Protokoll:
13099

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 13

  • date_rangeSitzungsnummer: 99

  • date_rangeDatum: 19. April 1996

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 12:51 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 13/99 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 99. Sitzung Bonn, Freitag, den 19. April 1996 Inhalt: Nachbesetzung im Kuratorium der „Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen in der DDR" 8817 A Tagesordnungspunkt 14: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Monika Knoche, Gerald Häfner und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Spende, die Entnahme und die Übertragung von Organen (Transplantationsgesetz) (Drucksache 13/2936) 8817 B b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen (Transplantationsgesetz) (Drucksache 13/4355) . . . . 8817 B c) Antrag der Abgeordneten Dr. Wolfgang Wodarg, Dr. Herta Däubler-Gmelin, Horst Schmidbauer (Nürnberg) und weiterer Abgeordneter: Kriterien für die Spende, Entnahme und Übertragung von menschlichen Organen (Drucksache 13/4114) 8817 C d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes - Organhandel (Drucksache 13/587) . . . 8817 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 12: Antrag der Abgeordneten Rudolf Dreßler, Rudolf Scharping, Klaus Kirchner, Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid), Horst Seehofer, Dr. Wolfgang Schäuble, Dr. Dieter Thomae, Wolfgang Zöller sowie weiterer Abgeordneter der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P.: Spende, Entnahme und Übertragung von Organen (Drucksache 13/4368) . 8817 D Beatrix Philipp CDU/CSU 8818 A Dr. Wolfgang Wodarg SPD 8822 A Monika Knoche BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8824 C Dr. Dieter Thomae F.D.P 8827 B Dr. Ruth Fuchs PDS 8829 B Horst Seehofer, Bundesminister BMG . 8830 B Dr. R. Werner Schuster SPD 8834 B Rudolf Dreßler SPD 8834 D Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8837 B Dr. Edzard Schmidt-Jortzig F.D.P. . . . 8838 D Christina Schenk PDS 8840 C Dr. Rita Süssmuth CDU/CSU 8841 D Dr. Herta Däubler-Gmelin SPD 8843 B Dr. Sabine Bergmann-Pohl CDU/CSU . 8845 D Horst Schmidbauer (Nürnberg) SPD . 8847 A Eckart von Klaeden CDU/CSU 8848 B Dr. Hansjörg Schäfer SPD 8850 C Editha Limbach CDU/CSU 8852 A Tagesordnungspunkt 15: Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über ihre Maßnahmen zur Förderung der Kulturarbeit gemäß § 96 BVFG in den Jahren 1991 und 1992 sowie die Fortschreibung des Aktionsprogramms des Bundesministeriums des Innern zur Förderung der deutschen Kultur des Ostens in den Jahren 1994 bis 1999 (Drucksachen 12/7877, 13/725 Nr. 22, 13/3195) . . . 8853 A Nächste Sitzung 8853 D Berichtigung 8853 Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 8854* A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 14a bis d und Zusatztagesordnungspunkt 12 (Spende, Entnahme und Übertragung von Organen - Transplantationsgesetz) Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) CDU/ CSU 8854* D Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 15 (Bericht der Bundesregierung über ihre Maßnahmen zur Förderung der Kulturarbeit gemäß § 96 BVFG in den Jahren 1991 und 1992 sowie die Fortschreibung des Aktionsprogramms des Bundesministeriums des Innern zur Förderung der deutschen Kultur des Ostens in den Jahren 1994 bis 1999) Hartmut Koschyk CDU/CSU 8856* C Gisela Schröter SPD 8858* B Annelie Buntenbach BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8860* A Ina Albowitz F.D.P. 8861* A Dr. Winfried Wolf PDS 8862* A Thomas Krüger SPD 8862* D Dr. Horst Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern 8864* C Anlage 4 Amtliche Mitteilungen 8865* B Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. April 1996 8817 99. Sitzung Bonn, Freitag, den 19. April 1996 Beginn: 9.00 Uhr
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    *) Anlage 3 Berichtigung Im Stenographischen Bericht der 98. Sitzung ist auf Seite 8754 A der Zuruf des Abgeordneten Steffen Kampeter (CDU/CSU) „Da habe ich manchmal meine Zweifel! ", statt nach dem Satz „Auch Herr Töpfer hat sich etwas dabei gedacht", nach den Sätzen „Der Bundesrat hat dies mehrfach gefordert. Er weiß schließlich, was er tut." einzufügen. Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Augustin, Anneliese CDU/CSU 19. 4. 96 * * Basten, Franz Peter CDU/CSU 19.4. 96 Beck (Bremen), BÜNDNIS 19. 4. 96 Marieluise 90/DIE GRÜNEN Belle, Meinrad CDU/CSU 19. 4. 96 Braune, Tilo SPD 19.4. 96 Burchardt, Ulla SPD 19.4. 96 Duve, Freimut SPD 19. 4. 96 ** Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 19. 4. 96 ** 90/DIE GRÜNEN Graf von Einsiedel, PDS 19.4. 96 Heinrich Ferner, Elke SPD 19.4. 96 Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 19. 4. 96 ** Gleicke, Iris SPD 19. 4. 96 Dr. Glotz, Peter SPD 19.4. 96 Dr. Götzer, Wolfgang CDU/CSU 19. 4. 96 * Dr. Gysi, Gregor PDS 19. 4. 96 Dr. Haussmann, Helmut F.D.P. 19.4. 96 Dr. Jacob, Willibald PDS 19. 4. 96 Jelpke, Ulla PDS 19. 4. 96 Kauder, Volker CDU/CSU 19.4. 96 Klappert, Marianne SPD 19. 4. 96 Dr. Kohl, Helmut CDU/CSU 19. 4. 96 Krziskewitz, Reiner CDU/CSU 19. 4. 96 ** Dr. Küster, Uwe SPD 19. 4. 96 Dr. Graf Lambsdorff, F.D.P. 19. 4. 96 Otto Lederer, Andrea PDS 19. 4. 96 Lengsfeld, Vera BÜNDNIS 19.4. 96 90/DIE GRÜNEN Maaß (Wilhelmshaven), CDU/CSU 19.4. 96 Erich Meckel, Markus SPD 19. 4. 96 * Mehl, Ulrike SPD 19.4. 96 Möllemann, Jürgen W. F.D.P. 19. 4. 96 Nelle, Engelbert CDU/CSU 19. 4. 96 Dr. Paziorek, Peter CDU/CSU 19.4. 96 Dr. Pfaff, Martin SPD 19. 4. 96 Dr. Rappe (Hildesheim), SPD 19. 4. 96 Hermann Dr. Rössel, Uwe-Jens PDS 19.4. 96 Schlauch, Rezzo BÜNDNIS 19. 4. 96 90/DIE GRÜNEN Schloten, Dieter SPD 19.4. 96 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Schmidt-Zadel, Regina SPD 19.4. 96 Schoppe, Waltraud BÜNDNIS 19. 4. 96 90/DIE GRÜNEN Schütz (Oldenburg), SPD 19.4. 96 * * Dietmar Dr. Schulte (Schwäbisch CDU/CSU 19.4. 96 Gmünd), Dieter Schumann, Ilse SPD 19.4. 96 Schwanitz, Rolf SPD 19. 4. 96 Steenblock, Rainder BÜNDNIS 19.4. 96 90/DIE GRÜNEN Dr. Stoltenberg, Gerhard CDU/CSU 19. 4. 96 Thieser, Dietmar SPD 19.4. 96. Dr. Töpfer, Klaus CDU/CSU 19.4. 96 Vergin, Siegfried SPD 19. 4. 96 Voigt (Frankfurt), SPD 19. 4. 96 * Karsten D. Wallow, Hans SPD 19. 4. 96 Weis (Stendal), Reinhard SPD 19. 4. 96 Weisskirchen (Wiesloch), SPD 19.4. 96 Gert Wettig-Danielmeier, SPD 19.4. 96 Inge Dr. Wolf, Winfried PDS 19. 4. 96 * für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung * * für die Teilnahme an der 95. Jahreskonferenz der Interparlamentarischen Union Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 14 a bis d und Zusatztagesordnungspunkt 12 (Spende, Entnahme und Übertragung von Organen - Transplantationsgesetz) Wolfgang Lohmann, (Lüdenscheid) (CDU/CSU): Es ist in Deutschland bisher nicht gelungen, die Transplantationsmedizin auf eine sichere rechtliche Basis zu stellen. In den letzten 15 Jahren sind vielfältige Versuche des Gesetzgebers auf Bundes- und Landesebene, diese Materie zu regeln, aus unterschiedlichen Gründen immer wieder gescheitert. Der letzte Gesetzentwurf in einer langen Reihe von Initiativen wurde vom Landtag des Landes Rheinland-Pfalz im Sommer des Jahres 1994 beschlossen und noch vor den letzten Bundestagswahlen mit Donnergetöse in den Medien wieder zurückgezogen. Vor diesem Hintergrund der Fehlversuche taucht zwangsläufig die Frage auf, ob wir in Deutschland ein Transplantationsgesetz überhaupt brauchen. Ein Blick in das europäische Ausland zeigt, daß nahezu alle unsere Nachbarstaaten über ein derartiges Gesetz verfügen. Neben Irland, Island, Liechtenstein und Malta sind wir das einzige westeuropäische Land ohne eine gesetzliche Regelung der Organtransplantation. Bereits diese Regelpraxis unserer europäischen Nachbarn ist für mich ein wichtiges Indiz dafür, daß gewichtige Gründe für die Verabschiedung eines Transplantationsgesetzes sprechen. Diese Gründe sind vor allem daran zu sehen, daß es bei der Übertragung von Organen sowohl um das Interesse des Organempfängers an einer möglicherweise lebensrettenden Krankenbehandlung, als auch um den Schutz der körperlichen Unversehrtheit von Spendern und damit um den Schutz und Ausgleich zwischen hochwertigen grundrechtlich geschützten Interessen geht. Wie sensibel dieses Spannungsverhältnis ist, wie anfällig gerade heutzutage in unserer Mediengesellschaft dieser Interessenausgleich für auch von Angst getragene Stimmungsveränderungen in der Bevölkerung ist, belegen die Veränderungen, die insbesondere auf Grund der Debatte um das Transplantationsgesetz des Landes Rheinland-Pfalz zu verzeichnen waren. Auch das Thema Organhandel und eine entsprechend reißerische Darstellung in den Medien haben zu einer starken Verunsicherung der Bevölkerung geführt. Ich bin der festen Überzeugung, daß wir das Mißtrauen, die Ängste und die Unsicherheit der Bevölkerung nur mit einem klaren rechtlichen Rahmen für die Transplantationsmedizin in Deutschland auf Dauer abbauen können. Kontraproduktiv wäre aber ein Transplantationsgesetz, das nach heftigem Streit in den Ausschüssen des Bundestages vielleicht auch erst nach Durchführung eines Vermittlungsverfahrens beschlossen werden würde. Ich begrüße daher ausdrücklich, daß der Ansatz der Koalition dieses Gesetz in einem fraktionsübergreifenden Konsens einzubringen, zu beraten und schließlich auch zu beschließen, zumindest von der SPD auch so gesehen wurde. Ich begrüße dies insbesondere auch vor dem Hintergrund unseres aktuellen Konsensstreits über die Haushalts- und Sozialpolitik. Damit setzt die Politik ein positives Zeichen. Ich danke bei dieser Gelegenheit auch SPD und der F.D.P., daß sie auf die Union sozusagen gewartet haben, da der Meinungsbildungsprozeß bei uns etwas länger als ursprünglich vorgesehen gedauert hat. Als Signal an die Öffentlichkeit ist wichtig, daß wir bis auf die beiden wichtigen Punkte des Transplantationsgesetzes - der Bewertung des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der gesamten Hirnfunktionen als Tod des Menschen und der Berechtigung der Angehörigen und engsten Vertrauten eines Verstorbenen, einer Organentnahme zuzustimmen, wenn dazu keine eigene Erklärung des Verstorbenen vorliegt - über alle anderen Regelungen, die mit einer Organentnahme zusammenhängen, einen Konsens erzielt haben. Dabei ist von besonderer Bedeutung, daß dies nicht nur für die Fraktionen des Bundestages gilt, sondern auch für die Länder, da diese bei der Erarbeitung des Gesetzentwurfs von Anfang an mitgewirkt haben. Die Sensibilität des Themas hat dazu geführt, daß dieser Gesetzentwurf vorbereitet wurde wie kaum ein anderer. Neben einer breit angelegten Sachverständigenanhörung des Gesundheits- und Rechtsausschusses des Bundestages nur zur Bewertung des Hirntodes sowie zur Frage der engen oder erweiterten Zustimmungslösung hat es in den zuständigen Arbeitsgruppen sowie in der Gesamtfraktion Sondersitzungen zu dieser Thematik gegeben. Um jedem Abgeordneten über diese Vorbereitungsphase hinaus noch weitere Gelegenheit zu geben, sich intensiv mit dieser Thematik vor einer abschließenden Entscheidung zu beschäftigen, haben wir uns auch zu dem ungewöhnlichen Verfahren entschlossen, im Gesetzentwurf die beiden genannten Punkte zunächst offenzulassen und statt dessen in Antragsform die jeweilige Absicht zu formulieren. Abhängig vom Beratungsverlauf in den Ausschüssen soll möglicherweise auch dort noch keine Entscheidung über die zentralen Fragen fallen, sondern erst mit der Abstimmung nach der zweiten Lesung im Bundestag. Es gibt wohl kaum Vergleichsfälle, in denen die Gewissensfreiheit des einzelnen Abgeordneten derart zum Tragen kommen soll wie in diesem Gesetzgebungsverfahren. Auch wenn es bereits von meinem Vorredner gesagt wurde, möchte ich das aus meiner Sicht wesentliche Ziel des Transplantationsgesetzes noch einmal herausstellen. Es muß uns gelingen, durch die Schaffung klarer Rechtsgrundlagen für die Entnahme und Übertragung von Organen sowie insbesondere aber auch durch die Bestrafung des Organhandels einen breiten gesellschaftlichen Konsens in Deutschland für die Transplantationsmedizin zu sichern bzw. diesen Konsens verstärkt zu fördern. Dieser Konsens sollte helfen, die zum Teil vorhandene Irritation in der Bevölkerung abzubauen. Dabei sind die Rechtssicherheit für die Ärzteschaft und das Fehlen jeglichen Zwangs bei der Organgewinnung für mich herausragende Punkte. Sollte das Gesetz auch dazu beitragen, die Spendebereitschaft in der Bevölkerung allgemein zu heben und mehr Transplantationen zu ermöglichen, ist dies natürlich begrüßenswert. Nur mit dem Gesetz allein werden wir meiner Meinung nach keine Verbesserung der Situation in Deutschland erreichen. Wir brauchen dazu parallel eine breit angelegte Aufklärungskampagne, mit der der Bevölkerung alle wesentlichen Punkte bei der Organtransplantation vermittelt werden. Dazu gehört natürlich auch die Information, daß mit dem Gesetzentwurf gewährleistet wird, eine Organspende verbindlich abzulehnen - ein für mich wesentlicher Punkt, um Mißtrauen und Ängste abzubauen. Dreh- und Angelpunkt eines jeden Transplantationsgesetzes ist eine Aussage zu der Frage, wann der Mensch tot ist. Alle anderen - sicher auch gravierenden - Fragen sind letztendlich Folgefragen, deren Beantwortung auf der ersten Gundentscheidung, nämlich der Bewertung des Hirntodes, aufbauen können. Ich respektiere andere Überzeugungen, halte deren vorgeschlagene Lösung aber aus verfassungsrechtlichen sowie rechts- und gesundheitspolitischen Gründen für nicht vertretbar. Trotz aller Formulierungskünste gelingt es dem sog. Wodarg-Modell nicht, die Tatsache zu unterdrücken, daß es sich bei diesem Vorschlag um eine Organentnahme an Lebenden handelt. Eine solche Lösung kann weder den Ärzten noch den Angehörigen zugemutet werden. Ich bin der festen Überzeugung, daß erstens der Hirntod der Tod des Menschen ist und zweitens der Gesetzgeber dies im Transplantationsgesetz klar zum Ausdruck bringen muß. Obwohl Minister Seehofer dies u. a. bereits ausführlich und überzeugend getan hat, möchte ich abschließend die für mich wichtigsten Argumente für die Anerkennung des Hirntodes als Tod des Menschen auch noch einmal nennen: - Der menschliche Organismus ist im Falle des Hirntodes unwiderruflich zu einer zentralen Selbststeuerung nicht mehr in der Lage; der Organismus ist keine Lebenseinheit mehr; - jede Möglichkeit der bewußten Wahrnehmung, des Denkens, einschließlich der Schmerzempfindung ist unwiederbringlich verloren; - das Gehirn ist von der Durchblutung abgekoppelt, seine Zellen zerfallen, auch wenn der übrige Körper noch künstlich durchblutet wird; von Medizinern wird dieser Zustand plastisch mit dem Begriff „innere Enthauptung" umschrieben; - eine Aufrechterhaltung der Funktion des Gehirns mit technischen Mitteln - wie bei Herz, Lunge, Niere usw. - ist nicht möglich; - es besteht kein Grund für Zweifel an den vom Wissenschaftlichen Beirat der Bundesärztekammer erarbeiteten „Kriterien des Hirntodes - Entscheidungshilfen zur Feststellung des Hirntodes"; diese Entscheidungshilfen beinhalten den derzeitigen Stand der medizinischen Wissenschaft. Für mich ist daher als Grundlage für ein dauerhaftes tragfähiges Transplantationsgesetz nur die sog. Hirntodkonzeption und darauf aufbauend die sog. erweiterte Zustimmungslösung geeignet. Zur Zustimmung noch dies: Für diejenigen, die den Gruppenantrag unterschrieben haben, steht die Selbstbestimmung des Betroffenen (zu seinen Lebzeiten) natürlich unantastbar im Vordergrund. Aber: Es wird trotz Gesetzes- und Werbekampagnen immer einen großen Teil Verstorbener geben, die eine Entscheidung zu ihren Lebzeiten nicht getroffen haben. Bei einer Nichtentscheidung allerdings zu unterstellen, dies verbiete eine Organentnahme von vornherein, ist einfach nicht sachgerecht. Deshalb soll der mutmaßliche Wille des Verstorbenen bei Angehörigen erkundet und ihnen die Möglichkeit der Zustimmung oder Ablehnung eingeräumt werden. Ich werbe dafür, sich dieser im Gruppenantrag niedergeschriebenen Auffassung anzuschließen. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 15 (Bericht der Bundesregierung über ihre Maßnahmen zur Förderung der Kulturarbeit gemäß § 96 BVFG in den Jahren 1991 und 1992 sowie die Fortschreibung des Aktionsprogramms des Bundesministeriums des Innern zur Förderung der deutschen Kultur des Ostens in den Jahren 1994 bis 1999) Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Der politische Wandel in Ostmittel-, Ost- und Südosteuropa und die Öffnung der Grenzen haben neue Wege zur freien Entwicklung der Kultur, insbesondere auch der Kultur und Geschichte der Deutschen in diesen Gebieten eröffnet. Die dort verbliebenen Deutschen werden sich mehr und mehr ihrer geschichtlichen und kulturellen Wurzeln bewußt. Aber auch die heute dort lebenden Nachbarvölker beginnen, sich mit der Kultur und der Geschichte der Deutschen in diesen Regionen zu befassen. Insbesondere bieten sich nun auch erweiterte Möglichkeiten, die in ihrer Heimat verbliebenen Deutschen und die dort lebenden Nachbarvölker bei ihrem Bemühen um geschichtliche und landeskundliche Informationen zu unterstützen und eine entsprechende Zusammenarbeit mit ihnen aufzunehmen. Diese Zusammenarbeit ist eng mit der in der Bundesrepublik Deutschland geleisteten und noch zu leistenden Kulturarbeit nach § 96 des Bundesvertriebenengesetzes verbunden. Aufgabe dieser Kulturarbeit ist, die in diesen Regionen in Jahrhunderten entwickelten Besonderheiten deutscher Geschichte, Kunst und Kultur zu erforschen, im Rahmen der Bildung zu vermitteln und mit Hilfe sachkundiger Träger, nicht zuletzt auch durch den kulturellen Zusammenhalt der vertriebenen Volksgruppen zu erhalten. Seit den Veränderungen in unseren östlichen Nachbarstaaten bildet diese vielgestaltige kulturelle Arbeit nunmehr auch die Basis für eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Die Aufgabe des § 96 BVFG hat damit verstärkt Aktualität erhalten. Dem Wunsch der Menschen in den Ursprungsregionen der deutschen Kultur im Osten - der Deutschen und ihrer Nachbarn - nach Erhaltung und Pflege des kulturellen und geschichtlichen Erbes ist vor allem durch die in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Träger der Kulturarbeit nach § 96 BVFG Rechnung zu tragen. Seit der Herstellung der deutschen Einheit sind darüber hinaus auch die neuen Bundesländer, in denen die deutsche Kultur des Ostens während der SED-Herrschaft verschwiegen wurde, in diese Arbeit eingebunden, so daß auch die dortige Bevölkerung - Einheimische wie Vertriebene - mit dieser Kultur vertraut gemacht werden kann. In diesem Zusammenhang begrüßen wir die geplante Einrichtung eines pommerschen Landesmuseums in Greifswald und eines Landesmuseums Schlesien in Görlitz sowie den mit Bundesmitteln errichteten Stiftungslehrstuhl „Mediävistische und Osteuropäische Germanistik" in Leipzig. Die deutsche Kultur im östlichen Europa ist Teil der deutschen und der europäischen Kultur. Sie darf nicht in Vergessenheit geraten! Daher bleiben Bund und Länder weiterhin verpflichtet, das deutsche Kulturerbe aus dem Osten zu bewahren und im allgemeinen Bewußtsein zu erhalten. Grundlage für diese Aufgabe ist der § 96 des Bundesvertriebenengesetzes, der Bund und Länder u. a. verpflichtet, das Kulturgut der Vertreibungsgebiete in dem Bewußtsein der Vertriebenen und Flüchtlinge, des gesamten deutschen Volkes und des Auslandes zu erhalten, Archive, Museen und Bibliotheken zu sichern, zu ergänzen und auszuwerten sowie Einrichtungen des Kunstschaffens und der Ausbildung sicherzustellen und zu fördern. Heimatvertriebene, deren Kinder und Kindeskinder, Aussiedler und Spätaussiedler sollen durch ihre Mitwirkung zur Bewahrung, Tradierung und Präsentation des deutschen kulturellen Erbes im und aus dem östlichen Europa weiterhin entscheidend beitragen. Ihr Interesse, ihr Wissen und ihre Verbundenheit mit den Wurzeln ihres eigenen Lebens waren ein wichtiger Antrieb für ihr Engagement und sind auch in Zukunft unverzichtbar. Seit vielen Jahrzehnten sind die Vertriebenen in die Pflege und Vermittlung von Kultur und Geschichte ihrer Heimatgebiete voll einbezogen. Denn gerade die Vertriebenen verfügen über besondere Sachkunde vor allem im Bereich der Landeskunde und des kulturellen Brauchtums. Sie und ihre Vereinigungen und Einrichtungen, besonders die Landsmannschaften, tragen in beispielhafter Weise dazu bei, das kulturelle Erbe ihrer jeweiligen Heimatregion lebendig zu erhalten. Sie sind darin zu unterstützen, auf der Grundlage und im Rahmen der mit unseren Nachbarstaaten geschlossenen Verträge Brücken zu ihren Heimatgebieten zu schlagen. Gerade die Bereitschaft der Vertriebenen und ihrer Organisationen und Einrichtungen, an dieser Kulturarbeit mitzuwirken, eröffnet die Chance für eine von gegenseitigem Verständnis und Zusammenarbeit getragene friedliche Nachbarschaft mit den östlichen Staaten und Völkern. Der Deutsche Bundestag hat bereits am 23. Juni 1994 aufgrund eines Entschließungantrags der Koalitionsfraktionen die herausragende Leistung begrüßt und gewürdigt, die auf der Grundlage des § 96 BVFG durch Bund und Länder und insbesondere durch die Organisationen und Kultureinrichtungen der Vertriebenen bisher erbracht worden ist. In Museen, wissenschaftlichen Einrichtungen, Bibliotheken, Archiven, Heimatstuben und Einrichtungen der Landsmannschaften und Vertriebenenverbände ist ein Netz geschaffen worden, durch das der in der über 700jährigen Geschichte entstandene kulturelle Beitrag der Deutschen im Osten bewahrt werden konnte. Bereits die Entschließung von 1994 knüpfte daran die Forderung, die Rechtsgrundlage und den eigenen Etat für diese Kulturarbeit weiterhin zu erhalten. Darüber hinaus hat der Deutsche Bundestag schon 1994 empfohlen, die Bemühungen im wissenschaftlichen Bereich und in der kulturellen Breitenarbeit zu verstärken sowie neue Wege zu erschließen, um die für den Erhalt des kulturellen Erbes bedeutsame Vermittlung der deutschen Sprache stärker als bisher zu fördern. Dies möchte ich heute noch einmal bekräftigen. Der Innenausschuß, dem ein einstimmiges Votum des Auswärtigen Ausschusses und ein weiteres positives Mehrheitsvotum des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft vorlag, hat den aufschlußreichen Bericht der Bundesregierung über die Kulturarbeit nach § 96 BVFG in den Jahren 1991 und 1992 mit Mehrheit zustimmend zur Kenntnis genommen. Das ebenfalls vorgelegte Aktionsprogramm des Bundesinnenministeriums zur Förderung der deutschen Kultur des Ostens in den Jahren 1994 bis 1999 wurde mehrheitlich begrüßt. Die CDU/CSU-Fraktion unterstützt die in diesem Aktionsprogramm der Bundesregierung für die Jahre bis 1999 vorgesehenen Maßnahmen. Neben der grenzüberschreitenden Kulturarbeit sind der weitere Ausbau und die Sicherung der Einrichtungen im Inland, die sich mit der Bewahrung und der Vermittlung der Kultur und Geschichte der Deutschen aus dem Osten befassen, besonders wichtig. Denn ohne die Tätigkeit dieser Einrichtungen wären zum einen diese beachtlichen Teile unserer Kultur in Deutschland vom Vergessen bedroht, fehlte zum anderen die Basis für einen fruchtbaren Austausch mit kulturellen und wissenschaftlichen Einrichtungen in unseren östlichen Nachbarstaaten. Mit der Fortschreibung des Aktionsprogramms macht die Bundesregierung deutlich, daß die durch die historischen Veränderungen in Europa neu gewonnenen Chancen bei der Bewahrung und Förderung des kulturellen Erbes der Deutschen im Osten weiterhin genutzt werden müssen. Gerade die Vertriebenen haben die neuen Chancen ergriffen und stehen mit ihrer Kulturarbeit im regen Austausch mit kulturellen Institutionen und Kulturschaffenden in ihrer Heimat. Keinesfalls ist durch die Veränderungen in Europa die Grundlage für die bereits bisher nach § 96 BVFG geförderte Kulturarbeit weggefallen, wie dies von seiten der Opposition immer wieder behauptet wird. An dieser gesetzlichen Verpflichtung von Bund und Ländern muß auch in Zukunft festgehalten werden, da die Bewahrung dieses Kulturerbes nur mit Hilfe von gemeinsamen Anstrengungen gelingen kann. Es wäre gerade der falsche Weg, die Förderung der deutschen Kultur in Mittel- und Osteuropa allein diesen Staaten zu überlassen. Über die Bedeutung dieser Kulturarbeit besteht im übrigen zwischen Bund und Ländern weitgehendes Einvernehmen. So hat die Arbeitsgemeinschaft der Landes-Flüchtlingsverwaltungen im September 1995 einstimmig folgendes beschlossen: Die Kultur und Geschichte der Vertreibungsgebiete i. S. des § 96 BVFG sind unlösbarer Teil deutscher und europäischer Kultur und Geschichte und daher nicht allein eine Aufgabe der Vertriebenen und Flüchtlinge. Sie stellt sich allen Deutschen. Das Wissen um die deutschen Kulturtraditionen in den Siedlungsgebieten in Mittel-, Ost- und Südosteuropa und um die historischen Verflechtungen im Zusammenleben der Völker ist ein wesentliches Element der Verständigung mit unseren Nachbarn im Osten. Daher muß die Vermittlung der entsprechenden Kenntnisse in der Bundesrepublik Deutschland durch die Einrichtungen der allgemeinen Kultur, Bildung und Wissenschaft sowie durch die besonderen Einrichtungen, die die Aufgaben nach § 96 BVFG wahrnehmen, gewährleistet sein... . Für die grenzüberschreitende Kulturarbeit sollte die vorhandene Sachkunde der Vertriebenen und der Institutionen nach § 96 BVFG auch weiterhin im Interesse der Verständigung genutzt werden. Leider klafft in einigen sozialdemokratisch oder rot-grün regierten Bundesländern eine große Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit. So haben große Länder wie Nordrhein-Westfalen, Hessen und Niedersachsen ihre diesbezügliche Förderung nahezu eingestellt. Nordrhein-Westfalen ist jetzt dabei, auch den Schülerwettbewerb „Die Deutschen und ihre östlichen Nachbarn" abzuschaffen, wodurch der jungen Generation ein wichtiger Zugang zur Beschäftigung mit der deutschen Geschichte und Kultur des Ostens genommen wird. Die Bundesregierung hat mit ihrem Bericht über die Kulturarbeit in den ersten beiden Jahren nach der deutschen Einheit und der Fortschreibung ihres Aktionsprogrammes eindrucksvoll dargelegt, wie ernst sie diese wichtige Aufgabe nimmt. Die Bewahrung der deutschen Kultur des Ostens ist auch in Zukunft unverzichtbar. In diese Arbeit, zu der auch eine breitgefächerte grenzüberschreitende Zusammenarbeit gehört, müssen die Vertriebenen und ihre kulturellen und landsmannschaftlichen Einrichtungen weiterhin einbezogen bleiben. Dies sieht das Aktionsprogramm auch vor, weshalb es unsere Zustimmung findet. Im Hinblick auf die friedensstiftende und verständigungspolitische Dimension der Förderung der deutschen Kultur des Ostens auf der gesetzlichen Grundlage des § 96 BVFG ist hierfür auch weiterhin die Bereitstellung angemessener Haushaltsmittel erforderlich. In seiner Beschlußempfehlung hat der Innenausschuß die Bundesregierung aufgefordert, bei künftigen Berichten über ihre Maßnahmen zur Förderung der Kulturarbeit gemäß § 96 BVFG darzulegen, inwieweit eine Verstärkung der Zusammenarbeit der aus Bundesmitteln geförderten Einrichtungen, die sich mit der Bewahrung und Vermittlung der Kultur und Geschichte der Deutschen aus dem Osten befassen, mit Einrichtungen auf Bundes- und Landesebene möglich ist, die sich mit der Bewahrung und Vermittlung des gesamten deutschen und europäischen Geschichts- und Kulturerbes beschäftigen. Ich bitte Sie, der Beschlußempfehlung des Innenausschusses zuzustimmen. Gisela Schröter (SPD): Grundlage der heutigen Beratung ist ein Bericht der Bundesregierung, der sich auf die Jahre 1991 und 1992 bezieht. Beraten werden soll die Förderung der Kulturarbeit nach § 96 des Bundesvertriebenengesetzes, wie sie die Bundesregierung vor vier bzw. fünf Jahren durchgeführt hat. Mit diesem Zeitverzug ist eine angemessene parlamentarische Beratung nicht möglich. Für eine sinnvolle Debatte in diesem Hause brauchen wir eine aktuellere Berichterstattung. Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, daß die Bundesregierung nach § 96 des Bundesvertriebenengesetzes verpflichtet ist, jährlich über das von ihr Veranlaßte zu berichten. Von seiten des Bundesinnenministeriums ist uns in den Ausschußberatungen der nächste Bericht für dieses Frühjahr zugesagt worden. Noch steht er aus, und so müssen wir mit der Bilanz über die Jahre 1991 und 1992 vorlieb nehmen. Wenn die mangelnde Aktualität des vorliegenden Berichtes auch eine Erörterung der einzelnen Maßnahmen wenig sinnvoll erscheinen läßt, so ist hier doch eine Verständigung über die Grundlinien der Kulturförderpolitik nach dem BVFG angezeigt. Dazu bietet auch das Aktionsprogramm über die geplanten Fördermaßnahmen der Jahre 1994 bis 1999 Anlaß. Dieses Programm hat die Bundesregierung ihrem Bericht beigefügt. Bevor hier alte Mißverständnisse und Unterstellungen zum Thema der Kulturförderung nach § 96 wieder hochkochen, möchte ich voranschicken, was die SPD-Bundestagsfraktion nicht will und was sie nicht fordert: Wir bestreiten doch gar nicht die Notwendigkeit dieser Kulturarbeit. Im Gegenteil: Wir betonen ausdrücklich die besondere Verpflichtung zur kulturellen Unterstützung der ostdeutschen Minderheiten in Mittelost-, Südost- und Osteuropa. Und wir danken den Trägern und Mittlerorganisationen, die sich hier bislang engagiert haben. Gebetsmühlenartig werden die Behauptungen vorgetragen, die SPD wolle die Unterstützung der Kulturarbeit für die Vertriebenen streichen. Ein für allemal: Das ist nicht die Absicht der SPD. Wir anerkennen auch das Schicksal und die Leistungen der Vertriebenen. Wir haben immer wieder bekräftigt, daß jede Vertreibung von Menschen aus ihrer Heimat nicht zu rechtfertigen ist. Jeder Akt der Vertreibung ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die deutschen Vertriebenen haben zum Aufbau einer freiheitlichen und demokratischen Staats- und Gesellschaftsordnung in der alten Bundesrepublik beigetragen. Viele Vertriebene haben sich um die Verständigung und Versöhnung zwischen den Völkern verdient gemacht. Auch für uns folgt daraus der Auftrag an den Bund und die Länder, mit geeigneten fördernden Maßnahmen das Kulturgut der Vertreibungsgebiete zu sichern und zu erhalten und einen Beitrag zur Weiterentwicklung der Kulturleistungen der Vertriebenen und Flüchtlinge zu leisten. Beides ist festgeschrieben im § 96 BVFG. Dazu stehen wir. In diesem Zusammenhang möchte ich ausdrücklich auf das Gespräch der SPD-Bundestagsfraktion mit den ostdeutschen Landsmannschaften im vergangenen Herbst hinweisen. Auch die Wahrung und Sicherung des kulturellen Erbes spielte dabei eine wichtige Rolle. Von beiden Seiten wurde das Treffen als konstruktiv bewertet. - Die SPD-Bundestagsfraktion fordert also keineswegs die Streichung der Mittel nach § 96 des Bundesvertriebenengesetzes. Was wir aber fordern - und zwar nicht erst, seit dieser Bericht und das Aktionsprogramm vorliegen -, ist: Die Bundesregierung muß in ihrer Kulturförderpolitik für die Vertriebenen die Konsequenzen daraus ziehen, daß sich die politischen Verhältnisse in Europa seit 1989/90 grundlegend verändert haben. Weder die Fördermaßnahmen der Jahre 1991/92 noch die Vorausschau auf die Jahre 1994 bis 1999 geben einen Hinweis, daß die Bundesregierung hier das Notwendige erkannt hat. Sie hat zwar begriffen, daß mit der Öffnung der Grenzen in Europa der Kulturarbeit eine neue Aufgabe zugewachsen ist. In den ehemaligen deutschen Siedlungsgebieten Mittel-und Osteuropas ist seitdem eine Kulturarbeit vor Ort überhaupt erst wirklich möglich geworden. Damit stellt sich auch die neue Aufgabe in einer grenzüberschreitenden kulturellen Zusammenarbeit, die Versöhnung und Völkerverständigung in den Mittelpunkt stellen muß. Zwar sieht auch die Bundesregierung das neue Aufgabenfeld. Doch ihre Vorstellungen darüber, wie diese politisch höchst sensible Aufgabe umgesetzt werden soll, werden der Bedeutung und Tragweite der friedenspolitischen Aufgabe nicht gerecht. Denn die Bundesregierung begreift den neuen Aspekt der grenzüberschreitenden Kulturarbeit als ein zusätzliches Betätigungsfeld ihrer Fördermaßnahmen im Rahmen des Bundesvertriebenengesetzes. Dagegen ist die SPD-Bundestagsfraktion der Auffassung: Grenzüberschreitende kulturelle Zusammenarbeit ist eine Aufgabe auswärtiger Kulturpolitik. Es handelt sich bei der Kulturarbeit in den deutschen Siedlungsgebieten um eine besonders sensible Angelegenheit, die viel Fingerspitzengefühl erfordert. Die Pflege der deutschen Kultur muß als gemeinsame Kulturarbeit mit den Nachbarstaaten als eine Politik des Friedens und der Aussöhnung, der Verständigung und der Zusammenarbeit im europäischen Zusammenhang betrieben werden. Als solche muß sie eingebunden sein in das außenpolitische Gesamtkonzept der Bundesregierung. Dies erfordert die Zuständigkeit beim Auswärtigen Amt. Die jüngsten Verstimmungen im deutsch-tschechischen Verhältnis zeigen uns doch, wie groß die Empfindlichkeiten immer noch sind. Hier führt allein die Tatsache, daß die Zuständigkeit für die Kulturarbeit in den Siedlungsgebieten beim Bundesinnenminister angesiedelt ist, bereits zu Irritationen. Die Federführung für die Kulturarbeit in den Herkunftsländern ebenso wie für die grenzüberschreitende kulturelle Zusammenarbeit muß dem Außenministerium übertragen werden. Dies bringt es mit sich, daß auch die entsprechenden Haushaltsmittel beim Auswärtigen Amt untergebracht sind. Neben den außenpolitischen Erwägungen sind dafür auch haushaltspolitische Erfordernisse größerer Transparenz maßgeblich. Diese Notwendigkeiten haben aber nun keineswegs zur Folge, daß wir auf die Leistungen der Institutionen und Verbände verzichten könnten und sollten, deren Kulturarbeit bisher gemäß § 96 des Bundesvertriebenengesetzes aus dem Bundeshaushalt gefördert wird. Die SPD will die Vertriebenenverbände nicht aus diesen Aufgaben herausdrängen. Ihre wertvolle Brückenfunktion gegenüber den östlichen Nachbarvölkern sollte weiter genutzt werden - allerdings unter Federführung des Auswärtigen Amtes. - Dabei kann übrigens auch der beim BMI angesammelte Sachverstand beratend in die Entscheidungen eingebracht werden. Unabdingbare Voraussetzung einer staatlichen Förderung muß die Anerkennung aller Freundschafts- und Nachbarschaftsverträge mit den östlichen Nachbarstaaten sein. Inwieweit die bei der Bewahrung der deutschen Kultur des Ostens tätigen Einrichtungen den politischen Veränderungen Rechnung getragen haben und inwieweit sie ihre Arbeit auf der Grundlage der geschlossenen Verträge gestalten, kann nicht ein für allemal beantwortet werden. Ohne diese Institutionen und Verbände einem Pauschalverdacht rechtsradikaler Bestrebungen aussetzen zu wollen, möchte ich doch darauf hinweisen, daß es immer wieder - wie wir alle wissen - vereinzelte Affären bei geförderten Trägern der Kulturarbeit gegeben hat. Notwendig ist eine differenzierende Betrachtung von Fall zu Fall. Sollten rechtsextreme Tendenzen bei einer geförderten Organisation nachzuweisen sein, so ist sie umgehend von der Mittelzuwendung auszuschließen. In die Förderung der Vertriebenenkulturarbeit fließen große Summen. Die Fördermittel wurden für diesen Bereich seit 1984 verzehnfacht. Im laufenden Haushaltsjahr stehen 45,5 Millionen zur Verfügung. Die Angemessenheit dieser Mittel möchte ich hier nicht diskutieren. Ein Urteil darüber ist nur auf der Grundlage einer Einigung über die Aufgaben der Kulturarbeit nach dem Vertriebenengesetz möglich. Hier gibt es - wie eben dargelegt - deutliche Auffassungsunterschiede. Es ist weniger die Höhe der bereitgestellten Haushaltsmittel, die von unserer Seite zu kritisieren ist. Unsere deutliche Kritik gilt aber der Mittelvergabe und vor allem der Mittelverwendung. In jeder Hinsicht fehlt es hier an Nachvollziehbarkeit und Transparenz. Der Bericht der Bundesregierung zum Zeitraum 1991/1992 leistet zwar eine anschauliche Beschreibung der einzelnen Förderbereiche. Welche Gelder wo zum Einsatz kommen, ist aber nicht ersichtlich. Lapidar heißt es zum Beispiel, daß 50 Zuwendungsempfänger für ca. 500 Projekte jährlich gefördert wurden. Die exemplarische Aufzählung einzelner geförderter Organisationen und die Benennung einzelner unterstützter Projekte ist für die Berichterstattung über die Förderaktivitäten der Bundesregierung nicht ausreichend. Nicht nachvollziehbar wird die Verteilung der Mittel für Kulturarbeit im Inland gegenüber den Geldern, die in den Siedlungsgebieten eingesetzt werden. Dieser Mangel an Transparenz darf sich in den künftigen Berichten der Bundesregierung zu ihrer Vertriebenenkulturförderung nicht wiederholen. Für eine angemessene parlamentarische Beratung brauchen wir eine übersichtliche und erschöpfende Auflistung von Beträgen, Empfängern und Projekten. Ich fasse zusammen: - Das Aktionsprogramm des Bundesministeriums des Inneren zieht nicht die er- forderlichen Konsequenzen aus dem politischen Wandel in Europa. - Der Bericht der Bundesregierung weist große Mängel hinsichtlich der Transparenz der Fördermaßnahmen auf. Daher können wir der vorliegenden Beschlußempfehlung des Innenausschusses nicht zustimmen. Wir wollen die Förderung der Kulturarbeit nach dem Bundesvertriebenengesetz fortführen. Aber wir wollen sie - unter Anlegung strenger Effizienzkriterien - auf ihre wesentlichen Aufgaben konzentrieren. Das Wissen um die im Osten entstandenen Teile unserer Kultur soll bewahrt und diese kulturelle und künstlerische Substanz soll erhalten und weiterentwickelt werden. Sobald solche Aktivitäten in den mittel- und osteuropäischen Gastländern gefördert werden, muß die Federführung beim Auswärtigen Amt liegen. Erst recht gilt dies, wenn es um die grenzüberschreitende Vermittlung dieses kulturellen Erbes geht. Diese Fördergrundsätze können nur im Interesse der öffentlichen Akzeptanz dieser Kulturarbeit und aller daran Beteiligten liegen. Unser Entschließungsantrag trägt diese Forderungen zusammen. Wir bitten um Ihre Zustimmung. Annelie Buntenbach (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bei der Vorlage zur Vertriebenenkulturarbeit, mit der wir uns heute befassen, geht es weniger um die kulturellen Bedürfnisse einer Interessengruppe als um eine politische Initiative der Bundesregierung. Sonst wäre wohl kaum zu begründen, warum 50 Jahre nach Kriegsende einer kleiner werdenden Erlebnisgeneration und bei einem tatsächlichen Nachlassen des Engagements der Vertriebenen dieser Etat stetig steigt - daß neugebaut wird, neu investiert wird, neue hauptamtliche Stellen geschaffen werden. Was für ein immenser Unterschied zu den Entschädigungszahlungen für NS-Opfer, wo die Bundesregierung gern die Ansicht vertritt, daß damit, 50 Jahre nach Ende des NS-Regimes und des Zweiten Weltkrieges, Schluß sein muß. Die Bundesregierung ist bemüht, ihre Vertriebenenkulturarbeit nach § 96 BVFG in einen Rahmen der friedlichen Nachbarschaft, des Verständnisses und der Zusammenarbeit mit den Partner- und Nachbarstaaten in Osteuropa zu stellen. Soweit könnten wir übereinstimmen, wenn diese schöne Floskel denn auch die praktisch-politische Leitlinie wäre. Ein Blick auf die aktuelle Praxis zeigt: - Ihre Politik der „Verständigung" hat zu einer Blokkade des deutsch-tschechischen Verhältnisses geführt. - Sie hat dazu geführt, daß der ehemalige polnische Außenminister Bartoszewski die Befürchtung äußerte, daß in Polen bald 30 Millionen Deutsche leben würden. - Ihre Politik der Verständigung hat dahin geführt, daß sich die Alliierten des Zweiten Weltkriegs erst vor wenigen Wochen durch Äußerungen des Außenministers Kinkel genötigt sahen, die Rechtsverbindlichkeit des Potsdamer Abkommens zu bestätigen. Wenn man Ihren Bericht durchliest, stellt man fest, daß Sie die Öffnung Osteuropas kaum als eine Chance zu friedlicher Nachbarschaft, zum Verständnis und Brückenbau begreifen, sondern als eine günstige Situation, den wirtschaftlich schwächeren Partnerstaaten alte Rechnungen vorzulegen und mit dem überheblich wirkenden Verweis auf die „kulturellen deutschen Leistungen im Osten" Ansprüche zu begründen. Ich will nicht bestreiten, daß es in der Vertriebenenkulturarbeit Projektträger gibt, die eine Verständigungsarbeit mit großem Engagement leisten. Die Regel ist das leider nicht. Mit der Vertriebenenkulturarbeit nach § 96 BVFG erhalten Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, sich künstlich eine Lobby, nämlich Vertriebenenverbände, deren Funktionsträger mehrheitlich die Debatte um die ehemals deutschen Ostgebiete anheizen, die Entschädigungsforderungen stellen bis hin zu Gebietsrückforderungen. Sie übersehen großzügig die rechtsextremen Tendenzen in diesen Verbänden. - Die Kollegin Jelpke hat das ausführlichst dokumentiert. - Diese Gruppierungen werden von Ihnen im Rahmen der Vertriebenenkulturarbeit finanziert, und deren Ansichten von Kulturarbeit haben in der Regel nur sehr wenig mit Verständigung zu tun. Der ehemalige Generalsekretär des BdV, Neuhoff, brachte das im Jahr 1975 auf den Punkt: In der Kulturarbeit finde, so Neuhoff, „die zweite Schlacht um den deutschen Osten statt". Herbert Hupka, der Vorsitzende der schlesischen Landsmannschaft, gibt der Vertriebenenkulturarbeit eine ähnliche Bedeutung - ich zitiere aus dem Jahr 1987 -: „Wer den Nachweis erbringen will, wie deutsch Ostdeutschland jenseits von Oder und Neiße", wie deutsch die Sudetendeutschen, wie deutsch die Deutschen in den deutschen Siedlungsgebieten waren und sind, bedarf der Objektivierung der Beweise, und diese Möglichkeit eröffnet die ostdeutsche Kultur." Deutscher geht's kaum. Was hat es mit Verständigung zu tun, wenn z. B. - und das war im Jahr 1995 - die ostpreußische Landsmannschaft unter der deutschen Minderheit in Polen Landkarten verteilt, in der Südostpreußen als „unter polnischer Verwaltung" stehend gekennzeichnet ist? Wir nehmen Ihren Anspruch der Verständigung gerne auf. Aber Verständigung braucht ein Programm, das nicht auf Überheblichkeit und Revanchismus oder der Wiederaufrichtung von Kriegerdenkmälern beruht. Wir fordern in unserem Entschließungsantrag daher ein Aktionsprogramm, das den kulturellen Austausch zwischen den Menschen in Ost und West, zwischen den Vertriebenen, den deutschen Minderheiten, vor allem aber der hiesigen und dortigen Mehrheitsbevölkerung in den Vordergrund stellt. Wir halten es nicht für das richtige Signal, wenn das bundesdeutsche Innenministerium für Bürgerinnen und Bürger Polens, Rußlands oder Tschechiens zuständig ist. Die Auslandsmaßnahmen Ihres Aktionsprogramms gehören in die Zuständigkeit der auswärtigen Kulturpolitik und nicht in die Zuständigkeit des Innenministeriums. Ihre Kulturpolitik wird letztlich auch den Tatsachen nicht gerecht. Die Kultur der deutschen Minderheiten ist nicht einfach „deutsch". Sie hat eine eigene Entwicklung in einem besonderen Spannungsfeld von Assimilation, Kulturbewahrung und dem friedlichen Zusammenleben mit der Mehrheitsbevöl- kerung genommen. Verschließen Sie sich nicht der neuen Realität! Die Kultur der ehemaligen deutschen Ostgebiete hat nun eine 50jährige polnische Geschichte, eine Geschichte vom Zusammenleben von Minderheits- und Mehrheitsbevölkerung, von der Vermischung der Kulturen. Diese Multikultur eröffnet viele Möglichkeiten der Verständigung. Fördern Sie den Jugendaustausch, fördern Sie die grenzüberschreitende Kulturarbeit und fördern Sie Mittlerorganisationen, die zu dieser Verständigungsarbeit bereit sind! Ina Albowitz (F.D.P.) In dem heute zur Debatte stehenden Bericht der Bundesregierung über die Kulturförderungsmaßnahmen nach § 96 Bundesvertriebenengesetz (BVFG) in den Jahren 1991 und 1992 konnten erstmals die erheblich verbesserten Möglichkeiten, die sich durch die Neugestaltung der politischen Landschaft in Europa für die Kulturarbeit ergeben haben, berücksichtigt werden. Das Aktionsprogramm schreibt die mittelfristige Konzeption der Bundesregierung für die Jahre 1994 bis 1999 fort. Vor den politischen Umwälzungen im Osten und Südosten Europas war die Pflege und Erhaltung des kulturellen und historischen Erbes der Deutschen weitgehend auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland beschränkt. Die grenzüberschreitende Kulturarbeit ist also eine wichtige Aufgabe von aktueller Bedeutung. Es versteht sich von selbst, daß die in den Gebieten in Ost-, Mittel- und Südosteuropa lebenden Deutschen ebenso wie die Menschen, die heute bei uns leben, ein großes Interesse an der Bewahrung und Pflege ihrer Geschichte und Kultur haben. Auch wenn diese Gebiete heute ausschließlich im Ausland liegen, ist deren Kultur ein integraler Bestandteil der gesamtdeutschen und europäischen Kultur und Geschichte. Daß sich die jeweiligen Nachbarn ebenfalls immer mehr dafür interessieren, ist Ausdruck der neuen Zeit und des Zusammenwachens in Europa. Die Pflege dieses kulturellen Erbes ist ein wichtiges Mittel der Völkerverständigung und hilft, die alten Gräben zu überwinden. Sieht man sich den Katalog der geförderten Maßnahmen an, so wird gleich viel plastischer, was damit gemeint ist. Gefördert werden zum Beispiel Ausstellungen, Musik, Theater, Volkstanz und Brauchtum. Es geht aber auch darum, wertvolle deutsche Bau- und Kulturdenkmäler zu erhalten und zu sichern. In der über 700jährigen Geschichte der Deutschen in diesen Gebieten sind herausragende Zeugnisse deutscher Baukunst entstanden. Leider wurden nur wenige Objekte wiederhergestellt, und viele wertvolle Baudenkmäler sind dem Verfall preisgegeben. Wenn hier nicht schnellstens restauriert wird, sind viele Kirchen, Burgen und Schlösser, aber auch wertvolle Bürgerhäuser und Friedhöfe unwiederbringlich verloren. Akut gefährdet sind auch unsachgemäß gelagerte Bestände in Archiven und Bibliotheken. Natürlich darf Kulturförderung nicht erst jenseits der Grenzen beginnen. Gerade vor dem Hintergrund, daß die SED-Machthaber die deutsche Kultur des Ostens schlichtweg ignorierten, wird der große Nachholbedarf in den neuen Bundesländern deutlich. Die Menschen dort müssen die Möglichkeit haben, sich mit dieser Kultur vertraut zu machen. Deshalb wird die Kulturförderung in den neuen Bundesländern auch in Zukunft besondere Berücksichtigung finden. Neben dem Ausbau bereits vorhandener Museen, die einzelnen deutschen Kulturregionen im Osten und Südosten Europas gewidmet sind, wird zum Beispiel in Görlitz ein Landesmuseum Schlesien und in Greifswald ein Pommersches Landesmusem entstehen. Die Einbeziehung der neuen Bundesländer in die Auswärtige Kulturpolitik der Bundesrepublik Deutschland wurde unter besonderer Berücksichtigung des starken Interesses im Ausland am deutschen Einigungsprozeß mit Nachdruck vorangetrieben. An den Hochschulen in unserem Land sind die deutschen Ostprovinzen und Siedlungsgebiete zwar Gegenstand der allgemeinen Lehr- und Forschungstätigkeit, hier muß aber noch viel mehr getan werden. Die Lehr- und Studienpläne sollten in dieser Richtung ergänzt werden. Außerdem bieten sich ausgezeichnete Möglichkeiten zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern und Studierenden. Gerade die junge Generation ist ein wichtiger Adressat der kulturellen Breitenarbeit. Es gilt, ihr Interesse für das kulturelle Erbe zu wecken und durch die Beschäftigung mit diesem Teil der deutschen Geschichte das Verständnis untereinander zu fördern. Da es in Europa glücklicherweise keine schier unüberwindlichen Grenzen mehr gibt, ist es heute möglich, diese Gebiete zu besuchen und sich ein Bild von Land und Leuten zu machen. Der Kontakt mit den Menschen, die dort leben, ist für die Versöhnung von unschätzbarem Wert. Das bisher Erreichte ist beeindruckend und verdient unsere Anerkennung. Das Aktionsprogramm für die Jahre 1994 bis 1999 zeichnet einen Weg vor, den wir als wichtigen Beitrag zur Völkerverständigung und zur Pflege deutscher Geschichte und Kultur gleichermaßen unterstützen. Selbstverständlich müssen dafür auch angemessene Haushaltsmittel zur Verfügung gestellt werden. Als Haushaltspolitikerin bin ich mir sehr wohl bewußt, daß das viel einfacher klingt, als es in der Realität ist. In Zeiten äußerst knapper öffentlicher Kassen und intensiven Nachdenkens über Einsparmöglichkeiten ist es natürlich ausgesprochen schwer, Ausgaben für Kulturförderung zu rechtfertigen. In diesem Dilemma befindet sich die Kulturpolitik schon seit längerem, und es vergeht kein Haushaltsjahr, in dem nicht der Rotstift regiert. Bei allem Verständnis für Argumente, die der direkten Existenzsicherung den Vorrang einräumen, war ich immer der Meinung, daß man ohne Kultur auch nicht leben kann. Um unter diesen Prämissen möglichst viel zu erreichen, müssen Schwerpunkte gebildet werden. Das Prinzip Hilfe zur Selbsthilfe ist eine wesentliche Handlungsmaxime. In diesem Zusammenhang muß den Organisationen L und Gruppen der Vertriebenen und Aussiedler Dank gesagt werden. Sie leisten mit ihrer unermüdlichen und meist ehrenamtlichen Arbeit einen ganz wichtigen Beitrag. Es handelt sich aber um eine Auf- gabe aus dem Selbstverständnis Deutschlands als Kulturnation, die in die Verantwortung aller Deutschen und nicht nur der Vertriebenen fällt. Deshalb ist es auch notwendig, besondere Kultureinrichtungen für die Erhaltung der deutschen Kultur des Ostens als Rückgrat dieser Kulturarbeit institutionell zu fördern. Die Kulturförderung muß auch in Zeiten strikter Ausgabendisziplin einen angemessenen Platz im Bundeshaushalt haben und zielgerichtet eingesetzt werden. Auch wenn sich mit dem Frühling draußen anderes ankündigt, halte ich es in dieser Sache weder mit der Gießkanne noch mit dem Rasenmäher. Dr. Winfried Wolf (PDS): Wir diskutieren heute über die Kulturpolitik der Vertriebenenverbände, die - im Gegensatz zu den drastischen Kürzungen im Sozialbereich, des BAföG und der Renten - mit stetigen Steigerungen ihrer Haushaltstitel rechnen können. Zu fragen ist: Was für eine „Kultur" ist hier gemeint? Nehmen wir Vertriebenen-Zeitungen wie den „Schlesier" und „Fritz", das Blatt der „Jungen Landsmannschaft Ostpreußens", zwei Zeitungen, die trotz ihres offenkundig rechtsextremistischen Inhalts über Jahre hinweg von der Bundesregierung protegiert und geschützt worden sind. Oder nehmen wir das „Ostpreußenblatt". In diesem wurde das Holocaust-Museum in Washington mit den Worten kritisiert, dieses „erschwere" die Verständigung. In diesem werden die Überlebenden des Holocaust als „Anti-Auschwitz-Schickeria" beleidigt. Eine Zeitung, in der die zum Held stilisierte Figur des deutschen Faschismus, Leo Schlageter, als „Freiheitsund Widerstandskämpfer" verherrlicht wird. Die Oder-Neiße-Linie wird dort als „Mahnmal des Verbrechens" bezeichnet. Schließlich spricht dieses Blatt von einer „nachweislichen Intoleranz Polens", die dafür verantwortlich sei, daß der Zweite Weltkrieg „unvermeidbar" wurde. Sie können im „Ostpreußenblatt" nachlesen, daß dort zunehmend Leute schreiben, denen die rechtsextremistische „Junge Freiheit" erklärtermaßen nicht mehr rechts genug ist. Ich möchte an dieser Stelle eindeutig feststellen, daß es mir fern liegt, die Vertriebenen-Politik der Bundesregierung in die Nähe der deutschen Siedlungs- und Kulturpolitik zu bringen, wie sie vom Hitler-Faschismus betrieben worden ist. Problematisch wird es aber, wenn die Bundesregierung sich selber in diese Nähe bringt: Nehmen wir das Beispiel des VDA, der Mittlerorganisation der Bundesregierung. Dessen langjähriges Vorstandsmitglied Rolf Sauerzapf - Herr Koschyk kennt ihn aus der gemeinsamen Vorstandstätigkeit - sprach von einer „verhängnisvollen Einengung" des deutschen Staatsbürgerschaftsbegriffs. Die durch „Mundarten, Brauchtum, Sitte und Traditionen verbundenen deutschen Stämme" jenseits der deutschen Landesgrenzen dürften nicht ausgegrenzt werden. Hierbei bezog sich Sauerzapf ausdrücklich auf das „Handwörterbuch des Grenz- und Auslandsdeutschtums" aus dem Jahr 1933. Oder nehmen wir das Beispiel der „Altpreußischen Forschungen", eine Zeitschrift aus den Jahren 1924 bis 1943. In diesen Forschungen wurde die Unterwerfungs- und Ausrottungspolitik vorbereitet, wie sie von der faschistischen Wehrmacht im Rahmen des Generalplanes Ost im Zweiten Weltkrieg umgesetzt worden ist. Diese „Altpreußischen Forschungen" wurden 1989 von der Bundesregierung als Reprint neu herausgegeben. Das Bundesinnenministerium lobt diese Werke als „bedeutsames, herausragendes und unentbehrliches Schrifttum". In den Bibliotheken der Vertriebenenverbände stapeln sich Bücher und Dokumente über bzw. aus der Zeit des deutschen Faschismus. Teils handelt es sich hierbei um Originalschriften, teils um Reprints. Vor allem handelt es sich allzu oft um Bücher, in denen die Verbrechen des deutschen Faschismus in Frage gestellt werden. Das geschieht zum Beispiel, indem die faschistischen Verbrechen mit der Aussiedlungspolitik der osteuropäischen Staaten nach Ende des Zweiten Weltkrieges in Verbindung gebracht werden. Nicht allein diese Bücher, vor allem die Politik der Vertriebenenverbände sind das Problem. Wer rechtlich dubiose Gebietsansprüche erhebt, die sich mit Forderungen zum Beispiel der rechtsextremistischen „Deutschen Volksunion" decken, muß gefragt werden: Dient die Neuauflage nazistischer Bücher nur wissenschaftlichen Zwecken oder nicht doch einer revanchistischen Propaganda von Vertriebenenverbänden? Die Herren Marschewski und Koschyk, die bei unseren Kritiken in der Regel nur mit platter Polemik reagieren, sind bis heute nicht imstande, unsere diesbezüglichen Tatsachenbehauptungen zu widerlegen. Die Bundesregierung wiederum verlegt sich darauf, die Kleinen Anfragen meiner Kollegin Ulla Jelpke in einer Weise zu beantworten, die das Fragerecht von Bundestagsabgeordneten faktisch ins Leere laufen läßt. Der Skandal ist weniger das Verhalten der Vertriebenenverbände bzw. des VDA. Für die Demokratie in unserem Lande ist weitaus gefährlicher: Die Bundesregierung hält angesichts all dieser skizzierten rechtsextremistischen Umtriebe systematisch ihre schützende Hand über ihre Betreiber und begießt den Revanchismus mit Steuergeldern. Die PDS kann dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD nicht zustimmen, da dieser auf eine nur modifizierte Forderung der Vertriebenenverbände einschließlich ihrer rechtsextremistischen Verbindungen hinausläuft. Wir werden jedoch dem Entschließungsantrag BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zustimmen. Thomas Krüger (SPD): Unser Thema ist kein alter Schinken. Wir diskutieren hier nicht über eine ungültige, verbrauchte Fahrkarte, die man einfach wegwirft, wenn sie keinen Sinn mehr macht. Im Gegensatz jedenfalls zu dem Bericht der Bundesregierung, der fast schon so alt aussieht wie diese Bundesregierung selber. Das Engagement der Bundesrepublik Deutschland gegenüber den Vertriebenen ist ein originärer Bestandteil der Kulturpolitik. Die gesetzliche Veranke- rung im Bundesvertriebenengesetz sichert diese notwendige und ernsthaft zu betreibende Aufgabe ab. Hier kann und darf aber nicht mit Ideologie operiert werden, dieses Feld darf nicht instrumentalisiert werden, um dem jeweiligen Affen Zucker zu geben. Wer es wirklich ernst meint mit dieser Arbeit, muß sie sachlich und nüchtern gegenüber der ganzen Gesellschaft legitimieren. Ich werfe hier der Koalition unter Verweis auf den Bericht und das Aktionsprogramm ebenso die Fortschreibung ihrer Vor-89er-Ideologie vor wie den Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen mit ihrem Entschließungsantrag. Meine Damen und Herren, wir haben den Fall der Berliner Mauer erlebt, wir haben den Fall der Ideologien erlebt, den der kommunistisch-unmenschlichen im Osten wie den der Kalten Krieger im Westen. Die Sozialdemokratie hat vor diesem Hintergrund ihre Position zu diesem Aufgabenbereich überdacht und weiterentwickelt. Wir halten diese Kulturarbeit für sinnvoll und wollen gerade darum mit der Regierung über ihre sinnvolle Verankerung streiten. Ich persönlich habe keinen Bezug zu Vertriebenen, aber ich glaube schon zu wissen, wovon ich rede. Ich kann es schließlich am Beispiel meiner eigenen Geschichte als Ostdeutscher von jedem sachverständigen Historiker lernen. Die rheinisch-glückliche Republik unter Konrad Adenauer hat große Worte gebraucht als zum Beispiel die Generation meiner Eltern im sowjetisch besetzten Gebiet Solidarität und nationalen Zusammenhalt gebraucht hätte. Die Westeinbindung eines glücklichen Teils der Deutschen war Adenauer aber wichtiger als eine praktizierte Politik der deutschen Einheit. Heute noch, meine Damen und Herren, begegnet man den Nachwehen dieser Doppelmoral: wenn auf der einen Seite mit großen Worten über die deutsche Einheit schwadroniert wird, andererseits aber durch ureigene Interessen genau diesen politischen Imperativen Knüppel zwischen die Beine geworfen werden. Warum dieser Exkurs? Es gibt, meine Damen und Herren, eine Parallelität im ideologischen Umgang mit den Ostdeutschen und den Vertriebenen. Die einen werden als kommunistisch verseucht verdächtigt, die anderen als revanchistisch. Wer heute eine deutsche Kulturpolitik jenseits der Grenzen der Bundesrepublik diskutieren will, darf nicht ungerecht sein. Was wir vorfinden als politische Aufgabe, hat mit den von Deutschland verursachten unmenschlichen Weltkriegen ebenso zu tun wie mit der deutschen Nachkriegspolitik. Glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich rede. Ich bin im Osten aufgewachsen. Herr Koschyk, Sie haben nie Pionierlieder gesungen und zum Fahnenappell strammgestanden. Ich meine, es hätte Ihnen ganz gut getan, dann würden Sie heute nicht so große Töne spucken. Sie wissen, die Ostdeutschen haben das nicht mit Vorliebe betrieben, und viele auch nicht freiwillig. Meine Damen und Herren, die SPD hat in der Diskussion über diesen Bericht festzustellen: Wir sind nicht gegen das Gesetz, wir sind nicht gegen die Förderung dieser kulturellen Aktivitäten. Im Gegenteil, auch meine Partei hat den schweren Prozeß der Entideologisierung zu gehen. Es ist eben zu einfach, diese Arbeit unter dem Stichwort „Revanchismus" abzubuchen. Natürlich wissen wir, daß die eine oder andere rechtsorientierte, auch verbitterte Position in den geförderten Institutionen zuhause ist. Sonst würde sich ja Herr Koschyk nicht so engagieren. Aber ich sage hier auch ganz deutlich: Wir dürfen nicht die problematischen Ausnahmen verallgemeinern. Die SPD bekennt sich deshalb zu diesem Politikfeld. Ich darf Sie an die großen kulturellen Traditionen erinnern. Herder hat in Riga seine Schrift „Vom Ursprung der Spache" verfaßt, Kant ist in Königsberg mit der „Kritik der praktischen Vernunft" angetreten, Johannes Bobrowski, Uwe Johnson und Günter Grass haben die deutsche Nachkriegsliteratur geprägt wie kaum andere. Unsere Kultur hat ihre Wurzeln nicht nur in den jeweils festgelegten Grenzen. Das hat mit der Sprache als kulturellem Code ebenso zu tun wie mit der Tatsache, daß sich kulturelle Erfahrungen und Identitäten nicht nur in den politisch-historischen Grenzziehungen bewegen. Es gibt diese Ungleichzeitigkeit in der deutschen Kultur; und sie ist ein Mehrwert, eine Quelle, aus der Verantwortung und Takt geschöpft werden können, wenn es um Tolerenz und kulturellen Austausch geht. Das ist eigentlich Ermutigung zu Grenzüberschreitungen, zum Bekenntnis des Transnationalen: dessen, das bleibt, was es ist, und trotzdem neu wird. Zum zweiten lohnt es sich, über das nachzudenken, was das Wort „Heimat" meint. Heimat ist die Gegend, in der man zuhause ist. Das hat nichts mit revanchistischen Gebietsansprüchen zu tun und darf auch nichts damit zu tun haben. Aber Heimat ist verbrauchte und gelebte Zeit, ist das, was einen erwachsen werdenden Menschen bindet. Lesen Sie Bobrowskis Texte, und Sie werden nachvollziehen, was ich meine. Zur Heimat gehört die Natur ebenso wie der menschliche Umgang samt seinen regionalen Ritualen. Wir gebrauchen oft die Metapher der „Wurzel", um dieses Ineinander von regionaler Verankerung und persönlichen Erfahrungen zu bezeichnen. Die Wurzel gibt Halt und Bodenhaftung, sie hat aber auch etwas mit dem Stoffwechsel zu tun. Meine Wurzeln, meine Damen und Herren, liegen in der DDR. Gerade weil ich auch hier ähnlichen Gestimmtheiten und Heimatgefühlen begegne, die ich nicht immer teile, kann ich die Bedeutung dieser Kulturarbeit nur unterstreichen. Ich erlaube mir an dieser Stelle die Anmerkung, daß ein vergleichbarer kulturpolitischer Ansatz des Bundes in den ostdeutschen Ländern nötig ist. Das Leuchtturmprogramm hier ist nur ein kleiner Merkposten, verglichen mit den finanziellen Aufwänden im Vertriebenenbereich. Lassen Sie uns aber nicht eine Diskussion führen, die das eine gegen das andere ausspielt. Gerade weil die Bedeutung aktiver Kulturarbeit auf beiden Feldern auf der Hand liegt. Meine Damen und Herren, Sie werden in der SPD einen konstruktiven Partner finden - und ich biete ihnen die Zusammenarbeit hier ausdrücklich an -, aber wir sind nicht zu haben für eine Zusammenarbeit nach dem Leninschen Motto: weiter, weiter, weiter. Dagegen will ich den Austauschgedanken und den Hinweis auf die Jugendarbeit, die in dem Antrag der Grünen vorzufinden sind, ausdrücklich begrüßen. Die SPD ist für eine nüchterne, vernünftige und nachideologische Arbeit auf diesem Feld. Gerade deshalb können der kulturelle Austausch und die kulturelle Bildung Jugendlicher hier mehr bewirken als nur schöne Worte. Ein solcher Ansatz hat investiven und zukunftsgerichteten Charakter, und das kann dieser Arbeit nur nützen. Aber, und das sage ich auch in die Richtung von Bündnis 90/Die Grünen: Lassen Sie den berühmten Ariadne-Faden nicht reißen. Der Vorrat an Emotionen bei den Vertriebenen und ihren Angehörigen darf nicht in Vergessenheit geraten. Kultureller Austausch und Jugendbegegnungen müssen daran anknüpfen, sonst unterscheiden sie sich in nichts von den gewöhnlichen internationalen Begegnungen. Schließlich ein Wort zu einem strukturellen Verwaltungsproblem. Wer wie wir eine konstruktive Position zu diesem Politikfeld aufbauen will, darf auch Anregungen geben. Eine interfraktionelle Lobby für diese Kulturarbeit bedarf der Transparenz. Meine Damen und Herren von der Koalition, stellen Sie diese Transparenz her. Sorgen Sie dafür, daß die Arbeit von ihren berechtigten und auch unberechtigten Verdachtsmomenten befreit wird. Wir unterstützen Sie dabei, wenn Sie Farbe gegen Mißtöne und Mißbräuche bekennen wollen. Einen Vorschlag für die transparente Arbeit will ich noch unterbreiten. Übrigens ein Vorschlag, der in vielen sozialen Ressorts von Ländern und Kommunen längst Wirklichkeit ist. Wir müssen den Mut haben, die Arbeit in bestimmten Politikfeldern transparenter zu machen. Damit kann man sie auch ein Stück der parteilichen Willkür entziehen. Sie gewinnen dann nämlich mehr Evidenz. Statt vor allem auf institutionelle Förderung zu setzen, sollte die sogenannte Projektförderung wieder an Profil gewinnen. Hier kann anhand jeder Aktion systematisch abgelesen werden, welche Erfolge die Arbeit hat, wie sinnvoll sie ist. Denn in Zeiten knapper Kassen darf eben nicht einer gegen den anderen ausgespielt werden. Man muß seine Arbeit andererseits öffentlich legitimieren und quasi lesbar und wiedererkennbar machen. Hierfür eignen sich projektorientierte Finanzierungen wesentlich mehr als jedes Jahr fortgeschriebene institutionelle Förderungen. Meine Damen und Herren, die Vorschläge der SPD liegen auf dem Tisch. Greifen Sie unser Diskussionsangebot auf. Heute werden wir jedoch dem Aktionsprogramm nicht zustimmen. Bei dem Antrag der Grünen enthalten wir uns, da sinnvolle Ansätze enthalten sind, die es aufzugreifen gilt, der Grundtenor aber nicht dem unseren entspricht. Dr. Horst Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Der Bericht über Maßnahmen zur Förderung der Kulturarbeit gemäß § 96 des Bundesvertriebenengesetzes in den Jahren 1991 und 1992 verdient besondere Bedeutung. Dies aus drei Gründen: Es ist der erste Bericht dieser Art nach der Vereinigung Deutschlands. Der Bericht kann erstmals auf die neuen Möglichkeiten der Zusammenarbeit eingehen, die sich auf Grund der politischen Veränderungen in Ostmittel-, Ost- und Südosteuropa ergeben haben. Schließlich ist dem Bericht die Fortschreibung des Aktionsprogramms des Bundesministeriums des Innern zur Förderung der deutschen Kultur des Ostens für die Jahre 1994 bis 1999 beigefügt. Dieses Programm schließt an das frühere Aktionsprogramm für die Jahre 1988 bis 1993 an, das der Deutsche Bundestag im Oktober 1989 zustimmend zur Kenntnis genommen hatte. Erstens. Auch nach den politischen Veränderungen in Ostmittel-, Ost- und Südosteuropa sind das kulturelle Erbe und die geistige Substanz der deutschen Kulturlandschaften im Osten unverzichtbarer Teil der gesamten deutschen Kultur. Diese seit Jahren wahrgenommenen Aufgaben der Erforschung, Dokumentation und Vermittlung des kulturellen und geschichtlichen Beitrags der Deutschen in diesen Gebieten müssen unter den durch die Wiedervereinigung Deutschlands und die politischen Veränderungen in Ost- und Ostmitteleuropa verbesserten Bedingungen tatkräftig fortgesetzt werden. Die Verbesserung unseres geschichtlichen und kulturellen Wissens hinsichtlich der früheren deutschen Gebiete und Siedlungsgebiete im Osten ist daher ein Schwerpunkt des Berichts der Jahre 1991 und 1992. Es ist selbstverständlich, daß hierbei Zusammenhänge, die sich aus dem Zusammenleben der Völker ergeben, beachtet und einbezogen werden. Denn europäische Kultur lebt von den sie verbindenden Wurzeln und nicht von trennenden nationalen Betrachtungsweisen. An entsprechendem geschichtlichem und kulturellem Wissen mangelt es nicht nur in den alten Bundesländern. In den neuen Bundesländern ist der Nachholbedarf aus den uns allen bekannten Gründen besonders groß. Zusätzliche Anstrengungen sind hier gefordert. Zweitens. Zum anderen stellt der Bericht dar, daß die Veränderungen in Ostmittel-, Ost- und Südosteuropa auch neue Aufgaben und Perspektiven kultureller Art im Rahmen des § 96 BVFG eröffnet haben. Wir können feststellen, daß Einrichtungen, Wissenschaftler und Kulturschaffende, die heute in den früheren deutschen Gebieten und Siedlungsgebieten ansässig sind, ein zunehmendes Interesse haben, Näheres über die deutsche Vergangenheit dieser Gebiete zu erfahren. Das dadurch gegebene gemeinsame Interesse der Menschen hier und dort hat verbindende Kraft. Eine Zusammenarbeit auf breiterer Grundlage hat begonnen. Um so dringlicher ist es, unsere Kultureinrichtungen in die Lage zu versetzen, ihren Aufgaben als Partner dieser Zusammenarbeit voll nachkommen zu können. Wenn zum Beispiel das Ostpreußische Landesmuseum in Lüneburg mit zahlreichen polnischen, litauischen oder russischen Museen im ehemaligen West- und Ostpreußen oder das Oberschlesische Landesmuseum mit Museen in Schlesien oder wenn die Opitz-Bibliothek in Herne mit entsprechenden Bibliotheken in den genannten Gebieten zusammenarbeiten, dann bedürfen sie dazu eines Mindestmaßes an sächlicher und personeller Ausstattung, um die wir uns gemeinsam mit den diese Einrichtungen mittragenden Ländern bemühen. Der lebhafte kulturelle Austausch, der sich auch in zahlreichen gemeinsamen Veranstaltungen oder Symposien entweder am Sitz der hiesigen Einrichtungen in der Bundesrepublik Deutschland oder am Sitz von Einrichtungen jenseits der Grenzen wiederspiegelt, kann nur von ganzem Herzen begrüßt werden. Er ist ein wichtiger Beitrag zur Verständigung zwischen den Völkern, den wir weiter nach Kräften fördern und unterstützen werden. Die Zusammenarbeit in diesen Fragen innerhalb der Bundesregierung ist ausgezeichnet, insbesondere zwischen dem Auswärtigen Amt und dem Bundesinnenministerium. Daran wird sich auch nichts ändern. Was auf der Grundlage der Erfahrungen der Jahre 1991 und 1992 in den nächsten fünf Jahren zu tun ist, ist in dem gesonderten Aktionsprogramm für die Jahre 1994 bis 1999 dargestellt, das dem Bericht der Jahre 1991 und 1992 als Anlage beigefügt ist. Ich empfehle das Programm Ihrer besonderen Aufmerksamkeit und würde mich sehr freuen, wenn Sie ihm zustimmen könnten. Drittens. Lassen Sie mich zum Schluß noch hervorheben, daß die Vertriebenen und ihre Verbände in die Kulturarbeit nach § 96 BVFG voll einbezogen sind und auch bleiben müssen. Sie leisten damit nicht nur einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung unseres gemeinsamen kulturellen Erbes, sondern vor allem auch zur Verständigung und freundschaftlichen Zusammenarbeit mit unseren Nachbarvölkern. Die Arbeit der Vertriebenen verdient Achtung und Respekt. Die Vertriebenen stehen zu den Grundsätzen ihrer wegweisenden Charta von 1950. Ich darf herzlich für das Verständnis danken, das der Deutsche Bundestag immer wieder der Arbeit nach § 96 BVFG entgegengebracht hat. Dies ist eine große Ermutigung und Unterstützung für alle, die sich dieser wichtigen Aufgabe widmen. Ich möchte Sie bitten, diese Arbeit auch weiterhin positiv zu begleiten. Anlage 4 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 695. Sitzung am 22. März 1996 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen, einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen bzw. einen Einspruch gemäß Artikel 77 Abs. 3 GG nicht einzulegen: - Gesetz zu dem Vertrag vom 20. Oktober 1992 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über Grenzberichtigungen (Zweiter Grenzberichtigungsvertrag) - Gesetz zu dem Abkommen vom 15. März 1995 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Chile über die Seeschiffahrt - Gesetz zu dem Abkommen vom 20. März 1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über den Autobahnzusammenschluß sowie über den Bau und den Umbau einer Grenzbrücke im Raum Forst und Erlenholz (Olszyna) - Gesetz zu dem Abkommen vom 20. März 1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über die Erhaltung der Grenzbrücken im Zuge der deutschen Bundesfernstraßen und der polnischen Landesstraßen an der deutsch-polnischen Grenze - Gesetz zu dem Abkommen vom 20. März 1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über den Zusammenschluß der deutschen Bundesstraße B 97 und der polnischen Landesstraße 274 sowie über den Bau einer Grenzbrücke im Raum Guben und Gubinek - Gesetz zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften - Gesetz zur Vereinheitlichung der Rechtsverhältnisse bei Bodenschätzen - Gesetz zur Stabilisierung der Krankenhausausgaben 1996 - Gesetz zur Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung (Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz - AFBG) - Zweites Gesetz zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (Zweites SGB VI-Anderungsgesetz - 2. SGB VIÄndG) Der Bundesrat hat zum Gesetz zur Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung (Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz - AFBG) folgende Entschließung gefaßt: Die Wiederherstellung eines gesetzlichen Anspruchs auf individuelle Förderung beruflicher Aufstiegsfortbildung ist nach Auffassung des Bundesrates ein erster Schritt in die richtige Richtung. Der Bundesrat hält es jedoch für erforderlich, das Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz im Lichte der mit der Durchführung gewonnenen Erfahrungen insbesondere hinsichtlich folgender frauenpolitischer Forderungen des Bundesrates zu überprüfen: - Erweiterung der Zuschüsse für Kinderbetreuung über den Kreis der Alleinerziehenden hinaus, - Festlegung der Mindestausbildungsdauer auf 350 Stunden, - Streckung der Rückzahlungsverpflichtung bei Teilzeitbeschäftigung. Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung, über die Erfahrungen mit der Durchführung des Gesetzes insbesondere hinsichtlich der Auswirkungen auf Frauen bis zum Herbst 1998 zu berichten. Der Bundesrat hat zum Zweiten Gesetz zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (Zweites SGB VI-Änderungsgesetz - 2. SGB VI-ÄndG) folgende Entschließung gefaßt: Der Bundesrat erinnert erneut an die bereits im Zusammenhang mit dem Rentenreformgesetz 1992 angemahnte umfassende Neuregelung der Erwerbsminderungsrenten und bittet die Bundesregierung, schnellstmöglich eine entsprechende Gesamtreform in die Wege zu leiten. Er betrachtet die jetzt vorgesehene Gesetzesneuregelung deshalb nur als vorläufigen Zwischenschritt. Zugleich sieht der Bundesrat jedoch die Gefahr, daß hierdurch der soziale Schutz für die meist älteren und langfristig arbeitslosen Versicherten geschmälert wird und sie in die Sozialhilfe abgedrängt werden. Er nimmt daher mit Befriedigung zur Kenntnis, daß die Bundesregierung in den Beratungen des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung des Deutschen Bundestages erklärt hat, daß mit dem Gesetz der derzeitige Rechtszustand für die betroffenen Versicherten beibehalten werden solle und Verschlechterungen zu ihren Lasten nicht beabsichtigt seien. Der Bundesrat begrüßt ferner, daß die Bundesregierung ihre Bereitschaft erklärt hat, die jetzt geregelte Teilproblematik im Rahmen der umfassenden Neuregelung erneut aufzugreifen und zu überprüfen. Der Vorsitzende des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung hat mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Drucksachen 13/3120, 13/3528 Nr. 1.3 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EUVorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuß Drucksache 13/1614 Nr. 1.10 Innenausschuß Drucksache 13/3117 Nr. 2.8 Drucksache 13/3668 Nr. 2.2 Finanzausschuß Drucksache 13/3529 Nr. 1.15 Drucksache 13/3668 Nr. 1.19 Drucksache 13/3668 Nr. 2.58 Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 13/2494 Nr. 1.14 Drucksache 13/3668 Nr. 2.34 Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Drucksache 13/218 Nr. 59 Drucksache 13/218 Nr. 60 Drucksache 13/218 Nr. 61 Drucksache 13/218 Nr. 62 Drucksache 13/218 Nr. 63 Drucksache 13/218 Nr. 72 Drucksache 13/218 Nr. 73 Drucksache 13/218 Nr. 78 Drucksache 13/218 Nr. 81 Drucksache 13/218 Nr. 82 Drucksache 13/218 Nr. 84 Drucksache 13/1096 Nr. 2.20 Drucksache 13/1614 Nr. 2.13 Drucksache 13/2306 Nr. 2.16 Drucksache 13/2674 Nr. 2.7 Drucksache 13/2674 Nr. 2.18 Drucksache 13/2674 Nr. 2.40 Drucksache 13/2674 Nr. 2.6 Drucksache 13/3117 Nr. 2.16 Drucksache 13/3117 Nr. 2.21 Drucksache 13/3117 Nr. 2.31 Drucksache 13/3286 Nr. 2.12 Drucksache 13/3668 Nr. 2.4 Drucksache 13/3668 Nr. 2.12 Drucksache 13/3668 Nr. 2.20 Drucksache 13/3668 Nr. 2.28 Drucksache 13/3668 Nr. 2.32 Drucksache 13/3668 Nr. 2.39 Drucksache 13/3668 Nr. 2.40 Drucksache 13/3668 Nr. 2.46 Drucksache 13/3668 Nr. 2.48 Drucksache 13/3668 Nr. 2.50 Drucksache 13/3668 Nr. 2.52 Drucksache 13/3668 Nr. 2.53 Drucksache 13/3668 Nr. 2.60 Drucksache 13/3668 Nr. 2.61 Drucksache 13/3668 Nr. 2.62 Drucksache 13/3668 Nr. 2.66 Drucksache 13/3668 Nr. 2.8 Drucksache 13/3790 Nr. 2.7 Drucksache 13/3790 Nr. 2.8 Drucksache 13/3790 Nr. 2.9 Drucksache 13/3790 Nr. 2.0 Drucksache 13/3938 Nr. 2.2 Drucksache 13/3938 Nr. 2.4 Drucksache 13/3938 Nr. 2.5 Drucksache 13/3938 Nr. 2.6 Drucksache 13/3938 Nr. 2.21 Drucksache 13/3938 Nr. 2.22 Drucksache 13/3938 Nr. 2.25 Drucksache 13/3938 Nr. 2.28 Drucksache 13/3938 Nr. 2.31 Drucksache 13/3938 Nr. 2.37 Drucksache 13/3938 Nr. 2.38 Drucksache 13/3938 Nr. 2.41 Drucksache 13/3938 Nr. 2.42 Drucksache 13/3938 Nr. 2.43 Drucksache 13/4137 Nr. 2.10 Drucksache 13/4137 Nr. 2.11 Drucksache 13/4137 Nr. 2.12 Drucksache 13/4137 Nr. 2.13 Drucksache 13/4137 Nr. 2.14 Drucksache 13/4137 Nr. 2.32 Drucksache 13/4137 Nr. 2.33 Drucksache 13/4137 Nr. 2.35 Drucksache 13/4137 Nr. 2.37 Drucksache 13/4137 Nr. 2.38 Drucksache 13/4137 Nr. 2.43 Drucksache 13/4137 Nr. 2.44 Drucksache 13/4137 Nr. 2.67 Drucksache 13/4137 Nr. 2.8 Drucksache 13/4137 Nr. 2.9 Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Drucksache 13/2306 Nr. 2.63 Drucksache 13/2494 Nr. 1.9 Drucksache 13/3117 Nr. 2.27 Drucksache 13/3529 Nr. 1.18 Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Drucksache 13/2306 Nr. 2.19 Ausschuß für Verkehr Drucksache 13/3286 Nr. 2.27 Drucksache 13/3529 Nr. 1.1 Drucksache 13/3529 Nr. 1.5 Drucksache 13/3529 Nr. 1.16 Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 13/2426 Nr. 1.11 Drucksache 13/2988 Nr. 1.11 Drucksache 13/3286 Nr. 1.1 Drucksache 13/3668 Nr. 1.10 Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Drucksache 13/3117 Nr. 2.33 Drucksache 13/3117 Nr. 2.34 Drucksache 13/3182 Nr. 2.3 Drucksache 13/3286 Nr. 2.22 Drucksache 13/3286 Nr. 2.7 Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 13/2988 Nr. 1.15 Drucksache 13/3286 Nr. 2.11 Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 13/2306 Nr. 1.9 Drucksache 13/2674 Nr. 1.1 Drucksache 13/2674 Nr. 2.14 Drucksache 13/2988 Nr. 1.14
Gesamtes Protokol
Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1309900000
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich teile zunächst mit, daß im Kuratorium der „Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen in der DDR" eine Nachbesetzung erforderlich ist, weil das von der Fraktion der CDU/CSU benannte stellvertretende Mitglied Professor Dr. Alexander Fischer verstorben ist. Die Fraktion der CDU/CSU schlägt als neues stellvertretendes Mitglied Professor Dr. Peter Maser vor. Sind Sie mit diesem Vorschlag einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist Professor Dr. Peter Maser stellvertretendes Mitglied dieses Kuratoriums.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a bis 14 d und Zusatzpunkt 12 auf:

(Transplantationsgesetz - TPG)

- Drucksache 13/2926 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Gesundheit (federführend)

Innenausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen (Transplantationsgesetz - TPG)

- Drucksache 13/4355 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Gesundheit (federführend)

Innenausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Wolfgang Wodarg, Dr. Herta Däubler-Gmelin, Horst Schmidbauer (Nürnberg) und weiterer Abgeordneter
Kriterien für die Spende, Entnahme und Übertragung von menschlichen Organen
- Drucksache 13/4114 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Gesundheit (federführend)

Rechtsausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Innenausschuß
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfes eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes - Organhandel - (... StrÄndG)

- Drucksache 13/587 —
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß (federführend)

Ausschuß für Gesundheit
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
ZP12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Rudolf Dreßler, Rudolf Scharping, Klaus Kirchner, Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid), Horst Seehofer, Dr. Wolfgang Schäuble, Dr. Dieter Thomae, Wolfgang Zöller sowie weiterer Abgeordneter der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P.
Spende, Entnahme und Übertragung von Organen
- Drucksache 13/4368 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Gesundheit (federführend)

Innenausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Aussprache drei Stunden vorgesehen. Besteht auch hierüber Einverständnis? - Dann verfahren wir so.

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt die Kollegin Beatrix Philipp.

Beatrix Philipp (CDU):
Rede ID: ID1309900100
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit der Einbringung des Organtransplantationsgesetzes treten wir heute in ein Gesetzgebungsverfahren ein, das ein Thema zum Gegenstand hat, das einen besonders sensiblen Umgang damit erforderlich macht. Es berührt Grenzbereiche menschlicher Existenz, Fragen des Lebens, des Sterbens und des Todes an sich. Das Thema berührt ethische, philosophische, theologische, naturwissenschaftliche, rechtliche und mitmenschliche Fragen. Wir werden konfrontiert mit Glück und Leben auf der einen Seite und Unglück und Tod auf der anderen. Beides, Leben und Tod, gehört und gehörte schon immer zusammen. Und dennoch stellen wir immer häufiger fest - auch in anderen Zusammenhängen -, daß das Thema Tod in unserer Gesellschaft tabuisiert wird, im Alltag nicht mehr stattfinden darf. Das bedeutet aber auch, daß man sich damit nicht mehr auseinandersetzt.
Den eigenen Tod kann jeder Mensch nur erleiden; er kann ihn nicht erleben und nicht erfahren. Er ist daher unerforschlich und unbegreiflich. Er zeigt sich uns immer nur im Tod des Mitmenschen; nur so ist er für uns sichtbar. Wir erleben also immer nur den Tod des anderen. Das mag mit ein Grund dafür sein, daß sich nur sehr wenige Menschen mit dem eigenen Sterben und mit dem eigenen Tod befassen.
Meine Damen und Herren, alle beteiligten Fraktionen waren sich von Anfang an darüber einig, daß das Thema Organtransplantation nur in einem breiten Konsens behandelt werden kann und nicht zu parteipolitischen Auseinandersetzungen führen darf, um die gemeinsamen Ziele nicht zu gefährden und sie nicht in den Hintergrund treten zu lassen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Zahlreiche Vorgespräche zwischen den Fraktionen mit Experten, Theologen, Philosophen, Medizinern und Betroffenen sind der heutigen öffentlichen Debatte ebenso vorausgegangen wie Anhörungen zu Teilaspekten. Das zeigt auch, daß sich alle Beteiligten von dem Gedanken leiten ließen, durch eine gesetzliche Regelung der Organtransplantation zweifellos vorhandene Ängste zu zerstreuen, Irrtümer aufzuhellen und Vorurteile abzubauen, indem man die Vorgänge, die im Zusammenhang mit der Organtransplantation ablaufen, durchschaubar macht.
Berechtigt ist aber die Frage, warum gerade jetzt ein Organtransplantationsgesetz auf den Weg gebracht werden muß; denn Transplantationen von Organen und Geweben gehören heute zum Standard der medizinischen Versorgung. Sie sind nichts Neues; seit mehr als 25 Jahren wird bei uns transplantiert. Bisher werden Organentnahmen nach allgemeinen Regeln durchgeführt. Eine Zusammenfassung der wichtigsten medizinischen, ethischen und juristischen Grundsätze enthält der „Transplantationskodex", den sich die deutschen Transplantationszentren gegeben und zu dessen Einhaltung sie sich verpflichtet haben. Nach diesem Kodex wird also heute in Deutschland immer dann verfahren, wenn eine Transplantation ansteht.
Warum also gerade jetzt ein Gesetz? Dafür gibt es mehrere Gründe. Der wichtigste ist sicherlich - und deswegen setze ich ihn auch an den Anfang -, daß die Menschen einen Anspruch auf Rechtssicherheit haben und es unter allen Umständen gelingen muß, die Unsicherheiten zu beseitigen, die zum Teil durch negative, falsche, irreführende und auch angstmachende Darstellungen in den Medien hervorgerufen werden und auch hervorgerufen worden sind. Sie haben zu einer Entwicklung in Deutschland geführt, der wir entgegenwirken müssen, weil sie Mißtrauen gegenüber der Transplantationsmedizin hervorruft und die Chancen der Menschen verringert, die bei uns auf ein Organ warten.
So sind wir Deutschen mittlerweile auf Spenderorgane aus den Nachbarländern angewiesen, in denen die Spendebereitschaft deutlich höher ist als bei uns. Wir haben uns zu einem Organimportland entwikkelt. Wir sind, meine Damen und Herren, mit 80 Millionen Menschen bisher vom Wohlwollen bzw. der Solidarität der uns umgebenden Länder abhängig, die sehr viel kleiner sind als wir. Das müssen wir verändern, und dem dient auch die jetzige Vorlage des Organtransplantationsgesetzes.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)

Bei uns ist die Zustimmung zu einer Organentnahme seit 1990 von etwa 90 Prozent auf 68 Prozent im Jahre 1995 zurückgegangen. Die Konsequenz daraus war, daß zum Beispiel 1994 nur noch 1972 Nieren gegenüber 2 358 im Jahre 1990 transplantiert werden konnten. Nach Schätzung der Deutschen Stiftung Organtransplantation stehen für die Übertragung von Niere, Leber, Herz und Augenhornhaut nur etwa die Hälfte der benötigten Transplantate zur Verfügung. Da pro Jahr zirka 2 000 Organspender benötigt werden, zirka 50 Prozent der im Prinzip geeigneten Spender wegen verweigerter Zustimmung, die respektiert wird, wegen Kreislaufversagens oder aus anderen Gründen ausscheiden, müßte es in der Bundesrepublik zirka 4 000 potentielle Spender pro Jahr geben, um die Zahl der benötigten Organe zu erreichen. In 1995 waren es aber nur 2 038, das heißt, knapp die Hälfte. Wir brauchen also eine Verdoppelung der Meldungen.
Daß diese Entwicklung zu Lasten vieler, zum Teil schwerkranker Menschen geht, denen geholfen werden könnte, gäbe es rechtzeitig die entsprechenden Organe, ist auch ein Grund und eine Ursache für die jetzige Parlamentsinitiative.
Dennoch, meine Damen und Herren, dürfen wir die Erwartungen nicht zu hoch schrauben. Auch hier herrschen völlig falsche Vorstellungen. Die Vermutung, jeder Verstorbene sei auch als Organspender geeignet, trifft nicht zu, denn von den jährlich rund 900 000 Verstorbenen in Deutschland kommen nach vorsichtiger Schätzung nur etwa 5 000 überhaupt als Spender für Niere, Herz, Leber, Lunge, Bauchspeicheldrüse und Darm in Betracht. Das sind 0,6 Prozent, meine Damen und Herren.

Beatrix Philipp
Regelungsbedürftig ist die Tatsache, daß sich von den 1 363 Krankenhäusern mit Betten für intensivmedizinische Behandlung leider nur 480, knapp 35 Prozent, an der Mitteilung potentieller Organspender beteiligt haben. Diese Zahl müssen wir deutlich erhöhen, um mehr Menschenleben retten und Leiden lindern zu können.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat sich am 27. April 1995, also ziemlich genau vor einem Jahr, in einem ersten Gespräch mit den Bundestagsfraktionen von F.D.P. und SPD sowie mit den Bundesländern darauf verständigt, bei diesem wichtigen und sensiblen Thema einen fraktionsübergreifenden Entwurf zu erarbeiten und in die parlamentarischen Beratungen einzubringen. Nach übereinstimmender Auffassung aller Beteiligten ist das Transplantationsrecht - ich habe das eben schon gesagt - kein Thema, das zur parteipolitischen Profilierung benutzt werden kann oder sollte. Zu groß, meine Damen und Herren, ist die Gefahr, durch parteipolitische Auseinandersetzungen über dieses Gesetz die Ziele, nämlich die Akzeptanz der Organspende und auch der Organübertragung zu erhöhen, zu verfehlen.
Zur Vorbereitung des Gesetzgebungsverfahrens haben am 28. Juni 1995 die beteiligten Fraktionen im Fachausschuß in einer breit angelegten Sachverständigenanhörung gemeinsam mit dem Rechtsausschuß zwei zentrale Themen vorab und vertiefend grundsätzlich beraten: erstens die Frage der Todesfeststellung und zweitens die Frage der engen oder erweiterten Zustimmungslösung. Die Ergebnisse sind dokumentiert und haben zur Entscheidungsfindung erheblich beigetragen.
Die Ihnen heute vorliegenden Gruppenanträge zeigen jedoch, daß es in diesen beiden zentralen Fragen nach wie vor unterschiedliche Auffassungen gibt. Die haben wir auch zu respektieren. Es geht nicht um richtig und falsch oder darum, im Recht oder im Unrecht zu sein.
Ich beziehe mich mit meinen Ausführungen auf den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, F.D.P. und SPD sowie auf den Antrag der Abgeordneten aus diesen Fraktionen auf Drucksache 13/4368.
Nun zum Inhaltlichen. Das Gesetz regelt die Spende und Entnahme von menschlichen Organen und ihre Übertragung auf andere Menschen. Es stellt ausdrücklich klar, welche Organe nicht übertragen werden bzw. übertragen werden dürfen. So fällt zum Beispiel auch die Übertragung von Blut und Knochenmark nicht unter den Geltungsbereich dieses Gesetzes. Auch die Behandlung von Parkinson durch Transplantation hat mit dem Gegenstand des vorliegenden Gesetzes überhaupt nichts zu tun. Dabei sollen oder werden nämlich lebende Nervenzellen von Föten übertragen, bei denen eben gerade nicht der Hirntod festgestellt wurde.
Ferner wird für die Organisation und Durchführung der im Zusammenhang mit der Spende, der Entnahme, der Vermittlung und der Übertragung von Organen erforderlichen Maßnahmen ein rechtlicher Rahmen normiert. Schließlich enthält das Gesetz auch Vorschriften zur Strafbarkeit des Handels
mit menschlichen Organen sowie des unrechtmäßigen Verhaltens bei der Organentnahme, der Organübertragung und der Verwendung medizinischer Angaben und personenbezogener Daten Beteiligter.
Die nach Landesrecht zuständigen Stellen, die Bundesbehörden im Rahmen ihrer Zuständigkeit und die Krankenkassen werden verpflichtet, die Bevölkerung über die Möglichkeiten und Voraussetzungen der Organspende und die durch Organübertragung mögliche medizinische Hilfe für schwerkranke Menschen aufzuklären, damit auf der Grundlage sachgerechter Information das Verständnis für die Organtransplantationsmedizin und die Bereitschaft zur Organspende wachsen, sich möglichst viele Menschen zu Lebzeiten mit der Frage einer Organspende befassen und dazu eine Erklärung abgeben, sei es nun eine Einwilligung, sei es ein Widerspruch oder sei es die Übertragung der Entscheidung auf eine namentlich benannte Person ihres Vertrauens.
Dazu muß eine verläßliche Dokumentation einer solchen Erklärung sichergestellt werden. Diese Erklärung kann allerdings auch in Form eines Organspenderausweises erfolgen.
Meine Damen und Herren, unserem Gesetzentwurf liegt im Grundsatz die erweiterte Zustimmungslösung zugrunde. Diese sogenannte erweiterte Zustimmungslösung ist eines der Ergebnisse der intensiven Vor- und Expertengespräche, auf die ich eben hingewiesen habe. Immer wieder wurden wir mit der Situation bekannt gemacht, daß Verstorbene keine Erklärung abgegeben haben. Besonders häufig trifft das auf junge Menschen zu, die sich gerade auf Grund ihrer Jugend nicht oder eben noch nicht mit den Fragen des eigenen Sterbens befaßt haben. Auch und insbesondere Unfallopfer gehören in die Gruppe jener, die sterben, ohne vorher die Frage einer Organspende geklärt zu haben.
Wir sind der Ansicht, daß in diesen Fällen die Zustimmung zur Entnahme auch von einem anderen Menschen gegeben werden kann, nämlich von Ehegatten, volljährigen Kindern, Eltern oder sonstigen Sorgeberechtigten, volljährigen Geschwistern, Verlobten oder auch volljährigen Personen, die dem oder der Verstorbenen in besonderer persönlicher und sittlicher Verbundenheit offenkundig nahegestanden haben. Sie sind in dieser Reihenfolge befugt, unter Berücksichtigung des ihnen entweder bekannt gewordenen oder mit gutem Grund gemutmaßten Willens des oder der Verstorbenen die Entscheidung über eine Organentnahme zu treffen.
Meine Damen und Herren, uns scheint nach wie vor besonders wichtig: In allen Zweifelsfällen und in den Fällen, in denen ein nächster Angehöriger nicht vorhanden oder nicht erreichbar ist, darf eine Organentnahme nicht vorgenommen werden. Ebenso ist eine Organentnahme selbstverständlich völlig ausgeschlossen, wenn der Verstorbene zu Lebzeiten einer Organentnahme widersprochen hat.
Die wohl strittigste Frage ist die des Zeitpunktes der Organentnahme. Auch und gerade dieser Frage ist sehr viel Zeit gewidmet worden, und das mit

Beatrix Philipp
Recht. Die unbegründete und letztlich auch unvernünftige Befürchtung, das Leben eines Menschen könnte zur Rettung eines anderen geopfert werden, läßt sich nicht allein mit Verstandesgründen, sondern zuletzt nur durch völlige Transparenz aller mit der Organtransplantation verbundenen Vorgänge zerstreuen.
Schon 1957 hat Papst Pius XII. den Ärzten die Aufgabe zugewiesen,
... eine klare und genaue Definition des Todes und des Augenblickes des Todes zu geben.
Johannes Paul II. hat dies fortgeführt, indem er 1989 formulierte - ich zitiere -:
Die Wissenschaftler, Forscher und Gelehrten müssen ihre Forschungen und Studien weiterführen, um den genauen Augenblick und das unwiderlegbare Zeichen des Todes möglichst exakt festzustellen.
An anderer Stelle formulierte er:
Wenn diese Bestimmung einmal feststeht, lösen sich in ihrem Licht die von den neuen Technologien und neuen Behandlungsmöglichkeiten ausgelösten Fragen und moralischen Konflikte auf. Denn die Moral muß die biomedizinische Bestimmung als entscheidendes Kriterium anerkennen.
Lange galt als sicheres Zeichen des Todes der Zeitpunkt, zu dem das Herz zu schlagen aufhörte und der Mensch nicht mehr atmete. Das ist heute nicht mehr der Fall, wie wir wissen. Beides ist behebbar, und die Forschung hat in der Tat auch Fortschritte gemacht.
Die Bedeutung des völligen und endgültigen, das heißt irreversiblen Hirnausfalls als Todeskriterium ergibt sich aus der Bedeutung des Gehirns für den Menschen als Lebewesen. Ich zitiere aus der zweiten Fortschreibung der „Kriterien des Hirntodes" des Wissenschaftlichen Beirates der Bundesärztekammer vom Juni 1991:
Hirntod wird definiert als Zustand des irreversiblen Erloschenseins der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms bei einer durch kontrollierte Beatmung noch aufrecht erhaltenen Herz-Kreislauffunktion. Der Hirntod ist der Tod des Menschen.
Mit dem völligen und endgültigen Ausfall der gesamten Hirntätigkeit - das ist wichtig - fehlen dem entsprechend entwickelten Lebewesen die Lebensmerkmale, die es als das jeweilige Lebewesen kennzeichnen. Sie sind beim Menschen zugleich die notwendige und unersetzliche körperliche Grundlage für seinen Geist. „Geist" bezeichnet in diesem Zusammenhang alles, was sich unter allen Lebewesen allein beim Menschen findet, einschließlich seiner Personalität.
Der Tod des Menschen wie aller anderen höher entwickelten Lebewesen tritt entweder mittelbar ein, indem der endgültige und nicht behebbare Herzstillstand zum Tod über den Tod des Gehirns führt, oder unmittelbar, wenn bei bestimmten Schäden und Krankheiten das Gehirn schon vor dem Herzstillstand abstirbt. Diese zweite Möglichkeit kommt nur selten vor und wird nur unter intensivmedizinischen Bedingungen deutlich und praktisch wichtig, weil nur dabei der sonst in kürzester Zeit dem Hirnausfall folgende Herzstillstand verzögert werden kann.
Das Ende des Lebens ist kein Zerfall von Zellen mehr, sondern das Erlöschen der personalen Identität des Menschen, dessen Steuerungszentrale das Gehirn ist.
Der Todesbegriff hat sich im Laufe der Zeit nicht dadurch geändert, daß durch die Entwicklung der Intensivmedizin ein sonst wenig beachtetes sicheres Todeszeichen, nämlich der völlige und endgültige Hirnausfall, praktisch wichtig geworden ist. Er läßt wie jedes andere sichere Todeszeichen den Tod des Menschen unabhängig von seiner Religion, seiner Weltanschauung und seiner Kultur erkennen, weil auch dieses Todeszeichen nur aus den allen Menschen gemeinsamen körperlichen Gegebenheiten abgeleitet ist. Der Todeszeitpunkt wurde und wird nicht dadurch vorverlegt, daß der Tod unter bestimmten Umständen früher als ehedem nachgewiesen werden kann.
Rechtlich wichtig erscheint vor dem Hintergrund des Gesagten zumindest aus ärztlicher Sicht: Über Naturgegebenheiten kann man nicht abstimmen. Der Gesetzgeber muß sie jedoch dann ausdrücklich und unmißverständlich beschreiben, wenn sie zu Eingriffen in den menschlichen Körper führen können. Der Todeszeitpunkt ist rechtlich so wichtig, daß eben entschieden werden muß, welche Uhrzeit dafür gelten soll, wenn er sich nicht naturwissenschaftlichmedizinisch ermitteln läßt. Ärztlich wird dafür weltweit - ich betone: weltweit - die Uhrzeit verwendet, zu der erstmals der völlige und endgültige Hirnausfall nachgewiesen ist. Dieses Vorgehen liegt auch unserem Gesetzentwurf und unserem Antrag zugrunde.
In einer gemeinsamen Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland wird ausgeführt - ich zitiere -:
Der Hirntod bedeutet ebenso wie der Herztod den Tod des Menschen. Mit dem Hirntod fehlt dem Menschen die unersetzbare und nicht wiederzuerlangende körperliche Grundlage für sein geistiges Dasein in dieser Welt. Der unter allen Lebewesen einzigartige menschliche Geist ist körperlich ausschließlich an das Gehirn gebunden. Ein hirntoter Mensch kann nie mehr eine Beobachtung oder Wahrnehmung machen, verarbeiten und beantworten, nie mehr einen Gedanken fassen, verfolgen und äußern, nie mehr eine Gefühlsregung empfinden und zeigen, nie mehr irgend etwas entscheiden.
Im Vorwort zu der von der Deutschen Stiftung Organtransplantation herausgegebenen Schrift „Der Hirntod als der Tod des Menschen" äußert sich Professor Dr. Dieter Birnbacher - ich zitiere -:
Zweifellos ist der Mensch als leiblich-seelische Ganzheit mehr als sein Gehirn. Aber ebenso zweifellos kommt dem Gehirn eine Sonderstellung zu: Ein Mensch kann den „Tod" seines Her-

Beatrix Philipp
zens überleben, nicht aber den „Tod" seines Gehirns.
Meine Damen und Herren, für den Menschen ist mit dem völligen und endgültigen, irreversiblen Ausfall seines Gehirns sein Dasein als körperlich-geistige oder als leiblich-seelische Einheit beendet. Er kann nichts mehr fühlen, nichts mehr empfinden, nichts mehr denken, nichts mehr entscheiden, nichts mehr wollen, nichts mehr aus seiner Umgebung und aus seinem Inneren wahrnehmen, beobachten, beantworten.
Von allen Organen ist das Gehirn am empfindlichsten gegenüber Sauerstoffmangel. Ist die Hirndurchblutung vollständig unterbrochen, tritt nach wenigen Minuten der Hirntod ein, und es entsteht eine nicht reparable Schädigung der Hirnzellen.
In jedem Fall aber erfolgt die Feststellung des Hirntodes erstens nach klaren Kriterien, die dem Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechen, und zweitens durch zwei Ärzte, die sowohl von den transplantierenden Ärzten unabhängig als auch besonders dafür ausgebildet sind. Sie müssen die Untersuchungen unabhängig voneinander ausführen und sie unabhängig voneinander dokumentieren. Die Angehörigen werden das Recht haben - unter Hinzuziehung einer sachverständigen Vertrauensperson -, Einsicht in die Dokumentation zu nehmen.
Ich bin ganz sicher, daß alle, die sich vorurteilsfrei mit dem Gesetzentwurf und dem Antrag befassen, empfinden müssen, daß alles getan wurde, um Zweifel an der Durchschaubarkeit und Unbedenklichkeit der Organtransplantationsmedizin gar nicht erst entstehen zu lassen. Ich bin ebenfalls sicher, daß Ideen, die den Zielen, nämlich der Transparenz und der Glaubwürdigkeit, dienen, im Laufe der Beratungen aufgenommen werden.
Meine Damen und Herren, wir nehmen die Befürchtungen der Menschen sehr ernst: Weder darf der Eindruck entstehen, der Mensch sei ein Ersatzteillager für Organe, noch, daß ihm Organe entnommen werden, er aber noch gar nicht tot ist.
Lassen Sie mich dennoch ein paar Worte zu sogenannten Horrormeldungen mancher Medien sagen, mit denen immer wieder versucht wird, den Eindruck zu erwecken, hirntote Menschen - im eben besprochenen Sinne - seien noch gar nicht tot. Dazu ist zu sagen: Auch nach Eintreten des Hirntodes können spontan oder als Reaktion auf äußere Reize noch Bewegungen der Extremitäten auftreten.
Diese Phänomene führen bei Angehörigen, den Ärzten und auch dem Pflegepersonal natürlich oft zu Verunsicherungen. Diese Phänomene, wie zum Beispiel das langsame Hochheben der Arme und Gehbewegungen, finden ihre Erklärung in einem Wegfall hemmender Einflüsse des Gehirns auf das Rükkenmark. Dies führt zu einer „Enthemmung" spinaler Reflexschablonen, wie sie auch nach einem vorübergehenden Schockzustand bei einer Querschnittslähmung beobachtet wird. Es spricht nicht gegen den Hirntod, sondern eher für ein für diesen typisches Zeichen, wenn die Muskeleigenreflexe normal oder sogar gesteigert auslösbar sind.
Diese Reaktionen sind auch nach dem „klassischen" Herztod zu beobachten. Auch plötzlich auftretender Sauerstoffmangel kann eine Reizung der Nervenzellen des Rückenmarks bewirken. In keinem Fall aber haben sie mit dem personalen Leben des Menschen zu tun.
Nach intensiver Auseinandersetzung mit den Experten schlagen wir also den irreversiblen, endgültigen Ausfall der gesamten Hirnfunktion als Zeitpunkt der Todesfeststellung vor; im übrigen ist das auch der Zeitpunkt, in dem heute auf Intensivstationen die Geräte abgeschaltet werden - unabhängig davon, ob es sich um einen Organspender handelt oder nicht.
Bleibt zu erwähnen, meine Damen und Herren, daß das Gesetz auch die Organentnahme bei Lebenden regelt und dabei ausgesprochen enge Kriterien für die Zulassung beinhalten wird. Um jegliche Form der Kommerzialisierung mit Lebendspenden zu verhindern, ist die Entnahme von Organen einer lebenden Person demnächst nur zulässig, wenn kein geeignetes Organ eines Verstorbenen zur Verfügung steht; der Spender volljährig und einwilligungsfähig ist; es sich um Verwandte ersten und zweiten Grades, Ehegatten, Verlobte oder andere Personen handelt, die sich in besonderer Weise in persönlicher oder sittlicher Verbundenheit offenkundig nahestehen; geprüft ist, daß die Organspende freiwillig, ohne psychischen Druck, zum Beispiel von Familienangehörigen, erfolgt ist; der Spender umfassend über die Gefahren und Risiken aufgeklärt wurde und eine nachgehende Betreuung erfolgt.
Minderjährige und Personen, die wegen einer Behinderung nicht einwilligungsfähig sind, werden als Organspender ausgeschlossen.
Schließlich finden für die Organisation der Organentnahme und die Organvermittlung die entsprechenden Regelungen im Gesetzentwurf ihren Niederschlag, ebenso wie Strafvorschriften und Datenschutzregelungen.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1309900200
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Beatrix Philipp (CDU):
Rede ID: ID1309900300
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Aber mir waren ein paar Minuten mehr zugestanden worden. Das ist mir noch einmal gesagt worden.
Der Körper eines toten Menschen war der Träger seiner Persönlichkeit und ist und bleibt geschützt durch Pietät und die Achtung vor der Würde des Organspenders. Daß sie gewahrt bleibt, ist ebenfalls unser Anliegen. Wir sind davon überzeugt, daß deswegen auch sein Leichnam vom Krankenhaus aus in würdigem Zustand zur Bestattung übergeben wird und daß es Vertrauen schafft, wenn den Angehörigen Gelegenheit gegeben wird, sich hiervon noch im Krankenhaus zu überzeugen.
Meine Damen und Herren, im Interesse der vielen schwerkranken Menschen, denen durch eine Organtransplantation das Leben gerettet, die Krankheit weitgehend gelindert oder geheilt wird und deren

Beatrix Philipp
Lebensqualität sich erheblich steigern ließe, wünsche ich nicht nur, daß sich die Ziele des gemeinsamen Anliegens erreichen lassen, nämlich die Spendenbereitschaft zu steigern.
Jeder sollte daran denken, daß er morgen selbst auf ein Spenderorgan angewiesen sein könnte. Jeder sollte dies bei der Beantwortung der Frage, ob er nicht Organspender werden will, berücksichtigen und wissen: Organspender retten Leben.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1309900400
Ich darf vor der Weitergabe des Wortes an den nächsten Redner folgendes sagen: Es ist außerordentlich schwierig, bei diesem Thema zu unterbrechen. Es waren jetzt fünf Minuten mehr. Ich bitte, daß dann die Zeiten untereinander ausgeglichen werden, damit es nicht zu Verzerrungen bei der Verteilung auf die einzelnen Fraktionen kommt. Ich bitte die Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer, sich dieser Frage anzunehmen.
Ich gebe jetzt unserem Kollegen Dr. Wolfgang Wodarg das Wort.

Dr. Wolfgang Wodarg (SPD):
Rede ID: ID1309900500
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die moderne Transplantationsmedizin eröffnet die Chance, vor einigen lebensbedrohlichen oder gar sicher zum Tode führenden Erkrankungen zumindest für einige Monate oder Jahre gerettet werden zu können. Deshalb diskutieren wir heute erneut die gesetzliche Regelung der Organspende als Grundlage dieser sich immer weiter entwickelnden Technologie.
Die Transplantationszentren rufen nach mehr Organen. Die Bereitschaft der Bevölkerung, freiwillig mehr Organe zu spenden, reicht, wie wir von dort immer wieder hören, nicht aus, um diesen Bedarf zu decken. Deshalb diskutieren wir heute in erster Lesung neben einem Gesetzentwurf vom Bündnis 90/ Die Grünen, die aus einem anfangs gemeinsam beschrittenen Weg ausgeschert sind und eine eigene Regelung vorlegen, jetzt ein Rahmengesetz, auf welches sich die Regierungsfraktionen und die SPD-Fraktion geeinigt haben und welches die strittigen Punkte dieser Debatte ausspart, den sogenannten Omnibus, wie es bei uns heißt, und zwei interfraktionelle Gruppenanträge, die sich in ihrer Aussage gegenüberstehen und genau diese ausgesparten Fragen regeln sollen.
Ich vertrete hier gemeinsam mit Herta Däubler-Gmelin, Horst Schmidbauer, die nachher noch für diesen Antrag sprechen werden, und vielen anderen Kolleginnen und Kollegen den Gruppenantrag, welcher eine neue Legaldefinition des Todes zum Zwecke der Organentnahme ablehnt und der deshalb konsequenterweise eine persönliche Zustimmung zur Organentnahme zu Lebzeiten für unverzichtbar hält.
Ich möchte eines vorweg feststellen: Keiner der heute auf dem Tisch liegenden Gesetzesvorschläge oder Anträge spricht sich gegen eine hochwertige Transplantationsmedizin aus. Niemand hat etwas gegen Organspenden. Da herrscht glücklicherweise Einigkeit in diesem Haus.
Unstrittig sind meines Erachtens auch folgende Ziele einer gesetzlichen Regelung:
Die Würde des Menschen darf nicht angetastet werden. Dies gilt auch für Sterbende.
Es muß sicher sein, daß die Organentnahme dem Willen des Sterbenden entspricht.
Die Möglichkeiten der modernen Hochleistungsmedizin sollen zuerst denen zugute kommen, die sie am nötigsten brauchen. Finanzielle Faktoren dürfen weder bei der Spende von Organen noch bei der Auswahl von Empfängern eine Rolle spielen.

(Beifall des Abg. Otto Schily [SPD])

Auf Angehörige darf kein Druck ausgeübt werden.
Auch vom pflegerischen und ärztlichen Personal darf nichts verlangt werden, was die Unantastbarkeit der Menschenwürde verletzt.
Dem menschlichen Leichnam muß mit der gebotenen Ehrfurcht begegnet werden.
Das, glaube ich, sind Dinge, die in diesem Hause unstrittig sind.
Strittig ist, wie und unter welchen Bedingungen diese Ziele erreicht werden sollen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es muß uns klar sein, daß wir heute ein Gesetz vorbereiten, welches das Leben und Sterben von jährlich vielen tausend Menschen in unserem Lande betrifft und möglicherweise auch beeinflussen wird. Unser Thema berührt wieder einmal ein Tabu; aber diesmal nicht so sehr ein gesellschaftliches Tabu, sondern vielmehr ein jeweils persönliches. Wir müssen uns um etwas kümmern, was uns selbst jederzeit betreffen kann und was wir deshalb nur allzu gern immer wieder verdrängen, das Sterben und den Tod.
Während in vielen armen Ländern dieser Welt Sterben und Tod leider immer noch zum Straßenbild gehört, leben wir durchschnittlich fast 80 Jahre und haben hochbezahlte Spezialisten, die uns das Sterben und den Tod möglichst lange vom Leibe halten. Und trotzdem kommt er, auch bei uns.
Als Arzt bin ich dem Tod sehr häufig begegnet: im Krankenzimmer, im Notarztwagen, auf der Intensivstation und später bei vielen hundert amtsärztlichen Leichenschauen. Dabei mußten die Toten aus dem Sarg gehoben werden, um bei ihnen sichere Todeszeichen zu erkennen und die in der Todesbescheinigung dokumentierten Todesursachen zu überprüfen.
Ich habe auch erlebt, wie in den Anfängen der Intensivmedizin immer häufiger Ratlosigkeit auf der Station entstand und welche Gefühle Ärzte und Pflegepersonal beschlichen, wenn sie Angehörigen mitteilen mußten, daß Mann, Frau, Sohn, Tochter oder Geschwister, daß der Mensch, um den sie Angst hat-

Dr. Wolfgang Wodarg
ten, mit Sicherheit sterben wird, wenn die Technik der Intensivstation aufhört, ihn künstlich am Leben zu erhalten.
Während meiner Zeit als Stationsarzt auf einer Intensivstation war die Harvard-Konvention, die den Hirntod definiert, auch in Deutschland als Maxime ärztlichen Handels gerade akzeptiert worden. Sie definierte Kriterien sowie klinische und technische Untersuchungsverfahren, mit denen der Nachweis eines unwiderbringlichen Versagens des Gehirns geführt werden sollte.
Ein Arzt, dem ein so geführter Nachweis vorlag, brauchte damals und braucht auch heute nicht mit einer Bestrafung wegen unterlassener Hilfeleistung oder gar wegen Tötung zu rechnen. Das war die medizinisch-juristische, das war die formale Seite.
Ich erinnere mich aber auch gut an das lange betretene Schweigen im Stationszimmer, und ich weiß, daß es nach unser aller Gefühl kein Toter war, dessen Maschinen wir abgestellt hatten, auch wenn die Harvard-Konvention es uns erleichterte, uns darüber hinwegzutäuschen. Das war ganz anders als sonst bei normalen Toten mit Leichenflecken und Starre, mit trübe werdenden Augäpfeln oder mit anderen sogenannten sicheren Todeszeichen.
Diese Hirntoddefinition, die uns damals vor Strafe schützen sollte, dient inzwischen als Rechtfertigung für die Organentnahmeteams, zum Zwecke der Organgewinnung das Sterben eines Menschen bei vorliegender Zustimmung von Angehörigen künstlich zu verlängern. Dies ist jedoch nur die eine Seite des Themas Organtransplantation.
Auf der anderen Seite stehen, wie ich anfangs erwähnte, jährlich Tausende in Deutschland, denen der Fortschritt in der Transplantationsmedizin Hoffnung macht, bald ohne Dialyse leben zu können, Hunderte, die auf eine Lebensverlängerung durch ein fremdes Herz hoffen oder die sich durch eine neue Leber vor dem sonst sicheren Tod retten lassen möchten.
Abgesehen davon, daß viele Transplantationen den Tod kaum oder nur für kurze Zeit aufschieben, haben viele Organempfänger durch die erforderliche medikamentöse Unterdrückung ihres Immunsystems, ihrer natürlichen Abwehrreaktion gegen fremdes Gewebe, eine erhebliche Belastung und Komplikationen zu ertragen. Die Hoffnung auf Heilung oder wenigstens Linderung ist jedoch meistens so stark, daß viele es schaffen, mit der Vorstellung zu leben, daß es ein fremdes Herz ist, welches jetzt in der eigenen Brust schlägt, daß die Niere eines Toten das eigene Blut entgiftet. Ich hebe dies hervor, weil es darauf ankommt, daß dieses Thema nicht nur wenigen an die Nieren geht, sondern daß wir alle die Gefühle, Hoffnungen und Nöte nachempfinden, denen mögliche Spender, deren Angehörige und Empfänger von Organen ausgesetzt sind.
Vor einigen Wochen rief mich ein renommierter Transplantationschirurg aus Schleswig-Holstein an und lud mich ein, in seiner Klinik einer Transplantation beizuwohnen. Er lud mich auch ein, mit Patienten zu sprechen, die Organe empfangen hatten oder
auf solche warteten. Ich habe dem sofort zugestimmt, habe aber darauf bestanden, auch die andere Seite einer solchen Transplantation zu sehen, nämlich der Entnahme von Organen beiwohnen zu dürfen, weil gerade damit die meisten Fragen verbunden sind. Der Professor lehnte dies ab mit der Begründung, das könne er mir nicht zumuten. Als ich ihm schilderte, wie vertraut mir eine solche Situation sei, kündigte er mir an, er wolle sich wieder melden. Das hat er aber dann nicht getan.
Doch gerade um die Entnahme von Organen bei Organspendern geht es in diesen strittigen Fragen. Es ist eben nicht strittig, daß es Menschen gibt, die auf Spenderorgane warten. Es ist strittig, unter welchen Bedingungen diese dem Körper eines Sterbenden entnommen werden dürfen. Die Transplantationsmedizin fordert, wie der Antrag der Kollegen Seehofer, Dreßler und anderer, den Hirntod eines Menschen mit dem Tod des ganzen Menschen gleichzusetzen, Hirntote deshalb wie Leichen behandeln zu dürfen. Zwei Transplantationsmediziner haben während unserer Anhörung sogar öffentlich gedroht, wenn der Gesetzgeber diese Auffassung nicht teile, könnten keine Transplantationen mehr durchgeführt werden.
Wie ich anfangs darstellte, sollte die Definition des Hirntodes die Mediziner vor Strafverfolgung schützen, die an einem hoffnungslosen Fall eine Therapie abbrechen. Sie wird jetzt aber von der Transplantationsmedizin benutzt, weil in einem solchen Zustand die Organe gut durchblutet und funktionstüchtig bleiben, weil sie noch leben und weil damit die Chance einer erfolgreichen Transplantation steigt.
Während sonst beim Nachweis eines irreversiblen Hirnversagens lebensverlängernde Maßnahmen beendet werden, wird bei potentiellen Organspendern das Leben so lange verlängert, bis das Explantationsteam bereit ist und die brauchbaren Organe herausgenommen werden können.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!)

Dazu wird die Spenderin bzw. der Spender, um störende Reaktionen zu vermeiden, vorher - wie das schon anklang - medikamentös vorbereitet und ruhiggestellt.
Trotz vieler Broschüren der Deutschen Stiftung für Organtransplantation, trotz jahrzehntelanger Werbung für die Organspende ist das Mißtrauen der Bevölkerung vor einer Organspende gewachsen. Immer mehr Klinikpersonal, immer mehr Angehörige erleben die Widersprüche der dargestellten Verschiebung der Todeskriterien. Dabei wuchsen die Zweifel, dabei wuchs das Mißtrauen, welches denen entgegengebracht wurde, die meinten, durch eine Umdeutung des Sterbeprozesses, durch nur wenigen Fachleuten zugängliche Methoden der Todesbestimmung erreichen zu können, daß mehr Organe für den ohne Zweifel guten Zweck einer Transplantation zur Verfügung stehen.
Das Gegenteil ist der Fall: Je mehr die Transplantationsmedizin versucht, den in der Medizin und in der Bevölkerung bekannten, akzeptierten und von

Dr. Wolfgang Wodarg
allen Menschen ohne Apparate nachvollziehbaren Todesbegriff um diese ihr zweckmäßig erscheinende Variante zu erweitern, um so mehr wird sie mit Mißtrauen rechnen müssen.
Auch der Antrag der Kollegen Seehofer, Dreßler, Thomae und anderer tut so, als seien die Menschen, denen man Organe entnimmt, bereits tot, weil das Totenrecht die Sache vereinfacht. Doch der scheinbare Tod durch Hirnversagen ist auch nur eine scheinbare Lösung bei der Organgewinnung. Viele Generationen von Ärzten, Hebammen, Kapitänen und anderen, die gegenüber Toten diese Verantwortung übernehmen dürfen, lernten, was sichere Todeszeichen sind. Sie verstehen eben nicht, weshalb zum Beispiel eine Frau, deren Gehirn zerstört, deren lebender Körper aber in der Lage ist, die komplizier- ten Vorgänge einer mehrmonatigen Schwangerschaft zu steuern und zu bewältigen, einem Leichnam gleichgestellt werden soll. So geht es den Angehörigen und den meisten Menschen in unserem Lande, ob Medizinern oder Laien.
Statt für eine neue technokratische und zweckgeleitete Todesdefinition plädiere ich deshalb dafür, daß das vollständige Absterben aller Gehirnteile, der sogenannte Hirntod, eine Bedingung dafür ist, daß lebenswichtige Organe Sterbenden entnommen werden dürfen. Dies kann und darf aber nur dann geschehen, wenn die im Grundgesetz festgeschriebene Würde des Menschen nicht verletzt wird. Das ist nur dann möglich, wenn dieser Mensch einer solchen Organentnahme zu Lebzeiten in vollem Bewußtsein und nach umfassender Aufklärung schriftlich zugestimmt hat.
In vielen europäischen Nachbarländern hat man sich dafür entschieden, das Problem auf andere Weise zu lösen. Wer dort einer Organentnahme nicht widersprochen hat, dem dürfen Organe entnommen werden. Eine solche staatlich verfügte Organbeschaffung verbietet unser Grundgesetz. Niemand, auch nicht der Staat, hat bei uns das Recht, über die Organe eines Menschen zu verfügen.
Ich bin mir sicher, daß nur über den zugegebenermaßen mühsameren Weg einer nicht von der Neudefinition des Todes abhängigen Zustimmungslösung Angst und Mißtrauen durch Hochachtung und Dankbarkeit ersetzt werden können. Ich weiß, daß nur auf einer solchen Vertrauensbasis eine langfristig wachsende Organspendebereitschaft gesichert werden kann. Alle Hochglanzbroschüren und alle Fernsehspots wären vergebens, alle Beratungen und Aufklärungsveranstaltungen würden schnell als vordergründige Bemühungen um Organgewinnung verstanden werden. Ich bin mir auch sicher, daß nur durch eine Regelung, wie sie in unserem Antrag vorgeschlagen wird, der weite und für die Sache abträgliche Weg über das Bundesverfassungsgericht vermieden werden kann.
Das Hirntodkonzept der Transplantationsmediziner wird unter anderem vom Bundesgesundheitsminister, vom gesundheitspolitischen Sprecher meiner SPD-Fraktion und von der Bundesärztekammer unterstützt, in deren zuständiger Kommission allerdings wieder die Fachleute aus den Transplantationszentren das Sagen haben. Wer neue Technologien will, sorgt offenbar heutzutage auch gleich für die mitgelieferte Ethik.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das ist sehr unsachlich!)

Die Mehrheit der Menschen in unserem Land entwickelt hier ein gesundes Mißtrauen, wie der Rückgang der Organspendebereitschaft zeigt. Es liegt jetzt in der Hand jedes einzelnen Abgeordneten des Deutschen Bundestages, ob das hierbei für alle Betroffenen unbedingt notwendige Vertrauen wiedergewonnen werden kann.
Ich danke Ihnen!

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Die letzten zwei Sätze haben dazu nicht beigetragen!)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1309900600
Als nächste Rednerin spricht die Kollegin Monika Knoche.

Monika Knoche (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1309900700
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Herren und Damen! Die Transplantationsmedizin eröffnet Möglichkeiten von wirklich existentieller Bedeutung. Mit der Entnahme und Übertragung lebenswichtiger Organe bewegt sie sich auf einer Grenzlinie zwischen Leben und Tod. Der Philosoph Hans Jonas sagte:
Es ist überhaupt keine Frage, daß der kranke Mensch unsere volle Solidarität braucht. Doch endet sein Anspruch an unserer Haut.
Die Therapie der Organverpflanzung muß aber die Grenze der Fremdleibigkeit des anderen überschreiten, um helfen zu können. Das macht sie zu einer Sonderform der Medizin.
Diesen Ausnahmefall ärztlichen Handelns, das in den Leib eines Menschen eingreift, um einem anderen Hoffnung auf Heilung oder Linderung geben zu können, gilt es nunmehr nach langjähriger Diskussion moralisch, juristisch und kulturell einzuordnen.
Wir führen eine Diskussion um eine Entscheidung, die in ihrer Dimension jeden Menschen betrifft; denn ohne eine ethische Klärung der durch die Transplantationspraxis seit über 25 Jahren in die Welt gekommenen Machbarkeiten liegt in den dieser spezifischen Therapieform innewohnenden Problemen nur ein sehr kurzer Weg zwischen dem Warten auf ein geschenktes Organ und dem Anspruchsdenken hinsichtlich eines Organs, dem tief empfundenen Helfen-Wollen durch eigene Spendebereitschaft und dem Nicht-mehr-nutzlos-sterben-Dürfen als moralischer Spendepflicht, liegt ein kurzer Weg zwischen der unveräußerlichen Selbstbestimmung als einem konstitutiven Freiheitselement des Individuums und der Veräußerung des Körperbesitzes aus Unfreiheit.
Im Deutschen Bundestag sind Antworten zu geben, die mehr als individuelle, emotionale sind; denn die Konsequenzen der Entscheidung reichen tief in

Monika Knoche
das Wertesystem und in das Menschenbild unserer zivilen Gesellschaft.
Die staatliche Verantwortung für die medizinische Betreuung derjenigen Menschen, die auf ein Fremdorgan angewiesen sind, beschreibt dabei lediglich einen - wenn auch wichtigen - Zielaspekt der Gesetzgebung; denn die Interessen der Transplantationsmedizin sind unstrittig auf Organgewinnung gerichtet. Die in ihren Indikationen ehemals unmittelbar nur auf Lebensrettung gerichtete Rechtfertigung für die Organverpflanzung hat sich verändert. Kapazitäten steigen, Indikationsstellungen werden auch auf die Leidensminderung erweitert.
Der Organbedarf ist auch seinem Wesen nach nicht zu befriedigen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Im Gegenteil: Niemand kann und darf sich wünschen, daß möglichst so viele Unfallopfer da sind, wie es Menschen gibt, die auf fremde Organe warten. Menschliche Organe dürfen nicht zur Ware werden, sie dürfen keinen Warencharakter bekommen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Jeder kommunitaristischen Bestrebung und jeder Kommerzialisierung des menschlichen Leibes muß entgegengetreten werden.
Dennoch muß man sehr deutlich sagen: Wenn man durchblutete Organe entnehmen will, ist das nur bei lebendigem Leib möglich. Hirntod bei lebendigem Leib, das sei ein neuer Tod des Menschen. Mit dieser Todesdefinition konfrontiert uns die moderne Medizin, weil sie glaubt, diesen anderen Tod zu brauchen, um eine ethische Legitimation für das grenzüberschreitende Handeln zu erhalten, und weil sie meint, damit eine größere Akzeptanz in der Bevölkerung zu bekommen.
Die Medizin hat lange und weitgehend unhinterfragt die Definitionsmacht über das Wesen des Todes an sich gebunden. Sie hat sie dennoch nicht. Das Hirntodkonzept entstand vor fast 30 Jahren durch die Möglichkeiten der Intensivmedizin. Zentral für die Bewertung der Hirntodkonzeption ist die Frage: Wann ist der Mensch tot? Sie ist zentral für die Bedeutung der Bewertung des Explantationskriteriums für den Gesetzgeber. Von den Befürwortenden wird mit dieser Hirntodkonzeption auf der materiellen Seite einmal die Diagnostik des irreversiblen Ausfalls aller meßbaren Hirnfunktionen beschrieben, aber auf der ideologischen Seite wird mit ihr eine neue Art des Totseins festgelegt.
Drei wichtige Fragen, die zu beantworten sind, wirft die Hirntodkonzeption auf: Ist der Mensch schon tot, wenn keine Hirnfunktionen mehr meßbar sind? Ist wegen der genannten Gewohnheiten und der wissenschaftlichen Ansichten das Hirntodkonzept nicht mehr rückholbar oder gar allgemeingültig geworden? Müssen wir einen modernen Tod als Ergebnis und Preis der modernen Medizin akzeptieren?
Für die Transplantationsmedizin stehen immer die körperlichen Leiden schwer organkranker Menschen im Vordergrund. Sie hat deshalb aber nicht das Recht, für die Seite der Organspendenden ein Bild zu zeichnen, das die Wahrnehmung des ganzen Menschen auf seine meßbaren Hirnfunktionen reduziert

(Beifall der Abg. Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

und damit zugleich ein hirnorganhierarchisches Menschenbild kreiert.
Diese Fragen standen im Zentrum der großen Hirntoddebatte des Deutschen Bundestages. Seit dieser Anhörung ist es unbestreitbar richtig, zu sagen: Das Hirntodkonzept als Todeskonzept ist widerlegt. Begründete Zweifel daran, ob ein Mensch im Zustand des irreversiblen Ausfalls seiner Hirnfunktionen schon tot sei, haben namhafte Philosophen, Psychiater, Ethiker, Theologen, Verfassungsrechtler, Biologen, Neurologen und Pflegende und Angehörige vorgetragen.
Das Hirntodkonzept ist erkennbar nicht auf einen Konsens innerhalb und zwischen den Natur- und den Humanwissenschaften begründet. Daß das irreversible Hirnversagen schon der Tod sei, ist eine wertende Beschreibung, die von Teilen der Ärzteschaft vorgenommen wird. Die Definitionsmacht über das Wesen des Todes fällt aber keinesfalls in die Monopolkompetenz der Medizin.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der PDS)

Wenn wir entscheiden müssen, wann menschliches Leben endet, können wir uns nur auf das Fundament der allgemeinen Werte und Prinzipien einer zivilen Gesellschaft beziehen. Dieser gesellschaftliche Konsens kommt in Art. 2 Abs. 2 des Grundgesetzes zum Ausdruck. Der Verweis auf die Meinung der Bundesärztekammer trägt nicht. In der Frage von Leben und Tod ist die Grundrechtsintensität zu beachten, und diese ist beachtlich. Das Grundgesetz sichert uns ein offenes Menschenbild. In ihm ist zugleich der unverrückbare Konsens einer freien Gesellschaft ausgedrückt, auf den sich jenseits von Fundamentalismus und individueller Weltanschauung die Gesetzgebung fundieren muß. Das Grundgesetz sichert ein Menschenbild, demzufolge jeder Mensch Würde hat. Seine Ethik ist eine Ethik der Würde und keine Ethik der Interessen.
Dem Geist des Grundgesetzes nach ist das Menschenbild ganzheitlich. Das Mensch- und Personsein ist nicht an Geistigkeit gebunden. Es ist deshalb nicht vertretbar, das Bewußtsein als Kriterium für das Personsein zu qualifizieren. Der Mensch ist Zweck an sich. Sein Noch-Person-Sein setzt nicht den Nachweis voraus, ob ihm noch kognitive Leistungsfähigkeiten nachgewiesen werden können. Die Hirntodkontroverse ist, seit die verfassungsrechtlichen Anforderungen bekannt sind, entschieden. Nicht mehr die Frage, wann der Mensch tot ist, ist zu klären, sondern wer mit welchen Zielen bezweifelt, daß Hirntote leben, ist bemerkenswert.

Monika Knoche
Hirntote sind Sterbende. Wenn wir das neue Todeskonzept ablehnen, bedeutet das dennoch nicht das Ende der Organspende. Warum? Die der Hirntodkonzeption zugrunde gelegten Hypothesen besagen zum einen, der Mensch im Zustand des irreversiblen Ausfalls seiner Hirnfunktionen habe aufgehört, ein Lebewesen in geistig-seelischer Einheit zu sein, er könne aus seinem Inneren und seiner Umgebung nichts mehr empfinden, wahrnehmen, beobachten, beantworten, nichts entscheiden. Zum anderen wird der Versuch unternommen, das Hirntodkonzept und damit das Ende menschlichen Lebens biologisch zu begründen. Es wird behauptet, das Gehirn sei für die biologische Existenz der Funktionseinheit des Organismus schlechthin das unersetzliche Regelzentrum.
Beide Hypothesen sind einseitige Wertungen, sie sind wissenschaftlich-biologisch nicht zu fundieren. Biologisch argumentieren zu wollen, der Hirnorganzusammenbruch sei gleichbedeutend mit dem Totsein des Organismus, ist auch logisch nicht verständlich. Denn ein Mensch in diesem Zustand kann seine Selbststeuerung, seine körperliche Integrationsleistung voll erhalten. Das Herz schlägt, die Lungen atmen, der Stoffwechsel und das Immunsystem reagieren.
Die Schwangerschaften hirntoter Frauen beweisen wie kein anderes Beispiel, daß Menschen in diesem Zustand in der Lage sind, die Organisation ihres Körpers zu steuern, wenn sie einen Abort vollziehen können. Ebensowenig entspricht die genannte Todesdefinition dem lebensweltlichen und dem emotionalen Erfahrungshintergrund breiter Bevölkerungskreise. Angehörige beschreiben die Unmöglichkeit, einen warmen, durchbluteten Leib als tot zu begreifen.
Ein Mensch im Zustand des Hirnorganzusammenbruchs kann nicht mehr bestimmen, was mit ihm geschehen soll. Deshalb handeln Ärzte, indem sie den Behandlungsabbruch vornehmen. Das muß getan werden, weil es kein Behandlungsziel im Interesse des Sterbenden mehr gibt und um ihm, dem Sterbenden, sein Recht auf einen würdevollen Tod zu geben.
Für potentielle Spenderinnen und Spender, deren Sterbezustand technisch festgehalten wird, heißt die Frage demnach nicht: Was soll mit mir nach meinem Tod, sondern: Was soll mit mir in dieser Phase meines Sterbens geschehen? Es sind die Möglichkeiten der Intensivmedizin, die die Eindeutigkeit, die den Begriff des Todes einmal auszeichnete, aufgehoben haben. Erkennen können wir heute lediglich einen ganz spezifischen Prozeßcharakter des Erlöschens menschlichen Lebens, indem wir Hirnfunktionen messen. Wir kennen nicht alle Hirnfunktionen, und wir können nicht alle Hirnfunktionen messen, und wir messen auch nicht alle, die wir messen können.

(Beifall der Abg. Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Aber ermessen, was dieser Zustand ist, können wir nicht.
Es ist nicht Aufgabe des Gesetzgebers, einen wissenschaftlichen Dissens entscheiden zu wollen. Weder Humanwissenschaften noch Naturwissenschaften können das Wesen des Todes bestimmen. Wichtig ist nach verfassungsrechtlicher Betrachtung, daß dem Menschen Schutzwürdigkeit zuzugestehen ist, solange er biologisch-physisch existiert. Die Fähigkeit zur Geistigkeit oder zur Kommunikation mit Dritten ist völlig irrelevant für die Frage, ob der Mensch nach dem Verlust seines Bewußtseins noch als Person gelten kann.
Die Abkehr von diesem Todesverständnis löst eine Wirkung aus, die zur Etablierung eines utilitaristischen Menschenbildes führen würde. Das Festlegen eines vorgezogenen Todeszeitpunktes könnte nicht mehr davor schützen, andere Hirnorganbefunde als Tod des Menschen zu qualifizieren.
Akzeptiert man die Geistigkeitstheorie als Grundlage der Personalität, müßten - das tun die Befürworter des Hirntod-Kriteriums in ihrem Entwurf - alle anderen Nichttotseinszustände extra benannt werden, zum Beispiel Wachkomapatienten und Anenzephale. Das zeigt, daß der Versuch, per Definition die Zäsur zwischen Leib und Geist an die Funktionsfähigkeit des Hirns zu binden, den gesellschaftlichen Wertekonsens zur Disposition stellt, und zeigt gleichfalls, wie nahe man bei einer Verwerfung des traditionellen Todesverständnisses einer Verwerfung ethischer Übereinkünfte kommt.
Nur mit einer Absage an das Hirntodkonzept ist die Voraussetzung für eine verfassungsrechtliche und medizinethische Regelung gegeben. Nur die vorab gegebene Einwilligung ist das materielle Legitimationskriterium, der Ausfall der Hirnfunktionen das formale Entnahmekriterium.
Die vordergründig verständliche und naheliegende Befürchtung, Organentnahme in diesem Sterbezustand zu ermöglichen käme einem Tabubruch, dem der Legitimierung der Tötung auf Verlangen, gleich oder wäre gar mit Euthanasie analogisierbar, ist indes vollkommen unbegründet. Nicht die Organentnahme, sondern der irreversible Ausfall, die Unausweislichkeit des Todes ist ursächlich für das Sterben.
Zu beantworten ist die Frage, ob der Mensch verfügen kann, daß ein anderer sein Sterben durch Organentnahme verändert. Könnten diese Einwände nicht zweifelsfrei ausgeräumt werden, die Fragen nicht eindeutig gemäß dem Grundgesetz beantwortet werden oder bestünden begründete Bedenken, damit die ethische Basis, die wir für unsere Haltung reklamieren, zu verlassen, müßten wir auf die Transplantationsmedizin verzichten.
Nach Selbstbestimmung, die dem Menschen gegeben ist, hat er einen Besitz an sich. Die Bestimmung über seine leiblich-seelische Integrität gehört zu seinem ureigensten Bereich der Personalität. Nur so wird die Grundlage, auf der eine Organentnahme und damit die Organspende geregelt werden kann, auch ihrem Charakter gerecht, den sie behalten muß, nämlich ein Geschenk zu sein.
Ein Transplantationsgesetz, welches auf die Spendebereitschaft der Bevölkerung setzt, muß sich jeden Einfluß auf die individuelle Entscheidung versagen.

Monika Knoche
Es kann keine Berechtigung auf ein fremdes Organ geben. Die meisten Menschen leben ihr Leben im Bewußtsein, daß sie über den Tod nichts wissen. Sie überlassen sich dem Sterben. Hier nicht entscheiden zu können oder zu wollen gehört auch zu den Rechten, und sich gänzlich zu verschweigen gehört auch zu den Rechten, die wir respektieren müssen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Parlament hat die Aufgabe, maximale Rechtssicherheit zu gewährleisten. Ohne Verzicht auf einen zweiten, anderen Tod, ohne Garantie der Unveräußerlichkeit des Selbstbestimmungsrechtes bestünde die Gefahr, die Würde des Menschen durch seinen Wert zu ersetzen. Die von uns Grünen vorgelegten Vorstellungen in einem Transplantationsgesetz basieren auf der Ethik des Grundgesetzes. Sie ist keine Ethik der Interessen.
Bei der Diskrepanz zwischen wissenschaftlicher Behauptung und lebensweltlicher Erfahrung ist es die zivile Gesellschaft selbst, die sich mit ethischen Fragen, die die moderne Medizin aufwirft, befassen können muß. Die Politik muß es tunlichst vermeiden, sich über die kulturelle Eingebundenheit des allgemeinen Todesverständnisses hinwegzusetzen. Das Parlament muß in diesen Grenzbereichen Entscheidungen treffen, die geeignet sind, die neuen Phänomene und Definitionsnotwendigkeiten in den geltenden Wertekontext einzubinden.
Mit dem von uns vorgelegten Gesetzentwurf liegt ein stringenter Lösungsversuch in einem Modell vor, das die Belange der Organempfangenden und -spendenden gleichermaßen schützt. Wir sind der festen Überzeugung: Nur auf diesem Weg kann die unbedingte Integrität der Organverpflanzung in Deutschland erlangt werden.
Es führt kein zweifelsfreier Weg an dem Phänomen der Ganzheitlichkeit des Menschen vorbei. Es geht um das Festhalten oder Fallenlassen eines humanen Grundprinzips, wonach ein Mensch lebt, solange er als lebendig erfahrbar ist.
Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1309900800
Es spricht jetzt der Kollege Dr. Dieter Thomae zu uns.

Dr. Dieter Thomae (FDP):
Rede ID: ID1309900900
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auf Grund des medizinischen Fortschritts kann seit mehr als 25 Jahren durch Gewebe- oder Organtransplantationen das Leben vieler schwerkranker Menschen gerettet werden. Weltweit wurden bis Ende 1994 rund 350 000 Nieren und auch 35 000 Herzen übertragen. Dennoch sind in Deutschland pro 1 Million Einwohner noch etwa 300 Patienten auf die Dialyse angewiesen.
Trotz des medizinischen Fortschritts ist in den letzten Jahren die Zahl der Organtransplantationen
stark zurückgegangen, weil sich zu wenig Menschen bereit erklärt haben, ihre Organe im Falle eines plötzlichen Todes, zum Beispiel eines Unfalltodes, für eine vielleicht lebensrettende Transplantation zur Verfügung zu stellen. Auch die Zustimmung der Angehörigen zur Organentnahme ist in den letzten drei Jahren von 90 Prozent auf 70 Prozent zurückgegangen.
Die Bundesrepublik Deutschland liegt hier am Ende der Skala in Europa. Daher ist es das wichtigste Ziel des geplanten Gesetzes, bundesweit einheitliche Rechtssicherheit in diesem sensiblen Bereich zu schaffen und damit wieder eine breitere Zustimmung der Bevölkerung zur Transplantation zu erhalten.
Aber erst seit Ende 1994 ist der Weg für ein bundeseinheitliches Transplantationsgesetz frei. Bis dahin lag die Gesetzgebungskompetenz für diesen wichtigen Bereich bei den Ländern. Danach schuldeten wir es der Sensibilität des Themas, äußerst sorgfältig und in Ruhe abzuwägen, wie die Fragen im Zusammenhang mit einer Organspende geregelt werden sollen. Der Gesundheitsausschuß hat deshalb schon im Vorfeld dieser ersten Lesung eine Expertenanhörung durchgeführt.
Wir waren uns bei der Formulierung des Gesetzentwurfes darüber im klaren, daß wir, wenn wir einen solch hochsensiblen Bereich vernünftig regeln wollen, einen möglichst breiten Konsens der Beteiligten brauchen. Dieser Gedanke spiegelt sich auch darin wieder, daß wir versucht haben, Regelungen zu finden, die parteiübergreifend mitgetragen werden können.
Ich bedaure sehr, daß sich die Grünen von diesem Konsens verabschiedet haben, freue mich aber, daß der Gesetzentwurf von der SPD mitgetragen wird.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Der Gesetzentwurf soll vor allem folgende Punkte regeln: erstens, die Spende und die Entnahme von Organen auf der Grundlage der erteilten Zustimmung - lassen Sie mich hierauf später näher eingehen -; zweitens, die Gewährung und den rechtlichen Schutz der Möglichkeit, eine Organspende abzulehnen; drittens, die organisatorischen Voraussetzungen der Entnahme, Vermittlung und Übertragung lebenswichtiger Organe; viertens, die Vermittlung lebenswichtiger Organe nach Maßgabe medizinischer Kriterien, um die Gleichbehandlung der für eine Transplantation nach ärztlicher Entscheidung vorgesehenen Personen zu gewährleisten; fünftens, die Organentnahme bei Lebenden, die wegen ihrer möglichen Nähe zum kommerziellen Organhandel sensibel ist und lediglich auf Verwandte ersten und zweiten Grades, Ehegatten, Verlobte oder auf dem Spender in persönlicher und sittlicher Verbundenheit offenkundig nahestehende Personen beschränkt ist.
Mir ist vor allen Dingen wichtig, daß niemand unter Druck gesetzt wird, wenn er einen solchen folgenschweren Schritt tun will, und genau aufgeklärt wird über die Folgen für ihn selber und auch über die Erfolgsaussichten einer solchen Transplantation.

Dr. Dieter Thomae
Sechstens. Besonders wichtig ist die Bestrafung des Organhandels sowie unrechtmäßigen ärztlichen Handelns bei der Organentnahme und -übertragung.
Siebtens bedarf es der Aufklärung der Bevölkerung.

(Abg. Gerald Häfner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1309901000
Herr Kollege Thomae, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Dieter Thomae (FDP):
Rede ID: ID1309901100
Nein.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auf zwei Punkte näher eingehen, die in meinen Augen die sensibelsten sind. Dies ist zum einen die Frage der Definition des Todeszeitpunktes und zum anderen die Bestimmung, wann eine Organentnahme erfolgen kann.
Für die Definition des Todeszeitpunktes sieht der Gesetzentwurf vor, daß Organe nur dann entnommen werden können, wenn zwei Ärzte, die weder an der Entnahme noch an der Übertragung der Organe beteiligt sind, unabhängig voneinander den endgültigen, nicht behebbaren Ausfall der gesamten - ich sage sehr deutlich: gesamten! - Hirnfunktion oder den endgültigen, nicht behebbaren Stillstand von Herz und Kreislauf nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft nachweisen.
Die Bewertung des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der gesamten Hirnfunktion war Gegenstand der öffentlichen Anhörung. Sie hat die Auffassung der überwältigenden Mehrheit der deutschen und internationalen Ärzteschaft bestätigt, daß mit dem endgültigen, nicht behebbaren Ausfall der gesamten Hirnfunktion der Tod des Menschen eingetreten ist. Dieses im Zuge der Intensivmedizin entwickelte Todeskriterium liegt den rechtlichen Regelungen zur Organtransplantation aller anderen europäischen Staaten sowie der USA und Kanadas zugrunde. Es ist seit 1967 auch die Praxis der Organtransplantation in der Bundesrepublik Deutschland.
Aus der gesetzlichen Anerkennung des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der gesamten Hirnfunktion als sicheres Todeszeichen folgt zugleich, daß der Ausfall nur von Teilen der Hirnfunktion nicht als Todeszeichen anzusehen ist. Dies gilt insbesondere auch für in einem dauerhaften Koma liegende Personen oder für Neugeborene mit schwersten Formen angeborener Mißbildungen des Gehirns. Diese Menschen sind nicht tot und können daher nie für eine Organspende herangezogen werden.
Meine Damen und Herren, der umstrittenste Bereich ist sicherlich die Frage nach der Erklärung zur Organspende. Einigkeit besteht bei uns allen, daß die Widerspruchslösung, bei der bei einer Nichterklärung des potentiellen Spenders Organe entnommen werden dürfen, die schlechteste Lösung ist.
Zur Debatte stehen deshalb nur noch die enge Zustimmungslösung, bei der Organe nur entnommen
werden dürfen, wenn der Verstorbene hierzu zu Lebzeiten seine ausdrückliche Zustimmung gegeben hat, und die erweiterte Zustimmungslösung. Vor allem diese Frage muß hier von jedem einzelnen für sich entschieden werden, ohne politische Zwänge. Es ist eine Frage, die unter philosophischen, moralischen, ethischen und religiösen Aspekten sehr unterschiedlich beurteilt werden wird.
Ich habe mich für die erweiterte Zustimmungslösung entschieden. Bei der erweiterten Zustimmungslösung wird eine fehlende Erklärung des Verstorbenen zur Organspende weder als Ablehnung noch als Zustimmung gewertet, sondern lediglich als Nichterklärung. Denn oft fehlt nur die schriftliche Dokumentation der Bereitschaft zur Organspende, aber die nächsten Angehörigen kennen die Einstellung zur Organspende sehr genau. Deshalb sieht die erweiterte Zustimmungslösung vor, in diesem Falle die nächsten Angehörigen einzuschalten. Eine Organentnahme ist nur dann zulässig, wenn ihr die Angehörigen ausdrücklich zustimmen.
Aber lassen Sie mich bitte nochmals betonen: Liegt eine Erklärung des Verstorbenen vor, kann diese Entscheidung für eine Zustimmung oder Ablehnung der Organentnahme nicht durch Angehörige revidiert werden. Und: Hat der Verstorbene keine nächsten Angehörigen oder keine diesen gleichgestellte Person oder ist keine dieser Personen erreichbar, ist eine Organentnahme unzulässig.
In meinen Augen räumt die erweiterte Zustimmungslösung dem Selbstbestimmungsrecht des Verstorbenen Vorrang ein, ohne jedoch auf die Bürger einen Entscheidungszwang auszuüben. Gleichzeitig schafft sie einen Ausgleich zwischen den berechtigten Interessen der potentiellen Organspender und den Menschen, die dringend auf Organe angewiesen sind.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, ich habe mich auch für die erweiterte Zustimmungslösung entschieden, weil derzeit nur etwa 5 Prozent der Organentnahmen auf Grund einer zu Lebzeiten dokumentierten Einwilligung des Verstorbenen durchgeführt werden. Nach allen bisherigen Erfahrungen ist - auch bei umfassender Aufklärung der Bevölkerung - nicht zu erwarten, daß jeder Bürger zu Lebzeiten eine Erklärung zur Organspende abgibt. Aber die Nichtabgabe einer solchen Erklärung kann die unterschiedlichsten persönlichen Gründe haben und ist vom Gesetzgeber als Ausdruck der Würde und des Selbstbestimmungsrechts des Menschen gerade auch in Angelegenheiten, die seinen Tod betreffen, zu respektieren. Dies gilt um so mehr, als nur etwa 0,6 Prozent der Verstorbenen als Spender lebenswichtiger Organe in Betracht kommen.
Ich persönlich möchte, daß wir mit diesem Gesetz in einem hochsensiblen Bereich endgültig Rechtssicherheit schaffen. Denn schon heute wird im medizinischen Alltag genauso vorgegangen, wie wir es in dem Gesetzentwurf und mit dem Antrag auf die erweiterte Zustimmungslösung heute vorsehen. Dies sollte man bei der Entscheidung bitte nicht überse-

Dr. Dieter Thomae
hen. Nur geschieht dies alles in einem rechtsfreien Raum. Ich denke, diese Situation ist sowohl für die Ärzte als auch für die potentiellen Spender sowie ihre Angehörigen unzumutbar.
Lassen Sie mich hier aber auch ganz offen sagen: Ich erhoffe mir von diesem Gesetz und der damit geschaffenen Rechtssicherheit, daß wir viel mehr Menschen als bisher mit Transplantationen helfen können. Ich erhoffe mir einen Wiederanstieg der Spendenbereitschaft. Denn nur, wenn ich genau weiß, was mit mir als Spender geschieht, werde ich zur Organspende bereit sein.
Deshalb ist es so wichtig, daß endlich gesetzlich festgelegt wird, daß zwei voneinander unabhängige Ärzte den Tod feststellen müssen und dies keine Ärzte sein dürfen, die nachher die Entnahme oder die Transplantation vornehmen. Für die Befürchtung, daß der behandelnde Arzt einen Patienten sterben läßt, um einen anderen zu retten, gibt es daher keine Grundlage mehr.
Ich erhoffe mir aber auch eine ansteigende Bereitschaft der behandelnden Ärzte, das schwere Gespräch mit den Angehörigen eines potentiellen Spenders zu suchen, wenn hierfür endlich eine Rechtsgrundlage und somit Rechtssicherheit geschaffen wird.
Bitte bedenken Sie, meine Damen und Herren, bei Ihrer Entscheidung, daß jährlich nur etwa der Hälfte der rund 2 000 auf ein lebensrettendes Organ wartenden Patienten in Deutschland gehollen werden kann!
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1309901200
Als nächste spricht die Kollegin Frau Dr. Ruth Fuchs.

Dr. Ruth Fuchs (PDS):
Rede ID: ID1309901300
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Organtransplantation ist bereits seit längerem eine im Handlungsspektrum der modernen Medizin fest etablierte Methode. In vielen Krankheitsfällen stellt sie die einzige erfolgversprechende Möglichkeit dar, Leben zu erhalten oder Schwerstkranken ein hohes Maß an Lebensqualität zurückzugeben. Die mit weitem Abstand häufigste und gegenwärtig zugleich sicherste und hilfreichste Anwendungsform ist die Nierentransplantation.
Wenn wir aber über Organverpflanzung sprechen, dann sollten wir uns stets auch der elementaren Tatsache bewußt sein, daß es vor allem um das Schicksal schwerkranker Menschen geht, denen heute in der Regel nur mit Hilfe einer gespendeten Niere über viele Jahre hinweg erneut ein Leben in oft fast völliger Gesundheit und Leistungsfähigkeit ermöglicht werden kann.
Die Notwendigkeit einer klaren Rechtsetzung ist unbestritten. Sie ergibt sich schon aus der Verpflichtung des Gesetzgebers, solche Bereiche förmlich selbst zu regeln, in denen Grundrechte - wie im vorliegenden Fall das Recht auf Leben und Gesundheit,
aber auch das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und auf Menschenwürde - berührt sind. Insofern geht es bei der Schaffung eines Transplantationsgesetzes tatsächlich um das Schließen einer empfindlichen Lücke. Die Bundesrepublik, in der es seit 1978 Bemühungen um eine solche Regelung gibt, befindet sich im europäischen Vergleich nur noch in Gesellschaft solcher Staaten wie Malta, Zypern oder Liechtenstein.
Natürlich kann nicht übersehen werden, daß es sich dabei nicht nur um einen hochsensiblen Gegenstand handelt, sondern daß mit der Entnahme und Übertragung menschlicher Organe wie in kaum einem anderen Bereich viele komplizierte und sorgfältig zu bedenkende medizinische, rechtliche, ethische und letztendlich auch philosophische Fragen verbunden sind. Vor diesem Hintergrund scheint es mir notwendig zu sein, daß man sich zuallererst, unabhängig von der zu treffenden Einzelregelung, über unumstößliche Grundsätze verständigt, die im Zusammenhang mit der Organtransplantation beachtet werden sollten.
Dazu zählt für mich in erster Linie, daß niemand, egal in welcher Notsituation er sich befindet, einen Anspruch auf Organe oder Körperteile eines anderen Menschen besitzt. Anders formuliert: Eine Bring-schuld zur Organspende kann und darf es nicht geben. Des weiteren muß die vom einzelnen Menschen für sich selbst getroffene Entscheidung bindend sein. Das heißt, bei zu Lebzeiten erteilter Zustimmung dürfen Organe entnommen werden, bei entsprechender Ablehnung muß dies ausgeschlossen sein. Die Ablehnung einer Organspende durch den einzelnen ist ohne jegliches Hinterfragen zu respektieren. Erklärungs- oder Rechtfertigungsdruck darf es nicht geben.
Der Verkauf eigener Organe ist mit der Würde des Menschen unvereinbar, und Organhandel muß verboten sein.
Die Grundsätze der Zuordnung entnommener Organe zu den Empfängern müssen allein medizinisch begründet und für die Öffentlichkeit jederzeit nachvollziehbar sein.
Schließlich müssen auch die Gefahren und Belastungen, die mit einer Transplantation verbunden sein können, den potentiellen Empfängern und ihren Familien bekannt sein. Dazu zählen, wie wir wissen, oft lange Wartezeiten, Unsicherheiten bezüglich der Erfolgsdauer im Einzelfall, meist eine lebenslange medikamentöse Nachbehandlung und anderes mehr.
Da die Akzeptanz oder Nichtakzeptanz des isolierten Hirntodes als Tod des Menschen für die Meinungsbildung beim vorliegenden Gesetzesvorhaben von zentraler Bedeutung ist, gleich an dieser Stelle ein Wort auch dazu. Meiner Meinung nach - ich möchte das betonen; denn auch in unserer Gruppe gibt es dazu völlig unterschiedliche Auffassungen - muß bei sachlicher Betrachtungsweise vor allem zur Kenntnis genommen werden, daß das Hirntodkonzept weltweit nur von einer äußerst geringen Zahl von Vertretern der entsprechenden aussagefähigen medizinischen und naturwissenschaftlichen Fachdisziplinen in Zweifel gezogen wird. Auch wenn die

Dr. Ruth Fuchs
wichtige Rolle, die Minoritäten in Politik wie Wissenschaft spielen können und sollen, durchaus unstrittig ist, kann und sollte ein Gesetzgeber seine Entscheidung nicht auf extreme Minderheitenvoten innerhalb der internationalen wissenschaftlichen Gemeinschaft stützen.

(Dr. Sabine Bergmann-Pohl [CDU/CSU]: Richtig!)

Für mich kann es in diesem Zusammenhang zu Aufklärung und Vernunft und der mit ihnen verbundenen wissenschaftlichen Rationalität keine Alternative geben.
Meine Damen und Herren, ich denke, dafür, ob es sich um ein gutes Transplantationsgesetz handelt, ist es in erster Linie entscheidend, inwieweit es dem Gesetzgeber gelingt, höchst unterschiedlichen Rechtsgütern in verfassungsrechtlich vertretbarer Weise gleichzeitig Rechnung zu tragen. Das bedeutet vor allem, eine nicht einfache, aber unausweichliche und notwendige Güterabwägung vorzunehmen. Zum einen gilt es, das Selbstbestimmungsrecht des einzelnen zu wahren; zum anderen stehen wir in der Verpflichtung, solche rechtlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, unter denen todkranke Menschen eine medizinisch mögliche und ethisch vertretbare Hilfe tatsächlich erhalten können.
Geht man von diesem Anspruch aus, dann erweist es sich eben keinesfalls als Zufall, daß sich die große Mehrheit der west- und nordeuropäischen Länder - darunter Belgien, Schweden, Frankreich, Österreich und Dänemark, die man ja wahrhaftig nicht eines unsensiblen Umgangs mit Menschenrechten und sonstiger gravierender Zivilisationsmängel verdächtigen wird - in dieser oder jener Form für Widerspruchslösungen entschieden hat und diese bei voller Akzeptanz ihrer Bevölkerung praktiziert.
Der heute vorliegende Gesetzentwurf einer quasi großen Koalition gewährleistet meiner Meinung nach dagegen weder die Beachtung des Selbstbestimmungsrechts, noch wird er etwas an der gegenwärtigen Situation jener Menschen ändern können, die auf ein Spenderorgan warten müssen. Mit einer erweiterten Zustimmungslösung wird lediglich der unbefriedigende Status quo fortgeschrieben.
Was den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen betrifft, so gibt es in unserer Gruppe sowohl ablehnende als auch zustimmende Meinungen. Das wird und soll sich auch in der heutigen Debatte zeigen und wird sich in einem weiteren Beitrag einer Abgeordneten unserer Gruppe widerspiegeln.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1309901400
Das Wort hat jetzt der Bundesminister Seehofer.

Horst Seehofer (CSU):
Rede ID: ID1309901500
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch wenn wir heute zum ersten Mal in breiterer Form im Deutschen Bundestag die Fragen
der Organspende diskutieren, darf das nicht darüber hinwegtäuschen, daß Organ- und Gewebeübertragungen in Deutschland, aber auch weltweit seit mehr als 25 Jahren zur medizinischen Praxis gehören, ja heute in Deutschland und in den allermeisten anderen Staaten mit einem hochentwickelten Gesundheitswesen zum Standard der medizinischen Versorgung gehören.
Es ist unbestritten, daß mit jeder Transplantation Leben gerettet werden kann, eine Krankheit geheilt oder gelindert werden kann. Jedem einzelnen Patienten kann diese letzte Möglichkeit der Medizin neue Freiheiten, neue Möglichkeiten der Lebensführung und Lebensplanung eröffnen. Nur wer jemals einem Menschen gegenüberstand oder -saß, der auf diese letzte Möglichkeit der Medizin für sich persönlich gehofft hat, wird ermessen können, daß viele Patienten diesen Tag der Operation auch als Beginn eines neuen Lebensabschnittes, den sie wie einen zweiten Geburtstag feiern, erleben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Das alles wäre ohne die Bereitschaft vieler Menschen zur Organspende nicht möglich.
Wer sich zur Organspende entschließt, will zuallererst kranken Menschen helfen, ohne Absicht und ohne die Gewißheit haben zu können, bei einer eigenen schweren Krankheit die gleiche Hilfe zu erhalten. Deshalb - darauf kommt es mir zuallererst an - ist die Bereitschaft zur Organspende im besten Sinne des Wortes ein ganz persönliches Beispiel praktizierter Nächstenliebe. Ich möchte allen danken, die in unserer Zeit des Materialismus und der Ellenbogen zu diesem Zeugnis der Mitmenschlichkeit bereit sind.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich sage dies mit allem Respekt vor denen, die sich nicht zu einer Organspende entschließen können, aus welchen Gründen auch immer. Es steht niemandem zu, eine solche Entscheidung zu kritisieren. Es steht erst recht niemandem zu, das Maß der Mitmenschlichkeit nur und ausschließlich oder doch zuerst am Kriterium der Organspende festzumachen.

(Beifall der Abg. Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Eine Moral, die dies zuläßt oder fördert, würde sich selbst urteilen.
Unsere Aufgabe als Gesetzgeber kann es nur sein, die Voraussetzungen für Transplantationen und ihre rechtlichen Grundlagen neu zu gestalten. Wie schwer das ist, haben wir alle bei den Vorbereitungen zu diesem Transplantationsgesetz erfahren.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1309901600
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schuster?

Horst Seehofer (CSU):
Rede ID: ID1309901700
Ich möchte, wenn Sie erlauben, Herr Kollege Schu-

Bundesminister Horst Seehofer
ster, bei diesem Thema, im Zusammenhang sprechen.
Wir alle haben das bei der Vorbereitung dieses Gesetzes in den letzten zwei Jahren erfahren. Das lag nicht zuletzt daran, daß viele Menschen auf die Organspende und die Organtransplantation so sensibel wie auf kaum einen anderen Bereich der medizinischen Versorgung reagieren. Dieses Thema geht weit über medizinische Aspekte hinaus. Es geht hier auch um ethische und rechtliche Fragen des Zusammenlebens in einer Gesellschaft, die jeden einzelnen von uns unmittelbar betreffen. Es tauchen Fragen auf zur Grenzsituation unseres Daseins, Fragen, die über das eigene Leben hinausreichen.
Hier ist eine Dimension der persönlichen Betroffenheit und damit auch der persönlichen Verantwortung erreicht, die es im Zusammenhang mit medizinischen Möglichkeiten vorher so nicht gegeben hat. Deshalb ist es selbstverständlich, daß die Menschen in solchen Situationen verläßliche Orientierungen brauchen. Sie müssen sich darauf verlassen können, daß Mediziner, Juristen, Wissenschaftler und auch Politiker mit der Möglichkeit der Organspende, Entnahme, Vermittlung und Übertragung höchst verantwortlich umgehen.
Von der Qualität unserer Antworten auf solche berechtigten Erwartungen wird die Einstellung der Menschen zur Transplantationsmedizin abhängen. Je besser es uns gelingt, mit unseren Antworten aus Skepsis Zuversicht, aus Unsicherheit Sicherheit und aus Mißtrauen Vertrauen zu schaffen, desto eher wird die Bereitschaft zur Organspende steigen, die leider in den vergangenen Jahren zurückgegangen ist. Je mehr Menschen sich in Deutschland zur Organspende bereit erklären, desto mehr kann schwerkranken Menschen durch die Transplantationsmedizin geholfen werden.
Meine Damen und Herren, ich bin froh, daß wir uns bei allen Unterschieden in einzelnen Punkten doch darüber einig sind: In der Bundesrepublik Deutschland müssen sich mehr Menschen zur Organspende bereit erklären. Wir können uns auf Dauer nicht auf die hohe Spendebereitschaft unserer Nachbarländer verlassen. Man kann nicht oft genug darauf hinweisen, daß ohne deren Hilfe ein großer Teil der Transplantationen in der Bundesrepublik Deutschland nicht durchgeführt werden kann. Nur 5 Prozent derjenigen, die für eine Explantation in Frage kommen, haben einen Organspendeausweis. Wir können diese hohe Spendebereitschaft unserer Nachbarländer nicht auf Dauer erwarten. Ich möchte betonen, daß es für ein reiches Land wie die Bundesrepublik Deutschland auf Dauer moralisch auch nicht vertretbar wäre, Organtransplantationen nur durchführen zu können, wenn Organe aus benachbarten Ländern eingeführt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)

Deswegen ist es schon unsere Aufgabe - ich denke, darüber besteht Einigkeit -, unseren Teil dazu beizutragen, die Spendebereitschaft in der Bevölkerung zu erhöhen. So wichtig manche Paragraphen und Regelungen sind, so sehr kommt es auch darauf an, daß wir - nicht nur als Bundesregierung, sondern auch alle Beteiligten in diesem Bereich - in den nächsten Monaten durch eine breitangelegte Motivations- und Aufklärungskampagne in der Bevölkerung darauf abzielen, daß sich mehr Menschen in der Bundesrepublik Deutschland zur Organspende bereit erklären.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ein zweiter Punkt sollte von vornherein auch feststehen: Unsere Aufgabe kann nur sein, um Organspenden zu bitten. Wer hier fordert oder die Menschen zu einer Entscheidung drängen möchte, erreicht genau das Gegenteil. Auch die Ablehnung einer Organspende darf moralisch nicht abgewertet oder gar mißbilligt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wenn der Eindruck entsteht, daß die Achtung vor dem Persönlichkeitsschutz Verstorbener nicht der Maßstab des Handelns oder Unterlassens ist, dann werden wir das notwendige Vertrauen in die Transplantationsmedizin nicht erreichen.
Wir brauchen deshalb eine Lösung, die garantiert, daß die Würde des Menschen, auch eines toten Menschen, nicht im Namen fremden Wohlergehens verletzt wird, eine Lösung, die diese besondere Hilfe erbittet und nicht erzwingt, eine Lösung, die auch Grenzen für die Organentnahme setzt. Das sind für uns unverzichtbare Bedingungen für ein Transplantationsgesetz.
Eine gesetzliche Regelung auf Bundesebene ist bekanntlich erst seit kurzer Zeit möglich. Denn wir als Bund haben erst durch die Grundgesetzänderung Ende 1994 die Gesetzgebungskompetenz erhalten. Damit sind nun die rechtlichen Voraussetzungen für eine umfassende Regelung des Transplantationsrechts durch den Bund geschaffen worden.
Die Leitlinie für die gesetzliche Regelung steht fest: Die Organentnahme und alle mit ihr verbundenen Maßnahmen müssen unter Achtung des Willens und der Würde des Organspenders durchgeführt und auf das medizinisch unerläßliche Maß beschränkt werden. Das Selbstbestimmungsrecht der Bürgerinnen und Bürger hat für mich höchste Priorität. Die zu Lebzeiten abgegebene Erklärung zur Organspende hat absoluten Vorrang und ist von jedermann strikt zu beachten. Um so wichtiger ist auch die Frage, wie wir diese zu Lebzeiten abgegebene Willenserklärung künftig sicher dokumentieren.
Unterschiedliche Auffassungen bestehen in der Frage, ob nun die Zulässigkeit der Organentnahme ausschließlich an eine zu Lebzeiten dokumentierte Einwilligung geknüpft werden soll oder ob nicht unter bestimmten Voraussetzungen auch die Angehörigen Verstorbener entscheiden können. Die Vertreter der sogenannten engen Zustimmungslösung, bei der es also auf die Willenserklärung des Betroffenen zu Lebzeiten ankommt, knüpfen die Zulässigkeit der Organentnahme ausschließlich an eine zu Lebzeiten

Bundesminister Horst Seehofer
dokumentierte Einwilligung. Ich glaube, nachdem ich mich seit vielen Jahren intensiv mit diesem Komplex befaßt habe, daß dieser Weg uns nicht weiterführt. Ich wage sogar das Urteil: Dieser Weg wäre möglicherweise sogar das Ende der Transplantationsmedizin für lebenswichtige Organe in Deutschland. Ein Ende der Transplantationsmedizin wiederum würde die Gefahr des Organhandels in Deutschland, aber jedenfalls die der Verlagerung der Transplantationsmedizin in das Ausland heraufbeschwören.
Ich denke, daß wir, wenn gelegentlich über die Zwei-Klassen-Medizin diskutiert und gesprochen wird, eines nicht zulassen dürfen, nämlich daß die Organspende, die Transplantationsmedizin und die Organübertragung zu einem Privileg für jene Menschen werden, die es sich leisten können, ihre persönlichen Wünsche im Ausland zu befriedigen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P.)

Sie mögen möglicherweise zu der Schlußfolgerung kommen, daß die Analyse, daß die enge Zustimmungslösung zum Ende der Transplantationsmedizin in Deutschland führen könnte, überzogen ist. Aber man muß ganz nüchtern sehen - es ist schon gesagt worden -: Es gibt in der Bundesrepublik Deutschland etwa 900 000 Todesfälle im Jahr. Nun verhält es sich keineswegs so, wie oft oberflächlich geurteilt wird, daß wir dann, wenn sich von diesen 900 000 einige Tausend zusätzlich zur Organspende bereit erklären würden, das Problem gelöst hätten und daß auch die Frage, ob man Angehörige einbeziehen muß, in den Hintergrund treten würde. Man muß wissen - das ist keine politische Schlußfolgerung, sondern das Ergebnis aller Mediziner und Wissenschaftler -, daß von diesen 900 000 jährlichen Todesfällen tatsächlich nur etwa 5 000 Verstorbene potentiell für eine Organspende in Frage kommen.
Es kommt dabei darauf an, daß die medizinischen Faktoren stimmen, daß das Alter stimmt. Es kommen ohnehin nur Patienten und Verstorbene in Frage, die während einer intensivmedizinischen Behandlung sterben. Nun muß man diese Zahl von 5 000 potentiell Verstorbenen, die jährlich überhaupt nur für eine Organspende in Frage kommen, zu dem Bedarf in der Bundesrepublik Deutschland in Beziehung setzen, der, je nach Organ, bei einigen Tausend, ungefähr 3 000 bis 4 000, im Jahr liegt. Eine enge Zustimmungslösung würde nun voraussetzen, daß praktisch jeder der potentiellen Organspender in der Bundesrepublik Deutschland zu Lebzeiten positiv erklärt, daß er zu dieser Organspende bereit ist. Ich glaube, trotz aller Bereitschaft, Aufklärungs- und Informationskampagnen zu starten: Dies wäre eine unrealistische Annahme. Es nutzt nichts, wenn von den 900 000 Sterbefällen im Jahr 300 000 oder 400 000 Personen ihre Zustimmung erklären, wenn sie wegen der medizinischen Faktoren oder ihres Alters oder wegen der Art des Ablaufs des Sterbeprozesses, nämlich außerhalb einer intensivmedizinischen Behandlung, für eine Organspende und -übertragung überhaupt nicht in Frage kommen.
Deshalb bin ich überzeugt und plädiere dafür, daß wir ohne Einbeziehung der Angehörigen nicht auskommen. Nach meiner Vorstellung sollen die nächsten Angehörigen, die den mutmaßlichen Willen des Verstorbenen ja am besten beurteilen können, im Einzelfall die Entscheidung über eine vom Arzt beabsichtigte Organentnahme treffen können, allerdings - das kann man nicht oft genug betonen - nur dann, wenn der Betroffene selbst zu Lebzeiten keine Erklärung zur Organspende abgegeben hat. Ich möchte auch bei weltweiter Betrachtung darauf hinweisen, daß die Beteiligung der Angehörigen in diesen Fällen immer stattfindet, ganz gleich, für welche Lösung man sich entscheidet. Es ist wichtig, noch einmal darauf hinzuweisen: Auch bei einem eindeutigen Ja eines Verstorbenen zur Organspende werden ohnehin in der Praxis die Angehörigen vor der Entnahme immer einbezogen.
Es gehört schon immer zum ärztlichen Selbstverständnis, den nächsten Angehörigen in Grenzsituationen beizustehen und sie über alle Entscheidungen bei der Behandlung zu informieren, gerade auch bei einer intensivmedizinischen Behandlung.
Deshalb ist es für mich selbstverständlich und ein Gebot der Pietät, die Angehörigen in die Entscheidung über eine Organentnahme einzubeziehen - auch dann, wenn sich der Betroffene zu Lebzeiten erklärt hat. Natürlich können die Angehörigen den Willen des Verstorbenen nicht revidieren. Ich möchte darauf hinweisen, daß bei allen Zweifelsfällen, beispielsweise wenn Kinder in einen Konflikt darüber geraten, ob beim Vater entnommen werden soll oder nicht, eine Organentnahme gesetzlich ausgeschlossen ist.
Ich weiß aus der Praxis, daß diese Einbeziehung von Angehörigen gerade bei einer intensivmedizinischen Behandlung ungeheuer schwer und belastend ist. Man kann überhaupt nicht oft genug darauf hinweisen, daß sich dieser Prozeß für alle Beteiligten in Grenzsituationen des Lebens abspielt: für die Angehörigen, die einen lieben Mitmenschen verloren haben, aber auch für die Ärzte und das Pflegepersonal, die den Kampf um das Leben eines Menschen verloren haben.
Deshalb sollte sich niemand überhöhen und glauben, er könne als Vormund, als Reglementeur auftreten. Aus diesem Grund kommt es so entscheidend darauf an, immer wieder darauf hinzuweisen, daß es auch bei der erweiterten Zustimmungslösung nicht darum gehen kann, daß der Staat bevormundet oder reglementiert. Es darf auch bei der erweiterten Zustimmungslösung allein und entscheidend nur auf den Willen der betroffenen Menschen ankommen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Das bedeutet: Auch für den, der mit dem Thema Probleme hat, der befürchtet - was in der Öffentlichkeit gelegentlich diskutiert wird -, das medizinisch Notwendige würde nicht mehr getan, weil auf Grund eines Transplantationsgesetzes nur noch Interesse an den Organen besteht, muß es möglich sein, sich zu Lebzeiten gegen eine Organentnahme zu entschei-

Bundesminister Horst Seehofer
den; und das muß respektiert werden. Wir sollten auch im Gesetzgebungsverfahren sorgfältig überlegen, wie wir dokumentieren und registrieren können, daß diese Willenserklärung auch im Todesfall zur Verfügung steht.
Für mich ist selbstverständlich, daß vor der Organentnahme mit Sicherheit festgestellt sein muß, daß der Spender tot ist. Der Mensch darf nicht etwa zugunsten eines Empfängers vorzeitig für tot erklärt werden. Es ist in erster Linie Aufgabe der medizinischen Wissenschaft, die Methoden der Todesfeststellung zu definieren. Der Gesetzgeber muß dazu klare, einwandfrei nachweisbare und naturwissenschaftlich begründete Kriterien schaffen, die objektiv nachprüfbar sind.
Die ganz überwältigende Mehrheit der medizinischen Wissenschaft im In- und Ausland sagt: Der Hirntod ist ein sicheres Zeichen und damit ein zuverlässiges Kriterium dafür, daß der Tod eines Menschen eingetreten ist. Die Feststellung des Todes erfordert den Nachweis des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der gesamten Hirnfunktionen. Dieser Nachweis erfolgt bei nur noch künstlich aufrechterhaltener Atmungs- und Kreislauffunktion durch spezielle klinische und apparative Untersuchungen.
Natürlich spricht der äußere Anschein für einen scheinbar noch lebenden Menschen. Deshalb ist es verständlich, daß manche am Todeseintritt zweifeln. Doch dieser Schein trügt; denn mit dem endgültigen, nicht mehr behebbaren Ausfall aller Hirnfunktionen ist die Grundlage und das Wesensmerkmal des Menschen, die körperlich-geistige Einheit, die ihn als Individuum konstituiert, unwiderruflich zerbrochen. Von einigen Medizinern wird dieser Zustand besonders drastisch als „innere Enthauptung" umschrieben.
Ich möchte an dieser Stelle Bischof Lehmann, den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, zitieren, der vor wenigen Wochen zur Frage der Bewertung des Hirntodes folgendes klargestellt hat:
Der Hirntod ist in gewisser Weise auch ein unsichtbarer Tod. Insofern ist ein gewisses Mißtrauen vieler Menschen, den Hirntod zum einzigen Maßstab der Feststellung des Todes zu erklären, verständlich. Es kann jedoch kein Zweifel bestehen, daß der Hirntod zwar nicht einfach gleichzusetzen ist mit dem Tod des Menschen schlechthin, aber er ist auf seine Weise auch Ausdruck und reales Zeichen des Todes der Person. Darum ist der Hirntod eine nach heutigem Wissen akzeptable Festlegung der Todeszeitbestimmung und eine Methode der Todesfeststellung. Nicht mehr und nicht weniger.
Und die Evangelische Kirche in Deutschland führt in einer Stellungnahme vom 22. Juni 1995 aus:
Um die Situation angemessen beschreiben zu können, müssen wir die beiden Kriterien des Todeseintritts („Hirntodkriterium" und „Herztodkriterium") von dem „Tod des Menschen" unterscheiden: Der Hirntod bedingt den Tod des Menschen als erlebendes, denkendes und handelndes Ich (...).
Und weiter:
Ein Hirntoter ist also ein Toter mit noch erhaltenen Körperfunktionen und nicht - wie die Kritiker behaupten - ein Sterbender mit lebendem Körper bei gestorbenem Gehirn.
Beide Stellungnahmen machen deutlich, daß es nicht Aufgabe des Gesetzgebers sein kann, die theologische oder philosophische Dimension des Todes zu beschreiben. Das Gesetz muß vielmehr verläßliche medizinische und naturwissenschaftliche Kriterien zum Nachweis des eingetretenen Todes benennen.
Meine Damen und Herren, es gibt - wie das heute verschiedentlich gesagt worden ist - keine neue Hirntodkonzeption. Die Todesfeststellung auf der Grundlage des nachgewiesenen Hirntodes ist bereits seit vielen Jahren, ja seit mehr als zwei Jahrzehnten weltweit - und auch in Deutschland - eindeutig medizinisch definiert. Wir erfinden also heute mit dem Transplantationsgesetz nicht etwa wegen der Transplantationsmedizin eine neue Todesfeststellung.
Ich weiß, daß sich trotz all dieser Tatsachen manche mit der Anerkennung des Hirntodes als sicheres Todeszeichen schwertun. Jeder von uns hat ein Recht darauf, in dieser schwierigen Frage zu einer persönlichen Entscheidung zu kommen, und ich denke, wir müssen diese Entscheidung auch akzeptieren.
Aber wir müssen auch so ehrlich sein - und diesen Hinweis erlauben Sie mir abschließend -, deutlich zu sagen: Wer den Hirntod nicht als Kriterium für den eingetretenen Tod des Menschen akzeptieren kann, müßte eigentlich zu der Konsequenz kommen, daß Transplantationen grundsätzlich abzulehnen sind. Denn es gibt zwischen Leben und Tod keine „Grauzone", die Spielraum für Interpretationen läßt. Erst der Tod rechtfertigt die Entnahme von Organen, denn auch das verlöschende Leben steht unter der uneingeschränkten und grundgesetzlich verbürgten Unantastbarkeit und Unverfügbarkeit des menschlichen Lebens.

(Beifall der Abg. Anke Fuchs [Köln] [SPD])

Sich auf den Standpunkt zu stellen, der Hirntod bedeute nicht den Tod des Menschen, aber gleichwohl sei, wenn der Betreffende zu Lebzeiten zugestimmt habe, die Entnahme von Organen möglich, ist aus meiner Sicht eine verfassungs- und strafrechtlich höchst bedenkliche Position; denn der Staat darf eine aktive Tötung auch nicht kurz vor dem Todeseintritt oder zum Zwecke der Lebensrettung Dritter hinnehmen.
Es gibt dementsprechend heute schon strafrechtliche Vorschriften, nach denen die Tötung eines Menschen selbst auf dessen ausdrückliches Verlangen oder mit seiner Zustimmung strafbar ist. Von dieser Regelung kann es nach meiner Überzeugung keine Ausnahme geben - auch nicht für die Transplantationsmedizin.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Meine Damen und Herren, wir brauchen Vertrauen. Das ist heute oft gesagt worden. Ich bin si-

Bundesminister Horst Seehofer
cher, daß ein solches Transplantationsgesetz mit einer klaren rechtlichen Grundlage für die Organentnahme zu mehr Rechtssicherheit führt. Dies wiederum schafft mehr Vertrauen in der Bevölkerung. Ich hoffe, daß dieses zunehmende Vertrauen auch wieder zu mehr Bereitschaft zur Organspende in Deutschland führt.
Dieses Vertrauen ist die wichtigste Voraussetzung dafür, daß auch in Zukunft Menschen die berechtigte Hoffnung auf eine lebensrettende und lebenserhaltende Transplantation haben können - wie viele tausend Patienten vor ihnen auch. Es liegt an uns, durch ein gutes Gesetz und durch eine sachorientierte Debatte dieses Ziel zu erreichen.
Erlauben Sie mir eine persönliche Anmerkung, die sich auch an jene Medien richtet, die sich besonders für dieses Thema interessieren. Wir haben uns in allen Vorgesprächen auf folgendes verständigt: Wenn es ein Thema gibt, bei dem es nur nach dem Gewissen der einzelnen Kollegin oder des einzelnen Kollegen gehen kann, dann sollten wir bei der Beratung dieses Gesetzes und dieses Komplexes so manche politischen oder journalistischen Rituale ablegen. Mir gefällt es überhaupt nicht, wenn man auf der einen Seite für die Gewissensfreiheit in diesem Punkt eintritt, auf der anderen Seite dann aber Kommentare oder Schlagzeilen lesen muß: „Dreßler gegen Herta Däubler-Gmelin" oder „Schmidt-Jortzig gegen Seehofer" oder umgekehrt.
Ich finde, wenn man Gewissensfreiheit bejaht, dann muß man es als natürlichen Umstand einstufen, wenn Politiker und Politikerinnen in der Realität tatsächlich eine unterschiedliche Position einnehmen.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1309901800
Das Wort zu einer Kurzintervention erhält der Abgeordnete Dr. Schuster.

Dr. R. Werner Schuster (SPD):
Rede ID: ID1309901900
Herr Minister, was uns trennt, ist die Frage des Hirntodes und, noch viel wichtiger, die Frage der bewußten Zustimmung. Und dies, obwohl ich als Arzt von den Problemen vor Ort weiß und mein eigener Bruder einer Nierentransplantation ein lebenswertes Leben verdankt.
Aber was uns eint, Herr Minister - und das haben Sie dankenswerterweise dargestellt -, ist die Forderung nach mehr freiwilliger Organspende.
Ich habe hier meinen Organspenderausweis mitgebracht. Wäre es nicht ein positives Signal, Herr Minister, wenn aus Anlaß dieser Debatte mindestens jeder zweite Bundestagsabgeordnete so einen Freiwilligenausweis haben würde, wenn wir den Ärzten damit als gutes Beispiel vorangehen und sie bitten, das ebenfalls zu tun, und Sie, Herr Minister, mit den Möglichkeiten Ihres Amtes wirklich dafür sorgen,
eine öffentliche Kampagne zugunsten dieser freiwilligen Spendeform zu organisieren?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich habe den Eindruck, Herr Minister, daß wir vielleicht die potentielle Spendebereitschaft unserer Bevölkerung unterschätzen, wir müssen sie nur seriös genug aufklären und angemessen dafür werben. Und darum würde ich heute bitten.

(Beifall bei der SPD)


Horst Seehofer (CSU):
Rede ID: ID1309902000
Herr Dr. Schuster, ich stimme Ihnen völlig zu. Ich sagte ja auch, daß wir eine Motivations-, Aufklärungs- und Informationskampagne brauchen.
Ich werde beinahe täglich gefragt, für welche Organspende ich mich bereit erkläre, welchen Organspendeausweis ich führe. Ich sage, ich bin ein Organspender. Ich bin auch dafür, daß wir alles dazu beitragen, daß mehr Organe gespendet werden.
Aber ich finde, gerade bei diesem ernsten Thema sollten wir eine Grenze beachten, damit in der Öffentlichkeit nicht der Eindruck entsteht, Politiker würden - das haben Sie nicht getan - dieses Thema zur Selbstdarstellung mißbrauchen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1309902100
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Rudolf Dreßler.

Rudolf Dreßler (SPD):
Rede ID: ID1309902200
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesrepublik Deutschland ist eines der wenigen entwickelten Länder, in denen die Spende, die Entnahme und die Übertragung menschlicher Organe gesetzlich nicht geregelt ist. Das bewirkt Rechtsunsicherheit bei Organspendern wie bei Organempfängern, vor allem aber bei transplantierenden Ärzten. Dies ist ein Zustand, der weder hinnehmbar noch länger verantwortbar ist.
Wir sind es den Bürgerinnen und Bürgern - vor allem aber den Patienten und Ärzten - schuldig, diesen Zustand zu verändern. Der Fortschritt in der Transplantationsmedizin, der die Zahl der operationstechnisch möglichen und ethisch verantwortbaren Transplantationen gewaltig gesteigert hat, legt uns allen die Verpflichtung auf, für Rechtssicherheit zu sorgen, und er legt uns die Verpflichtung auf, die dadurch für kranke Menschen entstandenen Chancen auf Genesung auch wirklich nutzbar zu machen.
Die heute zur Beratung anstehenden Vorlagen weisen aus, daß sich das gesamte Haus trotz unterschiedlicher Auffassungen in einem Teil der Probleme einig ist, dieser Verpflichtung gerecht zu werden. Die gesetzliche Regelung der Organtransplantation ist nicht nur ein Thema, das die freie Gewissensentscheidung eines jeden Mitglieds des Parlaments im Kern berührt, es ist leider auch ein hoch emotionales und damit auch ein emotionalisierbares Thema.
Alle diejenigen von uns, die sich in den letzten Wochen und Monaten mit der Erarbeitung der verschie-

Rudolf Dreßler
denen Vorlagen befaßt haben, können davon nicht nur ein Lied singen, sondern sie können auch bezeugen, daß sie dabei bedauerliche Erfahrungen gemacht haben, Erfahrungen, auf die sie bei ähnlichen Gesetzesprojekten in Zukunft gerne verzichten möchten.
Mein Appell gilt daher allen Mitgliedern des Hauses, sich an der weiteren Emotionalisierung der Bürgerinnen und Bürger zu diesem Thema nicht zu beteiligen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)

Tun wir unsere Pflicht, wägen wir ab, und treffen wir die Entscheidungen, die wir vor unserem Gewissen verantworten können, aber instrumentalisieren wir nicht Angst oder Furcht, um dem einen oder anderen Lösungsweg einen vermeintlichen Platzvorteil in der Diskussion zu verschaffen!
Die gesetzliche Regelung der Organtransplantation darf keinen Boden für parteipolitischen Streit bieten. Die Mehrheit in diesem Hause jedenfalls hat das erkannt und hat sich zu einer gemeinsamen Vorlage entschlossen, die die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Vornahme von Organtransplantationen regeln soll. Das ist begrüßenswert.
Wir haben für diejenigen Teile eines Transplantationsgesetzes, deren Regelung die freie Gewissensentscheidung jedes einzelnen berührt, ein Verfahren gewählt, das eine solche Entscheidung auch möglich macht. Die Frage der Todesfeststellung und des Umfanges, in dem eine Zustimmung zur Organtransplantation rechtsgültig werden soll, werden nicht in der gemeinsamen Vorlage, sondern in Gruppenanträgen geregelt, die frei von den üblichen Fraktionsbindungen erstellt worden sind.
Wir alle werden dafür zu sorgen haben, daß diese Gruppenanträge - und zwar jeder für sich - im Sinne der Antragsteller in den Ausschüssen so zu Ende beraten werden, daß eine Entscheidung über das letztendlich zu verwirklichende Modell erst in der Schlußberatung hier im Plenum des Deutschen Bundestages fällt. Wir sollten uns bewußt sein, daß dieses Verfahren von uns allen Rücksichtnahme, Fingerspitzengefühl und besonderen Respekt vor der jeweils anderen Meinung verlangt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der PDS)

Die gesetzliche Regelung der Transplantation berührt menschliche Urängste. Der Tod ist in unserer Gesellschaft weitgehend tabuisiertes Thema, nach dem Tode als Organspender zu dienen, demzufolge auch. Die Befürchtung vieler Menschen, zu einem Zeitpunkt zur Organspende herangezogen zu werden, zu dem man vielleicht noch nicht tot sein könnte, kommt hinzu.
Wir haben das zu berücksichtigen. Die Angst jedes einzelnen, im Falle einer lebensbedrohlichen Erkrankung die rettende Organspende vielleicht nicht erhalten zu können, beschreibt dann die andere Seite dieses Problembündels. Seien wir uns bewußt, daß uns diese Ängste befangen machen, und stellen wir
das beim Umgang miteinander, wenn es um die gesetzliche Regelung der Organtransplantation geht, in Rechnung! Wir haben nicht nur die Verpflichtung, die Würde des Menschen auch in seinem Tode noch zu wahren, sondern wir haben auch die Verpflichtung, kranken Menschen zu helfen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.)

Meine nächste Bitte ist: Spielen wir diese beiden Verpflichtungen nicht gegeneinander aus, sondern werden wir ihnen beiden gerecht!

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Ruth Fuchs [PDS])

Nur dann werden wir nämlich eine gesetzliche Organtransplantationsregelung zustande bringen, die vor unserem Gewissen Bestand haben kann. Ich bin froh darüber, daß wir uns in so wesentlichen Fragen wie etwa dem Verbot von Organhandel und der Bestrafung von Organhändlern einig sind. Wenn es unser gemeinsames Ziel ist - und das scheint mir unstrittig zu sein -, die Spendenbereitschaft der Bevölkerung nachhaltig anzuheben, dann liegt in diesem Verbot einer der Schlüssel, um dieses Ziel auch zu erreichen.
In einem weiteren wesentlichen Punkt sind wir uns ebenfalls einig: Die ethisch und moralisch unanfechtbare Organtransplantation verlangt verantwortungsbewußte Ärzte. Wer verantwortungsbewußte Ärzte will, muß ihnen auch Verantwortung geben. Der gemeinsame Gesetzentwurf trägt genau diesem Grundsatz Rechnung. Wir schaffen Rechtssicherheit für die organentnehmenden und transplantierenden Ärzten, indem wir die Rahmenbedingungen für ihr Handeln festlegen, ohne ihre spezifisch ärztliche Letztverantwortung, die sie nur nach ihrem Gewissen treffen können, zu beeinträchtigen. Man kann das auch auf den Satz reduzieren, daß die gesetzliche Regelung der Organtransplantation den handelnden Arzt unterstützen muß, aber sich nicht an seine Stelle setzen darf.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Kern der gesetzlichen Regelung in der Organtransplantation sind zweifellos jene Problembereiche, die nicht im fraktionsübergreifenden Gesetzentwurf selbst, sondern in den Gruppenanträgen geregelt sind. Die allgemeine öffentliche wie auch die fachliche Diskussion der letzten Monate hat die verschiedenen Lösungsmöglichkeiten eingehend beleuchtet: Widerspruchslösung, enge Zustimmungslösung, erweiterte Zustimmungslösung, Informationslösung waren dazu die Stichwörter.
Ich will keinen Hehl daraus machen, daß ich seit langem ein entschiedener Anhänger der Widerspruchslösung bin. Ich halte den gebotenen Respekt vor dem Tode des Menschen und die Würde des Sterbenden vereinbar mit dem Gebot zur Hilfe für unheilbare Kranke. Der Staat hat kein Recht, von seinen Bürgern die Einwilligung zur Organspende zu verlangen. Er hat auch kein Recht, sie dazu zu nöti-

Rudolf Dreßler
gen oder durch indirekten Druck mehr oder weniger unfreiwillig zur Organspende zu bewegen. Dies steht außerhalb jeder Diskussion.
Aber für mich selbst steht auch außerhalb jeder Diskussion, daß dem Staat das Recht zukommt, seinen Bürgern aufzuerlegen, sich nach Abwägung aller Einwände und Gründe zu entscheiden und zur Möglichkeit einer Organspende persönlich zu äußern, sei es positiv, sei es negativ. Dies gelingt ethisch und politisch unanfechtbar nur auf dem Wege der Widerspruchslösung.
Ich weiß, daß bei den Mitgliedern des Hauses für diese Lösung eine Mehrheit nicht erreichbar ist. Deshalb habe ich auf einen Vorschlag in dieser Richtung verzichtet, der die Widerspruchslösung zu realisieren versucht, und habe mich statt dessen demjenigen der beiden Lösungsvorschläge angeschlossen, der meinen Vorstellungen am weitestgehenden entgegenkommt, und das ist die erweiterte Zustimmungslösung.
Wir sind uns sicherlich darin einig, daß die Bereitschaft der Bevölkerung zur Organspende in hohem Maße unbefriedigend ist und daß es unser aller Pflicht ist, diese Bereitschaft zu steigern. Allerdings kann dieses Ziel nicht auf dem Gesetzeswege erreicht werden, wie immer ein Gesetz im einzelnen auch aussehen mag. Die Steigerung der Spendenbereitschaft erreicht man nur durch das Bewußtsein von Sicherheit, durch das Bewußtsein von Vertrauen und Offenheit bei den Menschen. Gerade weil es um einen Themenkomplex geht, der menschliche Urängste berührt, brauchen die Menschen ein höchstmögliches Maß an innerer Gewißheit, um sich auch wirklich frei entscheiden zu können. Gesetze - ich wiederhole es - helfen da nicht. Sie können allerdings die Spendenbereitschaft negativ beeinträchtigen, etwa durch überzogene bürokratische Regelungen, etwa durch Regelungen, die zu Mißtrauen Anlaß geben, die Vertrauen, Sicherheit und Offenheit zerstören.
Der Gruppenantrag zur erweiterten Zustimmungslösung berücksichtigt diese Anliegen. Er schafft Vertrauen, und er schafft Rechtssicherheit, indem er den derzeit bestehenden gesetzlich nicht abgesicherten Zustand in der Organtransplantation auf eine vernünftige Rechtsgrundlage stellt und nur in einem einzigen, allerdings entscheidenden Punkt variiert.
Es hat in den vergangenen Monaten eine heftige Diskussion um das sogenannte Hirntodkriterium gegeben. Die Frage, ob ein Mensch tot ist, wenn seine Hirnfunktion unwiderruflich erloschen ist, wenn alles erloschen ist, was ihn als Person und Individuum ausmacht, hat die Medizin für sich bereits beantwortet, denn sie erlaubt in diesem Falle das Abschalten der die Restfunktionen aufrechterhaltenden Reparaturen und Gerätschaften. Nur weil der Hirntod der Tod des Menschen ist, dürfen alle Geräte abgeschaltet werden. Alles andere wäre für eine humane Gesellschaft in jeder Beziehung inakzeptabel.
Die Feststellung, das Erlöschen der Hirnfunktion, also der Hirntod, sei nicht der Tod des Menschen,
sondern lediglich der Beginn des Sterbens, halte ich nicht für tragfähig.

(Beifall des Bundesministers Horst Seehofer)

Wenn es so wäre, hielte ich die Erlaubnis, funktionsstützende Apparaturen in diesen Fällen abschalten zu dürfen, für gegen die Rechtsordnung und gegen die Würde des Menschen gerichtet; ich könnte dies nicht akzeptieren.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die Vertreter der engeren Zustimmungslösung akzeptieren das Hirntodkriterium nicht. Für sie ist der Hirntod der Beginn des Sterbens. Die darauf aufbauende Schlußfolgerung, weil der Mensch noch nicht tot sei, sondern im Sterben liege, sich also in der Endphase seines Lebens befinde, sei nur er selbst, und zwar zu Lebzeiten, befugt, darüber zu entscheiden, ob ihm in diesem Stadium Organe entnommen werden können, halte ich für inakzeptabel. Für mich wäre es undenkbar, in einem Gesetz festgeschrieben zu sehen, daß einem Menschen, selbst wenn es „nur" in der Endphase seines Lebens ist, Organe entnommen werden können, die er zum Leben braucht. Die Zustimmung zu einer solchen Regelung könnte ich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren, selbst dann nicht, wenn der eigentlich Betroffene im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte dieses Verfahren akzeptiert hätte.
Ich kann und werde nicht darauf verzichten, daß für mich eine Erlaubnis zur Organentnahme nur dann gilt oder gegeben werden darf, wenn der Betroffene tot ist. Wäre ich nicht überzeugt davon, daß der Hirntod dem Tod des Menschen gleichkommt, wäre ich lieber bereit, auf die Transplantationsmedizin vollends zu verzichten, als einer Lösung zuzustimmen, die die Organentnahme bei noch Lebenden erlaubt, auch wenn sie sich in einer unwiderruflichen Phase des Sterbens befinden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Ich halte die enge Zustimmungslösung, die die Organentnahme nur bei Zustimmung des Betroffenen erlaubt, sachlich und gesundheitspolitisch für falsch; denn sie erfaßt nicht alle denkbaren Möglichkeiten, in denen eine Antwort auf die Frage nach der Erlaubnis zu einer Organtransplantation erforderlich sein kann.
Das, meine Damen und Herren, ist mein politisches Urteil. Aber mit der Begründung, die engere Zustimmungslösung sei gleichsam die einzig mögliche Regelung, weil die Organentnahme schließlich am noch nicht toten Menschen erfolge, ist dieser Vorschlag für mich ethisch inakzeptabel.
Wir haben mit der erweiterten Zustimmungslösung gegenüber dem bestehenden Recht die Möglichkeit geschaffen, daß der Arzt - wenn keine Willensäußerung des Verstorbenen vorliegt - mit dem Angehörigen, der sich unter dem Druck der Situation nicht entscheiden möchte, eine Frist vereinbaren kann, in der sich dieser entscheidet, ob Organe entnommen

Rudolf Dreßler
werden können oder nicht. Er kann darüber hinaus vereinbaren, daß nach Verstreichen der Frist die Erlaubnis als erteilt gilt, wenn sich der Angehörige nicht geäußert hat.
Diese Regelung ist neu gegenüber dem bestehenden Rechtszustand. Sie ist nicht nur moralisch einwandfrei, sie ist auch menschlich klug, weil sie weder bevormundet noch Rechte beschneidet, sondern in der Konsequenz Menschen hilft.
Erlauben Sie mir zum Abschluß einen Hinweis: Ich habe eingangs die hochemotionalisierte Atmosphäre erwähnt, in der die Entscheidung über die Organtransplantation getroffen werden muß. Vielleicht ist das anders nicht möglich. Aber ich bitte darum, daß man in der Öffentlichkeit, vor allen Dingen in den Medien, akzeptiert, daß hier Männer und Frauen sitzen, die nach ihrem Gewissen entscheiden.
Es ist unangemessen, Hysterie zu säen, wo Sachlichkeit, Rationalität und Verantwortungsbewußtsein erforderlich sind. Es ist unangemessen, die Mitglieder dieses Hauses durch Medienkampagnen, von welcher Seite auch immer, unter Druck zu setzen und sie an dem zu hindern, was ihre verfassungsmäßige Pflicht ist, nämlich sich nach ihrem Gewissen frei zu entscheiden.
Wir sollten uns alle gemeinsam dagegen verwahren, wenn man uns, wie geschehen, in einer aufgeputschten öffentlichen Atmosphäre von seiten unbesonnener Anhänger der Widerspruchslösung als Mörder beschimpft, weil wir nicht für die Widerspruchslösung sind. Und wir sollten uns alle dagegen verwahren, wenn man uns aus Kreisen der Anhänger einer engen Zustimmungslösung als Mörder beschimpft, weil wir für die erweiterte Zustimmungslösung oder für die Widerspruchslösung sind.
Das waren Begleiterscheinungen einer Debatte, die für mich unerträglich sind und die wir alle gemeinsam zurückweisen sollten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS)

Deshalb meine Bitte: Gehen wir weiter fair miteinander um, diskutieren wir die Probleme, gegebenenfalls auch mit Leidenschaft, und kommen wir zu einem guten Vorschlag. Den sind wir der Bevölkerung unseres Landes endlich schuldig.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1309902300
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Gerald Häfner.

Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1309902400
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zwei Vorbemerkungen: Erstens. In der Debatte über dieses Thema gehen die Auffassungsunterschiede quer durch alle Fraktionen dieses Hauses. Das sei auch Ihnen, Herr Thomae, gesagt. Die Feststellung, daß die SPD dankenswerterweise auf Ihrer Seite sei, ist falsch. Es gehört zur Aufrichtigkeit dieser Debatte, daß wir unterschiedliche Auffassungen nicht nur feststellen, sondern uns auch gegenseitig zugestehen.
Die zweite Vorbemerkung: Es gibt im ganzen Hause, soweit ich das wahrnehmen kann, niemanden, der Organtransplantationen ablehnt und dieses vielleicht größte Geschenk, das ein Mensch in seinem Sterben einem anderen Menschen machen kann, ihm die Hilfe zu geben, mit seinen Organen weiterzuleben, in irgendeiner Weise schlechtmachen, dem Menschen ausreden oder verhindern möchte. Im Gegenteil: Ich glaube, uns alle eint das Bemühen, dies zu ermöglichen und - Herr Minister Seehofer, Sie haben es vorhin schon gesagt - Vertrauen zu schaffen, als Grundlage für die Gesetzgebung; mehr noch: Es gehört in den Mittelpunkt unserer Gesetzesarbeit gestellt.
Ich will mich jetzt gar nicht in Einzelheiten zu den Entwürfen verlieren - dazu fehlt mir die Zeit -, sondern ich will die alles entscheidende Frage, die von sehr großem Gewicht für den Gesetzgeber ist, ansprechen. Die Grundfrage für die rechtliche Würdigung ist doch die Frage, ob es sich bei dem sogenannten Hirntoten um einen Lebenden oder Toten handelt.
Die Konsequenzen in menschlicher und auch rechtlicher Hinsicht sind völlig verschiedene. Unbestritten ist, daß der völlige Ausfall von Hirnfunktionen ein mit technischen Mitteln, also mit Hilfe von Geräten, feststellbares Indiz ist. Darin liegt wahrscheinlich seine Faszination, aber auch seine Problematik; denn es ist unbestritten, daß nach dem Hirnversagen noch eine ganze Reihe von Lebensfunktionen andauern und daß der Mensch, den man vor sich hat, gerade im üblichen Sinne kein Zeichen des Todes aufweist, also nicht wie eine Leiche kalt und starr ist, sondern warm, belebt, farbig usw.
Nun gibt es einen intensiven Expertenstreit darüber, wie das zu werten ist. Er geht quer durch die Mediziner, Naturwissenschaftler, aber auch Philosophen und Theologen. Zu behaupten, wie es geschehen ist, der sogenannte Gehirntod sei nach einhelliger Auffassung und unbestreitbar der endgültige Tod des Menschen, ist deshalb falsch. Es gehört auch hier zur Redlichkeit im Umgang miteinander, daß beide Seiten die Größe haben, zuzugestehen: Diese Frage ist umstritten.
Die zentrale Frage ist doch: Darf der Deutsche Bundestag, darf dieses Parlament in Vertretung des Volkes in einer pluralistischen Gesellschaft, in der verschiedene Auffassungen über das Leben und den Tod nebeneinander bestehen und bestehen können müssen, diese Frage definitorisch, abschließend in einem Gesetz in der Weise regeln, wie das in dem Entwurf von Seehofer und anderen vorgesehen ist? Ich meine, er darf dies auf gar keinen Fall. Er muß dies ausschließlich der individuellen Entscheidung der Menschen überlassen.

(Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Das kann er doch nach wie vor!)

Daran knüpft sich die zweite Frage. Wenn es hierüber unterschiedliche Auffassungen gibt: Darf dann

Gerald Häfner
ein anderer, also ein Arzt, ein Angehöriger, ohne Zustimmung des Betroffenen darüber entscheiden, oder gilt die Würde des Menschen, die Unteilbarkeit der Person über diesen Punkt hinaus nicht auch für das Sterben?
Ich meine, es wäre ein unverzeihlicher Fehler, wenn der Deutsche Bundestag sich an dieser Stelle falsch entschiede. Ich möchte deutlich sagen, Herr Minister Seehofer: Dies würde das von Ihnen geforderte und gewünschte Vertrauen gerade nicht schaffen. Es schafft doch kein Vertrauen, wenn der Mensch das Gefühl haben muß, daß im Falle seines Sterbens, also in der Situation, in der etwa seinen Angehörigen mitgeteilt werden muß, daß er einen Unfall erlitten hat, daß der vollständige Ausfall der Gehirnfunktionen vorliegt, die Angehörigen, die erst einmal diese Nachricht verarbeiten müssen, gefragt werden: „Können wir die Organe entnehmen?";

(Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Kann er doch vorher verhindern!)

denn es ist nicht auszuschließen daß anders entschieden wird, als er selber es getan hätte, wenn er zu Lebzeiten seinen Willen geäußert hätte.
Vertrauen können wir nur schaffen, wenn wir deutlich sagen, daß die Würde des Menschen, der Schutz seiner Freiheit und seiner freien Entscheidung auch für den Tag seines Sterbens und seines Todes gilt. Er muß Vertrauen darüber haben können, daß kein anderer über ihn verfügt, es sei denn, er hätte dies selbst gewollt. Es geht uns also gerade nicht darum, hier irgend etwas von außen entscheiden zu wollen, irgendeine bestimmte Auffassung fundamentalistisch an die Stelle anderer zu setzen, sondern es geht darum, den Gesichtspunkt der Selbstbestimmung, der hier der einzige sein muß, in den Mittelpunkt zu stellen. Wenn ein Mensch ein Testament machen will, würden wir auch niemals auf die Idee kommen, zu sagen: Das sollen ruhig andere für ihn machen. Die Frage ist also, ob der Verbleib des Sparkontos oder der Barockkommode von größerer Bedeutung ist als die Frage, was mit dem eigenen Herzen geschieht. Ich glaube, daß dies nur der Mensch selbst entscheiden kann.
Ich möchte noch etwas sagen: Das Bild vom Tod und der Umgang mit diesem ist in unserer Gesellschaft sehr verschieden. Es mag Menschen geben, die glauben, daß das wie An- und Abschalten ist: Der Schalter ist im Gehirn, und wenn das nicht mehr funktioniert, ist der Mensch tot. Ich sehe das anders - viele Menschen sehen das anders -, ich erlebe das auch anders. Ich bin zum Beispiel der Auffassung, daß es richtig ist - ich betreibe es auch selbst so -, daß man im Falle des Todes Totenwache hält. Mein Erlebnis ist, daß der Tote nicht von einem Moment auf den anderen nicht mehr da ist. Mein Erlebnis ist, daß das ein sehr allmählicher Prozeß ist, der verschiedene Stufen durchläuft. Ich möchte auch diesen Bereich keiner gesetzgeberischen Definition unterlegen, ich möchte auch in diesem Bereich die absolute Selbstbestimmung des einzelnen, also das, was im Grundgesetz geschützt ist. Dies betrifft nicht nur Art. 1 und 2 des Grundgesetzes, die Würde des Menschen, die Unteilbarkeit seiner Person und den
Schutz der körperlichen Unversehrtheit, sondern auch den Schutz und den Respekt vor unterschiedlichen Weltanschauungen im Umgang mit dem Tod. Ich bitte Sie, dies bei der Gesetzgebung zu beachten.
Dies ist der Grund, warum wir uns entschlossen haben, nicht einfach gegen Entnahme und Übertragung von menschlichen Organen aufzutreten, einen Antrag dagegen einzubringen, der lediglich einige zentrale Fragen berührt, sondern warum wir mit ungeheurer Mühe in monatelanger Arbeit unter Hinzuziehung vieler Experten einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt haben. Mit ihm wird versucht, aus dem Geist der individuellen Selbstbestimmung heraus und ohne Verfügung durch andere diese Fragen zu regeln, und zwar konsequent in allen Einzelheiten.
Ich bitte Sie um gründliche Beratung dieses Entwurfs. Ich bitte Sie, zu bedenken, ob dies nicht auch im Sinne des für viele im Vordergrund stehenden Zieles, nämlich Menschen zum Spenden von Organen zu animieren, die weitaus bessere Lösung wäre. Ich jedenfalls bin dieser Auffassung.
Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1309902500
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Edzard Schmidt-Jortzig.

Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (FDP):
Rede ID: ID1309902600
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich spreche in der Tat nicht als Minister, sondern als Mitglied dieses Hauses. Es geht nicht darum, irgendeine Gremien- oder Kollegialmeinung zu verkünden, sondern jeder von uns muß sich in diesen Fragen ganz höchstpersönlich selbst entscheiden. Ich spreche also als Abgeordneter.
Eine Debatte jenseits von Fraktionszwängen, wie wir sie hier führen, in der wir offen diskutieren, ist nach meiner Überzeugung nicht nur das einzige, was der Bedeutung des Themas angemessen ist, sondern auch geeignet, das Ansehen des Parlaments zu stärken.
Uns liegen drei Gesetzentwürfe und zwei Gruppenanträge vor. Ausgangspunkt unserer weiteren Debatte wird der Entwurf der Fraktionen der CDU/ CSU, SPD und F.D.P. für das Transplantationsgesetz sein, der den alten Regierungsentwurf eines Gesetzes über den Organhandel vollständig in sich aufnimmt.
Der jetzige Fraktionsentwurf ist ein sogenanntes Omnibus-, Container-, Mantel- oder Rahmengesetz, welches die weitgehend unstreitigen Regelungen zusammenfaßt. Nur darauf, Herr Kollege Häfner, bezog sich die Bemerkung von Dieter Thomae, daß es wünschenswert gewesen wäre, wenn auch Sie sich an diesem Container-, diesem Mantelgesetz mit den unstreitigen Regelungen beteiligt hätten.
Die zwei entscheidenden Punkte, nämlich die Frage des Todeszeitpunktes und die Frage, welche

Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Art der Willensäußerung Voraussetzung für eine Organentnahme ist, sind in dem Fraktionsentwurf, welcher den „Container" bildet, bewußt ausgespart. Dazu finden sich in den beiden Gruppenanträgen alternative Antworten auf die schwierigen rechtlichen und ethischen Probleme im Zusammenhang mit der Organtransplantation selbst.
Ich will als erstes auf einen Punkt hinweisen, den man sicher nicht oft genug und deutlich genug unterstreichen kann. Die mit diesem Fraktionsentwurf geplante umfassende gesetzliche Regelung der Spende, Entnahme und Übertragung von Organen ist notwendig. Nur eine klare bundesgesetzliche Regelung, wie sie die Koalitionsvereinbarung im übrigen für die 13. Legislaturperiode vorsieht, kann bestehende Rechtsunsicherheiten ausräumen.
Zum einen ist eine Regelung erforderlich, weil die Entnahme von Organen aus einem menschlichen Körper - egal, wie man den Todeszeitpunkt definiert - sicher einen Grundrechtseingriff darstellt. Auch müssen sich gerade bei der Entnahme lebenswichtiger Organe die handelnden Ärzte darauf verlassen können, daß ihnen der strafrechtliche Vorwurf einer Tötung erspart bleibt. Ebenso wichtig ist es für potentielle Spender von Organen, daß ihre Entscheidung über eine Spende einen verläßlichen rechtlichen Rahmen der Umstände vorfindet.
Ein solcher Rahmen, verbunden mit einer umfassenden Aufklärung der Bevölkerung über die Spende, Entnahme, Vermittlung und Übertragung von Organen, wird dazu beitragen, daß sich möglichst viele Bürgerinnen und Bürger zu Lebzeiten für eine Organspende entscheiden. Jedenfalls ist das die Hoffnung, die ich damit verbinde. Wir haben schon verschiedentlich die Aufrufe aus unserem Kreis gehört, sich an dieser Vertrauensbildung in die Öffentlichkeit hinein zu beteiligen.

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und des Abg. Wolfgang Zöller [CDU/CSU])

Schließlich ist es wichtig, eine Rechtsgrundlage für die Verteilung der durch Spende gewonnenen Organe zu schaffen. Das Gleichbehandlungsgebot im Grundgesetz gebietet, daß nach festgelegten sachgerechten Kriterien entschieden wird, welcher Patient ein Organ erhält. Deshalb sind insgesamt in der Tat klare rechtliche Vorgaben für die Entscheidungsoptionen, das Äußerungsverfahren und die ärztliche Umsetzung nötig. Ein bewußtes Nichtregeln des Problemkomplexes, weil sich die Fragen menschlicher Normierungsanstrengung entziehen, darf es nicht mehr geben.

(Beifall bei der F.D.P.)

Meine Damen und Herren, die erste Frage, die inhaltlich beantwortet werden muß, ist die Frage nach dem Ende des menschlichen Lebens bzw. nach dem Zeitpunkt, ab dem von uns rechtlich, aber vor allen Dingen auch ethisch eine Organentnahme zugelassen werden kann.
Für den Zeitpunkt, an dem menschliches Leben endet, gibt es zwei Ansatzpunkte, nämlich den sogenannten Herztod, also den endgültigen, nicht behebbaren Stillstand von Herz und Kreislauf, und den sogenannten Hirntod, also den endgültigen, nicht behebbaren Ausfall der gesamten Hirnfunktion.
Einig sind sich die Antragsteller beider Gruppenanträge darin, daß mit dem Herztod menschliches Leben endet. Endet menschliches Leben aber auch schon mit dem endgültigen, nicht behebbaren Ausfall der gesamten Hirnfunktion?
Für diesen Ansatz spricht, daß mit dem irreversiblen Hirnversagen geistige Steuerungsfähigkeit als Ausdruck des Menschseins unmöglich wird, die verbleibende Hülle also ihre Beseeltheit verliert. Macht das aber den für die Organentnahme entscheidenden Aspekt aus? Ich zweifle daran.
Ich will diese Zweifel in einige Fragen kleiden: Kann man über einen menschlichen Körper, dessen Herz noch schlägt, wie über einen leblosen Leichnam verfügen? Ist er, dieser noch lebende, noch funktionierende, noch vegetativ reagierende Körper, - um es in zivilrechtlichen Kategorien zu sagen -, bloße Sache? Oder spielt eben nicht doch noch anderes für die ethische, aber auch - ganz hart - strafrechtliche Beurteilung eine Rolle? Ich meine, einige Beobachtungen geben in diesem Zusammenhang zu denken.
Der menschliche Körper, dessen Hirnfunktion irreversibel ausgefallen ist, dessen Herz aber noch schlägt, reagiert noch, wenn auch nur auf der Ebene des vegetativen Nervensystems. Es gibt eindringliche und sehr bewegende Schilderungen von Menschen, die bei Angehörigen erlebt haben, daß der hirntote Menschenkörper noch reagiert hat. Die Reaktionen sind so ausgeprägt, daß die Ärzte Organentnahmen in der Regel unter Narkose ausführen.
Auch die Parallele zu Menschen im Koma gibt zu denken. Ich erinnere zum Beispiel an den jüngst berichteten Fall - er ist groß durch die Presse gegangen - einer Amerikanerin, die in ihrer jahrelangen Bewußtlosigkeit sogar schwanger wurde und das Kind austrägt. Ich erinnere an den ebenfalls ganz aktuellen Fall einer von der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit betroffenen Engländerin, die im Koma ein körperlich gesundes Baby entbunden hat, bevor sie starb. Natürlich erinnern wir uns auch noch an die Mutter des sogenannten Erlanger Babys, die in der Tat hirntot war. Machen also nicht doch andere Dinge als die bloßen Hirnfunktionen den Menschen aus, sind zumindest Faktoren seines Lebens?
Aus meiner Sicht spricht nach alledem manches dafür, die Phase zwischen dem irreversiblen Ausfall der Hirnfunktion und dem Herztod eher als einen Zustand des Übergangs in den Tod, nämlich als „verlöschendes Leben", als ein „Noch-Funktionieren" des menschlichen Körpers einzustufen.
Aus rechtlicher Sicht muß sich, wie ich glaube, an der möglichen Zulässigkeit der Organentnahme auch dann nicht zwingend etwas ändern.
Wenn man den irreversiblen Ausfall der Hirnfunktion nicht als definitiven Todeszeitpunkt akzeptieren will und die Phase bis zum Herztod als verlöschendes Leben betrachten würde, wäre die Entnahme von

Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Organen zwar sicher ein Eingriff in grundrechtliche Schutzgüter, aber noch nicht zwingend und in jedem Fall eine strafbare Tötungshandlung, selbst wenn nun durch Entnahme eines funktionswichtigen Organs zwangsläufig der Herztod eintritt.
Drei Überlegungen drängen sich, glaube ich, bei meiner These, daß es nicht zwingend eine strafbare Tötungshandlung sein muß, auf:
Zum einen könnte man daran denken - in den Debattenbeiträgen sind schon viele Überlegungen in dieser Richtung angeklungen -, eine Güterabwägung zwischen dem verlöschenden Leben und dem vollwirksamen Leben vorzunehmen, das durch eine Organtransplantation gerettet wird. Dann dürfte der Gesetzgeber wohl zu dem Ergebnis kommen, eine Entnahme von Organen auch bei verlöschendem Leben rechtlich mit dem vorliegenden Gesetzesvorhaben zuzulassen. Ich will nicht verschweigen, daß mir persönlich eine solche Abwägung heikel erscheint; aber möglich könnte sie sein.
Zum anderen könnte man auf das Argument aus dem Wodarg-Antrag setzen, daß nämlich nur wegen der Organentnahme die lebenserhaltenden Apparaturen überhaupt eingeschaltet wurden oder länger in Betrieb bleiben. Man disponiert also nur noch über ein künstliches, technisches Weiterfunktionieren.
Zum dritten schließlich müßte ein solches Beenden der menschlichen Körperfunktionen nicht von vornherein rechtfertigungsunfähig sein. Denn insofern jedenfalls bestehen entscheidende Dimensions-, Substanz- und Ethikunterschiede zum menschlichen - ich will es einmal so nennen - „Volleben", das heißt zur geistig gesteuerten oder jedenfalls noch steuerbaren Existenz.
Insgesamt müßte der Gesetzgeber also Handlungserlaubnisse geben können. Ich sage klar, daß nach meiner Auffassung beide Alternativen, beide Gruppenanträge insoweit verfassungskonform sind.
Meine Damen und Herren, die andere Frage, die der Rahmenentwurf - Mantel-, Container-, Omnibusentwurf - ausspart, ist, welche Anforderung der Gesetzgeber an die der Organentnahme zustimmende Willensäußerung stellen soll.
Auch hier sind sich die beiden Gruppenanträge insoweit einig, als dem Menschen zu Lebzeiten die Möglichkeit eingeräumt werden muß, sich endgültig für oder gegen eine Entnahme von Organen nach irreversiblem Ausfall seiner Hirnfunktionen zu entscheiden oder diese Entscheidung auf seine Angehörigen zu übertragen. Auch dann ist ja eine eigene Willensäußerung die entscheidende Causa gewesen.
Umstritten ist, ob eine Organentnahme zulässig sein soll, wenn keine Verfügung zu Lebzeiten getroffen wurde. Die erweiterte Zustimmungslösung überträgt in diesem Fall die Verantwortung für die Entscheidung über die Organentnahme auf die Angehörigen, die über das verlöschende Leben eine Verfügung treffen müßten. Die engere Zustimmungslösung verneint dies im Regelfall. Bei beiden Anträgen gibt es natürlich noch Modifikationen.
Hier muß sich jeder von uns Abgeordneten nach seinen ureigenen Maßstäben entscheiden. Aber ich sage auch unmißverständlich: Beide Alternativen sind meines Erachtens klar verfassungskonform.
Ich persönlich stehe dabei - das will ich nicht verschweigen - einem Eingriff in das verlöschende Leben ohne Einverständnis des Sterbenden eher skeptisch gegenüber. Über das selbst nur noch vegetative Funktionieren des menschlichen Körpers kann meines Erachtens nur von seinem ehemals beherrschenden Willen verfügt werden. Aber, wie gesagt, das kann man sicherlich auch anders sehen.
Lassen Sie uns jedenfalls über alle diese schwierigen Fragen in den anstehenden Ausschußberatungen noch vertieft und ernsthaft nachdenken.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1309902700
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Christina Schenk.

Christina Schenk (PDS):
Rede ID: ID1309902800
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Meine Kollegin Frau Dr. Ruth Fuchs hat schon darauf hingewiesen, daß es in der PDS-Bundestagsgruppe zu der Frage der Organspende unterschiedliche Auffassungen gibt. Ich spreche hier für den Teil der Bundestagsgruppe, der dem Hirntod-Konzept außerordentlich skeptisch gegenübersteht und deshalb eine enge Zustimmungsregelung befürwortet. Dafür möchte ich hier die Gründe erläutern.
Für die gesetzliche Regelung der Organtransplantation ist es von entscheidender Bedeutung, ob man einen hirntoten Menschen für einen Toten oder für einen Sterbenden hält. Der Tod ist mit dem Erlöschen der Personenrechte verbunden; Sterbende hingegen haben ein unveräußerliches Recht auf Respektierung ihrer Würde und ihrer körperlichen Integrität.
Im Unterschied zum althergebrachten Verständnis und Erleben von Tod als Ausfall der drei grundlegenden Lebensfunktionen - Kreislauf, Atmung und zerebrale Steuerung - ist der Hirntod keine eindeutige Zustandsbeschreibung für einen Menschen. Der Hirntod ist lediglich eine medizintechnische Übereinkunft, die bei Erfülltsein bestimmter Kriterien die Entnahme von Organen für ethisch zulässig erklärt und zugleich garantiert, daß die Organe noch in einem für die Transplantation erforderlichen Zustand sind. Das heißt, die Transplantationsmedizin hat einen Paradigmenwechsel im Verständnis des Todes zur Voraussetzung. Dessen sollten wir uns hier bewußt sein.
Es sprechen aus meiner Sicht eine Reihe von Fakten dafür, daß der Hirntod nicht mit dem Tod des Menschen gleichgesetzt werden darf.
Erstens. Es gibt in der Medizin grundsätzlich keine hundertprozentige Diagnosesicherheit. Das gilt auch für die Diagnose Hirntod. Der Hirntod ist in dem Zeitraum, der für die Organentnahme relevant ist, mit

Christina Schenk
hoher Sicherheit, nicht jedoch zweifelsfrei feststellbar.
Zweitens. In dieser für die Transplantation relevanten Zeitspanne ist auch die Irreversibilität des Hirnversagens nicht mit absoluter Sicherheit diagnostizierbar. Es hat - das ist von Experten berichtet worden - bereits Fehldiagnosen gegeben. Der Hirntod markiert lediglich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit den Punkt, von dem aus eine Rückkehr in den Wachzustand nicht mehr möglich ist.

(Vorsitz : Vizepräsident Hans-Ulrich Klose)

Drittens. Bei der Organentnahme kommt es zu einem Blutdruckanstieg und sogar zu Bewegungen des als hirntot definierten Menschen. Deshalb erfolgt die Organentnahme stets unter Narkose. Es kann daher nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, daß der Spender oder die Spenderin die Organentnahme nicht doch in irgendeiner Weise wahrnimmt. Aus der Tatsache, daß ein Reiz nicht beantwortet wird, wie es in den Kriterien für die Feststellung des Hirntods vorgesehen ist, kann nicht geschlossen werden, daß dieser Reiz nicht wahrgenommen wird. Die Annahme, ein hirntoter Mensch würde nichts mehr empfinden, kann sich als furchtbarer Irrtum erweisen.
Viertens. Der Hirntod, so wie er bisher definiert worden ist, ist nicht mit Notwendigkeit der Tod des gesamten Gehirns. Die Bezeichnung „Hirntod" ist insofern ein irreführender Begriff. - Man hat versucht, dem Rechnung zu tragen, indem man den Begriff des Teilhirntods an seine Stelle gesetzt hat. - Es sind bei sogenannten Hirntoten Organ- und Zeltfunktionen nachgewiesen worden, selbst Hirnströme, Hormonausschüttungen, Glukosestoffwechsel und anderes. Es hat Schwangerschaften bei hirntoten Frauen gegeben.
Bei etwa 30 bis 70 Prozent der Hirntoten kommt es sogar zu motorischen Leistungen. In der Regel werden diese als bedeutungslose Reflexe oder Automatismen bagatellisiert, die lediglich im Rückenmark ihren Ursprung hätten. Das mag sein; aber es ist auch da wieder nicht sicher, daß in der Zeitspanne, die für die Organentnahme wichtig bzw. interessant ist, diese Reflexe oder Vorkommnisse im Rückenmark nicht doch vom Organspender wahrgenommen werden können. Das heißt, Teile des Gehirns können noch aktiv sein, obwohl nach den vereinbarten Kriterien der Hirntod bereits eingetreten ist.
Für mich ergibt sich daraus die Schlußfolgerung, daß der Hirntod nicht mit dem Tod des Menschen gleichgesetzt werden darf. Ein hirntoter Mensch stirbt; aber er ist nicht tot. Daraus folgt zwingend, daß eine Organentnahme nur mit Einwilligung des oder der Betreffenden vorgenommen werden darf. Der Schutz der Persönlichkeit und das Recht auf Selbstbestimmung sind unantastbar. Ich bin sehr froh darüber, daß eine Widerspruchsregelung in keiner der hier zu beratenden Vorlagen in Erwägung gezogen wird.
Gegen eine erweiterte Zustimmungsregelung sprechen aus meiner Sicht zwei Gründe.
Erstens. Das Persönlichkeitsrecht Sterbender ist unverletzlich. Es kann daher den Angehörigen nicht zustehen, die Zustimmung zur Organentnahme zu erteilen, wenn der oder die Betreffende eine diesbezügliche Entscheidung nicht selbst getroffen hat. Der Wille des oder der Sterbenden ist nicht durch Mutmaßungen oder durch eine Erklärung der Angehörigen ersetzbar.
Zweitens. Für die Angehörigen ist die Situation, in der die Frage nach einer Organspende gestellt wird, außerordentlich belastend.

(Beifall der Abg. Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die Hirntoddefinition ist abstrakt. Sie ist im Gegensatz zum Tod als Verlöschen sämtlicher Lebensfunktionen sinnlich nicht nachvollziehbar. Ein hirntoter Mensch, dessen Atmung und Kreislauf zum Zweck der Organentnahme technisch aufrechterhalten werden, ist warm, hat durchblutete Haut, transpiriert, bewegt sich. In einer solchen Situation die Angehörigen mit dem Hinweis auf die mögliche Lebensrettung anderer moralischem Druck auszusetzen und ihnen die Frage zu stellen, ob sie einer Organentnahme zustimmen, ist aus meiner Sicht absolut unzumutbar. Die Angehörigen haben in dieser Situation überhaupt keine Chance, sich ausreichend mit der Frage nach der Zustimmung zur Organentnahme und der Tragweite ihrer Antwort auseinanderzusetzen, es sei denn, sie haben sich vorher schon damit beschäftigt.
Deshalb entspricht der Gesetzentwurf der Bündnisgrünen in der Frage der Organtransplantation voll und ganz meiner Auffassung. Ich werde mich dafür einsetzen, daß er auch aus der Bundestagsgruppe der PDS Zustimmung erfährt.
Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1309902900
Das Wort hat Frau Professor Süssmuth, CDU/CSU.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1309903000
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei der Vorbereitung der heutigen ersten Lesung haben sich viele von uns intensiv mit der Frage von Transplantationen befaßt. Ich möchte an den Anfang den Dank an diejenigen stellen, die für die Vorbereitung verantwortlich waren. Mein Dank gilt in diesem Fall ganz besonders dem Minister und den Kolleginnen und Kollegen aus dem Ausschuß. Ich habe allein dreimal die Möglichkeit gehabt, intensive Gespräche zu führen. Ich sage das auch hier im Plenum, um deutlich zu machen: Es ist ein überaus schwieriger Entscheidungsprozeß.
Herr Dr. Wodarg, ich möchte gern die Transplantationsmediziner mit einbeziehen. Wir haben hier heute morgen gesagt: Es ist für alle Beteiligten ein schwieriger und von großer Verantwortung geprägter Entscheidungsprozeß. Daher ist unser Motiv, Leben zu retten und die Würde des Menschen zu schilt-

Dr. Rita Süssmuth
zen, auch den anderen zunächst einmal zu unterstellen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS)

Ich möchte die Transplantationsmediziner in den bereits ausgesprochenen Dank mit einbeziehen.
Ich bin der Auffassung, wir brauchen dringend eine gesetzliche Regelung. Schon aus meiner Zeit als Gesundheitsministerin kann ich all das bestätigen, was sich in den letzten Jahren eher verschärft hat. Wir müssen in einem Gesetz die notwendige Rechtssicherheit bei der Entnahme von Organen schaffen. Das muß mit dem verbunden werden, was hier bereits gesagt worden ist: Niemand hat einen Anspruch, und kein Mensch kann gezwungen werden, sich dazu zu verpflichten, daß ihm Organe entnommen werden können.
Aber lassen Sie mich heute morgen sagen: Wenn diese Fragen von Leben und Tod die existentiellsten der Menschen sind, dann kann ich nur mit einem Stück Traurigkeit feststellen, wie wenig das in unserer Gesellschaft, in Erziehung und Auseinandersetzung eine Rolle spielt.

(Beifall im ganzen Hause)

Wir erleben in der Intensivmedizin, daß bei Unfallpatienten die Familienangehörigen abrupt mit der erwähnten Situation konfrontiert werden und mit der dann getroffenen Entscheidung ein Leben lang nicht fertig werden. Wieviel Vorbereitung und Begleitung spielt denn hier eine Rolle, auch solange es Ländersache war? Was ist denn geschehen, um diese zentralsten Bereiche immaterieller Entscheidungen im Menschen ein Leben lang vorzubereiten und zu begleiten? Das gilt auch für die jungen Menschen. Der Tod ist nicht nur eine Frage für den alternden Menschen. Deswegen ist diese Auseinandersetzung unverzichtbar.
Jetzt möchte ich noch einmal auf den Punkt hinweisen, der für mich, aber auch für andere Kollegen Anlaß war, immer wieder das Gespräch mit Experten sowohl im medizinischen und ethischen als auch im juristischen Bereich zu suchen. Es ging nicht darum, den Hirntod zu bestreiten, sondern es ging um die Frage: Und was ist danach? Was ist mit der Diskrepanz zwischen meßbarer und feststellbarer Hirntodermittlung und lebensweltlicher Erfahrung? Dann beginnt die Schwierigkeit mit dem, was dann noch Leben ist. Es wird als Leben erfahren. Da war die eine Frage: Brauchen wir im Gesetz eine Legaldefinition des Todes - darum hat sich der Minister sehr gekümmert -, oder ist sie nicht verzichtbar? Ich möchte dies noch einmal ausdrücklich betonen: Diejenigen, die so fragen, stehen nicht vor der Alternative der Tötung auf Verlangen. Das kann keine Lösung sein.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das möchte ich ausdrücklich sagen, und das möchte ich auch den Alternativen nicht unterstellen.
Aber die Diskrepanz ist nicht aufgehoben zwischen dem, was Menschen sinnlich erfahren, und
dem, was ihnen gleichzeitig gesagt wird: Es ist ein Leichnam, er ist verstorben. Das Erleben ist gerichtet auf einen Sterbeprozeß.
Das, was Sie, Herr Kollege Schmidt-Jortzig, eben gesagt haben, ist das Prozeßhafteste, was wir erleben. Sind wir in der Lage, das zweifelsfrei zu definieren? Deswegen möchte ich im Blick auf die anstehenden Beratungen eine Bitte äußern. Ich habe den gemeinsamen Gesetzentwurf gelesen. Dort steht eindeutig: der Verstorbene. Es soll jeglicher Zweifel ausgeklammert werden. Ich befürchte, wir schaffen nicht mehr Vertrauen, wenn wir nicht auch diese Diskrepanz nicht nur als noch ein Restzucken darstellen, was mit dem Leben nichts mehr zu tun hat. Wer von uns ist eigentlich in dieser Hinsicht so sicher, daß er das weiß? Ich kenne die Bedenken gegenüber dem, was mir sehr naheliegt: Es ist ein irreversibler Sterbeprozeß. Es wird gesagt: Die Grenze zwischen Leben und Tod ist nicht eindeutig gesetzt.
Wenn wir mit den Mitteln der modernen Medizin zu neuen Verfahren kommen, dann hat das auch Auswirkungen auf unsere menschliche Sprache. Wir kommen meines Erachtens mit dem Phänomen gar nicht zu Rande, daß wir das, was sich dort lebensweltlich erfahrbar abzeichnet, auch bereits in Sprache kleiden können. Also bleiben wir dabei: Entweder es ist Leben oder es ist definitiv Tod, und dann tut sich nichts mehr. Deswegen ist für uns auch die Frage zu stellen sowohl in bezug auf die Angehörigen wie auf den Hirntoten: Wie gehen wir mit diesen Prozessen um, insbesondere im Rahmen der Sterbekultur? Auch da findet ein Stück Paradigmenwechsel statt.
Ich denke, gerade das gehört ganz entscheidend zur Aufklärung. Mir ist es ein wichtiges Anliegen, daß wir Menschen sehr früh darauf vorbereiten, daß sie sich entscheiden, Leben zu retten, und diese Entscheidung auch für sich treffen.
Dennoch stimme ich nicht für eine enge, sondern für eine erweiterte Zustimmungslösung, und dies aus der Begründung heraus, daß ich uns Menschen nicht nur als vereinzelte Individuen ohne Sozialverbund verstehe und daß gerade die Beantwortung der Frage nach dem eigenen Wollen viel selbstverständlicher vor allem in den engsten Lebenskreis hineingehört. Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein Angehöriger, der nie durch dieses Thema berührt wurde - das gibt es heute zuhauf -, über den Willen seines Partners sprechen kann, wenn dies vorher nicht erkundet worden ist. Die Bedeutung dieser Fragestellung muß also Teil der Aufklärung sein. Der Sozialverbundsgedanke legt nahe, daß dies Inhalt von Gesprächen eng verbundener Menschen ist. Wenn sie über Leben und Tod nicht sprechen, dann frage ich mich, was das dann eigentlich für ein enger Verbund ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich bin allerdings bezüglich der Widerspruchslösung aus folgendem Grund nicht nur skeptisch, sondern würde ihr auch nicht zustimmen: weil damit in erster Linie Angst vor erheblicher Mißbrauchsöffnung verbunden wäre. Deswegen besteht mein Nein

Dr. Rita Süssmuth
hierzu. Die Widerspruchslösung kann ethisch durchaus begründbar sein. In dieser Hinsicht möchte ich dem Kollegen Dreßler zustimmend antworten.
Mein Wunsch ist, daß wir in dieser Frage die Würde des Menschen bis in den letzten Augenblick erhalten. Es erfordert noch große Anstrengungen, die gesamte Frage des Sterbeprozesses von früher Kindheit und Jugend an wieder in das Leben zu integrieren und nicht zu tabuisieren und auszugrenzen. Wir sollten ferner dafür Sorge tragen, daß wir den Gedanken der Lebensrettung durch unsere eigene Entscheidung - mit unserem persönlichen Ja dazu, daß Organe, wenn sie denn brauchbar sind, transplantiert werden - frühzeitig in dem Entscheidungsprozeß einbringen. Ich halte es für unverzichtbar, daß wir bei aller Sicherheit, die wir erreichen wollen, nicht den Anspruch erheben, per Gesetzgeber nach wie vor bestehende Zweifel eliminieren zu können. Auch der Zweifel ist ein Teil, der verbleibt; denn das Gesetz beinhaltet die Formulierung „der jetzige Stand der Wissenschaft" .
Deswegen würde ich es als einen Verlust an Menschlichkeit und humaner Vernunft empfinden, wenn wir uns anmaßten, etwas zu definieren und festzulegen, owohl Zweifel und auch Offenheit gegeben sind. Wir können nur so viel Sicherheit ermöglichen, wie sie menschlicher Erkenntnis zugänglich ist.
Danke.

(Beifall im ganzen Hause)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1309903100
Das Wort hat die Kollegin Däubler-Gmelin, SPD-Fraktion.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD):
Rede ID: ID1309903200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Tat bringt die Beratung und dann die Verabschiedung des Gesetzentwurfes über die Transplantation so viele Probleme mit sich, daß es gut ist, daß wir hier gemeinsam im Bundestag ein Verfahren gefunden haben, in dem wir die hauptsächlichen streitigen Fragen sehr offen - vielleicht auch kontrovers - und in allem Ernst, aber möglicherweise nicht nach parteipolitischen Grenzziehungen miteinander besprechen und entscheiden können.
Bei diesen Fragen, die wir hier besprechen und zu entscheiden haben, geht es ja um nicht weniger, aber auch nicht um mehr, als folgende Ziele miteinander zu verbinden.
Erstens. Wir brauchen Rechtsklarheit, übrigens für alle: für die Mediziner, die helfen wollen, für die Bürgerinnen und Bürger, die wissen müssen, was sie erwartet und was man ihnen zumutet. Ich persönlich zum Beispiel werbe für Organspenden. Aber wir benötigen auch in dieser Beziehung Klarheit. Wir brauchen Klarheit natürlich auch in bezug auf die Frage: Wie gehen wir denn eigentlich mit dem Leben in seiner letzten Phase, unmittelbar vor dem Tod, um? Das ist das eine.
Wir brauchen zum zweiten auch eine Erhöhung der Bereitschaft zur Spende von Organen. Das heißt,
es muß eine Regelung gefunden werden, für die wir dann auch werben können, für die wir dann Vertrauen erwarten und erhalten können. Deswegen ist nicht nur das Verfahren von hohem Interesse; vielmehr muß das Ganze auch inhaltlich stimmen. Was wir hier rechtlich beschließen, muß mit der Lebenswirklichkeit der Menschen und mit ihrem Wertebewußtsein und Wertegefühl übereinstimmen.
Zum dritten - ich darf das noch einmal wiederholen - sind wir gerade in einem Zeitalter, in dem die Entwicklung der Apparatemedizin ganz erstaunliche Fortschritte macht - eine Entwicklung, bei der es noch nicht sicher ist, ob sie für den Menschen nur Fortschritte bringt -, gehalten, die grundlegenden Werte unseres Grundgesetzes in allen Phasen menschlichen Lebens zur Geltung zu bringen. Deswegen darf ich nochmals betonen: Die Würde des Menschen, die Achtung und der Schutz des Lebens sind keine Aspekte, die uns nur dann zu interessieren brauchen, wenn es den „medizinischen Fortschritt" nicht stört. Vielmehr handelt es sich dabei um feste Werte, nach denen sich die Anwendung dessen zu richten hat, was heute medizinisch möglich ist.
Wenn wir diese drei Punkte betrachten, dann wissen wir auch, daß sehr viele Menschen von dem außerordentlich bewegt und betroffen sind, was wir im Zusammenhang mit dem Transplantationsgesetz diskutieren. Es berührt sehr viele. Deswegen sind die heute geäußerten Mahnungen zur Sachlichkeit natürlich trotzdem berechtigt. Nur, die Entscheidung darüber, ob ein Argument in unserem Zusammenhang als sachlich anzusehen ist, darf sich keineswegs allein darauf stützen - das auch, aber keineswegs alleine -, welchen Rat uns Transplantationsmediziner oder Mediziner allgemein, die helfen wollen - ich danke Ihnen, Frau Süssmuth, dafür, daß Sie gesagt haben, daß sie das wollen; auch ich gehe davon aus -, geben. Sie können uns Rat geben; sie müssen uns Rat geben. Aber sie können weder über Tod und Leben verfügen noch abschließend Probleme entscheiden.
„Sachlich", weil zur Sache gehörig, ist natürlich auch das, was uns kranke Menschen sagen. Wer kennt eigentlich nicht Menschen in seinem persönlichen Umkreis, die seit Jahren auf eine Spenderniere warten und sich deswegen quälen müssen, oder andere, die sich überlegen, ob sie sich nicht der Transplantation eines lebenswichtigen Organs unterziehen sollen? Das ist ja weder für die Betroffenen noch für die Mediziner so leicht, wie uns das manche - auch ärztliche - oberflächliche Stellungnahme glauben machen will.
„Zur Sache" gehören auch die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger, die Angst haben, sich mit ihrem eigenen Tod, mit der Möglichkeit schwerer Krankheiten oder auch mit der Frage, was man dann eigentlich machen oder wie man sich verhalten soll, zu befassen. Ich glaube, daß wir ihnen zumuten müssen, sich diesen Fragen zu stellen, Farbe zu bekennen, Verantwortung zu übernehmen und selbst Antworten zu geben, weil der Tod zum Leben gehört. Das ist so. Und: Auch die Sorge jener Bürgerinnen

Dr. Herta Däubler-Gmelin
und Bürger gehört zur Sache, die Angst vor der Apparatemedizin haben. Das gibt es ja. Bischof Lehmann, den Sie zitiert haben, hat gestern darauf noch einmal ausdrücklich im Zusammenhang mit anderen Grenzbereichen des ausklingenden Lebens hingewiesen. All das gehört zur Sache und muß in unsere Entscheidung einfließen.
Es gehören jedoch noch Aspekte aus anderen Erfahrungsbereichen zur Sache. Einen möchte ich noch schildern. Ich betreue als Bundestagsabgeordnete Selbsthilfe-Patientengruppen und Angehörige von Apallikern. Das sind Kranke, Frau Phillip, bei denen alles das zutreffen kann, was Sie vorhin gesagt haben: irreversible Hirnschädigung, einige können ganz sicher - das merkt man, wenn man mit diesen Menschen umgeht -, nicht mehr kommunizieren, um mit Ihnen zu reden, es kommt zum Zerfall der Persönlichkeit, die nicht mehr kommunizieren kann, die Identität von Geist und Physis dieser Menschen ist nicht mehr gegeben. Es darf aber auch überhaupt kein Zweifel daran bestehen, daß diese Menschen in ihrem Zustand leben, zum Leben gehören.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Daran zweifelt doch niemand!)

Das heißt, die Grenzlinie zwischen Leben und Tod verläuft nicht beim Zerfall der Persönlichkeit, sie verläuft nicht beim Auseinanderfallen von Physis und Kommunikationsfähigkeit, und sie kann auf keinen Fall bei der Frage der Irreversibilität, also der Unwiederbringbarkeit von Hirnfunktionen verlaufen.

(Zuruf des Abg. Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU])

- Sie werden gleich feststellen, warum das so unglaublich wichtig ist.
Alle vier Bereiche hängen ganz unmittelbar und eng mit der Transplantation zusammen.
Ich habe Ihnen zusammen mit den anderen 90 Antragstellerinnen und Antragstellern - so viele sind es bisher - unseren Gruppenantrag vorgelegt, um Sie zu bitten, über unsere Argumente nachzudenken. Auch wir denken über das nach, was Sie uns sagen; darauf können Sie sich verlassen. Wir möchten gern auch von Ihnen Anregungen bekommen.
Daß wir nachdrücklich für die zwei wesentlichen Schwerpunkte unseres Antrags werben, hat gute Gründe. Wir haben aus der Anhörung der wissenschaftlichen Gutachterinnen und Gutachter, die uns in allen Bereichen, genauso wie Sie, beraten haben, also mit Hilfe des uns zur Verfügung stehenden Sachverstandes, versucht - so gut wir das konnten -, Folgerungen zu ziehen. Diese haben wir in unseren Antrag hineingeschrieben.
Unsere Anhörung hat auch gezeigt, daß es in allen Bereichen von Wissenschaften und Kirche sehr unterschiedliche Meinungen zu Fragen der Transplantation gibt: bei den Transplantationsmedizinern, bei anderen Fachmedizinern, bei Ethikern, in der katholischen Kirche, in den protestantischen Kirchen, bei Juristen, überall. Aber gerade diese unterschiedlichen Meinungen machen unsere offene Auseinandersetzung, unsere Diskussion hier im Bundestag so wichtig.
Der erste wesentliche Schwerpunkt unseres Antrages ist folgender: Der Tod des Menschen muß weiterhin das bedeuten, das bezeichnen, das heißen, was er seit Jahrtausenden bedeutet hat: Der Mensch muß unwiederbringlich tot sein; es darf keinen Zweifel daran geben, daß alle Körperfunktionen erloschen sind. Dies bedeutet: Hirnfunktionen und Herz- und Kreislauffunktionen müssen erloschen sein.
In den 70er Jahren haben wir unsere Diskussion nur aus strafrechtlicher Sicht geführt; ansonsten ging es im wesentlichen um Gewebeteile von Leichen. Man ist aus heutiger Sicht relativ eindimensional mit Transplantaten umgegangen und mußte deswegen auf die Frage des Todes gar nicht so genau eingehen. Das zeigen uns alle Diskussionsbeiträge aus dieser Zeit; man kann sie nachlesen.
Das medizinische Wissen ist mittlerweile fortgeschritten und zeigt uns: Man kann heute immer mehr komplexe Organe transplantieren, wenn man sie direkt vom Kreislauf des Spenders an den Kreislauf des Empfängers anschließt.
Ich verstehe aus medizinischer Sicht sehr wohl, daß man deshalb fragt: Wir suchen nach einem Zeitraum, dessen Beginn wir genau festlegen können, in dessen Verlauf diese Organentnahme möglich, aber auch notwendig ist; dieser Zeitraum muß unmittelbar und unwiederbringbar mit dem Tod enden. Daß man für den Beginn dieses Zeitraums den Ausfall aller Hirnfunktionen wählt, halte ich medizinisch gesehen für sachgerecht. Ich bezweifle auch nicht, daß dieser Ausfall von mehreren Ärzten festgestellt werden kann.
Ich registriere auch, daß Sie lediglich den vollständigen Ausfall aller Hirnfunktionen wollen. Die Diskussion in den USA - dort läuft alles auf einen teilweisen Ausfall der Hirnfunktionen hinaus - wollen Sie nicht mitmachen. Ich bezweifle auch nicht, daß Sie nicht noch weitergehen wollen. Aber auch das gibt es bei internationalen Ärztediskussionen deutlich. Gerade deshalb, Frau Philipp, ist es bei der Beantwortung der Frage „Wo grenzen wir Leben und Tod ab?" so wichtig, auf keinen Fall auf die Kommunikationsfähigkeit des Menschen abzustellen.
Unsere Sorge ist aber, daß wir, wenn wir von dem bisherigen, bekannten, für die Menschen nachvollziehbaren Begriff des Todes des Menschen abgehen, indem wir den Zeitpunkt des Todes sozusagen vorverlegen und Tod mit Hirntod gleichsetzen, nicht nur all die Bedenken nicht berücksichtigen, die Ihnen wie uns aus dem Bereich der Medizin und der Ethik vorgetragen werden - es gibt tatsächlich wie juristisch eine ganze Menge Probleme -, sondern natürlich auch das Vertrauen der Bevölkerung in eine gesetzliche Regelung nicht bekommen werden, weil genau das eintritt, was ich befürchtet habe: Der inhaltliche Regelungsgehalt eines Gesetzes stimmt dann mit der Lebenswirklichkeit des Menschen nicht überein, und der Wertegehalt des Gesetzes stimmt nicht mit den Wertegefühlen überein, die die Menschen haben. Das ist das eine.

Dr. Herta Däubler-Gmelin
Unser zweiter Schwerpunkt sagt folgendes: Weil der Hirntod unstreitig den Beginn der Sterbephase kennzeichnet, die irreversibel zum Tod führt, aber nicht den Tod des Menschen ausmacht, und weil dieser Hirntod den Zeitpunkt bezeichnet, von dem an die Organentnahme medizinisch möglich sein soll, haben wir ganz besonders zu prüfen gehabt, ob es ethisch verantwortlich und juristisch zulässig ist, in dieser Phase Organentnahme zu betreiben. Nach all dem, was wir gelesen haben, trifft beides zu.
Ich bin Herrn Schmidt-Jortzig sehr dankbar dafür, daß er unter verfassungsrechtlichem Aspekt Fragen gestellt hat, an die ich mich anschließen kann, die man aber auch beantworten muß, und zwar in dem Sinn, daß in der Verfügbarkeit des einzelnen Menschen über sein Leben, ausgedrückt in der höchstpersönlichen Zustimmung, die entscheidende Voraussetzung gesehen werden muß, damit in dieser Phase Organe entnommen werden können - nicht nach dem Tod, sondern in dieser Phase zwischen dem Hirntod, also dem Ausfall aller Hirnfunktionen, und dem Tod des Menschen.

(Vorsitz : Vizepräsident Hans-Ulrich Klose)

Meine Damen und Herren, warum machen wir es uns eigentlich so schwer? Wenn die Medizin das jetzt kann, warum rücken wir dann nicht einfach mit dem Begriff des Todes nach? Wäre das nicht viel einfacher?
Ich darf es nochmals wiederholen: Wir tun es deswegen nicht, weil es der Lebenswirklichkeit der Menschen nicht entspricht, weil es unseren Grundwerten nicht entspricht und weil wir, wenn wir eine solche Regelung träfen, sehr bald wieder vor der gleichen Problematik stehen würden wie heute - mit der Angst der Menschen, mit der Sorge der Menschen, mit dem mangelnden Vertrauen der Menschen -, die Sie, Herr Seehofer, vorhin so eindringlich geschildert haben.
Ich will das nicht. Ich glaube auch nicht, daß die Auffassung richtig ist, daß wir die Menschen heute nicht so ernst nehmen dürften, wie das bei diesem Thema geboten ist. Ich glaube schon, daß wir das können. Deswegen sagen wir in unserem Antrag: Lassen Sie uns in das Transplantationsgesetz hineinschreiben: Der Ausfall aller Hirnfunktionen bezeichnet die Phase, in der Organentnahme rechtlich möglich ist, allerdings nur mit höchstpersönlicher Zustimmung. Lassen Sie uns den Menschen erklären, daß es in dieser Sterbephase aus christlicher Sicht oder auch aus ethischer Verantwortung heraus möglich und zulässig ist, einem anderen durch eine Organspende zu helfen.
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß die Angehörigen mit einer solchen Entscheidung faktisch, juristisch und ethisch überfordert sind und daß man sie ihnen deshalb auch nicht zumuten sollte. Ich glaube deswegen nicht, daß die Stellvertretung bei dieser höchstpersönlichen Zustimmung verantwortbar wäre, selbst wenn sie juristisch möglich sein sollte, was ich persönlich bezweifle. In der Anhörung haben uns viele Ärzte und Krankenschwestern gesagt, wie überfordert sich viele Angehörige fühlen, wenn sie von Ärzten angerufen werden, und daß das in vielen Fällen dann doch dazu führt, daß die Entscheidung auf Ärzte übertragen wird. Und da sind wir dann wieder mitten im Problem.
Herr Minister Seehofer, ich teile Ihre Auffassung, daß Ärzte beraten, helfen, Sachverstand einbringen und ausführen können und müssen. In dieser Hinsicht sind sie wirklich unverzichtbar. Aber Ärzte können die Entscheidung den Betroffenen genausowenig abnehmen, wie sie ihnen das Gesundwerden oder die Heilung abnehmen können. Hier ist die Verantwortung und die Verfügung des jeweiligen Menschen selbst gefragt und verlangt. Ich glaube, auch hier ist eine Grenze zu beachten. Auch diese Überlegung führte uns dazu, die höchstpersönliche Zustimmung als zweiten Schwerpunkt in unseren Antrag aufzunehmen.
Meine Damen und Herren, ich will das jetzt gar nicht noch länger ausführen. Ich glaube, die Diskussion heute bringt uns ein Stückchen weiter. Nur habe ich die Bitte, daß wir sowohl hier im Deutschen Bundestag wie auch in den Diskussionsgruppen draußen beachten, daß zur sachlichen Diskussion eben nicht nur jene Punkte gehören, die einer Gruppe wichtig zu sein scheinen, seien sie - ich darf das wiederholen - Ärzte, seien sie Kranke, die auf Organe warten, seien sie Bürgerinnen und Bürger, die Sorge haben und Vertrauen brauchen, seien es Menschen, die sich in einer besonderen Weise gerade um Kranke kümmern, Angehörige, die sich um Kranke kümmern, Menschen, die auch politisch die Interessen von Kranken vertreten wollen, sondern daß dies alles gemeinsam notwendig ist.
Daß ich mir dann wünsche, möglichst viele mögen zu dem gleichen Ergebnis kommen, wie wir es für uns gefunden haben, werden Sie verstehen. Allerdings darf ich Ihnen sagen: Auch wir sind für weitere Argumente offen.
Herzlichen Dank.

(Beifall im ganzen Hause)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1309903300
Das Wort hat die Kollegin Bergmann-Pohl, CDU/CSU.

Dr. Sabine Bergmann-Pohl (CDU):
Rede ID: ID1309903400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir debattieren heute über ein Thema, das schon lange praktizierte Realität ist. Ich erinnere an die erste erfolgreiche Übertragung einer Niere im Jahre 1954, an die erste erfolgreiche Lebertransplantation und Herztransplantation im Jahre 1967. Vergessen wir auch nicht, meine Damen und Herren, daß bereits vor über 90 Jahren die erste erfolgreiche Augenhornhauttransplantation einem erblindeten Menschen das Augenlicht zurückgegeben hat.
Heute werden jährlich über 3 000 lebenswichtige Organe in Deutschland übertragen, und eine optimale Versorgung vieler schwerkranker Menschen ist heute ohne die Möglichkeit der modernen Transplantationsmedizin nicht zu leisten.

Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Die Transplantationsmediziner, meine Damen und Herren, haben in den zurückliegenden 30 Jahren hervorragende medizinische Leistungen vollbracht, und diese Leistungen verdienen höchste Anerkennung.
Aber für die Vertrauensbildung in der Bevölkerung ist es jetzt notwendig, endlich auch eine klare gesetzliche Grundlage für die Organtransplantation zu schaffen. Ohne Rechtssicherheit werden wir es kaum schaffen, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger zu erhalten. Und, meine Damen und Herren, ohne das Vertrauen der Menschen wird die Bereitschaft zur Organspende nicht zunehmen.
Deshalb brauchen wir eine gesetzliche Grundlage, die den Respekt vor der Würde des Persönlichkeitsrechtes des Menschen zum Ausdruck bringt, die über den Tod hinaus fortwirkt. Das bedeutet auch: Es muß Grenzen für die Organentnahme geben. Die Organentnahme und alle mit ihre verbundenen Maßnahmen müssen unter der Achtung des Willens und der Würde des Organspenders durchgeführt werden.
Vor der Organentnahme muß nach einwandfreien Kriterien der Tod eines Spenders festgestellt werden. Die Methoden der Todesfeststellung müssen dem jeweiligen Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechen.
Meine Damen und Herren, als Medizinerin habe ich keinen Zweifel daran, daß der endgültige und un-umkehrbare Ausfall der gesamten Hirnfunktion ein sicheres Zeichen und damit auch ein zuverlässiges Kriterium für den eingetretenen Tod des Menschen ist. Dieses Todeskriterium wurde im Zuge der intensivmedizinischen Fortschritte bereits in den 50er Jahren beobachtet und beschrieben und seitdem den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen angepaßt. Der Hirntod wurde also nicht etwa für die Transplantationsmedizin erfunden, sondern schon lange vor den ersten erfolgreichen Organtransplantationen definiert.
Meine Damen und Herren, wir haben es heute mehrfach gehört: Hirntod heißt, das Gehirn ist von der Durchblutung abgekoppelt, seine Zellen zerfallen unaufhaltsam, auch wenn der übrige Körper noch künstlich durchblutet wird.
An dieser Stelle möchte ich gerade zu Frau Däubler-Gmelin, aber auch zu Herrn Schmidt-Jortzig sagen: Für die Betroffenen, die entscheiden müssen, ob Organe entnommen werden dürfen, ist es sicherlich oftmals schwer, wenn der Kreislauf und die Atmung künstlich aufrechterhalten werden - der Angehörige also dem Tod nicht greifen kann, ihn nicht sieht. Aber der unumkehrbare Ausfall sämtlicher Hirnfunktionen bedeutet, daß der Tod des Menschen un-umkehrbar eingetreten ist.
Wenn wir das in Frage stellen, Frau Däubler-Gmelin, bedeutet das, daß der Mediziner auch dann, wenn es nicht um eine Organtransplantation geht, zum Beispiel bei einem verunfallten Menschen, dessen Herz-Kreislauf-Funktion künstlich aufrechterhalten wird, dessen Hirnfunktion aber unumkehrbar und total ausgefallen ist, keine Rechtsklarheit darüber hat, ob er Apparate abschalten darf oder nicht.
Auch in diesem Fall müssen wir den Medizinern, aber auch den betroffenen Menschen Rechtssicherheit geben.
Meine Damen und Herren, gegen das Hirntodkonzept werden dennoch oft Einwände erhoben, weil - auch das ist heute schon gesagt worden - sogenannte reflektorische Bewegungen noch vorhanden sind. Diese Bewegungen werden aber durch äußere Reize hervorgerufen. Sie kommen durch ein noch intaktes Rückenmark zustande, sind aber kein Zeichen einer noch funktionierenden Gehirntätigkeit.
Der Anschein täuscht im übrigen auch im umgekehrten Fall - ich habe es bereits gesagt -: Herz-Kreislauf- und Atemstillstand bedeuten nicht automatisch, daß der Mensch tot ist. Diese Funktionen sind bei noch nicht geschädigtem Gehirn durchaus reaktivierbar. Damit wird ganz deutlich, daß das Herz eben nicht die zentrale Steuerung des menschlichen Lebens ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vor diesem Hintergrund ist es Aufgabe des Gesetzgebers, eine eindeutige rechtliche Grenzziehung zwischen Leben und Tod zu bestimmen. Hier müssen wir klare Rechtsgrundlagen schaffen, die diese wissenschaftlich anerkannten Regeln auch juristisch formulieren.

(Otto Schily [SPD]: Der Vorgang des Todes läßt sich nicht nur naturwissenschaftlich definieren!)

- Nein. Deswegen sage ich: Wir müssen hier eine klare rechtliche Grundlage für die Todeskriterien schaffen, damit Sicherheit für die betroffenen Menschen, aber auch für die Mediziner gegeben ist.
Herr Wodarg, es tut mir leid, von Arzt zu Arzt widerspreche ich Ihnen ganz entschieden, bei allem Respekt vor Ihrer persönlichen Meinung. Ich lasse es einfach nicht zu, daß die Ärzte, die Tag und Nacht um das Leben von Menschen ringen, sowohl in ihrem Handeln als auch in ihrer ethisch-moralischen Einstellung zum menschlichen Leben in Frage gestellt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Dr. Wolfgang Wodarg [SPD]: Das habe ich nicht getan! Gegenruf der Abg. Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Doch!)

Ich denke, die ethisch-moralische Einstellung der Ärzte wird in ihrem täglichen Wirken deutlich. Auch sie haben manchmal Zweifel an ihrem ärztlichen Tun. Wenn wir diese Zweifel noch bestärken, indem wir ihnen keine Rechtsgrundlage geben, stellen wir sie vor unlösbare Probleme.
Meine Damen und Herren, die schwerkranken Menschen, die auf ein Spenderorgan warten, und die Menschen, die nach ihrem Tod Organe spenden wollen, haben einen Anspruch darauf, daß es endlich eine klare Rechtsgrundlage für die Organtransplantation gibt. Nicht nur der Gesetzgeber, sondern jeder einzelne von uns ist hier gefordert, eine vernünftige Einstellung zur Organtransplantation zu bekommen. Denn es ist wichtig, daß wir alles dafür tun, den Men-

Dr. Sabine Bergmann-Pohl
schen, die darauf warten, ein menschenwürdiges Leben führen zu können, eine Hoffnung zu geben.
Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Dr. Ruth Fuchs [PDS])


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1309903500
Das Wort hat der Kollege Schmidbauer, SPD.

Horst Schmidbauer (SPD):
Rede ID: ID1309903600
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Die 25jährige Aline spricht es aus: „Oh Gott, da muß ja jemand für mich sterben!" Ich denke, so ist es: Diejenigen, die auf Spenderorgane warten, sind von Schuldgefühlen geplagt. Schuldgefühle quälen auch die Angehörigen von Organspendern. Wie diese Qualen aussehen, drückt die Witwe eines 25jährigen Organspenders aus:
Entgegen meinem eigenen Begreifen habe ich den Ärzten vertraut, als sie mir mitteilten, Christian sei tot, obwohl er warm war und versorgt wurde wie ein Lebender.
Das ist der Widerstreit, das ist die Spannung, unter der die Menschen stehen. Das ist der Widerstreit zwischen der Ethik der Menschenwürde, deren verfassungsrechtlicher Schutz gewährleistet sein muß, und der Ethik der Interessen derer, die Transplantate so dringend benötigen.
Es gilt aber, beide Interessen in Einklang zu bringen. Der faszinierende technische Fortschritt in der Transplantationsmedizin hat ein atemberaubendes Tempo vorgelegt. Diesem atemberaubenden Tempo war die Moral nicht gewachsen. Die Moral wächst langsamer nach und droht von der medizinischen Praxis überrollt zu werden.
Erstaunlich an der jetzigen Situation ist eigentlich nur: Wir haben 25 Jahre gebraucht, um zu erkennen, daß wir uns mit der Definition des Hirntodes als Tod des Menschen auf einem Irrweg befinden. Der Hirntod ist eben nicht der Zeitpunkt des Todes, sondern der Zeitpunkt der Unumkehrbarkeit des Sterbeprozesses. Dieser Irrweg war mit Transparenz und Offenheit, mit logischem und gesundem Menschenverstand leicht erkennbar. Für mich und viele andere ist klargeworden: Gerade die Menschen, die von der Zerreißprobe unmittelbar betroffen sind, wollen diesen Irrweg nicht weiter mitgehen. Gerade die Spender und ihre Angehörigen, aber auch Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger sowie nicht zuletzt die Empfänger selbst wollen diesen Irrweg nicht weiter mitgehen. Sie alle warten auf unsere Hilfe und haben Anspruch auf ein Gesetz, auf eine Regelung, die ihren ethischen Vorstellungen, ihren Gefühlen und inneren Konflikten Rechnung trägt.
Deshalb ist ein Transplantationsgesetz längst überfällig. Wir sind uns alle in dem Ziel einig, mit diesem Gesetz die Spenderbereitschaft in Deutschland zu verbessern. Nicht einig sind wir uns über den Weg. Wir wissen nur zu gut: Nur ein Gesetz, das einen breiten gesellschaftlichen Konsens aufbaut und die
Entscheidung des Spenders in den Mittelpunkt unserer Bemühungen stellt, kann auf Dauer tragen.
Viele Wissenschaftler, Ärzte, Philosophen und Biologen sehen im Hirntod zwar eine unumkehrbare Phase im Sterbeprozeß, ordnen diese aber noch dem Leben zu. So sehen dies auch viele meiner Kolleginnen und Kollegen, so sehe auch ich es.
Diese ethische Sichtweise bedingt als Lösung die enge Zustimmungslösung, die allein auf die Zustimmung des Spenders abhebt. Nur durch diese Zustimmungslösung bleibt das Selbstbestimmungsrecht als ein wesentlicher Bestandteil der Würde des Menschen gewahrt. Ohne die Einwilligung des Spenders selbst, die nicht durch die Zustimmung von Angehörigen zu ersetzen ist, würde der Gesetzgeber in die ganz persönliche Entscheidungshoheit eingreifen und sie verletzen.
Ich zitiere den Gesundheitsminister aus der „Woche" vom 7. April 1995:
Ich will die strikte Zustimmungslösung. In Zweifelsfällen darf eine Organentnahme nicht möglich sein.
Zum gleichen Zeitpunkt war es aber so, daß der Minister und viele andere bereits eine Hintertür in ihren Gesetzesvorschlag eingebaut hatten. Diese Hintertür, die im Vorschlag lautet, daß eine Zustimmung als erteilt gilt, wenn innerhalb einer bestimmten vereinbarten Erklärungsfrist der Entnahme nicht widersprochen wird, zeigt auf, daß diese Hintertür in der Zustimmungslösung formuliert ist; es ist also eine modifizierte Widerspruchslösung.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!)

Ich denke, daß diese Art der Darstellung nicht das Vertrauen schafft, das wir brauchen, wenn wir draußen für die Entscheidung der Menschen arbeiten und dafür plädieren, daß sie sich selbst für die Organspende entscheiden. Wenn dieser Entwurf Gesetz wird, kann den Betroffenen immer noch folgendes widerfahren:
Eine Frau erhält die Nachricht, daß ihr Mann tödlich verunglückt ist. Sie wird gefragt, ob sie mit der Entnahme seiner Organe einverstanden ist, um das Leben einer jungen Frau zu retten. Unter dem Schock der Nachricht reagiert die Frau verwirrt und ratlos. Der Arzt räumt ihr drei Stunden Bedenkzeit ein, weil Organe wie Lunge, Leber und Herz nur in einer bestimmten Frist entnommen werden können. Wenn sich die Frau innerhalb der Frist nicht melde, werde er, der Arzt, an ihrer Stelle entscheiden.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Nur wenn das vereinbart ist! Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das ist etwas ganz anderes!)

- Ja, wenn das vereinbart ist. Davon rede ich ja. - Die Frau willigt ein und läßt den Termin verstreichen. Fünf Minuten nach Ablauf der Frist trifft sie in der Intensivstation ein, doch sie findet ihren Mann nicht mehr vor. Er wurde bereits zur Organentnahme in den Operationssaal gebracht.

Horst Schmidbauer (Nürnberg)

Ich denke, dieser Hintertüreffekt ist es, der die Menschen mißtrauisch macht; denn nur durch diese Hintertür kommt wieder etwas hinein, was eine strikte Zustimmungslösung gerade verhindern soll. Das Schweigen wird als Basis für die Zustimmung genommen. Man tut so, als ob man eine strikte Zustimmungslösung hätte, und führt eine Informationslösung oder eine modifizierte Widerspruchslösung durch die Hintertür wieder ein.
Zu einem solchen Hintertüreffekt wird von vielen meiner Kolleginnen und Kollegen und auch von mir keine Zustimmung gegeben. Wer eine solche Lösung will, wählt den bequemen Weg. Ich bin mir darüber im klaren: Unser Weg der engen Zustimmungslösung ist viel schwieriger. Dieser Weg setzt nämlich aktives, engagiertes Handeln voraus. Dieser Weg setzt Information, Vertrauen und solidarisches Handeln voraus.
Viele Kolleginnen und Kollegen setzen ebenso wie ich auf Spenden. Aber Spenden im Wortsinn setzt immer freiwilliges, gebendes Spenden voraus. Organspende ist aber nicht irgendeine Spende, Organspende bedeutet, einen Teil von sich selbst zu geben, persönlich, freiwillig, informiert und bei vollem Bewußtsein. Beim Fehlen der persönlichen Zustimmung kann nicht von einer Organspende, sondern nur von einer Organentnahme gesprochen werden.
Die enge Zustimmungslösung ist deshalb die einzige Form, durch die gewährleistet wird, daß jeder Mensch diese schwierige Entscheidung selbst trifft. Die notwendige Entscheidung des einzelnen setzt eine breite ethische Diskussion in der Öffentlichkeit voraus. Nur durch Aufklärung und Transparenz können wir den notwendigen gesellschaftlichen Konsens zustande bringen.
Deshalb appelliere ich an die Kolleginnen und Kollegen: Unterstützen Sie in noch größerer Zahl unseren Antrag! Die Regelung, die unser Antrag vorsieht, könnte zunächst zu einem weiteren Rückgang der Spendebereitschaft führen. Aber ich bin davon überzeugt: Langfristig wird die Spendebereitschaft wachsen. Sie wird wachsen, weil wir mit unserem Weg ein Fundament aus Selbstbestimmung schaffen, ein Fundament, bei dem nicht mehr der Zweck die Mittel heiligt, ein Fundament, das nicht mehr zu Mißtrauen Anlaß gibt, ein Fundament, mit dem die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, daß alle Beteiligten offen und vertrauenschaffend miteinander umgehen.
Ich denke, das ist der wirkliche gesellschaftliche Konsens, den wir brauchen, wenn wir für die Menschen, denen wir Hilfe anbieten, ein Stückchen weiterkommen wollen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1309903700
Das Wort hat der Kollege von Klaeden, CDU/CSU.

Eckart von Klaeden (CDU):
Rede ID: ID1309903800
Sehr verehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Die Diskussion des Transplantationsgesetzes berührt unmittelbar Fragen unseres menschlichen Seins. Bei dieser Regelung tragen wir Verantwortung als Gesetzgeber. Sie muß den Anforderungen standhalten, die die Menschen an uns stellen, denen heute nur durch eine Organtransplantation das Leben gerettet werden kann oder deren Krankheit dadurch weitgehend geheilt oder gelindert und deren Lebensqualität damit entscheidend verbessert wird. Wir müssen aber auch entscheiden, wann ein Mensch für tot und damit, wenn überhaupt, zum Gegenstand fremdinteressengeleiteter Verfügung erklärt werden kann.
Der Fortschritt der Naturwissenschaft, insbesondere der Medizin, hat die Beantwortung dieser Frage erschwert und nicht erleichtert. Wir würden unsere Verantwortung allerdings sträflich vernachlässigen, wenn wir die Definition des Zeitpunkts des Todes den Naturwissenschaftlern und den Medizinern überließen. Natürlich soll es Aufgabe der Ärzte bleiben, den Eintritt des Todes beim einzelnen Menschen festzustellen. Sie kommen dabei allerdings dem gesellschaftlichen Auftrag nach, ein gegebenes Todesverständnis im Einzelfall zur Anwendung zu bringen. Wir würden es uns auch als Gesetzgeber zu leicht machen, wenn wir der ungeliebten Auseinandersetzung mit dem Tode dadurch zu entgehen suchten, daß wir die Zuständigkeit für die Fassung des Todesverständnisses an die Ärzteschaft delegierten oder diese Frage ungeregelt ließen.
Der Tod ist nicht nur ein naturwissenschaftliches Faktum. Er spiegelt unser Verständnis von menschlichem Leben und seinem Sein wider. Mediziner können uns sagen, wann ein Gehirn zerstört ist, wann ein Mensch für immer hirnfunktionslos ist. Ob wir in diesem Fall jedoch vom Tod eines Menschen ausgehen können, bedarf einer Entscheidung, die gerade nicht naturwissenschaftlich determiniert ist.
Ob das Kriterium des nicht behebbaren Ausfalls der gesamten Hirnfunktion als Kriterium für den Eintritt des Todes erschöpfend ist, vermag ich bei aller Plausibilität, die sich zunächst einstellen mag, heute nicht nachzuvollziehen. Es ist allerdings weder fair noch zutreffend, denen, die anderer Meinung sind, utilitaristische Motive zu unterstellen.
Ich will diese Debatte nutzen, um Bedenken sowohl gegenüber dem Hirntod als allein ausreichendem Todeskriterium wie gegenüber der sogenannten erweiterten Zustimmungslösung als einziger Regelung geltend zu machen. Ich befürworte letztere allerdings für den Fall, daß irreversibel neben dem Gehirntod der Herz- und Kreislaufstillstand eingetreten ist.
Widerspruchs- und Informationslösung lehne ich im wesentlichen aus den in der Begründung des Gesetzentwurfs genannten Gründen ab. Die sogenannte Klub- oder Solidaritätslösung, die hier glücklicherweise nicht vertreten wird, ist meiner Ansicht nach menschenverachtend; ich will sie deswegen auch nicht weiter erwähnen.
Es sind heute schon eine Reihe von Argumenten gegen das Hirntodkriterium als Voraussetzung zur Organentnahme im Rahmen der sogenannten erwei-

Eckart von Klaeden
terten Zustimmungslösung genannt worden. Ich will nun noch einmal die Gründe nennen, die die Zweifel an dieser These für mich als berechtigt erscheinen lassen.
Zunächst will ich aber darauf hinweisen, daß ein solches Kriterium nicht als solches den eigentlichen Tod umschreiben oder zeitlich fixieren soll, sondern zuverlässig den bereits eingetretenen, exakt nicht feststellbaren Tod anzeigen muß.
So gibt schon die Ansicht zu Zweifeln Anlaß, mit dem Hirntod trete der Tod ein, weil die Fähigkeit zu Bewußtseinsäußerungen oder zur menschlichen Geistigkeit mit ihm ende. Wann ein Lebendigsein vorliegt, richtet sich zwar allein nach naturwissenschaftlichen Gegebenheiten am Körper des Menschen, damit wird jedoch nicht blankettartig auf die Biologie verwiesen. Vielmehr sind biologische Erkenntnisse nur deshalb rechtsbeachtlich, weil sie die Regelungsabsicht des Verfassungsgesetzgebers effektuieren, menschliches Leben frei von Differenzierungen nach „lebenswert" oder „lebensunwert" umfassend zu schützen.
Nicht mehr als das bloße biologische Lebendigsein des menschlichen Organismus kann danach ein Anknüpfungspunkt für die Achtung als Mensch und den Schutz menschlicher Würde sein. Der Mensch büßt daher seine rechtliche Schutzwürdigkeit nicht ein, wenn er spezifischen kognitiven oder psychischen Leistungskriterien nicht mehr entspricht.
Auch daß mit dem Hirntod tatsächlich die funktionelle Ganzheit des Organismus endet, vermag mich bei näherer Betrachtung nicht zu überzeugen, denn der nach wie vor abgrenzbare und als Einheit erkennbare Organismus wird nicht Teil eines anderen Organismus oder sonstigen Gebildes.
Auch ist die Abhängigkeit von medizinisch-technischen Hilfsmitteln, Ersatzstoffen oder Medikamenten kein Grund, die auf diese Weise behandelten Patienten für tot zu erklären. Warum sollte man dies dann bei einem Patienten mit Ausfall der Hirnstammfunktionen tun, wenn diese durch ein Beatmungsgerät oder bestimmte Hormongaben ersetzt werden können? Ein nach dem Ganzhirntodkriterium noch lebender Mensch mit erhaltenen Stammhirnfunktionen weist keine erheblich stärkere Wechselwirkung zu seiner Umwelt als ein Hirntoter mit funktionsunfähigem Stammhirn auf.
Es gibt keinen Grund, die auch nach dem Ganzhirntod möglichen, sehr komplexen Interaktionen zwischen verschiedenen Organen im Sinne eines Todeskriteriums geringer zu achten als hirngestützte Integrationsprozesse. Denn eine Desintegration, ein Zerfall in einzelne Subsysteme, die mangels jeder koordinierenden und integrierenden Kraft der weiteren Zersetzung und Verwesung preisgegeben wären, liegt nicht vor und wird gerade durch ärztliches Eingreifen verhindert.
Anläßlich des Falls der 19jährigen Marion Ploch, der heute schon angesprochen worden ist, die am 5. Oktober 1992 mit einer schweren Schädel-HirnVerletzung in die Erlanger Universitätsklinik eingeliefert und drei Tage später auf Grund einer Hirntoddiagnose für tot erklärt worden war, hat sich in einem Brief an Hans-Bernhard Wuermeling der Philosoph Hans Jonas im Dezember 1992 erneut zu dieser Frage geäußert.
Ich will den Fall noch einmal kurz referieren: Nachdem Marion Ploch für tot erklärt worden war, bestand zunächst die Absicht, die Angehörigen um Zustimmung zur Organentnahme zu bitten. Als sich kurz darauf herausstellte, daß sie schwanger war, projektierten die Ärzte eine fünfmonatige Intensivbehandlung der „Toten" bis zur Entbindung des Kindes. Ihr Behandlungsversuch mußte nach acht Wochen abgebrochen werden.
Jonas führt dazu aus:
Daß es ein „Leichnam" sein soll, der da ein Fieber entwickelt, wenn in einem darin eingeschlossenen Organismus etwas schiefgeht, und daß es der Uterus einer „Toten" sei, der dann die Kontraktionen vollführt, die das nun tote Kind ausstoßen - das ist doch ein offenbarer verbaler Unfug, ein semantischer Willkürakt im Dienste eines äußeren Zwecks (davon gleich). Der spontan abortierende Leib gab rückläufig und endgültig jedem Augenschein des rosig durchblutenden warmen Leibes recht, den die gelehrten Herren uns archaischen Laien für trügerisch erklärten.
Angesichts der besonderen Stellung des Schutzes der Menschenwürde und des menschlichen Lebens und des Grundsatzes des Bundesverfassungsgerichts, nach dem
in Zweifelsfällen diejenige Auslegung zu wählen ist, welche die juristische Wirkungskraft der Grundrechtsnorm am stärksten entfaltet,
halte ich daher eine Organentnahme bei denjenigen, bei denen der Hirntod zwar festgestellt wurde, weiterhin aber eine künstliche Beatmung und die Aufrechterhaltung von Herz- und Kreislauffunktionen stattfindet, nur im Rahmen der engen Zustimmungslösung für vertretbar. Damit würde der Hirntod zwar nicht zum Todes-, allerdings zum Entnahmekriterium im Rahmen dieser engen Regelung.
Ich gehe jetzt auf die Kritikpunkte ein, die unter anderem Bundesminister Seehofer und auch Sie, Herr Dreßler, genannt haben. Ich halte dies nämlich auch für mit § 216 des Strafgesetzbuches vereinbar, der die aktive Euthanasie, also die Lebensverkürzung auf Tötungsverlangen, unter Strafe stellt. Davon kann nämlich im Falle einer Organentnahme auf dem Hintergrund einer entsprechend dokumentierten Spendenbereitschaft gerade nicht die Rede sein. Denn der Sterbende hat für diese letzte Sterbephase nicht in eine Lebensverkürzung, sondern in eine Verlängerung des Sterbens um einige Stunden oder Tage eingewilligt. Wer so zur Organspende bereit ist, strebt keine Erleichterung seines Sterbens an, sondern nimmt um der Lebensrettung eines anderen willen eine Verlängerung seines Sterbens in Kauf. Es ist damit die letzte Ausübung des Selbstbestimmungsrechts und, wie ich finde, besonderer Ausweis menschlicher Würde. Vielleicht bin ich auch auf dem Holzweg. Ich will mich gerne mit den Argumenten

Eckart von Klaeden
weiter beschäftigen, aber ich kann daran im Moment nichts Kritikwürdiges erkennen.
Ich will abschließend noch auf weitere Regelungen, insbesondere die vorgesehenen Strafvorschriften, eingehen. Letztere sind mir auch nach mehrmaligem Lesen ohne die Begründung des Gesetzentwurfs mit entsprechender Kommentarliteratur nicht verständlich gewesen. Aber das mag an mir oder an der behandelten Materie liegen.
Für verfassungswidrig halte ich allerdings die Bestimmung des § 18 Abs. 2 in der derzeitigen Form, sofern sie auf § 7 Satz 2 Bezug nimmt. Danach wird nämlich die Organentnahme unter Strafe gestellt, wenn sie nicht dem Zwecke der Übertragung auf Verwandte ersten oder zweiten Grades, Ehegatten, Verlobte oder andere Personen, die dem Spender in besonderer persönlicher und sittlicher Verbundenheit offenkundig nahestehen, stattfindet. Auf diese Weise wird das Kriterium der „offenkundigen persönlichen und sittlichen Verbundenheit" auch Bestandteil des Straftatbestandes.
Offenkundig ist jedoch allein, daß eine solche Formulierung meines Erachtens dem Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 des Grundgesetzes widerspricht. Sowohl die Bestimmung des § 7 wie die des § 18 Abs. 2, die ich eben zitiert habe, sollen den kommerziellen Organhandel verhindern helfen. Sie tun das um den Preis, möglicherweise andere altruistisch motivierte Lebendspenden zu unterbinden.
Ich will hier einmal die Frage stellen, ohne daß ich sie abschließend beantworten kann, ob es gerechtfertigt ist, einen Arzt mit bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe zu bestrafen, der beispielsweise einer Ordensschwester eine Niere entnimmt, die diese einer Mutter oder einem Vater mehrerer Kinder spenden will, von dessen Leiden sie nur über die Zeitung erfahren hat.
Ich denke, daß wir noch einmal sorgfältig prüfen sollten, ob diese Regelungen tatsächlich notwendig sind und ob nicht die anderen Vorschriften zur Vermeidung kommerziellen Organhandels ausreichend sind.
Abschließend weise ich darauf hin, daß die Spendenbereitschaft in Deutschland auch im Falle der von mir präferierten engen Zustimmungslösung nicht weiter zurückgehen muß, sondern im Gegenteil, erheblich gesteigert werden kann. Es bedarf dazu allerdings stärker als bisher des öffentlichen Vorbildes und der öffentlichen Ermutigung sowie der Verbreitung des Arguments, daß das eigene Sterben für die Angehörigen vielleicht erträglicher werden kann, wenn mit ihm zumindest die Möglichkeit verbunden ist, einem anderen Menschen das Leben zu retten oder seine Leiden erheblich zu mindern.
Vielen Dank.

(Beifall im ganzen Hause)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1309903900
Das Wort hat der Kollege Schäfer, SPD-Fraktion.

Dr. Hansjörg Schäfer (SPD):
Rede ID: ID1309904000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist heute schon häufig festgestellt worden, welch zentrale Rolle die Definition des Todeszeitpunkts für die Entnahme von Organen aus dem Körper Verstorbener spielt.
Seit Anbeginn der Menschheit sind die Fragen „Wann ist ein Mensch tot?" und „Was hat mit seinem Körper nach dem Tod zu geschehen?" Gegenstand von Ängsten, Zweifeln, Glaubensrichtungen und Streit. Stets hat auch der Kenntnisstand der Wissenschaft die Diskussion beeinflußt.
Ich meine - das sage ich nicht flapsig -, hätte Aristoteles, auf den die heute noch gültige Todesdefinition eigentlich zurückgeht, den heutigen Kenntnisstand der Wissenschaft gehabt, so wäre die Todesdefinition auch in der Volksmeinung heute eine andere. Dieser festen Überzeugung bin ich.
Auch in der heutigen Auseinandersetzung spüren wir das Vorhandensein von tiefgehenden Ängsten; dies müssen wir respektieren. Ist der Mensch erst dann tot, wenn alle, aber auch wirklich alle Körperfunktionen erloschen sind? Bezieht sich das auf das Gehirn, auf Organsysteme, einzelne Organe, vielleicht sogar auf einzelne Zellen? Nach der heutigen Todesdefinition nämlich lebt der Körper in einzelnen Bereichen noch immer weiter. Wo ziehen wir die Grenze? Ist die Grenze, die bisher gezogen wurde, nicht auch eine unnatürliche, eine willkürliche Grenze?
Aus meiner Erfahrung als über 25 Jahre tätiger praktisch-chirurgischer Arzt bin ich mir bewußt, daß diese Problematik keine rein wissenschaftliche Dimension hat.
Ich erinnere mich noch gut an meine Ausbildung. Im Rahmen dieser Ausbildung habe ich als Pathologe weit mehr als 100 Obduktionen machen müssen. Damals war es notwendig, auch Verwandte zu befragen, ob sie dem zustimmen. Aus diesen Gesprächen weiß ich um die Ängste und Zweifel, die Verwandte und nächste Bekannte umtreiben, eine solche Zustimmung geben zu müssen oder auch zu können. Ich erinnere mich aber auch, daß dies in der Mehrzahl dieser Gespräche positiv beurteilt worden ist

(Beifall des Bundesministers Horst Seehofer)

und die Mitarbeit dieser Menschen in vielen Fällen dazu geführt hat, anderen Menschen zu helfen; denn die Obduktion eines Toten ist auch eine Hilfe für die Lebenden.
Um eine ähnliche Problematik handelt es sich bei dem, was wir heute im Rahmen der erweiterten Zustimmung zu lösen versuchen.
Wenn wir überzeugen und die Spendenbereitschaft in der Bevölkerung erhöhen wollen, dann müssen wir die Ängste der Menschen ernst nehmen. Für den Menschen, der bereit ist, eines oder mehrere seiner Organe nach seinem Tode zu spenden, muß unzweifelhaft klar sein, wann er tot ist. Dazu gehört die gesellschaftliche Übereinstimmung ethischrechtlicher Art. Gibt es hier Unklarheiten, so bleibt

Dr. Hansjörg Schäfer
weiter Raum für Zweifel und Ängste, und die Bereitschaft zur Organspende - ich denke, es ist in diesem Hause unbestritten, daß sie notwendig ist - wird noch immer in Frage gestellt und müßte zwangsläufig weiter zurückgehen.
Der Spender muß auch völlige Gewißheit darüber haben, daß nichts unterlassen wird, was der Erhaltung seines Lebens dient, nur um an Organe heranzukommen. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Aber diese Sicherheit kann er nur dann haben, wenn eine klare gesellschaftliche Übereinstimmung über den Todeszeitpunkt besteht.
Gleiches gilt für die dem Spender nahestehenden Personen, die zur Möglichkeit der Entnahme befragt werden sollen. Es ist schon eine enorme Belastung für diesen Personenkreis, so unmittelbar nach dem Tod zu dieser Problematik befragt zu werden. Jede Unsicherheit über den Todeszeitpunkt würde eine Mitwirkung dieser Menschen unmöglich machen.
Auch für den Menschen, dem schließlich die gespendeten Organe transplantiert werden, ist es wichtig zu wissen, daß sie einem Toten und nicht einem Sterbenden entnommen worden sind. Der Gedanke, daß die Rettung ihres Lebens das Leben anderer verkürzt hat, ist eine Belastung, mit der viele Menschen wohl kaum fertig werden würden.
Schließlich ist auch für die beteiligten Ärzte, die explantieren und dann transplantieren müssen, nicht die Straffreiheit ihres Vorgehens wichtig, sondern daß sie ethisch-rechtlich, in gesellschaftlicher Übereinstimmung einwandfrei handeln. Dies können sie aber nur, wenn sie einem Menschen Organe entnehmen und transplantieren, dessen Tod nach allgemeiner Auffassung einwandfrei festgestellt ist. Dies können sie nicht, wenn man wie die Gegner der Hirntodtheorie den Hirntod nur als rechtlich möglichen Zeitpunkt zur Entnahme von Organen bezeichnet. Gerade die beteiligten Ärzte müssen die Gewißheit haben, daß sie nicht nur ohne Strafandrohung handeln, sondern daß ihre Arbeit den ethisch-moralischen Vorstellungen der Gesellschaft entspricht.
Die Gegner der Hirntodtheorie muten aber dem Arzt einen Eingriff zu, der ihrer Meinung nach den Tod des Patienten herbeiführt, also aktive Euthanasie beinhaltet. Wer jedoch aktive Euthanasie ablehnt, darf eine solche Position nicht vertreten.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Es ist aktive Euthanasie, wenn ich einem Hirntoten zum Zwecke der Transplantation auch mit seiner Zustimmung das Herz entwende, um es einem Lebenden zu transplantieren. Dies ist doch unzweifelhaft. Die Hirnfunktion ist zwar schon nicht mehr vorhanden, aber ich beende mit der Entnahme des Herzens auch die Kreislauffunktion. Wie soll das zu rechtfertigen sein? Wie soll ein Arzt mit dieser Möglichkeit leben?
Ich erinnere daran, daß wir die Ärzteschaft in eine ähnlich zwielichtige Situation schon im Rahmen des § 218 gebracht haben, wo ebenfalls Straffreiheit
zugesichert ist, der rechtliche Raum allerdings so dubios ist, daß die ethische Rechtfertigung für ihr Handeln aus der rechtlichen Beschreibung heraus nicht erkennbar ist.
Wollen wir denn so verfahren, daß in jeder menschlichen Grenzsituation immer wieder Ärzte in einen rechtlichen und ethischen Rahmen gestellt werden, der ihnen bei ihrer Arbeit die Entscheidung schwierig macht, ob sie das überhaupt tun sollen oder nicht? Ich glaube, hier sind wir an Grenzen gestoßen. Wir müssen ehrlich die Frage beantworten: Wie wollen wir das für die handelnden Personen, maßgeblich für die Ärzte, so regeln, daß sie das vor ihrem Gewissen auch verantworten können?

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Nach Ausfall der Herz-Kreislauf-Funktion kann von einem Toten Gewebe, wie harte Hirnhaut, Knochenmasse oder Augenhornhaut, entnommen werden. Will man jedoch Organe, wie Niere, Herz, Leber, Bauchspeicheldrüse usw., entnehmen und verpflanzen, so kann man dies nur bei Aufrechterhaltung der Herz-Kreislauf-Funktion des Toten.
Die einzige Möglichkeit, dies zu tun, ergibt sich bei der Definition des Hirntodes als Todeszeitpunkt. Die Definition des Hirntodes verlangt den irreversiblen Ausfall aller Hirnfunktionen. Man kann dies schon durch klinische Untersuchungen eindeutig feststellen. Man kann natürlich auch durch technische Untersuchungen die Diagnose ergänzen und die Beobachtungszeit verkürzen.
Nach Auffassung des Wissenschaftlichen Beirates der Bundesärztekammer sind die maßgeblichen klinischen Symptome Bewußtlosigkeit, Lichtstarre bei den Pupillen, Fehlen bestimmter Augenreflexe, Fehlen von Schmerzreizen sowie Ausfall der Spontanatmung. Die technischen Untersuchungen beinhalten bestimmte EEG-Beurteilungen sowie den Nachweis des Durchblutungsstillstandes des Gehirns durch Ultraschallmethoden.
Als Dauer der Beobachtung sollen bei Erwachsenen nach primärer Hirnschädigung mindestens zwölf Stunden, nach sekundärer Hirnschädigung mindestens drei Tage übereinstimmend nachgewiesen werden.
Für den Wissenschaftlichen Beirat der Bundesärztekammer ist der völlige und endgültige Hirnausfall ein sicheres Todeszeichen des Menschen. Dies wird auch in der Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland so gesehen - ich zitiere -:
Der Hirntod bedeutet ebenso wie der Herztod den Tod des Menschen. Mit dem Hirntod fehlt dem Menschen die unersetzbare und nicht wiederzuerlangende körperliche Grundlage für sein geistiges Dasein in der Welt.
Ich bin der festen Überzeugung, daß der vorliegende Gesetzentwurf über die Spende, die Entnahme und die Übertragung von Organen alle diese

Dr. Hansjörg Schäfer
Überlegungen berücksichtigt. Er berücksichtigt die Interessen der Spender, der ihnen nahestehenden Menschen, der Empfänger und auch der beteiligten Ärzte. Ich werbe für eine breite Zustimmung zu diesem Gedanken.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1309904100
Das Wort hat die Kollegin Editha Limbach, CDU/CSU.

Editha Limbach (CDU):
Rede ID: ID1309904200
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, es ist ganz deutlich geworden, daß wir uns bei der Vorbereitung dieses Gesetzgebungsvorhabens sehr viel Mühe gegeben haben, daß wir es sehr ernst nehmen und daß wir es uns nicht leichtmachen. Ich bin davon überzeugt, daß es im weiteren Beratungsverfahren zu schwierigen Entscheidungsprozessen kommen wird. Manch einer von uns, der sich noch nicht so intensiv mit diesen Fragen befaßt hat, ist vielleicht sogar erst heute morgen durch die Diskussion derer, die sich schon vorher mit dem Thema fachlich beschäftigt haben, darauf aufmerksam geworden, wie schwierig die Entscheidungen sind, die wir zu treffen haben, und wie sorgfältig man hierbei vorgehen muß.
Deshalb war es richtig, daß es in dem langen Vorlauf, den dieser Gesetzentwurf und die Vorschläge haben, die die verschiedenen Gruppen des Parlaments gemacht haben, Diskussionen und Sachverständigenanhörungen gegeben hat, und zwar nicht nur mit Medizinern und Naturwissenschaftlern, sondern auch mit Theologen und Philosophen. Denn die Frage von Tod und Leben - so ist das eben zu Recht gesagt worden - kann nicht nur naturwissenschaftlich gelöst werden. Aber wenn man es so macht, dann muß man auch den Mut haben, Vertrauen zu den auf anderen Gebieten Fachkundigeren zu entwickeln.
Man sollte sich vor Augen führen - auch das ist vorhin schon gesagt worden, aber ich darf es wiederholen -, daß die übergroße Mehrheit der Wissenschaftler, die sich mit diesen Fragen beschäftigen, der Auffassung ist, daß der Hirntod das richtige Kriterium für die Feststellung des Todes ist und damit auch eine rechtliche Grundlage für die verantwortliche Entscheidung zur Organentnahme und Organtransplantation schaffen kann. Sie sind sich auch darüber einig, daß mit dem Hirntod nicht erst ein Prozeß eingeleitet wird, sondern daß damit der Mensch als Persönlichkeit - dazu gehören auch Bewußtsein und Geist und nicht nur Körperfunktionen - tot ist.
Herr Kollege Schmidbauer, Sie haben vorhin meiner Ansicht nach etwas sehr Riskantes getan. Sie haben auf vorhandene Ängste und Emotionen angespielt, indem Sie Beispiele gebracht haben, die es gibt, denen man aber auch andere entgegensetzen kann. Deshalb möchte ich Ihnen, was ich eigentlich nicht wollte, ein anderes Beispiel nennen.
Auf einer Autobahn in der Nähe von Bonn ist ein junger Mann bei einem Motorradunfall ums Leben gekommen. Er hatte keine Entscheidung über eine
Organentnahme getroffen. So wurden seine Eltern gefragt. Sie haben in Einschätzung dessen, daß ihr Sohn stark in der kirchlichen Jugendarbeit engagiert war und sich immer sehr für andere Menschen eingesetzt hat, entschieden - unter großen Schwierigkeiten, die das macht -: Ja, wir stimmen der Organentnahme zu.
Jetzt, nachdem eine gewisse Zeit vergangen ist, sagen sie, daß es für sie ein enormer Trost ist, daß der Tod ihres Sohnes nicht sozusagen umsonst war, sondern daß er dazu beigetragen hat, daß ein anderer Mensch, dem ein Organ zur Verfügung gestellt werden konnte, weiterleben kann. Auch das ist ein Gedanke, den man berücksichtigen muß. Denn ich glaube, die Frage der Organspende ist auch eine Frage unserer Einstellung zum Tod - akzeptieren wir, daß es, weil man lebt, zu irgendeinem Zeitpunkt zwangsläufig immer auch den Tod gibt? - und unserer Einstellung zu dem, was ich vielleicht als Nächstenliebe bezeichnen würde, was andere als Mitmenschlichkeit und wieder andere als humanitäres Gedankengut bezeichnen würden.
Wenn ich nicht davon überzeugt wäre, daß der Hirntod der richtige Zeitpunkt für die Feststellung des Todes ist, dann könnte ich wie Sie, Herr Kollege Dreßler, einer Organentnahme überhaupt nicht zustimmen. Denn ich kann doch, einmal abgesehen von den allgemein-rechtlichen Dingen, als Person und als Abgeordnete den Ärzten und Krankenschwestern nicht sagen: Hört mal, tot ist der zwar nicht; aber geht mal ruhig mit dem Skalpell daran und holt das Organ heraus, das irgendeinem anderen Menschen hilft.
Ich sehe die Problematik und nehme die Bedenken ernst. Aber ich glaube, man muß eine endgültige Entscheidung treffen und irgendwann seinen Zweifeln eine Richtung geben und sagen: So überwinde ich sie, und das ist es jetzt.
Eine wichtige Aufgabe ist es auch, durch eine klare gesetzliche Regelung Vertrauen zu schaffen, damit den Menschen die Sorge, da könnte irgend etwas sehr Unwägbares auf sie zukommen, genommen wird. Ich werbe wie alle, die hier gesprochen haben, sehr dafür, daß sich möglichst viele Menschen freiwillig entschließen, einen Organspenderausweis zu beantragen und ihn zu unterschreiben.
Aber ich sehe gerade in unserer Gesellschaft - Frau Süssmuth hat darauf hingewiesen -, in der der Tod ein bißchen mit einem Tabu belegt ist, die Schwierigkeit, daß jeder seinen Willen auch wirklich dokumentiert. Deshalb finde ich die erweiterte Zustimmungslösung richtig, weil dann die Menschen, die in einer besonders engen Beziehung zu dem Verstorbenen gestanden haben, stellvertretend für ihn entscheiden können: Wenn er noch Zeit hätte, sich selbst zu entscheiden, wäre er bereit, anderen noch im Tod zu helfen.
Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD)



Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1309904300
Der Kollege Wolfgang Lohmann, CDU/CSU, gibt seine Rede zu Protokoll.*)
Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/2926, 13/4355, 13/4114, 13/587 und 13/4368 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Der Antrag der Abgeordneten Dr. Wolfgang Wodarg, Dr. Herta Däubler-Gmelin, Horst Schmidbauer und weiterer Abgeordneter zu den Kriterien für die Spende, Entnahme und Übertragung von menschlichen Organen auf der Drucksache 13/4114 soll zusätzlich an den Innenausschuß und den Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über ihre Malinahmen zur Förderung der Kulturarbeit gemäß § 96 BVFG in den Jahren 1991 und 1992 sowie die Fortschreibung des Aktionsprogramms des Bundesministeriums des Innern zur Förderung der deutschen Kultur des Ostens in den Jahren 1994 bis 1999
- Drucksachen 12/7877, 13/725 Nr. 22, 13/3195 -
Berichterstattung: Abgeordnete Helmut Koschyk
Gisela Schröter
Rezzo Schlauch
Dr. Max Stadler
Dazu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Im Ältestenrat war eine Beratungszeit verabredet. Aber mir ist mitgeteilt worden, daß sich die Fraktio-
*) Anlage 2
nen darauf verständigt haben, die Debattenbeiträge zu Protokoll zu geben. Es handelt sich dabei um die Beiträge der folgenden Abgeordneten: Hartmut Koschyk, CDU/CSU, Gisela Schröter, SPD, Annelie Buntenbach, Bündnis 90/Die Grünen, Ina Albowitz, F.D.P., Winfried Wolf, PDS, Thomas Krüger, SPD, und für die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär Horst Waffenschmidt.*)
Dann schließe ich die nicht eröffnete Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst über die Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu dem Bericht der Bundesregierung zur Förderung der Kulturarbeit und zur Fortschreibung des Aktionsprogramms zur Förderung der deutschen Kultur des Ostens; das ist die Drucksache 13/3195. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Opposition angenommen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/4369. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei Stimmenthaltung der SPD abgelehnt.
Wir stimmen jetzt über den Enschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/4400 ab. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Enschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Gruppe der PDS gegen die Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Wir sind damit, verehrte Kolleginnen und Kollegen, am Schluß unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 24. April 1996, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.