Gesamtes Protokol
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Themen der Kabinettssitzung erstens „Privatisierung von Flughäfen und Verkauf von Bundesanteilen", zweitens „Verringerung von Beteiligungen des Bundes - Fortschreibung 1995" und drittens „Verbesserung der Beschäftigungssituation Schwerbehinderter im öffentlichen Dienst des Bundes" mitgeteilt.
Das Kabinett hat sich außerdem mit dem Antrag der Bundesregierung „Deutsche Beteiligung an den militärischen Maßnahmen zur Absicherung des Friedensvertrags für Bosnien-Herzegowina" befaßt. Über diesen Antrag werden wir morgen beraten; das ist heute also nicht Gegenstand der Befragung.
Das Wort für den einleitenden Bericht hat der Bundesminister für Verkehr, Matthias Wissmann.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bundeskabinett hat sich gestern mit Berichten des Bundesfinanzministeriums und des Bundesverkehrsministeriums zur Verringerung von Beteiligungen des Bundes befaßt, auf die ich gleich noch näher eingehen werde.
Des weiteren hat sich das Kabinett mit der Beschäftigung Schwerbehinderter im öffentlichen Dienst des Bundes befaßt. Nach dem Bericht von Bundesarbeitsminister Norbert Blüm lag die Beschäftigungsquote des Bundes für Schwerbehinderte Ende Juni 1995 bei 6,7 Prozent. Die Bundesregierung hat mit Genugtuung zur Kenntnis genommen, daß der" Bund damit Mitte 1995, wie bereits im Jahre 1994, die Beschäftigungspflicht für Schwerbehinderte wieder erfüllt. Die Quote ist gegenüber dem Vorjahr um 0,3 Prozentpunkte gestiegen. Die Bundesregierung will ihre Bemühungen fortsetzen, diesen Stand der Beschäftigung Schwerbehinderter zu halten.
Ein weiteres Thema - Frau Präsidentin, Sie haben es eben angesprochen - waren die Folgerungen aus der Friedensvereinbarung für Bosnien. Hierzu wird der Bundesaußenminister, wie Sie wissen, morgen eine Regierungserklärung abgeben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Bundeskanzler und Bundeskabinett haben BMF und BMV im Rahmen der Vorlage des Berichts „Verringerung von Beteiligungen des Bundes - Fortschreibung 1994" beauftragt, die Prüfung des von der Haushaltsordnung geforderten „wichtigen Bundesinteresses" bei Beteiligungen des Bundes unter Anlegung strenger Maßstäbe fortzusetzen und eine weitere Verringerung von Bundesbeteiligungen vorzubereiten.
Die jetzt vorgelegte „Fortschreibung 1995" und die darin vorgeschlagenen Maßnahmen tragen der Zielsetzung „schlanker Staat" in hohem Maße Rechnung. Der Staat soll sich nach Überzeugung der Bundesregierung auf den Kern seiner Aufgaben konzentrieren. Er soll sich aus unternehmerischer Betätigung zurückziehen, die Private effizienter und besser erledigen können oder für die es keine zwingenden Gründe gibt.
Die „Fortschreibung 1995" bestätigt zudem die konsequente Weiterentwicklung der Privatisierungspolitik des Bundes. So wurden seit der „Fortschreibung 1994 " zehn Bundesbeteiligungen mit einem Volumen von 1,2 Milliarden DM vollständig und eine weitere, die Deutsche Lufthansa, teilweise veräußert. Diese Politik wird, wie Sie wissen, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch vom Internationalen Währungsfonds, von der OECD, dem Sachverständigenrat und der Monopolkommission gestützt.
Die Privatisierungsschwerpunkte der Zukunft sind die weitere Umsetzung der Post- und Bahnreform sowie die vollständige Privatisierung der Lufthansa.
Darüber hinaus wird der Bund seine Anteile an den beiden Wohnungsbaugesellschaften Gemeinnützige Deutsche Wohnungsbaugesellschaft und Frankfurter Siedlungsgesellschaft, FSG, veräußern. Dabei werden - ich betone dies - die Anteile veräußert nicht die Wohnungen. Die Gesellschaften werden weitergeführt. Die Vertragsverhältnisse zwischen den Gesellschaften und den Mietern bleiben von dieser Privatisierung unberührt. Die Belegungsrechte sind gesichert.
Bundesminister Matthias Wissmann
Eine Privatisierung bzw. Verringerung bestehender Beteiligungen ist - zum Teil noch in der laufenden Legislaturperiode - bei zahlreichen Unternehmen beabsichtigt. Dies gilt - ich nenne die Unternehmen - für die Autobahn Tank & Rast AG, für die Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, für die Deutsche Baurevision AG, für die Deutsche Siedlungs- und Landesrentenbank, für die Gästehaus Petersberg GmbH, für die Mon Repos Erholungsheim Davos AG, für die Neckar AG sowie für weitere Unternehmen aus den Bereichen Verkehr und Banken.
Ein Schwerpunkt der Weiterentwicklung der Privatisierungspolitik wird auch in der Überführung von öffentlichen Aufgaben in privatrechtliche Organisationen mit der Zielsetzung der Aufnahme privaten Beteiligungskapitals liegen; nach den Beispielen Deutsche Bahn AG, Post-Nachfolgegesellschaften oder Bundesdruckerei GmbH.
Wenn nationale und internationale Institutionen eine stärkere Privatisierung in Deutschland einfordern, ist damit nicht nur die Ebene des Bundes angesprochen; eindeutige Adressaten sind vielmehr Länder und Kommunen. Ich wiederhole daher den Appell des Bundesfinanzministers an Länder und Kommunen, ihr Privatisierungstempo in eigener Verantwortung zu erhöhen und dem guten Privatisierungsbeispiel des Bundes zu folgen.
Dabei verkenne ich nicht den Privatisierungserfolg dieser Gebietskörperschaften in Einzelfällen.
Auf der Grundlage der sozialen Marktwirtschaft bleibt es eine gesamtstaatliche Aufgabe,, die Bedingungen für private Initiative und für mehr Wettbewerb weiter zu verbessern und auch durch Privatisierung einen Beitrag zur Reduzierung der Staatsquote zu leisten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Bundeskabinett hat zudem wegen der Komplexität des Sachverhaltes das Thema Privatisierung von Flughäfen und Verkauf von Bundesanteilen gesondert behandelt und zustimmend zur Kenntnis genommen. Der Bericht zeigt Lösungsmöglichkeiten für eine mittelfristige Entstaatlichung auch auf dem Flughafensektor auf, die ich im Interesse von noch mehr privater Initiative und Wettbewerb konsequent voranbringen möchte.
Aus der Sicht des Bundes sind die Voraussetzungen für eine Privatisierung bei den Flughäfen Hamburg und Köln/Bonn erfüllt. Beide Unternehmen sind wirtschaftlich konsolidiert und können ihre weitere Entwicklung aus eigener Kraft bestreiten. Bei den drei übrigen Flughafenbeteiligungen des Bundes - Frankfurt/Main, München und Berlin - sind die Voraussetzungen aus einer Vielzahl von Gründen derzeit noch nicht gegeben, zum Teil aus wirtschaftlichen Gründen, zum Teil aus Gründen übergeordneter Verkehrspolitik.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, wir werden als Bundesregierung bei der Einleitung der Privatisierung der Bundesanteile an den Flughafengesellschaften Hamburg und Köln/Bonn auf die Wahrung der verkehrspolitischen Anliegen - unter anderem bezüglich der Bundesstadt Bonn - ebenso achten wie auf die Interessen der Beschäftigten. Damit sichern wir die Position der deutschen Flughäfen im internationalen Luftverkehrsmarkt auch bei dem angestrebten Einsatz privaten Kapitals.
Frau Präsidentin, ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und das Interesse.
Danke schön, Herr Minister. Als erster Fragesteller Klaus Hasenfratz.
Herr Minister, teilen Sie erstens unsere Auffassung, daß die Erlöse aus der Lufthansa-Privatisierung dem Einzelplan 12 anstatt dem Einzelplan 60 zufließen müssen, nachdem die Belastungen aus der VBL-Leistung dem Einzelplan 12 zugetragen werden? Derzeit kommen also die Ausgaben aus dem Einzelplan 12, und die Einnahmen fließen dem Einzelplan 60 zu. Das halten wir für nicht gerechtfertigt.
Zweitens. Ist es richtig, daß die für 1995 aus der Lufthansa-Privatisierung erwarteten Haushaltseinnahmen in Höhe von 1,25 Milliarden DM ausgefallen sind und sich somit als Luftbuchung für den Haushalt 1995 erwiesen haben?
Herr Minister.
Erstens, Herr Kollege Hasenfratz: Entscheidend ist nicht, welchem Einzelhaushalt die Einnahmen aus der Privatisierung zugeführt werden, sondern daß auch aus Privatisierungseinnahmen mittelfristig der Spielraum für Investitionen des Bundes im Verkehrsbereich erhöht wird. Dies können Sie ja bereits in bezug auf den Haushalt 1996 feststellen; ansonsten wären wir zu sehr viel größeren Einsparungen gezwungen gewesen.
Zweitens. Wir haben bei der Privatisierung der Lufthansa ohnehin einen über ein Jahr hinausgehenden Zeitraum im Blick gehabt, und wir gehen davon aus, daß wir die Gesamtoperation der Privatisierung der Deutschen Lufthansa erfolgreich abschließen können. Wir nehmen im übrigen an, daß wir auch durch die Privatisierung die erfolgreiche Geschäftspolitik der Lufthansa in den kommenden Jahren stützen werden.
Zusatzfrage? - Nein. Dann ist der nächste Fragesteller Herr Ibrügger.
Erstens, Herr Minister: Mit welchen Einnahmen für den Haushalt 1996 aus dem Verkauf von Aktien des Bundes an der Deutschen Lufthansa rechnen Sie? Zweitens: Wie stellen Sie sicher, daß der nach dem Recht der Europäischen Union geforderte Mehrheitsanteilsbesitz von Anteilseignern in der Europäischen Union auch gewährleistet wird, so daß die Eigentumsstruktur der Deut-
Lothar Ibrügger
schen Lufthansa auch dann dem europäischen Recht entspricht, wenn der Bund seinen Anteil erheblich reduziert haben wird?
Herr Kollege, Sie werden sicher verstehen, daß es leichtfertig wäre, die Einnahmen durch die Privatisierung der Lufthansa jetzt mit einer bestimmten Summe zu beziffern. Wir würden damit nur Spekulationen am Kapitalmarkt auslösen, die wir alle gemeinsam sicher nicht verursachen sollten. Wir alle freuen uns darüber, daß es durch die erfolgreiche Luftverkehrspolitik und die erfolgreiche Privatisierungspolitik der Bundesregierung, durch das deutsch-amerikanische Luftverkehrsabkommen und durch die eigenen Anstrengungen der Lufthansa gelungen ist, in den beiden letzten Jahren zu einer erheblichen Steigerung des Wertes der Aktie der Lufthansa zu kommen. Wir gehen davon aus, daß wir, wenn wir die weiteren Schritte zur Privatisierung tun, auf der Basis solcher Aktienkurse erhebliche Erlöse erzielen werden.
Zu der Problematik des Eigentümernachweises, die Sie in Ihrer zweiten Frage angesprochen haben, kann ich nur sagen, daß wir jetzt zügig die Ergebnisse eines entsprechenden Rechtsgutachtens vorgelegt bekommen werden. Das Rechtsgutachten sichert, daß wir auf der einen Seite den Regeln der Europäischen Union über den Eigentümernachweis entsprechen und auf der anderen Seite trotzdem zu einer vollständigen Privatisierung der Lufthansa kommen werden. Das Gutachten wird gegenwärtig in einer interministeriellen Arbeitsgruppe vorbereitet; das Ganze wird zügig abgeschlossen.
Als nächste die Kollegin Ferner.
Ich möchte noch einmal nachfragen. Herr Minister, Sie haben gesagt, Sie wollen, um keine Spekulationen am Kapitalmarkt auszulösen, jetzt keine konkreten Summen nennen. Aber irgendwie muß die Bundesregierung ja doch zu einem Ergebnis gekommen sein; denn im Haushaltsentwurf 1996, der ja beschlossen worden ist, ist im Einzelplan 60 - zwar unter Hinzunahme der Neckar AG, der Tank & Rast und der Lufthansa - immerhin ein Betrag von 1,9 Milliarden DM ausgewiesen. Irgendwie müssen Sie ja auf diese Summe gekommen sein. Ich nehme einmal im Sinne der Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit nicht an, daß Sie irgendeine Zahl wild aus der Luft gegriffen haben.
Wir können, Frau Kollegin Ferner, aus den Gründen, die ich Ihnen genannt habe, über die gemachten Angaben hinaus keine neuen Angaben machen. Wir würden sonst nur Spekulationen an den Kapitalmärkten hervorrufen, die wir mit Rücksicht auf die
Lufthansa und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf keinen Fall verursachen wollen.
Als nächster der Kollege Jung.
Herr Minister, eben ist das Stichwort Tank & Rast AG genannt worden. Können Sie uns bitte sagen, ob es in Verfolg eines einstimmigen Beschlusses des Verkehrsausschusses bei der Mittelstandskomponente hinsichtlich des Börsenganges bleibt und ob unsere Forderung, wonach die zeitliche Abfolge weniger wichtig ist als die breite Streuung der Aktien, nach wie vor auch von der Bundesregierung vertreten und umgesetzt wird?
Herr Kollege Jung, ich will die beiden Punkte, die Sie erwähnen, noch einmal nachdrücklich unterstreichen. Sie sind auch von meiner eigenen Überzeugung getragen. Wir haben nicht vor, bei der Tank & Rast AG die Tür für Serienanbieter zu öffnen, ohne dem Mittelstand eine Chance zu lassen. Ohne den Mittelstand wird es auch in Zukunft keinen Betrieb der Tank & Rast geben, auch nicht in privatisierter Form.
Frau Mattischeck.
Herr Minister, trifft es zu, daß nur die Anteile des Bundes an wirtschaftlich konsolidierten Flughafengesellschaften veräußert werden sollen? In welcher Höhe verzichtet der Bund damit auf Gewinnerlöse? Kommen mit der Veräußerung der konsolidierten Flughafengesellschaften neue Lasten aus den Defiziten der übrigen Flughafengesellschaften, wie etwa München, auf uns zu?
Es kommen keine neuen Lasten durch andere, gegenwärtig nicht von der Privatisierung betroffene Gesellschaften auf uns zu. Aber klar ist natürlich, daß nur jene Flughafengesellschaften für eine Privatisierung offenstehen, die eine wirtschaftlich solide Grundlage haben und bei denen es gleichzeitig keine übergeordneten luftverkehrsrechtlichen Einwände gibt. Dafür bieten sich nach übereinstimmender Auffassung des Bundeskabinetts gegenwärtig die beiden genannten Flughäfen, Köln/Bonn und Hamburg, an.
Im übrigen ist die Bundesregierung der Auffassung, daß man die Anliegen der Beschäftigten sowie die luftverkehrspolitischen Anliegen an diesen beiden Standorten auch nach einer Privatisierung wahrnehmen kann.
Herr Königshofen.
Herr Minister, die neue Landesregierung von Nordrhein-Westfalen hat ja Maßnahmen vereinbart, die den Luftverkehr eindämmen. So hat sie zum Beispiel Nachtflugverbote erlassen. Inwieweit sehen Sie damit Interessen des Bundes beim Regierungsflughafen Köln/Bonn beeinträchtigt?
Herr Kollege Königshofen, die Bundesregierung wird die beiden Anliegen, die in Ihrer Frage aufleuchten, auch in den kommenden Jahren konsequent wahrnehmen: Sie wird auf der einen Seite den Standort Deutschland auch in den kommenden Jahrzehnten in bezug auf den Luftverkehrsmarkt sichern. Gestern hatte ich die Initiative „Pro Luftfahrt" zu Gast, deren Vertreter mir 100 000 Unterschriften überreicht haben von Menschen, die um den Standort Deutschland als Luftverkehrsmarkt besorgt sind
und die eine Million Beschäftigte repräsentieren. Deren Anliegen werden wir auch in einem verschärften Standortwettbewerb auf keinen Fall vernachlässigen.
Auf der anderen Seite nimmt die Bundesregierung Lärmschutz und Umweltschutz ernst. Wir haben beispielsweise eine bestimmte Generation von Flugzeugen, die Kapitel-2-Flugzeuge, also die ältesten und lautesten Flugzeuge, in der Europäischen Union aus dem Markt gezogen. Sie können in Deutschland nicht mehr starten und landen. Damit nehmen wir auch das zweite Interesse, das Sie zum Ausdruck gebracht haben, wahr. Wir würden aber keine Politik von Landesregierungen mitmachen, die die Existenz von Flughäfen mit ihrer enormen wirtschaftlichen Bedeutung gefährden könnte.
Herr Jung.
Herr Minister, ist es richtig, daß es schon früher Bundesbeteiligungen an anderen deutschen Flughäfen gab, die aufgegeben worden sind? Hat es dabei Beeinträchtigungen der wirtschaftlichen Weiterentwicklung dieser Flughäfen gegeben oder nicht?
Ich kann solche Erfahrungen nicht bestätigen, Herr Kollege Jung. Es gibt eine ganze Zahl von Flughäfen ohne Bundesbeteiligung, die ohne Beeinträchtigungen betrieben werden. Auch international gibt es Flughäfen, an denen es keine staatlichen Beteiligungen gibt und die erfolgreich betrieben werden.
Aber, Herr Kollege Jung, ich habe es ja dargestellt: Wir machen keine Privatisierungspolitik um jeden Preis, sondern wir gehen stufenweise vor, nach Abwägung jedes Einzelfalls und immer mit Rücksicht auf die betroffenen Beschäftigten und die regionale Situation. So haben wir es auch bei der Flughafenpolitik in den kommenden Jahren vor.
Angelika Graf.
Herr Minister, plant die Bundesregierung, mittelfristig alle Bundesanteile an Flughafengesellschaften zu verkaufen? Wenn dem so ist: Wie will die Bundesregierung dann Einfluß auf die Entwicklung der Luftverkehrsinfrastrukturen nehmen?
Frau Kollegin, wir haben nur für die zwei genannten Flughafengesellschaften entschieden, die Privatisierung einzuleiten. Bei den anderen haben wir gesagt: Eine Entscheidung kann gegenwärtig nicht getroffen werden. Ob sie später getroffen werden kann, muß im Lichte der künftigen Entwicklung erwogen werden.
Klar ist natürlich, daß wir beispielsweise für Berlin/Brandenburg eine solche Entscheidung angesichts der dortigen wirtschaftlichen Situation und auch angesichts der offenen Frage des Großflughafens heute nicht treffen könnten, daß wir für München angesichts des dortigen enormen Abschreibungsbedarfs große Schwierigkeiten hätten, eine solche Entscheidung zu treffen, und daß für Frankfurt, das internationale Luftdrehkreuz Deutschlands, angesichts der offenen Frage der Liberalisierung des Bodenverkehrsdienstes eine solche Entscheidung nicht anzuraten ist. Wir haben also zwei Entscheidungen eingeleitet; die anderen behandeln wir so, wie ich es eben angesprochen habe.
Elke Ferner.
Herr Minister, ich möchte auf das zurückkommen, was meine Kollegin Mattischeck gefragt hat. Können Sie, da Sie bei den zwei genannten Flughäfen Veräußerungsgewinne erwarten, um damit Löcher im Bundeshaushalt zu stopfen, ausschließen, daß durch die Flughäfen, die derzeit überhaupt nicht wirtschaftlich zu betreiben sind oder mit den Schwierigkeiten behaftet sind, die Sie selbst dargestellt haben, und durch die Bundesanteile an diesen Flughäfen möglicherweise Lasten auf den Bundeshaushalt zukommen, die durch Gewinnerlöse der Flughäfen, die Sie dann nicht mehr haben werden, hätten gedeckt werden können?
Wir haben nicht vor, diese Überlegungen jetzt zu vertiefen, Frau Kollegin Ferner. Daß das Thema unideologisch, parteiübergreifend gesehen werden kann, merken Sie daran, daß der frühere sozialdemokratische Verkehrsminister von Nordrhein-Westfalen vor etwas mehr als einem Jahr die Abgabe der Landesbeteiligungen ebenfalls öffentlich erwogen hat. Das zeigt, daß das kein Thema ist, das sich für den parteipolitischen Stellungskampf eignet.
Vielmehr muß sehr sachlich Einzelfall für Einzelfall abgewogen werden, ob eine solche Privatisierung verantwortbar ist und welche Erträge sie bringt. Das wird in einem Gutachten zu quantifizieren sein. Das können wir heute gar nicht endgültig sagen. Ebenso
Bundesminister Matthias Wissmann
muß abgewogen werden, wie wir die Interessen der Region - etwa im Falle Köln/Bonn der Bundesstadt Bonn - auch in einem privatisierten Konzept wahrnehmen können. Wir gehen dabei sehr sorgsam und Schritt für Schritt vor und wissen, daß wir bei den beiden Flughäfen hinsichtlich der endgültigen Entscheidung nicht mit einer ganz kurzen Frist rechnen können.
Günter Oesinghaus.
Herr Minister, ich habe eine Nachfrage zu dem angesprochenen Thema Nachtflugverbot. Ist Ihnen bekannt - ich habe schon eine entsprechende schriftliche Anfrage an Sie gerichtet -, daß die CDU-Fraktion im Rat der Stadt Köln mit den Grünen eine Lärmobergrenze für Nachtflüge von 75 Dezibel durchgesetzt hat und auf der Einhaltung dieser Obergrenze besteht? Sie haben damals in Ihrer Antwort gesagt: Sie sehen als Anteilseigner keine Möglichkeiten, diesbezüglich auf die Kommune einzuwirken. Ich möchte Sie fragen: Welche Auswirkungen hat die Einhaltung dieser 75-Dezibel-Grenze auf ein Nachtflugverbot?
Herr Kollege, für Köln/Bonn, aber auch für andere deutsche Flughäfen kann ich Ihnen nur sagen, daß wir hart daran arbeiten. Wir haben im April dieses Jahres mit der Herausnahme der alten Kapitel-2-
Flugzeuge eine klare Entscheidung durchgesetzt, die alten und lautstarken Flugzeuge aus dem Verkehr zu ziehen. Beispielsweise hinsichtlich Köln/Bonn - da geht es insbesondere um bestimmte Frachtgesellschaften - drängen wir darauf, daß weitere ältere Flugzeuge aus dem Verkehr gezogen werden.
Eines muß natürlich jede Kollegin und jeder Kollege wissen: Es handelt sich um eine Güterabwägung. Einerseits wollen wir Deutschland - in diesem Falle auch Nordrhein-Westfalen - als Standort für den Luftverkehrsmarkt im Passagier- und im Frachtbereich sichern und eine Verlagerung etwa in die Benelux-Länder vermeiden. Dort bestehen attraktivste Angebote.
Andererseits haben wir eine Sorgfaltspflicht für die betroffenen Bürger hinsichtlich des Lärm- und Umweltschutzes, und wir versuchen, beide Gedanken auch im Falle Köln/Bonn zusammenzuführen.
Herr Kollege Horst Friedrich.
Herr Minister, sehen Sie eine Chance für die Bundesregierung, daß gerade im Hinblick auf Köln/Bonn von einer Verschärfung des Nachtflugverbotes abgesehen wird, weil sich andeutet, daß Frachtfirmen ihren Standort nach Belgien oder Luxemburg verlagern, was wiederum zu einem Arbeitsplatzexport und darüber hinaus dazu führt - das ist nicht nur Nebenprodukt, sondern sehr zu bedauern -, daß die Frachten trotzdem in der Nacht nach Deutschland kommen, allerdings auf der Straße und im Lkw?
Herr Kollege Friedrich, wir können uns auf keinen Fall angesichts der Herausforderungen für den Standort Deutschland, was Arbeitsplätze und wirtschaftliche Dynamik betrifft, eine provinzielle Luftverkehrspolitik gestatten, die den Abzug von wichtigen Unternehmen sozusagen als Nebensache in Kauf nimmt.
Auf der anderen Seite muß diesen Unternehmen auch klar sein, daß in Deutschland wie überhaupt in Europa nicht die - ich sage es einmal etwas lässig - alten Schlitten eingesetzt werden können, sondern hochmoderne treibstoff- und lärmarme Flugzeuge verwendet werden müssen. Das Bundesverkehrsministerium und die gesamte Bundesregierung versuchen, diese beiden Gesichtspunkte immer wieder in harten Verhandlungen in Übereinstimmung zu bringen.
Monika Ganseforth, bitte.
Herr Minister, eigentlich möchte ich von diesem Lieblingsthema Luftverkehr - ich könnte aus Hannover von veralteten Maschinen einiges erzählen - weg. Sie haben gesagt, daß die Bundesregierung, um den Haushalt auszugleichen, das Tafelsilber verkauft. Ich habe eine Frage zur Neckar AG. Sie haben erwähnt, daß auch deren Anteile verkauft werden sollen.
Das sind sehr viele Anteile, und ich möchte wissen, warum kein Bietungsverfahren stattfinden soll. Der Bundesrechnungshof hat das bei Veräußerungen in dieser Größenordnung vorgeschrieben, zum Beispiel beim Verkauf der Bundesanteile der Rhein-MainDonau AG. Warum wird bei der Neckar AG davon abgesehen, ein Bietungsverfahren stattfinden zu lassen?
Uns geht es bei der Neckar AG zum einen um eine sachgerechte und zum anderen um eine zügige Lösung. Eine solche Lösung können wir wie in anderen Fällen auch nur in Abstimmung mit den beteiligten Landesregierungen erreichen. Um eine solche Entscheidung waren wir bemüht; deswegen glauben wir, daß wir die Entscheidung in Sachen Neckar AG auch ohne Bietungsverfahren sehr wohl verantworten können.
Herr Jung.
Herr Minister, Sie sprachen soeben vom Standort Deutschland und der Konkurrenzsituation der Flughäfen untereinander. Sind Sie mit mir der Auffassung, daß wir schon ungleiche Startbedingungen haben, wenn
Michael Jung
zum Beispiel Schiphol die fünfte Start- und Landebahn baut, von der Regierung und den kommunalen Gremien vor Ort subventioniert? Denken Sie nicht, daß wir angesichts des erheblichen Abzugs des Luftverkehrs, insbesondere aus Nordrhein-Westfalen, und von expansionswilligen Firmen sehr darauf zu achten haben, daß sich dieser Sog nicht verstärkt, damit wir nicht weitere Nachteile hinnehmen müssen?
Herr Kollege Jung, ich kann Ihre Sorge nur bestätigen. Deswegen habe ich auch davon gesprochen, daß eine Politik, die Luftverkehr um jeden Preis durch Auflagen verhindern würde, für unseren Standort und für Tausende von Arbeitsplätzen außerordentlich gefährlich wäre. Deswegen habe ich auch klargemacht, daß ich einer einseitigen Betrachtung dieses Themas, wie sie gelegentlich in Resolutionen zum Ausdruck kommt, auf keinen Fall folgen würde.
Ich sage noch einmal: 1 Million Beschäftigte sind in und um den Luftverkehr in Deutschland tätig. An einem Standort wie Frankfurt befindet sich mit dem Frankfurter Flughafen, wenn man alles zusammennimmt, letztlich der größte Arbeitgeber Deutschlands. Eine verantwortliche Politik muß dieses Thema in vollem Umfang mit einbeziehen. Es gibt inzwischen - Sie haben es gesagt - angesichts einer relativ geringen Entfernung einen harten Wettbewerb.
Ich habe vor einiger Zeit bei der Einweihung des neuen Terminals in Münster einige der verantwortlichen Kommunalpolitiker darauf aufmerksam machen müssen, daß eine Anbindung dieses regionalen Flughafens auch durch übergeordnete Straßen zwingend erforderlich sei und daß ich es ökologisch wie ökonomisch auf keinen Fall für verantwortbar hielte, darauf zu setzen, zwar ein neues Terminal in Münster zu haben, die Menschen dann aber - ohne solche Straßen - dazu zu bringen, ein paar hundert Kilometer weiter in die Benelux-Länder zu fahren. Ich wüßte nicht, welcher ökologische Sinn darin bestünde, eine solche Straßenanbindung in Münster zu verhindern und die Menschen dann weite Strecken mit dem Auto zurücklegen zu lassen. Es wäre weder ökonomisch noch ökologisch sinnvoll. Deswegen teile ich die in Ihrer Frage gemachte Bemerkung.
Ich habe zu diesem Komplex noch fünf Wortmeldungen vorliegen. Gibt es freie Fragen, die danach noch kommen werden?
- Außer den fünf genannten kann ich keine weiteren zulassen. Danach kommt dann noch eine freie Frage.
- Herr Konrad Kunick.
Herr Minister, Sie haben - sicherlich zu Recht - gesagt, Sie wollten einen Veräußerungserlös für die Lufthansa heute nicht benennen. Das ist vor dem Hintergrund vielfach berichteter Hindernisse, die mit der Veräußerung zusammenhängen, auch vernünftig. Sie haben gesagt, bei den
Flughäfen hätten Sie noch kein Wertgutachten. Auch da könnten Sie noch nicht sagen, was herauskommt. Wenn ich an das Eisenbahnvermögen denke, so liegt auch hier sicherlich noch ein weiter Weg vor Ihnen. Dies gilt insbesondere dann, wenn man ganz bestimmte Summen erreichen will.
Sie haben auf der anderen Seite im Bundeshaushalt 1996 ganz konkrete Beträge, die aus den Veräußerungen gedeckt werden müssen. Sehen Sie angesichts der vielen Risiken bei den Veräußerungen der einzelnen Posten des Bundesvermögens gegebenenfalls noch einen anderen Weg, zu Einnahmen im Bundeshaushalt zu kommen?
Der Staatssekretär im Bundesfinanzministerium wird antworten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, die Daten, die im Haushalt 1996 angesetzt sind, sind von diesem Haus so gebilligt worden. Der Haushalt ist verabschiedet.
Was weitere Veräußerungsvorhaben angeht, muß man die normalen Verfahren abwarten. Das betrifft die Privatisierung im Bereich Bundeseisenbahnvermögen und in anderen Bereichen, die angesprochen worden sind. Hierzu kann jetzt noch nichts konkret gesagt werden. Hier müssen die einzelnen Schritte, die in den jeweiligen Verfahren vorgesehen sind, abgewartet werden.
Zusatzfrage.
Wer hat denn die Einzelpositionen ermittelt, die zu den Beträgen geführt haben, die im Haushalt als Einnahmen eingesetzt wurden?
Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, diese Zahlen sind im Haushaltsausschuß begründet worden. Sie sind von diesem Hause gebilligt worden, zumindest insoweit, wie sie den Haushalt 1996 betreffen.
Was die einzelnen Posten, zum Beispiel Postbank - die Postbank ist in diesem Bereich ein Punkt -, angeht, ist zu sagen: Hierzu erwarten wir zu Beginn des nächsten Jahres ein Wertgutachten, um die Schritte der Privatisierung fortzusetzen. Bisher genannte Ansätze sind, zumindest in diesem Bereich, Mindestansätze.
Danke. - Frau Rehbock-Zureich.
Herr Minister, ich möchte auf die Neckar AG zurückkommen. Warum werden die Einnahmen aus der Privatisierung dieser
Karin Rehbock-Zureich
Vermögenswerte nicht in Verkehrsinvestitionen eingesetzt, so daß ein Realtausch stattfinden könnte?
Eine zweite Frage: Mit welchen Einnahmen rechnet die Bundesregierung bei dieser Veräußerung?
Frau Kollegin, Sie wissen, daß es nach geltendem Recht eine Zweckbindung nicht gibt. Klar ist natürlich, daß durch die weiteren Privatisierungserfolge nicht nur Perspektiven für die Konsolidierung der Haushalte, sondern auch Perspektiven für die Investitionspolitik des Bundes aufleuchten. Darum geht es dem Bundesverkehrsminister natürlich im besonderen.
Wir werden dem Ausschuß in Kürze über den konkreten Vorgang bei der Neckar AG, soweit das nicht schon erfolgt ist, mit detaillierten Zahlen berichten können.
Herr Kollege Scheffler.
Herr Minister Wissmann, nicht Flughafenprivatisierung und nicht Privatisierung der Neckar AG. Ich komme jetzt zur Privatisierung bzw. Veräußerung von Eisenbahnerwohnungen.
Ich frage Sie: Wie verträgt sich die Absicht der Bundesregierung, den Wohnungsbestand im Eigentum des Bundeseisenbahnvermögens zu veräußern, mit dem Beschluß des Deutschen Bundestages, also dem parlamentarischen Willen über die Parteigrenzen hinaus, den wir mit der Bahnreform vom 2. Dezember 1993 gefaßt haben? Er lautet:
Die Bundesregierung wird aufgefordert, dafür Sorge zu tragen, ... daß die für die Wohnungsversorgung der Mitarbeiter der Eisenbahnen des Bundes, des Bundeseisenbahnvermögens, des Eisenbahn-Bundesamtes sowie der bisher wohnberechtigten inaktiven Eisenbahner benötigten Wohnungen nicht an Dritte veräußert werden, ...
Eine zweite Frage: Mit Einnahmen in welcher Höhe rechnet die Bundesregierung - -
Herr Kollege, darf ich Sie für einen Moment unterbrechen. - Wir sind bereits über die Zeit hinaus. Wir haben noch eine ganze Reihe von Fragen. Ich bitte Sie, es, wenn es irgend geht, bei der einen Frage bewenden zu lassen, weil auch die anderen Kollegen noch drankommen wollen.
Die Fragen sind bisher ja zugelassen worden. Ich möchte hier keine Kritik äußern. Das steht mir überhaupt nicht zu. Es kommt jetzt nur noch eine ganz kurze Frage.
Mit Einnahmen in welcher Höhe rechnet die Bundesregierung für das Haushaltsjahr 1996, und sollen diese Einnahmen aus den Wohnungserlösen dem Haushalt des BMV zufließen? Denn in einer Antwort auf meine schriftlichen Fragen im Oktober hat Staatssekretär Carstens mir geschrieben: Einer förmlichen Zweckbindung unterliegen diese Mittel nicht.
Herr Kollege, zunächst einmal kann man sagen, daß es bei der Erklärung der Bundesregierung, die im Zusammenhang mit der Bahnreform abgegeben wurde und die ich hier vor einigen Wochen erneuert habe, bleibt. Der soziale Besitzstand der Menschen in den Eisenbahnerwohnungen wird gewahrt. Niemand wird wegen der notwendigen Privatisierung seine Wohnung verlieren. Diese Zusage habe ich auch gegenüber den Gewerkschaften der Bahn, unter anderem gegenüber der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands, abgegeben. Bei diesen Zusagen bleibt es.
Wir gehen auch hier stufenweise vor. Weil wir stufenweise vorgehen, können wir die Einnahmen heute, wenn wir nicht leichtfertig sein wollen, nicht quantifizieren. Aber angesichts eines Bestandes von Wohnungen, der 150 000 überschreitet, angesichts eines Bestandes, bei dem einige 10 000 Wohnungen gar nicht von Eisenbahnern bewohnt werden, ist es, meine ich, mehr als überlegenswert, ob wir diesen Wohnungsbesitz nicht in Zukunft wirtschaftlich vernünftiger und trotzdem sozial verantwortlich managen. Die Perspektiven dafür aufzustoßen war unser Anliegen.
Im übrigen weise ich darauf hin: Eine stufenweise und behutsame Wohnungsprivatisierung ist nicht nur Teil der Politik des Bundes, sondern durchaus auch immer Teil der Politik von Länderregierungen gewesen, auch solcher Länderregierungen, die nicht christlich-demokratisch geführt sind.
Herr Kollege Schily.
Herr Minister, ich habe zwei ganz kurze Fragen: Erstens. Welche finanziellen Lasten werden auf den Bund aus der Berliner Flughafen-Holding zukommen? Zweitens. In welcher Größenordnung wird die allgemeine Luftfahrt aus Steuergeldern subventioniert?
Herr Kollege Schily, Sie wissen, daß die Instabilität der finanziellen Entwicklung der Flughafen-Holding in Berlin/Brandenburg auf Vorgehensweisen einzelner Beteiligter zurückzuführen ist, die beispielsweise von den Aufsichtsratsvertretern des Bundes nicht abgedeckt waren. Ihnen ist bekannt, daß deswegen auch ein Untersuchungsausschuß eingesetzt wurde, der die Vorgehensweise dieser einzelnen Beteiligten untersucht.
Die Bundesregierung hat durch ihre Vertreter von Anfang an mit aller Klarheit und Härte darauf hingewirkt, daß diese Vorgänge bis zum letzten Punkt und Komma aufgeklärt werden und daß die Verantwortlichen im Zweifel zur Rechenschaft gezogen werden.
Bundesminister Matthias Wissmann
Eine Klärung der genauen Zahlen läßt sich durch mich heute nicht vornehmen.
- Es macht auch keinen Sinn, die Größenordnung abzugreifen.
Sie wollten ferner Zahlen zur allgemeinen Luftfahrt haben und wissen, welche Größenordnungen hier eine Rolle spielen. Ich bin gerne bereit, sie Ihnen schriftlich zuzuleiten. Ich habe sie gegenwärtig nicht parat.
- Das habe ich gerade gesagt.
Entschuldigung, Herr Kollege Schily, die Fragen sind gestellt und beantwortet.
Herr Kollege Börnsen.
Herr Präsident, ich hätte an den Herrn Minister noch gerne eine Frage zur Privatisierung von Flughafengesellschaften gestellt, weil das ja das Schwerpunktthema ist. Sie sagen: Es bietet sich zur Zeit keine Paketlösung an. Sie wollen die Privatisierung auf zwei Flughafengesellschaften abstellen. Sie sagen, Sie erwarten dadurch mehr private Initiative und auch mehr Wettbewerb und eine bessere Standortsicherung.
Ich würde dazu gerne wissen: Erstens. Welcher Zeitrahmen schwebt Ihnen bis zur Realisierung dieses Vorhabens vor? Zweitens. Wie binden Sie die regionalen Interessen der Hamburger und der Nordrhein-Westfalen ein, die davon besonders tangiert sind?
Herr Kollege Börnsen, wir haben vor, in einem Stufenplan Schritt für Schritt vorzugehen. Wir werden zuerst in einem Gutachten die Wertfragen klären lassen. Das wird nicht sehr schwierig sein, weil es sich in beiden Fällen um wirtschaftlich konsolidierte Flughafengesellschaften handelt.
Wir werden in einem zweiten Schritt Verhandlungen mit den anderen Beteiligten aufnehmen, beispielsweise auch mit den beteiligten Landesregierungen und den kommunalen Gebietskörperschaften. Wir werden dann in diesem Abstimmungsprozeß die Interessen der Beschäftigten und die jeweiligen regionalen Luftverkehrsanliegen in vollem Umfang wahrnehmen. Warum sollte es dort nicht möglich sein, diese Anliegen zu berücksichtigen, wenn es andere Flughäfen in Deutschland gibt, an denen der Bund überhaupt nicht beteiligt ist und bei denen trotzdem luftverkehrspolitische Interessen schon traditionell wahrgenommen werden können?
Man muß sich darauf einstellen, daß die eigentliche Privatisierung dieser beiden Flughäfen nicht schon im Jahre 1996 erfolgen kann, sondern daß in dem Jahr nur die Schritte eingeleitet werden, um zu dem gewünschten Ergebnis zu kommen.
Herr Kollege Oesinghaus.
Herr Minister, ich habe noch eine Frage zu der Veräußerung von Eisenbahnerwohnungen. Ich möchte gerne wissen: Wann, wie, von wem und mit welchem Ziel sollen die komplizierten Fragen, die dabei auftauchen, nämlich der Wertermittlung, der Marktfähigkeit und der Aufrechterhaltung des Mieterschutzes, geklärt werden?
Wir haben eine entsprechende Arbeitsgruppe eingesetzt, an der die mit dem Bundeseisenbahnvermögen befaßten Ministerien beteiligt sind. Wir lassen uns dabei nicht nur von außen klug beraten, sondern es gibt auch einen engen Abstimmungsprozeß mit den Beteiligten. Ich sage ganz deutlich: Wir werden unsere Entscheidungen so treffen, daß sich die beteiligten Gewerkschaften nicht überfahren fühlen. Vielmehr werden sie in den Gesamtprozeß eingegliedert werden.
Ich betone noch einmal: Dabei wird nichts geschehen, was die Menschen, die solche Wohnungen gemietet haben, in Angst versetzen muß. Die Mieterrechte werden gewahrt. Aber wer sich den kläglichen Zustand mancher Eisenbahnerwohnungen angesehen hat - ich weiß nicht, Herr Kollege, ob Sie sich einmal die Mühe gemacht haben -, der weiß, daß nicht nur die Privatisierung, sondern auch die Modernisierung dringend geboten ist. Beides miteinander in Einklang zu bringen ist das Anliegen der Bundesregierung.
Danke, Herr Bundesminister.
Jetzt rufe ich als letztes eine Frage unter dem Rubrum „Weitere Fragen von aktuellem Interesse" der Kollegin Elke Ferner auf.
Auch ich habe eine Frage an Minister Wissmann. - Wir hatten mit der Bahnreform beschlossen, daß die Werte, die bei der Bahn vorhanden sind, veräußert werden, um damit die übriggebliebenen Schulden der Bahn abzudecken.
Jetzt ist mir zu Ohren gekommen, daß in 1995 von der Bahn AG Liegenschaften in einer Größenordnung von 1,2 Milliarden DM veräußert worden sind, wovon 1 Milliarde DM irgendwo herumvagabundiert, die in Bilanzen oder sonstwo nicht aufzufinden ist und die nach unser aller Verständnis eigentlich dem Bund gehört bzw. dem Bundeseisenbahnvermögen zuzuschreiben ist, um die aufgelaufenen Schulden schneller reduzieren zu können und um nachher größere Freiräume zu haben. Ich frage Sie, Herr Wissmann: Wo ist das Geld geblieben?
Frau Kollegin Ferner, wir haben Sie hier im Bundestag darüber informiert, daß wir nach klugem wirtschaftlichem Rat von innen und außen ein 13,4-Milliarden-DM-Paket geschnürt haben, und zwar mit der Veräußerung nicht bahnnotwendiger Grundstücke bis ins nächste Jahrzehnt hinein. Man muß den nicht so Kundigen sagen: Angesichts der Tatsache, daß der Bund 66 Milliarden DM Schulden der Bahn zum 1. Januar 1994 übernommen hat, ist die Veräußerung solchen nicht bahnnotwendigen Geländes wirklich notwendig.
Wir gehen bei der Verwirklichung Zug um Zug voran und rechnen in den ersten Jahren bereits mit Erlösen von 2 bis 3 Milliarden DM. Ich kann nicht bestätigen, daß 1 Milliarde DM vagabundiert. Vielmehr geht der Prozeß Zug um Zug ordnungsgemäß voran, so wie wir es gegenüber dem Deutschen Bundestag berichtet haben.
Danke, Herr Bundesminister.
Die für die Befragung der Bundesregierung vorgesehene Zeit ist abgelaufen.
- Herr Kollege Struck, die Regeln gelten auch für Sie. - Ich beende die Befragung.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde
- Drucksache 13/3093 -
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Post und Telekommunikation. Die Fragen 1 und 2, die die Kollegin Gabriele Iwersen gestellt hat, sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auf. Bei der Frage 3, gestellt vom Kollegen Dr. Eberhard Brecht, wird ebenfalls um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Die Frage 4 des Kollegen Manfred Such soll ebenfalls schriftlich beantwortet werden. Auch diese Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung. Die Fragen 5 und 6, beide gestellt vom Kollegen Peter Harald Rauen, sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Manfred Carstens zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 7 auf, gestellt vom Kollegen Dr. Klaus Rose:
Ist nach den Vorstellungen der Bundesregierung das zukünftige europäische Hochgeschwindigkeitsnetz in der Linienführung identisch mit einer Karte, wie sie im November-Heft „ZUG" der Deutschen Bahn AG abgebildet ist?
Bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Die im November-Heft „Zug" der Deutschen Bahn AG veröffentlichte Karte des künftigen europäischen Hochgeschwindigkeitsnetzes entspricht den Vorstellungen der Bundesregierung. Die Karte ist dem Abschlußbericht der hochrangigen Gruppe „Europäisches Hochgeschwindigkeitsbahnnetz " vom Juli 1995 entnommen, leider ohne die dazugehörige Legende.
Diese Darstellung des Hochgeschwindigkeitsnetzes ist auch in den Leitschemata „Eisenbahnnetz" gemäß dem gemeinsamen Standpunkt des Rates über „Gemeinschaftliche Leitlinien für den Aufbau eines transeuropäischen Verkehrsnetzes " vom 28. September 1995 enthalten.
Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, nachdem Sie es im Prinzip schon bestätigt haben: Entspricht die Karte auch in den Nuancen genau der Planung, oder sind einzelne gestrichelte Linien ein bißchen verrutscht?
Herr Kollege Dr. Rose, wenn solche Karten aufgezeichnet werden, kann man nicht davon ausgehen, daß nach ihnen bis auf die letzten Meter auch so gebaut wird, weil alles, was die Linienbestimmung angeht, einem Planfeststellungsverfahren unterliegt. Ein Planfeststellungsverfahren hat die Aufgabe, die genaue Bauweise festzustellen. Vom Prinzip her ist die Ausführung aber so gedacht, wie sie in der Karte vorgesehen ist.
Zweite Zusatzfrage.
Ist es dann konkret so, daß die Strecke München-Rosenheim-Kufstein zwar als gestrichelte und damit als Ausbaulinie zu verstehen ist und die Strecke München-Rosenheim-Mühldorf-Salzburg auch, daß aber zwischen Rosenheim und Salzburg kein Ausbau vorgesehen ist?
„Kein Ausbau" kann man sicherlich nicht sagen. Es kommt hier auf die Dringlichkeit an, mit welcher Maßgabe der Bau vonstatten
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6376 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1995
Parl. Staatssekretär Manfred Carstensgehen kann. In der Frage 8 wird darauf näher eingegangen.
Dann stelle ich die Frage an das Haus, ob zu dieser Frage weitere Zusatzfragen gestellt werden. - Das ist offenbar nicht der Fall.
Somit rufe ich die eben schon erwähnte Frage 8 auf, die ebenfalls der Kollege Dr. Klaus Rose gestellt hat:
Welche Priorität hat danach die klassische West-Ost-Verbindung von Köln über Frankfurt, Nürnberg, Passau, Wien nach Budapest und Bukarest, und wie sieht der Zeitplan für den deutschen Anteil dieser Strecke aus?
Ich bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, sie zu beantworten.
Für die Priorität der Verbindung sind auf deutschem Gebiet der Bundesverkehrswegeplan 1992 und der Bedarfsplan als Anlage zum Bundesschienenwegeausbaugesetz von 1993 maßgeblich. In beiden ist die Verbindung KölnFrankfurt/Main-Nürnberg im Vordringlichen Bedarf, die Trasse Nürnberg-Passau unter „länderübergreifende Projekte" eingestuft. Hier kann die endgültige Festlegung des Ausbauumfangs erst nach Abschluß der Abstimmung mit Österreich getroffen werden. Bei der Neubaustrecke Köln-Rhein/Main wird noch in diesem Jahr mit dem Bau begonnen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, nachdem die Aussage, daß die besagte Trasse unter „länderübergreifende Projekte" eingestuft ist - was ich auch verstehe -, schon seit einigen Jahren besteht, aber nichts weitergeht, frage ich: Ist die Eisenbahnverbindung gut genug, daß die länderübergreifende Abstimmung bald abgeschlossen ist und auch bald zu einem Ergebnis führt?
Wir müssen feststellen, daß diese Strecke jederzeit, wenn also die Ausbaureife gegeben ist, von „länderübergreifende Projekte" in den Vordringlichen Bedarf übernommen werden kann. Wir sind aber im Moment mit Österreich noch nicht so weit, als daß wir diesen Schritt gehen könnten. Wir bemühen uns aber, ihn möglichst zügig zu tun.
Zweite Zusatzfrage, Kollege Rose.
Bei dem Wort „zügig" fällt mir natürlich ein, Herr Staatssekretär, daß es etwas mit dem Begriff „Zug" zu tun hat. Was heißt „zügig"? Kann man da keinen Termin nennen oder zumindest ein Jahr angeben? Normalerweise erfolgt am Ende eine genaue Festlegung, indem man sagt: Bis zum Jahre 1996 oder 1997 werden wir das Ergebnis haben.
Herr Kollege Dr. Rose, ich werde es in diesem speziellen Fall so praktizieren, daß ich mir aufgrund des genauen Sachstandes noch in den nächsten Tagen ein Bild darüber mache, bis wann wir wohl mit Österreich so weit kommen können, daß ich Ihnen diese Frage konkret beantworten kann. Ich werde anschließend in einem Brief an Sie einen Zeitrahmen angeben, der aus meiner Sicht realistisch ist.
Wünschen andere Kolleginnen oder Kollegen eine Zusatzfrage zur Frage 8 zu stellen? - Das ist nicht der Fall.
Die Frage 9, gestellt von dem Kollegen Tauss, die Frage 10, gestellt von der Kollegin Caspers-Merk, und die Frage 11, gestellt von der Kollegin Rehbock-Zureich, sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 12, gestellt von der Kollegin Annette Faße, auf:
Wie will die Bundesregierung die vom Bundesminister für Verkehr, Matthias Wissmann, angekündigte ganzjährige Stationierung eines schweren Hochseeschleppers in der Deutschen Bucht zur Vermeidung von Strandung und Umweltkatastrophen garantieren, wenn im Haushalt 1996 nur 3 Mio. DM bereitstehen und Schiffe im Internationalen Zweitregister nicht berücksichtigt werden dürfen?
Ich bitte um Beantwortung.
Die Bundesregierung verwirklicht ihre Ankündigung, das gültige Vorsorgekonzept für Schlepperhilfe bei Schiffsunfällen in der Deutschen Bucht durch Einsatz eines zusätzlichen Schleppers bis zur Indienststellung der „SUBS" - Schadstoffunfallbekämpfungsschiff - zu ergänzen, und wird dazu die erforderlichen Mittel bereitstellen. Gegenwärtig ist die „Manta" unter Vertrag, und zwar bis Ende 1995. Für den Zeitraum ab Januar 1996 wird zur Zeit eine neue Ausschreibung vorbereitet.
Zusatzfrage, Frau Kollegin.
Herr Staatssekretär, Sie sind sicherlich mit mir der Meinung, daß das Internationale Zweitregister geschaffen wurde, um der Seeschiffahrt im internationalen Bereich eine Chance zu geben. Sind wir beide einer Meinung, daß es nicht sinnvoll und nicht zu verantworten ist, gerade um der Arbeitsplätze der deutschen Seeleute willen, dieses Internationale Zweitregister bei der Vergabe für ein Schiff zu nutzen, das im Auftrag der Bundesregierung tätig ist?
Frau Kollegin, wir haben
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Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1995 6377
Parl. Staatssekretär Manfred Carstensdas Internationale Seeschiffahrtsregister eingeführt; es ist legal, es ist in bestimmten Fällen sogar gewollt. Wir haben uns aufgrund der Finanzlage gedrängt gesehen, bei der Vergabe bis Ende 1995 die deutsche Flagge mit ISR zuzulassen.Aber ich möchte Ihnen gleichfalls bestätigen, daß es sehr wünschenswert ist, in Zukunft diese Aufgabe unter deutscher Flagge ohne ISR erfüllen zu lassen. So haben wir es auch ab 1996 vorgesehen.
Weitere Zusatzfrage.
Wenn ich diese Ihre Auskunft sehr ernst nehme, muß ich mich natürlich fragen, woher Sie im Haushalt 1996 die dafür erforderlichen Mittel bekommen wollen, zumal wir uns auch noch Sorgen machen um die 3 Millionen DM, die für dieses Jahr mit viel Mühen irgendwo herkommen sollen. Dann brauchen wir sicherlich mehr als die 3 Millionen DM, von denen wir bisher sprechen.
Frau Kollegin Faße, um die 3 Millionen DM brauchen Sie sich keine Sorgen mehr zu machen; die stehen gar nicht mehr zur Verfügung, weil das Parlament es nicht geschafft hat, hierfür einen Ansatz zu beschließen.
Wir haben aber die Möglichkeit, weil der Titel, in dem eigentlich die 3 Millionen DM hätten enthalten sein sollen, im Haushalt steht, den Titel so zu nutzen, daß wir, wenn aus dem Haushalt des Bundesverkehrsministers eine entsprechende Deckung besorgt wird, eine überplanmäßige Ausgabe vornehmen können. Weil es sich bei dem, worüber wir hier reden, um eine so wichtige Sache handelt, werden wir dafür sorgen, daß das geschieht.
Weitere Zusatzfragen dazu? - Bitte, Frau Kollegin.
Herr Staatssekretär, Sie sprachen gerade das Preis-Leistungs-Verhältnis bei der Charterung eines weiteren Schiffes an. Könnten Sie mir einmal sagen, welche qualitativen Anforderungen Sie vor dem Hintergrund des Auftrages, der mit diesem Schiff erledigt werden soll, an Schiff und Besatzung stellen?
Herr Präsident, ich habe diese Frage nicht angesprochen. Sie steht aber im Zusammenhang mit den folgenden Fragen. Vielleicht, Frau Kollegin Altmann, stellen Sie Ihre Frage bis dahin zurück.
Voraussetzung für eine Zusatzfrage ist der unmittelbare Bezug zum Inhalt der schriftlich eingereichten Frage. Ihre Frage hat nichts mit den notwendigen Haushaltsmitteln zu tun.
Wenn der Herr Staatssekretär aber ohnehin bereit ist, die Frage im Zusammenhang mit der nächsten zu beantworten, könnte er dies gütigerweise schon jetzt tun.
- Wenn Sie einverstanden sind, Frau Kollegin, nehmen Sie bitte erst einmal Platz. Ich rufe zunächst die folgende Frage auf. Der Staatssekretär beantwortet diese und geht dabei auch auf Ihre Zusatzfrage ein, weil da offenbar ein Zusammenhang besteht.
Wenn keine weiteren Zusatzfragen gestellt werden, rufe ich jetzt Frage 13 auf, die ebenfalls die Kollegin Faße gestellt hat:
Wird die Bundesregierung bei der Formulierung der Kriterien für die erneute Ausschreibung des Hochseeschleppers für die Deutsche Bucht die Sicherstellung einer reibungslosen Kommunikation der Seeleute an Bord, die Schleppfähigkeit ab Windstärke 8, die Ausbildung und Notfalleinsatzerfahrung der Besatzung und die Eignung des Schiffes für den Notfalleinsatz zwingend berücksichtigen?
Herr Staatssekretär, ich bitte um Beantwortung dieser Frage. Ich bitte, freundlicherweise auch die gerade gestellte Frage mit zu berücksichtigen.
Der gegenwärtig laufende Chartervertrag hinsichtlich des Mehrzweckschiffes „Manta" wurde auf der Grundlage eines EU-weiten Ausschreibungsverfahrens geschlossen. Der Ausschreibung zugrunde gelegt wurde die Leistungsbeschreibung, in der unter anderem die Forderungen an Schiff und Besatzung hinsichtlich notwendiger Fähigkeiten und Erfahrungen für den Einsatz und die Bedienung der Feuerlöscheinrichtungen sowie deutscher und englischer Sprachkenntnisse zur Gewährleistung einer störungsfreien Kommunikation enthalten sind.
Das Schiff muß gemäß Leistungsbeschreibung eine Schleppeinrichtung mit einer Schleppkraft von mindestens 110 Tonnen Pfahlzug aufweisen und bei allen Wetterlagen einsatzfähig sein. Die Ausschreibung für 1996 wird zu diesen Fragen nach den gleichen Kriterien erfolgen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, folgen alle Ihre Ausschreibungen, was die Voraussetzungen bezüglich Sicherheit und Personen betrifft, den Aussagen des ERNO-Gutachtens? Wenn nicht, warum nicht?
Das ERNO-Gutachten hat sich mit anderen Fragen befaßt, die einen umfassenderen Komplex darstellen. Es ist aus unserer Sicht nicht nötig, das hier einzubeziehen; es wäre sogar widersprüchlich. Wir haben aber vom Prinzip her das vorausgesetzt, was mit dem Schiff „Mellum", die wir zur Zeit schon einsetzen, zur Verfügung steht. Es ist
Parl. Staatssekretär Manfred Carstens
versucht worden, dies auch bei dieser Ausschreibung zu Papier zu bringen.
Zweite Zusatzfrage.
Hat Sie der Unfall auf der „Manta" im Hinblick auf die Qualifikation der Seeleute an Bord nicht nachdenklich gemacht? Hat es eventuell dazu geführt, eine Überprüfung der Personen an Bord in bezug auf ihre Ausbildung zu veranlassen? Wie bewerten Sie eigentlich die Qualifikation der Seeleute auf dem Schiff, das eventuell den Zuschlag bekommen wird?
Verehrte Kollegin, wir können seitens des Bundes oder der Wasser- und Schifffahrtsdirektion nicht jeden einzelnen Seemann überprüfen. Dafür gibt es Zeugnisse, Patente und Papiere; damit werden gewisse Dinge nachgewiesen. Hierfür ist die Seeberufsgenossenschaft zuständig.
Wir stellen solche Schiffe nur dann in Dienst, wenn vorher festgestellt worden ist, daß dies alles ordnungsgemäß ist. Das betrifft nicht nur die Seeleute, die auf diesen Schiffen Dienst tun, sondern auch das Schiff selbst. Es ist vorher besichtigt worden und mußte abgenommen worden sein. Die Zeugnisse und all die anderen Papiere müssen vorliegen. Wenn sie vorliegen, dann hat die Bundesregierung keine Veranlassung, dies in Zweifel zu ziehen.
Frau Kollegin Altmann, könnten Sie jetzt bitte noch einmal Ihre Zusatzfrage formulieren.
Um es vorweg zu sagen: Für mich steht meine Frage schon im Zusammenhang mit der Haushaltsfrage, weil Qualität sehr wohl auch mit Finanzierung verbunden ist. In diesem Zusammenhang wurde ja auch die Frage gestellt, ob 3 Millionen DM ausreichen. Auf Grund dieses finanziellen Zusammenhangs möchte ich wissen, welche Qualitätsanforderungen Sie stellen.
Zu dieser Frage kommt als Zusatz hinzu: Sie haben gerade gesagt, daß sich die Ausschreibung nach dem gerichtet habe, was auf die „Mellum" schon zutreffe. Ging es nach dem ERNO-Gutachten nicht gerade darum, auch Vorsorgekapazitäten zu schaffen, das heißt ein Mehrzweckschiff zu haben - die „Mellum" bzw. später „SUBS" -, das mehr für den Bereich der Nachsorge zuständig ist, während zusätzliche Notschleppkapazitäten vor allem im Bereich der Vorsorgekapazitäten bereitgestellt werden sollten, und zwar im Bereich von 135 bis 160 Tonnen Pfahlzug?
Wir haben, verehrte Kollegin, bei den Nachbarstaaten zum Beispiel auch Schiffe in einer Größenordnung von 110, 120 Tonnen Pfahlzugleistung. Bei diesem Schiff muß man bedenken, daß es prinzipiell für eine längere Zeit - dies gilt auch für ein anderes Schiff; das entscheidet sich bei der nächsten Ausschreibung - zusätzlich zur „Mellum" in der Nordsee sein wird. Insofern war hier vorrangig die Schleppkapazität als besonderes Erf ordernis gegeben. Ansonsten haben wir die Ausschreibung tatsächlich so angelegt, daß es in die Richtung ging, was auch bei der „Mellum" gefordert worden war.
Herr Präsident, ich habe eingangs schon die Ausschreibungsmodalitäten dargelegt und damit die Frage nach der Qualifizierung der Personen beantwortet.
Herr Kollege Börnsen.
Herr Staatssekretär, ich möchte auf Ihre Antwort von vorhin eingehen und dies zu dem tödlichen Unfall auf der „Manta", der erwähnt worden ist, in Bezug setzen. Trifft es zu, daß ausgerechnet der Sicherheitsmatrose, der eine mehrjährige berufliche Erfahrung gehabt hat, tödlich verunglückt ist? Ist dieser traurige Vorgang zu einer Zeit passiert, in der wir erhebliche Windstärken hatten? Und bei diesen Windstärken war man dabei, einen Container zu bergen? Trifft es weiterhin zu, daß nach den bisherigen Untersuchungen über die Qualifikation der Mannschaft und die Qualität des Schiffes keine Zweifel erhoben wurden, es in diesem Falle vielmehr um menschliches Versagen ging?
Herr Börnsen, ich will einmal das vortragen, was uns hierzu schriftlich vorliegt: Bei dem Verunglückten handelt es sich um einen Schiffsmechaniker, der im fünften Berufsjahr war, das heißt, er fuhr schon über acht Jahre zur See und besaß die höchste Qualifikation als Facharbeiter im Schiffsdienst.Die Reederei berichtet ferner - das hatten Sie auch gefragt -, daß der Verunglückte auf Grund seiner besonderen Qualifikation von der Schiffsleitung zum Sicherheitsbeauftragten bestellt worden ist.Das muß in der Tat nachdenklich machen und weist darauf hin, daß immer wieder Unfälle passieren, obwohl man alle nur erdenklichen Sicherheitsvorschriften bedacht hat, zumindest was die Vorschriftenlage angeht. Hier handelte es sich um eine Besatzung, die entsprechend erfahren war. Dieses Schiff ist vorher besichtigt worden und hat alle Vorschriften, die es in diesem Zusammenhang gibt, erfüllt. Hier ging es in der Tat um einen Einsatz zur Bergung von Containern bei einer Windstärke von 5 bis 6, was auf Grund von Angaben der Experten an sich schon sehr sicherheitsgefährdend ist.Insofern kann man nur sagen: Es ist bedauerlich, daß so etwas überhaupt passieren konnte. Aber das jetzt mit dem eigentlichen Auftrag in Verbindung zu setzen - die Schleppkapazität und die Fähigkeit, im Falle einer Notlage zu helfen -, das halte ich nicht für angemessen.
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Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1995 6379
Weitere Zusatzfragen dazu? - Bitte, Herr Steenblock.
Herr Staatssekretär, ich frage Sie: Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, daß sie für den Schutz der deutschen Nordseeküste einen Bohrinselversorger mit einer provisorischen Schleppeinrichtung und nur 110 Tonnen Pfahlzug eingesetzt hat, während die holländische Regierung für die gleichen Aufgaben einen Hochseeschlepper mit 135 Tonnen Pfahlzug eingesetzt bzw. gechartert hat?
Es stimmt ziemlich, was Sie in Ihrer Frage behaupten. Nach meiner Information sind es 120 Tonnen, die das holländische Schiff an Pfahlzugleistung hat; es ist das Schiff „Waaker". Man kann sicher immer von Schiff zu Schiff Vergleiche anstellen. Nur, es ist völlig unbestritten, daß das Mehrzweckschiff „Manta" - so wie die anderen Bewerber - die Ausschreibungsbedingungen erfüllt hat und daß es sehr wohl geeignet ist, im Falle eines Falles die Hilfe zu leisten, die wir von diesem Schiff erwarten. Es gab also überhaupt keine Veranlassung, das Schiff nicht zu nehmen.
Bitte, Herr Schmidt.
Herr Staatssekretär, ich möchte in Vertiefung der Frage des Kollegen Steenblock noch einmal auf den Unterschied abheben, daß von deutscher Seite ein Bohrinselversorger gechartert wurde. Meine Frage ist: Ist Ihnen bewußt, daß im Unterschied dazu von holländischer Seite ein Hochseeschlepper gechartert wurde und daß zwischen beiden Schiffsklassen in bezug auf die Leistungsfähigkeit Welten liegen?
Herr Kollege, ich habe mir bei Fragen angewöhnt, erst einmal zu überprüfen, ob das, was in der Frage unterstellt wird, stimmt. Es handelt sich nicht um einen Bohrinselversorger, sondern um ein Mehrzweckschiff. Damit erübrigt sich schon im Grunde die weitere Beantwortung, weil dieses Schiff die Voraussetzungen erfüllt, die es erfüllen sollte. Daß es noch bessere und noch leistungsfähigere Schiffe gibt, will ich ja gar nicht bezweifeln.
Frau Kollegin Peters.
Herr Staatssekretär, habe ich Ihre Antworten dahin gehend richtig verstanden, daß Sie alle gestellten Fragen in dem Sinne mit Ja beantwortet haben, daß die Bundesregierung und die Oberschiffahrtsdirektion alles, was in ihren Kräften steht, getan haben?
Alles das, was üblicherweise bei einer solchen Charterung gemacht wird, ist gemacht worden.
Sie können es also mit Ja beantworten?
Ja.
Frau Kollegin Lemke.
Herr Staatssekretär, ich möchte gerne fragen, woher Sie den Begriff Mehrzweckschiff haben, wo dieser Begriff definiert ist.
Wir haben im übrigen mit der „Mellum", die ansonsten eingesetzt ist und sich jetzt auf der Werft befindet, ebenfalls ein Mehrzweckschiff.
Ein solches Schiff kann gleichzeitig verschiedene Aufgaben erfüllen. Ich denke daran - um nur einige Punkte zu nennen -, daß es auch gewisse Fähigkeiten eines Eisbrechers haben muß, daß es in der Lage sein muß, Tonnen zu legen, und daß es Feuerschutz usw. bieten muß. Aus all diesen Punkten ergibt sich die Bezeichnung Mehrzweckschiff. Das ist ja im Grunde nicht nachteilig. Vielmehr kann es ja durchaus Vorteile haben, wenn ein Schiff für verschiedene Zwecke eingesetzt werden kann.
Weitere Zusatzfragen dazu werden nicht gestellt. Dann rufe ich die Frage 14, die der Kollege Albert Schmidt gestellt hat, auf:
Wie begründet die Bundesregierung den Widerspruch, daß sie in ihrem Sachstandsbericht den Eindruck erweckt, es wären bereits heute zwei bundeseigene Mehrzweckschiffe mit Notschleppkapazität in der Deutschen Bucht in Betrieb, obwohl das Schiffsunfallbekämpfungsschiff SUBS noch in der Planungsphase ist und noch nicht einmal der Auftrag für diesen Neubau an eine Werft vergeben wurde, das Mehrzweckschiff „Mellum" zum Zeitpunkt des Sachstandsberichtes aufgrund von Umbauarbeiten bis Ende Dezember einen Werftaufenthalt hat und daher nicht eingesetzt werden kann und das Mehrzweckschiff „Scharhörn" keine Schleppleistung für Notschleppeinsätze hat?
Ich bitte um Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Herr Kollege Schmidt, bei der angesprochenen Formulierung im Sachstandsbericht vom 4. September 1995 ist aus dem Zusammenhang der dort enthaltenen Informationen klar erkennbar, daß sich der Hinweis zum Einsatzgebiet der Mehrzweckschiffe des Bundes auf den Zeitraum nach der Indienststellung des SUBS bezieht. In dem fraglichen Absatz muß daher das Wort „sind" durch „werden" ersetzt werden.
Herr Kollege Schmidt, eine Zusatzfrage? - Nein. Werden von anderen Kolle-
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6380 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1995
Vizepräsident Hans KleinBinnen und Kollegen Zusatzfragen gestellt? - Bitte sehr, Frau Kollegin Faße.
Herr Staatssekretär, können Sie mir garantieren, daß bei der Ausschreibung bedacht wird, daß in der Deutschen Bucht ganzjährig ein Hochseeschlepper im Einsatz ist?
Es ist beabsichtigt, so vorzugehen.
Weitere Zusatzfragen? -
Das ist nicht der Fall.
Dann rufe ich die Frage 15 auf, die ebenfalls der Kollege Albert Schmidt gestellt hat.
Wie erklärt die Bundesregierung, daß sie zugelassen hat, daß nach Pressemitteilungen des Bundesministeriums für Verkehr zumindestens für den Zeitraum vom 4. bis zum 22. September 1995 das Seegebiet Deutsche Bucht gänzlich ohne Notschleppkapazität war, obwohl die Notwendigkeit zur Bereithaltung solcher Kapazitäten von der Bundesregierung mehrfach bejaht und vom Verkehrsausschuß des Deutschen Bundestages gefordert worden war?
Das bundeseigene Mehrzweckschiff „Mellum" ging ab 4. September 1995 in die Werft. Die „Manta" wurde am 15. September 1995, zunächst im Wege der freihändigen Vergabe, unter Vertrag genommen, da es zu diesem Zeitpunkt das einzige kurzfristig unter deutscher Flagge einsetzbare Schiff war. Es war gesichert, daß zu keinem Zeitpunkt eine Gefahr der mangelnden Notschleppkapazität in der Deutschen Bucht bestanden hat.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie bestreiten, daß es diese Sicherheitslücke gegeben hat. Dennoch meine Frage: Wie hat die Bundesregierung während der Zeit, in der die Sicherheitslücke bestand - wenn ich Ihre Ausführungen richtig verstanden habe, ging es um einige Tage -, sichergestellt, daß ausreichende Notschleppkapazitäten vorhanden waren? Hätte zur Minimierung möglicher Gefahren für Tanker und andere Schiffe nicht eine Schließung der Seehäfen für diese Zeit vorgenommen werden müssen?
Herr Abgeordneter, es ist richtig, wenn Sie feststellen, daß es eine Zeit gegeben hat, in der die „Mellum" schon auf der Werft und die „Manta" noch nicht im Einsatz war. Das habe ich ja gerade vorgetragen.
Gleichwohl bestand keine Sicherheitslücke. Ich will Ihnen das schildern: Wir haben mit der privaten Schleppwirtschaft eine Vereinbarung abgeschlossen.
Ebenso können wir auf das Seeaufgabengesetz zurückgreifen -, auf Grund dessen wir im Notfalle anordnen können, daß entsprechende Schiffe aus dem Küstenbereich eingesetzt werden. Im Wege dieser Vereinbarung oder über das Seeaufgabengesetz könnten wir über etwa 60 Schlepper verfügen, die in dem Gebiet von Emden bis Brunsbüttel stationiert sind. Diese Schlepper haben eine Schleppkapazität zwischen 20 und 60 Tonnen Pfahlzug.
Viele Experten sagen, das allein sei schon ausreichend, um den Gefahren, die sich ergeben könnten, zu begegnen. Darüber hinaus aber ist das eben schon angesprochene niederländische Schiff „Waaker" in fast unmittelbarer Nähe stationiert, welches eine Pfahlzugleistung von 120 Tonnen hat. Auf Grund der bestehenden Abkommen hätte es schnell zur Hilfe gerufen werden können. Die Anmarschzeit wäre - je nachdem, wo der Unfall passiert wäre - etwa ebenso lang gewesen wie die, wenn eine Schleppkapazität zum Beispiel von Hamburg durch die Elbe hätte herangeholt werden müssen.
Darüber hinaus hätten wir, wie die WSD wußte, in diesem Gebiet und zu dieser Zeit noch den Schlepper „Tempest" kurzfristig zur Verfügung gehabt, ein Schiff mit einer Pfahlzugleistung von 120 Tonnen, welches einer deutsch-niederländischen Reederei gehört und unter der Flagge Vanuatus fährt.
Zusammengenommen kann man sagen: Die „Mellum" war zwar auf der Werft, aber ein Risiko hat es nicht gegeben. Daß wir darüber hinaus noch weitere Schleppkapazität chartern und neue Schleppkapazität schaffen wollen, erhöht den Sicherheitsstandard zusätzlich. Hier von einer Sicherheitslücke zu reden wäre falsch.
Zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Schmidt.
Herr Staatssekretär, um ganz sicherzugehen, daß wir uns richtig verstehen: Die Bundesregierung erwägt also nicht, im Falle eines kurzfristigen Ausfalls von Notschleppkapazitäten bundesdeutsche Seehäfen ganz oder teilweise für Tanker und Großschiffe zu sperren? Vergleichbare Vorgänge gibt es in der Luftfahrt.
Nein, das ist bei uns auf völlig andere Weise geregelt. Wir haben - das ist bei diesen Fragen bislang noch nicht zum Tragen gekommen; das kann ich bei dieser Gelegenheit einbringen - eine Konzeption, die darauf angelegt ist, das Entstehen von Unfällen von Anfang an zu verhindern. Das ist viel wichtiger, als für den Fall des Falles Sicherheitskapazitäten zur Verfügung zu haben.
Für diese Fahrzeuge gibt es genaue Vorschriften, die ich gerade nicht parat habe, die ich Ihnen aber zur Verfügung stellen könnte. Es ist vorgeschrieben, von den Niederlanden kommend auf Helgoland zu den Tiefwasserweg zu nehmen. Es gibt die Auflage der Lotsenpflicht für diese Schiffe. Wir haben in
Parl. Staatssekretär Manfred Carstens
unserem Küstenbereich wohl die beste Radarüberwachung auf der ganzen Welt. Das alles zusammen genommen bringt die Sicherheit, die sich auch darin gezeigt hat, daß wir bei den Öltankern seit 1966 keinen Unfall mehr gehabt haben. Wir hoffen, daß das so bleibt.
Das heißt, wenn ein Lotse an Bord ist, der das Schiff durch das tiefe Wasser führen muß, wenn alles radarüberwacht ist, kann zwar theoretischerweise eine Situation entstehen, in der der Lotse nicht mehr zu einem der Häfen fahren kann, aber wenn er qualitativ gut ausgebildet ist und entsprechende Erfahrung hat, um solche Order zu geben, kann er die Entscheidungen treffen, die in einem Notfall angemessen sind. Das wollen wir mit der Lotsenpflicht erreichen.
Bitte, Herr Steenblock.
Herr Staatssekretär, Sie haben gerade darauf hingewiesen, daß die 60 Hafen- und Seeassistenzschlepper als Sicherheitsreserve einsatzfähig wären. Ist Ihnen bekannt, daß diese Schlepper bei Starkwind überhaupt nur noch ungefähr 30 Prozent ihrer normalerweise 30 bis 40 Tonnen Pfahlzugleistung zum Einsatz bringen können und von daher mindestens zehn dieser Schlepper notwendig sind, um die „Mellum" ersetzen zu können, daß es bei Starkwindbedingungen technisch aber nur mit maximal vier Schleppern möglich ist, einen havarierten Tanker zu schleppen, und daß diese Hafen- und Seeassistenzschlepper bei Starkwind große Schwierigkeiten haben, aus den Flußmündungen überhaupt auszulaufen und von daher das Sicherheitskonzept, das Sie vorgestellt haben, anscheinend große Lücken hat?
Verzeihung, Herr Staatssekretär! - Ich stelle nur einmal fest: Wir sind inzwischen in einer „Seeassistenzdebatte". Die Frage des Kollegen Schmidt bezieht sich darauf nicht. Da wir das Thema aber ohnehin schon ziemlich ausgeweitet haben, bitte ich den Staatssekretär gleichwohl um Beantwortung dieser Zusatzfrage.
Herr Präsident, ich hatte eben schon gesagt, daß es zu diesem Komplex noch mehr Fragen geben würde, was sich jetzt bewahrheitet; das ist ganz normal.
Herr Kollege Steenblock, ich hatte darauf hingewiesen, daß es über die Qualität der Schlepper und deren Leistungsfähigkeit im Falle des Falles unter den Experten sehr unterschiedliche Meinungen gibt. Dabei geht es darum, ob man ein starkes Schiff mit 120 oder 150 Tonnen oder zum Beispiel zwei Schlepper mit je 60 Tonnen Pfahlzugleistung einsetzt. Das kann bei unterschiedlichen Gegebenheiten durchaus zugunsten der Lösung mit zwei Schleppern ausgehen.
Unsere Konzeption läuft aber nicht darauf aus, daß eine oder das andere zu haben. Wir haben eine Ausstattung zur Verfügung - wenn das SUBS da ist, ohnehin; wenn wir die Charterung fortsetzen, gleichermaßen -, von der man sagen kann: Sie sucht ihresgleichen auf der Welt.
Daher kann ich nur sagen: Wir sind dafür, sowohl das starke Schiff als auch die kleineren Schlepper zur Verfügung zu haben, weil sie sich durchaus ergänzen können bzw. die kleineren in einigen Fällen die bessere Lösung sind als das starke Schiff.
Ich darf im übrigen darauf hinweisen, daß es sich bei der Zeit, um die es geht, um Sommerwochen handelte, die bezüglich der Wetterlage als nicht besonders gefährdet gelten können. Gleichwohl hätten wir die Chance gehabt, sehr schnell zu diesen kleinen Schleppern noch ein oder zwei der stärkeren Schiffe hinzuzunehmen.
Zu einer weiteren Zusatzfrage gebe ich jetzt noch der Kollegin Gila Altmann und anschließend dem Kollegen Wolfgang Börnsen das Wort. Ich bitte aber, darauf Rücksicht zu nehmen, daß wir noch mehrere Dutzend Fragen zu verschiedenen Themen in der Fragestunde haben. Deshalb bitte ich, die Zusatzfragen relativ eng an die gestellte Frage zu knüpfen, damit sich dieses Thema nicht ins uferlose - der Ausdruck paßt hier - ausweitet.
Bitte, Frau Kollegin Altmann.
Herr Staatssekretär, ich stelle mir gerade vor, wie zehn kleine Schlepper bei Windstärke 8 oder 9 um einen Tanker herumwuseln und versucht wird, die Schleppleine rüberzuziehen.
Das ERNO-Gutachten kommt ganz eindeutig zu der Erkenntnis, daß aus den verschiedensten Gründen - Herr Steenblock hat sie bereits angesprochen - Notschleppkapazitäten in Form eines weiteren Hochseeschleppers zu fordern sind. Ich möchte Sie fragen, wie Sie zu der Aussage von Herrn Wissmann stehen, die er am 22. Juli gemacht hat - -
Frau Kollegin, das geht nicht.
Ihre Frage hat nichts mehr mit der Frage 15 zu tun.
- Es geht um die Frage 15, und es geht um eine ordnungsgemäße Abwicklung der Fragestunde. Ich bitte Sie, nicht den Präsidenten zu kritisieren. Entweder haben Sie noch eine Frage zu dem Thema,
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6382 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1995
Vizepräsident Hans Kleinwarum in einem bestimmten Zeitraum ein gewisses Schiff nicht zur Verfügung stand, oder aber - -
- Bitte.Herr Kollege Börnsen.
Herr Staatssekretär, Sie waren unter Frage 15 nach der Notschlepperkapazität gefragt. Sie haben in Ihrer Antwort auf alle umfangreichen nationalen Maßnahmen mit insgesamt 60 zur Verfügung stehenden größeren und mittelgroßen Schleppern abgestellt. Aber bei einer möglichen Havarie eines Tankers haben wir über die nationale Konzeption hinaus eine Art europäische Konzeption in Kooperation mit Dänemark, mit den Niederlanden und mit Großbritannien. Wir haben doch ein Alarmsystem, und die Europäische Union bescheinigt doch der Bundesregierung, daß sie im Bereich der Sicherheit Perfektionismus betreibe.
Ob wir Perfektionismus betreiben, möchte ich in Anwesenheit einiger Haushaltsausschußmitglieder nicht bestätigen.
Es ist schon so, daß die Sicherheitsvorkehrungen außerordentlich gut sind. Es ist auch so - wie Sie, Herr Kollege Börnsen, sagen -, daß wir die Abstimmung mit den Franzosen, den Briten und den Niederländern, die über ähnliche Schiffe verfügen, haben, sich gegenseitig zu helfen. Bei einem drohenden größeren Unglück hätten diese Schiffe auch zur Verfügung gestanden.
Die letzte Zusatzfrage stellt Frau Kollegin Peters. Ich habe vorhin nicht gesehen, daß Sie sich gleichzeitig gemeldet hatten. Ich wurde jedoch von einem der Schriftführer darauf aufmerksam gemacht.
Ich hoffe, Herr Präsident, daß ich nun auch richtig frage.
Der Herr Staatssekretär hat ja sehr umfangreiche Antworten gegeben. Weil wir die Sitzung des Verkehrsausschusses hier fortsetzen und ich dort noch nicht die Antworten bekommen habe, nutze ich die Gelegenheit und frage noch einmal, wann die „Mellum" wieder einsatzbereit ist, ob Sie schon den Neubau vergeben haben und, wenn ja, wann das neue Schiff zur Verfügung steht?
Die „Mellum" ist auf der
Werft und wird spätestens Mitte Januar wieder zur Verfügung stehen. Wir werden die Charterung eines zusätzlichen Schiffes über den 31. Dezember 1995 hinaus fortsetzen. Das SUBS ist für irgendwann in 1997/Anfang 1998 vorgesehen.
Frau Kollegin Gila Altmann, Sie haben die nächste Frage gestellt. Die eben gestellte Frage bezog sich in der Tat auf die Frage davor. Ich rufe Frage 16 auf:
Wie und wann wird die Bundesregierung ihre Entscheidung, die sie in ihrer Antwort vom 5. Juli 1995 auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Gila Altmann und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN mitgeteilt hat („die Bundesregierung hat unter Einbeziehung der Expertengruppe ... entschieden, daß dieses Konzept durch die befristete Anmietung eines zusätzlichen Hochseeschleppers ergänzt werden soll ..."), mit der Charterung eines bundesdeutschen Hochseeschleppers umsetzen, oder ist die Bundesregierung der Auffassung, daß sie diese angekündigte Erhöhung der Nptschleppkapazitäten für den Schutz der Deutschen Bucht vor Tanker-und GroBschiffstrandungen bereits umgesetzt hat?
Ich bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, die Frage zu beantworten.
Die Bundesregierung hat mit der befristeten Anmietung des Mehrzweckschiffs „Manta" die angekündigte Ergänzung des Vorsorgekonzeptes für Schlepperhilfe bei Schiffsunfällen für den laufenden Vertragszeitraum bis Ende 1995 umgesetzt. Die Charterung erfolgte nach einem Vergabeverfahren gemäß der Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungen und den innerstaatlichen Bestimmungen der Verdingungsordnung für Leistungen - ausgenommen Bauleistungen -, bei dem nach den geltenden Kriterien das wirtschaftlich günstigste Gebot ausgewählt wurde. Auf der Grundlage der vorgenannten rechtlichen Vorgaben wird eine erneute Ausschreibung für die Ergänzung des Vorsorgekonzeptes für Schlepperhilfe für den Zeitraum ab Januar 1996 vorbereitet.
Zusatzfrage, Frau Kollegin.
Welche Bedingungen sind in der Ausschreibung vorgesehen? In der bisherigen Ausschreibung fehlt zum Beispiel ein ganz wichtiger Aspekt, nämlich daß mehr als 110 Tonnen Pfahlzug bei Windstärke 8 zu fordern sind. Wird dieser Aspekt in die neue Ausschreibung aufgenommen werden?
Wir werden bei der Anforderung 110 Tonnen Pfahlzugleistung bleiben. Ich kann Ihnen auch sagen, daß die Runde der Experten dies wirklich für ausreichend hält. Ich habe es mit Hinweis auf die Niederlande und andere Nordseeanrainer eben schon gesagt.
Ich darf jetzt auch noch auf das eingehen, was Sie zuvor gefragt haben. Das von Ihnen angesprochene
Parl. Staatssekretär Manfred Carstens
Gutachten wird in seinen Aussagen nicht von uns geteilt. Insofern ist es ein Gutachten, welchem wir uns nicht anschließen können.
Kann ich meine zweite Zusatzfrage stellen, Herr Präsident?
Bitte sehr.
Wenn die Aussagen des Gutachtens von Ihnen nicht geteilt werden: Wird dann die Aussage von Herrn Wissmann von Ihnen geteilt - ich hoffe, daß es jetzt paßt -, der am 22. Juni dieses Jahres in einem Interview der „Nordwest Zeitung" gesagt hat: Gefordert wird eine Ausschreibung von mehr als 110 Tonnen Pfahlzug bei Windstärke 8. - Auf die Windstärke 8 zielt meine Frage. Wir wissen, die „Manta" hat nach Reedereipapieren 80 Tonnen Pfahlzug, sie hat in einem Versuch im Hafen jetzt 105 Tonnen Pfahlzug erreicht. Wir wissen aber, daß bei Windstärke 8 ungefähr 30 Prozent dieser Kraft verlorengehen.
Erst einmal: Wenn mein Minister etwas sagt, dann stehe natürlich auch ich dahinter. Das ist doch völlig klar.
Er sagt ja ausschließlich sehr Vernünftiges, wie wir eben bei der Regierungsbefragung hören konnten.
Wir können uns noch darüber unterhalten, ob „mindestens 110" etwas wesentlich anderes ist als „über 110".
Aber bitte jetzt nicht in der Fragestunde.
Was die Pfahlzugleistung der „Manta" angeht, so ist festgestellt worden, daß in einem Versuch - wie es fachlich heißt, was ich vorher auch nicht wußte - bei flachem Wasser 103 Tonnen Pfahlzugleistung erbracht wurden. Alle Experten sagen, das ist einer Leistung im tiefen Wasser von 110 Tonnen gleichzusetzen. Insofern kann ich nur sagen: Das haben wir überprüfen lassen - das machen wir im Bundesverkehrsministerium nicht selbst; ich habe eben die Adressen genannt -, ob dieses Schiff die angesprochene Leistung erbringt, und das ist festgestellt worden.
Ich frage, wer eine Zusatzfrage stellen möchte. - Bitte, Kollege Börnsen.
Herr Staatssekretär, Sie haben soeben auf die Pfahlzugleistung abgestellt. Können Sie bestätigen, daß wir vor einigen Monaten einen Antrag von dem Bündnis 90/ Die Grünen gehabt haben, in dem sie ein Boot als Hochseeschlepper mit 180 Tonnen Pfahlzugleistung gerne zur Verfügung gestellt haben würden und daß dieser Mitbewerber jetzt aus dem Programm herausgefallen ist, weil er 10 000 DM pro Tag teurer ist als alle anderen Angebote?
Ich kann hier nicht offiziell Summen bestätigen, die dem Datenschutz unterliegen. Ich wundere mich, wie Sie so präzise Informationen bekommen haben.
Die Frage, Herr Kollege, ist mit dem Ausdruck der Verwunderung beantwortet worden.
Bitte, Frau Kollegin Dr. Enkelmann.
Herr Staatssekretär, in mehreren Pressemitteilungen hat das Verkehrsministerium unter anderem erklärt: „Das Schiff hält sich ununterbrochen auf See auf, um mit kurzen Anmarschwegen möglichst schnell im Einsatzfall vor Ort zu sein." Wie erklärt nun die Bundesregierung die Tatsache, daß damit der Eindruck erweckt wird, das Boot würde ständig auf See patrouillieren, obwohl es nach Aussage der Helgoländer Bevölkerung fast ausschließlich im Hafen von Helgoland liegt?
Wir geben von unseren Institutionen die Einsatzbefehle. Daß sich das Schiff gelegentlich - möglicherweise mehr als gelegentlich - bei Helgoland aufhält, das will ich gar nicht als falsch einschätzen. Ich habe soeben ja schon gesagt, daß die Schiffe, zum Beispiel Ölschiffe und sonstige Schiffe mit einem gewissen Gefährdungspotential, zunächst auf Helgoland zugeleitet werden. Wenn sich dieses Schutzboot in der Nähe Helgolands befindet, scheint mir das ein sehr geeigneter Standort zu sein.
- Das stimmt auch.
Weitere Zusatzfragen zu Frage 16 werden nicht gestellt.Ich rufe die Frage 17 der Abgeordneten Gila Altmann auf:Wie rechtfertigt die Bundesregierung aufgrund der Tatsache, daß der für den Umbau der „Mellum" erforderliche Werftaufenthalt, der - im Gegensatz zu einer Schadensreparatur - der Bun-
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6384 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1995
Vizepräsident Hans Kleindesregierung langfristig bekannt war, die freihändige Vergabe des Auftrages für ein Ersatzschiff, obwohl die Bundesregierung in ihrer Antwort vom 5. Juli 1995 auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Gila Altmann und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mitgeteilt hat: „Das MZS ,Mellum' kann deshalb derzeit bei Ausfal (z. B. einer Reparatur oder Wahrnehmung eines anderen Auftrags) durch ein vergleichbares Schiff nicht ersetzt werden. Außerdem steht für die „Mellum" eine mehrmonatige Werftliegezeit für Umbauarbeiten an", und in ihrem Sachstandsbericht vom 4. September 1995 zur Notschleppkapazität Deutsche Bucht zum Haushaltstitel 53 391 „Maßnahmen zur Abwehr drohender Gefahren und zur Abwehr erheblicher Schäden" mitgeteilt hat, daß das Mehrzweckschiff „Mellum" zur Zeit für den Einsatz als Schadstoffunfallbekämpfungsschiff umgebaut wird und die „geplante Werftzeit vom 4. September bis Ende Dezember 1995 " dauern wird?Içh bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, um Beantwortung.
Mit der Entscheidung des Bundesverkehrsministeriums zur Ergänzung des Vorsorgekonzeptes für Schlepperhilfe bei Schiffsunfällen in der Deutschen Bucht wurden im Juni 1995 unverzüglich die Vorbereitungen für eine EU-weite Ausschreibung der Leistung eingeleitet. Dabei waren die laufenden Haushaltsberatungen für 1996 zu berücksichtigen. Es wurde wegen der mit dem Verfahren verbundenen Fristen von Anfang an in Rechnung gestellt, daß für einen begrenzten Zeitraum bis zur Vorlage der Ausschreibungsergebnisse eine freihändige Vergabe erforderlich werden könnte.
Zusatzfrage?
Nein.
Danke. - Andere Kólleginnen oder Kollegen? - Bitte sehr, Frau Kollegin Faße.
Herr Staatssekretär, kann ich Sie so verstehen, daß Sie keine Hindernisse mehr dafür sehen, für das kommende Jahr einem Hochseeschlepper ganzjährig im ersten Register im Monat Dezember den Zuschlag zu geben?
Ja, so können Sie mich verstehen.
Danke schön.
Ich rufe die Frage 18, gestellt vom Kollegen Rainder Steenblock, auf:
Welche Anforderungen stellt die Bundesregierung an einen Hochseeschlepper, der für Notfalleinsätze in der Deutschen Bucht vorgesehen ist, und wie begründet sie diese Anforderungen?
Ich bitte um Beantwortung.
Die Anforderungen an den für die Ergänzung des Vorsorgekonzeptes für Schlepperhilfe bei Schiffsunfällen anzumietenden Hochseeschlepper wurden in einer Leistungsbeschreibung niedergelegt. Dabei wurden unter anderem folgende Anforderungen an Schiff und Besatzung berücksichtigt: Das Schiff muß vorrangig für Notschleppeinsätze im deutschen Küstenmeer, in der Deutschen Bucht sowie der ausschließlichen deutschen Wirtschaftszone, aber auch in den Flußmündungen von Ems, Jade, Weser und Elbe geeignet sein. Das Schiff muß eine Schleppkraft von mindestens 110 Tonnen Pfahlzug aufweisen und ein Schleppgeschirr nach dem neuesten Stand der Technik an Bord haben. Das Schiff muß mit entsprechenden Feuerlöscheinrichtungen zur Bekämpfung des Feuers auf einen Havaristen eingerichtet sein und auch in explosionsgefährdeten Bereichen, zum Beispiel in der Nähe eines brennenden Tankers, operieren können.
Das Schiff muß einsatzfähig bei allen Wetterlagen sein und den Bedingungen des Solas-Übereinkommens entsprechen und eine anerkannte Klasse einschließlich Eisklasse besitzen. Die Besatzung muß ausreichende Fähigkeiten und Erfahrungen für den Einsatz und die Bedienung von Feuerlöscheinrichtungen besitzen sowie über deutsche und englische Sprachkenntnisse verfügen, um eine störungsfreie Kommunikation mit der Einsatzbehörde zu gewährleisten.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege?
Herr Staatssekretär, wurden bei der Festlegung der Auswahlkriterien, die Sie gerade zitiert haben, nur die Mitarbeiter der Wasser- und Schiffahrtsdirektionen oder auch Fachleute und unabhängige Gutachter, zum Beispiel die ERNO-Gutachter, in die Auswahl dieser Kriterien mit einbezogen?
Ich lasse mich hier noch einmal munitionieren. Das sind ja fachlich sehr komplizierte Fragen. Ich kann Ihnen das jetzt aber beantworten.
Wir haben natürlich die Wasser- und Schiffahrtsdirektionen als eigentliche Hauptansprechpartner, die auf diesem Gebiet sehr versiert sind; das ist ja deren Aufgabenbereich. Wir haben uns auch jeweils mit den Ländern abzustimmen. Es gibt ja Kooperationen mit den Küstenländern. Aber vor allen Dingen - das ist in diesem Fall die entscheidende Ausgangsposition - haben wir uns daran orientiert, was die „Mellum" - das ist ja unser Schiff - leisten kann. Wir haben uns in bezug auf unsere Anforderungen daran gehalten und haben das im Prinzip auch von einem zu charternden Schiff gefordert.
Keine zweite Zusatzfrage. Bitte, Frau Altmann.
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Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1995 6385
Ich hoffe, daß ich die richtige Frage stelle.
Es geht in dieser Frage um die Anforderungen.
Es gibt ja bestimmte Anforderungen nicht nur in bezug auf die Schleppleistung, sondern auch in bezug auf den Aufbau. Es muß zum Beispiel eine zweite Brücke dasein. In dem Forschungsgutachten „Verkehrssicherungssystem deutsche Küste im Jahre 2000" sind ganz eindeutige Aussagen gemacht worden.
Akzeptieren Sie diese Aussagen? Sind sie für Sie richtungsweisend, und wenn ja, warum ist dann in der Ausschreibung nur der laienhafte Ausdruck „Schleppschiff" verwendet worden?
Frau Kollegin Altmann, wir stimmen mit diesen Aussagen überein, mit Ausnahme der Angabe der Leistungsfähigkeit des Pfahlzuges.
Werden weitere Zusatzfragen zur Frage 18 gestellt? - Das ist nicht der Fall.
Dann rufe ich die Frage 19 auf, die ebenfalls der Kollege Steenblock gestellt hat:
Warum fordert die Wasser- und Schiffahrtsdirektion Nord in Kiel in der Leistungsbeschreibung für ein Schiff, das zur Verstärkung der Notschleppkapazitäten auf das von der Bundesregierung notwendige Maß gechartert werden soll, daß dieses Schiff „einsatzfähig in ex-gefährdeten Bereichen " ist?
Ich bitte um Beantwortung.
Die Forderung nach dem Ex-Schutz bis 16 Meter über der Wasserlinie resultiert aus der Notwendigkeit, in explosionsgefährdeten Bereichen, zum Beispiel in der Nähe brennender Tanker, operieren zu können. Mit dieser Forderung soll gesichert werden, daß beispielsweise die Ansaugluft für die Schiffsmotoren in einer Höhe über 16 Meter über der Wasserlinie entnommen wird, um eine Maschinenexplosion zu vermeiden.
Im übrigen hat das im Zusammenhang mit dem Abschluß des gegenwärtig laufenden Chartervertrages durchgeführte Vergabeverfahren gezeigt, daß alle angebotenen Schlepper einschließlich der „Manta", aber auch der „Oceanic" diese Forderungen nicht erfüllen konnten.
Bitte, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin erklärt, daß Sie sich in den Ausschreibungsbedingungen im wesentlichen an den Kriterien orientiert haben, die auch für die „Mellum" gelten. Erfüllt den Explosionsschutz bis 16 Meter auch die „Mellum"?
Die „Mellum" ist auf der Werft, um - ich glaube - von 12 Meter auf 16 Meter Ex-Schutz zu kommen. Wenn die Zahlen nicht genau stimmen, sehen Sie es mir nach. Falls sie nicht stimmen, werde ich sie Ihnen und auch dem Protokoll gegenüber berichtigen.
Sie hätten noch eine zweite Zusatzfrage, wenn Sie wollen, Herr Steenblock. Aber das macht die Kollegin Altmann, bitte.
Ich habe jetzt eine Verständnisfrage zum ExSchutz. Dieser ist besonders wichtig für den Fall, daß schon eine Katastrophe passiert ist. Um die Sicherheitslücke zu schließen, ist gefordert worden, präventive Notschleppkapazitäten zu chartern. Wieso ist ein Ex-Schutz notwendig, wenn es darum geht, Vorsorge zu betreiben?
Wir haben feststellen müssen, daß es uns trotz Auflage nicht gelang, den ExSchutz zu bekommen, weil er nirgendwo gegeben war. Aber weil wir uns an den Voraussetzungen der „Mellum" orientiert hatten, was ich eben dargestellt habe, hatten wir das mit aufgenommen. Da aber kein Anbieter mit diesem Ex-Schutz dabei war, mußten wir mit einem anderen Schiff vorliebnehmen.
Wünscht sonst jemand, zur Frage 19 eine weitere Zusatzfrage zu stellen? - Das ist nicht der Fall.
Dann rufe ich die Frage 20 auf, gestellt von unserer Kollegin Dr. Dagmar Enkelmann:
In welchem Umfang würden sich welche Konsequenzen aus den zum Ausgleich der Steuermindereinnahmen des Bundes im Bundeshaushaltsplan 1996 vorgesehenen Maßnahmen für den Besitzstand der Wohnungen der Eisenbahnerinnen und Eisenbahner ergeben?
Bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, um Beantwortung.
Herr Präsident, das war eben auch Thema in der Regierungsbefragung. Aber darauf kann ich gleichwohl eine kurze Antwort geben:
Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Bundeshaushaltsplan 1996 lassen den Besitzstandsschutz, den Eisenbahnerinnen und Eisenbahner in ihren Wohnungen erworben haben, unberührt.
Zusatzfrage.
Herr Präsident, selbst auf die Gefahr hin, daß ich mir jetzt eine Rüge einhandele: Die Antworten, die vorhin die Bundesregierung gegeben hat, waren wenig hilfreich und sehr unverbindlich.
Jetzt zu meiner Frage: Sie haben gerade über den Haushalt 1996 gesprochen. Trotzdem bleibt meine Frage: Wie wird nach dem Verkauf von Anteilen an den Genossenschaften der im allgemeinen Eisenbahngesetz vereinbarte und gesetzlich festgehaltene Besitzstand gesichert?
Ja.
„Wie" habe ich gefragt.
Der Besitzstand ist gegeben, und der wird nicht angerührt. Den brauchen wir nicht irgendwie zu sichern, sondern der wird nicht angerührt.
Zweite Zusatzfrage.
Der Zeitschrift „GdED in Form" - also der Zeitschrift der Eisenbahnergewerkschaft -, 10/95, konnte ich die Information entnehmen, daß Staatssekretär Henke nach einem Gespräch unter anderem mit Herrn Schäfer festgehalten hat, daß man übereingekommen sei, daß alle weiteren Fragen, unter anderem auch in bezug auf die Wohnungen, nur im Einvernehmen mit der GdED zu regeln seien.
Meine Frage ist jetzt: Wie ist die Gewerkschaft der Eisenbahner in die Überlegungen der Bundesregierung, die ja sehr plötzlich auf den Tisch des Haushaltsausschusses gekommen sind, einbezogen worden?
Die Einzelheiten dessen, wie die Gespräche abgelaufen sind, und die Termine habe ich im Moment nicht parat. Der Minister hat bestätigt und zugesagt, daß es auch in Zukunft eine sehr enge Abstimmung geben soll. Ich will Ihnen aber gerne mitteilen, damit Sie das auch schriftlich haben, welche Gespräche es bislang gegeben hat und wie der weitere zeitliche Ablauf geplant ist.
Werden dazu weitere Zusatzfragen gestellt? - Das ist nicht der Fall.
Dann, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, bedanke ich mich für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf.
Ich sage jetzt hauptsächlich für das Protokoll, daß alle Fragen dieses Geschäftsbereichs, also die Fragen 21 und 22 des Abgeordneten Kubatschka sowie die Fragen 23 und 24 der Abgeordneten Kastner schriftlich beantwortet werden sollen. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie. Die Fragen 25 und 26 der Abgeordneten Hendricks sind zurückgezogen. Frage 27 der Abgeordneten Uta Titze-Stecher soll schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes auf. Auch hier sollen die Fragen 28 von Norbert Gansel, 29 und 30 von Dr. Elke Leonhard sowie 31 und 32 von Amke Dietert-Scheuer schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden ebenfalls als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Die Fragen 33 von Dr. Egon Jüttner, 34 von Norbert Gansel, 35 von Jürgen Augustinowitz und 36 von Manfred Such sollen wiederum schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen auf. Zur Beantwortung steht uns Staatssekretär Dr. Jürgen Stark zur Verfügung.
Die Frage 37 unserer Kollegin Dr. Christine Lucyga soll auf Grund von Nr. 2 Abs. 2 unserer Richtlinien für die Fragestunde schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe jetzt die Frage 38 auf, ebenfalls gestellt von Frau Dr. Lucyga:
Welche Gründe waren für die Bundesregierung oder ihr unterstellte Institutionen dafür maßgebend, daß beim Verkauf der Deutschen Kreditbank AG an die Bayerische Landesbank die in der Bilanz der Deutschen Kreditbank AG ausgewiesenen kommunalen Altschulden ausgeklammert wurden und die Abwicklung der Altschulden - abweichend vorn Verfahren bei früheren Verkäufen von ehemaligen Banken der DDR an westdeutsche Banken - der vom Bund gegründeten Gesellschaft für kommunale Altkredite und Sonderaufgaben für Währungsumstellung mbH übertragen wurde, und wie wirkte sich dies auf den Kaufpreis aus?
Wenn ich Sie richtig verstanden habe, Herr Staatssekretär, wollen Sie zu dieser oder einer Reihe anderer Fragen zunächst eine einleitende Bemerkung machen. Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, vielen Dank. - Die Fragen 38 bis 61 betreffen zu einem Großteil die Abwicklungen von Altkrediten der ehemaligen DDR und die Übernahme von Geschäften ehemaliger DDR-Kreditinstitute durch andere Geschäftsbanken. Dies ist ein Sachbereich, zu dem der Bundesrechnungshof einen umfangreichen schriftlichen Bericht mit Datum vom 27. September 1995 erstellt hat.
Dieser Bericht wurde mit Schreiben vom 11. Oktober 1995 an den Vorsitzenden des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages gerichtet. Dieser Bericht des Bundesrechnungshofs enthält
Staatssekretär Dr. Jürgen Stark
vertrauliche Geschäftsdaten, die der Verschwiegenheitspflicht gemäß § 395 des Aktiengesetzes und § 9 des Kreditwesengesetzes unterliegen.
Der Bundesrechnungshof hat diese Vertraulichkeitseinstufung von sich aus vorgenommen. Dennoch wurde in der Presse über diesen Bericht und über einzelne Elemente daraus ausführlich berichtet, wobei in der Öffentlichkeit ein unzutreffendes Bild von den Bemerkungen des Bundesrechnungshofes vermittelt wurde.
Nach einer ersten Erörterung dieses Berichts in der Arbeitsgruppe „Aufbau Ost" des Haushaltsausschusses in der vergangenen Woche wird die Bundesregierung vor dem Haushaltsausschuß oder dem Rechnungsprüfungsausschuß des Deutschen Bundestages zu allen in dem Bericht aufgeworfenen Fragen und Wertungen im Einzelfall ausführlich Stellung nehmen.
Auch wenn der Bericht Grundlage für Presseberichterstattungen war, sehe ich mich nicht in der Lage, die vom Bundesrechnungshof erbetene Vertraulichkeit aufzuheben. Dies kann nur der Bundesrechnungshof tun. Nur über den Bundesrechnungshof und mit Zustimmung der betroffenen Banken kann eine Aufhebung der Vertraulichkeit erfolgen.
Deshalb - das habe ich auch in der Arbeitsgruppe „Aufbau Ost" deutlich gemacht - sollte der Vorsitzende des Haushaltsausschusses - er ist der Adressat des Bundesrechnungshofberichts - an den Bundesrechnungshof in dieser Sache herantreten. Gleichwohl werde ich von meiner Seite aus dem Bundesrechnungshof empfehlen, mit einer entsprechenden Bitte an die Banken heranzutreten, so daß der Bericht in den Ausschüssen ohne Vertraulichkeitseinstufung behandelt werden könnte.
Herr Präsident, ich mußte diese Vorbemerkung machen, weil einzelne Fragen, die ich jetzt im folgenden beantworten werde, nur pauschal beantwortet werden können, um Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse nicht zu verletzen.
Ich komme zur Frage 38. Im Sommer 1994 wurde die DKB international zum Verkauf ausgeschrieben. Zum Verkaufszeitpunkt war der größte Anteil des Kreditvolumens der Deutschen Kreditbank AG im Bereich Wohnungsbaukredite. Die Kreditnehmer waren in der Regel Wohnungsbaugesellschaften, die sich wiederum im Eigentum von Kommunen befanden.
Für private Investoren war eine Bank nicht attraktiv, die einerseits um Kunden wirbt, auf die die Kommunen bestimmenden Einfluß haben, und andererseits die sogenannten Altschulden für den Bau gesellschaftlicher Einrichtungen geltend machen muß.
Der Unternehmenswert der Deutschen Kreditbank wurde durch die Ausgliederung der Altkredite positiv beeinflußt. Dies zeigt auch der Umstand, daß ein Goodwill erlöst werden konnte.
Zusatzfrage, Frau Kollegin.
Herr Staatssekretär, Ihre Antwort kann mich naturgemäß nicht ganz befriedigen. Ich habe konkret gefragt: Welche Gründe waren für die Ausgliederung der kommunalen Altschulden beim Verkauf der Kreditbank an die Bayerische Landesbank maßgebend? Das halte ich mit Ihren Ausführungen für nicht zureichend beantwortet. Welche Gründe waren es? Geschah es auf Verlangen des Verkäufers oder des Käufers? Sagen Sie es mir bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gab eine internationale Ausschreibung; darauf habe ich hingewiesen.
Es gab sehr wenige Interessenten für diese Bank. Unter diesen mußte natürlich eine Auswahl getroffen werden, und es mußte das günstigste Angebot genommen werden. Dieses lag bei der Bayerischen Landesbank. Der entscheidende Punkt war eben - die Höhe der kommunalen Altschulden ist Ihnen ja in etwa bekannt -, daß ohne eine Ausgliederung dieser kommunalen Altschulden eine Privatisierung, ein Verkauf der Deutschen Kreditbank nicht möglich gewesen wäre.
Zweite Zusatzfrage.
Sie sagten, die Ausgliederung der kommunalen Altschulden habe sich auf den erzielten Verkaufswert insgesamt positiv ausgewirkt. Was verstehen Sie unter „positiv"? Ich hätte gern konkret Größenordnungen gewußt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es konnte durch die Ausgliederung ein höherer Verkaufspreis erzielt werden als ohne Ausgliederung. Sie werden Verständnis dafür haben, daß ich die Größenordnung hier nicht nennen kann. Mit der Käuferin der DKB, der Bayerischen Landesbank, ist Vertraulichkeit vereinbart worden. Ich kann hier leider keine Einzelheiten nennen.
Es gibt nur zwei Zusatzfragen, wie immer Sie die dritte Zusatzfrage begründen. Aber der Staatssekretär ist schon dabei, die dritte Zusatzfrage zu beantworten, also bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Kaufpreis bestand aus einer Eigenkapitalkomponente und einer Goodwillkomponente. Der Kaufvertrag sah vor, daß von der DKB nicht benötigtes Eigenkapital einschließlich des Gewinns für das Jahr 1993 vor der Übertragung an den Bund ausgeschüttet wird. Auch das Ergebnis für
Staatssekretär Dr. Jürgen Stark
1994 steht dem Bund zu. Es ist allerdings noch nicht festgestellt.
Insgesamt sind im Bundeshaushalt Einnahmen aus Kapitalherabsetzung und Veräußerung der Staatsbank Berlin und der DKB in Höhe von insgesamt 11 Milliarden DM veranschlagt worden. Eine nähere Aufschlüsselung ist mir leider nicht möglich, Frau Abgeordnete.
Bitte, Herr Kollege Catenhusen.
Ich weiß nicht, ob die Frage formal richtig ist, aber ich stelle sie trotzdem: Ist es bei Veräußerung von Eigentum, das in Bundesbesitz übergegangen ist, üblich, daß Erlöse aus solchen Verkaufsvorgängen dem Parlament oder den zuständigen Fachausschüssen nicht mitgeteilt werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, über alle Vorgänge, über die wir im Laufe der nächsten Zeit hier sprechen, einschließlich des Verkaufes der DKB, ist das Parlament über die entsprechenden Ausschüsse unterrichtet worden.
Herr Kollege Schily.
Überschreitet der Verkaufserlös, der erzielt worden ist, die Grenze, bei der eine parlamentarische Genehmigung erforderlich ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Schily, diese Frage kann ich insoweit beantworten, daß ich sage, daß das Parlament, daß die Ausschüsse über diesen Punkt informiert worden sind. Das Parlament ist unterrichtet worden. Das ist nach meinem Wissen über den Haushaltsausschuß gelaufen. Es gab zu diesem Punkt eine Unterrichtung des Haushaltsausschusses.
Herr Kollege Conradi.
Ist der Haushaltsausschuß über den beabsichtigten Verkauf der Deutschen Kreditbank AG an die Bayerische Landesbank mit Einzelheiten und Preisen so informiert worden, wie die Bundesregierung den Haushaltsausschuß beim Verkauf von Grundstücken, Gebäuden und anderen bundeseigenen Gegenständen informiert?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Conradi, es geht hier darum, daß - ich habe es gesagt - mit dem
Erwerber der Deutschen Kreditbank zum Verkaufspreis Vertraulichkeit vereinbart worden ist.
Herr Kollege Schily, wir wollen uns an die Regeln halten. Die nächste Frage wollte der Kollege Neumann stellen. - Hat sich erledigt. Dann bitte, Frau Kollegin Matthäus-Maier.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, es ist schwierig, die Frage zu stellen, weil Sie mehrfach geantwortet haben, das sei vertraulich. Aber sehen Sie nicht die Problematik, daß unser Haushaltsrecht detailliert vorsieht, wann und unter welchen Bedingungen der Haushaltsausschuß informiert werden muß oder sogar zustimmen muß, Sie sich aber, wenn wir Fragen stellen, immer wieder auf Vertraulichkeit berufen, so daß wir gar nicht nachprüfen können, was Sie im einzelnen mit den Banken vereinbart haben oder nicht? Es handelt sich doch um Vermögen der Bundesrepublik Deutschland. Wir haben ein Recht darauf, das zu erfahren.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Selbstverständlich, Frau Abgeordnete, das ist das Recht des Parlamentes. Das wird auch gar nicht angetastet.
Ich möchte nur darauf hinweisen, daß das Parlament wie im Fall der DKB auch bei allen anderen Verfahren bei den Schritten, die bei der Privatisierung der DDR-Banken erfolgten, eingeschaltet war.
Weitere Zusatzfragen zu Frage 38 werden nicht gestellt.
Dann rufe ich die Frage 39 auf, die der Kollege Hans-Joachim Hacker gestellt hat:
Welche Vorverträge bzw. sonstigen früheren Vereinbarungen aus der Zeit vor dem 3. Oktober 1990 haben die Bundesregierung bzw. ihr unterstellte Institutionen beim Verkauf der folgenden Banken - Deutsche Kreditbank AG, Berliner Stadtbank AG, Genossenschaftsbank Berlin, Deutsche Außenhandelsbank AG, Deutsche Handelsbank AG - in ihrer Verhandlungsfreiheit eingeschränkt, und durch welche Punkte in diesen Vorverträgen bzw. Vereinbarungen war die Verhandlungsfreiheit eingeschränkt?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zur Deutschen Kreditbank AG: Folgende verbindliche Vereinbarungen wurden in der Zeit vor dem 3. Oktober 1990 geschlossen: Vertrag der DKB mit der Deutschen Bank AG über die Gründung der Joint-venture-Bank Deutsche Bank/ Kreditbank AG, Vertrag der DKB mit der Dresdner Bank AG über die Gründung der Joint-venture-Bank Dresdner Bank/Kreditbank AG, Geschäftsbesorgungsvertrag der DKB mit der Deutschen Bank/Kre-
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Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1995 6389
Staatssekretär Dr. Jürgen Starkditbank AG betreffend die Abwicklung der Altkredite, Geschäftsbesorgungsvertrag der DKB mit der Dresdner Bank/Kreditbank AG betreffend die Abwicklung der Altkredite.Die Deutsche Bank AG und die Dresdner Bank AG haben bereits im Sommer 1990 jeweils eine Kaufoption an den Aktien der DKB an den Joint-ventureBanken erhalten. Die DKB hatte sich gegenüber Deutscher und Dresdner Bank AG vertraglich verpflichtet, deren Beteiligung an den jeweiligen Jointventure-Banken auf 100-Prozent-Anteile zu erhöhen. Des weiteren war der Kaufpreis zur Übernahme der Aktien an den Joint-venture-Banken vertraglich festgelegt.Zur Berliner Stadtbank AG: Folgende verbindliche Vereinbarungen wurden in der Zeit vor dem 3. Oktober 1990 geschlossen: Letter of intent zwischen Berliner Bank AG und Berliner Stadtbank AG, Dienstleistungsvertrag zwischen Berliner Bank AG und Berliner Stadtbank AG.Der Letter of intent und insbesondere der Dienstleistungsvertrag führten zu einer Vertragsbindung der Berliner Stadtbank AG dergestalt, daß ein Verkauf der Berliner Stadtbank AG an andere als die Berliner Bank AG für den Eigentümer wirtschaftlich nicht attraktiv war. Einzelheiten vermag ich mit Rücksicht auf die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der beteiligten Banken ohne deren Einverständnis nicht anzugeben.Ich bin bereit - das habe ich gesagt -, über den Bundesrechnungshof an die Banken heranzutreten mit der Bitte, die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse aufzuheben, damit der Haushaltsausschuß oder der Rechnungsprüfungsausschuß die Möglichkeit hat, sich detailliert mit diesen Dingen zu befassen.Die Genossenschaftsbank Berlin ist nicht verkauft worden. Vielmehr hat die DG-Bank noch vor dem Tag der deutschen Einheit am 3. Oktober 1990 das Geschäft und die Mitarbeiter der Genossenschaftsbank Berlin, die sich nach wie vor im Eigentum des Bundes befindet, übernommen, und zwar durch einen Übernahme- und Einbringungsvertrag zwischen der GBB und der DG-Bank vom 10. September 1990.Die Deutsche Außenhandelsbank AG hat am 31. Mai 1990 eine Grundlagenvereinbarung mit der Westdeutschen Landesbank abgeschlossen.Zur Deutschen Handelsbank AG: Schon vor dem 3. Oktober 1990 hatte die Staatsbank Berlin Verhandlungen über eine Veräußerung ihrer 64prozentigen Beteiligung an der Deutschen Handelsbank AG geführt, ohne daß es zu Vorverträgen oder sonstigen Vereinbarungen gekommen war. Die Verhandlungen konnten am 13. November 1990 abgeschlossen werden.
Herr Kollege Hacker, Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, waren die Bundesregierung bzw. von ihr beauftragte
Personen oder ihr unterstellte Institutionen bzw. von ihnen beauftragte Personen in irgendeiner Phase vor dem 3. Oktober 1990 an der Verhandlung oder Erstellung dieser Vorverträge oder Vereinbarungen beteiligt? Wenn ja: In welcher Funktion haben diese Personen gehandelt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, wenn ich das richtig sehe, greifen Sie der nächsten Frage vor. Ich kann diese Frage aber mit Nein beantworten.
Zweite Zusatzfrage.
Haben die Bundesregierung bzw. ihr unterstellte Institutionen in irgendeiner Weise unmittelbar oder mittelbar Einfluß auf die Verhandlungen oder die Erstellung dieser Vorverträge oder Vereinbarungen genommen? Wenn ja: in welcher Weise?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es ist mir nicht bekannt, daß Mitglieder der Bundesregierung oder Bedienstete der Bundesregierung Einfluß auf die Vertragsgestaltung genommen haben.
Kollege Schily.
Ist Ihnen das deshalb nicht bekannt, Herr Staatssekretär, weil Sie erst seit kurzer Zeit im Amt sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, Herr Abgeordneter Schily, das hat das Studium der Akten ergeben.
Herr Kollege Schulz.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß einige westdeutsche Banken durch Geschäftsbesorgungsverträge mit den ostdeutschen Partnerbanken von diesen Entgelte erhalten haben, die in etwa den Kaufsummen bei der späteren Übernahme der ostdeutschen Partnerbanken entsprechen? Wie erklären Sie das?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, das ist mir nicht bekannt.
Weitere Zusatzfragen werden nicht gestellt.Dann rufe ich die Frage 40, die ebenfalls der Kollege Hacker gestellt hat, auf:Welche Mitglieder bzw. Mitarbeiter oder Beauftragte der Bundesregierung und der Regierung der DDR haben an den Verhandlungen über die Abwicklung von Altkrediten der ehemaligen DDR und die Übernahme von Geschäften ehemaliger DDR-Kreditinstitute durch andere Geschäftsbanken teilgenommen?
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6390 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1995
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Vor dem 3. Oktober 1990 haben keine Mitglieder bzw. Mitarbeiter oder Beauftragte der Bundesregierung an Verhandlungen über die Abwicklung von Altkrediten der ehemaligen DDR und die Übernahme von Geschäften ehemaliger Kreditinstitute durch andere Geschäftsbanken teilgenommen. Auf Grund von Ministerratsbeschlüssen der Regierung der ehemaligen DDR war vor allem die Staatsbank Berlin mit der Umstrukturierung der Kreditwirtschaft beauftragt worden. Allerdings gab es im Zusammenhang mit dem Einigungsvertrag Gespräche von Vertretern des Bundesministeriums der Finanzen und der Deutschen Bundesbank mit den Vertretern der DDR und der Staatsbank Berlin. Nach dem 3. Oktober 1990 lag die Zuständigkeit beim Bundesministerium der Finanzen, für die DKB und für die Berliner Stadtbank AG war die Treuhandanstalt zuständig.
Weitere Zusatzfragen werden nicht gestellt.
Dann rufe ich die Frage 41 des Kollegen Weißgerber auf. Ist der Kollege im Raum? - Das ist nicht der Fall. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Ich rufe die Frage 42 des Kollegen Peter Conradi auf:
In welcher Höhe sind auf Ausgleichsforderungen, die Geldinstituten seit dem 1. Juli 1990 zugeteilt wurden, Zinsen angefallen, die den Bundeshaushalt bzw. den Erblastentilgungsfonds belasten?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Seit dem 1. Juli 1990 sind in Höhe von 26,7 Milliarden DM Zinsen auf Ausgleichsforderungen angefallen, die bis zum 31. Dezember 1994 vom Kreditabwicklungsfonds mit Erstattungen je hälftig durch den Bund bzw. die Treuhandanstalt und ab dem 1. Januar 1995 vom Erblastentilgungsfonds mit vollständiger Erstattung durch den Bund getragen wurden.
Welche Zinssätze hat die Bundesregierung für diese Forderungen maximal und minimal vereinbart?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Diese Forderungen werden nach dem Drei-Monats-Fibor verzinst.
War das Ihre zweite Zusatzfrage? - Danke. Möchte noch jemand eine Zusatzfrage stellen? - Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Frage 43, die ebenfalls der Kollege Peter Conradi gestellt hat:
Beim Verkauf welcher der folgenden Banken bzw. ihrer Anteile haben die Bundesregierung oder ihr unterstellte Institutionen in den Kaufverträgen Nachbesserungsklauseln eingebracht: Deutsche Kreditbank AG, Berliner Stadtbank AG, Genossenschaftsbank Berlin, Deutsche Außenhandelsbank AG, Deutsche Handelsbank AG?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zur Deutschen Kreditbank AG: In den Kaufverträgen über die Aktien der Joint-venture-Banken wurden keine Nachbewertungsklauseln vereinbart. Bei den getrennt veräußerten Grundstücken wurden hingegen Nachbewertungsklauseln vorgesehen. Bei dem Verkauf der DKB an die Bayerische Landesbank im Jahre 1995 wurde eine Nachbewertungsvereinbarung in den Kaufvertrag aufgenommen.
Der Kaufvertrag über die Aktien der Berliner Stadtbank AG enthält keine Nachbewertungsklausel im eigentlichen Sinne, allerdings eine Anpassungsklausel betreffend Altkredite. Einzelheiten können im Hinblick - ich wiederhole das - auf die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der an der Transaktion beteiligten Banken nicht genannt werden. Die Berliner Stadtbank AG hatte kein eigenes Grundstückseigentum.
Zu den übrigen Kreditinstituten: Die Genossenschaftsbank Berlin ist am 3. Oktober 1990 in das Eigentum des Bundes übergegangen. Sie wurde nicht verkauft. Ich habe bereits darauf hingewiesen. Ihr Bankgeschäft hat sie durch Einbringungsvertrag vom 10. September 1990 mit Wirkung vom 1. Juli 1990 in die Deutsche Genossenschaftsbank eingebracht und dafür eine angemessene Gegenleistung erhalten. Nachbesserungsklauseln wurden in den Kaufverträgen betreffend die Deutsche Außenhandelsbank AG und die Deutsche Handelsbank AG nicht vereinbart.
Zusatzfrage.
Der Bundesrechnungshof hat kritisiert, daß beim Verkauf des 64-Prozent-Anteils der Deutschen Handelsbank nur der Käuferin ein Recht zur Nachverhandlung oder Kaufpreisanpassung eingeräumt wurde, nicht aber der Treuhand. Es ist doch ungewöhnlich, daß nur eine Seite dieses Recht auf Nachbesserung oder Nachverhandlung hat und nicht auch die andere, in diesem Fall die Treuhand.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Vertrag über die Veräußerung der DKB wurde im Januar dieses Jahres abgeschlossen; zu diesem Zeitpunkt hat die Treuhandanstalt nicht mehr bestanden.
Selbst dann stellt sich die Frage, warum die Bundesregierung nur einer Seite das Recht auf Nachverhandlungen einräumt und nicht auch sich selbst Nachbesserungen bzw. Nachverhandlungen ermöglicht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich kenne den Vertrag, der hier
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1995 6391
Staatssekretär Dr. Jürgen Starkzugrunde liegt, nicht im einzelnen. Ich bin aber bereit, hierzu eine schriftliche ergänzende Stellungnahme abzugeben.
Bitte, Herr Neumann.
War die Bundesregierung durch Vorverträge gehindert, eine Nachbesserungsklausel in den Vertrag aufzunehmen, die beiden Seiten die Möglichkeit gegeben hätte, neue Verhandlungen aufzunehmen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Im Bereich der DKB?
Ja.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Hier gab es keine Vorverträge, weil es eine internationale Ausschreibung gegeben hat.
- Es hat eine Anpassungsklausel betreffend die Altkredite gegeben. Ich habe gesagt, daß es kein Grundstückseigentum gegeben hat. Bei Grundstücksverkäufen ist es üblich, solche Klauseln vorzusehen. Bei Aktienverkäufen selbst ist es normalerweise nicht üblich, dies zu tun.
Herr Kollege Schily.
Herr Staatssekretär, wer im Bundesfinanzministerium hat die Verträge geprüft?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Verträge wurden von verschiedenen Fachabteilungen des Ministeriums geprüft.
Herr Kollege Beucher.
Herr Staatssekretär, heißt das, daß Herr Finanzminister Waigel keine Kenntnis von diesen Verträgen hatte?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das habe ich nicht gesagt. Finanzminister Waigel - das betrifft aber auch eine Frage, deren Beantwortung zu einem späteren Zeitpunkt an die Reihe kommt; es handelt sich um eine Frage, die der Abgeordnete Schily an die Bundesregierung gerichtet hat - wurde unterrichtet.
Weitere Zusatzfragen? - Nein.
Dann rufe ich die Frage 44, die der Kollege Beucher gestellt hat, auf:
Welche Immobilien befanden sich zum Zeitpunkt des Verkaufs der folgenden ehemaligen DDR-Geldinstitute bzw. ihrer Anteile in deren Besitz oder deren anteiligem Besitz: Deutsche Kreditbank AG, Berliner Stadtbank AG, Genossenschaftsbank Berlin, Deutsche Außenhandelsbank AG, Deutsche Handelsbank AG?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Soweit Angaben zum Grundeigentum von Gesellschaften nicht im Jahresabschluß zu veröffentlichen sind, zählen sie zu den Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen. Ich habe auf § 395 des Aktiengesetzes und § 9 des Kreditwesengesetzes hingewiesen. Daher bitte ich um Verständnis, wenn ich nicht imstande bin, Ihre Frage nach den einzelnen Immobilien der genannten Banken ohne deren vorherige Zustimmung zu beantworten.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie können auch nicht sagen, ob diese Immobilien überwiegend mitten in den Städten gelegen sind oder ob sie sich in Randlagen befunden haben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Darauf kann ich leider keine Antwort geben.
Keine zweite Zusatzfrage? - Dann der Kollege Schily, bitte.
Herr Staatssekretär, ist im Bundesfinanzministerium geprüft worden, welcher Immobilienbesitz mit Bankinstituten oder Kreditinstituten veräußert wurde und welcher Wert bei der Übertragung auf die Erwerber übergegangen ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dies ist geprüft worden, Herr Abgeordneter Schily.
Kollege Conradi.
Selbst wenn Sie hier nicht einzelne Werte vortragen können, dann können Sie uns doch sagen, auf welche Weise diese Werte festgestellt worden sind.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es sind hier natürlich Wirtschaftsprüfer eingeschaltet worden; in manchen Fällen sind auch zusätzlich Gutachter in Anspruch genommen worden.
Frau Kollegin Matthäus-Maier.
In welcher Weise sind diese Immobilien und ihr Wert bei den Ver-
Metadaten/Kopzeile:
6392 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1995
Ingrid Matthäus-Maierkaufsverhandlungen berücksichtigt worden, und ist es zutreffend, daß vor dem Verkauf noch Sanierungsmaßnahmen an den Immobilien vorgenommen wurden, und in welcher Höhe sind Aufwendungen entstanden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Inwieweit Aufwendungen entstanden sind, kann ich im einzelnen nicht sagen. Auch dies dürfte dem Geschäfts- und Betriebsgeheimnis unterliegen.
Ich kann Ihnen, Frau Abgeordnete Matthäus-Maier, diese Antwort aber schriftlich geben.
Frau Kollegin, Sie hatten eine Zusatzfrage. - Oder handelte es sich vorhin um eine Doppelfrage? -
- Dann bitte ich, auch den zweiten Teil zu beantworten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe in anderem Zusammenhang gesagt, daß die Immobilien angemessen berücksichtigt worden sind.
Sie sind mit in den Verkaufspreis eingegangen.
Herr Kollege Neumann.
Hat die Bundesregierung, wenn sich herausstellen sollte, daß die Bewertungen falsch waren, eine Möglichkeit, über Nachverhandlungen eine Erhöhung des Kaufpreises zu erreichen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gibt eine Anpassungsklausel. Aber inwieweit Wertveränderungen zu Buche schlagen, kann ich im einzelnen nicht sagen.
Herr Kollege Dr. Struck.
Herr Staatssekretär, können Sie dem Bundestag etwas über den Inhalt dieser Anpassungsklausel berichten? Welche Kriterien sind in dieser Anpassungsklausel enthalten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Struck, dies kann ich nicht tun. Ich könnte dies tun, wenn ich ein Gespräch mit der betroffenen Bank führte und eine Offenlegung des Vertrages erfolgt.
Herr Kollege Schily, es kommen noch jede Menge Fragen zum gleichen Thema. Sie können Ihre Zusatzfrage vielleicht dann stellen.
Ich rufe die Frage 45 auf, ebenfalls vom Kollegen Beucher gestellt:
Welchen Wert hatte beim Verkauf der folgenden Banken bzw. ihrer Anteile ggf. der Immobilienbesitz, und wurde dieser Wert bei der Kreditpreisermittlung berücksichtigt: Deutsche Kreditbank AG, Berliner Stadtbank AG, Genossenschaftsbank Berlin, Deutsche Außenhandelsbank AG, Deutsche Handelsbank AG?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Immobilienbesitz der genannten Banken wurde, soweit vorhanden, bei den Kaufpreisermittlungen bzw. bei der Bemessung der Gegenleistungen für das auf die DG-Bank übertragene Bankgeschäft der Genossenschaftsbank Berlin ausreichend berücksichtigt. Dies ist bei Unternehmensveräußerungen üblich.
Soweit sich bei späteren Bewertungen dieser Immobilien bis zum Ende des Geschäftsjahres 1994 höhere Werte als zum Zeitpunkt des Verkaufs ergeben, zieht dies nach § 36 des D-Mark-Bilanzgesetzes Änderungen der D-Mark-Eröffnungsbilanzen der betroffenen Institute mit der Folge nach sich, daß ihnen eine entsprechend geringere Ausgleichsforderung bzw. höhere Ausgleichsverbindlichkeit gegenüber dem Ausgleichsfonds Währungsumstellung zugeteilt wird, die den Bund entsprechend entlastet, so daß auf diese Weise dem Bund die vollen Grundstückswerte zugute kommen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wer hatte denn nach dem Verkauf der Banken die Verfügungsgewalt über diese Immobilien?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Verfügungsgewalt über diese Immobilien liegt bei den Käufern.
Eine zweite Zusatzfrage? - Nein.Kollege Schily, wollen Sie jetzt die Gelegenheit nutzen? - Nein. Weitere Zusatzfragen werden nicht gestellt.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1995 6393
Vizepräsident Hans KleinDann rufe ich die Frage 46 auf, die die Kollegin Doris Barnett gestellt hat:Sind Geldinstitute durch die Zuteilung von Ausgleichsforderungen bezüglich der Altkredite aus der ehemaligen DDR von jedem finanziellen Risiko freigestellt worden?Bitte, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es trifft nicht zu, daß die Kreditinstitute bezüglich der Altkredite von jedem finanziellen Risiko freigestellt worden sind. Soweit zum Stichtag 1. Juli 1990 Altkredite nicht werthaltig waren und sich hieraus Verluste in der D-Mark-Eröffnungsbilanz der ostdeutschen Geldinstitute ergeben haben, werden diese Verluste gemäß Staatsvertrag Anlage I Art. 8 § 4 durch die Zuteilung von Ausgleichsforderungen an den Ausgleichsfonds Währungsumstellung ausgeglichen.
Erweisen sich im Zeitraum nach dem 1. Juli 1990 bis zur Bilanz zum 31. Dezember 1994 Altkredite auf Grund von werterhellenden Tatsachen, die am 1. Juli 1990 bereits vorlagen, als nicht mehr werthaltig, werden die entsprechenden Verluste gemäß § 36 Abs. 4 des D-Mark-Bilanzgesetzes ebenfalls durch Zuteilung von Ausgleichsforderungen ausgeglichen. Beruht allerdings die Wertlosigkeit auf wertverändernden, in der Zeit nach dem 1. Juli 1990 begründeten Tatsachen oder werden die Verluste nach dem 31. Dezember 1994 erkennbar, muß die entsprechende Belastung von den Kreditinstituten selbst getragen werden.
Zusatzfrage, Frau Kollegin? - Keine. Dann der Kollege Thalheim.
Wenn die Deutsche Genossenschaftsbank für ihre Forderungen gegenüber den LPG-Nachfolgern in voller Höhe Ausgleichsforderungen erheben kann, ist dann davon auszugehen, daß die Bank der Meinung war, daß sämtliche Forderungen nicht werthaltig sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Dr. Thalheim, das wird sich erst bei der abschließenden Zuteilung von Ausgleichsforderungen zeigen. Dieser Abschluß erfolgt auf der Basis der Werte vom 31. Dezember 1994 bis Ende 1998.
Frau Kollegin MatthäusMaier.
Habe ich Ihre Antwort richtig verstanden, Herr Staatssekretär, daß die Kreditinstitute für die Zeit vor der D-Mark-Umstellung am 1. Juli 1990 von jedem finanziellen Risiko freigestellt worden sind? Ich habe Sie so verstanden, daß für die Banken nur für die Zeit nach der Umstellung Risiken entstehen. Habe ich Sie richtig verstanden: Werden sie für die Zeit vor der Umstellung von jedem Risiko freigestellt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe das so gesagt. Soweit erkennbar ist, daß Altkredite vor dem 1. Juli 1990 nicht werthaltig waren, wird eine entsprechende Ausgleichsforderung gewährt.
Eine Ausgleichsforderung ist kein Risiko, sondern das Gegenteil.
Frau Kollegin! - Das Wort hat der Kollege Schily.
Ich möchte da noch nachfragen, Herr Staatssekretär. Es geht um die Übernahme eines Kreditinstituts und einen Altkreditbestand. Trifft es zu, daß das Risiko, was diesen Altkreditbestand angeht, durch entsprechende Ausgleichsforderungen ausgeschlossen wurde? Denn es wäre wirklich ein Stück aus dem Tollhaus, wenn der Staat das Risiko zusätzlich auch für das künftige Bankgeschäft übernähme.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe die zeitliche Unterscheidung getroffen, Herr Abgeordneter Schily. Ich bitte zu berücksichtigen: Es ging um den Aufbau eines tragfähigen zweistufigen Bankensystems. Das ist letztlich auch eine Folge des Prinzips der Ausgleichsforderungen. Auf Grund der asymmetrischen Währungsumstellung in der damaligen DDR mußte natürlich ein Ausgleich geschaffen werden, damit ein tragfähiges und belastbares Bankensystem entstehen konnte.
Könnten Sie, Herr Parlamentarischer Staatssekretär - ich weiß, Sie haben heute ein schwieriges Amt -, -
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe immer ein schwieriges Amt.
- die Frage der zeitlichen Differenzierung vielleicht noch einmal erläutern?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sehr gern. Soweit Altkredite zum Stichtag 1. Juli 1990 nicht werthaltig waren und sich hieraus Verluste in der D-Mark-Eröffnungsbilanz ergeben haben, werden diese Verluste - das schreibt der Staatsvertrag vor; wir tun nichts anderes, als den Staatsvertrag umzusetzen - durch Zuteilungen von Ausgleichsforderungen an den Ausgleichsfonds Währungsumstellung ausgeglichen.
Erweisen sich im Zeitraum nach dem 1. Juli 1990 bis zur Bilanzerstellung zum 31. Dezember 1994 Altkredite auf Grund von werterhellenden Tatsachen, die am 1. Juli 1990 bereits vorlagen, als nicht mehr werthaltig, werden die entsprechenden Verluste gemäß D-Mark-Bilanzgesetz ebenfalls durch Zuteilung von Ausgleichsforderungen ausgeglichen. Wir
Staatssekretär Dr. Jürgen Stark
müssen - das enthält erstens der Staatsvertrag und zweitens das D-Mark-Bilanzgesetz - den Unternehmen und den Banken auf Grund der sehr schwierigen Bewertungssachverhalte in den neuen Bundesländern bis zum 31. Dezember 1994 die Möglichkeit geben, entsprechende Änderungen vorzunehmen.
Herr Kollege Neumann.
Herr Staatssekretär, hält die Bundesregierung es - nachdem Sie uns das so mitgeteilt haben - trotzdem für gerechtfertigt, daß diesen Geldinstituten marktübliche Zinsen auf Altkredite berechnet worden sind, obwohl marktübliche Zinsen, wie jeder weiß, zu einem erheblichen Teil eine Risikoprämie enthalten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe gesagt, Herr Abgeordneter, es ging um den Aufbau eines funktionsfähigen Bankensystems. Dazu benötigten wir das Instrument der Ausgleichsforderungen. Dieses Instrument wurde extra geschaffen, um angesichts der asymmetrischen Umstellungssätze für die Aktiv- und die Passivseite einen Ausgleich zu finden.
Im Ergebnis hatten die Banken der DDR mehr D-Mark-Verbindlichkeiten, als sie D-Mark-Forderungen hatten. Die Lücke auf der Aktivseite der Bankbilanzen wurde durch entsprechende Ausgleichsforderungen ausgefüllt.
Da Sie jetzt von den Zinsen sprechen, Herr Abgeordneter, muß ich darauf hinweisen, daß den Banken ein formaler Bilanzausgleich - wir haben das damals sehr genau mit der Bundesbank besprochen - wenig geholfen hätte; denn es ging um die Schließung der Rentabilitätslücke in der Gewinn- und Verlustrechnung. Dies war nur durch eine marktmäßige Verzinsung der Ausgleichsforderungen möglich.
Ich möchte darauf hinweisen, daß eine Folge der marktmäßigen Verzinsung die Verbriefung der Ausgleichsforderungen war. Nur so war es möglich, in den neuen Bundesländern ein solides Bankenrefinanzierungssystem zu schaffen.
Kollege Conradi.
Ist der Eindruck zutreffend, Herr Staatssekretär, daß bei der Abwicklung dieser Verträge sämtliche Risiken beim Bund und sämtliche Vorteile bei den Banken lagen, daß man also richtigerweise eher von einer Bankenregierung als von einer Bundesregierung sprechen müßte?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Conradi, Sie können nicht erwarten, daß ich auf diese Frage ernsthaft antworte.
Doch, das muß leider jeder bei der fabelhaften Technik, die wir in diesem Hause haben.
Ich möchte nicht auf den polemischen Teil meiner Frage eine Antwort, sondern auf den sachlichen Teil meiner Frage, und der hieß: Gab es überhaupt irgendwelche Risiken bei den Banken? Hatten sie nicht sämtliche Vorteile?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Vielen Dank, Herr Abgeordneter, für diese Klarstellung. Es gab natürlich Risiken bei den Banken. Ich habe das im Zusammenhang mit einer anderen Frage, die ich vorher beantwortet habe, dargelegt.
Wir brauchten zum 1. Juli 1990 - das mußte eine ganz entscheidende Infrastrukturaufgabe für die Banken, die sich in den neuen Bundesländern engagiert haben, sein - ein funktionierendes Bankensystem, um überhaupt die Umstellung der Mark der DDR auf die D-Mark vornehmen zu können.
Sie wissen, Herr Abgeordneter Conradi, daß der Bankensektor die Schnittstelle für den Transformationsprozeß ist.
- Kann ich ausreden?
Es kann nicht so sein, daß Sie die Behauptung aufstellen, daß hier in erster Linie etwas für die Banken getan wurde. Ich habe dargestellt, wie es zu den Ausgleichsforderungen gekommen ist und wie sie begründet werden. Ich habe dargelegt, daß ein funktionierender Kapitalmarkt in den neuen Bundesländern entstehen mußte.
Sie müssen berücksichtigen, Herr Abgeordneter, daß von seiten der Banken, die sich in den neuen Bundesländern engagiert haben, in ganz gewaltigem Umfang Infrastrukturinvestionen erforderlich waren, und zwar sowohl in Immobilien als auch in die Schulung des Personals. Ich möchte in diesem Zusammenhang erwähnen, daß sich der Bestand an Mitarbeitern bei den Banken der früheren DDR im Zuge der Privatisierung und des Aufbaus eines zweistufigen Bankensystems fast verdoppelt hat.
Auch wir haben das Problem mit dem Knopf, Herr Kollege Conradi.
Herr Kollege Ilte.
Herr Staatssekretär, das hört sich fast so an, als ob die Banken bei diesen Geschäften Verluste gemacht hätten. Wir sind anderer Auffassung.
Die Frage lautet: Gibt es in Ihrem Hause Berechnungen oder vielleicht auch Schätzungen, welche Gewinne beim Verkauf der DDR-Banken insgesamt entstanden sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dies betrifft eine Frage, die zu einem späteren Zeitpunkt noch gestellt wird. Insgesamt ist durch den Verkauf der DDR-Banken ein Erlös von knapp 11 Milliarden DM erzielt worden.
Kollege Beucher.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie soeben ausgedrückt haben, daß bei der Umstrukturierung des DDR-Bankensystems Grundsätze sparsamer und sorgfältiger Haushaltsführung nur deshalb verletzt worden sind, um den Termin 1. Juli 1990 einzuhalten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, hier sind keine Grundsätze des sparsamen Umgangs mit Steuergeldern verletzt worden. Es ging um den Aufbau eines zweistufigen Bankensystems. Voraussetzung dafür war natürlich die Einführung der D-Mark zum 1. Juli 1990. Voraussetzung war, daß der Umstrukturierungsprozeß, der Privatisierungsprozeß greifen konnte.
Hierzu benötigten wir - diese Erfahrung machen wir auch in den mittelosteuropäischen Staaten - ein funktionsfähiges Bankensystem.
Dieses Bankensystem war - so haben das auch Sachverständige im Jahr 1990 ermittelt - nicht funktionsfähig, es war von der Staatsbank zentral gesteuert. Die Banken in den Kreisen waren lediglich Filialen, Verwaltungsstellen der Staatsbank in Berlin. Es wurde keine Geschäftsbankentätigkeit betrieben. Es mußte erst die Möglichkeit eröffnet werden, Geschäftsbankentätigkeit auszuüben.
Kollege Hacker.
Herr Staatssekretär, Sie haben eben dargestellt, in welcher Weise die Bundesregierung bestrebt war, Risiken für die Banken zu minimieren, um es einmal vorsichtig auszudrücken. Ich frage Sie in diesem Zusammenhang: Hat die Bundesregierung in dieser Phase auch Überlegungen angestellt, wie die Altschulden, die auf den kommunalen Gesellschaftsbauten lagen und die unter den Bedingungen eines staatlichen Bankensystems in einer nichtmarktwirtschaftlichen Ordnung entstanden waren, für die Kommunen minimiert werden konnten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, Sie wissen, daß über die Frage der kommunalen Altschulden intensive Verhandlungen und Gespräche zwischen Bund, Ländern und den betroffenen Kommunen geführt werden. Auch das ist ein Grund, warum Frage 37 heute nicht in der Fragestunde, sondern schriftlich beantwortet wird.
Frau Kollegin Dr. Lucyga.
Herr Staatssekretär, können Sie mir erläutern, welche Notwendigkeit die Bundesregierung bewogen hat, die Altkredite im Zuge der Umstrukturierung des Bankensystems sofort mit Hochzinsen zu belegen, mit denen sie vorher nicht belastet waren, und dadurch eine Eigendynamik in Gang zu setzen, an der noch heute zu tragen ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, es gab im Jahr 1990 unter den Sachverständigen die einhellige Meinung - dazu ist auch ein Sondergutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung eingefordert worden -, und es bestand ebenfalls auf seiten der Bundesbank eine klare Haltung, daß nur durch die Übernahme marktüblicher Zinsen ein Prozeß in Gang kommen kann, der mit marktwirtschaftlichen Grundsätzen vereinbar ist. Ich möchte darauf hinweisen, daß durch Sachverständige - die Wirtschaftsforschungsinstitute haben dies in mehreren Studien und Analysen belegt - und Befragungen, die bei Unternehmen in den neuen Bundesländern durchgeführt wurden, klargestellt worden ist, daß die Altschulden nie als entscheidende Last für den Anpassungsprozeß angesehen wurden, sondern hierfür in erster Linie andere Faktoren maßgebend sind.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Schulz.
Herr Staatssekretär, welche Notwendigkeit bestand denn bei der - um es vorsichtig zu sagen - fragwürdigen Privatisierung und dem fragwürdigen
Metadaten/Kopzeile:
6396 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1995
Werner Schulz
Verkauf der Banken dafür, sämtliche Forderungen den Banken gleich mit zu überlassen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, inwieweit im Zusammenhang mit der Umsetzung des Staatsvertrages und der Anwendung des D-Markbilanzgesetzes Ausgleichsverbindlichkeiten anfallen, wird sich zeigen. Wir sind hier in intensiver Prüfung. Ich werde in Beantwortung anderer Fragen darauf zurückkommen. Das Bundesministerium der Finanzen ist gemeinsam mit dem Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen dabei, Prüfungen bei der Gewährung von Ausgleichsforderungen vorzunehmen. Das BAKred war bisher in der Lage, ungerechtfertigte Ausgleichsforderungen abzuwehren. Auch hierzu gibt es einen Bericht des Bundesrechnungshofs. Der Bundesrechnungshof hat diese Möglichkeit besonders hervorgehoben und darauf hingewiesen, daß durch das Verhalten, durch die strenge Prüfung des BAKred bereits Beträge in Milliardenhöhe für den Bund erspart wurden.
- Das ist keine Frage, Entschuldigung.
- Der Bundesrechnungshof hat dies mit „in Milliardenhöhe" beziffert.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Thalheim.
Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie Ihre letzten Aussagen hinsichtlich der Werthaltigkeit der Kredite vor dem Hintergrund der Tatsache, daß Staatssekretärin Karwatzki in dem Bericht an den Rechnungsprüfungsausschuß einräumen mußte, daß 95 Prozent der Forderungen der Treuhandanstalt letztendlich nicht bedient werden konnten, sondern zu Lasten der Treuhandanstalt, sprich: des Erblastentilgungsfonds, gehen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es geht bei den Ausgleichsforderungen, den Ausgleichsverbindlichkeiten, darum - ich habe darauf hingewiesen -, daß exakte Prüfungen erfolgen und daß diese bis zum Ende des Jahres 1998 auf der Basis des Bilanzstichtags 31. Dezember 1994 endgültig abgeschlossen sein werden.
Bezug nehmend auf den Zwischenruf des Abgeordneten Schily - Sie sehen, wie entgegenkommend ich bin -: Wir sind von Ausgleichsforderungen in Höhe von 110 Milliarden DM ausgegangen. Wir stellen heute fest, daß wir damit rechnen können, daß sich diese Ausgleichsforderungen auf etwa 98 Milliarden DM belaufen dürften.
- Wenn ich das, weil es wichtig ist, gerade beantworten darf - wir können den Dialog zu Lasten der anderen Abgeordneten fortsetzen; auch so bekommen wir die Zeit herum -:
Dazu brauchen wir nicht die Aufforderung des Bundesrechnungshofs. Es ist eine Selbstverständlichkeit, daß das BAKred gemeinsam mit uns hart prüft. Wie gesagt, es sind ungerechtfertigte Ausgleichsforderungen bereits in Milliardenhöhe zurückgewiesen worden. Die Bewertung geht weiter und wird bis Ende 1998 abgeschlossen sein.
Jetzt kommen wir zu Frage 47 der Abgeordneten Barnett:
Wie ist bei der Festlegung des Kaufpreises berücksichtigt worden, daß Geldinstitute durch ihnen zugeteilte Ausgleichsforderungen über deren Umwandlung in Inhaberschuldverschreibungen neben Zinserträgen auch andere Erträge erzielen konnten?
Bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bei den Verkäufen oder Geschäftsübertragungen von ehemaligen DDR-Kreditinstituten hat jeweils eine Bewertung des Geschäfts stattgefunden. Diese Bewertung erfaßte alle Aktiva und Passiva einschließlich der Ausgleichsforderung oder Verbindlichkeiten. Ein besonderer Zuschlag für Ausgleichsforderungen, durch den der Kaufpreis hätte angehoben werden können, war nicht möglich, weil eine positive Zinsmarge aus den Ausgleichsforderungen auf Dauer nur dann zu erwirtschaften ist, wenn die Zinsen aus dem Aktivgeschäft ständig höher sind als die für die entsprechenden Passiva zu zahlenden Zinsen.
Die Verzinsung der Ausgleichsforderungen richtet sich nach dem kurzfristigen Drei-Monats-Fibor - ich habe an anderer Stelle darauf hingewiesen -, dessen Höhe bei normalen Kapitalmarktverhältnissen unterhalb des mittel- und langfristigen Kapitalmarktzinses liegt. Da damals überwiegend angenommen wurde, daß die zum Zeitpunkt der Übertragung am Kapitalmarkt vorherrschende inverse Zinsstruktur nicht länger anhalten würde, waren Banken nicht bereit, einen Preiszuschlag zu zahlen. Vielmehr haben die Banken auf Zins- und Bewertungsrisiken hingewiesen. Auch in Inhaberschuldverschreibungen umgewandelte Ausgleichsforderungen werden mit dem Drei-Monats-Fibor verzinst.
Ich darf noch die Anmerkung machen, daß es mit der marktmäßigen Verzinsung in einem anderen Zusammenhang und der späteren Verbriefung der Ausgleichsforderungen gelungen ist, einen ersten Ansatz für eine solide Bankenrefinanzierung in den neuen Bundesländern aufzubauen.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Barnett.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1995 6397
Herr Staatssekretär, stimmt die Bundesregierung dann wenigstens unserer Auffassung zu, daß beim Verkauf von ehemaligen DDR-Banken bzw. ihren Anteilen eine Übernahme der Altkredite bzw. Ausgleichsforderungen nicht als ergebnisneutral anzusehen ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, das wird sich im Zusammenhang mit den Prüfungen, die durch das BAKred vorgenommen werden, zeigen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Dann rufe ich die Frage 48 des Abgeordneten Dr. Gerald Thalheim auf:
Beim Verkauf welcher der nachfolgend aufgelisteten ehemaligen DDR-Banken bzw. deren Anteilen haben die Bundesregierung oder ihr unterstellte Institutionen bei der Festlegung des Kaufpreises ein Agio angesetzt, und auf welche Weise wurde ggf. das Agio festgelegt: Deutsche Kreditbank AG, Berliner Stadtbank AG, Genossenschaftsbank Berlin, Deutsche Außenhandelsbank AG, Deutsche Handelsbank AG?
Bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
In den Verhandlungen über den Verkauf der Berliner Stadtbank AG, der 64prozentigen Beteiligung der Staatsbank Berlin und der Deutschen Handelsbank AG konnte bei der Festsetzung des Kaufpreises ein Agio festgesetzt werden. Ein festgelegtes Verfahren, Herr Abgeordneter, zur Ermittlung eines Agio gab es nicht. Das Agio wurde jeweils im Verhandlungswege bestimmt.
Eine Zusatzfrage? - Das ist nicht der Fall.
Ich rufe die Frage 49 des Abgeordneten Thalheim auf:
Beim Verkauf welcher der nachfolgend aufgelisteten ehemaligen DDR-Banken bzw. deren Anteilen haben die Bundesregierung oder ihr unterstellte Institutionen bei der Festlegung des Kaufpreises ein „good will" angesetzt, und auf welche Weise wurde ggf. das „good will" festgesetzt: Deutsche Kreditbank AG, Berliner Stadtbank AG, Genossenschaftsbank Berlin, Deutsche Außenhandelsbank AG, Deutsche Handelsbank AG?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
In den Verhandlungen über den Verkauf der Anteile an der Deutschen Kreditbank AG und der Deutschen Außenhandelsbank AG konnte bei der Kaufpreisbestimmung ein Goodwill durchgesetzt werden.
Keine Zusatzfrage? - Dann schaffen wir noch eine Frage.
Ich rufe die Frage 50 des Abgeordenten Dr. Peter Struck auf:
Wie hoch schätzt die Bundesregierung die endgültige Belastung des Erblastentilgungsfonds aus der Zuteilung von Ausgleichsforderungen an Geldinstitute, um die Verbindlichkeiten einschließlich Rückstellungen zu decken und um ein Eigenkapital in Höhe von 4 % der Bilanzsumme zu erreichen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Dr. Struck, die Zahlen habe ich bereits genannt. Die endgültige Belastung des Erblastentilgungsfonds aus der Zuteilung von Ausgleichsforderungen wird zur Zeit auf zirka 98 Milliarden DM statt der ursprünglich angenommenen 110 Milliarden DM geschätzt. Davon entfallen 92 Milliarden DM auf die Kreditinstitute und 6 Milliarden DM auf Außenhandelsbetriebe.
Inwieweit Ausgleichsforderungen auf Verbindlichkeiten und Rückstellungen bzw. auf ein Eigenkapital in Höhe von 4 Prozent der Bilanzsumme entfallen, ist noch nicht bezifferbar. Dies ist die Auskunft, die ich vom Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen erhalten habe. Es gibt bisher noch keine vollständigen Zuteilungen; es gibt Vorabzuteilungen, Teilzuteilungen im Normalfall bis zu 90 Prozent der erwarteten oder veranschlagten Ausgleichsforderungen.
Eine Zusatzfrage? - Das ist nicht der Fall.
Dann beende ich hiermit die Fragestunde, weil die Zeit abgelaufen ist.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD
Haltung der Bundesregierung zu Vorschlägen, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu kürzen
Als erster hat der Abgeordnete Gerd Andres das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die sozialpolitischen Sprecher der Koalitionsfraktionen, Frau Dr. Gisela Babel, F.D.P., und Julius Louven, CDU/CSU,
haben wieder eine ihrer berüchtigten öffentlichen Wochenendnummern abgezogen, und zwar diesmal in der Berliner Boulevardpresse.
Wer sich die Mühe macht, in Pressearchiven zu stöbern, wird schnell Belege dafür finden, daß der Begriff „Wochenendnummer" für die letzten Monate in schöner Regelmäßigkeit belegt werden kann.
Das gilt für den 28. März, und das gilt für den 20./ 21. August, und immer ging es um ein und dasselbe Thema: die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.
In der „Süddeutschen Zeitung" vom 23. August schrieb schon deren Korrespondentin Dagmar Deckstein: Im Sommertheater ist nicht jede Komparsennummer als Pausenfüller wenig ernst zu nehmen.
Gerd Andres
Wer sich ein bißchen genauer mit der Materie befaßt, muß sich die Frage stellen: Worum geht es eigentlich?
Es geht darum, meine sehr verehrten Damen und Herren - hier zitiere ich die Akteure ganz persönlich -, daß Herr Louven eine Absenkung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle für die ersten 14 Tage der Krankheit um 20 Prozent fordert. Die Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle sei die einzige Lohnersatzleistung, die noch zu 100 Prozent gewährt werde. Frau Dr. Babel sagte mit Blick auf die Lohnfortzahlung bei Krankheit:
Für dieses Relikt aus dem Sozialstaat zahlen die Arbeitgeber jedes Jahr 63 Milliarden DM.
Es sei nicht gerecht,
daß der, der nicht arbeitet, genauso viel verdient wie der, der arbeitet.
Das Lohnabstandsgebot müsse auch im Krankheitsfall gelten. Die F.D.P.-Politikerin schlug eine 20prozentige Absenkung usw. vor.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das, was wir hier erleben, wird nach einer ganz einfachen Melodie aufgeführt, nämlich nach der Melodie: Steter Tropfen höhlt den Stein. Deswegen wird man in den Pressearchiven, die ich eben zitiert habe, auch ganz genaue Kommentierungen und Berichte über die Stoßrichtung wiederfinden.
Ich zitiere jetzt einmal aus der „Zeit" aus Hamburg vom 25. August 1995:
Mit ermüdender Regelmäßigkeit, und nicht mehr nur zur Sommerszeit, wird das Thema Lohnfortzahlung seit Jahren von Koalitionsabgeordneten und Arbeitgeberfunktionären aufs Tapet gebracht ... Das Thema eignet sich ja auch allzu schön für den Stammtisch. Der „Blaumacher", dem nun, wie sonst nur Kriminellen, „das Handwerk gelegt werden" soll, läßt sich wunderbar, ähnlich wie zuvor der Sozialhilfeempfänger, als Haßfigur aufbauen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, hier wird bewußt die Mißbrauchsdebatte der Blaumacher herangezogen, um eine wichtige sozialpolitische Leistung, die es seit vielen Jahrzehnten in dieser Republik gibt und um die die Arbeitnehmer gestritten haben, systematisch zu demontieren.
Die Wut, Herr Louven und Frau Dr. Babel, daß beim Gutachten der Fünf Weisen zur Kompensation in der Pflegefrage leider nicht die Streichung eines Feiertages herausgekommen ist, führt Sie dazu, in schöner
Regelmäßigkeit das Thema Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wieder aufs Tapet zu bringen.
In regelmäßiger Wiederholung kann man auch erfahren, was die Bundesregierung dazu sagt. Man kann wunderschön nachlesen, daß es schon im August eine offizielle Distanzierung der Bundesregierung gab - ich zitiere die „Bonner Rundschau" -:
Die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall soll nach dem Willen der Bundesregierung in ihrer bisherigen Form erhalten bleiben. Kanzleramtsminister Friedrich Bohl ... erklärte gestern, weder in der Bundesregierung noch in der Koalition gebe es Pläne, eine Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle in den ersten zwei Wochen um bis zu 20 Prozent vorzunehmen.
Etwas weiter heißt es:
Ähnlich äußerte sich auch Gesundheitsminister Horst Seehofer ... Seehofer lehnte den Vorschlag auch deshalb ab, weil die Realisierung einen Eingriff in die Tarifhoheit voraussetze.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Debatte ist nicht neu. Bereits vor zwei Jahren mußte sich der Deutsche Bundestag in seinen Fachausschüssen mit einem Gesetzentwurf zur Entgeltfortzahlung auseinandersetzen.
Ich halte hier in der Hand das stenographische Protokoll des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung über eine öffentliche Anhörung in der Beethovenhalle. Jeder, der sich dieses Protokoll und die Befragung der Sachverständigen ansieht, wird feststellen, daß es keinen Beleg für eine Mißbrauchsdebatte gibt, daß es niemanden gibt, der die Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle gefordert hat.
Deswegen fordere ich die Bundesregierung auf, hier eindeutig zu erklären, daß an der Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle nicht gerüttelt wird.
Ich bitte den Bundesarbeitsminister, der wahrscheinlich irgendwann das Wort ergreifen wird, auch zu den Absichten von Herrn Murmann Stellung zu beziehen, der erklärt hat, daß heute in einer Kommission der Koalition über weitere Einsparmaßnahmen im Sozialsystem geredet werden soll.
Wir fordern ganz eindeutig, daß die Bundesregierung den Unsinn, den diese beiden sozialpolitischen Sprecher in regelmäßigen Abständen vollziehen, eindeutig klarstellt und zurückweist.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Heiner Geißler.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich weiß gar nicht, warum Sie diese Aktuelle Stunde veranstalten. Herr Andres las gerade drei Minuten lang klare Aussagen der Bundesregierung zu diesem Thema vor, und trotzdem werden wir bzw. die Bundesregierung hier offenbar aufgefordert, das zu wiederholen.
Im übrigen finde ich es ganz merkwürdig - ich habe das, glaube ich, noch nie erlebt, Herr Struck -, daß wir eine Aktuelle Stunde zu dem Zweck veranstalten, die Bundesregierung aufzufordern, ihr Urteil über eine freie Meinungsäußerung von Abgeordneten abzugeben. Das finde ich ganz merkwürdig.
Es grenzt ja wirklich an Blindheit, nicht erkennen zu wollen, daß hier ein Problem vorhanden ist. Mir liegen die statistischen Angaben der Betriebskrankenkassen aus dem Jahre 1993 vor; im Jahre 1994 wird das wohl nicht anders sein. Daraus ergibt sich zum Beispiel, daß im öffentlichen Dienst im Durchschnitt 28,4 Krankheitstage vorhanden sind, bei Druck und Papier 15,7, bei Bau-Steine-Erden 19,9 Tage.
Nach Ländern aufgegliedert gibt es in West-Berlin 37 Krankheitstage, in Thüringen anerkennenswerterweise 9
- oder 13 - Tage.
Hier kann also etwas nicht in Ordnung sein; hier ist ein Problem. Der Krankenstand ist unbestritten freitags vier- oder fünfmal höher und montags ebenfalls viermal höher als am Dienstag oder am Mittwoch. Auch dies ist bekannt.
Infolgedessen grenzt es nahezu an ideologische Blindheit, zu behaupten, hier gebe es kein Problem. - Das ist zunächst einmal festzustellen.
Nun kann man nicht verhindern, daß man über ein solches Problem diskutiert.
Das hat der Julius Louven getan. Er hat darüber seine persönliche Meinung gesagt.
Gleichwohl stelle ich fest: Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat keine Beschlußvorlagen und hat auch keine Beschlüsse gefaßt, was die Lohnfortzahlung bzw. die Selbstbeteiligung bei der Lohnfortzahlung anbelangt.
Es darf keine Tabus in der Diskussion geben, wenn es darum geht, Lohnnebenkosten zu senken. Aber die CDU/CSU-Bundestagsfraktion kann für das, was Sie hier thematisieren, nicht in Anspruch genommen werden. Es gibt eine ganze Reihe von Gründen dagegen. Wenn jemand ins Krankenhaus kommt, muß er
in den ersten 14 Tagen ohnehin schon 12 DM bzw. 10 DM zahlen.
Die chronisch Kranken sind davon genauso betroffen. Deswegen ist dies ein Problem. 80 Prozent sind tarifvertraglich geregelt. Wir hätten verfassungsrechtliche Probleme, wenn der Gesetzgeber in die Tarifautonomie eingriffe.
Außerdem kann man die Sache nicht isoliert sehen. Wir haben jetzt z. B. das Angebot der IG Metall einer Nullrunde bei den Löhnen im Jahre 1997. Wir wollen die Möglichkeit, hier tatsächlich zu einer Senkung der Lohnkosten zu kommen, nicht durch eine Diskussion stören, die hier nicht hineinpaßt.
Außerdem sind wir der Meinung, daß die Instrumente, die wir beim Entgeltfortzahlungsgesetz im Zusammenhang mit der Pflegeversicherung bereits eingeführt haben - nämlich Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung schon am ersten Tag, Einschaltung des Medizinischen Dienstes ebenfalls schon am ersten Tag, um den Mißbrauch zu bekämpfen -, von den Arbeitgebern wirklich angewandt und ausgeschöpft werden müssen. Erst wenn sich das als unmöglich erweisen sollte, müssen wir über weitere Maßnahmen nachdenken.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Annelie Buntenbach.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Seit Monaten läuft jetzt wieder die entnervende Debatte um Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle. Die härtesten Deregulierer und Dereguliererinnen aus CDU/CSU und F.D.P. werfen sich mit Arbeitgebervertretern die Bälle zu und halten die Kürzung der Lohnfortzahlung als Thema in der Öffentlichkeit.
Nun handelt es sich keineswegs um Abgeordnete der Opposition, die hier an einer der zentralen sozialen Errungenschaften sägen wollen, sondern um Abgeordnete aus den Regierungsfraktionen. Dementsprechend groß ist auch die Verunsicherung in der Bevölkerung: Will die Regierung nun, oder will sie nicht, will sie vielleicht nur heute nicht, und will sie dann morgen? Hier sind Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen und von der Regierungsbank, eine wirklich klare Antwort schuldig und nicht nur lahme Dementis, die Sie alle paar Monate - wie heute wieder - bringen.
Schließen Sie hier und heute öffentlich aus - auch Sie, Herr Geißler -, daß für die zweite Stufe der Pfle-
Annelie Buntenbach
geversicherung die Lohnfortzahlung beschnitten wird? Oder wollen Sie im Ernst - einige unter Ihnen wollen das offensichtlich -, daß künftig die Kranken für die Pflegebedürftigen bezahlen sollen oder - so müßte man präziser sagen - daß die Arbeitgeber bei den Kranken das einsparen, was sie bei der Pflegeversicherung schon nicht bezahlen?
Darauf hätte ich gerne hier heute eine verbindliche Antwort.
Nach Ihrem letzten Dementi im Zuge der Sommersonnenstichdebatte zur Lohnfortzahlung hat es nicht einmal drei Monate gedauert, bis das Ungeheuer von Vorschlag wieder in den Schlagzeilen aufgetaucht ist. Anlaß und Begründung sind offensichtlich egal. Es geht um reine, knallharte Interessenpolitik. Kosten für die Arbeitgeber sollen gesenkt werden. Das paßt nahtlos in den Horrorkatalog, den Herr Murmann immer wieder verkündet: Streichung von Weihnachtsgeld, Festschreibung der Arbeitgeberbeiträge bei Renten- und Krankenversicherung, während die Arbeitnehmerinnen allein die Mehrkosten tragen sollen, der Samstag als zuschlagfreier Regelarbeitstag und und und.
Genau hier reihen Sie, Frau Babel, und auch Sie, Herr Louven, sich ein. Sie verunsichern die Menschen mit solchem Gerede zutiefst. Sie machen ihnen angst. Denn die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ist extrem wichtig. Sie ist ein entscheidender Punkt der sozialen Absicherung des Arbeitsalltags, für den - da bin ich sicher - auch die Gewerkschaften engagiert kämpfen werden.
Sie wollen die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall kürzen. Damit unterstellen Sie faktisch Millionen Beschäftigten, sie würden auf Kosten des Betriebs nur blaumachen.
Sollen denn die Leute lieber ihre Grippe verschleppen und danach richtig auf der Nase liegen?
Wenn Herr Geißler eben sagt, die Fehlzeiten am Freitag und am Montag seien höher, so liegt das auch daran, daß die Leute inzwischen schon eher am Wochenende ihre Krankheiten auskurieren, weil sie sich nicht trauen, während der Woche wegzubleiben.
Das können Sie sich in den Betrieben angucken.
Die faktische Unterstellung, die Lohnfortzahlung würde von all den Beschäftigten, die krank werden, mißbraucht, ist eine glatte Unverschämtheit,
und das gerade auch deswegen, weil Sie doch auch wissen, daß über die Umstrukturierung in den letzten Jahren der Streß für die Beschäftigten immer größer und die Arbeit immer intensiver geworden sind.
Die Selbstbeteiligung der Kolleginnen und Kollegen ist schlichter Lohnraub, ohne daß dadurch ein einziger neuer Arbeitsplatz geschaffen wird. Wenn die Unternehmen den Krankenstand im Betrieb wirklich verringern wollen, dann stehen sie dafür in erster Linie selbst in der Verantwortung, nämlich Arbeitsbedingungen, die krank machen, zu verändern. Hier wird viel zuwenig getan. Bei uns scheint man nur in der Freizeit krank zu werden. Der Rükkenschaden kommt eben selten vom Heben und Tragen von Lasten, sondern vom Tennisspielen in der Freizeit. Die Asbestose kommt vom Rauchen, der Augenschaden nicht von der Bildschirmarbeit, sondern vom Fernsehen, der zu hohe Blutdruck nicht vom Arbeitsstreß, sondern vom cholerischen Charakter.
Wenn die Unternehmen mehr in Prävention und Arbeitsschutz investieren würden, könnten sie nicht nur effektiv Kosten senken, sondern dabei auch auf die volle Unterstützung von Gewerkschaft und Belegschaft rechnen.
Inzwischen gibt es in vielen Betrieben Gesundheitszirkel von Kolleginnen und Kollegen, die sich mit den krankmachenden Arbeitsbedingungen auseinandersetzen. Deren Arbeit müssen wir unterstützen. Dazu können Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, mit einer vernünftigen Arbeitsschutzgesetzgebung beitragen.
Statt dessen wollen Sie da ein halbherziges Pflichtprogramm absolvieren. Noch nicht einmal das ist Ihnen in der letzten Legislaturperiode gelungen, weil Sie sich nicht einigen konnten. Um Gesundheit im Betrieb geht es Ihnen offensichtlich überhaupt nicht, sondern um die öffentliche Vorbereitung des nächsten Aktes Ihres erbärmlichen Trauerspiels von Sozialdemontage.
Es spricht jetzt der Abgeordnete Ulrich Heinrich.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die von der SPD beantragte Aktuelle Stunde heute wird unserer wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Situation in keiner Weise gerecht. Im Gegensatz zur Opposition geht es uns auch heute wieder um Arbeitsplätze, Arbeitsplätze, Arbeitsplätze
und um die damit untrennbar verbundene Diskussion über die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Bundesrepublik Deutschland.
Ulrich Heinrich
Ich sage Ihnen: Es geht mir hier nicht um eine Mißbrauchsdebatte, sondern um grundsätzliche Aussagen. Ich meine, auch Ihnen müßte es darum gehen, meine Damen und Herren von der Opposition. Es geht um die Frage, wie sich der Wirtschaftsstandort Bundesrepublik Deutschland in Zukunft entwickelt und wie der Trend zu immer größerer Arbeitslosigkeit gestoppt werden kann.
Die Senkung der Staatsquote sowie die Verminderung der Steuer- und Abgabenbelastung für Bürger und Unternehmen sind Voraussetzungen, um den Arbeitsplatzexport zu verhindern.
Verschärft wird die Situation durch eine sich in den nächsten Monaten weiterhin abflachende, auf relativ niedrigem Niveau verbleibende Konjunktur. Ganz besonders schwierig wird es in der Bauwirtschaft sein.
Damit wird sich die erwartete Entlastung auf dem Arbeitsmarkt wahrscheinlich nicht in der erhofften Form einstellen. Deshalb müssen wir heute eine Standortdebatte führen.
Die Ausgangssituation ist durch steigende Lohnzusatzkosten auf einem bereits sehr hohen Niveau gekennzeichnet. Die Arbeit in Deutschland ist zu teuer geworden. Einer der wesentlichen Gründe hierfür sind die zu hohen Lohnzusatzkosten. Die Beiträge zur Sozialversicherung sind in den letzten 25 Jahren von 26 auf 40 Prozent gestiegen. Die gesetzlichen Lohnzusatzkosten werden ohne Berücksichtigung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle 1996 voraussichtlich über 41 Prozent des Bruttogehalts ausmachen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das sind die Zahlen, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen. Wir machen nicht irgendwelche Scheingefechte. Deshalb runter mit der Steuer- und der Abgabenbelastung! Dies ist auch in der Koalitionsvereinbarung festgeschrieben. Ich sage hier ganz bewußt: Eine besondere Bedeutung hat dabei die Senkung der Lohnzusatzkosten, die auch infolge der notwendigen Solidarleistungen für die Finanzierung der sozialen Sicherung in den neuen Bundesländern im internationalen Vergleich ein sehr hohes Niveau erreicht haben, die jetzt aber bundesweit entsprechend zurückgeführt werden müssen.
Sie zu senken ist eine gemeinsame Aufgabe der Tarifpartner, der Sozialversicherungen und der Politik. Bei der Suche nach Möglichkeiten zur Senkung der Abgaben- und Steuerbelastung für Unternehmen und Bürger darf es keine Tabus geben.
Das Sozialsystem Deutschlands liegt mit seinen Leistungen ganz vorne.
Allerdings werden wir wegen der Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft und die Arbeitsplätze in Deutschland nicht um Kürzungen herumkommen. Dies gilt besonders vor dem Hintergrund der Einführung der zweiten Stufe der Pflegeversicherung am 1. Juli 1996. Die F.D.P. erwartet eine volle Kompensation der zusätzlichen Belastungen in Höhe von 2,5 Milliarden DM, wie sie vom Rat der Sachverständigen ermittelt wurden. Unabhängig von dieser Kompensation, die erfolgen muß, sind Leistungen insbesondere im Arbeitsförderungsgesetz für den Vorruhestand, bei den Kuren, bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu überprüfen.
Die Reduzierung von Leistungen ist für uns nicht Jux und Dollerei. Sie wird nicht leichtfertig vorgeschlagen - ich sage das in allem Ernst, an alle Seiten dieses Hauses gerichtet -, sondern mit großem Verantwortungsbewußtsein betrieben.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, eines ist ganz deutlich: Als die 100prozentige Lohnfortzahlung im Krankheitsfall eingeführt wurde, hatten wir eine Große Koalition. Diese Regelung ist gegen unseren erklärten Willen eingeführt worden.
Wir wollten damals eine Versicherungslösung. Heute sehen wir unter den veränderten Wirtschaftsbedingungen, daß wir im Wettbewerb mit diesen Belastungen auf Dauer nicht weiterkommen und daß wir es uns nicht leisten können, die höchsten Fehlstunden im Jahr, den längsten Urlaub und das dichteste soziale Netz
weiter zu finanzieren. Das wird auch diese Wirtschaft nicht leisten können.
Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Noch einen Satz: Aus diesem Grund müssen wir die gesamte Wirtschaftslage betrachten; wir dürfen nicht nur einen einzigen Punkt herauspicken und glauben, damit könne man den Standort insgesamt verbessern.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Heidi Knake-Werner.
Der kommt gleich.
- Doch, es steht auf meinem Zettel, und ich denke, der stimmt.
Dr. Heidi Knake-Werner
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei der Debatte um die Lohnfortzahlung fragt man sich natürlich immer: Olle Kamellen oder Testballon? Ich gebe zu: Ich neige im Moment zu letzterem.
Natürlich ist es richtig, daß Abgeordnete sagen können, was immer sie wollen. Nur wird man sich als Sozialpolitikerin doch noch darüber wundern dürfen, daß ausgerechnet die sozialpolitischen Sprecherinnen und Sprecher der Regierungsfraktionen sich hier dazu hinreißen lassen, erstens die Lohnfortzahlung als Relikt des Sozialstaates zu bezeichnen und zweitens zu erkennen zu geben, daß sie es nicht gerecht finden, daß der, der nicht arbeitet, genausoviel verdient wie der, der arbeitet. Ich finde, das ist blanker Zynismus - als könne man sich aussuchen, ob man erkrankt oder nicht, und als ob die Arbeit damit gar nichts zu tun hätte.
- Darauf komme ich noch. Das hat schon viel mit der Regierung zu tun.
Sie wollen eine 20prozentige Absenkung in den ersten zwei Krankheitswochen oder eine 10prozentige Absenkung für die gesamten sechs Wochen und argumentieren, die Lohnfortzahlung sei die einzige Lohnersatzleistung, die noch zu 100 Prozent gewährt werde. Natürlich entspricht das überhaupt nicht Ihrem Sozialstaatsverständnis. Deshalb muß auch hier der Rotstift angesetzt werden. Daß Sie dabei leichtfertig den sozialen Grundkonsens in dieser Gesellschaft zur weiteren Aushöhlung freigeben, hat der „General-Anzeiger'' vorgestern, wie ich finde, gut auf den Punkt gebracht. Da heißt es nämlich:
Wer sie
- die Soziale Marktwirtschaft -
zur Disposition stellt oder wer - wie die FDP-Politikerin - den Sozialstaat in Gedanken schon abgeschafft hat, der zündelt in einem Moment, in dem sich Arbeitgeber und Gewerkschaften gerade um eine ganz wesentliche Annäherung bemühen.
Das genau ist der Fall.
Jawohl, Sie zündeln, und der Zeitpunkt ist nicht unbedacht, sondern wohlüberlegt. Die Gewerkschaften reichen Ihnen den kleinen Finger, und Sie hauen mit dem Holzhammer drauf. Oder wie würden Sie es bezeichnen, wenn Sie als Antwort auf das Angebot von Zwickel für ein „Bündnis für Arbeit" einen erneuten Frontalangriff auf das Herzstück gewerkschaftlicher Kampferfolge starten?
Das ist nämlich die Lohnfortzahlung. Das wissen Sie sehr wohl. Wenn Sie sich einmal die Geschichte der Auseinandersetzung über die Lohnfortzahlung anschauen würden, dann wüßten Sie, daß diese zu
einem Symbol gewerkschaftlicher Politik geworden ist. Wenn Sie die angreifen, dann wollen Sie auch Zwickel ganz bewußt vors Schienbein treten.
Da hilft mir Ihre Aussage „Arbeitsplätze, Arbeitsplätze, Arbeitsplätze" gar nichts, weil Sie damit schon deutlich gemacht haben, daß Sie eigentlich kein Interesse an einem Dialog mit den Gewerkschaften haben.
Aber es sind nicht nur die Gewerkschaften, die Ihnen Ihren Vorschlag um die Ohren hauen, sondern es sind auch die Kollegen aus den eigenen Reihen, die wieder einmal festgestellt haben, daß Sie auf dem falschen Bein hurra schreien.
Anders als sonst - das ist ja diesmal das Interessante - sprechen Sie gar nicht mehr davon, daß es hier um die Bekämpfung von Blaumacherei geht, sondern Ihre Begründung ist die Finanzierung der zweiten Stufe des Pflegeversicherungsgesetzes. Ich finde, damit erweisen Sie Ihrer Koalition einen Bärendienst. Wer entscheidet bei Ihnen eigentlich noch, wo es langgeht? Sie, finde ich jedenfalls, schlagen mit Ihrer Argumentation all denen ins Gesicht, die landauf, landab versichern, daß die Pflegeversicherung auch in der zweiten Stufe gesichert ist.
Frau Babel, ich kann Ihnen nur empfehlen: Hören Sie dieses Mal auf Ihren Generalsekretär und beenden Sie die - wie er meint -, unabgestimmte Diskussion.
Der „Münchener Merkur" , der nicht als besonders linkslastig verdächtig ist, hat vorgestern die Debatte auf eine kurze Formel gebracht, indem er geschrieben hat:
Der Gedanke, Kranke für Kranke zur Kasse zu bitten, ist Schlichtweg unanständig.
Aber nicht alle haben Sie im Stich gelassen. Das läßt sich noch einmal betonen. Der CDU-Wirtschaftsrat und die Arbeitsgemeinschaft Wirtschaftlicher Mittelstand stehen Ihnen Gott sei Dank bei. Die fordern natürlich auch die Einführung von Karenztagen bzw. die Senkung der Lohnfortzahlung. Aber damit bleiben Sie nicht stehen. Für Sie ist das nur eine Einstiegsmaßnahme zur Korrektur des Sozialstaates, und Sie lassen einen ganzen Katalog von Gruselmaßnahmen folgen. Jetzt - das ist das Spannende, und deshalb ist hier die Bundesregierung gefordert - nutzt die Bundesregierung die Gunst der Stunde. Nachdem die Hemmschwellen in Sachen Sozialabbau schon einmal überschritten sind, legt sie noch ein paar Briketts nach: Es gehe zwar nicht um die Lohnfortzahlung, aber um eine Gesamtlösung zur generellen Senkung der Arbeitskosten. Die wöchentliche Koalitionsrunde verständigte sich am Dienstag
Dr. Heidi Knake-Werner
auch gleich darüber, in welcher Richtung es gehen müsse. Es müsse
mit Blick auf das angestrebte „Bündnis für Arbeit" ein Gesamtpaket zur Entlastung der Arbeitskosten geschnürt werden.
Es dürfe keine Tabuthemen geben. Blüm wurde aufgefordert, einen Katalog vorzulegen.
Ich kann Ihnen nur sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Sie haben das Angebot der IG Metall gründlich mißverstanden. Alleingänge à la Babel und Louven zerstören jede Geschäftsgrundlage -
Ihre Redezeit ist abgelaufen.
- Ich bin beim letzten Satz - für eine gemeinsame Arbeit gegen die Massenarbeitslosigkeit. Und auch Sie, meine Damen und Herren von der Regierung, sind munter dabei, das Angebot der IG Metall gründlich zu verhunzen und es als Steinbruch für Ihre Kahlschlagpolitik zu mißbrauchen.
Danke schön.
Dem Kollegen Andres möchte ich auf seine Frage, wann nun der Blüm kommt, folgendes sagen: Erstens ist es hier im Plenum der Herr Minister Blüm, und zweitens ist es eine Errungenschaft der Parlamentarier, daß die erste Runde ihnen gehört und nicht der Regierung. Darauf sind wir auch stolz.
Jetzt aber kann ich als nächsten Redner den Herrn Minister für Arbeit und Sozialordnung Dr. Norbert Blüm ankündigen.
Aber, Frau Präsidentin, wenn es der Wahrheitsfindung dient, können Sie ruhig sagen: Der Blüm kommt. Ich habe damit keine Probleme.
Ich werde die Frage, die Sie gestellt haben, nicht isoliert beantworten, sondern im Zusammenhang. Die Arbeitsplatzfrage ist eine Innovationsfrage und eine Kostenfrage. Deshalb wende ich mich gegen diejenigen, die die ganze Beschäftigungsfrage nur zur Kostenfrage erklären, und gegen diejenigen, die sie nur zur Innovationsfrage erklären. Es ist beides notwendig. Es gibt Innovationsverspätungen, und zwar sowohl in bezug auf die Produktinnovation als auch in bezug auf die Organisation der Arbeit.
Ich nenne flexible Arbeitszeiten, eine Arbeitsorganisation, die die Motivation der Arbeitnehmer unterstützt. Und wir haben auch eine Kostenfrage. Keine der beiden Seiten kann verdrängt werden. Deshalb ist die Entlastung von Lohn und Lohnzusatzkosten
keine Frage der Kompensation für die Pflegeversicherung; vielmehr handelt es sich um die Elementarfrage: Wie schaffen wir überhaupt Beschäftigung?
Ich will das einmal in die richtigen Proportionen bringen: 100 000 Bezieher von Arbeitslosengeld kosten die Bundesanstalt 3 Milliarden DM. Wenn wir das durch Einsparungen kompensieren wollten, müßten wir die Leistungen der Arbeitslosenversicherung erheblich senken. Wir haben die Leistungen allerdings schon erheblich gesenkt, so bei Unverheirateten bzw. Verheirateten ohne Kinder von 63 auf 60 Prozent. Wenn wir das noch weiter treiben wollten, könnten wir die Arbeitslosenversicherung gleich zur Sozialhilfe machen.
Sie sehen: Wir brauchen eine enorme Anstrengung. Die Hauptfrage ist: Wie schaffen wir Beschäftigung? Wie verhindern wir, daß das Kind in den Brunnen fällt? Wir sollten nicht pausenlos darüber diskutieren, wie wir es aus dem Brunnen herausholen können - das müssen wir ebenfalls tun -; aber noch wichtiger ist: Wie verhindern wir, daß es in den Brunnen hineinfällt? In dieser Beziehung ist die Kostenfrage eine - ich sage ausdrücklich: eine - der beiden Fragen, der Arbeitslosen wegen und - auch das sage ich - der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber wegen. Sie sind an der Schmerzgrenze ihrer Belastbarkeit angekommen.
Jetzt stellt sich die Frage: Ist die Entlastungsstrategie einspurig, bezieht sie sich nur auf den Lohn und auf die Lohnzusatzkosten? Oder ist es nicht sozial verträglicher, auf beiden Schienen zu fahren?
Daß die Einsicht, daß wir sparen müssen, auf allen Seiten wächst, daran sollten wir jetzt nicht herummäkeln. Das hat mit dem Abbau von Sozialstaat nichts zu tun.
Wenn in der letzten Woche im Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Arbeit
ein Sparhaushalt einstimmig, mit den Stimmen der Arbeitnehmer, der Arbeitgeber und der öffentlichen Hand, beschlossen wurde, dann ist das die Premiere einer partnerschaftlichen Vernunft. Das sollten wir einmal gemeinsam anerkennen, und wir sollten nicht immer nur Niederlagen melden.
Das ist eine gemeinsame Anstrengung. Oder wenn die Bauwirtschaft - darüber haben wir hier schon ein paarmal gesprochen - eine Schlechtwettergeldregelung unter Einbeziehung von fünf Urlaubstagen zustande bringt, dann zeigt sich, daß die Einsicht, daß Kosten gesenkt werden müssen, auf allen Seiten vorhanden ist.
Bundesminister Dr. Norbert Blüm
Ich will ausdrücklich sagen - in diesen Zusammenhang gehört ja die Debatte -, daß ich dem Mut von Klaus Zwickel meinen Respekt bekunde.
Die Gewerkschaften haben alte Positionen verlassen; das ist ihnen nicht leichtgefallen. Eine zurückhaltende Lohnpolitik kann durch nichts ersetzt werden. Soviel kann man gar nicht sparen, wie durch eine zurückhaltende Lohnpolitik bewirkt wird. Sie muß ermöglicht werden!
- Ich komme zu allem. - Ein Prozent weniger Lohn entlastet die Volkswirtschaft um 18 Milliarden DM. Das sage ich nur, um die Proportionen darzustellen; ich nehme gar nicht Stellung. Eine Senkung der Lohnfortzahlung um 20 Prozent für sechs Wochen bringt 11 Milliarden DM. Auch das sage ich, um die Proportionen darzustellen. Ich wiederhole: Ein Prozent weniger Lohn bringt 18 Milliarden DM Entlastung.
Jetzt sage ich: Lassen Sie uns eine Politik machen, bei der niemand den anderen reizt, mit der wir Kooperation und Kompromiß zustande bringen! Weil das so ist, werde ich alles tun, damit die Gespräche, die jetzt beginnen, Erfolg haben. In der nächsten Woche finden Gespräche der Bundesregierung mit den Sozialpartnern statt. In dieser Stunde spricht der Vorsitzende der IG Metall mit dem Bundeskanzler. Ich werde alles dafür tun, daß solche Gespräche Erfolg haben. Sie werden natürlich nicht zustande kommen, wenn der eine sagt: „Nur mit Einschränkung der Lohnfortzahlung" und wenn der andere sagt: „Ohne jede Einschränkung! " Wenn jeder seine Vorbedingungen hat, sind die Gespräche blockiert, bevor sie überhaupt begonnen haben. Ich weiß, was Gewerkschaften zur Lohnfortzahlung sagen; ich weiß, was Arbeitgeber zur Lohnfortzahlung sagen. Mein Gedächtnis ist auch so gut, daß ich weiß, was die Arbeitgeber vor zwei Jahren dazu gesagt haben.
Also, es gibt kein Erinnerungsproblem.
Ich sage: Wir werden die Gespräche jetzt nicht zustande bringen, wenn jeder mit Vorbedingungen in sie hineingeht. Ich setze darauf, daß eine Lösung zustande kommt, zu der jeder etwas beiträgt - das sage ich ausdrücklich -, nicht nur die Gewerkschaften. Das werde ich unterstützen.
Ich verstehe es ja: Wenn ich in der Opposition wäre, würde auch ich alles versuchen, jetzt Zwist in die Koalition zu bringen. Das würde ich genauso machen. Und wenn Sie in der Regierung wären, würden Sie genau das machen, was ich mache.
- Doch, meine Antwort heißt: Ich werde vor diesen Gesprächen keine Position einnehmen, in bezug auf die einer sagen könnte: Dann komme ich nicht. Das werde ich nicht machen.
- Herr Heinrich, ich möchte nur eine Korrektur anbringen. Die Lohnfortzahlung ist nicht das Ergebnis einer großen Koalition von CDU/CSU und SPD, sondern der großen Koalition von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Sie ist durch einen Tarifvertrag durchgesetzt worden.
Auch dazu sind - das nur zur Korrektur - zwei Unterschriften nötig.
- Natürlich haben wir das, was die Tarifpartner vereinbart haben, was also auch die Arbeitgeber unterschrieben haben, in einem Gesetz geregelt. Aber, Frau Babel, die Geschichte hilft uns jetzt auch nicht weiter.
Ich bekenne mich ausdrücklich dazu, daß wir sparen müssen - nicht wegen der Pflegeversicherung, sondern weil wir Arbeitsplätze schaffen müssen. Im übrigen: Die Pflegeversicherung ist ein ganz wichtiger Beitrag für Beschäftigung. Sie hat nämlich ein neues Beschäftigungsfeld geschaffen, das bisher weitgehend versperrt war. Sie ist der wichtigste beschäftigungspolitische Beitrag - auch das noch zur Erinnerung - der letzten zehn Jahre.
Ich bleibe dabei: Von mir werden Sie heute nichts erfahren,
- nichts, was die Gespräche belastet. Ich will, daß beide Seiten an einem Tisch sitzen und gemeinsam darüber nachdenken, wie man von Kosten entlastet. Ich weiß auch, daß man der IG Metall Hilfen geben muß, damit sie eine zurückhaltende Lohnpolitik durchsetzt.
Das ist nämlich nicht so leicht durchzusetzen. Deswegen darf man ihr das Leben nicht schwer machen, sondern muß versuchen, sich an einen Tisch zu setzen und eine gemeinsame partnerschaftliche Lösung zu finden.
Eine parteipolitische Schlacht verhindert eher, daß beide Seiten zusammenkommen und über ihren Schatten springen. Aber auch ich weiß, daß das alles mit Augenmaß geschehen muß, daß wir die Welt nicht zum zweitenmal erschaffen, daß der Sozialstaat in seinen Grundprinzipien nicht zur Disposition gestellt wird.
Bundesminister Dr. Norbert Blüm
Aber daß gespart werden muß, daran führt kein Weg vorbei.
Jetzt hat der Abgeordnete Ottmar Schreiner das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, ich glaube, Sie haben eben wirklich eine große Chance verpaßt.
Niemand erwartet von Ihnen zu dieser Stunde, daß Sie Aussagen machen, die die Gespräche mit den Gewerkschaften belasten. Aber jeder hätte Anspruch darauf, daß Sie Aussagen machen, die die Gespräche mit den Gewerkschaften entlasten.
Wenn Sie in dieser Stunde nicht Manns genug sind,
hier als Bundesarbeitsminister zu erklären: Mit mir,
Blüm, gibt es keine Eingriffe in die Lohnfortzahlung!,
dann weiß ich nicht, wie Sie die Gespräche mit den Gewerkschaften führen wollen.
Ich will Sie daran erinnern, daß Deutschland unter allen Industriestaaten dasjenige Land ist, das die wenigsten streikbedingten Ausfalltage hat. Wir haben in hohem Maße verantwortungsbewußte Gewerkschaften. Aber Sie wissen auch, daß die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ein gutes Stück Herzblut der deutschen Gewerkschaftsbewegung ist. Der längste Streik in der deutschen Nachkriegsgeschichte ging um die tarifliche Einführung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. 16 Wochen haben die Metaller im Jahre 1957 dafür gestreikt. Daß sich die Gewerkschaften diese Errungenschaft ohne Kampf von irgendeinem dahergelaufenen F.D.P.-Prediger abnehmen lassen, das glaubt doch wohl in diesem Hause niemand.
Deshalb ist es eine wirklich verpaßte Chance, Herr Minister, wenn Sie nicht den Mut aufbringen, in dieser Aktuellen Stunde eindeutig zu erklären, daß die Bundesregierung nicht daran denkt, in die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall einzugreifen.
Es ist fast schon eine Spitzenleistung an Pharisäertum, bei dieser Gelegenheit erneut den Kollegen Zwickel wegen der Initiative der IG Metall zu loben, ohne auch nur im geringsten anzudeuten, ob die Bundesregierung bereit ist, den von ihm geforderten Beitrag, nämlich insbesondere die Rücknahme der geplanten Verschlechterungen im Bereich der Arbeitslosenhilfe, tatsächlich zu leisten.
Dazu haben Sie keinen Satz gesagt. Ganz im Gegenteil, die Bundesregierung ist umgekehrt verfahren und hat alles getan, was zu tun war, um das Gesetz im parlamentarischen Beratungsverfahren über die Maßen zu beschleunigen. Also, wo bleibt der Beitrag der Bundesregierung,
wo bleibt der Beitrag des Bundesarbeitsministers?
Diese Chance haben Sie erneut verpaßt. Niemand verlangt von Ihnen, daß Sie die Gespräche belasten. Aber es wäre wirklich gut gewesen, wenn Sie einen Beitrag dazu geleistet hätten, die Gespräche zu entlasten.
Nun noch zwei Sätze zu diesem sozialpolitischen Gruselpärchen Julius Louven, CDU/CSU, und Gisela Babel, F.D.P.:
Wieso Sie den Anspruch erheben, sozialpolitische Sprecher zu sein,
entzieht sich meiner Kenntnis. Sie sind nichts anderes als Sozialabbauexperten.
Ich habe von Ihnen bislang noch keinen einzigen Vorschlag gehört, über den sich sozialpolitisch sinnvoll hätte debattieren lassen.
Sie schlagen nichts anderes als sozialreaktionäre Abbaumaßnahmen vor.
Sie, lieber Herr Heinrich, sind neben Pastor Hintze der größte Pharisäer dieses Hauses.
Das könnte ich Ihnen sofort belegen, wenn ich etwas mehr Zeit hätte.
Der F.D.P., die hier über Lohnnebenkosten redet, muß man sagen, daß sie in den letzten 20 Jahren aktiv an der Erhöhung der Lohnnebenkosten in Deutschland beteiligt war.
Man muß ihr sagen, daß wir in diesem Bereich im
nächsten Jahr unter anderem auf Grund der Tatsa-
Ottmar Schreiner
che, daß wir in der gesetzlichen Krankenversicherung keine großen Fortschritte machen, weil sich die Regierung bis zur Stunde weigert, die Vorschläge der SPD anzunehmen, da die beiden Streithähne Möllemann und Seehofer offenkundig nicht in der Lage sind, die nötigen Kostenbegrenzungsmaßnahmen durchzusetzen, ganz erhebliche Beitragserhöhungen haben werden.
Das heißt, die gesetzliche Höhe der Lohnnebenkosten ist im wesentlichen auf unverantwortliches Treiben dieser Koalition zurückzuführen.
Wir haben Ihnen bei allen möglichen Gelegenheiten vorgehalten, daß die Finanzierung der deutschen Einheit im wesentlichen über gesetzliche Lohnnebenkosten ein Stück Dummheit und Feigheit zugleich gewesen ist:
Dummheit, weil Sie in der Tat mit dazu beitragen, daß sich der Abstand von Brutto- zu Nettoeinkommen der Arbeitnehmer inakzeptabel vergrößert, und Feigheit, weil Sie nicht in der Lage waren, den deutschen Einigungsprozeß rechtzeitig über eine wirklich sozialverträgliche Steuerpolitik zu finanzieren.
Insoweit sind Sie für die Zustände, die Sie heute beklagen, ganz wesentlich mitverantwortlich. Gehen Sie in sich! Tun Sie Buße!
Jetzt hat der Abgeordnete Julius Louven das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Ottmar Schreiner, wenn ich Dich nicht als liebenswerten Menschen kennen würde, hätte ich jetzt allen Grund, beleidigt zu sein. Deshalb sehe ich nun über so manche Bemerkung hinweg.
Meine Damen und Herren, in einem Papier zum SPD-Bundesparteitag heißt es: „Die größte Bedrohung der sozialen Sicherung geht von der Arbeitslosigkeit aus. " Dies ist zweifellos richtig.
Arbeitslosigkeit entsteht auch, wenn Arbeit zu teuer ist. Dies erkennt inzwischen auch Herr Zwickel von der IG Metall mit seiner dankenswerten Initiative an.
Lohnzusatzkosten zu senken ist eine Forderung auch der SPD. Aber von der SPD hier höre ich als
Rezept immer nur: versicherungsfremde Leistungen aus den Systemen ausgliedern.
Herr Spöri, Herr Jens, Herr Schröder - ich begrüße sehr, daß er jetzt wieder für die Wirtschaftspolitik Ihrer Partei zuständig ist - sind da viel weiter. Herr Spöri verlangt sogar, daß die Strukturen der Lohnzusatzkosten verändert werden.
Wenn die Sozialversicherungsbeiträge auf Grund unserer im Deutschen Bundestag gemeinsam gefaßten Beschlüsse steigen, muß man wohl überlegen dürfen, wie man Lohnzusatzkosten senken kann. Dazu habe ich persönlich als Julius Louven Vorschläge unterbreitet, zu denen ich natürlich auch stehe.
Ich weiß, daß ich mit meinem Vorschlag auch die wirklich Kranken treffe. Aber ich richte auch hier noch einmal die Frage an Sie: Wie wollen Sie auf Dauer aufrechterhalten, daß es die Lohnersatzleistungen in diesem Bereich zu 100 Prozent gibt, während sie in anderen Bereichen wesentlich geringer sind? Das Schicksal, arbeitslos zu sein, ist doch wohl ein härteres, als für 14 Tage einen Lohnabschlag hinnehmen zu müssen.
Eine Sozialleistung, die so hoch ist wie der Lohn, ist mit einer eingebauten Versuchung verbunden, sich das gleich hohe Einkommen ohne Arbeit zu verschaffen.
Wenn Sie hier so tun, als gäbe es in diesem Bereich keinen Mißbrauch,
dann weiß ich wirklich nicht, wo Sie leben. Ich nenne Ihnen nur eine Zahl. Wie erklären Sie sich, daß der Krankenstand im öffentlichen Dienst deutlich höher ist als in der Bauwirtschaft, in der die Jungen und Mädchen bei Wind und Wetter draußen arbeiten müssen?
Schon das allein ist ein Beweis dafür, daß es Mißbrauch gibt.
Herr Dreßler, den ich heute vermisse, findet es zynisch und sagt: Die senken Leistungen in anderen Bereichen, um sie als Vorwand für Kürzungen bei der Lohnfortzahlung zu nutzen.
Julius Louven
Wo haben Sie denn zu Ihren Zeiten außer beim Krankengeld eine Lohnersatzleistung gehabt, die an 100 Prozent herankam?
Im übrigen: Ich befinde mich mit meinem Vorschlag nicht in so schlechter Gesellschaft, nicht nur, daß Frau Babel es so sieht, nein, ich zitiere aus einem Interview des Präsidenten des Bundessozialgerichts, von Wulffen, der erklärt hat: „Ich könnte mir vorstellen" - er war auf die hohen Lohnzusatzkosten angesprochen worden -, „daß der Gesetzgeber das Krankengeld, das zu den begehrtesten Lohnersatzleistungen zählt, kürzen könnte."
Ich weiß, daß sich die Gewerkschaften in einem langen Streik die Lohnfortzahlung erstritten haben; aber damals ging es um die Gleichbehandlung von Arbeitern, Angestellten und Beamten. Dafür habe ich sehr viel Sympathie gehabt. Für mich ist deshalb völlig klar: Wenn es Eingriffe geben sollte, wenn sich meine Fraktion, wenn sich die Koalition dazu entschließen sollte, dann muß das für alle gelten, für Arbeiter, Angestellte und Beamte.
Meine Damen und Herren, mir geht es um Arbeitsplätze. Ich lasse mir nicht vorwerfen, ein Sozialrambo zu sein.
Mit Tabus und Denkverboten kommen wir in der schwierigen Situation, in der wir leben, in der an Einsparungen kein Weg vorbeiführt - das wissen auch Sie -, nicht weiter.
Bevor ich der Abgeordneten Renate Rennebach das Wort erteile, gratuliere ich ihr herzlich zum Geburtstag, den sie heute feiert.
Bitte sehr.
Ich danke Ihnen sehr, Frau Präsidentin. Ich kann mir kein schöneres Thema als das heutige vorstellen, um meinen Geburtstag zu feiern.
Herr Louven, Sie hatten den Mut, zu sagen, Sie stehen zu Ihren Vorschlägen. Daß Sie allerdings die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land fortwährend diffamieren, bedarf einer Erklärung und bei näherem Hinsehen auch einer Entschuldigung. Aber Sie stehen hier und diskutieren.
Ich freue mich schon auf den Redebeitrag von Frau Babel. Oder redet sie heute etwa nicht?
Heißt es jetzt, kurz vor Weihnachten: alle Jahre wieder? Oder haben Frau Dr. Babel und Herr Louven erst einmal die Berliner Wahlen abgewartet, um einen erneuten Angriff auf die Lohnfortzahlung zu fahren? In Ihrem eifrigen Bestreben, den Sozialstaat kaputtzumachen, kennen Sie überhaupt keine Hemmungen mehr.
Immer wieder versuchen Sie, die Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu erreichen. Dabei nehmen Sie die Kosten für die Unternehmen als Vorwand, obwohl Ihnen in den letzten Jahren nicht nur die Bundesanstalt für Arbeitsschutz wiederholt erklärt hat, daß Krankheitskosten im Betrieb nur dann im hohen Umfang zu senken sind, wenn die Arbeitsbedingungen und der Arbeitsschutz verbessert werden.
Aber den Arbeitsschutz wollen Sie, Frau Dr. Babel, Ihre Fraktion und Sie, Herr Louven, auch nicht verbessern, weil die Investitionskosten den armen Unternehmern nicht zuzumuten sind. Also lieber den Arbeitnehmern immer mehr wegnehmen: Das ist eine völlig verkehrte Sicht der Dinge - das kann ich Ihnen versichern -, noch dazu eine äußerst gefährliche.
Ottmar Schreiner sagte es bereits: Von Oktober 1956 bis Februar 1957 wurde in Schleswig-Holstein mit 16 Wochen Streik von den in der IG Metall organisierten Kolleginnen und Kollegen erkämpft, daß die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ein sicherer Bestandteil unserer Arbeitswelt ist.
Außer einigen älteren Männern im Arbeitgeberlager und Ihnen, Frau Dr. Babel und Herr Louven, gibt es im Moment offensichtlich nicht viele Leute, die Ihre Meinung teilen. Selbst Herr Blüm hat sich nicht erklärt. Der Kanzler hat in der vorigen Runde - vor Oktober - gesagt: 20 Prozent sind zuviel. Die Gewerkschaften und die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen wollen es auch nicht. Oder will es die Bundesregierung doch, und unsere beiden Sozialvernichter sind die Speerspitze der Bewegung und starten den Versuchsballon für die Bundesregierung?
Die Arbeitgeber haben es im Zusammenhang mit der Einführung der Pflegeversicherung abgelehnt, die Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall als Kompensation zu nehmen. Viele Tarifverträge stehen dem - Gott sei Dank - zumindest für Arbeiter im Wege. Erst 1994 wurde das Lohnfortzahlungsgesetz auch für Angestellte übernommen.
Renate Rennebach
Warum also jetzt der Vorstoß der beiden genannten Hardliner? Wollen Sie, Frau Dr. Babel und Herr Louven, Unruhen, und das heißt - ganz deutlich - Unproduktivität in den Betrieben? Wollen Sie ausprobieren, ob das, was zur Zeit in Frankreich abläuft, auch bei uns möglich ist?
Wollen Sie, meine beiden Kollegen, daß noch mehr Menschen als schon heute Kurzerkrankungen nicht mehr auskurieren? Wollen Sie, daß diese Menschen weiterarbeiten, weil sie sich Krankheit finanziell in Zukunft nicht mehr leisten können? Wollen Sie also als Folge Ihres Tuns, daß die Krankheitszeiten bei älteren Arbeitnehmern länger und damit auch teurer für die Unternehmen bzw. unsere Gesellschaft werden? Wollen Sie, daß auf diese Weise die Pflegeversicherung in zehn Jahren auch richtig ausgelastet ist, da Sie ja behaupten, wir bräuchten die Kürzung der Lohnfortzahlung als Kompensation für die zweite Stufe der Pflegeversicherung?
Ich stelle Ihnen diese Fragen, weil mir bisher niemand erklären kann, warum Sie ausgerechnet an dem für Arbeitnehmer heißesten Eisen herumbohren müssen - und das zu einem Zeitpunkt, in dem zum Beispiel die IG Metall, wie auch bereits erwähnt und von Ihnen und Herrn Blüm hochgelobt, der Bundesregierung ein „Bündnis für Arbeit" angeboten hat. Ich kenne Klaus Zwickel, und ich bin Metallerin. Ich kann Ihnen versichern, er hat bei seiner Idee und seinem Vorschlag nicht „Vorwärts in die 50er Jahre" vorgesehen. Das kommt nur bei Ihnen vor.
Danke.
Als nächster spricht der Abgeordnete Dr. Peter Ramsauer.
Hohes Präsidium! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
- Man bekommt normalerweise Schwierigkeiten, wenn man Beifall von der falschen Seite bekommt, aber vom Kollegen Schreiner nehme ich ihn besonders gern entgegen.
Herr Andres, Sie haben gerade mein neues Amt angesprochen. Ich bin froh und glücklich, daß ich wieder im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung bin, denn da habe ich Sie auf der Gegenseite. Das ist ein erheblicher menschlicher Zugewinn im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung. So etwas wie der Kollege Schreiner fehlt im Wirtschaftsausschuß. Da sitzen auf seiten der SPD lauter sehr vernünftige Kollegen ohne die chronische Aufgeregtheit. Die fehlt dort einfach.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen bei der gesamten Diskussion um die Kompensation der zweiten Pflegestufe keine Tabus errichten. Vor allen Dingen dürfen wir die notwendige politische Auseinandersetzung über die Senkung der Lohnnebenkosten dadurch nicht verhindern. Es wäre geradezu fatal, wenn wir in der gesamten politischen Diskussion um die Senkung der Lohnnebenkosten von vornherein jeden gemachten Vorschlag tabuisieren und jede Tür, durch die wir vielleicht noch gehen müssen, zuschlagen würden.
Die pauschale Kritik, mit der der Vorschlag des Kollegen Louven überzogen worden ist, führt uns überhaupt nicht weiter. Sie hindert uns, auf dem notwendigen Weg der Sicherung unseres Sozialstaats weiterzugehen. Ich wehre mich deshalb dagegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß man die Diskussion über die Kürzung der Lohnfortzahlung so eng mit der Finanzierung der zweiten Pflegestufe in Verbindung bringt; denn sie kann nur ein Bestandteil in einem Gesamtkonzept sein, das wir so schnell wie möglich vorlegen müssen, um den Sozialstaat auch in Zukunft finanzierbar zu halten.
Wir müssen diese Frage auch von der Meinung lösen - die von der SPD-Seite immer vertreten wird -, es handele sich hier nur um eine Politik der Entlastung zugunsten der Unternehmer und der Arbeitgeber. - So wird die Diskussion leider Gottes geführt. Auch Vorredner von der Opposition haben das wieder so dargestellt. - Es geht in der Frage, die sozialen Kosten und die Lohnnebenkosten tragbar zu machen, vor allen Dingen um Belange der Arbeitnehmer. Wenn Sie mich fragen, was in unserem Lande einer der schlimmsten sozialen Mißstände ist, dann muß ich sagen: Es ist derjenige, daß einem Arbeitnehmer in einer mittleren oder sogar unteren Lohn- bzw. Gehaltsstufe von jeder hinzuverdienten Mark je nach Progression fast die Hälfte oder mehr abgeknöpft wird.
- Dann verstehen Sie nichts von Steuerpolitik und von Abgabenpolitik, Herr Kollege. - Das liegt einfach daran, daß Sie sich beharrlich weigern, an den notwendigen Stellen einzuschneiden. Sie werden sich noch wundern, was alles notwendig ist.
Ich muß eines immer wieder sagen: Wenn man mit den Gewerkschaftsleuten an der Basis redet, wenn ich mit dem DGB-Vorsitzenden aus meinem Wahlkreis rede - das tue ich sehr oft und sehr gerne -, dann stößt man auf ungeheuer viel Gesprächsbereitschaft und Einsicht. Denn diese Menschen haben im. Gegensatz zu Ihnen Einsicht in die echte betriebliche Praxis, nicht nur in die hier vorgetragene ideologische Theorie, sondern in die echte betriebliche Praxis. Sie geben unter vier Augen auch zu, was wirklich gespielt wird. Es ist auf Dauer einfach nicht tragbar, daß Mißstände weiterbestehen und der Zustand existiert, daß immer weniger produktiv Tätige immer
Dr. Peter Ramsauer
mehr Lasten, immer höhere Lasten des Sozialstaats tragen.
- Wir reden ein anderes Mal darüber, wenn wir mehr Zeit haben als heute. Ich bin leider am Ende meiner Redezeit.
Nur noch der eine Satz: Ich mache keinen Hehl daraus, daß wir bei der gesamten Diskussion um die Absenkung der Staatsquote um 5 oder 6 Prozent bis zum Jahre 2000 im sozialpolitischen Bereich entsprechende Beiträge leisten müssen. Über 1 000 Milliarden DM pro Jahr Sozialtransfer werden wir auf Dauer nicht halten können. Wenn wir diese schwierige Politik durchstehen, dann wird die Sozialpolitik den Arbeitnehmern und den Schwachen in unserer Gesellschaft letztlich wieder zugute kommen. Dann werden wir unserem Auftrag gerecht, unseren Sozialstaat zukunftsfähig zu machen.
Ich bedanke mich.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hans-Eberhard Urbaniak.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Soweit ich den Kollegen Ramsauer verstanden habe, ist wohl auch er für die Kürzung; denn das hat er geäußert. Dies sei aber nur ein Bereich, in dem man das machen müsse.
- Doch, Herr Geißler, Sie waren abwesend und haben mit anderen Kollegen diskutiert. Ich habe aufmerksam zugehört. Er ist der Dritte im Bunde, der kürzen will. Das ist so. Er hat gesagt, das sei nur ein Teil.
Es wäre gut gewesen, er hätte hier klipp und klar gesagt, was noch kommt.
Ich will Ihnen einmal etwas sagen, Kollege Heinrich: Wenn die Große Koalition damals die Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten im Krankheitsfall nicht gegen Ihren Widerstand zustande gebracht hätte - das war ein sozial gerechter und gesellschaftlich richtiger Durchbruch -, dann würden Sie noch heute den Unterschied zwischen Arbeitern und Angestellten machen. Das ist Ihre Sozialpolitik!
Damals ist das gegen den Willen der F.D.P. gemacht worden; und das war auch richtig so. Hier ist schon gesagt worden - ich habe das als junger Betriebsratsvorsitzender erlebt -, daß eine Gewerkschaftsorganisation ihre Frauen und Männer 16 Wochen lang in Trab halten mußte, um diese Gleichstellung in unserer Gesellschaft zu erreichen. Jetzt wird an diesem erkämpften Punkt die Demontage angesetzt. Ohne die Sozialdemokraten! Das ist ja wohl klar.
Vom Kollegen Louven - er hat jetzt einen anderen Termin - ist gesagt worden, nach sechs Wochen, wenn das Krankengeld kommt, würde dieses und jenes eintreten. - Wenn jemand sechs Wochen krank ist, dann unterzieht er sich aber wohl einer Untersuchung durch den Sozialmedizinischen Dienst und einer gesundheitlichen Prüfung durch den Hausarzt. Denn erst dann wird Krankengeld gezahlt. Vorher muß die Lohnfortzahlung geleistet werden.
Ich bitte Sie also darum: Orientieren Sie sich genau daran, was damals die Große Koalition aus gesellschaftspolitischen Gründen durchgesetzt hat! Dies muß weiter bestehen.
Zerstören Sie nicht den sozialen Konsens! Wir haben in westlichen Ländern zahlreiche Erfahrungen, die uns überall begegnen, wenn so etwas geschehen ist.
Der Vorsitzende der IG Metall, Zwickel, hat sein Angebot jetzt gemacht. Kollege Blüm, die Medaille muß aber auch umgedreht werden. Man kann nicht nur sagen: Das ist eine tolle Geschichte. Denn auf der anderen Seite der Medaille steht: Ihr dürft eure Kürzungen, die ihr angekündigt habt, nicht vollziehen - sonst hat dieses Gespräch überhaupt keinen Sinn. Ihr müßt dem Mann doch entgegenkommen!
Wie wollt ihr das denn sonst machen?
Kollege Geißler, ich sage Ihnen: Zum Verdruß vieler Arbeitnehmer ist die Steuer- und Abgabenlast seit dem 1. Oktober 1982 - seitdem regieren Sie; ich beklage das und kämpfe dagegen an - so rasant in die Höhe geschnellt, daß die verfügbaren Arbeitnehmernettoeinkommen immer weiter zusammenschrumpfen. Das haben Sie zu verantworten. Wenn Sie jetzt noch Ihre Pläne in bezug auf die Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall durchsetzen, dann wird dies dazu führen, daß noch weniger Konsum stattfinden kann und daß die materiellen Bedürfnisse der Arbeitnehmer, die tatsächlich krank sind, noch weniger befriedigt werden können.
Die Arbeitsunfähigkeit stellt nicht der Arbeitnehmer, sondern der Arzt fest. Es kann vom ersten Tag an durch den Sozialmedizinischen Dienst kontrolliert werden, wenn der Arbeitgeber das will. Er braucht es nur zu beantragen. Das ist gar nichts Neues.
Also, lassen Sie die Finger weg von dieser Geschichte! Ich hoffe, daß sich dem Dreierbund hier nicht weitere Anhänger hinzugesellen. Es muß bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle bleiben.
Jetzt spricht der Abgeordnete Heinz Schemken.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erst einmal kann ich Ihnen eine gute Botschaft überbringen: Es gibt keinen Beschluß der CDU/CSU-Fraktion in der Frage der Lohnfortzahlung.
Es gibt eine Diskussion. Aber diese Diskussion umfaßt viele Felder. Ich sage ganz ausdrücklich: Es wäre schade und verwegen, würde allein dieses Feld angesprochen. Deswegen halte ich die Diskussion und auch die Art und Weise, wie sie heute geführt wird, für schädlich.
- Es gibt keinen Beschluß. Es gibt nur eine Aktuelle Stunde, und diese hat noch nicht einmal die CDU/ CSU, sondern die SPD beantragt. Nur, damit Sie es wissen.
Die Diskussion, wie sie hier geführt wird, halte ich in zweifacher Hinsicht für schädlich.
- Vielleicht auch für schändlich, wenn es hier zum Beispiel darum geht, Leute zu Pharisäern abzustempeln. Das finde ich nicht gut.
Zum einen geht es in einer schweren Zeit für den Arbeitsmarkt nicht nur um den, der in Arbeit ist, sondern um die Bewältigung der Arbeitslosigkeit, um den, der nicht in Arbeit ist. Ich sage Ihnen ganz offen: Mir gefällt schon seit längerer Zeit die Hackordnung nicht. Sie ist nicht in Ordnung, auch nicht die Art und Weise, wie wir hier in dieser so existentiellen Frage miteinander umgehen. Der, der in Arbeit ist, muß wissen, daß sich seine Arbeit lohnt. - Das wird doch wohl jeder unterstreichen. Das wurde soeben auch durch meinen Vorredner hier wieder deutlich. - Wer nicht in Arbeit ist, hat allerdings ein Recht darauf, zu erfahren, wie wir in der Gesellschaft und am Arbeitsmarkt mit ihm umgehen.
Entscheidend ist, daß wir zugunsten der Arbeitslosen
denen, die in Arbeit sind, etwas zumuten müssen. Ich sage nur: Mit dem Thema Lohnfortzahlung und dem Karenztag ist in dieser Frage erst einmal nichts erreicht.
Zum anderen haben wir jetzt in einer schwierigen Zeit allen Grund, bei den weiteren entscheidenden Maßnahmen in der Sozialgesetzgebung und im Tarifrecht den Konsens zu suchen, damit wir uns gegenseitig verstehen. Niemand zweifelt das an, auch derjenige nicht, der glaubt, es müsse hier und da mehr getan werden; der wird doch wohl nicht das Geschäft in der Sozialgesetzgebung aufgeben; das tun auch wir nicht, im Gegenteil. Das laute Getöse macht die Verständigung nicht leichter, auch die Verständigung über zwingende Zusammenhänge. Für die Menschen draußen ist es nicht mehr einsehbar und erkennbar, worüber wir reden; ich sage das ausdrücklich.
- Warten Sie doch einmal ab, Herr Schreiner. - Falsche Vorgaben in der Diskussion können auch Sprachlosigkeit und Protest auslösen.
Ich habe mehr als Verständnis dafür - das sage ich ausdrücklich -, daß sich Lohnempfänger - auch ich war einmal Lohnempfänger -
in den 50er und 60er Jahren die Gleichstellung mit den Angestellten erkämpft haben. Ich fand es eine Diskriminierung, daß der Löhner damals anders behandelt wurde als der Angestellte oder der Beamte. Wir wissen allerdings auch: Dies ist heute nicht mehr so. Aber ich sage denen, die das Thema so propagieren: Wenn es überhaupt diskutiert wird, dann gilt das für alle.
- Ja, wenn Sie so wollen, vom Bundeskanzler bis zum Straßenfeger und vom Abgeordneten bis zum Pädagogen.
Aber ich sage ganz offen: Wer den Umbau im Sozialstaat will
- auch die reden darüber -, der muß in diesen Bereichen sensibel bleiben. Deshalb reicht es nicht aus, wenn wir hier ein Faß aufmachen und - ich sage das ganz offen - es möglicherweise zum Überlaufen bringen.
- Ja, selbstverständlich; da gibt es viele Fässer; da gibt es auch noch andere Fässer, die man aufmachen kann.
Die könnten noch sprudeln; da bin ich mit Ihnen einer Meinung.
Aber nicht mehr in dieser Rede, weil nämlich die Zeit abgelaufen ist.
Deshalb möchte ich darum bitten, daß wir hier nicht falsche Signale setzen, sondern daß das, was der Minister gesagt hat, zum Tragen kommt.
Er hat seine Bereitschaft erklärt, die Gespräche zu führen und darüber hinaus ein Angebot vorzulegen. Dadurch wird auch Ihnen von der Opposition die Pflicht auferlegt, ein wenig für einen Konsens zu tun. Auch das spreche ich hier einmal an.
Herr Kollege Schemken, das war doch ein schöner Schlußsatz.
Genauso wie man über eine falsche Botschaft enttäuscht sein kann, kann man auch über das enttäuscht sein, was Sie gerade in diesen Bereichen teilweise mit Obstruktion machen.
Ich wünsche uns, daß wir auf diesem Wege offener sind, daß wir den Konsens suchen, daß wir denjenigen, der keine Lobby hat, nämlich den Arbeitslosen, in den Mittelpunkt rücken. Dafür werbe ich in dieser Stunde.
Schönen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Konrad Gilges. - Ich sage noch einmal für alle Kollegen: Fünf Minuten beträgt die Redezeit in der Aktuellen Stunde - exakt!
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich wollte mich zu Beginn an Herrn Louven wenden. Aber der hat einen wichtigen Termin, was ich verstehen kann.
Ich wollte Herrn Louven nur sagen, weil er es begrüßt hat, daß Herr Schröder wieder wichtige Funktionen in der SPD übernimmt: Der hat die Forderung nach Abschaffung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall als Quatsch und diejenigen, die so etwas fordern, als Amateure bezeichnet,
Mir wäre es genant, jemanden zu loben, der mich vorher als Amateur und als Quatschkopf bezeichnet hat.
Herr Geißler, es geht nicht um die freie Meinung eines Abgeordneten.
- Nein. Es geht um die Frage: Welche Absicht steckt
dahinter? Wie ist es zu verstehen, wenn der Generalsekretär der F.D.P. von „unabgestimmter Diskussion" redet? War sie zu diesem Zeitpunkt unabgestimmt? Geht es darum, daß man dieses Thema bis nach den Landtagswahlen im Frühjahr verschieben will, um es zeitig zur zweiten Stufe der Pflegeversicherung wieder aufzugreifen? Sind die beiden, Frau Babel und Herr Louven, nur vorgeprescht? Diese Fragen sind heute nicht beantwortet worden.
Ich hätte gedacht, daß der Herr Blüm sagt: Für uns ist dieses Thema ein für allemal tot. Es gibt keinen Abbau der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.
Ich hätte mich in dieser Frage auch gern an Frau Babel gewandt. Aber leider ist sie nicht mehr da. Sie ist auf Grund unserer heftigen Debatte hier wahrscheinlich auf der Flucht, weil sie keine Argumente mehr hat.
- Diese Frage, Herr Geißler, wird in der Öffentlichkeit ganz anders dargestellt. Sie brauchen sich nur die Kommentare anzuschauen. Ich wollte Ihnen einen langen Kommentar aus dem „General-Anzeiger" vorlesen. Er zeigt, wie die Öffentlichkeit diese ganze Debatte einstuft und einschätzt. Wie das die Gewerkschaften kommentieren, lasse ich dahingestellt. Ich brauche auch nicht zu wiederholen, wie der Kollege Link, der CDA-Vorsitzende, das in der letzten Zeit kommentiert hat,
der Sie mit heftigen Vorhaltungen und vielen Vorwürfen beglückt.
Herr Geißler, ich will etwas zu dem Unterschied beim Krankenstand im öffentlichen Dienst und in anderen Bereichen sagen, weil Sie das immer als Argument anführen. Herr Geißler, das ist eine unfaire Betrachtungsweise. Sie ist sogar manipulativ. Sie ist Ihrer unwürdig - das sage ich ganz bewußt -, weil Sie sonst in der Debatte relativ fair sind. Sie wissen genau - Herr Blüm weiß das ebenso -, daß z. B. die Bauarbeiter in den seltensten Fällen überhaupt das Rentenalter erreichen.
- Die Schätzungen gehen bis zu einem Drittel. Das heißt, Berufs- und Erwerbsunfähigkeit sind natürlich wichtige Kriterien, die man in diese Fragestellung einbeziehen muß.
Im öffentlichen Dienst können die Leute - Gott sei Dank - länger arbeiten, weil die Arbeitsbedingungen besser sind.
Konrad Gilges
— Mit zunehmendem Alter werden die Beschäftigten eben auch dort krank. Auch Sie werden im fortgeschrittenen Alter öfter krank als mit 20 oder 30 Jahren. Deswegen ist eine solche Diskussion unfair. Es gibt Ursachen, die allen Fachleuten bekannt sind.
Zweiter Punkt: die Debatte um den Freitag und den Montag. Auch diese Frage ist aufgeklärt. Das haben alle Anhörungen erbracht. Es ist natürlich so, daß viele Kolleginnen und Kollegen bis Freitag warten, wenn sie krank sind, weil sie dem Arbeitgeber ihre Arbeitskraft anbieten wollen und sagen: Wir gehen nicht direkt zum Arzt. Sie warten den Freitag ab. Deswegen sind die Krankmeldungen am Freitag zahlreicher. Das gilt logischerweise auch für den Montag. Wer montags krank ist, war es auch schon am Samstag und am Sonntag. Das wäre eine faire Betrachtungsweise.
Aber Sie gehen mit den Kranken unfair um, weil Sie mit ihnen unfair umgehen wollen.
Ich will zur Faktendarstellung noch ein Argument bringen.
Herr Geißler, Ihr Kollege Herr Link hat zum Krankenstand aller abhängig Beschäftigten in den letzten 15 Jahren gesagt: Die Quote ist von 7,3 auf 5,6 Prozent gesunken.
Das heißt, wir haben, wie Herr Link richtigerweise bemerkt hat, heute effektiv einen geringeren Krankenstand als noch vor 15 Jahren. Die Situation hat sich objektiv verbessert. Warum leugnen Sie das in der Debatte? Es gibt überhaupt keine Notwendigkeit dafür.
Ich komme zum Schluß und sage mit dem Herrn Link: Beenden Sie die Phantomdebatte ein für allemal und nicht nur für heute!
Der nächste Redner ist der Abgeordnete Rainer Haungs.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Für einen Wirtschaftspolitiker war das schon eine Gespensterdebatte, was hier von der Opposition geboten wurde. Ich habe nicht einen positiven Beitrag zum Problem Nummer eins, das wir in der Bundesrepublik haben, nämlich der Verbesserung der Standortbedingungen und damit der Schaffung neuer Arbeitsplätze, gehört.
Sie sind hoffentlich in der Lage, die Dinge im Zusammenhang zu betrachten. Soziale Marktwirtschaft heißt, daß man die Dinge im Zusammenhang betrachten muß.
Ich will versuchen, Ihren Horizont für die Situation in den Nachbarländern etwas zu erweitern. Sie haben die Streiksituation in Frankreich angeprochen. Ich sage Ihnen gern, daß der soziale Konsens, der soziale Frieden bei uns ein positiver Standortfaktor ist. Deshalb sind die von Ihnen gebrauchten Begriffe wie „Sozialvernichter" durchaus nicht hilfreich in der Diskussion.
Warum wird denn in Frankreich gestreikt? Frankreich wollte eine Pflegeversicherung einführen, wie wir es Gott sei Dank tun. Die Franzosen verschieben die dringend notwendige Pflegeversicherung, weil sie nicht die politische Kraft und den gesellschaftlichen Konsens hatten, um im Sozialbudget Finanzierungspotential zu schaffen. Das ist doch das Problem.
Sie verteidigen einen Status quo, wohlwissend, daß er nicht zu verteidigen ist.
- Natürlich ist es Humbug, was Sie sagen. Sie sind hier wie bei allen Diskussionen der letzten Jahre gegenüber Ihren Gewerkschaftskollegen, die Sie sehr oft zitieren, im Rückstand. Als wir über Einstiegstarife gesprochen haben, haben Sie genau dasselbe Theater veranstaltet. Jetzt reden vernünftige Gewerkschafter von Einstiegstarifen.
- Frau Präsidentin, könnten Sie bitte für etwas mehr Ruhe sorgen?
Es ist tatsächlich so: Die Debatte ist ein bißchen laut.
Sie haben ja gar nicht die Chance, das aufzunehmen, was ich Ihnen sage. Deshalb werden Sie beim nächsten Mal in der Diskussion genauso argumentieren.
- Ich komme zur Sache: Wir schaffen ein „Bündnis für Arbeit", und die Gewerkschaften sagen: Wir müssen die Lohnforderungen begrenzen, um Chancen für mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Gleichzeitig weiß wohl jeder von Ihnen, wie ich annehme, daß Lohnkosten auch Lohnzusatzkosten bewirken und daß wir uns in beiden Bereichen - bei den Tarifen und bei
Rainer Haungs
den Lohnzusatzkosten - bemühen müssen, Raum zu schaffen für neue Arbeitsplätze in Deutschland. Das ist doch das Problem.
Wir haben die Pflicht, darüber zu sprechen, in welchem Bereich wir beim Umbau des Sozialstaates etwas ändern. Ich wiederhole gern, was meine Vorredner bereits betont haben: Wir haben in der CDU/ CSU-Fraktion zu diesem Thema keine Entscheidung getroffen. Aber wir sind verpflichtet, bei allen Diskussionsbeiträgen, die wir liefern, um die Arbeitsplatzsituation zu verbessern, alle Maßnahmen zu erörtern.
Sie sollten sich wirklich einmal fragen, warum in allen unseren Nachbarländern, ob sozialistisch, bürgerlich oder sonstwie regiert, warum in allen Industrieländern, in denen es auch eine Lohnfortzahlung mit 100prozentiger Absicherung gab, heute gesagt wird: Dies ist im Interesse der Arbeitnehmer, im Interesse der Schaffung von Arbeitsplätzen nicht mehr möglich.
Was sind Sie denn für eine Partei, die an allen Ecken und Enden Tabus abbaut und dann auch noch stolz darauf ist, daß sie sich hier eine gedankliche Selbstbeschränkung verordnet?
Lohnkosten und Lohnzusatzkosten muß man gemeinsam sehen. Wir werden nur erfolgreich sein, wenn wir Reformen in dem Gesamtpaket von Steuern, Sozialkosten und Lohnkosten durchführen. Die Einführung der Pflegeversicherung ist ein Schritt, der beim Umbau des Sozialstaates Notwendigkeiten nach sich zieht. Sie werden keine Chancen haben, Sie werden nicht die geringsten Chancen haben,
das Problem Nummer eins zu lösen, nämlich das Problem der Arbeitslosigkeit - ich freue mich, daß Herr
Kollege Schwanhold als Wirtschaftspolitiker Ihrer Partei zuhört; zumindest vorhin war er anwesend -, wenn Sie nicht bereit sind, ohne Tabus, ohne Geschrei, ohne die Verbreitung von Märchen und ohne Unterstellungen dieses Thema sachlich anzugehen.
- Was kann denn ich dafür, daß wir solche Debatten relativ selten führen, so daß Sie sich über Dinge aufregen, die der Aufregung nicht wert sind?
Ich schließe: Wir werden dieses Thema in unserer Fraktion erörtern und zu einer Lösung kommen, die als „Bündnis für Arbeit" in dem Gesamtbereich Lohnkosten, Lohnzusatzkosten und Sozialkosten unsere Arbeitsplatzsituation verbessert. Ich hoffe, daß Sie daran mitwirken.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, 30. November 1995, um 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.