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Petra Bläss, PDS.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1311416600
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf den Tag genau vor fünf Jahren verabschiedeten die Abgeordneten der vorherigen Legislaturperiode über alle Parteigrenzen hinweg einen Entschließungsantrag, in dem die Bundesregierung beauftragt wurde, ein Konzept für eine bessere Alterssicherung von Frauen vorzulegen, das 1997 wirksam werden sollte.
Nun sind ja die Frauenrenten dieser Tage in aller Munde, aber leider in umgekehrter Richtung. Anstatt endlich die strukturelle Benachteiligung von Frauen im lohn- und beitragsbezogenen Rentenrecht zu beheben, um Altersarmut zu verhindern, sollen die Bedingungen mit der rasanten Anhebung der Altersgrenze weiter verschlechtert werden.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1311416700
Wer legitimiert die Bundesregierung, den Willen des Parlaments von vor fünf Jahren derart zu verfälschen?
Dieses Jubiläum bietet keinen Grund zum Jubeln. Aber lassen Sie uns zurückschauen: Ich habe noch einmal im Protokoll der Debatte vom 21. Juni 1991 geblättert, das sehr umfangreich ist, weil ja zugleich das Renten-Überleitungsgesetz verabschiedet wurde. Der Gedanke an seine überfällige Korrektur ist trotz vieler Versprechungen leider auch kein Grund zum Jubeln. Lassen Sie mich kurz an ein paar Aussagen erinnern. Bundesarbeitsminister Blüm sagte vor fünf Jahren:
Freilich, wenn man auch in Zukunft eine leistungsbezogene Rente erhalten will, dann, finde ich, ist es unerläßlich, noch einmal über den Leistungsbegriff nachzudenken. Darunter kann nicht nur - ganz eng - die eigentliche Erwerbsarbeit fallen. Die Kindererziehung ist eine Leistung, die die Rentenversicherung auch stabilisiert, denn ohne Kinder gibt es morgen keine Rentenversicherung.
Hört, hört, kann man da nur sagen.
Auch Frau Dr. Babel möchte ich an eine Passage von damals erinnern, wo sie sagte:
Sicher müssen wir angesichts der Belastungen, die unsere sozialen Sicherheitssysteme derzeit aushalten, behutsam und mit Augenmaß weitere Reformen ansteuern. Aber eines ist gewiß: Die Verbesserungen in der additiven Kindererziehungszeit, von der F.D.P. schon lange angestrebt ..., müssen vor Ablauf der Legislaturperiode
- es handelt sich wohlgemerkt um die 12. - beschlossen werden.

Petra Bläss
Frau Mascher stimmte für die SPD frohgemut ein:
Ich freue mich schon heute auf einen fruchtbaren Wettbewerb aller Parteien bis 1996, wer denn das beste Konzept für die Frauen entwickeln und durchsetzen kann.
Worauf der Kollege Louven für die CDU/CSU erwiderte: „Wahrscheinlich wir!"
Ich höre jetzt auf mit der Zitatensammlung

(Rolf Kutzmutz [PDS]: Schade!)

und frage Sie: Wo ist Ihr Elan von damals geblieben? Was hat sich denn an den Bedingungen dramatisch geändert, daß heute kaum noch jemand wagt, von einer Verbesserung des Frauenrentenrechts zu sprechen, geschweige denn etwas zu tun?
Sicher, die Finanzlage der Rentenversicherung ist ernst, aber sie ist, wie uns in einer Anhörung in der vergangenen Woche vom Verband der Rentenversicherungsträger bestätigt wurde, nicht existentiell gefährdet. Die Sanierung auf Kosten der sowieso schon mehrfach diskriminierten Frauen vornehmen zu wollen ist schäbig.
Wir fordern die Bundesregierung auf, mit der gleichen Intensität, mit der sie Kürzungsmaßnahmen ersinnt, nach neuen Finanzierungsquellen zu suchen. Es gibt übervolle Kassen in diesem Lande, aber im Moment sind das leider noch die falschen.

(Ina Albowitz [F.D.P.]: Vor allem die PDSKassen!)

Die PDS nimmt den Wortbruch nicht einfach hin und fordert die Einlösung des vor fünf Jahren gegebenen Versprechens.

(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: SED-Konten, ja! Es ist interessant, was für Zwischenrufe Sie bei diesem Thema machen. Darauf warten Millionen von Frauen in den neuen und in den alten Bundesländern. Unsere Vorschläge finden Sie in dem heute zur Diskussion stehenden Antrag „Gegen Armut und Abhängigkeit für eine eigenständige Alterssicherung von Frauen" . Wir fordern in unserem Antrag eine Versicherungspflicht für alle und für jede Arbeitsstunde. Wir fordern deutlich erhöhte und additive Zeiten für Kindererziehung, die mit dem Durchschnittsverdienst aller Versicherten bewertet werden sollen. Wir fordern eine ebensolche Bewertung von häuslicher Pflege, die vor allem von Partnerinnen, Müttern, Töchtern und Enkelinnen übernommen wird. Und wir fordern einen regulären Rentenbeginn für Frauen mit dem 60. Lebensjahr ohne Wenn und Aber. Mit diesen Forderungen sehen wir die Lebensumstände, in die Frauen in der Bundesrepublik hineingedrängt sind, einigermaßen reflektiert. Eine solche Anerkennung der Lebensleistung von Frauen ergibt auch zumeist eine eigenständige existenzsichernde Rente. Bis eine solche Reform greift, schlagen wir vor, sofort alle Renten, die unter dem Existenzminimum liegen, mit einer Grundsicherung zu sockeln. Nur so kann massenhafter finanzieller Unterversorgung entgegengewirkt und allen Älteren die Teilhabe am soziokulturellen Leben ermöglicht werden. Natürlich verlangt die eigenständige Altersversorgung von Frauen das sagen wir als PDS ganz deutlich eine Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums hierzulande. Frau Kollegin, achten Sie bitte auf die Uhr. Meine Damen und Herren, unser Angebot liegt vor. Ich bin gespannt, wie Sie nach fünf Jahren zu Ihrem Wort von damals stehen. Das Wort hat der Kollege Helmut Heiderich, CDU/CSU. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Eine Debatte über die Alterssicherung von Frauen unter dem Schlagwort „Armut und Abhängigkeit" zu führen, wie die PDS dies heute tut, ist doch wohl ein starker Tobak und ein bewußter Affront gegen die Politik, die wir in diesem Hause seit vielen Jahren vertreten. In einem Land, das nach wie vor zu den wirtschaftsund wohlstandsstärksten Regionen dieser Welt gehört, in einem Land, in dem jede dritte erwirtschaftete Mark für soziale Leistungen ausgegeben wird, ist eine solche Formulierung eine Unterstellung, die wir entschieden zurückweisen. Jede dritte Mark das sind in der Summe 1 200 Milliarden DM; das will ich noch einmal betonen Jahr für Jahr für die Absicherung bei Krankheit, bei Arbeitslosigkeit, bei Pflegebedürftigkeit und für die Teilhabe an der wirtschaftlichen Dynamik im Alter! Gerade für die Erwerbsund Rentensituation der Frauen hat diese Bundesregierung in den letzten fünf Jahren ich möchte das Datum aufgreifen, das die Vorrednerin erwähnt hat: 1991 erhebliche Verbesserungen durchgesetzt. Ich nenne nur die Einführung des Kindererziehungsgeldes und des Erziehungsurlaubs, verbunden mit der gesicherten Rückkehr ins Arbeitsleben und mit der Anrechnung der Erziehungszeiten für die spätere Rente. Schon ein Jahr Kindererziehung erbringt dabei gegenwärtig 34,67 DM an monatlichem Rentenertrag. Ich denke, das ist ein erheblicher Beitrag für die Alterssicherung. Mit zahlreichen weiteren Maßnahmen haben wir dafür gesorgt, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu verbessern. Ich will an dieser Stelle beispielhaft die garantierte Bereitstellung eines Kindergar Helmut Heiderich tenplatzes ab dem dritten Lebensjahr nennen. Auch das ist, denke ich, ein Punkt in diesem Zusammenhang. Letztlich ist auch die Einführung der Pflegeversicherung ein weiterer Beitrag die Rentenanwartschaft von Frauen zu verbessern; denn das wird von der Antragstellerin betont die häusliche Pflegetätigkeit wird in der überwiegenden Zahl der Fälle von Frauen wahrgenommen. Wenn Sie in Kenntnis all dieser Leistungen trotzdem unter der Überschrift „Armut und Abhängigkeit" argumentieren, dann ist dabei die Absicht unverkennbar, hier ein politisch schiefes Bild zu zeichnen. (Zuruf von der CDU/CSU: Billige Polemik ist das!)


(Beifall bei der PDS)


(Beifall bei der PDS)

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1311416800
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1311416900

(Beifall bei der PDS)

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1311417000
Helmut Heiderich (CDU):
Rede ID: ID1311417100

(Beifall bei der CDU/CSU)


(Ingrid Holzhüter [SPD]: Wahnsinn!)

Dabei müßten doch gerade Sie - ich will das Wort von der Polemik einmal aufgreifen - am besten beurteilen können, wo die Unterschiede sind. Ich will noch einmal darauf hinweisen, daß man in der ehemaligen DDR, in der ja Ihre Vorgängerorganisation über vier Jahrzehnte für Alterssicherung zuständig war,

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch ein Traditionsverein!)

tatsächlich von Armut und Abhängigkeit sprechen konnte. Es gab eine Einheitsrente von knapp über 400 Mark, Heimunterbringungen, bei denen es wirklich am nötigsten fehlte. Ich denke, in bezug darauf sind solche Begriffe angebracht.
Unsere ehemalige Ministerin Hannelore Rönsch könnte Ihnen abendfüllend zu diesem Thema berichten.

(Ulrike Mascher [SPD]: Warum ist sie nicht hier?)

Sie hat daraus - das will ich hier betonen - die Konsequenz gezogen!

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie ist zurückgetreten!)

Sie setzt sich seitdem mit einer Stiftung „Daheim im Heim" für Senioren ein. Sie hat seitdem Millionenbeträge gesammelt und einige Mängel aus der Welt schaffen können. Ich denke, das ist ein beispielhafter Einsatz, der die Anerkennung auch Ihrer Seite verdient hätte.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist Solidarität!)

Mit dem Antrag, den Sie heute vorlegen, gehen Sie genau in die entgegengesetzte Richtung. Sie wollen zurück in die überkommene Gleichmacherei. Die Einheitsrente, jetzt von Ihnen als Grundsicherung bezeichnet, soll eingeführt werden. Diese und auch weitere Ungereimtheiten Ihres Antrages zeigen, daß Sie das System der sozialen Marktwirtschaft immer noch nicht verstanden haben. Einheitssysteme - das sollten Sie eigentlich wissen - belohnen denjenigen, der sich vor Einsatz und vor Verantwortung drückt, und lasten seine Versorgung denjenigen auf, die überdurchschnittlichen Einsatz zeigen.

(Zuruf von der SPD: Das müssen Sie einmal den Trümmerfrauen erzählen!)

Genauso unbrauchbar ist Ihre Forderung zu den geringfügigen oder, wie Sie es formulieren, unter dem Existenzminimum liegenden Beschäftigungsverhältnissen. Wenn Sie das wirklich umsetzen, was Sie fordern, wenn Sie die Arbeitgeber zwingen, die gesamten Sozialabgaben zu entrichten, dann werden von den bestehenden Arbeitsverträgen dieser Art kaum noch welche übrigbleiben. Daß dann insbesondere die Frauen, denen Sie mit Ihrem Antrag angeblich helfen wollen, Arbeit und Einkommen verlieren, ist Ihnen offenbar entgangen.
Ähnlich kurios ist Ihre Forderung, Alleinverdiener-Ehepaaren die gesamten Sozialversicherungsabgaben für den Nichtverdiener aufzulasten. Doppelverdiener ohne Kinder dürfen dagegen weiter die Arbeitgeberanteile in Anspruch nehmen.

(Zuruf von der SPD: Es gibt keine Doppelverdiener! Jeder verdient für sich allein!)

Warum ausgerechnet, verehrte Frau Kollegin, Alleinverdiener ihre Vorsorge selbst zahlen sollen, Doppelverdiener aber nicht, bleibt offensichtlich Geheimnis der Antragsteller.
Zum dritten enthält Ihr Antrag eine Reihe von Feststellungen und Forderungen, in denen Sie die familienpolitischen Leistungen dieser Bundesregierung ausdrücklich anerkennen, aus Ihrem Munde zumindest eine bemerkenswerte Feststellung. Was Ihnen dazu aber an ergänzenden Vorschlägen eingefallen ist, geht über die ständige Forderung nach erheblichen Leistungserhöhungen nicht hinaus. Auf jeden dieser Punkte einfach draufzusatteln, dazu bedarf es keiner besonderen Kreativität. Es sind - im Gegenteil - immer wieder dieselben alten Hüte, die Sie aufsetzen, allenfalls einmal mit einer neuen Feder geschmückt.
Daß solche zusätzlichen Leistungen, die man hier einfordert, auch zusätzliche Einnahmen erfordern, scheint sich bei Ihnen noch nicht herumgesprochen zu haben. Lediglich an einer Stelle Ihres Antrages wird dann ganz lapidar formuliert: „Die daraus resultierenden Ansprüche werden aus dem Bundeshaushalt ... bestritten".

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1311417200
Herr Kollege, Sie achten auf die Uhr, ja?

Helmut Heiderich (CDU):
Rede ID: ID1311417300
Ja, ich komme gleich zum Schluß.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1311417400
Das ist nett.

Helmut Heiderich (CDU):
Rede ID: ID1311417500
Ich und sicherlich auch die anderen Mitglieder des Hauses wären Ihnen, verehrte Frau Vorrednerin, sehr dankbar, wenn Sie Ihren Begriff von den „übervollen Kassen" etwas im Detail erläutern könnten, wenn Sie uns einmal

Helmut Heiderich
klarmachen könnten, woher Sie eigentlich die Mittel nehmen wollen, die Sie zur Erfüllung Ihrer Forderungen benötigen.
Ich komme zum Schluß. Unsere Auffassung ist: Wir werden auch für die nähere und weitere Zukunft den Sozialstaat, den wir durch viele umfangreiche Initiativen aufgebaut haben, für unsere Bürger weiter erhalten, sichern und verbessern. Darauf können sich die Bürger in diesem Lande verlassen.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das glaubt doch kein Mensch!)

Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1311417600
Das Wort hat die Kollegin Ulrike Mascher, SPD.

(Zuruf des Abg. Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD])


Ulrike Mascher (SPD):
Rede ID: ID1311417700
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Aufforderung meines Kollegen Schmidt, alles klarzustellen, kann ich leider nicht nachkommen, weil meine Redezeit sonst nicht ausreichen würde.
Ich möchte daran erinnern, daß der Deutsche Bundestag vor fünf Jahren einstimmig eine Resolution beschlossen hat, mit der wir, die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, uns verpflichtet haben, eine Reform der Alterssicherung auf den Weg zu bringen, die folgende Punkte endlich regeln sollte: eine rentenrechtliche Anerkennung von Kindererziehungszeiten additiv zu Zeiten der Erwerbstätigkeit - Frau Dr. Babel ist hier bereits mit ihrem Wunsch, daß das bereits in der letzten Legislaturperiode hätte geschehen sollen, zitiert worden - und eine bessere Berücksichtigung der Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung. Diese Forderung wurde durch das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil von 1992 nachhaltig bekräftigt. Bei der dritten Forderung, einen Beitrag zur Lösung des Problems der Altersarmut zu leisten, befindet sich der Bundestag in der guten Gesellschaft der Caritas, die als Ergebnis ihrer großen Armutsuntersuchung gefordert hat, die sozialen Sicherungssysteme armutsfest zu machen.
Wie gesagt, das war eine einstimmig angenommene Resolution, eine Aufgabe, die wir uns damit selbst gegeben haben.

(Beifall bei der PDS)

Bereits nach der Regierungserklärung zu Beginn dieser Legislaturperiode, nach der Ankündigung der Arbeitsprogramme des Arbeitsministers und der Frauenministerin war klar: Von der Regierungskoalition wird nichts kommen, was diese Forderungen vom 21. Juni 1991 einlösen kann. Daß aber die Koalitionsfraktionen jetzt statt einer besseren Anerkennung von Kindererziehungszeiten, statt einer Absicherung gegen Altersarmut, vor allem von Frauen, ein Programm auf die Tagesordnung setzen, das durch die Kürzung von Anrechnungszeiten für die
Ausbildung, durch Änderungen bei der Altersgrenze für Frauen und durch versicherungsmathematische Abschläge - ich will den Horrorkatalog heute nachmittag nicht noch einmal vortragen - gekennzeichnet ist, empört die Frauen.

(Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der Deutsche Frauenrat hat in seiner Stellungnahme bei der Anhörung zu den aktuellen Gesetzen zu Recht gefordert, daß der Bundestag seine eigenen Beschlüsse ernst nehmen soll. Denn niemand von der Regierungskoalition kann ernsthaft behaupten, daß sich - gerade nach dem Verfassungsgerichtsurteil von 1992 und angesichts der hohen Arbeitslosigkeit, die im Alter zwangsläufig zur Armut führt - die Aufgabe der Armutsbekämpfung und der besseren Anrechnung von Erziehungszeiten durch Zeitablauf erledigt habe.
Was schlägt nun die PDS in ihrem Antrag vor? Sie schlägt die Rentenversicherungspflicht für geringfügig Beschäftigte - dazu haben wir heute morgen über den SPD-Antrag diskutiert - und eine bedarfsabhängige soziale Grundsicherung - das ist eine Forderung, die von vielen Sozialverbänden und Sozialwissenschaftlern, die in der Nationalen Armutskonferenz zusammengeschlossen sind, immer wieder gestellt worden ist und die seit 1986 von der SPD immer wieder in ihr Programm eingefügt worden ist - vor.
Die SPD hat dazu ein ausformuliertes und durchgerechnetes Konzept vorgelegt und dieses im Rahmen von Fachkonferenzen der SPD-Bundestagsfraktion öffentlich vorgestellt. Wir freuen uns, wenn unser Konzept auch für andere Parteien so attraktiv ist, daß sie es in ihren Anträgen aufgreifen. Leider reicht es noch nicht ganz zur Mehrheit; wir müssen noch mehr dafür gewinnen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

Zwei Punkte im Antrag der PDS halte ich nicht für akzeptabel, ja, ich halte sie eigentlich für unseriös: zum einen die Anrechnung von Kindererziehungszeiten von neun Jahren bei zwei Kindern und von 15 Jahren bei drei Kindern. Das geht noch weit über die neun Jahre hinaus, die es in der DDR gegeben hat. Das halte ich schlichtweg für nicht finanzierbar. Es gilt die Faustformel, daß die Anrechnung von einem Jahr Kindererziehungszeit die Rentenversicherung ungefähr 5 Milliarden DM kostet. Deshalb hätte ich mir an dieser Stelle mehr gewünscht als die schlichte Formulierung, daß das aus Steuermitteln finanziert werden muß. So sollten wir bei den Frauen keine falschen Hoffnungen wecken.
Der zweite Punkt ist die Versicherungspflicht für Hausfrauen, die keine Kinder erziehen, also auch für diejenigen, deren Kinder bereits erwachsen sind. So wie die PDS das in ihrem Antrag vorschlägt, wären überschlägig monatliche Beiträge in Höhe von 595 DM erforderlich. Diese hohe Beitragsleistung ist eines der Hauptargumente gegen eine allgemeine Rentenversicherungspflicht, die im Rahmen des so-

Ulrike Mascher
genannten voll eigenständigen Systems der Altersvorsorge von Wissenschaftlern aus dem Umfeld des DIW in Berlin entwickelt worden ist. Ich denke, man kann das so nicht einfach wieder in einen Antrag hineinschreiben, sondern man muß die materielle Situation von Familien berücksichtigen. Eine Beitragspflicht in Höhe von 595 DM - mögen es auch 590 DM oder 580 DM sein - ist einfach nicht machbar.
Die SPD arbeitet seit der letzten Legislaturperiode - angestoßen durch die gemeinsame Entschließung vom 21. Juni 1991- an einem Konzept für eine eigenständige Alterssicherung von Frauen. Wir wollen durch Umschichtungen im System der gesetzlichen Rentenversicherung ein echtes Rentenreformmodell entwickeln, das Frauen ohne Erhöhung des Beitrages und ohne Erhöhung des Bundeszuschusses eine ausreichende eigene Alterssicherung ermöglicht.
Das ist nicht so ganz einfach. Die finanziellen Auswirkungen müssen sehr genau bedacht werden, damit wir nicht auf der einen Seite Altersarmut von Frauen bekämpfen und auf der anderen Seite ein Loch aufreißen, das Frauen wieder in Armut stürzt.

(Zustimmung der Abg. Ina Albowitz [F.D.P.])

Wir werden der Öffentlichkeit unser Konzept im Rahmen der Arbeit unserer Rentenkommission im Laufe des nächsten Jahres vorstellen.
Ich finde es ganz interessant, daß der Vorsitzende des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger, Herr Professor Ruland, immer wieder auch öffentlich erklärt hat: Die beste und die zuverlässigste Alterssicherung erreicht „frau" durch eine möglichst kontinuierliche Erwerbsarbeit. - Dazu brauchen wir aber eine andere Politik, damit Erwerbsarbeit und Familie besser miteinander vereinbart werden können.
Mit diesem Merkposten möchte ich meinen Beitrag abschließen; denn daran müßte sich eine sehr lange Diskussion anschließen, die wir heute, am Freitagnachmittag, sicher nicht mehr führen können und nicht mehr führen wollen.
Danke.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1311417800
Das Wort hat der Kollege Uwe Lühr, F.D.P.

Uwe-Bernd Lühr (FDP):
Rede ID: ID1311417900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit ihrem Antrag greift die PDS ein Problem auf, das lange erkannt ist. Genau heute vor fünf Jahren hat der Deutsche Bundestag in einer großen Entschließung zur Fortsetzung der Reform der Alterssicherung der Frauen aufgefordert, die bis zum Beginn des Jahres 1997 verwirklicht werden sollte.
Auch das Bundesverfassungsgericht hatte zu einer verbesserten Berücksichtigung der Kindererziehungszeiten aufgefordert.
Ein Schwerpunkt der gemeinsamen Entschließung war, die Anerkennung von Zeiten der Kindererziehung und der Pflege zu verbessern und dabei die Tatsache zu berücksichtigen, daß Familienarbeit oft gleichzeitig mit Erwerbsarbeit geleistet wird. Ich denke, der Auftragsteil „Pflege" ist mit ihrer rentenrechtlichen Anerkennung zwischenzeitlich schon einigermaßen erfüllt.
Der F.D.P. ging es damals vor allem auch darum, daß nicht nur Kindererziehungszeiten der Frauen anerkannt werden, die während dieser Erziehungszeit nicht erwerbstätig waren, sondern auch derjenigen, die sich der Doppelbelastung stellen mußten. Wir wollten eine additive Lösung; und die sollte nach dem Wortlaut der Entschließung noch in der 12. Legislaturperiode verwirklicht werden.
Im Frühjahr 1991 sah es in der Euphorie der deutschen Einigung noch so aus, als könne das Gesamtkonzept bis 1997 tatsächlich verwirklicht werden. Doch die Zeiten haben sich geändert. Sehr schnell haben uns die sich gegenseitig verstärkenden Entwicklungen am Arbeitsmarkt, steigende Arbeitslosigkeit und damit einhergehende Frühverrentung auf den Boden der finanziellen Realität zurückgeholt.
Heute können wir nicht über zusätzliche Leistungen, sondern müssen über notwendig gewordene restriktive Maßnahmen zur Sicherung der soliden Finanzierung unserer sozialen Sicherungssysteme reden. Wir müssen auf unserer Wunschliste vor allem dort Abstriche machen, wo der nachteilige Nebeneffekt der zusätzlichen Belastung der Beitragszahler aufträte.
Diese Entwicklung dürfte eigentlich auch der PDS nicht entgangen sein. Dennoch suggeriert sie, die Republik könne das bzw. könne sich das noch leisten. Ich denke, sie wird auch viel Beifall bei denen finden, die der propagierten Fehleinschätzung erliegen, es komme nur auf den politischen Willen an.
Das Grundrecht der Gleichberechtigung erfordert die eigenständige Alterssicherung der Frau. Zwar darf dieses Recht keine Funktion der Finanzen sein; aber wir alle wissen, was das Recht ohne materielle Umsetzung wert ist. Auch die sozialen Sicherungssysteme stehen unter dem Finanzierungsvorbehalt. Umsteuerungen innerhalb des Systems brauchen Zeit - zumindest eine Frist, die zur Neuorientierung der Betroffenen ausreicht. Ich denke, diese Einsicht war maßgebend für die teilweise Rücknahme der Vorschläge für die Anhebung der Altersgrenze für Frauen. Das Vertrauen in die Gültigkeit von Kriterien, die ehemals die Lebensplanung entscheidend mitbestimmt haben, ist für die Funktionsfähigkeit der Alterssicherung ebenso wichtig wie die Solidität ihrer Finanzierung selbst.
Wir, die Freien Demokraten, wollen diese Reform. Wir wollen das gesteckte Ziel nicht aufgeben. Daher werden wir nicht aufhören, über Lösungsmöglichkeiten nachzudenken, um die Reform zunächst dort wei-

Uwe Lühr
terzubringen, wo sie aufkommensneutral realisiert werden kann.
Wir werden uns weiter bemühen, Mittel zur eigenständigen Alterssicherung der Frau freizusetzen. Wir werden aber darauf achten, daß sie ordnungspolitisch korrekt finanziert wird. Einer Reform unter Hinnahme einer zusätzlichen Gefährdung der Stabilität des Gesamtsystems selbst werden wir uns widersetzen.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1311418000
Das Wort hat die Kollegin Andrea Fischer, Bündnis 90/Die Grünen.

Andrea Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1311418100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Beste, was ich über den Antrag der PDS sagen kann, ist, daß er zu Recht auf das uneingelöste Versprechen dieses Entschließungsantrages, von dem hier schon so viel die Rede war, hinweist und darauf, daß es politisch nicht hinnehmbar ist, daß seitdem nichts geschehen ist und sich die Dinge - darauf hat auch die Kollegin Mascher hingewiesen - permanent zum Schlechteren wenden.

(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Na, na! Das nehmen Sie sofort zurück!)

Nur weil der Antrag der PDS nicht gut ist, Herr Kollege Heiderich, können Sie noch nicht behaupten, daß das, was die Bundesregierung zur Zeit macht, gut sei. Dieser Umkehrschluß ist nicht zulässig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Unbestritten ist auch - das habe ich gerade vom Kollegen Lühr gehört -, daß die eigenständige Alterssicherung der Frauen weiterhin eine wichtige politische Aufgabe ist, die wir dringend anpacken müssen. Ich glaube, daß wir auf dem Feld am besten vorankommen, wenn wir hier weiterhin über die Kindererziehungszeiten gehen.
Frau Kollegin Bläss, Sie haben gerade einiges aus einer früheren Debatte über dieses Thema zitiert und gefragt: Wo ist denn der Elan dieser Debatte geblieben? Ich antworte Ihnen: Wenn ich mir Ihren Antrag ansehe, dann weiß ich auch nicht, wo der Elan der PDS geblieben ist. Wenn man die eigenständige Alterssicherung der Frauen wirklich will, dann muß man sich auch ernsthaft mit all den schwierigen ungelösten Fragen auseinandersetzen. Das tut Ihr Antrag nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P.)

Das ärgert mich an der ganzen Sache so.
Frau Kollegin Mascher hat eben nur an einem Punkt, der zur Debatte steht, nämlich an der Versicherungspflicht für Hausfrauen, darauf hingewiesen, wie kompliziert es ist, auf diesem Gebiet zu befriedigenden Lösungen zu kommen, die ohnehin nur in ganz engen Korridoren möglich sind.
Ich kann für meine Fraktion ganz offen sagen: Wir wollen diese Reform. Aber angesichts all dessen, was wir im Moment an Arbeitsbelastung haben, waren wir bislang nicht in der Lage, dazu ein durchdachtes Konzept vorzulegen. Niemand bedauert das mehr als ich. Man kann aber an dieses Problem nicht so herangehen, wie Sie das in Ihrem Antrag gemacht haben, in dem Sie einfach sagen: Das wünschen wir uns.

(Ina Albowitz [F.D.P.]: Das ist wie Weihnachten!)

Was Ihre Forderung angeht, den regulären Rentenzugang für Frauen auf Dauer auf 60 Jahre festzuschreiben: Haben Sie schon einmal etwas von demographischem Wandel und gestiegener Lebenserwartung gehört? Was die additive Anrechnung von Kindererziehungszeiten und Erwerbstätigkeit angeht: Hat Ihnen schon einmal jemand gesagt, daß Sie, wenn Sie bei der Beitragsbemessungsgrenze keine Obergrenze einführen, theoretisch zu Rentenansprüchen von 2,8 Entgeltpunkten kommen? Wie wollen Sie dieses Problem lösen?

(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das verstehen die doch gar nicht!)

Zur Grundsicherung: Meine Fraktion arbeitet zur Zeit an der Konkretisierung eines Konzepts, mit dem wir uns schon seit längerem beschäftigen. Wenn ich mir ansehe, was die PDS da macht, dann werde ich nun wirklich wütend. Sie fordern 1 450 DM plus Miete. Das muß man einmal andersherum betrachten: Wenn man den jetzigen Sozialhilfesatz zugrunde legt, wenn man das, was zur Zeit an einmaligen Leistungen gezahlt wird, addiert, durch zwölf teilt und auf einen Monat umlegt und dann noch die 8 Prozent drauflegt, um die die Sozialhilfe nach Angaben der Wohlfahrtsverbände durch die Deckelung der letzten Jahre zu niedrig ist, dann kommen Sie auf einen Regelsatz von 717 DM. Also: 1 450 DM ist eine Verdoppelung des aktuellen Sozialhilfeniveaus.
Da sagen Sie nun: Das kriegen wir doch finanziert. Das will ich sehen, das will ich auf Heller und Pfennig sehen. Nur, wenn man mit solchen Beträgen um sich schmeißt, dann diskreditiert man die Sozialpolitik. So kommt man mit einer oppositionellen Sozialpolitik nicht in die Offensive. Deswegen bin ich so sauer über diesen Antrag.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P.)

- Sie von der Koalition haben nicht zu klatschen.

(Widerspruch bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich habe das der Kollegin vorgerechnet und gesagt: Sie müssen hier seriöser arbeiten. Ich habe über linke Sozialpolitik geredet. Ihre Sozialpolitik kann man nun wirlich nicht als linke Sozialpolitik bezeichnen. Ich habe weiter davon geredet, daß wir Alternativen aufzeigen wollen.

(Zuruf von der F.D.P.)




Andrea Fischer (Berlin)

- Das ist nicht wahr. In jeder Anhörung wird Ihnen erzählt, was Sie alles nicht bedacht haben. Sie müssen die Anhebung des Rentenalters der Frauen zurücknehmen, weil Sie offensichtlich Ihre Juristen in den Ministerien nicht gefragt haben, wie das mit dem Vertrauensschutz ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Erzählen Sie mir also nicht, Sie könnten richtige Sozialpolitik machen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1311418200
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/4684 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Einverstanden? - Kein Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19a und 19b sowie die Zusatzpunkte 8 und 11 auf:
19. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr.-Ing. Dietmar Kansy, Peter Götz, Werner Dörflinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Hildebrecht Braun (Augsburg), Dr. Klaus Röhl, Horst Friedrich und der Fraktion der F.D.P.
Umsetzung der HABITAT II-Empfehlungen
- Drucksache 13/4951 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (federführend)

Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig, Dr. Angelika Köster-Loßack, Amke Dietert-Scheuer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Einlösung der Versprechen von Rio auf der
VN-Konferenz Habitat II in Istanbul
- Drucksache 13/4919 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (federführend)

Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
ZP8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Volkmar Schultz (Köln), Ingrid Becker-Inglau, Adelheid Tröscher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Siedlungspolitik mit der Agenda von Habitat II in Einklang bringen
- Drucksache 13/4966 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (federführend)

Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
ZP11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Achim Großmann, Angelika Mertens, Dr. Eberhard Brecht, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Städtebauförderung als wichtiges Investitionsinstrument erhalten und ausbauen
- Drucksache 13/4761 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (federführend)

Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß
In der Aussprache, die ich hiermit eröffne, werden folgende Kolleginnen und Kollegen ihren Redebeitrag zu Protokoll geben: CDU/CSU: Götz, Willner; SPD: Becker-Inglau, Schultz; Bündnis 90/Die Grünen: Eichstädt-Bohlig; F.D.P.: Schwaetzer; PDS: Warnick, und für die Bundesregierung Herr Bundesminister Töpfer.*) Ich gehe davon aus, daß das Haus einverstanden ist. - Das ist so.
Dann schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/4951, 13/4919 und 13/ 4966 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Antrag der Fraktion der SPD zur Städtebauförderung auf Drucksache 13/ 4761 soll zur federführenden Beratung dem Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau und zur Mitberatung dem Ausschuß für Wirtschaft sowie dem Haushaltsausschuß überwiesen werden. Einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 20 und Zusatzpunkt 9 auf:
20. Beratung des Antrags der Abgeordneten Gila Altmann (Aurich) undderFraktionBÜNDNIS90/ DIE GRÜNEN
Verschärfung der Maßnahmen gegen die fortschreitende Gefährdung der menschlichen
*) Anlage 4



Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Gesundheit und der Umwelt durch bodennahes Ozon
- Drucksache 13/4727 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (federführend)

Ausschuß für Gesundheit
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus
ZP9 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Änderung des „Sommersmog-Gesetzes" (Gesetz zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes vom 19. Juli 1995)

- Drucksache 13/4974 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (federführend)

Ausschuß für Gesundheit
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus
In der Aussprache, die ich hiermit eröffne, werden folgende Kolleginnen und Kollegen ihre Redebeiträge zu Protokoll geben: CDU/CSU: Reichard, SPD: Schwall-Düren, Bündnis 90/Die Grünen: Gila Altmann, F.D.P.: Homburger, PDS: Bulling-Schröter, für die Bundesregierung niemand.*) Ich gehe davon aus, daß das Haus einverstanden ist? -
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/4727 und 13/4974 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 13/4727 soll zusätzlich dem Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus zur Mitberatung überwiesen werden. Einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 26. Juni 1996, 13 Uhr ein.
Schönes Wochenende!
Die Sitzung ist geschlossen.