Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die Sitzung ist eröffnet.
Ich komme zunächst zu den amtlichen Mitteilungen. Wie Sie wissen, hat der frühere Kollege Stefan Heym am 31. Oktober 1995 auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Sein Nachfolger, der Abgeordnete Hanns-Peter Hartmann, hat am 25. November 1995 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße den neuen Kollegen und hoffe auf gute Zusammenarbeit.
Weiterhin weise ich darauf hin, daß die heutige Tagesordnung um eine Regierungserklärung durch den Bundeskanzler zum Thema „Deutsche Beteiligung an den militärischen Maßnahmen zur Absicherung des Friedensvertrages für Bosnien-Herzegowina" erweitert wird. Sind Sie damit einverstanden? - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 1 a) bis 1c) und Zusatzpunkt 1 auf:
ZP1 Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung
Deutsche Beteiligung an den militärischen Maßnahmen zur Absicherung des Friedensvertrages für Bosnien-Herzegowina
1. a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses
zu dem Antrag der Bundesregierung
Deutsche Beteiligung an den militärischen Maßnahmen zur Absicherung des Friedensvertrages für Bosnien-Herzegowina
zu dem Antrag der Gruppe der PDS
Kein Einsatz der Bundeswehr im früheren Jugoslawien
- Drucksachen 13/3122, 13/3127, 13/3183 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Karl Lamers Karsten D. Voigt Gert Poppe
Ulrich Irmer
Andrea Lederer
b) Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/ CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.
Die Lage der Menschen in den Staaten des ehemaligen Jugoslawien und die Bedingungen für die rasche Hilfe beim Wiederaufbau nach dem Friedensschluß
- Drucksache 13/2978 -
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Andrea Lederer, Heinrich Graf von Einsiedel, Willibald Jacob, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS
Frieden und Wiederaufbau im früheren Jugoslawien
- Drucksache 13/3078 -
Der gemeinsame Antrag der Fraktionen von CDU/ CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und F.D.P. auf Drucksache 13/2978 sowie der Antrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/3078 und der Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/3136 wurden in der vergangenen Sitzungswoche an die zuständigen Ausschüsse überwiesen. Interfraktionell ist vereinbart, die genannten Anträge heute ohne Ausschußempfehlung abschließend zu beraten. Sind Sie mit diesem Verfahren einverstanden? - Das ist der Fall. Dann verfahren wir so.
Zur Regierungserklärung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. vor. Ich weise darauf hin, daß wir über die Beschlußempfehlung zum Antrag der Bundesregierung im Anschluß an die Aussprache namentlich abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Aussprache im Anschluß an die Regierungserklärung zwei Stunden vorgesehen, wobei sich die Fraktionen und die Gruppe auf geringfügige zusätzliche Redezeiten verständigt haben. - Auch dazu sehe ich keinen Widerspruch. Wir verfahren entsprechend.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Herr Bundeskanzler, Dr. Helmut Kohl.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sind heute im Deutschen Bundestag zusammengekommen, um über den deutschen Beitrag zur Absicherung des Friedensvertrages für Bosnien-Herzegowina zu entscheiden. Wir alle spüren, daß dies ein besonderer Tag, daß dies eine besondere Stunde ist.
Es ist eine Entscheidung, die einen Einschnitt im Leben unseres Volkes bedeutet. Es ist eine Entscheidung, die weit in die Zukunft hineinreicht. Wir sollten diese Debatte dementsprechend mit dem gebotenen Ernst führen. Die Soldaten, die jetzt im früheren Jugoslawien ihren Friedensdienst tun sollen, und auch ihre Angehörigen erwarten dies zu Recht von uns.
Meine Damen und Herren, Ihnen liegt der Beschluß der Bundesregierung zum Einsatz bewaffneter Streitkräfte in Bosnien-Herzegowina vor. Die Bundesregierung hat diesen Beschluß im vollen Bewußtsein der großen Verantwortung, die damit verbunden ist, getroffen.
Die Aufgabe unserer Bundeswehr hat sich nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes grundlegend verändert. Die Erwartungen der Völkergemeinschaft an das wiedervereinte Deutschland sind andere als die, die an die alte Bundesrepublik gerichtet worden waren. Dazu gehört, daß wir Deutsche - gemeinsam mit unseren Partnern und Verbündeten - unseren Beitrag für die Sicherung des Friedens in Europa leisten.
Wir haben uns diese Entscheidung nicht leichtgemacht. In vielen Familien, auch in unseren eigenen, ist die Erinnerung an die schlimmen, bitteren Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges noch lebendig. Doch einer Friedensmission mitten in Europa, die alle unsere Freunde und Partner von uns erwarten, dürfen wir uns nicht verweigern.
Wir sind uns bewußt, was dieser Einsatz von unseren Soldaten fordern kann. Wer sich nach vier Jahren eines schrecklichen Krieges an der militärischen Absicherung des Weges zum Frieden beteiligt, setzt sich auch Gefahren für Leib und Leben aus.
Der Krieg im ehemaligen Jugoslawien hat auf dem europäischen Kontinent ein Ausmaß an Leid entstehen lassen, das viele von uns nach den schrecklichen Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges nicht mehr für möglich gehalten hätten. Über 250 000 Tote, 2 Millionen Flüchtlinge, Vertriebene, Tausende von vergewaltigten Frauen, Hunderttausende von Verletzten, Zerstörung und Elend in einem unvorstellbaren Maß - all das dürfen wir nicht vergessen, wenn es jetzt darum geht, den Frieden absichern zu helfen.
Es ist ein Gebot der Gerechtigkeit, daß jene vor Gericht gestellt und bestraft werden, die in den vergangenen Jahren solche abscheulichen Verbrechen begangen haben.
Mit der Vereinbarung von Dayton ist die Voraussetzung dafür geschaffen worden, daß die Menschen in Bosnien endlich eine realistische Chance auf Frieden haben. Nach viereinhalb Jahren des Leidens kann die Bevölkerung im ehemaligen Jugoslawien endlich wieder mit größerer Hoffnung einem neuen Jahr entgegensehen. Wir haben allen Anlaß, uns hierüber zu freuen und denjenigen zu danken, die zum Gelingen der schwierigen Verhandlungen von Dayton beigetragen haben. Allen voran gilt unser Respekt, unser Dank und unsere Anerkennung Präsident Clinton und der amerikanischen Administration.
Ohne den Einsatz unserer amerikanischen Partner und Freunde wäre es nicht zu diesem Erfolg gekommen. Ich habe dies auch Präsident Clinton im Namen unseres Volkes am vergangenen Wochenende bei unserem gemeinsamen Besuch bei amerikanischen Truppen in Baumholder nochmals bekräftigt.
Unser Dank gilt gleichermaßen den Angehörigen der Kontaktgruppe.
Wir haben auch viel Grund, den deutschen Vertretern - ich nenne hier den Bundesaußenminister und seine Mitarbeiter - für ihren Einsatz zu danken.
Sie haben - das stelle ich auch mit großer Freude noch einmal öffentlich fest - auch nach dem Zeugnis vieler Teilnehmer aus anderen Ländern ganz entscheidend zum Erfolg beigetragen.
Meine Damen und Herren, Dank gebührt schließlich all denjenigen, die durch Kompromifiwillen und Bereitschaft zum Ausgleich den Weg der Verständigung eingeschlagen haben. Auf sie wird es jetzt in den kommenden Wochen und Monaten in entscheidender Weise ankommen. Es muß gelingen, daß aus dem beschlossenen Frieden auch ein gelebter Friede wird.
Seit über vier Jahren, meine Damen und Herren, findet dieser Konflikt unmittelbar vor unserer Haustür statt. Viele von uns kennen Land und Leute im früheren Jugoslawien. Viele Deutsche haben in den letzten Jahrzehnten durch Besuche persönliche, auch familiäre Bindungen begründet. Dazu haben auch die rund 700 000 Jugoslawen beigetragen, die in unserem Lande leben, mit uns arbeiten und die seinerzeit mit einem jugoslawischen Paß hierhergekommen sind.
Viele Bürger unseres Landes haben in den letzten Jahren durch persönliche Hilfe versucht, die Not der Menschen im Kriegsgebiet zu lindern. Viel wurde getan, um das Schicksal der über 400 000 Bürgerkriegsflüchtlinge, die bei uns Aufnahme gefunden haben, erträglicher zu machen.
Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
Die Bundesregierung hat von Anfang an gemeinsam mit ihren Partnern in der Europäischen Union beharrlich auf eine politische Lösung des Konflikts hingearbeitet. Sie hat in erheblichem Umfang humanitäre Hilfe geleistet. Sie hat darüber hinaus schon bisher den Vereinten Nationen in diesem Konflikt wichtige Hilfe gewährt. Ich nenne zum Beispiel die Hilfsflüge von Transall-Maschinen der Bundeswehr nach Sarajevo oder die Teilnahme der Bundesmarine an der Überwachung des Waffenembargos. All dies, meine Damen und Herren, ist in der Erkenntnis geschehen, daß der Friede in Europa immer unser Friede, unser gemeinsames Interesse ist. Jetzt nicht zu helfen würde für uns alle in Europa letztlich größere Gefahren mit sich bringen, als wenn wir nun gemeinsam helfen.
Aus der Erfahrung dieses Jahrhunderts wissen wir Deutsche: Um den Frieden auf unserem Kontinent kann es auf Dauer nicht gut bestellt sein, wenn in einem Teil Europas Friede herrscht, während in einem anderen Teil ein blutiger Konflikt ausgetragen wird. Daher sind die Vereinigten Staaten von Amerika jetzt bereit, gemeinsam mit Großbritannien, Frankreich und anderen Verbündeten Soldaten zur Absicherung des Friedens in das ehemalige Jugoslawien zu entsenden. Auch das gilt es zu bedenken, wenn wir heute über die Entsendung von 4 000 deutschen Soldaten zur Unterstützung der NATO-Friedenstruppe entscheiden.
Lassen Sie mich an dieser Stelle auch einige Worte an unsere Soldaten richten. Wer als Soldat durch Gelöbnis und Eid bekundet, unserer Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen, hat Anspruch auf die Unterstützung des ganzen Volkes.
Wer bereit ist, Gefahren für seine Gesundheit und sein Leben in Kauf zu nehmen, um dem Frieden eine Chance zu geben, der steht nicht allein, der darf nicht allein stehen.
Unsere Soldaten sollen wissen, daß die große, große Mehrheit unseres Volkes hinter ihnen steht. Unsere Soldaten sollen wissen, daß sie ihre verantwortungsvolle und nicht ungefährliche Aufgabe für eine wichtige, für eine gute Sache, für den Frieden erfüllen.
Ich bitte unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger, die Familien unserer Soldaten wo immer nötig zu unterstützen, wenn Väter, Söhne oder Familienangehörige im ehemaligen Jugoslawien im Einsatz sind. Diese Bitte gilt selbstverständlich auch für die Familien unserer britischen und amerikanischen verbündeten Soldaten, die hier bei uns in Deutschland leben.
Die Friedenstruppe kann den Frieden gewiß nicht allein verwirklichen. Der entscheidende Beitrag muß von allen Konfliktparteien kommen. Aber die Friedenstruppe kann dazu beitragen, daß die Umsetzung des Abkommens von Dayton eine Chance auf Verwirklichung erhält. Bei diesem Einsatz für den Frieden, an dem sich schon unter Führung der NATO die USA, europäische Staaten, Rußland und Staaten der islamischen Welt beteiligen, dürfen wir Deutsche nicht abseits stehen.
Deutschland hat sich in den zurückliegenden Jahrzehnten stets auf die Solidarität seiner Verbündeten verlassen können. Heute sind wir aufgerufen, in einem veränderten politischen Umfeld nach dem Ende des Kalten Krieges in Europa Solidarität zur Erhaltung des Friedens zu beweisen. Hier beiseite zu stehen hieße, den Menschen im ehemaligen Jugoslawien ihre Chance zum Frieden zu verweigern.
Durch die Einbeziehung Rußlands in den Friedensprozeß entsteht auch - wir freuen uns darüber - eine Chance für eine neue Qualität der Beziehungen zwischen Rußland und der NATO. Dieses Zuammenwirken westlicher Staaten mit Rußland stellt ebenfalls eine gewaltige historische Veränderung dar.
Wer hätte noch vor wenigen Jahren gedacht, daß die NATO und Rußland in einem solchen Rahmen zusammenarbeiten, um im ehemaligen Jugoslawien den Frieden abzusichern und die Voraussetzung für den Wiederaufbau zu schaffen? Ich empfinde es als eine großartige Erfahrung, daß damit alte Feindbilder überwunden werden.
Die Partnerschaft zwischen der NATO und Rußland nimmt auf diese Weise konkrete Gestalt an. Dies kann und wird uns bei der künftigen Ausgestaltung der europäischen Sicherheit einen wesentlichen Schritt voranbringen.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die Vereinbarung von Dayton bedeutet eine große Chance zum Frieden. Aber - das muß man bedenken - sie ist noch nicht der Friede selbst. Neben der militärischen Absicherung geht es jetzt darum, in einer gemeinsamen Anstrengung der internationalen Gemeinschaft die Voraussetzung für den Wiederaufbau und die Rückkehr von Hunderttausenden von Flüchtlingen zu schaffen.
Die Bundesrepublik Deutschland wird sich neben ihrem militärischen Beitrag im Rahmen der multinationalen Friedenstruppe bei der Hilfe zum Wiederaufbau und der Rückkehr der Flüchtlinge im Rahmen ihrer Möglichkeiten beteiligen. Das ist für mich die selbstverständliche Pflicht eines Volkes nach den Erfahrungen von zwei Weltkriegen, vor allem nach dem Zusammenbruch am Ende des Zweiten Weltkrieges und nach der großartigen Erfahrung der Hilfe durch andere, die uns beim Wiederaufbau geholfen haben.
Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
Aber - so füge ich hinzu - das alles, was wir leisten wollen, ist nur möglich, wenn auch andere sich beteiligen, wenn wir zu einer fairen Lastenteilung unter den Europäern und anderen Beteiligten kommen. Ich sage das ohne Wenn und Aber für alle Beteiligten. Ich denke an die islamische Welt, ich denke aber auch an die Vereinigten Staaten von Amerika.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, gemeinsam mit unseren Partnern verfolgen wir im wesentlichen vier große Ziele mit dem Einsatz der internationalen Friedenstruppe.
Erstens. Wir müssen die kriegführenden Parteien voneinander trennen. Es muß versucht werden, das Wiederaufflammen militärischer Konflikte zuverlässig zu verhindern. Wichtig ist, schnell eine Lösung für die militärische Überwachung des in Dayton geschlossenen Abkommens zwischen Serbien und Kroatien zur Zukunft von Ostslawonien zu finden. Sonst würde der Friedensprozeß in Bosnien durch einen erneuten Konflikt zwischen Kroatien und Serbien aufs höchste gefährdet.
Zweitens. Der so gesicherte Frieden wird die Grundlage dafür, daß die Menschen- und Minderheitenrechte wieder respektiert und Teil der dort herrschenden Rechtsordnung werden. Unser ganz besonderes Anliegen ist dabei die Rückkehr von Flüchtlingen, wie sie im Dayton-Abkommen vorgesehen ist. Ich sage noch einmal: Das ist für uns eine wichtige Aufgabe; es ist eine wichtige Aufgabe für die Europäer insgesamt.
Wir dürfen nicht vergessen, daß die Achtung der Menschen- und Minderheitenrechte vor allem im Kosovo weiterhin eine zentrale Forderung an die Adresse Belgrads bleibt.
Ein umfassender, ein gerechter Friede im ehemaligen Jugoslawien ist ohne eine gerechte Lösung im Kosovo auf Dauer nicht möglich.
Drittens. Die Anwesenheit der internationalen Friedenstruppe schafft ferner die Voraussetzungen für weiter notwendige humanitäre Hilfe und den Beginn des Wiederaufbaus. Der Friede kann nicht sicher werden, wenn die Menschen keine Nahrung, keine Wohnung und keine wirtschaftliche Zukunft haben.
Viertens. Die internationale Friedenstruppe soll nicht nur Frieden und Stabilität in Bosnien, sondern darüber hinaus für die ganze Region garantieren. Die Gefahr, daß der bosnische Konflikt mit seinen ethnischen und religiösen Wurzeln auf die angrenzenden Länder übergreifen kann, wird nur dann abgewendet, wenn dieses Ziel erreicht wird. Stabilität im ehemaligen Jugoslawien ist mit den vorhandenen riesigen Waffenarsenalen nicht denkbar. Deshalb haben wir, die Bundesrepublik Deutschland, uns besonders für ein umfassendes System vertrauensbildender
Maßnahmen und für Rüstungskontrolle in diesem Raum eingesetzt.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, in über vier Jahren Krieg im ehemaligen Jugoslawien ging vieles unwiederbringlich verloren - Menschenleben, Kulturgüter, für viele auch die Heimat. Es ist die wichtigste Lehre aus dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien, daß wir dem Grundsatz eines wirksamen Minderheitenschutzes überall in Europa Anerkennung und Achtung verschaffen.
Es muß jetzt gemeinsame Pflicht sein, das Abkommen von Dayton durchzusetzen; denn eine Fortdauer des Krieges würde neue Zerstörung schaffen, neues Leid und neues Elend hervorbringen. Hier liegt nicht zuletzt auch der Auftrag für die Soldaten unserer Bundeswehr: gemeinsam mit unseren Verbündeten den Menschen im früheren Jugoslawien und den vielen Hoffenden in Europa den Glauben an eine bessere Zukunft zu geben, den Glauben an eine faßbare Chance des Friedens, den wir uns gemeinsam wünschen.
Als nächster spricht der Fraktionsvorsitzende der SPD, der Kollege Rudolf Scharping.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir treffen heute eine weitreichende Entscheidung. Der Deutsche Bundestag wird beschließen, daß die Bundeswehr mit zirka 4 000 Soldaten an einem internationalen Friedenseinsatz teilnimmt. Für die SPD möchte ich deshalb am Beginn klarstellen: Der heute zu beschließende Einsatz der Bundeswehr im ehemaligen Jugoslawien wird mit der breiten Unterstützung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und ihrer Bundestagsfraktion beschlossen werden.
Niemand kann verschweigen, daß dieser Einsatz nicht nur ein großes politisches Ziel verfolgt, sondern auch Risiken birgt, politische Risiken und Risiken für die beteiligten Soldaten. Das macht das Ausmaß der Verantwortung deutlich, die mit dieser Entscheidung verbunden ist. Ich möchte deshalb zunächst auch mit Blick auf die Soldaten und ihre Familien sagen: Ihre Aufgabe ist nicht Krieg und Kampf; ihre Aufgabe ist der Schutz und die Durchsetzung von Frieden.
Ihre Aufgabe ist jetzt nicht die Verteidigung des eigenen Landes; ihre Aufgabe ist; gemeinsam mit anderen, mit Freunden und Partnern, jenen Werten und Grundvorstellungen des Zusammenlebens zum
Rudolf Scharping
Durchbruch zu verhelfen, die unser Land auszeichnen und die Bedingungen eines friedlichen Zusammenlebens unterschiedlicher Kulturen und Religionen sind.
Meine Damen und Herren, Europa hat in diesem Konflikt lange Zeit weitgehend versagt. Wir müssen das leider feststellen und das nicht nur mit Blick auf die vergangenen Jahre bemerken, sondern Schlüsse für die Zukunft ziehen.
Wir haben zu lange zugeschaut, wie Grenzen mit brutaler Gewalt willkürlich verändert worden sind, wie Menschen zu Hunderttausenden aus ihrer Heimat vertrieben worden sind, wie große Teile des ehemaligen Jugoslawien mit Krieg, Terror, Tod und damit zusammenhängenden Leiden für die Zivilbevölkerung überzogen wurden. Wer daraus Schlüsse für die Zukunft ziehen will, der kann in der gegenwärtigen Situation nicht alleine bei notwendigen und guten Maßnahmen der Linderung der Not von Menschen stehenbleiben.
Ich will aber dennoch an dieser Stelle zunächst hervorheben, daß wir nicht nur ein Versagen der europäischen Staaten im Jugoslawienkonflikt festzustellen haben, sondern auch das großartige Engagement vieler Menschen in der Bundesrepublik Deutschland, die Flüchtlinge aufgenommen haben, ihnen mit Toleranz und Respekt und gegenseitiger Hilfe begegnet sind, und auch jener vielen anderen, der Nichtregierungsorganisationen und der privaten Initiativen, die in vorbildlicher Weise im ehemaligen Jugoslawien und in Bosnien-Herzegowina geholfen haben.
Das Engagement dieser Menschen zeigt, daß Hilfsbereitschaft und Solidarität in unserer Gesellschaft und bei vielen, vielen Menschen nach wie vor einen hohen Stellenwert haben.
Seit langem reift die Erkenntnis, daß man in einem solchen Konflikt aber nicht bei humanitärer Hilfe stehenbleiben kann. Der Krieg im ehemaligen Jugoslawien zeigt leider mit brutaler Deutlichkeit, daß gute Worte, gute Gesten und humanitäre Hilfe alleine diesen Völkermord nicht stoppen konnten. Der Bosnienkrieg ist ein Beispiel dafür, daß Aggression und Völkermord nur durch entschlossenes Auftreten der zivilisierten Welt beendet werden können.
Die Sozialdemokratie ist eine Partei mit einer langen friedenspolitischen Tradition. Wir können voller Stolz von uns sagen, daß wir nie daran beteiligt waren, wenn über unser eigenes Land oder über andere Völker Krieg gebracht wurde. Deshalb haben in unseren außenpolitischen Zielvorstellungen Maßnahmen der präventiven Vermeidung von Konflikten und Maßnahmen der friedlichen Beilegung von Konflikten absolute Priorität.
Wir wägen deshalb sorgfältig und mit großem Ernst ab, wenn es um militärische Maßnahmen geht, auch dann, wenn sie letztlich der Befriedung eines Konfliktes dienen sollen. Diese Entscheidung fällt deshalb leichter, weil alle beteiligten Staaten, weil die Vereinten Nationen, weil die NATO und Rußland gemeinsam wollen, daß in einer koordinierten gemeinsamen Anstrengung dieser Staaten ein Beitrag zur Beendigung des Konfliktes, zur Sicherung und zur Durchsetzung des Friedensabkommens von Dayton geleistet wird.
Ich will deshalb hier ganz grundsätzlich festhalten, daß Deutschland nach unserer Auffassung im Prinzip an allen von den Vereinten Nationen beschlossenen Maßnahmen teilnehmen kann. Kein Kanzler der Bundesrepublik Deutschland kann von vornherein eine Bitte der Vereinten Nationen um Hilfe bei der Durchführung ihrer Maßnahmen ablehnen, und kein deutscher Bundeskanzler kann, wie kein anderer Regierungschef, von vornherein einen Blankoscheck ausstellen.
Das bedeutet nicht, meine Damen und Herren, daß die Bundesrepublik Deutschland von vornherein und in allen Fragen zustimmen müßte, auch die Sozialdemokratie nicht. Wir werden auch künftig in jedem einzelnen Fall sorgfältig und genau zu prüfen haben, was getan werden kann und was im Rahmen dieses Tuns ein sinnvoller deutscher Beitrag sein kann.
Die Sozialdemokratie ist sich in dieser historischen Situation ihrer internationalen Verantwortung bewußt und wird trotz mancher Bedenken dem heute zu beschließenden Einsatz der Bundeswehr zustimmen. Wir befinden uns damit im Einklang mit allen sozialdemokratischen Parteien in Europa, mit unseren Partnern in der Europäischen Union und mit unseren Verbündeten in der NATO.
Manche werden feststellen wollen, nun habe sich die Sozialdemokratie endlich bewegt. Ich will deswegen hinzufügen: Es ist aus meiner Sicht nicht ehrenrührig - im Gegenteil -, sich eine solche Entscheidung schwerzumachen. Denn es werden Tausende von Soldaten in ein Konfliktgebiet geschickt, in dem schon Hunderttausende ihr Leben verloren haben. Es ist nach unserer Auffassung Zeichen von Verantwortungsbewußtsein gegenüber den eigenen Soldaten und Zeichen für eine tiefe Überzeugung, daß Frieden vorrangig mit friedlichen Mitteln erreicht und gesichert werden kann, wenn wir uns diese Entscheidung schwermachen.
Dennoch bleibt richtig: Die Sozialdemokratie in Deutschland hat diese Fragen neu bewertet und ist zu der Überzeugung gekommen, daß in dieser Situation in Bosnien die militärische Absicherung und Durchsetzung des Abkommens von Dayton und des damit verbundenen Friedensprozesses notwendig und richtig sind.
Lassen Sie mich hinzufügen, daß in der Öffentlichkeit keine Verwirrung darüber entstehen darf, daß dieser Beitrag dem Frieden dient. Deshalb sind Äußerungen des Generalinspekteurs in diesem
Rudolf Scharping
Zusammenhang zumindest fahrlässig zu nennen und zurückzuweisen.
Ich stelle im übrigen fest, daß sich in diesem Hause alle von ihren bisherigen Positionen wegbewegt und weiterentwickelt haben. Das gilt auch für die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien, die in der Vergangenheit die feste Haltung vertreten hatten, daß deutsche Soldaten wegen unserer historischen Belastungen im ehemaligen Jugoslawien nicht eingesetzt werden sollten.
Allerdings - ich sage das mit großem Respekt -: Der Friedensschluß von Dayton, der unter einem enormen Zeitdruck zustande gekommen ist und ohne diesen Druck möglicherweise nie zustande gekommen wäre, ist eine Chance. Ich stimme Ihnen, Herr Bundeskanzler, ausdrücklich zu: Er ist noch nicht der Frieden selbst.
Lassen Sie mich im Zusammenhang mit dem Friedensschluß von Dayton unseren amerikanischen Verbündeten große Anerkennung für ihre Initiative und für ihre Verhandlungsleistungen aussprechen.
Es sollte allerdings nicht vergessen werden, daß - trotz der unbestreitbaren und unverzichtbaren Führungsrolle der Vereinigten Staaten von Amerika - das Ergebnis eine multilaterale Anstrengung vieler Beteiligter war. Vor allem die kontinuierliche Arbeit der Kontaktgruppe hat wesentlich zu diesem Erfolg beigetragen. Ohne die Verhandlungs- und Kompromißbereitschaft der in der Kontaktgruppe von Anfang integrierten Russischen Föderation wäre dieser Friedensschluß nicht möglich gewesen. Also gebührt an dieser Stelle auch der Russischen Föderation Dank.
Dieses Zusammenwirken ist ein Element der politischen Vertrauensbildung, das für die Herausbildung einer künftigen europäischen Sicherheitsarchitektur von großer Bedeutung sein wird. Die Menschen im ehemaligen Jugoslawien sollten die Zuversicht haben, daß der seit Jahren ersehnte Friedensschluß rasch und wirksam abgesichert wird. Auf Grund der vielen Risiken, die nach wie vor bestehen, sind eine zügige Umsetzung und Absicherung des Friedens unumgänglich. Vor Ort spürbar und sichtbar müssen Tatsachen geschaffen werden, damit die unbestreitbar vorhandenen Risiken nicht erneut virulent werden können.
Wir stimmen dem deutschen Beitrag also zu einem Zeitpunkt zu, zu dem ein Mandat der Vereinten Nationen und ihres Sicherheitsrates noch nicht vorliegt. Wir tun das in sorgfältiger Abwägung und im Wissen darum, daß alle Beteiligten schon vor einem Mandat des Sicherheitsrates entsprechende Zeichen erwarten, daß die Garantie und die Durchsetzung dieses Friedensschlusses ernst gemeint sind.
Ich will für die Bundestagsfraktion der SPD feststellen: Wir halten am Parlamentsvorbehalt und auch daran fest, daß solche Maßnahmen grundsätzlich nur beschlossen werden können, wenn ein Mares Mandat der Vereinten Nationen und die dazugehörigen sogenannten „Rules of engagement" vorliegen.
Unsere positive Entscheidung heute darf nicht als Präjudiz für künftige vergleichbare Fälle mißverstanden werden.
Ich füge hinzu: Das Recht des Parlaments, über diesen Einsatz neu zu entscheiden, wenn sich die Voraussetzungen grundlegend ändern sollten, muß bestehen bleiben. Auch deshalb erwarten wir eine lückenlose und kontinuierliche Information über alle Schritte im Friedensprozeß in Bosnien und über alle entsprechenden Maßnahmen der Bundesregierung.
Dies gilt insbesondere für eventuelle Modifikationen des Friedensvertrags sowie für wesentliche Änderungen von Art und Umfang des Einsatzes der Bundeswehr. Hier sind die Bundesregierung und namentlich der Verteidigungs- und Außenminister in der Pflicht.
Ich will nicht verhehlen, daß die SPD-Fraktion trotz der Zustimmung zum Einsatz der Bundeswehr in Bosnien nach wie vor die Sorge hat, ob sich das Abkommen auf Dauer als tragfähig erweisen wird und ob es, wie wir hoffen, letztendlich zu einer dauerhaften Befriedung führen wird. Wir wissen alle, daß die nun anlaufenden Aktivitäten erst einmal den nur mühsam erreichten Waffenstillstand im Sinne eines klassischen „peacekeeping" absichern. Wir hoffen, daß keine Seite den Friedensvertrag brechen wird und daß die für solche Fälle im Abkommen von Dayton vorgesehenen friedensschaffenden Maßnahmen nicht notwendig werden. Deshalb begrüßen wir auch mit Blick auf die mittlere Sicht der Entwicklungen die Initiative der Europäischen Union, der internationalen Staatengemeinschaft und die Bereitschaft der Bundesregierung, auf einer Abrüstungskonferenz weitere Maßnahmen zur Sicherung des Friedens gemeinsam mit den Konfliktparteien zu vereinbaren.
Meine Damen und Herren, Sie alle wissen, daß wir mit dem heutigen Beschluß über den militärischen Teil des deutschen Engagements im ehemaligen Jugoslawien entscheiden. Wir wissen auch, daß man damit allein noch lange keinen tragfähigen Frieden schafft, sondern nur die Voraussetzungen dafür, daß eine Fülle von friedensschaffenden Maßnahmen längerfristiger Art erst möglich werden.
Friede ist mehr als die Abwesenheit von Krieg. Deshalb will ich für die Sozialdemokraten heute
Rudolf Scharping
deutlich machen, daß der für ein Jahr vorgesehene Einsatz der Bundeswehr nur ein Teil des deutschen Engagements sein kann, dem ein ganzes Bündel wichtiger, längerfristig angelegter Maßnahmen ziviler Art folgen muß.
Ich bedanke mich namens der SPD-Bundestagsfraktion bei allen, die in den Fraktionen dazu beigetragen haben, daß es zu einem interfraktionellen Antrag kommt, der im wesentlichen mit der Initiative meines Fraktionskollegen Freimut Duve deutlich sagt, was noch getan werden muß:
Die Folgen des jahrelangen Kriegszustandes, der Vertreibungen und der Auswirkungen von Embargomaßnahmen bergen die Gefahr einer zunehmenden Auflösung der zivilen Gesellschaft in allen drei betroffenen Ländern. Die Unsicherheit für die Zukunft von Hunderttausenden von Menschen wird durch die vom Krieg zerstörten Infrastruktur- und Versorgungseinrichtungen, die am Boden liegenden Volkswirtschaften, die verheerende Arbeitsplatzsituation, die teilweise zusammengebrochenen zivilen Verwaltungen und die weitgehend nicht mehr funktionierenden Bildungssysteme noch erheblich verschärft.
Ohne die Hilfe der internationalen Staatengemeinschaft ist ein Erfolg des Friedensprozesses nicht möglich .. .
Die Erinnerung an die positiven Wirkungen des Marshall-Plans auf den Wiederaufbau im Westen Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg bringt den Deutschen Bundestag zu der Überzeugung, daß ein Erfolg des Friedensprozesses im ehemaligen Jugoslawien nur mit einem ähnlich umfassenden wirtschaftlichen und politischen Programm erzielt werden kann.
Wenn wir das heute beschließen, dann muß uns allen klar sein, daß die richtigen Erkenntnisse und die in diesem Antrag vom gesamten Bundestag geforderten Hilfsmaßnahmen eine große Verpflichtung bedeuten. Die Hauptaufgabe für die internationale Staatengemeinschaft wird daher auch der Wiederaufbau des zerstörten Landes und seiner zivilen Institutionen sein. Hier liegt die große Aufgabe für den Frieden.
Um diese Aufgabe möglich zu machen, stimmen wir der militärischen Absicherung des Friedensabkommens zu. Die Konsolidierung des Friedensprozesses wird allerdings eine lange Zeit erfordern; daher müssen die notwendigen Maßnahmen umgehend beginnen. Ohne schnelle, wirksame Aufbauhilfen kann es nicht gelingen, die Konfliktparteien aus ihrer verhängnisvollen Scheinlogik der gewaltsamen Durchsetzung ihrer Interessen herauszuholen.
Also erwarten wir, daß die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag schnellstmöglich ein Konzept für den deutschen Beitrag zur zivilen Konsolidierung des Friedensprozesses vorlegt.
Wir beobachten, Herr Bundeskanzler, mit einer gewissen Sorge, daß Programme und Finanzierungsentscheidungen zur nichtmilitärischen, zur zivilen Absicherung des Friedens hinter den vorgelegten militärischen Maßnahmen herhinken. Was wir heute beschließen, soll nach dem Antrag der Bundesregierung zirka 700 Millionen DM kosten. Das ist bei den bekannten Lücken im Haushalt keine Kleinigkeit, aber zur Sicherung des Friedens ist dieser Betrag angemessen und notwendig.
Ich füge hinzu, daß der Wiederaufbau und die langfristige Befriedung dieses zerrissenen Landes sicher ein Vielfaches dieser humanitären Anstrengungen im Sinne von „Hilfe zur Selbsthilfe" beim Aufbau ziviler Institutionen erfordern werden. Davon wird zur Zeit - zumindest in der öffentlichen Debatte - zuwenig gesprochen. Es ist höchste Zeit, daß auch für diesen - langfristig noch wichtigeren - Bereich deutscher Friedenspolitik konkrete Maßnahmen genannt und nicht nur entsprechende Absichtserklärungen abgegeben werden.
In diesem Zusammenhang reicht ein Verweis auf gemeinsame Anstrengungen in der Europäischen Union nicht aus. Er reicht schon deshalb nicht aus, weil Deutschland die meisten Flüchtlinge aufgenommen und folgerichtig auch das größte Interesse daran hat, daß es zu einer Rückkehr der Flüchtlinge in ihre Heimat unter menschenwürdigen Bedingungen kommen kann. Gerade wer - wie das zum Teil öffentlich, mit einer gewissen Zurückhaltung auch hier im Deutschen Bundestag geschieht - auf die gewachsene Bedeutung der Rolle Deutschlands und die damit verbundene besondere Verantwortung hinweist, kann sich nicht allein auf europäische oder andere Zusammenhänge zurückziehen, wenn es um die langfristige Sicherung des Friedens mit zivilen Mitteln geht.
Meine Damen und Herren, wir fordern also die Bundesregierung auf, in angemessener Zeit konkrete Vorschläge vorzulegen und Maßnahmen vorzuschlagen, wie dem gemeinsamen Antrag aller Fraktionen Rechnung getragen werden kann.
Lassen Sie mich zum Schluß einen weiteren Aspekt ansprechen: Mit dem Friedensschluß von Dayton sind noch lange nicht alle schwelenden Konflikte im ehemaligen Jugoslawien beseitigt. Das gilt für die ungelösten Probleme in Ostslawonien, in der Vojvodina, im Sandschak, in Makedonien und vor allen Dingen im Kosovo. In allen diesen Teilen des ehemaligen Jugoslawien wird es vor allem auf den guten Willen und auf die Kompromißbereitschaft der Regierung in Belgrad ankommen. Die offene Frage, ob diese Konflikte friedlich beigelegt werden können
Rudolf Scharping
oder ob dort neue Konflikte ausbrechen, wird im wesentlichen in Belgrad entschieden. Es ist also notwendig, politischen Druck aufrechtzuerhalten und klarzumachen, daß die Aufhebung des Embargos und auch die Hilfe für Serbien im Sinne einer europäischen Perspektive für diesen Staat ganz entscheidend davon abhängen, ob die serbische Politik in diesen Gebieten zu einer friedlichen Entwicklung beiträgt und Konflikte beilegt, anstatt sie neu zu verschärfen.
Meine Damen und Herren, ich habe am Anfang davon gesprochen, daß der Konflikt im ehemaligen Jugoslawien auch - nicht nur und nicht zuerst, aber auch - Ausdruck des Versagens europäischer Politik ist. Wenn wir daraus für die Zukunft richtige Konsequenzen ziehen wollen, dann ist es jetzt unsere Pflicht, zur zivilen und - um die zivile Hilfe möglich zu machen - zur militärischen Absicherung des Abkommens von Dayton beizutragen, damit Frieden und Stabilität auf dem Balkan gefördert und damit zugleich Frieden und Stabilität in Europa sicherer gemacht werden können.
Niemandem fällt diese Entscheidung leicht. Jeder spürt und jeder weiß, daß das eine Entscheidung ist, mit der wir - jeder - schwere Verantwortung übernehmen, daß dies eine Entscheidung ist, wie wir sie in den langen Jahren, in denen wir zum Teil diesem Parlament angehören, noch nicht treffen mußten; das ist neu. Dennoch ist die Entscheidung richtig, und sie ist notwendig.
Ohne den Vertrag von Dayton und ohne den Beitrag der NATO und der internationalen Gemeinschaft zur Sicherung dieses Friedens und notfalls zur
Durchsetzung dieses Friedens ist ein Ende des Leidens und der Verbrechen für die Menschen in Bosnien-Herzegowina nicht möglich. Deswegen ist diese Entscheidung richtig und notwendig, auch wenn sie schwerfällt.
Wenn nicht auch im ehemaligen Jugoslawien und auf dem Balkan wieder Friede wird, bleibt der Friede in Europa gefährdet. Auch das gehört zu dieser Entscheidung.
Wir wissen, daß der Friede unteilbar ist. Seit dem Ende des Ost-West-Konfliktes, seit dem Fall des Eisernen Vorhangs, der Europa 45 Jahre geteilt hat, gehört zur Wirklichkeit auch, daß Krieg in Europa wieder möglich geworden ist. Krieg in Europa muß für die Zukunft ausgeschlossen werden.
Dazu muß die Bundesrepublik Deutschland ihren Beitrag leisten. Das ist der Auftrag an die Soldaten der Bundeswehr.
Keiner kann für sich allein den Frieden bewahren. Auch das gehört in die Entscheidung dieses Tages. Weil keiner für sich allein den Frieden bewahren kann, sind wir auf verläßliche Zusammenarbeit, Partnerschaft und Bündnisse angewiesen. Dazu müssen wir Deutsche unseren Beitrag leisten.
Wir haben in den 50 Jahren seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs in sicherem Frieden gelebt, weil andere uns verläßliche Partner gewesen sind. Wir möchten niemals mehr alleine stehen, weil wir alleine den Frieden nicht sichern können. Deswegen müssen auch wir verläßliche Partner sein. Deswegen leisten die Soldaten der Bundeswehr auch einen Dienst für die Sicherung des Friedens der Deutschen und für die Sicherung des Friedens in Europa. Sie leisten nicht nur einen Dienst zur Beendigung der Verbrechen und des Leidens in Bosnien-Herzegowina, sondern sie leisten zugleich auch einen Dienst für unseren Frieden. Das ist der ureigene Auftrag der Bundeswehr und ihrer Soldaten.
Ich verstehe gut, daß den Sozialdemokraten und - mehr noch - den Grünen die Entscheidung schwerfällt und daß sie darüber interne Diskussionsprozesse führen. Ich begrüße jede Stimme für den Antrag der Bundesregierung. Die Tatsache aber - das muß an dieser Stelle auch gesagt werden -, daß die CDU/CSU-Bundestagsfraktion dem Antrag der Bundesregierung geschlossen zustimmt, daß wir schon früher die darin zum Audruck gebrachte Auffassung vertreten haben und daß wir nicht in einem langen qualvollen Prozeß, den wir bei anderen respektieren, sondern schon früh die Einsicht gehabt haben, daß es nicht anders geht, als jetzt geplant, darf von niemandem so interpretiert werden, als würden wir uns die Entscheidung leichter machen als andere.
Mangelnde Geschlossenheit in solch einer Frage ist auch nicht Ausdruck höheren Gewissens. Weil wir geschlossen sind, sind wir nicht von einer geringeren
Dr. Wolfgang Schäuble
Anstrengung unseres Gewissens. Weil wir schon früher darauf hingewiesen haben, daß kein Weg daran vorbeiführen wird, daß wir unseren Beitrag werden leisten müssen, damit Friede in Bosnien entsteht und in Europa der Frieden wieder sicher wird, sind wir nicht leichtfertiger, sondern nur klarer und kontinuierlicher.
Es geht nicht um Recht-Haben; aber es geht auch wirklich nicht an, daß diejenigen, die zu lange nicht recht gehabt haben, die anderen nun so hinstellen, als hätten diese es sich leichter gemacht. Wir haben es uns nicht leichter gemacht. Wir haben nur früher vorhergesehen, was geschehen wird.
Man muß vielleicht an diesem Tag daran erinnern: Was wäre den Menschen erspart geblieben, wenn die Aggressoren die Entschlossenheit früher gespürt hätten, daß ihnen notfalls mit überlegenen Mitteln entgegengetreten wird?
Wenn wir aus den entsetzlichen Opfern dieses Kriegs, die der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung soeben in Erinnerung gerufen hat, etwas lernen wollen, dann muß es die Lehre sein, daß wir - die Europäer, die NATO und die Völkergemeinschaft insgesamt - in Zukunft früher, entschlossener und klarer jedem entgegentreten, der zur Durchsetzung gleich welcher Ziele militärische Mittel einsetzen will. Je klarer diese Entschlossenheit, um so geringer wird das Risiko sein, daß es jemals dazu kommt.
Das war das Prinzip der Abschreckung; so haben wir das genannt. Die Franzosen sagen „dissuasion", Entmutigung. Es geht darum, jeden davon zu überzeugen, daß sich der Einsatz militärischer Gewalt für ihn selbst nicht lohnen wird. Man darf nicht nur auf den guten Willen bauen. Die Menschen sind - leider - nicht so. Vielmehr muß man notfalls in der Lage sein, den Einsatz militärischer Gewalt nicht lohnend erscheinen zu lassen. Das ist der eigentliche Kern der Friedenssicherung.
An der Klarheit dieses Auftrags sollten wir auch in dieser Stunde keinen Zweifel lassen. Im übrigen haben auch die Soldaten der Bundeswehr jeden Anspruch auf Unterstützung - auch im Sinne von Klarheit, Entschlossenheit und Geschlossenheit. Deswegen finde ich, Herr Kollege Scharping, daß die Debatte um die Frage „Kampfauftrag oder nicht" mißverständlich und überflüssig ist.
- Herr Naumann hat ganz einfach etwas Richtiges gesagt. Er hat nämlich genau das gesagt, was der Kollege Scharping mit anderen Worten auch gesagt hat. Deswegen hätte er den Generalinspekteur nicht zu kritisieren brauchen; das war unberechtigt.
Das weise ich für uns zurück.
Natürlich ist der Auftrag aller Streitkräfte - das ist doch völlig klar -, den Frieden zu sichern und den Frieden durchzusetzen.
- Genau dies ist der Auftrag. - Dies kann sehr wohl - das sind die Risiken, von denen jeder von uns redet und die jeder kennen muß, der in diesen Tagen zustimmt - schneller, als uns lieb sein mag dazu führen, daß etwas entsteht, von dem Soldaten dann sagen: Jetzt müssen wir kämpfen, um den Frieden zu sichern. - Das ist nicht der Auftrag, das ist nicht das Ziel. Aber wer nicht bereit ist, zu kämpfen, wird den Frieden nicht sichern. Das ist die Lehre aus Bosnien-Herzegowina.
- Nein, das ist nicht wahr. Herr Duve, lassen Sie uns heute ausnahmsweise nicht streiten!
- Ich bitte Sie! Ich habe den Generalinspekteur gegen Ihre Kritik in Schutz genommen.
- Herr Verheugen, überlegen Sie in welcher Stunde wir uns befinden und was wir im Augenblick machen.
Ich habe begrüßt, daß Sie zustimmen. Ich habe gesagt, ich werde Ihnen jetzt nicht vorhalten, was Sie noch vor ein paar Monaten gesagt haben. Aber Sie werden doch in dieser Stunde ertragen, daß sich die CDU/CSU-Fraktion vor den Generalinspekteur stellt, wenn Sie ihn nach unserer Auffassung zu Unrecht kritisieren. Das werden Sie gerade noch ertragen!
Herr Kollege Duve, es gibt aus meiner Sicht keinen Unterschied - auch ich habe das nachgelesen - zwischen dem, was der Generalinspekteur gesagt hat und dem, was der Bundesverteidigungsminister gesagt hat. Der Bundesverteidigungsminister redet wie ich und wie der Kollege Scharping von dem Auftrag der Bundeswehr, den Frieden zu sichern - zusammen mit anderen, die wir unterstützen, zum Beispiel die NATO-Truppe. Aber der Generalinspekteur hat auch davon gesprochen - davon haben auch wir gesprochen, auch Herr Scharping -, daß dieser Auftrag ein gefährlicher ist und daß es schnell zu Risiken kommen kann, von denen wir hoffen, daß sie nicht eintreten. Aber die Bundeswehr, die Soldaten der Bundeswehr müssen sich - wie die Amerikaner, die Briten, die Franzosen und alle anderen - bewußt sein, daß dies nicht das Ziel ist. Doch sie müssen dar-
Dr. Wolfgang Schäuble
auf vorereitet sein. Ein Offizier, der seinen Soldaten den Auftrag erklärt, sagt damit nichts anderes als wir mit unseren Worten.
Nun will ich eine zweite Bemerkung machen: Ich halte die Diskussion mit der Eingrenzung auf Völkermord für eine problematische Verwirrung. Natürlich sind wir gegen Völkermord und wollen wir Völkermord verhindern. Aber wir sollten Friedenssicherung nicht mit der Verhinderung von Völkermord gleichsetzen.
Herr Kollege Fischer, die Lehre aus Srebrenica zu ziehen ist richtig. Aber ich finde, wir müssen auch die Lehre aus München 1938 ziehen: Je früher ein Aggressor davon überzeugt wird, daß er auf entschiedenen und überlegenen Widerstand stößt, desto sicherer ist der Friede, und je weniger er davon überzeugt ist, desto gefährdeter.
Dann habe ich noch eine Bitte: Wir alle fühlen in diesen Stunden und Tagen und in den kommenden Monaten mit den Soldaten der Bundeswehr. Wir sagen ihnen, daß wir ihnen danken, daß wir stolz auf sie sind wegen der Art, wegen des Mutes und der Gelassenheit zugleich, in der sie diesen schweren Dienst tun, daß wir uns vor sie stellen, daß wir sie unterstützen und schützen. Wir alle sollten ihnen sagen: Sie sind keine Mörder.
Herr Kollege Fischer, vielleicht könnten wir uns sogar darauf verständigen, daß sich in Zukunft niemand aus diesem Hause oder zumindest keine Partei, die mit einer Fraktion in diesem Hause vertreten ist, an der Organisation von Veranstaltungen beteiligt, aus denen heraus die Soldaten als Mörder beschimpft werden. Vielleicht gehört auch das zu dieser Stunde.
Ich sage es als Bitte, und ich füge die weitere Bitte an: Unterhalten Sie sich gelegentlich mit Wehrpflichtigen, die am Wochenende in Uniform nach Hause fahren und sich dann von Gleichaltrigen in den Zügen dumm anmachen lassen müssen.
- Nein, aber es kommt noch zu oft vor, und einmal ist zuviel.
Ich finde, die Soldaten, die ihren Wehrdienst und
ihren Dienst für Frieden und Freiheit unseres Landes
leisten, haben Anspruch darauf, daß wir allen in
unserer Gesellschaft sagen: Begreift, daß keiner in Frieden leben könnte,
wenn die Soldaten der Bundeswehr und die Soldaten der Streitkräfte unserer Verbündeten ihren Dienst für unseren Frieden nicht leisteten!
- Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, wenn wir das Stenographische Protokoll jetzt hätten, würde ich am liebsten vorlesen, was ich eben gesagt habe. Ich habe es noch nicht, und da ich frei gesprochen habe, muß ich es dem Sinn nach wiederholen. Ich finde es schon bemerkenswert, daß die Bitte, daß Soldaten der Bundeswehr nicht angepöbelt werden, dazu führt, daß hier gerufen wird, dies mache es einem schwer, der Entscheidung zuzustimmen.
- Herr Kollege Fischer, wir lassen einmal Ihren Auftritt ein bißchen wirken.
Am liebsten würde ich noch einmal ganz von vorne anfangen.
Ich finde, in einer Stunde, in der wir den Soldaten der Bundeswehr einen Auftrag erteilen müssen,
sollte man dafür werben dürfen, daß Soldaten der Bundeswehr in diesem Lande nicht als Mörder verunglimpft werden.
Herr Dr. Schäuble, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gansel?
Ja, bitte.
Herr Schäuble, wären Sie bereit, einen Augenblick darüber nachzudenken, ob in dieser schwierigen Debatte, in der, wie mein Fraktionsvorsitzender sagte, die SPD eine neue Bewertung vorgenommen hat und, wie wir wissen, viele Mitglieder der Fraktion der Grünen vor sehr
Norbert Gansel
schweren individuellen Gewissensentscheidungen stehen - -
- Nein, lassen Sie mich das hinzufügen: ohne daß ich die Gewissensentscheidung irgendeines anderen Mitglieds des Hauses in Frage stellen will. Ich glaube, ich kann das nach der Debatte und persönlichen Entscheidung am 30. Juni 1995 mit einer gewissen Berechtigung sagen.
Herr Schäuble, wären Sie nicht bereit, in dieser Situation, statt auf die Lektüre des Protokolls zu verweisen, schlicht und einfach geradezurücken, daß Sie niemanden im Bundestag verdächtigen wollen, Soldaten als Mörder zu bezeichnen?
Sie müßten doch daran interessiert sein, daß wir heute nach einer ernsten und fairen Diskussion das entscheiden, was zu entscheiden ist. Es geht um unseren Beitrag für den Frieden im ehemaligen Jugoslawien, um nichts anderes. Es geht nicht darum, innenpolitische Pluspunkte zu sammeln, sondern außenpolitische Verantwortung zu zeigen.
Herr Kollege Gansel, ich habe keinem Mitglied des Bundestages unterstellt, Soldaten als Mörder bezeichnet zu haben.
- Jetzt lassen Sie mich doch erst einmal antworten, bevor Sie wieder dazwischenrufen.
Es ist schon bemerkenswert, daß Sie in der Form Ihrer Fragestellung den Inhalt meiner Aussagen verfälschend interpretiert haben.
Was ich gesagt habe, ist - ich will es einmal so sagen -: Jeder von uns hat eine Entscheidung zu treffen, die er sich nicht leichtmacht. Im übrigen trifft keiner diese Entscheidung leichter als ein anderer. Jeder von uns hat über genau das gleiche zu entscheiden, über nicht mehr oder weniger.
Ich sage Ihnen aber: Reden wir nicht so sehr über die Last unserer Entscheidung! Die Soldaten der Bundeswehr, die wir in die Nähe von Bosnien-Herzegowina schicken, tragen eine viel schwerere Last.
Deswegen finde ich, daß es in dieser Stunde richtig ist, daran zu erinnern - ich habe gesagt: lassen Sie uns doch alle dafür eintreten, sie davor zu schützen -, daß die Soldaten keine Mörder sind. Wir sollten uns vor sie stellen.
An die Fraktion der Grünen habe ich die Bitte geäußert, sich in Zukunft daran zu halten.
- Entschuldigung, aber die Partei der Grünen hat sich an der Gegenveranstaltung zum 40jährigen Jubiläum der Bundeswehr beteiligt. Von dort wurde die Jubiläumsfeier mit den Rufen „Soldaten sind Mörder" gestört. Ich habe nur darum gebeten, dies in Zukunft zu unterlassen. Das ist doch die Wahrheit. Die Wahrheit muß hier doch noch gesagt werden dürfen.
Glauben Sie denn, Sie gewinnen an Glaubwürdigkeit oder gar Vertrauen bei den Menschen, wenn sie nicht mehr aussprechen, was war, und wenn Sie nicht in Ordnung bringen, was nicht in Ordnung gewesen ist? Das muß an diesem Tag gesagt und am besten für die Zukunft in Ordnung gebracht werden.
- Wenn Sie mich fragen, wiederhole ich es eben. Das liegt ja an Ihnen.
Ich möchte gerne noch eine Bemerkung machen. Der Friede bleibt gefährdet, auch nach dem Friedensvertrag. Auch deswegen ist der Auftrag so riskant und so gefährlich. Um so notwendiger ist es, daß wir uns mit allem, was in unseren Möglichkeiten steht, dafür einsetzen, den Menschen in diesem geschundenen Land zu helfen, wieder zueinander zu finden. Da wird viel Aufbauhilfe notwendig sein.
Herr Scharping, lassen Sie uns keinen Streit darüber führen, ob das national, europäisch oder weltweit erfolgen soll. Ich finde, der ganze Prozeß der Friedenssicherung ist multilateral; bilateral ist er nicht zu leisten. Ich glaube, auch die Aufbauhilfe im ehemaligen Jugoslawien kann nur multilateral gelingen. Nicht einmal die Europäer alleine können es schaffen; die ganze Weltgemeinschaft muß ihren Beitrag dazu leisten. Wir Deutsche werden unseren Beitrag leisten.
Wir werden darüber hinaus natürlich, wie schon in der Vergangenheit, vielfältige zusätzliche, bilaterale Initiativen ergreifen. Mit Hilfe humanitärer Organisationen haben schon in der Vergangenheit viele Mitbürger vieles getan. Das wird sich verstärken. Ich hoffe, daß wir Städtepartnerschaften finden. Ich könnte mir vorstellen, daß die Bereitschaft der Flüchtlinge - aus dem Kriegsgebiet sind mehr Flüchtlinge in Deutschland als in allen europäischen Ländern zusammen -, zurückzukehren und ihre Heimat aufzubauen, mit der Bereitschaft zur Aufbauhilfe aus Deutschland verbunden werden könnte. Daraus könnte etwas Sinnvolles werden, gerade auch durch Gemeinschaftsaktionen.
Wir können helfen, daß die Menschen, Kroaten, Serben, Moslems, schon in Deutschland lernen, miteinander zu leben. Mit ihnen gemeinsam können wir helfen, das Land aufzubauen, auch mit Freiwilligenorganisationen - beides miteinander.
Dr. Wolfgang Schäuble
Wenn wir es so verknüpfen, haben wir eine Chance, auch aus dem großen Dienst, den unser Land mit der Aufnahme so vieler Flüchtlinge geleistet hat, einen besonderen Beitrag zum Aufbau dieses zerstörten Landes zu leisten. Auch das sollten wir tun.
Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion stimmt dem Antrag der Bundesregierung zu, weil wir davon überzeugt sind, daß dieser Beitrag der Bundeswehr und ihrer Soldaten für die Sicherung des Friedens in Bosnien-Herzegowina, im ehemaligen Jugoslawien notwendig ist; weil wir davon überzeugt sind, daß unser Beitrag zur Bewahrung und zur Sicherung des Friedens im ehemaligen Jugoslawien notwendig ist, um den Frieden in Europa und damit auch für uns für die Zukunft zu sichern; weil wir im übrigen davon überzeugt sind, Herr Bundesverteidigungsminister, daß die größtmögliche Vorsorge getroffen worden ist, um die Risiken für die Soldaten der Bundeswehr wie für alle anderen Soldaten in diesem Einsatz so gering wie irgend möglich zu halten.
Wir sagen der Bundesregierung jede Unterstützung zu, wenn es darum geht - auch in der Durchführung dieses Auftrags -, jede Vorsorge für alle an der Friedenssicherung beteiligten Soldaten und vor allen Dingen für unsere Soldaten der Bundeswehr zu leisten. Wir sind dankbar, daß so umsichtig und vorsichtig gehandelt und vorbereitet worden ist.
In dem Vertrauen, daß jede mögliche Anstrengung geleistet worden ist und in der Zukunft geleistet wird, um Schaden von den Soldaten zu wenden, stimmen wir dem Antrag zu.
Es spricht jetzt die Kollegin Christa Nickels.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Menschliche Zivilisation kann nur da sein und existieren, wo die, die handeln, das tun im Angesicht der Lebenden, dessen, was ihnen glückt und gelingt, aber auch besonders im Angesicht dessen, was lebende Menschen zu leiden und zu dulden haben und wo sie Opfer werden, und im Bewußtsein dessen, was die Geschichte uns lehrt, und mit Ausblick auf die Zukunft. Daran muß sich unser jeweiliges aktuelles Handeln messen lassen, auch das der Bündnisgrünen, die mittlerweile als drittstärkste parlamentarische Kraft in diesem Land Verantwortung zu tragen haben.
Ich möchte daran erinnern, daß die Geschichte uns lehrt, daß der Versuch, Frieden mit gewaltsamen Mitteln zu verteidigen, davon begleitet ist, daß Ströme von Blut geflossen sind, Millionen und Milliarden von Werten letzten Endes zu Schrott und Leid geworden sind. Diese gewaltsamen Mittel, im Übermaß angehäuft, haben zu Unterdrückung, zu entsetzlichen Völkermorden und Kriegen geführt.
Diese Entwicklung hat ihren schrecklichen Höhepunkt in der Entwicklung der Atombombe gefunden. Ich möchte noch einmal innehalten und an den Anfang der 80er Jahre erinnern, als das jedem klar war. Daran wird deutlich, daß letzten Endes der Versuch, mit gewaltsamen Mitteln Frieden zu schaffen, zu sichern und zu erhalten, auch die Vernichtung dessen beinhalten kann, was man eigentlich verteidigen will.
Die Grünen sind auch vor dem Hintergrund dieses Problems entstanden. Wir wissen, daß es ein sehr schweres Unterfangen ist, gewaltfreie und zivile Mittel der Verteidigung im Angesicht dessen, was an Brutalität und Machtinteressen in der Welt ist, in strategische Optionen umzusetzen, zu erforschen, zu planen und als gewaltfreie Strategien in die geltenden Verteidigungsstrategien einzubauen und diese auch finanziert zu bekommen. Das ist äußerst schwierig.
Damit sind wir im politischen Alltag nach wie vor in der absoluten Minderheit. Das ist aber eine historisch wichtige Aufgabe, die niemand außer uns leistet. Wir sind nicht arrogant, wir finden das nicht toll. Das ist eine schwere Last, und das ist unser Grundgründungsimpuls. Wir dürfen uns dem nicht entziehen und wir müssen uns gerade bei solch schweren Entscheidungen, wie sie heute zur Debatte stehen, an dieser Aufgabe messen lassen.
Heute geht es in erster Linie um Bosnien. Es geht um Menschen, die entsetzlich gelitten haben, die mit militärischer, brutaler Brachialgewalt unterdrückt worden sind, die gefoltert, ermordet, vergewaltigt worden sind. Es geht darum, daß im Kern das, was Zivilisation ausmacht, erhalten bleibt, daß Menschen über alle Grenzen von ethnischen, kulturellen Verschiedenheiten hinweg zusammenleben, daß sie in Familien als verschiedene Menschen in einem Staatsgebilde zusammenleben, Handel und Wandel betreiben, sich aufeinander einlassen und Nachbarschaft in einer friedlichen Art und Weise pflegen. Das ist zerbrochen und brutal zerstört worden durch solche, die nur die Sprache der Waffen und die Sprache einseitiger Interessen verstehen.
Wir müssen im Angesicht dieser Katastrophe als Grüne und als solche, die versuchen, gewaltfreie Verteidigungsstrategien in die herrschenden Systeme umzusetzen, sagen, daß wir die Lösungsmöglichkeiten, um die Entwicklung zu stoppen, noch nicht zur Verfügung hatten, daß wir ihr mit einer gewissen Hilflosigkeit gegenüberstanden. Deshalb haben wir keinen Grund mit Arroganz oder besserwisserischer Manier aufzutreten.
Gerade in dieser Stunde, wo die Einsatzrichtlinien und die Ausgestaltung des Friedensvertrages, die den Ländern freigestellt sind, beschlossen werden, muß festgestellt werden: Sie hatten als Regierung die Möglichkeit, diesen Auftrag auf verschiedene Art auszufüllen. Sie haben sich entschieden, ihn mit großen Risiken auszufüllen, verschiedene Optionen von Friedensbewahrung und Friedensschaffung im mili-
Christa Nickels
tärischen Sinne offenzuhalten, wobei Sie zugrunde legen, daß das Mandat der NATO wichtiger ist als die Stärke der UNO.
Sie haben zwar die Opposition informiert, aber zu keinem einzigen Zeitpunkt haben Sie uns gefragt, was aus unserem Blickwinkel an gewaltfreien und an anderen friedenssichernden Maßnahmen unabdingbar nötig ist.
Es geht nicht an, daß man die gewaltfreie Option als etwas Zahnloses, als etwas Individuelles, zwar Humanes, bestenfalls als etwas Menschliches, aber im Grunde genommen als politisch Gefühlsduseliges darstellt. Die gewaltfreie Strategie ist gerade auch durch die Grünen in den letzten Jahren so weit entwickelt worden, daß sie in die bestehenden Systeme einzubauen ist mit dem Ziel, militärische und gewaltförmige Sicherungssysteme der Verteidigung zurückzudrängen.
Man muß leider feststellen, daß die Bundesregierung den Spielraum, den sie hinsichtlich des Friedensvertrages von Dayton hatte, überhaupt nicht genutzt hat. Im Gegenteil, Sie haben den militärischen Auftrag mit Risiken behaftet. In dem Antrag sind Feststellungen enthalten, die den Parlamentsvorbehalt aussetzen können, was die Höhe der Zahlen angeht, was die Art der Bewaffnung angeht.
Sie haben für die zivile Absicherung des Friedensprozesses, für das, was wirklich nötig ist, um den Frieden letzten Endes in Gang zu setzen, beständig zu machen und als sich selbst tragenden Prozeß in diesem geschundenen Land einzupflanzen, keine Vorsorge getragen. Das muß abgesichert werden. Es sind schätzungsweise 6 Milliarden DM veranschlagt. Herr Kinkel, Sie haben sich auf Anfrage nicht festgelegt, wieviel das eigentlich kostet. Herr Schäuble, Sie haben im Gegensatz zu den militärischen Optionen, für die Sie werben - in einer Rede, die ich streckenweise als Stammtischrede empfunden habe, die der Situation und dem Ernst der Stunde nicht angemessen ist -, die zivilen und gewaltfreien Optionen überhaupt nicht berücksichtigt.
Herr Rühe, dieses Mandat ist auf ein Jahr beschränkt. Im Januar nächsten Jahres wird die vorgesehene Zahl der Soldaten wahrscheinlich dort sein. Mitte Juli wird man anfangen, die militärischen Einheiten, die, wie Sie sagen, diesen Raum schaffen sollen, wieder zurückzuziehen. Nach einem Jahr soll dieser Friedensprozeß wieder ein sich selbst tragender Prozeß sein. Ich frage Sie: Wie soll das denn gehen, wenn die Mittel, die nötig sind, um die Menschen wieder in den Dialog miteinander zu bringen - militärisch nennt man das Entfeindungsstrategien -, als strategische Option nicht gründlich durchdacht, geplant, sicher finanziert und damit überhaupt nicht abgesichert sind? Wo nehmen Sie da die Hoffnung her, daß der Friedensprozeß, den Sie militärisch
ermöglichen wollen, überhaupt abgesichert werden kann? Er muß ja erst geschaffen werden.
Die Grundlagen dafür sind in der Entscheidung, die uns die Bundesregierung abverlangt, nicht enthalten. Man kann aber auf diese absolut nicht verzichten. Wenn auch sonst hier im Hause niemand darauf besteht, das einzufordern: es ist unsere Pflicht als Bündnisgrüne, dies zu tun.
Es hat nichts damit zu tun, vor der Verantwortung zu kneifen. Ich glaube, Sie müssen lernen, daß Sie mit Ihrem Setzen alleine auf militärische Optionen in vielen Fällen schrecklich gescheitert sind. Es ist historisch endlich angesagt, gewaltfreie Optionen zu fördern und als Mittel der Politik einzusetzen. Es würde auch in diesem Fall den Menschen in Bosnien helfen.
Es wird versprochen, daß man den Frieden mit einseitigen Mitteln durchsetzen kann. Das ist ein Versprechen, das Sie nicht werden halten können, wenn Sie es nicht mit einem Beschluß auffüllen, in dem die materiellen, finanziellen und strategischen Mittel auf der gewaltfreien Ebene vorgesehen werden und mit dem der Frieden als sich selbst tragender Prozeß in dem Land in Gang gesetzt werden kann.
Danke schön.
Ich erteile jetzt dem Kollegen Ulrich Irmer das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Die Fraktion der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag wird dem Antrag der Bundesregierung zustimmen.
Der Vertrag von Dayton hat die Chance des Friedens eröffnet, aber er hat den Frieden noch nicht gebracht.
Es ist sicher richtig, daß wir uns auch darüber Gedanken machen müssen, wie wir das Entstehen von Kriegen in Zukunft verhindern können.
Herr Scharping, Sie haben den internationalen Organisationen Versagen vorgeworfen. Sie haben gesagt: Europa hat bei der Verhinderung des Krieges in Bosnien versagt. Es ist einzuräumen, daß es nicht gelungen ist, den Krieg zu verhindern, aber ich möchte Sie doch bitten, Herr Scharping, mit dem Vorwurf des Versagens nicht leichtfertig umzugehen. Es ist schnell gesagt, daß ein Versagen vorgekommen ist, aber ich erinnere an Boutros-Ghali, Generalsekretär der Vereinten Nationen, der immer sagt, die Vereinten Nationen können nur so stark sein, wie sie von ihren Mitgliedstaaten gemacht werden.
Ich erinnere auch daran, daß der Durchbruch zum Friedensschluß von Dayton erst durch Maßnahmen
Ulrich Irmer
möglich wurde, die unter anderem Sie, Herr Scharping, am 30. Juni dieses Jahres noch vehement abgelehnt haben.
Sagen wir doch ehrlich, daß die Bereitschaft der Kriegsparteien im ehemaligen Jugoslawien, sich an den Friedensverhandlungen zu beteiligen und den Friedensschluß letzten Endes zu vollziehen, erst durch massiveres militärisches Eingreifen herbeigeführt wurde.
Meine Kollegen, es ist mit Recht gesagt worden, daß wir es uns mit der Entscheidung nicht einfach machen. Frau Nickels, Ihnen muß ich sagen: Wir haben doch heute nach der Verfassung über den Einsatz der Bundeswehr zu entscheiden. Die humanitäre Hilfe, die Aufbauhilfe hätte die Bundesregierung alleine beschließen können. Worum es hier geht, ist, die 4 000 Soldaten der Bundeswehr in die Friedensmission in das ehemalige Jugoslawien, nach Kroation und nach Bosnien, zu entsenden. Insofern, Frau Nickels, habe ich nicht verstanden, was Sie zur Erläuterung der Auffassung Ihrer Fraktion gesagt haben.
Ich betone noch einmal: Es handelt sich bei dem, was die deutschen und alle anderen Soldaten dort tun sollen, um eine Friedensmission. Es handelt sich nicht um eine Kriegsaktion. Vielmehr soll die Friedenschance erst geschaffen und dann abgesichert werden. Ohne militärische Absicherung wären die Chancen für einen dauerhaften Frieden im ehemaligen Jugoslawien leider sehr gering.
Ich möchte auch betonen, daß wir Deutsche, die wir 40 Jahre lang Solidarität von den anderen erfahren haben, heute mit als erste dazu aufgerufen sind, unsererseits die internationale Solidarität zu zeigen, die von uns erwartet wird.
Herr Irmer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schuster?
Bitte sehr.
Herr Irmer, würden Sie mir zustimmen, wenn ich formuliere, daß es in Bosnien nur Frieden gibt, wenn zwei Vorbedingungen erfüllt sind: das Schweigen der Waffen und wenn die betroffenen Menschen in Bosnien für sich selber wieder eine Perspektive sehen? Wenn Sie dieser Aussage zustimmen, dann frage ich Sie: Warum sind wir perfekt in der Planung des ersten Teils, der militärischen Intervention,
und warum sind wir sehr viel weniger perfekt und
sehr viel weniger engagiert bei der Ausarbeitung der
unbedingt notwendigen zweiten Option, der entwicklungspolitischen Aspekte des Friedensprozesses in Bosnien?
Herr Kollege Schuster, Ihrer ersten Feststellung über die doppelte Natur der Friedenschance in Bosnien kann ich selbstverständlich uneingeschränkt zustimmen. Nur, bei Ihrer eigentlichen Frage gehen Sie von einer völlig falschen Voraussetzung aus. Denn es ist schlicht nicht wahr, daß die militärische Planung der zivilen Planung in der von Ihnen geschilderten Art vorauseilt. Es ist doch so gewesen - das muß ich auch Frau Nickels sagen -, Herr Schuster, daß in den Ausschüssen nun wirklich breitestens seitens der Bundesregierung vorgetragen worden ist, was in beiden Bereichen geschehen soll.
Es ist doch nur natürlich, Herr Schuster, daß wir uns heute in dieser Debatte insbesondere deshalb mit der militärischen Komponente beschäftigen, weil uns das Bundesverfassungsgericht aufgegeben hat, den Einsatz der Streitkräfte im Deutschen Bundestag konstitutiv zu beschließen. Es verhält sich nicht so, daß wir lediglich zu einem Beschluß der Bundesregierung nicken. Vielmehr tragen wir höchstpersönlich, jeder einzelne von uns, die Verantwortung. Wenn wir diesen Beschluß nicht fassen, dann können die Soldaten nicht entsandt werden. Das ist der Unterschied. Die zivile Leistung kann, wie gesagt, von der Bundesregierung aus eigener Verantwortung ohne detaillierte Zustimmung des Parlamentes erfolgen; dies geschieht ja. Sie wissen es auch ganz genau.
Meine Damen und Herren, wir haben 40 Jahre lang Solidarität erfahren. Die Bundeswehr ist 40 Jahre lang eine Friedensarmee gewesen, und sie bleibt es. Der Einsatz, in den sie jetzt geschickt wird, unterstreicht es. Ich halte es für einen Vorgang von hoher Symbolik, daß der erste größere Einsatz, den die Bundeswehr leisten muß, der Beendigung eines langandauernden Krieges und der Herstellung von Frieden gilt.
Ich glaube, wir sollten uns in dieser Stunde, in der wir zu entscheiden haben, auch klarmachen, daß wir Menschen in ein Risiko schicken. Wir sollten an der Seite der Soldaten und ihrer Familien stehen. Niemand bilde sich ein, daß es sich um einen Spaziergang handeln könnte. Es ist ein hochrisikoreiches Unternehmen. Es ist zu verantworten, weil alle Sicherheitsvorkehrungen, die menschenmöglich sind, getroffen werden. Aber machen wir uns nichts vor: Wir schicken die Soldaten in eine schwierige und gefährliche Situation.
Ich möchte allen Soldaten sagen: Das Wichtigste ist: Kommt heil zurück!
Diejenigen, die gegen den Antrag der Bundesregierung stimmen wollen, muß ich fragen, ob die Gründe wirklich tragen. Ich freue mich sehr darüber,
Ulrich Irmer
daß die SPD-Fraktion unsere Auffassung teilt. Ich respektiere, daß Sie es sich mit der Entwicklung in Ihrer eigenen Partei und Fraktion sehr schwer gemacht haben. Ich freue mich über das Ergebnis; denn ich glaube, es ist gerade für die Soldaten wichtig, daß sie das Gefühl haben, der Deutsche Bundestag steht mit überwältigender Mehrheit hinter ihnen und ist bei ihnen, wenn sie den Auftrag für unser Land, für den Frieden, für die internationale Gemeinschaft erfüllen.
Ich freue mich darüber, daß die SPD und Teile der Fraktion Bündnis 90/Grüne mit uns stimmen.
Aber ich möchte noch einmal fragen: Welche Argumente werden denn für eine deutsche Verweigerung vorgebracht? Da wird gesagt, deutsche Soldaten hätten in der Vergangenheit viel Unheil in Europa angerichtet, und deshalb sollte kein deutscher Soldat außerhalb eingesetzt werden. Meine Damen und Herren, diese Argumentation verkennt doch völlig die Voraussetzungen: Deutsche Soldaten sind in der Vergangenheit von einem verbrecherischen Regime dazu mißbraucht worden, das internationale Recht zu brechen und den Frieden zu zerstören. Heute ist Deutschland ein demokratischer Staat, ein Rechtsstaat. Heute geht es darum, das internationale Recht wiederherzustellen, dem Frieden eine Chance zu geben. Da können wir uns nicht im Blick auf unsere Geschichte verweigern, wenn wir ersucht werden, uns zu beteiligen.
Eher ist es umgekehrt: Gerade daraus, daß deutsche Soldaten in der Vergangenheit gezwungen waren, Recht zu brechen, erwächst für uns eine Verpflichtung, uns heute als rechtsstaatliche Demokratie auch international für die Friedenswahrung einzusetzen.
Herr Irmer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Opel?
Ja, bitte sehr.
Herr Kollege Irmer, gestatten Sie mir, auch Ihnen als Jurist eine Frage zu stellen: Unter welchen Kriterien wird der Einsatz in Bosnien durchgeführt? Ist es ein Kapitel-VI-Einsatz, ein robuster vorsorgender Einsatz mit einer verstärkten Selbstverteidigungskomponente, oder ist es nach Ihrem Verständnis ein Kampfeinsatz nach Kapitel VII? Haben Sie, hat sich Ihre Fraktion Gedanken darüber gemacht, um welche Art von Einsatz es sich handelt? Dies würde manchem von uns die Entscheidung, die Sie eingefordert haben, erleichtern.
Lieber Herr Kollege Opel, es genügt doch ein Blick in den Antrag der Bundesregierung, dem wir heute zustimmen sollen, um ganz
klar zu wissen, um was für einen Einsatz es sich handelt: Es ist ein Einsatz, der dazu gedacht ist, den Frieden in Bosnien herzustellen, den Wiederaufbau zu ermöglichen,
dafür zu sorgen, daß die bisherigen Konfliktparteien nicht wieder übereinander herfallen, daß der zivile Wiederaufbau nicht gestört wird, sondern sich in Ruhe vollziehen kann.
Wenn es dann notwendig sein sollte, sich mit militärischen Mitteln durchzusetzen - weil die Soldaten angegriffen werden oder weil die Aufbauarbeit, von wem auch immer, kaputtgemacht werden soll -, dann muß auch dies im Friedensauftrag möglich sein. Dabei kommt es doch gar nicht darauf an, ob es sich um einen Einsatz nach Kapitel VI oder nach Kapitel VII handelt oder ob sich das verwischt und ineinander übergeht. Es kommt auf den Auftrag an, der besteht: den Frieden durchzusetzen, zu erhalten und dafür zu sorgen, daß der Wiederaufbau zivil stattfinden kann.
Denn alle befürchten ja - sonst wäre das Ganze auch überflüssig -, daß der Prozeß nicht so ablaufen wird, daß es der militärischen Präsenz nicht bedürfte. Die Militärs sind auch dort, um abzuschrecken, um jedem klarzumachen, daß der Wiederaufbau nicht gestört werden darf.
Ich will dazusagen: Es war interessant, daß Frau Nickels hier in erster Linie gefragt hat, was das alles kostet. Sicher ist das ein Nebenaspekt. Aber wenn es darum geht, Menschenleben zu retten und den Frieden zu sichern, kann man doch nicht als erstes fragen, was das kostet. Sicherlich wird es Geld kosten. Aber ich sage Ihnen: Jede Mark, die für den zivilen Aufbau ausgegeben wird, wäre verschwendet, wenn dann Friedensstörer herkämen und alles wieder einreißen könnten. Deshalb muß der Aufbau mit militärischen Mitteln abgesichert werden.
Ich stelle auch denjenigen eine Frage, die zwar die Landes- und Bündnisverteidigung immer bejaht haben, dann aber gesagt haben: Außerhalb der Landes- und Bündnisverteidigung kommt ein Einsatz nicht in Frage. Was ist denn moralischer, meine Damen und Herren? Anderen zu helfen, andere zu verteidigen, oder sich selbst? Ich drehe hier die Hand nicht um. Ich bin überhaupt der Meinung, daß es an der Zeit ist, damit aufzuhören, daß die einen immer den anderen vorwerfen, sie seien nicht so moralisch wie sie selbst. Wir alle hier tragen eine schwere Verantwortung. Keiner sollte dem anderen vorwerfen, daß seine Entscheidung, wie auch immer sie ausgeht, nicht von einer ernsthaften Gewissensprüfung getragen sei.
Meine Damen und Herren, ich möchte noch etwas zu der Frage der Flüchtlinge sagen. In Deutschland haben die meisten Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien Aufnahme gefunden. Ich möchte noch einmal all denjenigen danken, die bereit waren, diese Flüchtlinge im Geiste guter Nachbarschaft bei uns aufzunehmen. Das ist sicher nicht immer leicht
Ulrich Irmer
gewesen; deshalb verdient dies Dank und Anerkennung.
Von uns ist immer übereinstimmend gesagt worden, daß wir Bürgerkriegsflüchtlinge unter einem anderen Status als dem, den Asylbewerber haben, aufnehmen sollten. Denn in der Tat sind Bürgerkriegsflüchtlinge etwas anderes. Wir haben einen eigenen rechtlichen Status für die Bürgerkriegsflüchtlinge geschaffen, um ihnen zu ersparen, den Weg ins Asyl suchen zu müssen.
Meine Damen und Herren, hier haben wir leider Defizite. Der Status des Bürgerkriegsflüchtlings, .wie er nach der Neuregelung des Asylrechtes vorgesehen war, ist leider bis heute nicht geregelt worden, weil sich Bund und Länder nach wie vor um die Finanzierung streiten. Ich meine, es ist höchste Zeit, daß wir diesen Zustand ändern, weil wir nämlich sonst den neugeschaffenen Status Bürgerkriegsflüchtling seines Sinns entleeren.
Ich fürchte, daß wir auch im übrigen Defizite haben. Für uns - ich stelle das hier für die Freien Demokraten ganz klar fest - kommt es nicht in Frage, daß Flüchtlinge, die bei uns Aufnahme gefunden haben, zurückgeschickt werden, ehe gewährleistet ist, daß sie dort in eine Situation kommen, in der sie am Aufbau mitwirken und wieder ein Zuhause finden können. Wir wollen niemand in Unsicherheit und Unfrieden zurückschieben.
Ich glaube, das kann niemand ernsthaft wollen. Es will mit Sicherheit niemand.
Ich hätte nur die herzliche Bitte an den Innenminister Kanther: Geben Sie sich einen Ruck, Herr Kanther, und reden Sie ausführlich und dringlich mit der Hochkommissarin der Vereinten Nationen für Flüchtlinge, Frau Ogata.
Es lohnt sich, mit ihr zu reden. Wir müssen in enger Abstimmung mit Frau Ogata die Frage, wie wir den Bürgerkriegsflüchtlingen die Chance geben können, unter menschenwürdigen Verhältnissen in ihr Heimatland zurückzugehen, lösen. Wir können dies nur in enger Abstimmung mit dieser Behörde der Vereinten Nationen tun. Wir sollten die Chance ergreifen.
Meine Damen und Herren, eine letzte außenpolitische Bemerkung: Ich unterstreiche das, was der Bundeskanzler gesagt hat. Die Tatsache, daß die Russen jetzt mit NATO-Truppen gemeinsam im ehemaligen Jugoslawien eine Friedensmission erfüllen, hat eine außenpolitische Bedeutung, die gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Es gibt in Rußland nach wie vor das Feindbild NATO. Hier wird jetzt praktiziert: Die NATO hat keine aggressiven Absichten, gegen niemanden, gegen Rußland schon gar nicht. Wenn jetzt Russen und NATO-Soldaten gemeinsam für den Frieden in Jugoslawien einstehen, gemeinsames Risiko tragen, gemeinsam operieren, dann ist dies, glaube ich, eine sehr hoffnungsvolle Entwicklung für die weitere Zukunft und für die Erhaltung des Friedens in Europa.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Gregor Gysi.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob es nur Zufall ist oder nicht doch eine gewisse Symbolik hat, daß der Deutsche Bundestag die ersten deutschen Truppen im Rahmen des UN-Einsatzes ins ehemalige Jugoslawien schickte, danach in den Sommerurlaub ging und die Soldaten jetzt zum Kampfeinsatz nach Bosnien schickt und danach in die Weihnachtspause geht. Was ich damit ansprechen will und was ein ungutes Gefühl bei mir auslöst, sind die Selbstverständlichkeit, mit der dies alles geschieht, und das Tempo der Schritte, das enorm zugenommen hat.
Seit 1990 habe ich von der Regierungsseite vermeintlich friedenspolitische Reden nur noch in Form von militärpolitischen Reden gehört. Ich meine, das ist ein bißchen zuwenig. Wer wirklich Frieden will, muß in erster Linie nach ganz anderen Mitteln und Methoden suchen als nach militärischen. Ich habe den Eindruck: Es wird alles auf das Militärische reduziert.
Welche Versprechungen hat es früher gegeben? Die Deutschen in West und Ost haben die Systemkonfrontation sehr unmittelbar erlebt. Beiden Seiten wurde immer erklärt, die Hochrüstung sei erforderlich, weil die jeweils anderen wieder eine neue Waffe entwickelt oder aufgebaut hätten und das Gleichgewicht des Schreckens aufrechterhalten werden müsse. Es hieß, nur so könne Krieg verhindert werden.
Mit dieser Argumentation waren doch eigentlich immer das Versprechen und die Hoffnung verbunden, daß, wenn die Systemkonfrontation wegfällt, der Tag gekommen ist, an dem militärische Bündnisse aufgelöst werden und abgerüstet wird. Den Warschauer Vertrag gibt es nicht mehr. Die Sowjetunion ist zusammengebrochen. Die DDR existiert nicht mehr. Im Westen wird aber gerüstet, als ob sich nichts verändert hätte.
Niemand hat über die Auflösung der NATO nachgedacht.
Die OSZE ist stark geschwächt worden. Dabei wäre genau das die gesamteuropäische Konferenz gewesen, die die Chance gehabt hätte, konfliktvorbeugend und konfliktbeseitigend zu wirken.
Dr. Gregor Gysi
Sie spielt heute aber kaum noch eine Rolle. Schauen Sie sich den Bundeshaushalt an, schauen Sie sich an, was für die OSZE zur Verfügung gestellt wird. Das sind Peanuts im Vergleich zu allen militärischen Ausgaben.
Wir haben einen Prozeß erlebt, in dem wir scheibchenweise an den internationalen Einsatz der Bundeswehr und auch an die Militarisierung der Außenpolitik gewöhnt wurden. Wir sollten uns daran gewöhnen - aber nicht alle machen das -, daß die Großmachtrolle Deutschlands auch durch Militäreinsätze unterstrichen werden muß.
Ich darf Sie daran erinnern, daß sich das Grundgesetz der Bundesrepublik diesbezüglich nicht verändert hat. Aber wie hat sich die Politik verändert? Am 24. Januar 1991 hat der damalige Verteidigungsminister Stoltenberg erklärt:
Wir haben den befreundeten Regierungen verdeutlicht, daß unsere Verfassungslage es nicht ermöglicht, deutsche Truppen an den Golf zu schicken.
Die Verfassung hat sich nicht geändert; die Politik sehr wohl.
Herr Dr. Gysi, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Duve?
Ja.
Herr Kollege Gysi, ist Ihnen, da Sie das Abkommen von Dayton und die sich daraus für uns ergebenden Konsequenzen nur hinsichtlich der militärischen Seite dargestellt haben, entgangen, daß in dem Abkommen der von Ihnen eben so geschmähten OSZE auf die zivile Seite eine ganz besondere, sehr schwierige, erstmalig auch ganz wichtige Aufgabe zukommt
und daß es absurd ist, hier einfach zu sagen, es handele sich um eine Militarisierung der Sache? Das Gegenteil ist der Fall: Die OSZE hat dabei mit wahrscheinlich 200 bis 300 Mitarbeitern eine ganz wichtige Rolle bei ausschließlich zivilen Aufgaben zu übernehmen. Wenn das nicht gesehen wird, tragen Sie selber dazu bei, daß ausschließlich das Militärische im Blickfeld steht.
Herr Kollege Duve, ich sehe das wohl. Ich sehe auch, daß Tagungen der OSZE stattfinden. Sie selbst sprechen von 200 bis 300 Leuten. Schauen Sie sich einmal an, was dort an Militäreinsatz geplant ist.
Ich habe lediglich darauf hingewiesen, daß es nach dem Zusammenbruch des Ostblocks die Möglichkeit gegeben hätte, den OSZE-Prozeß in jeder Hinsicht auszubauen. Statt dessen ist die NATO wesentlich wichtiger geworden als diese Konferenz. Das sieht man auch an der Verteilung der Haushaltsmittel und daran, daß die Aufgaben der OSZE sehr klein sind. Wenn sie sich vergrößern sollten, ist das um so besser. Das war seit 1990 unsere Forderung.
Die Verfassung hat sich nicht geändert, und dennoch stand plötzlich fest, daß mit derselben Verfassung das geht, was die Bundesregierung und auch der Bundeskanzler gerade zuvor noch ausgeschlossen hatten. So etwas zerstört die Rechtskultur, weil Sie damit der eigenen Bevölkerung sagen: Wir können die Verfassung jederzeit so interpretieren, wie es der politischen Zweckmäßigkeit entspricht. Das zerstört Rechtskultur, weil die Verfassung nicht mehr einschränkt und bindet.
Welche Aussagen gab es zum militärischen Einsatz im ehemaligen Jugoslawien? Sie haben heute immer nur davon gesprochen, daß die Sozialdemokratie ihre Auffassung verändert hat. Was ist mit Ihren eigenen Auffassungen?
Herr Außenminister Kinkel, Sie haben am 30. November 1994 in der „FAZ" gesagt:
Auch jetzt können wir es aus politischen und aus historischen Gründen wohl nicht, ich hätte große Sorge, wenn ausgerechnet im früheren Jugoslawien der erste deutsche Auslandseinsatz außerhalb des Bündnisgebietes stattfinden würde.
Welche Sorge hatten Sie? Wodurch sind diese Sorgen beseitigt worden?
Verteidigungsminister Rühe hat in seiner Bundestagsrede am 22. Juli 1992 gesagt: „Eine militärische Option in Jugoslawien kommt für mich nicht in Frage. " Jetzt ist sie Realität geworden.
Bundeskanzler Kohl hat am 27. November 1991 im Bundestag erklärt:
... die Geschichte hat uns einmal mehr eingeholt. Deswegen ist es doch ganz klar - darüber braucht man wirklich nicht zu sprechen; ich habe es immer wieder gesagt, auch die Bundesregierung hat es gesagt -, daß es in Europa - wie man auch über einen Truppeneinsatz in Jugoslawien entscheiden mag - einige Gebiete gibt - dazu gehört mit Sicherheit auch Jugoslawien -, bei denen man sich nicht vorstellen kann, daß dort deutsche Soldaten eingesetzt werden.
... das ist ein Akt politischer Vernunft.
Wann ist hier erklärt worden, warum diese politische Vernunft beendet wird? Was hat sich an der Situation geändert?
Er hat das am 17. Februar 1994 noch einmal im ZDF wiederholt.
Im Rahmen der Diskussion, in der das Militärische im Vordergrund steht, stört mich der Mißbrauch des Begriffs des Völkermords. Das will ich auch Herrn Fischer sagen. Für Völkermord gibt es eine UN-Defi-
Dr. Gregor Gysi
nition. Ich weiß, daß schreckliche Verbrechen im ehemaligen Jugoslawien geschehen sind. Dennoch möchte ich uns davor warnen, militärische Aktionen mit einer Gleichsetzung dessen, was im ehemaligen Jugoslawien zwischen 1939 und 1945 geschehen ist, zu rechtfertigen. Ich will heute nichts verharmlosen, das ist nicht wahr.
Sie können das jedoch nicht damit vergleichen, daß damals das Ziel gesetzt worden ist, ganze Völker wirklich vollständig auszurotten, und daß man im Zweiten Weltkrieg diesem Ziel sehr nahegekommen ist.
Ich will auf etwas anderes hinaus:
Was mich daran ärgert, ist, wie man diesen Begriff benutzt. Wenn man ihn so benutzt, wie Sie es tun, dann gab es einen schlimmen Völkermord in Kambodscha, bei dem das Pol-Pot-Regime davongejagt wurde. Diese Bundesregierung hat danach die PolPot-Regierung, diese Scheinregierung, bei der UNO unterstützt.
In Ruanda wurden 500 000 Menschen ermordet, ohne daß jemand eingriff. Täglich sterben in Afghanistan mehr Menschen als im ehemaligen Jugoslawien.
- Nein, ich will Ihnen etwas ganz anderes sagen, Herr Duve.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Weisskirchen?
Ja.
Kollege Gysi, seien Sie so freundlich und erklären mir den Unterschied zwischen dem Begriff Völkermord und dem Begriff der ethnischen Säuberung. Wären Sie so freundlich, mir zu sagen, ob ethnische Säuberungen etwas sind, das Sie unter militärischer Aktion verstehen könnten?
Es fällt mir ungeheuer schwer, zwischen Verbrechen zu relativieren, aber die ethnische Säuberung enthält die Vertreibung als ein Hauptmittel, um ethnische Trennungen vorzunehmen, was ich bereits für katastrophal genug halte. Aber der Begriff Völkermord ist damals als Ziel, ein ganzes Volk vollständig auszurotten, definiert worden.
Ich will auf etwas anderes hinaus: Wenn Sie es so definieren, dann finde ich die Ungleichbehandlung auf dieser Welt unerträglich. Glauben Sie denn im Ernst, es ist ein Zufall, daß der Krieg in Afghanistan zum Beispiel in unseren Medien so gut wie überhaupt nicht stattfindet, daß es keine Bilder von Toten,
Verstümmelten, Verletzten und Vertriebenen gibt? Wenn man nämlich den ganzen Militäreinsatz nur moralisch rechtfertigt - wie das hier ständig geschieht -, dann stellte sich doch sofort die Frage, warum es dort keinen militärischen Einsatz gibt. Diese könnte man letztlich nur dadurch beantworten, daß man sagt: Dort haben wir keine Interessen, hier aber haben wir Interessen; deshalb gehen wir hierhin und nicht dorthin. Dann wäre eine der Wahrheiten verkündet.
Auch Sie, Herr Fischer, haben sich mit den anderen Kriegen in dieser Welt recht wenig beschäftigt, weil nämlich in der Konsequenz Ihrer Logik stünde, daß man dann auch dort militärisch eingreifen müßte. Aber solche Anträge kenne ich nicht.
- Zum Beispiel diese Bundesrepublik Deutschland.
- Zum Beispiel die UNO.
Das ist auch interessant: Wenn nun schon ein Friedensvertrag geschlossen wird und wenn es um die Einhaltung eines Friedensvertrages geht, warum ist dann plötzlich nicht mehr von Blauhelmen der UNO die Rede? Weshalb müssen das jetzt Kampfeinsätze der NATO sein, mit betont grünen Helmen? In der Diskussion ist Schluß mit Blauhelmen.
Sie wissen auch: Der Krieg im ehemaligen Jugoslawien wäre vermeidbar gewesen. Sie wissen auch, daß die Westmächte sehr unterschiedliche Interessen hatten, daß sie zum Teil durchaus Verantwortung für die militärischen Auseinandersetzungen im ehemaligen Jugoslawien auf sich geladen haben.
Deutschland hat seinen Anteil mit der frühen Anerkennung Kroatiens und Sloweniens und mit der sehr einseitigen Beziehung zu Kroatien. Frankreich hat seinen Anteil, andere Länder auch.
Nun passiert folgendes: Es wird in gewisser Hinsicht ein Konflikt zugelassen; er wird auch genutzt. Es wird auch eine Interessenpolitik gemacht.
Am Schluß, wenn es scheinbar nur noch eine militärische Lösung gibt, dann soll man auf diese Schiene gesetzt werden, die die anderen mit verursacht haben. Das kommt mir vor wie die Standortdebatte.
Dr. Gregor Gysi
Ich bin nicht bereit, mich auf diese Logik der Bundesregierung einzulassen, weil ich dann sozusagen alles mitmachen muß, nachdem sie selber einen beachtlichen Anteil an Verantwortung und Schuld dafür trägt - wie übrigens andere Westmächte auch.
Wer schon politisch nicht in der Lage war, zur Konfliktbewältigung beizutragen, bei dem glaube ich auch nicht, daß er militärisch dazu in der Lage sein wird.
Dann frage ich mich bei den Grünen und auch bei Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten: Woher nehmen Sie eigentlich Ihr uneingeschränktes Vertrauen in die politische und militärische Führung, wenn es schon vor dem Einsatz einen Widerspruch zwischen dem Verteidigungsminister Rühe und dem Generalinspekteur über den Auftrag gibt? Woher nehmen Sie eigentlich Ihr grenzenloses Vertrauen?
Ich frage Sie: Ist es denn nicht wahr, daß der Generalinspekteur in seinem Aufsatz Nummer 1/1995 darauf ausdrücklich hingewiesen hat, daß für ihn der Einsatz militärischer Mittel keineswegs das letzte Mittel ist, daß er das Militär in ökonomische und politische Zielstellungen einordnet?
Ist es denn nicht wahr, daß uns der Bundesverteidigungsminister bis heute nicht erklärt hat, was es bedeutet, wenn in den Verteidigungspolitischen Richtlinien vom 26. November 1992 darauf hingewiesen wird, daß „vitale Sicherheitsinteressen" - ich betone: vitale Sicherheitsinteressen! - der deutschen Politik unter anderem - Nummer 8 - in der
Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt im Rahmen einer gerechten Weltwirtschaftsordnung
liegen? Wer übersetzt mir das einmal? Was muß in welchem Land passieren, damit diese vitalen Wirtschaftsinteressen der Bundesrepublik so beeinträchtigt sind, daß man einmarschiert?
- Das hat insofern etwas damit zu tun, weil Sie jetzt eine Tür aufmachen, die Sie nie wieder zubekommen, wenn dieser Fall eintritt und deshalb militärisch an- und eingegriffen wird.
Woher kommt Ihr Vertrauen bei einer Bundeswehr, die erst vor wenigen Tagen die Kübler-Kaserne und die Dietl-Kaserne umbenannt hat - ausgesprochen nazistische Gewährsleute, die mit traditionsbildend waren? Wir haben eine Rommel-Kaserne, wir haben ein Institut des Sanitätsdienstes der Bundeswehr, genannt nach Ernst Rodenwaldt, einem der schlimmsten Rassenhygieniker, der die Nürnberger Gesetze und anderes mehr gerechtfertigt hat.
Ich spreche hier nicht von den einfachen Soldaten; das ist nicht mein Problem. Aber solange das so ist, fehlt mir im Unterschied zu Ihnen das Vertrauen in die politische und militärische Führung dieser Bundeswehr, und so lange kann ich Ihrem Einsatz nicht zustimmen.
Allerdings ginge das auch aus anderen Gründen nicht. Ich glaube nämlich, daß wir aus der 2000jährigen Geschichte der Militärspirale endlich heraus müssen. Wir müssen davon wegkommen, daß man militärische Aggression nur mit der Androhung militärischer Gewalt oder mit einem Einsatz bekämpfen kann. Wann, frage ich Sie, haben wir den Frieden wirklich attraktiv gemacht? Wo war das große Angebot dieser Bundesrepublik Deutschland, mit zivilen und humanitären Hilfen und mit Aufbauzusicherungen den Völkern den Frieden schmackhaft zu machen, anstatt immer nur in militärischen Kategorien zu denken und zu handeln?
Herr Schäuble, Sie regen sich darüber auf, daß es junge Leute gibt, die eine Gegenkundgebung zum Großen Zapfenstreich veranstalten. Seien Sie doch froh darüber, daß wir viele Jugendliche haben, die nicht so einfach fürs Militärische zu begeistern sind, sondern eher für das Gegenteil davon!
Ich erteile jetzt dem Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Klaus Kinkel, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Gysi, das, was Sie gesagt haben, ist einfach unlogisch. Über drei Jahre lang haben insgesamt über 30 000 UNO-Soldaten aus über 30 Ländern versucht, das zu erreichen, was Sie - und auch wir - gern erreicht gesehen hätten. Es war offensichtlich und offenkundig, daß es nicht möglich war. Deshalb sind wir auch nicht früher zu einem Abkommen wie jetzt in Dayton gekommen.
Wir sollten froh sein, daß wir das erreicht haben. Aber das Abkommen erfordert nun einmal eine militärische und auch eine zivile Umsetzung. Ich kann Sie alle beruhigen: Es ist nicht so, daß die militärische Umsetzung des Abkommens im Vordergrund steht, sondern natürlich die zivile Umsetzung. Das geht doch schon daraus hervor, daß wir deutlich und klar sagen: ein Jahr. Wir wollen gemeinsam rein - das wurde gestern bei der NATO-Tagung deutlich -, wir wollen aber auch gemeinsam raus. Aber was in der Region zivil an Wiederaufbau geleistet werden muß, wird Jahre dauern. Insofern ist die Behauptung, das Militärische stünde im Vordergrund, absurd.
Es ist nun einmal so, daß die NATO das Umfeld für die Rückkehr der Flüchtlinge, für die Gewährleistung der Menschen- und Minderheitenrechte und für die Durchführung der demokratischen Wahlen
Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
schaffen muß. Vor allem muß sie auch die Voraussetzungen dafür leisten, daß die Menschen lernen, sich wieder gegenseitig zu verstehen, und miteinander umgehen können, daß also Kroaten, Serben und Bosniaken miteinander auskommen. Auch das wird Zeit brauchen, und zwar weit mehr als ein Jahr - leider!
Heute steht die militärische Implementierung im Mittelpunkt der Debatte. Gestern haben 32 Außen- und Verteidigungsminister der NATO die größte internationale Friedensoperation seit ihrem Bestehen beschlossen. Da herrschte alles andere als „HurraStimmung", da ist sehr bedächtig und sehr verantwortungsvoll diskutiert worden. Es ist schließlich nicht so, daß die NATO diesen Friedensauftrag allein absichert. Vielmehr werden 1 500 - vielleicht sogar die doppelte Zahl - Russen dabei sein; die Finnen haben angeboten, dabei zu sein, ebenso die Ukrainer, die Pakistanis und auch Bangladesch sowie Ägypten. Eine große Zahl von Ländern wird sich, wenn sie gebraucht werden - es sieht so aus, daß das so sein wird -, der NATO zugesellen.
Innerhalb des Bündnisses ist gestern eine ruhige Einigkeit für die Friedensaufgabe in Bosnien bemerkbar gewesen. Dabei möchte ich noch einmal darauf hinweisen, daß unser Beitrag ganz offensichtlich hoch geachtet wird. Das Bündnis ist entschlossen, seinen Beitrag für den Frieden in der Region zu leisten, für einen Frieden, der, wie Sie alle wissen - und wie auch ich es nach den langen Verhandlungen weiß -, fragil ist und leider Gottes noch weiter fragil bleiben wird.
Wir müssen immer wieder sagen, daß dieser Einsatz moralisch gerechtfertigt ist, was ja in der letzten Debatte eine große Rolle gespielt hat. Er soll nämlich dazu beitragen, nicht Krieg zu führen, sondern den Frieden in einer geschundenen Region zu sichern und Menschen in tiefer Not zu helfen. Das ist das Ziel des Einsatzes.
Weil dies immer wieder gefragt wird: Es sind viele Organisationen gefordert. Die Europäische Union und die Weltbank werden sich auf die Wiederaufbauhilfe konzentrieren. UNO und UNHCR werden sich auf die Flüchtlinge konzentrieren, was für uns besonders wichtig ist. Wir sind an einer schnellen Rückführung interessiert. Die OSZE wird eine ganz entscheidende und zunehmend wichtige Rolle spielen. Die Schweizer, die in der nächsten Zeit in der Headlinerschaft sein werden, sind ungeheuer engagiert, haben sich viel vorgenommen und werden sich bei der Vorbereitung und Durchführung demokratischer Wahlen und beim Minderheitenschutz hineinknien.
Für uns - das wurde heute schon mehrfach erwähnt - ist Rüstungskontrolle ganz besonders wichtig. Ich habe für Montag, den 18. Dezember
1995, auf den Petersberg zur Rüstungskontrollkonferenz eingeladen.
Deshalb kann es nicht so sein - wie immer wieder behauptet wird -, daß die zivilen Anstrengungen für den Wiederaufbau im Schatten der militärischen stehen. Beide Bereiche sind gleichgewichtig. Aber natürlich ist es notwendig - ich sage es noch einmal -, zunächst militärisch zu ermöglichen, daß der zivile Wiederaufbau überhaupt beginnen kann.
Ich will noch auf ein paar Ergebnisse eingehen, die bisher in der Diskussion ein bißchen in den Hintergrund getreten sind. Die heutige Abstimmung gilt auch der Erhaltung der deutschen Bündnisfähigkeit und der Glaubwürdigkeit der deutschen Politik. Ich will noch einmal erläutern, warum. Bei Fragen der Friedenssicherung und dem Einsatz deutscher Soldaten hatten wir Deutsche in den vergangenen Jahren sowohl im politischen wie im militärischen Bereich sehr oft einen sehr schwierigen Stand. Das gilt für die NATO. Das gilt für die WEU. Das gilt für die EU, soweit es um die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik ging. Wir hatten einen sehr schwierigen Stand, weil viele unserer Partner und Freunde unsere verfassungsrechtlichen Beschränkungen und auch die notwendige Rücksichtnahme auf historische Gegebenheiten nicht verstanden haben.
Das galt im übrigen auch und gerade für unsere Soldaten innerhalb der NATO und innerhalb der WEU. Am Montag bei der Tagung des Europäischen Rates und gestern bei der gemeinsamen Tagung der Außen- und Verteidigungsminister der NATO, an der Volker Rühe und ich teilgenommen haben, ist deutlich geworden: Wir finden ein inzwischen grundlegend verändertes Klima für Deutschland vor, weil wir mit diesem Beitrag zur internationalen Friedenstruppe einen Grad der Normalität im internationalen Umgang in der Außen- und Sicherheitspolitik erreicht haben, der unserem Land und seinem Ansehen zugute kommt.
Ich erwähne noch einen Aspekt, der ein bißchen zu kurz gekommen ist. Die Friedensanstrengungen der internationalen Gemeinschaft, die leider auch in meinen Augen zu lange erfolglos waren, aber nun zu Dayton führten, haben einige bemerkenswerte Wirkungen und Perspektiven gebracht, die über den Bosnien-Konflikt als regionales und europäisches Problem hinausgehen. Es sind vor allem drei Aspekte, auf die ich kurz eingehen will.
Erstens. Aus der Chance der Friedenssicherung in Bosnien erwachsen zugleich neue Möglichkeiten der Stärkung im transatlantischen Verhältnis.
Zweitens. Die Neubestimmung des Verhältnisses zwischen Frankreich und der NATO, die gestern über die Bühne gegangen ist, ist eine ganz berner-
Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
kenswerte Entscheidung, die wir begrüßen sollten und die gestern große Anerkennung gefunden hat.
Drittens. Dieser Punkt ist schon erwähnt worden: die Beziehungen zwischen der NATO und Rußland.
Erstens. Zum transatlantischen Verhältnis: Mit der amerikanischen Bereitschaft, sich mit 20 000 Soldaten - das fällt den Amerikanern nicht so ganz leicht - unmittelbar in Bosnien zu engagieren, gewinnt der Begriff der Bündnisfähigkeit und Solidarität neue und aktuelle Bedeutung im transatlantischen Verhältnis. Mit der jetzt anlaufenden größten NATO-Operation überhaupt zeigt das Bündnis, daß es auf beiden Seiten des Atlantik nach wie vor fest verwurzelt und vor allem handlungsfähig ist. Es hat eine so große Aktion der NATO in der Vergangenheit noch nie gegeben.
Ich füge hinzu - das habe ich auch gestern gesagt -: Das Bündnis braucht die amerikanische Führung und die amerikanische Präsenz in Europa, aber es braucht auch die Mitwirkung Europas. Diese zeigen wir: Allein Frankreich, Großbritannien und Deutschland stellen zusammen 27 000 von 60 000 Soldaten.
Zweitens. Das Verhältnis zu Frankreich: Die gestern in der NATO erfolgte französische Ankündigung, künftig auch in den militärischen Gremien - bei den Verteidigungsministern und im Militärausschuß - nach fast 30 Jahren wieder uneingeschränkt mitzuwirken, ist ein bedeutsamer, ich würde sogar sagen, ein historischer Schritt.
Das ist gestern auch mit großem Beifall von 32 Außen- und Verteidigungsministern der NATO anerkannt worden.
Die Bundesregierung hat in ihrer Außen- und Sicherheitspolitik diese Wiederannäherung seit vielen Jahren gefordert und auch gefördert. Mit diesem Schritt stärkt Frankreich die Handlungsfähigkeit des gesamten Bündnisses und eröffnet zugleich, was ganz wichtig ist, neue Chancen für die Definition der europäischen sicherheits- und verteidigungspolitischen Identität. Wir sollten von diesem ganz wichtigen französischen Schritt erhoffen, daß weitere substantielle Schritte folgen, die dieser historischen Dimension würdig sind.
Schließlich drittens - das ist schon betont worden, kann aber nicht stark genug hervorgehoben werden -: Was bringt es an Änderungen im Verhältnis zu Rußland? Rußland hat massive Einwendungen gegen die Erweiterung der NATO. Diese Einwendungen müssen wir beim Bau der neuen Sicherheitsarchitektur in Europa ernst nehmen, einer Sicherheitsarchitektur, die wir nicht unter Ausschluß Rußlands, sondern unter Einbeziehung Rußlands schaffen wollen.
Wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß es in Rußland auch große Sorge, und zwar nicht nur in der Bevölkerung, im Hinblick auf die NATO-Erweiterung gibt. Wenn jetzt erstmals NATO-Truppen zusammen mit russischen Soldaten bei diesem Bosnien-Einsatz tätig sein werden, dann baut dies auf der einen Seite in Rußland diese Sorge mit Sicherheit ab und macht der Bevölkerung klar, daß so etwas heute normal und üblich ist und auch Zukunft haben wird. Auf der anderen Seite ist dies natürlich auch ein Schritt, der es der russischen Regierung vielleicht erleichtert, ein paar Hindernisse, die sie sieht, umgehen zu können.
Wir sollten die Sorge, die Rußland hat, nicht leicht nehmen. Das alles hat jetzt wiederum nichts mit einem Veto zu tun, sondern es hat damit zu tun, daß wir Rußland das Gefühl nehmen sollten, durch die NATO-Erweiterung isoliert zu werden. Wir können jetzt über „Partnerschaft für den Frieden" und einen Sonderdialog, den wir Rußland angeboten haben, eine Brücke zu einem Sonderverhältnis bauen, das hoffentlich in eine Sondercharta zwischen der NATO und Rußland einmündet, so daß die Sorgen abgebaut werden können.
Meine Damen und Herren, wir stimmen heute über die deutsche Mithilfe zur Schaffung eines dauerhaften Friedens im ehemaligen Jugoslawien ab. Ich glaube, das Signal an Europa und die Welt, das heute von der Entscheidung des Deutschen Bundestages ausgeht, muß sein: Deutschland praktiziert Verantwortung und Mitverantwortung.
Vielleicht sollte man doch einmal sagen dürfen, daß dieses Jahrhundert mit einem Krieg begonnen hat, der von Sarajevo ausging, und daß es nicht mit einem Krieg in Sarajevo enden darf.
Herr Verheugen, Sie haben bei der letzten Debatte gesagt, es reiche nicht aus, Frieden zu fordern, man müsse alles tun, damit er möglich werde. Wir sollten uns alle heute dieser Forderung anschließen. Daß sich heute ganz offensichtlich im Deutschen Bundestag bei dieser historischen Entscheidung - es ist eine historische Entscheidung - eine große Mehrheit abzeichnet, freut mich als Außenminister nach dreieinhalb Jahren schwieriger Verhandlungen wegen der schrecklichen Ereignisse im früheren Jugoslawien ganz besonders; das werden Sie verstehen.
Ich erteile der Abgeordneten Brigitte Schulte das Wort.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir alle wissen, daß der Friedensvertrag von Dayton, der am 14. Dezember 1995 in Paris feierlich unterzeichnet werden soll, den jahrelangen Bürgerkrieg im frühe-
Brigitte Schulte
ren Jugoslawien beenden und eine neue Stabilität auf dem Balkan schaffen kann. Dabei wird es ganz entscheidend davon abhängen, ob die betroffenen Bürgerkriegsparteien, die Staaten Europas und die USA, aber auch die übrigen Staaten der NATO aus der Katastrophe Lehren ziehen.
Besonders wir Deutsche dürfen an solch einem Tag nicht vergessen, daß wir im April 1941 Jugoslawien den Krieg erklärt und es in elf Tagen zur Kapitulation gezwungen haben. Es begann am 6. April 1941 mit der Bombardierung Belgrads und endete am 17. April 1941 mit der Einschließung der jugoslawischen Armee in Bosnien. Dabei war uns dieser Staat eigentlich freundschaftlich gesonnen, arbeitete mit uns wirtschaftlich zusammen und wollte sich eigentlich, wie Griechenland, aus dem Zweiten Weltkrieg heraushalten.
Nach der Kapitulation teilte das siegreiche Hitler-Deutschland Jugoslawien an seine Nachbarn auf. Italien annektierte das südliche Slowenien und errichtete Montenegro als italienisches Protektorat. Das jugoslawische Mazedonien wurde von Bulgaren und Albanern, die unter dem Einfluß der Italiener standen, aufgeteilt. Ungarn erhielt Gebiete zwischen Drau und Mur, das Baranja-Dreieck sowie die Batschka - Namen, die uns heute manchmal gar nichts mehr sagen.
Deutschland kassierte, da es um Österreich schon größer geworden war, Nordslowenien, machte Kroatien zu einem selbständigen diktatorischen Staat und stellte das allseitig beschnittene Serbien unter deutsche Militärverwaltung.
Die Widerstandsbewegungen wurden von Anfang an von Briten und Sowjets unterstützt. Den Jugoslawen selbst aber gelang es erst im Herbst 1944, sich von der deutschen Besatzung zu befreien. Wie so oft in Mittel-, Süd- und Osteuropa mündete die Befreiung leider zunächst im Kommunismus.
Der spätere Staatspräsident und Marschall Tito löste sich allerdings schon im Juli 1948 von der Bevormundung Moskaus und baute wirtschaftliche und diplomatische Beziehungen zum Westen auf, auch zur Bundesrepublik Deutschland, bis diese am 18. Oktober 1957 abrupt abgebrochen wurden, weil die Republik Jugoslawien die damalige DDR anerkannt hatte und wir deutsche Politik noch unter der Hallstein-Doktrin betrieben.
Es war Willy Brandt als Außenminister der Großen Koalition, der zu Beginn des Jahres 1968 die diplomatischen Beziehungen wieder aufnahm. Deutschland wuchs zum wichtigsten Handelspartner Jugoslawiens heran. Millionen Deutsche entdeckten, wie der Bundeskanzler heute morgen schon zu Recht gesagt hat, Jugoslawien als ihr Urlaubsland. Hunderttausende von Jugoslawen fanden mit ihrer Familie in der Bundesrepublik das Land, in dem sie einen Arbeitsplatz erhielten, ohne die familiären Bindungen an die Heimat zu verlieren.
Vielleicht hätten wir, wenn wir Ende der 80er Jahre von den Vorgängen in der Sowjetunion unter Gorbatschow und in den Mitgliedstaaten des Warschauer Pakts nicht so fasziniert gewesen wären, wahrgenommen, welche Probleme sich nach dem Tode Titos auf dem Balkan, in Jugoslawien entwikkelten.
Ich erinnere mich noch sehr genau, daß ich, als wir im Herbst 1987 in Oslo im Ausschuß für zivile Angelegenheiten der Nordatlantischen Versammlung über Minderheitenprobleme in Europa redeten, einen Kollegen über die wachsenden Spannungen in Jugoslawien sprechen hörte - im Herbst 1987! Aber interessierten wir uns wirklich dafür?
1991 hat uns die Entwicklung in Jugoslawien eingeholt. Vier Jahre haben Europa, die UNO und schließlich auch die USA und die NATO nicht genügend gehandelt. Die Glaubwürdigkeit der internationalen Organisationen hatte am Ende Schaden genommen. 5 Millionen Flüchtlinge, Herr Bundeskanzler, klagen uns an, denn im ehemaligen Jugoslawien hat es in den letzten Jahren 5 Millionen Flüchtlinge innerhalb des Landes und außerhalb in den neuen Gaststaaten gegeben. Diese leben heute noch oft unter erbärmlichen Umständen. Welches Leid sie durchgemacht haben, müßten wir Deutsche doch am besten verstehen, denn Vertreibung und Flucht haben viele Millionen von uns selbst am eigenen Leib erfahren.
Ich konnte nicht ganz verstehen, warum Sie ausgerechnet in dieser Situation, ausgerechnet zu Beginn des Winters öffentlich darüber debattieren mußten, daß die Flüchtlinge in Deutschland so schnell wie möglich nach Jugoslawien zurückkehren müssen.
Natürlich sollen die Menschen zurückkehren, aber zunächst einmal müssen doch auch die, die jetzt im Lande noch als Flüchtlinge kein Dach über dem Kopf haben, eine Chance finden, bevor wir einen solchen Antrag, wie Sie ihn uns heute als Entschließungsantrag vorgelegt haben, überhaupt ernst nehmen können.
Es waren - da sehe ich ein wenig zur linken Seite - die oft geschmähten Amerikaner, die nach drei Jahren stümperhaften Handelns der Europäer - ich wiederhole: stümperhaften Handelns der Europäer! - versuchten, diesen Bürgerkrieg zu beenden, bevor er gänzlich in einen Religionskrieg ausartete, was sie als multikulturelles Land mit vielen Religionsgemeinschaften im eigenen Land nicht wollten.
Erst versuchten auch sie es mit dem ehemaligen Präsidenten Carter im Guten, dann mit militärischer Gewalt und schließlich mit massivem politischen Druck. Leider haben erst letztere Maßnahmen die Bürgerkriegsparteien zum Einlenken bewogen und zum Abkommen von Dayton geführt.
Doch damit ist der Friede - das ist heute morgen mehrfach gesagt worden - noch nicht gesichert. Es bedarf einer multilateralen Friedenstruppe, um ihn vor allen Dingen in dem multiethnischen Staat Bosnien-Herzegowina abzusichern. Diesmal werden die
Brigitte Schulte
USA das Kommando von vornherein selbst übernehmen und erwarten von ihren Partnern im Bündnis, aber auch von den befreundeten Ländern außerhalb des Bündnisses Unterstützung, also auch von uns Deutschen.
Die deutsche Einheit, die Auflösung der Nationalen Volksarmee und die Reduzierung der Bundeswehr erlauben es, daß wir als Deutsche zunächst ein kleineres Kontingent zur Verfügung stellen, als es von der Größe, der Einwohnerzahl und der wirtschaftlichen Kraft der Bundesrepublik her angemessen wäre. Ich mahne Sie, auch ein bißchen daran zu denken, daß ein Land wie die Niederlande, die gerade in den letzten Wochen so sehr gescholten worden sind, immerhin 2 000 Soldaten zur Verfügung gestellt hat und daß Großbritannien sogar 14 000 Soldaten als Kontingent stellt. Wir sollten uns das vor Augen führen.
Doch wir haben noch das Verständnis unserer Partner angesichts der besonderen Situation, die wir nun einmal im früheren Jugoslawien hatten, und angesichts der Situation, daß die Umstrukturierung der Bundeswehr bis zum heutigen Tag nicht erfolgreich gelungen ist. Aber gerade deshalb sind wir umgekehrt auch gefordert, für diesen Frieden mehr zu tun.
Übrigens wissen viele von uns, daß das Verhältnis zwischen Serben und Deutschen keineswegs vom Haß dominiert wird.
Die Menschen können genau zwischen dem Handeln der Politiker und ihren persönlichen Erfahrungen unterscheiden.
Der Generalinspekteur hat deshalb recht, wenn er sagt, das könnte ein gefährlicher Krieg werden. Aber er hat überhaupt nicht recht, wenn er öffentlich sagt, die Bundeswehr würde hier einen Kampfauftrag haben.
Ich darf als Verteidigungspolitikerin nicht aus den Rules of engagement zitieren, weil sie klassifiziert sind, aber Ihnen, Herr Naumann, hätte ich abverlangt, daß Sie den Inhalt dieser Regeln bei Ihren öffentlichen Äußerungen und auch vor der Führungsakademie berücksichtigt hätten. Darin steht, daß Selbstverteidigung und nicht aktiver Kriegseinsatz vorgesehen ist.
Der Verteidigungsminister hat also ausdrücklich unsere Unterstützung, wenn er den Generalinspekteur kritisiert. Herr Schäuble, Sie haben unrecht, weil Sie offensichtlich die Papiere auch nicht gelesen haben.
Gerade - das habe ich Ihnen am Anfang sagen wollen - angesichts der geschichtlichen Ereignisse müssen doch deutsche Offiziere ganz besonders behutsam den Gedanken des Friedens herausstellen und dürfen nicht den Eindruck erwecken, daß sie möglicherweise zu denen gehören, die von vornherein eine Eskalation erwarten. Das verträgt sich übrigens,
Herr Naumann, auch nicht mit der Darstellung, die Sie am letzten Freitag im Parlament gegeben haben. Ich fand Ihre Beschreibung der Lage in Bosnien damals etwas zu optimistisch, und ich war deswegen um so überraschter, daß wir am Montag und Dienstag Ihre Ausführungen in der Öffentlichkeit hörten.
Und doch, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir uns als Parlamentarier heute Fragen von den Soldaten und ihren Familien gefallen lassen. Sie lauten: Habt ihr euch genau überlegt, was ihr von uns verlangt? Was glaubt ihr, was wir empfinden, wenn sich Millionen Bundesbürger auf ein gemütliches Weihnachtsfest freuen, wir aber mit Sorgen in das neue Jahr gehen? Müssen wir nicht den Kopf für Fehler hinhalten, die die Diplomatie und ihr Politiker gemacht haben?
In meinem Wahlkreis in Hameln sind seit dem Ende des letzten Weltkrieges britische Soldaten stationiert, die uns auch heute und in der Zukunft herzlich willkommen sind. Sie mußten schon häufig schwierige internationale Einsätze bestreiten. Zuletzt waren sie bis November in Jugoslawien. Viele von ihnen haben deutsche Ehepartner. Wie war den Frauen, den Kindern und den Angehörigen wohl zumute, als sie die Diskussion unter uns Bundesdeutschen verfolgten? Was empfinden die Familienangehörigen der Soldaten aus den USA oder aus anderen Partnerländern, die nun nach Bosnien gehen sollen?
Die Familienangehörigen der Soldaten der Bundeswehr tragen zum erstenmal das gleiche Schicksal wie Briten, Amerikaner, Franzosen, Spanier, Russen, Schweden oder andere. Auch das verbindet und verpflichtet uns als Parlamentarier. Das Partnerbataillon der britischen Pioniere in Hameln ist das Bundeswehrpionierbataillon in Holzminden, das für den Einsatz in Kroatien und Bosnien vorgesehen ist und das diesmal andere britische Einheiten in Bosnien unterstützen soll, nämlich bei der Versorgung und der Wiederherstellung von Straßen und Brücken.
Die deutschen Soldaten sind also gut beraten, von den Erfahrungen der britischen Kollegen, die zurückgekehrt sind, zu lernen. Sie könnten jetzt - es ist mir ungeheuer wichtig, dies heute zu sagen - in der Zusammenarbeit mit den Briten in Kroatien und in Bosnien beweisen, daß es doch eine Chance gibt, aus der Geschichte zu lernen,
daß nämlich heute Briten und Deutsche zusammenkommen, um zu helfen, den Frieden im ehemaligen Jugoslawien wiederherzustellen.
Wir Sozialdemokraten werden für den Einsatz der Bundeswehr im früheren Jugoslawien stimmen, jedenfalls die große Mehrheit. Wir sollten diejenigen respektieren, die mit der Entscheidung Schwierigkeiten haben. Wir wollen diesen Einsatz, um die Not der unter dem Bürgerkrieg leidenden Menschen zu beenden, und nicht, wie manche polemisch behaupten - auch Sie, Herr Gysi -, um unsere militärischen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Das Risiko, meine Damen und Herren, ist für unsere deutschen Soldaten wahrscheinlich geringer, als das für Briten, Franzosen oder Amerikaner, die in den Grenzlinien
Brigitte Schulte
zwischen bosnischen Serben und Kroaten, zwischen bosnischen Muslimen und bosnischen Serben handeln müssen. Nach dem Einsatz der internationalen Friedenstruppe und der Wiederherstellung des Friedens, von dem ich persönlich nicht erwarte, daß wir ihn in einem Jahr schaffen werden, müssen sich alle Europäer und besonders wir Deutsche fragen, was wir aus dieser Tragödie lernen wollen. Lassen Sie uns das ganz besonnen und offen tun. Lassen wir jetzt die Bundeswehrsoldaten in dem Gefühl gehen: Der ganze Bundestag steht hinter ihnen, begleitet und schützt sie und ihre Angehörigen.
Ich danke Ihnen.
Ich erteile dem Abgeordneten Dr. Theodor Waigel das Wort.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Friedensabkommen von Dayton setzt ein ermutigendes Zeichen der Hoffnung für die Menschen im kriegsgeplagten Bosnien. Nun muß die zügige politische Umsetzung dieser Vereinbarung folgen.
Zwei Faktoren haben entscheidend zum Zustandekommen des Friedensabkommens von Dayton beigetragen. Erstens die Initiative des französischen Präsidenten Chirac zugunsten eines schnellen Eingreifverbandes. Endlich wurden damit die Blauhelmsoldaten aus der unwürdigen Lage befreit, Opfer politisch organisierter Unterlegenheit zu sein.
Die NATO konnte sich auf diese Weise aus den Fesseln widersprüchlicher UN-Mandate lösen. Zweitens. Die aktive Führungsrolle der Vereinigten Staaten ermöglichte genau das, was in den vorangegangenen Jahren als undurchführbar galt: den begrenzten Einsatz militärischer Mittel zur Durchsetzung einer politischen Friedenslösung. Es waren die politische Entschlossenheit der NATO und ihr militärischer Einsatz, die ein Ende des Gemetzels herbeigeführt haben.
Meine Damen und Herren, 4 000 Bundeswehrsoldaten werden an dieser humanitären Mission teilnehmen und unsere Verbündeten unterstützen. Das ist der größte Einsatz unserer Soldaten in der Geschichte der Bundesrepublik. Wir wollen den blutigen Krieg beenden und beteiligen uns deshalb aktiv am militärischen Schutz von Frieden und Freiheit. Das schulden wir den notleidenden Menschen in Goražde, Tuzla, Mostar, Bihać, Sarajevo und in vielen anderen Städten und Dörfern.
Wir sind uns der Mitverantwortung für die erfolgreiche Gestaltung des Friedensprozesses in Bosnien-Herzegowina sehr wohl bewußt. Wir bekennen uns ausdrücklich dazu. Alle, die mitgeholfen haben und mithelfen, die Not der Menschen zu lindern, verdienen unseren Dank, diejenigen, die ihren Dienst im
Rahmen von UN-, NATO- und WEU-Operationen erfüllen, auf der Donau, in Mostar, in der Adria, bei der Luftbrücke nach Sarajevo, bei den Hilfstransporten oder bei den Sanitätern in Split und bei den Tornadobesatzungen aus Piacenza.
Wir danken den Bürgern, die sich tatkräftig für die Flüchtlinge in Deutschland und die Überwindung der Not der im ehemaligen Jugoslawien Verbliebenen einsetzen. Wir danken schließlich den Kommunen in Deutschland, die Hunderttausende von Flüchtlingen aus Bosnien, Kroatien und anderen Krisenherden im ehemaligen Jugoslawien aufgenommen haben.
Meine Damen und Herren, eines haben die Diskussion und die politische Entwicklung der letzten Jahre gezeigt: Politik darf sich nicht auf Reden und Ersatzhandlungen beschränken. Die letzten Jahre haben gezeigt, wohin es führt, wenn der europäischen Diplomatie der nötige politische und auch militärische Nachdruck fehlt.
Vergessen wir nicht: Seit über vier Jahrzehnten schützen unsere Freunde in der NATO die Freiheit und den Frieden unseres Landes. Heute ist Deutschland bereit, mit allen Rechten und Pflichten an der Seite seiner Bündnispartner aktiv für Frieden, Freiheit und Sicherheit einzutreten. Wer sich dem verweigert, der kann keine Hilfe und Solidarität für uns jetzt sowie in den nächsten Jahren und Jahrzehnten einfordern.
Ein Bündnis besteht aus Geben und Nehmen. Wer einen angemessenen Beitrag zur Sicherung von Frieden und Stabilität verweigert, der wird umgekehrt nicht auf die Solidarität der Partner zählen können. Freiheit, Gerechtigkeit, Aggressionsabwehr, Solidarität mit den Schutzlosen, Menschenleben retten - all das wird von einem Teil der Grünen mit der Berufung auf eine höhere Moral und das Prinzip der Gewaltlosigkeit preisgegeben. Dies ist eine ethisch wie politisch unhaltbare Position.
Wer die Freiheit für geringerwertiger hält als den Frieden, gehorcht einer verbogenen moralischen Kompaßnadel. Wer nicht hilft, obwohl er es könnte, handelt unsittlich und macht sich mitschuldig.
Dazu nur ein Beispiel: Der Westen hat drei Jahre lang in Bosnien auf Gewalt verzichtet. Drei Jahre danach - erinnert sei an die Vertreibungen und an den Massenmord von Srebrenica - herrschte noch mehr Gewalt und überhaupt kein Frieden. Erst die Luftangriffe der NATO haben es ermöglicht, Frieden und Sicherheit für die Menschen endlich wiederherzustellen. Wer dies leugnet, lügt sich etwas vor.
Meine Damen und Herren, die Mission der internationalen Friedenstruppe in Bosnien liegt im deutschen und europäischen Interesse. Die Wiederherstellung von Frieden, Sicherheit und Stabilität auf dem Balkan zeitigt unmittelbare Rückwirkungen auf
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Deutschland. Die Bundesrepublik hat mit etwa 400 000 Menschen mehr Flüchtlinge aufgenommen als alle anderen EU-Partner zusammen. Ihnen konkrete Möglichkeiten zur Rückkehr in ihre befriedete Heimat zu eröffnen, hilft diesen Menschen und dient dem Wiederaufbau in Bosnien-Herzegowina und Kroatien. Was wir brauchen und anmahnen, ist eine faire Lastenteilung für alles, was auch mit dem Wiederaufbau in Bosnien-Herzegowina zusammenhängt.
Eines ist klar: Wir können den Bürgern in Deutschland und in Europa die notwendigen Opfer für den Wiederaufbau nur zumuten, wenn sichergestellt ist, daß die Kriegsverbrecher dort zur Rechenschaft gezogen werden.
Das ehemalige Jugoslawien darf nicht als weiterer Beleg dafür in die Geschichte eingehen, daß Eroberungskriege und Verbrechen von der internationalen Staatengemeinschaft vergessen oder gar noch belohnt werden.
Die Bundeswehr ist seit Sommer dieses Jahres mit etwa 700 Soldaten in Kroatien präsent. Für diesen Einsatz sind bisher Mehrkosten in einer Größenordnung von rund 167 Millionen DM angefallen, die sich auf etwa 182 Millionen DM erhöhen werden. Diese Mehrkosten werden aus dem Einzelplan des Bundesministeriums der Verteidigung getragen. Wir haben die Zweckbestimmung dieses Titels zum Haushalt 1995 erweitert, um hieraus in Anpassung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch Einsätze der Bundeswehr dieser Art finanzieren zu können. Wir schätzen die Mehrkosten für einen zwölfmonatigen Einsatz auf zirka 700 Millionen DM. Wir haben am 24. Oktober 1995 im Kabinett beschlossen, daß diese Mehrkosten in Höhe von 400 Millionen DM wiederum aus dem Einzelplan 14 gedeckt werden, und über die Finanzierung der Restsumme werden wir spätestens Mitte 1996 im Lichte der Entwicklung und des dann noch bestehenden tatsächlichen Bedarfs entscheiden.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich vier Lehren ziehen - sie haben wir zu beherzigen -, die sich aus dem Krieg auf dem Balkan ergeben.
Die erste Lehre: Ethnisch bedingte Konflikte im Europa des ausgehenden 20. Jahrhunderts lassen sich nur eindämmen, wenn Europäische Union und Vereinigte Staaten im bewährten Schulterschluß rasch und entschlossen handeln. Europa braucht eine schlüssige gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, die diesen Namen auch wirklich verdient.
Zweitens. Der Konflikt in Bosnien-Herzegowina kann nur mit dem politischen Gestaltungswillen der Vereinigten Staaten befriedet werden. Für Frieden, Freiheit und Stabilität in Europa ist auch weiterhin ein substantielles politisches, wirtschaftliches und
militärisches Engagement der Vereinigten Staaten unverzichtbar.
Dritte Lehre: Jeder Konflikt hat unmittelbare Rückwirkungen auf Deutschland. Auch bei künftigen Konflikten im Osten unseres Kontinents werden zahlreiche Flüchtlinge den Weg nach Deutschland suchen. Eines muß klar sein: Es handelt sich um die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen und nicht um die Errichtung eines dauerhaften Wohnsitzes.
Viertens. Wer glaubt, mit Geld, Worten und gesinnungsethischer Einstellung allein derartige Konflikte entschärfen zu können, der täuscht sich. Ein Ohnemich-Standpunkt würde Deutschland in eine verhängnisvolle außen- und bündnispolitische Isolierung führen. Dies müssen wir unter allen Umständen verhindern.
Diese Entscheidung steht in einer Reihe schwerwiegender, schwieriger und großer Entscheidungen, um Freiheit und Frieden zu verteidigen, um Solidarität unter Beweis zu stellen: Es war das Ja zur Bundeswehr. Es war das Ja zur europäischen Verteidigung. Es war das Ja zur NATO, das Ja zum NATO-Doppelbeschluß und ist jetzt das Ja zur internationalen Solidarität in Bosnien. Alle diese Entscheidungen waren Richtungsentscheidungen. Sie waren und sind notwendig. Sie waren und sind ethisch begründet.
Meine Freunde und ich stimmen dem Einsatz der Bundeswehr in der von der Bundesregierung vorgeschlagenen Form mit Überzeugung zu.
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Abgeordneten Gansel das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte kurz auf die Eingangs- und Schlußbemerkungen von Herrn Waigel reagieren.
Er hat in einem besonderen Maße herausgestellt, es gehe hier um eine NATO-Verpflichtung. Bei der Beteiligung von Einheiten der Bundeswehr im Rahmen der Umsetzung des Friedensvertrages von Dayton im ehemaligen Jugoslawien geht es nicht um einen NATO-Einsatz, sondern um einen UNO-Einsatz.
Es handelt sich nicht um einen Bündnisfall gegen einen Angriff, es handelt sich um einen UNO-Fall für den Frieden. Es handelt sich also nicht um eine Bündnisverpflichtung, sondern darum, daß die Bundesrepublik Deutschland gegenüber den Vereinten Nationen ihre Verpflichtungen, die sich aus der Charta ergeben, einschließlich des Kapitels VII, wahrnimmt und dadurch einen Beitrag zum Frieden im ehemaligen Jugoslawien leistet.
Für diejenigen aus meiner Partei, die schon am 30. Juni dieses Jahres der Beteiligung von Bundes-
Norbert Gansel
wehreinheiten zum Schutz der Schnellen Einsatztruppe im ehemaligen Jugoslawien zugestimmt haben, mag es in der Konsequenz liegen, auch heute zuzustimmen. Und trotzdem ist es auch heute wieder eine Gewissensentscheidung, freilich eine Gewissensentscheidung, die sich in diesem Fall auf eine Mehrheitsentscheidung der SPD-Fraktion stützen kann; dies macht die Gewissensentscheidung nicht leichter, aber es gibt ihr ein anderes politisches Gewicht.
Für uns haben im Juni nicht nur die Beteiligung an UNO-Maßnahmen, die Beteiligung an den Friedensbemühungen im ehemaligen Jugoslawien und die Rückendeckung für unsere Soldaten eine Rolle gespielt, sondern auch die Einhaltung klarer verfassungsrechtlicher Bestimmungen, die nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts den Parlamentsvorbehalt in den Zusammenhang von UNO-Resolutionen stellt.
Deshalb möchte ich heute darauf hinweisen: Es ist ein schweres politisches und parlamentarisches Defizit und bewegt sich am Rande der Verfassungsmäßigkeit, daß der Deutsche Bundestag abstimmt, ohne daß der Beschluß des UNO-Sicherheitsrates vorliegt und uns im vollen Wortlaut bekannt ist.
Eine Sondersitzung nach dem endgültigen Beschluß des UNO-Sicherheitsrates hätte dem Deutschen Bundestag in Anbetracht der Bedeutung der Entscheidung sehr wohl angestanden.
Lassen Sie mich schließen mit dem Wunsch, daß wir, die wir heute in dieser Verantwortung handeln, einen wirksamen Beitrag zum Frieden im ehemaligen Jugoslawien leisten können. Wir hoffen, daß unsere Soldaten zurückkommen können - nach einem Jahr oder vielleicht auch früher -, ohne daß auf sie geschossen wurde und ohne daß sie auf andere schießen mußten. Für beides übernehmen wir heute eine Mitverantwortung.
Herr Kollege Waigel, Sie können darauf antworten, wenn Sie möchten.
Dann erteile ich dem Vorsitzenden der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, dem Abgeordneten Joseph Fischer, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag trifft heute eine sehr wichtige, für das Land sehr weitreichende Entscheidung. Alle Kollegen, egal, wie sie sich entscheiden werden, ob Zustimmung, ob Nein, ob Enthaltung, wissen, daß es eine Entscheidung ist, die das Leben der Menschen in Bosnien, aber auch das Leben der dorthin zu entsendenden deutschen Soldaten unmittelbar betreffen kann. Insofern gehe ich davon aus, daß alle, egal, wie sie sich entscheiden, und egal, in welcher Fraktion sie in diesem Hause Politik machen, ihr Gewissen befragt und sich entsprechend entschieden haben. Wir sollten daher aufhören, sozusagen mit unterschiedlichen Qualitäten von Gewissensentscheidungen zu argumentieren. Das halte ich für nicht angemessen.
- Ich sagte bewußt: alle.
Die Frage, die heute zur Entscheidung ansteht - Beteiligt sich die Bundesrepublik Deutschland an der Umsetzung des Friedensvertrags von Dayton mit Einheiten der Bundeswehr? -, ist für meine Partei, für meine Fraktion eine Frage, die wir in aller Öffentlichkeit diskutiert haben, die uns zu zerreißen droht. Warum? Wir entstammen der Friedensbewegung. Wir sind eine gewaltfreie Partei. Diese Wurzeln teilen wir gemeinsam.
- Nein. Wir setzen auf eine gewaltfreie Politik, so wie wir sie definieren. Ich respektiere, auch wenn ich Ihre Politik nicht teile, Ihre Überzeugung genauso, wie Sie meine Überzeugung respektieren sollten. Ich denke mir, Sie haben ein Interesse daran, die Grundlage für unsere heutige Entscheidung zur Kenntnis zu nehmen. Diese will ich Ihnen zur Kenntnis bringen.
Für mich sind diese Wurzeln nach wie vor gültig. Nur sind wir in einem echten Grundwertekonflikt: auf der einen Seite Gewaltfreiheit als Vision einer Welt, in der Konflikte durch Vernunft, durch Recht und durch Mehrheitsentscheidungen, durch Verfassungsstaat und nicht mehr durch nackte Gewalt gelöst werden, der Verzicht auf militärische Gewalt, das Ziel, Strukturen zu schaffen, damit diese nicht mehr notwendig ist; auf der anderen Seite das verfluchte Dilemma, Menschen zum Überleben nur noch durch die Entsendung von Militär helfen zu können. Zwischen der Solidarität zum Überleben und der Verpflichtung zur Gewaltfreiheit - das ist unser Widerspruch auch in dieser Entscheidung.
Die eindeutige Mehrheit meiner Partei lehnt aus grundsätzlichen Gründen, aber auch aus dem Mißtrauen gegenüber der Politik, wie sie die Mehrheit hier in der Vergangenheit formuliert hat, nach wie
Joseph Fischer
vor eine militärische Beteiligung Deutschlands an der Umsetzung von Dayton ab.
Herr Kollege Schäuble, nachdem ich Sie heute gehört habe, muß ich Ihnen ehrlich sagen: Wenn ich nicht an Srebrenica denken würde, wenn ich nicht an die Chance des Friedens denken würde - das, was Sie hier heute wieder geboten haben, zerschlägt im Grunde genommen jede Gemeinsamkeit.
Eines will ich Ihnen sagen, Herr Kollege Schäuble: Der Kollege Volmer, die Kollegin Beer, beide in dieser Frage weiß Gott anders positioniert als ich, haben beide hier im Deutschen Bundestag den Vorwurf „Soldaten sind Mörder" gegenüber der Bundeswehr eindeutig zurückgewiesen.
Welche bodenlose Heuchelei ist es, Herr Schäuble,
wenn Ihre Fraktion - ich rege mich jetzt wirklich auf -
einen ehemaligen Kriegsrichter der Hitler-Wehrmacht als Experten zu einer Anhörung einlädt, den Vertreter einer mörderischen Justiz!
Dieser Herr Experte Ihrer Fraktion hat nichts zurückzunehmen. Dieser Herr hat nichts zu bereuen.
Ich will Ihnen einmal etwas sagen: Mir ist diese Debatte von beiden Seiten dermaßen zuwider; diese Verallgemeinerungen sind mir dermaßen zuwider.
Jodl und Keitel, die Chefs der Wehrmacht, wurden als Hauptkriegsverbrecher verurteilt und gehängt. Herr Pinochet wurde nie zur Rechenschaft gezogen. Ich sage Ihnen: Es gibt und gab Soldaten als Mörder, als mörderische Soldateska. Es gab aber auch die Soldaten, die die KZs befreit haben: die Soldaten der Roten Armee in Auschwitz und genauso die Soldaten der Westalliierten in Bergen-Belsen, Dachau und an anderen Orten.
Herr Kollege Fischer, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage. Ich möchte jetzt im Zusammenhang reden.
Ich sage Ihnen, Herr Kollege Schäuble: Rechtsstaat und Demokratie sind die Voraussetzungen dafür, daß Soldaten keine Mörder werden. Friedenspolitik ist die Verpflichtung auch den Soldaten gegenüber;
denn am besten ist es, wenn Soldaten nicht eingesetzt werden müssen.
Ich habe die Mehrheitsentscheidung meiner Partei dargestellt. Ich kann nicht für die Fraktion sprechen, sondern nur für die Gruppe, die von dieser Mehrheitsentscheidung abweicht. Der Krieg in Bosnien hat uns in diesen Grundwertekonflikt geführt. Ursache war ein blutiger Nationalismus, ja, ein neuer Faschismus, der dort im Entstehen ist. Die Niederlage des multiethnischen Bosnien betrifft uns alle. Ein Stück weit gelebte europäische Realität ist dort von einem blutigen Nationalismus und neuem Faschismus - durch ethnische Säuberungen, durch Massenvergewaltigungen, durch Massenmord - in die nationalistische Realität der ethnischen Separierung, der Trennung, umgesetzt worden.
Damit komme ich zum schmerzhaftesten Punkt. Der Friede von Dayton ist für uns ein bitterer und gefährdeter Friede. Er ist bitter, weil sich die Anstifter der ethnischen Säuberung letztendlich durchzusetzen drohen, bitter, weil vieles dafür spricht, daß das multiethnische Bosnien der Vergangenheit angehört. Er ist auch ein gefährdeter Friede. Wir wissen, daß die Kräfte, die diesen mörderischen, irrsinnigen Nationalismus in Krieg umgesetzt haben, nach wie vor das Sagen haben und in Dayton mit am Verhandlungstisch saßen.
Wir sehen in der Tatsache, daß es nicht die UN waren, die diesen Frieden durchsetzen konnten, einen großen Rückschritt. Das ist keine Kritik an den Blauhelmsoldaten, vor denen ich persönlich großen Respekt habe, und an den vielen zivilen Helfern, die unter Risiko und unter Einsatz ihres Lebens in Bosnien seit vielen Jahren helfen. Die Mächte sind gefragt. Zur Umsetzung der Schutzzonen wurden 4 300 Soldaten zur Verfügung gestellt; 34 000 waren beantragt worden. Das war die Realität. Wir sehen in diesem Schritt - weg von der UNO, hin zur NATO - einen Schritt zurück. Da unterscheiden wir uns.
Die Überwindung der Trennung nach Kapitel VI und VII der UN-Charta ist für uns ein sehr, sehr großes Problem. In der Tat handelt es sich hierbei um eine Mischung: Es geht um die Friedensbewahrung, um die Umsetzung eines Friedens, der unter Umständen aber bewaffnet durchgesetzt werden muß. Insofern ist es eine Ausnahmesituation.
Joseph Fischer
Wir halten die Aufhebung des Waffenembargos für einen schweren Fehler im Vertrag von Dayton.
Wir halten ohne Wenn und Aber am Parlamentsvorbehalt fest. Wenn es zu einer Änderung des Auftrags in Form, Inhalt und Größenordnung kommt, muß das Parlament erneut damit befaßt werden.
- Ich halte nur die Punkte fest, die für uns wichtig sind.
Meine Damen und Herren, die zivile Konfliktüberwindung, Friedenspolitik in Bosnien, hat für uns jetzt unbedingten Vorrang. Der entscheidende Punkt wird sein, ob wir dort eine Entfeindung erleben. Das Drama ist - an diesem Punkt sind wir uns doch einig -: Wenn dieser Nationalismus, wenn diese Form von Zerlegung multiethnischer Gesellschaften mit nackter Gewalt in Europa erfolgreich wird, dann stehen die europäische Identitäts- und damit auch die Friedens- und Sicherheitsfrage zur Disposition.
Das ist das Gefährliche an diesem Krieg gewesen und bleibt es.
Deswegen wird die Frage der zivilen Entfeindung, des Wieder-zusammenleben-Könnens die entscheidende Frage sein. Hier wünschen wir uns eine führende Rolle der Bundesrepublik Deutschland.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Friede von Dayton ist ein Friede, ein erzwungener, ein bitterer, ein gefährdeter Friede. Aber die Alternative heißt Krieg. Das ist für uns der Grund, warum wir in unserer Gewissensentscheidung als einzelne Abgeordnete - die meisten von uns werden das zum erstenmal tun - nicht einer Mehrheitsentscheidung unserer Partei folgen. Das ist für uns keine Selbstverständlichkeit.
Wir werden diesem Frieden von Dayton, weil er anders nicht umzusetzen ist, auch in seinem militärischen Teil zustimmen müssen, und wir werden Ihrem Antrag zustimmen.
Eines möchte ich abschließend sagen: Ich bitte Sie, überdenken Sie noch einmal Ihre Position bei der Rückführung der Flüchtlinge. Ich bitte Sie darum.
Auch hier haben wir die Chance, einen breiten Konsens zu bekommen. Ich möchte Sie, Herr Bundeskanzler, auffordern, daß wir hier zu konkreten, mit der Opposition gemeinsam getragenen Vereinbarungen kommen. Ich denke, das wäre insgesamt im Sinne einer breiten Fundierung dieses Friedensprozesses und des deutschen Beitrags.
Zu einer Kurzintervention gebe ich dem Vorsitzenden der CDU/ CSU-Fraktion, dem Abgeordneten Schäuble, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Fischer, ich habe in meiner Rede aus Anlaß der Debatte darum gebeten, daß sich in Zukunft keine Partei, die mit einer Fraktion in diesem Hause vertreten ist, an der Organisation einer Veranstaltung beteiligen möge, wie es Ihre Partei am 26. Oktober getan hat, als sie die Gegenveranstaltung organisiert hat, aus der heraus die Soldaten der Bundeswehr als Mörder beschimpft worden sind.
Das war meine Bitte, nicht mehr und nicht weniger. Sie haben die Frage und die Bitte, die darin zum Ausdruck kommt, nicht beantwortet.
Herr Kollege Fischer, Sie können dazu noch Stellung nehmen.
Ich erteile dem Abgeordneten Paul Breuer das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Sommer 1993 hatte ich Gelegenheit, in der Konfliktregion des ehemaligen Jugoslawien zu sein. Ich erinnere mich sehr genau, an einem Sommertag auf einem Friedhof in der Stadt Osijek in Kroatien gewesen zu sein. Auf diesem Friedhof sah ich an einem Sonntag nachmittag junge Frauen, die mit kleinen Kindern an den Gräbern ihrer gerade gefallenen Männer ihre Trauer zum Ausdruck brachten.
Ich habe mich an dieses Bild erinnert, als wir die Meldungen aus Srebrenica hören und sehen mußten. Ich habe mich wie viele in unserem Lande gefragt: Ist es eigentlich nicht so, daß wir uns in den letzten Jahren manchmal ein Bild im Hinblick auf unser eigenes Handeln zurechtgelegt haben, das uns die Möglichkeit gab - das ist auch nicht unbegründet -, draußen zu bleiben? Ich denke, daß in dieser Debatte heute vieles von dem deutlich geworden ist. Das ist der emotionale Aspekt des Ganzen.
Paul Breuer
Dann kommt der moralische Aspekt. Viele Redner haben heute gesagt: Es ist nicht höhere Moral, dann, wenn Gewalt an Menschen nicht abgewehrt werden kann, nichts zu tun, eine pazifistische Position einzunehmen.
Wer Gewaltlosigkeit für wichtiger hält als alles andere, der mißachtet andere Werte. Er mißachtet die Werte von Freiheit und Solidarität und die Verpflichtung, Menschen in Not zu retten. Diesem moralischen Aspekt tragen wir heute Rechnung.
Aber das allein reicht immer noch nicht aus, meine ich. Wir tragen auch eine moralische Verpflichtung für unsere Soldaten, die wir in diesen Konflikt hineinschicken, und ihre Familien.
Das Empfinden von Schmerz, von Mitleid mit den geschundenen Menschen der Region - das ist die eine Seite, der moralische Aspekt; er gehört dazu. Aber die moralische Verantwortung für die deutschen Soldaten, die wir in dieses Konfliktgebiet hineinschicken, gehört mit dazu.
Es stellt sich auch die Frage: Können wir das im Hinblick auf ihre Ausbildung, im Hinblick auf ihre Ausrüstung verantworten? Ich habe durch eigene Inaugenscheinnahme den festen und sicheren Eindruck gewonnen, daß wir die Verantwortung dafür, deutsche Soldaten in das Konfliktgebiet zu schicken, auf Grund von Ausrüstung, Auftrag und Ausbildung übernehmen können und tragen können. Das möchte ich heute sagen.
Aber ich möchte auch sagen, daß der Auftrag, den die deutschen Soldaten ausführen, nicht ungefährlich ist. Der Streit darüber, ob das ein Kampfeinsatz oder kein Kampfeinsatz ist, ist leider eine Ablenkung von dem, was wirklich festgestellt werden muß, Rechtlich gesehen ist das ein Einsatz nach Kapitel VII der UN-Charta. Es ist, rechtlich gesehen, ein Kampfeinsatz. Vom direkten Auftrag her ist das ein Einsatz, der Kampftruppen unterstützt, militärisch betrachtet.
Aber egal, ob gekämpft werden muß oder unterstützt wird: Es dient der Friedenssicherung in dem Land, in dem Friedenssicherung in der Vergangenheit mit anderen Mitteln leider nicht möglich war.
Der Streit darüber offenbart natürlich auch etwas anderes: Er offenbart, daß zum Teil nicht ganz klar ist, daß unsere Verbündeten oder andere Partner in dieser Mission andere militärische Aufträge unter dem gleichen rechtlichen Dach haben und möglicherweise in die Gefahr kommen, sehr wohl kämpfen zu müssen.
Wir können uns nicht moralisch von denjenigen abheben wollen, die dies letztlich auch für uns tun müssen. Es wäre verwerflich, so etwas zu tun.
Ich sage noch ein weiteres: Das wäre verwerflich auch im Hinblick auf die Erfahrungen der jüngeren deutschen Geschichte.
Der Kompaß unseres Handelns ist nicht nur emotional, er ist nicht nur moralisch, vielmehr ist er auch
der Kompaß der Frage der Orientierung der deutschen Außenpolitik. Die deutsche Außenpolitik der Nachkriegszeit war völlig klar auf zwei Begriffe ausgerichtet, nämlich auf Integration und auf Kooperation. Es war die Integration in das westliche Bündnis, und von dort aus bestand die Möglichkeit der Kooperation mit all denjenigen, die dazu bereit waren, die demokratischen Werte des westlichen Abendlandes zu teilen. Dieser Kompaß hat dazu geführt, daß die Entscheidung, die heute getroffen werden muß, letztlich in einem politischen Entscheidungsprozeß zustande gekommen ist.
Herr Fischer, daß Sie so, wie Sie es eben getan haben, hier auftreten und den Kollegen Schäuble in einer Art und Weise angreifen, die völlig unverständlich ist,
beweist letztlich, daß Sie sich, um die großen Risse in Ihrer Fraktion und Partei zu überdecken, einen Pappkameraden suchen - ob er geeignet ist, oder nicht. Das ist der Punkt.
Herr Kollege Breuer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Urbaniak?
Bitte schön.
Herr Kollege, können Sie einmal klarstellen, was denn jetzt eigentlich gilt: das, was Herr Naumann, oder das, was Herr Rühe gesagt hat? Denn der Verteidigungsminister sagt, dies sei kein Kampfeinsatz, während Sie unentwegt davon sprechen. Ich möchte jetzt Klarheit haben: Was ist es für ein Einsatz? Für mich ist es ein Einsatz zur Friedenssicherung.
Wir stellen fest: Erstens ist es ein Einsatz zur Friedenssicherung, zweitens ist es rechtlich gesehen ein Kampfeinsatz nach Kapitel VII der UN-Charta, und drittens ist es, was den deutschen militärischen Auftrag angeht,
nicht der Einsatz von Kampftruppen. Ich denke, wir sollten uns gemeinsam darum bemühen, nicht zur weiteren Begriffsverwirrung beizutragen, sondern völlig klarzustellen, daß das, was Deutschland beiträgt, ein Beitrag zur Friedenssicherung ist.
Aber der Streit, Herr Kollege, hat etwas damit zu tun, daß in Deutschland in den letzten Jahren in unterschiedlicher Art und Weise gewertet worden ist. Es ist zum Teil so getan worden, als ob der kämpfende Einsatz unserer Verbündeten im Bereich des ehemaligen Jugoslawien, der eindeutig ein Kampf-
Paul Breuer
einsatz gewesen ist, moralisch verwerflich wäre. Man kann nicht zulassen, daß eine solche Diskussion stattfindet.
Der Einsatz der Bundeswehr mit 4 000 Soldaten im Gebiet des ehemaligen Jugoslawien ist der umfangreichste Einsatz, den Soldaten der Bundesrepublik Deutschland bisher durchführen mußten. Es ist ein Einsatz, der die Bundeswehr fordert, und es ist ein Einsatz, der die Familien der Soldaten hier in der Heimat genauso fordern wird. Ich denke, daß wir heute gemeinsam festhalten sollten, daß wir die Familien der Soldaten der Bundeswehr, die wir in dieses Kampfgebiet hineinschicken müssen, unterstützen. Wir können sie nicht in der Angst, daß etwas passieren könnte, allein lassen. Ich denke, es ist wichtig, daß wir in unseren Wahlkreisen, also dort, wo diese Familien leben, etwas tun, um ihnen das sichere Gefühl zu geben, daß wir sie und ihre Männer, ihre Brüder, ihre Söhne begleiten
und daß dies Soldaten sind, die im Dienste von Freiheit und Demokratie vor den Grundwerten unseres Landes stehen. - Ich nehme den Zwischenruf, Frau Kollegin Schulte, gerne auf. Sie sagten: Nicht nur bei den Deutschen! Es ist richtig: Auch für die Familien der alliierten Soldaten, die in Deutschland stationiert sind, gilt dies. Sie haben das in der Vergangenheit - ich glaube, darüber denken wir genauso - leider oftmals vermißt. Wenn man mit den alliierten Soldaten, die im Konfliktgebiet eingesetzt gewesen sind, und ihren Familien redet, dann stellt man manchmal auch ein Stück Verbitterung darüber fest, daß ihr Einsatz, der ein Einsatz auch für uns und unsere Werte gewesen ist, nicht genügend gewürdigt worden ist. Geben wir uns gemeinsam Mühe, daß dieser Eindruck in den kommenden Monaten in Deutschland nicht entsteht!
Der Antrag der Bundesregierung, der heute an uns gestellt wird, ist im Hinblick auf das deutsche Kontingent in Art, Umfang und Zusammensetzung nach meiner festen Überzeugung sorgfältig und verantwortlich gestellt. Der Einsatz ist in einen internationalen Friedensprozeß eingebettet. Das ist nicht nur das Vertragswerk von Dayton. Es sind die entsprechenden Beschlüsse der NATO-Gremien. Es wird der Beschluß des UN-Sicherheitsrates sein.
Insofern möchte ich Sie, da alle Voraussetzungen, die wir uns im Hinblick auf Kriterien auch geben müssen, erfüllt sind, herzlich bitten, diesem Antrag zuzustimmen. Es ist ein Beschluß, der auch für die Zukunft unseres Landes, eingebettet in Frieden und Freiheit in Europa, wichtig ist.
Ich erteile dem Kollegen Freimut Duve das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kollegen! Sowohl in der deutschen Parlamentsgeschichte, in der gesamten Parlamentsgeschichte von deutschen Parlamenten, als auch in der Gesamtheit der militärischen Geschichte der Deutschen ist dies ein erster und besonderer Tag. Zum erstenmal findet das statt, was die deutsche Bundeswehr, seit es sie gibt, in ihrer Qualität zu einer völlig anderen Armee gemacht hat als irgendeine andere Armee, deren Soldaten deutsche Soldaten waren. Denn wenn es zu einer solchen Situation kommt, muß es dieses Parlament beschließen. Zu dieser Qualität gehört, daß in diesem Parlament sehr ernst darüber diskutiert wird. Zu dieser Qualität gehört auch, daß es viele Kolleginnen und Kollegen gibt, die für sich sagen: Gerade weil ich diese andere Qualität deutscher Soldaten sehe, kann ich heute nicht zustimmen.
Ich glaube, jeder muß dies alles heute wissen, denn das ist unsere Geschichte. Ich finde, der Herr Bundeskanzler hat das in einer ruhigen Art richtig erkennen lassen, anders vielleicht als sein Fraktionsvorsitzender. Wir müssen gegeneinander und miteinander die Art respektieren, wie wir mit diesem Tag umgehen.
Darum will ich dem Bundesverteidigungsminister danken. Es geht nicht so sehr um eine Wortklauberei: Kampfeinsatz oder nicht. Vielmehr geht es darum, daß der zivile Verteidigungsminister den Auftrag, die Pflicht und das Recht hat, die Definition zu geben, und daß er diese auch dem obersten Militär sagen können muß und er dann von uns gemeinsam unterstützt wird: Dies ist ein Friedensauftrag, und zu diesem Friedensauftrag gehört die Kampfbereitschaft, weil drei in den Kämpfen involvierte Präsidenten um andere Soldaten gebeten haben, da sie ihre eigenen Soldaten nicht kontrollieren können. Das ist doch der Grund. Deren drei Unterschriften besagen: Wir brauchen andere Soldaten, sonst sind die Menschen hier nicht zu schützen.
Wir können keine Befehle mehr an unsere Soldaten geben, die in jedem Fall auch befolgt werden. Das ist doch der entscheidende andere Punkt, weshalb ich und viele andere, die Mehrheit meiner Fraktion, zustimmen.
Ich bedanke mich also, daß gestern in Brüssel noch einmal die zivile Kontrolle durch den Bundesverteidigungsminister in aller Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht worden ist.
Ich komme nun zu den Flüchtlingen. Herr Bundesminister Waigel, Herr Kollege Waigel, Sie haben heute einen Antrag zum Thema „Rückkehr der in Deutschland befindlichen Flüchtlinge" eingebracht. Ich habe verstanden, daß Sie ihn jetzt auf unsere Bitte hin an den Ausschuß überweisen. Das finde ich gut; denn dann haben wir im Ausschuß die Möglichkeit, in dieser Sache endlich das zu tun, was manche
Freimut Duve
von uns seit Wochen immer wieder erbitten: daß nämlich eine Arbeitsgruppe der Bundesregierung, bestehend aus Vertretern des Innenministeriums, des Außenministeriums und des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit, gebildet wird und das Parlament etwas Entsprechendes bildet.
Herr Kollege Duve, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gysi?
Herr Gysi, ich komme nachher auch noch auf Sie zu sprechen. Aber bitte.
Ich könnte natürlich auch solange warten; aber mir geht es um den ersten Abschnitt Ihrer Rede, nicht um die Flüchtlingsproblematik, weil ich glaube, daß wir da weitgehend übereinstimmende Auffassungen haben. Sie haben hier von der zivilen Verantwortung und damit von der Verantwortung der Bundesregierung in der gesamten Phase gesprochen. Ich komme auf das zurück, was ich vorhin hinsichtlich des Vertrauens gesagt habe, und möchte von Ihnen wirklich wissen: Wieso haben Sie ein so uneingeschränktes Vertrauen in die politische Führung eines solchen Militäreinsatzes, wenn es um die Regierung eines Landes geht, das inzwischen die weltweit zweite Stelle beim Waffenexport einnimmt?
Sie wissen, Herr Duve, daß der letzte Zweck des Exportes von Waffen deren Benutzung in Kriegen und Bürgerkriegen ist und daß damit viel verdient wird. Glauben Sie wirklich, daß eine Regierung friedenspolitisch glaubwürdig ist, die es zuläßt, daß man derartig am Waffenexport verdient, und die zugleich bis heute noch nicht bereit war, denjenigen, die nicht an den Aggressionen des Zweiten Weltkrieges teilnehmen wollten, also den damaligen Wehrdienstverweigerern und Deserteuren, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen? Woher nehmen Sie da Ihr Vertrauen?
Es geht um parlamentarisches Zutrauen, nicht um pauschales Vertrauen. Herr Gysi, wir können jetzt über die Zahlen der Rüstungsexporte gerne streiten. Aber wenn wir, von der Volkskammer seinerzeit durchaus mit abgedeckt, in ein unerträgliches Rüstungsexportvolumen hineingerutscht sind, dann hat das sehr viel mit der Auflösung eines hochgerüsteten Staates zu tun.
Darüber sollte man einmal diskutieren, auch mit dem Kollegen und ehemaligen Verteidigungsminister Eppelmann. Ich hätte mich auch gefreut, wenn wir zu einer anderen Form der Beendigung dieses
Rüstungspotentials als des damaligen Auftrages zum Verkauf gekommen wären.
Ich möchte zum Problem der Flüchtlinge zurückkommen. Frau Ogata hat ja jetzt bei ihrem Besuch in Zagreb noch einmal deutlich gemacht: Die Rückkehr der Flüchtlinge kann nur in drei Stufen erfolgen. Zunächst einmal müssen für die 1,2 bis 1,3 Millionen Menschen, die in Bosnien selbst obdach- und heimatlos sind, Rückkehr- oder zumindest Ansiedlungschancen geschaffen werden, damit nicht auch sie noch das Land verlassen.
Im Moment ist doch die größte Gefahr, daß die Menschen aus Ermüdung, Verzweiflung und Zukunftslosigkeit sagen: Ich will jetzt raus. Dies muß jetzt gestoppt werden.
Bei meiner letzten Reise - ich habe das in der letzten Woche schon einmal angedeutet - bin ich in das furchtbare Tal gefahren, wo die Abdič-Flüchtlinge, wie man sie verkürzt nennt, leben. Dort bot sich mir eine grauenvolle Situation: Menschen, Kinder, junge Menschen sind in einem engen Tal eingeschlossen. Man spürt: Sie wollen nicht in ihre Häuser zurück, die nur etwa 8 Kilometer von dem Ort entfernt sind, wo sie jetzt in Hütten und Zelten leben. Viele hoffen, daß sie ganz woanders hinkommen, vielleicht nach Deutschland. Das Problem der Abdič-Flüchtlinge zu lösen - hier herrscht eine tragische Situation, die viele auch verführt, gegen die eigenen Leute zu kämpfen - wird viel Zeit kosten.
Die zweite Stufe wird sein, den Menschen aus Bosnien, aber auch aus Serbien eine Chance zur Rückkehr in die Krajina zu geben. Es ist sehr bedrückend, zu sehen, wie die ersten, die sich jetzt aus Serbien in die Krajina zurückgeschmuggelt haben - so muß man es fast nennen -, dort behandelt werden.
In der „Welt" konnte man einen Artikel darüber lesen, wie bedrohlich die Situation ist. Diese Dinge bezüglich der Rückkehr müssen also geregelt werden.
Dritter Punkt. Ich schlage vor, daß wir eine Arbeitsgruppe bilden und uns vor allen Dingen mit den Bundesländern zusammensetzen, vielleicht auch mit Sprechern der Flüchtlinge - das geht in einigen Städten schon -, um die sorgsame Rückkehr, möglicherweise aber auch die Ausbildung einiger von ihnen zu organisieren, um zu dem Wiederaufbauprozeß beitragen zu können. Da gibt es viele Möglichkeiten. Es darf nicht sein, daß sie von allem ausgeschlossen sind, auch was die Ausbildung anbetrifft, wenn sie keinen Schnellkurs für die Erlernung eines Handwerks, das sie gern ausüben möchten, machen können. Wir müssen uns in diesen Wintermonaten zusammensetzen.
Herr Gysi, ich will zum Schluß noch etwas zu Ihnen sagen. Sie haben den Kollegen Fischer wegen des Begriffs „Völkermord" sehr kritisiert. Ich muß
Freimut Duve
sagen: Durch die Art, wie Sie das getan haben, wird sichtbar, daß Sie die Völkermordkonvention und den eigentlichen Auftrag von Nürnberg nicht kennen aus dem heraus die Völkermordkonvention 1948 formuliert worden ist. Er lautet: Wenn dies anfängt, wollen wir Stopp sagen, nicht erst, wenn wir feststellen, daß der Völkermord vollzogen worden ist.
Darum will ich heute, nachdem wir drei Jahre lang darüber diskutiert haben, die Definition von Völkermord vorlesen, Herr Kollege:
Wer in der Absicht, eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihr Volkstum bestimmte Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören, Mitglieder der Gruppe tötet, Mitgliedern der Gruppe schwere körperliche oder seelische Schäden .. . zufügt, die Gruppe unter Lebensbedingungen stellt, die geeignet sind, deren körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen, Maßregeln verhängt, die Geburten innerhalb der Gruppe verhindern sollen, Kinder der Gruppe in eine andere Gruppe gewaltsam überführt,
begeht Völkermord und bekommt nach § 220a unseres Strafgesetzbuches, den ich gerade vorgelesen habe und der mit der Völkermordkonvention wortgleich ist, lebenslänglich.
Alle Tatbestände, die ich eben vorgelesen habe, sind in Bosnien erfüllt worden.
Beweise für diese Tatbestände liegen vor. Darum war es richtig, diesen Begriff im Sinne der UNO-Konvention und des Strafrechts fast aller Staaten der Welt anzuwenden.
- Genau, das fällt immer unter Völkermord. Sie wollen nur aus polemischen und dialektischen Gründen sagen: Wie ist es in Kambodscha? Da ist es auch Völkermord. Dann aber ist dies auch in Bosnien der Fall gewesen. Sie sollen nicht glauben, daß Sie, wenn Sie den Umkehrschluß ziehen, immer rhetorisch gut herauskommen.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Ich erteile dem Abgeordneten Dr. Friedbert Pflüger das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde es wichtig und notwendig, daß wir sachlich miteinander umgehen. Aber diese Sachlichkeit darf natürlich nicht dazu führen, daß dann alle Konfliktlinien einfach verwischt werden. Deshalb glaube ich schon, daß das, was der Kollege Schäuble heute vormittag im Blick auf die
Grünen und das Zitat „Soldaten sind Mörder" getan hat, richtig und notwendig gewesen ist.
Wir brauchen gar nicht unbedingt auf die Veranstaltung am 26. Oktober - eine beschämende Veranstaltung -, sondern nur auf den Parteitag der Grünen vom letzten Wochenende zu gucken, auf dem ganz am Anfang eine Truppe von 15 Leuten mit Schildern „Soldaten sind Mörder" in den Parteitag hineinkam und das Präsidium dann gesagt hat: Ihr habt für diese Demonstration zwei Minuten. Also ist doch diese Art der Demonstration offenbar von der Parteiführung genehmigt worden. Aus dieser Sache können Sie sich doch nicht herausreden.
Aber wir nehmen zur Kenntnis, daß der Abgeordnete Fischer und seine Mitstreiter nichts von diesem Zitat halten. Das ist schon ein Fortschritt; man ist ja in letzter Zeit bescheiden geworden.
Es ist sowieso schon etwas verwunderlich: Ich bestreite niemandem, daß es für ihn schwer ist, und ich streite auch nicht ab, daß viele von Ihnen in Gewissensnöten sind und einen bestimmten Weg gegangen sind. Aber warum Sie eigentlich einen Bonus für neue Erkenntnisse, die meine Fraktion schon vor Jahren und Jahrzehnten gehabt hat und für die sie uns beschimpft haben, beanspruchen, das habe ich bis heute nicht verstanden.
Völlig richtig ist, was der Kollege Fischer gesagt hat: daß das Schweigen der Waffen noch keinen Frieden bedeutet, daß es jetzt darauf ankommt, die Entfeindung vorzunehmen und daß das Militär dafür nur die Voraussetzungen, den Rahmen schaffen kann. Der Frieden selbst muß natürlich von innen wachsen. Das ist völlig unbestritten.
Wenn uns die Kollegin Nickels sagt, wir würden ziviles Engagement nicht wertschätzen, dann kann ich nur feststellen: Das Gegenteil ist der Fall. Gestern hat es im Katholischen Büro in Bonn ein Gespräch zwischen den Vertretern aller Fraktionen und Vertretern der Kirchen und Nichtregierungsorganisationen gegeben, mit dem Ziel, einen zivilen Friedensdienst, einen koordinierten Fachdienst im ehemaligen Jugoslawien aufzubauen, der helfen soll, verfeindete Ethnien und Religionen wieder zusammenzuführen. Wir tun also etwas auf diesem Gebiet, und das ist dringend erforderlich. Das müssen wir alle gemeinsam in diesem Haus machen und uns nicht darüber streiten.
Dann hat die Frau Kollegin Nickels gesagt, wir würden Gewaltfreiheit und Pazifismus geringschät-
Dr. Friedbert Pflüger
zen. Auch das ist nicht wahr, Kollegin Nickels. Ich glaube nur, daß man hier zwischen einer individualethischen Position und der Sozialethik unterscheiden muß. Der einzelne kann sagen: Ich will keine Waffe in die Hand nehmen; ich will mich dem Ganzen entziehen. Wir haben das immer respektiert. Es steht sogar in unserer Verfassung, daß einer, der wirklich Pazifist ist, natürlich geschützt werden muß. Der einzelne kann also den Dienst an der Waffe verweigern. Aber der Staat kann doch nicht die Verteidigung von Freiheit und Menschenrechten verweigern. Das ist der entscheidende Unterschied, den ich Sie zu verstehen bitte.
Herr Kollege Pflüger, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Nickels?
Bitte.
Herr Pflüger, würden Sie mir zugestehen, daß gewaltfreie Optionen nicht als individualethische Einzelmeinungen denunziert werden dürfen, sondern endlich in ihrer strategischen Bedeutung für Friedensschaffung und Friedenssicherung anerkannt werden müssen?
Zweitens. Ich begrüße, was Sie da sagten. Mir als Pax-Christi-Mitglied ist dieser Kontakt im Katholischen Büro bekannt. Endlich ist er zustande gekommen. Die Einbringung eines Gesetzes über den zivilen Friedensdienst in den Bundestag ist absolut nötig. Ich möchte Sie fragen, ob Sie bereit sind, in Ihrer Fraktion alles dafür zu tun, daß wir das spätestens im nächsten Jahr im Bundestag beschließen können. Dann hätten wir in diesem Bereich endlich einmal etwas Handfestes auf den Weg gebracht.
Frau Kollegin, Sie sind Mitglied von Pax Christi. Dann werden Sie wahrscheinlich auch die Erklärung des Vorstandes von Pax Christi vom August gelesen haben, in der gesagt worden ist: Wir halten daher um der Glaubwürdigkeit unseres Friedenswillens ein künftiges militärisches Eingreifen dann für gerechtfertigt, wenn, wie im Fall von Srebrenica, Menschen in unerträglichem Maße schutzlos der Gewalt von Aggressoren ausgeliefert sind. - Das ist genau richtig. Das ist ein wichtiger Denkprozeß, den Pax Christi mitgemacht hat. Wir wollen nicht gewaltfrei schaffende Leute, die sich dort engagieren, die wir alle in unseren Wahlkreisen haben, diffamieren. Es ist großartig, daß sie sich dort engagieren, und wir danken ihnen dafür. Aber das wird doch jetzt dadurch leichter, daß die Friedensmission dort eingreift und den Menschen hilft, daß sie ihre zivilen Aufgaben wahrnehmen können, ohne daß ihnen Bomben auf den Kopf
fallen. Darüber sollten wir uns doch beide gemeinsam freuen, anstatt uns das gegenseitig vorzuwerfen.
Herr Pflüger, gestatten Sie eine zweite Frage von Frau Nickels?
Nein. Ich möchte jetzt fortfahren, Frau Kollegin. Ich bitte um Verständnis.
Es hat meines Erachtens nichts mit Moral zu tun, und es hat vor allen Dingen nichts mit höherer Moral zu tun, wenn Menschen, die vom Völkermord bedroht werden, die Hilfe verweigert wird.
Wir wissen aber sehr gut, daß der militärische Einsatz nicht das Ziel, sondern nun der Rahmen ist. Das Ziel liegt im Aufbau von Strukturen eines friedlichen Zusammenlebens. Das haben wir nicht erst seit kurzem begriffen, sondern das ist die Politik dieser Bundesregierung von Anfang an. Es sind fast 1 Milliarde DM in bilaterale und europäische Hilfe geflossen, die wir an das ehemalige Jugoslawien geben. Wir haben die UN-Friedenstruppen unterstützt. Wir haben Herrn Koschnick bei seiner Mission in Mostar unterstützt. Hier ist doch unendlich viel gemacht worden, was mit Militär überhaupt nichts zu tun hat.
Bei dieser Gelegenheit darf ich ein Wort zu dem sagen, was der Kollege Gysi und der Kollege Duve miteinander ausgetragen haben. Wir haben unter anderem auch etwa 330 Schützenpanzer und noch mehr, nämlich 450 schwere Lkws an die UN-Einheiten im ehemaligen Jugoslawien abgegeben, kostenlos. Das Friedensinstitut SIPRI hat aber dafür einen Betrag von 40 Prozent des Neuwertes angerechnet. Auf diese Weise, Herr Kollege Gysi, kommen solche Rechnungen zustande, nach denen die Bundesrepublik Deutschland auf Platz 2 der Hitliste bei den Waffenexporten steht. Diese Zahlen haben nichts mit der Wirklichkeit zu tun, überhaupt nichts.
Es ist ein Märchen, daß Deutschland die Dritte Welt mit Waffen überschwämmen würde. Wahr ist, daß 98 Prozent unserer Rüstungsexporte in NATO-Länder und in skandinavische Länder gehen. Das hat mit all dem, was Sie hier als Fata Morgana aufbauen, absolut nichts zu tun, Herr Kollege Gysi. Das muß in diesem Hause endlich einmal gesagt werden.
Was wir abgeben, ist doch in erster Linie NVAMaterial. Das wissen Sie doch auch. Das ist das Erbe, das wir übernommen haben, das es jetzt zu verwalten gilt. Daher kommen diese Zahlen.
Dr. Friedbert Pflüger
Wir haben uns an die Politik des „Frieden schaffen mit immer weniger Waffen" gehalten. Wir sind die Partei, die abgerüstet hat, mehr als jemals zuvor abgerüstet worden ist. Wir sind nämlich nicht der zweitgrößte Waffenexporteur, sondern wir sind der größte Waffenvernichter in der Welt.
Wir haben nämlich seit 1992 fast i Milliarde DM ausgegeben, um altes NVA-Material zu verschrotten. Wir sind das Land, das als erstes in Europa die Vereinbarungen des KSE-Vertrages, dem im Jahre 1990 22 Nationen beigetreten sind, erfüllt und 8 600 Systeme verschrottet hat. Wir sind es, die einen Verzicht auf ABC-Waffen für alle Zeiten erklärt haben. Wir hatten nach der Wiedervereinigung 700 000 Soldaten unter Waffen, heute sind es 340 000. Der Verteidigungshaushalt betrug 1975 ein Fünftel des Gesamthaushaltes. Heute beträgt er ein Zehntel. Wir haben in den letzten Jahren auf allen Gebieten abgerüstet. Das sollten Sie zur Kenntnis nehmen und nicht ein gegenteiliges Märchen in diesem Raum verbreiten.
Wir haben wahrlich in diesem Moment keine leichte Finanzlage. Trotzdem ist es - ich betone es - den Haushältern aller Parteien gelungen, zusammen mit dem Unterausschuß Abrüstung dafür zu sorgen, daß die Mittel für Minenräumen im Haushalt von 3 auf 13 Millionen DM erhöht werden.
Ich finde, das ist eine Leistung, die man nicht geringschätzen sollte, auch eine Leistung dieses Parlamentes. Aber bitte verzichten Sie in Zukunft darauf, draußen im Lande, dort, wo es Ihnen gefällt, den Eindruck zu vermitteln, als würde hier nur aufgerüstet. Das Gegenteil ist doch der Fall, Herr Gysi.
Es gibt keine Militarisierung von Staat und Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland. Es gibt sie nicht. Die Daytoner Vereinbarung ist ein weiterer Beweis dafür. Was nämlich in der Diskussion bisher völlig untergegangen ist, ist die Tatsache, der auch Herr Kollege Fischer nicht gerecht geworden ist: Sie haben vom Waffenembargo gesprochen und sich dagegen ausgesprochen, daß es aufgegeben wird. Herr Kollege Fischer, Sie haben aber verschwiegen, daß dieses Waffenembargo nicht „einfach so" aufgehoben wird. Vielmehr wird das in ganz konkrete rüstungskontrollpolitische Maßnahmen eingebettet, in ganz konkrete Obergrenzen, die vereinbart wurden.
Das ist im übrigen ein Erfolg dieser Bundesregierung, die die Abrüstungsvereinbarungen in Dayton durchgesetzt hat. Auch das muß hier auf den Tisch; denn auch das trägt zu der Politik bei: Frieden schaf-
fen mit immer weniger Waffen. - Dieses Versprechen hat die CDU/CSU/F.D.P.-Koalition eingehalten.
Ich komme zum Schluß und möchte auf etwas hinweisen, was keineswegs selbstverständlich war, nämlich daß zum Beispiel auch die Evangelische Kirche in Deutschland in den letzten Jahren einen gewaltigen Diskussionsprozeß geführt und jetzt auf ihrer Friedenssynode sehr wichtige Beschlüsse gefaßt hat. Der Präsident des Rates der EKD, Bischof Engelhardt, hat am 10. November in Friedrichshafen folgendes gesagt:
Inzwischen zeichnet sich ab, daß der Einsatz militärischer Gewalt die Verantwortlichen in Bosnien verhandlungsbereiter gemacht und damit die Menschen im ehemaligen Jugoslawien dem Frieden einen Schritt nähergebracht hat. Ich halte die vom Bundestag getroffene Entscheidung für richtig. Was friedensethisch und friedenspolitisch für die anderen Staaten der Vereinten Nationen gilt, gilt auch für Deutschland.
Nichts anderes wollen wir. Wir wollen keine Muskelspiele; wir wollen keine Großmachtgefühle, keine Kanonenpolitik, sondern wir wollen ganz bescheiden und ohne Hurra unseren Beitrag leisten - nicht mehr und nicht weniger.
Es liegen die Wünsche nach zwei Kurzinterventionen vor, und zwar vom Kollegen Gysi und vom Kollegen Schulz.
Herr Gysi, Sie haben das Wort zu einer Kurzintervention.
Herr Präsident! Herr Kollege Pflüger und Herr Kollege Duve, Sie haben mir erstens Unehrlichkeit im Zusammenhang mit dem Vorwurf des Waffenexports vorgeworfen.
Darf ich zunächst darauf hinweisen, daß Platz zwei in der Rangfolge der Rüstungsexporteure nicht eine Frage des eingenommenen Geldes, sondern der Menge der exportierten Rüstungsgüter ist. Das hängt nicht davon ab, welche Preise für Rüstungsgüter verlangt werden.
Und zweitens erklären Sie jetzt schon seit Jahren, daß die ehemaligen NVA-Waffen die Ursache dafür sind, daß Deutschland beim Waffenexport in der „Hitliste" einen so hohen Rang einnimmt. Ich darf Sie darauf hinweisen: Als die Sowjets nach der Wende die MiGs abholen wollten, hat diese Bundesregierung dagegen protestiert, weil sie die selber unbedingt haben wollte. Ich darf ferner darauf hinweisen, daß es auch die Möglichkeit der Konversion gibt. Nirgendwo steht geschrieben, daß übernommene Waffen exportiert werden müssen. Man kann sie auch vernichten.
Dr. Gregor Gysi
Sie haben gesagt, in Wirklichkeit werde abgerüstet und nicht aufgerüstet. Ihre eigene Regierung spricht von Umrüstung, Stichwort „Eurofighter". Das ist etwas anderes als Abrüsten.
Was die Waffenexporte, die Zielländer betrifft: Ist denn wirklich schon vergessen, welche Firmen mit die Voraussetzung dafür geschaffen haben, daß in Libyen chemische Waffen gebaut werden konnten? Welche Firmen das im Irak mit ermöglicht haben? Ist das alles schon vergessen, was wir hier im Parlament erörtert haben? Mit welchen Waffen wird in der Türkei auf Kurden geschossen? Ist das auch schon vergessen?
Ich habe - das ist richtig, Herr Duve - vor dem inflationären Gebrauch des Begriffes „Völkermord" gewarnt.. Ich habe aber in diesem Zusammenhang auf etwas ganz anderes hingewiesen: Völkermord findet zum Beispiel auch in Afghanistan statt. Das bestreiten Sie nicht und sagen, es sei rhetorisch, einen Umkehrschluß zu ziehen. Darum geht es mir nicht. Wenn man rein moralisch diesen Militäreinsatz mit Völkermord und der Verletzung von Menschenrechten begründet, dann entsteht doch die Frage: Warum hier, und warum woanders nicht? Wenigstens von Ihnen hätte ich erwartet, daß Sie dann ehrlicherweise sagen, daß es in dem einen Fall nationale politische und ökonomische Interessen gibt und in dem anderen nicht. Dann ist es aber eben keine Frage der Moral mehr, sondern der eigenen Interessenpolitik. Das ist es, was ich kritisiert habe.
Herr Kollege Schulz, Ihre Kurzintervention, bitte.
Herr Pflüger, Sie haben erneut den Eindruck erweckt, als stehe meine Partei, die Bündnisgrünen, voll und ganz hinter diesem historisch verbrieften Tuchoisky-Zitat, wonach Soldaten Mörder seien.
Ich muß hier deutlich sagen: Ich bedauere, daß auf unserem Parteitag Transparente mit diesen Zitaten hochgehalten worden sind
und daß damit ein aktueller Bezug geschaffen worden ist. Ich bedauere noch viel mehr, daß niemand dort den Mut hatte, dem offiziell zu widersprechen,
so daß es so aussah, als sei das eine kulturelle Rahmenveranstaltung gewesen. Ich bedauere auch, daß diese jungen Leute nicht früher den Mut hatten, ein solches Schild den NVA-Grenzsoldaten vor Augen zu halten.
Das wäre möglich gewesen. Ich bin froh, daß sie nicht den Mut hatten, eine solche „Provokation" auf dem Bahnhof von Wünsdorf den Soldaten der Roten Armee vor Augen zu führen. Die hätten sich das nicht gefallen lassen. Uns allen ist doch bewußt, daß Deutschland befreit worden ist.
Zumindest wußten wir das vor vielen Monaten noch. Daraus ergibt sich auch das Recht und die Pflicht, andere zu befreien oder anderen Freiheit zu bringen. Darum geht es in diesem Falle - den Frieden zu stabilisieren.
Ich bitte Sie, Herr Schäuble, gleichzeitig: Nehmen Sie die polemische Schärfe aus dieser Debatte; sie ist dieser Sache nicht angemessen.
Sie sollten daraus kein parteipolitisches Kapital schlagen! Das muß ich hier noch einmal deutlich sagen.
Leuten wie mir fällt es außerordentlich schwer, sich in dieser Frage zu einer Entscheidung durchzuringen. Ich habe den Dienst mit der Waffe verweigert, weil ich keiner Armee angehören wollte, die meine Hoffnung auf einen demokratischen Sozialismus in einem Nachbarland zerschlagen hat. Das war der Grund, warum ich diese Armee gemieden habe.
Ich meine, daß die Bundeswehr einen sehr verantwortungsvollen Auftrag hat. Ich kann ihm trotz all der Risiken, die bestehen, zustimmen, weil ich die Hoffnung habe, daß im früheren Jugoslawien Frieden entstehen kann, und weil ich davon überzeugt bin, daß es wahrscheinlich nur auf diese Art und Weise geht.
Herr Kollege Pflüger, bitte.
Herr Kollege Schulz, ich glaube, jeder von uns nimmt Ihnen Ihr persönliches Bekenntnis ab. Wir freuen uns darüber, daß Sie diese Aktion klar abgelehnt haben. Sie müssen nur verstehen: Es hat nichts mit dem Versuch zu tun, aus diesem Vorgang parteipolitisch Kapital schlagen zu wollen,
sondern es hat etwas damit zu tun, daß Meinungsunterschiede, die es gibt, auch offen angesprochen werden müssen.
Ihre Partei hat so bisher nicht geredet. Die Worte, die
Sie gerade ausgesprochen haben, hätten auch
Dr. Friedbert Pflüger
Joschka Fischer in dieser Debatte sehr gut angestanden.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Günter Verheugen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Auftrag, den wir heute der Bundeswehr erteilen wollen, ist in meinen Augen Ausdruck des Vertrauens in unsere Bundeswehr, Ausdruck des Vertrauens, daß die Soldaten, die in diesen Einsatz geschickt werden, zeigen werden, daß es heute eine ganz andere deutsche Armee ist, die auf ehemals jugoslawischem Boden zum Einsatz kommt. Die politische Verantwortung für diesen Einsatz liegt bei uns. Aber die Verantwortung dafür, daß sich dabei auch manifestiert, daß hier ein anderes Deutschland tätig wird, ein Deutschland, das aus seiner Geschichte gelernt hat, liegt auch bei den Soldaten, die in diesen Einsatz geschickt werden. Wir haben das Vertrauen, daß unsere Soldaten ihren Auftrag in diesem Geist erfüllen werden.
Ich fand es nicht angemessen, daß in dieser Debatte das sehr differenzierte und schwierige Urteil des Verfassungsgerichts zum Tucholsky-Zitat noch einmal eine solche Rolle gespielt hat und, wie auch ich es wahrgenommen habe, als innenpolitischer Knüppel verwendet wurde. Ich will darum für meine Fraktion noch einmal klarstellen: Daß Soldaten unserer Bundeswehr nicht zu Mördern werden können, dafür gibt es zwei grundlegende Sicherungen:
Die erste ist die, daß es eine demokratische Kontrolle über unsere Streitkräfte gibt und daß wir unsere Streitkräfte nur entsprechend den Bestimmungen, die unser Grundgesetz enthält, einsetzen werden.
Die zweite Sicherung liegt darin, daß unsere Soldaten nicht jedem Befehl gehorchen müssen. Wenn ihnen ein Befehl erteilt würde, der sie zu Mördern machen würde, dann haben unsere Soldaten nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, sich einem solchen Befehl zu versagen.
Deshalb ist die Frage wichtig, um was für einen Einsatz es nun geht. Wenn man darüber redet, ist das nicht Semantik, sondern eine Frage des Grundverständnisses von Bundeswehreinsätzen. Wir schicken die Soldaten mit unserem heutigen Beschluß nicht in den Krieg. Wir schicken sie in ein Land, für das zum Zeitpunkt des Einsatzes ein Friedensvertrag bestehen wird.
Dieser Frieden muß militärisch gesichert werden. Der Auftrag, diesen Frieden zu sichern, beinhaltet das Recht, zur Erfüllung des Auftrages auch militärische Gewalt anzuwenden. Legitimiert ist dieses
Recht ausschließlich durch das entsprechende Mandat der Vereinten Nationen. Wir haben kein Gewaltmonopol. Das Gewaltmonopol liegt bei den Vereinten Nationen. Das UNO-Mandat wird nicht besagen, daß die internationale Friedenstruppe unter Mitwirkung unserer Bundeswehr gegen eine Kriegspartei kämpft. Das Mandat beinhaltet vielmehr, daß die notwendigen Mittel eingesetzt werden dürfen, um den Friedensauftrag zu erfüllen. Das ist ein großer Unterschied.
Im ehemaligen Jugoslawien stehen Staaten nicht mehr im Kampf gegeneinander. Aber wollen wir denn zulassen, daß marodierende Banden oder irgendwelche Warlords den Willen der Völker zum Frieden unmöglich machen? Das wollen wir nicht.
Ich verstehe, daß der Generalinspekteur vor diesem schwierigsten aller bisherigen Bundeswehreinsätze die Soldaten richtig motivieren muß. Der Generalinspekteur hat aber auch darauf zu achten, daß der möglichst breite Konsens,
den die Soldaten brauchen, um diesen Einsatz durchführen zu können, nicht beschädigt wird durch Äußerungen, die er tut.
Es war zur Motivation der Soldaten nicht notwendig, von „Kampfauftrag" zu reden. Richtig wäre gewesen, davon zu reden, daß bei diesem friedenssichernden Einsatz die Anwendung von militärischer Gewalt unter ganz bestimmten Bedingungen erlaubt ist. Ich hätte es begrüßt, wenn wir die „Rules of engagement" gekannt hätten, bevor wir diesen Einsatz beschließen.
Wendet man sich vom Prinzip einer gewaltfreien Außenpolitik ab, wenn man einem solchen Einsatz zustimmt? Ich glaube, nicht. Für unsere Außenpolitik ist der Gewaltverzicht das unveränderliche und gültige Prinzip, mit dem wir eigene Interessen vertreten. Das haben wir beschlossen, das ist gemeinsame Politik seit langer Zeit. Ich erinnere daran, daß es Gewaltverzichtsverträge gewesen sind, die am Anfang einer Entwicklung standen, die am Ende auch die deutsche Einheit möglich gemacht hat.
Deshalb kann Gewaltverzicht als tragendes Fundament unserer Außenpolitik nicht aufgegeben werden.
Aber wie sieht es dort aus, wo mit blutiger Gewalt Systeme an der Macht bleiben, die die Menschenrechte, die Demokratie, die Menschenwürde mit Füßen treten, verletzen und zugrunde richten? Was ist in den Ländern der Welt, wo Menschen unter Gewalt leiden und danach fragen, wer ihnen aus dieser Gewalt hilft?
Günter Verheugen
Ich sage in Richtung der Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, in Erinnerung einer Auseinandersetzung, die wir in den 80er Jahren gemeinsam geführt haben: Bei der Diskussion um die Frage, ob man bestimmte Befreiungsbewegungen der Dritten Welt unterstützen darf oder nicht - ganz konkret ging es um den ANC in Südafrika -, wurden Kollegen aus der Fraktion der Grünen und ich in diesem Haus als „Freunde von Terroristen und Mördern" bezeichnet,
weil wir der Meinung gewesen sind, daß die unterdrückte Bevölkerungsmehrheit in diesem Land das Recht habe, sich mit Gewalt gegen dieses Unrechtssystem zu wehren.
Damals ist der Begriff „Mörder" sehr leichtfertig verwendet worden. Wenige Jahre später hat der Bundeskanzler - was ich für richtig gehalten habe - dem Idol dieser Befreiungsbewegung seine Aufwartung gemacht. So schnell können sich Zeiten ändern. Ich erwähne das, um zu zeigen, wie vorsichtig man sein muß, wenn man in diesem Zusammenhang über Moral und über Gewissen und vielleicht auch darüber reden möchte, wer irgend etwas schon früher erkannt hat als andere.
Ja, meine Damen und Herren, die Entscheidung heute ist eine Gewissensentscheidung. Aber der Charakter der Gewissensentscheidung besteht nun einmal darin, daß jeder einzelne selber diese Gewissensfrage zu entscheiden hat. Das kann keine Fraktion und keine Mehrheit dieses Hauses beschließen. Darum, Herr Kollege Schäuble, ist ganz unwesentlich, ob bei einer Frage, von der wir akzeptieren, daß sie eine Gewissensfrage ist, Fraktionen geschlossen sind oder nicht. Sie können kein fraktionsmäßig geschlossenes Gewissen erzeugen wollen. Das geht nicht.
Wir können auch keine Antwort darauf geben, wer in dieser Frage die Moral auf seiner Seite hat. Ich teile das, was der Verteidigungsminister bei mehreren Gelegenheiten gesagt hat: daß es in bestimmten Situationen unmoralisch sein kann, die Mittel nicht einzusetzen, die man hat, um Menschen in Not zu helfen. Ich teile diese Überzeugung. Aber ich habe vollen Respekt vor denjenigen, die sagen: Wir haben aus unserer Geschichte etwas anderes gelernt. - Es ist nicht möglich, eine solche Frage mehrheitsmäßig zu entscheiden. Man kann da, wo sich unterschiedliche moralische Überzeugungen gegenüberstehen, nur einen einzigen Weg wählen, nämlich die moralische Überzeugung des jeweils anderen zu respektieren und ihm nicht vorzuwerfen, er habe die falsche.
Meine Damen und Herren, ich möchte noch ein paar zusammenfassende Gedanken zu dieser Debatte vortragen, die uns vielleicht auch über den Tag hinaus weiterführen. Ich beziehe mich vor allen
Dingen auf das, was der Bundeskanzler und der Außenminister gesagt haben.
Was sich als Lehre aus der schrecklichen Krise im ehemaligen Jugoslawien ergibt, ist für mich eines: Die entscheidende Antwort, die Vision für den Frieden in Europa heißt Europa und nicht anders. Deswegen muß uns das eine Lehre sein, die europäische Perspektive, die Politik der europäischen Einigung, das Zusammenführen aller europäischen Völker unter ein gemeinsames Dach in einer gemeinsamen Politik zur Vertretung gemeinsamer Ziele mit aller Energie voranzutreiben. Wenn sich die Idee Europa jemals als notwendig, richtig und zukunftsweisend erwiesen hat, dann gerade jetzt, an diesem Beispiel. Denn das ist doch klar: Hätten wir schon mehr Europa, mehr integriertes, geeintes Europa, dann wäre uns diese schreckliche Krise, dieser schreckliche Krieg erspart geblieben.
Zweiter Punkt. Für uns ist ganz wichtig: Die Instrumente der kollektiven Sicherheit müssen gestärkt werden. Kollege Duve hat auf die herausragende Rolle hingewiesen, die der OSZE in den Verträgen von Dayton zugewiesen wird. Man soll nicht unterschätzen, was es bedeutet, in einem solchem Land Wahlen organisieren zu sollen und dafür zu sorgen, daß demokratische Wahlen wirklich stattfinden.
Wenn wir das aber der OSZE zumuten und ihr zutrauen, dann ist ein entscheidender Punkt, daß diese Organisation in ihren personellen und materiellen Möglichkeiten so gestärkt wird, daß sie das auch kann. Hier darf es kein Versagen geben, meine Damen und Herren.
Dritter Punkt. Es geht nicht darum, auf lange Zeit mit militärischen Mitteln einen Waffenstillstand aufrechtzuerhalten. Es geht darum, wieder eine funktionierende Zivilgesellschaft entstehen zu lassen.
Das können noch so gut ausgebildete Soldaten nicht leisten. Sie können nur den äußeren Schutz dafür bieten, daß andere das tun. Hier stelle ich die Frage: Wo sind die ausgebildeten Peace-keeper unseres Landes? Wo sind diejenigen, die wir zur Verfügung haben, um sie einsetzen zu können als Moderatoren, als Menschen, die neue Institutionen aufbauen, als Menschen, die anderen helfen, wieder ins Gespräch zu kommen und Vertrauen zueinander zu fassen?
Herr Pflüger hat auf das Gespräch hingewiesen, das wir gestern zusammen mit der evangelischen und der katholischen Kirche hatten. Dort ist der Vorschlag entwickelt worden, einen zivilen Friedensdienst in unserem Land aufzubauen. - Ja, meine Damen und Herren, wir brauchen einen solchen zivilen Friedensdienst.
Es wird auf Dauer nicht ausreichen, in Krisensituationen die Bundeswehr das ausbaden zu lassen, was
Günter Verheugen
politisch vermurkst worden ist. Vielmehr wird es notwendig sein, Menschen zur Verfügung zu haben, die diesen sehr schwierigen und sehr anspruchsvollen Dienst zu leisten bereit sind. Wir sollten diese Initiative ernst nehmen und unterstützen.
Meine Damen und Herren, es kündigt sich vielleicht eine neue Ära an, in der Europa seine Sicherheit besser organisiert als bisher. Der Außenminister hat auf die Bedeutung der Mitwirkung Rußlands hingewiesen. Ich möchte ausdrücklich unterstreichen, was es heißt, daß Frankreich gestern in die militärische Integration der NATO zurückgekehrt ist: Das heißt, daß auch in Frankreich die Einsicht gereift ist, daß bestimmte Dinge eben doch gemeinsam gemacht werden müssen. Wir begrüßen diese französische Entwicklung ganz außerordentlich und verbinden damit die Hoffnung, daß sie ein wichtiger Schritt zur Lösung der sicherheitspolitischen Probleme in Europa sein wird.
Die Soldaten der Bundeswehr gehen in einen gefährlichen Einsatz. Darüber sind wir uns einig. Wenn er nicht gefährlich wäre, wenn er nicht militärisch geschützt werden müßte, könnte das Rote Kreuz oder das Technische Hilfswerk ihn durchführen. Wir tragen für diesen Einsatz gemeinsam die politische Verantwortung. Dafür müssen wir uns nicht gegenseitig auf die Schulter klopfen. Lassen Sie mich in allem Ernst sagen: Wir verbinden damit die Hoffnung, daß alle Soldaten, die in diesen Einsatz geschickt werden, bald und gesund zurückkehren.
Wenn das aber nicht geschehen sollte, dann haben wir auch diese Verantwortung gemeinsam zu tragen.
Zum Schluß der Debatte erteile ich das Wort dem Bundesminister Volker Rühe.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man beschließt, Soldaten in einen Einsatz zu schicken, dann muß man sich nicht zuletzt ihnen gegenüber sehr präzise äußern und darf weder verniedlichen noch übertreiben. Deswegen bin ich dankbar, daß von jeder Seite in diesem Hause deutlich gemacht worden ist: Das ist kein Routineeinsatz - das ist ein Einsatz, der mit Risiko verbunden ist. Ich bin gerade auch für die Worte dankbar, die eben gesagt worden sind.
Es ist ein militärischer Einsatz; es ist kein Blauhelmeinsatz . Der Einsatz basiert präzise auf Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen. Die Soldaten sind von den Konfliktparteien in Jugoslawien eingeladen, den geschlossenen Frieden durchzusetzen und zu halten.
Das ist eine ganz andere Grundlage als im Golfkrieg oder wenn es um eine Situation der Bündnis- oder der Landesverteidigung geht, in der ich den Soldaten auch sagen müßte, in welchen Einsatz sie gehen.
Ich habe gestern Soldaten verabschiedet - zunächst als Blauhelme -, die in wenigen Wochen in dieser Friedenstruppe dienen werden. Ich überlege mir sehr genau, was ich ihnen sage. Frau Kollegin Schulte hat recht: Es gibt sehr differenzierte „Rules of engagement". Jeder Soldat hat in Kopie die Anweisung bei sich, in der genau geregelt ist, wann er von der Waffe Gebrauch machen darf und wann nicht. Diese Differenziertheit muß man auch von der Politik erwarten, wenn man sie in dieser besonderen Situation von den Soldaten erwartet.
Es ist wieder eine sehr deutsche Debatte, muß ich sagen. Hören wir uns doch einmal an, wie der amerikanische Präsident - der Bundeskanzler war als Zeuge dabei - in seiner Eigenschaft als Oberbefehlshaber seinen Soldaten den Auftrag erklärt hat. Diese Soldaten gehören mit zu den härtesten Truppen der Welt, „Old Ironsides". Am letzten Sonnabend hat der amerikanische Präsident an die Rufe der Vergangenheit - Zweiter Weltkrieg, Kalter Krieg, Irak, der Kampf gegen den Diktator - erinnert. Er sagte:
Bisher war es jedesmal ein Ruf in den Krieg. Dann fügt er hinzu:
Jetzt ruft Amerika euch erneut zum Dienst. Dieses Mal nicht mit einem Ruf in den Krieg, sondern mit einem Ruf in den Frieden. Die Präsidenten von Bosnien, Kroatien und Serbien haben zugestimmt, vier lange Jahre des Krieges und der Greueltaten zu beenden. Sie haben um eure Hilfe bei der Umsetzung des Friedensabkommens gebeten.
Er sagt weiter:
Drei Jahre lang habe ich mich geweigert, unsere amerikanischen Streitkräfte nach Bosnien zu entsenden, wo sie in einen Krieg hätten einbezogen werden können.
Aber ich möchte, daß ihr zu einer Mission des Friedens dorthin geht.
Dann wendet er sich direkt an die amerikanischen Soldaten und sagt:
Eure Mission: Den vom Krieg erschöpften Menschen zu helfen, den von ihnen gewählten Frieden zu halten - den Frieden, den zu bewahren sie Euch gebeten haben.
Bundesminister Volker Rühe
Ich frage Sie: Warum sollten wir uns weniger differenziert äußern als der amerikanische Präsident?
Ich habe jedenfalls nicht die Absicht, mich martialischer zu äußern als der amerikanische Präsident.
Es ist gut, daß bei der NATO noch einmal festgehalten wurde, daß es ein auf ein Jahr begrenzter Einsatz ist. Der Frieden kann nicht auf Dauer von den Soldaten gesichert werden. Sie können die Versöhnung nicht befehlen, auch nicht mit Waffen herbeiführen.
Der Frieden muß aus dem Innern kommen. Sicherheit können die Soldaten nur am Anfang schaffen. Dann muß sie durch den politischen Prozeß, durch Wahlen und durch den Aufbau eines Rechtsstaates in jedem Teil von Sarajevo, aber auch in Banja Luka - Minderheiten wird es überall geben, und die beste Sicherheit für sie liegt darin, daß in ganz Bosnien-Herzegowina eine Demokratie, ein Rechtsstaat entsteht, daß dort gewählt wird - geschaffen werden.
Ich möchte noch eine Bemerkung in aller Klarheit machen, um Legendenbildungen vorzubeugen. - Nachdem ich mir heute die eine oder andere Kolumne angesehen habe, halte ich das für wichtig. - Ich kann nur jeden auffordern, sich bezüglich der Bewaffnung unserer Soldaten nicht daran zu beteiligen: Es gibt keinerlei Rücksichtnahme aus politischen Gründen. Unser Beschluß ist auf Vorschlag der militärischen Führung in völligem Einvernehmen verabschiedet worden. Ich muß Ihnen in aller Klarheit sagen: Ich würde niemals meine Hand dazu geben, Soldaten Waffen zu verweigern, um politisch irgendwelche Kompromisse einzugehen. Hier muß ich die Opposition wirklich in Schutz nehmen. Kein Sozialdemokrat ist auf mich zugekommen und hat gesagt: Kannst du uns die Zustimmung nicht erleichtern, indem du auf das eine oder andere Waffensystem verzichtest? Das ist Legendenbildung. Gemeinsam tun wir, die politische und militärische Führung, alles für die Sicherheit unserer Soldaten.
Richard Kiessler, der Chefredakteur der „NRZ", hat heute in einem Kommentar ganz nüchtern und präzise formuliert, worum es geht: Man kann nicht das Ende eines blutigen Krieges gutheißen und sich zugleich der Gestaltung des Friedens verweigern. Das heißt, wer ja zu Dayton sagt, muß auch ja zur Friedenstruppe sagen. - Deswegen bin ich darüber froh, daß wir offensichtlich eine breite Mehrheit
bekommen werden. Es ist für die Soldaten vor allen Dingen wichtig, daß wir eine neue Nachdenklichkeit über das haben, was moralisch und was nicht moralisch ist. Ich finde es auch gut, daß in der Debatte deutlich gemacht worden ist, daß die Entscheidung heute für jeden eine Gewissensentscheidung ist.
Wenn man jedoch ehrlich ist - diese Freiheit nehme ich mir -, dann ist es richtig, daß diese Entscheidung heute für einige schwerer ist als für andere. Deshalb möchte ich meinen Respekt vor allem dem Abgeordneten Schulz aus dem östlichen Teil Deutschlands zollen. Auf Grund seiner Biographie und dessen, was er gesagt hat, hat es ein besonderes Gewicht auch gegenüber unseren Soldaten, wenn ihnen hier jemand bescheinigt: Wir erkennen an, daß die Bundeswehr mit einer zutiefst moralischen Mission ins ehemalige Jugoslawien geht. - Deswegen stehe ich nicht an, ihm für eine solche Rede zu danken.
Wir verlangen viel von unseren Soldaten. Wir haben Kollegen im Hohen Hause, beispielsweise den Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses, dessen Sohn als Berufssoldat eingesetzt wird. Der Sohn meines Staatssekretärs gehört zu den Gebirgsjägern, die für die Sicherung des Friedensauftrags eingesetzt werden. Wenn man das vom Feldherrnhügel aus betrachtet - was man nicht tun sollte -, dann ist das nicht so dramatisch. Wenn Sie aber wie ich gestern einen jungen Obergefreiten und seine Frau mit ihrem elf Tage alten Baby erleben, dann kann man zwar vom Feldherrnhügel aus sagen: Das ist alles nicht so schlimm; das ist halt so. Aber wir sollten nie vergessen, auch über Weihnachten nicht, ob wir nun zu Hause oder auf Teneriffa sind - und viele Deutsche sind auf Teneriffa -, was wir von den Soldaten verlangen,
und zwar nicht nur, was das Risiko, sondern auch diese persönlich-emotionalen Dinge angeht. Die Verbündeten verlangen zum Teil noch mehr. Da gehen Vater und Mutter, da gehen Mann und Frau; das sieht ja in den amerikanischen Streitkräften anders aus als bei uns.
Deswegen meine herzliche Bitte: Lassen Sie, auch wenn Sie geborgen sind in der Stimmung von Weihnachten und des Urlaubs, die Soldaten spüren, daß wir fühlen, daß wir von ihnen viel verlangen, nicht nur im Hinblick auf das Risiko, sondern auch im Hinblick auf ihren ganz persönlichen Beitrag, damit die Menschen in Bosnien das erste Mal nach vier Jahren ein besseres Weihnachten erleben. Deswegen gehen unsere Soldaten dorthin.
Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Es ist eine Vielzahl von Erklärungen zu Protokoll gegeben worden, und zwar von Frau Annelie Buntenbach und elf Abgeordneten, von dem Kollegen Gilges und 47 Abgeordneten, von der Kollegin Vollmer und dem Kollegen Kunick, von dem Kollegen Kuhlwein und 47 Abgeordneten, von dem Kollegen Professor Rochlitz, von Frau Eichstädt-Bohlig, von Volker Beck und Andrea Fischer, von Klaus Barthel und vier Abgeordneten, von der Kollegin Kerstin Müller und von der Kollegin Marieluise Beck.*)
Es gibt weiter den Wunsch auf fünf mündliche Erklärungen, und zwar von der Kollegin Altmann , Nachtwei, Beer, Dr. Höll und Professor Heuer.
Angesichts der Vielzahl dieser persönlichen Erklärungen und der außerordentlichen zeitlichen Terminierung, in der wir auch mit Rücksicht auf angesetzte Ausschußsitzungen stehen, möchte ich - was mir schwerfällt, aber mir bleibt nichts anderes übrig - das Wort zur Abgabe dieser persönlichen Erklärungen erst nach der namentlichen Abstimmung geben.
Damit, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, kommen wir zu den Abstimmungen, und zwar zunächst zur Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Gruppe PDS „Kein Einsatz der Bundeswehr im früheren Jugoslawien", Drucksache 13/ 3183. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/3127 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur deutschen Beteiligung an den militärischen Maßnahmen zur Absicherung des Friedensvertrages für Bosnien-Herzegowina, Drucksache 13/3183, ab. Der Auswärtige Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Bundesregierung auf Drucksache 13/3122 anzunehmen.
Die Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. verlangen namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen besetzt? - Das ist offensichtlich der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. -
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis dieser Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben.")
Wir setzen die Abstimmungen fort und kommen zum Antrag der Gruppe der PDS zu Frieden und Wiederaufbau im früheren Jugoslawien, Drucksache 13/3078. Wer stimmt für den Antrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
*) Anlagen 2 bis 7 * *) Seite 6673 B
Wir kommen zur Abstimmung über den gemeinsamen Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der F.D.P. zur Lage der Menschen in den Staaten des ehemaligen Jugoslawiens und zu den Bedingungen für die rasche Hilfe beim Wiederaufbau nach dem Friedensschluß, Drucksache 13/2978 . Wer stimmt für diesen interfraktionellen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Der Antrag ist mit den Stimmen aller Fraktionen des Hauses gegen die Stimmen der Gruppe der PDS angenommen.
Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/3136 sowie der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. auf Drucksache 13/3220. Zunächst war vorgesehen, über die Entschließungsanträge heute abzustimmen. Zwischenzeitlich haben sich die Antragsteller jedoch darauf verständigt, die Anträge zu überweisen, und zwar zur federführenden Beratung an den Innenausschuß und zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuß sowie den Rechtsausschuß. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Die gibt es nicht. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Da wir auf die Auszählung der Stimmen jetzt nicht zu warten brauchen, können wir jetzt die persönlichen Erklärungen entgegennehmen.
Soeben hat noch die Kollegin Gila Altmann ihre persönliche Erklärung zu Protokoll gegeben.') Als erster darf ich Ihnen, Frau Kollegin Altmann, das Wort geben.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin 1943 geboren. Meine ersten eineinhalb Lebensjahre habe ich zum größten Teil im Luftschutzbunker verbracht. Die Nachkriegszeit erlebte ich mit Hunger und Not. 1955 verfolgte ich als Kind die Diskussion über den Wiederaufbau einer deutschen Armee in Ost und West mit großen Ängsten. Krieg und Armee - das hatte ich erfahren - gehören unauflösbar zusammen.
In den darauffolgenden Jahren als Jugendliche führte ich mit Freunden und Freundinnen intensive Friedensdebatten. Viele meiner Freunde und auch meine Brüder haben den Kriegsdienst verweigert und Zivildienst geleistet.
1979 habe ich den NATO-Nachrüstungsdoppelbeschluß als existentielle Bedrohung empfunden. Das war auch der Beginn meiner politischen Tätigkeit, die Mitarbeit in der Friedensinitiative. 1982 - die große Friedensdemonstration in Bonn - und 1983 - die Ostermärsche - waren für mich Stationen zu massivem Widerstand gegen die Aufrüstung.
1989 hatte ich nach dem demokratischen Aufbruch im Osten Europas die Hoffnung auf eine friedlichere Welt. Die Enttäuschung bei mir über die verpaßten Chancen dieser Jahre ist groß. Wie ich sehen auch meine Söhne, die beide Zivildienst geleistet haben, in den 1995 und 1996 anstehenden Kampfeinsätzen
*) Anlage 7
Elisabeth Altmann
der Bundeswehr im früheren Jugoslawien eine Vorbereitung zu Einsätzen in der ganzen Welt.
Mein Sohn, 22 Jahre alt, sagte zu mir, das Schlimmste für ihn, wenn er dort Soldat wäre, wäre, einen anderen jungen Menschen töten zu müssen und damit die Hoffnungen und Träume eines jungen Lebens zu zerstören.
Ich bin mir sicher: Nur zivile Friedensmaßnahmen - darüber ist heute sehr wenig diskutiert worden -, Konfliktschlichtung und Katastrophenhilfe schützen letztendlich die Menschen vor weiterem sinnlosen Morden und Zerstörung durch Krieg und Militär.
Ich bin der festen Überzeugung, daß wir aus der Geschichte heraus dazu unseren Beitrag leisten müßten, und diesen habe ich heute nicht deutlich genug herausgehört. Das ist ein schlechter Tag für mich, weil ich sehe, daß darauf heute kaum ein Gedanke verschwendet wurde. Deshalb kann ich dem Einsatz der Bundeswehr im früheren Jugoslawien nicht zustimmen.
Frau Kollegin Dr. Barbara Höll hat ihren Beitrag ebenfalls zu Protokoll gegeben.*)
Das Wort hat jetzt der Kollege Winfried Nachtwei.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich danke, daß jetzt wenigstens noch einige anwesend sind, wenn auch möglicherweise aus vorausschauenden Gründen.
Der Bundestag hatte heute über die Vorlage der Bundesregierung zum deutschen militärischen Beitrag zur Umsetzung des Dayton-Friedensvertrages abzustimmen, nicht mehr und nicht weniger. Dieser deutsche Beitrag ist alternativlos geplant worden und war de facto schon vor der Abstimmung beschlossen. Abgeordnete der Opposition hatten hierzu wohl ein Beratungsrecht, einen Einfluß auf die Entscheidung und die Modalitäten des deutschen militärischen Beitrages hatten sie in keinem Moment. Insofern bedeutet unsere Stimmabgabe, den deutschen militärischen Beitrag in der geplanten Form abzusegnen oder eine solche Blankovollmacht zu verweigern.
Ich stehe vor den Fragen: Erstens. Ist der deutsche militärische Beitrag in dieser Form notwendig und zu verantworten? Zweitens. Welche Auswirkungen haben Stellungnahmen von uns Grünen dazu?
Der Vertrag von Dayton ist ungerecht, bitter, problematisch, höchst unsicher, aber er ist die einzige Chance, nach vier Jahren eines gräßlichen Krieges zu einem Frieden zu kommen. Auch wenn der Ver-
*) Anlage 7
trag ein breites Spektrum an Politikbereichen abdeckt, so haben in der Umsetzung und in der Finanzverteilung die militärischen Anteile eindeutig Vorrang. Schon jetzt deutet sich wieder eine Vernachlässigung des gesellschaftlichen Friedensprozesses an.
Der deutsche Beitrag geht vor allem angesichts des Tornado-Einsatzes über friedenserhaltende Maßnahmen deutlich hinaus. Eine eventuelle Aufstockung und Nachführung schwerer Waffen zu dem deutschen Beitrag ist offengelassen.
Beunruhigende Widersprüche zeigen sich bei den Rules of engagement, also den militärischen Verhaltensregeln. Am letzten Wochenende sagte Präsident Clinton in Baumholder zu seinen Soldaten: „Die wichtigste Einsatzregel lautet in großen, fetten Buchstaben: Wenn ihr mit Angriff bedroht werdet, dürft ihr sofort und mit entschiedener Kraft antworten." Solche „kräftigen" Aussagen ziehen diese zunächst einmal doch so zurückhaltend formulierten Rules of engagement in Frage.
Bei aller Notwendigkeit, die Umsetzung des Waffenstillstandes zu unterstützen: Schon angesichts dieser erheblichen Bedenken kann ich den deutschen Beitrag in der geplanten Form nicht mitverantworten.
Für die Durchsetzung des Waffenstillstandes ist die Stimme der Grünen ohne realen Belang. Sie hat allerdings erhebliche Bedeutung als politisches Signal hierzulande. Ich kann und will nicht nachträglich eine Politik absegnen, die über Jahre von dem Vorrang nationaler Interessenpolitik, von der sträflichen Vernachlässigung nichtmilitärischer Einwirkungsmöglichkeiten und Zwangsmittel und von der Ignoranz gegenüber friedensbereiten gesellschaftlichen Kräften in Ex-Jugoslawien gekennzeichnet war. Ich will nicht nachträglich eine Politik absegnen, die darauf ausgerichtet war, die Vereinten Nationen zugunsten der NATO zu entmachten.
Der deutsche militärische Beitrag ist in das Friedensabkommen eingebunden und insofern in keiner Weise mit Aggressionseinsätzen deutschen Militärs in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts vergleichbar. Zugleich ist dieser bisher größte und riskanteste Auslandseinsatz der Bundeswehr ein weiterer entscheidender Schritt beim Ausbau der Bundeswehr zu einer Truppe für weltweite Kampfeinsätze. Diesem Irrweg widersetzen sich die Grünen weiterhin und insgesamt,
egal, wie wir heute abgestimmt haben.
Ich will dieser gefährlichen und kurzsichtigen Entwicklung auch nicht ungewollt Vorschub leisten.
In der öffentlichen Wahrnehmung und in der offiziellen Politik spielen Konfliktvorbeugung und zivile Konfliktbearbeitung eine höchst untergeordnete Rolle. Auf dem Papier werden sie beschworen, in der realen Politik aber spielen sie eine untergeordnete
Winfried Nachtwei
Rolle. Auf der anderen Seite erfährt das Militärische überall eine Vorzugsbehandlung, und zwar zunehmend. Eine Zustimmung der Grünen zu dem jetzigen Bundeswehreinsatz wird, ob man will oder nicht, als Hinwendung zum Militärischen interpretiert. Diese Botschaft ist falsch. Sie wird aber überwiegen.
Aus all diesen Gründen habe ich gegen den deutschen militärischen Beitrag in der geplanten Form gestimmt. Ich respektiere meine Fraktionskolleginnen und -kollegen, die in dem Dilemma der jetzigen Situation zu einer anderen Entscheidung kommen, voll und ganz. Ich weiß aus Erfahrung, daß uns weiter der entschiedene Einsatz für die Menschenrechte und die nichtmilitärische Form der Konfliktbearbeitung verbindet. Dafür zu arbeiten ist unsere hervorragende Aufgabe.
Frau Kollegin Angelika Beer.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte für die Abgeordneten Annelie Buntenbach, Amke Dietert-Scheuer, Monika Knoche, Steffi Lemke, Halo Saibold, Irmingard Schewe-Gerigk, Ursula Schönberger, Marina Steindor, Christian Sterzing, Ludger Volmer und Helmut Wilhelm sowie für mich selber, Angelika Beer, nur auszugsweise begründen, warum wir uns entschieden haben, den Regierungsantrag abzulehnen.
Wir wollen mit unserer Erklärung klarmachen, daß wir nicht den Prozeß von Dayton ablehnen. Auch wir haben die Hoffnung, daß dadurch das Leiden für die Menschen dort endlich beendet wird.
Wir bedauern, daß die Möglichkeiten der UNO, unterhalb des Kampfeinsatzes einen Friedensprozeß zu gestalten, durch die NATO ohne Not ausgehebelt wurden.
Es ist uns wichtig, darauf hinzuweisen, daß der Bundestag heute nicht über Dayton abgestimmt hat. Wir haben vielmehr über eine Kabinettsvorlage über eine freiwillige Beteiligung der Bundeswehr an einem Kampfeinsatz nach Kapitel VII der UN-Charta abgestimmt. Wir kritisieren, daß dies ein Vorratsbeschluß ist. Wir kritisieren auch, daß wir Beschlüsse fassen und Soldaten in diese Situation schicken, obwohl der Friedensvertrag noch nicht unterzeichnet und von der UNO nicht mandatiert ist.
Wir halten aber insbesondere fest: Der Inhalt der Beschlußvorlage zeigt deutlich, daß es der Bundesregierung nicht um eine breite Zustimmung im Deutschen Bundestag zu friedensbewahrenden und humanitären Hilfsmaßnahmen in Bosnien geht.
Die Bundesregierung will diese Situation vielmehr
politisch ausnutzen, um von der Opposition auch
noch die Zustimmung zu ihrer militärischen Konzeption der Vermischung von peace keeping und Kampfeinsätzen zu erhalten.
Dies, nicht den Friedensbeschluß von Dayton, lehnen wir in der sehr ausführlichen schriftlichen Erklärung ab.
Ich erteile dem Kollegen Professor Uwe-Jens Heuer das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir, mein Abstimmungsverhalten aus meinem Leben zu begründen. Das ist wohl die persönlichste Begründung, die es gibt.
Ich gehöre zu jener Generation, die den Zweiten Weltkrieg als Jugendlicher bewußt erlebt hat. Sie wurde in der alten Bundesrepublik als Flakhelfergeneration bezeichnet. Wir haben damals nach dem Krieg gesagt: „Nie, nie wollen wir Waffen tragen, nie, nie wollen wir wieder Krieg, laßt doch die oben sich alleine schlagen, wir machen einfach nicht mehr mit!" Ich habe meinen Kindern nie Kriegsspielzeug gegeben; meine Enkel sind wieder in der Versuchung.
Ich war sehr glücklich darüber, daß beide deutschen Staaten bis 1990 sehr zurückhaltend waren, daß die DDR nicht in Afghanistan, die Bundesrepublik Deutschland nicht in Vietnam mitgewirkt hat. Es sind hier wohl einige im Saal, denen es ebenso ging.
Ich war auch sehr damit einverstanden, daß beide deutschen Staaten immer wieder erklärt haben: „Von deutschem Boden soll nie wieder Krieg ausgehen".
Ich bin jetzt auf das tiefste beunruhigt - das begründet mein Abstimmungsverhalten -, daß Schritt für Schritt der Weg zum Krieg beschritten wird,
nicht so laut, aber leise, über verschiedene Schritte: Kampuchea, Somalia - Sie wissen das alle.
Herr Schäuble hat heute erklärt, Völkermord sei nicht entscheidend. Ich fürchte, daß wir immer neue und immer andere Begründungen für solche Aktionen finden werden. Das macht mir Angst.
Es ist heute schon darauf hingewiesen worden, daß im Jahr 1993 erklärt worden ist, es gehe um den Zugang zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt. Der Bundesverteidigungsminister hat einmal erklärt: Es geht um den Schutz der Grundwerte der Familie freier Nationen und um den Export von Demokratie und Sicherheit. Es geht also um sehr viel mehr: Es
Dr. Uwe-Jens Heuer
geht um einen langfristigen, mich tief beunruhigenden Prozeß.
Ich bin auch bestürzt, daß heute Tucholsky am Pranger stand. Ich halte das für nicht gut.
Lassen Sie mich noch etwas sagen. Was mich stört, ist das, was ich die Unaufrichtigkeit dieses Jahrhunderts nennen möchte: Es wird nie mehr vom Krieg geredet. Es werden immer nur Worte gebildet, die mit Frieden zusammengesetzt worden sind. Hier ist heute sowohl von Herrn Schäuble wie von Herrn Scharping von Durchsetzung des Friedens gesprochen worden. Durchsetzung des Friedens kann offensichtlich auch militärischer Einsatz und kann auch Krieg heißen. Klaus Naumann hat vorgestern ausdrücklich von Kampfeinsätzen gesprochen. Ob man das nun auf deutsch oder auf englisch sagt, ob man von peace implementation, von peace enforcement oder eben von Kampfeinsätzen spricht, es geht um die Gefahr des Krieges.
Ich sage nicht, daß die heutige Entscheidung Krieg bedeutet, aber wir geben mit dieser Abstimmung die Entscheidung über Krieg und Frieden in andere Hände. Die Truppen dort stehen, wie Sie wissen, unter dem Befehl der NATO, sie stehen unter dem Befehl eines USA-Generals. Es liegt nicht mehr in der Hand dieses Parlaments, ob dort Krieg geführt wird. Deshalb bin ich nicht in der Lage, diesem heutigen Beschluß meine Zustimmung zu geben.
Ich gebe das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur deutschen Beteiligung an den militärischen Maßnahmen zur Absicherung des Friedensvertrags für Bosnien-Herzegowina, Drucksachen 13/3122 und 13/3183, bekannt. Abgegebene Stimmen 656. Mit Ja haben gestimmt 543. Mit Nein haben gestimmt 107. Ihrer Stimme enthalten haben sich 6. Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 656; davon
ja: 543
nein: 107
enthalten: 6
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Altmaier
Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz
Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten
Dr. Wolf Bauer
Brigitte Baumeister
Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank
Dr. Heribert Blens Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig
Rudolf Braun Paul Breuer
Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Klaus Bühler Hartmut Büttner
Dankward Buwitt Peter Harry Carstensen
Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Gertrud Dempwolf Albert Deß
Renate Diemers Werner Dörflinger Hansjürgen Doss Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn
Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Horst Eylmann
Anke Eymer
Ilse Falk
Jochen Feilcke Dr. Karl H. Fell Ulf Fink
Dirk Fischer Leni Fischer (Unna)
Klaus Francke Herbert Frankenhauser Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger
Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler Michael Glos
Wilma Glücklich
Dr. Reinhard Göhner Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres
Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund
Horst Günther Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke
Gerda Hasselfeldt Rainer Haungs
Otto Hauser Hansgeorg Hauser
Klaus-Jürgen Hedrich Manfred Heise
Dr. Renate Hellwig Ernst Hinsken Peter Hintze
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster
Hubert Hüppe Peter Jacoby
Susanne Jaffke Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst
Dr.-Ing. Rainer Jork Michael Jung Ulrich Junghanns
Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder
Peter Keller
Eckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Hans Klein Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl Hans-Ulrich Köhler
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus
Wolfgang Krause Andreas Krautscheid Arnulf Kriedner Heinz-Jürgen Kronberg Dr.-Ing. Paul Krüger Reiner Krziskewitz
Dr. Hermann Kues Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers
Karl Lamers
Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp
Armin Laschet
Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann Werner Lensing Christian Lenzer Peter Letzgus
Editha Limbach Walter Link Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann
Julius Louven
Sigrun Löwisch
Heinrich Lummer Dr. Michael Luther
Erich Maaß Dr. Dietrich Mahlo
Erwin Marschewski Günter Marten
Dr. Martin Mayer
Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl
Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz
Rudolf Meyer Hans Michelbach Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Elmar Müller Engelbert Nelle
Bernd Neumann
Vizepräsident Hans Klein Johannes Nitsch
Claudia Nolte Dr. Rolf Olderog Friedhelm Ost Eduard Oswald
Norbert Otto
Dr. Gerhard Päselt
Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch
Ulrich Petzold Anton Pfeifer Angelika Pfeiffer Dr. Gero Pfennig
Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp
Dr. Winfried Pinger
Ronald Pofalla
Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff
Dr. Albert Probst Dr. Bernd Protzner
Dieter Pützhofen Thomas Rachel Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Rolf Rau
Helmut Rauber Peter Harald Rauen
Otto Regenspurger
Christa Reichard Klaus Dieter Reichardt
Dr. Bertold Reinartz
Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik
Roland Richter Roland Richwien Dr. Norbert Rieder
Dr. Erich Riedl Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber Hannelore Rönsch
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Adolf Roth Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers
Roland Sauer Ortrun Schätzle
Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte
Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee Ulrich Schmalz Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt Dr.-Ing. Joachim Schmidt
Andreas Schmidt Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz
Michael von Schmude
Birgit Schnieber-Jastram Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff
Dr. Dieter Schulte
Gerhard Schulz (Leipzig) Frederick Schulze Diethard Schütze (Berlin) Clemens Schwalbe
Dr. Christian Schwarz-Schilling
Horst Seehofer Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert
Rudolf Seiters Johannes Selle Bernd Siebert Jürgen Sikora
Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm
Max Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Egon Susset
Dr. Rita Süssmuth Michael Teiser
Dr. Susanne Tiemann
Dr. Klaus Töpfer Gottfried Tröger
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall
Dr. Horst Waffenschmidt
Dr. Theodor Waigel
Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Jürgen Warnke
Kersten Wetzel
Hans-Otto Wilhelm Gert Willner
Bernd Wilz
Willy Wimmer Matthias Wissmann
Simon Wittmann
Dagmar Wöhrl Michael Wonneberger
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer Wolfgang Zeitlmann
Benno Zierer Wolfgang Zöller
SPD
Gerd Andres
Hermann Bachmaier Ernst Bahr
Doris Barnett
Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt Hans Berger
Hans-Werner Bertl
Dr. Ulrich Böhme Arne Börnsen (Ritterhude) Tilo Braune
Dr. Eberhard Brecht Edelgard Bulmahn Ursula Burchardt
Hans Büttner Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi
Dr. Herta Däubler-Gmelin Karl Diller
Rudolf Dreßler Freimut Duve Ludwig Eich Peter Enders Petra Ernstberger Annette Faße Elke Ferner
Lothar Fischer Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Dagmar Freitag Anke Fuchs
Katrin Fuchs
Monika Ganseforth
Norbert Gansel Iris Gleicke
Günter Gloser Dr. Peter Glotz
Dieter Grasedieck Achim Großmann Karl-Hermann Haack
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann Manfred Hampel Alfred Hartenbach
Dr. Liesel Hartenstein
Klaus Hasenfratz
Dr. Ingomar Hauchler
Dieter Heistermann Reinhold Hemker Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Reinhold Hiller Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann Frank Hofmann (Volkach) Erwin Horn
Eike Hovermann Lothar Ibrügger Wolfgang Ilte Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen
Dr. Uwe Jens
Volker Jung Sabine Kaspereit Susanne Kastner
Ernst Kastning Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner Marianne Klappert Hans-Ulrich Klose
Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Nicolette Kressl Volker Kröning Thomas Krüger Eckart Kuhlwein Christine Kurzhals Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange Detlev von Larcher
Robert Leidinger Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard Klaus Lohmann Winfried Mante Christoph Matschie
Ingrid Matthäus-Maier Markus Meckel
Ulrike Mehl
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer Ursula Mogg
Siegmar Mosdorf
Jutta Müller Christian Müller (Zittau) Volker Neumann (Bramsche) Gerhard Neumann (Gotha) Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese Doris Odendahl Leyla Onur
Manfred Opel Kurt Palis
Albrecht Papenroth Dr. Wilfried Penner Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Dr. Eckhart Pick Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse
Renate Rennebach Dr. Edelbert Richter Reinhold Robbe Gerhard Rübenkönig
Gudrun Schaich-Walch Dieter Schanz
Rudolf Scharping Bernd Scheelen Siegfried Scheffler Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten Günter Schluckebier
Ulla Schmidt Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Regina Schmidt-Zadel
Dr. Emil Schnell Walter Schöler Ottmar Schreiner Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
Brigitte Schulte Reinhard Schultz
Volkmar Schultz (Köln)
Ilse Schumann
Dietmar Schütz Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Lisa Seuster
Johannes Singer
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge
Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller
Dr. Peter Struck Joachim Tappe
Dr. Bodo Teichmann Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin
Vizepräsident Hans Klein Günter Verheugen
Karsten D. Voigt Josef Vosen
Hans Georg Wagner Hans Wallow
Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis Matthias Weisheit Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen Jochen Welt
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Norbert Wieczorek Helmut Wieczorek Dieter Wiefelspütz
Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf
Heidi Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Marieluise Beck Matthias Berninger Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid
Joseph Fischer Rita Grießhaber
Gerald Häfner
Antje Hermenau Dr. Manuel Kiper
Dr. Angelika Köster-Loßack Vera Lengsfeld
Dr. Helmut Lippelt Oswald Metzger Cem Özdemir
Gerd Poppe
Christine Scheel Rezzo Schlauch Waltraud Schoppe Werner Schulz Rainder Steenblock Dr. Antje Vollmer
Margareta Wolf
F.D.P.
Ina Albowitz
Dr. Gisela Babel Hildebrecht Braun
Günther Bredehorn Jörg van Essen
Dr. Olaf Feldmann Gisela Frick
Paul K. Friedhoff Horst Friedrich
Rainer Funke
Hans-Dietrich Genscher
Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Dr. Burkhard Hirsch Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Detlef Kleinert Roland Kohn
Dr. Heinrich L. Kolb Jürgen Koppelin
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Heinz Lanfermann
Sabine LeutheusserSchnarrenberger Uwe Lühr
Jürgen W. Möllemann Günther Friedrich Nolting
Dr. Rainer Ortleb Lisa Peters
Dr. Günter Rexrodt Dr. Klaus Röhl
Helmut Schäfer Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard Schwaetzer
Dr. Hermann Otto Solms Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Weng
Nein
CDU/CSU
Manfred Carstens
SPD
Brigitte Adler Klaus Barthel
Friedhelm Julius Beucher Rudolf Bindig
Lilo Blunck
Anni Brandt-Elsweier
Hans Martin Bury
Christel Deichmann
Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen
Arne Fuhrmann Konrad Gilges
Günter Graf Angelika Graf (Rosenheim) Christel Hanewinckel
Uwe Hiksch Ingrid Holzhüter
Barbara Imhof Ilse Janz
Horst Kubatschka
Konrad Kunick Waltraud Lehn Christa Lörcher Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß
Dorle Marx Ulrike Mascher
Heide Mattischeck
Michael Müller Günter Oesinghaus
Adolf Ostertag Otto Reschke Bernd Reuter Günter Rixe
Dr. Hansjörg Schäfer Horst Schmidbauer
Dagmar Schmidt Heinz Schmitt (Berg)
Gisela Schröter
Dr. R. Werner Schuster
Dr. Angelica Schwall-Düren Horst Sielaff
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler
Jörg Tauss
Margitta Terborg
Jella Teuchner
Adelheid Tröscher Ute Vogt Hildegard Wester
Heidemarie Wieczorek-Zeul Berthold Wittich
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Gila Altmann Elisabeth Altmann
Volker Beck (Köln) Angelika Beer
Annelie Buntenbach Amke Dietert-Scheuer Andrea Fischer Monika Knoche
Steffi Lemke
Kerstin Müller Winfried Nachtwei Christa Nickels
Simone Probst
Dr. Jürgen Rochlitz Halo Saibold
Irmingard Schewe-Gerigk Ursula Schönberger Marina Steindor
Christian Sterzing Manfred Such
Ludger Volmer
Helmut Wilhelm
PDS
Wolfgang Bierstedt Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva-Maria Bulling-Schröter Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Ludwig Elm
Dr. Dagmar Enkelmann
Dr. Ruth Fuchs Dr. Gregor Gysi Hanns-Peter Hartmann
Dr. Uwe-Jens Heuer
Dr. Barbara Höll Dr. Willibald Jacob Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Köhne
Rolf Kutzmutz Andrea Lederer Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth
Dr. Günther Maleuda Manfred Müller
Rosel Neuhäuser Dr. Uwe-Jens Rössel
Steffen Tippach Klaus-Jürgen Warnick
Dr. Winfried Wolf
Gerhard Zwerenz
Enthalten
SPD
Dr. Hermann Scheer
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Albert Schmidt Wolfgang Schmitt
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde
- Drucksache 13/3180 -
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie auf. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Bernd Neumann zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 27 der Abgeordneten Barbara Hendricks auf:
Läßt es das Berufsbildungsgesetz in seiner heute gültigen Fassung von 1969 zu, daß Auszubildende einen nicht unerheblichen Teil ihrer Ausbildungszeit im EU-Nachbarland verbringen?
Ich bitte Sie, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, um Beantwortung.
Mit Zustimmung des Präsidenten und der Kollegin Hendricks möchte ich die Fragen 27 und 28 gern im Zusammenhang beantworten.
Sind Sie einverstanden, Frau Kollegin?
Ja.
Dann rufe ich auch die Frage 28 der Abgeordneten Barbara Hendricks auf:
Welche gesetzlichen Vorgaben behindern die Entwicklung binationaler Berufsausbildungen, einschließlich binationaler Abschlüsse, im Rahmen der EU, und in welcher Weise unterstützt die Bundesregierung solche zukunftsweisenden Vorhaben im Bereich der beruflichen Erstausbildung, um den Fachkräftebedarf zu decken und die Qualifizierung für den EU-Arbeitsmarkt im jeweiligen Grenzbereich voranzutreiben?
Bitte.
Das Berufsbildungsgesetz läßt derartige Ausbildungsaufenthalte im Ausland zu. In der Praxis werden unterschiedliche Modelle angewandt. Je nach der Ausgestaltung der Absprachen zwischen Ausbildungsbetrieben, Auszubildenden und den zuständigen Kammern werden Auslandsphasen oder Berufspraktika bei Partnerbetrieben oder im Ausbildungsverbund als anrechenbarer Bestandteil der Ausbildung gemäß § 28 Abs. 1 des Berufsbildungsgesetzes oder zusätzlich hierzu absolviert. Einzelne Ausbildungsgänge, die zu binationalen Abschlüssen führen, werden zur Zeit vornehmlich im grenznahen Bereich in der Verantwortung der zuständigen Kammern erprobt. Probleme hinsichtlich der Vereinbarung derartiger Ausbildungsaufenthalte im Ausland sind bisher nicht bekannt geworden. Die Bundesregierung unterstützt solche Entwicklungen. Ihre nähere Ausgestaltung hängt auch von den Gegebenheiten der ausländischen Partner, insbesondere von der Prüfungsrelevanz der Ausbildungsinhalte, geeigneten Ausbildungsstätten und Personal ab. Das BMBF hat mit mehreren europäischen Staaten bilaterale Austauschverfahren vereinbart, schwerpunktmäßig seit über 15 Jahren mit Frankreich, und diese mit erheblichen Bundesmitteln gefördert. Mit den Niederlanden stehen entsprechende Verhandlungen kurz vor dem Abschluß.
Zusatzfrage, Frau Kollegin?
Eine solche Frage, Herr Parlamentarischer Staatssekretär hat immer einen konkreten Hintergrund. Wie beurteilen Sie den Ermessensspielraum der jeweiligen Kammern, die für die Prüfungsordnung zuständig sind, was die Dauer eines solchen Auslandsaufenthaltes anbelangt? Konkreter Hintergrund ist zum Beispiel die Tatsache, daß die Industrie- und Handelskammer Duisburg, Wesel, Kleve einen länger als vierwöchigen Auslandsaufenthalt ablehnt. Konkreter Hintergrund ist auch, daß es sich um eine Ausbildung im Hotel- und Gaststättenbereich handelt, der der Internationalität gerade im Grenzraum bedarf, und eine Mindestsprachfähigkeit auch in einem vierwöchigen Aufenthalt nicht erworben werden kann, welches eine Begleiterscheinung eines längeren Aufenthaltes wäre. Würden Sie den Industrie- und Handelskammern bzw. den Handwerkskammern recht freie Hand geben, was einen längeren Aufenthalt im Ausland angeht?
Ihre Ausgangsfrage bezieht sich auf das Berufsbildungsgesetz. Unsere in diesem Zusammenhang bestehende Zuständigkeit und die Antwort auf diesen von Ihnen geschilderten konkreten Einzelfall lautet: Das Berufsbildungsgesetz hindert rein formal keinen daran, über die übliche Länge von drei bis vier Wochen Auslandsaufenthalt hinauszugehen. Das erst einmal vorweg.
Darüber hinaus ist festzustellen, daß sich die Problematik, die in Ihrer Frage angesprochen worden ist, nur auf geringe Fälle prozentual beziehen kann, denn in der Regel betragen die Auslandsaufenthalte im Rahmen des Dualen Systems drei bis vier Wochen. Es ist auch einvernehmlich mit den jeweiligen Partnern so besprochen und wird als ausreichend akzeptiert. Darüber hinaus gibt es aber eine Reihe von Einzelfällen, die über dieses Stadium hinausgehen. Es ist durchaus nachvollziehbar, daß insbesondere in einem Bereich, den Sie angesprochen haben, also Hotel- und Gaststättenbereich, aber auch zum Beispiel in Bereichen wie Fremdsprachensekretärinnen oder Speditionskaufleuten ein längerer Aufenthalt durchaus sinnvoll sein kann. Es ist nur wichtig, daß in den anderen Fällen auch die vereinbarten Mechanismen greifen, das heißt, die an der Ausbildung Beteiligten und Verantwortlichen - das sind insbesondere die zuständigen Kammern - unterhalten sich mit dem jeweiligen Partner auf der anderen Seite und müssen zu Ergebnissen kommen. Es wäre verfehlt, wenn wir auf Bundesebene ganz konkret bestimmte Grenzen ziehen oder sagen, in jedem Fall muß diese Grenze erweitert werden. Denn wer kann besser vor Ort beurteilen, wann es sinnvoll ist, Auslandsaufenthalte auszudehnen? Abschließend finde ich schon, daß bei diesen Bereichen, die Sie angesprochen haben, sehr wohlwollend zu prüfen ist, ob nicht auch längere Aufenthalte im Sinne des Ausbildungszieles stehen. Aber dies zu beantworten muß Sache der betroffenen und zuständigen Stellen sein.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Kollegin.
Sie haben in Ihrer ersten Antwort auf meine Frage davon gesprochen, daß Sie in Verhandlungen mit der niederländischen Seite stehen, um zu binationalen Abschlüssen zu kommen. Können Sie mir näher erläutern, welchen Stand diese Verhandlungen haben und wann Sie mit Ergebnissen rechnen?
Ich kann Ihnen sagen, daß die Verhandlungen kurz vor dem Abschluß stehen. Was die Einzelheiten angeht, bin ich nicht in der Lage, Sie Ihnen vorzutragen. Ich bin aber gerne bereit, Ihnen das schriftlich nachzureichen, wenn Sie wissen wollen, worum es bei diesen Verhandlungen im einzelnen geht. Wir stehen aber vor einem alsbaldigen Abschluß.
Danke. Ich wäre damit sehr einverstanden, wenn Sie mir den Stand bzw. bald das Ergebnis mitteilen könnten.
Ich rufe die Frage 29 auf, die der Kollege Walter Schöler gestellt hat:
Wie reagiert die Bundesregierung auf die Hochschulfinanzierungen in anderen Staaten, bei denen die Hochschulen und die Lehrstuhlinhaber ihre Leistungen auf dem Gebiet der Forschung sowie für Gutachten und Planungen akquirieren und wesentliche Teile der hieraus erzielten Einnahmen an die Hochschule abführen, und gibt es Überlegungen, hierüber Gespräche mit den Bundesländern aufzunehmen?
Bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Auch in der Bundesrepublik Deutschland werden Drittmittel, um die es in Ihrer Frage geht, in erheblichem Umfang von Hochschullehrern eingeworben, die zur Finanzierung des Hochschulsystems beitragen.
Die Drittmitteleinnahmen der Hochschulen betrugen im Jahr 1993 insgesamt 3,75 Milliarden DM, dies sind etwa 8,4 Prozent der Aufwendungen für die Hochschulen insgesamt. Der Anteil der Drittmittel ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen.
Die Verwendung von Drittmitteln der Hochschulen im Bereich der Forschung ist in § 25 Abs. 6 Hochschulrahmengesetz geregelt. Danach stehen finanzielle Erträge der Hochschule aus Forschungsvorhaben, die in der Hochschule durchgeführt werden, dieser für die Erfüllung ihrer Aufgaben zur Verfügung. Dies gilt insbesondere für Einnahmen, die der Hochschule als Entgelt für die Inanspruchnahme von Personal, Sachmitteln und Einrichtungen zufließen.
Die Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder hat sich in der Vergangenheit wiederholt mit der Finanzierung des Hochschulsystems befaßt und im April 1994 „Il Thesen zur Stärkung der Finanzautonomie der Hochschulen" beschlossen. Darin wird die von mir angesprochene Regelung, durch das HRG positiv bewertet.
Bei diesem Sachstand sieht die Bundesregierung keinen Anlaß, erneut in Gespräche mit den Ländern über die Einbeziehung ausländischer Erfahrungen einzutreten.
Zusatzfrage, Herr Kollege Schöler.
Herr Staatssekretär, Sie haben die Zahl 8,4 Prozent erwähnt, die in der Gesamtfinanzierung erbracht werden. Könnten Sie auch die Zahl nennen, die die Relation von Gesamteinnahmen zu diesen 8,4 Prozent darstellt? Es geht nicht darum was von den Hochschulen anteilig mit 8,4 Prozent finanziert worden ist, sondern um das, was insgesamt durch Forschung, Lehre, Gutachten usw. erwirtschaftet worden ist.
Die Zahl kann ich nennen, aber ich habe sie nicht bei mir, weil sie aus dieser Frage nicht erkennbar war. Ehe ich Ihnen Schätzungen gebe, wäre mir lieb, daß wir Ihnen das durch unser Haus nach Rücksprache mit den zuständigen Stellen schriftlich geben.
Ist Ihnen auch bekannt, daß es viele Hochschulen in anderen Staaten gibt, die nicht zu 8,4 Prozent oder ähnlichen Prozentzahlen, sondern zu 50 Prozent und mehr aus diesen Einnahmen finanziert werden? Sie verstehen diese Frage sicherlich angesichts des Wustes von freiberuflichen Nebentätigkeiten der Lehrstuhlinhaber auf dem Gebiet Forschung, Lehre, Wissenschaft, Literatur usw.
Ich habe mich auf Grund Ihrer Frage natürlich damit befaßt, wie es woanders aussieht. Es werden insbesondere die USA immer wieder herangezogen.
Die erste Erkenntnis der Überprüfung ist - das ist Ihnen sicherlich bekannt -, daß Sie zum Beispiel das Hochschulsystem in den USA, wo der Anteil der Drittmittel wesentlich höher liegt - das trifft sicherlich auch auf einige andere Länder zu -, nicht mit unserem Hochschulsystem vergleichen können.
Der Unterschied besteht darin, daß wir für unsere Hochschulen wie für die außeruniversitären Einrichtungen eine festliegende Grundfinanzierung haben und daß auch der Bereich Personal nicht über Drittmittel zu finanzieren ist, während Sie in Amerika die Situation haben, daß sie zum Teil die Grundfinanzierung wie auch zum Teil Personalkosten mit von den Hochschullehrern zu akquirierenden Drittmitteln zu bestreiten haben. Das heißt, die Situation ist nicht vergleichbar. Deshalb gibt es in anderen Ländern zum Teil die Verpflichtung, Drittmittel einzuwerben.
Der Vergleich ist möglich, aber das Übertragen kaum. Wenn wir weitere, zwingende Verpflichtungen der Hochschullehrer, die übrigens eine ganze Menge tun, zu akquirieren, nun noch gesetzesmäßig verankern, werden wir große Probleme mit den ohnehin überlasteten Lehrern bekommen. Die Hochschullehrer sind ja zum Teil auf Grund der Überlastung nicht in der Lage, die Lehre ordnungsgemäß, wie das wünschenswert wäre, zu bestreiten. Weil dies auch im Ausland sehr unterschiedlich ist, läßt sich dies nicht übertragen.
6678 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1995
Parl. Staatssekretär Bernd Neumann
Allerdings sind die Bundesregierung wie auch die Länder - das kommt ja auch im Hochschulrahmengesetz zum Ausdruck - schon daran interessiert, den Anteil der Drittmittel, insbesondere den aus dem privatwirtschaftlichen Bereich, deutlich zu steigern. Drittmittel aus dem staatlichen Bereich. seitens des Bundes und der Länder, fließen ja sehr regelmäßig. Hier sind wir schon der Auffassung, daß noch Spielraum ist. Deswegen haben wir zum Beispiel im Bereich der Großforschungseinrichtungen zusätzliche Anstrengungen unternommen, auch Mechanismen vereinfacht, um sie zu motivieren, noch mehr Drittmittel zu akquirieren.
Jetzt hat Herr Professor Laermann noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß die von Ihnen genannte Prozentzahl, was die Drittmitteleinwerbungen der Hochschulen oder Universitäten betrifft, einen Durchschnittswert darstellt, der sich auf alle Hochschulen insgesamt bezieht, und können Sie bestätigen, daß natürlich zwischen den einzelnen Disziplinen erhebliche Unterschiede bestehen? Beispielsweise werden in technischen Disziplinen bis zu 50 Prozent oder 60 Prozent der Mittel an den Instituten aus Drittmitteln eingeworben.
Ich kann dies nicht nur bestätigen, sondern ich kann dies ergänzen. Hier gibt es höchst unterschiedliche Quoten. Die Zahl, die ich genannt habe, ist eine Quote, die sich auf den gesamten Bereich bezieht. Ich kenne Einrichtungen an Instituten von Universitäten, zum Beispiel der Universität Bremen, die einen Anteil von 60 Prozent bis 70 Prozent an Drittmitteln haben. Dies hängt natürlich auch damit zusammen, daß es sich um naturwissenschaftliche oder um ingenieurswissenschaftliche Bereiche handelt, die sehr anwendungsorientiert sind. Das wird im juristischen oder geisteswissenschaftlichen Bereich ungleich schwieriger sein. Insofern bestätige ich voll das, was Sie gesagt haben.
Weitere Zusatzfragen zu dieser Frage werden nicht gestellt.
Die Frage 30 des Kollegen Horst Kubatschka soll schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. - Vielen Dank, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf. Die Frage Nr. 1, die der Kollege Gernot Erler gestellt hat, möge ebenfalls schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung: Schriftlich beantwortet werden sollen die Frage 2, gestellt vom Kollegen Hans Wallow, und die Frage 3 vom Kollegen Winfried Nachtwei. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit: Die Fragen 4 und 5 des Kollegen Ernst Hinsken mögen beide schriftlich beantwortet werden. Auch diese Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Die Fragen 6 und 7, beide gestellt von der Kollegin Marion Caspers-Merk, sollen schriftlich beantwortet werden. Auch diese Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Post und Telekommunikation auf. Der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Paul Laufs steht uns zur Beantwortung zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 8 auf, gestellt vom Kollegen Dr. Karl-Hans Laermann:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß mit sog. Scannern alle Gespräche, die über Schnurlostelefone geführt werden, in einem Umkreis von 500 m problemlos abgehört, mit Zusatzplatinen für PCs sogar empfangene Signale im Computer weiterverarbeitet, verschlüsselte Daten dekodiert, Morsezeichen übersetzt und Spektralanalysen durchgeführt werden können?
Ich bitte um Beantwortung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Laermann, der Bundesregierung ist bekannt, daß Schnurlostelefone, die mit analoger Technik arbeiten, abgehört werden können. Das ist auch in der Öffentlichkeit bekannt. Es gibt jedoch ein großes Angebot von Schnurlostelefonen auf dem Markt, die nach dem DECT-Standard arbeiten. „DECT" steht für „Digital European Cordless Telecommunications" . Diese Geräte verwenden ein gesichertes Übertragungsverfahren. Im übrigen ist die unbefugte Aufzeichnung des nicht öffentlich gesprochenen Wortes nach § 201 Strafgesetzbuch unter Strafe gestellt.
Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, kann man davon ausgehen, daß bei digitaler Gesprächs- und Telekommunikationstechnik ein Abhören der Gespräche, wie es jetzt möglich ist, aus technischen Gründen nicht mehr möglich sein wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Laermann, ein direktes Abhören ist mit Multibandfunkempfängern, den sogenannten Scannern, bei Schnurlostelefonen, die nach dem DECT-Standard arbeiten, nicht möglich. Die Funkübertragung erfolgt bei DECT mittels eines gemischten Systems aus Frequenz- und Zeitmultiplexverfahren mit wechselnder Zuordnung der Kanäle. Diese komplexen digitalisierten Funkverkehre sind nur mit hohem technischen Aufwand aufzuzeichnen, aufzulösen und wieder in verständliche Sprache umzusetzen. Dies ist, wie ich bereits dargestellt habe, strafbe-
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1995 6679
Parl. Staatssekretär Dr. Paul Laufs
wehrt verboten, so daß eine entsprechend hohe kriminelle Energie hinzukommen müßte.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie die schon heute legale Möglichkeit, anstatt mit Scannern zu arbeiten, die entsprechende Platine in Homecomputer einzubauen, womit es ermöglicht wird, in einem Frequenzband von 500 Kilohertz bis 1,3 Gigahertz Spektralanalysen durchzuführen, Morsezeichen aufzunehmen und verschlüsselte Daten zu dekodieren, das heißt, im Computer selbst die Daten weiterzuverarbeiten? Glauben Sie, daß dies im ISDN-Betrieb nicht möglich ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Laermann, selbstverständlich gibt es keine Übertragungstechniken, die nicht abgehört werden können; denn sonst wären sie nicht nutzbar.
Ich kann noch einmal auf das Strafgesetzbuch hinweisen,
nach dem die Aufzeichnung, Entschlüsselung und Verwertung solcher Übertragungen unter Strafe gestellt sind. Dies aber ist, wie Sie in Ihrer Frage selbst dargestellt haben, nur mit einem hohen technischen Aufwand möglich.
Stellt zur Frage 8 jemand eine Zusatzfrage? - Das ist nicht der Fall.
Dann rufe ich die Frage 9 auf, die ebenfalls der Kollege Professor Laermann gestellt hat:
Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung zu ergreifen, um angesichts der bereits in Millionen Stückzahlen in Deutschland verkauften Scanner dieses unkontrollierte Abhören von Telefongesprächen zu unterbinden?
Ich bitte um Beantwortung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Laermann, bei den Schnurlostelefonen handelt es sich um private Endgeräte. Es ist die Aufgabe der Industrie, im Endgerätebereich für eine höhere Sicherheit Sorge zu tragen. Die Bundesregierung wird weiterhin zur Bewußtseinsbildung in der Öffentlichkeit beitragen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, auch im Zusammenhang mit meiner ersten Frage möchte ich doch noch einmal folgendes ansprechen: Was können wir dagegen tun, daß der
Bürger, der analog betriebene Schnurlostelefone - meine Vorhersage: dies gilt in Zukunft auch für digital betriebene Telefone - benutzt, davon ausgehen muß, daß er in einem größeren Umfeld abgehört werden kann, da der Verkauf, der Besitz und die Benutzung solcher Scanner und solcher Platinen in den PCs nicht verboten ist?
Ich darf meine Zusatzfrage gleich mit stellen: Wie bewerten Sie im Zusammenhang mit der modernen Telekommunikationstechnik, daß man Mobiltelefone und Handies zwar nicht hinsichtlich des Inhalts des Funkverkehrs überwachen kann, aber ohne Probleme ein Bewegungsprofil von ihnen erstellen kann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Kollege Laermann, zunächst sollten Sie unterscheiden - Sie haben eine Fülle von Fragen aufgeworfen - zwischen den privaten Endgeräten und den Fernmeldeanlagen, deren Betreiber Telekommunikationsdienstleistungen für die Öffentlichkeit anbieten. In diesen Netzen muß das Fernmeldegeheimnis durch besondere technische Vorkehrungen geschützt werden. Wenn für das Angebot solcher öffentlicher Telekommunikationsdienstleistungen die Funktechnik, etwa nach dem DECT-Standard, benutzt wird, müssen selbstverständlich entsprechende Gewährleistungen vorgesehen sein. Es ist möglich, den Schutz durch die Benutzung komplexer technischer Verschlüsselungsverfahren noch zu verstärken.
Im übrigen: Es ist bekannt, daß ein Abhören von analog betriebenen Telefonen relativ einfach möglich ist. Um einen Vergleich heranzuziehen: Wer auf Gardinen und Vorhänge an seinen Fenstern verzichtet, der muß wissen, daß der indiskrete Nachbar Einblick nehmen kann. Das kann man nicht verhindern; das kann man auch nicht verbieten.
Man kann nur strafbewehrt verbieten, daß mit technischen Mitteln Aufzeichnungen vom Einbruch in die Privatsphäre gemacht werden.
Zweite Zusatzfrage?
Ich dachte, ich hätte zwei in einer Frage gestellt.
Herr Kollege Duve, ich habe natürlich nicht ohne Genugtuung festgestellt, daß der Professor Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann, der nach den raffiniertesten neuen technologischen Entwicklungen fragt, mit der Tatsache, daß wir hier zwei oder drei Sekunden warten müssen, bis wir endlich
Vizepräsident Hans Klein
einen Ton auf dem Mikrophon haben, auch nicht besser zu Rande kommt als andere.
Vielen Dank, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft: Die Fragen 10 und 11 - Dr. Martin Mayer -, 12 und 13 - Renate Blank -, 14 und 15 - Hans Raidel -, 16 - Hermann Bachmaier - und 17 - Norbert Gansel - sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr: Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Johannes Nitsch zur Verfügung.
Herr Kollege Nitsch, die Frage 18, gestellt vom Kollegen Horst Kubatschka, soll schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 19 auf, die der Kollege Joachim Tappe gestellt hat:
Welche fachlichen und politischen Gründe haben den Bundesminister für Verkehr veranlaßt, von der weitestgehenden Übereinstimmung mit dem zuständigen hessischen Fachminister im Zusammenhang mit der bisherigen Planung zum Bau der A 44 abzurücken?
Ich bitte um Beantwortung.
Sehr geehrter Herr Abgeordneter Tappe, das Bundesministerium für Verkehr ist von seinen bisherigen Aussagen zur Korridorentscheidung für die A 44 zwischen Kassel und Eisenach nicht abgewichen. Es gelten für uns nach wie vor die Ergebnisse der Umweltverträglichkeitsprüfung Stufe 1. Ziel aller weiteren Bemühungen zur Trassenfindung für dieses Stück der A 44 können nur straßenbaufachlich orientierte Lösungen sein. Diese müssen in jeder planungsrechtlichen Verfahrensstufe nachvollziehbar sein und eventuell in einem Rechtsstreit nachgeprüft werden können.
Eine Entscheidung über die konkrete Trassenführung der A 44 wird vom Bundesministerium für Verkehr erst nach Abschluß des auf Landesebene noch durchzuführenden Raumordnungsverfahrens und auf der Basis der dann vorliegenden Daten getroffen werden.
Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, wie Sie wissen, hat der hessische Verkehrsminister am 20. September 1995 eine Vorzugslinie vorgestellt. Ich weiß aus dem zuständigen Hause in Wiesbaden, daß Ihnen wenige Tage danach dieser Vorschlag mit der entsprechenden Begründung zugegangen ist. Ich würde gerne von Ihnen wissen, ob Sie diese Vorentscheidung für eine fachliche oder für eine politische Entscheidung halten.
Herr Abgeordneter, ich muß hier wiederholen, daß unser Haus eine Linienbestimmung erst nach Abschluß des Raumordnungsverfahrens und auf Grund der dann vorliegenden Daten treffen kann. Die von Ihnen erwähnte Vorstellung des hessischen Ministers hat insoweit für uns keine rechtliche Bedeutung.
Zweite Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, ich bin mit der Antwort auf die Frage noch nicht zufrieden, weil ich hier einen Brief des Bundesverkehrsministers an den Kasseler Oberbürgermeister vor mir liegen habe. Dort heißt es:
Eine Minimierung der mit jeder Trassenführung verbundenen Eingriffe kann mit einem vertretbaren Aufwand nur innerhalb des Lossekorridors erreicht werden.
Was hat den Bundesverkehrsminister, was hat Ihr Haus dazu veranlaßt, von der bisherigen Übereinstimmung abzuweichen?
Ich gehe davon aus, daß Sie nur einen Auszug aus diesem Schreiben vorgetragen haben. Ich kann mir nicht vorstellen, daß wir uns schon definitiv für einen Korridor entschieden haben.
Ich muß allerdings betonen, daß dieser Korridor, den Sie eben benannt haben, in der Umweltverträglichkeitsstudie, Stufe 1, favorisiert wurde, was wir zwar als bisher vorliegende Entscheidung, aber noch nicht im Sinne einer Linienbestimmung bewerten müssen. Dazu sind weitere Untersuchungen, zum Beispiel das Raumordnungsverfahren, und die vom Land vorzuschlagenden Linien erforderlich. In diesem Verfahren kann es dazu kommen, daß die Linie im Rahmen des Lossekorridors bestimmt wird; genauso ist aber auch der Söhrekorridor möglich.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie eigentlich die Einschätzung des verkehrspolitischen Sprechers der F.D.P.-Landtagsfraktion in Wiesbaden - ich meine Herrn Dieter Posch, der Ihnen als ehemaliger Staatssekretär sicherlich bekannt ist -, Staatssekretär Carstens wolle eine Entscheidung auf die lange Bank schieben - gemeint ist das, was Sie eben dargelegt haben, daß im Rahmen des Raumordnungsverfahrens zwei Trassen intensiv geprüft werden müßten -, um dann den Vorstellungen der rot-grünen Koalition in Hessen zu folgen?
In unserem Hause ist es nicht üblich, etwas auf die lange Bank zu schieben, wenn die entsprechenden Unterlagen der Länder vorliegen. Ich sage Ihnen heute zu: Sobald das
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1995 6681
Parl. Staatssekretär Johannes Nitsch
Raumordnungsverfahren abgeschlossen ist und die entsprechenden Daten für die Linienbestimmung vorliegen, werden wir im Rahmen der üblichen Zeit eine Entscheidung sofort treffen.
Weitere Zusatzfragen dazu werden nicht gestellt.
Dann rufe ich Frage 20 auf, die ebenfalls der Kollege Joachim Tappe gestellt hat:
Welche struktur- und verkehrspolitische Bedeutung mißt der Bundesminister für Verkehr dem Bau des Güterverkehrszentrums Kassel am vorgesehenen Standort zu, und welche Auswirkungen hat die Realisierung des GVZ auf die Trassenführung der zukünftigen A 44?
Sehr geehrter Herr Abgeordneter Tappe, mit diesem in Kassel vorgesehenen Güterverkehrszentrum soll die strukturschwache Region Kassel an das im Aufbau befindliche europäische Netz der entsprechenden Umschlagbahnhöfe angeschlossen und damit die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Kassel gesteigert werden. Das ist Ihnen sicherlich bekannt.
Das GVZ fördert die Kooperation zwischen den Speditionsunternehmen und die verstärkte Einbindung der Bahn. Dies führt wegen der Verkehrsverlagerung von der Straße auf die Schiene generell zu einem geringeren Verkehrsaufkommen und damit zu mehr Verkehrssicherheit auf den Straßen. Das sind alles Punkte, die Sie sicherlich schon kennen und nicht hören wollen. Ich möchte sie aber als Vorbemerkung nennen.
Zur Beurteilung der verkehrlichen Auswirkungen dieses Güterverkehrszentrums auf die Leistungsfähigkeit der A 7 und der A 44 - ich nehme an, das ist der Kernpunkt Ihrer Frage - bedarf es noch weiterer Untersuchungen. Uns liegen erste Ergebnisse vor. Wir müssen diese bewerten und mit den hessischen Landesstellen abstimmen. Ich kann Ihnen im Moment also keine Antwort darauf geben, ob der Standort des GVZ den einen oder anderen Korridor bevorzugt oder benachteiligt.
Auch hinsichtlich des anderen Hintergrunds Ihrer Frage, inwieweit die A 7 im Bereich Kassel eventuell eine Verstärkung erfahren müsse, kann ich im Moment noch keine Auskunft geben.
Zusatzfrage, Herr Kollege Tappe.
Entschuldigung! Herr Staatssekretär, Sie brauchen nur die Fragen zu beantworten, die offiziell gestellt werden.
Herr Staatssekretär, was halten Sie von der Aussage des persönlichen Referenten des Bundesverkehrsministers, der zu mir
gesagt hat, die Entscheidung über das GVZ sei ausschließlich eine kommunalpolitische Entscheidung und stehe weder im Zusammenhang mit der A 44 noch mit der A 7; deshalb habe er es abgelehnt, wichtige Kommunalpolitiker, zum Beispiel den Oberbürgermeister der Stadt Kassel und den Landrat des Landkreises Kassel, zu einem Gespräch zu dieser Frage zu empfangen? Er hat gesagt, er könne sich nicht mit jedem aufgeregten Kommunalpolitiker unterhalten.
Zu dieser Aussage kann ich nichts sagen, weil ich nicht dabeigewesen bin. Ich kann Ihnen zur verkehrspolitischen Bedeutung der GVZs sagen, daß sie weit über die kommunalen Interessen hinausgehen. Sie sind letzten Endes auch Bestandteil des Bundesverkehrswegeplans 1992.
Wir stellen dafür beträchtliche Mittel bereit und sind auch auf der Leitungsebene bemüht, ein wenig mehr Tempo in die Entwicklung der GVZs insgesamt hineinzubekommen. Wir nehmen an, daß wir in Kassel bereits im nächsten Jahr Baurecht haben werden.
Eine weitere Zusatzfrage.
Meine Zusatzfrage ergibt sich daraus fast von selbst; ich stelle sie nun ganz konkret: Wann ist seitens Ihres Hauses mit einer Genehmigung des sogenannten Lohfeldener Rüssels, also der Anbindung an die bestehende A 7, zu rechnen, nachdem Ihnen auch der hessische Verkehrsminister die entsprechenden Daten vorgelegt hat?
Es gibt noch keine Entscheidung für den Lohfeldener Rüssel. Im Rahmen der Daten, von denen ich bereits gesprochen habe, wird hierzu eine Entscheidung getroffen werden. Das Problem ist bei uns in Bearbeitung, aber ich kann Ihnen im Moment nicht ja oder nein sagen.
Weitere Zusatzfragen werden nicht gestellt. Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ich bedanke mich für die Beantwortung. Die Fragen 21 und 22, gestellt vom Kollegen Steenblock, sollen ebenso wie die Fragen 23 und 24, gestellt vom Kollegen Jüttner, und die Fragen 25 und 26 des Kollegen Kunick schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Die Frage 31 des Kollegen Wallow, die Frage 32 des Kollegen Erler und die Frage 33 des Kollegen Bachmaier sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung der Fragen
Vizepräsident Hans Klein
steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Eduard Lintner zur Verfügung.
Bei den Fragen 34 und 35 des Kollegen Gerd Andres wird um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 36, die unser Kollege Günter Graf gestellt hat, auf:
Trifft es zu, daß anläßlich des Besuchs des französischen Senators Paul Masson in Frankfurt/Oder vor einigen Wochen am Stadtübergang über das Normalmaß hinaus verstärkt Personal - vornehmlich des Bundesgrenzschutzes (BGS) - und technisches Gerät eingesetzt wurden, um beispielhaft die Ausgleichsmaßnahmen in Sachen des Schengener Durchführungsübereinkommens zu demonstrieren?
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ich bitte um Beantwortung.
Lieber Herr Kollege Graf, die Antwort lautet: Anläßlich des Besuches des französischen Senators Paul Masson am 27. Oktober 1995 am Grenzübergang Frankfurt/Oder hat der BGS kein Personal oder Gerät über das Normalmaß hinaus eingesetzt, um beispielhaft die Ausgleichsmaßnahmen in Sachen des Schengener Durchführungsübereinkommens zu demonstrieren.
Unabhängig davon wurden zur sicheren und ungestörten Durchführung des Besuchsprogramms die erforderlichen Begleit- und Schutzkräfte eingesetzt.
Zusatzfrage?
Dann rufe ich jetzt die Frage 37 des Kollegen Günter Graf auf:
Wenn ja, welches Personal bzw. Gerät wurde von welchen Dienststellen abgezogen und am Stadtübergang Frankfurt/ Oder anläßlich des Besuches des Senators Paul Masson eingesetzt?
Es entfällt eine Beantwortung der zweiten Frage, weil die Prämisse nicht stimmt.
Ihre Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wenn ich Sie richtig verstanden habe, verneinen Sie absolut und sagen: Es hat keinerlei Besonderheiten gegeben, um den Eindruck zu erwecken, es sei an der Grenze alles in Ordnung? Dieses erklären Sie in aller Deutlichkeit.
Wir werden das überprüfen.
Die Erkenntnisse - das sage ich Ihnen ganz deutlich; Sie wissen das wahrscheinlich auch -, die wir haben, sind anderer Natur. Die Beamten vor Ort
haben dieses anläßlich eines Besuches des Kollegen Kemper und mir vor 14 Tagen an mehreren Stellen sehr deutlich gesagt. Hier ist jetzt offenbar ein Konflikt gegeben, den wir aber weiter austragen; ich will das jetzt hier nicht vertiefen.
Herr Kollege Graf, möglicherweise liegt eine Verwechslung vor. Ich habe darauf hingewiesen, daß zur Absicherung des Besuchsprogramms und der Person des Besuchers natürlich zusätzliche Kräfte eingesetzt waren. Aber diese hatten nichts mit der grenzpolizeilichen Aufgabenstellung zu tun.
Zweite Zusatzfrage.
Dann möchte ich noch eine Zusatzfrage stellen. Wenn Sie sagen, das seien Maßnahmen zum Schutz von Herrn Masson gewesen, frage ich mich natürlich: Vor welchem Hintergrund wurden denn technische Einrichtungen - EDV-Anlagen, Bildschirme und sonstige Dinge - an anderen Grenzübergangsstellen abgezogen und am Übergang Stadtmitte in Frankfurt/Oder installiert? Das hat doch sicherlich nichts mit dem Schutz des Herrn Masson zu tun.
Herr Kollege Graf, das, was sich dort abgespielt hat, vollzog sich im Bereich des normalen Dienstes. Es gab also keine zusätzlichen, wenn Sie so wollen: getürkten Situationen und keinen entsprechenden Aufwand.
Herr Kollege Graf, Sie hätten noch zwei Zusatzfragen, wenn Sie wollen. Aber der Kollege Kemper möchte ebenfalls etwas fragen. Bitte sehr.
Da meine Fragen im Prinzip durch Ihre Antwort zur ersten Frage des Herrn Graf erledigt sind, möchte ich gerne eine Zusatzfrage stellen: Können Sie mir erklären, warum dann Computeranlagen - beim Personal kann man Ihren Ausführungen durchaus noch folgen - zum Grenzübergang Frankfurt/Oder transportiert worden sind und die anderen Dienststellen dadurch von Computern entblößt wurden? Das ist ja nun keine Schutzmaßnahme für Herrn Masson, sondern das sind Maßnahmen, die einen technischen Standard nachweisen sollen, der im Normalfall an dieser Grenzschutzstelle nicht vorhanden ist.
Herr Kollege Kemper, die Unterlagen, die mir zur Verfügung stehen, weisen einen solchen Vorgang nicht aus. Deshalb kann ich Ihnen
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Parl. Staatssekretär Eduard Lintner
nur sagen, daß das offenbar nicht im Zusammenhang mit dem Besuch von Masson steht.
Wenn keine weiteren Zusatzfragen zu der Frage 37 gestellt werden, rufe ich die Frage 38 auf, die der Kollege Hans-Peter Kemper gestellt hat:
Wie wurden an den anläßlich des Besuchs von Senator Paul Masson an der deutsch-polnischen Grenze zugunsten der besichtigten Dienststelle personell und technisch geschwächten übrigen Grenzübergangsstellen und der grünen Grenze die notwendigen Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen durchgeführt, und welche dadurch bedingten Sicherheitsdefizite oder sonstigen Nachteile haben sich ergeben?
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, bitte.
Herr Kollege Kemper, die Antwort ergibt sich eigentlich bereits aus dem Bisherigen. Ich kann nur noch einmal darauf hinweisen, daß anläßlich des Besuches des Senators Masson weder eine Grenzschutzstelle an einem Grenzübergang noch eine solche an der grünen Grenze personell oder technisch zugunsten der genannten Dienststelle geschwächt worden ist.
Die Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen wurden von dem Personal der Dienststellen wie üblich durchgeführt. Nachteile und Sicherheitsdefizite haben sich durch den Besuch des Senators deshalb nicht ergeben.
Zusatzfrage.
Nun haben Sie, Herr Staatssekretär, gerade bestätigt, daß für den Besuch von Herrn Masson Verstärkungen vorgenommen worden sind. Können Sie mir denn sagen, woher die Verstärkungskräfte kamen, wenn nicht von den anderen Grenzschutzstellen?
Aus dem Einsatzzug der Inspektion, der für solche Dinge zur Verfügung steht.
- Wem soll ich jetzt antworten: Ihnen, Herr Kollege Duve?
Stammt das technische Gerät ebenfalls aus dem Einsatzzug?
Es stammt aus Mitteln der Inspektion. Davon gehe ich jetzt einmal aus, ohne das genau nachgeprüft zu haben.
Herr Kollege Graf, Sie wollten dazu eine Zusatzfrage stellen.
Herr Staatssekretär, wenn ich Sie jetzt richtig verstanden habe, muß ich davon ausgehen, daß Sie den Kontrollstandard an dem Übergang Stadt in Frankfurt/Oder mit Personal und technischem Gerät für vollkommen ausreichend ansehen, weil er den nach Schengen-Standard geforderten Ausgleichsmaßnahmen gerecht wird. Können Sie das so bestätigen?
Herr Kollege Graf, das kann ich bestätigen. Aber ich unterstelle dabei einmal, daß Sie auch wissen, daß wir natürlich laufend zusätzliches Gerät zur Verfügung stellen; beispielsweise werden mobile Abfrageeinheiten und dergleichen zur Ergänzung der Ausrüstung des BGS an der polnischen Grenze zusätzlich beschafft.
Ganz konkret gefragt - -
Herr Kollege Graf, Sie konnten nur eine Zusatzfrage stellen.
Möchte noch jemand aus dem Kreis der Kolleginnen und Kollegen eine Frage stellen? - Das ist nicht der Fall.
Dann rufe ich die Frage 39, ebenfalls vom Kollegen Kemper gestellt, auf:
Hält es die Bundesregierung für angemessen, anläßlich des Besuchs von Senator Paul Masson eine technische und personelle Ausstattung zu präsentieren, die den tatsächlichen Gegebenheiten nicht entspricht, um gegenüber dem französischen Partnerland den Eindruck eines den vertraglichen Regelungen entsprechenden besonders hohen Kontrollstandards zu erwekken?
Herr Kollege Kemper, die Beantwortung der Frage 39 entfällt naturgemäß, weil wiederum die Prämisse nicht stimmt.
Sie können aber zwei Zusatzfragen stellen, Herr Kollege Kemper, wenn Sie wollen.
Nein, ch verzichte.
Das ist nicht der Fall. Herr Kollege Duve, bitte.
Ich möchte eigentlich nur wissen, ob es analog zu diesem Beauftragten des französischen Premierministers für das Schengener Abkommen, Senator Masson, auch einen Beauftragten bei uns gibt und ob nicht unser Beauftragter bei solchen Besuchen schon einmal wahrgenommen hat, daß dort ganz große - Sie haben eben das Wort „getürkt" benutzt; so will ich es nicht sagen -, dra-
Freimut Duve
matische Zusatzeinrichtungen „for show" aufgefahren werden?
Herr Kollege Duve, in der Bundesrepublik gibt es keinen Beauftragten, der etwa die BGS-Maßnahmen an der polnischen oder tschechischen Grenze inspizieren würde. Dafür haben wir die normalen parlamentarischen Gremien: den Innenausschuß, die Mitglieder des Innenausschusses und sonstige Abgeordnete vor Ort. Es gibt also genügend, die sich darum kümmern. Wir brauchen einen zusätzlichen Beauftragten nicht.
Weitere Zusatzfragen zur Frage 39 werden nicht gestellt.
Die Fragen 40 und 41, die vom Kollegen Klaus Hagemann gestellt wurden, sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 42, gestellt vom Kollegen Freimut Duve, auf:
Auf welche Weise ist das Bundeskriminalamt 1993 vor dem Besuch des Chefs des iranischen Auslandsgeheimdienstes, Fallahian, in der Bundesrepublik Deutschland 1993 informiert worden, und wie hat die Bundesregierung gegenüber dem Generalbundesanwalt zur Möglichkeit der Festnahme Fallahians Stellung genommen, der der Beteiligung am Mordanschlag auf vier Führungsmitglieder der iranisch-kurdischen Opposition 1992 in Berlin verdächtigt wird?
Ich bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, um Beantwortung.
Herr Kollege Duve, die Antwort lautet: Das Bundeskriminalamt erhielt im Rahmen seiner Zuständigkeit für den Schutz ausländischer Gäste der Bundesregierung Kenntnis vom Besuch des Ministers Fallahian. Anläßlich dieses Besuches hat der Generalbundesanwalt beim Bundesministerium der Justiz unter Bezugnahme auf das Mykonos-Verfahren und im Hinblick auf eine mögliche Involvierung von Minister Fallahian in die dem Verfahren zugrunde liegenden Straftaten um Auskunft gebeten, in welcher Eigenschaft Minister Fallahian die Bundesrepublik Deutschland besuche.
Diese Anfrage wurde dahin gehend beantwortet, daß sich Minister Fallahian als Repräsentant der iranischen Regierung auf Einladung der Bundesregierung in der Bundesrepublik aufhalte und damit gemäß § 20 Abs. 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht der inländischen Gerichtsbarkeit unterliege. Wegen weiterer Einzelheiten erlaube ich mir auf die Antwort der Bundesregierung zu der mündlichen Frage des Abgeordneten Gerd Poppe vom 22. Oktober 1993 Bezug zu nehmen.
Zusatzfrage.
War dieser den Besucher schützende Status schon bei den Vorbereitungen zu diesem Besuch so definiert worden, daß eine mögliche Strafverfolgung, wie sie in der Anfrage des
Generalbundesanwaltes angelegt gewesen sein muß, von vornherein ausgeschlossen war?
Herr Kollege Duve, die Anfrage des Generalbundesanwalts lag vor dem Besuch. Insofern haben sich die zuständigen Behörden tatsächlich vorher damit befaßt. Ob dieser Aspekt bereits im Vorfeld der Überlegungen eine Rolle gespielt hat, kann ich Ihnen nicht sagen, weil das aus meinen Unterlagen nicht ersichtlich ist.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben ja mitbekommen, daß wir neulich gebeten hatten, einen Außenminister nur wegen einer Äußerung auszuladen. Ist denn, wenn die Anfrage des Generalbundesanwaltes erkennen ließ, daß es sich möglicherweise um das Vorspiel zu einer Verhaftung handeln würde, nicht überlegt worden, diesen Besucher des Herrn Staatsministers auszuladen?
Herr Kollege Duve, da diese Frage, wie ich dargelegt habe, vorweg beantwortet worden ist, nämlich so, daß es sich um einen Besuch im Sinne des § 20 Abs. 1 handelte, hat sich diese Konsequenz sozusagen erledigt.
Herr Kollege Gansel, eine Zusatzfrage.
Wann wurde das Bundeskriminalamt von dem bevorstehenden Besuch des iranischen Geheimdienstchefs informiert, und auf welche Art und Weise erhielt die Generalbundesanwaltschaft durch die Bundesregierung Kenntnis?
Herr Kollege Gansel, die Einzelheiten dieser ganzen Angelegenheit sind dort erörtert worden, wo der Sachverhalt eigentlich hingehört, nämlich in der PKK, der Parlamentarischen Kontrollkommission. Deshalb möchte ich Sie bitten, mir jetzt die Antwort zu erlauben, daß ich Sie in bezug auf die Details auf das zuständige Gremium verweise.
Werden zu der Frage 42 weitere Zusatzfragen gestellt? — Das ist nicht der Fall.
Dann rufe ich die Frage 43 auf, ebenfalls gestellt vom Kollegen Freimut Duve:
Wann sind die USA über den Besuch Fallahians durch die Bundesregierung informiert worden, und trifft es zu, daß der damalige amerikanische Botschafter Holbrooke bei der Bundesregierung gegen den Besuch von Fallahian protestiert hat?
Bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Herr Kollege Duve, die Regierung der USA war bereits Anfang Oktober 1993 von
Parl. Staatssekretär Eduard Lintner
dem Besuch Fallahians informiert. Die Information hat auf verschiedenen Ebenen stattgefunden. Der amerikanische Botschafter Holbrooke hat bei der Bundesregierung Bedenken gegen den Besuch geäußert.
Eine Zusatzfrage.
Ist Botschafter Holbrooke auch mitgeteilt worden, daß seitens der Generalbundesanwaltschaft erwogen worden ist, diesen Mann hier verhaften zu lassen?
Herr Kollege Duve, ich kann es aus den Unterlagen nicht ersehen. Aber auch hier möchte ich darauf hinweisen dürfen, daß die PKK das zuständige Gremium für die Erörterung von Details ist.
Im übrigen darf ich noch eines sagen - ich habe es vorhin ja vorgelesen -: Die Generalbundesanwaltschaft hat auf eine mögliche Involvierung hingewiesen - sie hat also nicht etwa erwogen, ihn verhaften zu lassen - und hat gebeten, zum Charakter des Besuchs Stellung zu nehmen. Das ist der ganze Sachverhalt.
Die zweite Zusatzfrage.
Sind Sie darüber informiert, Herr Staatssekretär, ob jetzt die freundschaftlichen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten auch dazu genutzt werden, um kontinuierlich über die besonderen, manchmal absonderlichen Kontakte hoher deutscher Stellen, in diesem Falle eines Staatsministers, zu hohen iranischen Stellen zu informieren?
Herr Kollege Duve, wie Sie wissen, sind die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten bestens. Aber mehr weiß ich auch nicht. Ich kann Ihnen die Frage jetzt nicht konkret beantworten.
Weitere Zusatzfragen dazu? - Herr Kollege Gansel.
Herr Staatssekretär, da diese ganzen Vorgänge durch den Abdruck eines Artikels aus der angesehenen amerikanischen Zeitschrift „Foreign Affairs" in der „Welt am Sonntag" vom 9. November wieder hochgekommen sind und laut „Foreign Affairs" in den Augen der Amerikaner die Tatsache als besonders schlimm erschien - ich zitiere -,
daß die Deutschen versucht hatten, die Gespräche mit Fallahian hinter dem Rücken der eigenen Verbündeten durchzuführen,
frage ich Sie: Hatte die Bundesregierung die amerikanische Regierung vor dem Besuch Fallahians informiert, oder war es nicht vielmehr so, daß die USA,
auf welche Weise auch immer, von dem geheimgehaltenen Besuch Fallahians in der Bundesrepublik erfahren haben und daß daraufhin der amerikanische Botschafter im Auftrag des amerikanischen Außenministers Christopher bei der Bundesregierung Einwände dagegen erhoben hat, daß ein Mann als Staatsgast in der Bundesrepublik akzeptiert oder vielleicht sogar willkommen geheißen wird, der der Organisation von Mordanschlägen in verschiedenen westlichen Staaten verdächtigt wird, unter anderem auch in der Bundesrepublik?
Herr Kollege Gansel, ich muß wieder auf die Zuständigkeit der PKK hinsichtlich der Details verweisen.
Auch wenn „Foreign Affairs" so etwas veröffentlicht, bin ich deshalb nicht von den Vorschriften der hiesigen Gesetze entbunden, und diese lauten dahin gehend, daß über solche Vorgänge in diesem Vertrauensgremium im Detail informiert werden soll. Im übrigen habe ich Ihnen schon vorgetragen, daß die Information der Regierung der USA auf verschiedenen Ebenen stattgefunden hat.
Herr Kollege Schily.
In welcher Weise hat die Regierung der USA auf den Besuch des Geheimdienstchefs des Iran reagiert?
Herr Kollege Schily, auch das habe ich bereits vorgetragen. Der amerikanische Botschafter hat bei der Bundesregierung Bedenken gegen den Besuch geäußert.
Kollege Graf.
Herr Staatssekretär, es kann doch nicht angehen, daß Sie sich hier auf die PKK zurückziehen, die ja einen anderen Aufgabenbereich hat, wenn es jetzt um die internationalen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Amerikanern geht, wo man in einer offenen Art und Weise miteinander umgeht. Sie tun hier so, als sei das ein Geheimnis.
Das interessiert die Öffentlichkeit. Dazu müssen Sie hier eine klare Antwort geben, und Sie können sich nicht auf die PKK zurückziehen.
Herr Kollege Graf, hier sind wir total verschiedener Meinung. Ausschlaggebend ist natürlich der Gesamtzusammenhang. Daß dabei
6686 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1995
Parl. Staatssekretär Eduard Lintner
auch die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten am Rande eine Rolle gespielt haben,
wird ja nicht bestritten. Aber der Vorgang als solcher ist Gegenstand der PKK-Beratungen. Dabei muß ich leider bleiben.
Weitere Zusatzfragen?
Dann rufe ich die Frage 44 auf, die der Kollege Norbert Gansel gestellt hat:
Welche Maßnahmen hat das Bundeskriminalamt dem Generalbundesanwalt 1993 anläßlich des Deutschlandbesuchs des Chefs des iranischen Auslandsgeheimdienstes Fallahian, der der Beteiligung an einem Mordanschlag auf vier Führungsmitglieder der iranisch-kurdischen Opposition im September 1992 in Berlin verdächtigt wird, vorgeschlagen, und warum hat der Generalbundesanwalt nicht die Festnahme von Fallahian angeordnet?
Bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Das Bundeskriminalamt hat dem Generalbundesanwalt anläßlich des Besuches von Minister Fallahian im Oktober 1993 in der Bundesrepublik Deutschland keine Maßnahmen vorgeschlagen. Im übrigen verweise ich auf die bisher gegebenen Antworten.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, in den „Foreign Affairs" , abgedruckt in der „Welt am Sonntag", hieß es an anderer Stelle:
Das BKA wollte Fallahian bei seiner Ankunft in Bonn festnehmen, weil er als Drahtzieher des Mordanschlags auf die vier Führungsmitglieder der iranisch-kurdischen Opposition gilt, die am 17. September 1992 im griechischen Restaurant Mykonos in Berlin mit automatischen Waffen niedergestreckt wurden. Das Kanzleramt verhinderte die Festnahme.
Können Sie diese Darstellung eindeutig bestätigen oder dementieren, und habe ich Sie richtig verstanden, daß das BKA, das, wenn es die Freistellung nach dem Gerichtsverfassungsgesetz nicht gegeben hätte, den des Mordes verdächtigen Fallahian hätte festnehmen müssen,
statt dessen von der Bundesregierung dafür mißbraucht worden ist, Herrn Fallahian einen besonderen Schutz in der Bundesrepublik zu geben?
Herr Kollege Gansel, hypothetische Fragen sind einer Antwort nicht zugänglich.
Tatsache ist, daß der Besuch von Minister Fallahian nach § 20 Abs. 1 eingestuft worden ist, und deshalb haben sich für das BKA all diese Fragen nicht gestellt.
Zweite Zusatzfrage.
Eine solche Einstufung ist ja keine Normalität, sondern sie erfolgt auf eine besondere Initiative in einer besonderen Interessensituation. Deshalb frage ich Sie: Wer trägt die Verantwortung dafür, daß der iranische Geheimdienstchef Fallahian, verdächtigt der Anstiftung zur oder Beteiligung an der Ermordung von vier Kurden in der Bundesrepublik, den Status eines besonderen Staatsgastes erhalten hat, anstatt daß er beim Besuch in der Bundesrepublik festgenommen worden wäre?
Die Bundesregierung trägt die Verantwortung.
Wer in der Bundesregierung trägt die Verantwortung? Das war doch keine kollektive Entscheidung, sondern es muß doch ein Mann oder eine Frau dafür verantwortlich sein.
Die formelle Auskunft über diese Einstufung hat das Bundesministerium der Justiz gegeben.
Aus eigenem Ermessen oder auf wessen Antrag oder Initiative? Das passiert doch nicht aus heiterem Himmel.
Herr Gansel, Sie hatten Ihre zwei Zusatzfragen. Jetzt bekommen der Kollege Duve und dann der Kollege Schily eine Zusatzfrage. Bitte, Herr Kollege Duve.
Herr Staatssekretär, Sie wissen, daß der damalige Generalbundesanwalt nicht sehr lange nach diesen Ereignissen auch aus anderen Gründen sein Amt verloren hat. Wie bewerten Sie heute auf der Grundlage Ihrer - mit Verlaub - geradezu stammelnden Antworten die Lage, in die das Bundeskanzleramt den Generalbundesanwalt, der in unserem Land immerhin eine hohe Aufgabe wahrzunehmen hat, seinerzeit gebracht hat?
Herr Kollege Duve, der Generalbundesanwalt hat nachgefragt - ich wiederhole mich hier in der Tat -, wie dieser Besuch einzustufen ist. Dann hat das Bundesministerium der Justiz stellvertretend für die Bundesregierung, dem Generalbundesanwalt mitgeteilt, daß es sich um einen Fall nach § 20 Abs. 1 handele.
Daraus, daß § 20 Abs. 1 existiert, ersehen Sie bereits, daß es sich nicht um einen Einzelfall handelt, sondern um eine Problematik, der sich der Gesetzge-
Parl. Staatssekretär Eduard Lintner
ber aus gutem Grund angenommen hat; denn solche Kollisionen können immer wieder entstehen. Im Falle des Besuchs von Minister Fallahian ist eine entsprechende Konkretisierung erfolgt. Deshalb ist dieser Fall aber nicht einmalig.
Weitere Zusatzfragen? - Herr Kollege Schily.
Ich möchte nur schnell an die Adresse des Kollegen Duve sagen: An sich sollten Fragen nach unserer Geschäftsordnung keine Bewertungen enthalten. Davon abgesehen hatte ich den Eindruck, daß der Kollege Lintner ziemlich flüssig gesprochen hat.
Bitte, Herr Schily.
Herr Staatssekretär, Sie haben davon gesprochen, daß auch in anderen Fällen solche Anordnungen ergangen seien. Können Sie uns sagen, in wie vielen Fällen das geschehen ist?
Herr Kollege Schily, natürlich nicht. Darauf bin ich jetzt nicht vorbereitet.
Sie müßten auf den schriftlichen Weg verwiesen werden. Das tue ich hiermit.
Kollege Kemper.
Herr Staatssekretär, hat es im Vorfeld dieses Besuches über den Generalbundesanwalt oder das BKA Hinweise an die Bundesregierung gegeben, daß eine Festnahme geplant ist?
Meines Wissens nicht. Um Auskunft zu erhalten, müssen Sie aber in diesem Punkt letztlich den Generalbundesanwalt fragen.
Kollege Graf.
Herr Staatssekretär, gibt es in diesem Zusammenhang einen Schriftwechsel zwischen dem BKA und dem Generalbundesanwalt, der möglicherweise im Bundeskanzleramt oder im Justizministerium liegt? Wenn ja: Sind Sie gegebenenfalls bereit, diesen kompletten Vorgang der PKK zur Verfügung zu stellen, wenn Sie sich hierzu nicht äußern wollen, und im Innenausschuß Rede und Antwort zu stehen?
,Herr Kollege Graf, mir liegen jeweils ein Schreiben des Bundeskriminalamtes und des Bundesministeriums der Justiz vor. Ob es darüber hinaus noch weitere Schreiben gegeben hat, kann ich Ihnen jetzt nicht beantworten.
In dem einem Schreiben teilt das Bundeskriminalamt mit, daß es dem Generalbundesanwalt keinen Vorschlag gemacht hat. - Das nur zur Beantwortung all der Fragen, ob das Bundeskriminalamt etwas vorhatte.
In dem anderen Schreiben teilt der Bundesminister der Justiz dem Bundesministerium des Innern mit, daß seinerzeit auf Nachfrage des Generalbundesanwalts die Auskunft gegeben worden sei, § 20 Abs. 1 sei zutreffend.
Weitere Zusatzfragen werden nicht gestellt. Dann bedanke ich mich für die Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Die Fragen 45 bis 52, die zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz eingereicht worden sind, sollen insgesamt schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, 7. Dezember 1995, um 9.00 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.