Gesamtes Protokol
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sitzung ist eröffnet.Darf ich Sie bitten, sich zu erheben.Gestern erreichte uns die Nachricht, daß unser Kollege Dr. Ulrich Böhme wenige Tage vor Vollendung seines 57. Lebensjahres verstorben ist. Geboren in Chemnitz am 12. Februar 1939, studierte Ulrich Böhme nach dem Abitur Germanistik, Geschichte, Philosophie und Pädagogik und schloß sein Studium mit Staatsexamen und Promotion ab. Der Verstorbene engagierte sich früh in der Gewerkschaft und in der Evangelischen Kirche von Westfalen.Seine politische Heimat fand er 1969 in der SPD. Seit 1987 gehörte Ulrich Böhme dem Deutschen Bundestag an, wo er den Wahlkreis Unna I vertrat. In seinem Wahlkreis suchte Ulrich Böhme die Nähe zu den Problemen der Bergarbeiter und ihrer Familien, der vielen Zuliefererbetriebe und der Einzelhandelsgeschäfte, die vom Bergbau abhängen. Er brachte diese Erfahrung in seine Arbeit im Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie im Petitionsausschuß ein, wo er sich vor allem für die Belange der Benachteiligten und sozial Schwächeren einsetzte. Viel Zeit und Engagement hat er dem deutsch-amerikanischen Jugendaustausch gewidmet.Wir verlieren mit Ulrich Böhme einen liebenswerten und aktiven Kollegen, der von seiner Person wenig Aufhebens machte und stets die Sache, um die es ging, in den Vordergrund stellte. Seine Arbeit und sein Rat werden uns fehlen.Der Deutsche Bundestag gedenkt des verstorbenen Kollegen mit Anteilnahme und Respekt. Unser aller Mitgefühl gilt seiner Familie.Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, mit Trauer und Bestürzung haben wir die Nachricht von dem Absturz eines Verkehrsflugzeugs einer türkischen Fluggesellschaft in der Dominikanischen Republik aufgenommen, bei dem von den 189 Passagieren und Besatzungsmitgliedern offenbar niemand überlebt hat. Das Flugzeug, das sich mit meist deutschen Touristen auf dem Heimflug befand, stürzte aus bisher ungeklärter Ursache kurz nach dem Start ins Meer. Unter den Opfern befinden sich auch zwei Abgeordnete des polnischen Sejm. Nie-mand, der die Bilder der wartenden Angehörigen und Freunde auf den deutschen Flughäfen gesehen hat, kann sich des Gefühls tiefen Mitleids entziehen.Wir appellieren auch aus diesem Anlaß an alle Verantwortlichen, äußerste Anstrengungen zu unternehmen, die Vorschriften der internationalen Flugsicherheit strikt zu beachten.Wir gedenken der Opfer und nehmen Anteil an dem Leid und der Trauer der von dem Unglück betroffenen Familien.Sie haben sich zum Gedenken erhoben; ich danke Ihnen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich von dieser Stelle aus unserem Kollegen Hans Koschnick eine Botschaft des Dankes, der Verbundenheit und der großen Anerkennung für sein Wirken in Mostar zukommen lassen.
Hans Koschnick unterläßt trotz des nicht abreißenden Hasses nichts, um Frieden in Mostar zu schaffen. Wir sind mit ihm verbunden und wissen, was er für den Frieden leistet.Bevor wir mit der Debatte beginnen, habe ich Anlaß, zunächst unserer Kollegin Gertrud Dempwolf, die am 3. Februar ihren 60. Geburtstag feierte, und dem Kollegen Wolfgang Krause , der seinen 60. Geburtstag am 4. Februar beging, nachträglich die herzlichsten Glückwünsche des Hauses auszusprechen.
Sodann teile ich mit, daß der Abgeordnete Heinz Lanfermann am 7. Februar 1996 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet hat.
Als sein Nachfolger hat der Abgeordnete Dr. GuidoWesterwelle mit Wirkung vom heutigen Tag die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben.Präsidentin Dr. Rita SüssmuthHerzlich willkommen; ich wünsche uns eine gute Zusammenarbeit.
Aus dem Vermittlungsausschuß scheidet der Abgeordnete Joseph Fischer als ordentliches Mitglied aus. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen schlägt als Nachfolgerin die Abgeordnete Kerstin Müller (Köln) vor, die bisher stellvertretendes Mitglied war. Neues stellvertretendes Mitglied soll der Abgeordnete Oswald Metzger werden.Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Damit sind die Kollegin Kerstin Müller als ordentliches und der Kollege Oswald Metzger als stellvertretendes Mitglied im Vermittlungsausschuß bestimmt.Die Fraktion der F.D.P. teilt mit, daß der Bundesminister Dr. Edzard Schmidt-Jortzig als Mitglied sowohl aus dem Gremium gemäß § 9 Abs. 1 des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses als auch aus dem Gremium nach § 41 des Außenwirtschaftsgesetzes ausscheidet. Als Nachfolger für beide Gremien wird der Kollege Dr. Max Stadler vorgeschlagen.Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Damit ist der Kollege Dr. Max Stadler sowohl als Mitglied im Gremium gemäß § 9 Abs. 1 des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses als auch als Mitglied im Gremium nach § 41 des Außenwirtschaftsgesetzes bestimmt.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung erweitert werden. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:1. Beratung des Antrags der Gruppe der PDS: Kein Einsatz der Bundeswehr in Ostslawonien - Drucksache 13/ 3693 -2. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN gemäß Nummer 1 Buchstabe b Anlage 5 GO*)3. Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zum Jahreswirtschaftsbericht 1996 und zu dem Bericht der Bundesregierung Aktionsprogramm für Investitionen und Arbeitsplätze4. Beratung des Antrags der Abgeordneten Margareta Wolf , Marieluise Beck (Bremen), Matthias Berninger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Reformblockaden überwinden: Die ökologische, wirtschaftliche und soziale Erneuerung einleiten - Drucksache 13/3713 -5. Wahl der Mitglieder für den Verwaltungsrat der Filmförderungsanstalt - Drucksache 13/3694 -6. Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Sicherheitsanforderungen an Produkte und zum Schutz der CE-Kennzeichnung - Drucksache 13/3130 -*) In der 85. Sitzung am Mittwoch, 7. Februar 1996, bereits erledigt.b) Erste Beratung des von der Abgeordneten Vera Lengsfeld und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung der fortgeltenden Rechtsvorschriften des Berggesetzes der Deutschen Demokratischen Republik - Drucksache 13/3489 -c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Rolf Schwanitz, Jelena Hoffmann , Hans-Joachim Hacker, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vereinheitlichung des Bergrechts nach der deutschen Einheit - Drucksache 13/3625 -7. Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 29. Juni 1994 über die Zusammenarbeit zum Schutz und zur verträglichen Nutzung der Donau - Drucksachen 13/1884, 13/3573 -8. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.: Finanzierung der Investitionskosten der Pflegeeinrichtungen - Drucksache 13/3699 -Von der Frist für den Beginn der Beratung soll - soweit es bei einzelnen Punkten der Tagesordnung erforderlich ist - abgewichen werden.Außerdem mache ich auf eine nachträgliche sowie eine geänderte Ausschußüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:Der in der 83. Sitzung des Deutschen Bundestages am 1. Februar 1996 überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll nachträglich dem Auswärtigen Ausschuß, dem Innenausschuß und dem Verteidigungsausschuß zur Mitberatung überwiesen werden:Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Verkehrsvorsorge - Drucksache 13/3354 -Überweisung:Ausschuß für Verkehr Auswärtiger AusschußInnenausschußRechtsausschußVerteidigungsausschußDie in der 83. Sitzung des Deutschen Bundestages am 1. Februar 1996 erfolgte Überweisung nachfolgender Entschließungsanträge soll wie folgt geändert werden:Entschließungsantrag der Abgeordneten Steffi Lemke, Ulrike Höfken, Michaele Hustedt und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Großen Anfrage: Lage der Fischerei - Drucksache 13/3634 -Überweisung:Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitEntschließungsantrag der Abgeordneten Ilse Janz, Ernst Bahr, Christel Deichmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD zur Großen Anfrage: Lage der Fischerei - Drucksache 13/3621 -Überweisung:Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und ForstenSind Sie mit den Vereinbarungen einverstanden? - Das ist der Fall; dann verfahren wir so.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 c sowie die Zusatzpunkte 3 und 4 auf:4a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Jahreswirtschaftsbericht 1996 der Bundesregierung „Vorrang für Beschäftigung"- Drucksache 13/3601-
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Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7481
Präsidentin Dr. Rita SüssmuthÜberweisungsvorschlag:Ausschuß für Wirtschaft
FinanzausschußAusschuß für Arbeit und SozialordnungAusschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und TechnikfolgenabschätzungAusschuß für Fremdenverkehr und TourismusAusschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschußb) Beratung der Unterrichtung durch die BundesregierungAktionsprogramm für Investitionen und Arbeitsplätze- Drucksache 13/3629 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Wirtschaft
FinanzausschußAusschuß für Arbeit und SozialordnungHaushaltsausschußAusschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebauc) Beratung der Unterrichtung durch die BundesregierungJahresgutachten 1995/96 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung- Drucksache 13/3016 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Wirtschaft
FinanzausschußAusschuß für Arbeit und SozialordnungAusschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für GesundheitAusschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und TechnikfolgenabschätzungAusschuß für Fremdenverkehr und Tourismus HaushaltsausschußZP3 Abgabe einer Erklärung der Bundesregierungzum Jahreswirtschaftsbericht 1996 und zu dem Bericht der Bundesregierung Aktionsprogramm für Investitionen und ArbeitsplätzeZP4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Margareta Wolf , Marieluise Beck (Bremen), Matthias Berninger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENReformblockaden überwinden: Die ökologische, wirtschaftliche und soziale Erneuerung einleiten- Drucksache 13/3713 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Wirtschaft
FinanzausschußAusschuß für VerkehrAusschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und TechnikfolgenabschätzungZum Jahreswirtschaftsbericht liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen sowie der Gruppe der PDS vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Aussprache im Anschluß an die Regierungserklärung vier Stunden vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch; dann verfahren wir so.Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Bundesminister für Wirtschaft, Dr. Günter Rexrodt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gemäß Stabilitäts- und Wachstumsgesetz legt die Bundesregierung den Jahreswirtschaftsbericht 1996 vor. Er kommt in schwieriger Zeit. Die heute bekanntgewordenen Zahlen zur Arbeitslosigkeit zeigen das besonders drastisch. Besorgniserregend ist dabei besonders die Dynamik des Anstiegs. Bei den nicht bereinigten Zahlen haben wir einen Zuwachs, der um 80 000 über dem des Vorjahres liegt. Die Zahl von insgesamt 4 Millionen Arbeitslosen ist deutlich überschritten.
Die Lage am Arbeitsmarkt erfordert ungewöhnliche Anstrengungen und ungewöhnliche Maßnahmen. Der Jahreswirtschaftsbericht und das Aktionsprogramm sollen dazu einen Beitrag leisten. Sie sollen neue Beschäftigungschancen eröffnen und das Vertrauen in die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft stärken.
Die Kernbotschaften dabei sind:
Erstens. Wir werden zwar die derzeitige Wachstumspause überwinden, das heißt wir werden noch im Laufe des Jahres 1996 mehr Dynamik haben.
Aber, zweitens, Wachstum allein wird für einen deutlichen Erfolg im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit nicht ausreichen.
Wir brauchen Vorrang für Beschäftigung im politischen Handeln, auch in Bereichen, an die wir uns bisher nicht herangewagt haben. Wir brauchen Vorrang für Beschäftigung beim Verhalten der Tarifpartner und der gesellschaftlichen Gruppen, Vorrang für Beschäftigung als Leitlinie einer gemeinsamen Strategie, die wir im Bündnis für Arbeit und Zukunftssicherung umsetzen wollen.
„Vorrang für Beschäftigung" ist daher auch der Titel des Jahreswirtschaftsberichts.
Meine Damen und Herren, die Gründe, die zur jetzigen Lage am Arbeitsmarkt geführt haben, sind klar und ausführlich analysiert. Unsere Einschätzung deckt sich dabei im übrigen mit der des Sachverständigenrates, dem ich an dieser Stelle für seine Arbeit danken möchte.
Eine Reihe von Faktoren hat die Beschäftigungslage belastet und belastet sie weiter, so zum Beispiel die Aufwertung der D-Mark, die unerwartet hohen Lohnabschlüsse im vorigen Jahr und die deutliche Abschwächung insbesondere im Baubereich, die wir auch in diesem Jahr beobachten können.
Außerdem, meine Damen und Herren, haben wir außenwirtschaftliche Herausforderungen: die Glo-
Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
balisierung der Märkte, die Öffnung nach Osten, das Auftreten neuer, leistungsfähiger Wettbewerber. Das alles ist nicht mehr nur die Beschreibung exotischer Vorgänge. Das ist auch kein politisches Wortgeklingel. Das sind Entwicklungen, meine Damen und Herren, die das Arbeitsleben eines jeden einzelnen erreichen.
Allein in den nächsten drei Jahrzehnten werden weltweit zusätzlich 1,2 Milliarden Menschen um Arbeitsplätze konkurrieren. Der Wettbewerbsdruck auf Hochlohnstandorte, auf Deutschland, auf unsere Unternehmen und Arbeitnehmer nimmt zu.
Falsch wäre es, darauf mit Protektionismus zu reagieren. Wir können diesem Druck nur standhalten, wenn wir bei uns die vielfältigen Hemmnisse für Wachstum und Beschäftigung beseitigen. Wir können auf der anderen Seite die Chancen der Globalisierung nur wahrnehmen mit moderner Produktion und mit Verteilungssystemen, die unsere Unternehmen nicht überfordern.
Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie machen es sich zuweilen sehr einfach.
Sie behaupten schlicht, die Koalition habe in 13 Jahren versäumt - in den 13 Jahren, die wir regieren -, die notwendigen Reformen anzugehen.
Das ist eine simple Denkweise, ein simples Strickmuster.
Das ist vollkommen falsch. Richtig ist, daß Sie uns immer wieder Steine in den Weg gelegt haben, wenn wir die notwendigen Reformen angehen wollten.
Sie wissen genau, daß eine Regierung Vollbeschäftigung nicht garantieren kann und daß die Arbeitslosigkeit in unserem Lande ebenso viele Ursachen wie Verursacher hat. Die Bürger draußen wissen genau, was sie von den Beiträgen der Opposition zur sogenannten modernen Wirtschaftspolitik halten sollen.
Wer sich nur punktuell auf ein oder zwei Themen stürzt - Sie nennen immer die Photovoltaik und die Verlagerung der Sozialkosten auf den Steuerzahler -, der springt zu kurz.
Wer wollte bestreiten, daß wir infolge weltwirtschaftlicher Umwälzungen und der deutschen Einheit vor besonders schwierigen Aufgaben stehen?
Wir haben starre Arbeitszeiten, geringe Spielräume für Lohnabschlüsse im Einzelfall und komplizierte Regeln im Kündigungsschutz.
Wer wollte bestreiten - Herr Fischer, Sie etwa? -, daß hierdurch Menschen, die Arbeit suchen, weniger Chancen haben? Wer so etwas behauptet, hat keine Ahnung oder polemisiert,
der schreit, ohne Argumente zu haben. Die Lautstärke von Zwischenrufen sagt nichts über deren Richtigkeit aus.
Unser Sozialsystem bietet Leistungen wie kein anderes in der Welt. Wer wollte bestreiten, daß wir auch bei den Sozialsystemen die Grenze der Finanzierbarkeit und die der Belastbarkeit der Unternehmen und Arbeitnehmer erreicht haben?
Ich kann Ihnen von der Opposition nur sagen: Wer Tabus aufbaut, der riskiert, daß der Sozialstaat an Überlastung zerbricht. Wer die notwendigen Veränderungen in unserer Gesellschaft kleinredet und mit populistischen Argumenten diskreditiert, wer lieber teure Wohltaten als unangenehme Wahrheiten verkündet, der hat die Situation nicht verstanden. Die aktuelle Diskussion über die Frühverrentung ist hierfür ein Beispiel.
Meine Damen und Herren, der Sachverständigenrat, anerkannte internationale Institutionen wie die OECD und der IWF und auch der Europäische Rat sind mit uns der Meinung: Es ist ein in sich schlüssiges Bündel von Maßnahmen für stabiles Geld und ausgeglichene öffentliche Haushalte, für niedrigere Steuern und Abgaben, für den Rückzug des Staates aus der Wirtschaft, für mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt und auf den Güter- und Kapitalmärkten erforderlich.
Meine Damen und Herren, die Dinge müssen beim Namen genannt werden.
Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
Es ist die Opposition, die in den meisten Bereichen vernünftige Ansätze für mehr Beschäftigung blokkiert hat.
Sie waren es doch, die die Unternehmensteuerreform zum 1. Januar 1996 verhindert haben.
Sie haben damit die Chance verspielt, den Investoren in Deutschland ein Signal zu geben, und Sie haben die Chance verspielt, daß mehr Menschen in Arbeit und Brot kommen. Das wäre ein Signal gewesen, das wir gebraucht hätten. Sie haben das auf dem Gewissen!
Sie haben unsere Vorschläge für mehr Flexibilität im Arbeitszeitrecht abgelehnt. Statt dessen - erinnern Sie sich daran - haben Sie Regelungen vorgeschlagen, die noch restriktiver sind als die der Arbeitszeitverordnung von 1938. Sie wollten das Überschreiten der regelmäßigen täglichen Arbeitszeit nur zulassen, wenn eine ausdrückliche Vereinbarung der Tarifpartner vorliegt, und dann auch nur für zwei Stunden am Tag.
Meine Damen und Herren, das sind die Maßnahmen und das ist die Abwehrhaltung, die zukunftsorientierte Arbeitsplätze verhindern.
Ein weiteres Beispiel: Schauen wir uns die Energiekonsensgespräche an. Diese haben Sie zweimal zum Scheitern gebracht. Dadurch haben Sie die Rahmenbedingungen für einen langfristig vernünftigen Energiemix verschlechtert. Manchmal habe ich den Eindruck gehabt, Sie haben sie deshalb scheitern lassen, damit Sie den Herrn Schröder richtig ausbremsen können. Das sind die eigentlichen Hintergründe.
Neue Blockaden schaffen Sie, indem Sie in unverantwortlicher Weise die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion als Vernichtungsprogramm für deutsche Arbeitsplätze bezeichnen. Herr Spöri, der hier heute unter uns ist, ist der Wortführer bei solchen Aussagen. Da wird die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion im Wahlkampf benutzt,
entgegen einer Übereinkunft, die in diesem Parlament und zwischen den Parteien gemeinsam getroffen worden war und die besagte, daß wir uns in bezug auf die europäische Thematik nicht gegenseitig Vorwürfe machen und diese Dinge nicht in den Wahlkampf ziehen.
Wir stehen dafür, und wir bleiben dabei: Die Wirtschafts- und Währungsunion muß unter Einhaltung der Konvergenzkriterien im Zeitrahmen verwirklicht werden, und wer dies als „Vernichtungsprogramm für Arbeitsplätze" bezeichnet, meine Damen und Herren, der macht sich schuldig am Verlust von Arbeitsplätzen in Deutschland.
Ich kann nur sagen: Die SPD steckt mit ihrem grünen Wunschpartner in einem Dilemma
zwischen unbestreitbaren Notwendigkeiten, die viele von Ihnen sehen und in kleinen Gruppen auch zugeben und zugestehen, und ideologischen Zwängen, die aus taktischen, auch wahltaktischen Gründen nicht über Bord geworfen werden können.
Sie sind Geisterfahrer, gemeinsam, und standortpolitische Geisterfahrer sind das letzte, was wir in dieser Situation brauchen.
Meine Damen und Herren von der Opposition, nehmen Sie sich ein Beispiel an den Gewerkschaften. Die Gewerkschaften haben den Ernst der Lage erkannt, und sie spielen eine konstruktive Rolle.
Mit dem Bündnis für Arbeit und Standortsicherung verbessern wir gemeinsam unsere Chancen, die Arbeitslosigkeit wirksam zu bekämpfen.
Ich sehe in der Übereinkunft der Kanzlerrunde vom 23. Januar einen wichtigen gesellschaftspolitischen Schritt nach vorn. Das Ergebnis zeigt eindrucksvoll, daß Politik, Gewerkschaft und Wirtschaft gewillt sind, in die gleiche Richtung zu gehen, und die Runde beim Bundeskanzler hat den Rahmen abgesteckt: bessere Investitionsbedingungen, flexible Ausgestaltung der Arbeitswelt, neue Impulse für Forschung und Entwicklung und für die Förderung von Bildung und Weiterbildung. Das ist eine Vereinbarung, die die Gewerkschaften, die Wirtschaft und die Politik getroffen haben.
Wichtig ist, meine Damen und Herren, daß die Richtung beschrieben worden ist, in der wir uns bewegen müssen; wichtig ist, daß mit dem Bündnis für Arbeit eine Plattform entstanden ist, auf die wir aufbauen können und bei der es jetzt darauf ankommt, daß wir diese Plattform
und das, was dort Programm geworden ist, mit konkreten Maßnahmen ausfüllen.
Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
Sie waren nicht dabei, meine Damen und Herren. Dieses Bündnis ist ganz wichtig für unser Land, und das ist das Entscheidende.
Die Bundesregierung übernimmt mit dem Aktionsprogramm ihren Teil der Verantwortung. Natürlich schaffen wir nicht auf einen Schlag ausreichend Beschäftigung und ausgeglichene Staatshaushalte; natürlich können wir nicht aus dem Stand den Sozialstaat erneuern und gleichzeitig alle ökologischen Probleme lösen.
Das Aktionsprogramm ist aber - und so wird es auch draußen gesehen - ein entscheidender Schritt in die richtige Richtung.
Meine Damen und Herren, ich habe Verständnis dafür, wenn die Gewerkschaften nicht mit allem einverstanden sind,
zum Beispiel da, wo wir die Ausgabensteigerung bei Kuren, beim Personal des öffentlichen Dienstes oder beim Arbeitslosengeld bremsen wollen. Ich habe jedenfalls mehr Verständnis für diese Sorgen als für die Einwürfe und Alternativen der Opposition, soweit diese überhaupt erkennbar sind.
Herr Schröder träumt von Helmut Schmidts Inflationsrezepten der 70er Jahre, Herr Schwanhold und Frau Matthäus-Maier sagen das Gegenteil.
Herr Lafontaine vermißt die Makroorientierung der Politik, und Herr Mosdorf verkündet ein Mikroprogramm.
Sein Vorschlag, mit steuerlichen Sondervergünstigungen ausländische Investoren nach Deutschland zu locken, zeigt die Konfusion in den Reihen der SPD, und dazu paßt dann auch das Sammelsurium des Zehn-Punkte-Plans der SPD, von dem auch noch die Hälfte aus Appellen an die Tarifparteien besteht.
Meine Damen und Herren, Sie liegen auch falsch mit Ihrer Aufforderung, die Bundesbank für die Beschäftigungspolitik in die Pflicht zu nehmen. Wer ständig davon redet, die Bundesbank müsse die Zinsen senken, der zeigt, daß ihm die Unabhängigkeit dieser Institution nicht so wichtig ist.
Wer die Stabilität der D-Mark und der europäischen Währung will, muß die Unabhängigkeit der Bundesbank verteidigen, der darf nicht ständig darüber reden, was sie tun oder was sie lassen muß, und er darf nicht das große Vertrauen der Bürger und der Wirtschaft in die Politik der Bundesbank untergraben.
Falsch und hilflos ist schließlich auch die Idee von Ihnen, Herr Scharping, unsere Grenzen dichtmachen zu wollen, um den deutschen Arbeitsmarkt zu entlasten.
- Das ist so.
Sie, Herr Lafontaine, haben letzte Woche angekündigt, Herrn Hintze eine Bibel zu schenken. Ich rate Ihnen: Lesen Sie vorher nach, was dort über die babylonische Sprachverwirrung und deren Folgen beschrieben ist.
Meine Damen und Herren von der SPD, Sie haben weder eine klare Analyse noch haben Sie ein Konzept, noch haben Sie Vorschläge. Sie reden über alles und nichts. Wirtschaftspolitisch sind Sie ein Ausfall für dieses Land, meine Damen und Herren!
Im Gegensatz dazu redet die Bundesregierung in einer klaren und eindeutigen Sprache. Unser Aktionsprogramm folgt einer ordnungspolitisch verläßlichen Orientierung. Es ist ein Konzept, das an den zu hohen Arbeitskosten am Standort Deutschland ansetzt, das mehr Anreize für neue Arbeitsplätze schafft, das die Wechselwirkungen zwischen Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik berücksichtigt. Es ist ein Konzept, das für gemeinsames und umfassendes Handeln und für mehr Arbeitsplätze steht. Jedes der neuen Handlungsfelder, die dieses Aktionsprogramm ausmachen, steht für diese Orientierung.
Ich komme zu einem ganz wichtigen Bereich: den Existenzgründungen und der Deregulierung.
Wir brauchen eine Kultur der Selbständigkeit in Deutschland.
- Je mehr Sie schreien, desto mehr Erfolg und Rückhalt werden Sie im Mittelstand finden, meine Damen und Herren, um den Sie sich ja bemühen.
Der Mittelstand weiß, daß er die Unterstützung der Politik, und zwar von dieser Seite, hat. Das ist das Entscheidende und Wichtige.
Alle Welt weiß, daß neue Arbeitsplätze im Mittelstand durch Existenzgründer und innovative Unternehmen entstehen. Wir werden den Unternehmen helfen, Kapitalgeber zu finden, die auch risikoreiche Investitionen finanzieren wollen. Dafür schaffen wir steuerliche Erleichterungen. Außerdem schaffen wir zinsgünstige Finanzierungsmöglichkeiten - wiederum für innovative Unternehmen, für wachsende Unternehmen mit Liquiditätsengpässen, für Investitionen im Umweltschutz und in der Infrastruktur.
Wir werden Existenzgründungen in der schwierigen Anfangsphase von Steuern entlasten. Dabei wird der Schwerpunkt beim verarbeitenden Gewerbe und bei technologieorientierten Dienstleistungen liegen. Die Bundesregierung wird dazu, meine Damen und Herren, in Kürze die konkrete Ausgestaltung angehen. Entweder schaffen wir eine auf drei Jahre
Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
begrenzte Befreiung von der Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer oder wir verbessern die Möglichkeiten von Steuerstundungen bei Investitionsrücklagen.
So mancher Arbeitsplatz entsteht erst gar nicht, weil bürokratische Fesseln und Eingriffe in den freien Wettbewerb unternehmerische Betätigungen mit unnötigen Riegeln versehen.
Ein Beispiel ist die Biotechnologie. In diesem Bereich haben wir heute in Deutschland 40 000 Arbeitsplätze. Es könnten mehr als 100 000 Arbeitsplätze sein, wenn die Weichen schon früher in Richtung auf die freie Entfaltungsmöglichkeit gestellt worden wären.
Deutsche Chemieunternehmen beschäftigen in ihren Forschungsabteilungen in den USA Tausende von Arbeitnehmern. Darunter sind nicht wenige Arbeitsplätze, die bei besseren Rahmenbedingungen in Deutschland hätten entstehen können. Hier zeigt sich konkret, was Technikfeindlichkeit für den Standort Deutschland bedeuten kann. Technikfeindlichkeit, die in Ihren politischen Zirkeln gepflegt und in vielen Ländern und Kommunen Tag für Tag umgesetzt wird, meine Damen und Herren von der Opposition, ist das, was dieses Deutschland im Hinblick auf die Arbeitsplätze so problematisch gemacht hat.
Mit dem Aktionsprogramm wollen wir auch an dieser Stelle Blockaden aufbrechen und die Arbeitsbedingungen in unserem Land wieder attraktiver machen. Entscheidende Schritte zu mehr Wettbewerb werden wir bei der Post und Telekommunikation sowie bei der Strom- und Gasversorgung angehen.
Die SPD hat in diesem Bereich lange dem Interventionismus das Wort geredet. Sie warten stets so lange, bis sie sich den unabdingbaren Notwendigkeiten nicht länger entziehen können. Die Postreform ist das beste Beispiel dafür, wie Sie über Jahre hinweg dafür gesorgt haben, daß die Privatisierung verzögert wurde und wir in der Telekommunikation nicht eine noch bessere Position weltweit einnehmen konnten, als das heute der Fall ist, meine Damen und Herren.
Sie sind von der Angst geprägt. Das drückt sich in Ihrer Frage aus, ob denn nicht irgendwo kurzfristig Arbeitsplätze verlorengehen. Ich sage Ihnen: Schauen Sie sich einmal die Entwicklung im Mobilfunk an! Hier sind in den letzten Jahren über 20 000 neue Arbeitsplätze entstanden. Wir haben gute Chancen, über die bestehenden 1,4 Millionen Arbeitsplätze im Bereich der Informationstechnologie hinaus noch einmal 1,5 Millionen Arbeitsplätze zu schaffen, wenn die Bedingungen in Deutschland dafür hergestellt und verbessert werden. Das ist nicht allein unsere Auffassung. Das ist auch die Auffassung renommierter Institute. Deshalb müssen wir frühzeitig und aufgeschlossen an technologische Veränderungen herangehen und nicht bremsen, zurückhalten und verhindern, wie Sie das in den letzten Jahren gerade bei der Postreform getan haben.
Wir vereinfachen Planungs- und Genehmigungsverfahren durch neue und kreative Lösungen. Wir wissen doch alle, wie lange es gedauert hat, bis wir endlich zu einer Lösung kamen, mit der wir leben können. Das ist über Jahre hinweg verzögert worden.
Wir haben bei den Planungs- und Genehmigungsverfahren die sogenannte Sonderbeschleunigung vorgeschlagen. Sie läßt dem Investor die Wahl zwischen dem normalen Genehmigungsverfahren und dem schnelleren Verfahren der Erteilung einer Genehmigung unter Vorbehalt. Es spricht schon Bände, wenn dieser Vorschlag aus den Reihen der SPD und der Grünen mit der Behauptung abgelehnt worden ist, deutsche Investoren könnten sich das Risiko der vorläufigen Genehmigung nicht leisten. Ich rate Ihnen: Nehmen Sie die Ansichten der Länderwirtschaftsminister dazu zur Kenntnis! Diese sind auf diesem Gebiet weiter als Sie.
Meine Damen und Herren, neue Arbeitsplätze werden in ausreichendem Umfang nur dann entstehen, wenn wir die Arbeit rigoros von Steuern und Abgaben entlasten. Wir haben keine Belehrungen darüber nötig, wie man Bürger und Unternehmen entlastet. Ich erinnere an die Situation vor der Wiedervereinigung: Die Bundesregierung hatte damals einen ausgeglichenen Staatshaushalt, Rekordüberschüsse in den Sozialversicherungen und einen Tiefpunkt bei der Steuerquote erreicht, verbunden mit einem Plus von fast 3,5 Millionen Arbeitsplätzen. Das waren in den 80er Jahren die Fakten.
Das kann niemand negieren. Das war der Erfolg unserer Wirtschafts- und Finanzpolitik.
Wir werden an diese Erfolge anknüpfen und trotz der gewaltigen Konsolidierungsaufgabe zum 1. Januar nächsten Jahres leistungs- und beschäftigungsfeindliche Steuern abschaffen oder senken. Trotz des Störfeuers aus den Ländern werden wir Mitte nächsten Jahres mit dem Abbau des Solidarzuschlages beginnen.
Dies entlastet nicht nur mittelständische Unternehmer, sondern alle Bürger und stärkt den privaten Verbrauch. Darüber reden Sie doch immer.
Leider sind sich manche nicht zu schade, aus eigenen, egoistischen Finanzinteressen heraus die klaren
Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
Vereinbarungen des Solidarpakts in Frage zu stellen.
Sogar die Verteilungsdiskussion zwischen Ost und West wird wieder geschürt. Die Bürger erkennen das mehr und mehr.
Wir sagen ganz klar - im Unterschied zu Ihnen, Herr Fischer, haben wir, diese Koalition und diese Bundesregierung, keinen Nachholbedarf -: Die neuen Länder hatten unsere Unterstützung, und die neuen Länder werden unsere Unterstützung behalten. Daran wird sich auch durch den Abbau des Solidarzuschlages nichts ändern.
Wer etwas anderes sagt, polemisiert.
Wir wollen, daß das, was auf Grund der finanzpolitischen Verfassung unseres Landes von den Ländern nicht mehr in die neuen Länder transferiert werden muß, an diejenigen zurückgegeben wird, die die Steuern zahlen, an die Bürger im Osten und im Westen unseres Landes. Nicht mehr und nicht weniger wollen wir, meine Damen und Herren.
Der Abbau des Solidarzuschlags ist im übrigen der Einstieg in eine Politik konsequenter Steuersenkungen. Mit einer umfassenden Tarifreform werden wir zu Beginn der nächsten Legislaturperiode einen weiteren großen Schritt in Richtung eines einfacheren und leistungsfreundlicheren Steuersystems gehen, und wir werden das in dieser Legislaturperiode vorbereiten.
Parallel zur steuerlichen Entlastung werden wir den steigenden Trend der gesetzlichen Sozialabgaben stoppen und umkehren. Unser Ziel ist es, diese Abgaben bis zum Jahr 2000 wieder unter 40 Prozent zurückzuführen. Ich weiß, das ist ein ehrgeiziges Ziel. Allerdings, die Umfinanzierung versicherungsfremder Leistungen über höhere Steuern ist weit davon entfernt, ein Königsweg zu sein.
Der Weg zu niedrigeren Beitragssätzen muß zunächst über Einsparungen führen. Dort, wo die Dinge ins Kraut geschossen sind, müssen wir handeln.
Ein wichtiger Schritt in diese Richtung wird die Reform der Frühverrentung sein. Weitere Schritte sind bei den Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrenten notwendig. Ich frage Sie einmal allen Ernstes: Ist es denn wirklich ein Angriff auf den Sozialstaat, wenn wir den dramatischen Anstieg bei den Ausgaben beispielsweise für Kuren bremsen wollen? Drei Wochen Kur alle vier Jahre statt vier Wochen Kur alle drei Jahre - das muß doch bei einem verantwortungsvollen Umgang mit den Mitteln der Beitragszahler möglich sein. Das muß doch eine Reform sein, hinter der man stehen kann und wogegen man nicht polemisieren kann.
Die vorhandenen Beschäftigungschancen in unserem Land müssen besser genutzt werden. Deshalb wollen wir die Brücken von der Arbeitslosigkeit zum Arbeitsmarkt tragfähiger machen. Lassen Sie mich dazu zwei Beispiele nennen. Es reicht nicht aus, Arbeitslosen zur Qualifizierung betriebsferne Fortbildungskurse anzubieten. Häufig dürften Traineeprogramme mehr bringen, die die Arbeitslosen stufenweise in neue Arbeitsverhältnisse eingliedern.
Ein zweites Stichwort ist die Zumutbarkeit von Arbeitsplätzen. Die Arbeitsämter brauchen klare und anwendbare Kriterien dafür, welcher neue Arbeitsplatz einem Arbeitslosen zugemutet werden darf. Hier sollte man sich künftig an den realen Beschäftigungsmöglichkeiten orientieren, das heißt am erzielbaren Einkommen. Das ist auch kein Abbau des Sozialstaates, meine Damen und Herren! Das ist ein Weg dazu, Menschen aus der Arbeitslosigkeit in Beschäftigung zu verhelfen. Diesen Weg werden wir gehen.
Reformbedürftig sind auch die unüberschaubaren und deshalb kaum handhabbaren Regeln für den Kündigungsschutz. Es ist für einen Unternehmer nicht zumutbar, daß er ein zweitägiges Rechtsstudium benötigt, um herauszufinden, ob er jemanden aus personenbezogenen Gründen entlassen kann. Kein Wunder, wenn gerade kleine und mittlere Unternehmen bei solchen Regelungen davor zurückschrecken, wieder Leute einzustellen. Ich halte es auch für unzumutbar, daß bei den arbeitsrechtlichen Schwellenwerten kein Unterschied zwischen Halbtagskräften und Vollzeitarbeitnehmern gemacht wird. Ein kleines Unternehmen mit 21 Halbtagskräften wird dadurch mit weit mehr arbeitsrechtlichen Vorschriften belastet als ein Unternehmen mit 19 Vollzeitarbeitnehmern, von der Mitgliederzahl im Betriebsrat über die Unterrichtung der Mitarbeiter über die wirtschaftliche Lage bis hin zu Sozialplanansprüchen. Das werden wir mit einer anteiligen Berücksichtigung von Teilzeitkräften ändern.
- Ich weiß gar nicht, was es da von Ihrer Seite zu schreien oder zu polemisieren gibt. Das sind Ziele und Forderungen, die Sie alle Tage im Munde führen.
Wenn es dann so weit ist, dann schreien Sie dazwischen und tun so, als ob Sie das nicht wollen.
Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
Glaubwürdig muß man in der Politik sein und sollte nicht polemisieren. Das ist es, worauf es ankommt.
Zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeiten sehen wir auch bei den familien- und haushaltsbezogenen Dienstleistungen. Die Nachfrage ist groß. Wir wollen, daß daraus reguläre Beschäftigungsverhältnisse in den Haushalten entstehen. Voraussetzung ist, daß wir die steuerlichen Rahmenbedingungen dafür attraktiver machen und noch bestehende bürokratische Hürden abbauen.
Sie haben das bislang unter Hinweis auf das sogenannte Dienstmädchenprivileg disqualifiziert. Aber späte Einsicht ist manchmal auch eine gute Einsicht.
Bei unseren Anstrengungen für mehr Flexibilität am Arbeitsmarkt sind wir auf die Tarifparteien angewiesen. Das Bündnis für Arbeit gibt dazu positive Ansätze. Gut ist es, daß die Tarifpartner Einstiegstarife für Langzeitarbeitslose ermöglichen wollen, daß sie über kreative Lösungen, zum Beispiel über Überstundenregelungen, nachdenken werden. Noch besser wäre es meiner Ansicht nach, wenn sie sich auf konkrete Vereinbarungen und beschäftigungsorientierte vernünftige Lohnabschlüsse verständigen könnten.
Das Beispiel der USA zeigt: Die Lohnpolitik kann zum Entstehen neuer Arbeitsplätze einen ganz entscheidenden Beitrag leisten.
- Ich sage Ihnen nicht, daß wir dieses Beispiel blind übernehmen sollten; davon bin ich weit entfernt. Hören Sie doch einmal zu; differenzieren Sie doch einmal, Polemisieren Sie nicht. Arbeiten Sie nicht mit Schwarzweiß!
Das sind die Klischees, in denen Sie denken, meine Damen und Herren. Wir alle wissen aber, daß wir zur Lösung der Arbeitsmarktprobleme keinen Königsweg haben, daß wir differenziert denken müssen und alles an Vorschlägen und Möglichkeiten ausschöpfen müssen, die uns sinnvoll erscheinen. Polemik und Geschrei bringen niemanden in Deutschland in Arbeit und Brot, Herr Fischer; das muß Ihnen mit Deutlichkeit gesagt werden.
Ich komme zu den USA zurück. Die Tarifpartner tragen dort traditionell und in besonders starkem Maße der betrieblichen Leistungsfähigkeit Rechnung, mit produktivitätsorientierten Lohn- und Arbeitsentgelten, die sehr viel weiter differenziert sind als bei uns in Deutschland. Die Ergebnisse sind zunächst einmal beeindruckend: 40 Millionen neue Arbeitsplätze in den USA seit 1980 und eine deutlich niedrigere Langzeitarbeitslosigkeit als bei uns.
- Herr Kollege, ich weiß sehr wohl: Viele dieser Beschäftigungsverhältnisse werden sehr niedrig entlohnt und sind sozial nicht oder ganz gering abgesichert. Sie können so auf Deutschland nicht übertragen werden. Keiner will das. Gleichwohl können wir daraus eine Lehre ziehen: Mehr Lohnflexibilität würde auch bei uns die Beschäftigung erhöhen, ohne daß auf unserem Arbeitsmarkt gleich eine Gruppe der „working poor" , der armen Arbeitnehmer, entstehen müßte.
Aus dem, was uns andere besser vormachen, müssen wir einzelne Elemente übernehmen. Das wird dem Arbeitsmarkt nur zugute kommen.
Der Jahreswirtschaftsbericht und das Aktionsprogramm der Bundesregierung sind ein Teil des „Bündnisses für Arbeit". Sie sind ein Stück Ausfüllung dieses Bündnisses für Arbeit. Wir haben uns ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Bis zur Jahrtausendwende wollen wir die Arbeitslosigkeit in diesem Lande halbieren. Das ist ein schwieriges Unterfangen.
- Da gibt es nichts zu lachen, meine Damen und Herren. Man muß sich ehrgeizige Ziele setzen, wenn man die Situation in diesem Lande verbessern will, und man muß alles ausschöpfen, was möglich ist, um diesem Ziele nahezukommen.
Wir wollen jetzt die Voraussetzungen dafür schaffen, daß unser Land den kommenden Herausforderungen erfolgreich begegnen und die Chancen weltweit aus künftigen Veränderungen, die wir alle Tage spüren, nutzen kann. Wir müssen dabei in Europa Vorreiter sein.
Die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion muß unter Einhaltung der Konvergenzkriterien fristgemäß in die Realität umgesetzt werden. Ich sage noch einmal: Wer hier mit billiger Polemik spielt, der versündigt sich an den Arbeitnehmern in diesem Land.
Meine Damen und Herren, stabile öffentliche Finanzen, stabile Systeme der sozialen Sicherung, stabiles Geld und verläßliche Rahmenbedingungen, das sind die unerläßlichen Voraussetzungen dafür,
daß diese Union dauerhaft zur Stabilitäts- und
Wachstumsgemeinschaft wird, daß von Europa
Impulse ausgehen. Dafür trägt Deutschland eine
Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
hohe Verantwortung, eine Verantwortung, aus der, wie ich meine, auch die Opposition nicht ausscheren darf. Wir erwarten von den Ländern, daß sie ihre Eigeninteressen hinter diese übergeordneten Ziele zurückstellen.
Der Jahreswirtschaftsbericht 1996 ist mehr als ein Bericht. Er ist ein Programm, ein Aktionsprogramm, ein wichtiger Schritt, auf den neue Schritte folgen müssen; er ist ein Auftrag. Die Menschen, insbesondere die Wirtschaft, haben auf dieses Signal gewartet. Wir werden diesen Weg, den wir eingeschlagen haben, basierend auf dem Bündnis für Arbeit entschlossen weitergehen.
Es spricht jetzt der Fraktionsvorsitzende der SPD, Kollege Rudolf Scharping.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nie zuvor wurde ein Jahreswirtschaftsbericht an dem Tag diskutiert, an dem Deutschland 4,2 Millionen Arbeitslose registriert. Herr Bundeskanzler, ich wende mich direkt an Sie: Es hat keinen Sinn, sich mit dieser Rede des Wirtschaftsministers auseinanderzusetzen.
Herr Bundeskanzler, das ist eine Aussprache in einer einmaligen Situation. Es ist keine normale Debatte angesichts der Hiobsbotschaft und des Fanals, das von dieser Zahl ausgeht. 4,2 Millionen Menschen in Deutschland ohne Arbeit, das bedeutet, daß zum Beispiel im gesamten Lande Sachsen, in dem sowieso schon viel zuviel Menschen arbeitslos sind, nicht ein einziger Mensch mehr Arbeit hätte. Das bedeutet, daß jeder Zehnte in Deutschland keine Arbeit hat. Das ist, Herr Bundeskanzler, der dramatischste Beweis für das Scheitern Ihrer Politik.
Sie sind durch Gesetz und anderes verpflichtet, für außenwirtschaftliches Gleichgewicht, angemessenes Wirtschaftswachstum, Preisstabilität und Stabilität der Beschäftigung die der Politik möglichen Voraussetzungen zu schaffen. Seit zwölf Jahren - länger noch - betreiben Sie eine Politik, die Deutschland belastet,
- belastet mit den höchsten Steuern, belastet mit der höchsten Verschuldung, belastet mit einer dramatisch ansteigenden Arbeitslosigkeit. Herr Bundeskanzler, Ihre Politik ist gescheitert. Daß ein Wirtschaftsminister wie Herr Rexrodt hier so reden kann
und noch im Amt ist, ist ein weiterer Beweis dafür, daß Ihre Politik gescheitert ist.
Sie haben eine Spirale nach unten in Gang gesetzt, eine Spirale, die die Stärken dieses Landes immer stärker beschädigt, die die Schwächen Ihrer Politik immer offenkundiger macht und die nach Änderungen förmlich schreit.
4,2 Millionen Menschen in Deutschland ohne Arbeit - und dann werden uns hier ein Jahreswirtschaftsbericht, ein 50-Punkte-Programm und eine Rede geboten, so, als wäre nichts los und als reichte die Beschimpfung der Opposition zum Verdecken der Mängel einer Politik, die Ergebnisse verantworten und Änderungen einleiten müßte, anstatt Opposition und andere als Ausgleich für die eklatanten Mängel Ihrer Politik zu beschimpfen.
- Frau Albowitz, damit es im Protokoll steht: Wenn Sie das als „pure Heuchelei" bezeichnen, dann ist das dermaßen eklatant für Ihre Art von Denken, daß ich es nur festhalten will, damit es im Protokoll steht; und dann ist es gut.
Wir sind in einer einmaligen Lage. Sie erfordert einmalige Anstrengungen. Folglich rechtfertigt sie auch den Ausbruch aus der Routine des normalen Vorgehens.
Sie sind - ich wiederhole es - durch Gesetz verpflichtet, die politischen Voraussetzungen zu schaffen. Das tun Sie nicht. Sie verletzen Ihre gesetzliche Pflicht; Sie mißachten Ihre politischen Möglichkeiten; Sie tun nicht, was für Deutschland in dieser Situation notwendig wäre.
Das will ich mit einer zweiten Zahl belegen. Gestern wurde über die Nachrichtenagenturen auch mitgeteilt, daß die Bonner Koalition durch Kürzungen beim Kurzarbeitergeld, bei ABM-Stellen, bei der Arbeitslosenversicherung und bei anderem erneut Geld einsparen wolle. Sie wolle dafür sorgen, daß sich Arbeitslose selbst aktiv um Eingliederung bemühen, angebotene Eingliederungsmaßnahmen nutzen, die Leistungen der Arbeitslosenunterstützung davon abhängig gemacht werden usw. Man hört, diese Maßnahmen sollen insgesamt 20 Milliarden DM bis 25 Milliarden DM einsparen. Ich habe von der Spirale nach unten gesprochen. Ich will jetzt noch einmal ganz deutlich sagen: Hören Sie endlich auf, die Opfer Ihrer Politik zu Schuldigen Ihrer Versäumnisse zu erklären.
Rudolf Scharping
Hören Sie endlich auf damit, dieses Land zu spalten! Hören Sie auf damit, die soziale Erosion Deutschlands voranzutreiben!
Es gab gestern noch eine dritte Nachricht. Die Bundesanstalt für Arbeit bestätigt, daß im Jahre 1995 2 Milliarden Überstunden geleistet wurden. Wohl wahr: Da besteht eine Verantwortung der Tarifpartner, aber auch eine Verantwortung des Gesetzgebers.
Sorgen Sie endlich dafür, daß die Menschen gleichmäßig eine Chance der Teilhabe an Arbeit und Wohlstand haben, anstatt sich hier mit billigen Floskeln vor der eigenen Verantwortung zu drücken!
Auch Sie haben Verantwortung dafür, daß mindestens 200 000, 500 000, 600 000 Menschen arbeiten gehen könnten, wenn es einen Anreiz gäbe, diese Überstunden abzubauen.
Wie lange soll das mit dieser Routine weitergehen? Wie lange, Herr Bundeskanzler, wollen Sie uns diese Floskeln noch bieten, wie lange dem Parlament Ihr Schweigen zumuten, wie lange die Rechte und Belange von Bürgerinnen und Bürgern mißachten, wie lange uns immer neue Aufgüsse von Programmen servieren, die wir seit 1982 kennen und die die bekannten Ergebnisse zeitigen?
Wie lange wollen Sie die Bereitschaft der Gewerkschaften, Änderungen in Deutschland - auch schmerzliche Änderungen - mitzutragen, mißbrauchen und wieder einen Katalog vorlegen, von dem auch diejenigen, die Sie im Bündnis für Arbeit zusammenführen sollen, behaupten, sagen und urteilen: Das ist ein Rückfall in jenes alte Denken, das uns an die verhängnisvolle Schwelle von über 4 Millionen Arbeitslosen geführt hat?
Wie lange wollen Sie die Bereitschaft der Länder zum Kompromiß und zur Kooperation mißbrauchen?
Wie lange wollen Sie die Gemeinden außen vor lassen? Wie lange wollen Sie Politik zu Lasten Dritter machen: beim Solidaritätszuschlag nach der Methode „Die Länder sollen es bezahlen! " , bei der Pflege nach der Methode „Die Gemeinden sollen es bezahlen! "? Nur die Bundesregierung stellt sich ihrer Verantwortung nicht und trifft die Entscheidungen nicht, die sie treffen müßte, damit das Krebsübel Arbeitslosigkeit bekämpft werden könnte.
Herr Bundeskanzler, so wie die Täuschung der Öffentlichkeit 1990, 1994 und jetzt wieder ein Bestandteil Ihrer Politik geworden ist, so sind auch die Arroganz und die Selbstherrlichkeit ein Bestandteil Ihrer Politik geworden.
Sie haben es 1990 abgelehnt, gemeinsam mit allen Beteiligten - mit der Opposition, mit den Ländern, mit den Gemeinden, mit der Bundesbank - die Folgen der Einheit Deutschlands in wirtschaftlicher und finanzieller Hinsicht zu erörtern, Maßnahmen zu beschließen und gemeinsam zu tragen. Im Überschwang, Sie könnten alles alleine tun, haben Sie den Eindruck erweckt, es ginge ohne besondere Anstrengung.
Die Folgen tragen wir noch heute. Heute weisen Sie erneut die Bereitschaft nach Zusammenarbeit zurück. Glauben Sie im Ernst, Sie könnten am Ende ein Bündnis für Arbeit, eine Wende in der deutschen Politik, die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit erreichen, wenn Sie nicht die Länder, die Gemeinden und auch die Bundesbank an den Tisch holen und dafür sorgen, daß die Entscheidungen gemeinsam vorbereitet, schnell getroffen und schnell umgesetzt werden? Statt dessen muten Sie den Betroffenen ein Gezerre zu, wie es jetzt beim Entsendegesetz - mit einem halbwegs glücklichen Ausgang - stattgefunden hat.
Herr Bundeskanzler, wir haben Ihnen angeboten, alle Maßnahmen zu ergreifen, um den Arbeitsmarkt in Ordnung zu bringen.
Wir haben es Ihnen angeboten und bieten es Ihnen erneut an: alle Entscheidungen zu treffen, die es den Tarifpartnern erleichtern, Überstunden abzubauen, alle Entscheidungen zu treffen, die dafür sorgen, daß die große Zahl der Frauen, die arbeiten, ohne sozialversichert zu sein, in gesicherte Teilzeitarbeitsplätze wechseln können,
alle Entscheidungen gemeinsam zu treffen, die sich gegen Schwarzarbeit und illegale Arbeit wenden, und gemeinsam nach einem Weg zu suchen,
wie das Problem der Belastung der Sozialversicherungskassen - beispielsweise durch den Vorruhestand - in den Griff zu bekommen ist.
Rudolf Scharping
Ich weise an dieser Stelle allerdings auf eines hin: Wir werden nichts mitmachen,
was dazu führt, daß ein Mensch, der 30, 35, 40 Jahre Beiträge in die Rentenversicherung gezahlt hat, am Ende mit weniger als dem Existenzminimum, mit weniger als der Sozialhilfe nach Hause geht. Das aber droht dank der Vorschläge Ihrer Politik. Das machen wir nicht mit.
Wir haben Ihnen angeboten und bieten es erneut an, die Arbeitskosten zu senken und dafür zu sorgen, daß insbesondere in der beschäftigungsintensiven, der mittelständischen Wirtschaft die Arbeitskosten sinken. Wenn Sie hier die hohen Lohnnebenkosten beklagen, dann beklagen Sie die Folgen Ihrer Politik, die Folgen Ihrer Feigheit, dem Steuerzahler die Wahrheit zu sagen, die Folgen Ihres mangelnden Mutes,
bei den Steuern das Erforderliche zu tun, anstatt den bequemen Weg über die Sozialversicherung zu gehen. Es ist Ihre Verantwortung - ausschließlich Ihre Verantwortung -, daß die gesetzlichen Lohnnebenkosten so explodiert sind
und der Rationalisierungsdruck in den Betrieben dadurch entsprechend zugenommen hat.
Es ist - ich wiederhole das - eine schlichte Lüge, zu behaupten, es läge an der Steuerbelastung der Unternehmen: Der Anteil der Körperschaftsteuern ist 1995 auf 2,2 Prozent des Gesamtsteueraufkommens gesunken,
der Anteil der veranlagten Einkommenssteuer auf 1,7 Prozent.
- Herr Solms, ich empfehle Ihnen doch einmal, sich die Zahlen der Jahre 1994 und 1995 anzuschauen.
Die Lohnsteuer dagegen macht mittlerweile einen Anteil von 35 Prozent aus. Wieviel wollen Sie den Arbeitnehmern aufbürden, wieviel der Nachfrage kappen, wieviel den Menschen mit normalen Lebensmöglichkeiten in Deutschland eigentlich zumuten, bevor Sie den traurigen Mut entwickeln, den Menschen mit den besonders hohen privaten
Einkommen ihren Beitrag zum allgemeinen Wohl abzuverlangen? Wie lange soll das so weitergehen?
Das ist wirtschaftlich unvernünftig, und es ist unter dem Gesichtspunkt der sozialen Gerechtigkeit nicht vertretbar.
Ich will einmal aus Ihrem eigenen Jahrbuch, aus dem Statistischen Jahrbuch der Bundesrepublik Deutschland, zitieren.
- Wenn Sie das 17. Jahrhundert nennen, dann haben Sie lange nicht mehr mit Unternehmern gesprochen. Die sagen: Die Unternehmen müssen von Kosten entlastet werden, und ein Teil der Finanzierung muß auch über die privaten Einkünfte der Unternehmer dargestellt werden. Das sagen die Unternehmer mittlerweile selbst. Wenn es sich bei Ihnen noch nicht herumgesprochen hat, ist das Ihr Problem.
Die Zahl der Einkommensmillionäre ist von 1983 bis 1989 - neuere Zahlen gibt es bezeichnenderweise nicht - von 10 000 auf 18 000 gestiegen.
Deren Steuerlast ist auf 40 Prozent gesunken. Wir haben jetzt den Zustand, daß ein Mensch mit einem normalen Arbeitseinkommen 48 Prozent Steuern und Sozialabgaben bezahlt, während jemand mit 10 Millionen DM im Jahr im Zweifel auf unter 30 Prozent Steuerleistung sinkt, wenn er überhaupt noch etwas bezahlt. Das sind die Zahlen, die Ihren Statistiken zu entnehmen sind. Ich prangere sie hier deshalb an, weil es ein verhängnisvoller Grundirrtum Ihrer Politik ist, anzunehmen, daß man die Wirtschaft durch das Ruinieren des Sozialstaates voranbringen kann. Nur wenn es gerecht zugeht, werden alle bereit sein, mitzuhelfen, damit die Arbeitslosigkeit bekämpft werden kann.
Wir haben Ihnen mehrfach angeboten und bieten es Ihnen erneut an, die Bundesbank mit an den Tisch zu nehmen - bei Wahrung ihrer Unabhängigkeit, sehr einverstanden; aber es sollte doch dafür gesorgt werden, daß die Zinsen in Deutschland weiter sinken und daß eine langfristige abgestimmte Politik gemacht wird, die helfen kann, daß wir aus dieser Schere der sich ständig verändernden Währungsrelationen herauskommen. Es ist doch eine Wahrheit, daß die Finanz- und Wirtschaftspolitik der letzten Jahre auch zu einer Überbewertung der D-Mark geführt hat mit der Folge, daß wir Arbeitsplätze exportieren und Arbeitskräfte importieren, und mit der Folge, daß wir heute diese hohe Arbeitslosigkeit haben.
Rudolf Scharping
Schließlich haben wir Ihnen angeboten, die Risiko- und Leistungsbereitschaft zu fördern, zuzupacken, die Stärken unseres Landes zu entwickeln: Meister-BAföG, Aufstiegsförderung, Risikokapital, Existenzgründung für Frauen, Hilfe im Osten Deutschlands. Es gibt viele solcher Möglichkeiten. Wenn ich mich in dieser Frage - wir haben es hier mit einer empörenden sozialen Entwicklung zu tun - so heftig engagiere, dann auch deshalb, weil ich persönlich - Herr Bundeswirtschaftsminister, das ist der einzige Punkt, den ich im Zusammenhang mit Ihrer Rede anspreche -, manchmal zu meinem eigenen Schaden, immer dafür geworben habe, daß in den Grundfesten der Entwicklung unseres Landes möglichst Konsens besteht. Ich habe in der Außenpolitik immer dafür geworben.
Ich habe es immer getan in Fragen, die mit der Wettbewerbsfähigkeit zu tun haben. Ich will jetzt die Geschichte der Postreform überhaupt nicht nachzeichnen. Ich habe immer dafür geworben, daß das auch in Fragen der rechtsstaatlichen Sicherheit gilt.
- Das hat mir manchmal Kritik eingetragen, hier und da den Vorwurf, man bereite heimlich die Große Koalition oder anderes vor. Ich bin nach wie vor davon überzeugt: In den Grundfesten unserer Entwicklung muß es Konsens geben.
Allerdings registriere ich eines. Von einer Grundfeste, der aus der Geschichte unseres Volkes im Grundgesetz gezogenen Konsequenz, wonach die Bundesrepublik Deutschland ein demokratischer und sozialer Rechtsstaat ist, von dieser Grundfeste der Verbindung wirtschaftlichen Fortschritts und allgemeinen Wohls, der Verbindung von Leistung und gegenseitiger Verantwortung, der Entfaltung von Freiheit und der Bindung in Solidarität entfernen Sie sich immer mehr.
Diese Grundfeste beschädigen Sie immer mehr. Deshalb rufe ich Sie auf, dahin zurückzukommen, wo wir hinmüssen. Bei allem Streit über Einzelfragen - darüber können wir ja streiten, über das Ladenschlußgesetz oder anderes; das ist am Ende nicht so bedeutsam - müssen wir zu dieser Grundkonstante deutscher Politik zurückkehren und endlich wieder den wirtschaftlichen Fortschritt und die soziale Gerechtigkeit miteinander verbinden.
Herr Bundeskanzler, wir leben in einer dramatischen Situation mit einem ganz besonders schlimmen Beweis der verhängnisvollen Ergebnisse Ihrer Politik. Wir erwarten, daß Sie aufhören, in diesen Fragen den kleinen Vorteil zu suchen, daß Sie alle Kräfte - den Bund, die Länder, die Gemeinden, die
Tarifpartner, die Bundesbank - an einen Tisch holen und daß angesichts der dramatischen Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt jetzt diese kleinkarierten parteipolitischen Reden, wie sie der Bundeswirtschaftsminister gehalten hat, zurückstehen.
- Ja, natürlich. Das sage ich, weil ich sehr genau weiß, daß Sie einiges von dem, womit Sie sich schmücken, ohne die Bereitschaft der Opposition zur Verantwortung überhaupt nicht erreicht hätten.
Das sage ich sehr bewußt. Sie wissen es genausogut wie ich es weiß. Deshalb wiederhole ich den Appell von der letzten Woche: Tun Sie endlich etwas! Ihre langatmigen Programme haben Sie uns 13 Jahre lang vorgelegt. Jetzt wollen wir, notfalls auch gemeinsam - das erklären wir ausdrücklich -, die Karre aus dem Dreck holen, weil das Land es nicht verträgt, wenn auf Dauer 4 Millionen Menschen arbeitslos sind: wirtschaftlich nicht, sozial nicht und finanziell nicht, weil es Ihre Politik nicht mehr aushält und weil es Änderungen geben muß.
Das Wort hat der Kollege Michael Glos.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer die Rede des SPD-Fraktionsvorsitzenden hier gehört hat, der hat gespürt: Der Mann leidet unter dem Trauma von Mannheim.
Er hat versucht, im Bundestag das gleiche zu tun, was Oskar in Mannheim getan hat, nämlich eine inhaltslose Rede voller Klassenkampfparolen zu halten. Damit möchte er Erfolg erzielen.
Ich kann Sie gut verstehen, Herr Scharping.
- Entschuldigung, ich sage im Gegensatz zu Herrn Scharping, der keinen einzigen weiterführenden Vorschlag gemacht hat, etwas zur Arbeit.
Ich kann verstehen, warum er heute nervös ist. Frau Simonis hat über ihn gesagt:
Er rennt wie ein Hund in der Kegelbahn hin und her ...
Michael Glos
Das stand in der „Woche" vom 10. November 1995. Jetzt ist Frau Simonis hier. Das macht Sie natürlich ein Stück nervös.
Es ist ganz interessant, wer heute von der SPDBank hier ist und wer nicht hier ist. Herrn Schröder hat man nicht auftreten lassen, wie heute nachzulesen war. Herr Eichel ist nicht gekommen. Er muß sich noch mit den Folgen seines teuren „Gefängnisbaus" beschäftigen. Man hat dort eine Schwimmhalle für 19,5 Millionen DM gebaut. Das ist teurer als bei jeder Schule.
Herr Beck liegt offensichtlich auch nicht auf der Linie. Deswegen hat er heute nicht kommen dürfen. Herr Scharping, ich gönne Ihnen, daß Sie heute einmal von Ihrer Fraktion wieder gefeiert worden sind. Ich wünsche mir, daß das anhält. Aber ich wünsche mir gleichzeitig, daß Sie wieder zu der Sachlichkeit und Nüchternheit zurückkehren, für die Sie eigentlich bekannt waren.
Ich habe geglaubt, Polemik käme erst später. Herr Scharping hat sie eingeführt.
Trotzdem möchte ich zu dem zurückkehren, was die Menschen in unserem Lande bewegt.
Das drängende Problem der Arbeitslosigkeit in Deutschland lösen wir nicht mit Lamentieren, auch nicht mit Schuldzuweisungen und vor allen Dingen nicht mit Reformverweigerung. Das ist bei der SPD noch immer der Fall.
Kapital, technisches Wissen und qualifizierte Arbeitskräfte sind heute nahezu weltweit verfügbar. Das ist ein gewaltiger Unterschied zu früher. Wir stehen in einem sich verschärfenden globalen Wettbewerb der Produkte, der Standorte und der Arbeitsplätze. Früher waren Arbeitskräfte knapp; wir haben sie weltweit herbeigeholt. Heute sind Kapital, technisches Wissen und Marktzugang knapp geworden. Arbeitskraft steht genügend zur Verfügung. Das alles sind neue Tatsachen, denen wir uns stellen müssen.
Derzeit exportieren wir Arbeitsplätze aus Deutschland in Gestalt von Produktionsverlagerungen nicht nur in sogenannte Billiglohnländer - es hat keinen Wert, hier die Löhne der Ukraine oder Tschechiens anzuführen -, sondern auch in die westeuropäischen Nachbarländer.
Wenn wir aus diesem Dilemma herauswollen, müssen wir einen Blick über den Zaun werfen. Herr Rexrodt hat dankenswerterweise schon etwas über die
USA gesagt. Die Arbeitslosenquote dort liegt bei 5,6 Prozent. Ich finde das vergleichsweise niedrig. Strukturwandelbedingte Arbeitsplatzverluste dort wurden durch das Entstehen neuer Arbeitsplätze ausgeglichen. Das muß unser Weg sein.
- Herr Kollege, hören Sie erst einmal zu. Die Behauptung, die gerade von Ihrer Seite immer wieder aufgestellt worden ist, das seien nur Billiglohnarbeitsplätze mit minderwertigen Arbeiten, ist glatt falsch. Der weitaus größte Teil sind gut bezahlte Arbeitsplätze für qualifizierte Arbeitnehmer.
Richtig ist allerdings, daß der Reallohn in den USA von 1980 bis 1992 um 8 Prozent gesunken ist. Bei einer solchen Debatte muß man auch einmal bittere Wahrheiten aussprechen. Mit dieser Lohnzurückhaltung wurde die Basis für die jetzt vorhandene Wirtschaftsstärke gelegt.
Deswegen liegt der Schlüssel für den Wiederaufschwung in allererster Linie bei den Tarifpartnern.
Das weitere Erfolgsrezept der Amerikaner ist: Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt, Kostenentlastung der Unternehmen und Orientierung an moderner, zukunftsträchtiger Technologie. Um dies in Deutschland zu erreichen, brauchen wir eine Gemeinschaftsleistung von Politik, Arbeitgebern und Gewerkschaften. Wenn Sie sich daran beteiligen wollen, sind Sie dazu herzlich eingeladen, Herr Scharping.
Wir danken an dieser Stelle Bundeskanzler Helmut Kohl, daß er dazu bereits vor einem Jahr die Initiative ergriffen hat.
Ich finde es großartig, daß der IG-Metall-Vorsitzende die vom Bundeskanzler ausgestreckte Hand ergriffen hat
und daß man jetzt ein Bündnis für Arbeit vorschlägt. Wir ermutigen ausdrücklich, hier weiterzumachen.
Wir stehen vor gewaltigen Herausforderungen. Wir wollen sie nicht leugnen; wir wollen uns diesen Herausforderungen stellen. Die Warenproduktion in Deutschland ist in den letzten Jahren leider kontinuierlich zurückgegangen. McKinsey erwartet einen Verlust von weiteren drei Millionen Arbeitsplätzen in der deutschen Industrie.
Warum das so ist, hat der Vorstandsvorsitzende der Adam Opel AG folgendermaßen illustriert:
Wir bringen irgendwann ein völlig neues Modell
heraus, das 25 Prozent weniger Montagezeit
Michael Glos
braucht - das sind 25 Prozent weniger Beschäftigung von einem Tag auf den anderen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich weiß, was das für die betroffenen Menschen und für ihre Familien heißt. Ich habe das als Abgeordneter in meinem Wahlkreis in Schweinfurt über Jahre hinweg erlebt. Die dann Betroffenen sind Opfer. Sie können nichts für Fehlentscheidungen in der Vergangenheit. Sie müssen ausbaden, was in den letzten Jahren alles falsch gemacht worden ist. Sie müssen vor allen Dingen die Folgen der Technologiefeindlichkeit ausbaden. Sie müssen die Folgen dessen ausbaden, daß man alte Strukturen zementiert hat und daß wir alle insgesamt nicht flexibel genug gewesen sind. Das muß die Lehre für die Zukunft sein.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wie gesagt: Wir brauchen neue Technologien. Aber wir müssen vor allen Dingen auch das hohe deutsche Lohnniveau immer im Auge haben. Dieses hohe deutsche Lohnniveau läßt sich nur halten, wenn wir Spitzenprodukte herstellen, die in den Konkurrenzländern noch nicht oder überhaupt nicht hergestellt werden können.
Dazu brauchen wir auch rasche Bau- und Betriebsgenehmigungen, nicht Bedenkenträger. Dazu müssen wir der Bürokratie Beine machen. Ich begrüße es, daß der Bundesfinanzminister für eine Milliarde DM Stellen im Bundesdienst abbauen will. Ich bin überzeugt, daß wir mit weniger Beschäftigten im öffentlichen Dienst mehr leisten können, wenn hier entsprechend entrümpelt wird. Wir brauchen keine beamteten Bedenkenträger, sondern wir brauchen wieder mutige Entscheidungsträger.
Die Produktlaufzeiten werden heute immer kürzer. Wenn es in Deutschland einfach zu lange dauert, bis eine bestimmte Anlage genehmigt ist, dann ist das Produkt schon wieder vom Markt, bis die Anlage letztendlich genehmigt ist. Dann weicht man in Nachbarländer aus.
Die Biotechnologie wird im Jahre 2000 nach seriösen Schätzungen einen Marktumfang von 150 Milliarden US-Dollar weltweit haben; denn die Hälfte der 30 wichtigsten Innovationen der nächsten 25 Jahre wird nach Schätzungen von Experten wesentlich von der Biotechnologie abhängen.
Es ist ein Skandal, daß die rot-grüne Landesregierung in Hessen diese wichtige Zukunftsoption behindert und sich den Kampf dagegen auf die Fahnen geschrieben hat.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Max-Planck-Institut in Köln mußte Freilandversuche nach Slowenien verlegen, weil in unserem Land ein Klima entstanden ist, das nur Angst macht vor diesen neuen Technologien, weil man die Freilandversuche nicht Tag und Nacht bewachen kann, damit die Pflanzen nicht ausgerissen werden. Hören Sie doch endlich damit auf, den Leuten Angst zu machen vor neuen Entwicklungen.
Was besonders weh tut, ist die Tatsache, daß hochqualifizierte Hochschulabsolventen mit glänzendem Abschluß immer häufiger keinen Arbeitsplatz in Deutschland finden. Mit jedem deutschen Wissenschaftler, der ins Ausland abwandert, geht ein Stück unserer wissenschaftlichen und technologischen Basis und damit unserer Zukunftsfähigkeit verloren. Wir brauchen auch in Zukunft in Deutschland eine solide industrielle Basis. Dazu gehören auch die 2 Millionen Arbeitsplätze in der energieintensiven Industrie.
Jetzt spreche ich zu Ihnen, Herr Fischer.
In dem Papier der Grünen zur Ökosteuerreform ist die Rede von - ich zitiere - „Verliererbranchen und Verliererregionen einer ökologisch-sozialen Steuerreform". Das ist eine entlarvende Sprache. Wir werden verhindern, daß es in Deutschland Verliererbranchen und Verliererregionen geben wird.
Wir werden uns überhaupt nicht damit abfinden, daß 2 Millionen Arbeitnehmer und ihre Familien von den Ökozynikern einfach abgeschrieben werden wie Altanlagen.
Vielleicht sagt einmal Herr Lafontaine, was in seiner Partei eigentlich gilt. Herr Scharping hat es nicht gesagt. Gilt bei der Ökosteuer die ablehnende Haltung der Herren Beck - gilt die auch noch über die Landtagswahl hinaus? -, Clement und Schröder - dem man ja heute seinen Auftritt verboten hat -, oder gilt Ihr blinder Ökoeifer, den Sie zumindest verbal bei Ihrer letzten Bundestagsrede an den Tag gelegt haben?
Bei uns ist sehr klar, daß wir alles, was Arbeitsplätze aus Deutschland vertreibt, bekämpfen und daß wir alles tun, was Arbeitsplätze in Deutschland fördert.
Ähnlich ist immer auch Ihr Kampf gegen eine moderne Verkehrsinfrastruktur. Bei jedem modernen Verkehrsprojekt, egal, ob zu Lande, zu Wasser oder in der Luft, blockiert rot-grün. Jüngstes Beispiel ist der Flugplatz in Dortmund oder die A 44.
Es geht sogar so weit, daß man gegen von Bundestag und Bundesrat, also auch mit den Stimmen der SPD, genehmigte Verkehrsprojekte vor Ort zur Demonstration und zum Widerstand aufruft. Dies spüre ich derzeit beim Bau der A 71 in Franken besonders deutlich.
Michael Glos
Eine andere Frage. - Ich weiß nicht, warum man Frau Matthäus-Maier heute versteckt hat. Wenn sie krank ist, nehme ich alles zurück.
- Ist sie da? Frau Matthäus-Maier, heute hat man Sie aber weit nach hinten gesetzt. Ich kann die SPD gut verstehen.
- Moment mal, jetzt lassen Sie mich doch einmal ein paar Dinge fragen. Sie können das doch dann beantworten.
Wer ist denn zum Beispiel ernst zu nehmen, wenn es um die moderne Luftfahrtindustrie geht? Herr Schröder, der den Eurofighter bauen will? Frau Matthäus-Maier, die sich quasi das Lebensziel gesetzt hat, diese moderne Innovation in Deutschland zu verhindern? Sie können nicht gleichzeitig mit der linken Hand hü und mit der rechten Hand hott machen. So läuft die Geschichte nicht. Diese Fragen müssen Sie beantworten, wenn Sie glaubwürdig werden wollen.
Machen wir uns nichts vor: In einer modernen Gesellschaft muß jede Form der Arbeitsteilung vor allen Dingen legal möglich sein und auch genutzt werden. Auf dem Markt der Schwarzarbeit geschieht das ohnedies. Dienstleistungen in privaten Haushalten sind keine minderwertige Arbeit. Auch hier wäre es interessant zu wissen, was nun gilt: die neuen Erkenntnisse von Herrn Beck oder die Herabwürdigung dieser Beschäftigungsverhältnisse mit dem Wort „Dienstmädchenprivileg", wie es durch Frau Matthäus-Maier immer geschieht?
Der Jahreswirtschaftsbericht weist zu Recht darauf hin, daß durch flexiblere Löhne und Arbeitszeiten zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeiten, unternehmensbezogen und im sozialen Bereich, möglich wären. Auch hier müssen die Tarifpartner die Weichen stellen. Investitionen am Standort Deutschland und die Schaffung neuer Arbeitsplätze setzen vor allem voraus, daß die Kosten im Produktions- und Dienstleistungsbereich auch international wieder auf ein konkurrenzfähiges Niveau reduziert werden.
Die Menschen in unserem Land haben dafür Verständnis. Nach einer Emnid-Umfrage von letzter Woche sind 77 Prozent bereit, auf höhere Löhne zu verzichten, wenn damit Arbeitsplätze gesichert und geschaffen werden können. Das Argument, Lohnzurückhaltung werde die Kaufkraft schwächen, ist nicht stichhaltig. Überzogene Lohnsteigerungen bedeuten in erster Linie höhere Kosten für Unternehmen und damit eine Verteuerung deutscher Produkte auf nationalen und internationalen Märkten.
Herr Lafontaine, deswegen war Ihr Satz so töricht, den Sie auch hier gesagt haben: Autos kaufen keine Autos.
Dies zur Begründung für Lohnsteigerungen ist schon deshalb falsch, weil ein großer Teil der Konsumnachfrage in Deutschland ohnehin letztendlich mit Importwaren befriedigt wird.
Je größer unsere Wettbewerbsfähigkeit ist, um so mehr Arbeitsplätze bleiben oder entstehen in unserem eigenen Land. Die 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich hat im Ergebnis die Kosten erhöht, die Wettbewerbsfähigkeit vermindert und damit Arbeitsplätze in Deutschland vernichtet.
Nach einer Umfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft hat die Mehrzahl der Länder mit hohem Wirtschaftswachstum die Arbeitszeiten verlängert oder zumindest unverändert gelassen. Ich habe Ihnen vorhin das Beispiel USA gebracht. Die hohe Zahl - das wurde zu Recht beklagt - von 2 Milliarden Überstunden, die im letzten Jahr in der deutschen Industrie geleistet worden sind, weist ebenfalls auf ein zusätzliches Arbeitsplatzpotential hin. Allerdings ist es unrealistisch, die Überstunden einfach in Vollzeitarbeitsplätze umzurechnen. Ein Verbot von Überstunden, wie es immer wieder gefordert wird, wäre die falsche Lösung. Insbesondere auf Kleinbetriebe hätte dies eine verheerende Wirkung.
Aber auch hier können Sie gerade durch Ihren Einfluß, meine Damen und Herren von der SPD, den Sie bei den Gewerkschaften bis in die Betriebsräte hinein haben, viel dafür tun, daß man nicht so egoistisch handelt. Es ist natürlich klar, daß man die Verdienstmöglichkeiten, die sich bieten, gerne selber wahrnimmt und in der eigenen Kernbelegschaft läßt, statt neue Kolleginnen und Kollegen hinzuzunehmen. Das liegt nicht immer an den Unternehmern allein.
Unser Aktionsprogramm, über das wir reden, erweitert die Möglichkeiten, befristete Arbeitsverträge zuzulassen. Wir müssen auch hier die Rahmenbedingungen von der Angebotsseite her verbessern. Wenn Betriebe wissen, daß sie vorübergehend beschäftigte Arbeitskräfte nur mit einem sehr hohen Aufwand letztendlich wieder um- oder freisetzen können, dann stellen die Betriebe nicht entsprechend ein.
- Nein, wir wollen nicht hire und fire, sondern wir wollen die bestehenden Instrumente ausbauen, und wir wollen, daß es mehr legale und mehr legal bezahlte Arbeitsplätze in Deutschland gibt.
Auch wenn Sie jetzt wahrscheinlich wieder anfangen, sehr unruhig zu werden, muß ich Ihnen sagen: Die Tarifpartner müssen sowohl bei der Frage der Lohnfortzahlung als auch bei der Berechnung von
Michael Glos
Urlaub im Krankheitsfall neue Lösungen finden und auch unpopuläre Entscheidungen treffen. Der Mißbrauch der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall darf nicht zum Tabuthema werden.
Bei den gesetzlichen sozialen Sicherungssystemen ist eine neue Abgrenzung zwischen Eigenverantwortung und Solidarität unverzichtbar. Beiträge in Höhe von über 40 Prozent bei Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung sind unvertretbar. Helfen Sie deswegen mit - dazu fordere ich Sie auf - die Gesundheitsreform von Horst Seehofer zügig umzusetzen!
Wir müssen die Frühverrentung eindämmen und Mißbräuche bei der Arbeitslosenversicherung verhindern, wenn wir die Arbeit in Deutschland wieder bezahlbar machen wollen. Wer eine zumutbare Arbeit ablehnt, muß konsequenter als bisher mit Sanktionen belegt werden.
Eine Verschleierung der Kostenursachen durch eine Steuerfinanzierung der Sozialsysteme ist der falsche Weg. Zu hohe Kosten müssen dort bekämpft werden, wo sie entstehen. Es war Herr Dreßler, der bezeichnenderweise als erster eine höhere Mehrwertsteuer ins Spiel gebracht hat. Bei dieser Gelegenheit hat er auch die Ladenhüter Wertschöpfungsabgabe und Maschinensteuer wieder ausgegraben. All das ist nicht der richtige Weg, um mehr Arbeitsplätze in unserem Land zu schaffen.
Wenn wir über Arbeitslosigkeit in unserem Land reden, dann müssen wir uns auch die Bevölkerungsentwicklung anschauen. Seit 1990 haben wir aus den verschiedensten Gründen eine gewaltige Zuwanderung in Deutschland. Ich bitte Sie, folgendes zu bedenken: Derzeit gibt es in Deutschland, was wir beklagen, mehr als 4 Millionen Arbeitslose, es gibt eine halbe Million jüngerer Sozialhilfeempfänger, und es gibt gleichzeitig eine Million Arbeitserlaubnisse für ausländische Arbeitnehmer, weil sich angeblich kein Bewerber für die angebotene Stelle findet. Hier ist doch eine Fehlentwicklung vorhanden. Dieser Fehlentwicklung müssen wir uns stellen.
Auch die steuerlichen Rahmenbedingungen müssen weiter verbessert werden. Sie verstehen von der Steuer so wenig wie von „brutto und netto". Das haben Sie, Herr Scharping, vorhin bewiesen. Daß das Einkommensteueraufkommen zurückgeht, hängt damit zusammen, daß immer mehr Arbeitnehmer in die Veranlagung gehen und die Erstattungen an sie letztendlich nur in der Einkommensteuerstatistik erscheinen.
Wir wollen die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer und der Vermögensteuer und die Senkung der Gewerbeertragsteuer und des Solidaritätszuschlags. Das ist unser Konzept für bessere steuerliche Rahmenbedingungen, für Arbeit in Deutschland.
Wir brauchen auch mehr selbständige Existenzen in unserem Land. Der verbesserte Zugang von Existenzgründern und mittelständischen Unternehmern zum Risikokapital ist ein wichtiges Anliegen dieses Aktionsprogramms.
Ein Letztes: Wenn alle Bereiche - Bund, Länder und Kommunen - so konsequent gespart und auch so konsequent privatisiert hätten wie der Bund, dann hätten wir auch hier bessere Rahmenbedingungen.
Es gibt derzeit 100 000 Betriebe in öffentlicher Regie, vor allem im Bereich Entsorgung, Planung oder Verkehr. Eine Privatisierungswelle könnte nicht nur eine nachhaltige Ausgabenreduzierung bei den Kommunen bewirken, sondern auch letztendlich einen Unternehmensgründungsschub auslösen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe unlängst von einem kleinen Fuhrunternehmer einen Brief bekommen. Er schreibt mir, er habe noch einen Bagger nebenbei gehabt; damit habe er für 30 000 DM im Jahr Gräben für Kommunen ausgebaggert. Der Landkreis dort hat dann einen neuen Bagger für - was weiß ich - 250 000 DM gekauft und gleichzeitig zwei Fahrer dafür angestellt, denn einer könnte ja krank sein oder Urlaub haben.
Wenn wir „Kosteneinsparungen" im kommunalen Bereich so praktizieren, ist es kein Wunder, daß man mit dem Geld hinten und vorne nicht mehr zu Rande kommt. Auch hier muß endlich einmal gespart werden!
Am letzten Wochenende war der Weltwirtschaftsgipfel in Davos. Eines war tröstlich, meine sehr verehrten Damen und Herren: Die dort Anwesenden haben darüber abgestimmt, wem man noch Lösungskompetenz in den drängenden Fragen bis ins Jahr 2000 zutraut. Die USA und Deutschland waren an allererster Stelle.
Helfen wir mit unserem Aktionsprogramm, daß sich dieses internationale Vertrauen, das es Gott sei Dank noch gibt, auch in Zukunft bewahrheitet.
Danke schön.
Das Wort hat jetzt der Fraktionssprecher von Bündnis 90/Die Grünen, Joschka Fischer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, wir führen - Rudolf Scharping hat zu Recht darauf hingewiesen - heute keine gewöhnliche Debatte, sondern wir führen diese
Joseph Fischer
Debatte angesichts des höchsten Arbeitslosenstandes in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
Was wir bisher seitens der Regierung und der Koalition gehört haben, bestätigt, daß Sie mit Ihrer Politik zwar die Verantwortung dafür tragen, daß wir diesen historisch einmaligen Höchststand an Arbeitslosigkeit zu verzeichnen haben, daß Sie aber völlig unfähig sein werden, wirklich eine andere Politik zu betreiben, eine Wende herbeizuführen, damit die Arbeitslosigkeit erfolgreich bekämpft werden kann.
Was Sie heute hier gesagt haben, meine Damen und Herren, zeigt den Zustand dieser Koalition, zeigt den Zustand dieser Regierung, zeigt auch den Zustand der Politik, die Sie zu verantworten haben, Herr Bundeskanzler.
Wir haben Ihnen zu Beginn dieser Legislaturperiode gesagt: Die Koalitionsvereinbarung dokumentiert die Handlungsunfähigkeit, die Bewegungsunfähigkeit, die Reformunfähigkeit dieser Regierung. - Wenn es noch eines Beweises bedurfte: Die jetzt vorliegenden traurigen Zahlen, meine Damen und Herren, sind der Beweis.
Es ist ja nicht so, daß dies nur die Opposition behauptet. Das spricht sich mittlerweile bis in die Reihen der Union herum. Wer gestern die „FAZ" zur Hand genommen hat, meine Damen und Herren, der konnte Erstaunliches lesen. Dort steht als Aufmacher
- da lacht der Herr Kohl; in Wirklichkeit tobt er natürlich innerlich, das ist völlig klar -:
Ostdeutsche CDU-Politiker kritisieren die ihrer Ansicht nach „tatenlose" Bonner Regierung und wenden sich gegen Entwicklungen auch in der eigenen Partei, die sie als selbstzufriedene Routine und Unbeweglichkeit bezeichnen.
Meine Damen und Herren, dem können wir nur zustimmen.
Aber es reicht ja aus, nur den Jahreswirtschaftsbericht zu lesen, den das Kabinett beschlossen hat. Darin geben Sie sich selbst ja die „besten" Noten, Herr Bundeskanzler. Da liest man zur Einschätzung der wirtschaftlichen Situation in der Bundesrepublik Deutschland:
Nach wie vor bietet die Bundesrepublik Deutschland für eine unternehmerische Betätigung in vielerlei Hinsicht gute Bedingungen. Sie ist aber in Gefahr, im internationalen Standortwettbewerb Rangplätze unter den führenden Industrieländern einzubüßen. Die drückende Steuer- und Abgabenlast,
- wer hat die denn eingeführt? - die hohe Staatsquote
- wer trägt denn dafür die Verantwortung? - und vielfältige bürokratische Hemmnisse
- wer trägt denn dafür die Verantwortung, meine Damen und Herren? -
engen den Spielraum für private Leistungen ein.
Sie beeinträchtigen die Effizienz der Wirtschaft und wirken als Bremse für die gesamtwirtschaftliche Dynamik ... Überdies ist die Abgabenbelastung im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung beträchtlich gewachsen. Insgesamt können die Arbeitnehmer inzwischen nur noch über rund die Hälfte dessen verfügen, was für sie bei ihren Arbeitgebern als Kostenbelastung anfällt.
Herr Bundeskanzler, wir werden Ihnen eines nicht durchgehen lassen: daß Sie hier verkünden: Wir sind die Regierung; schuld an diesen Zuständen ist aber die Opposition. - Sie tragen die Verantwortung für diese Verhältnisse.
Sie werden hier nachher wieder ans Pult kommen und erzählen, wie schön es in den 80er Jahren war, daß in Deutschland die Armut noch nicht ausgebrochen ist und ähnliches mehr. Das wird aber an der Situation nichts ändern, daß Sie die Verantwortung dafür tragen, daß wir mittlerweile hier im Lande die höchste Steuerlast und die höchste Arbeitslosigkeit haben, daß wir in diesem Land eine Rentenkrise haben und daß wir insgesamt einen Reformstau haben, den abzubauen Sie nicht in der Lage sind.
- Nicht „Ach was". Schauen Sie sich doch mal die Situation an! Welch ein Zynismus ist es denn, daß diese Bundesregierung trotz dieser Arbeitslosenzahlen und trotz dieser Probleme nichts anders zu tun hat, als im Zusammenhang mit dem Abbau des Solidaritätszuschlags die Hauptaktion „Rettet die F.D.P." zu betreiben.
- Ich komme schon noch zu den konkreten Vorschlägen. Im Moment schlage ich mich mit Ihnen herum.
Die Not ist groß in der F.D.P. Das ist ja auch kein Wunder bei dem, was Sie anzubieten haben, meine Damen und Herren. Ich finde es hochinteressant, daß ich angesichts der Situation, daß wir im laufenden Jahr ein Haushaltsdefizit von 20 Milliarden DM haben - man munkelt, in der Koalition habe der Finanzminister von weiteren 10 Milliarden DM gesprochen -, am 17. Januar von Herrn Hauser, was den Solidaritätszuschlag betrifft, hier gehört habe:
Joseph Fischer
Es gibt keinen Spielraum für die Senkung des Solidaritätszuschlages.
Wenn ich mir die Situation in den neuen Bundesländern anschaue, wenn ich die Ministerpräsidenten aus den neuen Bundesländern höre, dann weist alles darauf hin: Es ist ein törichter Unfug, es ist eine Entsolidarisierung mit dem Aufbau Ost, wenn der Solidaritäszuschlag jetzt abgesenkt wird.
Der einzige Grund, den es dafür gibt, ist, der F.D.P. ein Wahlgeschenk zu machen. Bisher dachte ich, Wahlgeschenke werden den Bürgerinnen und Bürgern gemacht. Mittlerweile sind wir aber schon so weit, daß Herr Gerhardt notbeatmet werden muß, damit er mit seiner Truppe noch über die Wahlkampfhürden kommt.
Herr Kollege Geißler und alle, die das soziale Gewissen in der CDU und in der CSU - ich weiß, das sind nicht wenige - noch hochhalten, Sie müssen wissen, was Sie da notbeatmen.
Meine Damen und Herren, die F.D.P. hat jetzt ihr neues Grundsatzprogramm auf den Weg gebracht, passend zur närrischen Kampagne und passend zum Einzug von Herrn Westerwelle in den Bundestag.
Die F.D.P. verkündet darin dem erstaunten Volk, man müsse sich von der Gefälligkeitsdemokratie verabschieden. - Ausgerechnet ihr verabschiedet euch von der Gefälligkeitsdemokratie, ausgerechnet ihr!
Wenn ihr euch von den Gefälligkeiten gegenüber eurer Klientel verabschiedet, dann bleibt ja von euch gar nichts mehr übrig; dann wärt ihr ja völlig null und nichts.
Es wäre ja zum Lachen, meine Damen und Herren, wenn die Absenkung des Solidaritätszuschlags nicht konkret auf dem Rücken der neuen Bundesländer ausgetragen würde.
Meine Damen und Herren, ich finde es schon erstaunlich: Da werden immer die Widersprüche in der Opposition zitiert. Aber wo ist denn heute eigentlich der Herr Stoiber? Den Herrn Teufel sehe ich - der hat Wahlkampf - ich sehe auch Herrn Spöri - und ich bin ja ein Fan von großen Koalitionen; ich gebe es offen zu -: Als ich Sie vorhin da so nebeneinander sitzen sah, dachte ich: Gegenüber euch, so wie ihr euch nach vier Jahren gemeinsamer Arbeit zugeneigt seid, sind Lady Di und Prinz Charles wirklich noch ein entflammtes Liebespaar.
Das zur Perspektive von großen Koalitionen. Der Parteivorsitzende sollte sich das gut anschauen. Darauf liegt kein Segen, und deswegen sollte man das von vornherein lassen.
Meine Damen und Herren, doch zurück zur Sache.
Der entscheidende Punkt ist: Was jetzt angesichts der dramatischen Lage notwendig wäre, zu tun, das machen Sie nicht. Sie werden einzig und allein getrieben durch die Rücksichtnahme auf die F.D.P. und die politische Überlebensstrategie Ihrer Koalition. Das ist Ihre Handlungsmaxime!
Was sind denn die Probleme des Standortes Deutschland, meine Damen und Herren? - Wir haben ein großes Modernisierungsdefizit; das wird von niemandem hier bestritten. Dieses Modernisierungsdefizit - ich habe es Ihnen in der letzten Debatte schon einmal gesagt, Herr Bundeskanzler - kommt daher, daß Sie 1990 glaubten, bei der Herstellung der inneren Einheit den bequemen Weg gehen zu können. Sie haben die große Chance, die Dinge in Deutschland grundsätzlich neu zu machen, vertan, ja, Sie haben sich damals auf eine Lüge zurückgezogen, auf die Steuerlüge, und genauso wird es jetzt mit dem Solidaritätszuschlag.
Wer behauptet, der Solidaritätszuschlag werde gesenkt, der beschwindelt, der belügt die Menschen, um einen Wahlerfolg für die F.D.P. zu bekommen.
Aber er wird nur zwei Möglichkeiten haben: Entweder überzeugt er die Länder - ich sehe überhaupt nicht, wie die zu überzeugen sind -, oder aber er wird nach dem Wahltag im März die Mehrwertsteuer erhöhen. Und das ist eine krasse Steuerlüge, Herr Gerhardt, das wissen Sie auch. Ob Ihnen das am Ende hilft oder nicht, spielt dann keine Rolle mehr.
Wir haben dieses gewaltige Modernisierungsdefizit, wir haben diese hohe Steuerlast. Aber ich bin es leid, meine Damen und Herren, hier immer nur über Steuersenkung zu reden. Wir haben nämlich auch eine Steuergerechtigkeitslücke, wir haben also ein Steuergerechtigkeitsdefizit in diesem Lande.
Und wenn wir über Veränderungen sprechen, dann
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie werden
Änderungen, selbst solche, die weh tun, nicht hinbe-
Joseph Fischer
kommen, wenn nicht gleichzeitig die soziale Gerechtigkeit, die soziale Symmetrie stimmt.
Die Frage der Steuergerechtigkeit wird in Ihrem famosen 50-Punkte-Programm, das in Wirklichkeit nichts anderes als ein Kostensenkungs- und Sozialabbauprogramm ist, mit dem lapidaren Satz „Wird nach 1998 gelöst" behandelt, während umgekehrt an die Einkommen der Kleinen und an die sozialen Sicherungssysteme vorher schon herangegangen wird. Damit werden Sie gegen die Wand laufen, damit werden Sie scheitern, denn hier wird es weder mit den Gewerkschaften noch mit der Opposition die Möglichkeit einer Kooperation geben. Sie werden damit aber auch keine Mehrheiten in diesem Lande mehr bekommen; da bin ich mir sicher.
Wir müssen also an die Frage der Steuergerechtigkeit ran, und das wissen Sie auch ganz genau, Sie Gefälligkeitsdemokraten.
Aber das wollt ihr nicht; deswegen schreibt ihr: 1998.
Ihr wollt auch nicht an den Abbau von Steuersubventionen ran, wie ja überhaupt bei diesem famosen Wirtschaftsminister, der ja nun wirklich ein Höhepunkt in einer ganzen Serie bedeutender freidemokratischer Wirtschaftsminister ist - Graf Lambsdorff, seitdem Sie damals zurückgetreten sind, hatten wir einen Glanzpunkt nach dem anderen; man erinnert sich kaum noch, welche bedeutenden Köpfe das waren, und Rexrodt paßt wirklich dazu -, die Frage zu stellen ist: Was ist denn aus Ihrem Leib- und Magenthema des Subventionsabbaus eigentlich geworden? Haben wir dazu in der Rede heute etwas gehört? - Nein. Eigentlich hätte er doch die Steinkohle erwähnen müssen, nicht wahr.
Subventionsabbau erwähnen Sie deswegen nicht, meine Damen und Herren, weil Subventionsabbau natürlich direkt zu Ihrem „Klientelismus" führen würde. Subventionsabbau erwähnen Sie deswegen nicht, weil dann natürlich die Frage von massiven Steuersubventionen für Hochverdiener und Höchstverdiener in diesem Lande auf die Tagesordnung käme.
Ich sage nochmals: Die Frage der Steuergerechtigkeit ist für mich eine entscheidende Frage. Wenn Sie es mit dem Strukturwandel unseres Sozialsystems ernst meinen, dann wird das nur gehen, wenn die Lasten gerecht verteilt sind, wenn diejenigen, die mehr schultern können, auch mehr tragen, wenn nicht dauernd bei denen unten abgeladen wird.
Meine Damen und Herren, man hört ja - Herr Waigel hat das Journalisten gegenüber verkündet -, die wahre Schreckensliste solle erst nach den Wahlen am 24. März vorgelegt werden. Ein Teil wurde vorhin aber schon benannt. Herr Waigel, haben Sie doch den Mut, schon vor dem Wahltag nicht nur gegenüber Journalisten Andeutungen zu machen, sondern hier offenzulegen, wo Sie wirklich Streichungsbedarf sehen. Warum machen Sie das nicht einmal vor dem Wahltag? - Es wäre doch hochinteressant, das einmal mitzubekommen.
Herr Fischer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hirsch? - Bitte.
Herr Kollege Fischer, ich wollte mich nur vergewissern, ob ich Sie wirklich richtig verstanden habe: Haben Sie eben zum Ausdruck bringen wollen, daß die der Steinkohle zugesagten Subventionen,
daß die Subventionen für die Werften, daß die Subventionen für die deutsche Landwirtschaft allesamt Subventionen für Großverdiener sind? Habe ich Sie da richtig verstanden?
Herr Hirsch, Sie haben mich völlig richtig verstanden, daß das nicht Subventionen für Großverdiener sind, sondern daß die Frage des Subventionsabbaus - Herr Möllemann wollte für den Fall, daß er nicht durchgeführt wird, sogar zurücktreten - hier nicht mehr angesprochen wird, weil Sie genau wissen, daß die Steuergerechtigkeitsfrage dann sofort auf dem Tisch liegt. Die Klientel, die Sie beschützen wollen, hängt in der Tat nicht von Steinkohlesubventionen ab, hängt nicht von Landwirtschaftssubventionen ab - wobei die Dinge hier schon etwas anders aussehen - und hängt nicht von Werftensubventionen ab, sondern die hängt davon ab, daß sie nominell hohe Spitzensteuersätze in diesem Lande umgehen kann. Das ist die Realität!
- Das war überhaupt kein Eigentor! Was soll denn daran ein Eigentor gewesen sein?
Aber, Herr Hirsch, da Sie das ansprechen, möchte ich noch einen Punkt bringen: Eigentlich müßten Sie doch nach Vorlage Ihres Grundsatzprogrammes tieftraurig sein. Denn Fakt ist doch, daß Stahl wirtschaftlich und sozial gesiegt hat. Fakt ist doch, daß es, wenn dieses Grundsatzprogramm verabschiedet wird - und das wissen Sie ganz genau -, mit dem liberalen Freisinn in der F.D.P., mit dem sozialen Liberalismus ein Ende hat, Herr Hirsch.
Joseph Fischer
Dazu sollten Sie sich einmal äußern.
- Oh, doch.
- Ich weiß gar nicht, warum ihr euch darüber so aufregt. Ich verstehe das nicht.
Meine Damen und Herren, ein weiterer wichtiger Defizitpunkt, wenn wir über die Zukunftsgestaltung dieses Landes sprechen, ist die Frage: Wie schaffen wir neue Arbeitsplätze? - Im wesentlichen wurde von dieser Bundesregierung nur auf die Gentechnologie hingewiesen. Der ganze Bereich des ökologischen Umbaus kommt bei Ihnen überhaupt nicht vor. Hier liegt eine Zukunftschance, die zu nutzen Sie nicht in der Lage sind.
Ein grundsätzlicher Umbau unseres Energiesystems, Herr Glos, schafft Arbeitsplätze und vernichtet sie nicht. Wir führen diese Debatte doch schon seit über zehn Jahren. Seit über zehn Jahren sagen Sie, mehr Umweltschutz gefährde den Standort Deutschland. Heute wissen wir: Der Bereich Umweltschutz ist einer der dynamischsten Wachstumsmärkte für Arbeitsplätze und für die Umwelt und nicht gegen Arbeitsplätze und gegen die Umwelt.
Damit wir dort weitermachen können, bedarf es einer grundsätzlichen Verkehrswende. Hier, meine Damen und Herren, müßten Ihnen, den Technikfreunden, doch die Ohren klingen. Nehmen Sie einmal Ihre Transrapidbegeisterung. Was ist denn nach der Anhörung im Deutschen Bundestag aus dem Transrapid geworden? Hier zeichnet sich ein drohendes Milliardengrab ab. Das hat mit Technikfreundlichkeit, mit Arbeitsplätzen nichts mehr zu tun. Wir fordern Sie auf: Beenden Sie dieses Milliardengrab und investieren Sie die 16 Milliarden DM in den Ausbau der Bundesbahn im Fernbereich! Investieren Sie sie vor allen Dingen in die Nahverkehrssysteme! Investieren Sie sie in die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene!
Herr Abgeordneter Fischer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Koppelin?
Nein, jetzt gestatte ich keine mehr.
Es ist das freie Recht des Redners, eine Zwischenfrage zuzulassen oder nicht. - Jetzt wird sie doch gestattet. Bitte, Herr Koppelin.
Herr Kollege Fischer, da Sie gerade vom Transrapid sprechen: Sehe ich Sie heute abend bei einer Veranstaltung in der hessischen Landesvertretung, wo der Ministerpräsident Eichel, Chef einer rot-grünen Koalition, zusammen mit der Firma Thyssen Henschel den Transrapid vorstellen wird?
Herr Koppelin, damit habe ich überhaupt kein Problem.
Sie mögen darüber lachen. Aber ich halte die Entscheidung von Herrn Eichel, wegen 300 möglichen Arbeitsplätzen in seinem Wahlkreis in Kassel auf den Transrapid zu setzen, für falsch. Das habe ich damals so gesagt, das sage ich auch heute. Die Zukunft liegt bei der Rad-Schiene-Technik. Hier können wir in beachtlicher Größenordnung Arbeitsplätze schaffen, während wir beim Transrapid nichts anderes bekommen als ein Milliardengrab. Das wissen Sie. Ihr Problem ist doch, daß Sie den Ausgang aus diesem Projekt nicht mehr finden, daß Sie nicht wissen: Wie kommen wir vom Transrapid runter? Sie wissen doch, daß es ein Milliardengrab wird. Wir setzen auf die Deregulierung des Stromsystems. Hier hatten Sie, meine Damen und Herren von der Union, eine große Möglichkeit, Arbeitsplätze durch mehr Markt zugunsten der Ökologie zu schaffen. Hier besteht die Möglichkeit, daß wir neue Märkte durch Energiesparen öffnen. Energiesparen ist High-Tech, dezentral eingesetzt, und bringt viele Arbeitsplätze, vor allem im Bereich des Gewerbes, im Bereich des Handwerks, im Bereich der mittleren und kleineren Unternehmen. Wir wollen endlich zu einer Entflechtung der Strommonopole kommen, weil sie letztendlich Innovation und neue Arbeitsplätze im Strombereich verhindern. Hier Veränderungen herbeizuführen halte ich für einen ganz wichtigen Gesichtspunkt.
Darüber hinaus: Herr Bundeskanzler, Sie sagen, Sie wollten neue Arbeitsplätze schaffen. Warum geht dann der letzte Photovoltaikhersteller von Deutschland in die USA?
- Nein, meine Damen und Herren, Sie reden davon, daß Sie neue Arbeitsplätze schaffen wollen. Gleichzeitig aber verlieren wir diese in immensen Größenordnungen, wie es die Arbeitslosenzahlen klar belegen.
Aber weiter: Neben der ökologischen Steuerreform wird sich die Frage nach der Zukunft des Sozialstaates stellen. Bezüglich der Zukunft des Sozialstaates fürchten wir Schlimmes. Wir sehen es bei der beabsichtigten Senkung des Solidarzu-
Joseph Fischer
schlags, bei den Streichungen von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe. Wir sehen es jetzt wieder bei diesem angeblichen Kompromiß im Zusammenhang mit der Pflegeversicherung. Was Sie mit den sozialen Kürzungen wollen, ist, den sozialen Konsens in diesem Lande Schritt für Schritt in Frage zu stellen. Wenn Sie diesen aber in Frage stellen, werden Sie sehr viel mehr als nur den Zusammenhalt dieser Gesellschaft in Frage stellen. Sie, meine Damen und Herren, werden die Zukunft dieses Landes insgesamt gefährden. Das tun Sie schon; das ist an Hand der Entwicklung am Arbeitsmarkt eindeutig zu sehen. Sie werden dies auch weiterhin tun.
Wenn die Wahl vorbei ist, dann wird die Horrorliste des Herrn Waigel vorgelegt werden. Erst dann werden die Menschen begreifen, was es heißt, wenn die Entwicklung in diesem Lande weiter so anhält. Deswegen, meine Damen und Herren: An einer ökologischen und sozialen Wende in diesem Land führt kein Weg vorbei.
Wieso soll - diese Frage müssen Sie mir beantworten - ausgerechnet der Esel, der das Korn gefressen hat, in Zukunft mehr als Mist produzieren? Wieso soll er die Lage meistern können? Sie haben dies zu beantworten.
Deswegen führt kein Weg daran vorbei: Wenn dieses Land erneuert werden soll, dann wird dies nur über eine ökologische und soziale Wende, nur durch eine grundsätzliche Erneuerung unserer Energie- und Verkehrssysteme, durch eine ökologische Steuerreform, die endlich angepackt werden muß, gehen.
Es wird nicht mit dem Bisherigen gehen, mit Business as usual.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Gerhardt, der Vorsitzende der Freien Demokratischen Partei.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein Stück des Schlagabtausches von heute vormittag muß auf einen bestimmten Kern zurückgeführt werden: Herr Kollege Fischer, auch Sie haben Verantwortung für Beschäftigung in Deutschland.
Sie können hier nicht die Opposition spielen, aber in den Ländern Arbeitsplätze vernichten. Das wird der deutschen Öffentlichkeit vermittelt werden müssen.
Ich benenne dies konkret: Sie haben in Hessen eine Kampagne gegen PVC begonnen und in den mittelständischen Unternehmen Arbeitsplätze vernichtet und gefährdet.
Sie haben eine Kampagne gegen Chlorchemie begonnen und damit Beschäftigung aus Deutschland vertrieben.
Sie schlagen verkehrspolitische Kapriolen: Sie verhindern einen Straßenbau, lassen dadurch zehn Dörfer verstopfen und verhindern, daß Menschen zu ihrer Beschäftigung gelangen bzw. Beschäftigung transportiert werden kann.
Sie treten hier auf, erzählen der F.D.P. etwas über ein gerechtes Steuersystem, fordern selbst einen Höchststeuersatz in Höhe von 35 Prozent - das haben Sie noch nicht einmal mit Herrn Trittin besprochen - und machen der Öffentlichkeit glauben, daß Sie ein Steuerreformer seien. Und: Sie beschimpfen Minister Rexrodt wegen mangelnden Subventionsabbaus. - Ich weiß doch, welche Position die Grünen bei der Werftenhilfe vertreten haben. Ich weiß doch, daß Sie die Kohle brauchen, wenn Sie die Kernkraftwerke abschalten wollen.
Die Unglaubwürdigkeit Ihres Konzepts darf der Öffentlichkeit nicht verborgen bleiben. Es darf keinesfalls zugelassen werden, daß Sie bei der Bundesregierung Arbeitsplätze einfordern, in Ihrer praktischen Politik aber Arbeitsplätze in Deutschland vernichten bzw. aus Deutschland vertreiben und sich in die Büsche schlagen, wenn es ernst wird. Das muß hier gesagt werden.
Die Bundesregierung hat dieses Aktionsprogramm, das auch schmerzhafte Richtungsanzeigen vorgibt, nicht überall mit Vergnügen gemacht. Sie hat es gemacht, weil sie zutiefst davon überzeugt ist, daß wir eine Trendumkehr im politischen Denken und Handeln in Deutschland erreichen müssen, wenn wir 2 Millionen neue Arbeitsplätze schaffen wollen. Das ist der Kern des Programms.
Und dieser Kern ist richtig. Er enthält ganz verschiedene Komponenten, und die Opposition muß jetzt einmal sagen, ob diese Komponenten falsch oder richtig sind.
Er enthält als erste Komponente, daß wir, wenn wir uns in weltweitem Vergleich sehen, Steuern senken wollen. Die wollen wir nicht senken, um einem Unternehmer ein dickeres Portemonnaie zu verschaffen, sondern die wollen wir senken, damit Arbeitnehmer in Deutschland ihren Arbeitsplatz finden.
Dr. Wolfgang Gerhardt
Wir wollen den Mittelstand bei der Gewerbesteuer entlasten. Wenn es nach uns gegangen wäre, müßte der Mittelstand schon seit dem 1. Januar dieses Jahres Gewerbekapitalsteuer nicht mehr bezahlen.
Und jetzt zum Mitschreiben: Das hätte 300 000 Betriebe in Deutschland schon seit über vier Wochen entlastet und die Arbeitsplätze in diesen 300 000 Betrieben besser gesichert, als sie heute gesichert sind.
Wenn die Opposition ein anderes Rezept hat, dann soll sie es hier nennen. Wenn sie in diesem Jahr der Senkung der Gewerbekapitalsteuer nicht zustimmt, dann sind wir gezwungen, sie absurderweise in den neuen Ländern einzuführen. Deshalb muß Herr Lafontaine, wann immer er heute spricht, hier sagen, ob er jetzt endlich mitmacht oder ob wir zu der absurden Situation kommen, für 17 Millionen Deutsche in den neuen Ländern die Erhaltung bzw. Schaffung von Arbeitsplätzen zu erschweren. Wir wollen das erleichtern. Das ist der Kern der Auseinandersetzung.
Wir wollen in den Haushalten Ausgaben reduzieren. Das macht keine Freude. Zwar hat man in diesem Land nach 1945 gewußt, daß erst Produktivität hergestellt werden muß, bevor es ans Verteilen geht. Aber inzwischen hat man vergessen, daß erst Produktivität erreicht werden muß, bevor verteilt werden kann. Wir werden also schwierige Aufgaben vor uns haben.
Wir können aber die Tarifvertragsparteien aus ihrer Verantwortung nicht entlassen. Es gibt nicht nur die Bundesregierung. Es gibt in einem freiheitlichen Rechtsstaat viele Akteure: Es gibt Tarifvertragsparteien, es gibt Produzenten und Verbraucher, es gibt eine Medienlandschaft, und es gibt auch ganz private Bürger, die ihren Job machen, ihre Arbeit verrichten. Die Bundesregierung regiert zwar, aber sie ist nicht allein an der Macht, und sie verfügt nicht über einen kleinen Knopf, den sie nur zu drücken braucht, um 2 Millionen zusätzliche Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland zu schaffen.
Die Selbstabsolution, die sich in diesem Land viele erteilen, indem sie mit dem Finger auf den Bundeskanzler und die Regierung zeigen, ist falsch. Für Beschäftigung in Deutschland tragen viele Mitverantwortung. Tarifverträge abzuschließen, Löhne über Gebühr zu erhöhen, eine 35-Stunden-Woche einzuleiten, einen vollen Lohnausgleich zu wünschen und dann zu sagen, die Bundesregierung solle für Beschäftigung sorgen - das möchte ich hier nicht durchgehen lassen. Auch da liegt ein Stück Verantwortung.
Die Kernfrage ist, ob es uns gelingt, eine neue Balance zwischen Beschäftigung und sozialer
Begleitung und sozialer Sicherheit zu finden. Die ist aus den Fugen geraten. Alle unsere sozialen Sicherungssysteme geraten heute in die Gefahr zum Verlust von Arbeitsplätzen beitragen. Sie gefährden damit die größte soziale Sicherheit, die jemand haben kann, nämlich das Beschäftigungsverhältnis. Wer hier nicht eine neue Balance sucht, wer hier sofort - wie die modernen Tabuwächter es tun - diffamiert, wenn jemand über Lohnnebenkosten auch nur redet, der wird seiner großen Verantwortung nicht gerecht. Es gibt ein großes Diffamierungspotential gegen die Senkung von Lohnnebenkosten. Das wird voll ausgespielt.
Da gibt es Kompetenz für Diffamierung, aber keine Kompetenz für die Zukunft von Beschäftigung in Deutschland.
Ich sage das deshalb zu diesem Themenbereich. Dieses Land wird immer die Kraft behalten müssen, soziale Sicherung zu betreiben. Aber es muß immer wissen, daß die soziale Begleitung eines Problems nicht seine Lösung sein kann. Wir sollten deshalb in ganz Deutschland nicht Menschen glauben machen, daß wir, wenn wir ihnen im strukturellen Wandel helfen wollen, Produktion für Güter sichern können, für die es keinen Markt mehr gibt, daß wir Fabriken erhalten können, die Erzeugnisse produzieren, die keine Märkte mehr haben und daß wir Beschäftigung dadurch sichern, daß wir sie staatlich aushalten, ohne daß Produktivität zugrunde gelegt wird. Das ist nicht Ausdruck sozialer Kälte; das ist schlicht die Wahrheit. Wir würden die Menschen in Deutschland betrügen, wenn wir ihnen vorgaukeln würden - wie es die PDS bei 17 Millionen Deutschen tut -, daß Beschäftigung über staatliche Haushalte gesichert werden kann. Das ist nicht der Fall. Sie betrügen die Menschen und bringen sie in große Schwierigkeiten.
Wenn wir über Arbeitnehmerpolitik in Deutschland reden, dann frage ich mich, wer eigentlich die sicherere Arbeitnehmerpolitik macht. Der SPD ist genauso wie der F.D.P. bekannt, daß Kapital weltweit mobil ist,
daß es sich dort ansiedeln wird und man dort Investitionen tätigen wird, wo es günstige Bedingungen gibt.
Deshalb frage ich zurück, ob sich nicht die Sozialdemokratische Partei allmählich für eine Steuerpolitik entscheiden sollte, die Beschäftigung in Deutschland sichert, und ob sie nicht ihre Steuerpolitik korrigieren sollte, die Beschäftigung aus Deutschland vertreibt.
Dr. Wolfgang Gerhardt
Denn immer noch brauchen wir Unternehmen, um die Beschäftigung zu sichern.
Wir befinden uns im übrigen mit unserer Steuerpolitik in guter Gesellschaft. Der Sachverständigenrat hat komplett die Empfehlungen gegeben, die wir jetzt umsetzen. Wir bleiben auch nicht bei dem Problem der Gewerbesteuer stehen. Der Abbau des Solidarzuschlags, Herr Kollege Fischer, bedeutet keinen Rückzug aus der Solidarität; er geht auch nicht zu Lasten des Aufbaus in den neuen Ländern. Er geht bei fairem Interessenausgleich auch nicht zu Lasten der alten Länder. Das durch den Abbau des Solidaritätszuschlags zur Verfügung stehende Geld geht bei fairer Verhaltensweise an den Steuerzahler in der Höhe zurück, wie es nicht mehr benötigt wird. Es handelt sich um eine faire und klare Verhaltensweise, die wir vorschlagen.
Es ist nicht mehr als fair, von den Ländern zu erwarten, daß sie sich an die Absprachen erinnern, die beim Solidarpakt getroffen worden sind. Der Bund ist bereit, für seine Ebene die Rückgabe des von ihm nicht mehr benötigten Anteils vorzusehen. Ich erwarte das auch von den Ländern. Um nichts mehr und nichts weniger geht es. Es greift hier niemand den Ländern in die Tasche; es greift schon gar niemand den Ländern in die Tasche, um etwas in die Bundestasche zu stecken. Wir sollten uns an die Verabredungen halten, die wir gemeinsam getroffen haben. Danach ist in der Mitte des nächsten Jahres der Zeitpunkt gekommen, 2 Prozentpunkte vom Solidaritätszuschlag an die deutschen Steuerzahler, von Frankfurt an der Oder bis Krefeld und von Flensburg bis Berchtesgaden, zurückzugeben. Darum handelt es sich bei diesem Thema.
Wir wollen - das steht im Aktionsprogramm, und das zeigt, daß die Koalition in bezug auf eine wichtige Frage zusammenhält - ja auch in eine Tarifreform weiter einsteigen. Die Rückführung des Solidarzuschlages ist der Beginn einer Kursänderung in der Steuerpolitik in Deutschland in Richtung auf eine Senkung von Steuern.
Das ist richtig; das bestreitet auch niemand. Die Opposition soll sagen, ob sie zur Sicherung der Arbeitsplätze in Deutschland Steuersenkungen für notwendig erachtet; sie soll die diesbezüglichen Größenordnungen vorlegen, sie soll die Komponenten nennen. Im anderen Fall soll sie sagen, daß sie das anders sieht.
Jedenfalls wird es ihr nicht gelingen, den Eindruck
zu erwecken, wir würden die Mehrwertsteuer erhöhen. Steuererhöhungsvorschläge beim Jahressteuergesetz, bei der Unternehmensteuerreform der 80er I Jahre kamen von der Opposition, nicht von uns. Wir hätten gern mehr an die Bürger zurückgegeben.
Die Lohnnebenkosten haben eine gewaltige Höhe erreicht. Wir tragen zum Teil politische Verantwortung für diese Höhe; auch die Tarifpartner tragen Verantwortung dafür.
Ich stelle einmal ganz einfache Fragen, weil diese Debatte auch übertragen wird und sie sich an die gesamte Gesellschaft richtet.
- Nein, nein; Sie mißverstehen das jetzt; keine Vorurteile.
Ist es denn wirklich eine Zumutung in einem Land, das ein großes System sozialer Absicherung hat - wenn man die Entwicklung in allen europäischen Nachbarländern beim Thema Lohnfortzahlung betrachtet -, mindestens einmal darüber zu sprechen, ob man über Bonus- und Malussysteme reden kann, die die belohnen, die permanent da sind, und ob man denen, die nicht immer da sind, sagt: Sie sollten solidarischer sein. Denn wer ehrlich ist, weiß, daß nicht jeder heftig krank ist, der fehlt. Ist es die Herbeiführung eines sozialen Härtefalls, wenn jemand eine vierwöchige Kur antritt und wir ihn bitten, vielleicht fünf Tage seines Urlaubs zur Verfügung zu stellen, um eine solche Kur in dieser Gesellschaft zu ermöglichen? Ist das eine Zumutung?
Ist es eine nicht vertretbare soziale Kälte in dieser Gesellschaft, wenn man bei 42 arbeitsfreien Tagen pro Jahr durch Urlaub und Feiertage den höchsten Freizeitbestandteil aller führenden Industrienationen hat, egal, ob ein voller Tag für die Finanzierung der Pflegeversicherung gebraucht wird oder nicht, diese Gesellschaft in Deutschland bittet, bereit zu sein, wenn die ältere Generation gepflegt werden muß, einen Tag mehr im Jahr zu arbeiten? Ist das eine Überforderung?
Ist das soziale Kälte? Ist das die Demontage des Sozialstaates?
Im Kern empfinden es die Menschen außerhalb des Parlaments als sehr gerecht, wenn wir diese Beiträge einfordern, weil jeder jemanden kennt, der es sich zu Lasten der Solidargemeinschaft in diesem sozialen Netz bequem gemacht hat. Es gibt sehr viele Leistungsbereite, die am Ende die Dummen sind, wenn wir das nicht korrigieren. Das ist keine soziale Kälte; das ist ein Akt der Gerechtigkeit und der Solidarität.
Hier erwartet uns im Zuge des Aktionsprogramms noch viel Arbeit und viele Auseinandersetzungen mit den Tarifvertragsparteien. Wir werden noch mit vie-
Dr. Wolfgang Gerhardt
len Gruppen reden müssen. Ich kann nur den Appell an die Opposition richten: Seien Sie nicht die modernen Tabuwächter, seien Sie nicht die Modernisierungsverweigerer unseres Standorts.
Sie wissen genausogut wie wir, daß wir Systeme umbauen müssen, daß wir schmerzhafte Eingriffe vor uns haben, daß wir uns verändern müssen und ein Stück Wandel notwendig ist, um die Voraussetzungen für die Zukunft zu schaffen. Mit Besitzstandswahrungsdenken, mit der Devise „Das haben wir schon immer so gemacht" zu verfahren wird uns nicht weiterhelfen.
Jedes andere europäische Nachbarland hat schmerzhafte Entscheidungen getroffen. Heute habe ich über holländische Debatten bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gelesen. Das würde hier überhaupt niemand vorschlagen, was dort diskutiert werden mußte. Das hat denen auch keinen Spaß gemacht; aber sie haben gesehen, daß sie nicht anders entscheiden können, wenn sie sozialen Frieden, Beschäftigung und eine stabile Demokratie erhalten wollen.
Ich sage das deshalb, weil es um Arbeitsplätze geht und Arbeitsplätze in Deutschland auch notwendig sind, um nicht nur Beschäftigung zu haben. In keinem anderen Land ist nach zwei kollektiven Erfahrungen einer Hyperinflation und Arbeitslosigkeit die Angst um die Stabilität eines demokratischen Systems so groß wie bei uns, wenn man jetzt auf über vier Millionen Beschäftigungslose zugeht.
Die Kernfrage ist: Machen wir Einschnitte, bauen wir um, oder sehen wir tatenlos zu?
Die Bundesregierung hat sich zu unbequemen Maßnahmen entschlossen. Das macht keine Freude; das schafft Widerstände. Die Richtung aber stimmt. Das ist der ganz entscheidende Punkt beim Aktionsprogramm. Das ist das Wichtige.
Es geht uns deshalb um Beschäftigung in Deutschland. Es geht uns um wirkliche Beseitigung von Arbeitslosigkeit.
Es geht doch um Erleichterungen von Investitionen und nicht um Behinderung. Es geht um Erleichterung von Einstellungen und nicht um das Erschweren. Es geht um das Verschieben von Hindernissen. Es geht um Beschleunigung von Investitionen. Es geht um Risikokapital für Existenzgründer. Es geht um schmerzhafte Entscheidungen, damit Lohnnebenkosten gesenkt werden. Ein Aktionsprogramm reicht allein nicht aus.
Beschäftigungschancen in Deutschland setzen eine gesellschaftliche Haltung voraus: Offenheit gegenüber Neuem, Risikobereitschaft, Verantwortungsbereitschaft, Weitsicht statt Kleinkariertheit, vor allem aber Bejahen dieses wirtschaftlichen Systems, das Arbeitslosigkeit offen zutage fördert, aber auch eminente Beschäftigungschancen bietet, wenn man sie auf richtigem Wege nutzt.
Es gibt offene Arbeitslosigkeit in einer Marktwirtschaft, aber auch Chancen zu ihrer Überwindung. Es gibt Wegfall von Arbeitsplätzen und die Chance zu neuen. Eines aber gibt es nicht: Es gibt kein besseres Wirtschaftssystem, das nur im entferntesten die Sicherheit im sozialen Bereich gäbe wie unser System. Hinter dem Aktionsprogramm steht diese Auffassung und dieses Gedankengut. Wir begrüßen es.
Die F.D.P. dankt dem Bundeswirtschaftsminister für seine Erarbeitung und dem Kabinett für das Zusammenwirken.
Wir werden dieses Aktionsprogramm ganz klar und entschlossen Zug um Zug umsetzen. In gemeinsamer Arbeit innerhalb der Koalition werden wir diesem Programm zum Erfolg verhelfen, nicht wegen uns, sondern wegen der Arbeitnehmer in Deutschland, die diesen Erfolg sehen wollen.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Gregor Gysi.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Gerhardt, Sie haben zum Schluß Ihrer Rede dem Bundeswirtschaftsminister gedankt. Wer sich noch daran erinnert, wie Sie gerade diesen Bundeswirtschaftsminister im Dezember vergangenen Jahres abschießen wollten, weiß, was er von der Glaubwürdigkeit einer solchen Aussage zu halten hat.
Diesen Glaubwürdigkeitscharakter hatte Ihre gesamte Rede.
Sie haben zum Beispiel erklärt, daß die PDS die Menschen in den neuen Bundesländern täuscht, so, als ob die PDS regieren und Wahlversprechungen machen könnte. Wir haben immer gesagt, daß wir die Oppositionsrolle spielen werden - übrigens auch in den Landtagen der neuen Bundesländer. Wir können diesbezüglich gar keine falschen Versprechungen abgeben. Alle die, die die PDS gewählt haben, wußten, daß die PDS in Opposition geht.
Falsche Versprechungen hat die Bundesregierung gemacht. Oder haben Sie etwa vergessen, was Sie den Menschen in den neuen und in den alten Bundesländern im Jahre 1990 erklärt haben? Sie versprachén „blühende Landschaften" und daß es keine
Dr. Gregor Gysi
Steuererhöhungen geben wird. Nichts davon ist Realität geworden.
Die Spezialität für falsche Versprechungen liegt wirklich bei Ihnen, nicht bei uns.
Wir beschäftigen uns heute mit dem Jahreswirtschaftsbericht und mit dem Problem der Massenarbeitslosigkeit.
Herr Abgeordneter Gysi, warten Sie bitte einen Moment. - Ich bitte, den Gang da vorne frei zu machen.
Frau Präsidentin, der Regierungskoalition ist eigen, daß sie nicht zuhören kann. Deshalb kann sie auch nichts lernen. Da besteht ein enger dialektischer Zusammenhang.
- Ich kann sehr gut zuhören, Herr Solms. Ich höre selbst der F.D.P. zu, so schwer es mir gelegentlich fällt.
Die Massenarbeitslosigkeit hat inzwischen einen gesellschaftszerstörerischen Charakter. Die offizielle Zahl der Arbeitslosen liegt bei über 4 Millionen. Real sind wir schon bei 8 Millionen, wenn man auch noch die prekären Arbeitsverhältnisse berücksichtigt - eine Zahl, die es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch nie gegeben hat.
Sie, Herr Bundeskanzler, schmücken sich gerne mit Titeln wie das Monarchentum, zum Beispiel mit „Kanzler der Einheit". Sie müssen dann aber auch den Titel „Kanzler des größten Sozialabbaus und der höchsten Massenarbeitslosigkeit in der Geschichte der Bundesrepublik" akzeptieren, annehmen und daraus politische Schlußfolgerungen ziehen.
Was schlägt die Bundesregierung in einer solchen Situation vor? Sie geht zunächst ein Bündnis für Arbeit ein. Wenige Tage später macht sie daraus ein Bündel gegen Arbeit.
Das kann man in dem 50-Punkte-Programm und in anderen Vorstellungen zweifellos nachlesen.
Ich will mich mit Ihrer Argumentation durchaus auseinandersetzen. Sie sagen: Arbeit in Deutschland ist zu teuer; deshalb müßten Lohnnebenkosten und Löhne gesenkt werden. Sie sagen: Die Steuern für Unternehmen sind wie die für die Vermögenden und Reichen zu hoch; deshalb müßten sie abgebaut werden. Ich erinnere nur an den Vorschlag der F.D.P. zur Streichung der Vermögensteuer. Sie können nun nicht im Ernst erzählen, daß das eine Steuerstreichung wäre, die die Sozialhilfeempfängerin oder den Lohnempfänger irgendwie entlastet. Diese Streichung entlastet eine ganz bestimmte F.D.P.-Klientel und ausschließlich diese. Auch nur für diese machen Sie hier Politik.
Diese Politik betreiben Sie schon seit Jahren. Die Gewinne steigen in der Bundesrepublik Deutschland seit Jahren; Sie behaupten immer etwas anderes. Demgegenüber sind die Löhne real zurückgegangen oder höchstens gleichgeblieben. Es gab seit Jahren gar keine Lohnsteigerungen mehr. Ist das Ergebnis etwa ein Mehr an Arbeitsplätzen? In Wirklichkeit hat Ihr Vorgehen nur zu weiterem Arbeitsplatzabbau geführt.
Wie sieht es bei den Steuern aus? 90 Prozent der Steuereinnahmen der Bundesrepublik Deutschland werden über die Einkommensteuer, die Lohnsteuer und die indirekten Steuern wie die Mehrwertsteuer erzielt. Das heißt, das bezahlen die Beschäftigten, die Arbeitslosen und andere in dieser Gesellschaft. Von den Unternehmen kommen gerade noch 10 Prozent der Steuereinnahmen der Bundesrepublik Deutschland.
Die großen Konzerne haben sich aus der Bezahlung der Bundesrepublik Deutschland restlos verabschiedet. Diese 10 Prozent erbringt im wesentlichen der Mittelstand, die großen Konzerne schon längst nicht mehr.
Sie behaupten, Sie müßten die Sozialleistungen kürzen, und das würde irgendwie Arbeit schaffen. Mit der gleichen Begründung ist ja übrigens immer erklärt worden, daß der Solidaritätszuschlag gekürzt oder gestrichen werden soll.
Machen wir es doch einmal real: Wenn Sie, Herr Gerhardt, und ich durch Kürzung oder Streichung des Solidaritätszuschlags 100 DM oder 150 DM mehr im Monat haben - was passiert denn dann? Schaffen Sie oder ich einen Arbeitsplatz? Das ist doch blanker Unsinn, den Sie hier erzählen. Wir konsumieren nicht einmal mehr, weil wir nämlich zu den Besserverdienenden gehören. Wir sparen höchstens mehr. Wenn Sie der Sozialhilfeempfängerin 100 DM mehr geben würden, machte das Sinn: Die würde real mehr konsumieren. Das heißt, dort können Sie die Kaufkraft stärken. Trennen Sie sich von Ihrer bisherigen Klientel, und denken Sie wirklich einmal an die sozial Schwachen in dieser Gesellschaft!
Sie schlagen immer Bürokratieabbau vor. Damit bin ich in hohem Maße einverstanden. Es gibt eine einzige Kritik an der DDR, die ich zurücknehmen muß - alle anderen mußte ich, im Laufe zunehmender Erfahrung und Erkenntnisgewinnung, durchaus verschärfen -: Ich habe zu DDR-Zeiten immer behauptet, die DDR sei das bürokratischste Land der Welt. Da kannte ich aber die Bundesrepublik Deutschland noch nicht. Sie war in dieser Hinsicht eine harmlose Variante. Ich habe doch nicht geahnt,
Dr. Gregor Gysi
daß man hier zwei Hochschulabschlüsse braucht, um in der Lage zu sein, einen Wohngeldantrag auszufüllen. Wer zwingt Sie denn zu solch bürokratischen Hemmnissen?
Das könnte man alles wesentlich einfacher, wesentlich unkomplizierter gestalten und damit übrigens auch sehr viel Geld sparen.
Der eigentliche Grund für die strukturelle Arbeitslosigkeit ist doch der, daß von immer weniger Menschen in immer weniger Zeit immer mehr hergestellt werden kann und auch hergestellt wird, das heißt die Produktivität zunimmt. Aber es gibt eben auch Bedarfsgrenzen. Selbst wenn der Traum der F.D.P. in Erfüllung ginge und alle Lohnabhängigen ehrenamtlich tätig wären, überhaupt keinen Lohn mehr bezögen, würde das an dieser Tatsache überhaupt nichts ändern:
Die Zunahme der Produktivität hat ein solches Maß erreicht, daß die Arbeit anders verteilt werden muß. Es gibt keinen anderen Weg, als die Arbeitszeit gerechter zu verteilen: Wir brauchen einen Abbau der Überstunden und Arbeitszeitverkürzung.
Damit die Nachfrage nicht zu stark nachläßt, muß das zumindest für die Bezieher niedriger und mittlerer Löhne mit einem vollen Lohnausgleich verbunden sein.
Zwei Milliarden Überstunden - das sind rein theoretisch mehr als 800 000 Arbeitsplätze. Ein Arbeitszeitgesetz könnte ganz schnell Abhilfe von diesem Übel schaffen. Aber nichts tun Sie in dieser Richtung.
Wir brauchen eine Umbewertung der Arbeit, das heißt, wir müssen endlich auch Tätigkeiten im Reproduktionsprozeß finanziell anerkennen: die Erziehung und Betreuung von Kindern, die Pflege älterer Leute. All das ist doch Arbeit; sie wird nur nicht bezahlt. Deshalb fordern wir eine soziale Grundsicherung.
Wir brauchen natürlich einen öffentlichen Beschäftigungssektor. Wenn Sie keine soziale Katastrophe provozieren wollen, können Sie den Staat nicht aus seiner sozialen und kulturellen Verantwortung entlassen. Durch die Schaffung eines öffentlichen Beschäftigungssektors könnte sehr viel Arbeit erledigt werden, die jetzt liegenbleibt: im ökologischen Bereich, im sozialen Bereich, im kulturellen Bereich, im Bildungsbereich. Wir brauchen eine ökologische Umgestaltung.
Wir brauchen sicherlich auch Wirtschaftsförderung. Die Bundesrepublik hat behauptet, in den 50er Jahren hätte - darauf war sie immer so stolz - hier ein Wirtschaftswunder stattgefunden. Ich kann das nicht bewerten. Aber selbst wenn es so war, Herr Rexrodt:
Aus diesem Wirtschaftswunder haben Sie inzwischen ein Spekulationswunder gemacht. Das steht fest.
Ihre gesamte Steuerpolitik fördert doch gar nicht Wirtschaftstätigkeit, sie fördert Spekulation.
Da Sie das mir nicht glauben, will ich einmal zitieren, was Wolfgang Mainz, der Vorsitzende des Bundesverbandes Junger Unternehmer, gesagt hat:
Wer sein Geld in Immobilien steckt, wird begünstigt. Wer in junge Firmen investiert, geht leer aus.
Das ist die Realität in der Bundesrepublik Deutschland.
Im vergangenen Jahr gab es beim An- und Verkauf von Derivaten, Aktien, Devisen etc. an Banken und Börsen Umsätze in Höhe von 6 Billionen DM - alles steuerfrei! Wer hindert Sie denn daran, dort eine Abgabe festzulegen, um den öffentlichen Beschäftigungssektor zu finanzieren? - Niemand.
- Sie behaupten immer, die Löhne und die Lohnnebenkosten - darauf komme ich gleich noch - seien schuld daran, daß die Betriebe abwandern. Selbst der Bund Deutscher Industrie bestreitet das: Es ist die Überbewertung der D-Mark und die mangelnde Binnennachfrage, die die Unternehmen dazu bringen, ins Ausland zu gehen, um an die Märkte heranzukommen. Das hat mit den Löhnen nichts zu tun. Das bestätigen Ihnen auch die Unternehmer in diesem Lande, zumindest die, die wirklich noch etwas unternehmen. Das ist ja auch schon eine Rarität geworden.
Überhaupt: Sie diskutieren immer über Löhne auf der unteren Ebene, Sie diskutieren über Kuren für Kranke, Sie diskutieren über die Lohnfortzahlung für Kranke. Das sind Ihre Themen. Wann diskutieren Sie eigentlich einmal über die Spitzengehälter in dieser Gesellschaft? Was leistet denn eigentlich dieses deutsche Management? Es gibt Länder, in denen es wesentlich weniger verdient und in denen es wesentlich kreativer ist. Ich glaube, es ist heillos überbezahlt und dadurch ziemlich lahm geworden in dieser Gesellschaft.
Wer über Armut spricht, der muß auch über Reichtum sprechen.
- Ach Gott Herr Bundeskanzler, wenn Ihre Geheimdienste halbwegs funktionierten, würden Sie wissen,
wie arm die PDS ist. Wenn sie Sie diesbezüglich auch
Dr. Gregor Gysi
noch falsch informieren, dann schaffen Sie sie gleich ab! Aber was haben Sie selbst mit dem eingezogenen Parteigeld gemacht? Nur Mist! Es ist nicht etwa sinnvoll verwendet worden zum Aufbau der neuen Bundesländer. Das wäre sozusagen noch verständlich und verträglich gewesen.
Dann reden Sie immer von der Förderung des Mittelstandes. Reden Sie doch einmal mit dem Mittelstand. Das sind doch die einzigen, die hier noch Steuern bezahlen. Sie können doch heute ein Grundstück kaufen, und wenn Sie zwei Jahre warten und es mit einem Reingewinn von 3 Millionen DM oder 4 Millionen DM weiterverkaufen, dann zahlen Sie auf diesen Spekulationsgewinn keinen Pfennig Steuern. Fragen Sie einmal einen Einzelhändler, was er an Steuern abführen muß, wenn er bloß 50 Sakkos verkauft. Das ist die Realität in dieser Bundesrepublik Deutschland. Sie unterstützen gar nicht Wirtschaftstätigkeit, Sie unterstützen Spekulationstätigkeit.
Das Finanzkapital muß wesentlich anders besteuert werden, als das gegenwärtig der Fall ist. Ich sage Ihnen: Investitionshilfen sind sinnvoll, aber nicht, wie Sie das vorhaben, nach dem Volumen der Investition; denn das bedeutet, daß Sie auch die Investitionen fördern, die Arbeitsplätze vernichten. Sie müssen Investitionen fördern, die Arbeitsplätze sichern oder Arbeitsplätze schaffen. Das muß der Maßstab von Investitionsförderung sein.
Auch das lehnen Sie in Ihrer Regierungspolitik konsequent ab.
Und dann brauchen wir eine Umverteilung auch zwischen den Unternehmen, zumindest wenn es eine arbeitsplatzorientierte Politik sein soll. Ich komme hier auf einen alten Vorschlag zurück, und damit sind wir auch bei den Lohnnebenkosten. Heute ist es doch so, daß jedes Unternehmen 50 Prozent in die Sozialversicherungssysteme einzahlt, entsprechend der Zahl seiner Beschäftigten und der Bruttolohnsumme. Die anderen 50 Prozent zahlen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das ist ein Modell aus der bismarckschen Zeit. Da machte das vielleicht auch noch Sinn, weil damals die Unternehmen groß und stark waren, die viele Beschäftigte hatten und die eher klein und schwach, die weniger Beschäftigte hatten. Heute, in den Zeiten der modernen Technologien, ist das ein absurdes System. Denn ich kann Ihnen im Bereich der Hochtechnologie ein Unternehmen zeigen mit 100 Beschäftigten und doppelt so hohen Umsätzen wie ein anderes Unternehmen, das arbeitsintensiv ist und 1 000 Beschäftigte hat. Das erste muß nur für 100 Beschäftigte in die Versicherungssysteme einzahlen, das andere aber für 1000, und zwar unabhängig davon, ob die Umsätze steigen oder zurückgehen. Das ist völlig unflexibel.
Lassen Sie uns etwas für Arbeitsplätze tun. Lassen Sie uns ein Reformmodell angehen. Lassen Sie uns dafür sorgen, daß künftig die Unternehmen ihre Beiträge in die Versicherungssysteme in Abhängigkeit vom Umsatz und Gewinn, aber nicht mehr von der Zahl der Beschäftigten, nicht mehr von der Bruttolohnsumme zahlen müssen. Dann würden Sie wirklich etwas für die Unternehmen tun, die Arbeitsplätze sichern und schaffen, und gegen jene, die nur hohe Gewinne produzieren, ohne Arbeitsplätze oder nur ganz wenige zu sichern und zu schaffen. Eine solche Reform brauchen wir ganz dringend.
Wenn Sie das Geld für eine soziale Grundsicherung und für einen öffentlichen Beschäftigungssektor haben wollen und damit wirklich mehr Erwerbstätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland, dann müßten Sie allerdings die Steuerhinterziehung bekämpfen. Wieso kein Wort dazu in Ihrer Rede, Herr Rexrodt? Wieso kein Wort dazu in Ihrer Rede, Herr Gerhardt? Sie haben sich hier hingestellt und gesagt: Jeder kennt doch einen, der es sich in unserem sozialen Netz bequem macht. Sie wollen doch damit nichts weiter als den Stachel löcken und die sozial Schwachen auch noch gegeneinander aufbringen und sagen: Da ist ein Kranker, der in Wirklichkeit nur faul ist. Das ist Ihre Politik.
Aber wo blieb denn Ihre Kritik an der milliardenfachen Steuerhinterziehung in dieser Gesellschaft? Das kritisieren Sie nicht, weil die Steuerhinterzieher die eigentliche Klientel der F.D.P. sind. Das ist nämlich die Realität. Das wissen Sie auch.
Wissen Sie, was Frankreich mit einem ganz konservativen Präsidenten, mit einem Chirac an der Spitze, gemacht hat? Es hat jetzt einen Gesetzesvorschlag gemacht - ich entnehme dies einer dpa-Meldung -:
Der französische Fiskus soll künftig multinationalen Konzernen und ihren Tochtergesellschaften in Frankreich genauer auf die Finger sehen und versteckte Gewinntransfers unterbinden. Das Kabinett verabschiedete am Mittwoch in Paris einen Gesetzentwurf, mit dem so Steuerausfälle verhindert werden sollen. Jährlich gehen Schätzungen zufolge zweistellige Milliardenbeträge verloren.
Das ist in Deutschland nicht anders, nur daß wir eine Regierung haben, die sich nie wagen würde, gegen multinationale Konzerne Steuergesetze zu erlassen und sie auch noch durchzusetzen. Das ist nämlich die Realität in unserer Gesellschaft.
Deshalb bitte ich Sie zum Schluß um eines: Hören Sie mit der Entsolidarisierung auf. Hören Sie auf, den Solidarzuschlag zu nutzen und diese komischen Bruttosummen beim Geldtransfer, um die Ostdeutschen und die Westdeutschen gegeneinander auszuspielen. Hören Sie auf, die sozial Schwachen gegen-
Dr. Gregor Gysi
einander zum Teil sogar aufzuhetzen. Hören Sie auf, Inländerinnen und Inländer und Ausländerinnen und Ausländer gegeneinander auszuspielen.
Dazu, Herr Scharping, muß ich Ihnen eines sagen. Es gibt einen schlimmen Satz von Ihnen. Ich hoffe, Sie nehmen ihn zurück.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist vorbei.
Es ist der Satz:
In einem Land, in dem es 4 Millionen Arbeitslose gibt, macht es keinen Sinn, 800 000 Arbeitserlaubnisse an Ausländer zu erteilen. Dann müßte man erst einmal deutsche Arbeitnehmer berücksichtigen.
Nein, das ist ein schlimmer Satz, weil er an der ganz falschen Stelle entsolidarisiert.
Das ist eigentlich Regierungspolitik. Das sollte nie Oppositionspolitik werden.
Das Wort hat jetzt der Herr Ministerpräsident des Landes BadenWürttemberg, Erwin Teufel.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer sich wirklich ernsthaft und objektiv und nicht in polemischer Absicht, hier eine Debatte zu gewinnen, dem Thema wirtschaftliche Herausforderung und Beschäftigung nähert, der kommt sehr schnell zu den wirklichen Ursachen.
Erstens: eine Verschärfung des internationalen Wettbewerbs. Viele sind in den letzten Jahren stärker geworden. Sie sind bescheidener geblieben.
Zweitens: Globalisierung. Wir haben es auf allen Märkten der Welt, auch auf dem heimischen Markt Bundesrepublik Deutschland, mit den gleichen Wettbewerbern zu tun: ein Kapitalmarkt, ein Markt für Wissen und neue Technologien.
Drittens, das ist das Entscheidende für die Beschäftigung -: Wir sind in einem revolutionären Strukturwandel des sekundären Sektors, des produzierenden Bereiches.
Wir sind in einer Situation, fürchte ich, wie beim Übergang von der Agrargesellschaft zur Industriegesellschaft. Vor hundert Jahren sind in diesem Land noch 50 Prozent in der Landwirtschaft beschäftigt gewesen. Heute sind es keine 3 Prozent. Nun kommt aber der entscheidende Satz: Diese 3 Prozent produzieren heute mehr als früher die 50 und 70 Prozent.
Wir sind heute in einer Situation, daß im produzierenden Bereich zuhauf Arbeitsplätze verlorengehen, weil man die gleiche Menge an Gütern, sogar immer mehr Güter mit immer weniger Menschen herstellen kann. Das ist das Problem. Es ist doch absurd, die Ursache für die gegenwärtige Beschäftigungssituation, wie das heute morgen geschehen ist, bei der Bundesregierung zu suchen.
Es ist absurd, denn es ist in allen westlichen Industrieländern die gleiche Situation. Es ist auch die gleiche Situation in allen Bundesländern der Bundesrepublik Deutschland, wo niemand will, daß dort die Ursachen für die gegenwärtige Beschäftigungssituation gesucht werden.
Was die Bürger von uns erwarten, ist nicht eine polemische Auseinandersetzung, sondern eine Zusammenarbeit, ein Zusammenwirken,
ein Wahrnehmen der Verantwortung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, von Unternehmern, Betriebsräten und Belegschaften, die nämlich hervorragend mitmachen. Die Banken sind gefordert, Risiken und Existenzgründungen zu finanzieren.
Bund, Länder und Gemeinden sind gefordert. Wissenschaft und Forschung sind gefordert. Wir alle stehen in der Verantwortung.
Das erwarten die Bürger, das erwartet die Wirtschaft, und das tut die Bundesregierung mit dem Bündnis für Arbeit. Deswegen handelt in Wahrheit verantwortungslos, wer ausschließlich eine polemische Auseinandersetzung sucht.
Meine Damen und Herren, das gemeinsame Ziel heißt: Vorrang für Investitionen, Vorrang für Arbeitsplätze, Vorrang für wirtschaftliches Wachstum.
Das von der Bundesregierung vorgelegte Aktionsprogramm trägt diesem Ziel Rechnung.
- Im Unterschied zu der Rede von Herrn Scharping habe ich im Programm der Bundesregierung 50 konkrete Punkte gefunden.
Herrn Scharpings Rede gipfelte in dem Satz: Tun Sie etwas. Aber er hat nicht gesagt, was er tun will.
Ministerpräsident Erwin Teufel
Der wichtigste Satz des Aktionsprogramms für Investitionen und Arbeitsplätze ist der erste Satz:
Neue Arbeitsplätze entstehen zumeist in neu gegründeten Unternehmen und im Mittelstand.
Das ist auch meine Erfahrung, wenn ich bei einer Meisterlossprechungsfeier einer Handwerkskammer bin. Wenn eine solche Kammer unter tausend jungen Meisterinnen und Meistern eine Umfrage durchführt, sagen 70 Prozent, daß sie die Absicht haben, sich selbständig zu machen. Wenn ich eine solche Umfrage bei Abgängern unserer Universitäten und Hochschulen machen würde, käme dabei ein vernichtend geringer Prozentsatz heraus.
Aber das liegt nicht an den Studenten, sondern daran, daß jemand, der die Meisterprüfung gemacht hat, etwas von Selbständigkeit gehört hat: von Unternehmensführung, von Menschenführung, vom Steuerrecht, vom Gewerberecht und von Ausbildung. Das alles war Teil seiner Ausbildung. Von alledem hört jemand, der an einer unserer Hochschulen studiert, nichts.
Deswegen müssen wir an dieser Stelle ansetzen und müssen dafür sorgen, daß wir den jungen Leuten, deren höchstes Lebensideal noch nicht in der 35Stunden-Woche und noch nicht darin besteht, daß sie Freitag mittag ihr Boot am Bodensee oder einen Wintersportort im Montafon erreichen, helfen. Sie haben eine qualifizierte Ausbildung; aber sie haben nicht das erforderliche Startkapital. Da müssen wir ansetzen!
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Anke Fuchs?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin, ich kenne nicht die Gepflogenheiten dieses Hauses. Wenn das Ganze nicht auf meine Redezeit angerechnet wird, sehr gerne.
Bitte.
Herr Ministerpräsident, sind Sie auf Grund Ihrer flammenden Rede für das Meister-BAföG bereit, auf die Bundesregierung einzuwirken, damit das Ergebnis des Vermittlungsausschusses in Sachen Meister-BAföG von ihr akzeptiert wird,
so daß wir ab übermorgen jene Förderung erreichen können, die Sie hier jetzt wollen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin, ich war sogar zu sehr viel mehr bereit. Im Unterschied zu allen sozialdemokratisch geführten Länderregierungen war ich bereit,
schon im Dezember letzten Jahres im Bundesrat den Vorschlag der Bundesregierung zu akzeptieren und nicht in den Vermittlungsausschuß zu gehen, damit diejenigen, die die Meisterprüfung in 1996 machen, Meister-BAföG bekommen. Das haben Sie verhindert, nicht wir.
- Sie sehen auch nach der zweiten Frage nicht besser aus, Frau Kollegin.
Herr Ministerpräsident, es gibt noch weitere Wünsche nach einer Zwischenfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, erstens: Ich halte es für richtig, daß die Bundesregierung stärker in die Existenzgründung einsteigt. Wir haben diese Politik in Baden-Württemberg seit Jahren betrieben.
Zweitens: Risikokapital. Wir müssen Märkte für Risikokapital in unserem Land schaffen. Wir brauchen eine Börse für Risikokapital, Beteiligungskapital. Es muß derjenige steuerlich belohnt werden, der sein Geld nicht in Schiffsbeteiligungen und Flugzeugbeteiligungen steckt, sondern in mittelständische Betriebe, die bereit sind, in Hochtechnologie zu investieren.
Herr Ministerpräsident, wollten Sie keine Zwischenfragen mehr zulassen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein.
- Da vorher so wenig zur Sache gesagt worden ist, würde ich gerne ein paar Sätze mehr zur Sache sagen.
Drittens: Investitionen begünstigen. Denn Investitionen bringen Arbeitsplätze. Die Wirtschaft in Deutschland braucht Luft zum Atmen, damit sie investieren und Arbeitsplätze schaffen kann. Deswegen liegt die Bundesregierung richtig, wenn sie die Gewerbekapitalsteuer beseitigen will. Meine Damen und Herren von der SPD, Sie haben verhindert - das ist vorher völlig zu Recht gesagt worden -, daß dieser wichtige Abschnitt 1995 in das Jahressteuergesetz hineingekommen ist. Sonst wäre er bereits Gesetz. Die betriebliche Vermögensteuer muß weg, und die Blockadehaltung der SPD im Bundesrat in diesen Fragen muß weg.
Wir müssen allerdings auch an den Mittelstand und an das Handwerk denken.
Das Handwerk hat sich in den Zeiten der Rezession, Anfang der 90er Jahre, als der stabilste Wirtschaftszweig erwiesen.
Das Handwerk ist auch der Ausbilder der Nation. Deswegen denken wir an Mittelstand und Handwerk,
und deswegen muß auch eine mittelstandsfreundliche Senkung der Gewerbeertragsteuer Teil unseres Programms sein.
Meine Damen und Herren, ich füge hinzu: Ich wäre auch dafür, daß wir diejenigen mittelständischen Betriebe, die Gewinne im Betrieb lassen, wieder investieren und damit Arbeitsplätze schaffen, anders besteuern, geringer besteuern als diejenigen Betriebe, die Gewinne entnehmen.
- Meine Damen und Herren, ich erschrecke nicht, wenn Sie einem vernünftigen Vorschlag zustimmen.
Viertens. Das Steuerrecht muß wesentlich vereinfacht werden.
- Ich habe den Eindruck, Sie haben das 50-PunkteAktionsprogramm der Bundesregierung noch gar nicht gelesen.
Da steht es nämlich drin.
Dazu hat der CDU-Bundestagsabgeordnete Uldall ganz vernünftige Vorschläge gemacht, auf die ich mich beziehen kann.
Fünftens. Die Belastung für die Bürger muß reduziert werden.
Wir müssen die Steuerbelastung für die Bürger und die Wirtschaft senken.
- Ich spreche jetzt gerade nicht von den Zwischenrufern, sondern von den Menschen, die Leistung bringen in Deutschland.
Wir dürfen nicht an den Punkt kommen, an dem die Menschen sagen: Leistung lohnt sich nicht mehr in diesem Land; investieren lohnt sich nicht mehr in diesem Land. - Deshalb sind nicht neue Belastungen, sondern Entlastungen für Bürger und Wirtschaft das Gebot der Stunde und der kommenden Jahre.
Wir müssen den Solidaritätszuschlag in Stufen senken. Ich stehe voll und ganz hinter dem Vorschlag der Bundesregierung.
Die Steuerbelastung der Bürger und der Wirtschaft hat eine absolut kritische Grenze erreicht.
Warum, frage ich allerdings, decken Sie die positive Botschaft mit einer Debatte über die Finanzierung zu, die zumindest zur Unzeit geführt wird? Bis zum 1. Juli 1997 ist es noch weit. Legen wir doch im Herbst 1996 Zahlen auf den Tisch - Sie vom Bund, wir von den Ländern. Gleichen wir dann die Zahlen ab, wie das regelmäßig durch Abgleich der Dekkungsquote erfolgt: Hat sich etwas zugunsten der Länder verschoben, findet ein Ausgleich zugunsten des Bundes statt.
Ministerpräsident Erwin Teufel
Hat sich etwas zu Lasten der Länder verschoben, haben sie einen Ausgleichsanspruch. So geht man doch unter vernünftigen Partnern und unter erwachsenen Menschen miteinander um.
Man beschimpft, bedroht und erpreßt sich doch nicht gegenseitig, und das noch über die Medien. Glauben Sie, daß so das Vertrauen in die Politik wächst?
Sechstens. Zwei Probleme müssen ganz kurzfristig gelöst werden, deren Regelungen ganz und gar unsinnig aus dem Vermittlungsausschuß - und nicht von der Bundesregierung - gekommen sind. Erstens nenne ich die gegenwärtige Reisekostenregelung, die seit vier Wochen gilt. Muß man die Leistungsträger wirklich wegen einer Randfrage so verärgern, wie das gegenwärtig geschieht?
Wer Außendienst macht, hat es doch in der Regel schwerer als der, der Innendienst macht. Kein Mitarbeiter macht gerne Kundenbesuche, wenn er aus der eigenen Tasche draufzahlen muß. Das ist mit der neuen Reisekostenregelung der Fall: Bis zu zehn Stunden unterwegs überhaupt nichts, von zehn bis vierzehn Stunden 10 DM, bei mehr als vierzehn Stunden 20 DM, miserable Sätze im Ausland - das ist, aus der Sicht Baden-Württembergs betrachtet, sehr viel schlechter als im Nachbarland Schweiz und im Nachbarland Österreich. Die Neuordnung ist völlig weltfremd.
Was die Betriebe darüber zahlen, was die öffentliche Hand - sie hat höhere Sätze - darüber zahlt, muß besteuert werden, und zwar mit einem ungeheuren Verwaltungsaufwand. Allein das Landesamt für Besoldung in Baden-Württemberg meldet 60 Stellen an. Diese Geschichte muß also weg.
Neuregelung durch Herbeiführung des alten Zustandes so schnell wie möglich: Eine Bundesratsinitiative Baden-Württembergs steht morgen im Bundesrat auf der Tagesordnung.
Das zweite ist die Dienstwagenregelung. Wenn man Neid und Ideologie wegläßt, findet man dafür überhaupt keine Begründung. Warten Sie einmal ab, bis jeder von Ihnen die Rechnung für die Heimfahrten vom Arbeitsplatz bis zur Wohnung bekommt. Da kommen gut und gern 20 000 DM zusätzlich zu versteuerndes Einkommen heraus. Bemessungsgrundlage ist der Listenpreis eines Fahrzeugs. Ist ein Gebrauchtwagen durch mehrere Hände gegangen, läßt sich der Listenpreis oft gar nicht mehr feststellen. Der Kauf eines Gebrauchtwagens ist ohnehin uninteressant, weil Sie auch noch im vierten oder sechsten Lebensjahr eines Autos auf der gleichen Basis den Neuwagenpreis versteuern.
Das unsinnigste Beispiel nannte mir der Leiter der Stadtwerke in Mannheim. Seine Monteure haben einen bestens ausgestatteten VW-Bus mit einem Wert von über 150 000 DM während des Bereitschaftsdienstes bei sich zu Hause und müssen deshalb Heimfahrten mit diesem Dienstfahrzeug auf der Basis von 150 000 DM versteuern.
Das Schlimmste aber ist, daß diese gesetzliche Neuregelung Arbeitsplätze kostet, nämlich in der Automobilindustrie: ein Einbruch von heute schon zwei bis drei Milliarden DM - Zahlen von gestern -, tausend Arbeitsplätze sind gefährdet. Deswegen melden sich nicht nur Vorstandsvorsitzende, sondern es melden sich alle Betriebsratsvorsitzenden der Automobilindustrie und der Zuliefererindustrie bei mir.
Beseitigen Sie auf dem schnellsten Weg den Schaden, den Sie im Vermittlungsausschuß angerichtet haben!
- Nein, nein, nicht mit dem Finger hier herüber zur Bundesregierung zeigen, sondern hier herüber zeigen, zur Mehrheit der Länder!
Siebtens. Neue Arbeitsplätze entstehen nur durch neue Produkte und neue Dienstleistungen. Deutschlands Wirtschaft leidet unter einem Mangel an neuen Produkten. Wissenschaftsminister Rüttgers hat vor zwei Wochen eine Studie vorgestellt, die den Rückstand der deutschen Wirtschaft in Forschung und Entwicklung belegt.
- Jetzt hört es aber auf! Lesen Sie einmal das Wahlprogramm Ihrer Partei in Baden-Württemberg! Da steht kein Wort von Biotechnologie drin. Dann lesen Sie einmal das Programm der Grünen. Da steht drin, daß Biotechnologie abgelehnt wird. Sie machen das gleiche, was Sie beim Chip gemacht haben: Diskussionen unter der Überschrift „Jobkiller". Derweil laufen die anderen, die Japaner und die Amerikaner, davon, und wir fallen zurück. Das ist nämlich die Situation.
Wir müssen uns mit aller Kraft auf diese Punkte konzentrieren: Förderung der Forschung - wir haben Spitzenforschung in Deutschland, aber wir brauchen zu lange, bis die Forschungsergebnisse in neue Produkte und neue Produktionsverfahren umgesetzt sind -,
Technologietransfer, Umsetzung der Forschungsergebnisse, steuerliche Begünstigung der Forschung und Entwicklung in den Betrieben,
Ministerpräsident Erwin Teufel
Förderung von innovativen Unternehmen, auch durch die Banken, mit längerem Atem als nur in der ersten Phase der Existenzgründung. Das dritte Jahr ist das schwierigste Jahr; bei der Umsetzung etwa im pharmazeutischen oder biotechnologischen Bereich kann es acht oder neun Jahre dauern. Also muß man mit langem Atem fördern.
Säen, investieren, neue Technologien bejahen und gestalten: Gefragt ist nicht mehr die Perfektionierung vorhandener Produkte, sondern der Mut und die Risikobereitschaft, in technologisches Neuland vorzustoßen. Das brauchen wir in Deutschland!
Achtens. Wir müssen überall Arbeitsplätze fördern, überall, und nicht nur die Sätze für Beschäftigte im Haushalt erhöhen. Wir müssen die Ideologie auf diesem Gebiet beseitigen,
Stichwort: Dienstmädchenprivileg.
Ich sage: Jedem, der Beschäftigung schafft, müssen wir den Status des Arbeitgebers geben. Wer auch immer stundenweise Arbeitsplätze, Halbtagsoder Ganztagsarbeitsplätze schafft, muß das selbstverständlich steuerlich geltend machen können.
Neuntens. Wir müssen die 590-Mark-Jobs beibehalten,
Wir brauchen sie in der Gastronomie und in der mittelständischen Wirtschaft.
Wir dürfen sie nicht aus ideologischen Gründen beseitigen.
Zehntens. Die Wirtschaft erwartet vom Staat eine Entbürokratisierung und eine Beschleunigung und Vereinfachung von Genehmigungsverfahren. Die Bundesregierung liegt mit ihren Beschlüssen vom 11. Januar richtig, aber die Wirtschaft sagt uns: Wenn es schon keine grundlegenden Verbesserungen gibt, dann wenigstens auch keine Verschlechterungen. Die Wirtschaft sagt uns auch: Wenn ihr schon die Steuern nicht senken könnt, dann macht wenigstens keine neuen Steuererhöhungen.
Jetzt habe ich als Ministerpräsident von BadenWürttemberg wirklich jahrelang darum gekämpft, daß der Kohlepfennig abgeschafft wird.
Wir haben in Baden-Württemberg eine Milliarde DM jedes Jahr bezahlt. Wir haben die höchsten Strompreise in der Republik. Jetzt machen sich Leute auf der linken Seite dieses Hauses darüber Gedanken,
wie man auf dem schnellsten Weg eine Stromsteuer einführen kann, um das wieder zu konterkarieren.
Jetzt haben wir in einer Serie von Steuer- und Beitragserhöhungen, auch kommunalen Gebührenerhöhungen, zum erstenmal einen Lichtblick. Wir haben seit dem 1. Januar in Baden-Württemberg um 8 Prozent niedrigere Strompreise für jeden Haushalt und um 12 bis 14 Prozent niedrigere Strompreise für die Industrie. Jetzt möchte ich diesen Wettbewerbsvorteil halten und nicht mit neuen Wieselwörtern
wie ökologische Steuerreform - denn Ökologie klingt ja so gut - und Stromsparsteuer - damit verbindet sich ja etwas Positives - neue Steuern erfinden, um die Bürger zu belasten.
Ich lasse mich auch bei den Hochschulen beim Wort nehmen. Zu Recht steht in diesem Programm, daß wir die Studienzeiten verkürzen müssen. Auch die Länder müssen sich in die Pflicht nehmen lassen. Wir haben in Baden-Württemberg Berufsakademien, an denen 12 000 junge Abiturientinnen und Abiturienten studieren. Sie machen nach drei Jahren Examen. Mir graust bei dem Gedanken, diese 12 000 wären auch an den Universitäten. Sie würden erstens die dreifache Zeit studieren, und sie hätten zweitens wesentlich schlechtere berufliche Chancen.
Wir sind das fachhochschulreichste Land der Bundesrepublik. Wer nach vier Jahren mit zwei Jahren Praxissemestern Examen macht, erleidet keinen Praxisschock. Der Rektor der Universität Heidelberg - ich kann das öffentlich sagen, ohne daß ich Datenschutzvorschriften verletze - hat kürzlich in einer Pressekonferenz gesagt, er habe eine ganze Menge von Studenten, die im 25. Semester an seiner Universität immatrikuliert seien. Er nannte einen Landtagsabgeordneten, der im 28. Semester an der Universität Heidelberg immatrikuliert ist.
Wenn Sie es genauer wissen wollen: Es war natürlich einer von den Grünen.
Es geht um Praktika in allen Studiengängen und Verkürzung der Studienzeiten,
um Berufsorientierung schon während des Studiums, um Verbesserung und Evaluierung der Qualität der Lehre, um die Vorbereitung auf selbständige Tätigkeit.
Ministerpräsident Erwin Teufel
Meine Damen und Herren, in dem Buch „Deutsche Wahrheiten" steht der Satz: „Es ist nun mal noch keine Wirtschaft erfunden worden, die mehr verteilen kann, als sie produktiv erwirtschaftet." Dieser Satz stammt von Oskar Lafontaine. Er ist trotzdem richtig.
Aber, meine Damen und Herren, ich habe den Eindruck, weder die SPD noch die Grünen haben dies bisher in ihrer Gesamtheit begriffen.
- Ich habe in der Tat diesen Eindruck. Ich habe die Zitate zuhauf dabei.
Sie haben heute keine einzige Klärung in den Fragen herbeigeführt, in denen Sie auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik strittige Auffassungen haben, keine einzige Klärung!
Meine Damen und Herren, die Wahrheit ist, daß viele der Partner, die ich vorher angesprochen habe, begriffen haben, was die Stunde geschlagen hat, daß sie sich nicht mehr gegenseitig bekämpfen, sondern beim Kanzler zusammengekommen sind und sich vorgenommen haben, daß jeder seine Hausaufgaben macht und wir alle zusammenarbeiten, damit wir die Probleme unseres Landes lösen können.
Denn es gibt keine wichtigere Aufgabe, als Arbeitsplätze zu schaffen und der jungen Generation die gleichen Zukunftschancen zu vermitteln, wie sie die Generation unserer Eltern unserer Generation vermittelt hat. Das sehe ich als wichtigste Aufgabe aller Entscheidungsträger in Wirtschaft, Gewerkschaften und Politik, meine Damen und Herren.
Bundesregierung, Arbeitgeber, Gewerkschaften - alle bewegen sich, nur die SPD steht still.
Die Bundesregierung hat gemeinsam mit den Tarifpartnern das Bündnis für Arbeit und zur Standortsicherung auf den Weg gebracht. Mit dem Aktionsprogramm für Investitionen und Arbeitsplätze hat sie einen umfassenden Maßnahmenkatalog für mehr Wachstum und Beschäftigung vorgelegt.
Wo aber bleibt die SPD? Sie muß sich fragen lassen: Was ist eigentlich ihr Beitrag zur Sicherung des Standortes Deutschland und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze? Was tut sie dafür? Wenn es der SPD wirklich darum geht, die Probleme in Angriff zu nehmen, wenn es ihr wirklich darum geht, einen konstruktiven Beitrag zu leisten, dann reicht es nicht länger aus, zu allem und jedem immer nur nein zu sagen und sich ansonsten darauf zu beschränken, in der Bevölkerung unbegründete Ängste nicht zu zerstreuen, sondern zu schüren.
Ein Bündnis für Arbeit gibt es nur auf der Basis von Kompromissen, und deshalb muß auch die SPD heraus aus ihrem Schützengraben des Neinsagens. Sie sollte sich ein Beispiel an den Gewerkschaften nehmen und etwas dafür tun, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Die Gewerkschaften sind weiter als die SPD.
Das Wort hat jetzt die Ministerpräsidentin das Landes Schleswig-Holstein, Heide Simonis.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Alles bewegt sich, sagte der Papagei, als er in den Ventilator flog.
Herr Teufel, Sie haben mich ein bißchen dazu gebracht, zu glauben, ich wäre einer Sinnestäuschung erlegen. Gehören Sie schon der Bundesregierung an?
Sie haben diese Bundesregierung mit einem Eifer verteidigt, daß ich mich langsam fragen muß, was wir in den Ministerpräsidentenkonferenzen eigentlich miteinander besprechen. Aber Sie waren ja das letzte Mal nicht da.
Wer hat denn das Meister-BAföG abgeschafft, wer denn? Die da, nicht wir.
Wenn es jetzt wieder eingeführt wird, ist es ungefähr so, als wenn man etwas abschafft, es dann wieder einführt und sich dann auch noch dafür bewundern läßt.
Wer hat denn die Schnapsidee gehabt, das Meister-BAföG auf die Kommunen zu verlagern, statt es bei der Bundesanstalt für Arbeit zu belassen, der einzigen Einrichtung, die etwas davon versteht?
Wer hat denn, lieber Herr Kollege Teufel, die ganzen Mittelstandsprogramme so heruntergefahren, daß ihr Volumen heute 18,9 Prozentpunkte unter dem des Jahres 1980 liegt? Wer war denn das? Die da, nicht wir.
Ministerpräsidentin Heide Simonis
Wer hat denn die Idee gehabt, die Reisekosten zu besteuern, Herr Teufel? Wer hatte denn die Idee? Die da, nicht wir.
Und wer, Herr Teufel, unterschreibt denn Tarifverträge? Doch nicht die Gewerkschaften alleine; es unterschreiben doch die Unternehmer mit.
Das ist das einzige, von dem Sie nichts verstehen, weil Sie noch nie Tarifverträge gemacht haben. Die unterschreiben die Arbeitgeber!
Frau Ministerpräsidentin, einen Moment! Erstens bitte ich um etwas mehr Ruhe, und zweitens bitte ich, das Mikrophon etwas lauter zu stellen. Man muß die Rednerin wenigstens verstehen können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin, ich bedanke mich für Ihre Hilfe. Ich bin das gewohnt: Im schleswig-holsteinischen Landtag sind die Männer genauso wie hier: laut und lärmend.
Herr Teufel, wenn Sie hier gegen den Kohlepfennig sind - -
- Michael Glos, wenn du dich gerne unterhalten möchtest, kannst du das draußen tun.
Einen kleinen Moment! Ich halte auch die Redezeit an, bis es hier wieder so ruhig ist, daß man die Rednerin verstehen kann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Danke schön.
Wenn Sie sagen, daß Sie für die Abschaffung des Kohlepfennigs und für den Abbau von Subventionen sind, würde ich Ihnen das sogar glauben, wenn Sie nicht ausgerechnet in bezug auf die Autos, die in Ihrem Land produziert werden, in einer flammenden Rede sagen, daß bei denen überhaupt nichts passieren darf.
Auch dies ist übrigens eine Idee, an der, glaube ich, Ihr Finanzminister ebenfalls beteiligt war.
Nun hat die F.D.P. nach dem Motto „Frechheit siegt" - ich wollte Sie eigentlich mit verteidigen, Herr Kollege Teufel - gesagt: Wer bei der Bluttransfusionsaktion für die F.D.P., nämlich bei der Senkung des Solidarzuschlags, nicht mitmacht, der ist ein Strauchdieb. Gemeint waren damit die 16 Ministerpräsidenten der Länder. Herr Solms, Sie haben mit Ihrem Titel offensichtlich auch Ihre Manieren gleich mit abgelegt. Die Ministerpräsidenten der Länder sind keine Strauchdiebe.
Gehen wir noch einmal zur Finanzierung der deutschen Einheit zurück, die ja immerhin zwei Tage lang, am 13. und 14. März 1993, im Bundeskanzleramt behandelt worden ist. Gemeinsam haben wir damals eine Schieflage der Länder bei der Finanzierung der Kosten der deutschen Einheit festgestellt. Gemeinsam haben wir festgestellt, daß die Länder deswegen einen höheren Anteil an der Umsatzsteuer bekommen sollen. Gemeinsam haben wir festgestellt, daß der Bund nicht, wie gewünscht, 12 Milliarden DM, sondern 28 Milliarden DM vom Solidaritätszuschlag bekommen soll. Gemeinsam haben wir zugestimmt, daß der Bund 25 Milliarden DM durch Steuererhöhungen bekommen soll, von der Tabaksteuer bis zur Mineralölsteuer. Diese wurde übrigens mit dem Golfkrieg begründet, und dieser ist schon seit längerer Zeit zu Ende, wenn ich mich nicht täusche.
Trotz dieser 52 Milliarden DM hat der Bundesfinanzminister zum Erblastentilgungsfonds 7,7 Milliarden DM weniger gezahlt, als er hätte zahlen müssen; er hat bei den Treuhandrestaufgaben 9,1 Milliarden DM weniger bezahlt, als er hätte bezahlen müssen, und er hat bei den Nachfolgebanken der Staatsbank der DDR 11,1 Milliarden DM abgezockt. Wenn Sie Geld haben, Herr Waigel, können Sie den Solidaritätsbeitrag gerne senken, aber nicht auf Kosten der Länder, die mit dem Solidaritätszuschlag nichts zu tun haben und ihn auch nicht bekommen haben; er ist vielmehr in Ihre Kasse geflossen. Sie können ihn auch allein wieder ausgeben.
Ministerpräsidentin Heide Simonis
Wenn der Wirtschaftsminister dasselbe Engagement, das er aufgebracht hat, um seinen eigenen Arbeitsplatz zu verteidigen, als sein Parteivorsitzender ihm diesen wegnehmen wollte, gezeigt hätte, um in der letzten Zeit etwas für den Arbeitsmarkt zu tun, hätten wir nie die größte Arbeitslosigkeit, wie wir sie zur Zeit haben,
hätten wir nicht 4,6 Millionen Sozialhilfeempfänger.
Ich weiß nicht, wie die Wirklichkeit in Baden-Württemberg aussieht. Bei uns pflegen Jugendliche nicht in Scharen zu rudern und zu segeln und sonstwohin zu fahren, sondern sie arbeiten, sie studieren. Ich kenne jedenfalls wenig Jugendliche, die sich diesen Luxus leisten können, den Sie beschrieben haben. Das müssen die Kinder Ihrer Wähler sein.
Noch nie war die Staatsverschuldung größer, noch nie waren die Steuern und Abgaben höher, noch nie war das Wirtschaftswachstum so gering. 2 000 Pleiten Monat für Monat mit einem Schaden von 60 Milliarden DM im Jahr! Das ist die traurige Bilanz, die Sie zu verantworten haben, Herr Bundeskanzler. Sie müssen doch in der letzten Zeit ein bißchen mehr von der Öffentlichkeit mitbekommen haben als nur die Arbeit am Kochbuch Ihrer Frau.
Sie müssen doch mitbekommen haben, was sich da draußen abspielt und wie Menschen leben. Sie müssen doch mitbekommen haben, was es für Jugendliche bedeutet, wenn sie von der Schule direkt in die Arbeitslosigkeit geschickt werden.
Sie müssen doch mitbekommen haben, was es bedeutet, wenn diese Jugendlichen ihre Sozialisation irgendwo an den Straßenecken - an den Jugendsammelstellen, wie wir sie heute nennen -, an den Bushaltehäuschen bekommen.
Dieses Land ist doch nicht von Marsmännchen regiert worden. Es waren die CSU, die CDU und die F.D.P., die für das verantwortlich sind, was sie heute beklagen, nämlich die höchste Abgabenlast auf den Portemonnaies der Menschen, die nur noch 50 Prozent ihres Bruttoverdienstes netto ausgezahlt bekommen. Und in dieser Situation gehen Sie hin und wollen auch noch die Vermögensteuer senken.
- Ja, das geht bis zum Abschaffen. Das ist der blanke
Hohn denjenigen Menschen gegenüber, die, wenn
sie 3 000 DM brutto verdienen, knapp 1 400 DM ausgezahlt bekommen
und damit eine Familie mit zwei Kindern ernähren müssen, eine Miete von 900 DM bezahlen müssen und auch noch ihre gesenkten Pendlerpauschalen tragen müssen, die ja gerade von Ihnen fast abgeschafft werden sollen.
In dem Beitrag des Wirtschaftsministers heute morgen ist nicht ein einziges Wort zum Überstundenproblem, nicht ein einziges Wort zur Teilzeitarbeit auch für Beamte gefallen. Wer hindert uns denn daran, das zu machen? - Der Innenminister.
Es ist nicht ein einziges Wort zur Existenzgründung gesagt worden, nicht ein einziges Wort zu Risikokapital,
nicht ein einziges Wort zu Innovationsprogrammen.
Man sollte, man könnte, wir würden gerne - Sie sind eine Konjunktivregierung.
Es wird Zeit, daß Sie diese Sätze wirklich einmal in „Wir werden, wir machen, wir tun, wir werden uns anstrengen" ändern; dann wäre ich schon sehr dankbar.
Sie können gut darüber spotten, daß wir soviel Wert auf die Solarenergie legen, die einzige Technologie, die in der Zwischenzeit neben der Windenergie marktgängig ist. Sie lassen sie ziehen, und dann kommen Sie mit vagen Ideen, was Sie statt dessen machen wollen.
Der Transrapid, die neue Technologie, eine strahlende Zukunft, angemeldet am 11. August 1934 beim Reichspatentamt in Berlin, dort in den Schubladen liegengeblieben und plötzlich von Ihnen als die Rettung für die Bundesrepublik Deutschland entdeckt, mit einem Finanzierungsloch von über 10 Milliarden DM - wenn der Presse zu glauben ist -, auf 10 Meter hohen Stelzen. Dafür verzichtet das Land Mecklenburg auf den Ausbau der ICE-Linien. Und der einzige Beitrag der Schleswig-Holsteiner zu dieser „neuen" technologischen Erfindung ist, daß der Transrapid bei uns nicht anhält, daß wir die Zufahrten bezahlen dürfen, daß wir die Bevölkerung von Schleswig-Holstein, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Berlin zweimal im Jahr vom Greis bis zum Säugling in diesen Zug hineinjagen müssen und daß wir unten stehen und, wenn er
Ministerpräsidentin Heide Simonis
oben vorbeikommt, oh, oh, oh sagen dürfen. Das ist alles, was uns an technischem Fortschritt bleibt.
Dann behalten wir lieber die Solarenergie; denn damit kann man Arbeitsplätze schaffen. Dann nehmen wir lieber Windenergie;
denn damit haben wir neue Arbeitsplätze geschaffen, und damit haben wir Exportinitiativen unternommen.
Sie wollen eine moderne Bundesrepublik Deutschland. Und wenn wir uns als Ministerpräsidenten mit Ihrem Innenminister zusammensetzen, um eine Reform der öffentlichen Verwaltung auszuarbeiten, kommt am Ende ein Programm heraus, das beispielsweise Nordrhein-Westfalen im ersten Jahr 280 Millionen DM Mehrkosten bringt. Wo ist denn da eigentlich die Reform? Das ist reine Klientelbedienung, ohne daß irgend etwas in Richtung Flexibilität verändert wird. Wenn Flexibilität bei Ihnen nur darin besteht, die Ladenschlußzeit auszudehnen und dies noch nicht einmal in der eigenen Partei durchsetzen zu können, dann reicht das auch nicht zur Modernisierung und zum Fortgang in der Bundesrepublik Deutschland aus.
Sie haben ein Geschenk bekommen, wie es selten einer Regierung gegeben worden ist. Die Gewerkschaften sind Ihnen entgegengekommen. Sie haben nicht eine ausgestreckte Hand ergriffen. Die Gewerkschaften haben die Hand ausgestreckt. Sie haben sie noch nicht in richtigem Maße ergriffen.
Die Länder sind Ihnen entgegengekommen. Sie haben ein breites Bündnis von Menschen, die bereit sind, Ihnen dabei zu helfen, das Unternehmen Bundesrepublik wieder flottzumachen -
und das, angesichts der Tatsache, daß selbst in geraffter Darstellung eine ganze Seite der „FAZ" nicht ausreicht, um die Kürzungen, die Streichungen und die höheren Beiträge, die Sie den Bürgerinnen und Bürgern seit 1982 aufgebürdet haben und die in den Portemonnaies der Menschen Auswirkungen haben, darzustellen.
Wenn ich Herrn Minister Blüm zuhöre, warte ich im Zusammenhang mit dem Vorruhestand, den er beklagt, nur noch auf einen Satz - wer hat den Vorruhestand eigentlich eingeführt, wer nimmt ihn denn eigentlich in Anspruch? Das sind doch die Großunternehmer -: Das müßte einmal jemand Norbert
Blüm in Bonn sagen. Das ist sozusagen die Abbindung seines Klageliedes.
Frau Ministerpräsidentin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Blüm?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Aber sicher.
Frau Kollegin Simonis, - -
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Kollegen sind wir leider nicht.
Entschuldigung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Macht nichts.
Sagen Sie „Frau Simonis".
Sie da, darf ich Sie einmal fragen: Ist Ihnen der Unterschied zwischen Vorruhestand, der die Sozialkassen keinen Pfennig gekostet hat, und Sozialplänen, die auf Kosten der Sozialkassen durchgeführt werden, bekannt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, im Gegensatz zu Ihnen ist er mir bekannt. Deswegen beklage ich es auch nicht in der Öffentlichkeit. Vielmehr würde ich etwas tun, wenn es mir nicht passen würde.
Herr Bundesminister Blüm, Sie haben doch die Mehrheit auf der rechten Seite. Dann ändern Sie doch alles, was Ihnen nicht gefällt. Sie können es doch machen, wenn es Ihnen nicht paßt. Sie machen es doch nicht, weil Sie davor Schiß haben. Beschimpfen Sie deswegen doch nicht die Opposition. Wir können doch nichts dafür.
- Ach, an was allem wir Länder schuld sind. Das ist doch wirklich komisch. Mir scheint, ich werfe immer Opposition und Regierung durcheinander. Offensichtlich scheint die Opposition zu regieren und die Regierung unter uns zu leiden. Umgekehrt wird ein
Ministerpräsidentin Heide Simonis
Schuh daraus: Die Regierung regiert nicht und die Opposition leidet darunter.
Wann, Herr Bundeskanzler, werden Sie dagegen reden, daß der Standort Bundesrepublik im Ausland so miesgemacht wird, daß es einen schon wundern würde, wenn einer hier investiert? Das Lied heißt doch: Investieren Sie in der Bundesrepublik Deutschland, der Verlust ist gleich mit eingeschlossen. Wer soll denn so blöd sein und bei uns investieren?
Reden Sie doch beispielsweise einmal mit Unternehmern in der Bundesrepublik, deren Managementkünste schon herhalten müssen, damit die Zeitung „Die Welt" damit Reklame machen kann. Lesen Sie „Die Welt", damit Sie zum Beispiel die Flops des neuen Vorstandsvorsitzenden von Daimler-Benz in ihrer vollen Schönheit mitbekommen. Wer hat denn die 6 Milliarden DM Minus gemacht? Das waren doch nicht die Arbeitnehmer, das waren die Arbeitgeber, die so etwas zu verantworten haben.
- Ja, das ist ein sehr gutes Beispiel: falsch eingekauft. Mercedes-Benz verkauft sich, aber Daimler-Benz hat zwei Unternehmen gekauft und sich über den Tisch ziehen lassen: einmal von der holländischen Regierung und einmal von der jungen Frau Dornier. Dazu gehört etwas. Das muß ich Ihnen allerdings sagen.
Frau Ministerpräsidentin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Glos?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin, ich kenne Herrn Glos so gut, daß ich weiß, was er fragen wird. Deswegen können wir uns das ersparen.
Ein anderes Mal, Herr Abgeordneter Glos. Wir können einmal eine Tasse Kaffee trinken, dann können Sie mir erklären, was Sie alles falsch gemacht haben.
Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben von uns das Angebot bekommen, daß wir mit Ihnen darüber reden wollen, welche Opfer wir der Bevölkerung zumuten wollen und können, um Arbeitsplätze in unserem Land zu schaffen. Wir haben angeboten, mit Ihnen über eine neue Technologie- und Industriepolitik zu reden. Wir haben angeboten, mit Ihnen über Hochschulen zu reden. Wir haben angeboten, mit Ihnen über eine ökologische Steuerreform zu reden. Wir haben angeboten, mit Ihnen über die Modernisierung der Verwaltung zu reden. Wir haben Ihnen angeboten, darüber zu reden, ob nicht in privaten Haushalten Arbeitsplätze geschaffen werden können, die sozialversicherungspflichtig sind und Frauen die Möglichkeit einer eigenständigen Sozialversicherung geben.
Was Sie uns anbieten, ist Flickschusterei, ist ein Offenbarungseid. In der Zwischenzeit sind nicht einmal Sie selber davon überzeugt, daß das, was Sie sagen, wahr ist. Sie müßten dies nur vor dem 24. März 1996 sagen. Das tun Sie nicht. Das nenne ich Feigheit von Männern, die man durchaus gewohnt ist.
Es wäre viel mutiger, den Bürgerinnen und Bürgern vor der Wahl zu sagen, was Sie vorhaben, anstatt anzukündigen, daß Sie es ihnen nach der Wahl sagen werden. Für wie dumm halten Sie eigentlich den durchschnittlichen Wähler in der Bundesrepublik Deutschland?
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dietrich Austermann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das war ein Kontrastprogramm, sprich: Der Ministerpräsident von BadenWürttemberg macht hier ein konstruktives Angebot zur Zusammenarbeit zwischen den Bundesländern und dem Bund,
das zeigt, daß sein Bundesland, unionsgeführt, zur Zusammenarbeit bereit ist. Er orientiert sich an praktischen Vorschlägen und weist auf die Probleme hin, die sich aus der mangelnden Zusammenarbeit der Mehrheit des Bundesrates mit der Regierung ergeben.
Dann kommt Frau Simonis mit lauter alten Hüten.
Dietrich Austermann
Ich muß ganz klar sagen: Alte Hüte gehören in die Schublade.
Damit bin ich bei einem Stichwort. Ich habe nachgeschaut, wann Frau Simonis hier das letzte Mal geredet hat. Das war im Jahre 1987 anläßlich der Haushaltsdebatte als Sprecherin der SPD.
Sie hat damals in übler Weise
Minister Dr. Stoltenberg wegen der Kieler Affäre beschimpft. Ich hatte angenommen, sie komme heute aus einem einzigen Grund hierher. Ich dachte, sie würde sich, nachdem sie sich neun Jahre lang verweigert hat, neun Jahre lang nicht da war, neun Jahre lang nicht mitgeredet und mit diskutiert hat, für das, was sie damals gesagt hat, entschuldigen.
Statt dessen hat sie in den letzten Jahren den Untersuchungsausschuß des schleswig-holsteinischen Landestages unter Druck gesetzt. Sie hat versucht, Zeugen zu beeinflussen. Sie hat versucht, die Aufklärung zu behindern.
Ich finde es unglaublich, nach neun Jahren hierher zu kommen und vor einer ganzen Landespartei und ihrem damaligen Vorsitzenden dann nicht das entscheidende Wort der Entschuldigung zu finden.
Sie hätte weiter Gelegenheit gehabt, sich zu entschuldigen, und zwar in bezug auf den Wahlkampf der Jusos - der Pflichtmitglieder der SPD -, den sie in Lübeck betreiben. Die Jusos sind dazu übergegangen, ihren Wahlkampf einzig und allein auf Frau Simonis abzustellen. Börnsen und andere verstecken sich in Kiel und anderswo, auch die Landespartei. Der Wahlkampf ist allein auf Frau Simonis abgestellt.
Wann kommt die Entschuldigung für das Pamphlet, das den Bundeskanzler und wieder eine ganze Partei beleidigt?
Auch diese Gelegenheit hat sie heute nicht wahrgenommen.
Herr Abgeordneter, ich bitte auch Sie, zur Sache zu sprechen. Wir haben ein Thema.
Frau Präsidentin, wenn Sie sagen, „auch zur Sache", dann gehe ich davon aus, daß Sie meinen, die Frau Ministerpräsidentin habe hier nicht zur Sache geredet. Das ist in der Tat auch meine Meinung.
Wir haben im Bundestag vor einigen Jahren schon einmal eine solche Debatte gehabt. Und wenn in der Haushaltsdebatte die damalige Abgeordnete Simonis dieses Thema aufgegriffen hat, um Landtagswahlkampf zu machen, dann muß darauf heute hier erwidert werden, wenn sie nicht bereit ist, das zurückzunehmen und zu sagen: Dies alles tut mir jetzt sehr leid, und wir werden das nicht wieder tun.
Wenn das aber der Grund nicht war, weshalb sie sich heute zu Wort gemeldet hat, dann hätte es ja einen anderen Grund geben können, nämlich den, daß sie uns zeigen will, wo es langgeht, daß sie sagt: Wir führen euch einmal vor, wie es im Bundesland Schleswig-Holstein läuft in der Frage Arbeitsmarkt, in der Frage Beschäftigung, in der Frage Staatsverschuldung und vielen anderen Dingen. Das hätte nach dem Motto gehen können: Heide führt nicht nur alte Hüte. vor, sondern ihre Rezepte gegen Arbeitslosigkeit. Aber da kam wieder nichts. Auch zu dieser Frage kam hier heute nichts.
Es ist eine ganz traurige Bilanz, die Sie in Schleswig-Holstein vorzuweisen haben, Frau Simonis, auch wenn es gelingt, mit Hilfe der Medien, flapsigen Reden und Mätzchen von dieser traurigen Bilanz abzulenken.
Seitdem Sie die Regierung führen - seit dem 19. Mai 1993 -, sind in Schleswig-Holstein 40 000 Arbeitsplätze verlorengegangen.
Sie reden vom schlanken Staat - er ist notwendig, um die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen -, betätigen sich als Beamtenjäger und bauen in Kiel die fetteste Ministerialbürokratie auf, die es je gegeben hat: mit rotem Filz, mit neu geschaffenen Stellen für affärenerprobte Genossen. Das alles erinnert ein bißchen an Kafkas „Schloß". Und hier stellen Sie sich hin und sagen, Teilzeitarbeit müssen wir haben.
Wie sieht es mit Genehmigungsverfahren aus?
- Frau Kollegin, es geht beim Arbeitsmarkt darum, wie wir als Staat mit der Investitionstätigkeit auch des Staates umgehen, wie wir mit der Verschuldung umgehen, um die Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Betriebe investieren können und das nicht der Staat wegnimmt.
Wie lange dauern Genehmigungsverfahren? Dazu führe ich ein einziges Beispiel an.
Herr Abgeordneter Austermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kubatschka?
Nein!
- Sie glauben doch nicht, daß Ihre Zwischenfrage mich erschrecken kann.
Bei der Frage Genehmigungsverfahren geht es um die Investitionsbereitschaft, geht es darum, wie schnell eine Investition in die Tat umgesetzt werden kann. Sie haben - nehmen wir das als Beispiel - über Solar- und Windenergie gesprochen. Wenn Sie heute in Schleswig-Holstein eine Windmühle aufstellen wollen, also ein umweltfreundliches Produkt, dann müssen Sie zuvor 68 Seiten lange Landesrichtlinien über die Bereitstellung von Ausgleichsflächen lesen - 68 Seiten!
Dann reden Sie von der Forschung. Die Universität in Kiel, die größte des Landes, klagt über Regelungswut, die sich auf den Lehr- und Forschungsbetrieb lähmend auswirkt. Ich erwähne das einmal kurz: Gleichstellungsgesetz, Mitbestimmungsgesetz, Frauenförderrichtlinien, Datenschutzgesetz, didaktische Fachberichte, Gremiengerangel. Da soll noch einer bereit sein, in Forschung zu investieren, und soll ein Student nach seinem Examen noch bereit sein zu sagen, ich mache mich selbständig, nachdem er praktisch unter dem Einfluß dieser Orgie von neuen Gesetzen, die Sie über das Land gebracht haben, nur Bürokratie gelernt hat.
Wir brauchen ein neues gesellschaftliches Klima für Innovationen und technischen Fortschritt. Dies sagen seit 6. November letzten Jahres auch Frau Simonis und der SPD-Vorstand. Dann wettern Sie im Fernsehen gegen den Transrapid. Und wenn Sie sich dann darüber beklagen, daß er noch nicht einmal einen Haltepunkt in Schleswig-Holstein hat, dann frage ich: Wieso haben Sie das denn bisher nicht beantragt?
Wieso sagen Sie denn dann nicht: Wir wollen beispielsweise in Büchen einen Haltepunkt haben? Es ist bisher noch nichts beantragt worden.
Sie haben ja noch nicht einmal zur Aufnahme in den Bundesverkehrswegeplan Anträge für den Neubau wichtiger Infrastrukturprojekte gestellt.
- Das ist der Unterschied zwischen Windmühle und Windbeutel, Herr Fischer.
Ich sage: An ihren Taten sollt ihr sie erkennen.
Das nächste Thema ist: Wie sieht es denn mit der Steuerlast und mit der Bereitschaft zum Steuerabbau aus? Sie fordern in Ihrem Parteipapier vom 6. November 1995 die Bereitschaft zum Steuerabbau. In der Zeit der Regierung der SPD in Schleswig-Holstein haben Sie Steuern erfunden, die vorher gar keiner gekannt hat: Müllmark, Wassergroschen, Wiesensteuer, Katastrophenschutzsteuer und die neue Getränkesteuer,
Dietrich Austermann
die Ihnen, Herr Kuhlwein, inzwischen eine Bürgerinitiative aus der Hand geschlagen hat.
Es ist eine regelrechte Orgie von neuen Steuern, Herr Kuhlwein, in Schleswig-Holstein, seit die SPD die Regierung übernommen hat.
Sie fordern in Ihrem Papier vom November - ich meine, damit wird deutlich, daß Worte und Taten weit auseinanderklaffen -
eine Gewerbesteuerreform im Einvernehmen mit Wirtschaft und Ländern. Dann veranstalten Sie eine Blockade im Bundesrat.
Sie fordern mehr Ausgaben für Forschung. Schleswig-Holstein ist, so leid es mir tut, das Land mit den niedrigsten Forschungsausgaben aller Bundesländer. Sie kommen immer her und sagen: neues Geld, neue Investitionen. Zur Zeit wird in Kiel ein neues großes Institut eingeweiht. Sie, Frau Simonis, waren als Festrednerin angekündigt; ich nehme an, das schlechte Gewissen hat dazu geführt, daß Sie dort nicht erschienen sind. Denn 75 Prozent der Mittel für dieses Forschungsinstitut GEOMAR zahlt der Bund. Damit ist ganz klar, wer Verantwortung für den Arbeitsmarkt, für neue Investitionen, für mehr Arbeitsplätze nicht nur in Schleswig-Holstein, sondern in ganz Deutschland trägt.
Ich will ein Beispiel anführen, bei dem man an konkreten Punkten die Meinungsunterschiede erkennen kann.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kuhlwein?
Dietrich Austermann (CDU/CSU): Nein.
- Sie können sich doch nachher zu Wort melden. Sie können eine Kurzintervention machen und den Bürgern erklären, daß Sie, Herr Kuhlwein, bei der letzten Bundestagswahl 1994 gesagt haben: Die Entscheidung bei dieser Bundestagswahl in meinem Wahlkreis am Stadtrand von Hamburg ist auch eine Entscheidung der Bürger für oder gegen den Transrapid; wenn wir gewinnen, kommt der Transrapid nicht. Sie haben die Wahl verloren, Herr Kuhlwein.
Ich glaube, die Bürger haben genau gewußt, um was es sich handelt.
Es geht aber nicht nur um diese moderne Verkehrsinfrastruktur. Es geht zum Beispiel um eine wichtige neue Autobahntrasse quer durch den Norden Deutschlands, die A 20 von Stettin über Rostock, Lübeck, die bei Glückstadt über die Elbe führen soll. Sie wurde im Bundesverkehrswegeplan 1992 beschlossen. In Mecklenburg-Vorpommern wird gebaut. In Schleswig-Holstein wird die Vegetation beobachtet.
Dann sagt der eine oder andere: Wir würden ja gerne, und wir täten ja, und wir hätten ja. Eine Anfrage der Grünen hat es an den Tag gebracht: Von 1992 bis 1994 hat die Landesregierung von Schleswig-Holstein 35 Millionen DM Straßenbaumittel zurückgegeben, weil sie nicht in der Lage war, sie auszugeben. Seit 1988 ist in Schleswig-Holstein keine einzige Ortsumgehung neu gebaut worden. Das muß man sich einmal vorstellen. Dann gehen die Kameraden her und sagen: Der Staat muß Rahmenbedingungen setzen, er muß etwas in bezug auf Infrastrukturmaßnahmen tun.
Im November sagt der Vertreter Schleswig-Holsteins im Bundesrat, als über ein Planungsbeschleunigungsgesetz beraten wurde: „Die Landesregierung von Schleswig-Holstein lehnt das ab, auch wenn es nur für die neuen Bundesländer gelten soll." Ein wenig hat dieses Gesetz Auswirkungen auch auf die Randgebiete der alten Bundesrepublik; ich denke an die A 20 im Raum Lübeck. „Wenn es dann beschlossen wird," sagt der Vertreter von Frau Simonis im Bundesrat, „dann werden wir gleichwohl weitgehend alle Möglichkeiten der öffentlichen Beteiligung ausschöpfen." Da kann ich nur sagen: Entweder wir wollen beschleunigte Verfahren, wir wollen schneller Infrastrukturprojekte realisieren, oder wir machen es wie die SPD und verweigern uns. Ich halte dies für die falsche Position.
Günter Verheugen hat einmal gesagt - es ist noch gar nicht so lange her; die Älteren werden sich noch an den letzten Bundesgeschäftsführer erinnern -, das größte Problem der SPD sei, daß sie keine Botschaft mehr habe. Darauf hat Frau Simonis geantwortet:
Das stimmt zum Teil. Ich glaube aber, die meisten Wähler würden es akzeptieren, wenn wir ihnen sagen, wir können keine einfachen Antworten mehr auf komplizierte Fragen geben. Wir wissen sie ja zum Teil ja selber nicht. Deswegen streiten wir ja so.
Ich finde das jeden Tag bestätigt. Die SPD streitet um jedes wesentliche Thema. Dazu muß man sich einmal die Aussagen von Herrn Spöri zur Währungsunion jetzt im Wahlkampf anhören.
Dietrich Austermann
Herr Lafontaine hat das eine Zeitlang auch gesagt, jetzt sagt er es wieder ein bißchen anders.
Ja genau, das wird sogar plakatiert, und dann müssen danach die Köpfe auf den Plakaten gerichtet werden. Man muß sich die Antworten der SPD auch zu anderen Fragen ansehen: schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme, überall unterschiedliche Positionen. Deshalb streiten Sie ja so.
Ich kann nur sagen: Wenn der Bürger eine richtige Entscheidung im Hinblick auf schnelles Handeln der Politik will - einige Vorredner der Koalition haben darauf hingewiesen -, dann müssen wir die Rahmenbedingungen setzen. Die entscheidenden Maßnahmen aber müssen aus der Wirtschaft kommen. Es geht um schnelle Entscheidungen der Politik. Es darf dann aber nicht ständig im Vermittlungsausschuß gemauert, blockiert oder vertagt werden, wobei den Bürgern gleichzeitig gesagt wird, daß die politischen Entscheidungen so lange dauern. Die Bürger denken, daß Helmut Kohl eigentlich eine stabile Mehrheit im Bundestag besitzt - die hat er auch - und daß daher alles seinen Gang nehmen müßte. Sie nehmen nicht zur Kenntnis, daß der Bundesrat mit seiner Mehrheit wichtige, notwendige und richtige Wege ständig verhindert.
Ihre Redezeit ist zu Ende.
Deswegen kann ich Herrn Voscherau nur zustimmen, der gemutmaßt hat, daß es in Schleswig-Holstein bei der Wahl keine Chance für eine absolute Mehrheit von Frau Simonis gebe.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist überschritten. Bitte kommen Sie zum Schluß.
Herr Voscherau hat gesagt, daß er nach dem Verlust der bisherigen absoluten Mehrheit der SPD eine rot-grüne Koalition für wahrscheinlich halte. Er hat weiter gesagt, daß er, wenn es zu einer rot-grünen Koalition komme, Initiativen für einen Volksentscheid zur Bildung eines einheitlichen Nordstaates ergreifen werde.
Meine Damen und Herren, der SPD-Bürgermeister von Hamburg ist der Meinung: Eine rot-grüne Koalition und Frau Simonis an der Spitze schaden dem Land. Wählen wir am 24. März eine stabile Mehrheit für eine Unionspolitik im Bundesrat, damit schnelle Entscheidungen für viele Arbeitsplätze getroffen werden.
Herzlichen Dank.
Das Wort zu einer Kurzintervention erhält der Abgeordnete Koppelin.
Frau Ministerpräsidentin, ich finde, daß Sie über die Sorgen und Nöte sowie die Probleme des Landes Schleswig-Holsteins hier hätten sprechen müssen und nicht so eine Rede hätten halten dürfen, wie Sie es getan haben.
- Warten Sie doch ab!
Sie haben am 1. Februar 1996 bei einem Neujahrsempfang gesagt: „Schleswig-Holstein hat den Strukturwandel gut bewältigt. " Was geschieht eine Woche darauf? Zig Firmen schließen - ich kann sie Ihnen alle aufzählen - oder bauen Arbeitsplätze ab, alles innerhalb einer Woche: Van Houten in Norderstedt baut 250 Arbeitsplätze ab; Beth Industriefilter in Lübeck schließt, dadurch ein Verlust von 250 Arbeitsplätzen; Johnsen & Johnsen geht aus Kiel weg, dadurch ein Verlust von 272 Arbeitsplätzen; Villeroy & Boch in Lübeck streicht 160 Arbeitsplätze.
- Das ist eine Kurzintervention, wenn Sie das einmal zur Kenntnis nehmen wollen.
Durch die Getränkesteuer fallen allein in der Stadt Kiel 150 Arbeitsplätze weg. Das ist Ihre Bilanz. Es kann nicht die Rede davon sein, daß Sie Arbeitsplätze in Schleswig-Holstein geschaffen haben. Die Wahrheit ist - das haben Sie in Ihrem Jahreswirtschaftsbericht deutlich gemacht -, daß Sie 1995 genau 150 Neuansiedlungen in Schleswig-Holstein haben. Das ist etwas Erfreuliches. Dagegen stehen jedoch 800 Firmenzusammenbrüche in Schleswig-Holstein. Das ist die Bilanz Ihrer Regierung in Schleswig-Holstein, verursacht durch die Belastungen dieser Landesregierung, der Sie vorsitzen, Frau Ministerpräsidentin.
Reden Sie doch mal mit Herrn Spöri, der gerade wieder in den Saal gekommen ist. Der macht nämlich folgendes: Da muß eine Firma in Norderstedt mit 150 Arbeitsplätzen dichtmachen, Frau Ministerpräsidentin, weil der Herr Spöri mit öffentlichen Geldern, mit Steuergeldern, dafür sorgt, daß diese Firma nach Baden-Württemberg geht. Ich kann Ihnen die genauen Unterlagen darüber geben. Das ist die Politik. Fragen Sie mal den SPD-Wirtschaftsminister aus Baden-Württemberg, ob er es in Ordnung findet, daß Arbeitsplätze in Schleswig-Holstein mit Steuergeldern aus Baden-Württemberg kaputtgemacht werden.
Sie sprechen vom Transrapid. Frau Ministerpräsidentin, mein Eindruck ist: Die Bürger in SchleswigHolstein interessieren sich zur Zeit nicht für das Thema „Wie komme ich am schnellsten von Hamburg nach Berlin?", sondern sie interessieren sich dafür „Wie komme ich überhaupt nach Hamburg?".
Horst Koppelin
Sie, Frau Ministerpräsidentin, haben den Straßenbau in Schleswig-Holstein nämlich jahrelang verhindert.
Zum Schluß noch etwas zum Solidarzuschlag, den Sie eben erwähnt haben. Ich wundere mich, daß Sie gar nicht Herrn Eichel ansprechen. Der hat doch ständig in allen Interviews gefordert: 2,5 Prozentpunkte müssen runter. Warum sagen Sie dazu nichts?
Ich lese Ihnen nun aus der „Statistischen Kurzinformation des Landes Schleswig-Holstein" vom 2. Februar vor. Da heißt es unter anderem:
... erhöhten sich die Steuereinnahmen des Landes um 140 Millionen oder 1,4 Prozent, weil der dem Land zustehende Anteil an der Gemeinschaftssteuer um 6,3 Prozent höher ausfiel.
Da sage ich Ihnen, Frau Ministerpräsidentin: Geben Sie dieses Geld den Bürgern zurück; die haben es nämlich gezahlt.
Das Wort hat jetzt der Minister Spöri, Baden-Württemberg.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte zurückkehren zum Aktionsprogramm, das der Herr Bundeswirtschaftsminister vorgestellt hat, und zum Jahreswirtschaftsbericht.
- Zur Euro-Währung sage ich gleich etwas. Das läuft mir richtig rein, Herr Haussmann. Ich kann nur sagen: Lieber Herr Haussmann, schauen Sie mal in das „Wall Street Journal" von gestern. Da schreibt zum Beispiel der Herr Schäuble, CDU/CSU-Fraktionsvorsitzender, daß er zur Not die Währungsunion verschieben möchte.
- Originalton Schäuble. Willkommen im Club, Herr Schäuble.
Meine Damen und Herren, zum Jahreswirtschaftsbericht. Ich denke, ich bin schon weiter; ich war bei Herrn Rexrodt.
Herr Minister Spöri, ich bitte um Nachsicht. Würden Sie einen
Augenblick zuhören? - Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Schäuble?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, gern. Warum nicht? Aber schnell, bitte.
Herr Minister Spöri, bevor Sie Legenden wahrheitswidrig weiter nähren: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich nichts anderes gesagt habe, als daß erstens die Entscheidung über die Europäische Währungsunion und darüber, wer zum 1. Januar 1999 teilnimmt, im Frühjahr 1998 getroffen wird und nicht früher, es zweitens unser entschiedener Wunsch ist, daß die Europäische Währungsunion mit den im MaastrichtVertrag vereinbarten Kriterien zum 1. Januar 1999 zustande kommt und wir alle Bemühungen unternehmen, damit dies gelingt, und wir uns drittens, für den Fall, daß es zu einem Konflikt zwischen Stabilität und Zeitplan käme, nicht für eine. Aufweichung der Stabilitätskriterien entscheiden würden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich nehme zur Kenntnis, Herr Schäuble, daß Sie alle Bemühungen unternehmen, um die Stabilitätskriterien zu realisieren. Das tun nicht nur Sie, sondern auch andere in Europa. Es sieht aber nicht so aus, als ob Sie diese Kriterien realisieren könnten.
Sie haben sie im letzten Jahr nicht realisiert; Sie werden die Kriterien auch in diesem Jahr durch Ihre Politik nicht realisieren.
Deswegen machen Sie sich zu Recht Gedanken über den „Notfall", daß die Währungsunion verschoben wird.
Meine Damen und Herren, zurück zum Jahreswirtschaftsbericht. Lieber Herr Rexrodt, schon die Analyse, die dem Jahreswirtschaftsbericht zugrunde liegt, ist meiner Ansicht nach nicht die Realität. Wenn man die Wirtschaft im Bereich der Betriebe beobachtet, stellt man fest, daß die Aufträge in diesem Land genau seit dem dritten Quartal 1995 total zusammenbrechen.
Im Dezember letzten Jahres gab es im verarbeitenden Gewerbe einen Auftragseinbruch um 12,5 Prozent. Das ist die Realität.
Ich weiß nicht, wie Sie dazu kommen, im Jahreswirtschaftsbericht ein Wachstum von 1 Prozent zu prognostizieren. Ich weiß nicht, wie Sie zu der Spekulation kommen, es handele sich nur um eine Wachstumsdelle. Ich weiß nicht, auf Grund welcher Argumente und Fakten Sie damit rechnen, daß es im zweiten Halbjahr zu einem Aufschwung kommt. Dies
Minister Dr. Dieter Spöri
alles ist für mich nicht durch Fakten untermauert, stützt sich nicht auf praktische Politik.
Ein zweiter Punkt. Ich weiß nicht, ob Sie registriert haben - angesichts dieses Jahreswirtschaftsberichts glaube ich das nicht -, was in den Betrieben vor sich geht. Es gibt eine Entindustrialisierungswelle wie niemals zuvor in den letzten 40 Jahren in Deutschland.
Das ist die Realität in der Bundesrepublik.
Deswegen können wir hier nicht - „business as usual" - so weiterdiskutieren, die alten Kataloge von Argumenten zitieren, die die Beamten immer wieder in die Standortberichte hineinschreiben. Ich kenne das alles noch. Ich war zwölf Jahre im Bundestag; ich habe Ihre Regierungszeit noch miterlebt. Das stand schon immer genauso drin, alles wird wieder vorgelegt, die Standortberichte von 1992, 1993 enthielten immer die gleichen Parolen. Nichts von dem wurde realisiert.
Westdeutschland hat - darauf haben Sie keine Antwort gefunden - seit 1992 mehr als 1,3 Millionen Industriearbeitsplätze verloren. Das ist die Realität.
Herr Minister Spöri, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hellwig?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wenn dies nicht auf die Redezeit angerechnet wird.
Es wird nicht angerechnet. - Bitte.
Herr Spöri, wie erklären Sie sich, daß die Ministerpräsidentin Simonis die Zeitung liest, während Sie reden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin Hellwig, ich möchte Sie schonen, indem ich auf diese Frage nicht antworte. Sie liegt unter Ihrem Niveau.
Herr Rexrodt, Sie müßten, wenn es um Makroökonomie geht, einmal die Realität der Betriebe betrachten und sich nicht nur auf Sachverständigenrat-Gutachten berufen. Es gibt eine Statistik, die besagt, daß in Industriebetrieben mit mehr als 10 000 Arbeitsplätzen zwischen 1987 und Ende 1994 48 Prozent der Industriearbeitsplätze abgebaut wurden. Das ist eine traurige Realität, die für ganz Westdeutschland gilt. Auf diesen Zustand muß man politisch ganz anders antworten, als Sie es tun. Natürlich ist es richtig, daß die kleinen und mittleren Betriebe mit bis zu 200 Beschäftigten in derselben Zeit, 1987 bis 1994, noch Beschäftigung aufgebaut haben; die Zahl der Arbeitsplätze nahm dort um 1,5 Prozent zu.
Deswegen: Es ist zwar richtig, daß Sie eine Mittelstandsoffensive fordern, auf neue Unternehmen setzen wollen - so heißt es seit mehr als 13 Jahren Ihrer Regierungszeit -, aber wie verhält es sich mit der Risikokapitalfinanzierung? Ich habe schon vor 10 Jahren von Graf Lambsdorff gehört, daß man die Risikokapitalfinanzierung verbessern soll. Aber wir haben keine Rahmenbedingungen geschaffen, kein Steuersystem wie in den USA, wo Risikoanlagen wirklich steuerlich begünstigt werden, zugunsten jugendlicher Querdenker, jugendlicher „Spinner".
Deswegen gibt es viel zuwenig Mobilität.
In der Bundesrepublik gibt es natürlich eine ausgezeichnete Forschungsinfrastruktur. Warum klappt der Technologietransfer trotzdem nicht? Weil die Risikokapitalfinanzierung nicht besser ist, weil die Banken nicht finanzieren, wenn es um neue Software-und Biotechnikunternehmen geht. Das sind die Ursachen.
Jetzt haben Sie - entgegen der Prognose Ihres letzten Jahreswirtschaftsberichts - plötzlich festgestellt, daß die Konjunktur eingeknickt ist im dritten Quartal. Das war ja nicht geplant, aber kam nicht überraschend.
Denn jedermann weiß, daß seit der Nachkriegszeit jeder Konjunkturzyklus zunächst mit einer Zunahme des Exports anfängt - in den Jahren 1993/94 hatten wir zweistellige Zuwachsraten -, dann wächst der Investitionsgüterbereich, und dann muß der Konsumgüterbereich nachziehen. Letzteres ist nicht passiert. Das war absehbar.
Warum ist sie nicht gekommen? Weil die Menschen in diesem Land nicht mehr konsumieren können, weil das Abgaben- und Steuerniveau zu hoch ist.
Vorhin hat Herr Rexrodt gesagt, Sie hätten in den 80er Jahren die Abgabenquote und die Steuerquote gesenkt. Die Realität ist, daß in Deutschland gegenwärtig ein Durchschnittsverdiener bis zum 23. Juni nur für Steuer und Sozialversicherung arbeiten muß. In Deutschland ist der Tax-free day der 23. Juni. Erst ab dem 23. Juni beginnt dieser Mensch für sich selbst, für seine Privatausgaben zu arbeiten. Das hat nichts mehr mit sozialer Marktwirtschaft, nichts mit Leistungsanreizen in einer Marktwirtschaft zu tun.
Minister Dr. Dieter Spöri
Wenn Sie sagen, Sie hätten die Abgabenquote gesenkt, sage ich Ihnen: Als wir hier Ende der 70er Jahre und Anfang der 80er Jahre unter der Zeit Helmut Schmidts diskutiert haben, hatten wir in Deutschland eine Steuer- und Abgabenquote von 38 Prozent. Im Jahr 1995 lagen wir bei 48 Prozent. Wenn man die Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung dazurechnet, dann kommt man auf weit über 50 Prozent. Streng ökonomisch, meine Damen und Herren, ist es schon das Überschreiten der Grenze von der Marktwirtschaft in ein staatswirtschaftliches System hinein, wenn mehr als 50 Prozent des Sozialprodukts über öffentliche Kassen verwendet werden. Das ist die Realität.
Deswegen sage ich Ihnen zum Abschluß: Sie haben vorhin gesagt, Sie hätten Steuern und Abgaben gesenkt. Nichts haben Sie gesenkt! Sie haben die Steuer- und Abgabenquote auf ein einmaliges Niveau angehoben. Sie haben die deutsche Volkswirtschaft in den letzten sechs Jahren 10 Prozent teurer gemacht. Das ist die Wahrheit!
Wir haben deswegen Millionen von Arbeitsplätzen verloren, und unsere Konkurrenzfähigkeit sinkt. Das ist die Realität. Wir haben deswegen explodierende Sozialleistungen. Ohne Erfolg bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit werden wir diese Probleme nicht mehr in den Griff bekommen. Und Sie bekommen diese Probleme gegenwärtig nicht in den Griff. Die Arbeitslosigkeit steigt. Sie liegt faktisch nicht nur bei 4 Millionen, nein, sie liegt bei über 5 Millionen, wenn man die Leute hinzunimmt, die sich in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen befinden. Deswegen sage ich: Sie - auch Herr Kohl - haben hier im Bundestag Bundeskanzler Schmidt Anfang der 80er Jahre angeklagt. Ich war als steuerpolitischer Sprecher meiner Partei dabei. Sie haben gesagt, er solle zurücktreten, weil er Deutschland zu sehr verschuldet habe
und weil er sich an der Zukunft der Enkelgeneration versündige. Sie haben inzwischen eine Schulden-summe aufgebaut, die dreimal so groß ist. Das ist die Realität.
Höchstes Steuerniveau, höchstes Arbeitslosenniveau, höchstes Abgabenniveau, höchstes Schuldenniveau. Das ist Ihre Bilanz. Sie nimmt in Bezug auf Steuerabbau oder Schuldenabbau niemand mehr ernst.
Das Wort hat die Kollegin Margareta Wolf, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Austermann und die
Herren von der F.D.P., ich habe mich heute vormittag gefragt, was eigentlich alles noch passieren muß, damit sich in diesem Hause so etwas wie eine geringe Nachdenklichkeit - mehr verlangen wir gar nicht - einstellt. Wir haben 4,2 Millionen Arbeitslose, eine Staatsverschuldung von insgesamt 2,2 Billionen DM. Wir haben im Moment eine Belastung der Mitbürgerinnen und Mitbürger von bis zu 50 Prozent ihres Einkommens. Sie stellen sich hier hin und lassen nichts anderes ab als ein selbstverliebtes Wahlkampfgeklingel. Ich muß Ihnen sagen, ich finde das zynisch.
Herr Gerhardt, der im Moment leider nicht im Hause ist, stellt sich als der Vorsitzende einer Fraktion oder einer Partei, die seit 27 Jahren in der Regierung ist, hin und sagt, sie seien die Partei der Modernisierer. Was kann ich denn von einer Partei erwarten, die in so einer Situation, in der wir heute sind, die ich für dramatisch halte und von der Herr Stoiber sagt, sie gefährde den sozialen Frieden? Was soll ich von so einer Partei verlangen, die noch nicht einmal heute in der Lage ist, die Verantwortung für die Zeit, die sie in der Regierung ist, tatsächlich auch zu übernehmen?
Noch etwas, verehrte Herren von der F.D.P. In der jetzigen Situation von Gefälligkeitsdemokratie zu reden, ist genau ein Beitrag, der zu einer weiteren Aufspaltung dieser Gesellschaft führen wird.
Das 50-Punkte-Programm, was heute hier vorliegt und was der eigentliche Gegenstand der Debatte, zusammen mit dem Jahreswirtschaftsbericht, ist, hat sicherlich viel mit Psychologie zu tun. Ich konzediere Herrn Bundeskanzler auch, daß Wirtschaftspolitik viel mit Psychologie zu tun hat. Aber bei diesem Aktionsprogramm stellt sich - ich sage leider - bei der Lektüre bei keinem Punkt so etwas wie ein Aha-Effekt ein. Es ist wieder einmal ein Aktionsprogramm und ähnelt fatal dem Aktionsprogramm, was Sie vor zwei Jahren nach dem Solidarpakt aufgelegt haben. Sie springen nicht nur zu kurz. Die Abstände zwischen Ihren Aktionsprogrammen werden nicht nur immer kürzer, sondern ich habe die Befürchtung, Sie haben den Ernst der Lage immer noch nicht begriffen.
Meine Herren, meine Damen, das begonnene Informationszeitalter erfordert von seinen Akteuren hohe Risikobereitschaft, Flexibilität und die Fähigkeit, die Zeichen der Zeit tatsächlich zu erkennen. Lassen Sie sich an dieser Stelle doch vielleicht auch etwas von einem Professor sagen, dem Chef des Management-Instituts in St. Gallen, Herrn Malik. Herr Malik sagt - das sollten Sie sich bitte in Ihr Lehrbuch schreiben -: Der Traum vom ewigen Aufwärtstrend nach dem Motto „weiter so", dem immer noch viele anhängen, ist eine fixe Idee. Wir befinden uns in einem Prozeß einer radikalen und in jeder Hinsicht
Margareta Wolf
fundamentalen Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft - hören Sie sich das ruhig einmal an -, an dessen Ende nichts mehr so sein wird wie es heute ist.
Das kann doch nichts anderes heißen, als daß wir tatsächlich einen Innovationsschub in den Köpfen der handelnden Personen brauchen. Wenn ich mir den Herrn Rexrodt von heute morgen noch einmal vergegenwärtige oder auch unseren Dinosaurier, Herrn Glos, habe ich dabei ernsthafte Bedenken.
Die Politik muß endlich die Rahmenbedingungen für den längst überfälligen zukunftsorientierten und arbeitsplatzschaffenden ökologischen Strukturwandel setzen. Sie haben ein großes Vorhaben angekündigt. Sie haben gesagt, daß Sie bis zur Jahrhundertwende die Arbeitslosigkeit halbieren wollen. Ich hoffe, Sie sind sich über die Verantwortung, die Sie damit auf sich geladen haben, tatsächlich im klaren.
- Sie krakeelen immer dazwischen. Sie habe ich noch nie reden hören. Das sollten Sie vielleicht dringend nachholen.
Wenn ich Ihr Aktionsprogramm und Ihren Jahreswirtschaftsbericht lese, ist mir absolut schleierhaft - damit stehe ich nicht alleine, das sagen auch die Wirtschaftsforschungsinstitute -, wie Sie die Halbierung der Arbeitslosigkeit tatsächlich erreichen wollen.
Ich glaube und Herr Zwickel sagt dies auch immer, er hat das Bündnis für Arbeit angestrebt, weil er aus den Erfahrungen in den USA und in Großbritannien gelernt hat. Aber wenn ich mir Herrn Rexrodt heute morgen angehört habe, der mit strahlenden Äuglein in Richtung USA blickt und sagt, daß dort fortschrittliche Wirtschaftspolitik gemacht würde, dann habe ich tatsächlich ernsthafte Zweifel an dem von uns gewünschten Bündnis, ob es nicht vielleicht doch zu einem großen Flop wird.
Eine reine Angebotspolitik, wie Sie sie in Ihrem Programm vorschlagen, führt nicht zu dem gewollten Anstieg an Beschäftigung. Auch dieses können Sie tatsächlich in den USA und in Großbritannien beobachten. Hören Sie doch auf, die Arbeitszeitpolitik ständig aus Ihren Strategien wegzublenden. Warum reden Sie nicht von Teilzeit? Frau Simonis hat es schon gesagt. Warum reden Sie nicht von Zeitkonten? Warum reden Sie nicht von sabbaticals? Warum reden Sie nicht von Überstunden? Sie ignorieren geradezu die Arbeitszeitfrage.
Wo bleiben Maßnahmen zur Erschließung neuer Beschäftigungsfelder, von denen Herr Rüttgers, der gerne und viel redet, immer spricht? In Ihrem Programm finde ich nichts. Der anhaltende Strukturwandel läßt erwarten, daß die künftigen zusätzlichen Beschäftigungsmöglichkeiten im Dienstleistungsbereich liegen, daß sie bei der Zunahme der Dienstleistungen innerhalb der Industrie liegen, daß sie bei umweltfreundlichen Mobilitätsleistungen sein werden, im Stoffstrommanagement, im Management und in der Organisation, in der Ausbildung und Beratung. Dort werden die neuen Beschäftigungsfelder sein. Allein durch die Erschließung des Energiesparmarktes können Sie bis zu 500 000 neue Arbeitsplätze schaffen. Sie sind aufgefordert, endlich die rechtlichen und auch die finanzpolitischen Rahmenbedingungen zu schaffen, damit sie sich wirtschaftlich und beschäftigungsintensiv entfalten können. Dies alles sucht man vergebens in Ihrem Papier. Was man findet, kennt man schon. Wozu das führt, weiß man auch schon.
Eines ist, denke ich, unstrittig - Kollege Fischer hat darauf hingewiesen -: In Deutschland gibt es heute eine tiefgreifende Innovations- und Strukturkrise. In Ihrem Papier lese ich aber nur, daß es eine Kostenkrise gibt. Die Gewerkschaften und wir konzedieren, daß es eine Kostenkrise gibt. Aber bitte konzedieren doch auch Sie endlich einmal, daß es eine Strukturkrise gibt. Diese Strukturkrise verursacht im übrigen die Kostenkrise ganz erheblich.
Wir fordern Sie auf, Herr Waigel, das Einkommensteuerrecht endlich im Sinne von mehr Transparenz, Vereinfachung und Verteilungsgerechtigkeit zu reformieren. Hören Sie endlich mit dem Stückwerk auf! Ihr Stückwerk führt tatsächlich zu einer Investitionszurückhaltung in diesem Lande. Das bestätigen Ihnen alle Wirtschaftsforschungsinstitute. Hören Sie endlich auf damit! Stellen Sie endlich sicher, daß wir einen Einstieg in den Subventionsabbau bekommen! Unsere Vorschläge liegen seit einem Jahr auf dem Tisch. Nichts ist geschehen. Aber was steht im Jahreswirtschaftsbericht? Im Jahreswirtschaftsbericht kündigen Sie an, daß Sie die im Jahressteuergesetz vorgesehene steuerliche Belastung der privaten Nutzung von Dienstwagen zurücknehmen wollen. Da hat die Lobby der Automobilindustrie offensichtlich mehr Einfluß auf Sie als die Wohlfahrtsverbände.
Fangen Sie im Interesse des Mittelstandes und von Forschung und Entwicklung endlich an, Ihre Förderprogramme zu effektivieren, zusammenzufassen und zielorientiert zu vergeben! Im Moment - das sagen Ihnen die Mittelständler - fördern Sie die Fußlahmen, anstatt diejenigen, die zukunftsorientierte Arbeitsplätze schaffen können.
Bemerkenswert finde ich, Herr Minister, sehr verehrter Herr Bundeskanzler, den Konkretisierungsgrad, den Sie in Sachen Risikokapital in Ihrem Papier vorlegen. Nach 14 Jahren - in jeder Koalitionsvereinbarung steht: wir brauchen einen Risikokapitalmarkt - fangen Sie mit zaghaften Schritten an. Ich muß mich aber wundern, warum Sie trotz der immer weiter steigenden Zahl von Insolvenzen, gerade im Osten, die Risikokapital gebraucht hätten, bis heute nicht in der Lage sind, so etwas wie einen privaten Risikokapitalmarkt aufzubauen, wie es ihn in den USA gibt. Es kann doch nicht sein, daß diejenigen in der Bundesrepublik, die in Immobilien investieren, steuerlich entlastet werden, und diejenigen,
Margareta Wolf
die in arbeitsplatzschaffende, junge Unternehmen investieren, leer ausgehen.
Anstatt sich, verehrter Herr Rexrodt, von dem vom Bundeskanzler in Rio gegebenen Versprechen auf Senkung der CO2-Emissionen offensiv zu verabschieden, sollten Sie den Einstieg in eine ökologische Steuerreform wagen. Haben Sie doch endlich einmal Mut! Die Wirtschaft braucht Impulse für den notwendigen Strukturwandel. Wir brauchen einen Innovationsschub für neue Produktionszweige. Wir brauchen zukunftsfähige Arbeitsplätze.
- Daß Sie immer nur „Steuererhöhung" schreien! Sie sollten unsere Vorschläge wirklich einmal lesen.
Der ökologische Strukturwandel führt zu neuen Produktionszweigen, er stärkt vorhandene Branchen, er stabilisiert Arbeitsplätze, und er wirkt in hohem Maße arbeitsplatzschaffend. Die Energiewende wird durch die Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung Konversionsmöglichkeiten für die Automobilindustrie bieten.
Im Mittelstand, den Sie immer so gerne vernachlässigen, werden dadurch zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen. Der Mittelstand war der stabile Wirtschaftsfaktor in den letzten Jahren. Sie sollten sich um ihn dringend kümmern.
In Ihrem Papier finden wir zu unserer großen Sorge lediglich 1,5 Seiten zur Umweltpolitik. Der Rest, 110 Seiten, enthält das Wort nicht einmal.
Es ist hier von einem großen Investitionshemmnis, nämlich den Genehmigungsverfahren, gesprochen worden. Meine Damen und Herren, Sie lassen keine Minute aus, um zu sagen: Die Genehmigungsverfahren sind so furchtbar lang. Sie haben 1993 hier ein Investitionserleichterungsgesetz beschlossen, und zwar gegen unseren Willen und gegen den Willen der rot-grünen Länder. Aber schauen Sie doch heute einmal in das rot-grüne Land Hessen. In Hessen ist die Dauer von Genehmigungen am niedrigsten. Sie bewegt sich zwischen zwei und fünf Monaten.
Dies wurde erreicht, indem man mehr Transparenz und mehr Dienstleistung im öffentlichen Dienst eingeführt und sich von der starren Bürokratie verabschiedet hat, die Sie seit Jahren immer stärker aufblähen.
Meine Damen und Herren, es geht langfristig um den ökonomischen Erfolg. Es geht um den Abbau von starrer Bürokratie. Es geht uns um den Abbau von rigiden Arbeitszeitordnungen. Es geht uns um die Förderung von Kreativität, Innovation und Gemeinsinn. Wir haben eine Verantwortung für die nachfolgenden Generationen. Übernehmen auch Sie die endlich einmal.
Das Wort hat der Kollege Graf Lambsdorff, F.D.P.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es ist nicht ganz normal und gewöhnlich, daß der Bundestag innerhalb von drei Sitzungswochen dreimal das gleiche Thema diskutiert. Das zeigt, daß es wirklich ernst ist.
- Das ist ja alles in Ordnung, wer immer es beantragt hat. Es geht um einen ernsten Sachverhalt, der uns alle miteinander zu Recht beschäftigt. Er sollte deswegen auch mit dem gebotenen Ernst diskutiert werden.
Das Modell Deutschland, das in 40 Jahren Bundesrepublik entwickelt worden ist, steht heute auf dem Prüfstand. Dieses Modell Deutschland ist Bestandteil des demokratischen Grundkonsenses. Das wird auch im Ausland so gesehen. Die Frage ist, ob wir die Lösung dieses Problems im Konsens schaffen können oder ob wir es zum Konflikt kommen lassen.
Nach der heutigen Debatte, aber auch nach der Debatte im Lande, bin ich, offen gestanden, nicht so ganz sicher. Ich bin immer noch zuversichtlich - an der Börse pflegt man zu sagen, ich bin fest mit Angst -, daß wir das schaffen können.
Meine Damen und Herren, es bestreitet niemand, daß der soziale Friede, der zum Modell Deutschland gehört, ein Produktionsfaktor unseres Standortes ist. Es bestreitet niemand, daß die Soziale Marktwirtschaft die soziale Komponente unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, die darin enthalten ist, nicht übersehen darf.
Aber die Frage lautet doch: Wie weit kann das Soziale in der Sozialen Marktwirtschaft gehen? Wo beginnen wir, die Marktwirtschaft durch soziale Übertreibungen zu strangulieren? Das ist das Thema, das sich jetzt stellt, das sich eigentlich zum erstenmal in diesen 40 Jahren stellt, indem wir nichts Zusätzliches mehr zu verteilen haben, sondern indem wir denjenigen, denen wir etwas geben wollen, nur dadurch etwas geben können, daß wir anderen etwas nehmen. Sonst gibt es keine Möglichkeiten mehr.
Herr Ministerpräsident Lafontaine hatte gestern laut Zeitungsbericht in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" bei der Friedrich-Ebert-Stiftung für die SPD ein klares Bekenntnis zur Sozialen Marktwirtschaft formuliert. Gleichzeitig hat er sich zum demokrati-
Dr. Otto Graf Lambsdorff
schen Sozialismus bekannt, und er hat mir eben gesagt, er meine auch beides zusammen - gut.
Herr Müntefering, der Bundesgeschäftsführer der SPD, hat dann dazugesagt: „Nehmen wir das, was Oskar gerade gesagt hat, als Gesetz. " Das ist demokratischer Sozialismus!
Meine Damen und Herren, die Kollegen Lafontaine, Scharping und auch Herr Fischer erinnern gerne - ich verstehe das auch - an die Tatsache, daß diese Regierung 13 Jahre im Amt ist. Damit kann man seinen Frust, daß man so lange in der Opposition sein muß, ein bißchen zum Ausdruck bringen. Das erleichtert.
Nur, Herr Scharping - auch Sie haben das heute morgen getan -, übersehen Sie dabei doch nicht, daß wir es in den Jahren bis 1990 - übrigens mit einer höchst erfolgreichen Wirtschafts- und Finanzpolitik; aber lassen wir den Streit darüber - mit einem völlig anderen Umfeld - ich will nicht sagen: mit einer anderen Republik - als seit dem Jahre 1990 zu tun hatten.
Was der Ministerpräsident Teufel heute über Globalisierung und stärkeren Wettbewerb gesagt hat, brauche ich auch aus Zeitgründen nicht zu wiederholen. Es ist so.
Hans-Dietrich Genscher hat damals formuliert: Nichts wird mehr so sein, wie es einmal war. Frau Wolf, er hat das schon fünf Jahre vor dem von Ihnen zitierten St. Galler Professor gesehen.
Dies bezog sich nicht nur auf Außen- und Sicherheitspolitik, sondern eben auch auf die Globalisierung der Weltwirtschaft, die Globalisierung der Arbeitsmärkte und die daraus folgenden Konsequenzen.
Wir haben uns heute eigentlich nur zu fragen: Reagieren wir spät? Meine Antwort ist: ja. Reagieren wir zu spät? Meine Antwort ist: Ich hoffe, nein.
Es nutzt uns auch nicht viel, zu sagen, daß fast alle westlichen Industrieländer im gleichen zeitlichen Kontext wie wir reagieren, wobei ich ausdrücklich unterstreiche: fast alle westlichen Industrieländer. Ich bin ganz erfreut darüber - das werden Sie verstehen -, daß unsere hier sehr kontroverse Diskussion über den Arbeitsmarkt der Vereinigten Staaten inzwischen weitergegangen ist und daß darüber auch im Lande diskutiert wird. Das Thema ist heute von vielen Rednern, auch von Herrn Scharping, eingeführt worden.
Aber wenn Ihnen das zu groß ist und Sie das Beispiel nicht mögen, dann sehen Sie sich einmal die Wirtschaftsordnung und die Arbeitsmarkterfolge in einem kleinen Lande, in Neuseeland, an, wo man mit mehr Freiheit für die Wirtschaft - übrigens eingeleitet durch die dortige Labour Party - erstaunliche Ergebnisse erzielt hat.
In Beziehung zu diesen Ergebnissen steht aber auch die Tatsache - Sie können das einer neuen Untersuchung von elf weltweiten Instituten einschließlich dem liberalen Institut der Friedrich-Naumann-Stiftung entnehmen -, daß der Grad der Freiheit einer Wirtschaft etwas mit dem Wachstum und dem Beschäftigungsstand dieser Wirtschaft zu tun hat.
Der Grad der Freiheit der Wirtschaft in Deutschland führt dazu, daß wir inzwischen auf Rang 12 der westlichen Industrieländer stehen, während Neuseeland auf dem zweiten Platz und die Vereinigten Staaten auf dem vierten Platz stehen und die Beschäftigungssituation dort entsprechend deutlich besser aussieht. Das wird nicht der einzige Grund sein; aber ohne mehr Freiheit für die Wirtschaft wird es nicht gehen.
Unsere Reaktion heute, die Reaktion der Bundesregierung mit dem Aktionsprogramm, dem 50-PunktePlan des Bundeswirtschaftsministers und dem Jahreswirtschaftsbericht, ist im Ansatz völlig richtig. Ich gebe gerne zu, daß man bei 50 Punkten auch über zwei oder drei streiten kann. Das ist ja auch ein Diskussionsangebot. Aber führen Sie bitte keine endlose Diskussion. Da haben manche Redner der Opposition recht: Geredet haben wir genug. Jetzt müssen wir umsetzen, was die Regierung vorschlägt.
Ihren Antrag zur Entschließung, geehrter Herr Scharping, hätten Sie besser bleibenlassen; denn er ist wirklich dürftig und zum Teil auch falsch. Schauen Sie sich doch einmal an, was Sie zu den Realzinsen schreiben. Diese bilden sich am Kapitalmarkt und nicht so, wie Sie sich das vorstellen.
Ich begrüße es - ich sage das für die F.D.P. -, daß der Bundeswirtschaftsminister diese Vorschläge heute als einen ersten Schritt bezeichnet hat, dem weitere folgen werden und müssen.
Ich weiß, daß viele gerade in Wahlkämpfen reden: Wir haben Arbeitsplätze geschaffen, ihr habt welche zerstört, wir schaffen neue Arbeitsplätze. Politiker schaffen aber überhaupt keine Arbeitsplätze, außer im öffentlichen Dienst, und da haben wir genug.
Was wir tun können und was wir zu tun haben, ist, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, daß in der Wirtschaft, in den Unternehmen, Arbeitsplätze entstehen. Hier haben Sie, Herr Fischer, Ihre Unschuld als grüne Partei längst verloren. Was Ihnen in bezug auf Hessen vorzuhalten war, hat Wolfgang Gerhardt getan. Hinsichtlich Nordrhein-Westfalen nenne ich nur die Stichworte Garzweiler II und Bayer mit den Arbeitsplätzen, die in der Chlorchemie verlorengehen. So einfach können Sie es sich nicht mehr machen, daß Sie nur auf andere zeigen. Auch Sie sind jetzt in der Verantwortung. Wenn ich aber höre, wie Sie Verantwortung wahrnehmen - „300 Arbeitsplätze in Kassel sind mir Wurscht, die können weg" -, kann ich nur sagen: Jeder Arbeitsplatz in Deutschland ist wertvoll. Da kann man nicht einfach 300 abbuchen und wegstreichen.
Dr. Otto Graf Lambsdorff
Ministerpräsident Biedenkopf hat der „Süddeutschen Zeitung" vor einiger Zeit ein Interview gegeben, das die Überschrift trug: „Uns geht nicht die Arbeit, uns gehen die Arbeitgeber aus". Herr Biedenkopf, es gibt nur ganz wenige Punkte in diesem Interview, in denen ich nicht mit Ihnen übereinstimme. Bei der Grundsicherung sind wir nicht einig, aber ansonsten sehr wohl.
Woran liegt es, daß uns die Arbeitgeber ausgehen, daß sie nicht nach Deutschland kommen? - Das liegt an den Arbeitskosten. Das hat zur Folge - ich kann die Zahl nur wiederholen -, daß wir 18 Milliarden DM ausländische Investitionen in Deutschland in einem Zeitraum hatten, in dem wir zugleich 196 Milliarden DM deutsche Investitionen im Ausland registrieren mußten.
Das hat auch mit Steuergerechtigkeit zu tun. Herr Spöri, Sie wollen die Steuergerechtigkeit mit einer rot-grünen Koalition herstellen. Da bin ich einmal gespannt.
Ihre Klagen kann ich hören. Ich kann sie auch verstehen. Aber wie Sie das erreichen wollen, das müssen Sie uns einmal vormachen.
- Nein, Sie werden uns das nicht vormachen, weil Sie das Ziel nicht erreichen.
Wir müssen mit den Steuertarifen herunter. Die jetzigen haben eine abschreckende Wirkung auf Investoren. Das heißt - der Kollege Uldall hat mit seinem Vorschlag in der Tendenz völlig recht -, daß wir dann die Bemessungsgrundlage verbreitern müssen. Aber wenn ein Unternehmer, der hierherkommt und den Schrecken vor den Steuertarifen überwindet, sieht, daß er für 1 DM Lohn 0,81 DM Lohnzusatzkosten bezahlen muß, dann packt er sein Bündel und geht.
Übersehen Sie bitte nicht, daß es auch für internationale Konzerne kaum möglich ist, hier zu investieren und Führungskräfte aus dem Ausland hierherzubringen, die von uns steuerlich derartig abgelaust werden, wie sie das zu Hause nicht gewohnt sind. Das ist ein ähnliches Problem wie seinerzeit in der Westberliner Zwangssituation die Frage mit den Wohnungen für Führungskräfte. Ich kann das hier nur andeuten, weil die Zeit nicht reicht.
- Ob Ihnen die Tränen kommen oder nicht: Die Arbeitsplätze kommen nicht, Frau Fuchs. Darüber sollten Ihnen die Tränen kommen.
Wer sein Personal nicht herbringen kann, wer seine Investitionen nicht durch eigene Leute überwachen und kontrollieren kann, der kommt nicht hierher, der geht nach Belgien oder England. Da nutzen
Ihre Tränen überhaupt nichts. Das sind Krokodilstränen zu Lasten der Arbeitnehmer.
Es ist unerhört, wie Sie diese Debatte führen.
Wir müssen Ordnung schaffen. Es wird nicht ohne Einschnitte gehen. Wenn es um das liebe Geld geht, hört die Gemütlichkeit auf. Ihr gesellschaftspolitisches Idealbild, Herr Fischer - als Herr Teufel die Studenten mit den 25 Semestern erwähnte, mußte ich daran denken -, der unmittelbare Anschluß des Vorruhestands an das BAföG, ist in einer solchen Gesellschaft und Lage nicht aufrechtzuerhalten und nicht durchzusetzen.
Wenn es ums Geld geht, hört die Gemütlichkeit auf; wir wissen das. Der Bund streitet mit den Ländern um Geld, die Länder mit dem Bund, die Kommunen mit den Ländern, die ARD mit dem ZDF und die Pflegeversicherung mit den Krankenkassen. Das wird so weitergehen.
Hier bewahrheitet sich die uralte jüdische Geschäftsweisheit: Kasse macht sinnlich, und Dalles macht schofel. In einer solchen Situation sind wir, aber wir müssen trotzdem zum Ausgangspunkt meiner Bemerkungen zurückkehren: Wir müssen erreichen, daß wir das Modell Deutschland einigermaßen unbeschädigt durch diese Situation bringen; denn es ist eine der Grundlagen unseres Landes und unseres demokratischen Grundkonsenses.
Weil das so ist, bedanke ich mich ausdrücklich bei den Ministerpräsidenten Teufel und Beck
für ihre Zusage, mit dem Thema Solidarzuschlag etwas anders umzugehen, als wir das in den letzten Tagen gehört haben.
Die Steuerlasten müssen gesenkt werden, ein Einstieg ist notwendig. Dies ist der richtige Einstieg; wir müssen vernünftig darüber reden, wie er finanziert wird. Herr Ministerpräsident Teufel, Sie und Ihr Kollege Beck haben das vorgezeichnet.
Herr Kollege Lambsdorff, Sie müssen zum Schluß kommen.
Ich bin sofort fertig, Herr Präsident.
Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland nach wie vor alle Chancen. Unser Standort ist in vielen Punkten ein guter Standort, aber wir müssen auch dafür sorgen, daß er ein akzeptabler und rentabler Standort bleibt. Darin ist die Aufgabe der Bundesregierung zu sehen. Deswegen unterstützen wir
Dr. Otto Graf Lambsdorff
das, was im Jahreswirtschaftsbericht vorgeschlagen ist.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir diskutieren heute den Jahreswirtschaftsbericht und das Aktionsprogramm. Angesichts der dramatischen Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt ist es ganz natürlich, daß diese Debatte mit großer Leidenschaft geführt wird.
Ich denke aber, es ist wichtig, daß wir nach der Debatte bei allen Gegensätzen fähig sind, über die Vorschläge, die wir als Bundesregierung im 50Punkte-Programm und im Jahreswirtschaftsbericht gemacht haben und die andere machen werden - die SPD-Opposition in den Ausschüssen, im Bundesrat und bei anderer Gelegenheit -, vernünftig miteinander zu reden; denn die Frage der Arbeitslosen ist eine Frage, die jeden bewegt. Wir sollten uns nicht gegenseitig unterstellen, daß der eine davon persönlich mehr, der andere aber weniger betroffen ist.
Graf Lambsdorff hat soeben einen für mich sehr wichtigen Satz gesagt: Es geht eigentlich darum, nach den Entwicklungen in den Jahren seit 1950 - das sind bald 50 Jahre -, nach Gründung der Bundesrepublik, die große Herausforderung durch die wirtschaftlichen Veränderungen in der Welt, in Europa und in Deutschland anzunehmen.
Ich nehme das Wort gern auf: Es geht um das Modell Deutschland, auf das stolz zu sein wir Grund haben. Ich sage bewußt „wir": die Politik genauso wie die, die in der Wirtschaft mitarbeiten, die Industrie im großen wie der Mittelständler und der Handwerker, die Gewerkschaften und die Betriebsräte. Wir haben in diesen Jahrzehnten gestritten und gekämpft. Dabei hat sich ein Modell entwickelt, das viele bei allen Schwächen für gut halten, viele sogar - so weit gehe ich nicht - für vorbildlich.
Wir haben es in dieser schwierigen Situation mit der Frage zu tun, ob wir fähig sind, zu einem Bündnis für Arbeit zu kommen. Das hat absoluten Vorrang. Wir haben daran gearbeitet. Wir hatten Gespräche mit den Unternehmerverbänden und den Repräsentanten der Gewerkschaften. Wir werden diese Gespräche fortsetzen, und ich finde, das ist eine gute Sache.
Aber klar muß auch sein - das ist ja hier von einigen ausgesprochen worden -, daß jeder - Politik, Gewerkschaften und Wirtschaft - dabei seine Verantwortung sehen muß.
- Wenn Sie die Regierung nicht mehr zur Politik rechnen, kann ich Ihnen nicht helfen, Herr Kollege.
Wenn Sie eine Interpretation brauchen: Unter Politik verstehe ich natürlich die Bundesregierung - sie in erster Linie -, aber es ist ja kein Zufall, daß hier auch Ministerpräsidenten gesprochen haben. Ich nenne die Bundesländer, ich nenne die Kommunen; ich nenne eigentlich alle, denn jeder, der in dieser Gesellschaft Verantwortung hat, soll in einer kritischen Situation seine Verantwortung tragen und sich prüfen, was er tun kann.
Der Jahreswirtschaftsbericht und das Aktionsprogramm liegen jetzt vor. Es ist nicht Aufgabe meines Debattenbeitrags, jedes der Details aufzuzählen,
zumal ich der Debatte entnommen habe, daß einige - ich denke vor allem auch an Sie, Herr Abgeordneter Fischer - diese Materialien kaum oder jedenfalls nur in einer Weise gelesen haben, die zeigt, daß sie nicht bereit waren, die Inhalte zur Kenntnis zu nehmen.
Ich sage noch einmal: Es geht jetzt darum, die Vorschläge im Bundestag und in seinen Ausschüssen detalliert zu beraten. Es geht jetzt darum, daß wir mit dem Bundesrat, sprich mit den Ländern - in doppelter Funktion, als Bundesrat wie auch als Länderkonferenz -, diese Gespräche führen.
Herr Scharping, ich habe heute Ihre Behauptung nicht verstanden; ich habe nicht verstanden, daß Sie immer wieder die Bundesbank in die Diskussion gebracht haben. Es ist doch ganz selbstverständlich: In alles, was wir besprechen, bis hin zur entscheidenden Kabinettssitzung, ist, wenn es um diese wichtigen Grundlagen geht, auch die Bundesbank einbezogen.
Natürlich führen wir Gespräche mit den kommunalen Spitzenverbänden. Wenn Sie diese einmal befragen, werden Sie feststellen, daß keiner meiner Amtsvorgänger auch nur annähernd so viele Gesprächstermine mit den Vertretern der kommunalen Selbstverwaltung immer wieder gesucht hat wie ich; denn das entspricht meiner Grundvorstellung von unserer Verfassung.
Meine Damen und Herren, es geht jetzt darum, daß wir dieses Programm schnell umsetzen. Ich kündige Ihnen für die Bundesregierung an: Wir werden alles tun, um schnell zu Ergebnissen zu kommen. Ich lade Sie - auch wenn wir unterschiedlicher Meinung sein mögen - ein, dabei mitzumachen.
Ich finde es ganz natürlich, daß Sie an einem solchen Tag die Gelegenheit wahrnehmen, die Regierung und den Regierungschef anzugreifen; aber Sie sollten wenigstens bei einigen Themen bei der Wahrheit bleiben.
Ich sage normalerweise nichts zu Ihren Äußerungen, Herr Abgeordneter Fischer, weil wir uns gegen-
Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
seitig richtig einschätzen können, aber ich will hier doch zwei Punkte nennen. Sie sollten hier nicht öffentlich die Behauptung wiederholen, daß kein Subventionsabbau stattgefunden hat. Wir haben seit 1983 rund 50 Milliarden DM an Subventionen in dieser Bundesrepublik abgebaut. Das kann kein anderer vergleichbarer Staat von sich behaupten.
- Sie glauben doch selbst nicht, was Sie dazwischenrufen.
Das zweite, was ich gern aufnehmen will, ist, daß Sie in diesem Zusammenhang das Thema der Kohlesubventionen angesprochen haben.
Ich nehme diese Äußerung nur deswegen auf, weil dies eine Debatte ist, die im Fernsehen übertragen wird, und ich will vor allem bei der Arbeitnehmerschaft weder an der Saar noch an der Ruhr den Eindruck entstehen lassen, wir als Bundesregierung würden von unserer Zusage abgehen.
Unser Wort gilt!
Unser Wort gilt bis zum Jahr 2000; und ich sage Ihnen jetzt schon voraus, daß wir nach dem Jahr 2000 - und wenn es nach mir geht, werden wir rechtzeitig vor dem Jahr 2000 die Verhandlungen eröffnen - über einen wesentlichen Abbau der Kohleförderung in der darauf folgenden Zeit zu sprechen haben.
Ich bin dagegen, Menschen, die auf die Einhaltung eines gegebenen Wortes vertrauen, zu verunsichern. Das aber ist der eigentliche Sinn Ihrer Bemühungen; sonst gab es dafür ja keinen Grund.
Es ist genug über den Solidaritätszuschlag geredet worden.
Aber erstaunlich ist für mich schon, welche Reden Sie hier führen. Eben war sogar Herr Spöri hier am Pult. Ich habe alle möglichen Vorwürfe gehört. Ich muß Ihnen schon sagen: Ich brauche hier nur etwas aus diesem Jahr - natürlich hat das was mit Wahlterminen zu tun - vorzulesen. Herr Eichel hat erklärt:
Wenn über eine stufenweise Abschaffung des Solidaritätszuschlags geredet wird, dann ist meine Position klar: so schnell wie möglich von unten her erleichtern. So gehe ich in den Bundesrat, und ich denke, mit Unterstützung der SPDLänder.
Das hat der Mann acht Tage vor der Hessen-Wahl gesagt.
Damit die Kolleginnen und Kollegen von der F.D.P. zusätzliche Zustimmung erfahren, will ich mehr von ihm zitieren. Er sagte am selben Tag:
Ich bin mit der F.D.P. ganz einer Meinung, beim Solidarzuschlag möglichst sofort die erste Korrektur vorzunehmen.
Meine Damen und Herren, dann kam Herr Spöri. Er hat sich natürlich eben in einer schwierigen Situation befunden. Eigentlich hätte er am liebsten gesagt, was auch Erwin Teufel gesagt hat. Aber er konnte es nicht ganz sagen; denn er sah, da saß der Parteivorsitzende, dort saß der Fraktionsvorsitzende. Daher hat er sich etwas sibyllinisch ausgedrückt. Aber jetzt, vor der Wahl in Baden-Württemberg, sagt er natürlich:
Wir plädieren dafür, den Solidaritätszuschlag verbindlich abzubauen; denn er hat das Faß zum Überlaufen gebracht.
Meine Damen und Herren, was soll das eigentlich? Sagen Sie doch nicht im Wahlkampf draußen etwas völlig anderes als hier. Wenn das so richtig ist - Sie haben es sehr temperamentvoll hier vorgetragen, Herr Staatsminister Spöri -, dann, finde ich, können Sie hier doch sagen, was Sie denken. Sie sind doch Mitglied einer großen traditionsreichen freiheitlichen Partei.
Weil das so ist, finde ich, sollten Sie nachher ans Pult gehen und sagen: Ich bin ebenfalls dafür. Dann wird das Bild komplett.
Frau Ministerpräsidentin Simonis hat so gesprochen, wie ich es eigentlich erwartet hatte. Deswegen will ich auch nichts dazu sagen, bis auf eines: Daß Sie das Kochbuch meiner Frau hier in die Debatte einführen, ehrt mich zum Teil. Aber ich muß sagen: Ich lese dieses Kochbuch lieber, als daß ich Ihre Reden höre.
Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
Meine Damen und Herren, wenn ich die Runde hier richtig einschätze, gibt es für diese Meinung hier im Hause eine Vierfünftelmehrheit.
- Frau Fuchs, ich verstehe nicht, daß Sie jetzt dazwischenrufen. Ich kann Ihnen gerne ein solches Kochbuch, sogar mit Widmung, geben. Ich glaube, das wird in Ihrem Hausstand gute Wirkung haben.
Herr Scharping, es ist ja immer die gleiche Mär, die Sie verbreiten. Das haben Sie auch bei der letzten Bundestagswahl getan, allerdings mit nur mäßigem Erfolg.
- Ich weiß, daß Sie eine Mehrwertsteuererhöhung haben wollen. Aber wir machen sie nicht. Trösten Sie sich: Wir machen sie nicht.
- Was haben Sie für Vorstellungen, wie wir hier miteinander reden? Es mag ja sein, daß es bei den Grünen notwendig ist, sein Ehrenwort zu geben, weil Sie sich nicht trauen. Aber das ist nicht unsere Vorstellung vom Umgang miteinander.
Herr Scharping, Sie haben einmal behauptet, daß in den letzten 13 Jahren, wie Sie zu sagen pflegen, die Steuern und Abgaben gestiegen sind. Ich will das noch einmal in Ihre Erinnerung rufen, weil es falsch ist, was Sie sagen. Wir haben in den Jahren bis zur deutschen Einheit, bis 1989, mit knapp 46 Prozent den niedrigsten Stand der Staatsquote seit 1974 erreicht. Das ist doch eine Tatsache. Ich finde, es ist einfach nicht in Ordnung und schon gar nicht fair und nicht ehrlich, wenn Sie diese Tatsache bestreiten.
Wir haben die Steuer- und Abgabenquote 1990 mit gut 40 Prozent auf einen Stand gebracht wie vorher zuletzt 1973. Auch das ist die Wahrheit.
Wahr ist auch, daß wir in diesem Zeitraum 3,2 Millionen neue Arbeitsplätze in der alten Bundesrepublik geschaffen haben.
Das ist kein Trost - damit das klar ist - für die heutige Situation, aber es geht nicht an, daß Sie in dieser Art und Weise mit der Wahrheit umgehen. Das sind die objektiven Tatsachen, die zur Kenntnis zu nehmen ich Sie bitte.
Ohne die folgenden Jahre mit den Notwendigkeiten vor allem auch - nicht ausschließlich, aber vor allem auch - mit Blick auf die deutsche Einheit - das wissen Sie ebenso - betrüge die Staatsquote heute nicht über 50 Prozent, sondern 44 Prozent, und die Steuer- und Abgabenquote betrüge nicht 44 Prozent, sondern 41 Prozent. Wir hätten auch früher mit der Unternehmensteuerreform anfangen können.
Aber unser Ziel ist und bleibt: Wir wollen die Staatsquote, wie wir jetzt in diesem Text dargelegt haben, auf 46 Prozent senken. Wir wollen die Steuern schrittweise senken; ich nenne das Jahressteuergesetz 1996, die Unternehmensteuerreform, den Abbau des Solidaritätszuschlages - nach dem, was ich hier höre, müßten wir dabei eigentlich zu einer Mehrheit kommen -, den Tarif 2000, das heißt die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage bei Senkung des Steuertarifs.
Mindestens genauso wichtig ist die Senkung der Sozialversicherungsbeiträge von heute rund 41 Prozent des Bruttoentgelts auf 40 Prozent.
Das ist eine sehr, sehr ehrgeizige Vorgabe. Ich bin da ohne jede Illusion und sage hier klar: Das wird ungeheuer schwer sein, auch bezüglich der gegenseitigen Interessenkonflikte.
Aber ich bekenne mich natürlich ohne Wenn und Aber zu diesen Notwendigkeiten der Erhöhung, weil ja in diesem Zeitabschnitt, den ich beschrieben habe, eines der glücklichsten Ereignisse der deutschen Geschichte stattfand, nämlich die deutsche Einheit.
Meine Damen und Herren, bei allem Ärger und Verdruß: Ich bekenne mich nachdrücklich zu allen Notwendigkeiten einer Unterstützung der neuen Länder. Ich habe klar gesagt, und das gilt auch: Wenn wir den Solidaritätszuschlag zurückfahren, kann das nicht zum Nachteil der neuen Länder sein. Wir denken gar nicht daran, eine solche Position aufzunehmen.
Ich sagte, das zentrale Thema ist die Frage des Arbeitsmarktes. Für uns heißt Vorrang für Arbeitsplätze, daß dieses Prinzip als Leitschnur für alle - für Unternehmen, Tarifpartner und Politik - gelten muß.
Wenn ich von der Politik spreche, meine ich natürlich zunächst die Bundesregierung. Wir werden ja in sehr naher Zukunft, meine Damen und Herren, über Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst zu reden haben, und deswegen sage ich mit Bedacht, daß die Gesamtlage auch Auswirkungen beim öffentlichen Dienst haben muß; denn ein sicherer Arbeitsplatz - dies erkennen heute viel mehr Menschen als noch
Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
vor einigen Jahren - ist ein wichtiges Gut, und das muß auch bei Tarifverhandlungen bedacht werden.
Arbeitslosigkeit - das wissen wir - ist natürlich nicht nur ein ökonomisches Problem. Sie betrifft die Lebensbereiche vieler Menschen, weit über vier Millionen, ihre ganz persönliche Situation, ihr persönliches Glück, um es einmal so auszudrücken, vor allem auch für eine Generation, die die 50 passiert hat und für die folgenden Jahrzehnte vor einer sehr schwierigen Entwicklung steht.
Ein sicherer Arbeitsplatz ist Grundlage für Wohlstand, für Zufriedenheit, für Zuversicht und vor allem auch für eine Zukunftsperspektive.
Wir haben keinen Grund, uns gegenseitig vorzuhalten, daß darüber die einen mehr und die anderen weniger besorgt sind.
Meine Damen und Herren, deswegen ist für mich und für die Bundesregierung ganz klar, daß dieses Thema die Nummer eins unter allen Themen ist.
- Das ist es ja, Herr Abgeordneter Fischer: Sie sind weder lernfähig noch lernwillig. Ich habe Ihnen gerade die Zahlen für die Zeit bis 1989 vorgetragen.
Bei der Diskussion über die Arbeitslosigkeit - das hat überhaupt nichts mit irgendeiner Form der Beschönigung zu tun, sondern nur damit, das Problem transparenter zu machen - muß auch einmal darauf hingewiesen werden, daß wir heute in Westdeutschland, in der alten Bundesrepublik, zweieinhalb Millionen Arbeitsplätze mehr haben als 1983. Diese Zahl hat nur deshalb nicht zu einem Rückgang der Arbeitslosigkeit geführt, weil in der alten Bundesrepublik heute gut drei Millionen Menschen mehr einen Arbeitsplatz suchen als 1983.
Es gibt vor allem zwei Entwicklungen, die gesehen werden müssen. Das müssen wir bei unseren Überlegungen, was wir tun wollen, mit betrachten. Zum einen ist die Welle der Zuwanderung aus dem Ausland zu sehen. Allein in den fünf Jahren zwischen 1987 und 1992 kamen über vier Millionen Zuwanderer in die Bundesrepublik Deutschland, von denen nach unseren Erfahrungen jeder zweite einen Arbeitsplatz sucht.
Zum anderen - das begrüße ich auch - gehört dazu das veränderte Erwerbsverhalten, insbesondere die wachsende Beteiligung von Frauen am Erwerbsleben, gerade von Frauen aus der jüngeren Generation. Die Zahl der Frauen, die erwerbstätig sein wollen, ist von 1983 bis heute um rund zwei Millionen gestiegen. Deswegen, meine Damen und Herren, ist es eigentlich ganz selbstverständlich, daß Instrumente wie Teilzeitarbeit, um aus einer familiären Situation wieder an den Arbeitsplatz zurückkehren zu können, heute eine ganz andere Bedeutung haben.
Dabei wissen wir natürlich, daß man sich in den Betrieben, und zwar auf beiden Seiten: bei Gewerkschaften wie auch bei Unternehmern, schwertut - das gilt natürlich nicht nur für Frauen, sondern auch für Männer -, Eingangs- oder Übergangslösungen mit Teilzeitarbeit zu suchen. Von diesem Pult aus habe ich das oft genug gesagt.
Wir, die Bundesregierung, sind nachdrücklich der Überzeugung, daß wir auch in Zukunft ausländische Arbeitskräfte für die deutsche Wirtschaft brauchen. Anders ist dies gar nicht vorstellbar. Wir sind ebenfalls dafür, Frauen, die erwerbstätig sein wollen und erwerbstätig bleiben wollen, die Chance dazu zu eröffnen bzw. zu erhalten.
Die Gesamtlage hat sich in diesen Jahren in einer enormen Weise verändert. Die Arbeitsmarktprobleme in Deutschland sind heute von vielen Faktoren beeinflußt, die wir in dieser Form vor zehn Jahren nicht hatten. In der Debatte ist heute wieder - zuletzt vom Grafen Lambsdorff - der Vergleich mit den USA gezogen worden. Ich bin dagegen, daß wir diesen Vergleich pauschal ablehnen. Die mentale, die psychologische und die soziale Situation der USA ist natürlich völlig anders als die unsere. Es ist aber wahr, daß nicht alle neuen Jobs, die dort geschaffen wurden, Billigjobs sind. Wir sollten uns das schon einmal anschauen.
Genauso klar muß ich sagen, daß ich es nicht akzeptiere, das amerikanische Modell auf die deutschen Verhältnisse zu übertragen; denn in den USA herrscht unter vielen Gesichtspunkten eine andere Situation. Das beginnt schon bei der Wortwahl. Wir sprechen zu Recht von sozialer Marktwirtschaft und nicht nur von Marktwirtschaft.
- Weil Sie den Zwischenruf machen, möchte ich sagen: Ich habe niemals das Beispiel der Kollegin Thatcher für erstrebenswert für unser Land gehalten. Das habe ich in öffentlichen Diskussionen oft ausgedrückt.
Wir haben auch eine völlig andere Vorstellung von sozialer Verpflichtung. Wir sind, wenn ich meine eigene Partei und viele andere in diesem Hause sehe, von der Sozialethik der evangelischen Kirche
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und den Sozialenzykliken geprägt. Das war immer unser Weg, und so werden wir auch bleiben.
Aber, meine Damen und Herren, man kann von den USA schon lernen, daß ein nachhaltiger Beschäftigungsaufbau durch Wirtschaftswachstum gelungen ist, durch Steuersenkungen, die expansive Impulse gaben, daß moderate Lohnentwicklungen über viele Jahre die Anstrengungen unterstützt haben. Wir sehen - auch das gehört dazu, und das finden Sie auch alles in unserem 50-Punkte-Programm -, daß amerikanische Arbeitnehmer mehr Mobilität zeigen müssen und flexibler sind. Das gilt dort im übrigen auch für die Unternehmer.
Bei dem, was die Frau Ministerpräsidentin an Anklagen gegenüber deutschen Unternehmern erhoben hat, war ich etwas erstaunt. Die Unternehmer, die Sie hier kritisiert haben, lassen sich nicht unbedingt der Bundesregierung und schon gar nicht der Christlich-Demokratischen Union zurechnen. Wenn ich es richtig gehört habe, ist doch in Ihrer Partei diskutiert worden, ob besagter Spitzenmann nicht in eine wichtige Wirtschaftsfunktion einer von Ihnen geführten Regierung passen würde. Sie sollten die Verbrennungsvorgänge nicht so beschleunigen.
Meine Damen und Herren, die Konsequenz heißt doch: Wir müssen die Steuer- und Abgabenlast im Rahmen unserer Möglichkeiten zurückführen. Sie bedeutet aber auch: Die erforderliche Konsolidierung der öffentliche Haushalte darf darunter nicht leiden. Das sind zwei sehr ehrgeizige Ziele. Dafür müssen wir das Notwendige tun, wenn es sein muß, auch mit Mut und Entscheidungsfähigkeit.
Ich denke, die Gewerkschaften und die Wirtschaft haben dies erkannt. Immerhin haben wir in der Zwischenzeit eine Gesprächsbasis - in vielen Punkten werden wir uns nicht einigen; anderes ist konsensfähig -, die nach meiner Überzeugung bemerkenswert ist. Nach dem, was ich in Europa höre, ist dies auch die Überzeugung anderer; viele beobachten das sogar mit einem gewissen Neid. Deswegen glaube ich, daß wir eine gute Chance haben.
Wenn wir über die Probleme unseres Arbeitsmarkts sprechen, müssen wir darauf hinweisen, daß wir auch in diesem Jahr etwas fertiggebracht haben, was viele von Ihnen in der Opposition bezweifelt haben. Wir sind nämlich fähig, der jungen Generation eine vernünftige Ausbildung zu verschaffen. Es ist doch kein Zufall, daß diese Generation der Bundesrepublik Deutschland in der Europäischen Union weit weniger von Arbeitslosigkeit betroffen ist als diejenige aller anderen Länder. Das soll auch so bleiben.
- Ich weiß nicht, wie Sie auf den Gedanken kommen,
bei dem Thema Ausbildung von Vorruhestand zu
reden. Das, was Sie hier entwickeln, ist schon eine eigenartige Vorstellung.
Ich will mich nachdrücklich zum deutschen System der beruflichen Bildung, dem dualen System, bekennen, weil dies wieder diskutiert wird. Ich bin ganz sicher, daß das, was wir in der Runde im Bungalow erreicht haben, nämlich die Zusage der Wirtschaft, das Ausbildungsplatzangebot innerhalb von zwei Jahren um 10 Prozent zu steigern, eine hervorragende Sache ist.
Hier hat sich die Verantwortung gegenüber dem Bürger durchgesetzt.
Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang will ich noch darauf hinweisen - das ist in der Debatte leider sehr stiefmütterlich behandelt worden -, daß das Aktionsprogramm im Hinblick auf den Wunsch junger Leute, sich selbständig zu machen, ganz wesentliche Vorschläge enthält. Das ist von seiten der Opposition überhaupt nicht angesprochen worden. Das ist aber doch ein Punkt, den Sie unterstützen müßten.
Das ist eine der dramatischsten Notwendigkeiten in der Bundesrepublik,
und zwar nicht nur wegen der Situation der jungen Menschen, die jetzt in den Beruf kommen, sondern auch und nicht zuletzt - ich finde, das wird viel zuwenig beachtet - wegen der Situation derer, die aus mittelständischen Betrieben ausscheiden. Wir wissen, daß im Zeitrahmen von heute bis zum Jahre 2005 allen Schätzungen nach rund 700 000 mittelständische Betriebe, davon die Hälfte Handwerksbetriebe, aufgeben werden, weil sie keine Erben haben, die das Unternehmen fortführen wollen. Damit verändert sich die Struktur unserer Gesellschaft. Es geht also nicht nur darum, neue mittelständische Unternehmungen zu schaffen, obwohl das dringlich ist. Es geht vor allem darum, die vorhandenen zu erhalten.
Deswegen werden wir alles tun, um auf diesem Wege hilfreich zu sein.
Eine der Kolleginnen, die zuletzt gesprochen hat, hat einen Gedanken geäußert, den ich nachdrücklich unterstütze. Sie hat gesagt, daß wir bei dem, was wir im Bereich des Risikokapitals tun, nicht nur an den Staat und die öffentliche Hand denken dürfen,
sondern im Rahmen unserer Möglichkeiten auch
dafür Sorge tragen müssen, daß im deutschen Bankensystem ein Umdenken eintritt und daß Risikoban-
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ken privater Art geschafft werden, wie es in den USA gang und gäbe ist.
Für mich ist völlig klar, daß wir die Erhaltung des Modells Deutschland, Graf Lambsdorff, erreichen werden, wenn wir nicht nur die Lage in Deutschland betrachten, sondern auch die internationalen Veränderungen zur Kenntnis nehmen, die Herausforderung, die sich aus den Weltmärkten ergibt, ob in Asien oder Mittel- und Osteuropa, und wenn wir vor allem auch zur Kenntnis nehmen, daß andere riesige Anstrengungen unternehmen, um unsere Konkurrenzfähigkeit zu erproben.
In diesem Zusammenhang nenne ich ganz besonders auch das Aufkommen neuer, regionaler Handelsblöcke wie in Amerika die NAFTA, in Asien die ASEAN und Mercosur in Südamerika. Die Globalisierung der Absatzmärkte ist in einem Ausmaß im Gange - der Ministerpräsident von Baden-Württemberg hat die Beispiele aus seinem Land genannt -, das niemand mehr verhindern kann und auch niemand verhindern sollte.
Wir können nicht heute über Wirtschaftspolitik und Arbeitsmarkt in Deutschland reden und in der nächsten Woche hier eine Debatte über die Entwicklung der Dritten Welt führen. Das wäre ein Stück Heuchelei, wenn wir nicht zur Kenntnis nähmen, daß wir unseren Beitrag zu leisten haben mit all den Problemen, die es für uns im Inneren des Landes bedeutet, daß diese Länder nicht nur Geld leihen, sondern auch in der Lage sind, Geld zu erwirtschaften, Produkte herzustellen.
Es hat keinen Sinn, zu jammern und zu klagen, wenn man beispielsweise in einem Land, das ein Schlüsselland der Entwicklung in Afrika wird, nämlich in Südafrika, sieht, wie deutsche Automobilfirmen mit Weltrang und Weltnamen dort erstklassige Produktionsstätten aufbauen und von dort aus den Markt in Australien und Neuseeland beliefern. Wir müssen uns an den Gedanken gewöhnen, daß wir nicht nur für den freien Welthandel eintreten können, in dem wir unsere Produkte anderen anbieten und verkaufen, sondern daß endllich auch andere ihre Chance bekommen. Das ist eine der wichtigen Aufgaben einer weitblickenden deutschen Politik, die den Begriff Solidarität nicht nur im Munde führt.
Das, meine Damen und Herren, werden wir nur fertigbringen, wenn wir uns nicht einigeln, nicht defensiv sind und nicht nur den Status quo verteidigen. Beispiele dafür sind ja genannt worden.
Es geht doch in Tat und Wahrheit überhaupt nicht darum, den Sozialstaat und die soziale Dimension unserer Gesellschaft abzuschaffen. Wenn Sie die Summe insgesamt nehmen, die Milliardenbeträge, die wir auf den verschiedensten Ebenen in Bund, Ländern und Gemeinden, für soziale Sicherung ausgeben, dann ist es doch abwegig, zu sagen, daß hier eine soziale Demontage stattfindet. Wenn wir die Zukunft wirklich sichern und gewinnen wollen, dann muß es möglich sein, daß man, ohne gleich diffamiert zu werden, darüber spricht, was man tun kann, um Mißstände abzubauen, die offenkundig sind.
Wenn ich nur die Debatte der letzten drei Jahre - ich könnte dabei viele von Ihnen zitieren - zu dem Thema Kuren betrachte - wahrlich nicht das zentrale Thema deutscher Sozialpolitik -, dann muß man sagen, es ist doch ziemlich abwegig, was sich hier entwickelt hat. Da gibt es ein Besitzstandsdenken, das mit der Notwendigkeit der Solidarität der Gesellschaft überhaupt nicht in Einklang zu bringen ist. Ich denke auch an andere Beispiele, die der Kollege Seehofer in diesen Tagen immer wieder vorgetragen hat. Wir haben wir einfach Mißstände, über die man offen reden können muß, zumal die Bürger im Land längst offen darüber reden,
auch und nicht zuletzt gerade die Arbeitnehmer.
Deswegen haben wir auf der anderen Seite auch keinen Grund - das ist hier zu Recht gesagt worden -, den Standort Deutschland schlechtzureden. Ich sehe mit großem Mißbehagen, daß der eine oder andere durch die Gegend zieht, auch aus dem Unternehmerlager, und zum Teil von seinen eigenen Schwächen ablenkt, indem er den Standort Deutschland verteufelt. Ich halte von einer solchen Art und Weise des Umgangs überhaupt nichts.
Wir haben ganz unbestreitbare Stärken: die ausgewogene Wirtschaftsstruktur, die leistungsfähigen kleinen und mittleren Unternehmen, die großen internationalen Unternehmen, also die Multis, die weltweit ihre Bedeutung haben und die Führungsfunktionen haben, was übrigens auch überall anerkannt wird.
Wir haben ein ungewöhnlich hohes Ausbildungsniveau der Erwerbstätigen. In allen EG-Studien taucht die Feststellung auf, daß die Deutschen in bezug auf ihre Berufsausbildung Spitze sind. Daß wir einen enormen Nachholbedarf im Hinblick auf die Ausbildung des akademischen Nachwuchses haben, daß wir die Frage stellen müssen, ob das alles so bleiben kann, wie es jetzt ist, das ist eine Frage - ich schiebe hier keine Verantwortung ab, da ich ja nicht sage, daß der Bund hier keine Verantwortung hätte -, die wir mit Blick auf die gesamte Bundesrepublik sehen müssen.
Dieses Haus hat dabei seinen geistigen Beitrag mit zu leisten, indem wir darauf drängen, die Ergebnisse der Vorstellungen, die Herr Kollege Rüttgers in bezug auf die Zielsetzung bei den Universitäten vorgelegt hat, umzusetzen. Das ist kein Eingriff in die Kulturhoheit, vielmehr ist es eine Notwendigkeit,
Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
wenn es in Deutschland darum geht umzudenken. Es ist für mich nicht akzeptabel, daß junge deutsche Akademiker im Schnitt drei oder vier Jahre älter sind als ihre Kollegen in der Eurpäischen Union. Es ist auch kein Ruhmesblatt für uns, daß es jetzt, knapp sechs Jahre nach der deutschen Einheit, immer noch eine von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich lange Gymnasialschulzeit gibt, nämlich acht und neun Jahre. Ich kann nicht entdecken, daß das etwas mit Föderalismus zu tun hat. Ich kann nur entdecken: Es hat etwas mit Kurzsichtigkeit zu tun. Auch dies gehört zu dem angesprochenen Bereich.
Meine Damen und Herren, wir haben eine gut ausgebaute öffentliche Infrastruktur. Es ist doch gar keine Frage, daß das ein ganz enormer Vorteil ist. Was in den neuen Ländern jetzt vorrangig ist, ist ja der schnelle Ausbau der Infrastruktur, in einem Tempo, wie das wenige vorher für möglich gehalten haben. In den neuen Ländern ist auch von den Verwaltungen und Kommunen Hervorragendes geleistet worden. Ich sage das auch an die Adresse derer, die immer herummaulen und sagen: Die bekommen zuviel Geld. Ich wünsche mir in allen deutschen Städten ein solches Tempo bei der Genehmigung von Projekten, wie ich das beispielsweise in Leipzig, in Dresden oder anderswo in den neuen Ländern erlebt habe. Hier können wir sehr viel von den Verantwortlichen in den neuen Ländern lernen.
Meine Damen und Herren, wir haben eine stabile Währung; wir haben eine Inflationsrate, die nach den Lehrmeinungen, wie wir sie früher als Studenten auf der Universität hörten, gar keine Inflation mehr ist. Diejenigen, die darüber nicht mehr reden, sollten sich daran erinnern, daß eine hohe Inflationsrate mit Abstand das sozial Schlechteste ist, was man kleinen Einkommen antun kann. Gerade für die Rentner und die Bezieher kleiner Einkommen ist eine niedrige Inflationsrate wichtig.
Mit einem Wort: Ich denke, wir haben gute Chancen, unsere Ziele - zugegebenermaßen: ehrgeizige Ziele - zu erreichen. Das Aktionsprogramm enthält konkrete, auch steuerliche, Maßnahmen, um die Menschen zu ermutigen, sich selbständig zu machen, Arbeitsplätze zu schaffen. Es ist wichtig, daß vor allem kleine und mittlere Unternehmen gegründet werden. Wir haben zwischen 1990 und 1994 im Mittelstand trotz der Rezessionsentwicklung die Schaffung knapp einer Million neuer Arbeitsplätze in Deutschland erfahren. Die Zahl der Beschäftigten in den Großunternehmen ist in dieser Zeit um nahezu 600 000 abgebaut worden. Diese Zahlen sprechen doch für sich. Wenn es stimmt - ich habe keinen Zweifel daran, daß es stimmt -, daß jeder Existenzgründer in der Regel vier weiteren Personen in absehbarer Zeit Arbeit und Brot gibt, dann muß ich sagen: Das ist eine ganz wichtige Voraussetzung.
Wir haben einen klaren Fahrplan in der Steuerpolitik; er soll über das Ende dieser Legislaturperiode hinaus in die neue Legislaturperiode hineinreichen. Wir wollen die hohe Steuerbelastung schrittweise senken. Wir werden jetzt mit den Ländern darüber die notwendigen Gespräche führen. Aber ich finde, man darf nicht diffamiert werden, wenn man dem Bürger das geben will, was dem Bürger zukommt, um ihn zur Leistung zu motivieren.
Wir wollen zum dritten die hohen Lohnzusatzkosten angehen. Es ist bei unseren Gesprächen mit Wirtschaft und Gewerkschaften ein besonders ehrgeiziges Ziel, mit der Summe der Beitragssätze zur Sozialversicherung in den nächsten vier Jahren wieder auf unter 40 Prozent zu kommen. Ich halte die Erreichung dieses Ziels für möglich; es wird aber nur dann erreicht werden, wenn wir den Ernst der Lage erkennen und die notwendigen Entscheidungen treffen. Ich finde auch, daß wir noch viel mehr tun könnten, um die Effizienz des sozialen Sicherungssystems zu verbessern und um zu sparen.
Mit einem Wort: Es geht nicht um Abbau, sondern um Sicherung der Grundlagen und der langfristigen Finanzierbarkeit des Sozialstaats. Hier sind alle aufgefordert. Wir müssen forciert Arbeitsplätze in neuen Beschäftigungsfeldern erschließen und die bisherigen Blockaden beenden. Dazu gehört auch die Beschäftigung in privaten Haushalten. Frau Fuchs, Sie waren hierfür immer eine Vorkämpferin. Ich wünsche mir, daß Sie Ihre Fraktion so sehr überzeugen, daß sie gläubig zustimmt. Dann sind wir ein Stück weiter.
Wir haben Chancen zur Beschäftigung im Pflegebereich. Wir haben neue Wachstumsfelder im Bereich Multimedia und im Bereich der Biotechnologie. Viele dieser Maßnahmen, meine Damen und Herren, werden jetzt Stück für Stück durchgesetzt. Ich lade Sie herzlich ein, dabei mitzumachen. Ich füge hinzu - ohne in die Tarifhoheit hineinzureden, die ich respektiere -, daß natürlich auch die Tarifabschlüsse im Jahre 1996 von entscheidender Bedeutung für das Klima, von dem ich gesprochen habe, sein werden.
Ich möchte Sie einladen, in diesem Sinne die Debatte mitzuführen. Wenn Sie unsere Vorschläge kritisieren, dann lassen Sie uns darüber reden, ob Sie andere oder bessere Vorschläge haben. Wir werden uns dann entscheiden müssen. Natürlich ist es so, daß die Bundesregierung die Mehrheit hier in diesem Hause hat. Sie brauchen ja auch die Bundesregierung für Ihre Angriffe. Es wäre ja eine schlimme Entwicklung, wenn Sie diese Chance nicht mehr hätten; denn sonst käme Ihnen ja eine bestimmte Hoffnung gänzlich abhanden.
Lassen Sie uns ungeachtet aller streitigen Diskussionen den Versuch unternehmen, die notwendigen Gespräche und die notwendigen Entscheidungen
Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
herbeizuführen. Wir in der Koalition und in der Bundesregierung sind dazu bereit.
Das Wort hat der Ministerpräsident des Saarlandes, Oskar Lafontaine.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers habe ich mir immer wieder die Frage gestellt, wie ein Arbeitsloser sie aufnehmen wird, der jetzt vor dem Fernseher sitzt und hören will, welche Perspektiven er in den nächsten Jahren hat. Ich möchte vor diesem Hintergrund Ihr Angebot, Herr Bundeskanzler, durchaus aufgreifen und sagen: Den richtigen Ton haben Sie im Hinblick auf die Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlichen staatlichen Ebenen getroffen. Ihr ernstgemeintes Angebot, zusammen mit dem Bundesrat und den Gemeinden bestimmte Lösungen voranzubringen, hören wir gerne.
Das hebt sich wohltuend von dem ab, was wir in der letzten Debatte gehört haben und noch heute teilweise hören. Da heißt es, wenn unterschiedliche Auffassungen zur Sache bestehen: Die SPD stört nur und verweigert sich. Wenn es in der gegenwärtigen Situation nicht gelingt, zügig zu Entscheidungen zu kommen, die die Situation verbessern, dann versagen wir alle vor den Arbeitslosen. Dann ist es uninteressant, darauf hinzuweisen, wer da und dort einmal recht gehabt hat.
Insofern greife ich diesen geänderten Tonfall gern auf und möchte jetzt natürlich zu dem sachlichen Angebot kommen, das Sie gemacht haben; denn es ist klar, daß Deutschland heute darauf gewartet hat, daß der Regierungschef in einer Situation, in der die Arbeitslosenrate ihren Höchststand erreicht hat, etwas dazu sagt, wie es weitergehen könnte, welche konkreten Schritte wir nunmehr unternehmen müssen, um die Situation zu verbessern.
Herr Bundeskanzler, ich muß Ihnen sagen: An dem, was Sie hier allgemein vorgetragen haben, habe ich im Grunde genommen gar nichts zu kritisieren. Es ist auch richtig, daß Sie beispielsweise - um das konkret anzusprechen - in den 80er Jahren die Staatsquote gesenkt haben. Es ist auch richtig - um das konkret anzusprechen; ich werde es aber noch detaillieren -, daß Sie in den 80er Jahren temporär einen Zuwachs an Arbeitsplätzen zu verzeichnen hatten. Aber was hilft das den Arbeitslosen, die jetzt vor dem Fernsehgerät sitzen und darauf warten: Was sagt der Regierungschef zu der Frage, wie es weitergehen soll?
Das Entscheidende ist, daß Ihre Vorschläge, die Sie vorgelegt haben, ungeeignet sind
und zu kurz greifen. Dies will ich hier nun Punkt für Punkt darlegen.
Seit langer Zeit sind wir alle der Auffassung, daß die viel zu hohen Lohnnebenkosten den Standort belasten. Das ist unstreitig. Aus diesem Grunde hatten Herr Kollege Biedenkopf und ich bereits bei der Standortdiskussion vor einigen Jahren vorgeschlagen, dieses Thema anzugehen. Wir hatten einige Vorschläge gemacht. Die muß man nicht alle für richtig halten. Aber es ist natürlich merkwürdig, Herr Bundeskanzler, und völlig unzureichend, wenn Sie sagen „Wir wollen dieses wichtige Problem vielleicht im Jahre 2000 in bescheidenem Umfang lösen",
wenn Sie aber nicht genau sagen, wie das jetzt geschehen kann, während es im Jahreswirtschaftsbericht heißt: Die Rentenversicherungsbeiträge steigen, die Pflegeversicherungsbeiträge steigen, die Krankenversicherungsbeiträge steigen und, wenn es so weitergeht, auch die Beiträge zur Arbeitlosenversicherung. Das ist die unbefriedigende Situation. Sie geben an einer zentralen Stelle der deutschen Wirtschaftspolitik keine Antwort.
Nun will ich Ihnen sagen, wie das gehen könnte. Bei der Rentenversicherung müssen wir natürlich die Leistungen überprüfen. Ich habe angeboten, über den Vorruhestand zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen. Voraussetzung ist - da unterstreiche ich das, was Rudolf Scharping gesagt hat -, daß die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die jahrzehntelang in die Versicherung gezahlt haben, Vertrauensschutz genießen; sonst ist mit uns keine Vereinbarung zu treffen.
Wir haben immer wieder gesagt: Befreien Sie die sozialen Versicherungssysteme von fremden Lasten! Sie können sicher darauf verweisen, Herr Kollege Blüm, daß da ab und zu auch der Bundesrat oder wer auch immer mitgemacht hat. Aber es ist eine Fehlentwicklung. Wir beklagen so oft den Mißbrauch von Sozialleistungen. Hier handelt es sich aber um einen eklatanten Mißbrauch der Sozialkassen, den im wesentlichen die Politik zu verantworten hat und im wesentlichen die von Ihnen geführte Regierung, Herr Bundeskanzler, weil Sie nach der Vereinigung zu feige waren, Steuererhöhungen und Steuerfinanzierung vorzuschlagen. Alles in die Sozialkassen - das ist viel bequemer.
Wir sind bereit, nachdem schon die Länder und der Kollege Dreßler im Rahmen der Krankenversicherung Verhandlungen mit Ihnen geführt haben, wei-
Ministerpräsident Oskar Lafontaine
tere Verhandlungen zu führen. Das muß aber fair zugehen. Wenn Sie hingehen, Herr Minister Seehofer, und beispielsweise den Krankenhausbereich getrennt bearbeiten wollen, weil das, wie Sie sagen, nicht zustimmungspflichtig sei, dann fühlen sich die Länder gelinkt; das ist keine geeignete Vorgehensweise.
Ich sage Ihnen als jemand, der viele Jahre lang Bürgermeister war und seit vielen Jahren Landespolitik macht, daß man das zusammen sehen muß
- die ambulanten Behandlungen, die Pharmaindustrie und die Krankenhäuser - und nicht in einzelnen Punkten herummogeln darf, bei denen man vielleicht gerade mit der F.D.P. zurechtkommt oder vielleicht gerade mit einem Bundesland glaubt zurechtzukommen. Ein Wurf ist das nicht.
Natürlich können wir auch im Rahmen Arbeitslosenversicherung darüber reden, wie wir zielgenauer justieren. Nur, in unserem Staat muß Vertrauen erhalten bleiben. Es muß klar sein, daß wir unsere Reformen alle unter ein Motto stellen, das Motto, daß die sozialen Leistungen dort gewährt werden, wo die Menschen sie brauchen, wo sie bedürftig sind. Es muß dort umorganisiert und müssen neue Wege gegangen werden, wo sich bestimmte Leistungen als überflüssig erwiesen haben, weil die Menschen sie gar nicht mehr brauchen. Das Bedürftigkeitsprinzip, das wir hier schon mal diskutiert haben, ist im Grunde genommen kein zu verachtendes Prinzip. Es ist ein Leitstrahl jeder Sozialpolitik, zumindest nach meiner Auffassung.
Zu einem ganz wesentlichen Thema. - Herr Bundeskanzler, würden Sie mir bitte Ihr Ohr leihen!
- Ich meinte das nicht polemisch, entschuldigen Sie bitte.
Angesichts der Tatsache, daß sich die gesetzlichen Lohnnebenkosten in den letzten 20 Jahren fast verdoppelt haben, reicht es nicht, zu sagen: In diesem Jahr steigen überall die Beiträge, und im Jahre 2000 werden wir vielleicht irgend etwas lösen. Das ist der erste Fehler Ihres Angebotes: Sie müssen zügiger und wirkungsvoller entscheiden.
Bei der Steuerpolitik mogeln Sie wieder - erwiesenermaßen. In Ihren Reihen und in unseren Reihen sind eine Mehrwertsteuererhöhung - um Beiträge zur Sozialversicherung senken zu können - und die Einführung von Ökosteuern diskutiert worden.
Nun lese ich in Ihrem Jahreswirtschaftsbericht: „Das Steuersystem muß ... vereinfacht ... werden." Diesem Ziel dient „eine schrittweise Veränderung der Steuerstruktur in Richtung einer Entlastung bei den direkten Steuern und somit eines stärkeren Gewichts bei den indirekten Steuern."
Herr Bundeskanzler, können Sie einmal die Chance nutzen, hier zu sagen, was Sie eigentlich meinen? Wollen Sie die Verbrauchsteuern auf der Mehrwertsteuerseite erhöhen, oder wollen Sie ökologische Mehrbelastungen? Letzteres wird ja in vielen Landesverbänden der CDU, etwa in Hessen, und sogar in der CSU diskutiert. Verehrter Herr Glos, lesen Sie einmal, was der Umweltkreis Ihrer Partei aufgeschrieben hat. Auch der Kollege Repnik hat das ja so schön ausgearbeitet, darf es aber nicht vorlegen. Was wollen Sie eigentlich?
Das macht den ersten Pfusch deutlich: Sie schreiben in Ihrem Jahreswirtschaftsbericht ganz klar, daß Sie einen stärkeren Akzent bei den Verbrauchsteuern setzen wollen, aber sagen den Menschen vor Wahlen nicht, was Sie tun werden. Leisten Sie sich nicht wieder eine Steuerlüge! Ich finde das unerhört.
Sie wissen ganz genau, daß es unehrlich ist, die Maßnahmen auf das Jahr 2000 zu verschieben. Sie wissen ganz genau, daß ein Umorganisieren der sozialstaatlichen Leistungen allein nicht dazu führt, daß die Beiträge zur Sozialversicherung auf unter 40 Prozent sinken. Belügen Sie nicht die deutsche Bevölkerung!
- Meine Partei hat hier im Deutschen Bundestag einen Gesetzentwurf vorgelegt mit dem Ziel, die Sozialabgaben zu senken und dafür die ökologischen Verbrauchsteuern zu erhöhen. Sie haben das abgelehnt, weil Sie das für falsch halten. Rufen Sie doch nicht „Was wollen Sie denn?" dazwischen!
- Sie müssen in der Sache Bescheid wissen, mein Herr.
Fragen Sie sich das lieber selbst. Mit diesen gummiweichen Formulierungen - „Im Jahre 2000 werden wir vielleicht, unter größerer Akzentuierung der indirekten Steuern, eine Lösung finden! " - kommen Sie nicht mehr über die Runden. Sie versündigen sich damit an den Arbeitslosen in diesem Land.
Nun zur Steuerpolitik. Herr Bundeskanzler, ich hätte mir gewünscht, daß Sie bei diesem leidigen Thema Solidaritätszuschlag Klarheit geschaffen hätten. Man muß etwas von der Sache verstehen, sonst begreift man die ganzen Spielchen nicht.
Es gibt zwei Aussagen: zum einen die des Herrn Bundesfinanzministers - der die Maastricht-Kriterien
Ministerpräsident Oskar Lafontaine
ständig einhält und dann ständig verfehlt -, der sagt, es gehe nur, wenn die Länder mitmachen; zum anderen die der F.D.P., die sagt: Wir machen das, auch wenn die Länder nicht mitmachen. - Herr Bundeskanzler, es wäre doch an Ihnen gewesen, hier einmal Klarheit zu schaffen. Oder soll es so weitergehen, daß in der Steuerpolitik in diesem Lande immer nur betrogen und gelogen wird?
Da nützt es überhaupt nichts, daß Sie vortragen, was Herr Spöri einmal im Wahlkampf oder was Herr Eichel gesagt hat. Sie haben auch mich zitiert; ich komme darauf gleich noch. Es wäre notwendig, sich mit der Sache zu beschäftigen, klare Aussagen zu machen und Entscheidungen zu treffen. Allgemeine, wolkige Reden hatten wir in den letzten Jahren en masse.
Damit komme ich zum Hit der F.D.P., der Gewerbekapitalsteuer. Wo ist der Herr Vorsitzende? - Vielleicht hat er etwas Wichtiges zu tun; ich will das gar nicht mit einem polemischen Unterton sagen. - Auch hier sind Sie nicht wahrhaftig. Sie sind deshalb nicht wahrhaftig, weil Sie heute an keiner Stelle gesagt haben,
daß es sich um eine aufkommensneutrale Finanzierung handeln soll. Dagegen haben die Wirtschaftsverbände gesagt, es ist keine aufkommensneutrale Finanzierung, sondern im Saldo eine stärkere Belastung der Unternehmen, eine Unternehmensteuererhöhung.
Es ist ja ein Witz, daß die F.D.P. für Unternehmensteuererhöhungen kämpft. Es ist ordnungspolitisch falsch, wenn Sie für Siemens oder die Deutsche Bank die Gewerbekapitalsteuer abschaffen wollen, bei Verschlechterung der Abschreibungsbedingungen für Handwerker um die Ecke. Das ist der Quatsch, den Sie machen!
Und dann mogeln Sie wieder. Das ganze Ding ist eine Mogelpackung. Sie sagen, das wäre vernünftig. Sie wollen die Gewerbeertragsteuer mittelstandsfreundlich senken. Wer hätte etwas dagegen?
Das soll dann irgendwie über Mehrwertsteuerpunkte finanziert werden. Sie verschweigen wieder, wer denn das machen soll. Was ist denn das für eine Art und Weise? Das ist doch hinten und vorne unseriös, so daß man es Ihnen um die Ohren schlagen müßte. Es ist in der Sache völlig unhaltbar.
Wir nehmen also zur Kenntnis: Sie wollen viele Steuern senken. Wer wollte das nicht?
Sie wollen den Solidaritätszuschlag demnächst, 1997, abschaffen. Wir sind dafür, ihn sofort abzuschaffen, auch die Gewerbekapitalsteuer und alle Steuern überhaupt. Wir machen einen Wettlauf.
Wir wollen aber nun ein bißchen ernsthaft sein.
Wir wollen dann eben irgendwann einmal darüber reden, wie das, was Sie hier an völlig Unpräzisem und teilweise Unwahrhaftigem aufgeschrieben haben, konkretisiert werden kann.
Soviel zur Steuerpolitik.
Ich habe Ihnen gesagt, daß wir für die ökologische Steuerreform werben. Wenn es hier eine freie Abstimmung gäbe, Herr Kollege Glos, hätte sie eine Mehrheit. Das weiß ich aus vielen Gesprächen auch mit Kolleginnen und Kollegen aus der CDU/CSU-Fraktion.
Das hat einen Grund. Ich will versuchen, Ihnen ein Argument zu geben. Sie haben wieder einmal die Biotechnik angesprochen und den weltweiten Markt mit 150 Milliarden Dollar angegeben. Das Ifo-Institut sagt: 100 Milliarden Dollar. Was Sie vielleicht einmal zur Kenntnis nehmen sollten, ist - hören Sie einmal zu -, daß der Umweltmarkt weltweit das Zehnfache ausmacht, nämlich 1 000 Milliarden Dollar, und daß wir gut beraten sind, eine hervorragende Entwicklung unseres Standortes, die Umwelttechnik, in der wir wirklich Exportweltmeister sind, weiter zu fördern und zu einem arbeitsplatzschaffenden Exportschlager zu machen. Hierin besteht ein gravierendes Defizit Ihrer Politik.
Sie haben, Herr Bundeskanzler, darauf hingewiesen, daß Sie - wer wollte etwas dagegen haben? - oft mit den Gemeinden Gespräche führen. - Ich komme jetzt zum vierten Punkt dessen, was wir dringend ändern müssen. - Das ist auch in Ordnung. Ich will das gar nicht ironisch kommentieren. Nur, was ist denn das Ergebnis?
Gehen Sie doch einmal in die Gemeinden und sehen Sie sich an, wie sich dort die Defizite entwickeln. Wir haben hier eine gemeinsame Aufgabe, meine Damen und Herren, die Gemeindefinanzen in Ordnung zu bringen.
Ministerpräsident Oskar Lafontaine
Sie reden in ganz allgemeiner Form davon. Dabei ist die Entwicklung dramatisch. Machen Sie Vorschläge. Wir können Ihnen gar nicht ausweichen, weil wir mehr Gemeinden regieren. Wir hätten einen solchen Druck von der Basis, eine Gemeindefinanzreform zu machen! Warum erkennen Sie das Problem nicht? Beschweren Sie sich doch nicht über den Rückgang der Investitionstätigkeit in Deutschland, wenn die Gemeinden in Ost und West investitionsunfähig gemacht worden sind.
Was nicht geht, ist, daß Sie Lasten der Arbeitslosigkeit in die Gemeindekassen schieben. Das ist doch keine Reform des Sozialstaates. Das ist dieselbe Methode wie zu sagen: Wir senken den Solidaritätszuschlag; das sollen die Länder bezahlen. Wir senken die Gewerbeertragsteuer, die Mehrwertsteuer. Wer es dann bezahlen wird, wissen wir nicht. Wir senken die Gewerbekapitalsteuer. Das soll der kleine Handwerker bezahlen, zugunsten der ach so notleidenden Großindustrie in Deutschland.
Ihre ganze Politik ist an dieser Stelle schlicht falsch, und sie ist sogar, wenn Sie zusammenfassen, daß Sie Gewerbekapitalsteuer gegen Investitionsverschlechterungen setzen, daß Sie Mehrwertsteuererhöhungen ernsthaft erwägen und daß Sie beispielsweise von den hohen Lohnnebenkosten nicht herunterkommen, eklatant mittelstandsfeindlich und handwerkerfeindlich.
Weil Sie in Ihren Papieren immer nur die Steuerpolitik des BDI nachbeten, haben Sie das jahrelang nicht erfaßt. Das, was Sie vorschlagen, wird der BDI in großem Umfange unterstützen. Aber die Handwerksmeister und die Mittelständler wollen nicht in erster Linie die Gewerbekapitalsteuer abgeschafft haben. Sie wollen, daß endlich die viel zu hohen Lohnnebenkosten gesenkt werden. Sie wollen natürlich eine Gewerbeertragsteuersenkung, aber bitte schön auf eine solide finanzierte Art und Weise. Sie haben hier nichts darüber gesagt. Wie soll man denn mit Ihnen ins Gespräch kommen, wenn Sie Ihr Konzept überhaupt nicht darlegen?
- Herr Kollege, ich will es Ihnen noch einmal sagen. Nun hören Sie zu. Sie hatten mich angesprochen. Ihr F.D.P.-Konzept - das mögen Sie für richtig halten -, die Gewerbekapitalsteuer abzuschaffen und damit für die Handwerker und viele Betriebe die Investitionsbedingungen zu verschlechtern, ist ökonomisch nach unserer Auffassung falsch und eine Torheit. Deswegen werden wir das nicht mitmachen. So einfach ist das.
Nun komme ich zum schlanken Staat und zu der Verwaltung. Wir haben den Entwurf jetzt im Bundesrat liegen. Die entscheidenden Vorschläge werden gar nicht gemacht. Zunächst einmal habe ich seit langen Jahren immer wieder geworben, im Beamtenbereich Teilzeitarbeitsplätze anzubieten. Das wird seit langen Jahren blockiert.
- Ich führe den Gedanken zu Ende, Graf Lambsdorff. Dann können Sie Ihre Frage stellen.
Ich habe zum zweiten gesagt: Laßt uns über die Sitzbeförderung reden. Irgend jemand hat das Problem der Eingangseingruppierung angesprochen. Außerdem müssen wir über die Ungleichgewichtigkeit sprechen, die sich über Jahre entwickelt hat. Ich habe gesagt: Vor allen Dingen laßt uns über die Frühverrentung und über die Abschläge, die dabei in Kauf zu nehmen sind, reden. Ich sage das auf jeder Ministerpräsidentenkonferenz. Ihr Innenminister legt zu den drei Vorschlägen, die ich jetzt angesprochen habe, nichts vor. Er geht auf unsere Vorschläge nicht ein. Das wäre für die Gemeinden noch viel wichtiger als vielleicht für den Bund.
Graf Lambsdorff, bitte sehr.
Herr Ministerpräsident, darf ich Sie angesichts Ihres Wetterns gegen die Senkung der Gewerbekapitalsteuer, die bisher Ihre Fraktion verhindert hat, darauf aufmerksam machen, daß sich der Zentralverband des Deutschen Handwerks ausdrücklich für die Senkung der Gewerbekapitalsteuer ausgesprochen hat?
Graf Lambsdorff, Sie haben mit dieser Feststellung sogar recht. Da auch wir aufmerksam die Wirtschaftspresse studieren, wissen wir, daß Sie mit diesem Hinweis recht haben. Ich wettere allerdings nicht gegen die Senkung der Gewerbekapitalsteuer. So können Sie bei mir nicht landen. Das ist Winkeladvokatentum. Ich wettere gegen die Verschlechterung der Investitionsbedingungen für die große Mehrheit der Betriebe. Ein Handwerkerpräsident, der das nicht kapiert, gehört abgewählt. Das ist meine Antwort darauf.
Ich möchte noch den Kollegen Teufel ansprechen, der Gott sei Dank noch hier ist. Das war wirklich eine beeindruckende Vorstellung.
Ich höre vom Bundeskanzler nicht nur, daß er die Sozialversicherung im Jahr 2000 in Ordnung bringen will, und alle Kronprinzen überlegen sich jetzt, was sie zu tun haben. Sie haben auch den Steuertarif 2000 wieder angesprochen. Was ist denn das für eine Geschichte? Sind Sie nicht in der Lage, jetzt endlich
Ministerpräsident Oskar Lafontaine
einmal einen ordentlichen Steuertarif vorzulegen? Ich will auch sagen, warum das nicht möglich ist. Ich habe das bei allen Steuerverhandlungen bemerkt. Mit Herrn Waigel geht das nicht. Er will die daraus resultierenden unangenehmen Entscheidungen nicht mittragen. Das kann man akzeptieren, aber dann soll er es sagen. Schreiben Sie nicht solches Zeug in Ihr Papier. Sie wollen es doch überhaupt nicht.
Dann kommt der nette baden-württembergische Ministerpräsident und sagt etwas über Subventionsabbau. Dabei meint er immer nur die Kohle. Dann plädiert er hier dafür, daß wir Steuersubventionen, die wir gestrichen haben, wieder rückgängig machen. Herr Kollege Teufel, Sie haben zwar Beifall erhalten, aber das ist wirklich schofel, was Sie hier betrieben haben.
Meinen Sie denn, wenn Sie immer wieder sagen, die Kohlesubventionen müßten auf Null gesetzt werden, dann würden Sie viele tausend Arbeitsplätze schaffen?
- Sie sprechen fast wöchentlich über den Abbau der Kohlesubventionen. Das ist in allen Zeitungen nachzulesen. Meinen Sie, Sie würden dann viele Arbeitsplätze schaffen? Sie schlagen dann vor, Zigtausende von Arbeitsplätzen zu beseitigen. Wer dieses eine vorschlägt, aber dann, wenn in seinem Land einmal Subventionsabbau erfolgt, hier so argumentiert wie Sie, der ist total unglaubwürdig.
Aber es geht mir gar nicht um Sie, Herr Teufel. Es geht mir um Sie, meine Herren von der Regierungsbank. Herr Kollege Waigel und Herr Bundeskanzler, ich will Ihnen etwas erzählen. Wir haben diese lächerlichen 4 Milliarden DM, die wir an Steuersubventionen eingespart haben, mit dem gegenseitigen Versprechen abgebaut, daß keiner dem anderen die Schuld dafür zuschiebt und daß wir diese Entscheidung gemeinsam tragen. Nach dem, was Sie jetzt hier veranstalten, sage ich Ihnen: Sie sind nicht einmal Kerle, die zu gemeinsamen Vereinbarungen stehen. Das ist die Schwäche Ihrer Regierung. Schämen Sie sich doch!
Damit auch die Bemerkung des Kollegen Spöri zum Risikokapital und Ihre Erwiderung darauf richtig eingeordnet werden, zitiere ich die „Süddeutsche Zeitung" vom 6. Februar 1996:
Noch sieht es aber duster aus in der Bundesrepublik Deutschland. Betrug das in junge Technologiefirmen investierte Wagniskapital 1994 laut
Jantz in den USA 4,1 Milliarden DM, so waren es
in der Bundesrepublik ganze 40 Millionen DM .. .
Deshalb hatte der Kollege Spöri recht, als er gesagt hat: Sie reden zwar viel von Risikokapital, aber es ist nichts gelaufen. Über Risikokapital steht auch wieder etwas in Ihrem Papier, aber die Bilanz ist wirklich äußerst schwach.
Nun komme ich zur Arbeitsmarktpolitik. Ich will Ihnen etwas zu Ihren Irrtümern der 80er Jahre, zu Ihrem Kampf gegen die Arbeitszeitverkürzung, sagen, den Sie hier teilweise angesprochen haben. Sie legen hier immer stolze Statistiken vor. Es sind in einer Statistik zum Beispiel die Erwerbspersonen sichtbar. Ich muß Sie darauf aufmerksam machen: Diese Statistik besagt nichts mehr. Das müssen Sie jetzt wirklich akzeptieren. Sie müssen wissen, was im Lande los ist. Die Zahl der Erwerbstätigen sagt nichts mehr über die wirkliche Situation in unserem Lande aus. Warum? Wir müssen dazusagen, wieviel Teilzeitarbeitsplätze entstanden sind, und wir müssen dazusagen, wieviel davon sozialversicherungspflichtig sind. Wir müssen auch dazusagen, wieviel davon Kündigungsschutz haben. Wir müssen wieder die soziale Lage der Menschen begreifen, und wir dürfen uns nicht an Statistiken erfreuen, die im Grunde genommen keine präzise Auskunft geben.
Ich habe Ihnen schon ein paarmal gesagt, daß Sie mit Ihrem hausväterlichen Veto gegen Arbeitszeitverkürzungen völlig falsch lagen. Sie haben Ihre Meinung jetzt Gott sei Dank korrigiert. Sie sprechen jetzt von Teilzeitarbeit. Wir sind ja bereit, Ihnen ein anderes Wort einzuräumen.
Sie reden von Überstundenabbau. Ist es nicht ein Skandal, wenn die Arbeitslosen in diesem Lande, von denen ich rede, sehen: Millionen sind arbeitslos, und es werden gleichzeitig 2 Milliarden registrierte Überstunden geleistet? Ist das nicht ein Skandal unserer Gesellschaft?
Der DGB hat zu Recht darauf hingewiesen - auch Sie gehen ja in die Betriebe -, daß nicht alle Überstunden registriert und bezahlt werden. Deshalb komme ich auf den Hinweis auf die Solidarität, der in einigen Ihrer Grundsatzpapiere aufgetaucht ist, zurück. Ich weiß, daß Sie darüber diskutieren. Ich will mich darüber gar nicht mit Häme verbreiten. Sie müssen bei dem Ansatz der Gewerkschaftsbewegung das Solidarische erkennen. Hierbei geht es darum, durch Freizeitausgleich anderen die Möglichkeit zu geben, einen Erwerbsarbeitsplatz zu finden. Das ist eine hervorragende Aufgabe unserer gesam-
Ministerpräsident Oskar Lafontaine
ten Gesellschaft, die Sie nicht weiter blockieren oder diskreditieren sollten.
Ich sage hier ganz klar: Wenn das Ganze auf tarifvertraglichem Weg nicht geht, dann wäre es erfreulich, wenn auch Abgeordnete Ihrer Fraktion sagen: Dann muß der Gesetzgeber etwas tun. Genau darauf zielt die Initiative der SPD-Fraktion. Nun können Sie sagen: Das ist zu weitgehend. Dann machen Sie doch einen Kompromiß, statt immer nur darüber zu reden und nicht zu einem Ergebnis im Interesse der Arbeitslosen zu kommen.
Es ist interessant, daß in Ihrem Bericht auch etwas über die Lohnquote und die Entwicklung der Unternehmereinkommen steht. Da immer wieder von Lohnzurückhaltung geredet wird, möchte ich Ihnen zwei Voten zur Kenntnis bringen, die Sie vielleicht überraschen. Zum einen das Votum des Generaldirektors des englischen Industriellenverbandes CBI:
Es kann nicht in unserem Interesse liegen, daß sich der Trend sinkender Löhne und Gehälter am Volkseinkommen unbegrenzt fortsetzt. Zwar habe man oft ... „auf den Tisch gehauen". Doch heute sehe man in einem erneuten Anstieg der Realeinkommen kaum noch Risiken.
Der Präsident des Keidanren, des berühmten japanischen Wirtschaftsdachverbandes, sagt, er kritisiere die Nullrundenforderung des Arbeitgeberverbandes, da sie die Binnennachfrage nicht stabilisiere.
Zu den ungezählten Nullrundenforderungen, die ich von Ihnen bereits gehört habe, sage ich - ich will das durchaus ökonomisch formulieren; vielleicht erreicht man Sie ja damit -: Wenn Sie die Arbeitnehmer schon nicht mehr am Zuwachs des Produktivvermögens beteiligen wollen - obwohl Sie in diese Richtung wieder einige Absichtserklärungen abgegeben haben; ich würde gerne darauf eingehen -, dann verweigern Sie ihnen nicht auch noch die Beteiligung am Zuwachs der Produktivität.
Dies ist nicht nur sozial unvertretbar; es ist auch ökonomisch schlicht falsch, wie Sie in vielen Lehrbüchern der Nationalökonomie nachlesen können.
Wir haben im übrigen gerne gehört, Herr Bundeskanzler, daß Sie hier gesagt haben, Sie wollten nicht den Thatcherismus. Ich will auch gerne einräumen, daß wir noch nicht soweit sind; denn der Thatcherismus war ja so erfolgreich nicht. Man muß ja nur das Urteil der internationalen Finanzmärkte sehen.
- Ja, man muß ja nur das Urteil der internationalen Finanzmärkte sehen. - Aber was Sie in den letzten Jahren an sozialem Abbau vorgeschlagen haben, übersteigt nach unserer Auffassung das Maß des Vertretbaren und Ausgewogenen angesichts der
Verteilung von Vermögen und Einkommen in dieser Republik.
Wenn hier die Redner der Koalition die Wichtigkeit der Senkung der Vermögensteuer noch einmal beschwören - man faßt sich manchmal an den Kopf -: Graf Lambsdorff, vielleicht wissen Sie noch, daß wir gerade wegen des Arguments der Substanzsteuern vor einiger Zeit die Vermögensteuer durch die Übernahme der Bilanzwerte erheblich zugunsten der Betriebe reformiert haben. Aber vielleicht ist das alles schon vergessen in diesem - -; na ja, ich will mich mäßigen.
Wenn ich dann sehe, verehrter Graf Lambsdorff, daß Sie in Ihrem Paket zur Förderung von Wachstum, Beschäftigung und sozialer Gerechtigkeit in diesem Lande ernsthaft die Vermögensteuer abschaffen wollen, die Arbeitslosenbeiträge senken wollen, die Arbeitslosenhilfe senken wollen, die Sozialhilfe kürzen wollen, und wenn ich dann noch in den Nachrichten höre, daß jetzt die 100 DM für die alten Leute gestrichen werden sollen, dann kommt mir das Kotzen. Ich muß das einmal so klar sagen.
Deshalb, meine Damen und Herren: Wir hätten gerne konkrete Vorschläge zur Senkung der gesetzlichen Lohnnebenkosten gehört. Sie haben in Ihrem Paket gepfuscht. Wir wären darauf eingegangen.
Wir hätten gerne konkrete Vorschläge etwa zum Steuertarif 2000 gehört. Ein Problem, dessen Lösung ich immer wieder angemahnt habe, ist der viel zu hohe Eingangssteuertarif, der ein Anreiz zur Schwarzarbeit ist. Aber Sie sind zu feige, zu den bescheidenen Vereinbarungen zu stehen, die wir zum Steuersubventionsabbau getroffen haben. Sie haben das hier gerade wieder gezeigt.
Wir sind zusammen mit den Grünen und einigen aus Ihrer Fraktion - sogar einer ganz beachtlichen Anzahl - der Überzeugung, daß eine ökologische Steuerreform das Richtige wäre, um den großen Weltmarkt des Umweltschutzes für die deutsche Wirtschaft weiter in Anspruch zu nehmen.
Wir sind der Auffassung, daß die Gemeinden wieder investitionsfähig gemacht werden müssen. Wir bieten hier noch einmal konkrete Entscheidungen an.
Wir sind der Auffassung, daß das, was Ihr Innenminister zur Entlastung der Verwaltungshaushalte in Bund, Ländern und Gemeinden vorgeschlagen hat, unzureichend ist, weil drei wesentliche Forderungen nicht berücksichtigt worden sind, nicht einmal die zeitliche Befristung von Führungsaufgaben, weil man das mit Erprobung regeln will. Das ist zuwenig. Die Länder sind da informierter und haben die besseren Vorschläge.
Ministerpräsident Oskar Lafontaine
Ich wäre also gerne auf Ihr Angebot eingegangen, Herr Bundeskanzler. Im Ton war das durchaus in Ordnung. Man hat Ihnen ja Betroffenheit angemerkt, daß in dieser Republik über 4 Millionen Menschen arbeitslos gemeldet sind und noch viel mehr Arbeit suchen. Aber Ihr Angebot ist unzureichend und ist nicht geeignet, die Probleme zu lösen.
Das Wort hat der Kollege Dr. Wolfgang Schäuble, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich würde, Herr Ministerpräsident Lafontaine, gerne an den Anfang Ihrer Rede anknüpfen, weil ich in der Tat glaube - wie der Bundeskanzler gesagt hat und wie Sie das am Anfang in der Tonart auch aufgenommen haben -, bei dem Stand der Arbeitslosigkeit von über 4 Millionen sollten wir bei allem Streit, bei aller Leidenschaft, manchmal auch Freude am Streit, doch in der Art, im Stil, in der Tonart und in der Sache nicht den Eindruck erwecken, als ginge es uns um den Streit. Es geht uns darum, bessere Lösungen zu erreichen, und dazu brauchen wir viel Gemeinsamkeit.
Bei dem Wirtschaftstreffen in Davos am vergangenen Wochenende, bei dem vieles diskutiert worden ist, sind die Deutschen von allen Teilnehmern aus den anderen europäischen Ländern und aus Übersee darum beneidet worden, daß es der Regierung gelingt, mit Wirtschaft und Gewerkschaften einen Dialog zustande zu bringen sowie gemeinsame Ziele im Kampf um die wirtschaftliche Belebung und im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit zu setzen. Deswegen sollten wir alles daransetzen, daß wir auf diesem Weg weiter vorankommen. Dazu brauchen wir auch die Länder und Gemeinden.
Weil Sie davon gesprochen haben: Ist das nun ein Angebot? Oder ist es so, wie wir gesagt haben: Die SPD stört dabei? Debatten - gerade, wenn man sie jede Woche führt - kann man ja dazu nutzen, daß man das eine oder andere klärt. Ich habe mich darauf bezogen, daß wir aus der Presseberichterstattung, aber auch darüber hinaus den Eindruck haben, daß die Führung der SPD die Führung der Gewerkschaften dafür kritisiert hat, daß sie mit der Regierung und der Wirtschaft in einen konstruktiven Dialog eingetreten ist.
Meine Bitte wäre, daß Sie das nicht fortsetzen.
Ich will Ihnen gerne vorlesen, was der DGB-Vorsitzende Schulte in der vergangenen Woche vor unserer Fraktion dazu gesagt hat. Auf die Frage angesprochen - am Tag zuvor hat es bei der Gründung des Gewerkschaftsrats offenbar ziemlichen Krach gegeben; Sie waren, wie man lesen kann, vorher auch entsprechend nervös -, hat Herr Schulte gesagt:
In der letzten Woche ist ja von mehr oder weniger sachkundigen Beobachtern sehr viel Kritisches gesagt worden. Ich frage mich, wie denn die Kritik ausgefallen wäre, wenn wir uns auf nichts verständigt hätten oder gar im Streit auseinandergegangen wären.
Weiter hat er gesagt:
Wir brauchen in diesem Land positive Signale dafür, daß diejenigen, die an hervorragender Stelle Verantwortung für Wachstum und Arbeitsplätze tragen, sich auf gemeinsame Ziele verständigen.
Das ist im Kanzlerbungalow geschehen, und das sollte man nicht stören, sondern das sollte man unterstützen und fördern und ausnützen.
Nun haben Sie gesagt, es lägen keine Konzepte vor, und deswegen könne man darauf auch nicht eingehen. Dann haben Sie ein paar Punkte angesprochen, bei denen wir unterschiedlicher Meinung sind. Das kann man austragen; darüber kann man diskutieren. Ich möchte gerne festhalten, daß Sie gesagt haben, Sie seien zum Zusammenwirken bereit: im Bundestag, soweit wir Grundgesetzänderungen bräuchten - Beteiligung der Kommunen an der Mehrwertsteuer -, und im Bundesrat. Aber Sie können in der Steuerpolitik nicht sagen, das Konzept liege nicht auf dem Tisch. Das Konzept liegt seit einem Jahr auf dem Tisch. Sie haben ihm bisher nicht zugestimmt.
Ich würde gerne noch einmal für die Argumente werben, warum die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer jetzt zwingend notwendig ist. Sie sollten Ihre Position vielleicht insoweit überprüfen.
Es geht nicht nur darum, daß wir in den neuen Ländern zum 1. Januar nächsten Jahres die Gewerbekapitalsteuer einführen müßten, was für den wirtschaftlichen Aufbau in den neuen Bundesländern nun wirklich absurd wäre.
Vor allen Dingen ist folgendes Argument zu nennen, Herr Ministerpräsident Lafontaine. Wir sprechen alle viel von Finanzmärkten, der Flüchtigkeit von Kapital, der Globalisierung von Märkten, davon, daß wir mit jedem Standort in der Welt in unmittelbarer Konkurrenz stehen, daß die Entfernungen an Bedeutung verloren haben und daß sich das Kapital seine Anlagemöglichkeiten dort sucht, wo sie am günstigsten sind. Wenn dies richtig ist - das werden Sie nicht bestreiten -, dann müssen wir fragen: Ist die Investition von Kapital in Deutschland teurer als anderswo? Durch die Gewerbekapitalsteuer - übrigens auch durch die betriebliche Vermögensteuer - ist sie in Deutschland teurer als anderswo. Deswegen schadet die Gewerbekapitalsteuer den Investitionen und damit den Arbeitsplätzen in Deutschland. Deswegen muß sie weg.
Dr. Wolfgang Schäuble
Weil das Handwerk diesen Zusammenhang erkannt hat - natürlich ist die Gewerbeertragsteuer für das Handwerk wichtiger als die Gewerbekapitalsteuer; deswegen haben wir auch gesagt, daß nicht nur die Gewerbekapitalsteuer abgeschafft, sondern auch die Gewerbeertragsteuer gesenkt werden muß -, daß ohne Investitionen und ohne industrielle Produktion auch das Handwerk in Deutschland Not leidet, hat es sich wie die meisten anderen Wirtschaftsverbände und übrigens auch einige der Ministerpräsidenten, zum Beispiel Herr Schröder, Ihr wirtschaftspolitischer Sprecher, für die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer ausgesprochen.
Meine herzliche Bitte ist: Lassen Sie uns nicht mehr streiten! Ich argumentiere wirklich und lege unsere Meinung dar. Wir müssen miteinander reden. Vielleicht warten wir die Landtagswahlen ab, weil damit jeder andere Gedanken verbindet. Wenn wir dann zusammensitzen und uns einigen müssen, dann lassen Sie uns die Gewerbekapitalsteuer abschaffen, weil wir mit ihr Investitionen verhindern!
Wir haben in den letzten drei Sitzungswochen immer über dasselbe Thema diskutiert. Ich will Ihnen daher noch zu einem anderen Punkt meine Meinung sagen: Sie haben das Thema Energiesteuer im Zusammenhang mit Umschichtungen, sozialversicherungsfremden Leistungen und direkten und indirekten Steuern angesprochen. Dabei sprechen Sie immer meinen Freund Hans-Peter Repnik an; Sie können aber auch mich ansprechen, denn wir sind genau derselben Meinung.
- Frau Fuchs, vielleicht tauschen wir wirklich einmal Argumente aus. Das ist sehr wichtig, und die Menschen erwarten von uns, daß wir um die besseren Argumente ringen, aber dann auch gemeinsam handeln.
- Nein, wir sind derselben Meinung. Ich bleibe dabei.
Ich glaube, daß Theo Waigel und Michel Glos derselben Meinung sind, daß wir langfristig, wie es im Jahreswirtschaftsbericht steht, das Verhältnis von direkten zu indirekten Steuern korrigieren müssen. 50 Prozent direkte zu 50 Prozent indirekte Steuern ist ein besseres Verhältnis als 60 Prozent zu 40 Prozent; letzteres ist leistungs-, investitions- und arbeitsplatzfeindlich.
Ich bleibe dabei, daß wir den Verbrauch von Energie im Verhältnis zur Arbeit relativ stärker belasten und Arbeit von Kosten entlasten müssen. Ich bleibe dabei, ich habe das immer gesagt.
- Ich sage es Ihnen doch gerade, und ich habe es Ihnen schon ein paarmal gesagt. Herr Fischer, eine Sekunde, ich bin gerade dabei zu begründen, warum.
Wir haben im letzten Jahr bei der Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage und bei der Verschärfung des Wettbewerbs um Investitionen und Arbeitsplätze in Europa innerhalb der Koalition und der Regierung darüber diskutiert und sind zu dem Ergebnis gekommen, daß wir jetzt, weil der Standort Deutschland nicht nur durch höhere Lohn- und Bürokratiekosten, sondern auch durch höhere Energiekosten im europäischen Vergleich belastet ist, die Energiepreise nicht in einem nationalen Alleingang weiter verteuern dürfen. Das ist unser Argument.
Wir würden sonst den Prozeß der Abwanderung von Investitionen und Arbeitsplätzen, die überwiegend in das westeuropäische Ausland abwandern, weiter verschärfen. Das tut weh, das sind schwierige Abwägungsprozesse.
Aber ich glaube, es ist richtig, wenn wir dabei bleiben, uns darauf zu konzentrieren, europaweit zu einer Harmonisierung der Energiebesteuerung zu kommen und in einer europaweiten Initiative zu sparsamerem Energieverbrauch anzuregen.
Deswegen - wenn ich das bei dieser Gelegenheit sagen darf - tut es mir sehr leid, daß Sie sich gegenüber Ihrem baden-württembergischen Landesverband nicht durchgesetzt haben. Ich finde es wirklich unverantwortlich, wenn jetzt Stimmung gegen die europäische Einigung gemacht wird. Was Sie an Plakaten in Baden-Württemberg kleben, spricht auf die billigsten Instinkte und Ressentiments an.
Das sollten Sie nicht machen.
Ich will Aussagen von Herrn Verheugen zitieren: Einen plumpen D-Mark-Nationalismus im Wahlkampf der baden-württembergischen SPD hat der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Günter Verheugen, kritisiert. Die Forderung, die Europäische Währungsunion zu verschieben, sei ein billiger Versuch, die Zustimmung der Wähler zu bekommen, sagte der Politiker während einer Diskussion am Mittwoch im Eifelort Bitburg. - Meine Damen und Herren, hören Sie in diesem Fall vielleicht einmal auf Herrn Verheugen.
Ich will begründen, warum es in diesem Zusammenhang so wichtig ist. Wir werden die notwendigen Harmonisierungen bei den Lohnkosten - auch die Entsenderichtlinie ist nur eine Krücke, ein Übergangsinstrument, besser wäre eine europaweite Regelung -, im Umweltschutz und bei der Besteuerung des Energieverbrauchs nicht erreichen, wenn wir an den getroffenen Vereinbarungen - der Maas-
Dr. Wolfgang Schäuble
tricht-Vertrag ist eine getroffene Vereinbarung - nicht festhalten.
Wer Verschiebung sagt, meint Aufkündigung des Maastricht-Vertrags. Das ist der falsche Weg. Nein, wir sollten darauf setzen, daß wir in der europäischen Einigung weiter vorankommen, und wir sollten nicht die Widerstände unserer Bevölkerung dagegen schüren, sondern wir sollten gemeinsam unbestreitbar noch vorhandene Verunsicherungen abbauen. Das ist wichtiger als Wahlkampfinteressen.
Ich will in diesem Zusammenhang den anderen Punkt auch ansprechen, nämlich das Thema der versicherungsfremden Leistungen. Herr Lafontaine, unsere Antwort ist eindeutig. Der Bundeskanzler hat sie in dieser Debatte noch einmal gegeben.
Die jetzige Staatsquote ist zu hoch, die jetzige Steuer- und Abgabenquote ist zu hoch. Die Gründe sind bekannt. Wir haben in den 80er Jahren die Staatsquote von über 50 Prozent auf unter 46 Prozent gesenkt, und sie ist durch die historisch einmalige Situation nach der Wiedervereinigung, angesichts der Aufgabe, in kurzer Zeit die Folgen von 40 Jahren Teilung und Sozialismus zu überwinden, wieder auf 50 Prozent gestiegen. Sie muß gesenkt werden.
Solange sie so hoch ist und solange der Widerstand gegen die zu hohen Steuern und Abgaben, einschließlich der Kommunalabgaben, da ist - alles zusammen; der Bürger unterscheidet da nicht, da er aus seinem Geldbeutel bezahlt -, sollten wir nicht den Eindruck erwecken, wir würden über neue Steuererhöhungen reden. Jede Umschichtung wird uns in der Wahrnehmung der Bürger ohnehin zu einer Steuererhöhungsdebatte verkommen.
Natürlich gibt es auch in meiner Fraktion viele Überlegungen zu sozialversicherungsfremden Leistungen, wobei man darüber streiten kann, was darunter zu verstehen ist. Da rate ich ein wenig zu Zurückhaltung.
Die sozialen Institute sind in Wahrheit alle Instrumente organisierter, institutionalisierter Solidarität, was immer heißt, daß Stärkere für Schwächere eine Leistung im Rahmen der Rentenversicherung, der Krankenversicherung, der Arbeitslosenversicherung erbringen. Wenn es nur eine Versicherung des „just retour" wäre, was bedeutet, daß man seine Beiträge zurückbekommt, wäre es kein Solidarsystem. Deswegen ist die Sache mit den versicherungsfremden Leistungen komplizierter.
Aber selbst wenn, sage ich: Wir haben uns in der Abwägung der Argumente zu der Überzeugung durchgerungen, daß es richtiger ist, jetzt nicht den Eindruck zu erwecken, wir würden in der Anstrengung, zu Einsparungen zu kommen, nachlassen und den bequemeren Ausweg über Steuererhöhungen suchen.
Das scheint ja offenbar auch die Meinung Ihrer Gesprächspartner aus Wirtschaft und Gewerkschaften gewesen zu sein, Herr Bundeskanzler; denn in dem Papier, das nach der Runde im Kanzlerbungalow am 23. Januar veröffentlicht worden ist, haben ja Bundesregierung und Spitzenrepräsentanten der Wirtschaftsverbände und der Gewerkschaft gemeinsam das Ziel definiert, bis zum Jahr 2000 den Sozialversicherungsbeitrag unter 40 Prozent zu drücken.
Das muß durch Einsparungen und nicht durch Umschichtungen erreicht werden. Das kann auch durch Einsparungen erreicht werden, und das ist notwendig.
Was den Vorruhestand angeht, so haben Sie angeboten, daß Sie da mitmachen. Vertrauensschutz für die, die schon im Vorruhestand sind. Darüber kann man reden; das ist auch unsere Position. Ich glaube, darüber können wir uns einigen.
Zur Krankenhaus- und Krankenkassenreform, Herr Ministerpräsident Lafontaine, haben Sie gesagt, daß der ambulante Bereich nicht vom Krankenhausbereich abgetrennt werden soll. Dazu sage ich - trotz Ihrer großartigen Rede, Herr Ministerpräsident Teufel, muß ich es einmal sagen -: Alle Ministerpräsidenten waren in den letzten zehn Jahren - da waren Sie noch gar nicht Ministerpräsident, deswegen trifft es Sie nicht unmittelbar persönlich -, wenn es darum ging, nicht nur im ambulanten Bereich der gesetzlichen Krankenkassen zu sparen, sondern auch im Krankenhausbereich, gelegentlich ein wenig zögerlich. Der CSU-Vorsitzende schmunzelt jetzt etwas; er ahnt gar nicht, wen ich meine.
Herr Lafontaine, im Krankenhausbereich ist der größte Nachholbedarf.
Es muß schnell gehandelt werden. Meine Bitte ist: Nehmen Sie das nicht als den Versuch, Sie über den Tisch zu ziehen, sondern als Versuch, im Krankenhausbereich nachzuholen, was seit den 80er Jahren wegen des Widerstandes der Länder nicht erreicht worden ist.
Aber auch im ambulanten Bereich muß eingespart werden.
- Ja, es müssen Betten abgebaut werden. Wissen Sie, Herr Ministerpräsident Lafontaine, es ist für mein Verständnis im zweiten Teil Ihrer Rede wieder ein bißchen schwierig geworden. Natürlich bin ich bei Ihrem Angebot, über alles zu reden, in Versuchung geraten, darauf einzugehen und Argumente auszutauschen. Aber wenn es darum geht, über Einsparungen zu reden, verfallen Sie in eine Sprache, die jeden Versuch der Konsolidierung in einer Weise dif-
Dr. Wolfgang Schäuble
famiert, die ich wirklich nur demagogisch nennen kann.
Wenn wir die Staatsquote, die Steuer- und Abgabenquote senken wollen, wenn wir die Sozialversicherungsbeiträge senken wollen
- dann müssen wir die Arbeitslosigkeit bekämpfen, natürlich, davon rede ich -, dann müssen wir, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, eben auch die Kosten senken, und das geht nicht ohne Einsparungen. Deswegen darf man zum Beispiel die Sozialhilfereform nicht so diffamieren. Wir wollen bei der Sozialhilfereform niemandem etwas wegnehmen, sondern wir wollen denjenigen, die mit einer geringer bezahlten Arbeit einen Teil hinzuverdienen, mit einer geringeren Verrechnung eine größere Möglichkeit geben.
Aber wir wollen denjenigen einen Abzug zumuten, die eine angebotene Arbeit ablehnen, weil jeder, wenn er arbeitet, mehr haben muß, als wenn er nicht arbeitet.
Wir müssen die Krankenkassenreform machen, und wir müssen bei der Rente den Beitragsanstieg begrenzen. Wir sollten übrigens aufhören, der älteren Generation einzureden, die Renten seien nicht sicher. Diese sind überhaupt nicht von den Debatten betroffen, die wir führen. Die Renten aller derjenigen, die in Rente sind, sind und bleiben sicher. Es geht lediglich darum, den Beitragsanstieg zu begrenzen.
Ich verstehe wirklich nicht, warum Sie gegen die BAföG-Reform sind. Daß Studenten, wenn sie aus Mitteln der Steuerzahler eine akademische Ausbildung finanziert bekommen haben, drei Jahre nach Abschluß dieser Ausbildung, wenn sie einen Arbeitsplatz haben, der dieser Ausbildung entspricht, sie also damit zu den überdurchschnittlich Verdienenden gehören, die Zinsen auf den Darlehensanteil ihrer Ausbildung übernehmen und wir diese Mittel nutzen, um mehr Hochschulen zu bauen, finde ich richtig, wenn es darum geht, in die Zukunft zu investieren. Ich würde Sie herzlich bitten, die Blockade aufzugeben.
Sie haben die Arbeitszeitverkürzung noch einmal angesprochen und den Bundeskanzler kritisiert. Das dürfen Sie, aber wenn es zu Unrecht geschieht, muß man es widerlegen. Letzte Woche haben Sie Amerika als Beispiel genannt. Das haben Sie heute nicht getan; das war auch gescheiter. Aber eines ist nicht zu übersehen, Herr Lafontaine: Wenn man Länder vergleicht, die in einem Zehnjahreszeitraum das gleiche wirtschaftliche Wachstum hatten, hat Deutschland mit der niedrigsten Jahresarbeitszeit die gering sten Auswirkungen von Wachstum auf die Beschäftigung, und die Länder mit höherer Arbeitszeit haben eine viel stärkere Auswirkung von Wachstum auf Beschäftigung. Deswegen glauben wir, daß Arbeitszeitverkürzungen der falsche Weg sind, um mehr Arbeitsplätze zu schaffen.
Ich sage es noch einmal - meine Kollegen Michael Glos, Erwin Teufel und Wolfgang Gerhardt haben in der Debatte davon gesprochen -: Wenn wir bessere Chancen haben wollen, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, bleibt Wirtschaftswachstum unverzichtbar. Wirtschaftswachstum - und damit mehr Arbeitsplätze - erreichen wir aber nur, wenn wir an der Spitze des technischen Fortschritts bleiben. Wir werden nur in den Bereichen besonders anspruchsvoller technologischer Produktion und Produkte wettbewerbsfähig bleiben. Deswegen ist die Blockade technologischer Erneuerung Gift für die Arbeitsplätze in unserem Land; sie sollte nicht fortgesetzt werden.
Deswegen ist es so richtig, daß die Bundesregierung ein ganzes Bündel an Vorschlägen beschlossen hat - ich hoffe sehr, daß der Bundesrat sie nicht blok-kiert -, und zwar zur Verwaltungsvereinfachung und zu schlankeren Genehmigungsverfahren. Wir wollen den Investoren Genehmigungsverfahren zur Verfügung stellen, mit denen sie selber für die Einhaltung der Vorschriften die Haftung übernehmen, so daß sie sofort bauen können und hinterher erst geprüft wird, ob die Vorschriften auch eingehalten sind, weil bei uns die Genehmigung öffentlicher wie privater Investitionen zu lange dauert. Das ist ein schwerer Nachteil für den Standort Deutschland. Er muß geändert werden; die Vorschläge der Regierung sind dazu geeignet. Der Bundesrat sollte zustimmen.
Ich habe davon gesprochen, daß wir unter allen Umständen unsere Wettbewerbsfähigkeit behalten müssen. Daß heißt, wir müssen bei den Kosten, auch bei den Lohn- und Lohnzusatzkosten, bei den Energiekosten, kurzertreten. Sonst werden wir nicht mehr Arbeitsplätze schaffen.
Ich sage noch einmal: Alle Bemühungen um mehr wirtschaftliches Wachstum in der Industrie alleine werden uns die nötigen Arbeitsplätze nicht bringen. Deswegen ist es so richtig, daß sich das Sofortprogramm der Regierung für Wachstum und Beschäftigung auf die Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen konzentriert, daß das Programm Möglichkeiten vorsieht, die Existenzgründung zu fördern, aber auch kleine Betriebe in der ersten Phase nach der Gründung zu fördern. Es sieht Möglichkeiten vor, die Kapitalzuführung, Fremdkapital wie Eigenkapital, für kleine und mittlere Unternehmen in der Expansionsphase voranzubringen, den Kapitalmarkt insgesamt beweglicher zu machen.
Im übrigen, Herr Lafontaine, ist es nicht wahr, daß nichts geschehen ist. Ich könnte Ihnen ein ganzes
Dr. Wolfgang Schäuble
Bündel von Maßnahmen zur Verbesserung der Attraktivität des Finanzdienstplatzes Deutschland nennen, die wir in den letzten Jahren in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht und durchgesetzt haben. Aber wir müssen auf dem Weg weiter voranschreiten. Wir müssen den tertiären Bereich, also den Bereich von Dienstleistungen aller Art, viel stärker für reguläre Arbeitsplätze erschließen, wenn wir angesichts der Revolution in der Kommunikationstechnik eine Chance für Vollbeschäftigung in der Zukunft haben wollen.
Wissen Sie, ich bin zur Zeit im Wahlkampf in Rheinland-Pfalz. Ich wundere mich immer, wenn ich höre, daß der dortige SPD-Ministerpräsident sagt, er sei dafür, private Haushalte als Arbeitgeber steuerlich anzuerkennen. Ich habe nachgeschaut: Im Juni letzten Jahres ist unser Gesetz mit der Stimme dieses Ministerpräsidenten im Bundesrat blockiert worden; Sie haben es abgelehnt. Aber wenn Sie jetzt auf dem Weg sind, hier eine vernünftige Regelung mitzutragen, dann lassen Sie uns das endlich schnell machen. Werfen wir uns doch hier gegenseitig nichts vor.
- Gut, darüber können wir reden. Wenn es nicht mehr „Dienstmädchenprivileg" heißt, sondern eine vertiefte Sachdiskussion geführt wird, Herr Lafontaine, können wir schnell zu einem Ergebnis kornmen; denn wir haben zu viel Zeit verloren, Zeit,
die wir gar nicht mehr haben. Wir sollten uns jetzt nicht gegenseitig dafür verantwortlich machen.
Der Bundesrat hat in vielen Bereichen schon blokkiert. Auch wir in der Koalition brauchen manchmal lange. Die Widerstände in der Öffentlichkeit, Herr Scharping, gegen jede Veränderung sind ungeheuer groß;
denn die Gewöhnung an Besitzstände ist sehr stark. - Aber nein, machen Sie es sich doch nicht so einfach; Sie wissen es selber. Ich achte ja sehr genau darauf. Ich kann Sie im übrigen gut verstehen. Ich würde es wahrscheinlich, wenn ich in der Opposition wäre, genauso machen.
Sie machen keinen einzigen konkreten Vorschlag, wohlwissend, daß jeder, der konkrete Vorschläge macht, sofort in der Öffentlichkeit zerrissen wird. Deswegen: Lassen Sie uns doch ehrlich sein!
Wir haben unsere Vorschläge gemacht, Wirtschaft und Gewerkschaften machen mit, Länder und Gemeinden sind aufgefordert, in die gleiche Richtung zu gehen. Das alles - ich sage es noch einmal - wird nur zu einem guten Erfolg führen, wenn wir in die europäische Einigung eingebunden bleiben, auch in die Unumkehrbarkeit der wirtschaftlichen Einigung Europas.
Deshalb sollten wir diesen Unfug, den Herr Spöri da in Baden-Württemberg macht, nun endlich lassen. Das ist wirklich unter dem Niveau einer verantwortungsvollen Debatte.
Wir sollten uns statt dessen auf die Frage konzentrieren, wie wir mit dem Problem der Beschäftigung fertigwerden,
ob wir bei den guten materiellen Möglichkeiten, die wir in diesem Lande haben, den Menschen angesichts dramatischer Veränderungen, die sich nicht nur durch die Wiedervereinigung in unserem Lande, sondern auch weltweit vollziehen, eine Perspektive der Hoffnung lassen, daß sie nicht dauerhaft arbeitslos sind. Das ist eine Frage, die nicht nur für die Akzeptanz der Sozialen Marktwirtschaft eine wichtige Bedeutung hat, sondern die auch für die innere Stabilität unseres Landes relevant ist.
Deswegen finde ich, wir sollten uns, wenn wir den Jahreswirtschaftsbericht an dem Tag lesen, an dem eine bittere Zahl von Arbeitslosen durch die Bundesanstalt in den Medien veröffentlicht werden mußte, gemeinsam vornehmen: Wir tun alles, was in unserer Kraft steht, um bessere Ergebnisse im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit zu erzielen.
Die CDU/CSU-Fraktion ist dazu bereit.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Schreiner.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will ein paar Argumente des Kollegen Schäuble aufgreifen, der auf die unerträglich hohen Lohnnebenkosten hingewiesen hat. Es gibt im übrigen niemanden in diesem Haus, der das Problem der Lohnnebenkosten mit Diffamierungen belegt, wie heute morgen behauptet worden ist. Das Problem der Lohnnebenkosten wird von allen Fraktionen dieses Hauses gesehen, soweit ich die Lage übersehe.
Der Ausgangspunkt der Probleme ist die völlig falsche Finanzierung der deutschen Einheit.
Es gibt seit Frühjahr 1991 eine extrem einseitige Belastung der bundesdeutschen Bevölkerung. Wir finanzieren die Transferleistungen der deutschen Einheit nach wie vor in hohem Maße über die Sozialversicherungsbeiträge. Dies ist bis zur Stunde nicht korrigiert worden. Der Bundesverteidigungsminister Rühe hat vor drei Jahren bei einer parallelen Debatte öffentlich von einer Gerechtigkeitslücke in Deutschland gesprochen. Diese Gerechtigkeitslücke ist bis
Ottmar Schreiner
zur Stunde auch nicht annähernd geschlossen worden. Sie ist eher ausgeweitet worden.
Das heißt, wenn man über Lohnnebenkosten redet, Herr Kollege Schäuble, müssen Sie als erstes die Bereitschaft signalisieren, die strukturell falsche Finanzierung der deutschen Einheit in den nächsten Jahren auf andere Beine zu stellen. Das ist der erste zwingende Punkt.
Das, was Sie machen, ist nicht, ein Signal für eine Korrektur der Finanzierung zu geben, sondern Sie verschärfen die Einseitigkeit der Finanzierung. Sie verschärfen sie, indem Sie in dem 50-Punkte-Programm etwa die Abschaffung der Vermögensteuer ankündigen. Meine Güte, wie soll denn ein Arbeitnehmer mit einem Einkommen von 2 000 DM, der nur noch knapp die Hälfte seines Bruttolohnes in der Lohntüte wiederfindet, angesichts der fortwährenden Belastungen der letzten Jahre begreifen, daß in der Hauptsache er die Finanzierungslast der deutschen Einheit trägt und die fehlende soziale Symmetrie der Finanzierung in den nächsten Jahren weiter verschärft werden soll? Das ist überhaupt nicht nachvollziehbar.
Ohne Signale in diese Richtung ist mir völlig unerklärlich, wie Sie das Problem der Lohnnebenkosten in den Griff bekommen wollen.
Zweiter Punkt: Wenn die Bundesregierung - und das ist ihr gutes Recht - jedes Jahr festlegt, in welchem Ausmaß deutschstämmige Aussiedler nach Deutschland kommen, dann müßte die Bundesregierung konsequenterweise auch die Finanzierungslasten regeln. Es geht aber nicht, auf der einen Seite die Kontingente zu bestimmen und auf der anderen Seite zum Beispiel die damit einhergehenden Rentenlasten nicht über den Bundeshaushalt abzuwikkeln, sondern über die Lohnnebenkosten, das heißt über die gesetzliche Rentenversicherung. Auch hier wäre ein dringender Korrekturbedarf erforderlich. Wir haben ein Volumen von rund 11 Milliarden DM Fremdrenten pro Jahr.
Dritter Punkt: Arbeitszeitverkürzung. Die Bundesregierung hat die Arbeitszeitverkürzungen seit 1984 immer wieder mit öffentlichen Diffamierungen zu begleiten versucht.
Herr Kollege Schäuble, Sie wissen sehr genau, daß wir ohne die Arbeitszeitverkürzungen seit 1984 eine Arbeitslosenrate hätten, die um rund 1,2 Millionen Arbeitslose höher wäre, als sie es gegenwärtig ist.
Eine völlig andere Frage ist die notwendige Arbeitszeitflexibilisierung. Hier gibt es seit 1992/93 Tarifverträge, in denen Bandbreiten von Arbeitszeiten festgelegt worden sind, die erstaunlicherweise von den Arbeitgebern nicht in dem Maße in
Anspruch genommen worden sind. Bei Arbeitszeitverkürzungen dürfen Sie übrigens nicht vergessen, daß diese mit einer höheren Arbeitsproduktivität verbunden sind. Deshalb ist es sehr wohl diskussionsfähig, bei Teilzeitarbeit nicht proportional geminderte Einkommen zu zahlen, sondern etwas höhere Einkommen, wenn man die mit Teilzeitarbeit verbundene höhere Arbeitsproduktivität einberechnet.
Falsch ist die Bemerkung des Kollegen Schäuble, der DGB habe gemeinsam mit der Bundesregierung die Rückführung der Sozialabgabenquote auf 40 Prozent bis zum Jahre 2000 vereinbart und gleichzeitig vereinbart, daß die Rückführung über einen entsprechenden Rückbau sozialer Leistungen erfolgen solle. Das ist ausdrücklich falsch. In einer Presseerklärung des DGB vom 30. Januar 1996 heißt es: Die Gewerkschaften werden sich am Dialog mit der Bundesregierung über die vereinbarte Senkung der gesetzlichen Lohnnebenkosten durch Rückführung der Sozialabgabenquote auf 40 Prozent bis zum Jahre 2000 beteiligen mit dem Ziel, die einigungsbedingten Lasten aus Steuermitteln zu finanzieren. Sie können also den DGB nicht für eine Rückführung des Gesamtbeitragssatzes unter 40 Prozent bis zum Jahre 2000 in Anspruch nehmen und gleichzeitig eine Finanzierung durch sozialen Abbau garantieren. Dafür können Sie den DGB nicht in Anspruch nehmen.
Vierter Punkt, zu dem ich einige wenige Bemerkungen machen sollte: Meine feste Überzeugung ist, daß das große Problem der Massenarbeitslosigkeit heute, zu Beginn des Jahres 1996, im wesentlichen auch darauf zurückzuführen ist, daß die Bundesregierung das Problem der Massenarbeitslosigkeit in den letzten Jahren - man kann fast sagen: seit anderthalb Jahrzehnten - nicht ernst genommen hat. Es gab in den 80er Jahren keine einzige Regierungserklärung, in der das Problem der Massenarbeitslosigkeit und der Versuch, Antworten und Lösungen zu finden, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, auch nur Gegenstand solcher Erklärungen gewesen wären.
Die Arbeitslosigkeit in Deutschland erreichte nach meiner Kenntnis zum ersten Mal im Februar 1994 die 4-Millionen-Marke. Im Dezember 1993 kam das Weißbuch der EG-Kommission „Wachstum und Beschäftigung" unter Federführung des damaligen Präsidenten Jacques Delors heraus. Dieses Weißbuch, das auf europäischer Ebene für die nationalen Ebenen herausgegeben wurde und über 200 engbeschriebene Seiten mit Vorschlägen umfaßt, ist von der Bundesregierung in keinem einzigen Punkt aufgegriffen, geschweige denn ernsthaft diskutiert worden -
das immerhin in einer Phase, in der - wenige
Wochen nach dem Erscheinen des Weißbuchs - im
Ottmar Schreiner
Januar/Februar 1994 die 4-Millionen-Grenze bei der Arbeitslosigkeit überschritten wurde.
Die gegenwärtige Problemlage ist also nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß die Bundesregierung die Probleme jahrelang negiert, verdrängt und auf die leichte Schulter genommen hat.
Wir von seiten der SPD-Fraktion haben in den letzten Jahren - das gilt zumindest für den arbeits- und sozialpolitischen Bereich, für den ich spreche, aber auch für den wirtschaftspolitischen Bereich, für den der Herr Kollege Schwanhold spricht - dem Parlament eine Fülle von Gesetzesvorschlägen und Anträgen mit dem vorrangigen Bezug „Bekämpfung der Arbeitslosigkeit" vorgelegt. Sie sind allesamt abgelehnt worden.
- Das können Sie nicht bestreiten, Herr Lambsdorff.
Ich will Ihnen das an einem der allerjüngsten Beispiele verdeutlichen - der Kollege Schäuble hat eben darauf hingewiesen -: Wir haben einen umfänglichen Antrag zur Absenkung der Lohnnebenkosten und der gleichzeitigen Verteuerung der Energiekosten präsentiert. Wir haben vorgeschlagen, in moderaten Schritten über einen Zeitraum von drei Jahren die Energiekosten zu erhöhen und in entsprechendem Maße die Lohnnebenkosten zu verringern. - Sie können uns nicht vorhalten, die SPD-Fraktion habe in diesem Parlament keine Vorschläge zum Umbau bzw. zur alternativen Finanzierung von Sozialleistungen gemacht.
Wir haben nach dem Beispiel Dänemarks gehandelt. Niemand kann sagen, daß der nationale Alleingang Dänemarks, der hinsichtlich der Größenordnungen nicht sehr weit von dem entfernt ist, was wir vorgeschlagen haben, den Industriestandort Dänemark in nennenswertem Maße gefährdet habe.
Wir haben eine Entsenderegelung vorgeschlagen. Der Wirtschaftsminister hat heute morgen die Dreistigkeit gehabt, zu sagen, die SPD wolle mit ihrem Entsendevorschlag die deutschen Grenzen für Ausländer dichtmachen.
Das ist an Dreistigkeit wirklich nicht mehr zu überbieten;
denn unser Gesetzentwurf hat zum Ziel, faire Wettbewerbschancen in Deutschland herzustellen und zu verhindern, daß weitere Hunderttausende von einheimischen Arbeitskräften von ihren Arbeitsplätzen verdrängt werden, weil sie mit einem Stundenlohn von 4 DM, 5 DM oder 8 DM nicht mehr konkurrieren können.
Wir wissen, daß insbesondere im Baubereich eine extrem antieuropäische Stimmung entstanden ist, weil die Leute sagen: Was nützt uns der europäische Binnenmarkt von 1992, wenn es keine sozialen Rahmenregelungen gibt und wir, die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, unter die Räder des Binnenmarkts kommen? - Das fördert Renationalisierungstendenzen und antieuropäische Bestrebungen.
Die F.D.P. hat bis zum letzten dafür gekämpft, eine halbwegs angemessene Regelung in Deutschland zu verhindern, vorneweg Graf Lambsdorff mit dem Argument, das Verhindern der Entsenderichtlinie sei der beste Beitrag zur Zerstörung der deutschen Tarifautonomie. Dies ist so nachzulesen in einer Juli-Ausgabe des „Handelsblatts".
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Grafen Lambsdorff?
Ich wollte sie gerade provozieren.
Verehrter Herr Schreiner, zunächst einmal möchte ich Ihnen die Fähigkeit attestieren, daß Ihnen das gelingt. Das ist Ihnen aber schon immer gelungen. Sie haben mich allerdings auch schon einmal zu sich nach Hause eingeladen; das war sehr freundlich.
Ich habe das in sehr angenehmer Erinnerung.
Ich auch. Das ist keine Frage.
Ich habe immer zwischen reaktionärer Politik und persönlicher Liebenswürdigkeit zu unterscheiden versucht. Das habe ich bis zur Stunde aufrechterhalten.
Herr Schreiner, ich darf Ihnen zunächst bestätigen, daß ich zwischen polemischer Attacke und persönlicher Liebenswürdigkeit zu unterscheiden weiß.
Zweitens darf ich Sie fragen, warum Sie den Bundeswirtschaftsminister dafür kritisieren, daß er gesagt hat, dies sei ein Gesetzentwurf gegen den Zustrom von ausländischen Arbeitnehmern. Man kann darüber diskutieren, ob das richtig oder falsch ist, der Tatbestand aber stimmt doch.
Haben Sie zur Kenntnis genommen, daß sich der jetzt im Vermittlungsausschuß geborene Entwurf keineswegs auf ausländische Arbeitnehmer beschränkt, sondern daß nunmehr auch die Arbeit von mecklenburg-vorpommerschen Schiffahrtsassistenten im Hamburger Hafen durch Entsendegesetz verboten wird?
Graf Lambsdorff, ich habe das Ergebnis des Vermittlungsausschusses sehr wohl zur Kenntnis genommen. Der Wirtschaftsminister aber verwechselt Äpfel mit Birnen. Es geht uns nicht darum, die deutschen Grenzen gegenüber Ausländern dichtzumachen - so die Formulierung am heutigen Vormittag -, sondern darum, für faire Wettbewerbsbedingungen im Inland zu sorgen,
um zu verhindern, daß über Lohndumpingregelungen Hunderttausende von einheimischen Arbeitskräften ihren Arbeitsplatz verlieren. Das ist präzise die Entwicklung der letzten Jahre. Im übrigen gibt es vergleichbare Regelungen seit geraumer Zeit in Frankreich, in Österreich, in Schweden und in den Beneluxländern. Das sind alles Länder, in denen nicht überwiegend Sozialdemokraten regieren. Da gibt es sogar Liberale, die offenkundig wissen, mit welchem Feuer sie spielen, wenn es nicht gelingt, dieser Probleme Herr zu werden.
Ich will einen weiteren Punkt nennen: die Finanzierung der deutschen Einheit über die Lohnnebenkosten. Die F.D.P., Graf Lambsdorff, müßte uns einmal erklären, wieso die Finanzierung der deutschen Einheit im Kern über die Belastung von Leistungseinkommen erfolgt und leistungsfreie Einkommen weitgehend außen vor bleiben. Sie belasten den Faktor Arbeit massiv, mit Lohnnebenkosten von rund 50 Milliarden DM; das sind 3,5 Beitragspunkte zur Sozialversicherung. Wir hätten vergleichsweise geringe Probleme in der Finanzierungsstruktur der sozialen Sicherungssysteme - zumindest in den nächsten Jahren -, wenn es hier nicht zu der ordnungspolitisch schiefen Lösung gekommen wäre. Dann hätten wir vergleichsweise kleinere Probleme, die lösbar wären. Aber die Probleme sind erst entstanden, seitdem ab Frühjahr 1991 erhebliche Teile der einigungsbedingten Lasten über den Faktor Arbeit und damit über Lohnnebenkosten abgewikkelt werden.
Das ist nicht zu bestreiten. Das heißt, Sie belasten - entgegen allen liberalen Äußerungen - den Faktor Arbeit in sehr hohem Maße.
Sie sagen, Sie seien die Partei der Leistungsträger. Aber wo ist denn die Partei der Leistungsträger hingekommen, wenn Sie gerade die Leistungsträger über die Belastung des Faktors Arbeit massiv zur Kasse bitten, während leistungsfreie Einkommen weitestgehend freigestellt werden? Sie wollen die Vermögensteuer ja auf Null bringen. Was hat das mit der Partei der Leistungsträger zu tun? Sie sind hier in einem sehr großen Widerspruch. Man kann eigentlich nur noch vermuten, daß Sie Ihre Wählerklientel bei den großen Vermögensbeziehern, aber überhaupt nicht mehr bei den Leistungsträgern vermuten.
Ich will noch zum Thema Frühverrentung etwas sagen: Wenn man sich die sozialpolitischen Teile der 50 Punkte des Aktionsprogramms ansieht, dann stellt sich einem die Frage, ob die dort angegebenen Zielpunkte nicht genau in die falsche Richtung zielen. Je nachdem, welches Konstrukt ich neben die gegenwärtigen Regelungen stelle, sehe ich die Gefahr, daß es nur zu einem Verschiebebahnhof zwischen den Finanzierungsproblemen der gesetzlichen Rentenversicherung und den Finanzierungsproblemen der Arbeitslosenversicherung kommt, bei gleichzeitig deutlich steigender Arbeitslosigkeit. Damit wäre überhaupt nichts gewonnen, sondern vieles zusätzlich verloren, was mit dem Bündnis für Arbeit absolut nichts zu tun hat. Selbst wenn Sie ein Konstrukt anbieten, das tendenziell die zusätzliche Belastung der Bundesanstalt für Arbeit etwas geringer hielte als die Entlastung bei der gesetzlichen Rentenversicherung, so wäre dies bei einem deutlichen Aufwuchs der Arbeitslosigkeit alles nichts wert.
Deshalb sind wir sehr gespannt, wann Sie mit konkreten, auch im Parlament diskussionsfähigen Vorschlägen kommen werden. Ich nehme an, daß dies alsbald der Fall sein wird. Bislang glänzt das Arbeitsministerium nur dadurch, daß alle Tage ein neuer Vorschlag kommt, gewissermaßen eine neue Sau durchs Dorf getrieben wird.
Was wir also brauchen, sind parlamentsreife Überlegungen, sind diskussionsreife Überlegungen.
- Ja, aber alle Ihre Vorschläge kennzeichnen sich durch reaktionären Sozialabbau. Ich habe bisher nicht einen einzigen Vorschlag der F.D.P. gehört, der die Leistungserbringer wirklich einmal schonen würde, sondern Sie machen Sozialabbau, Sie belasten die Arbeitnehmereinkommen, Sie treiben die Arbeitnehmer in eine Situation, in der sich nur noch die Hälfte - das ist historischer Höchststand - der Bruttoeinkommen in den Lohntüten wiederfindet. Das alles dank F.D.P.-Politik und dank der Koalition insgesamt.
- Ja, „da klatschen die noch" . Herr Weng, Sie und viele andere Kollegen aus der Koalition reden nur noch über „Marktwirtschaft". Das Wort „Soziale Marktwirtschaft " ist von diesem Podium von Rednerinnen und Rednern der Koalition kaum noch zu vernehmen. Einer der wenigen, der noch die Stellung zu halten versucht, aber auf verlorenem Posten kämpft, ist der Kollege Geißler.
Ich sage Ihnen: Die großen Lehren, die wir aus den Ereignissen des Jahres 1933 gezogen haben, waren der Versuch, als Antwort auf staatliche Willkür und millionenfachen staatlichen Mord einen Rechtsstaat aufzubauen, es war aber auch der Versuch, die soziale Bedingtheit einer Marktwirtschaft aus der Erkenntnis heraus zu formulieren, daß die sechs Millionen Arbeitslose des Jahres 1932 der soziale Anfang vom politischen Ende der Weimarer Republik waren. Wir haben heute, 1996, in Deutschland
Ottmar Schreiner
nicht Weimar. Aber was die Höhe der Arbeitslosenquote anbelangt, sind wir dicht an Weimar dran.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Dr. Christa Luft.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 1996 soll nun zum Jahr der Beschäftigung werden - man höre und staune -: Dies ist nicht die Ankündigung einer gerade ins Amt gekommenen Regierung, die ja noch neue Vorsätze haben könnte, sondern dies ist die Ankündigung einer Regierung, die seit fast eineinhalb Jahrzehnten im Amte ist und der ausufernden Entschäftigung bisher tatenlos zugesehen hat.
Wer soll ihr jetzt noch Glauben schenken, wer soll ihr jetzt noch vertrauen, da sie doch längst den Glauben an die Allmacht der Marktkräfte zum Politikersatz gemacht hat? Die Koalitionsabgeordneten - es haben hier ja nur Herren gesprochen - bemühen die neuen Herausforderungen, auf die man doch Rücksicht nehmen müsse; sie sagen, man müsse dafür Verständnis haben, daß wir vor neuen Problemen stehen. Aber ich muß doch sagen: Die Globalisierung der Märkte, die neue Konkurrenz aus Südostasien und aus Osteuropa sind keine neuen Phänomene, die über Nacht entstanden sind. Vielmehr haben Sie nur nicht darauf reagiert. Auch die deutsche Einheit ist inzwischen fast sechs Jahre alt. Sie haben die Weichen nicht richtig gestellt, und lange eignet sich die deutsche Einheit nicht mehr als Argument, mit dem man Probleme kaschieren kann.
Panikartig ist uns nun ein Katalog von Maßnahmen vorgelegt worden, die teils verstaubt, teils unglaublich, wie ich finde, und skandalös sind. Präsentiert worden sind uns hier scharf formulierte Maßnahmen, soweit sie den Sozialabbau und die weitere Belastung der Kommunen betreffen, schwammig dort, wo es um Pflichten der Unternehmen, der Banken und der Regierung geht. Zu den eigentlichen Ursachen der Arbeitsmarktkatastrophe, der millionenfachen Entwürdigung arbeitswilliger Menschen stoßen Sie in den Berichten, die Sie uns hier vorgelegt haben, überhaupt nicht vor. Ich nenne nur den Marktdogmatismus - und das, obwohl die Staatsquote eskaliert -; ich nenne die verfehlte Treuhandpolitik - sie muß man ebenso benennen, wie die von Herrn Schreiner gerade hervorgehobene falsche Finanzierung der deutschen Einheit - und die Unterordnung der Politik unter die Kontrolle und Beherrschung durch die Finanzmärkte. Das letztere hat im übrigen Bundesbankpräsident Tietmeyer vor ein paar Tagen in Davos unumwunden ausgesprochen. Er hat gesagt: Die Politiker merken noch gar nicht, daß sie unter der Knute der Finanzmärkte arbeiten.
Wieviel weitere Millionen sollen denn nun noch den Job verlieren, bis Ihnen etwas anderes einfällt als tiefe Einschnitte in das Sozialsystem und die Forderung nach mehr Flexibilität, vor allem von den Arbeitnehmern? Das Soziale - Herr Schreiner hat es auch gerade gesagt - taucht bei Ihnen nur noch auf, wenn es um Kürzungen geht. Den Begriff „Gemeinsinn" sucht man bei Ihnen vergeblich. Ich habe die Befürchtung, Sie werden eines Tages eine Änderung des Grundgesetzes beantragen, denn dort kommt ja der Begriff „Gemeinwohl" glücklicherweise vor.
Was heißt das überhaupt, wenn Sie sagen, die Tarifpartner müßten flexibler werden? Ich muß Sie das fragen, meine Damen und Herren von der Koalition und besonders von der Regierung. Sie scheinen gar nicht zu wissen, wie die Lage beispielsweise in den neuen Bundesländern ist. Ein Drittel der ostdeutschen Unternehmen zahlt bedauerlicherweise schon seit Jahren keine Tariflöhne; bei sehr vielen Unternehmen wird in der Regel ein Lohn gezahlt, der ein Drittel unter dem Tarif liegt. In der Textilindustrie und in der Druckindustrie sind es sogar 47 Prozent der Unternehmen, die Löhne unter Tarif zahlen. Trotzdem gehen die Entlassungen weiter. Allein in der ostdeutschen Industrie sind 86 Prozent der Maschinenbauunternehmen nicht im Arbeitgeberverband organisiert; in den alten Bundesländern sind das leider auch schon 45 Prozent. Von den ostdeutschen Neugründungen zahlt laut Unternehmermagazin „Impulse" keine einzige Tariflohn. Dennoch mehren sich die Insolvenzen. Für wie dumm halten Sie denn die Menschen in den neuen Bundesländern, aber auch in den alten,
daß sie Lohnzurückhaltung, Lohnverzicht als Köder für Beschäftigungssicherung akzeptieren würden?
Was Sie hier an Vorschlägen für Eigenkapitalhilfe für Existenzgründer und Kleinunternehmen unterbreiten, wird ein Flop bleiben. Das sagt Ihnen jeder Banker unumwunden, solange Sie den § 18 des Kreditwesengesetzes nicht ändern. Davon ist aber in Ihren Papieren keine Spur. Die Banken werden bei der Bearbeitung der Kreditanträge von Existenzgründern und Kleinunternehmen also weiter restriktiv handeln.
Abgebaut werden müsse - so sagen Sie - die Überregulierung. So sehr ich zwar verstehe, daß ein Existenzgründer, ein Kleinunternehmer oder ein Mittelständler unter der Regulierungslast leidet, so frage ich Sie aber: Wollen Sie denn etwa unter der Flagge der Deregulierung die Spielräume für die großen, international verflochtenen Konzerne auch noch ausweiten? Gegenüber den Großen ist es doch wohl an der Zeit, im Interesse der Beschäftigung endlich ein Mindestmaß an Regeldichte herbeizuführen. Gerade die großen Unternehmen sind es doch, die sich von der Ausbildung von Schulabgängern so gut wie verabschiedet haben. Gerade die Großen sind es, die Gewinne entnehmen, statt sie zu investieren und damit im Inland Arbeitsplätze zu schaffen. Viele Großunternehmen nehmen ungeniert staatliche Fördergelder in Anspruch. Wenn sie aber Ergebnisse beispielsweise in der Forschung erreicht haben,
Dr. Christa Luft
dann materialisieren sie diese Ergebnisse im Ausland. Weshalb soll hier weiterer Deregulierungsbedarf bestehen? Ich finde, hier gibt es überfälligen Handlungsbedarf für Regierung und Parlament.
Was die Banken angeht, findet sich kein Wort bei Ihnen hinsichtlich der Begrenzung der überbordenden Bankenbeteiligungen an florierenden Industrieunternehmen. Wo wollen Sie da noch Risikokapital mobilisieren?
Bei allem Respekt vor Existenzgründungen, bei aller Liebe zu kleinen und mittelständischen Unternehmen: Im Osten fehlt es infolge der Privatisierungspolitik der Treuhand im verarbeitenden Gewerbe an Betriebsgrößen ab 500 Beschäftigten, die dem Mittelstand erst einmal sozusagen ein Korsett anlegen könnten und innovativ und beschäftigungsintensiv sind. Wie wichtig gerade ein Mix an Unternehmensgrößen ist, können Sie in der ostdeutschen Landwirtschaft studieren. Dort gibt es eine ganze Skala verschiedener Unternehmensgrößen. Dort sind auch Großbetriebe erhalten worden. Dies schlägt sich in einem hohen Beitrag der ostdeutschen Landwirtschaft zur Bruttowertschöpfung der gesamtdeutschen Landwirtschaft nieder. Er beträgt nämlich 18 Prozent - man höre und staune.
Im produzierenden Gewerbe hingegen liegt der Anteil des ostdeutschen Beitrages an der gesamtdeutschen Bruttowertschöpfung bei ganzen 6 Prozent. Es muß Ihnen doch zu denken geben, so daß wir endlich an diesem Mix von Betriebsgrößen in den neuen Bundesländern arbeiten müssen. Sonst bleibt das Gerede über den Mittelstand und über die Existenzgründungen einfach hohl.
Sie werden die jüngere und die mittlere, arbeitswillige Generation weiter an der Nase herumführen, wenn Sie nicht endlich eine gesellschaftliche Steuerung des Strukturwandels der Wirtschaft zu einer nachhaltigen, umweltverträglichen, ressourcensparenden und arbeitsplatzschaffenden Entwicklung in Angriff nehmen. Das werden Sie mit Konsensgesprächen und mit Selbstverpflichtungen der Industrie nicht erreichen.
Für den Übergang in eine zukunftsorientierte Dienstleistungsgesellschaft werden neben den Sofortmaßnahmen 10- bis 15-Jahres-Programme gebraucht. Sonst geht das mit dem Durchwursteln und Aussitzen weiter. Zu Zeiten Ludwig Erhards - Sie werden sich daran ja gut erinnern können - wurden solche langfristigen Programme auch nicht als Fremdkörper in der Sozialen Marktwirtschaft empfunden und verteufelt.
Unterstützen Sie endlich den schwedischen Vorschlag, der unterbreitet worden ist, nämlich ein eigenständiges Kapitel „Beschäftigungspolitik" in den EU-Vertrag einzufügen.
Auch das wäre ein Beitrag, den Deutschland für die europäische Einigung verbunden mit guten sozialen Bedingungen erbringen kann.
Danke.
Zu einer Kurzintervention erhält der Abgeordnete Graf Lambsdorff das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Professor Luft hat auch dieses Mal wieder das Lied von den 13 Jahren gesungen, in denen diese Regierung in der Verantwortung sei. Meine Damen und Herren, ich finde das schon ziemlich unerhört, wenn dabei nicht erwähnt wird - von ihr wird es nicht erwähnt, sondern unterdrückt -, daß die letzten Jahre dieser Regierungskoalition und dieser Regierungsarbeit unter anderem damit belastet waren, die Trümmer wegzuräumen, die Sie mit Ihrer Wirtschaftspolitik und Ihrer wirtschaftlichen Beratung veranstaltet haben.
Der zweite Punkt. Ich habe das schon beim letztenmal gehört: Auch da hat Frau Luft es für richtig gehalten, uns an die Einhaltung des Grundgesetzes zu erinnern.
Herr Schalck-Golodkowski hat uns neulich an den Rechtsstaat erinnert. Langsam steht die Welt wirklich auf dem Kopf.
Wenn Sie früher an das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland gedacht hätten, wäre in Deutschland manches besser gelaufen.
Zur Antwort die Abgeordnete Frau Luft.
Danke schön, Frau Präsidentin. - Graf Lambsdorff, es tut mir leid: Ich habe zu denen, die die Trümmer geschaffen haben, wenn Sie so wollen, nur bedingt gehört. Aber die, die sie geschaffen haben, waren über 40 Jahre oder zumindest über 20 Jahre hinweg Ihre ganz engen Gesprächspartner.
Wenn Sie wollen, dann bringe ich Ihnen demnächst Fotos mit, worauf zu sehen ist, daß Sie im Tête-à-tête mit all diesen Herren zusammengesessen haben. Wenn Sie sich schon zu dieser Bemerkung aufschwingen, müssen Sie dies als Entgegnung vertragen.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Jürgen Türk.
Werte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Frau Luft, ich glaube, wenn wir dieses Bündnis weiter in dieser Art und Weise zerreden, wird es wirklich eine Luftnummer. Davon bin ich überzeugt.
Ich jedenfalls finde den Vorschlag Bündnis für Arbeit der Gewerkschaft gut. Er war und ist richtig. Er gibt uns eine Chance, endlich über längst überfällige Maßnahmen zu sprechen, und zwar vorbedingungslos. Das haben wir uns vorher alle geschworen: vorbedingungslos. Jetzt halten wir uns nicht daran. Ich glaube, dieses Bündnis ist für den Westen wichtig und im Osten noch viel dringlicher. ,
Leider spart das Bündnis für Arbeit den Osten bisher aus. Ich denke, daß diese Flächenbetriebsverträge für den Osten - die sind nämlich das einzige, was bisher vorgeschlagen worden ist - nicht ganz ausreichen werden. Wir brauchen natürlich wirklich betriebsnahe Vereinbarungen.
Auch laufen wir Gefahr - das hat die heutige Debatte einmal mehr bewiesen -, daß wieder alles zerredet wird, anstatt konstruktiv um den besten Weg und für mehr Beschäftigung zu streiten. Wir laufen wirklich Gefahr, in diesem Punkt am Ziel vorbeizulaufen.
Ich denke, wir brauchen erst einmal eine neue Streitkultur. Das heißt, wir müssen endlich beginnen, uns im Interesse der Menschen wieder um die Sache zu streiten. Die heutige Debatte ist übertragen worden. Ich glaube nicht, daß aus diesem unkonstruktiven Streit so viel Hoffnung erwachsen ist.
Eigentlich waren wir uns einig, daß jeder Vorschlag erst mal geprüft werden soll und wird. Aber da wird das „Aktionsprogramm für Investitionen und Arbeitsplätze" zum Horrorkatalog abgestempelt, bevor man es überhaupt gelesen hat. Das ist, glaube ich, unser gemeinsames Problem: Wir hören uns nicht mehr zu, sondern lesen uns nur noch die Leviten, egal, was der andere überhaupt gesagt hat. Das geschieht also aus Prinzip. Ich glaube, dieses Prinzip ist überholt. Jedenfalls werden wir auf diese Art und Weise keine Arbeitsplätze schaffen.
Dann wundern wir uns, daß dieser allgemeine Frust immer größer wird. So kommt man natürlich auf keinen Fall zum Bündnis für Arbeit.
Ein Beispiel: das sehr stark strapazierte Problem der Gewerbekapitalsteuer. Herr Lafontaine hat es heute gesagt: Er ist dafür, aber doch dagegen. Was ist denn nun? Da werden immer wieder die Kommunen angeführt, die dann ohne Geld dastehen würden. Es gab dieses eineindeutige Angebot hinsichtlich der Mehrwertsteuer. Das steht auch noch. Lassen Sie uns doch wenigstens in diesem Zusammenhang konkret darüber sprechen, wie das ausgestaltet werden kann.
Das gleiche passiert beim Solidaritätszuschlag. Es ist wirklich schlimm, wenn man das hört. Herr Eichel - es tut mir leid, daß Herr Eichel immer wieder dran ist - hat einmal ganz klar gesagt: Die F.D.P. hat recht; wir müssen aus dieser übergroßen Abgabenlast aussteigen. Gut, das war vor der Wahl. Jetzt sagt er genau das Gegenteil. Ich weiß nicht, wo da die Glaubwürdigkeit ist. Es ist jedenfalls die schlichte Unwahrheit, daß dieses Vorgehen den Osten schädigt, daß damit die Osthilfen gekürzt werden. Hören wir also endlich auf, den Bürger damit zu verunsichern. Wir müssen wieder mehr mit den Menschen sprechen und nicht über ihre Köpfe hinweg.
Wir müssen das Fahrrad aber nicht immer wieder neu erfinden. Schauen wir uns zum Beispiel - Graf Lambsdorff hat das angedeutet - die Entwicklung von Neuseeland an.
- Es ist sehr weit weg, aber trotzdem ganz aktuell.
- Wir könnten wieder Land sehen. Die haben gute Erfahrungen gemacht, und wir ignorieren das einfach. Schauen wir uns doch einmal an, wie die das gemacht haben.
Dort hat es ein Beschäftigungsvertragsgesetz gegeben. Das hat Freiräume für Entwicklungen geschaffen. Es wurde, ganz konkret, ein jährliches Wachstum um 5 Prozent erreicht. Die Arbeitslosenquote sank in drei Jahren - das ist beachtlich - von 12 Prozent auf 6 Prozent. Ich denke schon, daß man von dort lernen kann. Die verunsicherte Bevölkerung ist jetzt wieder optimistisch. Angesichts solcher Ergebnisse ist das erklärlich. Erreicht wurde dies durch flexible Arbeitszeiten und flexible Gehälter - in diesem Punkt bewegen wir uns ja schon ein Stück aufeinander zu -
sowie rigorose Kürzungen staatlicher Ausgaben und Steuern. Wo soll das Geld denn sonst herkommen?
Ich schlage vor, in den Ressorts von Bund, Ländern und Kommunen den Rasenmäher anzusetzen. Dann hört dieses Versteckspiel - jeder macht etwas hinter dem Rücken des anderen - auf. Die Ressorts müssen sich dann einen Kopf machen darüber, wie man vielleicht mit 5 Prozent weniger auskommt; denn die verbleibenden 95 Prozent sind ja auch noch ganz schön viel.
Auch ich bin natürlich dafür, solche guten Erfahrungen nicht bedingungslos zu übernehmen. Aber hören wir doch, was Herr Professor Kasper, Autor des Beitrages „Fahrt in die Vollbeschäftigung" der NZZ vom 21. Oktober 1995, schreibt. Laden wir ihn uns einfach einmal ein und hören uns an, wie die Neuseeländer das gemacht haben - mein konkreter Vorschlag ist jedenfalls, auch darüber vorbehaltslos zu reden -:
Zeigt doch die neuseeländische Erfahrung zunehmend, daß ungehinderter Marktwettbewerb die weit bessere soziale Politik ist als das politische Umverteilen, jedenfalls für die aller-
Jürgen Türk
meisten, freilich mit Ausnahme der politischen Umverteiler.
So schließt Professor Kasper seinen Artikel in der NZZ.
Wir sollten damit in den strukturschwächsten Regionen in der Bundesrepublik - ich bin wieder zu Hause - anfangen, in Ost und West; denn es gibt nicht nur im Osten, sondern inzwischen auch im Westen diese strukturschwachen Regionen. Lassen Sie uns das ganz konkret in Modellregionen ausprobieren, da wir uns leider offensichtlich nicht darüber verständigen können, es im Rahmen Gesamtdeutschlands zu versuchen. Lassen Sie uns anfangen, in Modellregionen Ost- und Westdeutschlands etwas voranzubringen!
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Schwanhold.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Führen wir uns noch einmal vor Augen, welch unterschiedliche Debattenbeiträge die Redner der Koalition abgegeben haben. Der Bundeswirtschaftsminister, der ja eigentlich eine Regierungserklärung zum Jahreswirtschaftsbericht abgeben wollte, hat diese nur mißbraucht, um die Opposition zu beschimpfen,
während Herr Schäuble - in Aufgabenteilung - am Rednerpult auf die Gemeinsamkeiten gepocht hat.
So kann die Aufgabenteilung nicht sein.
Der Bundeswirtschaftsminister trägt Verantwortung für die Jahreswirtschaftsberichte 1996 und 1995. Man darf ja wohl noch einmal in Erinnerung rufen, daß er die konjunkturpolitischen Daten schöngeredet hat: 2,5 bis 3 Prozent Wachstum hat er uns versprochen; bei kümmerlichen 1,9 Prozent ist er am Ende des Jahres 1995 gelandet. In den ersten Monaten 1996 ist die Produktion tief in den Keller gegangen. Im Verhältnis zu den Jahren 1995 und 1994 ist die Produktion, bezogen auf die jeweiligen Vorjahresmonate, zwischen 10 und 16 Prozent gesunken.Dann will er uns im Jahreswirtschaftsbericht, in der Prognose, deutlich machen, daß die Konjunktur sozusagen nur Luft holt, um in die nächste Aufschwungphase hineinzukommen. Ich befürchte, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß die Konjunktur noch nicht entschieden hat, ob es wieder in eine Aufschwungphase hineingeht oder ob wir in einem Gleitflug oder in einem Sturzflug in die nächste Rezession hineingehen. Und dies alles vor dem Hintergrund von 4,2 Millionen arbeitslosen Menschen. Herr Bundeswirtschaftsminister - er wird sicherlich einen ganz wichtigen Termin haben; nein, er kommt herein -, so einfach darf man es sich nicht machen: Prognosen in die Welt zu setzen und dann die Opposition zu beschimpfen.
Ich will Ihnen sagen: Wenn Sie die Hoffnung auf die private Nachfrage stützen - sie muß ja in der zweiten Hälfte dieses Jahres wachsen -, so muß man sich schon überlegen, ob man gerade jene Teile der Bevölkerung, die 100 Prozent ihres Einkommens in den Konsum hineingeben müssen, stärker belastet und damit die Nachfrage schwächt oder ob man den Versuch unternimmt, jenen, die über ein größeres Vermögen verfügen, eine Verantwortung für Konsum einerseits und für das Tragen von Belastungen andererseits auferlegt. Wenn diese Gerechtigkeitslücke nicht geschlossen wird, darf man den anderen Teil, den Sie übrigens fälschlicherweise als von den Gewerkschaften schon als abgehakt ansehen, nämlich den Teil der Sozialkürzungen - dieses steht nicht in dem 8-Seiten-Papier, das im Bundeskanzleramt beschlossen worden ist, sondern dies ist sozusagen von Ihnen okkupiert und hineingeschrieben worden, und dieses wird Auseinandersetzungen bringen -, nicht zur zentralen Botschaft des Jahreswirtschaftsberichts machen, weil dies Ihre eigenen Prognosedaten in Frage stellt.
Dann muß man zu Herrn Schäuble noch zwei Worte sagen. Er hat ja heute, im Gegensatz zu seinen früheren Reden, sehr versöhnliche Töne angeschlagen. Vielleicht haben ihn die 4,2 Millionen Arbeitslosen geschockt. Aber Einigungen zwischen dem Verfassungsorgan Bundesrat und der Bundesregierung können nicht nach dem Motto laufen: Wenn ihr nicht das macht, was wir wollen, gibt es keine Einigung, und ihr seid für die negativen Auswirkungen verantwortlich. Einigungen kommen vielmehr immer dadurch zustande, daß man einen Interessenausgleich herbeiführt. Damit haben Sie - siehe Meister-BAföG - allzu lange gezögert. Sie haben das Entsendegesetz verwässert. Da hätte man mehr herausholen und mehr Arbeit schaffen können. Sie haben auch bei der Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer nicht den notwendigen Schritt getan, nämlich die Einkommenssicherung der Kommunen darzustellen.Ich will auf zwei Punkte eingehen, die wohl zusätzliche Arbeitsplätze bringen können, nicht kurzfristig und nicht mittelfristig, aber vielleicht doch über die mittlere Frist hinaus. Sie haben ja längst - auch auf Grund der prognostizierten Arbeitslosenzahlen - die Hoffnung aufgegeben, daß dieses Programm sofort etwas bringen könnte. Denn Sie gehen ja von 4 Millionen Arbeitslosen im Jahresdurchschnitt aus, mit steigender Tendenz. Wenn Sie die saisonbereinigte Belebung des Sommers hineinrechnen, bekommen Sie das vielleicht gerade noch hin, ohne daß zusätzlich etwas geschieht.Ich will eine Vorbemerkung zu diesen beiden Punkten, und zwar hinsichtlich der TechnologienErnst Schwanholdmachen. Angesichts von 4,2 Millionen Arbeitslosen hätte es, denke ich, dem Bundeskanzler gut angestanden, in dieser Debatte sein unsägliches Wort vom kollektiven Freizeitpark zurückzunehmen.
Aber selbst dazu hat er sich nicht durchringen können, sondern er hat nach wie vor den Hinweis darauf bestehen lassen, daß diejenigen, die auf die sozialen Netze angewiesen sind, weil sie aus dem Arbeitsprozeß herausgedrängt worden sind, Verantwortung dafür tragen, daß dieser Standort gefährdet ist. So kann es nicht gehen, daß die Arbeitslosen, die Sozialhilfeempfänger und die Kranken für die negativen Dinge verantwortlich gemacht werden. Die wesentliche Verantwortung tragen Sie.Nun zu den zwei Punkten. Graf Lambsdorff hat es auch wieder gesagt. Der Kanzler hat so getan, als ob Risikokapital vom Himmel fiele. Wir haben Ihnen im Wirtschaftsausschuß und hier im Bundestag einen Antrag vorgelegt, um privates Risikokapital möglichst schnell anzureizen, und zwar mit der Möglichkeit zur steuerlichen Abschreibung, damit man daran verdienen kann. Sie haben dies im Wirtschaftsausschuß bisher völlig negiert. Sie haben sich noch nicht einmal dazu durchgerungen, einen Antrag vorzulegen.Sie haben bei den Haushaltsberatungen, als es um das Eigenkapitalhilfeprogramm ging und wir einen Antrag von Ihnen übernommen haben, den Sie kurz vor Beginn der Haushaltsberatungen im Wirtschaftsausschuß zurückgezogen hatten, sogar gegen Ihren eigenen Antrag gestimmt. Heute, vor dem Hintergrund von 4,2 Millionen Arbeitslosen, verkünden Sie das als einen großen Erfolg an Erkenntniszugewinn.
Ich finde, es hat lange genug gedauert. Es hätte ein bißchen früher kommen können.
Wir machen mit beim Risikokapital. Dann sollten wir aber auch dafür sorgen, daß Banken ihre Bereitschaft signalisieren, obwohl es nicht ihr ureigenstes Geschäft ist, einen Anteil daran zu leisten. Dies ist bisher nicht erkennbar.Ein zweites Beispiel. Es geht um Existenzgründungen. Der Kanzler spricht immer von einer Welle von Existenzgründungen und Unternehmenskultur. All dies wird wichtig sein. Manches davon ist Psychologie. Das ist völlig klar. Lassen Sie dann bitte das Schlechtreden des Standorts Bundesrepublik Deutschland im Ausland sein. Dieses sind nicht nur Unternehmer. Dieses sind auch Mitglieder der Regierung, die meinen, aus dem Ausland die Opposition treffen zu können, weil sie irgend etwas verhindert und dann den Standort schlechtredet. So kann dieses nicht gehen. Wer soll denn eigentlich bei uns investieren, wenn sich der Wirtschaftsminister hinstellt und diesen Standort schlechtredet?
Ich bleibe bei den Existenzgründungen. Auch dazu haben wir Ihnen vor acht Monaten einen Antrag vorgelegt. Er basierte auf einer Großen Anfrage, in der wir zum Beispiel gefragt haben, ob es bei Existenzgründungen bürokratische Hemmnisse gibt, wie es in Wachstumsphasen aussieht, ob es Hemmnisse bei Genehmigungsverfahren gibt. Dies ist folgendermaßen beantwortet. Erstens. Man braucht nach dem Gewerberecht einen Antrag, woraufhin man einen Gewerbeschein erhält. Bürokratische Hemmnisse gebe es nicht. Zweitens sähen Sie keinen Handlungsbedarf. Binnen acht Monaten hat sich nichts verändert, außer daß Sie das eine oder andere Gesetz verschärft haben. Nun auf einmal ein plötzlicher Wandel. Warum eigentlich stellen Sie sich nicht hin, Graf Lambsdorff, und sagen: Wir unterstützen den Antrag der Sozialdemokraten, um Existenzgründungen zu beschleunigen und Existenzgründungen zu initiieren. Im Antrag stehen außerordentlich viele vernünftige Dinge drin. Das hätten Sie übrigens bei der Eile, die eigentlich angebracht wäre, um zusätzliche Arbeitsplätze zu bekommen, schon längst haben können.Wenn wir über neue Technologien reden: Meine Vorredner haben schon gesagt, welche Arbeitsplätze im Bereich des Umweltschutzes entstanden sind. In diesem Zusammenhang ist der Weg sehr gefährlich, sich aus der Umweltschutzgesetzgebung zu verabschieden und keine ökonomischen Signale zu setzen, damit Umweltverbesserungen weiter voranschreiten. Es ist geradezu töricht, zu sagen, wir wollten eine neue Steuer erfinden, die die Belastung erhöht. Nein, Sie haben das Modell nicht richtig gelesen. Wir geben alles zurück und entlasten sogar die Unternehmer mit mehr als 10 Milliarden DM im Jahr. Dies ist im Grunde eine Verbrauchsteuer, die aber Umwelt- und Energieverbrauch belastet, um damit bei den Lohnnebenkosten Freiräume zu schaffen. Das ist genau Ihr Ansatzpunkt. Ringen Sie sich endlich durch und tun Sie nicht so, als ob es eine Gemeinsamkeit gäbe. Das Repnik-Papier ist doch eingestampft worden, weil Sie sich innerhalb der Koalition nicht haben einigen können. Ich kann auch nicht erkennen, daß zwischenzeitlich darüber eine Einigung erfolgt ist.Bei den Investitionen, die wir benötigen, hat uns der Delors-Plan die transeuropäischen Netze als eine gemeinsame europäische Aufgabe auferlegt. Warum eigentlich sind Sie so defensiv, die Ideen unserer europäischen Nachbarn, die gleiche Probleme haben und vielleicht den einen oder anderen intelligenteren Lösungsansatz haben, aufzugreifen? Wir haben das am Mittwoch im Wirtschaftsausschuß wieder erlebt, wo das Ringen der französischen Kollegen um transeuropäische Netze, um eine gemeinsame Initiative für mehr Arbeit in Europa von Ihrer Seite immer wieder abgelehnt worden ist und gar nicht darüber nachgedacht worden ist, wo wir die Freiräume haben, um uns daran zu beteiligen.
Metadaten/Kopzeile:
7554 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996
Ernst Schwanhold- Entschuldigung, Sie haben noch nicht einmal das Geld, um den Abbau des Solidaritätszuschlages zu finanzieren, verehrter Graf Lambsdorff. Dazu haben Sie sich dann vor dem Hintergrund des 24. März verbal geeinigt. Sie kommen mit den Finanzierungen, die Sie gerne wollen, nicht über die Kante. Sie reden nicht über die Mehrwertsteuer. Kommen Sie endlich aus der Ecke heraus, und haben Sie den Mut, dies vor dem 24. März zu sagen.
Frau Präsidentin, ich komme zu meinem letzten Satz. Graf Lambsdorff, es gibt in den Papieren eine Fülle von Ansatzpunkten, die man gemeinsam aufgreifen kann. Sie müssen allerdings bereit sein, die Frage der Gerechtigkeitslücke zu klären und andererseits auch jene Vorschläge, die wir Ihnen lange Zeit vorgelegt haben, vorurteilsfrei zu prüfen. Das Spiel, die Regierung ist für die guten Dinge verantwortlich, und die Opposition ist an den negativen Dingen schuld, geht nicht weiter. Damit sind Sie am Ende, weil Ihnen 4,2 Millionen Arbeitslose nicht mehr abnehmen, daß Sie überhaupt zu einem Lösungsansatz fähig sind.
Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/3601, 13/3629, 13/3016 und 13/3713 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Unterrichtung durch die Bundesregierung zu einem Aktionsprogramm für Investitionen und Arbeitsplätze auf Drucksache 13/ 3629 soll zusätzlich dem Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Es ist beantragt worden, den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/3714 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Wirtschaft und zur Mitberatung an den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, an den Ausschuß für Verkehr und an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zu überweisen.
Der Entschließungsantrag der SPD auf Drucksache 13/3724 und der Antrag der PDS auf Drucksache 13/ 3736 sollen an dieselben Ausschüsse überwiesen werden wie der Jahreswirtschaftsbericht. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5c auf:
a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Neuregelung des Staatsangehörigkeitsrechts - Drucksache 13/2833 -
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cem Özdemir, Kerstin Müller und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Mindestkriterien für eine Reform des Staatsangehörigkeitsrechts
- Drucksache 13/3657 —
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
c) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Cem Özdemir, Kerstin Müller , Volker Beck (Köln), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts (StG)
- Drucksache 13/423 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
- Drucksache 13/3472 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Meinrad Belle Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Cem Özdemir
Cornelia Schmalz-Jacobsen Ulla Jelpke
Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über den wir im Anschluß an die Debatte namentlich abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Zunächst hat der Abgeordnete Fritz Rudolf Körper das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Diskussion über die Neuregelung des Staatsangehörigkeitsrechtes tritt schon ziemlich lange auf der Stelle, eigentlich viel zu lange. Spätestens seit der Wiedervereinigung Deutschlands am 3. Oktober 1990 ist die Notwendigkeit einer zeitgemäßen Reform des deutschen Staatsangehörigkeitsrechtes unbestritten.
In über fünf Jahren deutsche Einheit haben es die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen nicht geschafft, ihrer Verantwortung zur Vorlage eines Gesetzentwurfes für eine umfassende Novellierung nachzukommen. Trotz entsprechender Regierungserklärungen aus den Jahren 1990 und 1994 sowie wiederholter Verlautbarungen des Bundesinnenministers und der Koalitionsfraktionen hat
Fritz Rudolf Körper
sich die Bundesregierung bis heute dieser bedeutenden, für die integrative Entwicklung in Deutschland maßgeblichen Aufgabe schlichtweg entzogen. Die Dauer der koalitionsinternen Auseinandersetzungen sowie die Unterschiedlichkeit der beiderseitigen Standpunkte lassen es nach meiner Meinung fast illusorisch erscheinen, daß es in absehbarer Zeit zu einer endgültigen inhaltlichen Einigung kommt.
Am 9. Februar vergangenen Jahres haben wir hier intensiv unseren Antrag „Erleichterung der Einbürgerung unter Hinnahme der doppelten Staatsangehörigkeit" debattiert. Sie, lieber Herr Kollege Kanther und Frau Schmalz-Jacobsen, die ich zumindest gehört habe, haben uns versichert, sich in den zentralen Fragen auf die staatsangehörigkeitsrechtliche Integration der auf Dauer in Deutschland lebenden Ausländer zu verständigen. Geschehen ist bisher nichts.
Die SPD-Bundestagsfraktion fordert deshalb die Bundesregierung auf, das Taktieren um die Staatsangehörigkeitsnovelle aufzugeben und endlich ihrer Verantwortung durch Vorlage eines umfassenden Gesetzentwurfs gerecht zu werden.
Die Kernfrage einer Novelle, wer künftig zum deutschen Staatsvolk gehören soll, ist vom Parlament und nicht in koalitionsinternen Zirkeln zu entscheiden. Dieser Auffassung ist übrigens auch die Mehrheit der Bundesländer. Für einen mit unserem Antrag inhaltlich übereinstimmenden Entschließungsantrag hat sich der Bundesrat am 24. November 1995 ausgesprochen.
Unser Antrag, der Ihnen heute hier vorliegt, enthält alle Eckpunkte für ein neues, zeitgemäßes und auf Integration ausgerichtetes Staatsangehörigkeitsrecht. Das geltende Recht hat derzeit zur Folge, daß große Teile der Wohnbevölkerung in Deutschland rechtlich, politisch und auch gesellschaftlich ausgegrenzt sind und bleiben — rechtlich, weil sie dem Ausländerrecht unterstellt sind, politisch, weil politische Teilhaberechte fehlen, und gesellschaftlich, weil diese Benachteiligungen Unterschiede akzentuieren und Integration erschweren oder sogar verhindern.
Hier will unser Antrag Abhilfe schaffen. Die SPD will eine Politik der Eingliederung und nicht der Ausgrenzung. Wir wollen keine Randgruppen und Außenseiter schaffen, sondern die auf Dauer eingewanderten ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger bei uns integrieren.
Die meisten der ausländischen Kinder sind in der Bundesrepublik Deutschland geboren. 1,5 Millionen Ausländerinnen und Ausländer leben seit 20 und mehr Jahren hier in der Bundesrepublik Deutschland, 3,5 Millionen über zehn Jahre. Ohne eine realistische Chance auf Einbürgerung wird es für die auf Dauer eingewanderte ausländische Wohnbevölkerung keine rechtliche, politische und gesellschaftliche Gleichberechtigung geben.
Meine Damen und Herren, die von uns vorgeschlagene Neufassung des Staatsangehörigkeitsrechts wird die Arbeit der Verwaltung vereinfachen und ist somit ein Beitrag zur Modernisierung unserer Verwaltung unter dem Aspekt der Effizienz und Effektivität. Ermessensregelungen werden durch klare Rechtsansprüche ersetzt, überflüssige Einbürgerungsverfahren werden abgeschafft.
Von erheblicher praktischer Auswirkung wird insbesondere unsere Forderung nach einem gesetzlichen Staatsangehörigkeitserwerb für Spätaussiedler sein. Mit einer gesetzlichen Überleitung von Statusdeutschen in die deutsche Staatsangehörigkeit entfällt die Notwendigkeit einer antragsgebundenen Individualeinbürgerung von Aussiedlern und Spätaussiedlern. Der damit verbundene riesige Verwaltungsaufwand ist überflüssig; denn die bei uns aufgenommenen Spätaussiedler haben sowieso einen Anspruch auf sofortige Einbürgerung. Das wäre ein Schritt zur Modernisierung der öffentlichen Verwaltung, wie die SPD sie versteht.
Mit der gesetzlichen Überleitung der Statuseigenschaft in die deutsche Staatsangehörigkeit werden Hunderte, Tausende von Einbürgerungsverfahren entbehrlich, so daß die Einbürgerungsbehörden entlastet werden und die verbleibenden Einbürgerungsverfahren wesentlich zügiger als bisher abgewickelt werden können. Ich begrüße ausdrücklich den unter der Federführung des Landes Schleswig-Holstein entstandenen Gesetzesentwurf dazu.
Gegen die vermehrte Hinnahme von Mehrstaatigkeit werden immer wieder zwei Argumente vorgebracht. Zum einen wird eingewandt, Doppelstaatler hätten auch Rechte und Pflichten. Das trifft in der Praxis auch zu. Pflichten und Rechte sind nicht nur naturgegeben, sondern können durch internationale Übereinkommen und Gesetze geregelt werden. So gibt es zum Beispiel Absprachen innerhalb der NATO, die die Fragen der Wehrpflicht regeln.
Als zweites Gegenargument gegen unsere Vorschläge ist der Loyalitätsgesichtspunkt beliebt. Ich teile nicht die Bedenken gegen Doppelstaatler aus Gründen der Loyalität. Der oft zitierte Satz, man könne nicht gleichzeitig zwei Herren dienen,
läßt sich nicht auf heutige Verhältnisse anwenden.
Die Auffassung, Staatsloyalität gebiete zwingend nur eine Staatsangehörigkeit, stammt aus dem 19. Jahrhundert, in dem der Bürger als Untertan des Staates gesehen wurde. In unserem heutigen modernen Staatswesen hat sie keine Berechtigung mehr.
Im übrigen, lieber Kollege Marschewski, die Hunderte, Tausende von Doppelstaatlern in der Bundesrepublik Deutschland zeigen uns täglich, wie unsin-
Fritz Rudolf Körper
nig die Behauptung ist, sie seien keine loyalen Staatsbürger.
Meine Damen und Herren, dem Gesichtspunkt der Integration ist hier eine hohe Bedeutung beizumessen. Politik der Integration bedeutet einerseits, Zuwanderern gleiche Chancen und Rechte zu garantieren, andererseits aber auch, die Bereitschaft der Zuwanderer zu fördern, selber zum Beispiel durch Sprachkenntnisse und kulturelle Offenheit gutnachbarschaftliches Zusammenleben zu erleichtern.
Sie setzt zudem eine Politik voraus, die Chancen einräumt und somit Angst und Abgrenzung entgegenarbeitet. Wer Fundamentalismus und Fanatismus nicht will, muß eine Politik der Integration wollen und umsetzen. Deshalb bitte ich Sie, konstruktiv an unserem Antrag mitzuarbeiten.
Schönen Dank.
Es spricht jetzt der Abgeordnete Erwin Marschewski.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes ist ein wichtiges Thema, aber nicht das wichtigste Thema deutscher Innenpolitik.
Daher war es notwendig, sich auch anderen Vorhaben zuzuwenden, die für die Zukunft unseres Landes noch entscheidender sind. Ich denke an die Verbrechensbekämpfung, die Korruptionsbekämpfung und die Reform des öffentlichen Dienstes, wo wirklich wichtige Vorarbeiten, zum Teil bis zur Gesetzesreife, geleistet worden sind.
Wahr ist aber auch: Das aus dem Jahre 1913 stammende Staatsangehörigkeitsrecht ist in vielen Teilen veraltet und daher reformbedürftig.
Wahr ist aber ebenso: Das Staatsangehörigkeitsrecht ist eine äußerst sensible Materie, denn sie regelt das Grundverhältnis zwischen Bürger und Staat; sie betrifft das Selbstverständnis unserer Bürger. Deswegen muß die Reform äußerst behutsam angegangen werden. Zeitdruck und kurzatmiger Profilierungsdrang sind daher schlechte Ratgeber.
Meine Kollegen Damen und Herren von der SPD und den Grünen, ich sage darüber hinaus: Wer dieses Thema politisiert, wie Sie es tun, der schadet dem inneren Frieden in diesem Lande.
Noch eines zu Ihnen, Kollegen von der SPD: Sie haben schon einmal versucht, die Koalition mit fragwürdigen Reformvorstellungen zum Staatsangehörigkeitsrecht zu befassen. Das war der Versuch, die DDR-Staatsbürgerschaft - ich zitiere Herrn Lafontaine - zu „respektieren" . Das wäre auf eine faktische Anerkennung hinausgelaufen, was die Wiedervereinigung sicherlich erheblich erschwert hätte. Wir haben uns diesem Druck damals nicht gebeugt, und wir werden das auch jetzt nicht tun.
Das Ziel unserer Politik ist es, die Integration der Ausländer hier in Deutschland zu verbessern. Für uns ist Integration aber Voraussetzung der Einbürgerung, nicht umgekehrt. Integration heißt, daß Ausländer die Grundlagen und die Lebensart unserer Gesellschaft akzeptieren müssen, kennenlernen müssen. Sie können dann auch zu Recht erwarten, als Teil dieser Gesellschaft akzeptiert zu werden.
Wir haben diese Politik der Integration konsequent verfolgt. Wir haben 1991 ein neues Ausländerrecht geschaffen. Wir haben 1993 - dafür trage ich besonders Verantwortung - mit dem Asylkompromiß beträchtliche Erleichterungen im Ausländerrecht durchgeführt. Sie wissen dies: Wir haben die Aufenthaltsfristen verkürzt, wir haben die Gebühren gesenkt, und wir haben Einbürgerungsansprüche geschaffen, sogar einklagbare Ansprüche. Ich kenne kein Land auf der Erde, das solche Regelungen im Ausländerrecht besitzt, wie es in der Bundesrepublik Deutschland der Fall ist.
Für uns sprechen die Zahlen. Die Zahl der Einbürgerungen ist beträchtlich gestiegen. 1992 hatten wir 37 000 Einbürgerungen, 1994 rund 62 000, was eine Steigerung um fast 70 Prozent ausmacht. Diese Zahlen zeigen doch, daß die integrationswilligen Ausländer unsere Maßnahmen akzeptieren.
Trotz dieser Erfolge: Das Thema Staatsangehörigkeitsrecht steht natürlich auf der Tagesordnung. Wir werden mit Augenmaß und mit der gebotenen Ruhe eine Lösung erarbeiten, die diesen aufgezeigten Weg fortsetzt.
- Ich will dies kurz darstellen. Danach lasse ich selbstverständlich Ihre Zwischenfrage, die Sie wohl anstreben, zu.
Wir werden dies ausbauen. Wir werden erstens den Grundcharakter der Einbürgerung ändern. Wir werden die Ermessensentscheidung durch eine Anspruchsentscheidung ersetzen. Wir werden zweitens weitere Erleichterungen der Einbürgerung, wie die Verkürzung der Fristen, durchsetzen.
Eine gelungene Integration wird aber auch dabei Voraussetzung der Einbürgerung bleiben. Das bedeutet, daß Einbürgerungswillige ausreichend über deutsche Sprachkenntnisse verfügen müssen; denn ohne diese Sprachkenntnisse kann der Ausländer dieses Land weder verstehen noch selbst verstanden werden.
Erwin Marschewski
Drittens. Wir wollen die Verlustgründe neu regeln. Wer freiwillig eine fremde Staatsangehörigkeit erwirbt oder wiedererwirbt, der soll die deutsche Staatsangehörigkeit verlieren. Dazu gehört beispielsweise auch die Frage, ob Deutsche, die in dritter oder vierter Generation dauernd im Ausland leben, weiterhin die deutsche Staatsangehörigkeit behalten können.
Viertens. Zu behandeln sind offene Fragen zur DDR-Staatsbürgerschaft. Das ist ein sehr wichtiger Punkt.
Herr Kollege, gestatten Sie jetzt die Zwischenfrage?
Bitte schön. Ja, sehr gern.
Vielen Dank, Herr Kollege Marschewski. - Sie haben vorhin von der Möglichkeit der Einbürgerung gesprochen, Sie haben gesagt, daß sich die Ausländer einbürgern lassen sollen.
Ich möchte Sie fragen: Ihre Fraktion hat zusammen mit der Bundesregierung und mit Ihrer Mehrheit im Innenausschuß dagegen gestimmt, daß der Etat in Höhe von 100 000 DM, der Frau Schmalz-Jacobsen für Öffentlichkeitsarbeit zur Verfügung steht, erhöht wird. Sind Sie nicht auch der Meinung, daß die Bundesregierung im Sinne dessen, was Sie gerade gesagt haben - darüber sind wir uns im ganzen Haus einig -, eine breit angelegte Kampagne machen könnte, die da heißt: „Herzlich willkommen in diesem Land. Wir wollen, daß ihr euch einbürgern laßt. Wir erklären euch, wie ihr euch einbürgern lassen könnt! "?
Es gibt eine Landesausländerbeauftragte, die Ihr Parteibuch trägt, in Berlin, die so etwas mit sehr großem Erfolg macht. Warum sieht sich die Bundesregierung nicht in der Lage, eine solche Einbürgerungskampagne in der Bundesrepublik Deutschland loszutreten, mit der wir werben: „Diese Gesellschaft hat sich verändert, wir wollen, daß ihr euch einbürgern laßt."?
Ich bedanke mich ganz herzlich für diese Frage. Wir tun das, Herr Kollege Özdemir. Wir werden noch intensiver daran arbeiten, daß die Dinge, die wir im Ausländerrecht geregelt und im Asylkompromiß vereinbart haben, zu den Menschen kommen. Wir unterstützen die Arbeit der Ausländerbeauftragten in besonderem Maße.
Wir werden sogar ein Gesetz schaffen, in das wir die Befugnisse und Möglichkeiten einer intensiveren
Aufklärung hineinschreiben werden. Ich glaube, wir unterstützen das in vollem Maße.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hirsch?
Ich möchte jetzt fortfahren. - Ich will einen sehr wichtigen Punkt besprechen, und zwar die Rechtsstellung der hier geborenen Ausländer. Es geht gerade dabei darum, alle Argumente zu wägen und sich die notwendige Zeit zu nehmen.
- Ach, Frau Kollegin, Sie kennen doch aus eigener Erfahrung in der SPD-Fraktion das Sprichwort: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Eines werden Sie auch noch kennenlernen: Wer zu früh kommt, der wird auch oft bestraft. Deswegen wollen wir eine richtige, eine vernünftige Lösung finden.
Um diese Lösung ringen wir, um diese Lösung ringen Politiker und Wissenschaftler. Wir haben uns in der Koalitionsvereinbarung einem Modell angenähert, das es zu diskutieren gilt. Ich meine die Einführung der Kinderstaatszugehörigkeit.
Die Kinder sollen die Staatsangehörigkeit ihrer Eltern behalten und dazu die vorläufige deutsche Staatszugehörigkeit bekommen. Ich weiß, auch dieser Vorschlag ist in der Diskussion, aber ich glaube, daß die Durchsetzung dieses Vorschlags mehr der Integration ausländischer Mitbürger und dem inneren Frieden dient, als mit ideologisch motivierten Schlagworten aufzuwarten, die letzten Endes die Menschen nur auseinandertreiben.
Sie wissen: In der Diskussion sind verschiedene Modelle: das Ruhens-Modell und die Schaffung eines echten oder unechten Jus soli. Gegen ein echtes Jus soli - auch das ist Ihnen sicherlich bekannt - spricht unsere Rechtstradition. In einem Punkt sind wir völlig einer Meinung: Die Forderung nach einer generellen Zulassung der doppelten. Staatsbürgerschaft ist für uns nicht akzeptabel.
Meine Damen und Herren von der SPD und den Grünen, diese Forderung wird von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt.
Treten Sie doch mit dieser Frage vor das deutsche Volk! Es wird Ihnen eben nicht zustimmen.
Wir meinen, die doppelte Staatsangehörigkeit muß eine Ausnahme bleiben. Meine Damen und Herren, wir dürfen und müssen vom Einbürgerungswilligen erwarten, daß er sich ohne Wenn und Aber zu unserem Staat bekennt. Jedes Volk, auch das deutsche,
Erwin Marschewski
stellt eine Gemeinschaft dar, in die man eben nicht nach Belieben eintreten und aus der man nicht nach Belieben austreten kann. Das hat überhaupt nichts mit völkisch-nationalem Denken zu tun und auch nicht mit den Vorstellungen - das habe ich neulich in der Presse gelesen - von einem deutschen Nationalstaat, was das auch immer - wir sind nicht in der Bismarckzeit - 1995 bedeuten soll.
Im Gegenteil, gerade für eine demokratisch verfaßte Gesellschaft ist das eindeutige Bekenntnis des mündigen Bürgers zu Staat und Nation Bedingung für ein dauerhaftes und friedliches Zusammenleben.
Zweitens. Die generelle Zulassung der doppelten Staatsbürgerschaft birgt die Gefahr in sich, daß sich die betreffenden Ausländer der Integration verweigern könnten, weil sie ja ohnehin die deutsche Staatsangehörigkeit verliehen bekommen.
Ich meine auch, meine Damen und Herren, es ist nicht von der Hand zu weisen, daß politische Konflikte der Heimatländer in unser Land gelangen und das Zusammenleben beeinträchtigen können.
Sie kennen die weiteren Probleme im Rechtsbereich, im Eherecht, im Erbrecht. Ich meine, für eine Anerkennung der doppelten Staatsangehörigkeit in genereller Hinsicht besteht überhaupt kein praktisches Bedürfnis.
Ich will mich den Fällen widmen, die Sie dauernd aufführen. Wenn es irgendwo willkürlich verweigert wird, daß jemand auf seine Staatsbürgerschaft verzichtet, dann gibt es schon im derzeitigen Recht die Möglichkeit, im Wege der doppelten Staatsbürgerschaft Deutscher zu werden, falls etwas anderes unzumutbar ist. Damit kann man schon die meisten Fälle in der Praxis regeln.
Außerdem wissen Sie, daß die Türkei zum Glück - so muß ich sagen - ihre Rechtsordnung liberalisiert hat. Es ist nicht mehr so wie früher, daß jemand, der unter Verlust seiner ursprünglichen Staatsangehörigkeit Deutscher wurde, sein Erbrecht oder sein Grundstück in bäuerlicher Lage verlor. Das ist zum Glück geregelt worden, auch dank der hervorragenden Leistungen unserer Außenpolitik.
Ich erwarte auch, daß das Problem mit dem Iran gelöst wird. Ich weiß jetzt schon, Frau Kollegin Sonntag, daß der Iran beginnt, seine Entlassungspraxis zu liberalisieren. Das heißt, die praktischen Probleme können bereits jetzt gelöst werden.
Unser Handeln, meine Damen und Herren, enthält mehr Weisheit als das hektische Flügelschlagen der Opposition. Die Koalitionsvereinbarung läßt uns Zeit bis 1998 - und ich sage Ihnen: mit Sicherheit auch darüber hinaus, aber in diesem Punkt Zeit bis 1998 -, eine Reform des Staatsangehörigkeitsrechts abzuschließen.
Wir werden dieses Ziel genauso erreichen, wie wir andere Vorhaben der deutschen Innenpolitik bearbeiten und die Probleme lösen werden. Ziel im Bereich der Staatsangehörigkeit bleibt es: Wir wollen die Integration der hier lebenden Ausländer fördern. Es darf keine Menschen geben, meine Damen und Herren, die zwar die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, letztlich aber Fremde hier in Deutschland bleiben.
Die generelle Zulassung der doppelten Staatsangehörigkeit löst überhaupt keine Probleme.
Herzlichen Dank.
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem Abgeordneten Hirsch.
Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Marschewski, wir bemühen uns ja gemeinsam, auf vielen Gebieten zu einer europäischen Rechtsangleichung zu kommen. Nun gibt es eine Europäische Konvention zur Verhinderung von Mehrstaatigkeit. Das zweite Zusatzprotokoll zu dieser Konvention ist 1993 in Kraft getreten, weil es von Italien, Frankreich und den Niederlanden gezeichnet worden ist.
In dieser Konvention wird den Mitgliedstaaten ausdrücklich nachgelassen, daß sie Angehörige der zweiten Generation einbürgern, ohne zu verlangen, daß diese ihre bisherige Staatsangehörigkeit aufgeben. Es wird ausdrücklich vorgesehen, daß Kinder, die aus gemischtstaatigen Ehen kommen - davon gibt es Hunderttausende in der Bundesrepublik -, selbstverständlich die Staatsangehörigkeit beider Eltern bekommen können. Es ist ein weiteres Abkommen in Vorbereitung - darüber verhandelt auch die Bundesrepublik -, in dem vorgesehen ist, daß niemand, der eine zusätzliche Staatsangehörigkeit annimmt, deswegen seine bisherige aufgeben soll.
Kollege Professor Scholz sagt Ihnen wahrscheinlich, daß die Bundesrepublik dieses Schlußprotokoll nicht gezeichnet hat. Das ist richtig,
stimmt sogar, aber es ist trotzdem in Kraft getreten, weil mindestens zwei Staaten es gezeichnet haben.
Sie müssen sich doch die Frage gefallen lassen, warum wir ausgerechnet in dieser Frage von dem europäischen Gleichklang abweichen wollen, warum wir nicht nur der europäischen Entwicklung nicht folgen, sondern geradezu schnurstracks ins 19. Jahrhundert zurückgehen wollen. Diese Frage müssen Sie beantworten. Wir stellen sie doch nicht nur im Interesse der einzubürgernden Ausländer - um deren Einbürgerung zu erleichtern -, sondern auch im Interesse unseres eigenen Volkes, damit das Anwachsen einer Diaspora von Bürgern zweiter Klasse in unserem Lande verhindert wird.
Dr. Burkhard Hirsch
Das ist die Verantwortung, der Sie sich stellen müssen.
Möchten Sie antworten? - Bitte.
Herr Kollege Dr. Hirsch, ich bin Ihnen sehr dankbar für diese Feststellung. Zunächst einmal ist richtig, daß wir dieses Abkommen nicht unterzeichnet haben.
Eine zweite Bewegung ist aber vielleicht noch wesentlicher: Sie wissen, daß in vielen Staaten die doppelte Staatsangehörigkeit verweigert wird. Ich denke an Schweden, ich denke an Polen, ich denke an Rußland, ich denke an die Tschechei, ich denke zum Beispiel daran, daß restriktivste Einwanderungsbestimmungen in England Platz greifen, in Frankreich Platz greifen.
Ich sage noch einmal: Wir werden die Gedanken dieses Abkommens aufnehmen. Das ist selbstverständlich. Dabei muß unser Ziel natürlich sein: Wir wollen die Menschen hier integrieren. Das ist die erste Aufgabe. Nicht das formale Verschaffen einer doppelten Staatsangehörigkeit löst Probleme, sondern die Integration der Bürger, der ausländischen Mitbürger, löst die Probleme in diesem Lande.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Cem Özdemir.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Das Staatsangehörigkeitsrecht der Bundesrepublik Deutschland muß grundlegend novelliert werden. Der Grundsatz der Vermeidung doppelter Staatsangehörigkeit muß in den Fällen, in denen das Gesetz Rechtsansprüche auf Einbürgerung einräumt, aufgegeben werden. Außerdem muß das Recht auf Erwerb der Staatsangehörigkeit für hier geborene Ausländer der zweiten und folgenden Generation verankert werden.
Dies ist nicht etwa aus dem Programm von Bündnis 90/ Die Grünen, SPD oder PDS abgeschrieben,
nein, es ist aus dem Programm Ihrer Partei, Herr Hirsch, Ihrer Partei, Herr Westerwelle, es ist das Programm der F.D.P.
Für diejenigen, die mit diesen drei Buchstaben nichts mehr anfangen können: Es ist die Partei, die einstmals für Liberalismus in diesem unserem Lande stand.
Die Einbürgerung ist weiter zu erleichtern. Kinder von Ausländern mit verfestigtem Aufenthaltstitel sollten die deutsche Staatsbürgerschaft auch durch Geburt im Bundesgebiet erwerben können. Doppelstaatsbürgerschaften sollten verstärkt zugelassen werden.
So weit aus einem Papier des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland.
Und für die Katholiken unter uns:
Insbesondere für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die hier geboren und aufgewachsen sind oder seit vielen Jahren hier ihren Lebensmittelpunkt haben, sind Einbürgerungserleichterungen längst überfällig. Die Ergänzung des ius sanguinis durch das ius soli sowie die Hinnahme von Mehrstaatigkeit sind international bewährte Lösungswege.
Die Grundüberzeugung demokratischer Gemeinwesen, daß es für Staat und Gesellschaft nicht gut ist, Menschen an ihrem ständigen Wohnsitz auf Dauer die Bürgerrechte vorzuenthalten, sollte den Gesetzgeber bei der anstehenden Novellierung des Einbürgerungsrechts leiten.
So weit das Votum des Arbeitskreises für Ausländerfragen des Zentralkomitees der deutschen Katholiken.
Daran, daß die F.D.P. ihre Grundsätze ständig über Bord wirft, haben wir uns ja gewöhnt. Aber als säkularisierter Moslem muß ich mich schon ein wenig darüber wundern, daß Sie das Wort der beiden großen christlichen Konfessionen dieses unseres Landes offensichtlich nicht mehr besonders bewegt.
Doch warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute so naheliegt? Die Abgeordneten von Klaeden, Altmaier und Röttgen, allesamt Union, haben im vergangenen Oktober ihre „Grundsätze zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts" präsentiert. Ich zitiere wiederum:
Ohne die soziale und rechtliche Integration der auf Dauer in Deutschland lebenden Ausländer droht eine nachhaltige Gefährdung des gesellschaftlichen Friedens.
Cem Özdemir
Wir sehen CDU und CSU in einer besonderen Verantwortung, diese Herausforderung anzunehmen.
Dabei kommt der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts eine wichtige Bedeutung zu.
An anderer Stelle heißt es über hier geborene Kinder nicht deutscher Herkunft:
Das geltende Staatsangehörigkeitsrecht macht diese Kinder zu Ausländern, grenzt sie dadurch von ihren Altersgenossen ab und erschwert so ihre Integration, statt sie zu erleichtern. Deshalb muß ihre Rechtsstellung entscheidend verbessert werden.
Nichts davon haben Sie eingelöst, nichts davon haben Sie gemacht. Im Gegenteil: Für die Reduzierung des Solidaritätsbeitrages ist die F.D.P. bereit, die Koalition platzen zu lassen. Wenn es allerdings um eine der elementarsten Fragen im Zusammenleben zwischen Menschen verschiedenster Herkunft in diesem unserem Lande geht, dann tauchen Sie ab oder - so sollte ich vielleicht sagen - treten gar nicht mehr in Erscheinung. Wer die Interessen der Menschen dieses Landes ständig der Koalitionsräson und dem permanenten Wahlkampf unterordnet, hat meines Erachtens jede liberale Glaubwürdigkeit verloren.
- Ich komme jetzt zu dem Punkt, der uns mit Sicherheit alle interessieren dürfte.
Seit Beginn dieser Legislaturperiode haben mehr als 1 Million Kinder irgendwo in diesem unserem Lande das Licht der Welt erblickt. Etwa 130 000 von ihnen gehören laut Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz aus dem Jahre 1913 nicht zu den Bürgern dieser Republik, sondern sind Ausländer; denn ihre Eltern sind nicht in diesem unserem Lande geboren, ihre Vorfahren kommen nicht aus diesem unserem Lande. Diesen täglichen Wahnsinn sollten wir uns in Deutschland nicht mehr leisten.
Während dieser Debatte werden statistisch gesehen sechs Kinder geboren, die nicht deutscher Herkunft sind. Ich finde, wir sollten Ayse, Janusz, Mansur, Kostas, José und Jacqueline zu Bürgerinnen und Bürgern erster Klasse machen. Sie gehören zu uns, sie gehören zu dieser Gesellschaft.
Zur Abstimmung steht heute der von meiner Fraktion eingebrachte Antrag, der übrigens identisch ist mit den Vorstellungen der Ausländerbeauftragten dieser Regierung.
In diese Richtung gehen auch die Forderungen von renommierten, der CDU angehörenden Rechtswissenschaftlern, beispielsweise von Herrn Hailbronner und Herrn Oberndörfer. Letzterer forderte jüngst in diesem Kontext unverblümt den - ich darf zitieren - „Abschied vom völkischen Zwang".
Frau Schmalz-Jacobsen, Sie sind die Beauftragte für die Belange der Ausländer in diesem Lande, nicht die Beauftragte für den Koalitionsfrieden in dieser Regierung.
Die Nichtdeutschen sehen in Ihnen ihren Anwalt und Fürsprecher für ihre Belange in dieser Regierung. Ich möchte Sie auffordern, dieser Verantwortung auch heute gerecht zu werden.
Des weiteren haben wir einen Entschließungsantrag eingebracht mit dem soeben zitierten Abschnitt aus der Stellungnahme des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. Es stünde uns gut an - und das möchte ich gerade als Moslem sagen -, mit unserer aller Zustimmung ein Zeichen dafür zu setzen, daß wir die Signale, die aus der Gesellschaft kommen, im Hohen Haus ernst nehmen.
Wir haben einen Antrag eingebracht, der Mindestkriterien für eine Reform vorsieht und - wenn man den Verlautbarungen Glauben schenken darf - bis weit in die Reihen der Union hinein mehrheitsfähig ist. Dieser Antrag soll an die Ausschüsse überwiesen werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn ich es nicht vermag, Sie zu überzeugen, überzeugt Sie vielleicht Molière:
Wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun.
In diesem Sinne danke ich Ihnen.
Zu einer Kurzintervention der Abgeordnete Peter Altmaier.
Lieber Kollege Özdemir, es ist bekannt, daß wir in der Union über die Frage, wie die Reform auszugestalten ist, in dem einen oder anderen Punkt unterschiedlicher Meinung sind.
Das gilt zum Beispiel für die Frage, ob die Kinderstaatszugehörigkeit das bringen kann, was mit ihrer Einführung bezweckt wird. Daß wir aber in der Union über diese Frage offen, kontrovers und enga-
Peter Altmaier
giert diskutieren, ehrt die Union und spricht dafür, daß wir diesem Thema die Bedeutung zuweisen, die es verdient hat.
Wir lassen uns dabei nicht unter Zeitdruck setzen. Es geht um eine Reform, die wir bis zum Ende dieser Legislaturperiode durchführen wollen. Da kann es auf zwei oder drei Monate nicht ankommen.
Ich sage ein Weiteres: Wir müssen aufpassen, daß wir das, was wir durch eine verbesserte rechtliche Stellung an Integration erreichen wollen, nicht dadurch entwerten, daß wir Ängste und Emotionen schüren. Durch Ihr jahrelanges Festhalten am Konzept der generellen doppelten Staatsangehörigkeit zum Nulltarif haben Sie die Lösung dieser Fragen erschwert und nicht erleichtert.
Wenn nun auch Sie in dieser Frage Flexibilität signalisieren, dann begrüßen wir das nachdrücklich und sagen: Die Einsicht kommt spät. Aber besser, sie kommt spät, als nie.
Ein Letztes: Ich habe keinen Zweifel an der Integrität und der Ehrenhaftigkeit all derer, die quer durch alle Parteien, bei den Grünen, der SPD, der F.D.P. und auch bei uns, für ein besseres Staatsangehörigkeitsrecht streiten. Ich habe allerdings erhebliche Zweifel an der Seriosität Ihres Antrages, weil er genau zu diesem Zeitpunkt kommt - wenige Wochen vor den Landtagswahlen -, weil er aus wahl- und parteitaktischen Motiven darauf angelegt ist, Unterschiede zwischen den Koalitionsfraktionen herbeizureden. Deshalb sage ich Ihnen: Ihr Antrag bekommt von uns die Antwort, die er verdient hat, nämlich ein klares und überzeugtes Nein. Danach werden wir gemeinsam für eine tragfähige und gute Lösung arbeiten.
Vielen Dank.
Zur Beantwortung der Kollege Cem Özdemir.
Herr Kollege Altmaier! Meine Damen und Herren! Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland, wie Sie alle wissen, 16 Bundesländer. Irgendwo ist immer Wahlkampf. Wenn wir Rücksicht darauf nehmen, wo Wahlkampf ist, und unsere Überlegungen zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes weiterhin hintanstellen, dann werden wir in dieser Legislaturperiode wahrscheinlich kein neues Staatsangehörigkeitsrecht mehr bekommen.
Ich möchte noch gerne auf einen zweiten Punkt eingehen. Wir haben gehört - Sie haben das noch einmal eindrücklich gesagt -, daß es Reformbedarf gibt; das wurde insgesamt eingeräumt. Es wurde auch gesagt, wo dieser Reformbedarf anzusiedeln ist, nämlich bei der Verkürzung der Fristen und bei hier geborenen Kindern. Unterschiede gab es bei der Akzentuierung der doppelten Staatsbürgerschaft. Manche wollen sie etwas großzügiger gehandhabt wissen, manche wollen sie gar nicht.
Ich frage Sie: Warum sind Sie nicht in der Lage, diesem Hause einen Gesetzentwurf vorzulegen, in dem die Punkte, bei denen wir offensichtlich einer Meinung sind, formuliert und klare Verkürzungen der Rechtsfristen festgeschrieben werden? Warum sagt man nicht, man begrüßt, daß diese Menschen hier leben, daß sie sich dazu bekennen, dazuzugehören? Warum machen Sie dies nicht?
Ich möchte noch einen letzten Punkt ansprechen, damit bezüglich der doppelten Staatsangehörigkeit klarer wird, worüber man eigentlich spricht. Sie alle kennen das Beispiel der Frau Genç aus Solingen, die fünf ihrer Angehörigen durch einen Brandanschlag verloren hat. Nach diesem Brandanschlag hat sie Deutschland nicht den Rücken gekehrt; sie ist in dieser Republik geblieben. Sie hat nach diesem Ereignis ihr neues Haus wieder in Deutschland gebaut und die Staatsbürgerschaft unseres Landes angenommen.
Ich frage Sie: Kann man sich ein größeres Bekenntnis, eine größere Form der Loyalitätsbekundung zu dieser Republik vorstellen, als daß sich eine Frau nach einer solchen Erfahrung zu dieser Heimat bekennt? Ich denke, es wäre ein Zeichen der Großzügigkeit, eine Geste der Humanität, den Menschen der ersten Generation großzügig die doppelte Staatsbürgerschaft zu geben.
Das Wort hat jetzt die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Frau Cornelia Schmalz-Jacobsen.
- Als MdB.
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Ich verstehe, daß Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, Druck machen und antreiben. Das ist sicher Ihre Aufgabe, als Opposition kann man das. In der Koalition muß man, egal welches Amt man bekleidet, verhandeln und noch einmal verhandeln und überzeugen. Das ist mitunter mühsam.
Es gibt in diesem Hause eine klare Mehrheit für Änderungen im Staatsbürgerschaftsrecht.
Es gibt übrigens auch in der Öffentlichkeit eine
breite Mehrheit für Änderungen, und zwar von „Pro
Asyl" über die Kirchen, über viele Vereinigungen
Cornelia Schmalz-Jacobsen
und Verbände bis hin zur „Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Es gibt eine klare Mehrheit innerhalb der Bevölkerung; das haben Umfragen deutlich gemacht.
Ich möchte hier nicht stehen, ohne mich auch zu bedanken bei all denjenigen, die sich, quer durch die Fraktionen, bemüht haben, Brücken zu bauen.
Mitunter sind ja die lauten Töne so geartet, daß sie das überdecken. Aber es gibt die Brückenbauer, und ich danke ihnen.
Die SPD hat einen neuen und, wie ich finde, sehr interessanten Antrag vorgelegt,
in dem zum erstenmal auch der Verlust von Staatsbürgerschaft deutlich gemacht wird. Herr Kollege Özdemir, Sie wissen, daß der Entwurf, den Sie vorgelegt haben und den wir in den Ausschüssen beraten haben - der übrigens nicht mein ehemaliger ist; das sage ich ausdrücklich -, in einigen Punkten von unseren Vorstellungen abweicht. Wir halten ihn für zu weitgehend.
Ich möchte noch einmal zu unseren Vorstellungen etwas sagen. Wir sind ganz eindeutig für eine Verkürzung der Fristen. Wir sind der Meinung, daß diejenigen, die sich seit acht Jahren rechtmäßig hier aufhalten, einen Rechtsanspruch auf Einbürgerung haben sollten.
Ich bin der Meinung, daß Kinder, die hier geboren werden, in der zweiten Generation - eine Mehrheit ist der Meinung, in der dritten Generation - automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft haben sollten. Das ist neben dem Abstammungsprinzip ein kleines Türchen des Geburtsrechts.
Heute spricht niemand mehr - jedenfalls mit Sicherheit nicht bei uns - von einer generellen Doppelstaatsbürgerschaft, von flächendeckender Doppelstaatsbürgerschaft.
Aber es gibt Staatsrechtler wie Herrn Professor Hailbronner, der deutlich gemacht hat, daß die rechtspolitischen Argumente gegen die Doppelstaatsbürgerschaft längst an Bedeutung verloren haben.
Herr Kollege Hirsch hat schon auf das zweite Zusatzprotokoll zum Europaratsabkommen zur Vermeidung von Mehrstaatlichkeit aus dem Jahre 1963 hingewiesen, das unsere drei Nachbarländer, an denen wir uns sonst eher orientieren als zum Beispiel an Rußland und Polen, nämlich Frankreich, Italien und die Niederlande, gezeichnet haben. Im Moment arbeitet eine Expertengruppe des Europarats an einer neuen europäischen Konvention zur Staatsangehörigkeit. Es geht hier im Kern um das Recht, bei Einbürgerung die alte Staatsbürgerschaft beizubehalten.
Nun weiß ich natürlich, daß wir das nicht gezeichnet haben, aber ich weiß ebensogut, daß die deutsche Seite daran mitarbeitet. Ich weiß ebenfalls, daß sich die Bundesregierung hierzu eine Meinung wird bilden müssen. Wir sind natürlich das Land mit den meisten Zuwanderern, mit den meisten Ausländern. Darum haben wir ein besonders hohes Interesse an dieser neuen Konvention. Wenn wir dem Modell Frankreichs folgen würden, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann hätten wir mit einem Schlag ungefähr 1 Million Ausländer weniger. Denn daß so viele bei uns leben, hängt damit zusammen, daß wir uns in der Vergangenheit außerordentlich schwergetan haben mit Einbürgerungen.
Es nützt nichts: Was man tabuisiert, das kann man nicht gestalten. Ich glaube, in diesem Hause gibt es eine Mehrheit, die gestalten will.
Das Beispiel der Niederlande ist sehr eindrucksvoll; ich habe das in meinem Bericht über die Lage der Ausländer in der Bundesrepublik angeführt. Dort hat man 1991 die Möglichkeit der Doppelstaatsbürgerschaft eingeräumt. Mit einem Schlag haben sich dort vor allem die Türken einbürgern lassen; sie sind jetzt bei einer Quote von 8 Prozent. Im Vergleich dazu liegt die Quote bei uns bei 0,63 Prozent.
Laut einer Untersuchung, die 1994 unter Bürgern der ehemaligen Gastarbeiteranwerbeländer durchgeführt wurde - hören Sie gut zu -, gibt es Interesse an einer Einbürgerung bei weit über der Hälfte der Befragten; ein besonders hohes Interesse bei den Türken und den Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien. Das ist ganz klar. EU-Bürger haben nicht das gleiche Interesse daran.
Eines möchte ich ganz klar sagen, um diese merkwürdige Debatte um die Doppelstaatsbürgerschaft vom Kopf auf die Füße zu stellen: Nicht die Doppelstaatsbürgerschaft ist der Kern der Sache, sondern die erleichterte Einbürgerung; darum geht es, meine Damen und Herren.
Die Frage ist: Werden die richtigen Signale ausgesandt? Ich habe heute einen Zwischenruf gehört, der lautete: Die können sich doch einbürgern lassen. Aber ich frage einmal: Wird die Einbürgerung wirklich gewünscht? Wollen wir alle wirklich, daß sie dazugehören? Ich will Ihnen ein Beispiel nennen; ich habe in den letzten Tagen in zahlreichen Zeitungsveröffentlichungen, als es um den Solidarzuschlag ging, folgenden Satz gelesen, den einer offenbar vom anderen abgeschrieben hat: „Den Solidarzuschlag zahlen deutsche Staatsbürger in West und Ost." Das wurde geschrieben, um die Ostdeutschen zu beruhi-
Cornelia Schmalz-Jacobsen
gen. Das stand sogar in der „Süddeutschen Zeitung". Das ist eine Gedankenlosigkeit erster Güte;
das ist eine Ohrfeige für weit über 2 Millionen ausländische Steuerzahler, die natürlich ebenfalls den Solidaritätszuschlag zahlen.
Das eine ist die fremdenfeindliche Gewalt; das andere sind solche Ohrfeigen im Alltag, die ein Signal aussenden, das wir nicht brauchen können.
Es ist natürlich eine Menge geschehen; der Kollege Marschewski hat darauf hingewiesen. Aber bedauerlicherweise ist es weitgehend immer noch unbekannt. Da frage ich mich eben: Ist der Grund dafür nicht vielleicht, daß einerseits das Recht, das wir geändert haben - ich meine die Rechtsansprüche auf Einbürgerung -, und andererseits die Signale wie das eben genannte in einem Widerspruch zueinander stehen?
Ich bin natürlich außerstande, Informationskampagnen zu machen. Das können andere. Herr Kollege Özdemir, Sie haben meine Kollegin Barbara John angeführt, die dieses in der Tat in Berlin mit Rückendeckung des Berliner Senats tun konnte. Das hat zur Folge, daß heute in Berlin jeder zehnte Türke entweder bereits eingebürgert ist oder einen Antrag auf Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft gestellt hat. Das Werben für die Einbürgerung ist eben ein positives politisches Signal.
Der Satz, daß die rechtliche Gleichstellung durch Einbürgerung erfolgen soll - ihn hat das Zentralkomitee der deutschen Katholiken in einem umfänglichen Papier niedergelegt -, ist natürlich völlig richtig: Die rechtliche Gleichstellung erfolgt durch die Einbürgerung. Ich möchte gerne zu diesem Papier etwas sagen, von dem ich wirklich jedes Wort unterschreiben kann; ich habe es sehr gründlich gelesen. Liebe Kolleginnen und Kollegen vom Bündnis 90/Die Grünen, Sie müssen sich schon fragen lassen, ob Sie, indem Sie hier einen Stein herauslösen und ihn benutzen, nicht eigentlich etwas tun, was eine Zumutung für die Ausländer und auch eine Zumutung für die Kolleginnen und Kollegen in diesem Hause darstellt.
Wenn Sie uns in Bedrängnis bringen wollen, dann nicht mit so einem doch sehr vordergründigen Entschließungsantrag. Im übrigen bin ich der Meinung: Wir verabschieden viel zu viele Entschließungsanträge; aber das steht auf einem anderen Blatt.
Den Gefallen, sich so an einem Nasenring vorführen zu lassen, tun wir Ihnen nicht.
Auch ich will mit einem Zitat enden; es ist nicht von Molière, sondern von Erich Kästner:
Was auch immer geschieht,
nie dürft ihr so tief sinken,
von dem Kakao, durch den man euch zieht, auch noch zu trinken.
Vielen Dank.
Jetzt spricht die Abgeordnete Ulla Jelpke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Schmalz-Jacobsen, das Zitat war in der Tat sehr zweideutig. Das könnte man auch auf Ihre Politik beziehen.
Wir werden heute dem Entschließungsantrag der Grünen zustimmen, weil wir es richtig finden, Druck auszuüben bezüglich der Staatsangehörigkeit und der erleichterten Einbürgerung sowie bezüglich der Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft.
Herr Marschewski, wenn Sie den Grünen vorwerfen, daß sie mit diesem Druck den inneren Frieden gefährden, dann frage ich mich: Wie kann es angehen, daß die Regierungskoalition - wir diskutieren jetzt seit vier Jahren über die erleichterte Einbürgerung bzw. über die doppelte Staatsbürgerschaft - immer dann, wenn es darum geht, Verschlechterungen für Ausländer und Ausländerinnen in diesem Land durchzusetzen, sehr schnell handelt, wenn es aber um humanitäre Rechte oder um eine bessere Rechtsstellung geht, sehr lange Zeit für Entscheidungen benötigt? Ich nenne hier nur ein paar Beispiele: Altfälle Asyl ist ebenso ein umstrittenes Thema wie § 19 des Ausländergesetzes, wo es um das Aufenthaltsrecht von Ehegatten geht. Dies alles sind Fragen, die zur Zeit in der Koalition sehr umstritten sind und wo die Koalition nicht vom Fleck kommt.
Herr Marschewski, Sie haben heute in Ihrer Rede sehr deutlich gemacht, daß Sie von den Menschen, die hier eingebürgert werden, Deutschtum und ein Bekenntnis zu diesem Staat abverlangen. Ich halte das für dubios;
denn meines Erachtens sollten diese Menschen weiterhin, auch wenn sie eingebürgert sind, ihre Kultur leben können.
Die SPD hat einen Antrag vorgelegt. Unsere Kritik dazu ist bekannt. Es handelt sich im wesentlichen um nichts Neues. Die SPD bleibt beim Abstammungsprinzip. Unserer Meinung nach sind die Fristen nach wie vor zu lang. Wir sind genauso der Meinung, daß Kinder, die hier geboren werden, automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen sollten und nicht, wie die CDU/CSU offenbar immer noch plant, die Schnupperstaatsbürgerschaft.
Im übrigen möchte ich den Kolleginnen und Kollegen von der SPD einen sehr defensiven Umgang in diesen Dingen bescheinigen. Sie sollten deutlich
Ulla Jelpke
machen, daß Druckausübung im Sinne des Antrags, den die Grünen heute vorgelegt haben, richtig ist.
Was den Antrag der Grünen angeht, der heute an die Ausschüsse überwiesen wird, möchte ich folgendes sagen. Die Grünen hatten im Februar vergangenen Jahres einen Entwurf vorgelegt, den wir inhaltlich unterstützt haben. Wie alle im Hause wissen, handelte es sich dabei tatsächlich um einen Entwurf von Frau Schmalz-Jacobsen. Sie hatte nach dem Brandanschlag in Solingen erkannt, daß eine erleichterte Einbürgerung hier lebender Ausländerinnen und Ausländer zwar nicht vor Anschlägen schützt, die doppelte Staatsbürgerschaft aber immerhin ein Fundament bilden würde, diese Menschen gleichberechtigt zu behandeln. Das wäre ein wichtiger Schritt, um ausländerfeindliche Tendenzen in der deutschen Bevölkerung zurückzudrängen.
Im Oktober letzten Jahres hat Kollege Özdemir der SPD noch vollmundig vorgeworfen: „Sie betätigen sich als V-Leute von Innenminister Kanther." Einige SPD-geführte Länder hatten nämlich angekündigt, hinsichtlich der Reformierung des Staatsangehörigkeitsrechts bewußt auf einen eigenen SPD-Gesetzentwurf zu verzichten, um den Handlungsspielraum für Verhandlungen mit der Bundesregierung zu wahren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Sie haben sich mit den jetzt vorgelegten Mindestkriterien für eine Reform der Staatsangehörigkeit auf eine Bahn begeben, die meines Erachtens schnurstracks in das Schlamassel der sozialdemokratischen Verhandlungstaktik führt. Sie fordern als Mindestkriterien ein ergänzendes Territorialprinzip. Der Rechtsanspruch auf Einbürgerung soll lediglich verbessert, die doppelte Staatsbürgerschaft nur vermehrt hingenommen und auf die Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit als Voraussetzung für die Annahme der deutschen Staatsangehörigkeit soll weitgehend verzichtet werden.
Wir unterstützen Ihren Entschließungsantrag, in dem Sie, wie gesagt, mit den Forderungen Dritter - hier: des Zentralkomitees der deutschen Katholiken - versuchen, die Bundesregierung unter Druck zu setzen. Aber es ist etwas grundlegend anderes, sich als Steigbügelhalter einer maroden Regierungskoalition anzudienen.
Sie verringern durch Mindestkriterien mutwillig die sowieso geringen Möglichkeiten, aus der Opposition heraus den bestmöglichen Einfluß auf die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts zu nehmen. Sie können in Ihrer Antragsbegründung zwar behaupten, daß Sie nach wie vor zu den Inhalten des Entwurfs der Ausländerbeauftragten stehen; aber machen Sie sich und der Öffentlichkeit bitte nichts vor: In Zukunft wird keiner mehr über den Entwurf von Frau Schmalz-Jacobsen reden, sondern über die Mindestkriterien des Kollegen Özdemir. Ich denke, was Sie hier vorgelegt haben, ist nicht gerade besonders gut für die Politik der Grünen.
Herr Özdemir, möchten Sie das Wort zu einer Kurzintervention? - Bitte.
Frau Kollegin Jelpke, ich finde, daß es zuviel der Ehre ist, wenn Sie von den „Mindestkriterien des Abgeordneten Özdemir" sprechen. Um einer eventuellen Legendenbildung vorzubeugen: Wir haben uns nicht etwa in irgendeiner Weise von unseren Vorstellungen verabschiedet, sondern wir haben einen Antrag vorgelegt, der Mindestkriterien definiert, das heißt das, was nach den Äußerungen in diesem Hause angeblich möglich sein müßte, wofür es auch nach Auskunft von Frau Schmalz-Jacobsen eine Mehrheit gibt.
Wir haben die unterschiedlichen Positionen im Begründungsteil referiert. Wir haben unsere Position genannt, an der wir nach wie vor festhalten, weil wir sie für richtig erachten, wir haben die Position der SPD genannt, und wir haben die Positionen genannt, die innerhalb der Regierung diskutiert werden. Diese Klarstellung ist notwendig, um hier nicht irgendwelche Legendenbildungen zu erzeugen.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wolfgang Zeitlmann.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir reden über einen Antrag der SPD sowie einen Antrag und einen Gesetzentwurf des Bündnisses 90/ Die Grünen.
Wenn ich an den Redebeitrag der Kollegin Jelpke denke, frage ich mich, ob ich in einer anderen Republik lebe; denn sie spricht davon, in diesem Lande seien für Ausländer nur Verschlechterungen eingetreten und von uns zu verantworten. Lassen Sie mich ein paar Zahlen nennen. Die Zahlen beweisen, daß in diesem Land keine Verschlechterungen für Ausländer eingetreten sind, sondern erhebliche Verbesserungen, sonst gäbe es nicht diese steigenden Zahlen von einwandernden Ausländern: 1961 waren es 700 000, 1970 waren es 2,4 Millionen, 1980 waren es 4,4 Millionen, 1990 waren es 5,3 Millionen, und 1995 waren es 7,2 Millionen Ausländer, die in die Bundesrepublik eingewandert sind.
Kommen Sie mir nicht mit dem Argument, daß es sich dabei nur um EU-Ausländer handele! Die Zahl der im Zeitraum von 1990 bis 1995 zu uns gekommenen EU-Bürger ist bis auf 100 000 ziemlich gleichgeblieben.
Ich nenne Ihnen eine zweite Zahl, eine Prognose, die von dieser Regierung stammt. Sie mag richtig oder falsch sein; bei Prognosen weiß man das nie. Sie ist aber zumindest Basis für manche Überlegungen im Rahmen des Wohnungsbaus. Sie wissen, was ich meine: die Prognose des Bundesamts für Landes-
Wolfgang Zeitlmann
kunde und Raumordnung. Sie erwartet bis zum Jahre 2010 eine Zuwanderung von 8 Millionen Menschen zu den heute hier befindlichen 7 Millionen Menschen aus dem Ausland.
In einer solchen Diskussion - ich frage mich manchmal, ob Sie diese Zeichen draußen im Volke nicht wahrnehmen - ist der Umgang mit dem Ausländerrecht und auch mit dem Staatsangehörigkeitsrecht nicht so einfach mit Schlagworten und schon gar nicht mit solchen Anträgen, Herr Özdemir, anzuraten.
Ich sage Ihnen gleich, warum.
Die generelle doppelte Staatsangehörigkeit vermittelt der Masse der Bevölkerung Ängste. Ich sage Ihnen auch: Wenn Sie in Ihrem Antrag formulieren: „Deutschland ist ein Einwanderungsland" , dann vermittelt auch dies Ängste.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Irmer?
Nein, ich möchte gerne im Zusammenhang vortragen.
- Ich habe gar nicht geschaut, wer eine Zwischenfrage stellen will, Herr Kollege.
Herr Özdemir, in Ihrem Antrag fordern Sie, daß Asylberechtigte und Flüchtlinge nach fünf Jahren eingebürgert werden können - ohne Rücksicht darauf, ob sie straffällig waren, ohne Rücksicht darauf, ob sie integrierbar sind, ob sie zum Beispiel deutsch sprechen, ob sie zum Beispiel ihren Lebensunterhalt bestreiten können oder ob sie die Hilfe der Solidargemeinschaft in Anspruch nehmen. Damit säen Sie Unfrieden.
Meine Damen und Herren, wer in einem Entschließungsantrag niederlegt, daß der Rechtsanspruch auf Einbürgerung an keine anderen Voraussetzungen als nur die Frist gebunden sein soll, der muß dann auch laut sagen, daß er die Menschen einbürgert, die in diesem Staat straffällig geworden sind. Ich vermisse die Logik, wenn Sie dies nicht laut sagen. Wer so etwas fordert, der schürt nur die Ängste der Menschen. Dies wollen wir ganz eindeutig nicht.
Ich füge hinzu: Ich halte den Vorschlag der SPD zur Neuregelung des Staatsangehörigkeitsrechts in manchen Bereichen für unzureichend. Aber er kommt den Realitäten näher, er ist fairer und geht nach meinem Dafürhalten von in weiten Teilen durchaus vernünftigen Ansätzen aus.
Meine Damen und Herren, Sie dürfen aber nicht so tun, als sei die jetzige Situation das Ergebnis von
Ausgrenzung und Nichteingliederung. Herr Marschewski hat die Eingliederungszahlen genannt - sie sind, so glaube ich, sehr eindrucksvoll -: Eine Steigerung von 70 Prozent ist deutlich.
Die doppelte Staatsangehörigkeit soll nach meiner Meinung wirklich die Ausnahme sein. Es ist doch ein ganz normaler Vorgang, daß wir in diesem Hause fordern: Wer eingebürgert werden will, soll integrierbar sein. Er soll die deutsche Sprache einigermaßen beherrschen. Er soll in diesem Land vorankommen können.
- Da können Sie, Herr Fischer, ruhig zynisch Beifall spenden, das ist mir völlig wurscht.
Ich bleibe dabei: Sie werden in diesem Volk keine Zustimmung erhalten zu einem Entwurf, der auch die Leute einbürgern will, die straffällig geworden sind, die die deutsche Sprache nicht beherrschen und die auf die öffentlichen Kassen losmarschieren. Das kann keine vernünftige Grundlage sein.
Wenn Sie das zur Kenntnis nehmen, sind wir schon näher zusammen.
Auch ich will die einbürgern, die integrierbar sind. Nur, es kann nicht richtig sein, wenn man den Eindruck erweckt, als sei die doppelte Staatsangehörigkeit für den, der zu uns kommt, das Eintrittsticket für die Einbürgerung, nach möglichst kurzer Zeit und ohne genaue Prüfung.
Meine Damen und Herren, nach unserer Auffassung soll - dabei bleibe ich - das Tor für die doppelte Staatsangehörigkeit nicht generell geöffnet werden. In diesem Punkte stimmen wir schon ziemlich weit mit den Sozialdemokraten überein. Ich bin gerne bereit, Regelungen zuzustimmen, die das Interesse an der Einbürgerung erhöhen, auch über Fristverkürzungen zu reden.
Aber in den Fragen der deutschen Staatsangehörigkeit Kriterien wie Straffälligkeit, Beherrschen der deutschen Sprache und keine Inanspruchnahme der Sozialhilfe anzuführen ist genauso legitim.
Meine Damen und Herren, es ist interessant, daß Sie beim Thema der doppelten Staatsangehörigkeit immer so vehement reagieren. Diese Regierung hat in den vier Jahren dieser Legislaturperiode sicher Wichtigeres und Bedeutenderes zu tun, als daß man ihr schon nach einem Jahr und drei Monaten Vorwürfe machen kann, wenn sie mit dem angekündigten Entwurf noch nicht übergekommen ist. Wir verhandeln darüber und hoffen, daß wir ein Ergebnis vorlegen können. Aber für eine Jagd, wie Sie sie in
Wolfgang Zeitlmann
diesem Hause heute veranstaltet haben, gibt es keinen Grund.
Herr Kollege Zeitlmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Fuhrmann?
- Ja, dann ist es zu spät. Es tut mir leid.
Dann erteile ich der Abgeordneten Frau Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast das Wort.
Frau Kollegin Sonntag-Wolgast, entschuldigen Sie bitte. Herr Özdemir wollte eine Kurzintervention machen. Sind Sie damit einverstanden?
Bitte.
So ist das Leben.
Ich danke Ihnen, Frau Kollegin.
Nur ganz kurz, Herr Zeitlmann. Da Sie besonders auf die Bedingungen, auf die Kriterien abgehoben haben, die wichtig sind für die Staatsbürgerschaft: Ich habe gar kein Problem damit, daß wir uns über Kriterien verständigen. Herr Geißler - ich habe es mehrfach in Vorträgen gehört - hat zwei Kriterien genannt, die wichtig sind, um die Staatsangehörigkeit, das Zusammenleben in einem gemeinsamen Staatswesen zu organisieren. Erstens ist dies die gemeinsame Amtssprache. Diese ist sinnigerweise Hochdeutsch in diesem Land, weil das die meisten von uns sprechen - nicht schreiben, das ist ein wichtiger Unterschied. Zweitens sind dies gemeinsame Werte und Normen, die uns alle verbinden. Diese sind im Grundgesetz und in den Grund- und Menschenrechten festgehalten. Auch sie - das ist eine Selbstverständlichkeit - gelten für uns alle. Glauben Sie nicht, daß wir auf dieser Grundlage den Rest von völkischem Müll auf den Schrottplatz der Geschichte - also dahin, wo er hingehört - verdammen könnten? Dann hätten wir ein modernes europäisches Staatsangehörigkeitsrecht, das Deutschland gut zu Gesichte stehen würde.
Herr Kollege Zeitlmann, Sie haben die Möglichkeit, zu antworten.
Herr Kollege Özdemir, Sie haben auf meinen Hauptvorwurf nicht reagiert, daß Sie beim Rechtsanspruch auf Einbürgerung nur einen verfestigten Aufenthalt verlangen, den Sie nach Fristen definieren, aber keine weiteren Voraussetzungen. So schreiben Sie hier. Das heißt auf gut Deutsch: Sie nehmen den Straffälligen auf, Sie nehmen auch den auf, der kein Deutsch spricht. Dann müssen Sie bitte Ihre Drucksache ändern. - Nicht mehr und nicht weniger habe ich Ihnen vorgeworfen.
Frau Kollegin Dr. Sonntag-Wolgast, ich erteile Ihnen das Wort.
Danke. - Herr Marschewski, sehen Sie, wie geduldig wir sind, daß wir keineswegs heftig mit den Flügeln schlagen, sondern diese beiden Kurzinterventionen noch abgewartet haben?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, manche Jubiläen feiert man ja freudig, bei anderen würde man gerne darauf verzichten. So geht es uns bei unseren parlamentarischen Vorstößen für Einbürgerungserleichterungen und für die wirklich dringend fällige Reform des Staatsangehörigkeitsrechts. Denn fast auf den Tag genau vor einem Jahr stand ich hier auf diesem Platz und erläuterte unseren ersten Antrag zu diesem Thema in der damals noch ziemlich jungen Legislaturperiode. Nun war mir klar, daß ich der Koalition damit das Leben schwer machen würde. Das wollen wir ja auch. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß unsere Initiative einjährigen Geburtstag feiern würde, ohne daß sie bisher im Innenausschuß gründlich beraten worden ist, hätte ich mir in meinen kühnsten Alpträumen nicht vorstellen können.
Und wenn Sie von Zeitdruck reden: Wenn Sie das Zeitdruck nennen, dann ist wohl das Tempo einer Schnecke so etwas wie das Tempo eines Geparden.
Und da beseelt mich auch keine Schadenfreude mehr über die tiefgreifenden Meinungsunterschiede zwischen Union und Liberalen, von denen wir eben gerade wieder in Kurzdisputen eine Kostprobe bekommen haben. Nein, ich bin allmählich schlicht und einfach wütend über die Blockadepolitik dieser Regierung in allen Fragen der Zuwanderungs- und Flüchtlingspolitik.
Denn die Unfähigkeit zu einer Reform, deren Notwendigkeit allenthalben beteuert und beschworen wird, schadet allmählich den Betroffenen, und sie bremst auch die Bemühungen um ein gleichberechtigtes Nebeneinander von Deutschen und Zuwanderern. Stillstand und Starre und eine Auffassung von Staatsbürgerschaft nach den Vorstellungen von anno dunnemals blamieren uns allmählich als Bundesrepublik im Kreise fortschrittlicher europäischer Staaten. Meine Damen und Herren, damit muß jetzt endlich Schluß sein.
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast
Weil wir das wissen, haben wir Ihnen in unserem Antrag sehr exakt beschrieben, wo es langgehen soll.
Frau Kollegin Sonntag-Wolgast, ich darf Sie einen Augenblick unterbrechen.
Meine Damen und Herren Kollegen, ich möchte bitten, die Gespräche, die im Hintergrund geführt werden, nach Möglichkeit nach draußen zu verlegen und der Rednerin den Respekt zu erweisen, der ihr gebührt.
Frau Sonntag-Wolgast!
Danke schön.
Ich komme zu wenigen wichtigen Einzelheiten unseres Antrages. Wir treten dafür ein, daß „Wohnbevölkerung" und „Staatsvolk" weitgehend übereinstimmen. Daraus folgt zwingend, daß wir mit dem Abstammungsprinzip alleine nicht mehr auskommen, sondern daß dies durch das sogenannte Territorialprinzip ergänzt werden muß. Noch schlichter ausgedrückt: Ob ein Mensch Deutscher werden darf, darüber entscheidet nicht mehr allein das Blut, das in seinen Adern fließt. Spiegelbildlich wollen wir dann für Deutsche, die auf Dauer ins Ausland gehen, Entsprechendes gelten lassen.
Ein zweiter wichtiger Punkt: runter mit den Fristen für einen Rechtsanspruch auf Einbürgerung! Vier Jahrzehnte nach Anwerbung der ersten sogenannten Gastarbeiter ist es mir unbegreiflich, daß jemand, der zum Beispiel jahrelang in einer Duisburger Maschinenbaufabrik gearbeitet hat, Betriebsrat war, mehrere Töchter im Ruhrgebiet großgezogen hat, der wie auch seine Nachbarn „dat" und „wat" sagt, daß dieser Mann etwa türkischer Herkunft 15 Jahre lang warten muß, bis er die sogenannte Gnade der Einbürgerung hier bei uns erfahren kann. Das wollen wir ändern.
Wir sagen: Acht Jahre Aufenthalt reichen für einen Anspruch. Nach fünf Jahren soll die Möglichkeit nach Ermessen eröffnet werden. Kürzere Aufenthaltszeiten für Ehegatten Deutscher und für den Minderjährigen der zweiten Ausländergeneration sehen wir ebenfalls vor.
Dritter Neuerungsvorschlag: Wenn Spätaussiedler mit der Aufnahme in Deutschland die Staatsangehörigkeit erwerben, spart das Kraft und Zeit für die Verwaltung. Mein Kollege Körper ist darauf bereits eingegangen.
Viertens. Die doppelte Staatsangehörigkeit soll kein Hinderungsgrund für dieses alles sein. Ich wiederhole, was wir mehrmals gesagt haben. Die doppelte Staatsangehörigkeit ist für uns kein Zaubermittel, keine Notwendigkeit und kein Zwang. Aber sie hat für viele Einbürgerungswillige in unserem Land nun einmal materielle und rechtliche Vorteile, für andere einen hohen symbolischen Wert, weil es ihnen hilft, die Brücken zum Land ihrer Herkunft stabil zu halten.
Ich weiß leider, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, daß sie davor immer noch zurückschrecken wie die Schlittschuhläufer vor etwas zu brüchigem Eis. Aber ich darf Ihnen noch einmal ins Gedächtnis rufen, daß in den vergangenen Jahren schon ein gehöriger Anteil an Einbürgerungen unter Duldung von Mehrstaatigkeit erfolgt ist. Dramatische Loyalitätskonflikte habe ich deswegen in diesem Land nicht erblicken können. Ich will auch daran erinnern: Zahlreiche Aussiedler haben ihre bisherige Staatsangehörigkeit beibehalten, ohne daß unsere Republik aus den Fugen gegangen wäre. Die sprachlichen Kenntnisse waren auch nicht immer so, wie man es vielleicht bei der totalen Integration erwarten müßte.
Meine Damen und Herren von den Bündnis-90Grünen: Ich verstehe, warum Sie in Ihrem kurzen Papier, das Sie jetzt in dieser Woche unter dem Motto „Mindestanforderungen für eine Reform" vorlegen, derartig konziliant sind, daß Sie sich noch nicht einmal auf die Mindestfrist zum Recht auf Einbürgerung festlegen. Sie wollen also Entgegenkommen zeigen, damit sich endlich etwas bewegt. Nur, liebe Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, allzu vorsichtig sollte man nun auch mit dieser Reform nicht sein. Ein bißchen Präzision, Klarheit und Kante sollte gezeigt werden; denn bei dieser Koalition, die so schwerfällig ist, muß man Druck machen, muß man drängen, sonst wird sich auf absehbare Zeit nichts bewegen. Wir warten wahrhaftig lange genug.
- Herr Kollege Özdemir, Sie waren dreimal an der Reihe. Ich glaube, wir haben ausreichend gehört, was Sie sagen wollen.
Im Lager von Union und Liberalen findet doch in dieser Frage ein klägliches Versteckspiel statt. Machen wir uns doch dabei nichts vor! Ich bin davon überzeugt, daß unsere Forderungen eine Mehrheit in diesem Parlament haben, wenn nur endlich einige hier tun dürfen, was sie immer nur meinen und sagen, nämlich zu einer Reform mit Ja stimmen, die sogar der Kollege Zeitlmann allmählich ganz gut findet.
Da haben wir nun, um ein Beispiel zu nennen - einmal nicht die Kollegin Schmalz-Jacobsen oder den Kollegen Hirsch, das geschah oft genug -, einen frischgebackenen Justizminister, einen rechtspolitischen Shooting-Star, den Herrn Schmidt-Jortzig. Ich kenne ihn noch als Mitglied aus dem Innenausschuß und weiß, daß er unsere Positionen inhaltlich voll teilt. Nun finde ich, er könnte doch einmal aus den Startlöchern kommen, wo er immer nur kauert, ausgestattet mit den neuen Würden eines Kabinettsmitglieds, und könnte dafür sorgen, daß die Reform schnell zum Durchbruch kommt.
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast
Die CDU/CSU-Mitglieder in der Regierung dürften dann auch ein kleines Geschenk an den maroden Koalitionspartner machen, ihm einen kleinen Triumph gönnen. Es wäre auf alle Fälle der Sache dienlicher als diese ziemlich mäßige Idee der Absenkung des Solidaritätszuschlages auf Kosten der Länder.
Wenn Ihnen schon die Opposition nicht genug ins Gewissen redet, dann doch hoffentlich das Diskussionspapier mit der Forderung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. Ich meine, es ist durchaus zu begrüßen, kommt auch zur rechten Zeit, denn die Halsstarrigkeit der Bundesregierung verdient nun einmal eine harte Reaktion der Kirche. Deswegen war es überfällig.
Liebe Kollegen und Kolleginnen, die grundlegende Neuregelung des Staatsangehörigkeitsrechts ist für uns alle auch die Antwort auf die Frage, wie ernst wir es wirklich mit der Integration meinen. Denn es handelt sich dabei um einen Prozeß, an dem alle mitwirken sollen: die Deutschen und die Zuwanderer, der Gesetzgeber und die gesamte Gesellschaft. Deswegen bedeutet Integration nicht mehr so etwas wie ein Gütesiegel am Ende eines Weges, der mit dem totalen Verzicht auf die bisherige kulturelle Identität verbunden sein muß. Diese Erleichterung ist vielmehr ein wichtiger Schritt, eine Stütze, um die Integration zu fördern.
Wenn wir noch länger warten, dann verpassen wir eine wichtige Chance. Es muß uns doch allmählich alarmieren, daß gerade unter den jugendlichen Ausländern der Drang zur Abkapselung eher steigt, also gerade bei der Generation, von der wir am ehesten annehmen würden, daß sie hier verwurzelt ist und mit der Integration keine Schwierigkeit hat. Die Absetzbewegung greift um sich, egal aus welchen Gründen.
Wir müssen jetzt etwas tun, wir müssen Signale setzen, ehe Abschottung oder auch fundamentalistische Strömungen weiter um sich greifen.
Denn was wir für das partnerschaftliche Zusammenleben von Deutschen und Nichtdeutschen tun, wird letztlich auch über den sozialen und den inneren Frieden in unserem Land mit entscheiden.
Ich plädiere deswegen für Normalität im Umgang zwischen Deutschen und Nichtdeutschen. Ich möchte endlich von einer Atmosphäre wegkommen, in der sich viele bemüßigt fühlen, Ausländer entweder zu hätscheln oder zu hänseln. Es muß doch etwas anderes geben, nämlich einen ganz normalen Umgang miteinander, bei dem man die Stärken und Schwächen beider, Deutscher und Nichtdeutscher, offen beim Namen nennen kann.
Ich bin durch die schrecklichen Umstände der Brandkatastrophe im Asylbewerberheim von Lübeck gezeichnet, als übereilte Schuldzuweisungen kamen und eine mecklenburgische Gemeinde gleich als Brutstätte des Neonazismus fälschlicherweise ausgemacht wurde. Zwei Tage später kam ein Stimmungsumschwung, als ein libanesischer Tatverdächtiger festgenommen wurde. Man muß doch sagen dürfen: Es ist auch möglich, daß ein Ausländer so etwas Furchtbares angerichtet hat. Das muß möglich sein.
Man muß sagen dürfen, ohne daß man des Vorwurfs der Diffamierung bezichtigt wird: Es gibt auch unter den Ausländern Diebe und Dealer genau wie unter den Deutschen. Wir müssen endlich dazu kommen, daß wir uns unbequeme Wahrheiten gegenseitig ins Gesicht sagen können.
Dafür ist die politische Teilhabe derer, die hier schon lange leben und hier verwurzelt sind, unglaublich wichtig: für die Gleichberechtigung, für das Fundament von Ehrlichkeit und auch kritischem Umgang miteinander.
Meine lieben Kollegen und Kolleginnen, ich mache eine Schlußbemerkung. Ich schaue mir die traurige Story der seit Jahren versprochenen, bis heute nicht geleisteten Reform des Staatsangehörigkeitsrechts an. Ich fühle mich an einen störrischen Gaul erinnert, dem ein kleiner, abgemagerter Kutscher im blaugelbem Mantel hin und wieder ein zaghaftes „Hü" zuruft, bis sein großer, schwarzgewandeter Kompagnon schnell wieder die Zügel anzieht. Verlassen Sie sich darauf: Wir werden diesem beklagenswerten Schauspiel nicht tatenlos zusehen. Wir werden Sie weiter drängen; denn der Gaul muß voran. Deswegen werden wir ihn auf Trab bringen.
Danke schön.
Damit schließe ich die Aussprache.
Meine verehrten Kollegen, wenn nicht mehr Ruhe eintritt, unterbreche ich die Sitzung. Das gilt auch für die Mitglieder der Bundesregierung und für die Kollegen im hinteren Teil des Saales.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/2833 und 13/3657 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen zur Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts auf der Drucksache 13/423. Der Innenausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/3472, den Gesetzentwurf abzulehnen.
Ich lasse über den Gesetzentwurf der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 13/423 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. -
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie Stimmen aus der SPD bei Stimmenthaltungen im übrigen abgelehnt.
- Die PDS hat sich in größten Teilen an der Abstimmung nicht beteiligt.
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung abgelehnt. Somit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/3719. Die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen verlangt namentliche Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind die Urnen besetzt? - Ich eröffne die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Dann schließe ich die Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird später bekanntgegeben. )
Wir setzen die Beratung fort. - Darf ich Sie bitten, Platz zu nehmen, damit wir die Beratung fortsetzen können.
- Wir müssen in der Beratung fortfahren, oder ich unterbreche die Sitzung. - Das gilt auch für den Staatssekretär Waffenschmidt, für Frau Sonntag-Wolgast, für Herrn Häfner und für die Kollegen hier rechts an der Regierungsbank. - Herr Staatssekretär Waffenschmidt, wir warten auf Sie. Wir haben Zeit.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 und 7 auf:
6. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung
- Drucksachen 13/2490, 13/3023, 13/3070,
13/3225, 13/3363, 13/3662 -
Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Peter Struck
7. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz über zwingende Arbeitsbedingungen bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen
- Drucksachen 13/2414, 13/2839, 13/3155, 13/ 3364, 13/3663 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Heribert Blens
*) Seite 7575
Ich weise darauf hin, daß wir über die beiden Beschlußempfehlungen anschließend namentlich abstimmen werden. Zur Annahme der Beschlußempfehlungen ist nach Art. 87 Abs. 3 des Grundgesetzes jeweils die Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages erforderlich.
Das Wort zur Berichterstattung wird gewünscht. Ich erteile das Wort zunächst dem Kollegen Dr. Heribert Blens.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will Ihnen den einstimmigen Beschluß des Vermittlungsausschusses zum Entsendegesetz in den wesentlichen Punkten kurz vortragen.
Erstens. Es bleibt dabei, daß für Arbeitnehmer aus EG-Staaten, die von einem ausländischen Arbeitgeber zu Arbeiten in Deutschland eingestellt werden, kein gesetzlicher Mindestlohn festgelegt wird. Statt dessen gilt in Zukunft derjenige Mindestlohn, auf den sich die Tarifvertragsparteien einigen, vorausgesetzt, daß ein entsprechender Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt wird.
Zweitens. Der Geltungsbereich des Gesetzes soll über den Baubereich hinaus geringfügig auch auf Beschäftigte von Hafenschleppern ausgedehnt werden. Von dieser Ausweitung werden etwa 100 Arbeitsverhältnisse erfaßt. Im übrigen gibt es keine Ausdehnung des Geltungsbereiches.
Die Geltungsdauer des Gesetzes wird von zwei Jahren - wie es der Bundestag beschlossen hat - auf dreieinhalb Jahre ausgedehnt. Das entspricht den übereinstimmenden Forderungen der beiden Tarifvertragsparteien des Baugewerbes.
Die Kontrolle der Einhaltung des Gesetzes soll nicht bei den Länderbehörden liegen, sondern bei der Bundesanstalt für Arbeit und den Hauptzollämtern. Zur Erleichterung werden durch das Gesetz Meldepflichten und die Kontrollrechte der entsprechenden Behörden eingeführt.
Die Sanktionen bei Verstößen gegen das Gesetz werden verschärft. Die im Bundestagsbeschluß vorgesehenen Bußgelder werden erhöht. Neu eingeführt wird der zeitweilige Ausschluß von der Vergabe öffentlicher Aufträge bei schweren Verstößen gegen das Arbeitnehmer-Entsendegesetz.
Das sind die wesentlichen Regelungen, die Ihnen der Ausschuß einstimmig vorschlägt. Ich will aber noch - auch in Übereinstimmung mit dem Ausschuß - auf folgendes hinweisen und das hier öffentlich erklären: Alle Beteiligten im Vermittlungsausschuß waren sich darüber einig, daß es jetzt Sache der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes und der Spitzenverbände der Wirtschaft ist, dafür zu sorgen, daß die Tarifverträge mit der Festlegung eines Mindestlohnes insbesondere für den Baubereich zustande kommen und daß sie anschließend von dem zuständigen Ausschuß beim Bundesarbeitsminister für verbindlich erklärt werden. Die Alternative zu dieser Lösung, die im Gesetz festgelegt wird, wäre ein
Dr. Heribert Blens
gesetzlicher Mindestlohn, den ernsthaft doch niemand wollen kann.
Bei der Festsetzung der Mindestlöhne - es ist ein weiterer Wunsch des Vermittlungsausschusses, das hier ausdrücklich zu erwähnen - sollten die Tarifvertragsparteien die besonderen wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Strukturen der neuen Bundesländer gebührend berücksichtigen, um der Gefahr einer Verdrängung ostdeutscher Unternehmen vom Markt auf Grund zwingender Mindestlöhne entgegenzuwirken.
Meine Damen und Herren, ich empfehle Ihnen im Namen des Ausschusses die Annahme dieses einstimmig gefaßten Vermittlungsbeschlusses und bin sicher, daß er hier die erforderliche breite Mehrheit finden wird.
Genauso sicher bin ich, daß das zweite Gesetz, um das es heute geht, nämlich das Meister-BAföG, die erforderliche Mehrheit nicht finden wird. Dafür bin jedoch nicht ich der Berichterstatter, sondern das macht nachher der Kollege Struck. Ich will hier nur begründen, warum die CDU/CSU-Fraktion dem Vermittlungsausschußbeschluß zu diesem Gesetz nicht zustimmt.
Wir waren uns im Vermittlungsausschuß einig, daß das Gesetz in einigen Punkten materiell verbessert werden soll. Diese Einigkeit besteht fort, und wir werden die materiellen Verbesserungen in das Gesetz aufnehmen, das heute erneut im Bundestag eingebracht wird.
Es bestand aber unterschiedliche Meinung darüber, wer das Gesetz ausführen soll. Der Bundestag hatte beschlossen, die Länder sollten das Gesetz ausführen. Das entspricht der Regelung des Art. 83 des Grundgesetzes. Die Mehrheit des Vermittlungsausschusses hat nun die Empfehlung ausgesprochen, das Gesetz soll von der Bundesanstalt für Arbeit, also von einer Bundesbehörde, ausgeführt werden. Der Bund soll dann der Bundesanstalt die Kosten aus der Auszahlung des Meister-BAföG erstatten. Von diesen Kosten sollen wiederum 30 Prozent von den Ländern übernommen werden.
Diese Regelung ist mit der klaren Festlegung des Grundgesetzes unvereinbar; sie ist verfassungswidrig. Wir haben im Art. 104a Abs. 3 eine klare Regelung der Verfassung darüber, daß dann, wenn einer Bundesbehörde oder dem Bund selbst die Ausführung eines Leistungsgesetzes übertragen wird, der Bund auch die Kosten dieses Leistungsgesetzes allein zu tragen hat.
Art. 104 a läßt keine Möglichkeit, in einem solchen Fall eine Mitbeteiligung der Länder an den Kosten einzuführen. Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt, zuletzt in einer Entscheidung vom 10. Dezember 1980, darauf hingewiesen, daß die Regelung des Art. 104a einschließlich des Abs. 3 durch einfaches Gesetz oder auch durch Vereinbarung von Bund und Ländern nicht außer Kraft gesetzt werden kann.
Da diese Regelung verfassungswidrig ist, sehen wir uns nicht in der Lage, ihr zuzustimmen. Die
CDU/CSU-Fraktion wird ablehnen. Ich gehe deshalb davon aus, daß das Gesetz heute scheitern wird.
Wir werden aber ein neues Gesetz einbringen - das wissen Sie -, das die materiellen Verbesserungen, die wir im Vermittlungsverfahren erarbeitet haben, enthält und das, was die Ausführung des Gesetzes angeht, der Verfassung entspricht, nämlich dem Art. 83, wonach die Länder verpflichtet sind, die Bundesgesetze auszuführen.
Ich bin sicher, daß mit einer kurzen Verzögerung durch dieses neue Gesetz das erreicht wird, was wir alle erreichen wollen, nämlich das Meister-BAföG so schnell wie möglich einzuführen.
Das Wort zu einer weiteren Erklärung erhält der Abgeordnete Dr. Peter Struck.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist eine wahre Freude, heutzutage dem Vermittlungsausschuß anzugehören, weil er immer sehr vernünftige Beschlüsse faßt. Das gilt vor allen Dingen für das Meister-BAföG.
- Herr Kollege Fischer, rufen Sie ein bißchen lauter, ich habe es nicht verstanden.
Das Meister-BAföG ist ein Paradefall für die Vernunft, die über Parteigrenzen hinweg geht. Es haben nämlich - man darf zwar aus dem Vermittlungsausschuß nicht mitteilen, wer wie abgestimmt hat - für die Entscheidung des Vermittlungsausschusses, die der Kollege Blens soeben dargestellt hat, nicht nur die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion im Vermittlungsausschuß, nicht nur das Mitglied der Fraktion der Grünen im Vermittlungsausschuß, nicht nur die von der SPD regierten Länder im Vermittlungsausschuß, sondern auch weit darüber hinausgehend Länder im Vermittlungsausschuß dieser Entscheidung zum Meister-BAföG zugestimmt.
Daß Sie jetzt etwas anderes machen wollen, daß Sie morgen per Gewalt einen neuen Gesetzentwurf auf die Reise bringen, auf die Tagesordnung setzen wollen, zeigt nur, meine Damen und Herren von der Koalition, daß Sie schlechte Verlierer sind, nichts anderes.
Ich frage mich auch, ob der Kollege Rüttgers, der wohl zum erstenmal in seinem Leben im Vermittlungsausschuß eine vernichtende Niederlage mit Hilfe von CDU-regierten Ländern erlitten hat, heute den Mut hat, hier anwesend zu sein. Ich wundere mich sehr, daß er nicht da ist.
Dr. Peter Struck
Herr Kollege Rüttgers, ich will Ihnen sagen - vielleicht kann man ihm das übermitteln -: Was der Vermittlungsausschuß mit Mehrheit zum Meister-BAföG beschlossen hat, heißt, daß die bewährten Institutionen der Bundesanstalt für Arbeit, die die Ausbildungsförderung für Meister bis zum Jahr 1993 durchgeführt haben, die darin große Erfahrung haben, die das nicht mehr machen durften, weil Sie es aus Finanzgründen gestrichen haben, dies jetzt weitermachen dürfen und die Länder keine neuen Behörden einzurichten brauchen. Das ist ein Thema für die Verschlankung des Staates.
Herr Kollege Rüttgers und meine Damen und Herren von der Koalition, wenn Sie es mir gestatten, Herr Kollege Schäuble - ich weiß nicht, ob es unverschämt ist, aber manchmal bin ich auch für Unverschämtheiten bekannt -,
verlese ich einen Brief, der an Sie gerichtet ist. Aber ich vermute einmal, daß er auch noch an andere gerichtet worden ist. Es ist ein Brief vom Niedersächsischen Handwerkstag. Ich darf ihn vollständig zitieren:
Sehr geehrter Herr Fraktionsvorsitzender, am 1. Februar hat der Vermittlungsausschuß von Bundestag und Bundesrat endlich eine Einigung bei der Ausgestaltung des sogenannten MeisterBAföG erzielt. Wir meinen, daß das erreichte Ergebnis ein tragfähiger Kompromiß ist, der nunmehr schnellstens umgesetzt werden sollte. Insbesondere vor dem Hintergrund, daß auf allen politischen Ebenen zur Zeit die Notwendigkeit einer verstärkten Existenzgründungsförderung beschworen und angekündigt wird, halten wir ein weiteres Hinausschieben der Realisierung der Aufstiegsfortbildung für nicht hinnehmbar. Wir bitten Sie daher dringend, Herr Kollege Schäuble,
- ich denke, das ist bei Ihnen auch angekommen -,
in den jetzt anstehenden Beratungen der Gremien des Bundestages
- heute, hier, jetzt! -
den Weg für das Meister-BAföG und seine rückwirkende Umsetzung ab 1. Januar 1996 endgültig freizumachen.
Mit freundlichen Grüßen
Niedersächsischer Handwerkstag Rehkopf, Präsident
Koch, Hauptgeschäftsführer.
Recht haben die Leute, meine Damen und Herren.
Folgen Sie doch diesen Worten der Vernunft! Folgen Sie doch - das richte ich auch an die F.D.P.-Bundestagsfraktion - dem Rat Ihres ehemaligen Landtagskollegen Kurt Rehkopf, der im Niedersächsischen
Landtag wirkungsvoll für den Mittelstand gearbeitet hat. Er ist jetzt leider nicht mehr drin - aus meiner Sicht ist es gut, daß die F.D.P. nicht mehr drin ist -, aber er kann ja vernünftige Vorschläge machen.
Was das Meister-BAföG angeht: Wenn das passiert, was Sie jetzt wollen - -
- Ich lese alles vor, was Sie wollen, Herr Schäuble; geben Sie es mir, dann lese ich es vor; trotzdem bleibe ich bei meiner Meinung.
Herr Kollege Struck, damit wäre ich aber nicht einverstanden, weil nach der Geschäftsordnung nur die Abgabe von Erklärungen zulässig ist.
Es steht einem ja nicht zu, den Präsidenten zu kritisieren. Ich rede als Berichterstatter und gebe eine Erklärung für die Fraktion ab. Es ist schon alles in Ordnung, was ich hier mache.
Ich möchte nur zur Klarstellung noch etwas feststellen: Wir sind uns einig - das ganze Haus hoffentlich -, daß wir eine Förderung für Handwerker wollen, die die Meisterausbildung machen. Wir sind uns auch einig, daß das mit staatlicher Hilfe erfolgen soll. Das ist der zweite Punkt.
Wir sind uns nicht einig darüber, wer das verwaltungsmäßig abwickeln soll.
Der Rüttgers sagt, die Länder. Die Länder und wir sagen: diejenigen, die das bisher gemacht haben. Ich gebe gern zu, daß es verfassungsrechtlich etwas schwierig ist, das hinzukriegen. Aber es ist hinzukriegen, wenn man will.
Sie sagen überall bei den Kreishandwerkerschaften, Sie wollten so schnell wie möglich das MeisterBAföG machen. Deshalb fordere ich Sie auf, diesem Vorschlag des Vermittlungsausschusses jetzt endlich zuzustimmen.
Noch ein kurzes Wort zum Entsendegesetz als Erklärung meiner Fraktion zum Abstimmungsverhalten. Das Entsendegesetz, wie es Kollege Blens als Vorschlag des Vermittlungsausschusses vorgetragen hat, ist in der Tat ein Kompromiß. Das sind Entscheidungen des Vermittlungsausschusses immer. Wir als Sozialdemokraten hätten uns vorstellen können, daß der Kreis derjenigen, die von diesem Entsendegesetz betroffen sind, größer gezogen wird, daß es nicht nur um Baugewerbe, Bauhauptgewerbe, Baunebengewerbe, den metallverarbeitenden Bereich im Baube-
Dr. Peter Struck
reich und auch andere Bereiche geht, sondern um viele darüber hinausgehende Branchen, in denen genau dasselbe Problem besteht. Das hätten wir uns sehr gewünscht.
Wir hätten uns übrigens auch gewünscht, meine Damen und Herren, daß wir nicht auf das Instrument einer Allgemeinverbindlichkeitserklärung angewiesen wären, sondern daß wir uns auf eine klar gesetzliche Regelung hätten stützen können. Das war nicht durchsetzbar.
Ich sage aber für meine Fraktion hier eindeutig - Herr Blüm, Sie werden auf Wunsch des Vermittlungsausschusses am Ende der Debatte dazu eine Erklärung abgeben -: Die SPD-Bundestagsfraktion - ich denke, auch der übrige Teil dieses Hauses - erwartet, daß das Angebot des Deutschen Bundestages, ein Entsendegesetz zu beschließen, um zu verhindern, daß ausländische Arbeitnehmer ausgebeutet werden und deutsche Arbeitnehmer gerade im Baubereich arbeitslos bleiben, von den Tarifvertragsparteien angenommen wird, daß Herr Murmann von seiner Meinung abrückt und dem Vorsitzenden des Verbandes der Bauindustrie folgt, von dem wir eine entsprechende Erklärung haben. Dann, meine Damen und Herren, ist ein guter Vorschlag gemacht worden.
Wenn das alles nicht kommt, prophezeie ich Ihnen, daß wir als SPD-Bundestagsfraktion eine erneute gesetzgeberische Initiative ergreifen werden.
Vielen Dank.
Das Wort zur nächsten Erklärung bekommt die Abgeordnete Kerstin Müller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich möchte eine Erklärung zur Abstimmung abgeben, warum meine Fraktion sowohl dem Vorschlag zum Meister-BAföG als auch zum Entsendegesetz zustimmen wird.
Sie, meine Damen und Herren von der Regierung, haben 1993 mit der Novellierung des AFG die berufliche Ausbildungsförderung gestrichen. Seitdem warten zahlreiche Menschen darauf, endlich ihre Weiterbildung antreten zu können, und zwar finanziell gesichert. Das sind Alten- und Krankenpfleger, aber auch Handwerker und Ingenieure. Sie alle sollen endlich - da sind wir uns in diesem Hause einig - das gleiche Recht auf finanzielle Unterstützung ihrer Ausbildung und Weiterbildung erhalten wie Studenten.
Seit der Novellierung 1993 - Herr Struck hat es angesprochen - verlangen nicht nur wir, die Opposition, sondern auch die Industrie- und Handelskammern, die Arbeitgeberverbände und der DGB unisono, das Meister-BAföG endlich zu regeln.
Jetzt hat der Vermittlungsausschuß einen Kompromiß zur Regelung des Meister-BAföG gefunden, womit meiner Meinung nach alle Seiten leben können. Sogar Ihre eigenen unionsregierten Länder haben dieser Vorlage zum Teil zugestimmt. Ich verstehe überhaupt nicht, warum dieser Vorschlag an Ihrer störrischen Haltung wieder scheitern soll.
Ich bin gespannt, wie Sie das der Öffentlichkeit plausibel machen wollen; denn gleichzeitig wollen Sie am Freitag eine fast identische Vorlage über die Koalitionsfraktionen in den Bundestag einbringen. Ich halte das für eine völlig unsinnige Verschleppung des Verfahrens. Damit verzögern Sie nämlich das Inkrafttreten des Gesetzes um mindestens drei Monate.
Warum das alles? Weil man sich in diesem Hause und im Vermittlungsausschuß nicht darauf verständigen konnte, wer die Anträge auf das Meister-BAföG bearbeiten soll. Meine Damen und Herren, ich kann nur hoffen, daß die Diskussion um die Frage, wer die Anträge bearbeiten soll, die Länder oder der Bund, bei den Bürgern und den Betroffenen auf wenig Verständnis stößt.
Das vom Grundgesetz vorgesehene Zusammenspiel zwischen Bund und Ländern lebt vom Kompromiß. Das setzt aber die Kompromißbereitschaft und die Kompromißfähigkeit aller Beteiligten voraus. Wir haben unsere weitergehenden Forderungen zurückgestellt, wir wollen nämlich etwas ganz anderes: einen solidarischen, einen beitragsfinanzierten Ausbildungsfonds und nicht das Modell Rüttgers, das Modell eines verzinsten Darlehens. Dieses haben wir, wie gesagt, zurückgestellt. Bei Minister Rüttgers fehlt es hingegen eindeutig an Kompromißbereitschaft.
Ich sage einmal, worauf wir uns geeinigt haben: Wir haben uns verständigt, die Stundenzahl für Teilzeitmaßnahmen von 500 auf 400 zu senken. Wir haben uns geeinigt, die Kosten der Kinderbetreuung künftig nicht als familienfeindliches Darlehen, sondern als Zuschuß zu gewähren. Und die Länder? Die Länder sind dem Bund mit ihrem Angebot, 30 Prozent der Kosten zu übernehmen, weit entgegengekommen. Und jetzt wollen Sie eine Zustimmung an der Frage scheitern lassen, wer die Durchführung des Gesetzes machen soll? Das, glaube ich, begreift draußen niemand mehr.
Herr Blens hat gesagt - auch das ist im Vermittlungsausschuß diskutiert worden -: Es sprechen verfassungsrechtliche Gründe gegen eine Ausführung durch den Bund. Bis 1993 wurde das Meister-BAföG durch die Arbeitsämter des Bundes bearbeitet. Ich frage Sie: Was spricht denn heute dagegen? Das konnte im Vermittlungsausschuß nicht klargestellt werden.
Kerstin Müller
Ich unterstütze daher nachträglich die Forderung, daß die Durchführung des Gesetzes auch künftig durch die Bundesanstalt für Arbeit vorgenommen wird; denn beim Bund gibt es die entsprechend ausgebildeten Sachbearbeiter. Die Länder müssen diese Behörden erst aufbauen. Ich finde, wenn man allerorten vom schlanken Staat spricht, daß es ein Skandal ist, wenn man von den Ländern fordert, Verwaltungsapparate zu schaffen, die der Bund bereits hat. Wir werden einer solchen Verschwendung öffentlicher Gelder nicht zustimmen.
Einen letzten Punkt noch, zum Arbeltnehmer-Entsendegesetz: Wir haben im Vermittlungsausschuß aus einer wirkungslosen Regierungsvorlage - Herr Blüm weiß es selbst; es ist damals am Widerstand der F.D.P. gescheitert - ein Gesetz gemacht, das hoffentlich das Schlimmste verhindern kann. Wir sind deshalb auch bereit, als Bündnisgrüne diesen gefundenen Kompromiß trotz Bedenken mitzutragen.
Aber wir alle wissen: Das Gesetz steht und fällt mit der Allgemeinverbindlichkeitserklärung des Tarifvertrages. Am 12. Februar 1996 finden in Frankfurt Tarifverhandlungen in der Bauwirtschaft über die Einführung eines Mindestlohnes statt. Wenn die Arbeitgeber dort ihre Zustimmung zur Allgemeinverbindlichkeit verweigern, bleibt das Gesetz ein Phantom.
Ich fordere daher im Namen meiner Fraktion den Arbeitgeberverband auf: Er muß seine Blockadehaltung verlassen. Er muß den Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklären und der Versuchung widerstehen, die Gewerkschaft unter Druck zu setzen und das Entsendegesetz zu mißbrauchen. Das soll nämlich gerade verhindern, daß ausländische und inländische Arbeitnehmer gegeneinander ausgespielt werden. Der Gesetzgeber hat hier das seine getan. Jetzt hängt beim Entsendegesetz alles von den Tarifvertragsparteien ab.
Danke schön.
Das Wort zu einer weiteren Erklärung bekommt der Abgeordnete Ulrich Irmer.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Für mich, der ich jetzt die Position der Rechtsstaatspartei F.D.P. vertrete,
ist es schon atemberaubend, mit welcher Leichtfertigkeit hier ernsthafte verfassungsrechtliche Bedenken einfach weggewischt werden.
Frau Müller spricht von einer störrischen Haltung, wenn man kein verfassungswidriges Gesetz machen will. Herr Struck hat gesagt, das hätte man irgendwie regeln können. Meine Damen und Herren, ich zitiere aus einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes:
Die in den Artikeln 104 bis 108 GG enthaltenen verfassungsrechtlichen Normen sind einer der tragenden Eckpfeiler der bundesstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes. Dabei kommt der strikten Beachtung der finanzverfassungsrechtlichen Zuständigkeitsbereiche von Bund und Ländern eine überragende Bedeutung für die Stabilität der bundesstaatlichen Verfassung zu.
Ein letzter Satz aus der Entscheidung:
Weder der Bund noch die Länder können über ihre im Grundgesetz festgelegten Kompetenzen verfügen. Kompetenzverschiebungen zwischen Bund und Ländern wären auch nicht mit Zustimmung der Beteiligten zulässig.
Meine Damen und Herren, angesichts dieser glasklaren Rechtslage müssen Sie wissen: Wenn Sie das Gesetz in der Form heute in Kraft setzen sollten, wie es aus dem Vermittlungsausschuß herausgekommen ist, dann würde das Bundesverfassungsgericht dieses Gesetz als verfassungswidrig aufheben. Damit müßten die von dem Gesetz Begünstigten noch länger darauf warten, daß die materiellen Regelungen endlich in Kraft treten können.
Auch wir bedauern diese Verzögerung. Es lag aber nicht an uns, sondern daran, daß Sie unter Beiseite-fegen aller verfassungsrechtlichen Einwände, die Sie nicht wegdiskutieren können, Ihre Mehrheit eingesetzt haben.
Wenn leider einige CDU-Ministerpräsidenten diesem Beispiel gefolgt sind, dann muß man natürlich die alte Erkenntnis wiederholen, die da lautet: Geldgier vor Verfassungstreue! Darum ging es nämlich.
Es ging doch eindeutig um die Kosten. Ich bedaure außerordentlich, daß wir die materiellen Verbesserungen nicht akzeptieren können, weil damit ein verfassungswidriges Gesetz in die Welt gesetzt würde.
Lassen Sie mich ganz kurz zum Entsendegesetz folgendes sagen: Dies ist rechtlich völlig in Ordnung; ich will nicht die alte ordnungspolitische Debatte wiederholen. Wir stimmen der Lösung des Vermitt-
Ulrich Irmer
lungsausschusses mehrheitlich zu, obwohl wir - ich wiederhole das - in großen Teilen ordnungspolitische Probleme sehen. Wir erkennen aber, daß man bei einer außerordentlichen Situation wie der Anpassung unserer Gesellschaft an die europäischen Rechtsnormen unter Umständen auch außerordentliche Mittel anwenden muß, die beschränkt angewendet werden, um eine Krisensituation im Baubereich sowohl für die Arbeitnehmer als auch für die mittelständischen Betriebe zu beheben.
Ein ausgesprochener Schönheitsfehler ist die Ausweitung auf den Bereich der Schlepper im Hamburger Hafen. Ich möchte von dieser Stelle aus sagen: Die Arbeitnehmer dort brauchen sich nicht zu freuen; denn das, was jetzt in das Gesetz geschrieben wird, hilft ihnen keineswegs. Die Situation bei ihnen ist nämlich eine ganz andere. Das Gesetz gilt für ausländische Firmen. Bei der Firma im Hamburger Hafen handelt es sich aber um eine deutsche Firma, wenn auch um eine Tochter eines niederländischen Unternehmens. Bei den betroffenen Arbeitnehmern handelt es sich zudem nicht um Ausländer aus der Europäischen Union, sondern um arbeitslose Schiffer aus Rostock, aus Mecklenburg-Vorpommern.
Den Betroffenen jetzt vorzugaukeln, durch die Aufnahme dieses Punktes in das Entsendegesetz würde denen, die Schwierigkeiten haben, irgendwie geholfen, ist reine Augenwischerei. Die Betroffenen werden es früh genug merken.
Man kann uns nicht, wie ich vorhin schon gesagt habe, zu einem verfassungswidrigen Verhalten zwingen. Zu teilweise unsinnigem Verhalten, wie in diesem Fall, konnte man uns zwingen. Wir haben diese Kröte geschluckt, damit die Regelungen jetzt in Kraft treten können. Die übrigen Veränderungen im Vermittlungsausschuß sind für uns akzeptabel.
Ich danke Ihnen.
Ich wäre den Rednern dankbar, wenn sie bei ihren Ausführungen bedenken würden, daß wir uns nicht in einer Debatte befinden, sondern daß es sich um die Abgabe von Erklärungen handelt.
Das Wort zur nächsten Erklärung hat die Kollegin Dr. Heidi Knake-Werner.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will für die PDS zum Ergebnis des Vermittlungsausschusses, an dem wir unsinnigerweise nicht mitwirken können, Stellung nehmen.
Im Vermittlungsausschuß gab es zwei Probleme; das ist hier schon angesprochen worden. Zunächst zum Meister-BAföG: Wir sind natürlich überhaupt nicht beglückt darüber, was im einzelnen herausgekommen ist. Wir hätten uns sehr viel Besseres vorstellen können. Wir haben aber überhaupt kein Verständnis dafür, warum die Regierungskoalition diesen Kompromiß noch zum Scheitern bringen will, wo es doch schlußendlich nur noch um die Frage geht, wer mit der Durchführung dieses Gesetzes betraut wird. Wir halten es für eine vernünftige Lösung, daß dies die Bundesanstalt und die Arbeitsämter tun sollen, allein schon auf Grund der Kontinuität von Qualifikationswegen und auch, um eine weitere Bürokratisierung zu vermeiden. Wir werden deshalb dieser Beschlußempfehlung zustimmen.
Nun aber zum Entsendegesetz. Ich muß schon sagen, Kollege Struck, Ihre Freude kann ich nicht so ganz teilen, denn ich finde, daß der Kompromiß des Vermittlungsausschusses weder Lohn- noch Sozialdumping in diesem Lande verhindern wird. Ganz im Gegenteil, die Befristung, auch wenn sie jetzt auf 3,5 Jahre festgelegt worden ist statt vorher auf zwei Jahre, ist völlig ungerechtfertigt. Wir brauchen ein Entsendegesetz, das unbefristet ist, solange es keine europaweite Regelung gibt.
Auch nach dem Kompromiß fallen die Regelungen des jetzt vorliegenden Gesetzentwurfs hinter die Forderungen der EU-Kommission für eine EU-Richtlinie zurück. So werden die Beschäftigten gegenüber der geplanten EU-weiten Regelung erheblich schlechtergestellt, jetzt leider auch mit dem Segen von Teilen der Opposition.
Aber jetzt das Wichtigste. Immer noch unzureichend ist der Geltungsbereich. Erst wollten Sie nur das Bauhauptgewerbe einbeziehen. Auf Druck der Sachverständigen kam das Baunebengewerbe hinzu. Jetzt dürfen die Montagearbeiter und Seefahrtschiffsassistenten noch mit ins Boot. Sehr gut! Aber bitte erklären Sie mir doch einmal, warum Sie andere Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, die entsandt worden sind, zum Beispiel in der Gastronomie, nicht vor fehlenden sozialen Absicherungen, mangelhaftem Arbeitsschutz und Niedrigstlöhnen schützen wollen! Dafür gibt es doch nun überhaupt keine Begründung.
Aber selbst auf dem Bau gilt das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort" immer noch nicht. Die inländischen Kollegen werden regulär nach Tarif entlohnt, die entsandten nach Mindestentgelten, und das soll sich doch wohl an den untersten Lohngruppen orientieren. Wir werden sehen, was der Tarifvertrag erbringt. Wenn die ausländischen Kollegen für die gleiche Arbeit 2 DM weniger bekommen werden, dann ist das eben immer noch ungerecht.
Unser Hauptkritikpunkt bleibt allerdings der Weg der Allgemeinverbindlichkeitserklärung. Er ist gegenüber der Ortsüblichkeit viel zu unverbindlich. Daß das so ist, zeigt die Reaktion der Bundesvereinigung der Arbeitgeber nachdrücklich. Sie schweigen sich aus, und wir werden sehen, wie sie sich im Tarifausschuß verhalten werden. Die Arbeitgeber müssen schon aus dem eigenen Lager aufgefordert werden, ihre Blockadehaltung aufzugeben. Wenn aber die BDA im Tarifausschuß ihre Zustimmung zur Allgemeinverbindlichkeitserklärung versagt, dann sind alle Anstrengungen, die bisher zu diesem Gesetzentwurf gemacht worden sind, für die Katz.
Dr. Heidi Knake-Werner
Auch die F.D.P. scheint genau darauf zu setzen, daß die Arbeitgeber dieses Gesetz zu Fall bringen. Anders kann man Graf Lambsdorff im „Handelsblatt" nicht verstehen, wenn er frohlockt, daß die Arbeitgeber dabei bleiben würden, die für ein Wirksamwerden des Gesetzes erforderliche Allgemeinverbindlichkeitserklärung des Bauecklohnes zu verweigern.
Die PDS fordert deshalb, daß die entsandten Arbeitnehmer nach den ortsüblichen Arbeitsbedingungen beschäftigt werden, und sie hätte es gut gefunden, wenn der Vermittlungsausschuß sich auf diesen Kompromiß geeinigt hätte.
Eine deutliche Verbesserung - das geben wir unumwunden zu - hat der Vermittlungsausschuß beschlossen, was die Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten angeht. Wir sind schon der Meinung, daß eine wirksame Kontrolle der Dreh- und Angelpunkt bei der Durchsetzung des Gesetzes ist. Die Anmeldung beim Landesarbeitsamt, die Einbeziehung der Zulieferfirma, die Verweigerung von öffentlicher Vergabe bei Verstößen gegen das Gesetz und Geldbußen bis zu 100 000 DM - das alles macht schon deutlich, daß es sich hier nicht um eine Lappalie handelt, sondern daß es hier um ernsthafte Dinge geht, an die sich auch die Arbeitgeber zukünftig zu halten haben.
Wir als PDS werden also der Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses bei allen Bauchschmerzen, die ich hier versucht habe, deutlich zu machen, zustimmen.
Danke schön.
Nun erteile ich das Wort zu einer Erklärung zum Entsendegesetz dem Bundesminister für Arbeit, Dr. Norbert Blüm.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst zur Klarstellung, der guten Ordnung halber: Mein Kollege Rüttgers ist zu dieser Stunde in der Ministerpräsidentenkonferenz, bei der das Thema Meister-BAföG behandelt wird.
Nun zur Erklärung. Die Bundesregierung möchte den Anlaß der Abstimmung über das Vermittlungsergebnis zum Entsendegesetz nutzen, eindringlich an die Sozialpartner zu appellieren, von den Möglichkeiten dieses Gesetzes zum Schutze vor Lohndumping mit den bewährten Mitteln der Tarifautonomie Gebrauch zu machen. Es ist im Interesse der Bauwirtschaft, der Arbeitgeber, der Arbeitnehmer, und es ist im Interesse Europas, wenn sich die Sozialpartner auch in bezug auf diese Frage fähig zur Problemlösung zeigen. Es ist im Interesse der Sozialpartnerschaft, wenn ein in Bedrängnis geratener Verband nicht im Stich gelassen wird.
Deshalb unsere eindringliche Aufforderung, von den Mitteln der Allgemeinverbindlichkeit für neu vereinbarte Mindestlöhne Gebrauch zu machen.
Ehe wir fortfahren, gebe ich das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/3719 bekannt. Abgegebene Stimmen: 624. Mit Ja haben gestimmt 306, mit Nein 316, Enthaltungen 2. Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt.
Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 622; davonja: 305nein: 315enthalten: 2JaSPDBrigitte Adler Gerd Andres Hermann BachmaierErnst BahrDoris Barnett Klaus BarthelIngrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Rudolf BindigArne Börnsen Anni Brandt-ElsweierTilo BrauneDr. Eberhard Brecht Edelgard BulmahnUrsula Burchardt Hans Martin BuryHans Büttner Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter ConradiDr. Herta Däubler-Gmelin Christel DeichmannKarl DillerDr. Marliese Dobberthien Peter DreßenRudolf Dreßler Freimut Duve Ludwig Eich Peter Enders Gernot Erler Petra ErnstbergerAnnette Faße Elke FernerLothar Fischer Gabriele FograscherIris FollakNorbert FormanskiDagmar Freitag Anke Fuchs Katrin Fuchs (Verl) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Norbert Gansel Konrad GilgesIris GleickeGünter GloserDr. Peter GlotzGünter Graf Angelika Graf (Rosenheim) Dieter GrasedieckAchim Großmann Karl Hermann Haack
Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel Alfred HartenbachDr. Liesel Hartenstein Klaus HasenfratzDr. Ingomar Hauchler Dieter Heistermann Reinhold Hemker Roll HempelmannDr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe HikschReinhold Hiller Stephan HilsbergGerd HöferFrank Hofmann Ingrid HolzhüterErwin HornEike Hovermann Lothar Ibrügger Wolfgang IlteBarbara ImhofBrunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate JägerJann-Peter Janssen Ilse JanzDr. Uwe JensVolker Jung Sabine Kaspereit Susanne KastnerErnst Kastning Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun KlemmerVizepräsident Dr. Burkhard HirschHans-Ulrich KloseDr. Hans-Hinrich Knaape Fritz Rudolf KörperNicolette Kressl Volker Kröning Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Konrad Kunick Christine Kurzhals Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange Detlev von LarcherWaltraud Lehn Klaus Lennartz Dr. Elke LeonhardKlaus Lohmann Christa LörcherErika LotzDr. Christine LucygaDieter Maaß Winfried Mante Dorle MarxUlrike Mascher Christoph MatschieIngrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck Markus MeckelUlrike MehlHerbert Meißner Angelika MertensDr. Jürgen Meyer Ursula MoggSiegmar MosdorfMichael Müller Jutta Müller (Völklingen) Christian Müller (Zittau) Volker Neumann (Bramsche) Gerhard Neumann (Gotha) Dr. Edith NiehuisDr. Rolf Niese Doris OdendahlGünter Oesinghaus Leyla OnurManfred Opel Adolf Ostertag Kurt PalisAlbrecht PapenrothDr. Wilfried PennerDr. Martin Pfaff Georg PfannensteinDr. Eckhart Pick Joachim PoßRudolf PurpsKarin Rehbock-Zureich Margot von RenesseRenate Rennebach Otto Reschke Bernd ReuterDr. Edelbert RichterGünter RixeReinhold Robbe Gerhard RübenkönigDr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Dieter SchanzRudolf Scharping Bernd ScheelenDr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Günter SchluckebierHorst Schmidbauer
Ulla Schmidt
Dagmar Schmidt Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Regina Schmidt-ZadelHeinz Schmitt Dr. Emil Schnell Walter SchölerOttmar Schreiner Gisela SchröterDr. Mathias Schubert Brigitte Schulte Reinhard Schultz
Volkmar Schultz (Köln)
Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst SchwanholdRolf SchwanitzBodo Seidenthal Lisa SeusterHorst SielaffErika SimmJohannes SingerDr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland SorgeWolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller Antje-Marie Steen Ludwig StieglerDr. Peter Struck Jörg TaussDr. Bodo Teichmann Jella TeuchnerDr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Dietmar Thieser Franz ThönnesUta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried VerginGünter Verheugen Ute Vogt Hans Georg Wagner Dr. Konstanze Wegner Wolfgang WeiermannReinhard Weis Matthias Weisheit Gunter WeißgerberGert Weisskirchen Jochen WeltHildegard Wester Lydia WestrichInge Wettig-DanielmeierDr. Norbert Wieczorek Helmut Wieczorek Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter WiefelspützBerthold WittichDr. Wolfgang Wodarg Hanna Wolf
Heidi WrightUta ZapfDr. Christoph Zöpel Peter ZumkleyBÜNDNIS 90 / DIE GRÜNENGila Altmann Elisabeth Altmann
Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Angelika Beer
Matthias Berninger Annelle BuntenbachAmke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi EidAndrea Fischer Joseph Fischer (Frankfurt) Rita GrießhaberGerald Häfner Antje Hermenau Kristin Heyne Ulrike Höfken Michaele Hustedt Dr. Manuel Kiper Monika KnocheDr. Angelika Köster-Loßack Steffi LemkeVera LengsfeldDr. Helmut Lippelt Oswald Metzger Kerstin Müller Winfried Nachtwei Christa NickelsCern Özdemir Gerd PoppeSimone ProbstDr. Jürgen Rochlitz Halo SaiboldChristine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo SchlauchAlbert Schmidt Wolfgang Schmitt
Ursula SchönbergerWerner Schulz Rainder Steenblock Christian Sterzing Manfred SuchDr. Antje Vollmer Ludger VolmerHelmut Wilhelm Margareta Wolf (Frankfurt)PDSWolfgang Bierstedt Petra BlässEva Bulling-Schröter Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Ludwig ElmDr. Dagmar EnkelmannDr. Ruth Fuchs Dr. Gregor Gysi Hanns-Peter HartmannDr. Uwe-Jens HeuerDr. Barbara Höll Ulla JelpkeGerhard JüttemannDr. Heidi Knake-Werner Rolf KöhneRolf Kutzmutz Andrea Lederer Dr. Christa Luft Heidemarie LüthDr. Günther Maleuda Manfred Müller Rosel NeuhäuserDr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Klaus-Jürgen WarnickDr. Winfried WolfGerhard ZwerenzNeinCDU/CSUUlrich AdamPeter Altmaier Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter BastenDr. Wolf Bauer Brigitte BaumeisterDr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk BierlingDr. Joseph-Theodor Blank Renate BlankDr. Heribert Blens Peter BleserDr. Maria Böhmer Jochen BorchertWolfgang Börnsen Wolfgang BosbachDr. Wolfgang BötschKlaus BrähmigRudolf Braun Paul BreuerMonika BrudlewskyGeorg Brunnhuber Klaus Bühler Hartmut Büttner
Dankward BuwittManfred Carstens Peter Harry Carstensen
Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Gertrud Dempwolf Albert Deß
Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjürgen Doss Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn Wolfgang EngelmannRainer Eppelmann Heinz Dieter EßmannHorst Eylmann Anke EymerIlse FalkJochen Feilcke Dr. Karl H. Fell Ulf FinkDirk Fischer Klaus Francke (Hamburg) Herbert FrankenhauserDr. Gerhard FriedrichErich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger Norbert GeisDr. Heiner Geißler Michael Glos Wilma GlücklichDr. Reinhard GöhnerPeter GötzDr. Wolfgang Götzer Joachim Gres Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred GrundVizepräsident Dr. Burkhard HirschHorst Günther Carl-Detlev Freiherr von HammersteinGottfried Haschke
Gerda Hasselfeldt
Otto Hauser Hansgeorg Hauser
Klaus-Jürgen Hedrich Manfred Heise
Dr. Renate Hellwig Ernst HinskenPeter HintzeJosef HollerithDr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim HörsterHubert HüppePeter JacobySusanne JaffkeGeorg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst Dr.-Ing. Rainer JorkMichael Jung Ulrich JunghannsDr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen KampeterDr.-Ing. Dietmar Kansy Irmgard Karwatzki Volker KauderPeter KellerEckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Hans Klein Ulrich KlinkertHans-Ulrich Köhler
Manfred KolbeNorbert Königshof en Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf KrausWolfgang Krause Andreas Krautscheid Arnulf Kriedner Heinz-Jürgen Kronberg Dr.-Ing. Paul Krüger Reiner KrziskewitzDr. Hermann Kues Werner KuhnDr. Karl A. Lamers
Karl LamersDr. Norbert Lammert Helmut LampArmin LaschetHerbert Lattmann Dr. Paul LaufsKarl-Josef Laumann Werner Lensing Christian Lenzer Peter LetzgusEditha Limbach Walter Link Eduard LintnerDr. Klaus W. Lippold
Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann
Julius LouvenSigrun LöwischHeinrich Lummer Dr. Michael LutherErich Maaß Dr. Dietrich MahloErwin Marschewski Dr. Martin Mayer
Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl
Dr. Michael Meister Rudolf Meyer Hans Michelbach Meinolf MichelsDr. Gerd MüllerElmar Müller Engelbert NelleBernd Neumann Johannes NitschClaudia NolteDr. Rolf Olderog Friedhelm OstEduard Oswald Norbert Otto Dr. Gerhard Päselt Hans-Wilhelm Pesch Ulrich PetzoldAnton PfeiferAngelika Pfeiffer Dr. Gero PfennigDr. Friedbert Pflüger Beatrix PhilippDr. Winfried Pinger Ronald PofallaDr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies PretzlaffDr. Albert Probst Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Thomas RachelHans RaidelDr. Peter Ramsauer Rolf RauHelmut Rauber Peter Harald Rauen Otto RegenspurgerChrista Reichard Klaus Dieter Reichardt
Dr. Bertold Reinartz Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Roland RichterRoland Richwien Dr. Norbert RiederDr. Erich Riedl Klaus RiegertFranz RomerHannelore Rönsch
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith Adolf Roth Norbert RöttgenDr. Christian Ruck Ortrun SchätzleDr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard ScheuNorbert Schindler Ulrich SchmalzBernd SchmidbauerDr.-Ing. Joachim Schmidt
Andreas Schmidt Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz
Michael von Schmude
Birgit Schnieber-JastramDr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr vonSchorlemerDr. Erika Schuchardt Wolfgang SchulhoffDr. Dieter Schulte
Gerhard Schulz (Leipzig) Frederick Schulze Diethard Schütze (Berlin) Clemens Schwalbe
Dr. Christian Schwarz-SchillingHorst Seehofer Wilfried Seibel Heinz-Georg SeiffertRudolf Seiters Johannes Selle Bernd Siebert Jürgen SikoraJohannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Erika SteinbachDr. Gerhard Stoltenberg Andreas StormMax Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Egon SussetDr. Rita Süssmuth Michael TeiserDr. Susanne TiemannDr. Klaus Töpfer Gottfried TrögerDr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar UldallDr. Horst Waffenschmidt Alois Graf von Waldburg-Zeil Kersten WetzelHans-Otto Wilhelm Gert WillnerBernd WilzWilly Wimmer Matthias WissmannSimon Wittmann
Dagmar Wöhrl Michael Wonneberger
Elke WülfingPeter Kurt Würzbach Cornelia YzerWolfgang Zeitlmann Wolfgang ZöllerF.D.P.Ina AlbowitzDr. Gisela BabelHildebrecht Braun
Günther Bredehorn Jörg van EssenDr. Olaf Feldmann Gisela FrickPaul K. Friedhoff Horst FriedrichRainer FunkeHans-Dietrich GenscherDr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther
Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Helmut Haussmann Ulrich HeinrichWalter HircheDr. Burkhard Hirsch Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Ulrich IrmerDetlef Kleinert Dr. Heinrich L. Kolb Jürgen KoppelinDr.-Ing. Karl-Hans Laermann Dr. Otto Graf Lambsdorff Sabine LeutheusserSchnarrenberger Uwe LührJürgen W. Möllemann Günther Friedrich NoltingDr. Rainer Ortleb Lisa PetersDr. Klaus RöhlHelmut Schäfer Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard SchwaetzerDr. Hermann Otto SohnsDr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae Jürgen TürkDr. Wolfgang Weng
Dr. Guido WesterwelleEnthaltenSPDHorst Schild Otto SchilyWir kommen nun zur Abstimmung über die Vorlagen des Vermittlungsausschusses. Zuerst stimmen wir über die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses zum Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz auf Drucksache 13/3662. Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist.
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7578 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996
Vizepräsident Dr. Burkhard HirschIch weise noch einmal darauf hin, daß zur Annahme der Beschlußempfehlung nach Art. 87 Abs. 3 des Grundgesetzes die Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages erforderlich ist. Es wird namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind die Urnen besetzt? - Dann eröffne ich die Abstimmung.Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat?Meine Kolleginnen und Kollegen, darf ich Sie einen Augenblick um Aufmerksamkeit bitten. Was Ihre Dispositionen angeht, möchte ich Ihnen sagen, daß wir die nächste namentliche Abstimmung, die zum Entsendegesetz, unmittelbar anschließend ohne eine weitere Erklärungsrunde durchführen. Ich empfehle Ihnen also, wenn Sie an der Abstimmung teilnehmen wollen, im Raum zu bleiben.Darf ich noch einmal fragen, ob ein Mitglied des Hauses anwesend ist, das seine Stimme nicht abgegeben hat. - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung.Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben.*)Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses zum ArbeitnehmerEntsendegesetz auf Drucksache 13/3663 ab. Auch hier ist zur Annahme nach Art. 87 Abs. 3 des Grundgesetzes die Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages erforderlich. Es ist wiederum namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Ich eröffne die Abstimmung.Ist noch ein Mitglied anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Dann schließe ich die Abstimmung.Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben.** )Darf ich Sie bitten, Platz zu nehmen und Rücksicht auf die Mitglieder des Hauses zu nehmen, die mit der Tagesordnung fortfahren wollen. Ich bitte Sie, alle Gespräche nach außen zu verlegen. Das gilt auch für Herrn Schwarz-Schilling. Darf ich auch die Mitglieder der Bundesregierung bitten, sich dem Verfahren des Hauses anzuschließen. Das gilt auch für die Kollegen Genscher, Gerhardt und Heinrich. Möchten Sie alle auf diese Weise ins Protokoll kommen?Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf:Wahl der Mitglieder für den Verwaltungsrat der Filmförderungsanstalt- Drucksache 13/3694 -Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.*) Seite 3581 D**) Seite 3584 BWir kommen zur Abstimmung. Wer dem Wahlvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 13/3694 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Wahlvorschlag bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS angenommen worden ist. Damit sind die Kollegen Dr. Albert Probst, Ina Albowitz und Thomas Krüger als Mitglieder des Verwaltungsrates sowie Wolfgang Börnsen , Klaus Daweke und Gisela Schröter als Stellvertreter gewählt.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 25 a bis f sowie die Zusatzpunkte 6a bis 6c auf:25. Überweisungen im vereinfachten Verfahrena) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umstellung der Steinkohleverstromung ab 1996- Drucksache 13/3105 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Wirtschaft
RechtsausschußAusschuß für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitHaushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GOb) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anderung des Rechts der beschränkten persönlichen Dienstbarkeiten- Drucksache 13/3604 —Überweisungsvorschlag: Rechtsausschußc) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Klaus-Dieter Uelhoff, Michael von Schmude, Dr. Rolf Olderog, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ina Albowitz, Jürgen Koppelin und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Errichtung einer Otto-von-Bismarck-Stiftung- Drucksache 13/3639 —Überweisungsvorschlag:Innenausschuß Haushaltsausschußd) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Friedbert Pflüger und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ulrich Irmer, Dr. Helmut Haussmann, Dr. Olaf Feldmann, Jörg van Essen und der Fraktion der F.D.P.Den KSE-Vertrag achten, die Rüstungskontrolle in Europa neuen Herausforderungen anpassen- Drucksache 13/3711 —Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuß Verteidigungsausschuß
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Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7579
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsche) Beratung des Antrags der Abgeordneten Manfred Such, Cern Özdemir und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENErkennbarkeit von Polizeibeamten durch Namensschilder oder Dienstnummern- Drucksache 13/2002 —Überweis ungsvorschlag: Innenausschußf) Beratung des Antrags des Bundesministeriums der FinanzenEinwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung zur Veräußerung der ehemaligen Boehn-Kaserne in HamburgRahlstedt- Drucksache 13/3615 —Überweisungsvorschlag: HaushaltsausschußZP6 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Sicherheitsanforderungen an Produkte und zum Schutz der CE-Kennzeichnung
- Drucksache 13/3130 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Wirtschaft RechtsausschußAusschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für GesundheitAusschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzungb) Erste Beratung des von der Abgeordneten Vera Lengsfeld und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung der fortgeltenden Rechtsvorschriften des Berggesetzes der Deutschen Demokratischen Republik- Drucksache 13/3489 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Wirtschaft
RechtsausschußAusschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheitc) Erste Beratung des von den Abgeordneten Rolf Schwanitz, Jelena Hoffmann , Hans-Joachim Hacker, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vereinheitlichung des Bergrechts nach der deutschen Einheit- Drucksache 13/3625 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Wirtschaft
RechtsausschußAusschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitEs handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a bis k und den Zusatzpunkt 7 auf:26. Abschließende Beratungen ohne Aussprachea) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes- Drucksache 13/2577 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
- Drucksache 13/3471 -Berichterstattung:Abgeordnete Erika Steinbach Jochen WeltDr. Max StadlerCern ÖzdemirUlla Jelpkeb) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Internationalen Kakao-Übereinkommen von 1993- Drucksache 13/2481 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
- Drucksache 13/3563 -Berichterstattung:Abgeordneter Reinhold Hemkerc) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Aktionsprogramm für das gemeinschaftliche Zollwesen
- Drucksachen 13/1614 Nr. 2.15, 13/2939 -Berichterstattung:Abgeordneter Heinz-Georg Seiffertd) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVizepräsident Dr. Burkhard HirschVorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 91/439/EWG über den Führerschein- Drucksachen 13/2306 Nr. 2.49, 13/3556 -Berichterstattung:Abgeordneter Michael Jung
e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Bierstedt, Dr. Christa Luft und der Gruppe der PDSWiedereinführung einer Investitionszulage für den kleinen und mittelständischen Einzelhandel- Drucksachen 13/859, 13/3644 -Berichterstattung:Abgeordneter Dr. Uwe-Jens Rösself) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Entschließungsantrag der Gruppe der PDS zu der Unterrichtung durch die BundesregierungJahreswirtschaftsbericht 1995 der Bundesregierung- Drucksachen 13/370, 13/420, 13/1804 -Berichterstattung:Abgeordneter Herbert Lattmanng) Beratung der 4. Beschlußempfehlung und des Berichts des Wahlprüfungsausschusseszu 101 gegen die Gültigkeit der Wahl zum 13. Deutschen Bundestag eingegangenen Wahleinsprüchen- Drucksache 13/3532 -Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Bertold Reinartz Anni Brandt-ElsweierGerald HäfnerJörg van Essenh) Beratung der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses
Übersicht 3über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht- Drucksache 13/3653 -Berichterstattung: Abgeordneter Horst Eylmanni) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 98 zu Petitionen- Drucksache 13/3640 - Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 99 zu Petitionen - Drucksache 13/3641 -k) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 100 zu Petitionen - Drucksache 13/3642 -ZP7 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 29. Juni 1994 über die Zusammenarbeit zum Schutz und zur verträglichen Nutzung der Donau
- Drucksache 13/1884 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
- Drucksache 13/3573 -Berichterstattung: Abgeordnete Max StraubingerHorst Kubatschka Michaele Hustedt Günther BredehornEs handelt sich um Beschlußfassungen zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.Zunächst geht es um Tagesordnungspunkt 26a. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurf zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes, Drucksachen 13/2577 und 13/3471.Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Gruppe der PDS in zweiter Beratung angenommen worden ist.Dann kommen wir zurdritten Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf gegen die Stimmen der Gruppe der PDS und gegen eine Stimme aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in dritter Beratung angenommen worden ist.Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zuVizepräsident Dr. Burkhard Hirschdem Internationalen Kakao-Übereinkommen, Drucksache 13/2481.Der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten empfiehlt auf Drucksache 13/3563, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, im übrigen mit den Stimmen des Hauses angenommen worden ist.Dann kommen wir zu Tagesordnungspunkt 26c. Wer für diese Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS angenommen worden ist.Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr zu einem Richtlinienvorschlag der Europäischen Union zur Änderung der Richtlinie über den Führerschein, Drucksache 13/3556. Wer der Beschlußempfehlung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen?- Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung einstimmig angenommen worden ist.Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Gruppe der PDS zur Wiedereinführung einer Investitionszulage für den kleinen und mittelständischen Einzelhandel, Drucksache 13/3644. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der PDS auf Drucksache 13/859 für erledigt zu erklären. Wer für die Beschlußempfehlung des Ausschusses stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung gegen die Stimmen der Gruppe der PDS angenommen worden ist.Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Entschließungsantrag der Gruppe der PDS zum Jahreswirtschaftsbericht 1995, Drucksache 13/1804. Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 13/420 abzulehnen. Wer für die Beschlußempfehlung auf Ablehnung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen des Hauses bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und gegen die Stimmen der Gruppe der PDS angenommen worden ist.Wir kommen zur 4. Beschlußempfehlung des Wahlprüfungsausschusses zu Wahleinsprüchen gegen die Gültigkeit der Wahl zum 13. Deutschen Bundestag auf Drucksache 13/3532. Wer für diese Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen.- Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS angenommen worden ist.Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht, Drucksache 13/3653. Das ist die Ubersicht 3. Wer für die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen ist.Wir kommen zu den Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses, zunächst zu Sammelübersicht 98 auf Drucksache 13/3640. Wer für die Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen.- Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS angenommen worden ist.Wir kommen zu Sammelübersicht 99 auf Drucksache 13/3641. Wer für die Sammelübersicht stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe!- Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit derselben Stimmenmehrheit angenommen worden ist.Wir kommen zu Sammelübersicht 100 auf Drucksache 13/3642. Wer dafür stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen?- Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion der SPD bei Stimmenthaltungen aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS angenommen worden ist.Dann kommen wir zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf über die Zusammenarbeit zum Schutz und zur verträglichen Nutzung der Donau, Drucksache 13/1884.Der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt auf Drucksache 13/3573, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Gesetzentwurf einstimmig angenommen worden ist.Nun gebe ich das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Empfehlung des Vermittlungsausschusses zum Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz auf Drucksache 13/3662 bekannt. Abgegebene Stimmen: 624. Mit Ja haben 309 gestimmt, mit Nein haben 315 gestimmt. Damit ist die Beschlußempfehlung abgelehnt.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 623; davonja: 308nein: 315JaSPDBrigitte Adler Gerd AndresHermann Bachmaier Ernst BahrDoris BarnettKlaus BarthelIngrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Rudolf BindigArne Börnsen Anni Brandt-ElsweierTilo BrauneDr. Eberhard Brecht Edelgard Bulmahn Ursula BurchardtHans Martin BuryVizepräsident Dr. Burkhard HirschHans Büttner
Marion Caspers-Merk Wolf-Michael CatenhusenPeter ConradiDr. Herta Däubler-Gmelin Christel DeichmannKarl DillerDr. Marliese DobberthienPeter DreßenRudolf DreßlerFreimut DuveLudwig EichPeter EndersGernot ErlerPetra Ernstberger Annette FaßeElke FernerLothar Fischer Gabriele FograscherIris FollakNorbert Formanski Dagmar Freitag Anke Fuchs Katrin Fuchs (Verl) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Norbert Gansel Konrad GilgesIris GleickeGünter GloserDr. Peter GlotzGünter Graf Angelika Graf (Rosenheim) Dieter GrasedieckAchim Großmann Karl Hermann Haack
Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel Alfred HartenbachDr. Liesel Hartenstein Klaus HasenfratzDr. Ingomar Hauchler Dieter Heistermann Reinhold Hemker Rolf HempelmannDr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe HikschReinhold Hiller Stephan HilsbergGerd HöferFrank Hofmann
Ingrid Holzhüter Erwin HornEike Hovermann Lothar Ibrügger Wolfgang IlteBarbara ImhofBrunhilde Irber Renate JägerJann-Peter Janssen Ilse JanzDr. Uwe JensVolker Jung
Sabine Kaspereit Susanne Kastner Ernst KastningHans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich KloseDr. Hans-Hinrich KnaapeFritz Rudolf Körper Nicolette KresslVolker KröningThomas KrügerHorst Kubatschka Eckart Kuhlwein Konrad KunickChristine Kurzhals Dr. Uwe KüsterWerner LabschBrigitte LangéDetlev von Larcher Waltraud LehnKlaus LennartzDr. Elke Leonhard Klaus Lohmann Christa LörcherErika LotzDr. Christine Lucyga Dieter Maaß Winfried ManteDorle MarxUlrike MascherChristoph Matschie Ingrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck Markus MeckelUlrike MehlHerbert Meißner Angelika MertensDr. Jürgen Meyer Ursula MoggSiegmar MosdorfMichael Müller Jutta Müller (Völklingen) Christian Müller (Zittau) Volker Neumann (Bramsche) Gerhard Neumann (Gotha) Dr. Edith NiehuisDr. Rolf NieseDoris OdendahlGünter Oesinghaus Leyla OnurManfred OpelAdolf OstertagKurt PalisAlbrecht Papenroth Dr. Willfried Penner Dr. Martin PfaffGeorg Pfannenstein Dr. Eckhart PickJoachim PoßRudolf PurpsKarin Rehbock-Zureich Margot von Renesse Renate Rennebach Otto ReschkeBernd ReuterDr. Edelbert Richter Günter RixeReinhold RobbeGerhard Rübenkönig Dr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Dieter SchanzRudolf Scharping Bernd ScheelenDr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst SchildOtto SchilyGünter Schluckebier Horst Schmidbauer
Ulla Schmidt Dagmar Schmidt (Meschede)Wilhelm Schmidt Regina Schmidt-Zadel Heinz Schmitt (Berg)Dr. Emil Schnell Walter SchölerOttmar Schreiner Gisela SchröterDr. Mathias Schubert Brigitte Schulte Reinhard Schultz
Volkmar Schultz (Köln) Dr. R. Werner Schuster
Dietmar Schütz Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst SchwanholdRolf SchwanitzBodo Seidenthal Lisa SeusterHorst SielaffErika SimmJohannes SingerDr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland SorgeWolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller Antje-Marie Steen Ludwig StieglerDr. Peter Struck Jörg TaussDr. Bodo Teichmann Jella TeuchnerDr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Dietmar Thieser Franz ThönnesUta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried VerginGünter Verheugen Ute Vogt Hans Georg Wagner Dr. Konstanze Wegner Wolfgang WeiermannReinhard Weis Matthias Weisheit Gunter WeißgerberGert Weisskirchen Jochen WeltHildegard Wester Lydia WestrichInge Wettig-DanielmeierDr. Norbert Wieczorek Helmut Wieczorek Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter WiefelspützBerthold WittichDr. Wolfgang Wodarg Hanna Wolf
Heidi WrightUta ZapfDr. Christoph Zöpel Peter ZumkleyBÜNDNIS 90 / DIE GRÜNENGila Altmann Elisabeth Altmann
Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Angelika Beer
Matthias BerningerAnnelie BuntenbachAmke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi EidAndrea Fischer Joseph Fischer (Frankfurt) Rita GrießhaberGerald Häfner Antje Hermenau Kristin Heyne Ulrike Höfken Michaele Hustedt Dr. Manuel Kiper Monika KnocheDr. Angelika Köster-Loßack Steffi LemkeVera LengsfeldDr. Helmut Lippelt Oswald Metzger Kerstin Müller Winfried Nachtwei Christa NickelsCern Özdemir Gerd PoppeSimone ProbstDr. Jürgen Rochlitz Halo SaiboldChristine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo SchlauchAlbert Schmidt Wolfgang Schmitt
Ursula SchönbergerWerner Schulz Rainder Steenblock Marina Steindor Christian Sterzing Manfred SuchDr. Antje Vollmer Ludger VolmerHelmut Wilhelm Margareta Wolf (Frankfurt)PDSWolfgang Bierstedt Petra BlässEva Bulling-Schröter Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Ludwig ElmDr. Dagmar EnkelmannDr. Ruth Fuchs Dr. Gregor Gysi Hanns-Peter HartmannDr. Uwe-Jens HeuerDr. Barbara Höll Dr. Willibald Jacob Ulla JelpkeGerhard JüttemannDr. Heidi Knake-Werner Rolf KöhneRolf Kutzmutz Andrea Lederer Dr. Christa Luft Heidemarie LüthDr. Günther Maleuda Manfred Müller Rosel NeuhäuserDr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Klaus-Jürgen WarnickDr. Winfried WolfGerhard ZwerenzVizepräsident Dr. Burkhard HirschNeinCDU/CSUUlrich AdamPeter AltmaierAnneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter BastenDr. Wolf BauerBrigitte BaumeisterDr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk BierlingDr. Joseph-Theodor Blank Renate BlankDr. Heribert Blens Peter BleserDr. Maria Böhmer Jochen BorchertWolfgang Börnsen Wolfgang BosbachDr. Wolfgang Bötsch Klaus BrähmigRudolf Braun Paul BreuerMonika Brudlewsky Georg Brunnhuber Klaus Bühler Hartmut Büttner
Dankward BuwittManfred Carstens Peter Harry Carstensen
Wolfgang Dehnel Hubert DeittertGertrud Dempwolf Albert DeßRenate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjürgen Doss Dr. Alfred Dregger Maria EichhornWolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Horst EylmannAnke EymerIlse FalkJochen FeilckeDr. Karl H. FellUlf FinkDirk Fischer Klaus Francke (Hamburg) Herbert FrankenhauserDr. Gerhard Friedrich Erich G. FritzHans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger Norbert GeisDr. Heiner Geißler Michael GlosWilma GlücklichDr. Reinhard Göhner Peter GötzDr. Wolfgang Götzer Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred GrundHorst Günther
Carl-Detlev Freiherr vonHammersteinGottfried Haschke
Gerda HasselfeldtOtto Hauser Hansgeorg Hauser
Klaus-Jürgen Hedrich Manfred Heise
Dr. Renate Hellwig Ernst Hinsken Peter HintzeJosef HollerithDr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim HörsterHubert Hüppe Peter JacobySusanne Jaffke Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst Dr.-Ing. Rainer JorkMichael Jung Ulrich JunghannsDr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen KampeterDr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker KauderPeter KellerEckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Hans Klein Ulrich Klinkert Hans-Ulrich Köhler
Manfred Kolbe Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf KrausWolfgang Krause Andreas Krautscheid Arnulf Kriedner Heinz-Jürgen Kronberg Dr.-Ing. Paul KrügerReiner Krziskewitz Dr. Hermann Kues Werner KuhnDr. Karl A. Lamers
Karl Lamers
Dr. Norbert Lammert Helmut LampArmin Laschet Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs Karl-Josef Laumann Werner Lensing Christian Lenzer Peter Letzgus Editha LimbachWalter Link Eduard LintnerDr. Klaus W. Lippold
Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann
Julius Louven
Sigrun LöwischHeinrich Lummer Dr. Michael LutherErich Maaß Dr. Dietrich MahloErwin Marschewski Dr. Martin Mayer
Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl
Dr. Michael Meister Friedrich MerzRudolf Meyer Hans Michelbach Meinolf MichelsDr. Gerd MüllerElmar Müller Engelbert NelleBernd Neumann Johannes NitschClaudia NolteDr. Rolf Olderog Friedhelm OstEduard Oswald Norbert Otto Dr. Gerhard Päselt Hans-Wilhelm Pesch Ulrich PetzoldAnton PfeiferAngelika Pfeiffer Dr. Gero PfennigDr. Friedbert Pflüger Beatrix PhilippDr. Winfried Pinger Ronald PofallaDr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies PretzlaffDr. Albert Probst Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Thomas RachelHans RaidelDr. Peter Ramsauer Rolf RauHelmut RauberPeter Harald Rauen Otto RegenspurgerChrista Reichard Klaus Dieter Reichardt
Dr. Bertold Reinartz Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Roland RichterRoland Richwien Dr. Norbert RiederDr. Erich Riedl Klaus RiegertFranz RomerHannelore Rönsch
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith Adolf Roth Norbert RöttgenDr. Christian Ruck Ortrun SchätzleDr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard ScheuNorbert SchindlerDietmar Schlee Ulrich Schmalz Bernd SchmidbauerDr.-Ing. Joachim Schmidt
Andreas Schmidt Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz
Michael von Schmude
Birgit Schnieber-JastramDr. Andreas SchockenhoffDr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr vonSchorlemerDr. Erika Schuchardt Wolfgang SchulhoffDr. Dieter Schulte
Gerhard Schulz (Leipzig) Frederick Schulze Diethard Schütze (Berlin) Clemens Schwalbe
Dr. Christian Schwarz-SchillingHorst Seehofer Wilfried Seibel Heinz-Georg SeiffertRudolf Seiters Johannes Selle Bernd Siebert Jürgen SikoraJohannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Wolfgang Steiger Erika SteinbachDr. Gerhard Stoltenberg Andreas StormMax Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Egon SussetDr. Rita Süssmuth Michael TeiserDr. Susanne TiemannDr. Klaus Töpfer Gottfried TrögerDr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar UldallDr. Horst Waffenschmidt Alois Graf von Waldburg-Zeil Kersten WetzelHans-Otto Wilhelm Gert WillnerBernd WilzWilly Wimmer Matthias WissmannSimon Wittmann
Dagmar Wöhrl Michael Wonneberger
Elke WülfingPeter Kurt Würzbach Cornelia Yzer Wolfgang Zeitlmann Wolfgang ZöllerF.D.P.Ina AlbowitzDr. Gisela BabelHildebrecht Braun
Günther BredehornVizepräsident Dr. Burkhard HirschJörg van EssenDr. Olaf Feldmann Gisela FrickPaul K. Friedhoff Horst FriedrichRainer FunkeHans-Dietrich GenscherDr. Wolfgang GerhardtJoachim Günther
Dr. Karlheinz GuttmacherDr. Helmut HaussmannUlrich Heinrich Walter HircheDr. Burkhard Hirsch Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Ulrich IrmerDetlef Kleinert
Dr. Heinrich L. Kolb Jürgen KoppelinDr.-Ing. Karl-Hans LaermannDr. Otto Graf Lambsdorff Sabine Leutheusser-SchnarrenbergerUwe LührJürgen W. Möllemann Günther Friedrich Nolting Dr. Rainer OrtlebLisa PetersDr. Klaus RöhlHelmut Schäfer Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard SchwaetzerDr. Hermann Otto Sohns Dr. Max Stadler Carl-Ludwig ThieleDr. Dieter ThomaeJürgen TürkDr. Wolfgang Weng
Dann gebe ich das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Empfehlung des Vermittlungsausschusses zum Arbeitnehmer-Entsendegesetz auf Drucksache 13/3663 bekannt. Abgegebene Stirn-men: 614. Mit Ja haben 598 gestimmt, mit Nein 11, 5 haben sich enthalten. Damit ist die Beschlußempfehlung angenommen.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 613; davonja: 597nein: 11enthalten: 5JaCDU/CSUUlrich AdamPeter AltmaierAnneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter BargfredeFranz Peter Basten Brigitte BaumeisterDr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk BierlingDr. Joseph-Theodor Blank Renate BlankDr. Heribert Blens Peter BleserDr. Norbert Blüm Dr. Maria Böhmer Jochen BorchertWolfgang Börnsen Wolfgang BosbachDr. Wolfgang Bötsch Klaus BrähmigRudolf Braun
Paul BreuerMonika Brudlewsky Georg Brunnhuber Klaus Bühler
Hartmut Büttner
Dankward BuwittManfred Carstens Peter Harry Carstensen
Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Gertrud Dempwolf Albert Deß
Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Dr. Alfred Dregger Maria EichhornWolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Horst EylmannAnke EymerIlse FalkJochen Feilcke Dr. Karl H. Fell Ulf FinkDirk Fischer Klaus Francke (Hamburg) Herbert FrankenhauserDr. Gerhard FriedrichErich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger Norbert GeisDr. Heiner Geißler Michael GlosWilma GlücklichDr. Reinhard GöhnerPeter GötzDr. Wolfgang Götzer Joachim Gres Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Hermann GröheClaus-Peter Grotz Manfred GrundHorst Günther Carl-Detlev Freiherr vonHammersteinGottfried Haschke
Gerda Hasselfeldt
Otto Hauser Hansgeorg Hauser
Klaus-Jürgen Hedrich Manfred Heise
Dr. Renate Hellwig Ernst HinskenPeter HintzeJosef HollerithDr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim HörsterHubert HüppePeter JacobySusanne JaffkeGeorg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst Dr.-Ing. Rainer JorkMichael Jung Ulrich JunghannsDr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen KampeterDr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker KauderPeter KellerEckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Hans Klein Ulrich Klinkert Hans-Ulrich Köhler
Manfred KolbeNorbert Königshofen Eva-Maria KorsHartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf KrausWolfgang Krause Andreas Krautscheid Arnulf Kriedner Heinz-Jürgen Kronberg Dr.-Ing. Paul Krüger Reiner KrziskewitzDr. Hermann Kues Werner KuhnDr. Karl A. Lamers
Karl LamersDr. Norbert Lammert Helmut LampArmin LaschetHerbert Lattmann Dr. Paul LaufsKarl-Josef Laumann Werner Lensing Christian Lenzer Peter LetzgusEditha Limbach Walter Link Eduard LintnerDr. Klaus W. Lippold
Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann
Julius Louven
Sigrun Löwisch Heinrich Lummer Dr. Michael LutherErich Maaß Dr. Dietrich MahloErwin Marschewski Dr. Martin Mayer
Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl
Dr. Michael Meister Rudolf Meyer
Hans Michelbach Meinolf Michels Dr. Gerd MüllerElmar Müller Engelbert NelleBernd Neumann Johannes NitschClaudia NolteDr. Rolf Olderog Friedhelm Ost Eduard Oswald Norbert Otto Dr. Gerhard Päselt Hans-Wilhelm Pesch Ulrich PetzoldAngelika Pfeiffer Dr. Gero PfennigDr. Friedbert Pflüger Beatrix PhilippDr. Winfried Pinger Ronald PofallaDr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies PretzlaffDr. Albert Probst Dieter Pützhofen Thomas Rachel Hans RaidelDr. Peter Ramsauer Rolf RauHelmut Rauber Peter Harald Rauen Otto RegenspurgerChrista Reichard Klaus Dieter Reichardt
Dr. Bertold Reinartz Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Roland Richter Roland Richwien Dr. Norbert RiederDr. Erich Riedl Klaus RiegertFranz RomerHannelore Rönsch
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith Adolf Roth Norbert RöttgenDr. Christian Ruck Ortrun SchätzleDr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Norbert SchindlerVizepräsident Dr. Burkhard HirschDietmar Schlee Ulrich Schmalz Bernd SchmidbauerDr.-Ing. Joachim Schmidt
Andreas Schmidt Hans-Otto Schmiedeberg Michael von SchmudeBirgit Schnieber-JastramDr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr vonSchorlemerDr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff Dr. Dieter Schulte
Gerhard Schulz (Leipzig) Frederick Schulze Diethard Schütze (Berlin) Clemens Schwalbe
Dr. Christian SchwarzSchillingHorst SeehoferWilfried SeibelHeinz-Georg Seiffert Rudolf SeitersJohannes Selle Bernd SiebertJürgen SikoraJohannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Wolfgang Steiger Erika SteinbachDr. Gerhard Stoltenberg Andreas StormMax Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Egon SussetDr. Rita Süssmuth Michael TeiserDr. Susanne Tiemann Dr. Klaus Töpfer Gottfried TrögerDr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar UldallDr. Horst Waffenschmidt Alois Graf von Waldburg-Zeil Kersten WetzelHans-Otto Wilhelm Gert WillnerBernd WilzWilly Wimmer Matthias Wissmann Simon Wittmann
Dagmar Wöhrl
Michael WonnebergerElke WülfingPeter Kurt Würzbach Cornelia YzerWolfgang Zeitlmann Wolfgang ZöllerSPDBrigitte AdlerGerd AndresHermann Bachmaier Ernst BahrDoris BarnettKlaus BarthelIngrid Becker-InglauHans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Rudolf BindigArne Börnsen Anni Brandt-ElsweierTilo BrauneDr. Eberhard Brecht Edelgard Bulmahn Ursula Burchardt Hans Martin BuryHans Büttner Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter ConradiDr. Herta Däubler-Gmelin Christel DeichmannKarl DillerDr. Marliese Dobberthien Peter DreßenRudolf DreßlerFreimut DuveLudwig EichPeter EndersGernot ErlerPetra Ernstberger Annette FaßeElke FernerLothar Fischer Gabriele FograscherIris FollakNorbert Formanski Dagmar Freitag Anke Fuchs Katrin Fuchs (Verl) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Norbert Gansel Konrad GilgesIris GleickeGünter GloserDr. Peter GlotzGünter Graf Angelika Graf (Rosenheim) Dieter GrasedieckAchim Großmann Karl Hermann Haack
Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel Alfred HartenbachDr. Liesel Hartenstein Klaus HasenfratzDr. Ingomar Hauchler Dieter Heistermann Reinhold Hemker Rolf HempelmannDr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe HikschReinhold Hiller Stephan HilsbergGerd HöferFrank Hofmann Ingrid HolzhüterErwin HornEike Hovermann Lothar Ibrügger Wolfgang IlteBarbara ImhofBrunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate JägerJann-Peter Janssen Ilse JanzDr. Uwe JensVolker Jung Sabine Kaspereit Susanne KastnerErnst Kastning Hans-Peter KemperKlaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich KloseDr. Hans-Hinrich Knaape Fritz Rudolf Körper Nicolette KresslVolker Kröning Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Konrad Kunick Christine Kurzhals Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange Detlev von Larcher Waltraud Lehn Klaus LennartzDr. Elke Leonhard Klaus Lohmann Christa LörcherErika LotzDr. Christine LucygaDieter Maaß Winfried Mante Dorle MarxUlrike Mascher Christoph MatschieIngrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck Markus MeckelUlrike MehlHerbert Meißner Angelika MertensDr. Jürgen Meyer Ursula MoggSiegmar MosdorfMichael Müller Jutta Müller (Völklingen) Christian Müller (Zittau) Volker Neumann (Bramsche) Gerhard Neumann (Gotha) Dr. Edith NiehuisDr. Rolf Niese Doris Odendahl Günter OesinghausLeyla OnurManfred Opel Adolf Ostertag Kurt PalisAlbrecht PapenrothDr. Willfried Penner Dr. Martin Pfaff Georg PfannensteinDr. Eckhart Pick Joachim PoßRudolf PurpsKarin Rehbock-Zureich Margot von RenesseRenate Rennebach Otto Reschke Bernd ReuterDr. Edelhert Richter Günter RixeReinhold Robbe Gerhard RübenkönigDr. Hansjörg SchäferGudrun Schaich-Walch Dieter SchanzRudolf Scharping Bernd Scheelen Dr. Hermann ScheerSiegfried Scheffler Horst SchildOtto SchilyGünter SchluckebierHorst Schmidbauer
Ulla Schmidt Dagmar Schmidt (Meschede) Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Regina Schmidt-ZadelHeinz Schmitt
Dr. Emil Schnell Walter Schöler Ottmar Schreiner Gisela Schröter Dr. Mathias SchubertBrigitte Schulte Reinhard Schultz
Volkmar Schultz (Köln)
Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz Dr. Angelica Schwall-Düren Rolf SchwanitzBodo Seidenthal Lisa SeusterHorst SielaffErika SimmJohannes SingerDr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland SorgeWolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller Antje-Marie Steen Ludwig StieglerDr. Peter Struck Jörg TaussDr. Bodo TeichmannJella TeuchnerDr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Dietmar Thieser Franz ThönnesUta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried VerginGünter Verheugen Ute Vogt
Hans Georg WagnerDr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis Gunter WeißgerberGert Weisskirchen Jochen WeltHildegard Wester Lydia WestrichInge Wettig-DanielmeierDr. Norbert Wieczorek Helmut Wieczorek Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter WiefelspützBerthold WittichDr. Wolfgang WodargHanna Wolf
Heidi WrightUta ZapfDr. Christoph Zöpel Peter ZumkleyVizepräsident Dr. Burkhard HirschBÜNDNIS 90 / DIE GRÜNENGila Altmann
Elisabeth Altmann
Marieluise Beck Angelika BeerMatthias BerningerAnnelie BuntenbachAmke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Andrea Fischer
Joseph Fischer
Rita Grießhaber Gerald Häfner Kristin Heyne Ulrike Höfken Michaele Hustedt Dr. Manuel Kiper Monika KnocheDr. Angelika Köster-Loßack Steffi LemkeVera LengsfeldDr. Helmut Lippelt Oswald Metzger Kerstin Müller
Winfried NachtweiChrista Nickels Cem Özdemir Gerd PoppeSimone ProbstDr. Jürgen RochlitzHalo Saibold Christine ScheelIrmingard Schewe-Gerigk Rezzo SchlauchAlbert Schmidt Wolfgang Schmitt
Ursula SchönbergerWerner Schulz
Rainder SteenblockMarina Steindor Christian Sterzing Manfred SuchDr. Antje Vollmer Ludger VolmerHelmut Wilhelm Margareta Wolf (Frankfurt)F.D.P.Ina AlbowitzJörg van EssenDr. Olaf Feldmann Paul K. Friedhoff Horst Friedrich Rainer FunkeHans-Dietrich GenscherDr. Wolfgang GerhardtJoachim Günther
Dr. Karlheinz GuttmacherDr. Helmut HaussmannUlrich Heinrich Walter Hirche Dr. Burkhard HirschDr. Werner Hoyer Ulrich IrmerDetlef Kleinert Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Jürgen W. MöllemannGünther Friedrich NoltingDr. Rainer Ortleb Lisa PetersHelmut Schäfer
Dr. Hermann Otto SolmsDr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae Jürgen TürkDr. Wolfgang Weng
PDSWolfgang Bierstedt Petra BlässEva Bulling-Schröter Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Ludwig ElmDr. Dagmar Enkelmann Dr. Ruth FuchsDr. Gregor Gysi Hanns-Peter Hartmann Dr. Uwe-Jens Heuer Dr. Barbara HöllDr. Willibald Jacob Gerhard JüttemannDr, Heidi Knake-Werner Rolf KöhneRolf KutzmutzAndrea LedererDr. Christa Luft Heidemarie LüthDr. Günther Maleuda Manfred Müller Rosel NeuhäuserDr. Uwe-Jens Rössel Klaus-Jürgen Warnick Dr. Winfried WolfNeinCDU/CSUFriedrich MerzF.D.P.Dr. Gisela Babel Hildebrecht Braun
Günther Bredehorn Gisela FrickJürgen KoppelinDr. Otto Graf Lambsdorff Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Uwe LührDr. Klaus RöhlCornelia Schmalz-JacobsenEnthaltenF.D.P.Birgit HomburgerDr. Heinrich L. KolbDr. Irmgard SchwaetzerPDSUlla Jelpke Christina SchenkNun kommen wir zu Tagesordnungspunkt 8:Zweite und Dritte Beratung des Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und anderer Gesetze- Drucksachen 13/2746, 13/3475 -
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit
- Drucksache 13/3720, 13/3728 -Berichterstattung: Abgeordneter Ulf Finkb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung- Drucksache 13/3721 -Berichterstattung:Abgeordnete Antje Hermenau Roland Sauer
Gerhard RübenkönigDr. Wolfgang Weng
Dazu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über den wir nach der Aussprache namentlich abstimmen werden.Außerdem liegt ein Änderungsantrag der Gruppe der PDS vor. Die PDS beantragt, über diesen Änderungsantrag namentlich abzustimmen. Nach unserer Geschäftsordnung kann eine namentliche Abstimmung nur von einer Fraktion oder von mindestens 34 Abgeordneten verlangt werden. Ob der Antrag der PDS auf namentliche Abstimmung das erforderliche Quorum erreicht, werde ich nach der Aussprache feststellen.Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Abgeordenten Ulf Fink.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es sind jetzt mehr als drei Monate her, seit wir den zur Debatte stehenden Gesetzentwurf in erster Lesung im Deutschen Bundestag beraten haben. Seitdem hat eine intensive Auseinandersetzung mit den Inhalten des Gesetzentwurfes stattgefunden. In einer großen öffentlichen Anhörung haben wir im November alle Betroffenen zu Wort kommen lassen. Wir haben die Argumente gewogen. Um es vorwegzunehmen: Trotz einiger kritischer Stellungnahmen ist die Regierungskoalition zu der Überzeugung gekommen, daß der Gesetzentwurf insgesamt tragfähig ist.
In Zukunft werden - mit Ausnahme der Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge - alle Asylbewerber und Ausländer, die sich nur vorübergehend in Deutschland aufhalten, gleiche Leistungen erhalten. Sie werden Sachleistungen erhalten. Diese Sachleistungen haben entgegen manchem, was vorgetragen
Ulf Fink
wird, einen beachtlichen Umfang. Denn sie decken den Bedarf an Nahrung, an Unterkunft, an Heizung, Kleidung, Gesundheits- und Körperpflege und den Gebrauchsgütern des Haushaltes ab. Zur Sachleistung kommt noch einmal ein monatlicher Geldbetrag von 80 DM für Erwachsene und von 40 DM für Kinder zur Deckung der persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens hinzu.
Ich glaube, man kann mit Fug und Recht sagen: Menschen, die ihr Heimatland aus religiösen, politischen oder ethnischen Gründen verlassen mußten, können auch in Zukunft in der Bundesrepublik Deutschland menschenwürdig leben.
Dies gilt auch für die gesundheitliche Versorgung, die in dem öffentlichen Hearing einen verhältnismäßig breiten Raum eingenommen hat. Die Behauptung, daß diesen Menschen der solidarische Krankenschutz entzogen würde, daß kranke Menschen in einem der reichsten Länder der Erde einfach fallengelassen würden, daß die Menschen nur mit Schmerzmitteln vollgestopft und Ärzte Vollstrecker einer falschen Politik würden, ist schlichtweg falsch.
Die Realität ist eine ganz andere. Der nun wirklich unverdächtige Verein für öffentliche und private Fürsorge, in dem die Kommunen und die Wohlfahrtsverbände Deutschlands vertreten sind, bescheinigt knapp und sachlich, daß durch die §§ 4 und 6 des Asylbewerberleistungsgesetzes eine ausreichende medizinische Betreuung gewährleistet ist. Auch die Praktiker aus den Kommunen haben uns versichert, daß für die Asylbewerber die notwendige medizinische Versorgung auch in Zukunft erbracht werden kann.
Gewiß, Schönheitskorrekturen haben wir in der Vergangenheit nicht finanziert und werden wir auch in Zukunft nicht finanzieren. Aber die gesundheitliche Versorgung der Menschen, die zu uns kommen, weil sie in ihrem Heimatland an Leib und Leben bedroht sind, stellen wir sicher. Dies ist ein selbstverständliches Gebot der Humanität. Wir nehmen dieses Gebot ernst.
Die Arbeitslosenhilfe - um auf den zweiten Teil des Gesetzentwurfes zu sprechen zu kommen - ist eine besondere staatliche Fürsorgeleistung für Arbeitnehmer. Deshalb kann es zukünftig nicht mehr hingenommen werden, daß auch solche Arbeitslose Arbeitslosenhilfe in Anspruch nehmen, die vor der Arbeitslosenmeldung nicht oder jedenfalls nur kurze Zeit Arbeitnehmer waren.
Es ist richtig: Es werden einige von diesen künftig Sozialhilfeleistungen in Anspruch nehmen müssen. Es ist auch richtig, daß die Sozialhilfe von den Gemeinden gezahlt wird. Deshalb werden die Gemeinden durch diesen Teil des Gesetzespaketes zusätzlich belastet. Allerdings: Länder und Gemeinden werden durch das Asylbewerberleistungsgesetz insgesamt stärker entlastet, als sie durch diese Maßnahme belastet werden.
Wir haben den Gemeinden das Versprechen gegeben, daß per saldo keine zusätzlichen Belastungen für sie entstehen. Die Voraussetzung dafür ist, daß die Länder ihre Entlastungen an die Gemeinden weitergeben. Es muß endlich Schluß damit sein, daß wir im Bund Gesetze verabschieden, die letztlich den Gemeinden dienen sollen, und an den klebrigen Händen der Länder die Mittel hängenbleiben und nicht an die Gemeinden weitergegeben werden.
Durch die verschiedenen Steuergesetze und durch die Finanzausgleichsabkommen zwischen Bund und Ländern ist die Steuerkraft der Länder in den vier Jahren von 1992 bis 1995 - dafür liegen mir die Daten vor - um 25 Prozent gestiegen. Die Zuweisungen an die Gemeinden sind in diesem Zeitraum aber lediglich um 8,7 Prozent gesteigert worden. Wären die Länder mit ihren Kommunen fair umgegangen, dann hätten die Kommunen im Jahre 1995 sage und schreibe 7,2 Milliarden DM mehr im Stadtsäckel gehabt. Das haben ihnen die Länder vorenthalten. Das ist ein Skandal.
Auch bei der Pflegeversicherung sind die eigentlich für die Gemeinden gedachten Entlastungen von den Ländern nicht weitergegeben worden, von dem Skandal der bislang unterlassenen Investitionen der Länder für die stationären Pflegeeinrichtungen ganz zu schweigen.
Wir könnten uns miteinander viele Gespräche über das Thema, wie viel Menschen denn nun von der Sozialhilfe frei werden, wenn wir den stationären Teil der Pflege einführen, sparen, ebenso die Unkenrufe, die dabei insbesondere von seiten der Opposition immer wieder zu hören gewesen sind, wenn die Länder endlich ihren Verpflichtungen zur Finanzierung der Investitionskosten nachkämen; denn dann könnten die Pflegesätze in den Heimen um 500 bis 600 DM pro Monat niedriger ausfallen. Da sollten Sie Ihren Einfluß geltend machen, aber nicht allgemein lamentieren.
Die Reihe der Beispiele ist lang, wo die Länder den Gemeinden die notwendigen Mittel vorenthalten haben. Deshalb haben wir im Gesundheitsausschuß auf Vorschlag der Koalitionsfraktionen einen Entschließungsantrag vorbereitet und beschlossen, der die Länder dringend auffordert, die Entlastungen durch das Asylbewerberleistungsgesetz auf Heller und Pfennig an die Kommunen weiterzugeben.
Wir haben uns im Ausschuß - auch auf Anregung des Bundesbeauftragten für den Datenschutz - ausführlich mit dém Thema Datenschutz beschäftigt. Ich denke, wir haben Lösungen gefunden, die auch von allen Beteiligten jetzt getragen werden können. Auch in dem Ausschußbericht sind ja entsprechende Formulierungen noch einmal ausdrücklich enthalten, so daß ich denke, daß die Bedenken, die in Sachen Datenschutz vorgetragen worden sind, nunmehr als ausgeräumt gelten können.
Ulf Fink
Ich meine, wer gerecht mit diesem Gesetzentwurf umgeht, wer sich die Zusammenhänge genau anschaut und wer nicht eine vordergründige Betrachtungsweise an den Tag legt, der wird sich sehr wohl in der Lage sehen können, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen, und ich fordere auch Sie von seiten der Opposition auf, Ihre Zustimmung nicht zu verweigern.
Ich erteile dem Abgeordneten Hans Urbaniak das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes versucht die Bundesregierung ein skandalöses Kompensationsgeschäft: Absenkung der Kosten für Asylbewerber und Flüchtlinge gegen neue Sozialhilfeausgaben für Arbeitslose, denen die Bundesregierung die originäre Arbeitslosenhilfe streicht.
Das Schicksal von Menschen in Not wird so zur Verhandlungsmasse gegenüber finanziell strapazierten Gemeinden degradiert, und 40 000 Betroffene werden hier wohl die Dinge negativ sehen, die Sie mit dem Gesetz verbinden. Wir lehnen diesen Verschiebebahnhof zu Lasten der Gemeinden selbstverständlich ab.
Die geplante Gesetzesänderung bedeutet nicht nur eine Verschlechterung der ohnehin kargen Lebensbedingungen der Asylsuchenden; sie erweitert auch den Empfängerkreis auf alle geduldeten Ausländer nach § 55 des entsprechenden Gesetzes, also auch auf Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge mit Ausnahme derer, für die ein bundeseinheitlicher Abschiebestopp erlassen wurde.
Damit werden Verhandlungsergebnisse im Rahmen des Asylkompromisses zum Asylbewerberleistungsgesetz revidiert, die für die SPD-Fraktion unverzichtbare Bedingungen waren und sind. Sie verlassen damit den gemeinsamen Konsens, den wir damals gefunden haben, meine Damen und Herren.
Bis zu diesem Asylkompromiß galt die Sozialhilfe als einheitlicher Leistungsrahmen für die in unseren Grenzen wohnenden Deutschen und Ausländer. Länder und Kommunen forderten wegen zunehmender finanzieller Lasten für die gesamtstaatliche Aufgabe der Flüchtlingsbetreuung Entlastung durch den Bund. Wer von Ihnen könnte denn nicht sagen, wie schwierig die finanzielle Situation in unseren Städten und Gemeinden ist? Hier bürden Sie ihnen noch mehr auf, meine Damen und Herren.
Die Bundesregierung lehnte damals wie heute sowohl eine Übernahme der Ausgaben für Flüchtlinge wie auch eine Kostenbeteiligung ab. Ihr vorrangiges Argument für geringere gesetzliche Leistungen war nicht die Entlastung der strapazierten kommunalen Haushalte, sondern, wie wir meinen - und das ist schlimm genug -, Abschreckung und Mißbrauch. Deshalb sind im Vergleich zur Sozialhilfe geringere Leistungen vorgesehen. Sie wollen Sachleistungen, und das wird zu Lasten der betroffenen Menschen gehen.
Die SPD erreichte in mühsamen, bis an die Schmerzgrenze gehenden Verhandlungen, daß beschlossen wurde, die Leistungen bis zum Abschluß des Asylverfahrens, längstens aber für zwölf Monate, und ausschließlich für Asylbewerber abzusenken. Sie wollen dies auf 36 Monate ausdehnen. Das lehnen wir selbstverständlich ab.
Unsere Befürchtungen hinsichtlich der inhumanen Auswirkungen von Sachleistungen wurden in der Anhörung zum Änderungsgesetz bestätigt. Die Wohlfahrtsorganisationen, die Kirchen, der Flüchtlingskommissar - sie alle haben das Sachleistungsprinzip abgelehnt. Schließlich sind die Wohlfahrtsorganisationen ja unmittelbar in diesem Brennpunkt beschäftigt, und ihr Rat sollte in einer solchen Situation von uns ernst genommen werden. Dies aber haben Sie verworfen; das ist kein guter Zug.
Eine planwirtschaftliche Vollversorgung mit Lebensmitteln, Kleidung, Hygienebedarf ist, wie wir meinen, auch bei gutem Willen auf anständige Art und Weise nicht zu gewährleisten. Auch ist die Gewährung von Sachleistungen für die Kommunen in der Regel viel teurer. Da dies noch nicht einmal von der Bundesregierung bestritten wird, gehen wir davon aus, daß die Kosten angesichts der von der Bundesregierung gewollten Ausdehnung auf 500 Millionen DM ansteigen werden, wozu noch einmal 250 Millionen DM an Organisationskosten kommen. Dies bedeutet eine Ausweitung der Belastungen der Gemeinden.
Mindestens so gravierend wie das Problem der Sachleistungen ist, daß für den über zwölf Monate hinausgehenden Zeitraum die Krankenversorgung auf, wie es heißt, „akute Schmerzfälle" beschränkt wird. Meine Damen und Herren, ich kann mich trotz meiner nun schon sehr langen Zugehörigkeit zum Deutschen Bundestag nicht daran erinnern, daß wir jemals in Fragen der Krankenversicherung, der Vorsorge und Versorgung, der ärztlichen Pflichten und der Patientenverantwortung einen Begriff wie „akute Schmerzzustände" als Tatbestand verwendet hätten. Dies ist inhuman; das kann man doch nicht machen!
Was nun die Kosten angeht, so erwarten wir von der Bundesregierung endlich die Zustimmung zu unserem Antrag zur Altfallregelung. Die Gerichte würden entlastet, die Verfahrensdauer könnte verkürzt und Kosten könnten gespart werden. Vor allem aber würden die Verfahren für die wartenden Menschen humaner werden. Das ist für uns das Wichtigste.
Hans-Eberhard Urbaniak
Wenn es der Bundesregierung um die Entlastung der Kommunen und Länder geht, so soll sie endlich den bisher nicht umgesetzten Teil des Asylkompromisses regeln, der Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge betrifft, und die Anwendung des § 32a des Ausländergesetzes ermöglichen, der diesen Menschen einen besonderen Aufenthaltsstatus zusichert. Warum haben wir denn zusammen diesen Konsens erarbeitet, warum haben wir diese Übereinstimmung gefunden? Nun müssen Sie doch das, zu dem Sie damals gestanden haben, auch praktisch umsetzen. Was ist denn ein Konsens sonst wert? Also verlangen wir hier eine Umsetzung und Anwendung von § 32a. Sie sollten dies nun endlich machen.
Sie sollten wenigstens einen Teil der Kosten übernehmen. Darauf warten die Länder und die Kommunen bis heute. Wenn Sie das Kostenargument und die Verschieberei der entsprechenden Beträge hier reklamieren, dann sagen wir: Diese Kostenrechnung ist unseriös. Das ist ein Verschiebebahnhof. Das ist das Prinzip Ihrer Politik:
hin- und herschieben und ständig die Leute durcheinanderbringen, keine solide Finanzierung und keine Entlastung der Kommunen. Wir lehnen daher den Gesetzentwurf ab.
Die Grünen haben einen Entschließungsantrag eingebracht. Auch wir stimmen natürlich Punkt 1, der Zurückziehung dieses Gesetzes, zu. Wir können aber die Punkte 2 und 3 nicht billigen und werden diese Entschließung daher bei der namentlichen Abstimmung ablehnen.
Schönen Dank.
Ich erteile der Abgeordneten Andrea Fischer das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir reden hier nicht nur über Kosten, die zwischen verschiedenen Kostenträgern hin- und hergeschoben werden, sondern wir reden hier vor allen Dingen über die Lebensumstände von Menschen, die auf der Flucht vor Verfolgung zu uns gekommen sind und um Hilfe gebeten haben. Deswegen möchte ich hier noch einmal in aller Deutlichkeit sagen: Es ist geradezu unmoralisch, die Kürzungen bei den Mitteln für Flüchtlinge vorzunehmen, um damit Kürzungen bei den Mitteln für Behinderte und für Bezieher von originärer Arbeitslosenhilfe zu kompensieren.
Das Existenzminimum ist unteilbar. Es ist eine Schande für unser Land, wenn wir Menschen, die bei uns leben, in gleichen Umständen nicht alle gleich behandeln. Herr Urbaniak, nach dem, was Sie gesagt haben, kann ich der SPD diesen Vorwurf nicht ersparen: Wenn Sie sich jetzt vorwurfsvoll an die Koalitionsfraktionen wenden und sagen, sie würden den Asylkompromiß aufkündigen, kann ich nur sagen: Sie hätten damals nicht mitmachen dürfen; denn Sie haben damit für das geteilte Existenzminimum die Tür geöffnet.
Der Kollege Fink hat eben bagatellisierend gesagt, in der Anhörung, die wir dazu gemacht haben, habe es einige Einwände gegen diesen Gesetzentwurf gegeben. Das halte ich in der Tat für eine sehr euphemistische Darstellung des Verlaufs der Anhörung.
Dort ist für mein Verständnis die Kritik, die am Sachleistungsprinzip grundsätzlich zu üben ist, ganz deutlich geworden. Es handelt sich hierbei um eine Verletzung der Menschenwürde und der Freiheit, nämlich selbst darüber zu entscheiden, wie man seine Verpflegung organisiert. Wir haben viel über die mangelnde Qualität der Sachleistungen gehört, auch daß sie mit dazu beiträgt, daß in den Sammellagern gesundheitliche Probleme entstehen. Wir haben außerdem von Praktikern der Verwaltung gehört, daß es außerordentlich unpraktikabel ist, diese Sachleistungen zu verteilen, und daß das einen hohen logistischen Aufwand erfordert.
Besonders eindrücklich war der Bericht über die Folgen der eingeschränkten medizinischen Versorgung. Herr Kollege Fink, es ist geradezu polemisch, daß Sie davon sprechen, daß wir hier selbstverständlich nicht die Schönheitskorrekturen von Flüchtlingen bezahlen könnten.
Es geht hier darum, daß mit diesem Gesetz darüber entschieden wird, daß, wenn jemand eine Krankheit schon länger gehabt hat, er nicht behandelt wird, es sei denn, er hat akute Schmerzen.
Das zwingt die Ärzte in eine völlig absurde Abwägung hinein, wenn sie darüber entscheiden müssen, ob eine Erkrankung chronisch ist und ob sie diese so oder anders behandeln müssen. Das heißt, sie müssen sich entscheiden, ob sie sich an die Regeln des Asylbewerberleistungsgesetzes halten oder an ihren ärztlichen Eid.
Frau Kollegin Fischer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Fink?
Ja.
Bitte.
Frau Kollegin Fischer, würden Sie mir bestätigen, daß in diesem Gesetzentwurf hinsichtlich der medizinischen Betreuung nur zwei Änderungen gegenüber dem geltenden Gesetzeszustand enthalten sind? Das betrifft zum einen die Frage der Vergütung der Ärzte, die geregelt wird. Zum zweiten ist sogar eine Verbesserung in § 6 eingeführt worden, indem die Worte „dürfen nur" durch die Worte „können insbesondere" ersetzt werden? Das ist eine Verbesserung zugunsten der Asylbewerber. Sind Sie bereit einzuräumen, daß in diesem Gesetzentwurf die Frage, die Sie soeben angesprochen haben, überhaupt nicht neu geregelt ist, sondern bereits geltendes Recht darstellt?
Das ist richtig. Aber der Kollege Urbaniak führte ganz zutreffend in der Begründung der Ablehnung unseres Entschließungsantrags aus: Wir haben das Asylbewerberleistungsgesetz von vornherein abgelehnt. Deswegen können wir auch nicht erkennen, daß es mit dem vorliegenden Gesetzentwurf dahin gehend verbessert wurde, daß unserer grundsätzlichen Kritik an der eingeschränkten medizinischen Versorgung Rechnung getragen worden wäre.
Wie ich bereits sagte, ist mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht das grundsätzliche Übel beseitigt worden. Das stellt die Frage an unsere eigenen humanitären Maßstäbe: Dürfen wir diese so kraß mißachten?
Wir haben gestern bei der Diskussion um die Arbeitslosenhilfe im Ausschuß deutlich gemerkt, daß die Einsparungen, die durch das Asylbewerberleistungsgesetz eingeplant sind, als Besänftigung im Hinblick auf die Befürchtungen, daß die Arbeitslosenhilfereform die Kommunen noch stärker treffen könnte, aufgeführt werden.
Wir haben von den Vertretern des Deutschen Städtetages bei der Anhörung sehr deutlich gehört, daß sie nicht erwarten, daß die Einsparungen, so es sie überhaupt geben sollte, von den Ländern an die Städte weitergegeben werden. Vor diesem Hintergrund ist es wohlfeil, noch einmal einen Entschließungsantrag vorzulegen, in dem die Länder dazu aufgefordert werden.
Herr Kollege Fink, Sie haben gesagt: Der Skandal liegt an den Ländern. Ich finde, der Skandal ist dieses Gesetz.
Mich empört es, daß die Menschen- und Freiheitsrechte von Flüchtlingen hier zu einem Instrument im Finanzschacher zwischen den verschiedenen föderalen Ebenen werden. Ich will noch eines ganz deutlich sagen: Es geht hier nicht nur um die Flüchtlinge, sondern es geht um uns alle. Wollen wir in einem Land leben, in dem wir die Menschenrechte für unterschiedliche Gruppen unterschiedlich bewerten?
Ich erteile nun der Abgeordneten Cornelia Schmalz-Jacobsen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren hier vor dem Hintergrund dessen, was heute vormittag lang und breit in diesem Haus mit aller Ernsthaftigkeit ausgeführt wurde.
Wir diskutieren vor dem Hintergrund von 4,2 Millionen Arbeitslosen, vor dem Hintergrund von Sparzwängen in diesem Land, und ich muß Ihnen sagen: Wir können uns doch nicht ganz den Gefühlen der aufnehmenden Bevölkerung verschließen,
ganz unabhängig davon, ob jemand einen deutschen Paß hat oder einen ausländischen. Ich sehe mich nicht in der Lage, das vollkommen beiseite zu schieben.
Was Sie, Herr Kollege Urbaniak, gemacht haben, halte ich für nicht in Ordnung. Sie tun hier so, als sei die Absenkung von Leistungen vollkommen gegen die SPD beschlossen worden. Das ist doch einfach nicht wahr. Die Länder - und zwar in schöner Einheit - wollten eine viel stärkere Absenkung auf einen viel größeren Personenkreis beziehen. Werfen Sie nicht diese Nebelkerzen; das stimmt doch einfach nicht.
Ich will es Ihnen sagen: Es gibt eine grundsätzliche Unterscheidung zwischen Ausländern, die vorübergehend in unserem Land sind - das geht bis zur unbefristeten Aufenthaltserlaubnis -, und denjenigen, deren Aufenthalt auf Dauer ausgerichtet ist. Dazu haben wir Veränderungen ins Gesetz gebracht.
Ich darf Sie daran erinnern, daß wir, die F.D.P.-Fraktion, die Bürgerkriegsflüchtlinge, die sonst, wenn es nach den Ländern gegangen wäre, vom Gesetz erfaßt worden wären, herausgenommen haben.
Wir haben diejenigen herausgenommen, die mit einer Befugnis hier leben, und wir haben für eine zeitliche Begrenzung gesorgt. Das müssen Sie doch bitte zur Kenntnis nehmen.
Cornelia Schmalz-Jacobsen
Ich bedauere ja zutiefst - ebenso wie meine Kolleginnen und Kollegen -, daß der § 32a, der Flüchtlingsstatus, in finanzieller Hinsicht nicht umgesetzt worden ist. Aber tun Sie doch bitte nicht so, als sei das alles an der Sturheit der Bundesregierung gescheitert! Es war bedauernswerterweise auf beiden Seiten keine Kompromißfähigkeit zu finden. Das ist zu Lasten der Flüchtlinge gegangen und nichts anderes. Tun Sie bitte nicht so, als könnten Sie hier die Krokodilstränen vergießen, während die Länder, auch die von Ihnen regierten Länder, ganz anders handeln.
Daß das alles nicht leichtfällt, daß das wirklich bitter ist, wird doch niemand bestreiten, nicht auf Ihrer Seite und nicht auf unserer Seite des Hauses. Aber ich meine zu der Polemik, die zum Teil zu hören ist, die wir in Briefen auf den Tisch kriegen und die wir auch heute hier gehört haben, die behauptet, es gehe hier um eine Beschneidung der Freiheit und gar der Menschenrechte: Das kann man doch wohl so nicht sagen.
Ich will Sie auch daran erinnern, daß wir immer noch deutlich bessere Leistungen haben als so mancher europäische Nachbar mit weit weniger Asylbewerbern. Ich rede weiß Gott nicht dem Wettlauf der Schäbigkeit das Wort; aber Sie tun so, als senkten wir die Leistungen für Flüchtlinge auf das Niveau ihrer Herkunftsländer ab. Das hat niemand im Sinn. Aber im Konzert mit den anderen europäischen Ländern ist das ja, wie man so sagt, vertretbar.
Ich möchte Sie auf die Verbesserung hinweisen, die sehr vernünftig ist und zeigt, daß man sich auch an der Praxis orientieren kann. Ich nenne den § 6, der ja in seiner neuen Fassung durch eine Öffnungsklausel Einzelfallregelungen ermöglicht. Das ist übrigens auch gerade für Kinder von Bedeutung.
Hier wird daran Kritik geübt, daß mehrere Gesetze, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben, zusammengebunden werden. Meine Kolleginnen und Kollegen, wenn es bei uns läge, die Kommunen direkt zu entlasten, bräuchten wir das nicht zu tun. Aber es sind doch die Länder, die sich eines gewissen Systems von Behalten, um nicht zu sagen: der Wegelagerei befleißigen. Darum mußten wir das ja wohl so regeln.
Ich möchte zum Schluß Ihren und meinen Blick noch einmal auf die Anhörung lenken. Da wurde manches ausgeräumt, auch was von einigen der Anzuhörenden dort gesagt wurde. In bezug auf die Sachleistungen scheint mir aber folgendes sehr deutlich geworden zu sein. Meine Damen und Herren, wenn wir sparen wollen, dann muß man sagen, daß Sachleistungen häufig teurer sind, nicht immer, aber häufig. Sie sind unterschiedlich geregelt und sehr unterschiedlich in ihrer Qualität. Man sollte das flexibler und menschenwürdiger regeln können. Das sage ich hier ganz deutlich. Eine Abschreckung kann es wohl nicht sein, denn die Leute, die mit dem Auto vor der Tür stehen, sind ganz andere. Das sind nicht diejenigen, die normale Geldleistungen bekommen. Ich wünschte mir, daß hier der Spielraum für die Gemeinden besser genutzt werden kann, und möglicherweise können Sie, Herr Minister, das dann auch auf dem Verordnungswege schaffen.
Ich erteile nun das Wort der Abgeordneten Dr. Heidi Knake-Werner.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die PDS lehnt den vorgelegten Gesetzentwurf ab.
Erstens lehnen wir den Gesetzentwurf ab, weil es sich hierbei um einen unwürdigen Finanzpoker handelt. Millionenposten werden zwischen Bund, Ländern und kommunalen Kassen verschoben; Kostenstellen stehen im Vordergrund - die gestrige Sitzung im Ausschuß für Arbeit und Soziales steht dafür als Beispiel. Betroffene Menschen spielen bei diesem kaltschnäuzigen Schacher überhaupt keine Rolle. Bezieher von Arbeitslosenhilfe und Schwerbehinderte werden gegen Flüchtlinge ausgespielt - ein perfides Kompensationsgeschäft, das Sie den Kommunen anbieten, um sie für die erhöhten Sozialhilfekosten bereiter zu machen.
In diesem Gesetzentwurf, meine Damen und Herren, spiegelt sich beispielhaft Ihre politische Philosophie wider: Spalten, Entsolidarisieren, Abwälzen der Kosten auf die Schwächsten in diesem Land. Frau Schmalz-Jacobsen hat es gerade noch so schön unterstrichen, als sie darauf hingewiesen hat, in welchem Zusammenhang wir die heutige Debatte führen. Wir sollten an die Debatte heute morgen denken.
Zweitens lehnen wir diesen Gesetzentwurf ab, weil wir nicht wollen, daß eine skandalöse Entwicklung, die in der Verabschiedung des Asylbewerberleistungsgesetzes 1993 ihren Ausgang genommen hat - damals leider mit den Stimmen der SPD -, ihre menschenverachtende Fortsetzung erfährt.
Seit 1993 erhalten Asylantragsteller nur noch 80 DM für ihren persönlichen Bedarf. Der Wert der Bekleidungshilfe wurde um ein Vielfaches abgesenkt. Ärzte dürfen chronische Krankheiten, oft auch die Folgen von Folter und Vergewaltigung, nicht mehr behandeln,
sondern nur noch akute Schmerzzustände. Meine drei Minuten Redezeit lassen es leider nicht zu, mich über den Zynismus des Kollegen Fink an dieser Stelle aufzuregen.
Dr. Heidi Knake-Werner
Beklagt wird, daß unter der Herrschaft des Sachleistungsprinzips weder eine ausgewogene noch eine den kulturellen Gewohnheiten angemessene Ernährung stattfindet. Die Ausführungsvorschriften ermöglichen 10 Quadratmeter Wohn- und Nutzfläche pro Person. Die Liste ließe sich fortsetzen.
Die Regierungskoalition präsentiert nun die Ausweitung der Leistungskürzungen, des Sachleistungsvorrangs und der medizinischen Minimalversorgung auf nunmehr 260 000 Menschen. Ihr Hauptgrund: Kostenersparnis. Aber nicht einmal Ihr Kostenargument stimmt. Bei der Anhörung haben Ihnen der Deutsche Städtetag und die Vertreterin der Kommunen bereits vorgerechnet, daß das Sachleistungsprinzip mehr Kosten hervorrufen wird, als überhaupt Einsparungen eingeplant sind. Wer wirklich sparen will, muß die Sachleistungen abschaffen und die Flüchtlinge wieder in das Bundessozialhilfegesetz einbeziehen.
Was also ist Ihr eigentliches Motiv? Erstens, glaube ich, die Abschreckung der Betroffenen, die bei uns um Aufnahme ersuchen, und zweitens - unter Hinweis darauf, wie Sie mit Asylbewerbern und Flüchtfingen umgehen - wollen Sie an deutschen Stammtischen mehr Akzeptanz für Ihre unsoziale und inhumane Politik erzielen. Leider - das sage ich auch in aller Deutlichkeit - spielen dabei SPD-Minister in den Ländern eine unrühmliche Vorreiterrolle.
Dieses Gesetz ist überflüssig, dieses Gesetz ist inhuman, dieses Gesetz verletzt zentrale grundgesetzliche Garantien für eine Bevölkerungsgruppe, die auf dem Territorium der Bundesrepublik lebt.
Deshalb kann es nur eine Konsequenz geben: Wer die Diskriminierung von Asylantragstellern und Flüchtlingen beenden will, wer ihre Ausgrenzung in Wohnheimen und aus dem Alltag stoppen will, wer die mit räumlicher und sozialer Ausgrenzung mittelbar offensichtlich gegebene Gefahr für Leib und Leben ausschließen will, der darf sich nicht auf die Ablehnung dieses Gesetzentwurfs beschränken, der muß einem Antrag zustimmen, der zu dem Zustand vor 1993 zurückkehrt. In diesem Sinne bitte ich Sie um Zustimmung zu unserem Entschließungsantrag.
Danke schön.
Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurf zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes, Drucksachen 13/2746 und 13/3720 Nr. 1.
Dazu liegt ein Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/3727 vor, zu dem von der PDS namentliche Abstimmung beantragt wurde. Wir müssen zunächst feststellen, ob Sie für Ihren Antrag auf namentliche Abstimmung das erforderliche Quorum von 34 Abgeordneten haben.
Ich bitte zunächst diejenigen, die dem Antrag der Gruppe der PDS auf namentliche Abstimmung zustimmen wollen, um das Handzeichen.
- Ich stelle fest, daß mehr als das erforderliche Quorum von 34 dem Antrag auf namentliche Abstimmung zugestimmt haben.
Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/3727. Es wird namentlich abgestimmt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer an die Urnen zu gehen. - Sind die Urnen ordentlich besetzt?
- Das ist der Fall.
Dann eröffne ich die Abstimmung.
Ist noch jemand im Hause, der seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Da wir das Ergebnis für die weitere Beratung abwarten müssen, unterbreche ich so lange die Sitzung. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, mir ist gesagt worden, das sei schlecht zu verstehen gewesen. Ich wiederhole daher: Wir haben die Sitzung unterbrochen, da wir erst das Ergebnis der Abstimmung abwarten müssen, bevor wir weitermachen.
Ich eröffne die unterbrochene Sitzung.
Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Ruth Fuchs, Dr. Heidi Knake-Werner und der Gruppe der PDS zu dem Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und anderer Gesetze bekannt. Abgegebene Stimmen: 617. Mit Ja haben gestimmt: 75. Mit Nein haben gestimmt: 539. Enthaltungen: 3.
Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 616; davon
ja: 75
nein: 538
enthalten: 3
Ja
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Gila Altmann Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn)
Marieluise Beck Volker Beck (Köln) Angelika Beer
Matthias Berninger Annelie Buntenbach
Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid
Andrea Fischer Joseph Fischer (Frankfurt) Rita Grießhaber
Gerald Häfner Antje Hermenau Kristin Heyne Ulrike Höfken Michaele Hustedt Dr. Manuel Kiper Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Steffi Lemke
Vera Lengsfeld
Dr. Helmut Lippelt Oswald Metzger Kerstin Müller Winfried Nachtwei Christa Nickels
Cem Özdemir Simone Probst
Dr. Jürgen Rochlitz Halo Saibold
Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch
Albert Schmidt Wolfgang Schmitt
Ursula Schönberger
Werner Schulz Rainder Steenblock Marina Steindor Christian Sterzing Manfred Such
Ludger Volmer
Helmut Wilhelm Margareta Wolf (Frankfurt)
PDS
Wolfgang Bierstedt Petra Bläss
Eva Bulling-Schröter Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Ludwig Elm
Dr. Dagmar Enkelmann
Dr. Ruth Fuchs Dr. Gregor Gysi Hanns-Peter Hartmann
Dr. Uwe-Jens Heuer
Dr. Barbara Höll Dr. Willibald Jacob Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner Rolf Köhne
Rolf Kutzmutz Andrea Lederer Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth
Dr. Günther Maleuda Manfred Müller Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Steffen Tippach Klaus-Jürgen Warnick
Dr. Winfried Wolf
Gerhard Zwerenz
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam Peter Altmaier
Anneliese Augustin
Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten
Dr. Wolf Bauer Brigitte Baumeister
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank
Dr. Heribert Blens Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig
Rudolf Braun Paul Breuer
Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Klaus Bühler Hartmut Büttner
Dankward Buwitt
Manfred Carstens Peter Harry Carstensen
Wolfgang Dehnel Hubert Deittert
Gertrud Dempwolf Albert Deß
Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjörgen Doss Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn
Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Horst Eylmann
Anke Eymer
Ilse Falk
Jochen Feilcke
Dr. Karl H. Fell
Ulf Fink
Dirk Fischer Klaus Francke (Hamburg) Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler Michael Glos
Wilma Glücklich
Dr. Reinhard Göhner Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres
Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund
Horst Günther Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke
Gerda Hasselfeldt
Otto Hauser Hansgeorg Hauser
Klaus-Jürgen Hedrich Manfred Heise
Dr. Renate Hellwig Ernst Hinsken
Peter Hintze
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Siegfried Hornung Joachim Hörster Hubert Hüppe Peter Jacoby
Susanne Jaffke Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst Dr.-Ing. Rainer Jork
Michael Jung
Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder
Peter Keller
Eckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Hans Klein
Ulrich Klinkert Hans-Ulrich Köhler
Manfred Kolbe Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus
Wolfgang Krause Andreas Krautscheid
Arnulf Kriedner Heinz-Jürgen Kronberg Dr.-Ing. Paul Krüger Reiner Krziskewitz
Dr. Hermann Kues Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers Karl Lamers
Helmut Lamp Armin Laschet Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs Karl-Josef Laumann Werner Lensing Christian Lenzer Peter Letzgus Editha Limbach
Walter Link Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann
Julius Louven Sigrun Löwisch Heinrich Lummer Dr. Michael Luther
Erich Maaß Dr. Dietrich Mahlo
Erwin Marschewski Dr. Martin Mayer
Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl
Dr. Michael Meister Friedrich Merz
Rudolf Meyer
Hans Michelbach Meinolf Michels Dr. Gerd Müller
Elmar Müller Engelbert Nelle
Bernd Neumann Johannes Nitsch
Claudia Nolte Dr. Rolf Olderog Friedhelm Ost Eduard Oswald
Norbert Otto
Dr. Gerhard Päselt Hans-Wilhelm Pesch
Ulrich Petzold Anton Pfeifer Angelika Pfeiffer Dr. Gero Pfennig
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp Ronald Pofalla
Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff
Dr. Albert Probst Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Thomas Rachel Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Rolf Rau
Helmut Rauber Peter Harald Rauen
Otto Regenspurger
Christa Reichard Klaus Dieter Reichardt
Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik
Roland Richter Roland Richwien Dr. Norbert Rieder
Dr. Erich Riedl Klaus Riegert
Franz Romer Hannelore Rönsch
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Adolf Roth
Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Ortrun Schätzle
Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte
Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee Ulrich Schmalz Bernd Schmidbauer
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
Andreas Schmidt Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz
Michael von Schmude
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff
Dr. Dieter Schulte
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Gerhard Schulz Frederick Schulze Diethard Schütze (Berlin) Clemens Schwalbe
Dr. Christian Schwarz-Schilling
Horst Seehofer Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert
Rudolf Seiters Johannes Selle Bernd Siebert Jürgen Sikora
Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Erika Steinbach
Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm
Max Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Egon Susset
Michael Teiser
Dr. Susanne Tiemann
Dr. Klaus Töpfer Gottfried Tröger
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall
Dr. Horst Waffenschmidt Alois Graf von Waldburg-Zeil Kersten Wetzel
Hans-Otto Wilhelm Gert Willner
Bernd Wilz
Willy Wimmer Matthias Wissmann
Simon Wittmann
Dagmar Wöhrl Michael Wonneberger
Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Zöller
SPD
Brigitte Adler Gerd Andres Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett Klaus Barthel
Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher Rudolf Bindig
Arne Börnsen Anni Brandt-Elsweier
Tilo Braune
Dr. Eberhard Brecht
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt Hans Martin Bury
Hans Büttner Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi
Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann
Karl Diller
Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen
Rudolf Dreßler Freimut Duve Ludwig Eich Peter Enders Petra Ernstberger Annette Faße Elke Ferner
Lothar Fischer Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Dagmar Freitag Anke Fuchs Katrin Fuchs (Verl)
Arne Fuhrmann Monika Ganseforth
Norbert Gansel Konrad Gilges Iris Gleicke
Günter Gloser Dr. Peter Glotz
Günter Graf Angelika Graf (Rosenheim) Dieter Grasedieck
Achim Großmann Karl Hermann Haack
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach
Dr. Liesel Hartenstein
Klaus Hasenfratz
Dr. Ingomar Hauchler
Dieter Heistermann
Reinhold Hemker Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe Hiksch
Reinhold Hiller Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Frank Hofmann Ingrid Holzhüter
Erwin Horn
Eike Hovermann Lothar Ibrügger Wolfgang Ilte Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens Sabine Kaspereit Susanne Kastner Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Dr. Hans-Hinrich Knaape Fritz Rudolf Körper
Nicolette Kressl Volker Kröning Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Konrad Kunick Christine Kurzhals Dr. Uwe Küster Werner Labsch
Brigitte Lange Detlev von Larcher Waltraud Lehn Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard Klaus Lohmann Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß
Winfried Mante Dorle Marx
Ulrike Mascher Christoph Matschie Ingrid Matthäus-Maier
Heide Mattischeck Markus Meckel Ulrike Mehl
Herbert Meißner Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer Ursula Mogg
Siegmar Mosdorf
Michael Müller Jutta Müller (Völklingen) Christian Müller (Zittau) Volker Neumann (Bramsche) Gerhard Neumann (Gotha) Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese Doris Odendahl
Günter Oesinghaus Leyla Onur
Manfred Opel Adolf Ostertag Kurt Palis
Albrecht Papenroth Dr. Willfried Penner Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Dr. Eckhart Pick Joachim Poß
Rudolf Purps
Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse
Renate Rennebach Otto Reschke Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter Günter Rixe
Reinhold Robbe Gerhard Rübenkönig
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Dieter Schanz Rudolf Scharping Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler Horst Schild
Otto Schily
Günter Schluckebier
Horst Schmidbauer
Ulla Schmidt Dagmar Schmidt (Meschede) Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt
Dr. Emil Schnell Walter Schöler Ottmar Schreiner Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert
Brigitte Schulte
Reinhard Schultz Volkmar Schultz (Köln)
Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Lisa Seuster
Horst Sielaff
Erika Simm
Johannes Singer
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge
Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler Dr. Peter Struck Jörg Tauss
Dr. Bodo Teichmann
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Dietmar Thieser Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin
Günter Verheugen
Ute Vogt
Hans Georg Wagner
Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis Matthias Weisheit Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen Jochen Welt
Hildegard Wester Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Norbert Wieczorek Helmut Wieczorek Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz
Berthold Wittich
Dr. Wolfgang Wodarg
Hanna Wolf
Heidi Wright Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
F.D.P.
Ina Albowitz
Dr. Gisela Babel Hildebrecht Braun
Günther Bredehorn Jörg van Essen
Dr. Olaf Feldmann Gisela Frick
Paul K. Friedhoff Horst Friedrich
Rainer Funke
Hans-Dietrich Genscher
Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther
Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Helmut Haussmann
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Dr. Burkhard Hirsch
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Detlef Kleinert Dr. Heinrich L. Kolb
Jürgen Koppelin
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Dr. Otto Graf Lambsdorff Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Uwe Lühr
Jürgen W. Möllemann
Günther Friedrich Nolting Dr. Rainer Ortleb
Lisa Peters
Dr. Klaus Röhl
Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard Schwaetzer
Dr. Hermann Otto Sohns
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Weng
Enthalten
SPD
Gernot Erler
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Gerd Poppe
Dr. Antje Vollmer
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition und eine Stimme aus der F.D.P. angenommen worden.
Unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/3720 empfiehlt der Ausschuß für Gesundheit, den inhaltsgleichen Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 13/3475 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Opposition angenommen worden.
Der Ausschuß für Gesundheit empfiehlt unter Nr. 3 seiner Beschlußempfehlung die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/3726. Die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben.*)
Wir setzen nun die Beratungen fort. - Allerdings erst dann, wenn die Gänge frei sind.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a bis 9 c auf:
a) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 59 zu Petitionen
- Drucksache 13/2274 -
b) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 61 zu Petitionen - Drucksache 13/2381 -
c) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 75 zu Petitionen
- Drucksache 13/2767 -
Zu jeder Sammelübersicht liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Die Fraktion der SPD hat je einen Änderungsantrag zur Sammelübersicht 59 und 61 eingebracht.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die gemeinsame Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zehn Minuten erhalten soll. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Wolfgang Dehnel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Die SED-Diktatur hat nicht nur Riesenschäden in Wirtschaft und Umwelt hinterlassen, sondern auch tausendfaches Leid durch politische Verfolgung und Diskriminierung. Es wird noch viele Jahre dauern, um diese Hinterlassenschaft aufzuarbeiten. Die Regierungskoalition hat sich mit der Erarbeitung und Verabschiedung des 1. und 2. SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes zu der dringend notwendigen Entschädigung
*) Seite 7602 C
Wolfgang Dehnel
von Opfern der SED-Diktatur bekannt. In keinem ehemaligen Ostblockstaat ist bisher Gleiches oder auch nur Ähnliches geschehen.
Mit Geld allein kann man allerdings nicht alle Unterdrückungen materieller, körperlicher oder auch seelischer Art entschädigen. Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zähle ich nämlich auch zum Gewinnpotential der Deutschen in den neuen Bundesländern.
Es war richtig, zunächst im 1. SED-Unrechtsbereinigungsgesetz die Haftentschädigung durchzusetzen und dann im 2. SED-Unrechtsbereinigungsgesetz nachweisbare berufliche Nachteile im Rentenrecht auszugleichen. Darin waren wir uns bei entsprechenden Petitionen auch parteiübergreifend, also auch mit der SPD und dem Bündnis 90/Die Grünen, einig. Um so unverständlicher sind mir jetzt die vorgebrachten Vorwürfe und Anträge von Bündnis 90/ Die Grünen. Sie dürfen nicht vergessen: Entscheidungen haben wir immer in der Abwägung von Einzel- und Gesellschaftsinteresse unter Beachtung der gesetzlichen und der Haushaltslage zu treffen.
Mit dem 2. SED-Unrechtsbereinigungsgesetz ist die gesetzliche Grundlage für einen Ausgleich beruflicher Nachteile in der ehemaligen DDR geschaffen worden. Art. 2 des 2. SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes ist das Berufliche Rehabilitierungsgesetz. Dieser Artikel regelt die Rehabilitierung und den sozialen Ausgleich in den Beruf oder in die berufsbezogene Ausbildung.
Schwerpunkt der Regelung ist der Ausgleich von rentenrechtlichen Nachteilen. Ausgeglichen werden dabei Nachteile, die durch politische Inhaftierung oder Gewahrsamnahme, Berufsverbot, Eingriffe in die berufsbezogene Ausbildung oder andere Maßnahmen der politischen Verfolgung, die mit einem gesellschaftlichen Abstieg im ursächlichen Zusammenhang stehen, verursacht worden sind. Solche Fälle gab es massenhaft in der ehemaligen DDR.
Nicht ausgeglichen wird beispielsweise aber die Nichtbeförderung aus politischen Gründen. Der Ausgleich erfolgt in der gesetzlichen Rentenversicherung dadurch, daß Verfolgungszeiten, insbesondere also Zeiten eines verfolgungsbedingten Verdienstausfalles oder Minderverdienstes, in der gesetzlichen Rentenversicherung als Pflichtbeitragszeiten angerechnet werden. Der Verfolgte wird für die Verfolgungszeit rentenrechtlich so gestellt wie der Durchschnitt der Versicherten mit vergleichbarer Qualifikation.
Als Verfolgungszeiten gelten außerdem sogenannte beitragsmindernde Zeiten, wenn nicht eine zumutbare Beitragszahlung zur freiwilligen Zusatzrentenversicherung unterlassen wurde. Sie werden dann mit einem Verdienst bewertet, der sich nach dem Durchschnitt der Beitragsleistung im gesamten Versicherungsleben mit Ausnahme der Verfolgungszeit richtet. Die nach diesen Vorschriften ermittelte Rente wird jeweils der auf Grund des tatsächlichen Einkommens ermittelten Rente gegenübergestellt.
Der Verfolgte erhält also jeweils eine erhöhte Rente. Dem Anliegen der Petenten ist somit Rechnung getragen worden. Ich habe selbst in meinen Bürgersprechstunden vielen betroffenen Petenten hellen können, und sie zeigten sich auch sehr dankbar für diese Regelung.
Allerdings scheint auch uns die Antragsbearbeitung zu schleppend voranzugehen. Ich könnte hier zwei Beispiele nennen: In meinem Wahlkreis wohnt ein ehemaliger Lehrer der DDR, der nur deswegen, weil er bei bestimmten Anlässen nicht Beifall geklatscht hat, aus dem Schuldienst entfernt worden ist. Ein ähnlicher Fall: Ein Lehrer, der einer ehemaligen Blockpartei angehörte, nämlich der SPD - das steht so in einem Schreiben, das er bekommen hat -, wurde aus dem Schuldienst entfernt, weil er aus dieser Blockpartei ausgetreten ist. - Diese Fälle sind jetzt innerhalb kurzer Zeit bearbeitet worden, und ich freue mich mit diesen Petenten.
Die Regierungskoalition - und damit die Ausschußgruppe Petitionen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion - bleibt bei ihren Stellungnahmen und Voten, wie wir sie auch schon während der Petitionsberatungen abgegeben haben.
Wir lehnen die Änderungsanträge von Bündnis 90/ Die Grünen sowie den Antrag der SPD ab. Wir lehnen es normalerweise auch ab, in eine neue Sachdebatte über Petitionen einzusteigen; denn die Beratungen dazu sind schon im Petitionsausschuß erfolgt.
Unsere Entscheidung gilt in gleicher Weise für die Sammelübersicht 59 und die Sammelübersicht 61 zu Petitionen. Denn dort eröffnet das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz für die Hinterbliebenen Ansprüche auf Versorgungsleistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz. Bezüglich der Sammelübersicht 75 empfehlen wir jedoch, diese dem Bundesministerium der Justiz und dem Bundesinnenministerium als Material zu überweisen sowie den Fraktionen zur Kenntnis zu geben. Wir bleiben auch hier bei unserem Beschluß, den wir im Petitionsausschuß gefaßt haben. Denn uns liegen die schweren Schicksale der nach Sibirien und in andere Lager verschleppten Männer und Frauen sehr am Herzen.
Die Bundesregierung muß entsprechend ihrer finanziellen Möglichkeiten rechtliche Regelungen erarbeiten, um auch dieses erlittene Unrecht und daraus entstandenes Leid zu mildern. In diesem Sinne haben wir auch schon votiert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, folgen Sie den Beschlüssen des Ausschusses und lehnen Sie die offensichtlichen Scheingefechte - sprich: Änderungsanträge - ab.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Reinhold Hiller.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Viele Petitionen zu einem bestimmten Themenkomplex zeigen der Bundesregierung und dem Parlament: Es exi-
Reinhold Hiller
stiert dringender Handlungsbedarf - so auch beim 2. SED-Unrechtsbereinigungsgesetz.
Dazu liegen uns Dutzende von Petitionen vor. Darunter befindet sich auch ein Interessenverband stalinistisch Verfolgter, der umfassende strafrechtliche Rehabilitierung und Entschädigung verlangt.
Darüber hinaus gibt es viele Petitionen, in denen ehemalige politische Häftlinge in der DDR unterschiedliche Begehren äußern, zum Beispiel Kapitalentschädigungen auch für Hinterbliebene oder Entschädigungsleistungen für Petenten, die bereits vor der Einheit in die Bundesrepublik übersiedelten. Andere begehren die berufliche Rehabilitation.
Alle Einzelfälle wurden im Petitionsausschuß geprüft und teilweise unterschiedlich bewertet. Dabei möchte ich sagen, daß die Schilderungen der dramatischen persönlichen Schicksale unter die Haut gehen und in jedem Fall aussagekräftiger sind als unsere Sprache in Resolutionen und Gesetzestexten.
Ich glaube, daß alle Mitglieder des Petitionsausschusses diese Gefühle teilen und auch den Wunsch haben, den Petenten zu helfen. Seit dem 1. und 2. SED-Unrechtsbereinigungsgesetz konnte vielen Menschen ein wenig Gerechtigkeit gegeben werden. Die jetzt vor dem Petitionsausschuß dokumentierten Fälle zeigen jedoch eindeutig, daß wir mehr tun müssen. Für die SPD-Fraktion erklärte in der Debatte „Fünf Jahre deutsche Einheit" Hans-Joachim Hacker:
Es sind erhebliche Mängel und Lücken in beiden SED-Unrechtsbereinigungsgesetzen festzustellen.
Dieser Bilanz hat sich der Petitionsausschuß in Einzelfällen durchaus angeschlossen, indem er der Bundesregierung diverse Eingaben als Material überwies. Auch die SPD-Fraktion hat im Bundestag einen Antrag eingebracht, der folgende Forderungen enthält:
Die Bundesregierung wird aufgefordert, einen Gesetzentwurf zur Verbesserung der Rehabilitierung von DDR-Unrecht vorzulegen, der folgende Punkte berücksichtigt:
1) Erhöhung der Kapitalentschädigung im Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz auf mindestens 600 DM für alle ehemaligen politischen Häftlinge;
2) Vererbbarkeit der Kapitalentschädigung an erheblich mitbetroffene nächste Angehörige sowie an Hinterbliebene von Hingerichteten;
3) Einführung einer moralischen Rehabilitierung von Verwaltungsunrecht; Verfahrenserleichterungen für ehemalige politische Häftlinge bei der Antragsstellung nach dem Beruflichen Rehabilitierungsgesetz;
4) Verbesserte Anerkennung gesundheitlicher Haftschäden.
Für die Bürgerinnen und Bürger, die dieser Debatte folgen, wird es nun jedoch unübersichtlich: Zur Abstimmung liegen Änderungsanträge vor. Bei den Sammelübersichten 59 und 61 stimmen wir unseren Anträgen zu, um diese Petitionen der Bundesregierung und den Fraktionen als Material zu überweisen. Dies ist in zweierlei Hinsicht sachgerecht.
Inzwischen liegt dem Bundestag ein Gesetzentwurf der Grünen vor. Ein weiterer der SPD wird demnächst folgen. Damit besteht die Möglichkeit, die Begehren der Petenten im Gesetzgebungsverfahren mit zu berücksichtigen. Entscheidend dafür wird jedoch sein, wie die Bundesregierung diese Petitionen bearbeiten wird. Es wäre gut gewesen, wenn wir in dieser Debatte, Herr Kollege Dehnel, erfahren hätten, daß auch auf der Regierungsseite Handlungsbedarf konzediert wird.
Dies interessiert uns, aber in erster Linie die Betroffenen.
Bei der Abstimmung über den Änderungsantrag der Grünen werden wir uns enthalten, da die Begründung zu viele Ungenauigkeiten enthält und zu unsystematisch ist. Er ist aber in der Tendenz richtig. Bei einer weiteren Beratung sehe ich durchaus die Möglichkeit der Verständigung.
Dem Änderungsantrag der Grünen zu Sammelübersicht 75, 32 Petitionen zur Erwägung zu überweisen, um in sibirische Lager verschleppte Männer und Frauen zu rehabilitieren und zu entschädigen, können wir nur zustimmen.
Die Eingaben haben uns drastisch vor Augen geführt, daß wir noch mehr Gerechtigkeit für die Opfer der SED-Herrschaft und des Stalinismus herbeiführen müssen. Die Zeit der großen Worte sollte nun in Taten münden. Dazu fordern wir die Bundesregierung und die Fraktionen auf. Bitte handeln Sie - möglichst schnell. Auf jeden Fall wird es Gesetzentwürfe geben, bei denen Sie Farbe bekennen können.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Gerald Häfner.
Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unrecht ist immer empörend. Aber besonders empörend und verletzend ist staatliches Unrecht. Staatliches Unrecht bedeutet auch, daß man sich nicht dagegen wehren kann, weil all diejenigen, an die
Gerald Häfner
man sich wenden könnte - die staatlichen Ämter und Behörden, die Polizei, ja sogar die Judikative, die Gerichte, die doch eigentlich dazu da sind, den Bürger vor Unrecht zu schützen, seine Rechte zu schützen und, wo nötig, wiederherzustellen -, zu Bütteln und Komplizen des massenhaft begangenen Unrechts geworden sind.
So ist das - nach dem noch viel schlimmeren Absturz von Recht und Menschlichkeit in die Barbarei in der Zeit des Nationalsozialismus - über vier Jahrzehnte eben auch in der DDR gewesen. Viele Menschen sind oft zu tragischen Opfern dieses Systems geworden. Oft waren das gerade die Besten, nämlich diejenigen, die den Mut und die Kraft hatten, sich zu widersetzen. Ich bin überzeugt, daß es unsere moralische und politische Pflicht ist, diesen Menschen nun - soweit es irgend geht - Gerechtigkeit und Wiedergutmachung angedeihen zu lassen.
Ich weiß, daß sich Unrecht nicht ungeschehen machen und auch nicht aus der Welt schaffen läßt. Was geschehen ist, das bleibt, das wirkt nach. Die Betroffenen müssen mit den Verletzungen und die Täter mit Schuld leben. Angesichts des massenhaften und massiven Unrechts, das in diesem Zusammenhang geschehen ist, sind auch die Möglichkeiten der Entschädigung und Wiedergutmachung seitens des Staates beschränkt. Gerade deshalb aber sollten wir all das, was wir im Rahmen der Gesetze machen können, dringend tun.
Der Deutsche Bundestag hat mit dem Ersten und dem Zweiten SED-Unrechtsbereinigungsgesetz den Versuch gemacht, zu helfen und den Betroffenen Gerechtigkeit zukommen zu lassen. Ich denke, man muß diesen Versuch würdigen. Man muß aber genauso deutlich sagen, daß die beiden SED-Unrechtsbereinigungsgesetze eine sehr große Zahl an Fehlern, Schwächen und blinden Flecken aufweisen und daß eine Änderung dringend notwendig ist.
Da ist es mit kosmetischen Reparaturen bei weitem nicht getan. Nur eine Therapie, die an den Wurzeln ansetzt, das heißt, die die Schwächen im Gesetz erkennt und heilt, kann den Betroffenen noch helfen. Die in großer Anzahl vorliegenden Petitionen können ein Anlaß dafür sein, deutlich zu machen, wo diese Änderungen ansetzen müssen und was wir in diesem Zusammenhang tun können.
Der Petitionsausschuß ist ohnehin - ich glaube, seine Bedeutung wird in diesem Hause viel zuwenig wahrgenommen - eine Art Seismograph für ungelöste Probleme, und er ist auch zu einer Art Seismograph für schlechte Gesetze geworden. Hier haben wir es mit zwar gutgemeinten, aber eben schlechten Gesetzen zu tun. Die Petitionen legen da genau die Finger in die Wunde.
Es sind immer wieder die gleichen Schwächen und Lücken, die von den Petitionen aufgezeigt werden.
Ich möchte nun auf einige der wichtigsten zu sprechen kommen. Zunächst zu den Zivildeportierten: Sie haben ein wirklich schreckliches Schicksal und nicht wiedergutzumachendes Unrecht erlitten, sie hatten ihr Leben lang unter den Folgen zu leiden. Sie alle, liebe Kollegen, die mit dem Problem vertraut sind, wissen auch, daß sie in der DDR noch nicht einmal über ihr Schicksal sprechen durften.
Ich kenne alle die Einwände, warum Entschädigungen für Zivildeportierte angeblich unmöglich sind. Aber Sie wissen auch, daß das vorgeschobene Einwände sind und daß es Lösungsmöglichkeiten gibt. Welches Rechtsgebäude bricht denn zusammen, wenn Sie, wie wir das in unserem Gesetzentwurf vorschlagen, die Entschädigung auf der Grundlage des Gesetzes über die Heimkehrerstiftung - analog zum Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz - gewähren würden?
Ich kann mich nicht damit abfinden, daß der Bundestag die Petition von 32 Verschleppten den Fraktionen lediglich zur Kenntnisnahme übergibt. Wir alle kennen die Probleme. Ich weiß, daß alle Fraktionen längst zu diesem Thema Anhörungen durchgeführt haben und daß alle, die sich damit befaßt und die zugehört haben, betroffen sind von dem harten Schicksal dieser Menschen. Es geht also nicht mehr darum, daß wir etwas zur Kenntnis nehmen, sondern es geht darum, daß wir endlich etwas tun. Wir wissen genug, aber gehandelt wird zuwenig.
Sie wissen: Die Betroffenen sind alt und brauchen Hilfe - sofort. Langwierige Prüfungen sollten wir in diesem Fall nicht mehr durchführen; wir wissen, was dann passiert.
Es gibt weiterhin eine Vielzahl von Petitionen, die das SED-Unrechtsbereinigungsgesetz unmittelbar betreffen. Die Petenten verlangen zum Beispiel deutlich verbesserte Regelungen zur Rehabilitierung und Entschädigung für das erlittene SED-Unrecht. Wir müssen uns immer wieder vor Augen halten, daß viele Opfer von politischer Verfolgung, oft noch bis heute, gegenüber denjenigen benachteiligt sind, die für ihre Verfolgung verantwortlich waren. Das gilt gerade im Bereich der sehr unvollkommen geregelten beruflichen Rehabilitierung.
Wer in der DDR auf Grund seiner politischen Haltung, auf Grund seiner Bereitschaft, offen zu widerstehen, Widerspruch zu leisten, diskriminiert wurde, wer deshalb sein Abitur nicht machen oder nicht studieren konnte, wer seinen Beruf nicht ergreifen oder ausüben konnte, der spürt die Folgen davon noch heute. Diese Folgen wirken materiell, aber auch hinsichtlich der Persönlichkeit und Biografie während des ganzen Lebens.
Wir haben in unserem Antrag zur Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses, den wir heute zur Abstimmung stellen, einige der besonders gravierenden Defizite der geltenden Regelung deutlich gemacht und dazu Lösungsvorschläge erarbeitet. Die Betroffenen beklagen sich weiter völlig zu Recht über die viel zu geringe Höhe der Kapitalentschädi-
Gerald Häfner
gung von lediglich 300 bzw. 450 DM. Das empfinden sie - ich kann das nachvollziehen - als eine Verhöhnung, und zwar erst recht angesichts der Tatsache, daß die Kapitalentschädigung für im Westen zu Unrecht erlittene Haftzeiten deutlich höher liegt als die Kapitalentschädigung für diejenigen, die im Osten zu Unrecht im Knast saßen. Ich glaube, ich verrate niemandem ein Geheimnis, wenn ich deutlich sage, daß Knast in Bautzen oder anderswo in der DDR etwas weit Schlimmeres war als Strafvollzug in der Bundesrepublik Deutschland.
Es ist nicht zu begreifen und den Opfern nicht verständlich zu machen, daß sie, die viel mehr gelitten haben, hier mit einer geringeren Entschädigung abgespeist werden als diejenigen, die im Westen gesessen haben.
Wir haben das schon bei der Beratung des Gesetzes selbst angesprochen und das auch in unserem Gesetzentwurf deutlich gemacht. Es liegt also alles auf dem Tisch des Hauses. Auch hier kann es also nicht darum gehen, irgend etwas zur bloßen Kenntnisnahme zu überweisen. Hier geht es darum, zu handeln, zu entscheiden und endlich das Notwendige zu tun.
Ich möchte einen weiteren Punkt aufgreifen. Er betrifft die Anrechnung der Eingliederungshilfe auf die Kapitalentschädigung. Sie wissen, daß das knauserig ist und wirklich in überhaupt keiner Weise begründbar war. Diese Hilfen waren doch nie als Entschädigungen für Haftzeiten gedacht. Es waren vielmehr materielle Hilfen, um sich im Westen eine neue Existenz aufbauen zu können. Wenn man diese Gelder jetzt auf die Kapitalentschädigung anrechnet und die um diese Beträge kürzt, dann wird den Betroffenen erneut Unrecht zuteil. Hören Sie also bitte damit auf, die Entschädigung für erlittenes Unrecht als eine Art verlängerte Sozialhilfe anzusehen. Es geht um eine Bringschuld des Staates als Ausgleich für erlittenes Unrecht.
Ein weiterer Punkt betrifft die Übertragbarkeit und die Erblichkeit des Anspruchs auf Kapitalentschädigung. Ich halte auch dies für dringend verbesserungsbedürftig. Familienangehörige empfinden ihren Ausschluß von der Entschädigung oft als erneute Demütigung und als Mißachtung ihres Schicksals. Ich teile die in Petitionen vertretene Auffassung, die übrigens von allen Verfolgtenverbänden geteilt wird, daß auch Hinterbliebene unter den Verfolgungsmaßnahmen sehr gelitten haben. Sie sollten deshalb, sofern sie mitbetroffen waren, einen eigenen Anspruch auf Kapitalentschädigung erhalten.
Auch hier geht es nicht primär um Geld, sondern um die Würde von Menschen, die in ihrem Leben sehr viel durchgemacht haben. Ich denke, es kann nicht angehen, daß der Petitionsausschuß die Akten einfach zuklappt, so wie dies vorgesehen ist. Hier muß wirklich etwas geschehen. Daher haben wir einen Gesetzentwurf auf den Tisch des Hauses gelegt, der Ihnen die Möglichkeit geben würde, endlich zu einer angemessenen Regelung zu kommen.
Schließlich sollten wir endlich dieser Guillotine der drohenden Fristen abschaffen. Wir könnten ja so weitermachen, daß wir die Fristen immer, wenn sie abzulaufen drohen, für ein oder zwei Jahre verlängern. Ich glaube aber, daß das nicht angemessen ist. Gerade im Rentenbereich hat sich doch längst gezeigt, daß viele der Betroffenen - ich kenne viele und spreche mit ihnen - gar nicht auf die Idee kommen, als 30-, 40- oder 50jährige einen Antrag im Hinblick auf ihre spätere Rente zu stellen, sondern sie werden dies dann machen, wenn sie das Rentenalter erreichen. Wenn sie dann aber hören: „Die Frist ist abgelaufen; ihr bekommt nichts, obwohl ihr eigentlich berechtigt wäret", dann ist dies erneut kaltherziges und unnötiges Unrecht, das wir den Betroffenen antun. Ich meine, daß hier das Interesse der Verwaltung, die Akten schnell vom Tisch zu bekommen, gegenüber dem Interesse der Betroffenen, daß ihnen Genugtuung und Gerechtigkeit widerfährt, zurückstehen muß. Lassen Sie also bitte die drohenden Fristen weg.
Ihnen allein ist bekannt - und das hängt mit der eben angeschnittenen Frage zusammen -, daß die Zahl der Rehabilitierungsanträge nach dem Zweiten SED-Unrechtsbereinigungsgesetz deutlich hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist. Das hat die Bundesregierung in ihrer Antwort auf meine Kleine Anfrage einräumen müssen. Das zeigt, daß sich viele Opfer eben erst nach Jahren dazu entschließen, überhaupt Anträge zu stellen. Auch die Erfahrungen in anderen Ländern machen dies deutlich. Sie wissen, daß viele ihre Akten noch gar nicht einsehen konnten, weil die Aufarbeitung der Akten noch nicht so weit gediehen ist. Das ist ein weiterer Grund, die drohenden Fristen zu beseitigen und den Menschen die nötige Zeit zu gewähren.
Lassen Sie mich eines zum Schluß noch sagen. Ich bin wirklich empört darüber, wie sich die Täter dieses Regimes heute in öffentlichen Debatten, Zeitungsberichten, Talkshows immer mehr zu Opfern stilisieren, auf die Tränendrüsen drücken, während
die wahren Opfer dabei ins Abseits geraten und vergessen werden. Tragen wir bitte alle unseren Teil dazu bei, daß die Gewichte nicht weiter verschoben werden, daß deutlich wird, wer Täter und wer Opfer war, und stellen wir uns, wenn es darum geht, was wir als Deutscher Bundestag tun können, auch deutlich auf die Seite der Opfer!
Ich danke Ihnen.
Es spricht jetzt der Abgeordnete Dr. Karlheinz Guttmacher.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Entschädigung der Opfer des SED-Regimes liegt auch meiner Fraktion sehr am Herzen. Aus diesem Grund haben wir in den vergangenen Jahren mit allen Fraktionen dieses Hauses viel unternommen, um den Mitbürgern, die in der DDR verfolgt wurden oder inhaftiert waren, mit Hilfe von Ausgleichszahlungen zu helfen und sie für das erlittene Unrecht und Leid, wenn dies auf finanziellem Wege überhaupt möglich ist, zu entschädigen.
Besonders die berufliche Rehabilitierung ist ein wichtiger Bestandteil dieser Entschädigungsmaßnahmen. Sie ist in Art. 2 des Zweiten SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes als gesetzliche Grundlage für berufliche Benachteiligungen in der ehemaligen DDR festgelegt worden. Den Schwerpunkt dieser Regelungen bildet, wie dies schon gesagt worden ist, der Ausgleich von rentenrechtlichen Nachteilen, von Nachteilen, die durch politische Inhaftierung, Beruf s-verbot, Eingriffe in berufsbezogene Ausbildung oder andere Maßnahmen der politischen Verfolgung entstanden sind. In diesen Fällen werden für die Zeit der Inhaftierung Durchschnittswerte errechnet, die zur Aufbesserung der Renten der Opfer beitragen.
Ebenso wird die strafrechtliche Rehabilitierung gefördert, die die Haftopfer des SED-Regimes entschädigt. Mitbürger, die nach ihrem Gefängnisaufenthalt in die Bundesrepublik übersiedelten, erhalten 300 DM Kapitalentschädigung pro Haftmonat. Diejenigen, die nach ihrer Entlassung weiterhin in der ehemaligen DDR wohnten und der DDR-Diktatur ausgesetzt waren, erhalten für jeden Haftmonat einen Betrag von 550 DM. Diese Regelung gilt aber nur für die Betroffenen, die bis zum Fall der Mauer am 9. November 1989 ihren Wohnsitz in der DDR hatten. Verständlicherweise richten sich deswegen einige Bürger an den Petitionsausschuß, um gegen diese Stichtagsregelung Einspruch zu erheben.
Auch für Hinterbliebene ehemaliger Opfer sieht das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz verschiedene, individuell angelegte Entschädigungsmöglichkeiten des Ersten SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes vor.
Den Petitionsausschuß erreichen viele Eingaben, die sich mit der umfassenden Rehabilitierung und Entschädigung der Menschen beschäftigen, die zwischen 1945 und 1949 in sibirische Lager verschleppt wurden. Die Bürger, die damals in die Bundesrepublik zurückkehrten, erhielten Renten und Heilkostenzuschüsse nach dem Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz.
Anders die Menschen in der ehemaligen DDR. Dort erhielt niemand Unterstützung, da die von der Sowjetunion begangenen Greueltaten von staatlicher Seite totgeschwiegen wurden. Hier handelt es sich um eine Lücke in dem umfassenden System der Unterstützung. In dem am 1. Januar 1993 in Kraft getretenen Kriegsfolgenbereinigungsgesetz wurde festgelegt, daß für außerhalb der Bundesrepublik begangene Unrechtstaten von der Bundesregierung keine Haftung übernommen wird. Da uns klar ist, daß diese Menschen auch in Zukunft wohl kaum eine Unterstützung von seiten der russischen Regierung erwarten können, erhalten sie wenigstens Hilfe über die Heimkehrerstiftung und die Stiftung für ehemalige politische Häftlinge. Bei Bedürftigkeit oder Vorliegen einer akuten Notlage erhalten Berechtigte bis zu 8 000 DM Unterstützung. Auch wir erkennen an, daß dies zuwenig ist.
Meine Damen und Herren, es gibt sicherlich viele Menschen, denen wir auf diese Weise nicht gerecht werden, weil sie zum Beispiel Haftzeiten nicht nachweisen können. Ein solches Gesetz muß aber eine nachweisbare Grundlage verlangen. Das Gesetz kann auch nicht die Aufgabe haben, 40 Jahre SEDUnrecht zu tilgen. Vielmehr soll es heute das Unrecht bestimmter Benachteiligungen, Repressionen und Haftzeiten ausgleichen.
Es wird immer Menschen geben, die von diesen gesetzlichen Regelungen nicht erfaßt werden, obwohl sie individuelles Unrecht erleiden mußten.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Nickels?
Bitte.
Herr Kollege, Sie haben gerade bemerkt, daß es wohl nicht angehen könne, daß man jetzt alles wiedergutmache, was vorher versäumt worden sei. Aber stimmen Sie mir denn nicht zu, daß gerade diejenigen, die aus politischen Gründen mißhandelt worden sind - wir alle kennen die Geschichten; das läßt keinen von uns kalt -, besondere Erwartungen nach der deutsch-deutschen Einheit hatten? Sie haben erwartet, dann, wenn die deutsche Einheit vollzogen wird, ohne einen Hürdengang und ohne verschiedene Abstufungen in einem würdigen Verfahren rehabilitiert zu werden und ein halbwegs auskömmliches Leben zu haben. Ich glaube, daß man sich dieser Mühe unterzieht, ist für das deutsch-deutsche Zusammenwachsen wichtig. Auch Sie erleben das; auch Sie erhalten diese Briefe. Denn ansonsten ziehen sich die Leute ganz enttäuscht in sich zurück und sind dann wirklich verzweifelt und verstummt.
Frau Kollegin Nickels, das will ich natürlich anerkennen. Deswegen muß ich Ihnen sagen, daß es eine Leistung war, gleich nach der deutschen Einheit ein Erstes SEDUnrechtsbereinigungsgesetz und dann ein Zweites SED-Unrechtsbereinigungsgesetz auf den Weg gebracht zu haben.
Die Bemühungen sind doch da. Man kann doch erkennen, daß man diesen Menschen, die wirklich in der DDR-Diktatur gelitten haben, entgegenkommen will. Ich erkenne aber auch an, daß man möglicher-
Dr. Karlheinz Guttmacher
weise nicht alles gleich so gefaßt hat, wie man es vielleicht hätte fassen sollen.
Aber ich muß Ihnen auch noch einmal sagen: Diese Gesetze können nicht die 40 Jahre SED-Unrecht aufarbeiten. Wenn wir alles damit erfassen wollten!
Ich frage Sie, Kollegin Nickels, aber auch, in welcher Form wir dies finanzieren wollten, da wir doch alle wissen, in welchem Rahmen wir uns hier bewegen.
Meine Damen und Herren, es wird immer Menschen geben, die von diesen gesetzlichen Regelungen nicht erfaßt werden, obwohl sie individuelles Unrecht erleiden mußten. Doch ich denke, daß wir mit dem Ersten und auch mit dem Zweiten SEDUnrechtsbereinigungsgesetz zur beruflichen und strafrechtlichen Rehabilitierung das SED-Unrecht in großem Maße aufgearbeitet haben.
Aus diesem Grund stimmt die F.D.P.-Fraktion der Überweisung der Petition 4-12-07-350 als Material und der anderen vorliegenden Petitionen zu. Sie stimmt gegen den Änderungsantrag von Bündnis 90/ Die Grünen.
Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Uwe-Jens Heuer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Den vorliegenden Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses stimme ich zu. Auch die beiden Anträge vom Bündnis 90/Die Grünen finden grundsätzlich meine Zustimmung. Wichtig scheint mir ein Meinungsaustausch über die im einzelnen aufgeworfenen Probleme. Ich möchte nur zu zwei Problemen etwas sagen.
Auch ich bin für eine umfassende und baldige Entschädigung der im Zusammenhang mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten in die Sowjetunion transportierten Personen. Es gibt dafür bisher keine Entschädigungsregelung. In der Alt-BRD erfolgte eine Entschädigung; die entsprechenden DDR-Bürger sind leer ausgegangen.
Es wird davon gesprochen, daß die Betreffenden „seelisch, körperlich grauenvoll mißhandelt" wurden. Das wird so gewesen sein.
- Sagen Sie, wollen Sie mich reden hören oder nicht?
Ich will Ihnen eines sagen: Sie alle haben immer den Satz von Rosa Luxemburg „Freiheit ist Freiheit der Andersdenkenden" zitiert, aber Sie haben diesen Satz nie begriffen.
Wenn man aber nur das sagt, nur von „Greueltaten" spricht, so ist das eben nur die halbe Wahrheit,
falls nicht zugleich gesagt wird, daß es hier um die Endphase eines von Deutschland angezettelten verbrecherischen Weltkrieges ging, der unsagbares Leid über die Sowjetunion gebracht hat, der dort 25 Millionen Menschen das Leben gekostet hat.
Man darf auch nicht aus den Augen verlieren, daß die von deutschen Greueltaten betroffenen osteuropäischen Bürger, gerade auch die, die in deutschen Arbeits- und Konzentrationslagern waren, bisher vergeblich auf eine Entschädigung warten.
Ich meine auch, daß es sich die Bundesregierung hier entschieden zu einfach macht, wenn sie auf ihre prekäre Haushaltslage verweist.
Im übrigen kann sie ja auch initiativ werden, um das Geld zu streichen, das für ehemalige Angehörige der Waffen-SS in Osteuropa bisher gezahlt wird. Dann wäre das Anliegen der Petenten ja sofort zu lösen.
Schließlich stimme ich natürlich der Bundesregierung zu, daß von Handlungen der Alliierten Betroffene „schon aus völkerrechtlichen Gründen" nicht durch deutsche Gerichte rehabilitiert werden können. Genau das habe ich auch einem Bürger aus Westdeutschland vor einigen Monaten geschrieben, der 1947 von einem amerikanischen Militärgericht wegen antimilitaristischer Aktivitäten verurteilt worden war.
- Nein, hören Sie mal zu, das ist keine Unverschämtheit, das ist die normale Lage. Entweder anerkennt man, daß Deutschland damals Besatzungsgebiet war, oder man gewinnt jetzt nachträglich den Zweiten
Dr. Uwe-Jens Heuer
Weltkrieg, meine Herren. Wollen Sie jetzt einen Dritten Weltkrieg anfangen?
Ein zweites Problem: Mit zahlreichen Petitionen wird uns vor Augen geführt - und insofern stimme ich auch dem entsprechenden Antrag von Bündnis 90/Die Grünen zu -, daß eine ganze Reihe von Regelungen
für die Rehabilitierung und Entschädigung für Unrecht in der DDR verbessert werden müssen. Nach wie vor halten wir es natürlich für falsch, daß entgegen dem Rehabilitierungsgesetz der DDR, das vom Maßstab der DDR-Verfassung ausging, mit dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz auch die Rehabilitierung und Entschädigung von Naziaktivisten, Spionen und Neonazis möglich wurde.
Wir sind unbedingt für eine deutliche Erhöhung der monatlichen Entschädigung. Auch eine moralische Rehabilitierung, wenn dies die Betroffenen denn wollen, halten wir für berechtigt. Im übrigen warten natürlich auch noch Tausende in Westdeutschland auf Rehabilitierung und Entschädigung, die in der Zeit des Kalten Krieges aus politischen Gründen strafrechtlich verfolgt wurden.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Herr Abgeordneter Heuer, ich glaube, daß ich für das ganze Haus sagen kann, daß niemand hier einen Dritten Weltkrieg anfangen will, und Sie sollten einen solchen Unsinn auch nicht sagen.
Ich schließe damit die Aussprache.
Vor den Abstimmungen kommen wir zum Tagesordnungspunkt 8 zurück. Ich gebe Ihnen das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung zum Entschließungsantrag der Abgeordneten Andrea Fischer, Kerstin Müller, Amke Dietert-Scheuer, Christa Nickels und weiterer Abgeordneter und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen zum Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und anderer Gesetze bekannt. Abgegebene Stimmen: 619. Mit Ja haben gestimmt: 78. Mit Nein haben gestimmt: 540. Enthaltungen: 1. Der Entschließungsantrag ist damit abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 619; davon
ja: 78
nein: 540
enthalten: 1
Ja
SPD
Uwe Hiksch
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Gila Altmann Elisabeth Altmann
Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Angelika Beer
Matthias Berninger Annelie Buntenbach Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid
Andrea Fischer Joseph Fischer (Frankfurt) Rita Grießhaber
Antje Hermenau Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt Dr. Manuel Kiper Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke
Vera Lengsfeld
Dr. Helmut Lippelt Oswald Metzger Kerstin Müller Winfried Nachtwei Christa Nickels
Cem Özdemir
Gerd Poppe
Simone Probst
Dr. Jürgen Rochlitz Halo Saibold
Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch
Albert Schmidt Wolfgang Schmitt
Ursula Schönberger
Werner Schulz Rainder Steenblock Marina Steindor Christian Sterzing Manfred Such
Dr. Antje Vollmer Ludger Volmer
Helmut Wilhelm Margareta Wolf (Frankfurt)
F.D.P.
Dr. Burkhard Hirsch
PDS
Wolfgang Bierstedt Petra Bläss
Eva Bulling-Schröter Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Ludwig Elm
Dr. Dagmar Enkelmann
Dr. Ruth Fuchs Dr. Gregor Gysi Hanns-Peter Hartmann
Dr. Uwe-Jens Heuer
Dr. Barbara Höll Dr. Willibald Jacob Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Köhne
Rolf Kutzmutz Andrea Lederer Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth
Dr. Günther Maleuda Manfred Müller Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Steffen Tippach Klaus-Jürgen Warnick
Dr. Winfried Wolf Gerhard Zwerenz
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Altmaier Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten
Dr. Wolf Bauer Brigitte Baumeister
Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank
Dr. Heribert Blens Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Rudolf Braun Paul Breuer
Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber Klaus Bühler Hartmut Büttner
Dankward Buwitt
Manfred Carstens Peter Harry Carstensen
Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Gertrud Dempwolf Albert Deß
Renate Diemers
Wilhelm Dietzel
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Werner Dörflinger Hansjürgen Doss Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn
Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann
Horst Eylmann Anke Eymer
Ilse Falk
Jochen Feilcke Dr. Karl H. Fell Ulf Fink
Dirk Fischer Klaus Francke (Hamburg) Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich
Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler Michael Glos
Wilma Glücklich
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres
Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund
Horst Günther Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke
Gerda Hasselfeldt
Otto Hauser Hansgeorg Hauser
Klaus-Jürgen Hedrich Manfred Heise
Dr. Renate Hellwig Ernst Hinsken Peter Hintze
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster
Hubert Hüppe Peter Jacoby
Susanne Jaffke Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst Dr.-Ing. Rainer Jork
Michael Jung Ulrich Junghanns
Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder
Peter Keller
Eckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Hans Klein Ulrich Klinkert Hans-Ulrich Köhler
Manfred Kolbe Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus
Wolfgang Krause Andreas Krautscheid
Arnulf Kriedner Heinz-Jürgen Kronberg Dr.-Ing. Paul Krüger Reiner Krziskewitz
Dr. Hermann Kues Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers Karl Lamers
Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp
Armin Laschet Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann Werner Lensing Christian Lenzer Peter Letzgus
Editha Limbach Walter Link Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann
Julius Louven
Sigrun Löwisch Heinrich Lummer Dr. Michael Luther
Erich Maaß Dr. Dietrich Mahlo
Erwin Marschewski Dr. Martin Mayer
Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl
Dr. Michael Meister Friedrich Merz
Rudolf Meyer
Hans Michelbach Meinolf Michels Dr. Gerd Müller
Elmar Müller Engelbert Nelle
Bernd Neumann Johannes Nitsch
Claudia Nolte
Dr. Rolf Olderog Friedhelm Ost Eduard Oswald Norbert Otto Dr. Gerhard Päselt Hans-Wilhelm Pesch Ulrich Petzold Anton Pfeifer
Angelika Pfeiffer Dr. Gero Pfennig
Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp
Dr. Winfried Pinger Ronald Pofalla
Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff
Dr. Albert Probst Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen
Thomas Rachel Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer Rolf Rau
Helmut Rauber Peter Harald Rauen
Otto Regenspurger
Christa Reichard Klaus Dieter Reichardt
Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Roland Richter Roland Richwien Dr. Norbert Rieder
Dr. Erich Riedl Klaus Riegert
Franz Romer
Hannelore Rönsch
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith Adolf Roth
Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Ortrun Schätzle
Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte
Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee Ulrich Schmalz Bernd Schmidbauer
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
Andreas Schmidt Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz
Michael von Schmude
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff
Dr. Dieter Schulte
Gerhard Schulz (Leipzig) Frederick Schulze Diethard Schütze (Berlin) Clemens Schwalbe
Dr. Christian Schwarz-Schilling
Horst Seehofer Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert
Rudolf Seiters Johannes Selle Bernd Siebert Jürgen Sikora
Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Erika Steinbach
Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm
Max Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen
Egon Susset
Michael Teiser
Dr. Susanne Tiemann
Dr. Klaus Töpfer Gottfried Tröger
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall
Dr. Horst Waffenschmidt Alois Graf von Waldburg-Zeil Kersten Wetzel
Hans-Otto Wilhelm Gert Willner
Bernd Wilz
Willy Wimmer Matthias Wissmann Simon Wittmann
Dagmar Wöhrl Michael Wonneberger
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Zöller
SPD
Brigitte Adler Gerd Andres Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett Klaus Barthel
Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Rudolf Bindig
Arne Börnsen Anni Brandt-Elsweier
Tilo Braune
Dr. Eberhard Brecht Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Hans Martin Bury
Hans Büttner Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi
Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann
Karl Diller
Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen
Rudolf Dreßler Freimut Duve Ludwig Eich Peter Enders Gernot Erler Petra Ernstberger
Annette Faße Elke Ferner
Lothar Fischer Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Dagmar Freitag Anke Fuchs
Katrin Fuchs
Arne Fuhrmann Monika Ganseforth
Norbert Gansel Konrad Gilges Iris Gleicke Günter Gloser
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Günter Graf Angelika Graf (Rosenheim) Dieter Grasedieck
Achim Großmann Karl Hermann Haack
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach Dr. Liesel Hartenstein
Klaus Hasenfratz
Dr. Ingomar Hauchler
Dieter Heistermann Reinhold Hemker Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Reinhold Hiller Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Frank Hofmann Ingrid Holzhüter
Erwin Horn
Eike Hovermann Lothar Ibrügger Wolfgang Ilte
Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger
Jann-Peter Janssen Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Sabine Kaspereit Susanne Kastner Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer
Dr. Hans-Hinrich Knaape Fritz Rudolf Körper Nicolette Kressl
Volker Kröning Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Konrad Kunick Christine Kurzhals Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange Detlev von Larcher Waltraud Lehn Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard Klaus Lohmann Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga Dieter Maaß Winfried Mante Dorle Marx
Ulrike Mascher Christoph Matschie Ingrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck Markus Meckel
Ulrike Mehl
Herbert Meißner Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer Ursula Mogg
Siegmar Mosdorf
Michael Müller Jutta Müller (Völklingen) Christian Müller (Zittau) Volker Neumann (Bramsche) Gerhard Neumann (Gotha) Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese Doris Odendahl
Günter Oesinghaus Leyla Onur
Manfred Opel Adolf Ostertag Kurt Palis
Albrecht Papenroth Dr. Wilfried Penner Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Dr. Eckhart Pick Joachim Poß
Rudolf Purps
Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse
Renate Rennebach Otto Reschke Bernd Reuter Günter Rixe
Reinhold Robbe Gerhard Rübenkönig
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch Dieter Schanz
Rudolf Scharping Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild
Otto Schily
Günter Schluckebier
Horst Schmidbauer
Ulla Schmidt Dagmar Schmidt (Meschede) Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt
Dr. Emil Schnell Walter Schöler Ottmar Schreiner Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert
Brigitte Schulte Reinhard Schultz
Volkmar Schultz (Köln)
Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Lisa Seuster
Horst Sielaff
Erika Simm
Johannes Singer
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge
Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler
Dr. Peter Struck Jörg Tauss
Dr. Bodo Teichmann
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse
Dietmar Thieser Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin
Günter Verheugen Ute Vogt Hans Georg Wagner Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis Matthias Weisheit Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen Jochen Welt
Hildegard Wester Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Norbert Wieczorek Helmut Wieczorek Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz
Berthold Wittich
Dr. Wolfgang Wodarg Hanna Wolf
Heidi Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley
F.D.P.
Ina Albowitz
Dr. Gisela Babel Hildebrecht Braun
Günther Bredehorn Jörg van Essen
Dr. Olaf Feldmann Gisela Frick
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich
Rainer Funke
Hans-Dietrich Genscher
Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther
Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer
Detlef Kleinert Dr. Heinrich L. Kolb Jürgen Koppelin
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Dr. Otto Graf Lambsdorff Sabine LeutheusserSchnarrenberger Uwe Lühr
Jürgen W. Möllemann Günther Friedrich Nolting
Dr. Rainer Ortleb Lisa Peters
Dr. Klaus Röhl
Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard Schwaetzer
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Weng
Enthalten
SPD
Dr. Edelbert Richter
Nun kommen wir zu den Abstimmungen zu den Tagesordnungspunkten 9 a bis 9 c - Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 13/2274. Das ist die Sammelübersicht 59 zu Eingaben zum Nachteilsausgleich in der gesetzlichen Rentenversicherung für erlittenes SED-Unrecht. Dazu liegen zwei Änderungsanträge vor.
Wir stimmen über den Änderungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 13/3715 ab. Wer stimmt für den Änderungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei Enthaltung der SPD abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 13/3754. Wer stimmt für den Änderungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen abgelehnt worden.
Wer stimmt für die Beschlußempfehlung in der Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen worden.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 13/2381. Das ist die Sammelübersicht 61 zu Eingaben zur Entschädigung für erlittenes SED-Unrecht. Dazu liegen wiederum zwei Änderungsanträge vor.
Zunächst stimmen wir über den Änderungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 13/3716 ab. Wer stimmt für den Änderungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei Enthaltung der SPD abgelehnt worden.
Wir stimmen nun über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/3755 ab. Wer stimmt für den Änderungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen abgelehnt worden.
Wer stimmt für die Beschlußempfehlung in der Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen worden.
Wir kommen nun zur Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 13/2767. Das ist die Sammelübersicht 75 zu Eingaben zur Rehabilitierung und Entschädigung der nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges verschleppten Männer und Frauen.
Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 13/3717 vor. Wer stimmt für den Änderungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen abgelehnt worden.
Wer stimmt für die Beschlußempfehlung in der Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen worden.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10a und 10 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes
- KHG
- Drucksache 13/2745 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Aus-
.
schusses für Gesundheit
- Drucksache 13/3722 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Ruth Fuchs b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (Mehrkostenregelung Amalgam)
- Drucksache 13/3695 - überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Gesundheit
Zum Krankenhausfinanzierungsgesetz liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/ Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die gemeinsame Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion der SPD zusätzlich fünf Minuten erhalten soll. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Wolfgang Zöller.
Herr und Frau Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Letzte Woche haben wir im Plenum mit dem Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung der Strukturreform in der gesetzlichen Krankenversicherung den letzten Baustein der Koalition zur dritten Stufe der Gesundheitsreform in erster Lesung beraten. Alle Redner der Koalition haben dabei unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, daß es ohne eine wirksame Krankenhausreform keine dritte Reformstufe im Gesundheitswesen, auch nicht im ambulanten Versorgungsbereich, geben wird.
Wesentliche Bestandteile des Gesamtpaketes zur dritten Stufe sind daher das Gesetz zur Stabilisierung der Krankenhausausgaben 1996 und das Gesetz zur Neuordnung der Krankenhausfinanzierung 1997.
Daneben haben die Koalition und die von ihr getragene Bundesregierung bereits im Oktober 1995 ein dreiteiliges Paket für den Krankenhausbereich mit Sofortmaßnahmen für den Zeitpunkt ab dem 1. Januar 1996 eingebracht. Es handelt sich dabei zum einen um die Aussetzung der Pflegepersonalregelung und zum anderen um die Beseitigung von Ausnahmetatbeständen im Pflegesatzrecht. Beide Verordnungen, die zu Minderausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung von zirka 2 Milliarden DM führen würden, werden im Bundesrat von einer Sitzung auf die nächste verschoben.
Hier ist für meine Begriffe wieder ein Lehrbeispiel für doppelzüngiges Verhalten: auf der einen Seite öffentlichkeitswirksames Bejammern von Ausgabenentwicklung, auf der anderen Seite das Nichthandeln bzw. Blockieren aus rein taktischen Überlegun-
Wolfgang Zöller
gen, obwohl man den Verordnungen inhaltlich weitgehend zustimmt.
Der dritte Teil ist das heute auf der Tagesordnung stehende Gesetz, mit dem wir die langjährige Förderpraxis der Länder auf eine sichere Rechtsgrundlage stellen wollen. Der Gesetzentwurf sieht vor, daß die Finanzierung der Instandhaltungsmaßnahmen ab dem Jahr 1999 über die Pflegesätze erfolgen soll. Die Anhörung im Gesundheitsausschuß hat eindeutig ergeben, daß die Krankenkassen eine Übergangszeit benötigen und daß zwischenzeitlich die Länder, auf drei Jahre begrenzt, die Förderung von Krankenhaus-Instandhaltungsmaßnahmen weiter finanzieren sollen.
Diese Übergangsphase von 1996 bis 1998 ist dringend erforderlich, um die Abgrenzung der Investitionskosten von den pflegesatzfähigen Kosten grundlegend neu gestalten zu können,
und dies insbesondere vor dem - hoffentlich immer noch gemeinsamen - Ziel, die monistische Krankenhausfinanzierung schrittweise einzuführen. Die Koalition ist nach wie vor für die Monistik,
auch wenn ich persönlich meine größten Zweifel an deren Realisierung habe, da ich die Kompensationsbereitschaft der Länder zumindest zur Zeit nicht erkennen kann.
Neben dem Stabilisierungsgesetz 1996, das absolut prioritär zu behandeln war, soll auch dieses Gesetz schnell verabschiedet werden, um den Krankenhäusern und den Krankenkassen endlich Klarheit über die Finanzierung der Instandhaltungsmaßnahmen zu geben. Es ist allerdings - das bedaure ich sehr - zu befürchten, daß die Beteiligten zwar ab heute wissen, was die Mehrheit des Bundestages in dieser Angelegenheit will, daß aber die Hängepartie weitergehen wird, da der Bundesrat am 1. März 1996 voraussichtlich den Vermittlungsausschuß anrufen wird.
Hierbei gilt es zu bedenken, daß bis zum Beschluß des Bundesverwaltungsgerichtes niemand Zweifel an der Berechtigung der Finanzierung der sogenannten Instandhaltungsinvestitionen im Krankenhaus durch die Länder hatte. Diese Gerichtsentscheidung hat allerdings dazu geführt, daß sich die Länder - ich sage mit besonderer Freude: mit der löblichen Ausnahme von Bayern - sofort aus der Finanzierung dieser Instandhaltungsaufwendungen zurückgezogen haben.
Wenn man den Zahlen von Experten, die von einem Investitionsvolumen von 500 Millionen DM jährlich ausgehen, glauben darf, so hat sich mittlerweile ein Investitionsstau in Höhe von 1,5 bis 2 Milliarden DM ergeben. Dieser Betrag schreckt natürlich die Länder ab; auch deren Kassen sind leer. Dennoch werden wir im Vermittlungsausschuß einen vertretbaren Kompromiß suchen müssen, der die Krankenkassen und damit den Beitragszahler nicht überfordert.
Mit dem heute eingebrachten Achten Gesetz zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch setzt die Koalition ihre Serie von SGB-V-Novellen fort. Deren Vorteil besteht darin, sich auf einen Sachverhalt konzentrieren zu können und dabei jedermann unmißverständlich deutlich zu machen, wer in Deutschland dafür und wer dagegen ist.
Es gibt unabhängig von der dritten Stufe der Gesundheitsreform Sachverhalte im Gesundheitsbereich, bei denen man der Öffentlichkeit einige grundsätzlich unterschiedliche Positionen zwischen Koalition und Opposition exemplarisch deutlich machen kann: Der heute zu behandelnde Sachverhalt war bereits in der letzten Legislaturperiode kaum beachteter Bestandteil des im Vermittlungsausschuß gescheiterten GKV-Anpassungsgesetzes. Wir lösen heute hiermit einen bisher höchst unbefriedigenden Sachverhalt, der darin bestand, daß Menschen, die sich zum Beispiel für ein Keramik- oder Gold-Inlay entschieden haben, von den Krankenkassen noch nicht einmal den Betrag erhielten, den die vergleichbare preisgünstigste plastische Füllung gekostet hätte.
Die bisherige Regelung wurde von den Versicherten als ungerecht empfunden, zumal es beim wesentlich aufwendigeren Zahnersatz bereits eine Mehrkostenregelung gibt. Die Mehrkosten, die über das Ausreichende, Zweckmäßige und Wirtschaftliche hinausgehen, die der einzelne durch seine Wahlmöglichkeit bei der Auswahl von Füllungsalternativen verursacht, hat er selbstverständlich selbst zu tragen.
Mit dieser Regelung beseitigen wir einen unbefriedigenden Zustand,
[CDU/
CSU]: Unmöglichen Zustand!)
sorgen für wesentlich mehr Gerechtigkeit und belasten die gesetzliche Krankenversicherung nicht mit zusätzlichen Kosten.
Kurzum: Wir werden auf breite Zustimmung in der Bevölkerung und in der Fachöffentlichkeit stoßen.
Obwohl alle Fakten für unseren Vorschlag sprechen, bin ich sicher, daß die Damen und Herren der Opposition aus rein ideologischen Gründen Anstoß an dieser Vorschrift nehmen werden, da es sich ja um den Einstieg in den Ausstieg von irgend etwas handeln könnte.
Wolfgang Zöller
Sollte es Ihnen gelingen, sich einmal von Ihren eigenen Urängsten zu befreien, dann könnten Sie hier im Interesse der Sache nur eines tun, nämlich dem Gesetzentwurf der Koalition zustimmen.
Ich danke Ihnen.
Es spricht nun die Abgeordnete Petra Ernstberger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die Zahnärzte fand im vergangenen Jahr die weihnachtliche Bescherung schon vor dem Heiligen Abend statt, nämlich zu dem Zeitpunkt, als Bundesminister Seehofer die Eckpunkte der Koalitionsregierung über die nächste Stufe der Gesundheitsreform und damit sein persönliches Weihnachtsgeschenk der Klientel unter den Tannenbaum legte.
- Darauf kommen wir schon noch.
Durch Kostenerstattung und Festzuschüsse bei Zahnersatz auf der Basis des vorliegenden Vertrags- und Wahlleistungskonzepts der Kassenärztlichen Bundesvereinigung sowie eine Mehrkostenregelung bei der Füllungstherapie soll nun auch die Zahnmedizin zu einem exemplarischen Reformbereich für Liberalisierung und Deregulierung werden.
Die Claqueure waren auch gleich zur Stelle, nämlich die Bundeszahnärztekammer, die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung und der Freie Verband der Zahnärzte. Sie begrüßten einhellig die Pläne der Bundesregierung als einen Schritt in die richtige Richtung.
Ich frage Sie, Herr Minister Seehofer: Welcher Teufel hat Sie eigentlich geritten, hier einen Wortbruch zu begehen? Bei jeder geeigneten oder ungeeigneten Gelegenheit haben Sie immer wieder betont, daß mit Ihnen eine Erhöhung der Versichertenselbstbeteiligung nicht zu machen sei.
Gegen alle Wünsche würden Sie mit aller Kraft kämpfen, hielten Sie es doch für einen gesundheitspolitisch falschen Ansatz, Defizite der Krankenversicherung auf dem Rücken der Kranken abzuladen. So Ihre eigenen Worte. Und nun diese Kehrtwendung!
Ich frage Sie, Herr Minister Seehofer, ob Sie wirklich Angst haben, bei Zahnärzten nicht ungestraft davonzukommen, wenn nicht wenigstens in einem
Bereich, zum Beispiel bei der prothetischen Versorgung, die ordnungspolitische Wende vollzogen würde, wie es ja in der Zeitschrift „Die Zahnarzt Woche" gemutmaßt wurde.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Zöller?
Nein.
- Das macht nichts.
Die im von der Regierung eingebrachten Gesetzentwurf vorgeschlagene Mehrkostenregelung bei zahnerhaltenden Maßnahmen stellt nämlich eine klare Erhöhung der Selbstbeteiligung bei den Versicherten und bei den Patienten dar.
Die Vorstellungen von Herrn Minister Seehofer sind dabei nicht neu, wurde doch schon - wie Herr Zöller vorhin gesagt hat - mit dem GKV-Anpassungsgesetz vom Deutschen Bundestag am 19. Mai 1994 verabschiedet, der Versuch gemacht, in der zahnmedizinischen Versorgung das bewährte Sachleistungsprinzip bei Inlays durch die Hintertür einfach auszuhebeln.
Die damalige Ablehnung durch den Bundesrat stellte sicher, daß für das - durch die SPD im Gesundheitsstrukturgesetz verhinderte - Konzept der Grund- und Wahlleistungen die Türen auch weiterhin verschlossen blieben.
In diesem Falle aber veränderte der Zahn der Zeit nicht die Intentionen der Regierungskoalition. Im Gegenteil, durch das vorliegende, mittlerweile achte SGB V-Änderungsgesetz wird ein weiteres Mal die Zielsetzung verfolgt, ein anderes Krankenversicherungssystem zu schaffen, in dem die solidarische Absicherung des medizinisch Notwendigen einfach aufgebrochen und beseitigt werden soll.
Die bisherige Regelung in der Prothetik besagt ja, daß die gesetzliche Krankenversicherung nur bei den den vertragszahnärztlichen Richtlinien entsprechenden Zahnfüllungen die Kosten übernimmt. Wählt der Versicherte nun eine nicht zur vertragszahnärztlichen Versorgung gehörende Versorgungsform bei Füllungen, so wird der Betrag, den die vergleichbare preisgünstigste plastische Füllung gekostet hätte, nicht erstattet.
Petra Ernstberger
Der Gesetzentwurf der Regierungskoalition will nun analog der Mehrkostenregelung für Zahnersatz nach § 30 Abs. 4 SGB V eine Mehrkostenregelung auch bei zahnerhaltenden Maßnahmen schaffen. Dies bedeutet, daß der Versicherte von der Krankenkasse den Kostenanteil, der bei einer Versorgung mit plastischen Füllmaterialien gemäß den vertragszahnärztlichen Kriterien aufzuwenden gewesen wäre, als Sachleistung erhält.
Ein auf den ersten Blick einsichtiges und befriedigendes Unterfangen! Fühlen wir der Regierung aber auf den Zahn, dann stellen wir fest, daß es sich um eine absolute Mogelpackung handelt.
Denn der Beibehaltung des Sachleistungsprinzips, wie in der Begründung des Gesetzentwurfes scheinheilig argumentiert wird, dient die intendierte Änderung des § 28 Abs. 2 SGB V nicht. Vielmehr zielt Ihr Entwurf, Herr Seehofer, auf eine Aufgabe des Sachleistungsprinzips,
wird doch durch die Erstattung der vertragszahnärztlichen Regelleistung aus der Sachleistung ein fester Zuschuß. Dies stellt einen Systembruch der gesetzlichen Krankenversicherung dar, wird doch hier ein tragendes Element, nämlich das Sachleistungsprinzip, ausgehöhlt.
Die Zeche zahlt dann in ganz gewohnter Manier der
Regierung der Bürger als Versicherter und Patient,
vor allem die mit mittlerem und kleinem Einkommen.
Diesen Anschlag auf das System der gesetzlichen Krankenversicherung werden wir von der SPD zu verhindern wissen.
In der Begründung des Gesetzentwurfs wird behauptet, daß durch die Neuregelung keine Mehraufwendungen zu erwarten seien. Auch das ist ein „fauler Zahn". So bedeutet zum einen nämlich die Zahlung von Festzuschüssen unter dem Strich erhöhte Ausgaben für die Krankenkassen. Ferner kommen noch erhebliche Mehrkosten auf den Patienten selber zu, wird doch gemäß der analogen Übertragung des § 30 SGB V auf § 28 SGB V im Zuge der beabsichtigten Mehrkostenregelung die Mehrkostenberechnung auf der Grundlage der amtlichen Gebührenordnung GOZ vollzogen. Dies wiederum eröffnet den Zahnärzten zusätzliche Liquidationsmöglichkeiten neben den kassenärztlichen Honoraren im Rahmen der Gesamtvergütung.
Die Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung werden zum wiederholten Male, hier bei der prothetischen Versorgung, finanziell mehr belastet.
Aber was spielen ein paar hundert Millionen Mark schon für eine Rolle, wenn es darüber hinaus doch gelingt, im Mehrkostenbereich dem ordnungspolitischen Einfluß der Krankenkassen und des Gesetzgebers zu entkommen.
Die Ziele und Vorstellungen der Zahnärzte sind hinlänglich bekannt, über Programme zu Vertrags-und Wahlleistungen den Einstieg - wenn ich Herrn Zöller zitieren darf - in den Ausstieg aus der GKV zu betreiben. Stand der Herr Minister bis dato noch auf der anderen Seite des Konzeptes und bezeichnete es als „Abkassiermodell", hat sich hier anscheinend eine Form von Gehirnwäsche vollzogen; denn anders läßt sich der Sinneswandel nicht erklären, mit dem er nun das Vertrags- und Wahlleistungsmodell favorisiert.
Eines muß ich Ihnen, Herr Seehofer, aber ganz deutlich sagen: Ein für die Zahnärzte maßgeschneidertes und somit finanziell lukratives Regel- und Wahlleistungskonzept wird von der SPD mit allen Mitteln bekämpft werden.
Ihnen muß man ganz deutlich sagen, daß die Aufteilung des Leistungskatalogs in ein Grund- oder ein Basiskonzept für uns nicht in Frage kommt. Den Weg in eine Mehrklassenmedizin gehen wir nicht mit. Diesen Zahn werden wir Ihnen auch noch ziehen.
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Zöller das Wort.
Nachdem Sie meine Frage vorhin nicht zugelassen haben, sehe ich mich zu dieser Kurzintervention gezwungen.
Sie haben dem Minister Wortbruch unterstellt und behauptet, mit dem eingebrachten Gesetz würden wir eine Mehrbelastung der Versicherten bewirken.
Gerade das Gegenteil ist der Fall: Für Füllungsleistungen, bei denen die Versicherten bisher keinen Zuschuß bekamen, erhalten sie jetzt mindestens den Zuschuß der Amalgam- oder der Kunststoffüllung. Das ist der wesentliche Unterschied. Wie das den Versicherten mehr belasten soll, weiß ich nicht. Das ist eine Logik, die nur Sie verstehen können.
Frau Kollegin, Sie haben die Möglichkeit zur Entgegnung. Bitte.
Herr Zöller, Sie haben gesagt, für die Patienten trete eine Entlastung ein. Aber die Patienten tragen doch die Kosten in der gesetzlichen Krankenversicherung, die für uns eine solidarische Krankenversicherung ist, alle mit. Wenn jedesmal eine Zuzahlung dazukommt, muß das in der Krankenkasse in der Gesamtheit mitgetragen werden. Das ist ja ein ständiger, ein fester Zuschuß, der dazukommt.
Ich erteile nun der Abgeordneten Monika Knoche das Wort,
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Zugegebenermaßen fällt es mir heute schwer, zwei Themen miteinander zu verbinden: die Instandhaltung von Gebäuden und die Instandhaltung von Zähnen. Aber ich werde dazu kurz etwas sagen.
Ich möchte mich mit der Monistik beschäftigen, die diesem Gesetzentwurf zugrunde liegt. Monistik klingt ziemlich modern, doch sie ist in den 70er Jahren zu den Akten gelegt worden.
Damals war die Bausubstanz in bundesdeutschen Krankenhäusern so marode, wie sie in den neuen Bundesländern nach der Wende war.
Ohne Länderfinanzierung sähe es trübe aus. Der Staat tut auch in Zukunft gut daran, die politischfachliche Planung der stationären Versorgung sicherzustellen und an der Steuerfinanzierung festzuhalten. Zwar kann durch Monistik Haushaltssanierung betrieben werden, aber rechnen wird sich das nicht. Das weiß unter anderem auch Bayern - und auch Sie, Herr Minister -, das sich gegen die Monistik wendet; denn diese Wiederverwendung ist aus gesundheitsstrukturpolitischen Gründen weder klug noch zukunftsweisend.
Es liegt auf der Hand: Die Kassen würden wieder einmal mit Ausgaben belastet, die Ihr Primat, Herr Seehofer, das der Beitragsstabilität, unterlaufen würde. Der geschätzte Instandhaltungsaufwand ist ohne die neuen Länder schon auf 2 bis 3 Milliarden DM aufgestaut. Wieder käme ein neuer Verschiebebahnhof hinzu.
Schnell führt uns das in die Diskussion in Richtung versicherungsfremde Leistungen seitens der Kassen. Das Land soll zahlen, weil die Einnahmedeckelung bei den Kassen anhält. Die Frage ist: Welchen demokratiepolitischen Preis zahlt die öffentliche Hand?
Selbst bei einer rein pflegesatzfinanzierten Bauform würden die Kassen am stärksten belastet, die die kränksten Versicherten haben. Die ärmsten Kassen werden die stationäre Versorgung am meisten brauchen und müssen dafür am meisten zahlen. Ungleichheit und Ungerechtigkeit werden zwangsläufig verstärkt; auch hier keine Wettbewerbsgleichheit der Kassen.
Sollen sie den Mangel an gerechter Verteilung bedarfsgerecht selbst verwalten? Es sind die Wirkungszusammenhänge, die realpolitisch eingeschätzt werden müssen, Die Kassen mit guten Versicherten können die besten Häuser unter Vertrag nehmen. Ist das die Zukunftsperspektive? Was ist denn dann die Folge der Monistik und Konkurrenz der Kassen, die uns ins Haus steht? Die Gesundheitsstrukturplanung ist eine allgemein öffentliche Aufgabe. Sie braucht auch in Zukunft eine feste Adresse.
Ich möchte auf einen Aspekt eingehen, der in der ökonomischen Debatte immer vernachlässigt wird, den ich aber für sehr wichtig halte. Es ist der, daß Architektur Haltung ausdrückt. Räume sind mehr als nur funktional. Insofern ist es ein kulturelles, ein gesellschaftliches und ein ästhetisches Argument, das ich vertrete. Von einer Nostalgie der Funktionsbauten möge uns diese Regierung bitte bewahren.
Es war, ich behaupte, einzig die öffentliche Diskussion, die ein emanzipatorisches Denken in der Krankenhausreformplanung, in der Bauweise eingeleitet hat. Ich nenne hier nur Rooming-in in Frauenkliniken, Familienräume in Kinderkrebs- und Intensivstationen, die Abkehr von der Verwahrpsychiatrie, die sich in neuen therapeutischen Konzepten und Räumen ausdrückte. Ich nenne Zukunftsanforderungen wie Baubiologie, modellhafte Perinatologie usw.
All das sind Ergebnisse eines neuen gesundheitspolitischen Verständnisses. Dieses wurde möglich, weil das Bauen von Krankenhäusern eine öffentliche Aufgabe war. Nur so konnte ein Reformprozeß eingeleitet werden. So sind es für mich im wesentlichen demokratiepolitische Gründe, wenn ich sage, daß Bauen eine öffentliche Aufgabe bleiben muß.
Wenn wir dieses Niveau halten und keine Renaissance der 70er Jahre auf uns zukommen lassen sehen wollen, dann ist diese Maßnahme, die wir vorschlagen, in der Tat Bestandsschutz und Schutz vor einem Krankenhausbaumarkt, auf dem Krankenhauskonzerne und private Bauträger agieren sowie Leasingverfahren und ähnliches aus der Finanznot der Kassen resultieren werden.
Ich meine, es steht ein umfassenderes und ganzheitlicheres Verständnis von öffentlicher Gesundheitsstrukturplanung und Bauplanung zur Disposition. So betrachtet ist die Länderfinanzierung eine moderne Position, auch wenn die Formulierung unseres Antrages „Entfristung" reichlich bürokratisch klingen mag.
Danke schön.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Dieter Thomae.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung sollte
Dr. Dieter Thomae
eigentlich auf das Ergebnis sehr stolz sein, das sie seit der Wiedervereinigung im Krankenhausbereich in den neuen Bundesländern geschafft hat.
Dieses Ergebnis kann sich sehen lassen. Wir haben das mit nennenswerten Mitteln des Bundes und der alten Bundesländer geschafft. Ich bin froh, daß die Krankenhausversorgung dort erheblich verbessert wurde.
Dennoch, meine ich, müssen wir ein Problem der alten Bundesländer sehr ernsthaft anpacken; denn beim Thema Instandhaltung ziehen sich die Bundesländer zurück. Hier sind die Länder gefragt, auch die von der SPD und dem Bündnis 90/Die Grünen regierten. Sie schlampen bei ihren Aufgaben. Hier sind sie gefordert, Verantwortung zu übernehmen.
Die Länder übernehmen in diesem Bereich keine Verantwortung. Sie haben mittlerweile 1,5 Milliarden DM nicht zur Finanzierung bereitgestellt. Das erkennen wir heute in den Krankenhäusern der alten Bundesländer. Sehen Sie sich einmal in den Ländern um, die von SPD und Bündnis 90/Die Grünen regiert werden. Hier sind die Katastrophen am größten.
Von daher sehen wir uns politisch gezwungen, den Ländern diese Aufgabe noch einmal klar und deutlich zu machen und in einer Übergangsphase die Instandhaltung endlich zu realisieren; denn die Zustände sind teilweise katastrophal. Das können wir nicht einfach so laufen lassen.
Die Länder möchten den Krankenkassen weitere Belastungen zuführen. Alle haben heute morgen davon gesprochen, die Lohnzusatzkosten müssen gesenkt werden. Wenn das so ist, dann übernehmen Sie endlich Ihre Pflichten und erfüllen in diesem Bereich die Aufgaben. Andernfalls müssen wir die Beitragssätze erhöhen. Das, meine Damen und Herren - das wurde auch von Ihnen bestätigt -, kann nicht politischer Wille sein.
- Sofort.
Nächster Punkt: Natürlich wollen wir eine monistische Finanzierung. Ich bin froh, daß die Koalition das heute morgen bestätigt hat. Ich bin froh, daß mein Kollege Zöller und der Minister Beifall gespendet haben. Aber das ist ein langer Weg, der eine Übergangsphase erforderlich macht. Dennoch sind wir uns auch mit der SPD einig: Wir wollen eine monistische Finanzierung, aber auch eine Planungskompetenz. Dann müssen aber die Krankenkassen einbezogen werden.
Bitte schön, Herr Kirschner.
Herr Kollege Dr. Thomae, wenn Sie sagen, die Bundesregierung bzw. die Koalition hat sich eindeutig für die monistische Finanzierung ausgesprochen, dann frage ich Sie: Sagen Sie dieses auch im Namen des Bundesgesundheitsministers? Denn dies ist mir nach einem Zitat der „Süddeutschen Zeitung" und einer entsprechenden Mitteilung der CSU nicht klar.
Lieber Herr Kirschner, Sie wissen selber, Zeitungsberichten kann man nicht immer folgen.
Vielmehr vertraue ich der Zusage des Ministers und der Koalition. Von daher sind wir sehr optimistisch.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich bitte zum letzten Thema kommen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Knoche?
Ein paar Minuten noch, Frau Knoche, dann können Sie Ihre Frage stellen.
Ich möchte das Thema Amalgam sehr ernsthaft ansprechen. In der Vergangenheit haben alle Fraktionen hier im Deutschen Bundestag auf die Problematik von Amalgam hingewiesen und immer wieder gesagt, daß hier eine Veränderung erfolgen muß, weil es Unterlagen gibt, die belegen, daß Amalgam bei gewissen Personenkreisen gesundheitliche Schäden verursacht.
Diese Bedenken hat die Koalition aufgegriffen. Das halte ich auch für richtig. Die Bevölkerung muß wissen, daß, wenn Amalgam zu gesundheitlichen Schäden führt, im zahnärztlichen Bereich andere Regelungen angewendet werden können.
Darum, so meine ich, ist es sinnvoll, daß wir die Basisversorgung finanziell in eine höhere Versorgungsstufe übernehmen. Auch Sie wollen doch wohl, daß der Patient, der kein Amalgam verträgt, die Möglichkeit hat, eine andere Versorgung zu wählen, und den Grundbetrag mitnehmen kann.
Wie können Sie dagegen sein? Damit wären Sie gegen die Bürger und ihre Gesundheitsversorgung. Das können Sie doch nicht wollen.
- Ja, meine Dame, Amalgam wird mehr oder weniger nur von den Zahnärzten und nicht in der ambulanten ärztlichen Versorgung benutzt.
Wir werden diese Regelung treffen, da sie sinnvoll ist und der Bürger dies will. Ich sage Ihnen: Es gibt
Dr. Dieter Thomae
eine Umfrage, bei der die deutsche Bevölkerung gefragt wurde, ob sie bereit wäre, für eine höhere Versorgung selber die Mehrkosten zu übernehmen. Jetzt hören Sie von der SPD und dem Bündnis 90/Die Grünen mir bitte gut zu! 70 Prozent der deutschen Bevölkerung wären bereit, bei einem Verzicht auf Amalgam eine höhere Versorgung zu wählen und den Betrag für die Grundversorgung mitzunehmen. Meine Damen und Herren, was wollen Sie denn mehr?
Herr Dr. Thomae, gestatten Sie eine Zwischenfrage? -
Eben habe ich nein gesagt; dann muß ich jetzt ja sagen.
Bitte schön, Frau Knoche. Ich bin fair.
Ich hatte auf den Wunsch nach einer Zwischenfrage von Frau Ernstberger reagiert.
Ich frage jetzt, Herr Dr. Thomae: Sind Sie bereit, eine Frage zuzulassen? - Bitte schön, zuerst Sie, Frau Ernstberger, dann Sie, Frau Knoche.
Herr Dr. Thomae, stimmen Sie mir zu, daß es bereits jetzt so ist, daß, wenn eine medizinische Indikation vorliegt, die Kosten einer keramischen Füllung von den Kassen übernommen werden und damit die Möglichkeit für den Patienten gegeben ist, auf Amalgam zu verzichten?
Das mag von manchen Kassen so gehandhabt werden. Wir befinden uns hier aber in einem rechtsunsicheren Raum, den ich beseitigen möchte. Ich möchte dem Bürger sagen: Eine Alternative ist möglich. Dabei können Sie den Grundbetrag mitnehmen. - Das ist mein Anliegen. Es geht mir darum, daß Amalgam durch ein anderes Material ersetzt werden kann. Davon lasse ich mich überhaupt nicht abbringen.
Herr Dr. Thomae, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage? - Bitte, Frau Kollegin.
Herr Kollege, wir werden noch eine Anhörung oder einen wissenschaftlichen Streit dazu haben; das kann man unterschiedlich bewerten. Sollte sich dabei herausstellen, daß Füllungsalternativen aus gesundheitlichen Gründen notwendig sind, dann muß es, so denke ich, eine ganz normale Regelleistung sein, dieses andere Material zu finanzieren.
Meine Frage aber ist, weil Sie die Länder so stürmisch ins Gespräch gebracht haben: Es gibt noch ein Bundesland, wo die F.D.P. eine Regierungsbeteiligung hat. Sind Sie in der Lage, mir zu sagen, in welcher Höhe sich dieses Bundesland an der Finanzierung beteiligt?
Auf jeden Fall in einem erheblich höherem Maße als das Land Hessen. Das kann ich Ihnen sagen.
Meine Damen und Herren, wir wollen einen Ersatz für Amalgam. Die gesetzliche Krankenkasse aber wird es, wenn wir die Beitragssätze nicht erhöhen, finanziell nicht schaffen, jedem Patienten im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung Goldinlays anbieten zu können. Das sage ich ganz offiziell, damit hier kein Irrtum entsteht.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Ruth Fuchs, PDS.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Änderung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes soll erreicht werden, daß auch in den kommenden Jahren ein definierter Teil der Instandhaltungskosten für Krankenhäuser wie bisher von den Ländern zu tragen ist. Gegen eine solche Festlegung wäre im Grunde nichts einzuwenden. Im Gegenteil, die seit 1993 aufgerissenen und nun schon ins vierte Jahr gehenden Lücken in der Krankenhausinstandhaltung verlangen immer dringlicher nach einer Lösung.
Wir halten es allerdings nicht für sachgerecht, daß dies nur noch für eine Übergangszeit von drei Jahren vorgesehen wird. Danach soll bekanntlich die gesamte Investitionsfinanzierung der Krankenhäuser durch die Bundesländer aufgegeben und in ihrem vollen Umfang über die Pflegesätze den Kassen übertragen werden. Die damit getroffene Grundsatzentscheidung für eine Rückkehr zur Monistik ist jedoch in erster Linie Teil jenes unseligen sozialpolitischen Verschiebebahnhofs, mit dem sich der Staat auf Kosten der Beitragszahler in der gesetzlichen Krankenversicherung Schritt für Schritt aus seiner Verantwortung für ein funktionierendes Gesundheitswesen herausnimmt. Hinzu kommt: Wenn der Sicherstellungsauftrag für die Krankenhausplanung und -versorgung, das heißt für das Vorhalten eines bedarfsgerechten Netzes stationärer Kapazitäten, bei den Ländern bleiben soll, dann ist und bleibt es nur konsequent, sie auch nicht aus der damit verbundenen finanziellen Verantwortung zu entlassen.
Aus diesem Grunde können wir dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht zustimmen.
Dr. Ruth Fuchs
- Das haben Sie doch erwartet!
Zur Amalgam-Mehrkostenregelung. Mit der damit vorgesehenen Zahlung des Preises einer normalen klassischen Füllung durch die Kassen unter Übernahme der Mehrkosten durch den Versicherten bei individueller Wahl einer über die vertragsärztlichen Richtlinien hinausgehenden Leistung werden trotz aller gegenteiligen Beteuerungen erstens das Sachleistungsprinzip der gesetzlichen Krankenversicherung erneut unterlaufen und zweitens die Versicherten in einem weiteren Fall vorsorglich an das Funktionieren. von Regel- und Wahlleistungen gewöhnt.
Die übergreifende Botschaft lautet darüber hinaus in jedem Fall: Mit individueller Übernahme von Mehrkosten soll man sich bessere medizinische Leistungen erkaufen können. Damit wird der wichtigste Grundsatz einer sozialen Krankenversicherung verlassen, nach dem jedes Mitglied Anspruch auf eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung hat, die sich in erster Linie aus der jeweiligen medizinischen Indikation ableitet und deren Kosten die Versicherung dann auch in vollem Umfang übernimmt.
Erneut bestätigt sich, was von Anfang an zu erkennen war: Die eigentliche Bedeutung jener Serie von Minigesetzen, mit denen Regierung und Koalition gegenwärtig aufwarten, liegt darin, daß mit ihnen das Ende der bisherigen solidarischen Krankenversicherung in verschiedenen Teilbereichen schon einmal vorweggenommen wird.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Kollegin Waltraud Lehn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich Ihnen sage, daß die finanzielle Lage in der gesetzlichen Krankenversicherung alarmierend ist, dann ist das nichts Neues.
- Aber Sie sollten einfach mal abwarten. Nicht daß man ansonsten mit Langsamkeit bei Ihnen zurückhaltend wäre, aber an der Stelle wäre es wirklich einmal sinnvoll zu warten.
Nicht neu ist auch, daß die SPD schon lange auf diese bedrohliche Entwicklung hinweist.
Altbekannt ist unsere Forderung, endlich die Strukturelemente des GSG umzusetzen. Immer wiederkehrend ist jedoch das Handeln der Bundesregierung. Nicht nur im Gesundheitsbereich sitzt sie die Probleme aus. Ihr Handeln ist ähnlich überraschend wie die jährliche Wiederholung von „Dinner for one" am Silvesterabend: Alles schwarz-weiß, nur wenige spielen mit, der Inhalt ändert sich nie, und am Ende
stolpern die Akteure einem ungewissen Ende entgegen.
Was wir jedoch brauchen, ist eine Bundesregierung, die zielstrebig nach vorn geht, die den Sachverstand und die Ideen anderer mit einbezieht. Wir brauchen keinen Gesundheitsminister, der von Gesetzchen zu Gesetzchen hoppelt. Mit dem unsäglichen Flickwerk von Einzelgesetzen, Herr Thomae, ist jedenfalls der Gesamtproblematik im Gesundheitsbereich nicht beizukommen.
Damit kann man allenfalls die eigene Klientel bedienen.
Nachdem wir uns vor drei Wochen an dieser Stelle mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Stabilisierung der Krankenhausausgaben 1996 beschäftigt haben, ist es heute Ihr Gesetzentwurf zur Änderung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes. Mit diesem Gesetzentwurf versuchen die Koalitionsfraktionen, das Problem, das mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21. Januar 1993 entstanden ist, zu lösen. Ganz schön fix, diese Bundesregierung. Da braucht sie doch nur drei Jahre, wahrscheinlich zweidreiviertel zum Erkennen des Problems und ein Vierteljahr, um eine unzulängliche Lösung vorzuschlagen. Nach diesem Urteil läßt die bestehende Rechtslage eine Finanzierung der Instandhaltungskosten bei den Krankenhäusern durch die Bundesländer nicht mehr zu.
Drei Jahre - das sagte ich schon - hat die Bundesregierung verstreichen lassen, bevor sie jetzt vorschlägt, die Instandhaltungskosten für die nächsten drei Jahre - schneller könnten Sie nicht arbeiten; dafür habe ich Verständnis - weiter durch die Länder fördern zu lassen
und erst ab 1999 die Finanzierung über die Pflegesätze zu übernehmen.
Meine Damen und Herren, diesem Vorhaben stimmt die SPD-Fraktion nicht zu. Wir haben bei den Beratungen im Gesundheitsausschuß unterstrichen, daß wir in einem Zeitraum von zehn Jahren den Übergang von der dualen zur monistischen Finanzierung der Krankenhäuser anstreben. In einer Situation, in der dank Ihrer - nett und freundlich formuliert - „Zurückhaltung" - vielleicht wäre das Wort „Schlamperei" hier ja durchaus nicht völlig fehl am Platze -, in einer Situation, in der die Fallpauschalen nur 25 Prozent und die Sonderentgelte sogar nur 5 Prozent des Leistungsgeschehens abdecken, ist aus unserer Sicht eine langfristige Umstellung auf eine monistische Finanzierung absolut notwendig.
Waltraud Lehn
Nun kann das ohne jede Frage nicht auf einen Schlag von heute auf morgen passieren; denn das würde ja noch eine weitere Erhöhung der Beiträge. für die Versicherten zur Folge haben,
an der auch uns nichts liegt.
In diesem Zusammenhang verweise ich auf unseren Entwurf eines Gesundheitsstrukturkonsolidierungsgesetzes, das wir im Rahmen eines Gesamtreformpaketes anstelle Ihrer Einzelgesetzchen eingebracht haben. Dieser Entwurf sieht nun vor, daß die Instandhaltungskosten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz für 1996 den Krankenkassen übertragen werden. Die Höhe der hierfür erforderlichen Mittel kann begrenzt werden, indem die von den Krankenkassen zur Verfügung zu stellenden Mittel auf der Höhe der Förderung der Länder im Jahr 1992, zuzüglich der bisherigen Grundlohnsteigerung, festgelegt werden.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lohmann?
Ja, selbstverständlich.
Frau Kollegin Lehn, Sie haben eben von Schlamperei gesprochen, weil es nach Ihrer Auffassung zuwenig Fallpauschalen und Sonderentgelte gibt. Würden Sie mir zustimmen, daß die Tatsache, daß im vergangenen Jahr von 2 400 lediglich 72 Krankenhäuser in diesem Bereich - so will ich es einmal sagen -„üben" konnten, damit zusammenhängt, daß sich die Krankenkassen geweigert haben, die entsprechenden Vereinbarungen zu treffen, weil es keine Übereinstimmung in bezug auf die Punktwerte geben konnte? Nicht nur das, sie haben darüber hinaus sogar die Ergebnisse der Schiedsstellen nicht anerkannt und haben geklagt. Aus diesem Grund hat es die Fallpauschalen in dem gewünschten Umfang nicht gegeben. Würden Sie mir darin zustimmen?
Nein; ich würde Ihnen ausdrücklich nicht zustimmen. Vielmehr möchte ich Ihnen darauf antworten, daß eine zügige Umsetzung - dabei wären Vorgaben von der Regierungsseite bzw. des zuständigen Ministeriums erforderlich gewesen - sehr hilfreich gewesen wäre. Statt dessen ist das Ganze ausgesessen worden; anders kann man das wirklich nicht formulieren. Ich denke, Sie hätten allen Anlaß, sich selbstkritisch mit diesem Thema noch einmal auseinanderzusetzen.
Ich war dabei zu sagen, daß die Aufbringung der erforderlichen Mittel - wir haben es ja ohne jede Frage mit einem erheblichen Stau im Bereich der Instandsetzungen zu tun - nicht zu einer erneuten Gefährdung der Stabilität von Beitragssätzen führen dürfe, und habe Ihnen aufgezeigt, daß das, wenn man sich an den Ausgabenblöcken für 1992 orientiert hätte, eine Grundlage gewesen wäre. Die Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen beteiligen sich nach unserem Entwurf an der Finanzierung der Instandhaltungskosten der Krankenkassen entsprechend ihrem Anteil der Versicherten.
Die privaten Krankenversicherungen werden übrigens ebenfalls entsprechend an der Finanzierung beteiligt. Gemeinsam mit dem jeweiligen Bundesland bilden sie - das ist der Kernbereich unseres Vorschlages -, einen Investitionsfonds, der das Finanzierungskernstück ist.
Nicht nur wir lehnen den vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes ab. In der Anhörung des Gesundheitsausschusses am 6. Dezember 1995 haben sich Einzelpersonen, aber auch verschiedene Verbände und Organisationen außerordentlich kritisch mit Ihrem Entwurf auseinandergesetzt und sich entsprechend geäußert.
Lassen Sie mich hieraus eine Aussage zitieren:
Wieder ein Realexperiment mit ungewissem Ausgang, wie wir es im Gesundheitswesen ständig erleben. Planungssicherheit für die Krankenhäuser, Vertrauen in Gesetze und Verordnungen, Arbeitsbedingungen und Qualität der Patientenversorgung drohen wieder einmal auf der Strecke zu bleiben.
Zutreffender, Herr Seehofer, läßt sich Ihre Politik nicht mehr beschreiben.
Wie schon bei unserer Debatte über den Gesetzentwurf der Koalition zur Stabilisierung der Krankenhausausgaben vor drei Wochen wird auch heute wieder deutlich, daß Sie nicht in der Lage sind, sich auf ein Gesamtkonzept zu verständigen und daß Sie Ihre Beiträge, die Sie leisten könnten, um die drohende Kostenexplosion im Gesundheitswesen abzuwenden, wahrscheinlich wegen mangelnden Einigungsvermögens der Koalitionsfraktionen untereinander nicht leisten.
Der SPD-Entwurf eines Gesundheitsstrukturkonsolidierungskonzeptes sieht deshalb eine Verlängerung der sektoralen Budgetierung der Krankenkassenausgaben um ein weiteres Jahr vor. Entsprechend der Rechtsprechung werden die Instandhaltungskosten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz für das Jahr 1996 den Krankenkassen übertragen. Der Zeitraum von einem Jahr und die strukturellen Reformmaßnahmen des Gesundheitsstrukturgesetzes müssen reichen, um die strukturellen Reformmaßnahmen des Gesundheitsstrukturgesetzes umzusetzen und durch weitere Strukturreformen zu ergänzen.
Waltraud Lehn
Mit dem inzwischen vorgelegten SPD-Entwurf eines zweiten Gesundheitsstrukturgesetzes kann die dringend erforderliche Fortschreibung dieser Reformen erfolgen. Dazu haben wir Sie mehrfach aufgerufen. Wir haben vernommen, daß Herr Seehofer zumindest im Gesundheitsausschuß mit der SPD sprechen darf.
Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurf zur Änderung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes, Drucksache 13/2745. Der Ausschuß für Gesundheit empfiehlt auf der Drucksache 13/ 3722, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Opposition angenommen.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit der gleichen Mehrheit angenommen worden.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/3729. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Stimmenthaltung der SPD-Fraktion und nicht ganz klarer Stimmabgabe der Gruppe der PDS abgelehnt.
- Es stünde mir nicht zu, das zu bewerten. Ich stelle es bloß fest.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des Gesetzentwurfs der CDU/CSU und F.D.P. zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch an den Ausschuß für Gesundheit vor. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Zweite und dritte Beratung des vorn Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einbeziehung der Mauer- und Grenzgrundstücke in das Vermögensgesetz
- Drucksache 13/120 -
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
- Drucksache 13/3734 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Geis Hans-Joachim Hacker
Dr. Michael Luther
Gerald Häfner
b) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 13/3735 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Gunter Weißgerber Manfred Kolbe
Oswald Metzger
Dr. Wolfgang Weng
Dazu liegen Änderungsanträge der Fraktion der SPD und der Gruppe der PDS vor.
Die Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. sowie die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen haben Entschließungsanträge eingebracht.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zur Geschäftsordnung der Kollegin Dr. Enkelmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich ziehe den Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/ 3759 zurück. Unser Hauptanliegen war zunächst, deutlich zu machen - wenn man schon einen Fonds bildet -, wohin die Mittel gehen sollen. Wir haben unsere Vorschläge gemacht, zum Beispiel an welche Personengruppen die Mittel gehen sollen. Das ist in diesem Antrag nachzulesen. Wir werden zu einem späteren Zeitpunkt einen gesonderten Antrag dazu einbringen. Ich denke, da können wir dann miteinander arbeiten.
Punkt 1 des Antrags ist in der Gruppe der PDS sehr umstritten. Man könnte Rückgabe verbunden mit Rückkauf als Kompromiß betrachten, sozusagen besser als nichts. Aber dieser Kompromiß wird von der Mehrheit der Gruppe nicht getragen. Deswegen ziehen wir den Änderungsantrag zurück.
Davon nimmt das Haus Kenntnis.
Ich eröffne jetzt die Aussprache in der Sache. Das Wort hat der Herr Kollege Hans-Joachim Hacker, SPD-Fraktion.
Vielen Dank, Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein langer parlamentarischer Streit nähert sich dem Ende. Es geht um die Frage, wie der Deutsche Bundestag und damit der Rechtsstaat Bundesrepublik Deutschland mit Ansprüchen von Bürgerinnen und
Hans-Joachim Hacker
Bürgern umgeht, die durch das DDR-Regime geschädigt wurden.
Wir alle haben es uns bei dieser über zwei Jahre andauernden Meinungsbildung sicherlich nicht leichtgemacht. Gern wäre ich auch im Namen meiner Fraktion Ihren Worten, Herr Geis, gefolgt: „Was lange währt ...". Das kann ich jedoch nicht; denn der dazugehörende Halbsatz lautet: „... wird endlich gut". Dieser Halbsatz trifft auf den Entwurf der Koalition nicht zu.
Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, lösen sich heute von jahrelangen Zusagen und Versprechen gegenüber den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern, deren Eigentum vom DDR-Staat zur Errichtung von Mauer und Todesstreifen zwangsweise weggenommen wurde. Sie lösen sich heute auch von verbindlichen Zusagen, die Sie noch vor wenigen Wochen gegeben haben. Der von Ihnen vorgelegte Vorschlag ist nicht das Ergebnis abgewogener Überlegungen.
Er wird den historischen Verpflichtungen nicht gerecht und schafft den Boden für neue Rechtsstreitigkeiten durch Einführung eines neuen Stichtages im Vermögensrecht.
Worum geht es bei der Entscheidung über die Mauer- und Grenzgrundstücke? Es geht um nicht mehr, aber auch nicht weniger als um die Aufhebung von teilungsbedingtem DDR-Unrecht an einer Gruppe von Bürgerinnen und Bürgern, die zufällig Grundstücke besaß, die für die Errichtung der Berliner Mauer und der Sperranlagen in und um Berlin und an der innerdeutschen Grenze zwangsweise in Anspruch genommen wurden. Abgesehen von dem allgemeinen Unrechtsgehalt, der von der Zielrichtung dieser Maßnahmen ausging, haben mehrere Gutachter Rechtsverstöße seitens der DDR-Organe dokumentiert. Insbesondere die Anwendung des Verteidigungsgesetzes der DDR war in Berlin wegen des entmilitarisierten Status von Gesamtberlin völkerrechtswidrig.
Für mich ist nicht nachvollziehbar, daß die Koalition aus diesem eindeutigen und gravierenden Verstoß gegen das Völkerrecht nicht zwingend die Notwendigkeit ableitet, die Rückgabe der Mauer- und Grenzgrundstücke endlich zuzugestehen.
- Dann müssen Sie jetzt auch handeln, Herr Geis.
Es ist zu erwarten, daß sich mit dieser Auslegung des Artikels 25 unseres Grundgesetzes aller Wahrscheinlichkeit nach das Bundesverfassungsgericht auseinandersetzen wird; denn einige Betroffene werden sich mit der Rückkaufregelung - wenn sie denn Gesetz werden sollte - nicht abfinden.
Fest steht jedenfalls, daß mit Ihrer Lösung des Problems der Mauer- und Grenzgrundstücke, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, gewollt oder nicht gewollt, DDR-Unrecht nachträglich legitimiert wird.
Die Einmaligkeit dieser Enteignungsvorgänge - egal, ob ein DDR-übliches Entschädigungsentgelt gezahlt wurde - muß für den Gesetzgeber zwingende Veranlassung sein, das ehedem geraubte Eigentum den rechtmäßigen Eigentümern zurückzugeben, und zwar ohne Wenn und Aber.
Genau darauf zielt der Gesetzentwurf des Bundesrates ab,
der im übrigen von allen politischen Parteien des Berliner Abgeordnetenhauses nachdrücklich befürwortet wird. Mit der Neufassung dieses Gesetzentwurfes entsprechend der von der Regierungskoalition vorgeschlagenen Rückkaufregelung wird die Bundesratsinitiative in ihrem Wesensinhalt verfälscht.
Insofern ist alleine der Änderungsantrag meiner Fraktion konsequent, der auf den Entwürfen des Bundesratsantrages fußt.
- Wir wollen genau den Antrag des Bundesrates unterstützen und die Rückgabe ohne Wenn und Aber realisieren.
In dieser Hinsicht ist auch der Änderungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen nicht ganz konsequent. Wir können Ihnen, Herr Häfner, deswegen auch nicht zustimmen.
Zu dem PDS-Antrag hatte ich mir einiges zurechtgelegt. Frau Enkelmann gibt mir nun leider nicht Gelegenheit, diesen Antrag im Detail auseinanderzupflücken. Ich will nur soviel sagen: Es war, wie so oft, ein populistischer Antrag. Dieser Antrag hätte erneut die Diskussion aufflammen lassen, ob denn hier Opfer Opfer entschädigen sollen. Er war insofern untauglich und steht in eklatantem Widerspruch zu Erklärungen von Brandenburger Bundestagsabgeordneten gegenüber den Betroffenen, daß sich die
Hans-Joachim Hacker
PDS für die Rückgabe der Mauergrundstücke einsetzen möchte.
Meine Damen und Herren, damit aus der heutigen Debatte keine falschen Schlüsse gezogen werden, sage ich auch: Das Thema Mauergrundstücke ist nicht geeignet, eine Diskussion um die Frage aufzuwerfen, ob es sich hierbei um Maueropfer handelt. Maueropfer - das sage ich ganz deutlich - sind ohne Zweifel die an der Mauer und auf dem Todesstreifen Getöteten und Verletzten. Ihnen und ihren Angehörigen gilt unser Mitgefühl, ihnen sind wir in erster Linie verpflichtet.
Die Bundesregierung hat es jedoch versäumt, eine moralisch annehmbare Regelung für die Hinterbliebenen der Maueropfer vorzulegen. Wir Sozialdemokraten werden uns dieser Aufgabe in Verbindung mit Vorschlägen zur Novellierung der Rehabilitierungsgesetze stellen. Bei der Enteignung der Mauer-und Zaungrundstücke geht es jedoch, um es deutlich zu unterstreichen, um Verwaltungsunrecht der DDR, das jetzt endlich beseitigt werden muß.
Um einer weiteren Legendenbildung vorzubeugen: Selbstverständlich war die SPD für den Grundsatz „Entschädigung vor Rückgabe".
Aber Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, haben einen Zug in Bewegung gesetzt, in dem wir jetzt sitzen und aus dem wir nicht mehr herauskommen. Insofern ist Ihr Rückkaufvorschlag kennzeichnend für eine Politik ohne nachvollziehbare Linienbestimmung.
Wenn wir heute die Frage nach der Vergleichbarkeit der Restitutionsfälle stellen, so ist festzuhalten, daß Vermögensverzichte während der DDR-Zeit aus wirtschaftlichen Erwägungen zur Restitution führen, wie zum Beispiel bei Mietshäusern, jedoch zwangsenteignete Mauer- und Grenzgrundstücke - auch auf ihnen standen teilweise Häuser, die gesprengt wurden, um freies Schußfeld für die DDR-Grenzpolizei zu schaffen - den rechtmäßigen Eigentümern lediglich zum Rückkauf angeboten werden. Das ist eine nicht nachvollziehbare Ungleichbehandlung.
Die Entschädigungsbeträge zu DDR-Zeiten waren staatlich reglementiert, abgekoppelt von marktwirtschaftlichen Kriterien.
Die heutigen Verkehrswerte betragen ein Vielfaches. Der Geruch einer Bereicherung des Staates an der Gruppe der Betroffenen wird bei Ihrem Gesetzentwurf bleiben.
Ich kann nicht umhin, in dieser Debatte auch auf die zwielichtige Rolle der F.D.P. einzugehen.
Bis zuletzt sind die Zwangsenteigneten insbesondere durch F.D.P.-Politiker in ihren berechtigten Erwartungen auf Rückgabe ohne Wenn und Aber bestärkt worden. Die frühere Justizministerin Frau Leutheusser-Schnarrenberger hat sich zur Rückgabe bekannt, und auch der heutige Justizminister, Herr Schmidt-Jortzig, hat sich sowohl als Berichterstatter im Rechtsausschuß als auch als bereits designierter Bundesjustizminister eindeutig im Sinne einer Rückgabe erklärt.
Um so unverständlicher ist die Tatsache, daß der völlig unakzeptable Entwurf des Mauergrundstücksgesetzes aus dem Hause des Justizministers kommt. Ich stelle die Frage: Welche Erkenntnisprozesse sind hier in den letzten Wochen abgelaufen,
nachdem schriftliche und mündliche Zusagen gegeben worden sind? War es wieder einer der qualvollen und unbefriedigenden Kompromisse, die diese Koalition so oft getroffen hat?
Wenn dem so ist, haben Sie den Kompromiß auf dem Rücken der Schwächsten getroffen.
Meine Damen und Herren, die SPD wird dem Koalitionsentwurf nicht zustimmen. Es sind vor allem historisch-moralische Gründe wie auch die im Gesetzentwurf angelegte Ungleichbehandlung von Gruppen durch direkte oder indirekte Eingriffe in Vermögenswerte. Meine Kritik zielt jedoch auch auf Details ab, auf die ich wegen der begrenzten Zeit nur ganz kurz eingehen kann.
Erstens geht es um die Stichtagsregelung in § 2 Abs. 2 des Gesetzentwurfes. Sie bewirkt, daß Veräußerungen vor dem 15. Februar 1992 nicht mit Entschädigungen ausgeglichen werden sollen. Damit ist der Rechtsstreit vorprogrammiert. Ich stelle an Sie die Frage: Wie wollen Sie denn heute die damaligen Veräußerungen der Grundstücke im Bereich des Checkpoint Charly entscheiden? Dieser Rechtsstreit ist doch heute schon vorprogrammiert.
Zum zweiten stellt sich die Frage: Wie wollen Sie denn mit dem Problem des Untergangs von Grundstücksbelastungen umgehen?
Zum dritten ist die Frage: Wie kommen Sie eigentlich auf 25 Prozent Entschädigungsbetrag, wie kommen Sie auf 25 Prozent des Verkehrswertes? Dies ist
Hans-Joachim Hacker
doch ein ideales Sprungbrett für den Gang nach Karlsruhe.
Meine Damen und Herren, abschließend wegen der fortgeschrittenen Zeit nur eine ganz kurze Einlassung zu dem von Ihnen vorgelegten Entschließungsantrag. Sie haben immer gesagt, Sie wollten keine Totalrevision. Bei dieser Aussage haben Sie sogar die SPD auf Ihrer Seite. Wir wollen auch keine Totalrevision.
Wenn Sie aber jetzt mit einem Entschließungsantrag die neuen Länder auffordern, ebenfalls Vorkaufsregelungen zu verabschieden, die für ähnlich gelagerte Fälle wie die Mauergrundstücke und die Grenzgrundstücke zu Vorrangigkeiten führen, dann frage ich Sie: Wie wollen Sie dann das Tor zuhalten? Darauf, Herr Geis, können Sie heute keine Antwort geben. Der Rechtsstreit in den nächsten Wochen wird meine Position unterstreichen.
Meine Damen und Herren, wir können dem Koalitionsentwurf nicht zustimmen, und wir fordern Sie auf, dem Änderungsantrag der SPD-Fraktion zuzustimmen.
Das Wort hat der Kollege Dr. Mahlo, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Zwischenredner, man soll den Tag nicht vor dem Abend loben und die Rede auch nicht. - Herr Kollege Hacker, zu Ihnen komme ich noch am Ende. Ich hoffe, daß die Zeit ausreicht.
Ich meine, daß die Behandlung der sogenannten Alteigentümer durch Gesetzgebung und Rechtsprechung kein Ruhmesblatt der deutschen Vereinigung darstellt.
Um so größer ist meine Genugtuung, heute mit dem Gesetzentwurf der Koalition eine Kompromißlösung zu vertreten,
die sowohl der Idee des Eigentums als auch der wirtschaftlichen Lage unseres Landes nach der Überwindung der DDR-Diktatur Rechnung trägt und jedenfalls einem wichtigen Teil der Enteignungsopfer ein Stück Gerechtigkeit gewährt.
Wie alle guten Kompromisse muß man auch diesen nach zwei Seiten hin verteidigen. Die einen lehnen die Rückgabe des sogenannten Alteigentums mehr oder weniger ab, weil auch andere nichts zurückbekommen hätten und die Grundsätze des Bundesvermögensgesetzes - durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bekanntlich noch verschlimmbessert - nicht ausgehöhlt werden dürften.
Wir meinen, daß diese Grundstücke, die den Berechtigten weggenommen wurden, um einen Todesstreifen durch unser Land und eine Mauer durch unsere Hauptstadt zu ziehen, sehr wohl einen Symbolgehalt besitzen, die sie von allen anderen Formen von Bodenklau der DDR zu unterscheiden vermögen.
Es gibt Milliarden von Menschen auf der Welt - auch solche, die nicht wissen, wo Berlin liegt -, die wissen, daß es in Berlin eine berüchtigte Mauer gab, die die Einwohner gegen ihren Willen voneinander trennte und an der auf jeden Todesschüsse abgegeben wurden, der versuchte, diese Mauer zu überwinden.
Nicht allen allerdings, die jetzt auf andere Opfer verweisen, glauben wir ihre Krokodilstränen. Nicht wenige in Deutschland haben solche Enteignungen ganz in Ordnung gefunden, und denen paßt natürlich jetzt die Rückgabe der Mauergrundstücke nicht ins Konzept. Sie bestehen darauf, alle Enteigneten gleich schlecht zu behandeln. Ihnen sei gesagt, daß wir im Eigentum bei aller Anerkennung seiner Sozialpflichtigkeit eines der wichtigsten Güter unserer Rechts- und Werteordnung sehen. Das Vertrauen in den staatlichen Eigentumsschutz und die Gewißheit, Eigentum erwerben, behalten, vererben zu können, sind Grundlagen jeder freien Wirtschaft und Motive für Fleiß, Sparsamkeit, Investitionen, Inkaufnahme von Entbehrung.
In dem Sinne, in dem Dostojewski gesagt hat, daß Geld geprägte Freiheit sei, ist Eigentum ein Stück persönliche Freiheit.
Eine Gesellschaft, die dieses Gut je nach Interessenlage zur Disposition stellt, beschädigt sich selbst.
Dr. Dietrich Mahlo
Auf der anderen Seite stehen die, die die Grundstücke des Todesstreifens und der Mauer unbedingt zu 100 Prozent, ohne jeden Abstrich, zurückverlangen.
- Verehrte Frau Zwischenruferin, es gibt außer Schwarz und Weiß noch andere Dinge im Leben und in der Politik.
Ich nehme an, daß auch Sie davon ab und zu Kenntnis genommen haben. Genau darum handelt es sich auch hier.
Diese andere Seite sagt, der Staat würde sich sonst am Bau der Mauer finanziell bereichern. Ja, sie redet von staatlicher Hehlerei. Am Ende einer geschichtlichen Periode mit einem totalen Krieg und den zwei schlimmsten Diktaturen, die unser Land erlebt hat, stellt sie die Frage: War was? Ich frage dagegen: Kann wirklich jeder Geschädigte nach allem, was geschehen ist, Einzelfallgerechtigkeit einklagen und verlangen, daß gerade seine Vermögensverhältnisse in buchhalterischer Kontinuität unangetastet bleiben?
Viel Sachvermögen ist ruiniert, auch auf diesen Grundstücken; das ist wahr. Aber es ist auch viel Sachvermögen auf diesen Grundstücken im Wert gestiegen, ohne daß der einzelne Berechtigte dazu viel beigetragen hätte.
Durch den Umstand, dem die Eigentümer von Mauergrundstücken die kaum noch erwartete Rückgabe verdanken, nämlich durch die Wiedervereinigung, wurden der öffentlichen Hand schwer lastende Kosten auferlegt. Soll es so sein, daß die Allgemeinheit die Reparatur von Straßen, Schienen, Bausubstanz, Altenheimen, Krankenhäusern, Umwelt, die Herstellung der inneren Einheit, den sozialverträglichen Umbau der Wirtschaft, die Errichtung einer technischen und sozialen Infrastruktur, überhaupt die Erledigung der tausend materiellen Defizite der DDR allein zu tragen hat,
während einzelne ihre Vermögenswerte zu 100 Prozent zurückerhalten?
Oder ist es nicht vielleicht doch angemessen, wenn die, die durch die Wiedervereinigung einen unmittelbaren Vermögensvorteil erlangen, sich überdurchschnittlich an den Kosten der Wiedervereinigung beteiligen?
Die Bündnisgrünen und die SPD haben es nun für richtig gehalten, sich ebenfalls in die Front der 100prozentigen Rückerstattung ohne jede Einschränkung einzureihen.
Herr Kollege Mahlo, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hacker?
Bitte sehr, Herr Präsident. Ich bin bereit, mir das anzuhören.
Bitte.
Lieber Herr Kollege Mahlo, ich entnehme Ihren Worten, daß Sie den Grundsatz der Restitution in Frage stellen, weil sich dadurch erhebliche Teile der Gesellschaft durch die wiedervereinigungsbedingten Zufallsgewinne bereichern.
Müßten Sie dann nicht zumindest das Vermögensgesetz insgesamt in Frage stellen oder aber so konsequent sein, der kleinen Gruppe, die von den Enteignungen auf dem Mauergrundstücksstreifen betroffen war, mindestens die gleichen Rechte einzuräumen wie der großen Gruppe derer, die sich in großem Maße durch die Wiedervereinigung bessergestellt haben?
Herr Kollege Hakker, wenn Sie mir zugehört haben, dann werden Sie doch verstanden haben: Ich bin ein Gegner von totalen Lösungen, weil ich nicht glaube, daß es in dieser Frage totale Lösungen, die Sie als konsequent bezeichnen würden, gibt. Dazu könnte ich Ihnen noch einiges andere sagen.
Wenn die Betroffenen von hundertprozentiger Herausgabe sprechen, kann ich das verstehen. Wenn der Senat von Berlin das verlangt, kann ich es auch noch verstehen.
Aber wenn Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, hier heute Hundertprozentlösungen mit hehrer Berufung auf Grundsätzliches einfordern, dann ist das wirklich nichts als purer Opportunismus und triefende Heuchelei.
Gestern noch wollten Sie den Enteignungsopfern der DDR gar nichts geben; heute ist alles außer 100 Prozent sittenwidrig. Wissen Sie, wie viele Enteignete aus der DDR und den deutschen Ostgebieten Ihnen die Hände küssen würden,
wenn sie ihre Grundstücke für 25 Prozent des Zeitwertes zurückkaufen könnten?
Ich denke an die steckengebliebenen Enteignungen, bei denen die Geschädigten in 20 Jahren und
Dr. Dietrich Mahlo
mehr nie einen Bescheid, nie eine Mark erhielten und in deren Fällen das Bundesverwaltungsgericht jetzt erklärt, die Enteignungen seien gleichwohl als ordnungsgemäß anzusehen.
Ich denke an 12 000 Familien, die in der Zeit zwischen 1945 und 1949 in Nacht-und-Nebel-Aktionen von ihren Gütern und Höfen getrieben worden sind. Manche von denen hatten auf dieser Scholle schon seit Jahrhunderten gesessen, manche von ihnen haben aktiv im Widerstand gegen Hitler gestanden. Sie bekommen nichts oder fast nichts von ihrem Eigentum zurück, ganz zu schweigen von denen, die mehr verloren haben als nur Grund und Boden.
Wollen Sie nun vor diese Gruppen hintreten, meine Damen und Herren von der Opposition, und ihnen sagen, das mache nichts, daß sie nichts zurückbekämen, sie dürften das nicht so eng sehen? - Das Problem unserer Zeit sind die 25 Prozent, die den Enteignungsopfern der Mauergrundstücke fehlen. Wollen Sie denen das sagen?
- Meine verehrten Damen und Herren, ich stelle ja nur Fragen. - Das kann nicht Ihr Ernst sein.
Wir werden in der Politik nicht ohne Kompromisse auskommen; nirgends ist ein Kompromiß gerechtfertigter als hier.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Gerald Häfner, Bündnis 90/Die Grünen.
Werter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als wir gestern im Ausschuß über diesen über Nacht zusammengeflickten Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen beraten haben,
da hat Herr Kollege Geis - Herr Geis, ich rede gerade mit Ihnen - seinen Beitrag mit den Worten eröffnet: „Was lange währt, wird endlich." Weil Herr Geis gelegentlich doch ein feiner Kerl ist,
hat er den Satz nicht vollendet. Das Wort „gut" ist ihm sozusagen im Munde steckengeblieben; das hat sein rechtspolitischer Verstand ihm nicht durchgehen lassen. Aber „schlecht", wie er es eigentlich hätte sagen müssen, wollte er seinen eigenen Antrag nun auch nicht gerade nennen. Das hat Sie geehrt, Herr Geis; ich sage das hier deutlich.
„Was lange währt, wird endlich schlecht" - so muß es hier heißen.
Kaum ein Gesetzentwurf hat uns so lange beschäftigt wie dieser, angefangen schon in der 12. Legislaturperiode. Woche für Woche hat die Koalition die Sache im Rechtsausschuß vertagen lassen, weil sie noch Beratungsbedarf angemeldet hat. Was herausgekommen ist,
ist weitaus schlechter, als wir befürchten mußten.
- Ja, das ist ein Kompromiß, sagen Sie.
Ich will hier grundsätzlich über die Sache reden, Herr Geis. Zu den Details hat Herr Hacker schon sehr viel gesagt. Die Mauer in Berlin war von Anfang an Unrecht. Das ist Ihre Überzeugung immer gewesen, das war und ist genauso unsere Überzeugung.
Alle Parteien in diesem Land haben das deutlich erklärt:
„Schandmal", „Dokument des Unrechts" usw. hieß es damals. Ja, das gilt möglicherweise für die ganze DDR, das ist aber jetzt nicht mein Thema. Wir reden hier von der Mauer in Berlin.
Da sind die Menschen über Nacht aus ihren Häusern geworfen worden; zum Teil sind die Volkspolizisten sogar mit Gewehren gekommen. Die Menschen mußten ihre Wohnungen und Häuser verlassen. Die wurden ihnen dann weggenommen; die Möbel haben sich häufig Vopos unter den Nagel gerissen usw. So sind sie aus ihrem Eigentum vertrieben worden, ohne Gesetz. Das war von Anfang an rechtswidrig.
Es gab dafür keine gesetzliche Grundlage. Das Gesetz, das das geregelt hat, wurde für Berlin überhaupt erst ein Jahr später geschaffen.
Das ist nicht besonders rechtsstaatlich.
Und auch dann noch verstieß es gegen den Viermächtestatus für Berlin und war deshalb auch noch völkerrechtswidrig. Aber selbst wenn wir darüber hinweggehen wollten, selbst wenn Sie das alles anerkennen sollten, dann verlangt dennoch auch das heute geltende bundesdeutsche Recht, daß diese Grundstücke zurückgegeben werden müssen; denn
Gerald Häfner
wenn der Zweck für eine Enteignung wegfällt, muß rückübertragen werden, so steht es im Gesetz.
So steht es - das wissen Sie genau - übrigens auch im DDR-Gesetz. Die Grenzordnung von 1982 verlangt in § 9 - ich zitiere wörtlich -:
Grundstücke, die nicht mehr für Maßnahmen zum Schutz der Staatsgrenze benötigt werden, sind an die Rechtsträger, Eigentümer oder sonstige Nutzer zu übertragen.
Diese Voraussetzungen sind hier ja wohl erfüllt, oder will jemand etwa eine neue Mauer bauen?
Warum geben wir dann die Grundstücke nicht zurück, warum dann dieser Eiertanz? Wenn die Mauer Unrecht war - daß das so war, habe ich hier, glaube ich, eindeutig dargelegt -, dann waren auch die Enteignungen zum Zwecke des Mauerbaus Unrecht, und dann ist auch der Bund heute zu Unrecht Eigentümer dieser Grundstücke. Er sollte daher sofort den Anspruch auf diese Grundstücke aufgeben und sie den rechtmäßigen Eigentümern zurückgeben.
Herr Kollege Häfner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Luther?
Ja, bitte schön.
Herr Häfner, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie dafür sind, daß alles, bei dem der Enteignungszweck weggefallen oder nie eingetreten ist, auf dem Gebiet der ehemaligen DDR den ehemaligen Eigentümern wieder zurückübertragen werden soll?
Ich werde Ihnen ja gerne eine Antwort geben.
Jetzt hat der Kollege Häfner das Wort.
Wir sprechen hier über Grundstücke von besonderer politischer und rechtlicher Bedeutung, nämlich über diejenigen Grundstücke, die zum Zwecke des Mauerbaus enteignet worden sind.
Sie haben nach meiner Meinung im Gesetz zwei große Fehler gemacht. Der erste Fehler war der Grundsatz Rückgabe vor Entschädigung. Wir haben davor immer gewarnt, wie Sie wissen. Sie haben es durchgesetzt. Nur, wenn Sie das schon durchsetzen, dann müssen Sie sich selber bitte auch daran halten.
- Hören Sie doch bitte schön einen Moment zu, Herr Kleinert und Herr Geis!
Sie haben zweitens im Vermögensgesetz lediglich Regelungen für sogenanntes Teilungsunrecht getroffen. Der klassische Fall: Wenn ein Bürger vertrieben wurde und der Staat sich das Eigentum dessen angeeignet hat, der in den Westen ging, dann muß es ihm zurückgegeben werden. Es wird ihm auch dann zurückgegeben, wenn die Rückgabe heute zu Lasten Dritter geht.
Das heißt, es wird zum Beispiel auch zu Lasten der Nutzer, die in dem Haus wohnen, zurückgegeben.
Hier aber ist der Bund derjenige, der sich die Grundstücke unter den Nagel gerissen hat. Und just der Bund will seine Grundstücke nicht zurückgeben. Das kann ich nun wirklich nicht begreifen. Die Argumentation der Bundesregierung, es handele sich hier um fremdes, innerstaatliches Unrecht, für das die Bundesrepublik Deutschland nicht verantwortlich sei, ist nun wirklich skurril. Wenn der Staat sich das Eigentum unter den Nagel reißt, kann er nicht bei der Rückgabe an die Berechtigten, an die ursprünglichen Nutzer, plötzlich kneifen.
- Herr Luther, bitte schön. - Entschuldigung, Herr Präsident.
Es ist nett, daß Sie meine Funktion mit übernehmen. - Herr Kollege Luther.
Sie fordern mich auf, noch eine zweite Zwischenfrage zu stellen. Kann es sein, daß in den anderen Fällen - zu denen ich eigentlich eine Frage gestellt hatte, auf die Sie mir immer noch keine Antwort gegeben haben - deswegen niemand auf die Idee kommt, Eigentum zurückzuübertragen, weil im wesentlichen die Länder und die Kommunen Eigentümer sind?
Herr Luther, ich glaube, ich habe Ihnen die Antwort deutlich genug gegeben.
Gerald Häfner
Sie stellen jetzt eine ganz generelle Frage mit der Schrotflinte. Ich habe Ihnen gesagt, daß wir vor dem Grundsatz Rückgabe vor Entschädigung gewarnt haben, weil wir schließlich wußten, was das bedeutet. Sie erinnern sich daran, Sie haben das in der 11. und 12. Legislaturperiode ja mit vollzogen.
Sie haben aber diesen Grundsatz beschlossen. Nun wollen Sie, daß ich von hier aus fordere, die Länder und Kommunen hätten ihn anzuwenden. Aber da, wo der Bund betroffen ist und wo Sie selber die Verantwortung tragen, wollen Sie ihn nicht anwenden. Das geht mir wirklich nicht in den Kopf.
- Es gibt im übrigen, lieber Herr Luther, in meinen Augen keine Grundstücke von vergleichbarer rechtlicher und politischer Brisanz wie die Mauergrundstücke. Ich bin auch überhaupt nicht der Meinung - das ist ja immer wieder Ihr Thema -, daß wir dieses Problem etwa dem des Bergbaus gleichsetzen können. Enteignungen zum Zwecke des Bergbaus gab es auch im Westen, auch wenn das etwas anders als in der DDR ablief; das weiß ich wohl. Aber eine Mauer mitten durch die Stadt und zwischen zwei Staaten mit Minenfeld und Schießbefehl, das gab es nur in Berlin.
Diese Enteignungen zum Zwecke des Mauerbaus waren also ganz besonderes Unrecht.
Und wenn sie Unrecht waren, dann kann der Bund - das ist das Thema heute - doch nicht den ursprünglichen Eigentümern sagen: Ihr könnt eure Grundstücke von uns zurückkaufen. Man kann doch nur etwas verkaufen, was man rechtmäßig erworben hat. Wenn es aber dem Bund nicht rechtmäßig gehört, dann kann er es doch nicht verkaufen und damit noch ein Geschäft machen. Da werden Sie mir doch wohl zustimmen müssen.
Herr Kollege Luther, zunächst muß ich Sie darauf hinweisen: Wenn Sie eine Frage stellen, müssen Sie bis zum Ende der Antwort stehenbleiben, auch wenn die Antwort Ihnen nicht gefällt. So sind die Regeln hier.
Jetzt hat sich Herr Kollege Krziskewitz zu einer Zwischenfrage gemeldet. Gestatten Sie die Zwischenfrage?
Ja.
Herr Kollege, f inden Sie nicht - unabhängig von einer parteipolitischen Einstellung -, daß beide Gesetzesanträge, so wie sie vorliegen, die Gefahr heraufbeschwören, daß wir hier nicht ein Kapitel beenden, sondern für eine
Unmenge von neuen Rechtsstreitigkeiten eine Tür aufmachen? Vielleicht ist Ihnen das nicht so präsent, weil diese Dinge für Sie nicht so spektakulär sind. Aber beim Bau einer NVA-Kaserne, eines Flugplatzes, eines Schießplatzes, eines Gefängnisses oder einer Stasi-Anlage beispielsweise - man kann das Ganze fortführen - ist der Zweck, von dem Sie vorhin sprachen, die Enteignung, weggefallen. Es wurde entschädigt.
Sehen Sie nicht die Gefahr, daß wir hier nicht zu einem Rechtsfrieden kommen werden? Ich befürchte - es ist egal, welches Gesetz wir annehmen -, wir werden eine Situation bekommen, in der wir die Dinge wie die Schalen von einer Zwiebel abnehmen. Eine Sache wird der anderen folgen.
- Ich verstehe nicht, weshalb die Kollegin so schreit. Das hat jetzt wirklich nichts mit Parteipolitik zu tun.
Jetzt müssen Sie aber ein Fragezeichen setzen.
Ich würde gerne wissen, wie Ihre Meinung dazu ist.
Lieber Herr Kollege, ich will Ihnen gerne eine Antwort darauf geben. Ich bin mir der Problematik sehr wohl bewußt. Sie haben die Beispiele, Kasernen und vieles andere mehr, angesprochen. Gerade weil wir uns der Problematik bewußt sind, haben wir hier einen Gesetzentwurf vorgelegt bzw. unterstützt - es ist ja ursprünglich ein Gesetzentwurf des Landes Berlin, eingebracht über den Bundesrat -, der sich hinsichtlich der Rückgabe auf die Mauergrundstücke, die Grundstücke zur Sicherung der Grenzanlagen in Berlin und Brandenburg, beschränkt. Sie kennen den Gesetzentwurf genausogut wie ich.
Ich habe den Eindruck, daß Sie mit Ihren ständigen Fragen nach anderen Grundstücken, die zum Teil auch anders behandelt werden müssen, von dem eigentlichen Skandal ablenken wollen, daß Sie nämlich in diesem Bereich - ich rede nur von den Mauergrundstücken; ich weiß, daß Sie viel lieber über anderes und sehr ungerne hierüber reden, aber ich rede nun eben mal von den Mauergrundstücken, und ich finde, das sollten auch Sie tun, wenn dies heute abend so auf der Tagesordnung steht -
zu einer Rückgabe nicht bereit sind. Sie würden sich - lassen Sie mich das ruhig einmal ein bißchen juristisch sagen -, wenn Grundstücke unter das Sachenrecht fielen, der Hehlerei schuldig machen, weil Sie etwas verkaufen wollen, was Ihnen nicht gehört. Verkaufen kann man nur, was einem gehört.
Aber wenn - und ich stelle fest: da hat mir noch keiner widersprochen - die Enteignungen zum Zwecke des Mauerbaus Unrecht waren, dann kann man doch jetzt nicht den Eigentümern ihre eigenen
Gerald Häfner
Grundstücke verkaufen, sondern man muß sie sofort und uneingeschränkt zurückgeben. - Ich hoffe, das hat Ihre Frage beantwortet.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Geis, Herr Häfner?
Bitte schön.
Bitte.
Herr Kollege Häfner, würden Sie mir darin zustimmen, daß Sie dann, wenn Sie sagen, das Eigentum an der Mauer für den Bund sei Unrecht, auch sagen müßten, daß für den Bund und die Länder der Besitz von Grundstücken draußen, auf denen Stasi-Häuser standen und auf denen sonstige Unterjochungsinstitute, Gefängnisse usw., errichtet worden sind, eigentlich ebenfalls unrechtmäßig ist? Oder stimmen Sie mir in der grundlegenden Entscheidung zu, die wir im Vermögensgesetz getroffen haben, wo wir sagen: Wir geben dann zurück, wenn ohne Entschädigung enteignet worden ist, und wir behalten grundsätzlich dort, wo gegen Entschädigung enteignet worden ist? Sie wissen doch hoffentlich genausogut wie ich, daß bei den Mauergrundstücken gegen Entschädigung enteignet worden ist und wir uns natürlich in der Abgrenzung dieser Grundstücke zu den anderen Grundstücken draußen im Land etwas schwertun.
Lieber Herr Kollege Geis, ich kann trotz Ihrer Ausführlichkeit den Unterschied Ihrer Frage zu der eben bereits durch den Kollegen gestellten Frage nicht erkennen. Ich will aber gerne auch noch eine Antwort geben.
Sie wollen jetzt wieder die Debatte über die ungeregelten Fragen im Vermögensgesetz haben. Die können Sie gerne auch bekommen. Ich muß mich hier jetzt nur leider etwas beschränken, weil ich dann schon noch etwas zu den Mauergrundstücken sagen möchte.
Sie haben dagegen immer die Tendenz, alles mögliche draufzusatteln. Sie packen darunter Vergleichbares und Nichtvergleichbares. Das macht die Sache schwieriger.
Der Kollege Luther - er hat sich vorhin als erster gemeldet - hätte darunter auch gern den Bergbau und anderes gepackt. Da sind wir der Meinung, daß man das unterschiedlich behandeln muß.
Lassen Sie uns deshalb jetzt bitte nicht - ich habe das schon einmal gesagt - mit der Schrotflinte im Nebel herumschießen, sondern lassen Sie uns jetzt die Debatte zu dem führen, was hier seit vielen Jahren auf der Tagesordnung steht, nämlich zur Frage der Mauergrundstücke.
In der Mauerfrage aber windet sich die Bundesregierung. Ich habe vorhin bereits gesagt: Alle haben sie damals als „Schandmal" und „Dokument des Unrechts" bezeichnet. Plötzlich heißt es in der schriftlichen Gegenäußerung der Bundesregierung nur noch, es handele sich um Grundstücke mit „Symbolcharakter". Die Mauer stand für die zentrale ungelöste Frage der Nachkriegsordnung. Plötzlich ziert man sich, zu sagen: Sie war von Anfang an Unrecht.
- Doch, ich lese Ihnen das gern vor.
Der Skandal dabei ist, daß man im Grunde nachträglich von einer Maßnahme profitieren möchte, die wir alle in gleicher Weise verabscheuungswürdig finden, indem man den Betroffenen jetzt anbietet: Ihr könnt eure Mauergrundstücke - die der Bund niemals rechtmäßig erworben hat und die ihm auch nicht gehören dürften - jetzt verbilligt - wir geben euch sogar Rabatt - von uns zurückkaufen. Das ist meine Antwort, Herr Geis; das müssen Sie ertragen.
Lassen Sie mich noch eines zum Bundesjustizminister - denn er weilt gerade unter uns - sagen.
- Es ist meine große Hoffnung, daß Sie, Herr Bundesminister, in dieser Debatte noch klärend das Wort ergreifen; denn ich habe bereits, als Sie in Ihr Amt eingeführt wurden und hier Ihre erste Rede nach der Vereidigung gehalten haben, mit meinen Glückwünschen an Sie die Hoffnung verbunden - Sie erinnern sich daran -,
daß nun wenigstens die Eigentümer der Mauergrundstücke aufatmen können, und zwar deswegen, weil ich mir damals schlechterdings noch nicht vorstellen konnte, daß der Bundesjustizminister Schmidt-Jortzig plötzlich anderer Meinung sein könnte, als Sie noch der Abgeordnete Schmidt-Jortzig
klipp und klar in allen Debatten hier vertreten hat.
Der Abgeordnete Schmidt-Jortzig hat nämlich, weil er rechtskundig ist, von Anfang an gesagt: Das war Unrecht, die Grundstücke müssen vollständig zurückgegeben werden, da gibt es überhaupt kein Vertun; dafür stehe ich. Er hat auf Nachfrage des Kollegen Krüger gesagt: Dafür stehe nicht nur ich, sondern dafür steht meine gesamte Fraktion, dafür steht die F.D.P. im Deutschen Bundestag. So steht es im Protokoll.
Gerald Häfner
Weil aber der unsägliche Antrag, über den wir heute abstimmen müssen, den Absender „CDU/ CSU- und F.D.P.-Fraktion" trägt, frage ich mich, ob die Liberalen - noch dazu kurz vor den anstehenden Landtagswahlen, in denen es wirklich um ihre Existenz geht und derentwegen sie erklärt haben, nun wollten sie eine Zeitlang nicht mehr umfallen, sondern Standfestigkeit beweisen - in dieser rechtsstaatlich sehr wichtigen Frage wirklich umfallen wollen. Deswegen freue ich mich auf Ihre Ausführungen.
Ich werde übrigens nicht nur Ihre Ausführungen beachten, Herr Schmidt-Jortzig, Herr Kleinert und die anderen, sondern ich werde auch Ihr Abstimmungsverhalten aufmerksam beobachten.
- In dem Fall, Herr Geis, geht es nicht um Kompromiß.
- Nein, man kann Kompromisse machen, jederzeit, aber doch nicht zwischen Recht und Willkür bzw. Unrecht. Es gibt keinen Kompromiß mit dem Verbrechen, Herr Geis.
Wenn der Mauerbau ein Verbrechen war, dann kann man hier keine Kompromisse schließen, dann müssen die Grundstücke zurückgegeben werden; das steht klipp und klar fest.
Wir wollen jetzt also sehen, wie sich die Liberalen in dieser Abstimmung verhalten; denn mich interessiert schon, inwieweit Bürgerrechte, Grundrechte und auch - um Ihnen damit eine Brücke zu bauen - der Schutz des Eigentums, also insgesamt die Individualrechtssphäre gegenüber dem Staat in dieser Partei noch eine Rolle spielt.
Lassen Sie mich noch ein letztes sagen: Sie haben im Gesetzentwurf einen Fonds vorgesehen - das ist ja immer etwas Schönes -, Sie wollen die Einnahmen aus diesem in meinen Augen widerrechtlichen Verkauf für die Förderung von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Zwecken in den neuen Ländern ausgeben. Die PDS hört sofort schon das Geld klimpern und stellt einen Antrag, wie diese Einnahmen verteilt werden sollen.
Dem könnte man gern zustimmen, wenn man überzeugt wäre, daß es überhaupt nennenswerte Einnahmen gibt. Ich bin da aber gar nicht so sicher. Das ist auch der Grund, warum wir dem PDS-Antrag nicht zugestimmt hätten. Wir halten es nämlich für ziemlich unseriös, Gelder zu verteilen, solange nicht im Ansatz klar ist, welche Gelder überhaupt zur Verfügung stehen. Die Bundesregierung hat mir bislang darauf auch keine Antwort geben können.
Das Problem ist nämlich folgendes: Im Gesetzentwurf steht auch noch: „Will der Bund ein Grundstück für eigene Zwecke verwenden oder an Dritte veräußern, lehnt er den Erwerbsantrag ab." Damit wird es noch schlimmer. Sie sagen den Betroffenen nicht nur: Ihr könnt euer Eigentum, eure eigenen Grundstücke gerne von uns zurückkaufen. Sie sagen sogar: Wenn wir das Grundstück selber behalten oder verwerten, kriegt ihr es gar nicht, dann könnt ihr es noch nicht einmal zurückkaufen. Für diesen Fall sieht das Gesetz dann eine Entschädigungsregelung vor, wobei der Betrag für Entschädigung von dem Geld der anderen Eigentümer genommen werden soll, die ja alle ihren Kaufpreis gegenüber dem Bund entrichten mußten.
Das halte ich nicht nur für in hohem Maße unrechtmäßig, sondern das wirft bei mir auch die Frage auf, ob es am Ende für die „wahren Opfer" - wie Sie das im Ausschuß formuliert haben - überhaupt noch Geld zu verteilen geben wird.
Einem solchen Gesetz - das werden Sie verstehen - kann man nicht nur nicht zustimmen; ein solches Gesetz ist skandalös, in Paragraphen gegossenes Unrecht.
Sie bereichern sich an den Opfern. Dieses Gesetz wird, wenn es hier Ihre Zustimmung findet, spätestens vor dem Bundesverfassungsgericht scheitern.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Kollege Detlef Kleinert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es ist schon eine große Freude, all den begeisterten Verfechtern des Privateigentums hier heute abend zuzuhören, die auf Ihrer Seite emporsprießen wie die Spargel nach dem Regen, wenn es sich um eine Auswahl von Grundstücken handelt.
Ihr Eigentumsbegriff ist hochspezialisiert. Wir haben von Herrn Häfner eben gehört: Nur über die Mauergrundstücke wird geredet. Über Leute, die bei Nacht und Nebel von jahrhundertelang bewirtschaftetem Besitz vertrieben worden sind, die eingesperrt worden sind, damit sie die weiteren Maßnahmen nicht stören, die niemals etwas zurückbekommen haben und bei denen auch von 75 Prozent Entschädigung nicht im geringsten die Rede sein kann, haben wir von Ihnen nichts gehört.
Wir wären ja so gern bereit, Ihnen zu folgen, wenn Sie, wie es eine vernünftige Politik erfordert, alle Dinge einigermaßen gleichmäßig betrachten und uns
Detlef Kleinert
dann mit Ihren hehren Einsichten voranschreiten würden. Aber das Gegenteil ist doch der Fall.
Das EALG ist von Sozialdemokraten und insbesondere von sozialdemokratisch regierten Bundesländern, vor allem vom Lande Brandenburg, zerschossen worden. Mehrere Sachenrechtsbereinigungsgesetze sind von sozialdemokratischer Seite auf ein Minimum zurückgeführt worden - zu Lasten der Eigentümer.
Nachdem wir jetzt mit Ihrer freundlichen Hilfe diese Situation haben, kommen Sie daher und fragen uns - zum Beispiel die Freien Demokraten, ich habe das sehr wohl gehört -, warum wir zurückweichen.
Ich will es Ihnen sagen: Weil wir uns bei denen entschuldigen müssen, weil wir die um Vergebung bitten müssen, die diese Grundstücke hatten, die sie sich erarbeitet haben oder deren Eltern sie sich erarbeitet haben und die sie dann verloren haben, ohne daß wir sie ihnen jetzt vollständig und ohne eine Gegenleistung zurückgeben.
Aber wir entschuldigen uns doch nicht etwa bei Ihnen, die Sie dazu beigetragen haben, dieses unglaubliche Durcheinander, diese unglaubliche Verletzung von Eigentum herbeizuführen.
Und noch toller sind ja die Freunde von der PDS. Das ist ja das Allertollste. Sie sagen allen Ernstes im Rechtsausschuß, wir sollten uns für das Eigentum einsetzen.
Herr Kollege Kleinert, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Fischer?
Ja, bitte.
Herr Kollege Kleinert, Sie haben jetzt verschiedene Sachverhalte angeführt. Könnten Sie sich mir insoweit anschließen, als es nicht zuletzt auf Grund der in vielen Diskussionen erworbenen Sensibilität sehr leicht möglich ist, daß man sich ganz schnell auf Glatteis begibt, wenn man bei der Bewertung der Diktaturen, die in Deutschland hinter uns liegen, zu vergleichen versucht? Würden Sie mir recht geben, daß es uns nicht viel weiter führt, wenn Sie anderes Unrecht anführen, um damit zu rechtfertigen, daß man dieses Unrecht jetzt hinnehmen müsse und ihm im nachhinein dadurch Geltung verschafft, daß man sagt: Ihr bekommt es nicht zurück, sondern ihr müßt es kaufen, was euch einmal weggenommen wurde?
Ich bin vollkommen mit Ihnen einig, Frau Kollegin. Ich habe gar nichts gegen das, was Sie eben dargestellt haben. Nur bin ich der Meinung: Bei der Bewältigung dieses speziellen Unrechts darf man nicht nur auf einen Punkt, auf einen Ausschnitt schauen, sondern man muß auf alle schauen, die dieses Unrecht an unterschiedlichen Stellen zu erleiden hatten. Daher kornmen doch unsere Probleme bei der Bewältigung des Unrechts im Bereich der Mauergrundstücke. Deshalb ziehe ich Parallelen zu anderen Fällen von Enteignung.
Selbst dieses Unrecht hat dazu geführt, daß nach dem Recht der Bund Eigentümer dieser Grundstücke geworden ist, im Gegensatz zu den Vermutungen des Herrn Kollegen Häfner. Bei solchen Rechtsvermutungen kann ich den Geschädigten nur empfehlen, sich an Sie zu wenden und sich vertreten zu lassen. Diese Rechtsvermutungen werden keinen Bestand haben.
Ich sage also, Frau Kollegin, alle Fälle gehören mit in unsere Betrachtung, nicht weil wir das eine Unrecht mit einem anderen erwidern wollen, sondern weil wir bei der Bewältigung des Unrechts halbwegs gleichmäßig verfahren wollen. Da liegt die Krux, da liegt das Problem, dem wir uns gegenübergesehen haben, zustimmen zu sollen, daß Leute ihr eigenes Grundstück zurückkaufen, und sei es auch nur mit 25 Prozent des tatsächlichen Wertes. Damit tun wir uns sehr schwer. Aber der Blick auf all die anderen, denen es viel schlechter geht, bestärkt uns in unserem Vorgehen.
Daß sich diejenigen, die all die Schwierigkeiten in allen anderen Fragen der Bewältigung dieses Unrechts mitverursacht haben, in der SPD und bei den Grünen und in der PDS, die das Ganze überhaupt mit herbeigeführt haben,
einen Einzelfall herausgreifen und denken, sie könnten uns vorführen, das ist doch abwegig.
Die Sache ist ganz einfach - das ist auch das, was die Geschädigten schließlich verstehen -: Entweder wir schieben diese Sache noch einmal fünf Jahre, in dem verzweifelten Versuch, mit unterschiedlichsten politischen Kräften zu einer Einigung zu kommen, und so lange bekommt niemand etwas, und so lange bleibt ein ganz wichtiger Teil der neuen Bundeshauptstadt wegen Unsicherheiten im Planungs- und Eigentumsrecht unbebaut, oder wir sagen zähneknirschend, daß 25 Prozent zugezahlt oder nachgelassen werden. Aber es gibt jedenfalls mehr, als Sie das einer Fülle von anderen Geschädigten je zuzubilligen bereit gewesen sind.
Deshalb haben wir uns in dieser Frage entgegen unseren - allerdings im Gegensatz zu Ihren Ansichten ganz durchgängigen - Ansichten über Eigentum schließlich entschlossen, nachzugeben, damit etwas Vernünftiges geschieht. Diejenigen, die es betrifft, werden es uns zum Schluß, obwohl sie lieber mehr gehabt hätten, danken.
Wir sind froh, daß wir daran mitgewirkt haben, ein gehöriges Stück vernünftig weiterzukommen.
Danke schön.
Das Wort hat der Kollege Dr. Heuer, PDS.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte gleich Herrn Kleinert sagen: Ich habe das Ganze nicht herbeigeführt.
Es geht heute um zwei eng miteinander zusammenhängende Fragen, um Grund und Boden, und zwar von sehr erheblichem Wert - die Schätzungen schwanken zwischen 2,7 und 1 Milliarde DM -, einerseits und Grundfragen der Rechtspolitik andererseits. Ich möchte mich vor allem den Grundfragen der Rechtspolitik zuwenden.
Die Frage ist: Gibt es einen Anspruch auf Rückgabe oder nicht? Ist das Vermögensgesetz anwendbar oder nicht? Waren die Enteignungen an der Mauer - ich rede nicht über andere Dinge an der Mauer, sondern über die Enteignungen - unrecht oder nicht? Herr Mahlo hat gesagt, so könnte man das nicht sagen. Ich meine, man muß sich zu diesen Fragen äußern.
Die Bundesregierung hat immer wieder erklärt - und sie erklärt es auch jetzt - es habe sich nicht um Akte individueller Verfolgung gehandelt. Die Enteignung geschah nach gesetzlicher Grundlage mit Entschädigung in einer sicherlich geringen Höhe, wie sie aber dem Wert von Immobilien in der DDR entsprach. Auch ein Stasi-General, hätte er denn dort ein Grundstück besessen, wäre enteignet worden.
Damit gibt es - darauf hat Herr Krziskewitz ja hingewiesen - keine überzeugenden Abgrenzungskriterien gegenüber anderen Gruppen von auf gesetzlicher Grundlage in der DDR Enteigneten. Es gab keinen Verstoß gegen geltendes Recht, keine Unvereinbarkeit mit rechtsstaatlichen Grundsätzen und keinen Anspruch.
- Nein, aber soweit die Auffassung der Bundesregierung.
Dabei spielen natürlich auch fiskalische Interessen eine Rolle. Das ist hier mit Recht festgestellt worden. Die Gegenposition, die auf verständlichen Interessen der Enteigneten beruht, bezieht sich in hohem Maße auf den Charakter des Staates als Unrechtsstaat und auf Unrecht.
Dietrich Blumenwitz weist in seinem Gutachten darauf hin - das ist Ihnen allen zugegangen -, daß die Mauer sinnfälliger Ausdruck des Unrechtsregimes war und dem Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes entgegenstand.
Es ist so, daß sie sicher dem Grundgesetz entgegenstand, aber das Grundgesetz galt nicht in der DDR. Das müssen Sie mir einräumen.
Selbst wenn ein Völkerrechtsverstoß vorlag, führt das nach überwiegender Meinung nicht zur Nichtigkeit der Verwaltungsakte.
Die Position von Blumenwitz und anderen - das halte ich für das eigentliche Problem - hat sehr viel mehr Ansprüche zur Folge. Sie konnten am 6. Februar in der „FAZ" lesen, daß neue Entscheidungen zwangsläufig folgen müssen. Dabei wird auf die Enteignungen von 1945 bis 1949 Bezug genommen. Dort wurde bekanntlich nicht einmal entschädigt.
Im Einigungsvertrag hatten sich beide deutschen Staaten als Völkerrechtssubjekte geeinigt. Damit war endgültig die Diskriminierung eines der Partner als Unrechtsstaat ausgeschlossen. Entsprechend war auch der Einigungsvertrag entsprechend ausgestaltet, beispielsweise die Regelung des Art. 19 hinsichtlich der Weitergeltung von Verwaltungsakten. Die Bundesregierung hat ihre Gründe, an der Position des Einigungsvertrages festzuhalten; wir haben die unseren.
Was nicht geht, ist, aus der juristischen Logik herauszuspringen und, wo es einem paßt oder der Druck zu stark ist, sie durch Moral zu ersetzen. Das ist in meinen Augen das Problem der Position von SPD und Bündnis 90/Die Grünen.
Etwas ganz anderes dagegen ist die Bereitschaft, vernünftige Lösungen für die Betroffenen zu finden, zu denen ich allerdings nicht die Immobiliengesellschaften zählen möchte.
Der Entwurf der Koalitionsparteien ist ein Kompromiß. Die Gruppe der PDS unterstützt, daß die ehemaligen Eigentümer von Mauergrundstücken und deren Erben diese Grundstücke zu relativ günstigen Bedingungen kaufen können bzw. eine entsprechende Geldleistung aus der Veräußerung erhalten.
Dabei haben wir im einzelnen eine unterschiedliche Sicht der Höhe des Kaufpreises. Auch wir wissen nicht ganz, wo die 25 Prozent hergeleitet werden. Immerhin sind das alles deutlich günstigere Bedingungen, als nach dem Sachenrechtsänderungsgesetz.
Voraussetzung dafür ist allerdings, daß hier kein Tor geöffnet wird für eine schrittweise Rückgängigmachung aller Enteignungen in der sowjetischen Besatzungszone, in der DDR und möglicherweise sogar darüber hinaus.
Deshalb kann die Mehrheit der Gruppe der PDS dem Änderungsantrag der SPD nicht zustimmen.
Die Bildung des Fonds nach § 3 im Koalitionsentwurf findet meine Zustimmung. Hier entsteht die Chance einer sozialverträglichen Lösung über den Einzelfall hinaus. Allerdings meinen wir, daß man konkreter festlegen sollte, wer dort etwas erhält. Wir
Dr. Uwe-Jens Heuer
sind der Meinung, man sollte auch diejenigen berücksichtigen, deren Lebensmittelpunkt im Osten gegenwärtig durch die radikale Veränderung der Verhältnisse bedroht ist.
Herr Kollege Heuer, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Aber bitte schön.
Sehr geehrter Herr Kollege Professor Heuer! Sie haben eben begründet, daß Sie dem Änderungsantrag der SPD-Bundestagsfraktion nicht beitreten können. Ich frage Sie: Wie bewerten Sie denn die Tatsache, daß durch Abgeordnete Ihrer Gruppe vor Ort, das heißt, in Berlin, in Medien die Meinung vertreten wird, daß sich Ihre Gruppe hier im Bundestag für die Rückgabe der Mauergrundstücke ohne Wenn und Aber einsetzen wird?
Wie Sie vielleicht schon bemerkt haben, unterscheidet sich unsere Gruppe von den Fraktionen auch dadurch, daß es unterschiedliche, auch öffentlich geäußerte Ansichten gibt, daß wir auch im Parlament unterschiedlich abstimmen. Der Fraktionszwang gilt für uns nicht in der Schärfe wie für Sie. Ich habe ausdrücklich erklärt: Die Mehrheit der Gruppe vertritt diese Position. - Sind Sie damit zufrieden, lieber Herr Kollege Hacker?
Ja, ich bedanke mich.
Bitte schön.
Ich meine also, es sollte gesichert werden, daß dieser Fonds auch denen zugute kommt, die im Osten heute Belastungen haben, die ebenfalls für sie sehr schwer sind und die große Probleme haben, durch die radikale Änderung der Verhältnisse, insbesondere in bezug auf Grundstücke, auf Datschen und ähnliches.
Außerdem meinen wir, daß der Fonds dazu verwandt werden sollte, die längst fällige Erhöhung der Entschädigung für politisch Verfolgte in der DDR zu finanzieren. Wir meinen also, daß auch auf diesem Wege eine sozialverträgliche Lösung geschaffen werden kann.
Unser Hauptproblem besteht darin, daß eine Weiterwirkung etwa in bezug auf verschiedene andere Enteignungen, insbesondere auf die Rückgabe des früheren Großgrundbesitzes der volkseigenen Güter, nicht stattfindet. Das würden wir für verhängnisvoll halten. Insofern begrüßen wir in diesem Punkt die Position der Bundesregierung.
Danke schön.
Das Wort hat Frau Dr. Peschel-Gutzeit, Senatorin für Justiz, Berlin.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie beschließen heute über die rechtliche Behandlung von Grundstücken, die im Rahmen des Baus der Berliner Mauer und im Rahmen des Ausbaus des Todesstreifens quer durch Deutschland von den ehemaligen Machthabern der DDR enteignet wurden.
Es liegen Ihnen zwei Entwürfe vor. Einmal geht es um den von Berlin initiierten Bundesratsentwurf, der eine Rückgabe der Mauer- und Grenzgrundstücke nach den Regeln des Vermögensgesetzes vorsieht.
Zum anderen gibt es den Koalitionsentwurf, der den zum Zwecke des Mauerbaus Enteigneten die Möglichkeit einräumen soll, ihre eigenen Grundstücke zu einem reduzierten Preis zurückzukaufen.
Vor mehr als einem Jahr habe ich in diesem Hohen Hause anläßlich der ersten Lesung des Bundesratsentwurfes gesprochen. Seither habe ich auf den Tag gewartet, an dem es endlich zu einer gesetzlichen Regelung für die Mauer- und Grenzgrundstücke kommt. Im Hinblick auf den jetzt von den Koalitionsfraktionen eingebrachten Änderungsentwurf sehe ich aber der bevorstehenden Abstimmung eher beklommen entgegen.
Ich sollte vielleicht sagen: Ich spreche hier für das von einer Großen Koalition regierte Land Berlin. Die Bedenken gegen den jetzt gefaßten Koalitionsantrag werden von dem gesamten Berliner Senat getragen und sind in einem Beschluß des Senats vom 6. Februar dieses Jahres nochmals bekräftigt worden.
Ich spreche also hier in Vertretung des Regierenden Bürgermeisters für das Land Berlin.
Bisher bin ich immer davon ausgegangen, daß auch die Koalitionsfraktionen weitgehend darin übereinstimmen, daß es ein unerträglicher Zustand ist, wenn sich der Gesamtstaat Bundesrepublik vorhalten lassen muß, er habe sich über die Brücke ehemaliger Verteidigungsanlagen der DDR zu Lasten der früheren Eigentümer an den Mauer- und Grenzgrundstükken bereichert.
Denn es ist uns allen klar, daß Mauer und Todesstreifen quer durch Deutschland keine Verteidigungsanlagen der DDR waren, sondern Machwerke, die allein dem Zweck dienten, die eigenen Bürger einzusperren, und zwar notfalls unter Einsatz gezielter Todesschüsse.
Insofern hatte ich in Kenntnis aller unterschiedlichen Meinungen innerhalb der die Bundesregierung
Senatorin Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit
tragenden Parteien erwartet, daß diese zu einem Kompromiß finden, der zumindest ausschließt, daß sich der Bund an diesen Grundstücken schließlich bereichert.
Um so größer war und ist meine Enttäuschung, als ich mir den Koalitionsantrag näher angesehen habe. Denn ein Ergebnis ist offenkundig: Ungeachtet aller früheren Beteuerungen hat das fiskalische Interesse des Bundes an den Mauergrundstücken gesiegt. Wird der vorliegende Antrag Gesetz, dann hat sich die Bundesregierung 25 Prozent des Wertes der Mauer- und Grenzgrundstücke gesichert. Besonders wenig kann akzeptiert werden, daß hier eine Regelung durchgesetzt werden soll, die es der Bundesregierung ermöglicht, sich nach eigenem Ermessen jedes beliebige Mauergrundstück auszusuchen, um es sich dann von den übrigen Enteignungsopfern bezahlen zu lassen.
Frau Senatorin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Geis?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Im Augenblick würde ich gerne weitersprechen.
Das ist nun wirklich keine Lösung, die dem berechtigten Anliegen der Betroffenen gerecht wird.
Auch wenn einige in der Koalition den vom Bundesrat beschlossenen Weg nicht mitgehen wollen, so muß die Koalition doch eine Lösung finden, die zumindest ausschließt, daß sich der Staat an den Mauergrundstücken bereichert.
Alles andere ist unanständig und wird dadurch, daß versucht wird, die Bereicherungsabsicht zu verschleiern, noch schlimmer.
Nach § 1 Abs. 3 des Koalitionsentwurfs kann der Bund nach freiem Ermessen Mauergrundstücke für eigene Zwecke verwenden
oder sogar an Dritte veräußern. In diesen Fällen braucht er lediglich den Erwerbsantrag des enteigneten Alteigentümers abzulehnen. Der Alteigentümer erhält dann einen Anspruch auf Zahlung von 75 Prozent des Verkehrswerts des Grundstücks. § 2 Abs. 1 sieht nun vor, daß dieser Entschädigungsanspruch in Höhe von 75 Prozent bei der Veräußerung von Mauer- und Grenzgrundstücken zu leisten ist.
Das Ergebnis liegt auf der Hand: Der Bund sucht sich nach seinem Ermessen Filetgrundstücke aus und läßt sie sich von den anderen Enteignungsopfern, die ihre Grundstücke mit 25 Prozent zurückkaufen müssen, bezahlen.
Die fiskalische Bereicherung ist unübersehbar.
Meine Damen und Herren, haben Sie sich durch die Regelung in § 4 vielleicht in die Irre leiten lassen? Nach § 4 soll ein Fonds zur Förderung von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Zwecken errichtet werden.
Diesem Fonds sollen die Einnahmen aus der Veräußerung der Mauer- und Grenzgrundstücke zufließen.
- Ich finde es fabelhaft, wie lebhaft Sie plötzlich geworden sind.
Zwischenrufe sind erlaubt, jedoch keine Dauerzwischenrufe.
Bitte, Frau Kollegin.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Vielleicht sollten Sie erst einmal zuhören. Ich werde das belegen.
Die Regelung, die Sie vorschlagen, ist in Wahrheit eine Verschleierung des tatsächlich Gewollten.
Gestatten Sie, Frau Senatorin? - Herr Feilcke, es steht jedem Redner frei, Zwischenfragen zuzulassen oder nicht. So steht es in unserer Geschäftsordnung, die Sie mit beschlossen haben.
Die Rednerin hat gesagt, sie lasse keine Zwischenfragen zu. Es gibt andere parlamentarische Möglichkeiten, sich zu äußern. Sie können beispielsweise eine Kurzintervention machen. Bitte halten Sie sich an die Geschäftsordnung, und diskutieren Sie mit mir nicht darüber, wie ich sie auslege.
Bitte, Frau Senatorin.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich danke Ihnen.
Senatorin Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit
Die Fondsvorschrift dient allein dem Zweck, die fiskalische Begehrlichkeit des Bundes zu verdecken. Ohne diese Vorschrift wäre der Entwurf zumindest ehrlicher. Er würde klipp und klar sagen, daß sich der Bund 25 Prozent des Wertes der Grundstücke sichern will.
Die Bundesregierung hat es nach § 4 des Entwurfs völlig in der Hand, welche Mittel in den Fonds gelangen; denn die Verkaufserlöse fließen schließlich nur dann in den Fonds, wenn die Bundesregierung sie nicht für den Erwerb von Grundstücken einsetzt, die sie entweder selbst benötigt oder aber an Dritte veräußern will.
Das Parlament ist dabei ausgeschaltet. Insofern ist es Augenwischerei, wenn eine Beteiligung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages bei der Ausgabe der Fondsmittel vorgesehen ist; denn, wie gesagt, bei dem eigentlich wesentlichen Punkt, nämlich bei der Frage, welche Mittel überhaupt in den Fonds gelangen, hat das Parlament kein Wort mitzureden.
: Richtig!)
Selbst dann aber, wenn tatsächlich Geld in den Fonds gelangen sollte, bietet der Entwurf keine Gewähr dafür, daß die Fondsmittel nicht zur Förderung von solchen gemeinnützigen Zwecken ausgegeben werden, die der Bund ohnehin bereits auf Grund bestehender rechtlicher Verpflichtungen leisten müßte.
Ich frage insbesondere die Mitglieder der F.D.P., die sich in der Vergangenheit immer für eine Rückgabe der Mauer- und Grenzgrundstücke an die früheren Eigentümer eingesetzt haben; ich frage auch diejenigen Abgeordneten von der CDU und CSU, die es in der Vergangenheit mit uns als unanständig und unerträglich angesehen haben, daß sich der Staat an den Mauergrundstücken bereichert: Ist der vorliegende Koalitionsentwurf wirklich das, was Sie gewollt haben? Kann es für die Mauergrundstücke eine Lösung geben, die nur zu 75 Prozent gerecht, aber zu 25 Prozent unanständig und unerträglich bleibt? Kann man die Glaubwürdigkeit des Rechtsstaates derart teilen? Oder haben Sie einfach übersehen, daß Ihnen hier ein Entwurf vorgelegt wird, der dem Bund 25 Prozent des Wertes der Mauer- und Grenzgrundstücke ungeniert sichert? Ich frage den Bundesminister der Justiz, der als Abgeordneter am 1. Juni des letzten Jahres in diesem Hohen Hause gesagt hat, er unterstütze den Bundesratsentwurf, wie und warum er sich auf einen solchen Kompromiß einlassen kann.
Sie, Herr Bundesminister, haben damals versprochen, die noch widerstrebenden Kollegen in der
CDU auf den Pfad der Tugend zu bringen. Ist dies der Pfad der Tugend?
Ich zitiere aus einer Pressemitteilung der F.D.P. vom Oktober letzten Jahres. Darin heißt es:
Die Bundestagsfraktion der F.D.P. ist nach wie vor der Ansicht, daß es im Interesse der Glaubwürdigkeit des Rechtsstaates nicht akzeptabel sei, daß die Bundesrepublik Grundstücke der ehemaligen Verteidigungsanlagen der DDR ihrem Vermögen einverleibt und zu fiskalpolitischen Transaktionen mißbraucht.
Ich denke, wir sollten uns auch noch einem anderen Gedanken zuwenden. Bei der Beratung des Zweiten SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes ist das Problem der Mauergrundstücke, wie ich weiß, ausführlich beraten worden. Dabei ist von allen Abgeordneten immer wieder betont worden, fiskalische Erwägungen dürften bei der Regelung der Problematik der Mauer- und Grenzgrundstücke keine Rolle spielen.
Wie aber kommen diese Abgeordneten dann zu einer Regelung, die der Bundesrepublik Deutschland nunmehr 25 Prozent der Erlöse sichert?
Diese 25 Prozent,
wieviel Millionen es auch sein mögen, wiegen auf keinen Fall den dauerhaften Schaden auf, der für das Ansehen unseres Rechtsstaates damit verbunden ist.
Deshalb bitte ich Sie eindringlich, dem vorliegenden Gesetzentwurf der Koalition nicht zuzustimmen.
Falls sich die Koalitionsabgeordneten nicht dazu entschließen können, heute dem Bundesratsentwurf zuzustimmen, den die SPD übernommen hat, bitte ich Sie eindringlich, über die Sache vor einer endgültigen Entscheidung noch einmal nachzudenken.
Der Koalitionsentwurf bedarf - unabhängig von der rechtspolitisch verfehlten Ausgangslage - auch in anderer Hinsicht noch einer reiflichen Überlegung. Er ist nämlich unausgegoren und führt in Einzelfällen zu wirklich absurden Ergebnissen. Ich denke zum Beispiel an die lastenfreie Überlassung, die zwar dem Eigentümer zugute kommt, nicht aber denen, die ihre dingliche Belastung, zum Beispiel Hypotheken, verloren haben. Das alles ist ja sehr differenziert im Vermögensgesetz geregelt, nicht aber in Ihrem Entwurf.
Über die Frist 15. Februar 1992 ist zu sagen: Wenn vor diesem Datum veräußert ist, soll es überhaupt nichts geben. Darüber ist hier schon gesprochen worden.
Senatorin Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit
Man kann hören, mit der vorgesehenen Rückkaufsmöglichkeit könnten die Eigentümer doch hochzufrieden sein. Es ist richtig, daß der Entwurf der Fraktionen, wie er nun mal angelegt ist, in einigen wenigen Teilen die Alteigentümer günstiger stellt, als wir es vorgeschlagen haben.
Aber das Hauptanliegen des Bundesrates war es nicht, als Interessenvertreter der Alteigentümer möglichst große finanzielle Vorteile herauszuschlagen. Das Interesse Berlins und der neuen Länder war und ist ein politisches und ein historisches zugleich. Es geht bei der Rückgabe der Mauergrundstücke um nicht mehr und nicht weniger als um die Beseitigung des Skandalons selbst, das die Mauer und das mit ihr verbundene Grenzregime repräsentiert, nämlich die Einmauerung einer ganzen Gesellschaft.
Diese Ungeheuerlichkeit zwingt zu dem Schluß, die zum historischen Sinnbild gewordenen Grundstücke aus allen Einerseits-Andererseits-Rechnungen herauszunehmen und sie den ehemaligen Eigentümern ohne Wenn und Aber zurückzugeben. Der nun gefundene Kompromiß ist keine Lösung, sondern eine neue Ungerechtigkeit und damit eine Zumutung zugleich.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Norbert Geis, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Senatorin! Ich nehme nur zu Ihrer Behauptung Stellung, der Bund habe sich bereichert. Ich möchte Ihnen sagen, daß Sie den Entwurf, so wie wir ihn vorgelegt haben, nicht richtig gelesen haben. Denn es steht in § 2 Abs. 1 im letzten Halbsatz:
... sofern der Bund sie nicht für eigene öffentliche Zwecke verwenden oder im öffentlichen Interesse an Dritte veräußern will.
Sie wissen ganz genau, was dies bedeutet, vor allem, wenn Sie bedenken, daß der Bund einen Rückerwerbsantrag nur mit einem Bescheid zurückweisen kann, der einer gerichtlichen Prüfung unterworfen ist. Wenn sich das aber so verhält, dann darf der Bund nur im öffentlichen Interesse handeln und darf nicht im fiskalischen eigenen Interesse handeln. Das wissen Sie. Deswegen verstehe ich Ihre Einlassung insoweit nicht.
Auch Ihre in diesem Zusammenhang gemachte Äußerung, der Bund würde den Erlös, die 25 Prozent des Verkehrswerts, in die eigene Tasche stecken, ist falsch. In § 4 steht ausdrücklich, daß er die 25 Prozent, die er als Erlös aus der Veräußerung von Grundstücken erhält, in den in dem Gesetzentwurf genannten Fonds einzahlen muß und nicht in die eigene Tasche stecken darf. Über die Ausgaben des Fonds, Frau Senatorin, entscheidet dann der Haushaltsausschuß, da dieser Fonds mit einem Sperrvermerk versehen ist.
Das Woche einer weiteren Kurzintervention hat der Kolleg Dr. Mahlo, CDU/CSU.
Herr Präsident! Ich möchte die Behauptungen der Frau Senatorin, der Staat habe sich bereichert, und die darin mit enthaltene Behauptung, daß dieser Staat, der bis an die Grenze seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit den Versuch macht, die innere Einheit herzustellen, Geld, das er bekommt, zu fiskalpolitischen Transaktionen mißbrauchen würde, als eine Verunglimpfung dieses Staates zurückweisen.
Frau Senatorin, ich mache Sie darauf aufmerksam: Sie haben immer das Recht, zu erwidern, wenn Sie möchten. Es liegen mir aber noch eine Reihe von Wünschen zu Kurzinterventionen vor. Diese können Sie sich auch erst noch anhören und dann vielleicht zusammenfassend auf sie eingehen. Das ist nur ein Rat von mir.
Dann hat jetzt zu einer Kurzintervention das Wort die Kollegin Däubler-Gmelin, SPD.
Im Gegensatz zu den verehrten Kollegen, die sich gerade zu Wort gemeldet haben, insbesondere zu Ihnen, Kollege Mahlo, bin ich der Meinung, daß die Darstellung eines Sachverhalts, so wie er in Ihrem Gesetzentwurf vorgesehen ist, niemals eine Verunglimpfung sein kann. Deswegen glaube ich nicht, daß Sie gut daran tun, der Senatorin, die hier die Auffassung des Berliner Senats vertritt, einen derartigen Vorwurf zu machen.
Es ist überhaupt nicht einzusehen, warum die Regelung so gefaßt wurde, wie Sie sie vorgeschlagen haben. Es ist in der Tat nicht einzusehen, warum der Bund eine sehr große Variationsbreite an Möglichkeiten dahingehend haben soll, welches Grundstück er behalten will, welches er weitergibt und was er mit dem Geld macht. Das sind die drei Vorwürfe und drei Bedenken, die wir in bezug auf die Abwicklungsregelungen Ihres Gesetzentwurfes andauernd erhoben haben. Es wäre Ihnen ein Leichtes gewesen und hätte dann auch die Möglichkeit eröffnet, vernünftig miteinander zu reden, wenn Sie erstens die Parlamente sehr viel stärker einbezogen hätten, wenn Sie zweitens die betroffenen Regionen, insbesondere das Land Berlin, einbezogen hätten und wenn Sie drittens in bezug auf die Verwendung der vorgesehenen Mittel in den allgemeinen Rahmen,
Dr. Herta Däubler-Gmelin
den Sie hier vorgegeben haben, klarere Richtlinien einbezogen hätten. Das wäre besser gewesen und hätte den Verdacht ausgeräumt, daß hier auf eine ganz merkwürdige Art und Weise einem Beispiel gefolgt werden soll, das die Engländer „quango" nennen. Das ist nämlich ein quasi-autonomes Gebilde, das irgendwo zur ng gehört, aber von niemandem demokratisch kontrolliert werden kann.
Sie sind einen ganz bedauerlichen Weg gegangen. Meiner Ansicht nach hat die Senatorin völlig recht, wenn Sie Ihnen die Mahnung ins Stammbuch schreibt, dieses Verfahren nochmals zu überdenken.
Sie bringen mich jetzt etwas in Geschäftsordnungsschwierigkeiten, weil nach der Geschäftsordnung Kurzinterventionen zu Kurzinterventionen nicht zulässig sind. Es heißt ja in der Geschäftsordnung, daß als Replik auf einen Redebeitrag eine Kurzintervention erfolgen kann und daß der Redner darauf noch einmal antworten kann. Ich bitte darum, keine Kurzinterventionen zu Kurzinterventionen zu machen. Die Senatorin hat das Recht zur Erwiderung, nicht irgendein Abgeordneter.
- Es ist des weiteren die Regel, daß über solche Punkte nicht mit dem Präsidenten diskutiert wird. Ich hatte sehr stark den Eindruck, daß Sie auf eine Kurzintervention erwidert hatten. Lassen wir die Diskussion! Diejenigen, die jetzt dran sind, mögen meine Worte bitte bedenken.
Herr Kollege Häfner, Sie haben das Wort zu einer Kurzintervention.
Meine Kurzintervention bezieht sich auf die Ausführungen der ehemaligen Richterin und Senatorin des Landes Berlin, Frau Lore Maria Peschel-Gutzeit, zu der Frage, ob der Bund das, was er bei diesen 25 Prozent einnimmt, sozusagen in seinen Säckel steckt und für eigene Zwecke benutzt oder ob das nicht der Fall ist. Man muß das Gesetz lesen, wenn man eine Antwort darauf geben möchte. Ich habe festgestellt, daß die Frau Senatorin
das Gesetz gelesen und richtig interpretiert hat. Denn zum einen kassiert der Bund diese 25 Prozent, die die Alteigentümer bezahlen müssen, zum anderen kassiert er, indem er es sich dort, wo er selbst die Grundstücke verwerten möchte, erspart, ein ansonsten notwendiges Enteignungsverfahren durchzuführen, das wahrscheinlich höhere Kosten mit sich bringen würde. Er muß dann nur 75 Prozent zahlen. Das heißt: Hier kassiert er auch.
Dieses Geld gibt er natürlich wieder aus. Das ist ja immer so, denn der Bund hortet schließlich keine Goldbarren in einer Art Fort Knox. Vielmehr gibt er das Geld für Zwecke aus, die er sowieso erfüllen müßte, die nämlich großenteils gesetzlich vorgegeben sind. Das heißt: Er stopft mit dem Geld dieser Alteigentümer seine Löcher.
Das als rechtsstaatlich ausgeben zu wollen ist wirklich ein Skandal.
Darüber hinaus möchte ich in meiner Kurzintervention meiner Verwunderung darüber Ausdruck geben, daß Sie sich hier zu einer Koalition zusammengefunden haben, die aus der Mehrheit der PDS auf der einen und der Mehrheit von Union und F.D.P. auf der anderen Seite besteht. Ich honoriere - wir werden das bei der Abstimmung feststellen -, daß es auf beiden Seiten Abweichler gibt. Aber ich denke, das Haus muß würdigen, daß sich PDS und Union bei dieser doch sehr bedeutenden Frage bei der Bewältigung der jüngeren deutschen Geschichte gemeinsam in ein Boot setzen und unter dem Strich sagen: So ein Unrecht war das mit dem Mauerbau eigentlich doch nicht.
Das ist halt Geschichte gewesen. Wir wollen jetzt einmal gucken, wie wir von dieser Geschichte profitieren können.
Ich finde das skandalös und wollte das festgestellt wissen.
Das Wort zu einer weiteren Kurzintervention hat der Kollege Hakker, SPD.
Frau Senatorin Peschel-Gutzeit, ich möchte noch einmal auf Ihre Ausführungen zu der Erlösauskehr eingehen und möchte dazu beitragen, daß in diesem Haus keine Legendenbildung erfolgt, und darauf verweisen, daß der Rechtsausschuß in jeder Beratung die Erklärung von der Bundesregierung zu hören bekam, daß sich der Bund nicht an den Grundstücken, die für den Bau der Mauer und des Todesstreifens verwendet wurden, bereichern wird.
Deswegen bitte ich Sie, wenn Sie noch einmal das Wort ergreifen, auf die Regelung in § 2 Abs. 2 des Entwurfes einzugehen, wonach der Bund nämlich in den Fällen, in denen er nicht an Dritte veräußert, sondern die Grundstücke zu eigenen, sicherlich öffentli-
Hans-Joachim Hacker
chen Zwecken verwendet, lediglich 75 Prozent des Verkehrswertes auszukehren hat. Da stelle ich auch die Frage in Richtung von Herrn Geis: Was ist mit den 25 Prozent Differenz? Wer bekommt sie? Die gehen nämlich nicht in den Fonds ein, sondern bleiben beim Bund. Ich möchte Sie bitten, Frau Senatorin, insbesondere auf diese Problematik einzugehen, wenn Sie noch einmal Stellung nehmen.
Ich lasse jetzt noch eine Kurzintervention zu, nämlich die des Kollegen Dr. Heuer.
Ich möchte nur zu einer Sache etwas sagen, die der Kollege Häfner eben angeschnitten hat.
Nein, genau das, Herr Kollege Heuer, dürfen Sie nicht. Das habe ich nun hinreichend klargemacht. Sie können eine Kurzintervention zu der Rede der Senatorin Peschel-Gutzeit machen. Wenn Sie das nicht tun wollen, setzen Sie sich wieder hin!
Ich merke das. Aber das haben alle nicht gemacht.
Nein, es tut mir leid.
Frau Senatorin, Sie haben jetzt Gelegenheit, auf mehrere Kurzinterventionen zu antworten. Weil das so ist, bekommen Sie von mir statt der üblichen drei Minuten sechs Minuten Redezeit. Bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Vielen Dank. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich gern den Vorwurf der Nichtachtung dieses Hohen Hauses zurückweisen. Ich habe vorhin, als ich von fiskalpolitischen Transaktionen sprach, mit denen die Bundesrepublik einen Mißbrauch betreibt, ein wörtliches Zitat der F.D.P. benutzt. Ich habe das auch kenntlich gemacht.
- Überhaupt nicht. Der Zusammenhang, Herr Abgeordneter Kleinert, lautet so - ich will es Ihnen gern sagen -:
Die Bundestagsfraktion der F.D.P. ist nach wie vor der Ansicht, daß es im Interesse der Glaubwürdigkeit des Rechtsstaats nicht akzeptabel sei, daß die Bundesrepublik Grundstücke der ehemaligen Verteidigungsanlagen der DDR ihrem Ver-
mögen einverleibt und zu fiskalpolitischen Transaktionen mißbraucht.
Ich weiß nicht, was man da aus dem Zusammenhang gerissen haben kann.
- So ist es. Oder er müßte sie zurückgeben.
Darf ich um ein bißchen mehr Ruhe bitten, Herr Kollege Kleinert. Überwiegend hat jetzt die Senatorin aus Berlin das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Geis hat gemeint - so glaube ich mich zu erinnern -, es gebe keine Bereicherung des Bundes. Ich meine, ich habe sehr deutlich gemacht, daß sich der Bund natürlich bereichert und daß das auch gewollt ist.
Ich komme zunächst zu den Grundstücken, die vor dem 15. Februar 1992 veräußert worden sind.
In diesem Fall bekommt der Alteigentümer nämlich überhaupt nichts. Das heißt, der Bund behält diese Grundstücke, die natürlich genau so wertvoll sind wie alle anderen, ohne einen Pfennig dafür zu zahlen. Wenn das keine Bereicherung ist, dann weiß ich nicht, was eine Bereicherung ist.
Zweitens. Es ist gesagt worden - so ergibt es sich aus dem Gesetzentwurf, den ich natürlich sehr genau gelesen habe, Herr Abgeordneter Geis - -
- Herr Abgeordneter Kleinert, Sie mögen das für sich nicht so tun. Ich tue es. Ich lese so etwas sehr genau, bevor ich hier spreche.
- Das ist wohl richtig, daß er kurz ist. Aber selbst dieser Gesetzentwurf scheint so viele Tücken zu enthalten, daß Sie sie nicht entdeckt haben.
Es heißt dort:
Will der Bund ein Grundstück für eigene öffentliche Zwecke verwenden oder ... an Dritte veräußern, lehnt er den Erwerbsantrag ab.
Ich habe gesagt: Er allein entscheidet also darüber, ob er ein Grundstück an die Alteigentümer zurückgibt oder nicht.
Senatorin Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit
Dann geht es weiter:
Der Berechtigte hat in diesen Fällen einen Anspruch auf Zahlung von 75 v. H. des Verkehrswertes.
Dann lese ich weiter in § 3:
Die Ausgaben nach Abs. 2 Satz 2 ... sind aus den Einnahmen aus der Veräußerung von Mauer- und Grenzgrundstücken zu leisten.
Ich habe gesagt: Die Alteigentümer, die zu 25 Prozent zurückkaufen müssen, zahlen also das Geld, mit dem der Bund die Entschädigung für die Leute zahlt, denen er die Grundstücke nicht zurückgibt, was er sonst nämlich selbst tun müßte.
- Entschuldigung, ich habe den Eindruck, daß es noch immer nicht verstanden ist.
Wenn der Bund Grundstücke, die ihm nicht gehören, behalten will, dann muß er dafür wohl Entschädigungen zahlen und kann nicht auf das Geld zurückgreifen, das Alteigentümer dafür erst einmal hinlegen müssen.
Ich danke Ihnen, Herr Präsident.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Michael Luther, CDU/CSUFraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte ist sehr interessant, und sie währt schon eine lange Zeit. Sie ist Ausdruck dessen, was wir die letzten vier Jahre gemacht haben: Wir haben uns mit dem schwierigen Thema der Mauer- und Grenzstreifengrundstücke beschäftigt - beschäftigen müssen, weil dieses Unrecht im Sozialismus, in der DDR entstanden ist,
uns hinterlassen wurde. Wir bemühen uns darum, dieses Unrecht zu beseitigen, zu mildern, dort wo es geht. Das ist sehr schwierig.
Gerade im Vermögensbereich wurde eine Menge gesetzlicher Regelungen geschaffen. Besonders zu erwähnen ist natürlich das mit dem Einigungsvertrag übertragene Vermögensgesetz, das wir nach der deutschen Einheit mehrfach novelliert haben. Dieses Vermögensgesetz besagt ganz klar: Restituierbar ist das, was entschädigungslos enteignet wurde.
Es gibt aber noch mehr Unrecht, das in der DDR passiert ist.
Es gibt auch „Enteignungen im öffentlichen Interesse". Dazu gehören sicherlich Enteignungen im Zusammenhang mit Straßenbau, Bergbau, Aufbau,
aber auch Enteignungen im Zuge des Verteidigungsgesetzes. Damals wurde nach den in der DDR geltenden Preisvorstellungen entschädigt. Zu diesen Preisvorstellungen fanden im übrigen auch Privatverkäufe statt. Das darf man nicht vergessen. Der besondere Diskriminierungstatbestand war aus damaliger Sicht zumindest an der Entschädigungshöhe nicht zu erkennen.
Nun gibt es das Problem, daß die Grenzanlagen der DDR ebenfalls nach dem Verteidigungsgesetz enteignet wurden. Die Rechtsprechung hat in den letzten Jahren deutlich festgestellt: Diese Enteignungen sind nicht Gegenstand des Vermögensgesetzes - auch wenn wir es alle gerne gesehen hätten, daß das Problem damit gelöst ist; dieser Gefallen ist uns nicht getan worden, weil das eben im Gesetz nicht enthalten ist. Das bedeutet im Umkehrschluß, daß der Einigungsvertrag das dem Bundesvermögen zugeschlagen hat.
- Richtig, wir wollen das ändern. Deswegen sind wir heute hier.
Wir können natürlich einen neuen Restitutionstatbestand einführen. In dieser Entscheidung sind wir vollkommen frei. Aber dann müssen wir natürlich ganz genau überlegen, was wir tun. Wenn das Vermögensgesetz grundsätzlich alle Enteignungen ausschließt, die gegen Entschädigungen erfolgt sind, stellt sich natürlich unweigerlich die Frage: Warum ausgerechnet nur an dieser Stelle, warum nicht auch an anderen,
und warum nicht zum Beispiel dort, wo der Enteignungszweck weggefallen ist oder wo der Enteignungszweck niemals eingetreten ist?
Meine Damen und Herren, die Enteignungen zu DDR-Zeiten, ob „im öffentlichen Interesse" oder wegen der Lage an einer Grenze, mit dem Begriff „rechtsstaatlich" zu bezeichnen, wage ich an dieser Stelle nicht. Deswegen ist es auch kein Argument, zu sagen: Weil die Enteignung an der Mauer besonders unrechtmäßig war, müsse man das zurückgeben.
Das nächste Problem: Wenn wir festlegen, daß wir nur an dieser Stelle zurückgeben, stellt sich natürlich
Dr. Michael Luther
die Frage: Warum geben wir nur dies, nicht aber jenes zurück? Den einen entschädigen wir zu 100 Prozent des Verkehrswertes, und der andere bleibt heute auf den zu DDR-Zeiten geleisteten minimalen Entschädigungen sitzen.
Dann ergibt sich eben das Problem der Wertschere. Was diese Diskussion - wir haben sie im Zusammenhang mit dem Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz ausführlich geführt - für Folgen hat, wage ich nicht zu prophezeien.
Herr Hacker, ich habe an Ihrer Rede deutlich gemerkt - mir ist das leider auch in der Diskussion im Ausschuß und im Berichterstattergespräch aufgefallen -: Sie verschließen einfach Ihre Augen vor diesen Tatsachen. Das finde ich bedauerlich. Sie sehen der Gefahr nicht ins Auge. Sie gehen das Risiko einer Totalrevision aller Vermögensverhältnisse, die sich in der DDR geändert haben, ein.
Ich will das nicht. Aus diesem Grunde habe ich mir vier Jahre lang intensiv Gedanken gemacht, wie wir aus dieser Problematik herauskommen. Es wurde überlegt, ob man die Mauer- und Grenzstreifengrundstücke so abgrenzen kann, daß sie sich von den anderen Enteignungsfällen unterscheiden, die ich erwähnt habe. Naheliegender Gedanke ist natürlich der Symbolgehalt der Mauer. Die Mauer war Symbol der Teilung Deutschlands, und deswegen müsse man diese Grundstücke zurückgeben. Aber für was war sie Symbol? Für die Maueropfer? Die Mauer war das Symbol für Teilung und Unfreiheit - insbesondere für die, die an der Mauer umgekommen sind - und für politische Verfolgung.
Aber ob jemand sein Grundstück unter der Mauer hatte oder 100 Meter daneben - auf dem dann eine Kaserne erbaut wurde, in der die Grenzpolizisten ihre Unterkunft hatten -, ist Zufall. Deswegen ist es nicht zulässig, als Abgrenzungskriterium den Symbolgehalt der Mauer zu verwenden. Das geht einfach nicht.
An dieser Stelle sage ich aber ganz deutlich: Es gibt natürlich - das müssen wir alle akzeptieren - gerade im Zusammenhang mit der Errichtung der Mauer im Jahre 1961 Exzeßfälle, bei denen Leute mit Polizeigewalt aus ihren Häusern vertrieben wurden, damit auf die Schnelle die Mauer gebaut werden konnte. Aber es gibt auch andere Fälle, wo der Grundstückseigentümer ganz woanders gewohnt hat und er das vielleicht zu dem Zeitpunkt so gar nicht registriert hat. Diese Exzeßfälle gibt es im Verlauf der DDR-Geschichte an vielen Stellen. Die müssen aus meiner Sicht dann genauso behandelt werden.
Meine Damen und Herren, ich hatte es gesagt: Die Mauer- und Grenzstreifengrundstücke sind nach jetziger Gesetzeslage Bundeseigentum. Sie gehören nicht Herrn Waigel persönlich - dieser Eindruck wird manchmal vermittelt -, sondern es ist Eigentum, das der Bund zugeordnet bekommen hat. Aber wir sind mit diesem Zustand nicht zufrieden. Wir haben von Anfang an gesagt: Diese Grundstücke sollen nicht in unserem Eigentum bleiben, ganz einfach weil diese Grundstücke einen besonderen Symbolgehalt hatten.
: Sehr
richtig!)
Deswegen haben wir uns überlegt: Wie erreichen wir eine Lösung, die das Problem außerhalb des Vermögensgesetzes regelt und den alten Eigentümern trotzdem gerecht wird? Diese Lösung liegt heute auf dem Tisch. Ich werbe für diese Lösung. Ich habe mich mit dieser Kompromißlösung lange beschäftigt. Ich bin allen dankbar, die sich auf diese Lösung hin bewegt haben: Abgeordnete aus den neuen Ländern, die sehr wohl aus ihrer Heimatstadt berichten können, welche Fälle es da sonst noch gibt, und Abgeordnete gerade aus den alten Bundesländern.
- Herr Gres, Sie sehen mich an dieser Stelle an. Sie haben mir in Gesprächen immer wieder die Lage derjenigen verdeutlicht, die die DDR nur von außen erlebt haben und die die Grenze und die Mauer anders als wir, die innerhalb dieser DDR gelebt haben, als Symbol für die Teilung Deutschlands erleben konnten und die die Maueropfer in Fernsehbildern sehen konnten, was viele auf der anderen Seite nicht konnten.
Herr Häfner, an dieser Stelle erlaube ich mir noch eine Bemerkung. Sie haben vorhin bloß auf die Braunkohle abgestellt. Wenn Sie wollen, übergebe ich Ihnen gerne einen Katalog, eine lange Liste von Fällen innerhalb des Landes, die genauso schreiendes Unrecht sind, die ich in Abgrenzung zu dem, was Mauer- und Grenzstreifengrundstücke angeht, nicht vertreten kann.
Ich will bloß zwei Beispiele nennen. Das eine: die Enteignungen im Zusammenhang mit der Wismut. Wissen Sie, was die Wismut war? Wissen Sie, wer das war? Wissen Sie, wie das abgelaufen ist? Da gibt es Grundstücke, die aus Sicherheitsgründen, damit man nicht sieht, was dort geschieht, enteignet wurden. Auch diese können heute nicht zurückgegeben werden.
Es gibt andere Fälle. Ich will nicht mein Friseurbeispiel bringen. Das habe ich oft genug getan. Ein anderes Beispiel aus Dresden: Mit dem Verteidigungsgesetz wurde ein Grundstück gegen eine Entschädigung von 8 000 Mark enteignet. Weil das Haus, das darauf stand, bombengeschädigt war, wurde es abgerissen - Abrißkosten: 15 000 Mark, Rest: minus 7 000 Mark; das hat der Staat großzügigerweise erlassen. Das war die entschädigungsbehaftete Enteignung. Die Eigentümerin bekommt das Grundstück nicht zurück. Das Schlimmste ist die
Dr. Michael Luther
Verwendung der Fläche: Sie wurde dafür verwendet, daß die Staatssicherheit und ihre Bediensteten dort mit ihren Autos parken konnten.
Meine Damen und Herren, das alles muß man im Zusammenhang betrachten, wenn man davon redet, jetzt einen neuen Restitutionstatbestand zu schaffen, oder wenn man sich darum bemüht, eine Rgelung zu treffen, die all diese Probleme berücksichtigt und letztendlich für alle eine angemessene Lösung darstellen kann.
Der Kaufpreis von 25 Prozent ist, glaube ich, ein Kompromiß bezüglich der Wertschere, damit es keine Öffnung zu einer Totalrevision gibt. Die Preisminderung auf 25 Prozent rechtfertigt auch der politische Symbolgehalt, der dahintersteht.
Ich denke, wir als der Bundestag können garantieren, daß die Mittel, die dann in den Fonds einfließen, nicht vorrangig für bundesstaatliche Aufgaben verwendet werden. Denn es gibt in dem Gesetz ein sehr starkes Instrument, mit dem wir das verhindern können, nämlich die Haushaltssperre durch den Haushaltsausschuß. Ich gehe davon aus, daß insbesondere Abgeordnete aus den neuen Ländern - denn das Ziel dieses Fonds ist der Aufbau in den neuen Ländern - Berichterstattungen in den Fraktionen zu diesem Haushaltstitel übernehmen werden und dann darauf achten werden, daß das, was von der Bundesregierung, von den Koalitionsfraktionen zugesagt ist, letztendlich - sicherlich auch in Ihrem Sinne - nicht für bundesstaatliche Aufgaben, sondern eben für besondere Aufgaben verwendet wird, die dann im Einzelfall behandelt werden müssen.
Meine Damen und Herren, es ist viel Unrecht geschehen. Ich hatte es vorhin schon in der Zwischenfrage formuliert. Ich hoffe und wünsche mir, daß sich Länder und Kommunen, die oftmals im Besitz solcher Grundstücke sind, wie ich sie vorhin beschrieben habe, in Einzelfällen, in Härtefällen auch darum bemühen, ein Stück Gerechtigkeit wachsen zu lassen, und in Einzelfällen die Betroffenen durch begünstigte Preisgestaltung wieder zu ihrem alten Eigentum kommen lassen.
In diesem Zusammenhang wundert es mich schon sehr stark, Herr Hacker, welche Pirouetten Sie im Bundestag innerhalb von fünf Jahren gedreht haben.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Häfner?
Noch einen Satz! - Vor fünf Jahren sind Sie gegen das Vermögensgesetz gewesen, und jetzt, wenn es darum geht, den Gesamtkontext auf etwas anderes hin zu erweitern, gerade auf die Fälle, die vielleicht auch in Ihrer Heimatstadt zum Tragen kommen, wollen Sie, anstatt daß Sie die Länder auffordern und sagen: „Dann macht es doch in diesen Fällen auch so", unseren Entschließungsantrag ablehnen.
Bitte, Herr Häfner.
Herr Luther, ich möchte Ihnen eine kurze Zwischenfrage stellen, nachdem Sie mich jetzt mehrfach mit dem Hinweis darauf angesprochen haben, daß es noch andere Fallgestaltungen gibt. Ich möchte Sie deshalb folgendes fragen.
Sind Sie nicht erstens mit mir der Ansicht, daß es eine Schwäche des Vermögensgesetzes ist, daß es ausschließlich auf teilungsbedingtes Unrecht abhebt und nicht das innerstaatliche Unrecht einbezieht?
Sind Sie zweitens mit mir der Ansicht, daß die Mauer, über die wir jetzt reden, etwas von allem anderen deutlich zu Unterscheidendes ist, auch deshalb, weil die Mauer völkerrechtswidrig war, gegen den Viermächtestatus verstoßen hat und damit etwas ganz anderes ist als Braunkohleabbau, als die Wismut, die ich sehr wohl kenne, oder auch als der Kasernenbau, der in der DDR auch stattgefunden hat?
Sind Sie drittens mit mir der Meinung, daß es ganz und gar unzuträglich ist, wenn wir hier, wo wir ein konkretes Problem lösen müssen, wegen der Unfähigkeit in der Koalition - ich kann es nicht anders sagen -, die anderen Probleme einer Lösung zuzuführen, auch an dieser Stelle keine vernünftige Lösung finden, keine rechtsstaatliche Lösung finden, sondern eine rechtswidrige, durch die sich der Bund am Unrecht bereichert?
Herr Häfner, lassen Sie mich mit der Beantwortung der Fragen von hinten beginnen. Wir haben eine Lösung vorgelegt. Das zeigt deutlich, daß wir uns erstens mit diesem Themenfeld auseinandergesetzt haben und daß wir zweitens eine tragfähige Lösung zustande gebracht haben.
Zu Ihrer zweiten Frage: Das Völkerrechtsargument ist nun hinlänglich diskutiert worden, und es ist auch gerichtlich gewürdigt worden.
Das trifft natürlich insbesondere auf die Enteignung nach dem Verteidigungsgesetz zu, aber eben nur innerhalb von Berlin und ohne rechtliche Konsequenzen. Genau das ist ja das Problem. Genau das ist in den einschlägigen Urteilen dazu zum Ausdruck gekommen. Wir hätten dann zumindest die Gerechtigkeitslücke zwischen Mauer innerhalb von Berlin und Grenzstreifen entlang der ehemaligen Teilungsgrenze zwischen der ehemaligen DDR und der Bun-
Dr. Michael Luther
desrepublik Deutschland. Also das völkerrechtliche Argument ist richtig, aber es ist nicht sachdienlich. Ich kann es nicht verwenden, man kann es nicht greifen.
Zu Ihrer ersten Frage zum Vermögensgesetz: Das ist natürlich eine sehr interessante Frage. Ich war nach der Wahl vom 18. März 1990 in der letzten Volkskammer, habe als Abgeordneter den Einigungsvertrag mitgestaltet und kenne die Geschichte seither. Ich muß ganz einfach sagen: Ich hätte mir mehr Zeit gewünscht - das war in der kurzen Spanne nicht möglich -, um die Gesetze besser gestalten zu können,
aber diese Möglichkeit hat nicht bestanden; das wissen wir heute alle. - Wenn Sie noch einen Zuruf dazu machen, fällt mir natürlich noch viel mehr ein. Wahrscheinlich wäre eine noch viel vernünftigere Lösung möglich gewesen, wenn Sie vernünftig daran mitgewirkt hätten.
Wir haben versucht, gerade in den Jahren danach das Vermögensgesetz so zu korrigieren, daß die Unebenheiten, die darin enthalten sind, ausgeglichen werden können. Jetzt sind wir an einem Punkt angelangt, an dem wir sagen: Das ist das, was uns der Einigungsvertrag aufgetragen hat -
und nun gibt es noch mehr Ungerechtigkeiten.
Deswegen mein Plädoyer für unsere Koalitionsvorlage zu diesem 25-Prozent-Rückgabemodell, mein Plädoyer, doch einmal etwas anderes zu tun, als im Vermögensgesetz steht - ich habe versucht, die Gefahren aufzuzeigen -, um letztendlich zu einer vernünftigen Lösung zu kommen. Und ich halte das, was wir als Kompromiß hier vorschlagen, für eine sehr vernünftige Lösung.
Ich kann keine Zwischenfrage mehr zulassen, weil der Redner bereits ein gutes Stück über seine Redezeit hinaus war, als er die andere Zwischenfrage beantwortet hat.
Herr Kollege, bitte sagen Sie einen Schlußsatz oder hören Sie gleich auf.
Ich möchte mich bedanken und bitte um Zustimmung sowohl zum vorliegenden Gesetzesvorschlag als auch zu unserem Entschließungsantrag.
Recht herzlichen Dank.
Ich erteile das Wort dem Bundesminister der Justiz, Professor Dr. Edzard Schmidt-Jortzig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Behandlung der Grundstücke, die zum Zwecke des Baues der Berliner Mauer und zur Errichtung der Grenzsperranlagen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR in Volkseigentum überführt wurden, hat den Bundestag schon lange und eingehend beschäftigt. Schon die Diskussionen um das Zweite SED-Unrechtsbereinigungsgesetz waren von der Frage bestimmt, ob die Enteignungen der sogenannten Mauergrundstücke individuelles Unrecht darstellten, das einer Wiedergutmachung durch Rückgabe bedarf, oder nicht.
Meine Damen und Herren, die fraglichen Grundstücke, die wegen ihrer Lage im ehemaligen Grenzgebiet zum Zwecke der Errichtung und des Ausbaus von Sperranlagen an der ehemaligen innerdeutschen Grenze, des Ringes um Berlin und der Sektorengrenze quer durch Berlin verwendet wurden, gerieten mit der Enteignung in sogenanntes Volkseigentum und wurden noch ausgangs der DDR - das ist ja auch ganz interessant, daß man das erwähnt - in staatliches Privateigentum umgewandelt.
Mit der Herstellung der deutschen Einheit sind sie in Bundesverwaltungs- oder Finanzvermögen nach Art. 21 bzw. 22 des Einigungsvertrages gefallen und befinden sich somit in Eigentum der öffentlichen Hand.
Meine Damen und Herren, nach der derzeitigen Rechtslage bestehen also bezüglich dieser Immobilien grundsätzlich keine Restitutionsansprüche. Das muß man deutlich sehen, und das muß man immer wieder allen Überlegungen, die man hinsichtlich der Regelung dieses Problemkomplexes anstellt, zugrunde legen. Ein Anspruch auf Rückgabe besteht nach geltender Rechtslage nicht.
Diejenigen, die das einmal anders zu sehen versucht haben, haben ihre bittere Erfahrung mit der Rechtsprechung gemacht. Sie wissen, daß das Bundesverwaltungsgericht dieses in verschiedenen Entscheidungen so bestätigt hat.
Deshalb, meine Damen und Herren, weil nach der geltenden Rechtslage die Dinge eben so sind, wie sie sind, wird die Koalition jetzt tätig, um hier eine Verbesserung zu erreichen.
Das Vermögensgesetz paßt dabei nicht. Es erfaßt im Kern nur solche Enteignungen, die der politischen Verfolgung dienten, also politische Strafmaßnahmen waren oder jedenfalls als solche anzusehen waren oder ansonsten diskriminierenden Charakter aufwiesen.
Den Enteignungen zum Mauerbau fehlt zwar ein solch individuell diskriminierendes Moment im obigen Sinne. Aber ihnen haftet ein besonderer politischer Unwertcharakter an. Was sie von anderen Enteignungen in der ehemaligen DDR unterscheidet,
Bundesminister Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
ist ihr Symbolcharakter, ihr Symbolgehalt für die deutsche Einheit. Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat schon in ihrer Stellungnahme zu dem Bundesratsentwurf davon gesprochen, daß dies es nahelegen könnte, die Mauergrundstücke anders als sonstiges Staatsareal aus DDR-Zeiten zu behandeln.
Nun komme ich auf das, was Sie, Herr Kollege Häfner, und Sie, Frau Kollegin Peschel-Gutzeit, angesprochen haben. Das verdient - ich bin dankbar, daß man das hier kann - noch einmal einer Erwähnung. Meine eigene Position - und die Position meiner Partei, genau richtig wiedergegeben in dieser Presseerklärung - habe ich bereits am 1. Juni des vergangenen Jahres von dieser Stelle aus unmißverständlich klargestellt: Dem Eigentumsgedanken ist Geltung zu verschaffen. - Das Präsidium der F.D.P. hatte bereits am 6. September 1993 beschlossen, eine politische Lösung mit dem Ziel einer Rückgabe der Grundstücke an ihre Alteigentümer zu suchen. Zu diesem Zeitpunkt waren übrigens ausgerechnet die Parteien, die sich hier und jetzt als Befürworter einer unbedingten Restitution aufspielen, noch intensiv damit beschäftigt, gegen den Grundsatz Rückgabe statt Entschädigung zu polemisieren.
Es galt indessen - nun kommt die Differenz, Herr Häfner -, tatsächlich eine Lösung zu finden, die sowohl dem Eigentumsgedanken als auch der Befürchtung Rechnung trägt - Herr Kollege Luther hat das ja sehr eingehend und differenziert hier dargelegt -, eine Rückgabe ohne Wenn und Aber, wie sie von Ihnen gefordert wird - und auch gefordert werden kann, weil Sie es nicht realisieren müssen -, könnte politische Signalwirkung für die Schaffung neuer Restitutionstatbestände entfalten. Es liegt doch auf der Hand - dafür muß man nicht Jurist sein, sondern nur einen praktischen Blick für die Dinge haben -,
daß andere Enteignungs- und Konfiskationsgeschädigte aus der DDR eine ähnliche Behandlung einfordern, wenn hier keine hinreichende Separierung unseres Tatbestandes gelingt.
Es ist ja auch bekannt - darauf ist richtigerweise auch vom Kollegen Luther hingewiesen worden -, daß insbesondere Abgeordnete aus den östlichen Bundesländern ihre Mitwirkung verweigern könnten, wenn nicht irgendwelche Signale in Richtung der Fälle nach dem Berggesetz, nach dem Aufbaugesetz, nach dem Verteidigungsgesetz der DDR ergehen. Die Sache ist also leider viel komplizierter, als es hier von Verschiedenen dargestellt wurde. Es wird dieser schwierigen Lage eben nicht gerecht, wenn man meint, mit politischem und moralischem Rigorismus die Dinge angehen zu müssen, dann aber völlig scheitert und nicht in der Lage und bereit ist, zugunsten einer Lösung Kompromisse einzugehen.
Meine Damen und Herren, die nun gefundene Lösung stellt natürlich kein Optimum dar. - Das haben Kompromisse so an sich. Wer anderes verkünden wollte, läge sicherlich falsch. - Aber diese Lösung ist das beste, was zum Zwecke der Wiedergutmachung für die Alteigentümer erreicht werden konnte.
Der Kompromiß besteht darin, daß die Alteigentümer die Möglichkeit erhalten, ihre Grundstücke zu günstigen Konditionen, nämlich zu einem Viertel des heutigen Verkehrswertes, zurückzuerwerben. Zu 75 Prozent kann also das alte Eigentum wiederhergestellt werden, zu 25 Prozent nicht. Hier bitte ich Sie, einfach einmal alle moralische Empörung, die ja bei etlichen ziemlich geheuchelt ist, beiseite zu lassen und nüchtern zu erwägen, ob das ein Kompromiß ist, der sich sehen lassen kann oder nicht.
Dieses Ergebnis 25:75 - weiß Gott nicht das Optimum - ist angesichts der tatsächlichen Politik und Problemumstände ein vertretbares, und so finde ich, ein gutes Ergebnis. Wer anderes behauptet, ist entweder Traumtänzer, Ignorant oder Polemiker.
Wenn man nämlich - auch das haben Sie, verehrte Frau Kollegin, richtig deutlich gemacht - berücksichtigt, daß die Alteigentümer gleichzeitig von sämtlichen Zahlungsverpflichtungen freigestellt werden, die die Restitutionsberechtigten nach dem Vermögensgesetz treffen, also zum Beispiel von der Rückzahlung von erhaltenen Entschädigungsleistungen, von Lastenausgleich und von der Hinterlegung von Ablösebeträgen für untergegangene dingliche Rechte, so relativiert sich die Höhe des Rückerwerbspreises weiter. Faktisch kann dadurch - diese Gefahr muß man deutlich sehen; auch da bin ich Ihnen dankbar, daß Sie das gesagt haben - vielleicht sogar eine günstigere Lösung zustande kommen als nach dem Bundesratsentwurf. Das muß man nüchtern sehen.
Es hilft überhaupt nicht, sich auf ein hohes Podest von irgendwelchen Großartigkeiten zu begeben, wenn man sich nicht vorwerfen lassen will, daß man auf diese Art und Weise praktische Lösungen verhindert.
Ich weiß, daß diese Lösung nicht alle Alteigentümer zufriedenstellen wird. Einige haben aber durchaus erkannt, daß ein Rückkauf jetzt auf jeden Fall günstiger ist, als sonst überhaupt nichts in die Hand zu bekommen. In diesem Sinne haben mir jedenfalls viele Betroffene geschrieben. Ich will gerne einige Dinge vorlesen, damit deutlich wird, daß jedenfalls der Redner, der jetzt hier zu dieser Sache spricht, in der Tat mit den Leuten spricht und gehört hat, was dort gewollt wird, und nicht nur aus der Theorie heraus die Dinge behandelt.
Bundesminister Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
In einem Brief heißt es:
Ich bin der Meinung, daß es dem Verantwortungsbereich von Politikern unterliegt, die Betroffenen vor Schaden zu bewahren, indem sie
- die Politiker nämlich -
sich verpflichtet fühlen, das Machbare zu erreichen und dies den Betroffenen bzw. deren Vorstandsmitgliedern zu vermitteln.
Ein anderes Schreiben:
Mir ist klar, daß dieser Gesetzesvorschlag keine Ideallösung darstellt, und sicherlich ist es auch Ihnen nicht leichtgefallen, diesem Kompromiß-vorschlag zuzustimmen. Aber Demokratie heißt eben auch die Abwägung vieler Interessen, um daraus die bestmögliche Lösung zu erarbeiten.
Ein anderer schreibt:
Ich bin erleichtert darüber, daß sich nun endlich durch das vorgesehene Mauergesetz eine Lösung dieser Problematik abzeichnet.
Ein anderes Schreiben:
Als Betroffene begrüßen wir den Kompromißvorschlag der Regierungskoalition und hoffen, daß der Gesetzentwurf eine baldige positive Entscheidung erfährt.
Die Betroffenen sind klüger, vernünftiger und pragmatischer, als Sie es sind. Ich frage Sie, wer der Sache wirklich dient.
Ein Letztes noch.
Ich habe gerade einem Kollegen ein Zeichen gegeben, daß Ihre Redezeit zu Ende ist und er deshalb keine Zwischenfrage mehr stellen kann.
Es tut mir leid, aber meine Redezeit ist zu Ende.
Ich hätte gerne noch etwas zu dem Entschließungsantrag sagen wollen. Aber Sie haben meine wichtigsten Argumente gehört, liebe Frau Kollegin. Deswegen bin ich ziemlich sicher, daß Sie dem Gesetzentwurf zustimmen werden.
Vielen Dank.
Nach dem Grundgesetz kann die Regierung - ebenso wie der Bundesrat - sozusagen jederzeit und solange sie will reden. Es gibt zwar interne Vereinbarungen; aber ich habe keine Ordnungsgewalt über die Mitglieder der Regierung. Also muß ich so über die Bande spielen, Herr Minister. Das kam mir gerade gelegen.
Zu einer Erklärung zur Abstimmung erteile ich dem Kollegen Klaus-Jürgen Warnick das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich sehe mich wegen der kontroversen Diskussion zu diesem heiklen Thema auch innerhalb der Gruppe der PDS - Sie haben es auch an dem Zurückziehen unseres Änderungsantrages bemerkt - gezwungen, mein Abstimmungsverhalten hier zu erklären.
Ich glaube, Herr Hacker, mit den „brandenburgischen Abgeordneten" haben Sie wahrscheinlich auch mich gemeint. Ich kann Ihnen hundertprozentig versichern: Ich bin froh darüber, daß ich nicht wie Herr Mahlo meine Meinung um drei Ecken verbiegen muß oder mich wie Herr Kleinert und Herr Luther hier winden muß, um etwas zu beweisen, was ein Widerspruch in sich ist und sich gar nicht beweisen läßt.
Herr Kollege, sind Sie sicher, daß Sie zur Abstimmung sprechen?
Ja, ich denke schon.
Ich werde deshalb den Koalitionsantrag und die Beschlußfassung des Rechtsausschusses ablehnen,
weil ich die Heuchelei der Bundesregierung beim Thema offene Vermögensfragen auch in Zukunft mit ruhigem Gewissen brandmarken will.
Ich hätte mir im Frühjahr 1990 eine andere Lösung vorgestellt. Ich hätte mir vorgestellt, daß alle Grundstücke, die nicht genutzt werden bzw. deren Enteignungszweck entfallen ist, an die ehemaligen Eigentümer zurückgegeben werden. Ich bin der Meinung, daß dies auch auf die Mauergrundstücke zutrifft.
Ich meine, daß alle Grundstücke, die von Ostdeutschen privat genutzt werden bzw. nicht an gesellschaftliche Nutzung gebunden sind, nicht hätten zurückgegeben werden dürfen. Die Bundesregierung hat genau das Gegenteil getan. Ich mußte erleben, wie Grundstücke, die seit Jahrzehnten privat genutzt wurden, zu Millionen zurückgegeben wurden, verbunden mit menschlichem Leid für Millionen von Ostdeutschen.
Bei den Mauergrundstücken, die man sofort hätte zurückgeben können, ist bis heute keine Rückgabe erfolgt. Für mich ist die Zahlung von 25 Prozent moralisches Unrecht.
Klaus-Jürgen Warnick
Ich glaube auch nicht an einen weiteren Dammbruch. Ich glaube nicht daran, daß man damit eine Tür öffnet. Ich bin nicht so rechtsgläubig wie Sie.
Ich glaube, wenn es Ihnen politisch opportun erscheint, dann finden Sie Argumente für oder gegen Dammbrüche und für oder gegen das Öffnen einer Tür. Daran ändert dieser Gesetzentwurf überhaupt nichts.
Ich werde dem Antrag der SPD zustimmen, obwohl ich Schwierigkeiten mit seiner rechtlichen Begründung habe. Ich bin aber der Meinung, daß das Ziel richtig ist, und ich hätte dieses Ziel auch so formuliert.
Ich möchte zum Schluß erklären, daß wir in der PDS eine Abstimmung über diese Frage hatten. Eventuell war das, was mein Kollege Heuer gesagt hat, etwas mißverständlich. Ein Drittel der Abgeordneten der PDS hat sich meiner Meinung angeschlossen, zwei Drittel waren für Enthaltung und nicht für Zustimmung zum vorliegenden Entwurf.
Ich danke Ihnen.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den Gesetzentwurf des Bundesrates zur Einbeziehung der Mauer- und Grenzgrundstücke in das Vermögensgesetz, Drucksachen 13/120 und 13/3734.
Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wir stimmen über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/3758 ab. Wer stimmt für den Änderungsantrag der SPD? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Bei einigen wenigen Enthaltungen in der Gruppe der PDS und 1 Enthaltung in der Fraktion der F.D.P. ist der Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition abgelehnt.
Wir kommen zum Gesetzentwurf in der Ausschußfassung. Die Fraktion der SPD hat Einzelabstimmung verlangt.
Ich rufe Art. 1 auf. Ich bitte diejenigen, die Art. 1 in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Art. 1 ist in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe Art. 2 in der Ausschußfassung auf. Wer zustimmen will, der gebe bitte das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Art. 2 ist angenommen.
Ich rufe Art. 3, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Art. 3, Einleitung und Oberschrift sind angenommen.
Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei 1 Enthaltung aus der Gruppe der PDS, 1 Enthaltung aus der F.D.P.-Fraktion und 1 Gegenstimme aus der Unionsfraktion ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU und der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 13/3756. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Drucksache 13/3757. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Betäubungsmittelgesetzes
- Drucksache 13/3216 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Gesundheit
- Drucksache 13/3652 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Gudrun Schaich-Walch
Dazu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Siegfried Hornung.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Der von den Koalitionsfraktionen eingebrachte und nun vorliegende Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Betäubungsmittelgesetzes ist ein Teil der Wiederzulassung des Anbaus von THC-armen Hanfsorten.
Die andere Voraussetzung ist der Entwurf einer Siebenten Verordnung zur Änderung des Betäubungsmittelgesetzes, die Bundesgesundheitsminister Seehofer dem Bundesrat zur Zustimmung vorgelegt hat. Danach sollen Hanfsorten, deren Gehalt an THC 0,3 Prozent nicht übersteigt, also Nutzhanf, für gewerbliche Zwecke aus dem Betäubungsmittelrecht herausgenommen werden.
Siegfried Hornung
Mit diesen Änderungen des Betäubungsmittelrechts wird der Einsatz der CDU/CSU für die Schaffung rechtlicher Rahmenbedingungen für den Anbau rauschmittelarmer Nutzhanfsorten erfolgreich zum Abschluß gebracht.
Uns geht es darum, der Landwirtschaft eine weitere Anbaualternative zu eröffnen, die in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union bereits gegeben ist. Zum Beispiel wird in Frankreich, Spanien und Großbritannien bereits seit geraumer Zeit der Faserhanfanbau mit rauschmittelarmen Sorten kommerziell betrieben und auf der Basis von EWGVerordnungen mit öffentlichen Mitteln gefördert.
Meine Damen und Herren, mit dem Anbau von Nutzhanf wird eine alte heimische Kulturpflanze auf unsere Felder zurückkehren. Hanf ist hinsichtlich seiner Verwertungsmöglichkeiten sicherlich ein sehr vielseitig verwendbarer Rohstofflieferant für Textilien, Faserverbundstoffe, Dämmstoffe, Pflegemittel, technische Öle und anderes.
Zudem hat Hanf als nachwachsender Rohstoff nicht nur eine ökonomische, sondern auch eine ökologische Bedeutung. Dies zeigt sich darin, daß bei seinem Anbau praktisch keine Pflanzenschutzmittel benötigt werden und nur ein geringer Düngemitteleinsatz erforderlich ist.
Damit stellt die CDU/CSU erneut unter Beweis, daß sie konsequent zur Einführung nachwachsender Rohstoffe steht - im Gegensatz zur Opposition, die jetzt auf ein Pferd aufspringt, im übrigen aber bisher alles, was nachwachsende Rohstoffe betraf, als Schnapsidee abgetan hat.
Gleichwohl möchte ich aber vor übertriebenen Hoffnungen und vor einer zu großen Euphorie hinsichtlich seiner wirtschaftlichen Effizienz warnen. Die Anbau- und Absatzerwartungen dürfen nicht überschätzt werden. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf die Erfahrungen mit der Wiedereinführung des Flachsanbaus hinweisen. Dort hat die Bundesregierung Geld investiert in die Entwicklung praxistauglicher Anbau- und Verarbeitungsverfahren. Erste Vermarktungsmöglichkeiten waren gegeben, aber die Nachfrage seitens der Wirtschaft und insbesondere der Verbraucher entwickelte sich leider nur zögerlich. Ein Leinenboom, wie wir ihn erwartet haben, hat auch nicht stattgefunden.
Es dürfte also klar sein, daß der Nutzhanfanbau für sich genommen nicht der Beitrag zur Lösung der agrarpolitischen Fragen in Europa sein kann. Es muß aber - das möchte ich noch einmal betonen - jede Möglichkeit genutzt werden, die Produktpalette der Landwirte und damit ihre wirtschaftliche Chancen zu erweitern.
Trotz der Anbauzulassung von Nutzhanf bleibt Hanf eine Rauschmittelpflanze. Deswegen sind besondere Anbauregelungen und Kontrollen unvermeidlich. Der vorliegende Gesetzentwurf soll sicherstellen, daß auch nach der Zulassung des Anbaus von Nutzhanf in Deutschland wirklich nur Nutzhanf, das heißt rauschmittelarmer Hanf, angebaut wird.
Dies wird dadurch gewährleistet, daß jeder Anbau von Nutzhanf der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung unter Angabe des Unternehmens der Landwirtschaft, der ausgesäten Hanfsorte - nur zertifiziertes Saatgut darf verwendet werden - und der genauen Lage der Anbaufläche bis spätestens 15. Juni des Anbaujahres anzuzeigen ist. Auf der Grundlage dieser Angaben wird die Bundesanstalt die angebauten Hanfbestände kontrollieren und die Einhaltung des THC-Gehaltes überprüfen. Verstöße gegen die Anzeigepflicht sollen als Ordnungswidrigkeiten geahndet werden. Der unerlaubte Anbau von Hanf ist nach dem Betäubungsmittelgesetz weiterhin strafbar. Ich unterstreiche als praktischer Landwirt, daß es hier auch seitens des Berufsstandes keine Nachsicht geben wird.
Mit der Anbauanzeige bei der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung kann zugleich die Hanfbeihilfe von rund 1 510 DM je Hektar beantragt werden. Wird Hanf auf stillgelegten Flächen angebaut, gibt es anstelle der Beihilfe die regional gültige Flächenstillegungsprämie.
Mit den vorgesehenen Änderungen des Betäubungsmittelrechts ermöglichen wir interessierten Landwirten den Einstieg in den Anbau von rauschmittelarmen Hanfsorten, und zwar so rechtzeitig, daß dies mit der Frühjahrsbestellung 1996 noch erfolgen kann.
Der nachhaltige Anbau von Faserhanf in Deutschland kann aber nur durch einen kaufkräftigen Absatzmarkt gesichert werden.
Deshalb begrüße ich es, daß unser Bundeslandwirtschaftsminister Jochen Borchert eine Studie zu Anbau, Ernte und Verarbeitung sowie Verwendung von Hanf in Auftrag gegeben hat. Sie soll Entwicklungsmöglichkeiten des Hanfanbaus in Deutschland aufzeigen. Weitere absatzorientierte Schritte von seiten der Produzenten und insbesondere der Nachfrager, der Verbraucher, müssen folgen, damit sich aus der nun geschaffenen Chance eine - hoffentlich - ernstzunehmende Alternative für die Landwirtschaft entwickelt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte noch einmal unterstreichen: In Deutschland ist der Hanfanbau von sich aus zurückgegangen. 1982 waren es nur noch wenige Hektar, 28 Hektar in ganz Deutschland. Auch in Europa haben wir derzeit mit knapp 10 000 Hektar - das ist etwas mehr, als eine normale Gemeinde an Fläche hat - verschwindend wenig.
Also: Das, was von den Grünen und von anderen hier inszeniert wird, nehmen wir gerne von der positiven Seite auf. Aber ich möchte noch einmal davor warnen, darin die große und durchschlagende Kraft für die Agrarpolitik, für die Landwirtschaft zu sehen.
Recht herzlichen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Heidi Wright.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Hornurig war erst sehr optimistisch und hat dargestellt, was CDU/CSU und F.D.P. alles gemacht haben, um den Hanf wieder einzuführen. Zum Schluß hat er alles in den Orkus geworfen, gewarnt und gesagt, das sei aber alles nicht so toll.
Nicht die CDU/CSU und die F.D.P. sind vorangeschritten, sondern die Oppositionsparteien.
- Das kann man sehr wohl sagen. Ich werde das auch noch im einzelnen ausführen. Ich habe ja zehn Minuten Redezeit.
„Hanf in Sicht", verehrte Kolleginnen und Kollegen, so habe ich vor einigen Tagen eine Pressemitteilung überschrieben, nachdem das, was lange währt, nun doch zumindest zu einem Anfang gebracht wird. Ob es gut wird, bleibt noch abzuwarten und hängt von verschiedenen Nachfolgeentscheidungen ab.
Doch zuerst einmal ein kräftiges „Na endlich" und eine Zustimmung zu der Vorlage der Bundesregierung zur Änderung des BtMG. Danach ist davon auszugehen, daß die Wiederzulassung des Anbaus von Hanfsorten mit einem geringen Gehalt von Tetrahydrocannabinol für die Landwirtschaft ab 1996 ansteht.
Kurz zur Geschichte. Denn es geht hier nicht um irgendeine landwirtschaftliche Nutzpflanze. Es geht um eine der ältesten Kulturpflanzen. Schon in früheren Jahrhunderten war der Anbau von Cannabis mit Geldstrafen und Ordnungswidrigkeiten verbunden, allerdings mit einem kleinen Unterschied.
Während der Anbau von Cannabis in Deutschland in den letzten 14 Jahren verboten war, rigide geahndet wurde und auch der jetzt vorliegende Entwurf der Bundesregierung dem Anbau bürokratische Hemmnisse in den Weg stellt, sind in früheren Jahrhunderten Geldstrafen auferlegt worden, wenn kein Hanfanbau betrieben wurde. Das war allerdings im Jahre 1619, als das erste Marihuana-Gesetz in Nordamerika erlassen wurde. George Washington, liebe Kolleginnen und Kollegen, und Thomas Jefferson bauten auf ihren Plantagen Cannabis an. Benjamin Franklin gründete eine der ersten Hanfpapierfabriken Nordamerikas.
Nichts davon blieb übrig. 1981 wurde in der BRD der Anbau von Cannabis jedweder Sortenart dem BtMG unterstellt und verboten. Doch das war die eigentliche Renaissance des Hanf. Denn erst durch das Verbot haben Freaks die Kultpflanze und später
dann junge Landwirte die Nutzpflanze neu entdeckt. Akribisch haben sie die positiven Eigenschaften und vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten der Pflanze immer wieder dargelegt, Umweltschützer und Wissenschaftler, junge Unternehmer und letztendlich auch die Politik überzeugt.
Es war die SPD, die im März 1995 - die Kollegin der Grünen wird von früheren Zeitabläufen noch berichten können - einen Antrag zur Legalisierung des Anbaus von rauschmittelarmem Hanf und Förderung von Hanf als nachwachsenden Rohstoff eingebracht hat. Ein Jahr hat es gedauert, bis die Bundesregierung dieser Aufforderung des SPD-Antrags nachgekommen ist und einen Gesetzentwurf vorgelegt hat.
Monatelange Verzögerungen bewirken, daß frühestens im März 1996 der Bundesrat diesem Gesetzentwurf zustimmen kann. Ein Landwirt, der doch wie jeder andere Unternehmer seine Investitions- und Produktionsentscheidungen rechtzeitig treffen muß, sieht wohl auch in diesem Jahr von einem Anbau ab; denn schlechte Erfahrungen hat er ja genug gesammelt, und auf den Scherben des Eiertanzes pflanzt es sich schlecht.
Daß man in der Landwirtschaft auf die Freigabe des Anbaus wartet und Hanf anbauen will, konnte ich in vielen Gesprächen mit Bauernverbänden und Landwirten erfahren. Doch wollen ist noch nicht können. Denn - Herr Hornung hat es ausgeführt - zertifziertes Saatgut ist eben nicht in ausreichender Menge vorhanden, so daß ich bereits das Landwirtschaftsministerium aufgefordert und um Nachzertifizierung ersucht habe. Ob die Beweglichkeit und Durchsetzungskraft der Regierung allerdings so weit gehen, wage ich noch zu bezweifeln. Aber ich lasse mich gern eines Besseren belehren.
„Na und?" könnte man meinen, dann bauen halt erst einmal wenige den Hanf an und im nächsten Jahr mehr. Die Nutzpflanze hat endlich den Durchbruch gepackt. Es ist alles nur noch eine Frage der Zeit.
Doch genau die Zeit spielt auch bei dem nächsten Hindernis eine wesentliche Rolle. Durch den Feldzug gegen Hanf sind wertvolle Informationen über den Anbau des Nutzhanfes verlorengegangen, und die Technik zu seiner Verarbeitung ist nicht weiter entwickelt worden.
Wir werden das ja erleben.
Heidi Wright
Jeder
- sagt Gröbl -
kann über unsere Grenzen schauen, wie es die Franzosen machen, wie es die Spanier machen .. . Es ist niemandem verwehrt, französischen oder spanischem Beispiel zu folgen.
Auf einmal werden die von CDU und F.D.P. ständig zitierten Schlagwörter wie internationaler Konkurrenzdruck, Wirtschaftsstandort Deutschland und technischer Fortschritt zu hohlen Phrasen. Erklären Sie denn auch den Vertretern der anderen Wirtschaftsbranchen, daß sie sich ruhig im Ausland umschauen können, um dort die Techniken abzukupfern?
Zu weit hergeholt, denken Sie vielleicht? Nein, ich denke nicht. Ergebnisse aus einer von uns durchgeführten Umfrage zeigen eindeutig die Bereitschaft von Unternehmen, in Faseraufschlußtechnik für Hanf zu investieren und neue Verarbeitungskapazitäten aufzubauen. Bemängelt werden allerdings die fehlende staatliche Unterstützung und die Hemmnisse bei der Gewährung von Risikokapital. Da wären wir wieder da, wo wir heute morgen waren. Oder, liebe Kolleginnen und Kollegen, geht es hier nur um Landwirtschaft?
Gerade hier wären Anstrengungen notwendig; denn gerade beim traditionellen, kleinstrukturierten, dem sogenannten bäuerlichen Familienbetrieb ist die Lage alles andere als rosig, und durch sinkende Preise im Bereich der Nahrungsmittelerzeugung herrscht teilweise rechte Not. Diesen Betrieben und der gesamten deutschen Landwirtschaft hat die Bundesregierung all die Jahre die nicht unbeträchtlichen EU-Fördermittel - 1 500 DM pro Hektar; das ist schon etwas - vorenthalten.
- Das weiß ich wohl, Herr Hornung. Hanf kann die Probleme der Landwirtschaft allein nicht lösen; dazu gehört mehr. Dazu gehört nämlich ein umfängliches Konzept für die Verwendung und Aufbereitung von nachwachsenden Rohstoffen.
Die Schätzungen zum Bedarf an Hanf haben Wissenschaftler und Besucher der Biofachmesse in Frankfurt beachtlich hoch prognostiziert. Ich will, daß die deutsche Landwirtschaft ein Stück von dem Kuchen abbekommt, und zwar ein gehöriges Stück. Warum tut sich also die Bundesregierung so schwer mit der Legalisierung des Anbaus von Nutzhanf und winkt bei den Forschungsgeldern sofort ab?
Zunächst ist da noch immer die Verunglimpfung der Pflanze als potentielle Droge im Raum. Sie haben davon gesprochen. Es hat sich aber die Erkenntnis durchgesetzt, daß zwar alles, was wie Hanf aussieht, Hanf ist: aber es kommt auf den kleinen Unterschied an. Wohl ist der Pflanze der THC-Gehalt nicht anzusehen, trotzdem konnten sich die Regierungsfraktionen durchringen, daß nicht, wie ursprünglich geplant, jedes Hanffeld den LKAs zu melden ist, sondern Gott sei Dank nur noch „auf Ersuchen" den Polizeibehörden. So macht diese Bundesregierung Punkte für den schlanken Staat.
Vielleicht - ich komme zum Schluß - liegt die Trägheit jedoch auch daran, daß der Landwirtschaftsminister im Bereich der nachwachsenden Rohstoffe sehr glücklos war und nie richtig in Schwung gekommen ist. Im Falle des Flachses haben wir von den Problemen gehört.
Die goldenen Rapsfelder - hören Sie einmal zu -, die als Tiger im Tank landen sollten, die aber nur die Börsen der Veresterungsindustrie gefüllt hätten, harren nach der Bauchlandung der 100 000-TonnenKapazität-Veresterungsanlagen, zum Beispiel in meinem Wahlkreis, noch der zukunftsträchtigen Überlegung des fortschrittlichen Arbeitskreises der Regierung und auch des Landwirtschaftsministers.
Deshalb mein Rat an die Regierung: Stehen Sie den neuen Innovationen in Sachen Hanf nicht im Wege. Geben Sie Hanf eine Chance. Steigen Sie aktiv in die Förderung ein. Geben Sie der Nutzpflanze Hanf nach Jahren der Intoleranz jetzt die nötige Akzeptanz.
Das Wort hat die Kollegin Steffi Lemke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich könnte man der Bundesregierung zum Sprung über den eigenen Schatten gratulieren.
Leider ist der Sprung dafür etwas kurz geraten, und der Anlauf war bedauerlicherweise inakzeptabel lang.
Die Chronologie unserer Bemühungen zur Wiederzulassung von Hanf ist lang. Ich möchte hier nicht alle unsere Aktivitäten aufzählen, möchte aber darauf hinweisen, daß es die damalige Bundestagsgruppe Bündnis 90/Die Grünen war, die sich bereits 1993 hier in diesem Hause dafür eingesetzt hat, daß Hanf, die Jahrtausende alte Kulturpflanze, wieder nutzbar gemacht wird. In anderen EU-Ländern ist dies bereits seit vielen Jahren der Fall.
Damals wurde von seiten der Bundesregierung nur achselzuckend abgewunken. Auf massiven Druck von Landwirtinnen und Landwirten, Umweltverbänden, Hanfinitiativen, Bündnis 90/Die Grünen und inzwischen auch der SPD hat sich im Laufe des letzten Jahres endlich ein Sinneswandel eingestellt. Ich begrüße diesen Wandel.
Steffi Lemke
Dennoch muß ich auf zwei gravierende Mängel im vorliegenden Gesetzentwurf hinweisen: Die ursprünglich vorgesehene generelle Information der Landeskriminalämter hätte eine Kriminalisierung der Hanfanbauer bedeutet. Ich bin froh, daß Sie wenigstens davon abgekommen sind. Aber auch die abgeschwächte Formulierung stellt eine Überreglementierung dar. Ferner ist die Einstufung einer verspäteten oder unvollständigen Anmeldung des Hanfanbaus beim BLE ordnungspolitisch übertrieben und sachlich vollkommen unangemessen.
Eine Kopplung des Anzeigetermins an den Antragstermin für die EU-Fördermittel hätte völlig ausgereicht. Wir bringen den Bäuerinnen und Bauern offensichtlich wesentlich mehr Vertrauen entgegen als die Regierungsparteien.
Sie müssen sich entscheiden, ob Sie den Hanfanbau wollen oder nicht.
Sie hätten Ihre ordnungspolitische Regelungswut statt dessen lieber produktiv umleiten und effektive Vorschläge und Maßnahmen zur Praxiseinführung des Hanfanbaus und der Hanfprodukte vorlegen sollen. Diese fehlen nämlich bisher vollständig, zumindest seitens der Bundesregierung. Wir werden uns auf Grund der geschilderten Mängel bei der Abstimmung über Ihren Gesetzentwurf enthalten.
Die im Bundesrat erneut vertagte Siebte Betäubungsmittelrechts-Änderungsverordnung will nur EU-zertifiziertes Hanfsaatgut zum Anbau freigeben.
Es ist bekannt, daß dieses auf dem Saatgutmarkt für 1996 nicht ausreichend zur Verfügung steht. Wir fordern daher zumindest für das Anbaujahr 1996 die Zulassung polnischer und ungarischer Hanfsorten. Ansonsten werden die deutschen Landwirtinnen und Landwirte dieses Jahr noch vom Hanfanbau ausgeschlossen bleiben. Wenn der Bundesrat seine Änderungsverordnung allerdings noch lange verschleppt, wird das so oder so passieren.
Schließlich möchte ich darauf hinweisen, daß nach der Zwangspause im deutschen Hanfanbau ein enormer Nachholbedarf in der Verarbeitung, Vermarktung und auch in der Anbautechnik besteht. Um diesen hausgemachten Standortnachteil abzubauen - heute früh ist viel über den Standort Deutschland diskutiert worden -, den die Bundesregierung im Hanfbereich zu verantworten hat, brauchen wir eine bundesweite finanzielle und inhaltliche Koordination. Nur dann können wir den Hanfanbau effektiv in den Markt einführen.
Wir sind gespannt, ob die von Herrn Borchert in Auftrag gegebene, 650 000 DM teure Studie noch in diesem Jahrtausend praxisnahe und/oder umsetzbare Antworten geben wird. Ich persönlich bezweifle dies.
Frau Kollegin Lisa Peters, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und meine Damen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hanf, eine wiederentdeckte Nutzpflanze - so fing alles vor gut einem Jahr an. Ein Buch, 489 Seiten stark, warb für die Wiederentdekkung dieser alten Kulturpflanze, einer Pflanze, die ständiger Begleiter des Menschen war, insbesondere der Landwirte. Sie hatte in den Jahren der Technisierung, der Einführung von Produkten, die auf Basis chemischer Grundlagen hergestellt und sehr preiswert produziert und angeboten wurden, ihren Stellenwert verloren. In der Bundesrepublik ist zudem der Anbau von Hanf untersagt. Das ist hier schon gesagt worden. Das Betäubungsmittelgesetz steht der Kultur dieser Pflanze entgegen.
Nun will ich doch etwas einfügen. Sie haben hier die Aktivitäten beschrieben. Ich hatte genügend Aktivitäten; sie sind über ein Jahr alt. Ich bin heute froh, daß wir so weit sind.
Hanfsorten, die einen hohen Anteil an THC haben, könnten in der Rauschmittelproduktion Verwendung finden. Dies kann keiner ernsthaft wollen. Ich lehne das jedenfalls ab. Wir wollen aber, daß auch in Deutschland, wie in anderen EU-Ländern schon länger möglich, wieder Nutzhanf angebaut werden kann. Dazu muß das Betäubungsmittelgesetz geändert werden, und das soll mit diesem Gesetzentwurf heute geschehen. In nur einem Jahr ist es gelungen, die Verantwortlichen davon zu überzeugen, daß auch unseren Landwirten der Anbau gestattet werden muß.
An dieser Stelle - das passiert nicht so fürchterlich oft - möchte ich mich ganz herzlich - bitte geben Sie es weiter - bei Herrn Bundesgesundheitsminister Seehofer und auch bei Herrn Landwirtschaftsminister Borchert bedanken. Es geht sonst wirklich nicht so schnell; es hat niemand damit gerechnet. Bedanken möchte ich mich auch bei den Kolleginnen und Kollegen aus dem Bundestag, und zwar aller Fraktionen, die dazu beigetragen haben, daß wir heute so weit sind.
Bedanken möchte ich mich aber ganz besonders auch bei meinen Freunden im Berufsstand, die das eisern auf allen Schienen nach vorn gebracht haben. In diesen Dank will ich auch noch die Katholische Landjugend einschließen. Sie war unheimlich mutig.
Lisa Peters
Sie hat auf der Grünen Woche in Berlin im letzten Jahr diese Pflanze zum ersten Mal vorgestellt und sehr intensiv gearbeitet. Das hat mir viel Freude bereitet.
Ich bin der festen Überzeugung, daß der Hanfanbau bei uns eine Zukunft haben wird. Dabei falle ich nicht in Euphorie. Ich gestehe aber ein, daß ich mir ab und zu Träume leiste. Dabei will ich auch bleiben.
Der Hanf ist eine Pflanze, die keine hohen Ansprüche stellt, auf den meisten Böden wächst, ein guter Bodendecker ist und somit auch im Pflanzenschutz einsetzbar ist. Die Produktpalette von Erzeugnissen, die aus Hanf hergestellt werden, ist sehr umfangreich. Sie reicht von Textilien über Farben, Reinigungsmittel, Papier, Pappe bis zu Dämmplatten und Brems- und Kupplungsbelägen. Man kann noch sehr viel mehr daraus machen.
Allerdings, meine Herren und meine Damen, der Anbau, der zur Ernte 1996 nun endlich auch den deutschen Bauern und Bäuerinnen gestattet werden soll, ist die eine Seite, die Verwertung - auch das ist angesprochen worden - des Rohstoffes Hanf über den Handel und die Industrie die andere Seite. Beides ist aber nicht voneinander zu trennen. Hier sind noch viel Innovation und Können erforderlich. Hier wird sich sicherlich nichts übers Knie brechen lassen; aber das Ganze erfordert Unterstützung und auch finanzielle Begleitung. Das sage ich ganz ausdrücklich.
In diesem einen Jahr ist viel diskutiert worden. Kontakte zwischen Landwirten und Verarbeitung wurden hergestellt. Man hat nicht erwarten können, daß die Änderung des Gesetzes so schnell erfolgen würde. So war es nämlich. Doch ich denke, die Chance zum Anbau müssen wir auch deutschen Bauern und Bäuerinnen einräumen. Der Bundestag war einfach gehalten, dieses Gesetz zu ändern.
In der Praxis wird man noch viele Hürden überwinden müssen. Zur Aussaat 1996 steht zertifiziertes Saatgut nur begrenzt zur Verfügung. Es muß nämlich EU-zugelassen sein. Bisher wurde das Saatgut weitgehend in Frankreich erzeugt. Dort stimmen die klimatischen Verhältnisse. Angebot und Nachfrage bestimmen aber den Preis, und der Preis hat sich inzwischen verfünffacht. Sie müssen heute 500 DM aufbringen, um einen Hektar Hanf ansäen zu können. So hoch ist der Preis inzwischen gestiegen. Doch bis zur Ernte 1997 - davon bin ich überzeugt - werden die Landwirte, die den intensiven Hanfanbau als weiteres Standbein für ihren betrieblichen Erfolg betrachten, hart daran arbeiten, daß genügend Saatgut zur Verfügung steht und Produktions-und Verarbeitungsstätten zum Teil geschaffen werden.
Auch die Formalitäten, die durch die Pflicht zur Anzeige bei der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung erledigt werden müssen - das sehe ich anders als meine Kollegin von der SPD -, werden
Landwirte vom Anbau nicht abhalten. Ich denke, das ist zumutbar.
Wir sind es seit einigen Jahren gewohnt, daß die EU den Bauern Bürokratie und Formalismus abverlangt. Unsere Katasterauszüge müssen immerhin schon jetzt auf vier Stellen hinter dem Komma richtig sein. Ich weiß, wovon ich spreche. Das sind alles Vorschriften aus der EU. Ich gehe deshalb davon aus, daß bis zum 15. Juni - am Wochenende muß ich mich noch mit der Diesel-Sache befassen; sie ist nämlich am Dienstag an der Reihe, ich muß mich beeilen - alles vorliegt und auch die Etiketten mitgeliefert werden. Wenn öffentliche Gelder als Beihilfe gezahlt und in Anspruch genommen werden - das ist beim Hanfanbau so -, nimmt die Bürokratie verständlicherweise einen breiten Raum ein.
Ich freue mich jedenfalls, daß fast alle Hürden genommen worden sind und die Voraussetzung zum Anbau nun in Deutschland gegeben ist. Die Arbeit fängt aber jetzt erst an. Landwirte können nicht nur Erzeuger von Hanf sein; Landwirte müssen auch mit in die Verarbeitung dieses Rohstoffes einsteigen, damit diese alte Pflanze rentabel angebaut werden kann. Wir brauchen Unterstützung von Institutionen, Kammern, Genossenschaften, vom Landhandel und auch vom Gewerbe. Wir benötigen Feldversuche, die Hilfe von Pflanzenzüchtern; wir brauchen begeisterungsfähige Menschen, die sich für die optimale Verarbeitung dieses nachwachsenden Rohstoffes einsetzen.
Unsere natürlichen Energieressourcen - ich bin gleich mit meiner Rede fertig; eine Minute noch; ich habe meine Redezeit neulich einmal nicht ausgenutzt; diese Minute müssen Sie mir geben - sind endlich. Der Hanf kann nach meiner festen Überzeugung diese Lücke mit ausfüllen. Etwas Geduld gehört dazu. Im Jahre 2000 müssen wir den Vorsprung der anderen EU-Länder, die schon länger Hanf anbauen dürfen, eingeholt haben.
Ich persönlich freue mich auf Hanffelder. Die Pflanze ist 2,50 Meter hoch. Sie wird in unseren bundesdeutschen Kulturlandschaften zwischen Bad Bramstedt und Usedom, zwischen Pößneck in Thüringen und Großhirschbach in Baden-Württemberg und Petersgroden in Friesland auf unseren Äckern zu sehen sein.
Schönen Dank.
Sie alle verstehen sicher, daß man auch in dieser Funktion Lisa Peters nicht widerstehen kann. Aber man kann natürlich nicht eine nicht ausgenutzte Redezeit aus irgendei-
Vizepräsident Hans Klein
ner anderen Debatte dann bei Gelegenheit verwenden.
Aber Sie haben ja reden dürfen.
Ich erteile das Wort der Kollegin Ulla Jelpke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um den vorliegenden Gesetzentwurf angemessen bewerten zu können, möchte ich zunächst dessen Entstehungsgeschichte im mitberatenden Ausschuß, im Innenausschuß, darstellen. Der Innenausschuß hat einstimmig - ich wiederhole: einstimmig - einem Antrag der Grünen - er wurde hier schon genannt - über die unbürokratische Wiederzulassung des Anbaus von Nutzhanf zugestimmt. Vermutlich wurden die Mitglieder der Regierungsfraktionen im Innenausschuß nachfolgend zum Nachsitzen verdonnert. Jedenfalls legten nun CDU/CSU und F.D.P. einen offenkundig mit heißer Nadel gestrickten neuen Antrag vor.
Hierbei handelte es sich um den Ausdruck ihrer realitätsfernen Hasch-Paranoia. Der Anbau von THC-armem Cannabis sollte unter der Aufsicht der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung erlaubt werden. Die Anzeigen des Anbaus sollten aber anlaßunabhängig den zuständigen Landeskriminalämtern zugeleitet werden. Der Anbau von Nutzhanf sollte so mit bürokratischen Hürden erschwert und einer intensiven polizeilichen Kontroll- und Überwachungsmaschinerie unterworfen werden - eine, wie ich meine, groß angelegte und sinnlose Beschäftigungsmaßnahme für die Polizei.
Nunmehr wurde in den parlamentarischen Beratungen eine auf die Verhältnismäßigkeit der Mittel zielende Klarstellung erreicht. Nur auf Anfrage der Polizei und der Staatsanwaltschaft soll zukünftig die Weiterleitung der Anzeigen des Nutzhanfanbaus erfolgen, sofern dies als für die Verfolgung von Straftaten erforderlich erachtet wird; wobei in der polizeilichen Praxis gern alles Mögliche und Unmögliche für erforderlich angesehen wird, wie wir wissen. Sie wollen nun gegebenenfalls den Hanfbäuerinnen und -bauern mit dem gesamten polizeilichen Instrumentarium zu Leibe rücken: mit Telefonüberwachung, Observation und vielleicht auch mit Polizeispitzeln.
Diese Politik ist im Zusammenhang mit Hanfanbau absolut absurd.
Meine Damen und Herren, das Grundproblem bei dem Anbau von THC-armem Nutzhanf bleibt meines Erachtens aber nach wie vor bestehen, nämlich die Kriminalisierung von sogenannten weichen Drogen wie hier Cannabis. Diese einseitige Kriminalisierung von Cannabis steht in eklatantem Widerspruch zur strafrechtlichen Bewertung des Alkoholkonsums bzw. den Folgen von Alkoholabhängigkeit.
Wir plädieren grundsätzlich für eine Gleichbehandlung aller weichen Drogen. Wenn wir dies tun, nämlich die Drogenpolitik entkriminalisieren, dann können wir uns diesen Alptraum polizeilicher Kontrolle auch beim Anbau von Nutzhanf sparen. Aus den genannten Gründen können wir bei diesem Antrag nur mit Bauchschmerzen unsere Enthaltung verkünden.
Danke.
Ich erteile der Parlamentarischen Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit, Frau Dr. Sabine Bergmann-Pohl, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Kameras sind abgeschaltet, und ich möchte den Leidensdruck nicht erhöhen. Auf Wunsch eines einzelnen Herrn möchte ich meine Rede gern zu Protokoll geben.*)
Damit keine Unklarheit aufkommt: Der einzelne Herr war ich.
Hiermit hole ich die Genehmigung des Hauses ein, daß die Kollegin Bergmann-Pohl ihre Rede zu Protokoll geben darf. - Die Genehmigung ist erteilt.Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/ CSU und der F.D.P. eingebrachten Entwurf zur Änderung des Betäubungsmittelgesetzes, Drucksachen 13/3216 und 13/3652. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.Dritte Beratungund Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zustimmen will, möge sich erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist angenommen.Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen, Drucksache 13/3709. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:13. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung eines Umweltbundesamtes- Drucksache 13/2687 - *) Anlage 3
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7645
Vizepräsident Hans Kleina) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
- Drucksache 13/3358 -Berichterstattung:Abgeordnete Wilma Glücklich Eckart KuhlweinDr. Jürgen RochlitzDr. Rainer Ortlebb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung- Drucksache 13/3366 -Berichterstattung:Abgeordnete Eckart Kuhlwein Arnulf KriednerKristin HeyneDr. Wolfgang Weng
Die Kolleginnen und Kollegen der Fraktionen und der Gruppe, die zu diesem Punkt sprechen sollten, wollen ihre Beiträge zu Protokoll geben.*) Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung eines Bundesumweltamtes, Drucksache 13/2687. Der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt auf Drucksache 13/3358, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen.Dritte Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:14. Beratung des Antrags der Abgeordneten Brunhilde Irber, Susanne Kastner, Dr. Eberhard Brecht, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDFörderung eines Modellprojekts für Umwelt und Verkehr im Tourismus- Drucksache 13/3554 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus
Ausschuß für VerkehrAusschuß für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAlle Kolleginnen und Kollegen haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.**) Die Rede der Vertreterin von Bündnis 90/Die Grünen ist noch nicht hier vorne*) Anlage 4**) Anlage 5 -eingetroffen. Aber wenn ich die Geste der Parlamentarischen Geschäftsführerin richtig deute, wird diese vermutlich nachgereicht. Ich stelle dem Haus die Frage, ob es mit diesem Verfahren einverstanden ist? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/3554 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Besteht auch damit Einverständnis? - Dies ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.Ich rufe Tagesordnungpunkt 15 und Zusatzpunkt 8 auf:15. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Elften Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze
- Drucksache 13/3696 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung RechtsausschußAusschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für GesundheitZP8 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.Finanzierung der Investitionskosten der Pflegeeinrichtungen- Drucksache 13/3699 -Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Besteht damit Einverständnis? - Das ist der Fall. Dann ist es so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Johannes Singhammer.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Einführung der Pflegeversicherung war mehr als eine humane Geste oder ein soziales Feigenblatt. Sie war tatkräftige, nachprüfbare Hilfe - schon jetzt - für mehr als 1 Million Menschen in Deutschland, ein Vorhaben beispielloser Art, der praktizierten Mitmenschlichkeit in unserem Land, das seinesgleichen sucht.
Die seit Jahrzehnten immer wieder eingeforderte fünfte Säule unseres Sozialversicherungssystems steht. Für diesen Neubau eines bisher nicht dagewesenen Hauses der sozialen Sicherheit sind vor Jahren die Fundamente gelegt worden. Das Erdgeschoß und das erste Stockwerk sind fertiggestellt. Am zweiten Stockwerk, der zweiten Stufe, wird fest gearbeitet,
Johannes Singhammer
auch wenn die Innenkonfiguration, die Aufteilung der Räume, immer wieder einer Anpassung bedarf; denn eine Feinplanung für ein vergleichbares beispielhaftes Werk gibt es nicht.
Vor zehn Monaten ist die erste Stufe der Pflegeversicherung in Kraft getreten. Viele werden sich noch an die damalige Kampagne der Verunsicherung erinnern. Sie ist kaputtgeredet worden. Wie hießen die Schlagzeilen damals? „Start ins Pflegechaos", „Jahrhundertskandal", „Antragsstau -500 000 Anträge unbearbeitet", „Milliardendefizite im ersten Jahr", „drei weitere Feiertage müssen zur Kompensation abgeschafft werden".
Heute, zehn Monate später, am 8. Februar 1996, hören Sie darüber kein Wort mehr. 1 844 000 Begutachtungen des Medizinischen Dienstes wurden durchgeführt, alle Anträge auf Leistungen der Pflegeversicherungen zur häuslichen Pflege sind abgearbeitet, 1 300 000 Pflegebedürftige erhalten Leistungen aus der Pflegeversicherung, 700 000 Pflegebedürftige erhalten an Stelle der bisherigen 400 DM von den Krankenkassen jetzt 800 DM usw., usw. Ich werde Ihnen jetzt keine weiteren Zahlen auflisten.
Wie lange haben die Pflegebedürftigen und auch ihre Angehörigen auf diese Entlastung gewartet? Jetzt erhalten immerhin auch 2 Millionen Angehörige eine Entlastung; auch sie sind unmittelbar betroffen.
Wie lange haben die Frauen auf die Anrechnung in der Rentenversicherung gewartet? Jetzt erhalten auch sie eine Anrechnung.
Dies war und dies ist eine gewaltige, erfolgreiche administrative Anstrengung, eine bewundernswerte Leistung, eine Bürgerinitiative des guten Willens. Ich danke allen, die an dieser Umsetzung der ersten Pflegestufe mitgewirkt haben - den Medizinischen Diensten, den Verwaltungskräften, den Pflegekassen, den Pflegediensten -, für ihren unermüdlichen Einsatz, für diese - auch die Bibel darf in diesem Hohen Haus zitiert werden - praktizierte Nächstenliebe.
Jetzt geht es um die Einführung der zweiten Stufe der Pflegeversicherung. Kein Sachkundiger meint, dies sei ein leichtes Unterfangen. Wieder hört man Stimmen, die sagen: Offenbarungseid droht, Sprung ins finanzpolitische Nirwana, nur eine Verschiebung der zweiten Stufe brächte noch Rettung.
Wer so spricht, muß wissen, daß wir mit der Hoffnung von Menschen spielen, die im Regelfall ohnehin ein schweres Handicap zu tragen haben. Geschätzt 410 000 Menschen können in dieser zweiten Stufe berücksichtigt werden. Darunter sind viele ältere Mitbürger, die stationär in Heimen oder Pflegeeinrichtungen untergebracht sind. Sie kennen den Zeitplan alle. Die Menschen draußen wissen auch, daß schwierigste Entscheidungen bevorstehen: Welche Gruppen sollen vollständig versichert sein, welche Leistungen sollen die Regelungen umfassen?
Um Vertrauen zu bewahren, müssen zwei Grundsätze eingehalten werden: Erstens. Die zweite Stufe der Pflegeversicherung darf nicht verschoben werden. Eine Entscheidung für die Einführung muß jetzt getroffen werden, ohne Verzögerung.
Zweitens. Es kann nicht mehr für Leistungen ausgegeben werden, als an Beiträgen eingenommen wird.
Die Pflegeversicherung darf nicht über ihre Verhältnisse leben.
Was bedeutet das im einzelnen? Wer pflegebedürftig ist und in einem Heim untergebracht ist, erwartet, daß eine Pflegeversicherung, die diesen Namen auch verdient, die Behandlungspflege und die soziale Betreuung mit umfaßt. Das hat nichts mit Vollkaskomentalität zu tun, sondern ist eine berechtigte Erwartung.
Ich danke allen Beteiligten, insbesondere Herrn Bundesminister Blüm,
daß dies jetzt möglich war, daß eine Lösung erreicht werden konnte.
Soll die Eingliederungshilfe bei Behinderteneinrichtungen mit eingeschlossen sein? Selbstverständlich ja, möchte man sagen. Kein gerecht Denkender, der nicht wünschte, daß Menschen mit einem Handicap - vor allem, wenn es schwerer Art ist - nicht mit eingeschlossen sind. Nur, wir wissen alle: Dies ist vor allem auch eine Finanzfrage. Zur Zeit kann niemand sagen, woher die zu erwartenden zusätzlichen Aufwendungen in Höhe von 2 Milliarden DM kommen sollen. Ehrliche Politik heißt deshalb: kein Hinausschieben von Entscheidungen; die Wahrheit sagen, auch wenn sie schmerzlich ist.
Das finanzielle Fundament der Pflegeversicherung kann nicht gefährdet werden.
Welche Möglichkeiten einer finanziellen Besserstellung gibt es? Die Investitionskosten für die Einrichtungen der Pflege sollen durch die Bundesländer bezuschußt werden. Das ist entscheidend notwendig. Die Bundesländer müssen ihre Zusagen einhalten. Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, Sie haben in vielen Bundesländern die Möglichkeit, darauf einzuwirken
- noch! -, wenn Ihnen daran gelegen ist.
Wenn Sie ernst meinen, was Sie sagen - „Taten statt Worte sind gefragt" -, stimmen Sie unseren
Johannes Singhammer
Anträgen zu im Interesse derjenigen, die Hilfe brauchen.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Gerd Andres.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Jede Politik beginnt damit, zu sagen, was ist. Wer nicht bereit ist, Fakten, Hintergründe und Zusammenhänge in einem öffentlichen Diskurs zu organisieren, dem wird es auf Dauer auch nicht gelingen, politische Mehrheiten zu gewinnen und für wichtige gesellschaftspolitische Ziele zu überzeugen.
Wer die Debatte um die Pflegeversicherung in den letzten Wochen und Monaten verfolgt hat, der mußte oft einen gegenteiligen Eindruck haben. Da wurde jongliert, getäuscht, da wurde getrickst,
und da wird öffentlich über eine wichtige Sache für Hunderttausende von Menschen in unserem Land geredet, da wird mit Ängsten gespielt.
Deswegen, denke ich, gehört als allererstes zu dieser Diskussion des Ersten Gesetzes zur Änderung des SGB XI eine ganz wichtige Sache.
Der Bundesarbeitsminister bzw. sein Staatssekretär Karl Jung hat noch vor Wochen erklärt, die Pflegeversicherung verfüge über ein Finanzpolster von
6 Milliarden DM.
In diesen Tagen kann man in den Zeitungen lesen, daß der Bundesarbeitsminister dem Bundesgesundheitsminister gegenüber mitgeteilt habe, in der Pflegeversicherung sehe es ganz eng aus, es gebe finanzielle Engpässe.
In der Begründung des Gesetzentwurfes, den Sie vorlegen, kann man als Problemstellung folgendes lesen:
... Klarstellungen von Regelungsinhalten einzelner Vorschriften zur Pflegeversicherung mit dem Ziel, die Pflegeversicherung vor finanziellen Mehrbelastungen zu schützen, die mit dem engen, gesetzlich vorgegebenen Finanzrahmen der Pflegeversicherung unvereinbar sind.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit diesem Gesetzentwurf bringt die Koalition 32 Einzeländerungen des Pflegeversicherungsgesetzes in
7 Artikeln auf den Weg, ohne daß irgendwo einmal
deutlich und im Zusammenhang erklärt wird, wie die
finanzielle Situation und die abschätzbaren, voraussehbaren finanziellen Risiken der Pflegeversicherung in Wahrheit sind.
Deswegen ist meine erste Forderung an den Bundesarbeitsminister, öffentlich deutlich zu erklären, wie die finanzielle Lage der Pflegeversicherung zum gegenwärtigen Zeitpunkt, nach Einführung der ersten Stufe der ambulanten Versorgung ist und wo in welchen Größenordnungen mittelfristig mit Finanzrisiken zu rechnen ist. Denn nur dann können ja die Änderungsvorschläge, die hier eingereicht worden sind, vernünftig bewertet und beurteilt werden. Ansonsten muß man das glauben, was mit öffentlichem Getöse irgendwo dargestellt wird.
Zweiter Punkt. Die öffentliche Auseinandersetzung zwischen Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer, den ich auf den hinteren Rängen begrüßen darf, und Bundesarbeitsminister Blüm mutete ja über weite Strecken schon wie ein öffentlicher Offenbarungseid an. Ich will sagen, womit hier gehandelt wurde. Der Bundesarbeitsminister schätzt die Kosten der sogenannten Behandlungspflege auf 800 Millionen DM. Der Bundesgesundheitsminister erklärt öffentlich - das kann man in vielen Ticker- und Zeitungsmeldungen nachlesen -, die Kosten lägen bei 2,7 Milliarden DM, mit steigender Tendenz. Die Krankenkassen handeln 3 bis 4 Milliarden DM. Meine ganz schlichte Frage ist: Wie sind denn die Kosten real und in Wahrheit kalkulierbar?
- Ja, ja. Hören Sie doch auf!
Man hört, daß die realistischen Kosten bei 1 Milliarde DM bis 1,1 Milliarden DM liegen. Nach meinen Informationen liegen die Kalkulationen und Schätzungen sowohl der Länder als auch des Bundesarbeitsministers relativ in der gleichen Größenordnung.
Die spannende Frage ist, warum dieses öffentliche Getöse inszeniert wurde und die Behandlungspflege im ersten Vorentwurf faktisch den Betroffenen selbst zugeschoben wurde und nun im zweiten Entwurf der Pflegeversicherung zugeordnet wird. Ich denke, es wird im Hearing, in der öffentlichen Diskussion und auch in der Fachdiskussion im Ausschuß spannend sein, abzuklopfen, wie hier eigentlich die realen Hintergründe sind und welche Auswirkungen welcher Vorschlag hat.
Ich sage Ihnen ganz offen: Für meine Begriffe und von der Systematik her gehört die Behandlungspflege in den Bereich der Krankenversicherung.
Jeder, der sich heute die Fakten ansieht, weiß: Wenn ein Arzt in eine Einrichtung geht und die Behandlungspflege macht, dann werden die Kosten bei der Krankenversicherung abgerechnet. Und den freundlich lächelnden Bundesgesundheitsminister kann man nur daran erinnern, daß dies auch die einmütige Position der Länder war und daß schon im vergangenen Jahr der Versuch unternommen worden ist, mit entsprechenden Änderungen des SGB V eine solche Position entsprechend zu verankern.
Gerd Andres
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der dritte Punkt: Ein großes Problem, mit dem wir es zu tun haben, ist die Abgrenzung zwischen Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz und denen der Pflegeversicherung insbesondere im Bereich der Behinderten. Da wird nun in diesem Gesetzentwurf der Vorschlag gemacht, das Problem so zu lösen, daß, wie in § 71 formuliert wird, alle
Einrichtungen, in denen die medizinische Vorsorge oder Rehabilitation, die berufliche oder soziale Eingliederung, die schulische Ausbildung oder die Erziehung Kranker oder Behinderter im Vordergrund des Zweckes der Einrichtung stehen, ...
von den Leistungen nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch ausgeschlossen werden.
Ich will ganz offen sagen: Bei der Schaffung der Pflegeversicherung war kein Mensch davon ausgegangen, daß diese Einrichtungen als faktisch anerkannte Pflegeeinrichtungen über die Pflegeversicherung abgewickelt werden. Aber es ergibt sich doch eine Reihe von Problemen, nach denen man einmal fragen muß.
Man muß die Frage stellen, ob sich diejenigen, die diesen Gesetzentwurf gemacht haben, über folgenden Tatbestand klargeworden sind, den man schon beispielsweise in einem sehr fundierten Artikel in der „Süddeutschen Zeitung" nachlesen konnte: Die Eltern eines geistig behinderten Kindes, die dieses Kind zu Hause versorgen, können Pflegeleistungen nach dem Pflegeversicherungsgesetz beantragen und bekommen sie, wenn der Medizinische Dienst das entsprechend begutachtet. Aber das gleiche behinderte Kind, das in einer vollstationären Einrichtung untergebracht wird, wird von den Leistungen der Pflegeversicherung ausgeschlossen. Ob eine solche Regelung unter Gleichhehandlungsgesichtspunkten und im Hinblick auf Art. 3 des Grundgesetzes verfassungsrechtlich Bestand haben kann, diese Frage will ich hier nur einmal aufwerfen.
Sie haben eine ganze Reihe weiterer Positionen in diesem Gesetz formuliert, mit denen der Gesetzgeber Regelungsbereiche eingrenzt, teilweise auch präzisiert, beispielsweise beim Auslandsaufenthalt. Aber wenn ich mir anschaue, wie Sie jetzt die Urlaubspflege definieren, wie Sie die Qualitätspflege definieren, wie Sie § 44 formulieren, wo es uni die soziale Absicherung der Pflegepersonen geht, dann interessiert mich in diesem Zusammenhang auch, wie sich die Rentenversicherungsbeiträge bisher finanziell auswirken und ob es notwendig ist, in diesem Bereich Eingrenzungen vorzunehmen.
Ich weiß sehr wohl und sage auch ganz offen - dem Bundesarbeitsminister und allen hier im Hause -, daß wir über einzelne Positionen gesprochen haben. Aber so, wie Sie die Dinge jetzt zu diesem Gesetzentwurf verknüpft haben und wie Sie die Abgrenzung zwischen dem BSHG und der Behandlungspflege geregelt haben, stellen sich doch ganz viele Fragen, auf die ich hier keine einfache Antwort geben kann. Ob beispielsweise die Zuordnung der Behandlungspflege zur Pflegeversicherung dazu führt, daß ein
Teil der Menschen doch wieder bei der Sozialhilfe landet, das muß man sich sehr genau anschauen. Das hängt nämlich sehr davon ab, wie es sich entwickeln wird. Ich bin sehr dafür, daß darüber ganz handfest und ganz offen geredet wird.
Ich möchte dem Bundesarbeitsminister eines sagen: Die zweite Stufe der Pflegeversicherung muß im Sommer kommen.
Ich gehöre nicht zu denen, die wie Herr Dr. Thomae oder Frau Dr. Babel Ihnen jetzt in dieser öffentlichen Auseinandersetzung mit hämischen Kommentaren sozusagen noch einmal hinterhertreten und sagen: Das sollte man doch alles aussetzen, und das tun wir jetzt.
Aber ich bin fest davon überzeugt, Herr Bundesarbeitsminister, daß wir nur dann eine Chance haben, das öffentlich zu bestehen und auch öffentlich durchzusetzen, wenn in der jetzigen Phase über die Pflegeversicherung, über die Leistungsansprüche, über die Kosten und über die möglichen Belastungen, die sich daraus ergeben, ein öffentlicher und offener Diskurs geführt wird. Wenn das nicht getan wird und man den Versuch unternimmt, sich im politischen Bereich jetzt sozusagen durchzumogeln, dann tut man weder der Pflegeversicherung noch den betroffenen Menschen irgendeinen Gefallen.
Denn auch das ist klar: Jeder, der politisch verantwortlich handelt, muß zum Schluß sagen, wie alles bezahlt wird.
Daß es kaum jemanden gibt, der vor dem Hintergrund der Lohnnebenkostendebatte usw. jetzt bereit wäre, eine neue Debatte über die Beiträge zur Pflegeversicherung loszutreten, ist dabei auch völlig klar.
Lassen Sie mich eine letzte Bemerkung zu dem wunderbaren Antrag, den Sie hier einbringen, machen.
Hören Sie zu! - Das ist eine Mogelpackung. Mir ist schon klar, daß die Länder im Vermittlungsausschuß zugesagt haben, einen Teil der Summe, die bei der Sozialhilfe eingespart wird, für Investitionen zur Verfügung zu stellen. Ich gehöre zu denjenigen, die auch gegenüber den A-Ländern sagen: Diese Zusage müßt ihr einhalten.
Auch mein Vorredner, der Kollege Singhammer, hat gesagt: Sie müssen ihren Anteil formulieren. Der kleine Trick in dem Antrag, den Sie vorlegen, ist aber, daß Sie vorschlagen, daß die Länder faktisch die ganzen Investitionen übernehmen müssen. Davon ist überhaupt keine Rede gewesen. Deswegen ist das eine Mogelpackung.
Herr Kollege, Ihre Redezeit!
Ich sage voraus: Wir werden diesem Antrag genau deswegen nicht zustimmen. Ich wage die Prophezeiung, daß auch dieses Gesetz wie manche andere Dinge, die jetzt verhandelt werden, zum Schluß im Vermittlungsausschuß landet.
Vielen Dank.
Frau Kollegin Andrea Fischer, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt wohl kaum ein sozialpolitisches Problem, zu dem uns die Koalition in den letzten Wochen nicht jeweils ein mehr oder minder öffentliches Spektakel über ihren Krach vorgeführt hätte.
Der politische Erfolg besteht dann jeweils darin, daß sich die Koalitionsfraktionen endlich geeinigt haben. Damit übertünchen sie dann die Dürftigkeit des Kompromisses.
Wir haben es hier, wie schon so oft, mit einem Verteilungsproblem zu tun. Es geht um die Verteilung der Kosten von sozialen Leistungen auf verschiedene Träger. Das Beste, was sich über die uns vorgelegten Vorschläge sagen läßt, ist, daß jetzt wenigstens überhaupt eine Abgrenzung vorgenommen wird.
Bei aller Kritik, die ich an den Vorschlägen im einzelnen habe, hoffe ich, daß damit wenigstens dem beklagenswerten Zustand abgeholfen wird, daß der Verteilungsstreit auf dem Rücken der Pflegebedürftigen ausgetragen wird.
Die große Inszenierung der letzten Tage betraf die Finanzierung der Behandlungspflege. Da hat sich der Gesundheitsminister, der gerade auf den hinteren Bänken still seinen Erfolg genießt, durchgesetzt. Aber wenn man es genau nimmt, ist damit der Pflegeversicherung eine versicherungsfremde Leistung aufgedrückt worden, da ja eigentlich definiert ist, daß in der Pflegeversicherung nur die Grundpflege zu gewährleisten und zu finanzieren ist. Es handelt sich hierbei also um typische Leistungen der Krankenversicherung, die von ihr auch bei Pflegebedürftigen, die ambulant betreut werden, übernommen werden müßten. Auch die Menschen, die in
Heimen leben, haben Krankenversicherungsbeiträge gezahlt. Warum also werden sie von deren Leistungen ausgeschlossen?
Es handelt sich hier offensichtlich um einen Deal. Der Gesundheitsminister schützt seine Krankenkassen. Dafür läßt er zu, daß die Sozialhilfe ein weiteres Mal gebeutelt wird; denn zu nichts anderem wird die im Gesetzentwurf vorgesehene Regelung führen, daß Behinderte, die in teil- oder vollstationären Einrichtungen leben, gänzlich von den Leistungen der Pflegeversicherung ausgeschlossen werden.
Ich weiß auch: Eine Abgrenzung zwischen der Pflegeversicherung und der Eingliederungshilfe war wirklich dringend notwendig.
Trotzdem muß ich darauf hinweisen, daß die Regelung, wie sie jetzt vorgeschlagen wird, eine ganz problematische Implikation hat. Hier werden Menschen mit Behinderungen kategorisch von einem allgemeinen Leistungsgesetz ausgeschlossen.
Ich möchte darauf hinweisen, daß auch viele Behinderte als Erwerbstätige Beiträge in die Pflegekassen zahlen, von deren Leistungen sie dann aber wiederum ausgeschlossen werden.
Trotz der Bestimmung in § 14 des Pflegeversicherungsgesetzes, wonach Menschen mit Behinderungen ausdrücklich in den Geltungsbereich des Gesetzes aufgenommen werden, wird hiermit noch einmal der wahre Charakter der Pflegeversicherung deutlich: Es handelt sich um ein Gesetz für pflegebedürftige alte Menschen. Es ist am Wirkungsvollsten für diejenigen von ihnen, die zu Hause leben und von ihren Angehörigen gepflegt werden.
- Das habe ich doch gerade gesagt. Wenn Sie mir zugehört hätten, hätten Sie gehört, daß ich gesagt habe, dafür sei es wirkungsvoll.
Der Vorschlag im Gesetzentwurf der Behindertenverbände, die Kosten im Verhältnis von 20 zu 80 aufzuteilen, habe ich deswegen für eine sachgerechte Alternative gehalten, um die Ansprüche der Behinderten an die Pflegeversicherung anzuerkennen, die dann aber auch einen weiteren Aspekt berücksichtigt. Denn über die grundsätzliche Kritik hinaus muß darauf hingewiesen werden, daß diese Regelung zu Lasten der Länder geht. Sie werden durch die Pflegeversicherung nicht in dem versprochenen Maß entla-
Andrea Fischer
stet, sondern müssen über die Eingliederungshilfe die Kosten für die Pflegesätze vollständig tragen.
Vor diesem Hintergrund, Herr Kollege Laumann, ist es - freundlich gesagt - ziemlich keß, hier noch einen Antrag vorzulegen, der die Länder zu einer drastischen Erhöhung der Pflegeinvestitionen auffordert. Erst haben Sie die Entlastungseffekte durch die Pflegeversicherung reduziert, und dann wollen Sie sie noch einmal zur Kasse bitten.
Mittlerweile sind in die Haushalte sehr vieler Bundesländer Gelder für die Pflegeinvestitionen eingestellt worden. Das sollte man jetzt noch einmal prüfen; das hat sich nämlich gegenüber dem Stand zum Zeitpunkt der Antwort auf die Kleine Anfrage der Koalitionsfraktionen geändert. Deswegen finde ich, daß der Bund im Moment noch nicht so laut tönen sollte.
Abschließend noch zu einem letzten Punkt. Mit der Entscheidung, die Leistungen für Behinderte vollständig der Eingliederungshilfe zu überantworten, hat die Koalition die Entwicklung bekräftigt, daß die Eingliederungshilfe das wesentliche Instrument für die Finanzierung von Leistungen für Behinderte ist. Es ist deswegen längst überfällig, daß die Eingliederungshilfe von einem eigenständigen Leistungsrecht für Behinderte abgelöst wird, das systematisch auf deren Bedarf zugeschnitten wird. Und das muß dann aus Bundesmitteln finanziert werden.
- Sie haben das bislang alles den Kommunen auf gedrückt. Auch das, was Sie uns heute hier vorlegen, ist wieder nichts anderes. Es geht nicht, daß Sie das weiter in diese Richtung verschieben.
Frau Kollegin Dr. Gisela Babel, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute ein zweites Gesetz zur Änderung des Pflegeversicherungsgesetzes, obwohl die zweite Stufe der Pflegeversicherung noch gar nicht in Kraft getreten ist. Wir haben alle Hände voll zu tun, um den Damm zu halten, den wir mit dem Beitragsdeckel von 1,7 Prozentpunkten errichtet haben. Alle Probleme, die wir jetzt mit diesen Änderungen zu lösen versuchen, haben mit diesem Grundproblem, sich in diesem Finanzrahmen zu bewegen, zu tun.
Pflegeleistungen für Behinderte in Einrichtungen der Eingliederungshilfe, die Behandlungspflege in Pflegeheimen und die soziale Betreuung, das sind durchweg heikle Punkte. Es wäre wesentlich einfacher gewesen, diese Fragen bereits im Gesetzgebungsverfahren zur Pflegeversicherung im Jahre 1994 zu regeln. Aber da haben wir ja Wohltaten geregelt und verkauft bzw. verteilt. Damals hätten wir bestimmte Härten gleich mit regeln sollen.
Jetzt, im nachhinein, unter Zeitdruck, sozusagen im Reparaturbetrieb, ist das sehr viel schwieriger.
Ich kann den beteiligten Ministern den Vorwurf nicht ersparen, hier leichtfertig mit dem Prinzip Hoffnung gearbeitet zu haben: Alles werde sich schon klären, bis die zweite Stufe komme.
So ist es für die Behinderten in stationären Einrichtungen der Eingliederungshilfe bitter, zu begreifen, daß für sie die Leistungen der Pflegeversicherung nicht vorgesehen sind und auch nicht waren. Es wäre allemal besser gewesen, eine solche klarstellende Regelung von vornherein in dem Gesetz zu verankern. Nun müssen wir durch die Pflegeversicherung geweckte, vielleicht auch geschürte Erwartungen enttäuschen. Wir müssen dies tun, weil die Beiträge zur Pflegeversicherung als Bestandteil der Lohnnebenkosten nicht weiter steigen dürfen. Ich bin Ihnen, Herr Andres, für die klare Aussage in diesem Punkte dankbar. Es besteht also Einvernehmen darüber, daß wir diesen Kostenrahmen nicht ausdehnen dürfen.
Selbstverständlich erhalten die Behinderten, die ambulant und teilstationär betreut werden, den häuslichen Pflegebedarf der Leistungen der Pflegeversicherung. Es macht mir jetzt sozialpolitisch nicht soviel Kopfschmerzen, Frau Fischer, daß wir das in der Familie anders und vielleicht sogar besser als in stationären Bereichen regeln, vorausgesetzt, daß es die Solidargemeinschaft leistet.
Die Behandlungspflege wollen wir nach monatelangem Streit zwischen den Ministern Blüm und Seehofer nun so regeln, daß die Pflegeversicherung die Kosten für die medizinische Behandlungspflege in Pflegeheimen übernimmt, allerdings nur, soweit der Höchstbetrag von 2 800 DM von der Grundpflege nicht bereits aufgezehrt ist. Das heißt aber in sehr vielen Fällen - wir werden es sicherlich in den Ausschußberatungen noch näher erfahren - oder sogar in den meisten Fällen, daß der Betrag von 2 800 DM überstiegen wird und es dann doch bei dem Finanzier Selbstzahler oder Sozialhilfeträger bleiben wird.
Soweit ich weiß, werden in den östlichen Bundesländern die Behandlungspflege und die Pflegeversicherungsleistungen zusammen den Kostenrahmen von 2 800 DM nicht übersteigen, so daß es da zur Zeit eine bessere Lösung gibt.
Wir müssen damit natürlich das Ergebnis realistisch ins Auge fassen, daß weniger Empfänger einer Durchschnittsrente aus der Sozialhilfe herausgelöst werden können, als wir es ursprünglich vielleicht gehofft oder angenommen haben, und daß auch die Einsparungen bei den Sozialhilfeträgern geringer ausfallen werden. Dieses Ergebnis hat die F.D.P. immer schon vorausgesagt. Aber Sie wissen ja, wie beliebt seinerzeit die Kassandra war. Wir haben jedenfalls immer vor den Illusionen gewarnt, die man sich hier vielleicht gemacht hat.
Dr. Gisela Babel
Nach den Vorstellungen der beteiligten Minister soll im Jahre 1999 geprüft werden, welcher Anteil der in einer Größenordnung von 3 Milliarden DM erwarteten Einsparungen bei der gesetzlichen Krankenversicherung durch die Umwidmung fehlbelegter Krankenhausbetten für die Finanzierung der Behandlungspflege eingesetzt werden kann. Die F.D.P. hat dies abgelehnt, weil wir hier keine neuen Erwartungen wecken sollten. Die Einsparungen in der Krankenversicherung sind schon mehrfach politisch als Sanierungsmaßnahmen für künftige Belastungen verkauft worden. Da können wir nicht sagen, irgendwann würden in einem herrlichen, paradiesischen Zustand Mittel übrig sein, damit andere Wünsche damit erfüllt werden könnten. Wir sind da sehr skeptisch. Wenn das Wunder eintreten sollte, Herr Seehofer, dann wären wir wieder an Ihrer Seite und würden das natürlich auch mitmachen.
Die Kosten für die soziale Betreuung soll auch die Pflegeversicherung im Rahmen ihrer Höchstbeiträge übernehmen. Diese Lösung ist im Sinne der F.D.P.; denn sie schont die Versicherungskasse.
Meine Damen und Herren, ich möchte noch ein Problem anreißen, nämlich die Kompensation. Die Kompensation ist für die F.D.P. unverzichtbar; es muß ausgeglichen werden. Wir hoffen, daß es in dem größeren Zusammenhang der Einsparungen - Stichwort Jahreswirtschaftsbericht und die Reformen, die wir auf den Weg bringen - zu einer solchen Einsparung auch konkret nachweisbar kommen wird.
Mein letztes Wort: Investitionskosten der Länder sind neu einzufordern. Herr Andres, das war nun das einzige an Ihrer Rede, was mehr als windig war, wenn Sie sagen, wir hätten nicht alle Investitionskosten versprochen. Machen Sie einen kleinen Änderungsantrag und sagen Sie: Überwiegend sollen auch nach unserer Ansicht die Investitionskosten von den Ländern, und zwar aller, SPD- wie CDU- bzw. CSU-regierter, übernommen werden. Dann wären wir schon wieder im selben Boot. Es ist doch wichtig, daß von diesem Bundestag ein Signal ausgeht und die Länder an ihre Verpflichtungen erinnert werden, ihren Beitrag zu leisten.
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist überschritten.
Darüber sollten wir uns auch durchaus einig sein.
Damit ende ich, Herr Präsident. Ich bedanke mich.
Frau Kollegin Petra Bläss, Sie haben das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In diesen Gesetzentwurf sind alle wesentlichen Änderungsanträge vom November 1995, die seinerzeit nach intensivem Protest der Wohlfahrts- und Betroffenenverbände zurückgezogen worden sind, eingeflossen. Diese sind mit den notwendigen Festlegungen zur Inkraftsetzung der zweiten Stufe gekoppelt. Insofern bestätigt sich die damalige Befürchtung, daß besagte Novellierungsvorschläge keinesfalls vom Tisch sind.
Daß Neuregelungen bzw. Klarstellungen des Pflegeversicherungsgesetzes notwendig sind, bezweifelt wohl niemand. Doch daß in dem von der Bundesregierung vorgelegten Änderungsgesetz weder die eindeutigen Ergebnisse der Anhörung zur Pflegeversicherung vom 20. September 1995 noch die Vorschläge des Alternativentwurfs der Behindertenverbände aufgegriffen wurden, wirft ein bezeichnendes Licht auf die politische Zielrichtung.
Die wichtigsten Regelungen des Gesetzentwurfes der Koalition bewirken eine Leistungseingrenzung und sind den Vorschlägen der Verbände direkt entgegengesetzt. In vielen Fällen wird bewußt eine Verschärfung der Situation in Kauf genommen.
Unsere Kritik gilt vor allem folgenden konzeptionellen Grundlinien: erstens der faktischen Ausgrenzung der überwiegenden Mehrheit der behinderten Menschen von den Leistungen der Pflegeversicherung, zweitens der faktischen Rücknahme wichtiger, mit der Wende möglich gewordener Verbesserungen in der Behindertenarbeit in den neuen Bundesländern und drittens der beängstigenden Ausweitung der Weisungskompetenzen des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung. Daß es weder zu den angekündigten finanziellen Entlastungen der Pflegekasse noch der Länder und Kommunen kommen wird, hat die Kollegin Fischer bereits hervorgehoben.
Das im November 1995 gefällte harte Urteil des Deutschen Vereins trifft auch auf den vorgelegten Gesetzentwurf zu:
Mit den überwiegend einengenden Änderungsvorschlägen zum Gesetzentwurf zur Änderung des Pflegeversicherungsgesetzes würde die ganz überwiegende Mehrheit der Behinderten faktisch von den Leistungen der Pflegeversicherung ausgeschlossen.
Das widerspricht eindeutig der Ergänzung des Art. 3 des Grundgesetzes:
Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
Dieser Ausschluß erfolgt unter anderem mit der Beschränkung des Begriffes einer Pflegefachkraft auf die Berufe der Krankenpflege, Kinderkrankenpflege und Altenpflege. Aus unserer Sicht ist es notwendig, daß die in den Behinderteneinrichtungen tätigen sonder- und heilpädagogisch ausgebildeten Berufsgruppen in den Begriff einer Pflegefachkraft einbezogen werden. Alle Gespräche, die wir in Einrichtungen geführt haben, bestätigen, daß die vorgesehene Beschränkung der Pflegefachkraft nicht zu
Petra Bläss
einer Lösung, sondern zu einer Verschärfung der Probleme bei der Abgrenzung der Leistungen der Pflegeversicherung und der Eingliederungshilfe nach dem BSHG führt.
Auch die Warnung vor einer Zerstörung der historisch gewachsenen Struktur der Behindertenhilfe hat nicht an Aktualität eingebüßt.
Frau Kollegin, ich wollte Ihnen nur ein bißchen mehr Aufmerksamkeit auf seiten der Fachleute verschaffen.
Bitte fahren Sie fort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir sind ja fast unter uns.
Es ist abzusehen, daß die Sozialhilfeträger auf die geplante Ausgrenzung behinderter Menschen aus dem Leistungsbezug der Pflegeversicherung reagieren werden. So ist davon auszugehen, daß die Sozialhilfeträger die Hilfebescheide zu Lasten von älteren geistig behinderten Menschen sowie mehrfach behinderten Menschen von der pädagogisch orientierten Eingliederungshilfe auf die reine Hilfe zur Pflege umstellen werden. Die Träger der Einrichtungen würden dann gezwungen, für diese aus den Wohnheimgruppen ausgegliederten Menschen Pflegeabteilungen aufzubauen, die über die Pflegeversicherung zu finanzieren wären.
In § 13 soll nun im Zusammenhang mit der Pflegeversicherung der Nachrang des BSHG aufgehoben werden. Es ist beispielsweise unverständlich, daß damit pflegebedürftige geistig behinderte Menschen, die in Wohnheimen leben, keine Leistungen der Pflegeversicherung erhalten, obwohl sie als Beschäftigte von Werkstätten für Behinderte Sozialversicherungsbeiträge für die Pflegeversicherung entrichten.
Die „Mainzer Allgemeine Zeitung" hat es gestern auf den Punkt gebracht:
Wenn der Gesetzentwurf der CDU/CSU am Donnerstag dem Bundestag zur ersten Lesung so wie geplant vorgelegt wird, bedeutet dies eine Mehrbelastung der Pflegeversicherung, womöglich weniger Geld für die pflegerische Betreuung, unter Umständen also einen höheren Eigenanteil der Betroffenen.
Ich denke, das wollten wir als Gesetzgeber verhindern.
Ich danke.
Ich erteile dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Dr. Norbert Blüm, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie können abends um halb zwölf, morgens um sechs und zu jeder anderen Tages- und Nachtzeit versuchen, die Pflegeversicherung madig zu machen. Das können Sie versuchen. Die 1,2 Millionen Mitbürger, die zum ersten Mal eine handfeste Leistung von der Pflegeversicherung erhalten, werden sich von Ihrem Madigmachen überhaupt nicht anstecken lassen.
Da können Sie viel herumkritisieren, diese Menschen werden wissen, welche Verbesserungen ihrer Lebenslage die vielgescholtene, kritisierte, madig gemachte Pflegeversicherung bringt. Die Pflegenden
- meistens sind es Frauen -, die zum ersten Mal für ihren Einsatz eine Rentenversicherung bekommen, werden das auch zu schätzen wissen.
Darüber, daß eine neue Versicherung mit Anlaufschwierigkeiten verbunden ist, kann sich nur jemand wundern, der die Geschichte der Sozialversicherung nicht kennt. Soll ich Ihnen einmal die Geschichte der Krankenversicherung erzählen? Soll ich Ihnen erzählen, wie die angefangen hat?
Soll ich Ihnen einmal die Geschichte der Renten- und Arbeitslosenversicherung erzählen?
-Frau Babel, darauf komme ich auch noch. Es gibt drei große Erfolge, hören Sie gut zu.
- Ja, das verändert möglicherweise Ihr Weltbild.
Erstens. Die Anträge auf stationäre Unterbringung gehen zurück. Gibt es eigentlich einen größeren Erfolg,
als daß die Menschen, solange sie wollen und können, zuhause bleiben können?
Zweitens. Es gibt neue Arbeitsplätze, allein 3 000 private Pflegedienste geben Arbeitsplätze. Das ist das größte Beschäftigungsprogramm, das es überhaupt gibt.
Drittens. Herr Kollege Andres, im März werden wir die Zahlen genau wissen, wie groß die Rücklage ist. Wir werden eine kräftige Rücklage haben, das ist
Bundesminister Dr. Norbert Blüm
jetzt schon sicher. Trotzdem muß man das Geld zusammenhalten;
denn eine Sozialversicherung braucht Sicherheit, die kann nicht mit dem letzten Pfennig arbeiten.
Liebe Frau Babel, Sie haben gesagt, wir haben zu große Hoffnungen gemacht. In aller Freundschaft: Meine Hoffnungen waren mit der Realität in größerer Übereinstimmung als die Befürchtungen des Grafen Lambsdorff, der am 1. April des vergangenen Jahres vorausgesagt hat, daß die Pflegeversicherung ein Drei-Milliarden-DM-Defizit haben würde. Diese Befürchtungen sind meilenweit von der Realität entfernt.
Ihr und mein Freund Möllemann war noch besser. Er hat vier Monate vor Inkrafttreten der zweiten Stufe schon ein Ein-Milliarden-Defizit angekündigt.
Wir bleiben dabei: Wir haben eine ordentliche Rücklage, es gibt überhaupt keinen Grund - da stimme ich mit Ihnen überein -, diese zu Leistungsverbesserungen zu nutzen; denn wir brauchen Rücklagen, weil wir unter dem Kiel Wasser brauchen, wir wollen das Schiff nicht auf Grund laufen lassen.
Jetzt die Klarstellungen: Erstens. Kein Heimbewohner braucht sich Sorgen zu machen, daß er, weil er vielleicht im Sinne der Pflegeversicherung nicht pflegebedürftig ist, das Heim verlassen muß.
Zweitens. Es ist auch eine Klarstellung, daß wir die Eingliederungshilfe nicht bezahlen. Das ist richtig. Eingliederungshilfe und Pflege sind zwei verschiedene Sachen, wobei wiederum klar ist, daß damit nicht alle Behinderten von Leistungen der Pflegeversicherung ausgeschlossen werden. Wenn jemand geistig oder körperlich pflegebedürftig ist, und zu Hause bleibt, erhält er als Behinderter teilstationär eine Hilfe.
- Ja gut, das muß man trotzdem einmal sagen.
Darüber, was die Behandlungspflege anbelangt, kann man streiten. Darüber haben wir uns gestritten. Zu Hause wird sie bezahlt, im Pflegeheim nicht.
Die Zahlen zwischen dem Gesundheits- und dem Arbeitsministerium sind überhaupt nicht strittig. Die Behandlungspflege insgesamt, wenn man die Pflege in Alten- und Behindertenheimen dazuzählt, beträgt 2,7 bis 3 Milliarden DM. Wenn man aber nur diejenigen in den Pflegeheimen sieht - das ist die Zahl des Arbeitsministers - dann sind es 800 Millionen DM. Diese Zahlendiskrepanz löst sich leicht auf.
Richtig ist - darauf bestehe ich auch -: Wenn Bettenabbau im Krankenhaus durchgesetzt wird - dafür wünsche ich meinem Kollegen Seehofer alles Gute -, dann werden wir 1999 wieder darüber reden, wie die Behandlungspflege in der Pflegeversicherung stationäre Teilbehandlung wird.
So ganz aus der Luft gegriffen ist es allein deshalb nicht, denn wenn im Krankenhaus Betten abgebaut werden können, dann deshalb, weil die Fehlbelegung beseitigt wird, die sich daraus ergibt, daß im Krankenhaus viele Pflegebedürftige liegen, die eigentlich nicht ins Krankenhaus gehören.
Da wir jetzt aber eine Pflegeversicherung haben, gibt es gute Gründe, diese Fehlbelegungen abzubauen. Ich gestehe, daß das bisher relativ schwer möglich war. Wohin sollte denn der Krankenhausarzt die Pflegebedürftige oder den Pflegebedürftigen entlassen, wenn sie zu Hause keine Hilfe hatten oder wenn es keine stationäre Versorgung gab? Jetzt läßt sich das Programm des Abbaus von Fehlbelegungen auch sozialpolitisch leichter vertreten.
Zum dritten Punkt, den Investitionskosten. Wir sind ja ganz bescheiden. 9,6 Milliarden DM spart die Sozialhilfe durch die Pflegeversicherung, auch wenn Sie es bestreiten und meinen, es sind noch weniger. Wir wollten, abgestimmt mit Bund, Ländern und Gemeinden, 3,6 Milliarden DM.
Und, lieber Herr Andres, vielleicht kümmern Sie sich um die A-Länder - es sind ja vorerst noch mehr - und wir uns um die B-Länder: Die haben im Jahr 1995 für die Investitionen 340 Millionen DM zur Verfügung gestellt; im Jahr 1996 stehen in den Haushaltsplänen 416 Millionen DM. Rechne ich bei den 3,6 Milliarden DM alte und neue Länder auseinander, hätten Sie 2,3 Milliarden DM zur Verfügung stellen müssen. Sie haben gerade einmal 340 Millionen! Von dem, was Sie verlangen, sind Sie meilenweit entfernt.
Deshalb - das ist doch im Sinne der Pflegebedürftigen -, laßt uns doch zusammen hier vom Bundestag aus an die Länder appellieren, daß sie ihre Investitionskosten bezahlen. Wenn sie hier über die Behandlungspflege jammern, so ist das geradezu ein Klacks demgegenüber, was an Investitionskosten für die Pflegebedürftigen gespart werden kann. Das ist viel, viel mehr Geld. Sie werden durch nicht gezahlte Investitionskosten dreimal mehr Pflegebedürftige in die Sozialhilfe überführen als durch die Behandlungspflege.
Über Behandlungspflege kann man streiten, da gibt es gute Gründe. Es ist ein Kompromiß, den wir gefunden haben; aber es geht ja um die Menschen.
Ich möchte heute abend keine dogmatische Debatte führen. Laßt uns doch zusammen über die 600 bis 800 DM, um die die Pflegesätze durch nichtgezahlte Investitionskosten höher kommen, streiten!
Und, liebe Leute, die zweite Stufe muß kommen, sie wird kommen; denn ohne zweite Stufe wäre es eine amputierte Pflegeversicherung. Die stationäre und die ambulante Form hängen doch zusammen. Es gibt tausend Übergänge zwischen ambulant und stationär; das Leben hat tausend Fälle, wo nicht eindeutig ist, ob es ambulant oder stationär ist.
Kollege, die Zeit!
Wir wollen doch gerade den Zwischenraum ausbauen; es geht um teilstationäre Pflege, Tagespflege, Kurzzeitpflege. Wenn Sie das trennen, wird an dieser Grenze ein ständiger Zuständigkeitskrieg stattfinden, und zwar auf dem Rücken der Pflegebedürftigen.
Der Pflegezug fährt, er humpelt manchmal, er stockt manchmal, der Wagen ist nicht immer schön, aber er steht auf dem richtigen Gleis. Deshalb wird er auch seinen Hauptbahnhof erreichen, so wahr ich Norbert Blüm heiße.
Alle haben in diesem Tagesordnungspunkt ihre Redezeit gewaltig überzogen - wie sich das gehört: der Bundesminister an der Spitze, der Oppositionsredner als zweiter, und dann hat sich das gestaffelt.
Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/3696 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Dies ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir stimmen über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. zur Finanzierung der Investitionskosten der Pflegeeinrichtungen auf Drucksache 13/3699 ab. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Der Antrag ist angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der EG-Rahmenrichtlinie Arbeitsschutz und weiterer Arbeitsschutz-Richtlinien
- Drucksache 13/3540 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Gesundheit
Die Kolleginnen und Kollegen, die in dieser Debatte sprechen sollten, haben allesamt ihre Redemanuskripte zu Protokoll gegeben.*)
Ist das Haus damit einverstanden?
- Dann ist das so beschlossen.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 13/3540 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. - Anderweitige Vorschläge werden offensichtlich nicht gemacht. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
*) Anlage 6
Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Dr. Dagmar Enkelmann, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS
Grundsicherung des Öffentlichen Personennahverkehrs
- Drucksache 13/3253 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus
Die Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD wollen ihre Manuskripte zu Protokoll geben.') Die Bundesregierung verzichtet auf ihren Beitrag.
Bündnis 90/Die Grünen und PDS wollen sprechen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Abgeordneten Dr. Winfried Wolf das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Damen und Herren! Vorab Dank und Entschuldigung in Richtung der wenigen Kolleginnen und Kollegen und Stenographinnen und Stenographen, die hierbleiben müssen. Es ist keine Dickköpfigkeit meinerseits, wenn ich darauf bestand, zu diesem Tagesordnungspunkt zu sprechen. Es ist der einzige Tagesordnungspunkt in der Woche, den wir akzeptiert bekommen. Wenn dieser, wie fast immer bei unseren Punkten, auf die Nacht von Donnerstag auf Freitag gelegt wird, liegt das nicht an uns, sondern entspricht einem undemokratischen Kleingeist.
Zur Sache: Wir haben einen Antrag vorgelegt, der in ein Bundesgesetz zur Grundsicherung des öffentlichen Personennahverkehrs münden soll. Mit ihm sollen die Rahmenbedingungen für die ÖPNV-Landesgesetze festgelegt und damit die bereits bestehenden ÖPNV-Gesetze gegebenenfalls korrigiert werden.
Wie das, so wird nach mir der Kollege von den Grünen fragen, der Bund hat doch bereits die Verantwortung für die Regionalisierung abgegeben? Die Antwort lautet: Regionalisierung kann gut und schön sein. Sie darf jedoch nicht so umgesetzt werden, daß sich der Bund aus der Verantwortung schleicht und Möglichkeiten eröffnet, den ÖPNV erheblich abzubauen. Genau dies ist erfolgt, was durch die vorliegenden Länder-ÖPNV-Gesetze belegbar ist. Just hier haken wir ein.
Es kann ja wohl nicht wahr sein, daß die meisten vorliegenden ÖPNV-Landesgesetze den öffentlichen Personennahverkehr zur freiwilligen Aufgabe erklären. So heißt es explizit im Text des Freistaats Sachsen, § 3: „ÖPNV ist ... eine freiwillige Aufgabe der Landkreise und kreisfreien Städte." Das heißt, demnächst wird es statt „Freistaat Sachsen" „ÖPNVfreier Staat" heißen.
*) Anlage 7
Dr. Winfried Wolf
Es kann ja wohl nicht sein, daß im baden-württembergischen ÖPNV-Gesetz sich in den 13 Paragraphen 25mal das Wörtchen „soll" findet und weitere 5mal vage Formulierungen wie „ist anzustreben" . In meinem politikwissenschaftlichen Studium im gleichen Bundesland wurde mir eingebleut, daß Gesetze möglichst verbindlich zu sein hätten. Doch in BadenWürttemberg haben sie ein ÖPNV-Sollte-sein-Gesetz verabschiedet.
Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns eine kleine Tour d'horizon von Deutschlands „wildem Südwesten", Baden-Württemberg, nach Deutschlands „mittlerem Osten" , Sachsen-Anhalt, machen, also auf ÖPNV-Gesetzesebene die Koalitionsmodelle „schwarz-rosa" mit „rosa-grün bei rot geduldet" vergleichen. Diesem Vergleich werde ich unsere hier vorgelegten Vorschläge für eine ÖPNV-Grundsicherung zuordnen.
Dabei erweist sich das ÖPNV-Gesetz in Stuttgart als weitgehend typisch für die meisten ÖPNVGesetze der Länder; das Magdeburger Gesetz findet viele positive Parallelen im hessischen ÖPNVGesetz.
Stichwort 1: Grundcharakter von ÖPNV. Im Südwesten heißt es hierzu in § 5: ÖPNV ist eine freiwillige Aufgabe. Im „mittleren Osten" wurde in § 1 festgelegt: ÖPNV ist verbindliche „Aufgabe der Daseinsvorsorge". Ähnlich fordern wir im Antrag ÖPNV als „unverzichtbaren Bestandteil sozialer Daseinsvorsorge".
Stichwort 2: Verkehrsvermeidung und nichtmotorisierter Verkehr. Hier spare ich Redezeit, weil hierzu in Stuttgart eine komplette Fehlanzeige vorliegt. In Magdeburg wurde beides im ÖPNV-Gesetz aufgegriffen, in den §§ 1 und 6. Wir gehen noch weiter und erklären Verkehrsvermeidung und optimale Verlagerung von Verkehr auf die klassischen Verkehrsträger Füße und Pedale als Priorität.
Stichwort 3: Vorrang des ÖPNV vor dem Pkw-Verkehr. Im Südwesten ist dieser Vorrang nur per Sollbestimmung enthalten, wobei dies noch eingeschränkt wird durch den Verweis auf den Vorrang der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit.
In Sachsen-Anhalt wird verpflichtend gefordert, den ÖPNV zur „attraktiven Alternative zum motorisierten Individualverkehr zu entwickeln" - ähnlich in unserem Antrag.
Stichwort 4: Umfang, Erschließung, Quantität und Qualität der Bedienung. In Stuttgart Fehlanzeige oder Leerformeln als „Soll-Bestimmungen"; in Magdeburg gibt es hier einige weitergehende Festlegungen, vor allem hinsichtlich der erforderlichen Nahverkehrspläne und des Schienenpersonennahverkehrs.
Summa summarum. Wir haben im Bundestag gerade jetzt und nach Vorliegen der ÖPNV-Gesetze allen Grund, Verantwortung in diesem Bereich wahrzunehmen. Es gilt, die Notbremse zu ziehen. Oder, in den Worten des hier selten zitierten „Nordkuriers" zum mecklenburgisch-vorpommerschen ÖPNVGesetz: „Kein einziger Paragraph" dieser ÖPNVGesetze „sichert all die hehren Ziele ab".
Die „Ökologischen Briefe", die in ihrer jüngsten Ausgabe unseren Antrag positiv präsentieren, schreiben hierzu unter anderem:
Der PDS-Antrag bietet durchaus Originelles: In Städten über 100 000 Einwohnern ist eine Straßenbahn vorzusehen.
Weitere „Ökologische Briefe":
Wie bereits in einer kleineren Stadt eine moderne Straßenbahn betrieben werden kann, hat einer der Initiatoren des PDS-Antrags ... bereits am Beispiel der Stadt Marburg zu zeigen versucht.
Danke schön.
Das Wort hat der Kollege Albert Schmidt.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte deshalb noch zur Sache wenigstens zwei bis drei Minuten sprechen, weil ich erstens sonst ein Redemanuskript zu Protokoll geben müßte, das ich gar nicht habe, und weil ich es zweitens - gestatten Sie mir, das in aller Freundlichkeit zu sagen - gelinde gesagt ein bißchen unkollegial finde, wenn Abgeordnete von der Gruppe der PDS auf Plätze der Tagesordnung irgendwann zu einer Mondscheinstunde um Mitternacht plaziert werden und sich dann noch die Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen in überwiegender Zahl davor drücken, dazu zu sprechen. Ich finde, das ist einfach kein guter Stil.
Vorbemerkung beendet, zur Sache. Viele Forderungen, die der Kollege Winfried Wolf hier vorgetragen hat, sind in der materiellen Substanz mir schon deshalb so vertraut und bekannt - ich finde sie auch richtig und unterstützenswert -, weil ich sie natürlich aus alten grünen Verkehrswendeprogrammen sehr gut kenne. Aber, das Problem, lieber Kollege Wolf, bei Ihrem Antrag ist: Er richtet sich an die falsche Adresse.
- Jetzt beruhigen Sie sich doch zu später Stunde! Es ist nicht gut für den Adrenalinspiegel. Sie haben es gleich überstanden.
Viele Forderungen, habe ich gesagt, sind berechtigt, aber an die falsche Adresse gerichtet. Wir haben das Regionalisierungsgesetz in Kraft gesetzt. Seit fünf Wochen läuft diese Regionalisierung. Wir sollten nicht nur die Erfahrungen bis zu einer Revision abwarten, sondern wir sollten auch begrüßen, daß die Zuständigkeit auf Länderebene ist. Das war nicht zuletzt durch rot-grüne Regierungen mit angestoßen, die das ganz bewußt gewollt haben, weil es eben keinen Sinn macht, Standards auf Bundesebene sozusa-
Albert Schmidt
gen schematisch festzulegen und für alle Regionen dieser Republik vorzuschreiben.
Ein Oberzentrum in Bayern ist etwas anderes als in Niedersachsen. Auch eine Straßenbahn grundsätzlich bei jeder Stadt von über 100 000 Einwohnern kann zum Beispiel in Salzgitter ein Monstrum werden; denn Salzgitter ist eine 100-Dörfer-Stadt. Da müßte ein ganz anderes Konzept her.
Wir begrüßen im Grundsatz nach wie vor - es ist für uns ein richtiger Reformschritt der Bahnreform gewesen und ist es auch noch, zumindest solange sich nicht das Gegenteil erwiesen hat -, daß die Regionen zuständig und daß erstmals mit dem Instrument der Nahverkehrspläne verbindliche Planungsvorlagen gefordert sind.
Nun kann man natürlich mit gewissem Recht sagen: Die Festlegung als freiwillige Aufgabe in den Länder-ÖPNV-Gesetzen ist der Sache nicht angemessen. Das sehen wir ganz genauso.
Allerdings muß man das im Zusammenhang sehen mit dem Satz: ÖPNV ist Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge. Damit habe ich wieder einen ganz anderen Verbindlichkeitsgrad. Wenn uns in den einzelnen Ländern einzelne Gesetze und Maßnahmen zuwenig sind, dann müssen wir die Diskussion auf der Länderebene führen und müssen dort in den Parlamenten Veränderungen einbringen. Daß die PDS das jetzt in Baden-Württemberg nicht kann, weil sie dort nicht vertreten ist,
ist kein Grund, jetzt plötzlich wieder den Bund dafür zuständig zu erklären.
Deshalb zum Abschluß: Lassen Sie uns nicht in eine alte Bundeszuständigkeit zurückstreben! Wir wollen keine VEB Kraftfahrt oder ÖPNV in Deutschland, sondern wir wollen die Regionalisierung. Wir wollen, daß die Debatte in den Regionen stattfindet, daß dort um die Standards gerungen wird. Dann sollten wir im Ausschuß die Diskussion darüber in aller Ruhe führen.
Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/3253 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Besteht damit Einverständnis? - Dies ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Freitag, 9. Februar 1996, 9.00 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.