Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die Sitzung und teile zunächst mit: Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesordnung um die Beratung der Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses zum Umweltauditgesetz zu erweitern. Die Vorlage soll gleich aufgerufen werden. Ich gehe davon aus, Sie sind damit einverstanden. Wir beschließen das so.
Ich rufe den Zusatzpunkt 7 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Ausführung der Verordnung (EWG) Nr. 1836/93 des Rates vom 29. Juni 1993 über die freiwillige Beteiligung gewerblicher Unternehmen an einem Gemeinschaftssystem für das Umweltmanagement und die Umweltbetriebsprüfung (Umweltauditgesetz - UAG)
- Drucksachen 13/1192, 13/1359, 13/1687,
13/1755, 13/2004, 13/2383 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Heribert Blens
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht?
- Nein.
Das bedeutet: Wir kommen gleich zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die Änderung gemeinsam abzustimmen ist. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 13/2383? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und F.D.P. bei Enthaltung des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a und b sowie den Zusatzpunkt 6 auf:
14. a) Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Lateinamerika-Konzept der Bundesregierung
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Lateinamerika-Konzept der Bundesregierung
- Drucksache 13/1479 —Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
ZP6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Dr. Willibald Jacob, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS
Transfer von Zuwendungen in Höhe der Einnahmen aus der Kaffeesteuer in den Süden
- Drucksache 13/2358 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Auswärtiger Ausschuß
Finanzausschuß
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluß an die Regierungserklärung eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Wir verfahren so.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Klaus Kinkel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Welt ist auch in Lateinamerika im Auf- und Umbruch. Lateinamerika ist eine der zwei großen Wachstumsregionen neben Ostasien.
Vor fünf Jahren gab es dort Befürchtungen, die Industrieländer, Deutschland voran, würden ihre politische Aufmerksamkeit mit dem Ende dès Kalten Krieges allein auf andere Weltregionen richten. Das Gegenteil ist eingetreten. Die vielen gegenseitigen Besuche in den zurückliegenden Wochen und die Besu-
Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
che, die in den nächsten Monaten vor uns liegen, unterstreichen eine sehr erfreuliche Entwicklung. Politik und Wirtschaft auf beiden Seiten haben ein großes Interesse, die Beziehungen zwischen Deutschland und Lateinamerika auf eine neue Stufe zu stellen.
Die Bundesregierung engagiert sich zur Zeit mit voller Kraft für die Regierungskonferenz 1996, die nächste Etappe der europäischen Einigung. Das heißt aber nicht, daß wir die Welt außerhalb Europas vernachlässigen. Das wäre nicht nur mit unseren elementaren Interessen als zweitgrößte Handelsnation der Welt unvereinbar; das widerspräche auch unserer Idee eines weltoffenen Europas.
Eine friedliche Revolution hat Lateinamerika in den vergangenen Jahren im wahrsten Sinne des Wortes verwandelt. Die „verlorene Dekade", wie es immer hieß, der 80er Jahre ist vorbei. Demokratie und Marktwirtschaft haben die alten gescheiterten politischen und wirtschaftlichen Modelle abgelöst.
Heute ist Lateinamerika eine der dynamischsten Regionen der Welt. Es wünscht eine neue Partnerschaft, eine Partnerschaft neuen Stils mit Europa. Dabei richten sich auf Deutschland die ganz besonderen Erwartungen dieses Kontinents. Die Antwort der Bundesregierung ist das in enger Abstimmung mit der deutschen Wirtschaft und vielen Experten erarbeitete und im Mai vom Bundeskabinett verabschiedete neue Lateinamerika-Konzept. Neues Augenmerk also für Lateinamerika, politisch, wirtschaftlich und vor allem kulturell!
Zu kaum einer anderen Region hat Deutschland traditionell so herzliche und überaus vielfältige Beziehungen.
Eine unübersehbare Zahl deutscher Nichtregierungsorganisationen engagiert sich in und für Lateinamerika. Die Kirchen und ihre Hilfswerke - ich nenne nur Misereor - leisten vor allem im sozialen Bereich wirklich großartige Arbeit. Man sollte ihnen auch hier im Deutschen Bundestag dafür einmal ausdrücklich und nachdrücklich danken.
Die politischen Stiftungen fördern die Demokratisierungsprozesse. Die deutsche Sektion von amnesty international und die Gewerkschaften, zahllose wissenschaftliche und kulturelle Einrichtungen - sie alle sind Teil eines Gott sei Dank dicht geknüpften Netzes.
Das alles schafft einen idealen Ausgangspunkt für einen erneuerten Brückenschlag zu Lateinamerika, der den neuen Chancen und Möglichkeiten dieses großen Kontinents entspricht.
Das Lateinamerika-Konzept der Bundesregierung hat vier Schwerpunkte.
Erstens. Die Verstärkung des politischen Dialogs auf allen Ebenen. Demokratisierung, wirtschaftlicher Aufschwung und regionale Integration haben das weltpolitische Gewicht Lateinamerikas deutlich erhöht. Daß wir heute auf der Grundlage gleicher Werte und Prinzipien in internationalen Institutionen gemeinsame Positionen vertreten, ist eine der erfreulichsten Tatsachen des neuen Lateinamerika.
Wir bieten Lateinamerika unsere Bereitschaft zu einem offenen, gleichberechtigten und fruchtbaren politischen Dialog an. Ich werde nächste Woche in New York, während der UNO-Woche, mit meinen lateinamerikanischen Kollegen gemeinsam unsere Position in wichtigen globalen Fragen wie der UN-Reform, der Nichtverbreitungsproblematik und vor allem im Umweltschutz abstimmen. Themen wie Parteien und Wahlrecht, Dezentralisierung, Gemeindeselbstverwaltung, Justiz, Bildungsreform stehen in Lateinamerika ganz oben auf der politischen Tagesordnung. Wir sind gerne bereit, unsere Erfahrungen beim Aufbau einer sozialen und ökologischen Marktwirtschaft und eines demokratischen Rechtsstaates weiterzugeben.
Zweitens. Stärkung der europäischen Dimension unserer Lateinamerikapolitik. In Lateinamerika setzen Mercosur, der Andenpakt und eine ganze Reihe bilateraler und regionaler Verträge auf offenere Grenzen und auf engere Zusammenarbeit. Mit Mercosur entsteht eine Freihandelszone und Zollunion mit über 200 Millionen Menschen und einem Bruttosozialprodukt von über 820 Milliarden Dollar.
Die Staaten des Mercosur suchen Europa als ihren Partner. Diesen Wunsch hat die deutsche Präsidentschaft im zweiten Halbjahr 1994 mehrfach aufgegriffen, zunächst mit der Erklärung des Europäischen Rats von Essen über den Ausbau der EU-Beziehungen zu Mercosur, Mexiko und Chile, dann mit der Verabschiedung des EU- Grundsatzdokuments über Lateinamerika im Oktober 1994 und schließlich mit der Erklärung der Europäischen Union und Merco-sur, ein Rahmenabkommen mit der Perspektive für eine spätere umfassende interregionale Assoziation auszuhandeln.
Auch nicht ganz unwichtig und auf der anderen Seite in besonderer Weise verständlich ist, daß Spanien natürlich Lateinamerika zu einem Schwerpunkt seiner laufenden Präsidentschaft gemacht hat. Das Rahmenabkommen zwischen der Europäischen Union und Mercosur könnte schon in der nächsten Woche in Montevideo unterschriftsreif gemacht werden. Dabei werden die Beziehungen Europas zu Lateinamerika eine völlig neue, bisher nicht gekannte Qualität erhalten.
Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
Dritter Schwerpunkt: Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen. Lateinamerika ist heute ein außerordentlich attraktiver Wachstumsmarkt. Eine Delegation des Wirtschaftsausschusses des Deutschen Bundestages konnte sich davon im Juli selbst überzeugen; die Wirtschaftskommission der UNO für Lateinamerika hat dies in ihrer jüngsten Prognose noch einmal bestätigt. Das Bruttoinlandsprodukt der Region ist im letzten Jahr um 4,4 % gewachsen. Peru hat heute eine der weltweit höchsten Wachstumsraten. Die Verschuldung, die der Alptraum der 80er Jahre in Lateinamerika war, ist - ich glaube, das kann man sagen - unter Kontrolle.
Die deutsche Wirtschaft muß in Lateinamerika nicht neue Märkte erobern; sie hat dort traditionell eine erfreulich starke Stellung. Fast 79 % aller deutschen Direktinvestitionen in Entwicklungsländern flossen nach Lateinamerika, 50 % allein nach Brasilien. Man sollte nicht vergessen, daß allein in Sao Paulo tausend deutsche Unternehmen arbeiten.
Das nimmt uns nicht die Arbeitsplätze weg; das erhält unsere weltweite Wettbewerbsfähigkeit.
Deutschland wiederum ist der wichtigste Wirtschaftspartner Lateinamerikas in der Europäischen Union. Unser Außenhandel ist im vergangenen Jahr um weit überdurchschnittliche 13 % gewachsen, und der Umsatz deutscher Tochterfirmen in der Region übertrifft den Handelsaustausch noch um ein Vielfaches. Dennoch gibt es auch ein paar Warnzeichen - das kann nicht verheimlicht werden -: In manchen Bereichen sind Marktanteile verlorengegangen, und neue Investitionen fließen leider etwas spärlicher.
In vielen Ländern stehen große Modernisierungen in den Bereichen Energie, Verkehr, Telekommunikation und Umwelttechnologie an. Die deutsche Wirtschaft - das hat auch Brasiliens Präsident Cardoso bei seinem Besuch besonders betont - ist aufgefordert, ihre Stärken dort auszuspielen. Wer heute einen Exportmarkt sichern will, der muß eben investieren.
Ich ermuntere deshalb ausdrücklich den Lateinamerika-Gesprächskreis der deutschen Wirtschaft, dafür zu sorgen, daß das Investieren in Lateinamerika stärker betont wird und daß wir vor allem die Chancen der Privatisierung nutzen. Wer sich heute an einer ausländischen Telefongesellschaft beteiligt, der kann morgen über ihre Technologie und Zulief erer mitbestimmen. Das große Echo der Lateinamerika-Konferenz der deutschen Wirtschaft in Buenos Aires im Juni, das gerade bei mittelständischen Unternehmen auf beiden Seiten zu verzeichnen war, ist ein sehr positives Signal gewesen.
Deutschland wird auch die technische Zusammenarbeit mit den lateinamerikanischen Schwellenländern fortsetzen. Dabei steht die Förderung der privatwirtschaftlichen Zusammenarbeit vor Ort sowie die Förderung von kleineren und mittleren Unternehmen im Vordergrund. Das ist der beste Weg, neue Arbeitsplätze zu schaffen und, was eben immer noch auch in Lateinamerika ungeheuer wichtig ist, Armut zu verringern.
Der vierte Punkt unseres Lateinamerika-Konzepts: Die Wahrung unserer starken kulturellen Präsenz auf diesem Kontinent. Seit den Tagen Alexander von Humboldts sind die Deutschen von Lateinamerikas Menschen, seinen Kulturen und Landschaften zu Recht fasziniert. Die Wertschätzung in Lateinamerika für die deutsche Kulturarbeit, für Goethe-Institute und deutsche Schulen ist groß.
Aber dieses hohe Niveau der kulturellen Beziehungen zu Lateinamerika ist kein Polster, auf dem wir uns ausruhen können. Vor allem angesichts der weltweiten Konkurrenz der Hochschulstandorte müssen wir das deutsche Stipendienangebot für die künftigen Eliten Lateinamerikas weit attraktiver gestalten als bisher.
Die Bundesregierung schlägt vor, die 200. Wiederkehr der Forschungsreise Alexander von Humboldts für eine große Initiative kultureller Zusammenarbeit zu nutzen.
Sie könnte den Austausch von Kunst und Künstlern in beiden Richtungen fördern. Sie könnte zur Erhaltung wichtiger Kulturdenkmäler in den Partnerregionen beitragen. Sie könnte die Kenntnis breiter Bevölkerungsschichten über die jeweils andere Region verbessern, übrigens über Katastrophenmeldungen und Kurzbeiträge der täglichen Berichterstattung hinaus. Sie könnte die Forschungseliten unserer Länder in zukunftsweisenden wissenschaftlichen Projekten zusammenführen, z. B. in der Umweltforschung - dort besteht enormes Interesse -, in der Tropenökologie, bei den erneuerbaren Energien, bei der Biotechnologie und der Meeres- und Polarforschung.
Meine Damen und Herren, im Oktober 1993 entstanden auf einer Konferenz der deutschen Lateinamerikabotschafter unter meiner Leitung die „14 Thesen von Buenos Aires" als Anfang einer neuen Lateinamerikapolitik. Heute ist klar: Wir haben uns in unserer hoffnungsvollen Prognose für den Kontinent nicht getäuscht. Gewiß, Rückschläge gibt es immer, und Entwicklungsprozesse verlaufen selten geradlinig. Lateinamerika ist als riesige Region natürlich alles andere als ein monolithischer Block. Große Probleme bleiben: die gewaltige Kluft zwischen Arm und Reich, das Bevölkerungswachstum, Menschenrechtsverletzungen, Umweltzerstörung und Drogen.
Aber wir haben keinen Grund - weder wir Europäer noch wir Deutschen -, vom hohen Roß herab Kritik zu üben. Viele Probleme, die es dort gibt, machen auch uns in Europa zu schaffen. Wir wollen diese Fragen und insbesondere die Probleme - das
Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
wird von den Lateinamerikanern besonders aufmerksam beobachtet - im Geist der Freundschaft und Partnerschaft anpacken und nicht mit erhobenem Zeigefinger.
Entscheidend ist: Die Grundrichtung in Lateinamerika stimmt. Ich sage das trotz der Finanzkrise und des Chiapas-Konflikts in Mexiko, trotz der Grenzauseinandersetzungen zwischen Ecuador und Peru. Gerade der Verlauf dieser Krisen hat gezeigt, wie groß der Unterschied zum letzten Jahrzehnt ist. Deutsche Unternehmen haben ihr Engagement in Mexiko nicht eingeschränkt. Die Grenze zwischen Ecuador und Peru ist wieder offen.
Alle, die bei negativen Schlagzeilen über Südamerika sogleich - ich sage es noch einmal - mit dem ausgestreckten Zeigefinger reagieren, sollten sich sagen lassen, daß Geduld und Realismus eher am Platz sind. Geduld und Realismus zeigen wir ja auch anderen Weltregionen gegenüber, in denen es Probleme gibt, und zwar zuhauf. Unsere Freunde in Lateinamerika verdienen deshalb erst recht, daß wir uns ihnen gegenüber genauso verhalten.
In der Frage der Menschenrechte ist neben konkreten Fortschritten vor allem ein grundsätzlicher Wandel in der Haltung erkennbar. Brasiliens Präsident Cardoso hat das Thema vergangene Woche in Brüssel offen angesprochen, auch gestern morgen in einem Gespräch mit mir, und ein entschiedenes Vorgehen gegen noch bestehende Menschenrechtsverletzungen zugesagt.
Es ist interessant, was der Generalstabschef des argentinischen Heeres am 25. April nach einer Selbstkritik wegen des Vorgehens in der Zeit der Militärdiktatur gesagt hat - ich zitiere -:
Niemand ist gezwungen, unmoralische Befehle zu befolgen. Wer die Verfassung verletzt, begeht ein Verbrechen. Wer rechtswidrige und unmoralische Mittel gebraucht, um ein für gerecht gehaltenes Ziel zu erreichen, begeht ein Verbrechen. Diese fundamentalen Kriterien sind die Grundlagen des republikanischen Staates.
Ich glaube, daß diese Erklärung für sich spricht.
Übrigens, Menschenrechtsverletzungen und Menschenrechtsverletzer können auch in Lateinamerika nicht mehr mit Nachsicht oder gar Verständnis rechnen. Ich finde, das ist der wesentlichste und entscheidendste Fortschritt in der Menschenrechtsfrage auf diesem großen und wichtigen Kontinent.
Unsere Freunde in Lateinamerika bemühen sich um den Aufbau moderner Bürgergesellschaften nach europäischem Muster. Die Bundesregierung setzt großes Vertrauen in diese Entwicklung. Lateinamerika kann auch weiter auf unsere volle Sympathie und natürlich ebenso auf unsere Unterstützung zählen.
Die Staatspräsidenten Chiles, Ecuadors und Honduras waren in diesem Jahr zu Gast in Bonn. Der brasilianische Präsident Cardoso hat gerade einen viertägigen Besuch beendet, bei dem er für eine besonders enge Partnerschaft Brasiliens mit Deutschland geworben hat, und zwar für eine Partnerschaft in allen Bereichen: Wirtschaft, Technologie, Umwelt und Soziales. Unser Bundespräsident wird im November Brasilien besuchen und dort auch die große deutsche Technologieausstellung FEBRAL eröffnen.
Ich werde Anfang des Jahres - das steht bereits fest - erneut nach Lateinamerika reisen und das Interesse Deutschlands an einer noch intensiveren Partnerschaft bekräftigen. Deutschland kehrt nach Lateinamerika zurück, sagen viele Lateinamerikaner erwartungsvoll über das wiedererwachte Interesse. Ich habe gerade bei einem Gespräch mit den Botschaftern Lateinamerikas in Bonn gemerkt, welche Erwartungen dort bestehen. Das Echo sollte uns Ansporn sein.
Wir wollen die überaus große Sympathie für Lateinamerika in unserem Lande nutzen und unsere Energien mit gleichgerichteten Kräften Lateinamerikas in einem Synergieeffekt zusammenführen. Die bei der Ausarbeitung des Lateinamerika-Konzepts gewonnenen Erfahrungen, die Impulse aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft sowie die Haltung unserer Partnerländer zeigen, daß die Zeit dafür reif ist. Das Potential dieses - ich sage es noch einmal - erneuerten Brückenschlages ist beträchtlich. Die Bundesregierung ist entschlossen, dieses Potential auszuschöpfen, und sie bittet den Bundestag um Unterstützung.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Margitta Terborg.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die schönen Worte unseres Bundesaußenministers, die wir eben gehört haben, sollten eigentlich hoffen lassen, daß der Bundesaußenminister nun auch Lateinamerika höchste Priorität in den Außenbeziehungen des Bundes einräumt. Wenn das so wäre, wäre das sicher nicht falsch. Aber auch diese Rede, Herr Außenminister, hat meine Zweifel an Ihrem Kurs und am Lateinamerika-Konzept, das heute zur Debatte steht, nicht ausräumen können.
Tatsächlich ist es doch so, daß Bonn noch immer Prioritäten im Osten und im Fernen Osten sieht und Lateinamerika, diese aufstrebende Region der Welt, vernachlässigt.
Margitta Terborg
Das zeigt sich z. B. daran, daß es geraume Zeit gedauert hat, bis das neue Lateinamerika-Konzept der Bundesregierung stand. Danach hat es Zeit gebraucht, bis es dem Deutschen Bundestag gestattet wurde, darüber zu diskutieren.
- Ich würde vorschlagen, Sie hören erst einmal zu.
- Ich weiß, wie lange die Debatte hinausgezögert wurde. Darauf spiele ich an. Aber ich denke, Sie sollten vielleicht erst einmal zuhören, und dann können Sie verstehen, warum ich das eine oder andere kritisch ansprechen möchte, was ja wohl gestattet ist.
Gilt das auch für den Wunsch des Kollegen Irmer nach einer Zwischenfrage?
Bitte, Herr Kollege Irmer.
Herzlichen Dank, Frau Kollegin. Ich höre Ihre kritischen Bemerkungen gleich mit großer Aufmerksamkeit an. Ich möchte Sie nur ganz kurz fragen, ob Ihnen nicht bekannt ist, daß es im Unterschied zu anderen Parlamenten, z. B. zur französischen Nationalversammlung, nicht die Regierung ist, die die Tagesordnung des Parlaments bestimmt, sondern das Parlament selbst.
Eine große Fraktion wie die SPD hat natürlich jederzeit die Möglichkeit, ein Thema, das ihr nicht frühzeitig genug behandelt scheint, auf die Tagesordnung setzen zu lassen.
Frau Kollegin, ich möchte von Ihnen einfach wissen, ob wir uns einig sind, daß unsere Tagesordnung nicht von der Bundesregierung abhängig ist und daß, selbst wenn die Bundesregierung in dieser Frage zögerlich gewesen sein sollte, wir als Parlament jede Möglichkeit gehabt hätten, die Bundesregierung zum Jagen zu tragen.
Herr Kollege Irmer, ich danke Ihnen für die Belehrung. Natürlich ist mir das bekannt. Mir ist aber auch nicht entgangen, wie lange es gedauert hat, bis wir dieses Thema debattieren, was wir heute tun.
Nur das wollte ich zum Ausdruck bringen. Okay?
Herr Irmer, es bräuchte kein Nachteil zu sein, wenn die Qualität des Papiers die langen Vorbereitungen rechtfertigen würde.
Aber ernsthaft, meine ich, wird das von diesem Lateinamerika-Konzept wohl nicht behauptet werden können. Es ist sorgfältig geglättet und so allgemein, daß man gegen einzelne Passagen schwerlich etwas einwenden kann. Erst im Vergleich mit der Realität wird sichtbar, woran es fehlt. Man liest zwar die hehre Absicht, es fehlt aber der realistische Unterbau. Ich will das an einigen Beispielen demonstrieren.
In dem Papier ist an mehreren Stellen die Rede davon, daß es zu rechtlichen und sozialen Verbesserungen für die indigene Bevölkerung kommen müsse. Es wird nichts darüber ausgesagt, daß sich an diesem Jahrhundertproblem nicht nur nichts geändert hat, sondern daß die Rechte der indigenen Bevölkerung in einigen Staaten der Region sogar weiter ausgehöhlt und mißachtet werden.
Das Papier spricht an mehreren Stellen von der Notwendigkeit, Armut, Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Zutreffend wird das Konfliktpotential geschildert, das aus der Tatsache erwächst, daß etwa 40 % der Bevölkerung in diesen Staaten vom wirtschaftlichen Fortschritt ausgeschlossen sind.
Es wird nichts darüber ausgesagt, daß auch die strikten Auflagen der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds in wichtigen lateinamerikanischen Staaten zu weiterer Verschärfung der Armut - in Mexiko beispielsweise selbst zu dem De-facto-Zusammenbruch des Mittelstandes - geführt haben
und daß die Gelehrten eigentlich nur noch darüber streiten, wieviel man der malträtierten Bevölkerung noch zumuten kann, ehe sie explodiert.
Warnsignale gibt es genug. Sie werden aber souverän verdrängt.
In dem Papier ist auch von der Notwendigkeit der weiteren Belebung des beiderseitigen Warenaustausches die Rede. Es wird nichts darüber ausgesagt, daß die Europäische Union im sogenannten „Bananenkrieg" - sicher gegen unseren Willen und gerichtlichen Protest - Lateinamerika eine Handelstür vor der Nase zugeschlagen hat.
Es wird nichts darüber ausgesagt, daß die rigorose Unterbewertung natürlicher Rohstoffe - nehmen wir als Beispiel den Kaffee - diesen Ländern die wirtschaftliche Gesundung nahezu unmöglich macht.
In dem Papier werden in hohen Tönen die Chancen gelobt, die für die deutsche Wirtschaft und die Politik in Lateinamerika liegen, und es wird verschwiegen, daß unsere Augen sehr viel schärfer auf Asien gerichtet sind und daß das Außenamt asiatische Staaten erkennbar präferiert. Das hat natürlich auch reale Gründe. Kurzfristig gesehen rechnet sich der Ausbau der Beziehungen zu einigen hochentwikkelten und entwicklungsfähigen Staaten Asiens schneller.
Margitta Terborg
Aber - in diesem Punkt folge ich dem Papier - wer den lateinamerikanischen Markt vernachlässigt und die Chancen übersieht, die in dieser Region liegen, schneidet sich selber von einem wichtigen Strang zukünftiger Marktchancen ab.
Das Papier setzt sich für einen verstärkten Dialog mit den lateinamerikanischen Ländern ein und kann, weil es ein Konzept für die Zukunft sein soll, die triste Gegenwart schlicht vergessen.
Da wird nichts ausgebaut und verbessert, da wird ausgedünnt. Da ist nicht von einer Belebung die Rede, sondern von einer haushaltsbedingten Strek-kung der gegenwärtigen kulturellen und bildungspolitischen Aktivitäten.
Das Papier beschreibt die Gefahr des Drogenanbaus in den Andenstaaten und verspricht, daß man mit Programmen zur ländlichen Entwicklung mit dazu beitragen will, den Koka- und Mohnpflanzern alternative und legale Einkommensmöglichkeiten zu verschaffen. Wie man aber konkret helfen will und wie man den Absatz legaler Landwirtschaftsprodukte garantieren will, wird vornehm verschwiegen. Offenbar weiß man es selber nicht.
Ich könnte auch noch die Passagen beschreiben, in denen in schönen Worten die Notwendigkeiten deutschen Kulturexports beschrieben werden. Ich bin sofort ernüchtert, wenn ich mir den denkwürdigen Essay von Hans Magnus Enzensberger im vorletzen „Spiegel" vergegenwärtige.
Was Enzensberger global beschreibt, trifft gewiß auch auf Lateinamerika zu: Wieder einmal gute Absichten, ernüchternde Wirklichkeit. So geht es Seite um Seite, Punkt um Punkt, Satz um Satz. Ich will Sie mit einer noch gründlicheren Exegese nicht langweilen. Diese Beispiele mögen genügen.
Zufall oder nicht: Im militar- und sicherheitspolitischen Teil ist das Papier dagegen bemerkenswert konkret.
Frau Terborg, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Graf von Waldburg-Zeil?
Bitte.
Frau Kollegin, Sie sprachen gerade den Artikel im „Spiegel" an. Dort geht es um die auswärtige Kulturpolitik. Ist Ihnen nicht aufgefallen, daß der Herr Bundesaußenminister die Bedeutung der auswärtigen Kulturpolitik für Lateinamerika ausdrücklich betont hat? Meinen Sie nicht auch, daß hier sogar ein gewichtiger Ansatzpunkt gegeben ist, eines der drängendsten Probleme in manchen lateinamerikanischen Ländern, nämlich das Auseinanderweichen der bisher herrschenden Latinidad und Hispanidad gegenüber den Indigenas, ein bißchen aufzulockern, und daß wir hier auch bereits sehr gute entwicklungspolitische Ansätze haben?
Ich unterstütze diese Absicht sehr und weiß auch, daß das eine gute Möglichkeit wäre. Was ich bedaure, ist, daß gerade im kulturellen Bereich sehr starke Kürzungen - denken wir an unsere Goethe-Gesellschaften im Ausland - hingenommen werden mußten zugunsten mancher größeren Mammutprojekte. Dazu möchte ich sagen, daß eine kontinuierliche Finanzierung beispielsweise unserer Goethe-Institute im Ausland langfristig mehr bringt. Das ist auch etwas, was meiner Meinung nach in diesem Artikel sehr deutlich zum Ausdruck kam. Das möchte ich noch einmal unterstreichen. Ich stimme Ihnen aber in der Zielrichtung natürlich zu.
Ich komme noch einmal auf den militär- und sicherheitspolitischen Teil zurück; denn in diesem Bereich ist das Papier bemerkenswert konkret. Diese Präzision hätte ich mir auch bei den anderen Kapiteln gewünscht. Ich bin keine Phantastin, und deshalb bin ich mir sehr bewußt, daß deutsche Initiativen die Entwicklung in diesem riesigen Halbkontinent nur marginal beeinflussen können.
Aber wir sind Mitglied der Europäischen Union; wir reden bei den Treffen der G-7-Staaten ein gewichtiges Wort mit. Wir haben Einfluß auf die Weltbank und den Internationalen Währungsfonds. Hier, meine ich, müssen wir ansetzen und genau die Rolle spielen, die die Regierung in ihrem LateinamerikaKonzept verspricht: ein verläßlicher und treuer Freund Lateinamerikas zu sein. Dazu bedarf es, wie wir alle wissen, nicht nur der schönen Worte, sondern eines Engagements, das tatsächlich dazu führt, die Industriestaaten auf den Weg echter und nicht nur vorgegebener Partnerschaft zu führen.
Das Papier deutet an, welche wirtschaftlichen Dimensionen darin stecken, wenn sich die NAFTA, die gegenwärtig auf die USA, Kanada und Mexiko beschränkte Freihandelszone, zu einer den ganzen Kontinent umspannenden Wirtschaftskooperation weiterentwickelt. Man kann nicht sagen, daß unsere Beamten im auswärtigen Dienst das nicht sehen. Man muß aber sagen, daß offensichtlich die Chancen, die für die deutsche Wirtschaft in der NAFTA liegen, entweder nicht wahrgenommen oder nur unzureichend wahrgenommen werden.
Wahrscheinlich ist es ein Fortschritt, daß sich der Deutsche Bundestag mit einem Lateinamerika-Konzept der Bundesregierung, wenn auch nur mit einem sehr unzureichenden, befassen kann. Es ist bestimmt ein Fortschritt, wenn Deutschland den Blick auf einen anscheinend so fern liegenden Halbkontinent richtet. Ich finde allerdings, es darf keine Pflichtübung und kein temporäres Bemühen sein, und es darf nicht in Platitüden ersticken. Der Ochsenfrosch, der sich aufbläht, wird nicht zum Löwen, sagt ein Sprichwort. Dieses Lateinamerika-Papier ist noch kein Konzept. Es könnte allenfalls einmal eines werden, wenn wir auf allen Seiten dieses Hauses guten Willens sind. Ich bitte Sie, meine Kritik so zu verstehen.
Ich möchte mit einer Bemerkung abschließen, die bei einem meiner Besuche im Chiapas, der Krisenregion Mexikos, Bischof Samuel Ruiz mir gegenüber machte: Die Strangulierung der Entwicklung Latein-
Margitta Terborg
amerikas durch die Politik niedriger Rohstoffpreise der Industriestaaten ist auch eine Menschenrechtsverletzung. - Ich konnte dem Bischof nicht widersprechen, und ich fürchte, Sie alle können das auch nicht.
Vielen Dank.
Das Wort erhält jetzt der Kollege Otto Hauser.
Frau Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Kollegin Terborg, Papiere sind dazu da, daß man sie liest, am besten richtig. Ich könnte Ihre Rede eigentlich unter die Überschrift stellen: Das Papier haben Sie gut gefunden. Ihre Rede aber war, ohne daß ich Ihnen nähertreten wollte, nicht so gut. Die Begeisterung in Ihrer eigenen Fraktion hat sich in Grenzen gehalten.
Am Ende kann man Ihre Auffassung wohl so zusammenfassen: Regierung, mach weiter so! In der Tat, sie hat ein gutes Konzept vorgelegt.
Meine Damen und Herren, Lateinamerika ist für uns Deutsche immer eine Region gewesen, die unsere besondere Aufmerksamkeit fand. Wir haben dort immer auf partnerschaftlicher Basis zusammengearbeitet, wir haben viele Freunde und Bewunderer unserer Politik dort. Ich freue mich über die fast vollzählige Präsenz des Diplomatischen Corps aus Lateinamerika.
Lateinamerika ist durch seinen kulturellen Hintergrund ein Teil des Westens. Ich will es einmal so sagen: Es ist ein europäisch geprägter Kontinent in südlicher Hemisphäre. Doch diese guten Beziehungen müssen gepflegt werden; sie müssen ausgebaut und vertieft werden. Deswegen ist es höchste Zeit für eine noch stärkere Orientierung nach Lateinamerika. Ich danke der Bundesregierung und der Wirtschaft für diese Konzeption. Wir im Deutschen Bundestag unterstützen dies. Die Deutsch-lateinamerikanische Parlamentariergruppe wird engagiert an ihrer Umsetzung mitarbeiten.
In den letzten Jahren haben in Lateinamerika tiefgreifende Veränderungen stattgefunden, leider weitgehend unbemerkt in den Köpfen der Menschen in Europa. In Sprache und Mentalität sehr homogen, gibt es doch vielfältige Unterschiede zwischen den Staaten in Lateinamerika. Dies müssen wir berücksichtigen. Trotzdem können wir generell feststellen: Lateinamerika befindet sich auf dem Wege zu einer wirklich demokratisch gefestigten Region, die seit mehreren Jahren obendrein ein überdurchschnittliches wirtschaftliches Wachstum aufweist.
Unser Wissen wird aber leider noch immer von Instabilität und Diktaturen, von Verletzung der Menschenrechte, Armut, Verschuldung und riesiger Inflation geprägt. Mit der heutigen Wirklichkeit hat dies aber trotz einiger zum Teil wirklich großer sozialer Probleme nicht mehr viel zu tun.
- Hören Sie doch zu; das habe ich doch gerade gesagt.
Die Militärs haben sich im großen und ganzen zurückgezogen. Demokratisch gewählte Regierungen prägen Gott sei Dank das Bild. Leider nicht so in Kuba. Wir hoffen, daß dieses letzte Bollwerk des Kommunismus durch den Freiheitswillen des Volkes alsbald niedergerissen wird.
Mit den Demokratisierungen ist eine marktwirtschaftliche Wirtschaftspolitik mit zum Teil tiefgreifenden Strukturreformen verbunden. Eines der Hauptübel auf dem Kontinent, die Hyperinflation, haben die meisten Länder erfolgreich bekämpft. Der Wind der Liberalisierung weht überall. Die Demokratie erhielt eine Chance, weil durch Haushaltssanierung und Privatisierung die Positionen der Militärs zurückgedrängt worden sind. Die neue Wirtschaftspolitik beendet die bisherige Binnenorientierung, die ein großes Hemmnis für Produktivität und für internationalen Wettbewerb war. Die Möglichkeiten, die Demokratisierung und die politische Zusammenarbeit in Lateinamerika weiter zu stärken, haben sich erheblich verbessert, denn der Primat der Ökonomie hat sich durchgesetzt.
Viele der nicht selten durch Militärs belebten Grenzkonflikte verblassen Gott sei Dank. Das Wettrüsten gegeneinander wurde gedämpft. So betrugen die Verteidigungsausgaben 1990 in Lateinamerika 7,5 % der gesamten Ausgaben. Das ist wesentlich niedriger als in allen anderen Regionen der Welt.
Der Aufbau von Freihandelszonen, nicht selten als eine sogenannte neue Integration bezeichnet, ist ein weiteres Element dieser Übergangsphase. Die kleinen Länder Zentralamerikas und der Karibik beleben ihre steckengebliebenen Integrationsprozesse, und sie bemühen sich, ihre Beziehungen untereinander und mit ihren Nachbarländern zu entwickeln. Gleichzeitig versuchen sie, sich in die Nordamerikanische Regionalgruppe einzugliedern. Mexiko als Mitglied der NAFTA will eine Freihandelszone mit den anderen Ländern Zentralamerikas. Mercosur, eine ganz wichtige Einrichtung zwischen Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay, 1991 eta-
Otto Hauser
bliert, hat zwischenzeitlich das Außenhandelsvolumen mehrfach verdoppelt. Diese Entwicklung hält an. Bolivien genießt Beobachterstatus, Chile hat die anfangs reservierte Haltung aufgegeben. Für mich ist Mercosur nicht nur die Keimzelle einer südamerikanischen Freihandelszone, genauso wichtig ist auch, daß dort eine Ausschlußandrohung für Diktaturen vertraglich festgeschrieben ist.
Sie stabilisiert im Gegenzug den Demokratisierungsprozeß. Die Europäische Union will mit den Mercosur-Staaten bis zum Jahr 2001 eine transatlantische Freihandelszone schaffen. Erste Verhandlungen haben stattgefunden, und es wird weitergehen.
Unsere außenpolitischen Interessen müssen in allen Bereichen klar definiert werden, sei es in der Verwirklichung parlamentarischer Demokratien oder der Schaffung Sozialer Marktwirtschaft. Dies sind wir uns und unseren lateinamerikanischen Partnern schuldig. Nur auf der Basis klarer Aussagen lassen sich die bisherigen freundschaftlichen Beziehungen weiterentwickeln und vertiefen, und nur so können wir die lateinamerikanischen Staaten in ihrer schwierigen Übergangsphase unterstützen sowie für unsere politischen und wirtschaftlichen Ansichten werben. Das Lateinamerika-Konzept schafft dazu die notwendige Voraussetzung.
Es geht jetzt darum, daß dieses Konzept von allen Beteiligten mit Leben erfüllt wird. Unsere Aktivitäten und unsere Unterstützung für diese Staaten müssen, finde ich, wesentlich besser als bisher präsentiert werden. Wir müssen für unsere Ziele und Interessen auch werben, indem wir klarer als bisher herausstellen, was wir für die jeweilige Bevölkerung tun. Ich habe es vorhin gesagt: Von 1950 bis 1993 hat die Bundesrepublik Deutschland den Staaten Lateinamerikas 80 Milliarden DM an finanzieller und wirtschaftlicher Unterstützung zukommen lassen. Deswegen brauchen wir eine, wie ich meine, bessere Public-Relations-Arbeit, die unsere Bemühungen angemessen zeigt. Die Sorgen, unser Interesse an diesem Kontinent könnte nachlassen, würden damit ausgeräumt werden.
Meine Damen und Herren, nirgendwo besser als in Lateinamerika lassen sich die Wechselwirkungen zwischen Wirtschafts-, Umwelt- und Entwicklungspolitik darstellen. Als ein Beispiel führe ich nur unsere Unterstützung zum Erhalt des Regenwaldes an. Ein besserer Schutz des globalen Klimas und die Entwicklung zu einer nachhaltigen Wirtschaftspolitik sind die positiven Ergebnisse.
Unser Interesse im Bundestag zeigt auch die Größe der Deutsch-Lateinamerikanischen Parlamentariergruppe. Es gibt kaum eine andere Gruppe bei uns im Parlament, in der sich so viele Kolleginnen und Kollegen engagieren. Als ihr Vorsitzender habe ich viele gute Kontakte zu Parlamentariern aus den Staaten Lateinamerikas und zu den Regierungen. Ich weiß aus eigener Anschauung um die Herzlichkeit, mit der gerade wir Deutschen dort immer empfangen
werden. Aus diesem Grunde habe ich bei meinen Besuchen in den nationalen Parlamenten immer die Bildung bilateraler Parlamentariergruppen angeregt und auch verwirklicht.
So soll der Austausch von Meinungen und Erfahrungen vergrößert, der Geist der Demokratie dabei gestärkt werden, die Demokratie so verfestigt werden, daß Militärputsche in Lateinamerika endgültig der Vergangenheit angehören.
Man erwartet natürlich viel von uns. Wir werden ständig mit der Frage konfrontiert: Wo bleibt ihr Deutschen eigentlich? Die von uns vertretenen Prinzipien wie z. B. die Beachtung der Menschenrechte und der Vorrang des Individuums vor dem Staat haben in der Welt nicht überall Platz.
Unsere Aufgabe ist es, die Staaten Lateinamerikas von unserem Weg als dem insgesamt besseren zu überzeugen. Das heißt aber nicht, daß wir unsere Verhältnisse anderen einfach überstülpen dürfen. Das heißt auch nicht, daß mit dem moralisierenden Zeigefinger umhergelaufen werden darf. Zu einem partnerschaftlichen Verhältnis gehört Verständnis für andere Vorstellungen und andere Sitten.
Das Lateinamerika-Konzept zeigt umfassend, was von seiten der Politik geleistet werden muß. Der zweite große Akteur, die deutsche Wirtschaft, ist hier ebenso gefragt. Bislang hat die Bundesrepublik Deutschland traditionell eine starke Marktposition in Lateinamerika gehabt; insbesondere Großunternehmen waren dort tätig. Leider ist der Mittelstand unzureichend vertreten. Ich stelle fest, daß er zunehmend mehr die Chance verpaßt. An Privatisierungen, die in den letzten Jahren in diesen Staaten vorgenommen wurden, haben sich deutsche Firmen kaum beteiligt. Ich finde, daß wir uns dort in einem viel größeren Maße engagieren sollten als in der Vergangenheit;
denn nach Südostasien ist Lateinamerika der Kontinent, der zur Zeit die höchsten Wachstumszahlen auf dieser Welt schreibt. Abzuwarten heißt nur, die Chance anderen zu überlassen.
Deutsche Investitionen in Lateinamerika tragen auch dazu bei, die soziale Kluft, die Arm und Reich trennt, zu überwinden. Ich sehe in dieser Kluft nach wie vor eine Gefahr für die Fortentwicklung der Demokratisierung. Wir alle wissen, liebe Kolleginnen und Kollegen, wie anfällig Menschen in Not für linke und rechte totalitäre Systeme sind.
Wenn man die Entwicklung der guten Beziehungen zwischen Lateinamerika und Deutschland betrachtet, steht am Anfang vor allem ein Name: Alexander von Humboldt. Durch seine Reiseberichte
Otto Hauser
aus den Jahren 1799 bis 1804 wurde eine Entwicklung in Gang gesetzt, die als „zweite Entdeckung Lateinamerikas " bezeichnet wurde. Wir haben jetzt, an der Schwelle zum nächsten Jahrtausend, die Möglichkeit zur „dritten Entdeckung". Wir müssen sie in beiderseitigem Interesse, im Interesse der Menschen Lateinamerikas und auch im eigenen Interesse, nutzen.
Vielen Dank.
Ich erteile jetzt dem Kollegen Wolfgang Schmitt das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gleich drei Ministerien haben sich mit der Entwicklung eines Lateinamerika-Konzepts für die Bundesregierung beschäftigt. Ich muß sagen: Es war richtig, daß die Bundesregierung dieses Thema aufgenommen hat. Ob es aber problemadäquat behandelt wird, bezweifle ich.
Ich glaube, Herr Bundesaußenminister, mit Ihrem vorgelegten Konzept haben Sie eine große Chance vergeben. Dieses Papier trägt eher den Charakter einer landeskundlichen Proseminararbeit als den eines außenpolitischen Konzeptes.
Oberflächliche Allgemeinplätze, die zumindest auf eine Beschäftigung mit der einschlägigen Tagespresse schließen lassen, wechseln sich mit offenbar willkürlich ausgewählten Details ab. Ich werde nachher versuchen, das noch einmal an einem Beispiel zu illustrieren.
Herr Bundesaußenminister, dieses Lateinamerika-Konzept ist kein Konzept, es ist ein Konzeptle. Auch in diesem Zusammenhang verstärkt sich mein Eindruck, Herr Kinkel, daß Ihre Behörde tatsächlich zu einer reinen Verwaltungseinheit verkommen ist und daß die eigentliche Außenpolitik dieser Bundesregierung ganz woanders formuliert wird.
Der außenpolitische, außenwirtschaftliche und entwicklungspolitische Erkenntnisgewinn dieses Papiers ist außerordentlich dürftig. Wie auch anders - werden doch vollkommen unterschiedliche Staaten leider unter einem Grobraster vereinigt. Deshalb sind notwendigerweise die zu ziehenden Schlußfolgerungen sehr oberflächlich.
Im übrigen vermisse ich eine kritische Bestandsaufnahme der Außenwirtschaftspolitik der Bundesregierung in den letzten 20 Jahren; denn ich glaube, daß dort Irrtümer begangen worden sind. Es waren schließlich politische Kräfte aus Deutschland, die als Reaktion - ich sage das hier ganz deutlich - auf die verfehlte staatsfixierte Wirtschaftspolitik der 70er Jahre mit einer ebenso verfehlten vulgär-liberalen, rein marktorientierten Wirtschaftskonzeption in den 80er Jahren geantwortet haben.
Wir wissen heute alle, daß die Diskussion in Süd- und Mittelamerika von einem „verlorenen Jahrzehnt" spricht. Man hat versucht, den Teufel mit Beelzebub auszutreiben, und mit den sozialen Folgen dieser Strukturanpassungsprogramme hat eine ganze Reihe von Staaten Süd- und Mittelamerikas trotz der erkennbaren bescheidenen wirtschafts-und auch sozialpolitischen Erfolge noch heute zu kämpfen. Das sollte man hier selbstkritisch erwähnen.
Meine Damen und Herren, die jüngste Mexikokrise hat nach meiner Auffassung belegt, daß es nach wie vor große Ungewißheiten in bezug auf die wirtschaftspolitische Zukunft dieses Kontinents gibt. Der Internationale Währungsfonds hat bis zu 50 Milliarden US-Dollar bereitgestellt, um Mexiko aus dieser Krise herauszuhelfen. Aber es ist längst nicht ausgemacht, daß nicht möglicherweise andere Staaten ebenfalls in eine ähnliche Schieflage geraten, und es ist außerordentlich fraglich, ob die internationale Gemeinschaft in jedem Fall und immer wieder in der Lage sein wird, eine solch immense Summe aufzubringen.
Die Probleme der multilateralen und auch der bilateralen Verschuldung sind nach wie vor vorhanden. Der brasilianische Präsident Cardoso, der diese Woche zu Gast hier in Deutschland war, hat selbst noch einmal darauf hingewiesen. Die Gesamtverschuldung des Kontinents ist nach wie vor sehr hoch; sie beträgt 546 Milliarden US-Dollar.
Ich glaube, die Bundesregierung unterschätzt die Dimension des Schuldenproblems, wenn sie uns weismachen möchte, daß mit entsprechenden Vereinbarungen beim Pariser Club und beim Londoner Club die Probleme in den Griff zu bekommen seien.
Man muß sich nur einmal mit der Situation des kleinen Staates Nicaragua beschäftigen und wird erkennen, daß sehr viele Länder nach wie vor in der Schulden- und Zinsfalle stecken und daß, leider Gottes, die Ärmsten der Gesellschaft und auch die Natur den Preis zu zahlen haben, den die verfehlte Politik der Banken und auch der Geberstaaten verursacht hat.
Hinzu kommen die privaten Bankschulden in Höhe von 270 Milliarden Dollar, die wegen der variablen Zinssätze nach wie vor ein gewisses Sprengpotential aufweisen. Herr Kinkel, Sie haben in Ihrer Rede gesagt, wir hätten die Schuldenfrage im Griff.
Wolfgang Schmitt
Ich glaube, wir haben sie zur Zeit im Griff, aber wir sollten auf jeden Fall auf weitere Überraschungen gefaßt sein und uns entsprechend darauf vorbereiten.
Meine Damen und Herren, die Entwicklung von Armut und Arbeitslosigkeit weist immer noch bedenkliche Zahlen auf. Es wird zwar davon gesprochen, daß es einen vorsichtigen Aufschwung und Zeichen der Besserung gibt. In einigen Staaten sind die entsprechenden Zahlen aber immer noch besorgniserregend hoch, beispielsweise in Argentinien. Dort beträgt die Arbeitslosenrate 20 %, die Jugendarbeitslosenrate 30 %. Bei dem demographischen Aufbau sehr vieler Staaten - einem hohen Anteil junger Bevölkerung - kann dies ein sozialer Sprengstoff sein.
Die Entwicklungspolitik der Bundesregierung, die Entwicklungszusammenarbeit muß sich insbesondere der Frage der Schaffung von Arbeitsplätzen und der Ausbildung zuwenden. Dabei möchte ich eine Anmerkung machen:
Zu Recht ist man hierzulande stolz auf das sogenannte duale Ausbildungssystem. Ich möchte aber davor warnen, dieses Ausbildungssystem sozusagen im Maßstab 1 : 1 in die Staaten Lateinamerikas exportieren zu wollen. Es mag ja sein, daß auf der staatlichen Seite entsprechende Einrichtungen geschaffen werden können; aber ob die jeweilige Wirtschaft in diesen Staaten, die Unternehmerschaft, eine ähnliche Kultur und Philosophie aufweist, wie es in Deutschland der Fall ist - Stichwort Industrie- und Handelskammern - und auch die Verantwortungsbereitschaft hat, das möchte ich zumindest bezweifeln.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Pinger?
Herr Kollege Schmitt, indem ich Ihre Feststellung unterstreiche, daß sich die Entwicklungspolitik vor allen Dingen den 30 % jugendlichen Arbeitslosen zuwenden muß, und im Hinblick auf Ihre kritischen Bemerkungen zum dualen System frage ich Sie: Glauben Sie denn, daß ein staatliches System der Berufsausbildung flächendeckend und in der entsprechenden Dimension in der Lage wäre, das Problem zu lösen? Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß dies ohne das Engagement einer Vielzahl von Unternehmen nicht zu machen ist?
Ich teile Ihre Auffassung, daß ein rein staatliches Ausbildungssystem, zumal wenn man es zur Grundlage auch der gesamten Berufsausbildung in einem Staat macht, nicht die Probleme löst und daß wir im Dialog mit unseren Partnern in Südamerika dazu kommen müssen, die Privatwirtschaft auch vor Ort in die Verantwortung zu nehmen. Ich möchte nur davor warnen, allzu illusionär - und das war mein Punkt - unser duales Ausbildungssystem auf die Situation in den Entwicklungsländern übertragen
zu wollen, weil es vielfach an einer mittelständischen Unternehmerschaft fehlt. Sie wissen selbst, daß genau dieser Mittelstand das Rückgrat des bundesdeutschen dualen Ausbildungssystems bildet. Deswegen wird es möglicherweise übergangsweise nötig sein, daß sich die Staaten in einem stärkeren Maße auch in der Berufsausbildung engagieren, als es in der Bundesrepublik Deutschland der Fall ist. Vom Grundsatz her gebe ich Ihnen aber absolut recht.
Meine Damen und Herren, die Frage der Reichtumsverteilung stellt ein weiteres Entwicklungshemmnis dar. Die Vereinten Nationen haben neulich eine Statistik veröffentlicht. Ich halte es für äußerst besorgniserregend, daß die Kluft zwischen Arm und Reich in Brasilien nur von der im afrikanischen Staat Botsuana übertroffen wird. Wenn wir über neue Märkte, über neue Chancen für die deutsche Wirtschaft sprechen, dann müssen wir natürlich auch die Konsumentenseite im Auge behalten. Es ist nach wie vor fraglich, inwieweit die von Ihnen apostrophierten Hoffnungen auf ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum in Süd- und Mittelamerika zu realisieren sind, wenn es den dortigen Regierungen nicht endlich gelingt, die nach wie vor dramatische Kluft zwischen Arm und Reich in den betroffenen Staaten mit unserer Unterstützung zu verringern. Wenn uns das nicht gelingt, glaube ich, sind alle anderen optimistischen Hoffnungen auf Wirtschaftswachstum, ja sogar auf einen etwas umweltverträglicheren Kurs der Wirtschaft vergebens, weil die Armutsfrage alle anderen Fragen überlagert. Ihr kommt tatsächlich der zentrale Stellenwert in einer Außen-, Wirtschafts- und Entwicklungspolitik zwischen Deutschland und Südamerika zu, die diesen Namen verdient.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung empfiehlt in diesem Konzept, daß den sozialen Problemen mit dem vorsichtigen Aufbau wohlfahrtsstaatlicher Strukturen in den Ländern Süd- und Mittelamerikas zu begegnen ist. Ich würde einen Schritt weitergehen. Wir müssen unsere Partner in diesen Ländern zunächst einmal in die Lage versetzen, entsprechende Einnahmen zu erzielen. Der Hinweis auf wohlfahrtsstaatliche Strukturen, so rudimentär sie auch sein mögen, ist so lange nicht einzulösen, solange diese Staaten - da schließt sich der Kreis zur Schuldenfrage wieder - finanziell nicht in der Lage sind, ihren Verpflichtungen gegenüber der Bevölkerung nachzukommen und den entsprechenden finanziellen Beitrag der in diesen Ländern herrschenden wirtschaftlichen und politischen Eliten einzufordern.
Ich will damit auf die Frage der Entwicklung gerechter Steuersysteme in diesen Ländern hinweisen.
Wolfgang Schmitt
Es ist ja keineswegs so, daß ein Staat wie Brasilien arm ist. Es ist nur so, daß ein großer Teil der Bevölkerung verarmt ist, während ein sehr viel kleinerer Teil durchaus über das finanzielle Vermögen verfügt, einen größeren Beitrag zum Wohlstand dieses Landes zu leisten. Deswegen der Hinweis auf den Aufbau gerechter und effizienter Steuersysteme, der es diesen Ländern ermöglicht, nicht als Nehmer ständig hier an unsere Türe klopfen zu müssen, sondern dort, wo das Geld im eigenen Lande liegt, die entsprechenden Einnahmen zu erzielen.
Die Bundesregierung empfiehlt im übrigen Wirtschaftswachstum als Rezept gegen die von mir skizzierten Miseren. Gestatten Sie mir dazu noch eine Bemerkung: Ich glaube, der unkritische Hinweis auf das Wirtschaftswachstum ist heute nicht mehr zeitgemäß. Ich hätte mir erhofft, daß im Südamerika-Konzept der Bundesregierung der Problematik und dem Spannungsfeld zwischen Ökologie und Ökonomie, zumal die spektakulärsten entwicklungspolitischen Projekte mit negativen Umweltfolgen in Südamerika zu finden sind, ein weitaus höherer Stellenwert eingeräumt worden wäre, denn dann hätte daraus vielleicht ein wirklich rundes Konzept werden können, das den Beifall aller Fraktionen gefunden hätte. So kann ich Sie nur bitten: Ziehen Sie dieses Konzept zurück, überarbeiten Sie es noch einmal, und bringen Sie es in den Zustand, daß alle Fraktionen dieses Hauses ihm zustimmen und es tragen können!
Danke schön.
Als nächster spricht der Kollege Roland Kohn.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich möchte namens der F.D.P.-Fraktion der Bundesregierung und hier natürlich insbesondere dem Bundesaußenminister, aber in gleicher Weise auch Herrn Rexrodt und Herrn Spranger für die Erarbeitung des Lateinamerika-Konzepts danken. Wir Liberalen begrüßen dieses Konzept ausdrücklich.
Es trägt der Tatsache Rechnung, daß Lateinamerika trotz aller Probleme heute zu den politisch stabilen, demokratisch und marktwirtschaftlich orientierten dynamischen Wachstumsregionen dieser Welt gehört.
Wir wissen: Die Staaten Lateinamerikas und der Karibik haben eine je eigene Geschichte, eine eigene Tradition, eine eigene Identität. Deshalb wäre es falsch, diesen großen Kontinent mit seinen 450 Millionen Menschen undifferenziert, nur als Gesamtheit zu sehen.
Wir Deutschen betrachten die Staaten Lateinamerikas und der Karibik als wichtige Partner im internationalen Kräftefeld, mit denen wir auf der Grundlage traditioneller Freundschaft und Gleichberechtigung noch intensiver zusammenarbeiten wollen.
Dieser Wunsch nach Zusammenarbeit gründet aber nicht nur auf ökonomischen Überlegungen. Lateinamerika und Europa sind durch mehr als durch wirtschaftliche Interessen verbunden. Sie sind verbunden durch gemeinsame Wertvorstellungen und durch kulturelle Prägungen. Deshalb ist für uns die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit Lateinamerika nicht bloß eine Sache des Kopfes, sondern auch des Herzens.
Ich möchte den Ländern Lateinamerikas und der Karibik zunächst meinen Respekt dafür bekunden, daß sie konsequent den Weg der Demokratisierung und der marktwirtschaftlichen Umorientierung beschreiten. Wir wissen aus der Erfahrung in unserem eigenen Lande, wie schwierig es ist, mit den Traumata der Vergangenheit umzugehen, wie schwierig es ist, staatlich gesteuerte Wirtschaften in leistungsfähige, marktorientierte Volkswirtschaften umzuwandeln.
Die Entwicklung in Lateinamerika macht aber deutlich, daß die Verbesserung der inneren Rahmenbedingungen, nämlich Demokratie und Partizipation, Achtung der Menschenrechte, Minderheitenschutz, Rechtsstaat und Soziale Marktwirtschaft sowie der Mut zu tiefgreifenden Strukturreformen, wesentliche Voraussetzung für eine bessere Zukunft ist. Nur wenn diese Voraussetzungen stimmen, besteht die Chance für eine politische und wirtschaftliche Stabilität.
Lateinamerika erwirtschaftet heute ein Bruttsozialprodukt von über 1 Billion US-Dollar und hatte im letzten Jahr - darauf hat der Bundesaußenminister schon hingewiesen - mit über 4 % eine höhere Wachstumsrate als die Industrieländer zu verzeichnen. Gleichwohl dürfen wir nicht die Augen vor der Tatsache verschließen, daß es in Lateinamerika nach wie vor eine tiefe Kluft zwischen Arm und Reich gibt. Nach unserer Überzeugung ist die Fortsetzung des Weges zu einer marktorientierten und sozialen Wirtschaftsordnung sowie die Einbettung in das internationale System des freien Welthandels der Schlüssel zur Lösung der Probleme. Nur so kann es gelingen, in den kommenden Jahren eine schrittweise Verbesserung der Lage breiter Schichten zu erreichen.
Diesen Kampf gegen Arbeitslosigkeit, gegen Armut und gegen soziale Ungerechtigkeit müssen wir unterstützen.
Wir können ihn durch weitere Schuldenerleichterungen bei einigen Ländern unterstützen. Wir können
ihn durch Überwindung weltweiter protektionisti-
Roland Kohn
scher Tendenzen unterstützen, die es leider auch in der Europäischen Union gibt. Die Bananenmarktordnung ist da nur ein besonders absurdes Beispiel, wie ich meine, fast wie aus dem Tollhaus.
Wichtig ist und bleibt für uns Liberale die Entwicklungszusammenarbeit, die auf Eigenverantwortung und Selbsthilfe setzt. Wir unterstützen die Bemühungen zur Förderung der allgemeinen Grundbildung und eines modernen, praxisbezogenen Berufsbildungswesens in Lateinamerika. Vor allem wegen des hohen Anteils Jugendlicher an der Gesamtbevölkerung kommt der Bildungspolitik eine besondere Bedeutung zu.
Wir unterstützen Maßnahmen zum Aufbau und zur Verbesserung der Infrastruktur im Verkehrsbereich, zur Wasserversorgung, zur Existenzgründung, zur Beratung kleiner und mittlerer Unternehmen, zum Ausbau leistungsfähiger, selbsttragender Finanzsysteme usw.
Uns ist natürlich auch bewußt, daß es in Lateinamerika nach wie vor gravierende Umweltprobleme gibt. Es liegt in unserem gemeinsamen Interesse, der Zerstörung der Ökosysteme, insbesondere der Tropenwälder mit ihren verheerenden Auswirkungen auf das globale Klima und die Artenvielfalt, Einhalt zu gebieten.
Wir treten daher ganz entschieden dafür ein, daß dem Umweltschutz in der Zusammenarbeit mit Lateinamerika weiterhin hohe Priorität eingeräumt wird.
Fast noch wichtiger als Entwicklungszusammenarbeit ist das Engagement privater Unternehmen, ist die Attraktivität für privates Kapital. Daß Deutschland wichtigster europäischer Investor in Lateinamerika ist, zugleich wichtigster Handelspartner nach USA und Japan, zeigt, daß die Richtung stimmt. Ich möchte ausdrücklich die deutsche Wirtschaft ermutigen, sich noch stärker auf diesem Wachstumsmarkt zu engagieren.
Schließlich möchte ich die Regierungen der Staaten Lateinamerikas darin bestärken, die Militärausgaben weiter zurückzufahren. Und ich möchte sie darin bestärken, den Weg zu gemeinsamen Märkten, wie z. B. Mercosur, zu regionaler Zusammenarbeit und Integration zu gehen. Beides ist unerläßlich für eine nachhaltig positive Entwicklung.
Lassen Sie mich zum Schluß sagen, meine Damen und Herren: Das Lateinamerika-Konzept der Bundesregierung ist nach unserer Einschätzung der Beginn einer neuen Ära intensiver partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit diesem Kontinent. Aber dies ist nicht nur eine Herausforderung für die Politik; denn Lateinamerika ist wirtschaftlich, politisch und wissenschaftlich von wachsender Bedeutung. Daher müssen sich alle Verantwortlichen in Deutschland noch engagierter unseren Freunden in Lateinamerika zuwenden.
Der große Romancier Carlos Fuentes hat in seinem Jahrhundertepos „Terra nostra" das Ziel beschrieben:
Die Freiheit war die Grenzlinie, die der erste Mensch betrat. Paradies war der Name der Freiheit. Wir haben sie Stück für Stück verspielt. Wir werden sie Stück für Stück zurückgewinnen.
Vielen Dank.
Als nächster der Kollege Dr. Winfried Wolf.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung vermeidet bei ihrem LateinamerikaKonzept angestrengt und peinlich, die USA zu erwähnen. Die NAFTA wird nur gestreift.
Zwischen den Zeilen ist dies eine deutliche Sprache. Dieses Konzept ist die Verbrämung einer Exportoffensive. Es geht u. a. um die Konkurrenz mit den USA. Es geht um die Eroberung neuer Märkte und die Rückeroberung alter Märkte.
Diese Exportoffensive wird in den Worten der Bundesregierung u. a. damit begründet, daß Lateinamerika „nicht zuletzt menschlich eine wichtige Partnerregion" sei. Deutschland genieße dort, „auch begründet durch die Leistungen, die seit Jahrhunderten deutsche Auswanderer ... erbracht haben, Ansehen und Vertrauen".
Genehmigen wir uns zur Prüfung dieser Aussagen eine kurze Reise von Nord nach Süd mit drei Zwischenstationen in Mexiko, Chile und Brasilien. Im Gegensatz zu den gestrigen Beschlüssen kostet diese Dienstreise die Steuerzahlenden nichts.
Mexiko. Einige erinnern sich an den in Ost- und Westdeutschland gern gelesenen Autor B. Traven. In dessen Roman „Die Rebellion der Gehenkten" kommt der Tsotsil-Indianer Candido Castro wie folgt zu Wort:
Nach Soconusco gehe ich nicht. Da sind die Alemanes. Die haben alle Cafetales. Und die sind grausamer als die Bestien des Dschungels und behandeln einen Indianer, als wäre er ein Hund.
Sicher, das ist einige Jahrzehnte her.
Wie sieht es heute in der Region Soconusco, der südlichsten, an Guatemala angrenzenden Provinz des mexikanischen Bundesstaates Chiapas aus? In dieser Region gehören heute noch 16 000 Hektar besten Kaffeeanbaugebietes deutschstämmigen Familien. Auf den Plantagen mit Namen wie „Hamburgo", „Bremen", „Hannover", „Prussia" arbeiten rund 20 000 Angehörige der Tsotsil und die Tzetal-Indios. Die Saisonarbeiter erhalten gerade mal den
Dr. Winfried Wolf
Mindestlohn von umgerechnet 4,20 DM am Tag - bei zehn bis zwölf Stunden harter Arbeit. Inzwischen ist dieses Gebiet Teil des indianischen Aufstandsgebietes.
Bischof Ruiz, vorgeschlagen für den Friedensnobelpreis und bekanntgeworden durch seine Vermittlungsbemühungen zwischen der mexikanischen Regierung und der zapatistischen Befreiungsfront, äußerte dazu: „Kaffee aus Chiapas, das ist indianisches Blut. "
Ich darf Sie zu einem zweiten - ungemütlichen - Aufenthalt auf unserer Dienstreise einladen: nach Chile, Colonia Dignidad. Ich habe in der vorausgegangenen Nacht mit Entsetzen die 163 Seiten des Stenographischen Protokolls der 10. Sitzung des Unterausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe des Auswärtigen Ausschusses vom 22. Februar 1988 gelesen, 712 - UA 2 - 2451.
- Sie waren dabei, ich weiß, Herr Duve.
Das Ergebnis ist eindeutig - inzwischen auch durch Buchveröffentlichung detailliert belegt -: Bei dieser seit den 60er Jahren bestehenden deutschen Kolonie handelt es sich um ein Lager mit - ich zitiere Sie, Herr Duve, Seite 152 - „KZ-ähnlichen Zügen", durchwoben mit koninuierlichem sexuellen Mißbrauch, die deren Leiter, der Sektenchef Paul Schäfer, mit den ihm anvertrauten jungen Männern praktizierte.
Diese Kolonie diente auch als Folterort während der Diktatur von Pinochet, die bekanntlich von dem Generalsekretär der CDU, Herrn Bruno Heck, im Jahre 1973 vor Ort positiv bewertet wurde. Der Geheimdienstchef der chilenischen Regierung und Pinochet waren gerngesehene Gäste auf der Colonia Dignidad.
Die Colonia Dignidad verfügte bis in die 80er Jahre über engste Beziehungen zum Auswärtigen Amt, zur deutschen Botschaft in Santiago de Chile und zur CSU. Ausnahmsweise waren sich hier Herr Geißler und Herr Duve einig, die beide meinten: Colonia Dignidad, ein Fall für die Staatsanwaltschaft. Herr Genscher - er war gerade noch hier - hat sie zur Chefsache erklärt.
Bis heute findet die Colonia Dignidad zumindest teilweise dubiose Unterstützung aus der Bundesrepublik Deutschland. Es erfolgen weiterhin Rentenzahlungen in die Colonia,
obgleich davon ausgegangen werden kann, daß die Personen, für die bezahlt wird, entweder nicht mehr leben oder dort in völliger Abhängigkeit dahinvegetieren.
- Melden Sie Zwischenfragen bitte an!
Dritter und letzter Aufenthalt unserer kurzen Lateinamerika-Dienstreise: Rio de Janeiro, Brasilien.
- Sie können viel besser oberlehrerhaft daherreden.
Wir entnehmen dem Lateinamerika-Konzept der Bundesregierung, daß deutsche Investitionen in Lateinamerika gefördert werden sollen. Nun will der Volkswagenkonzern bis zum Jahr 2000 rund 2,5 Milliarden Dollar in die Pkw-Produktion in Brasilien investieren. Daimler Benz will nachziehen. Ein großer Teil dieser zusätzlichen Produktion soll in den Export, auch in den nach Europa, gehen.
In einem Gespräch, das ich im Juni mit dem damaligen Führer der Partei der Arbeit Brasiliens, PT, Inacio da Silva Lula, führen konnte, sagte dieser, daß die realen Löhne der Industriearbeiter inzwischen um 40 % unter dem Niveau von vor einem Jahrzehnt liegen und daß sich der Verelendungsprozeß unter Cardoso fortsetzt.
Drei Fragen in diesem Zusammenhang an die Bundesregierung:
Kann es nicht sein, daß die Förderung von solchen Auslandsinvestitionen dort unter den gegebenen Bedingungen heißt, den Abbau von Arbeitsplätzen in Wolfsburg, Untertürkheim und Mannheim zu fördern, indem die extreme Einkommensdrift erpresserisch genutzt wird?
Kann es nicht sein, daß diese Politik auch den Menschen in Brasilien wenig bringt, weil VW dort selber daran beteiligt ist, die Reallöhne systematisch zu senken, und u. a. mit Polizei bei den letzten Streiks gegen die Arbeiter vorgegangen ist?
Kann es nicht sein, daß in dem Lateinamerika-Geprächskreis, den die Bundesregierung eingerichtet hat, die deutschen und brasilianischen Gewerkschaften, DGB und CUT, just aus dem Grund fehlen, weil sich diese Exportoffensive auch gegen die deutschen und brasilianischen Beschäftigten richtet?
Herr Dr. Wolf, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Karsten Voigt?
Wie immer, selbstverständlich.
Herr Kollege, ich stimme mit Ihnen überein,
daß es schlimm ist, wenn der Kapitalismus bestimmte Länder in Lateinamerika ausbeuten will. Aber stimmen Sie auch mit mir überein, daß die Länder in der Dritten Welt noch viel schlechter dran sind, in denen
Karsten D. Voigt
der Kapitalismus nicht einmal mehr an der Ausbeutung interessiert ist?
Darauf muß man sicherlich differenziert antworten. Ich würde sagen, daß die These, Kollege Karsten Voigt, daß es heute Länder gibt, bei denen der Kapitalismus nicht mehr an der Ausbeutung interessiert ist, falsch ist. Es gibt Regionen, die kaum mehr Berücksichtigung finden. Aber auch in diesen Regionen gibt es in der Regel noch Rohstoffe, die weiterhin ausgebeutet werden. Ich erinnere an Nigeria, an den Krieg, den dort die Company Shell führt. Ich erinnere daran, daß weiterhin Kakao-, Tee- und Kaffeeimporte aus den ärmsten Regionen der Welt stammen. Insofern glaube ich nicht, daß diese These so aufrechterhalten werden kann.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Laschet?
Ja.
Herr Kollege Wolf, wären Sie, wenn Sie über Ausbeutung sprechen, auch bereit, die Ausbeutung des Landes Nicaragua - das eines der am höchsten verschuldeten Länder in Mittelamerika ist - durch die frühere DDR mit Waffenlieferungen an die Sandinisten in gleicher Weise zu brandmarken, und würden Sie vielleicht auch etwas zur Ausbeutung Kubas durch die frühere Sowjetunion, was Rohstoffe angeht, sagen?
Ich glaube, wie Herr Duve gerade - ich hoffe, das Protokoll hat es notiert - richtig formuliert hat, es gab aus strategischen Gründen, die man kritisch bewerten kann, Unterstützung. Von Ausbeutung kann man kaum reden, wenn massenhaft Geld in ein Land gepumpt wurde. Ich stelle fest, lieber Kollege Laschet - wir werden demnächst wohl in Chiapas zusammen sein -, daß im Jahre 1979 in Nicaragua eine Regierung an die Macht kam, die von der UNO und von Dutzenden von Ländern anerkannt wurde, daß gegen diese Regierung ein Kontrakrieg geführt wurde - finanziert auch aus den USA -, daß der Haager Gerichtshof diese Kriegsführung verurteilt hat und daß auf Grund dieses langandauernden Krieges dieses Land ausgeblutet ist. Deshalb konnte die neue Regierung an die Macht kommen.
- Ja, das mit Castro habe ich vergessen. Das lasse ich jetzt so stehen; ich möchte keine Zeit verlieren. Das nächste Mal! Ich bin kein Castro-Freund, das ist Blödsinn.
Verlassen wir zum Schluß die rein wertmäßige Seite der Exportoffensive, die uns als LateinamerikaKonzept verkauft wird. Es stellt sich die Frage: Was für eine Art Entwicklungsmodell wird denn nach Lateinamerika exportiert? Kaum jemand hat hierauf überzeugender geantwortet als der uruguayische Schriftsteller und Ökonom Eduardo Galeano. Er stellte jüngst fest:
Die Großstädte im Süden des Planeten gleichen den Großstädten des Nordens, jedoch wie in einem Zerrspiegel betrachtet. Die nachäffende Modernisierung multipliziert nur die Mängel des Modells .. .
In Brasilien fabrizieren Volkswagen und Ford Autos ohne Katalysatoren, um sie in Brasilien und in den anderen Ländern der Dritten Welt zu verkaufen. Dagegen produzieren dieselben brasilianischen Filialen von Volkswagen und Ford Autos mit Katalysatoren, um sie in der Ersten Welt zu verkaufen.
'Argentinien produziert bleifreies Benzin für den Export. Für den Binnenmarkt hingegen produziert es dagegen bleivergiftetes Benzin. In ganz Lateinamerika besitzen die Autos die Freiheit, Blei durch den Auspuff auszuspucken. Aus Sicht dieser Autos
- und der Konzerne -
erhöht das Blei die Oktanzahl und steigert somit die Gewinnmarge. Aus Sicht der Menschen schadet das Blei dem Gehirn und dem Nervensystem. Die Autos, die Besitzer unserer Städte, hören aber nicht auf die menschlichen Eindringlinge.
Meine Damen und Herren, wir haben zu diesem Punkt einen Antrag vorgelegt, der für sich selbst spricht. Wir fordern eine grundsätzliche Wende dieser Art Wirtschaftspolitik gegenüber dem Süden, die nur eine Verlängerung kolonialer Politik darstellt.
Wir haben hierfür ein exemplarisches Produkt Lateinamerikas ausgesucht: Kaffee. Wir haben nachgewiesen, daß Herr Waigel allein durch die Kaffeesteuer mit 2,5 Milliarden DM ein Drittel dessen einnimmt, was wir an Entwicklungshilfe gewähren.
Wir fordern, daß diese Gelder in den Süden, an die Plantagenarbeiterinnen und -arbeiter transferiert werden. Wir befinden uns mit unserem Antrag in Einklang mit den alternativen und kirchlichen Gruppen, die wie GEPA oder ROJITO eine Kaffeekampagne durchführen und für faire Weltmarktpreise eintreten. Allein deshalb müßten Abgeordnete aus den anderen Fraktionen diesem sehr unideologischen und praktischen Antrag zustimmen.
Danke schön.
Bevor ich dem Kollegen Duve das Wort zu einer Kurzintervention gebe, möchte ich noch einmal darauf aufmerksam machen: Wir haben gestern eine Änderung der Geschäftsordnung vorgenommen. Diese Änderung ist gestern in Kraft getreten. Sie beinhaltet, daß Kurzinterventionen unmittelbar nach dem Redner, auf den man antworten möchte, erfolgen, d. h. nicht mehr am Ende der ersten Runde. Daß sie bis zu drei Minuten ausgedehnt werden, dient dem Ziel einer lebhafteren Debatte.
Herr Kollege Duve.
Es ist natürlich wunderbar, wenn man einmal im Leben selbst die Premiere sein kann. Das ist etwas ganz Seltenes.
Mich hat zunächst der Kollege Hornung - ich glaube, er ist jetzt nicht mehr da - dazu angeregt, mich zu einer Kurzintervention zu melden. Ihm ist eine Zwischenbemerkung herausgerutscht, die so nicht stehenbleiben darf. Darin sollten wir uns alle einig sein.
Er hat bei der Aufzählung der deutschen Unternehmen in Sao Paulo so locker vom Bundestagshokker gesagt: Da wollen die Leute noch arbeiten. Dieses kann und darf niemals die Philosophie deutscher Unternehmen in Lateinamerika sein. Es darf niemals die Philosophie von Abgeordneten des Deutschen Bundestages sein.
Es handelt sich um ungeheure soziale Probleme; sie sind erwähnt worden. Auch sie haben etwas mit den Investitionen zu tun.
Wir haben eine Massenflucht der Väter in den Großstädten, die zu ungeheuren Problemen für die Kinder führt; Frauen mit Kindern werden allein gelassen; es gibt Kinderarbeit in Sao Paulo und in Rio. Wir haben eine neue, große und in einzelnen Fällen auch großartige Verantwortlichkeit und ein Verantwortungsbewußtsein der jüngeren deutschen Unternehmer, die sich aus ganz anderen Gründen dort sehr engagieren und versuchen, Beispiel auch für andere Unternehmen zu sein, etwa für brasilianische. Es ist ja von der niedrigen Steuer der Reichen und Kapitalflucht gesprochen worden. Man hätte noch erwähnen müssen, wieviel brasilianisches Geld ganz woanders ist. Das zurückzuholen wäre eine Aufgabe.
Ich bitte sehr darum, in dieser Frage einig zu sein; denn es gab Zeiten - auch das ist erwähnt worden -, in denen deutsche Unternehmen ihrem Auftrag, auch die deutsche Demokratie mit zu repräsentieren, in einigen Ländern nicht gerecht geworden sind.
Ich komme jetzt zu der zweiten Bemerkung. Die großen demokratischen Präsidenten Chiles nach der Diktatur haben Chile die Würde, die „dignidad", wiedergegeben. Man kann an die Colonia Dignidad auch heute noch einmal erinnern. Ich möchte aber feststellen: Wir haben es jetzt wirklich mit einem
ganz anderen Land zu tun. Dies haben wir den demokratischen Parteien zu verdanken;
das haben wir auch unserer Begleitung dieses parlamentarischen Prozesses zu verdanken. Einige unserer Kollegen waren bei sehr mühseligen, manchmal auch geheimen Vorbesprechungen in Chile zugegen, um das vorzubereiten.
Eine letzte Bemerkung, Herr Bundesaußenminister. Kollege Hauser hat Kuba erwähnt. Auch ich finde es bedauerlich, daß in dem Konzept und in Ihrer Rede heute Worte bezüglich eines eigenen europäischen Umgangs mit der schwierig gewordenen Lage Kubas, mit den inneren Reformbemühungen, mit der Angst der USA vor Auswanderung und mit der Angst aller Kenner vor einer Situation der Gewalt gefehlt haben.
Sie haben ebenfalls nichts dazu gesagt, daß gestern der amerikanische Kongreß mit Zweidrittelmehrheit eine unverständliche und von uns abzulehnende Grundsatzentscheidung beschlossen hat, die sich gegen eine Lockerung der Sanktionen richtet.
Dort wird eine harte, populistische Sprache geführt. Gleichzeitig haben die britische Regierung und der britische Wissenschaftsminister erklärt: Wir können auf den Beginn der Reformen in Kuba hoffen. Das zeigt ja, daß Europa hier eine andere Sprache spricht und sprechen sollte als die USA, die sich in dieser Beziehung immer noch im Denkgefängnis ihrer eigenen Geschichte mit Kuba befinden.
Wir als Europäer müssen sagen: Aus diesem selbstgemachten, historischen Denkgefängnis müssen die Vereinigten Staaten heraus; Kuba sollte kein Gegenstand von Wahldiskussionen in den USA sein. Vielmehr hat Amerika hier eine große Aufgabe.
Herr Duve, kommen Sie zum Schluß?
Ich bin am Ende. Ich danke für die Möglichkeit der Premiere.
Auf Ihre Kurzintervention möchte Herr Dr. Wolf antworten.
Ich habe nicht von der chilenischen Regierung in Santiago de Chile gesprochen. Ich bin der gleichen Meinung wie der Kollege Duve, daß diese Regierung meilenweit von der Diktatur von Pinochet entfernt ist, obwohl die damals folternden Militärs weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Ich bin auf die Colonia Dignidad eingegangen.
Dr. Winfried Wolf
Ich habe gesagt, daß interessanterweise bis vor kurzem von der Rentenversicherungsanstalt in Berlin Zahlungen an diese Colonia Dignidad geflossen sind, daß sich der Grundcharakter dieser Colonia meiner Meinung nach nicht geändert hat.
Ich habe an die schreckliche Tradition, in der die CDU/CSU mit dem Pinochet-Regime steht, erinnert.
Ich habe daran erinnert, daß damals Herr Bruno Heck, Generalsekretär der CDU, in Chile war und nach dem Putsch gesagt hat, daß das Stadion von Santiago de Chile doch ein angenehmer Ort sei. Es war damals das Gefangenenlager für Tausende aus der Zeit der demokratisch gewählten Regierung von Allende.
Ich sehe keine weiteren Wünsche für Kurzinterventionen.
Ich erteile jetzt das Wort dem Bundesminister CarlDieter Spranger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lateinamerika ist im Aufbruch. Dies zeigen die Wachstumsraten der letzten Jahre, die ja nur noch von Südostasien übertroffen werden. Ich kann dem Bundesaußenminister hier nur voll und ganz zustimmen.
Es wäre allerdings auch zu früh, bereits die Überwindung der 80er Jahre zu feiern. Verschuldung, verkrustete Wirtschaftsstrukturen und die Armut breiter Massen sind für Lateinamerika nach wie vor eine schwere Last. Dies ist ein gewisses Risiko für die in Gang gesetzten Reformen und die weitere Festigung der Demokratie. Die Wirtschafts- und die Finanzkrise einzelner Länder ist noch nicht völlig überwunden.
Die welt- und handelspolitischen Veränderungen der letzten Jahre, hier insbesondere der erfolgreiche Abschluß der Uruguay-Runde des GATT, bieten den lateinamerikanischen Ländern neue Chancen. Doch ohne gleichzeitigen sozialen Fortschritt ist ein dauerhaftes Wachstum nicht denkbar. Nur wenn es gelingt, wirtschaftliche Erfolge mit gesellschaftlichem Ausgleich und ökologischer Verantwortung zu verbinden, können wir auf eine nachhaltige Entwicklung hoffen.
Das Lateinamerika-Konzept der Bundesregierung macht deutlich, welche wichtige Rolle der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit mit diesem Kontinent zukommt. Die deutsche Politik muß gerade hier
der gestiegenen Verantwortung Deutschlands in der Welt stärker Rechnung tragen. Unsere Außenpolitik, die Wirtschaftspolitik und die Entwicklungspolitik müssen Politik aus einem Guß sein.
Im Lateinamerika-Konzept fließen alle Aspekte, die die zuständigen Ressorts beizusteuern haben, zusammen. Es ist insofern auch ein Beweis für die gelungene Koordinierung und Kohärenz der Politik der Bundesregierung.
Frau Kollegin Terborg, Ihre Kritik an diesem Konzept kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Dieses Konzept ist eine hervorragende, breite Analyse der gegenwärtigen Situation. Sie enthält vielfältige Perspektiven für die zukünftige Zusammenarbeit, und sie ist vor allem ein bedeutsames politisches Signal und Ausdruck des politischen Willens, die Zusammenarbeit mit Lateinamerika zu intensivieren. Dieses Signal ist auch bei den Repräsentanten, ob Politikern oder Journalisten, und bei den Menschen Lateinamerikas verstanden worden. Wer sich mit den Repräsentanten unterhält - ich hatte vor zwei Tagen eine Diskussion mit allen lateinamerikanischen Botschaftern -, stellt fest, daß sie alle - das gilt auch für den Staatspräsidenten Brasiliens, der hier war - das richtige Verständnis für diese Konzeption aufbringen, es begrüßen und dafür dankbar sind, daß die Bundesregierung so entschieden hat.
Auch hinsichtlich einzelner Punkte kann ich die Kritik nicht teilen. Ich nehme einmal das Stichwort „Zukunft indigener Völker" auf. Gerade auf diesem Sektor ist die Bundesrepublik Deutschland seit Jahren federführend. Ich habe im April dieses Jahres ein Abkommen mit einem Volumen von 30 Millionen DM zur Demarkierung von Indianergebieten unterzeichnet.
Die Bundesrepublik Deutschland ist das führende Land bei der Finanzierung des Regen- und Tropenwaldschutzes mit 250 Millionen DM. 60 % der Beiträge der G-7-Gruppe werden von Deutschland aufgebracht. Auch werden die Hilfen für die Einführung von muttersprachlichem Unterricht von Deutschland in einem Maße getragen, wie es kein anderes Land tut. Wir geben jährlich etwa 1 Milliarde DM bilateral und multilateral für Entwicklungszusammenarbeit aus, zusätzlich viele Millionen DM über Nichtregierungsorganisationen. Auch das findet breite Anerkennung und Respekt.
Es ist auch, Frau Kollegin Terborg, beliebt - aber deswegen immer noch nicht richtig -, die Weltbank pauschal für soziale Defizite in Entwicklungsländern verantwortlich zu machen. Wenn alle Experten heute für Lateinamerika bessere Perspektiven prognostizieren, muß gesagt werden: Sie wären ohne die massive Unterstützung der Weltbank mit ihren Strukturanpassungsprogrammen nicht möglich gewesen.
Bundesminister Carl-Dieter Spranger
Herr Abgeordneter Schmitt, Ihre Katastrophenanalysen nützen dem Kontinent so wenig wie die billige Polemik in Ihrer Rede.
Dies ist auch unfair gegenüber den vielen Politikern, die die Erblasten der 80er Jahre abzubauen versuchen, und es ist unfair den Menschen gegenüber, die mit darum kämpfen. Ich kann nur sagen: Mit grüner Politik hätte der Kontinent Lateinamerika keinerlei Zukunftschancen.
Herr Wolf, ein Satz zu Ihnen: Angesichts des ideologischen Unfugs, der dabei herausgekommen ist, hätte Ihre Dienstreise besser nicht stattgefunden.
Kapitel 3, Entwicklung und Umwelt, des Konzepts der Bundesregierung knüpft inhaltlich an das bereits bestehende Lateinamerika-Konzept des BMZ vom Dezember 1992 an. Wir setzen das seit drei Jahren erfolgreich in die Praxis um. Seitens der Opposition ist dazu heute nichts gesagt worden. Ich gehe davon aus, daß Sie damit sehr zufrieden sind.
Dabei kommt uns die zunehmende Reformbereitschaft der Partnerregierungen entgegen. Sie wünschen unsere Unterstützung bei der Verbesserung der politischen, ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Antje Vollmer?
Bitte sehr.
Herr Minister, meinen Sie, es ist gut für die Kultur des Parlaments, wenn Minister Urteile darüber abgeben, ob Abgeordnete Dienstreisen machen sollen oder nicht?
Er hat ja gesagt, das sei eine kostenlose Dienstreise, weil sie erfunden war, in der Phantasie stattfand. Wenn er das zum Inhalt seiner Rede macht, muß man doch zu dem Ergebnis, das ich für unglaublich halte, Stellung nehmen können.
- Reisen kann er schon; es muß bei der Reise bloß etwas herauskommen, aber nicht so etwas wie hier vorgetragen.
- Das habe ich ja vorhin gesagt, aber Frau Vollmer hat mich auf die Dienstreise angesprochen.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Wolf?
Nein, ich möchte wieder auf das Lateinamerika-Konzept zurückkommen.
Im Zentrum unserer Zusammenarbeit mit Lateinamerika gibt es vier in enger Wechselwirkung stehende Schwerpunktbereiche: die Bekämpfung der extremen Armut, die Verbesserung der wirtschaftlichen Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit, um so Arbeitsplätze und Einkommen zu schaffen, der Aufbau eines leistungsfähigen Bildungswesens, das der armen Bevölkerungsmehrheit neue Perspektiven im Wirtschaftsleben eröffnet, sowie die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen. Wir werden in enger Abstimmung mit den Bemühungen der EU die regionale Kooperation und Integration weiterhin fördern.
Unsere lateinamerikanischen Partner unterstützen die Zielsetzung der Bundesregierung, die Entwicklungszusammenarbeit auf anspruchsvollerem Niveau und mit differenzierten Instrumenten, auch mit den Schwellenländern der Region, fortzusetzen. Hier setzen wir insbesondere das Instrument der Verbundfinanzierung ein, mit dem wir durch die Mischung von öffentlicher Kapitalhilfe und Marktmitteln größere Finanzvolumen mobilisieren.
Meine Damen und Herren, die Erfolge der Schwellenländer sind auch Erfolge der Entwicklungspolitik. Sie stehen in wohltuendem Gegensatz zu den vielen Katastrophenmeldungen, die nur einen Teil der Weltentwicklung beschreiben. Nach dem aktuellen Weltbankbericht über globale Wachstumsaussichten sind die Entwicklungsländer - hier an vorderster Front die Schwellenländer - zum Motor der Weltwirtschaft geworden. Diese Entwicklung ist für uns politisch und wirtschaftlich eine enorme Herausforderung.
Gerade die Entwicklungspolitik kann hier auf Grund ihrer vielfältigen Instrumente und praktischen Erfahrungen Wege ebnen, die Rahmenbedingungen für die privatwirtschaftliche Zusammenarbeit verbessern und damit auch deutsche Interessen fördern.
Es geht auch darum, die Schwellenländer verstärkt in die Verantwortung gegenüber den weniger entwickelten Ländern einzubeziehen. Gerade in Lateinamerika, in Argentinien, in Chile, in Brasilien, können wir feststellen, daß immer mehr dieser Schwellenländer Verantwortung zugunsten ihrer weniger entwickelten Nachbarstaaten übernehmen. So legt
Bundesminister Carl-Dieter Spranger
die Entwicklungspolitk den Grundstein dafür, daß die Länder Lateinamerikas immer mehr die Pflichten verantwortungsvoll handelnder Mitglieder der Völkergemeinschaft wahrnehmen können. Auch dies ist ein wichtiger Beitrag im Rahmen einer globalen zukunftsweisenden Strukturpolitik.
In allen Ländern Lateinamerikas sind deutsche Nichtregierungsorganisationen tätig. Die politischen Stiftungen haben einen maßgeblichen Anteil an der Förderung demokratischer Strukturen.
Bereits seit vielen Jahrhunderten nehmen die Kirchen eine besondere Brückenfunktion wahr. Ich möchte mich dem Dank und der Anerkennung für den hervorragenden Einsatz der Nichtregierungsorganisationen, den schon Kollege Kinkel zum Ausdruck gebracht hatte, ausdrücklich anschließen.
Das hohe Ansehen Deutschlands in Lateinamerika ist nicht zuletzt auf die Hilfsprogramme der Kirchen zurückzuführen. Sie konzentrieren sich vor allem auf Vorhaben der Armutsbekämpfung und nehmen damit eine Aufgabe wahr, die wir als einen Schwerpunkt unserer staatlichen und internationalen Entwicklungszusammenarbeit betrachten. Wir unterstützen daher die Kirchen mit erheblichen öffentlichen Mitteln und werden auch in Zukunft um eine reibungslose und wirksame Koordinierung der Maßnahmen bemüht sein.
Mit dem neuen Lateinamerika-Konzept der Bundesregierung setzen wir ein wichtiges Zeichen für einen stärkeren politischen und wirtschaftlichen Einsatz auf diesem Kontinent. Unseren lateinamerikanischen Partnern zeigen wir, daß sie weiterhin bei der Bewältigung ihrer wirtschaftlichen, sozialen und politischen Probleme auf die Unterstützung Deutschlands zählen können. Gerade in Umbruchzeiten können wir unseren Partnern Rat und Hilfe geben und sie ermutigen, den eingeschlagenen Reformweg fortzusetzen. Ihr Erfolg wird schon mittelfristig auch unser Erfolg sein.
Indem wir Lateinamerika helfen, seine Probleme zu lösen, helfen wir auch uns selbst. Indem wir die Zukunft der Menschen dort sichern, sichern wir auch unsere Zukunft. Dieses Ziel der globalen Zukunftssicherung muß die Richtschnur des internationalen Handelns Deutschlands sein und bleiben.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat Dr. Wolf.
Ich bedauere, daß der Kollege Spranger nicht die Contenance hatte, nach der Antwort auf die Kollegin Antje Vollmer, die als Grüne zu Wort kam, auch mich in gleicher demokratischer Manier zu Wort kommen zu lassen; deswegen hier eine Kurzintervention.
Herr Kollege Spranger, ich habe zunächst eine fiktive Dienstreise zu drei Orten in Lateinamerika unternommen. Ich bedaure, daß Sie dieser nicht gefolgt sind oder geistig nicht folgen konnten.
Ich habe dabei eine ganze Reihe von Fakten angeführt, die sonst in vielen Reden nicht vorkommen. Sie müssen auf die Fakten eingehen und auf sie antworten und nicht pauschal von ideologischem Gequatsche reden.
Zweitens möchte ich Herrn Spranger darauf hinweisen, daß es das Recht dieses Parlamentes ist, Delegationen entsprechend der Zusammensetzung dieses Hauses zusammenzustellen. Das erfolgt in diesem Fall.
Drittens möchte ich darauf hinweisen, daß diese Reise der Delegation nach Haiti und Mexiko erst noch stattfinden wird und daß man dann - um Sie, Herr Spranger, und Herrn Kanzler Kohl zu zitieren - sehen muß, „was hinten herauskommt".
Das Wort zu einer zweiten Kurzintervention hat Frau Köster-Loßack.
Herr Bundesminister Spranger, ich habe es sehr bedauert, daß Sie die Rede des Kollegen Wolfgang Schmitt so kommentiert haben, wie Sie es getan haben. Ich möchte darauf hinweisen, daß, was die Strukturanpassungsprogramme angeht, durchaus eine unterschiedliche Lernfähigkeit zwischen dem IWF und der Weltbank besteht. Was die Weltbank und die von Ihnen angesprochenen Kirchen angeht, so habe ich bei der Teilnahme an einem Runden Tisch in Grande Carajas in Brasilien früher in diesem Jahr Gelegenheit gehabt, vom Vertreter der Weltbank in Brasilia zu hören, daß, wenn sie es noch einmal mit einem solchen Projekt zu tun hätten, angesichts der sozialen und ökologischen Folgekosten das nicht mehr getragen würde.
Ich gestehe durchaus zu - das weiß auch der Kollege Schmitt -, daß in der Weltbank inzwischen andere Nachdenklichkeiten vorhanden sind. Das bedeutet aber auch gleichzeitig, daß wir, wenn wir das Lateinamerika-Konzept der Bundesregierung mit seiner einseitig auf die Industrie bezogenen Exportorientierung betrachten, wirklich einfordern müssen - das hat nichts mit Ideologie zu tun -, daß demnächst die sozialen und ökologischen Folgen vorher in Analysen ermittelt werden.
Ich hatte gestern in einem Gespräch mit dem Präsidenten von Brasilien, Cardoso, Gelegenheit, das anzusprechen. Er hat gesagt, er steht für babylonische Pläne, wie sie z. B. sein Kollege aus Paraguay für die Hydrovia Paraná-Paraguay hegt, nicht zur Verfügung.
Dr. Angelika Köster-Loßack
Ich möchte Sie sehr dringlich bitten, zusammen mit Ihrem Kollegen Herrn Außenminister Kinkel darauf hinzuwirken, daß bei der Europäischen Entwicklungsbank und bei den anderen multilateralen Projekten über diese Hydrovia hinaus im vorhinein die richtigen Überlegungen angestellt werden, bevor solche schrecklichen Situationen wie in Grande Ca-rajas entstehen. Dort hat sich im übrigen die deutsche Industrie einer Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Gruppen, mit den Kirchen und mit den Betroffenen bisher entzogen, was jetzt von den Kirchen auszugleichen versucht wird.
Danke schön.
Als nächster spricht der Kollege Mathias Schubert.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Wirtschaft boomt, die Armut wächst, die Umwelt verkommt.
Das sind die Schlagzeilen, die sich in der deutschen Medienlandschaft zu Lateinamerika ständig wiederholen. Wer die Möglichkeit hat, sich der spannungsgeladenen Realität dieser Schlagzeilen in den Ländern selbst auszusetzen, und wer dort mit den betroffenen Menschen spricht, der lernt sehr schnell, daß sich die Schere zwischen diesen Prozessen offensichtlich immer weiter öffnet; der lernt aber auch etwas von den vielfältigen und zum Teil wirklich elenden Mühen, die in Gang gesetzte Demokratisierung wirtschaftlich, sozial und ökologisch zu stabilisieren.
In diese Situation hinein hat die Bundesregierung ihr Lateinamerika-Konzept entwickelt. Ich meine schon, daß dieses Konzept es nicht verdient, fundamentalkritisch verrissen zu werden.
Was in diesem Konzept an Analysen beschrieben und zum Teil an Handlungsebenen definiert wird, trifft in weiten Teilen die tatsächlichen Verhältnisse der Gesellschaften Lateinamerikas.
Ich konzediere auch gern, daß eine Reihe der leider viel zu knappen entwicklungspolitischen Inhalte dieses Papiers durchaus in der Lage wären, einigermaßen wirksame Beiträge auch und gerade zur sozialen und zur ökologischen Stabilisierung dieser Gesellschaften zu leisten. Nur fürchte ich, daß diese Passagen bei der allgemein anerkannten Exotik dieses Politikbereichs in Regierung und Parlament eher Leerformeln bleiben, als daß sie in reale Entscheidungen umgesetzt werden.
Der kritikwürdige Kern des Lateinamerika-Konzepts erhellt sich dann, wenn nach den politischen Interessen und Motiven gefragt wird, die damit transportiert werden sollen. Vor allem wird das Ziel verfolgt, der deutschen Wirtschaft den Weg nach Lateinamerika politisch zu öffnen. Das ist nicht verwerflich. Das ist sogar notwendig: zum einen, um die Exportwirtschaft zu stärken und damit Arbeitsplätze bei uns zu sichern, zum anderen, um Wirtschaftspartner dieses sich rasch entwickelnden großen Marktes zu werden. So weit, so gut.
Was dem Konzept allerdings fehlt, ist der politische Wille, nicht nur Wirtschaft zu Wirtschaft kommen zu lassen, sondern zugleich auch auf die Verantwortung hinzuweisen, die wir beim wirtschaftlichen Handeln für die in Lateinamerika begonnenen sozialen und leider noch wenig sichtbaren ökologischen Wandlungsprozesse zu tragen haben.
Statt politische Rahmenbedingungen mitzuliefern, die Wachstum an mehr soziale Sicherheit und Umwelterhaltung binden, bedient das LateinamerikaKonzept gerade die in diesen Ländern weit verbreitete neoliberale Wachstumsideologie. Das ist natürlich kein Zufall, sondern die Fortschreibung der eigenen wirtschaftspolitischen Ideologie auf einem Terrain, das dafür sehr bereit ist.
Die Sache hat allerdings einen Haken, der von vielen Lateinamerikanern zunehmend selbst zur Sprache gebracht wird. Dort formiert sich nämlich auf breiter Ebene die Erkenntnis, daß Wirtschaftswachstum nicht automatisch soziale Sicherheit und damit Gesellschaftsstabilität zur Folge hat.
Der Exekutivdirektor von CEPAL, Gerd Rosenthal, hat das auf den Kern gebracht:
Wir dürfen nicht den Fehler begehen zu glauben, die Wirtschaftspolitik diene dem Wachstum und die Sozialpolitik der Korrektur seiner Folgen; beide haben große Auswirkungen auf das Wachstum, deshalb sind sie integral anzugehen.
Gerade dieser integrale Bezug als ein Teil auch unserer politischen Verantwortung wird im Lateinamerika-Konzept nur unzureichend hergestellt. Deshalb wird und will wohl auch dieses Papier nichts daran ändern, daß unsere Wirtschaftsakteure in diesen Ländern weiterhin fast ausschließlich nach kurzfristigen Effizienzstrategien handeln.
Ein Beispiel, das schon angesprochen wurde: Die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung hat die deutschen Importeure von Eisenerz aus Brasilien ersucht, ihre Handelspartner zu bitten, sich an einem Dialog zwischen Politik, Wirtschaft, Gewerkschaften und indigenen Völkern zu beteiligen, der dauerhafte wirtschaftliche Stabilität, soziale Sicherheit und Einhalt des Regenwaldraubbaus zum Inhalt hat.
Dr. Mathias Schubert
Aber selbst diese minimalistische Bitte wurde von den Importeuren rüde und völlig destruktiv zurückgewiesen. Solange die Tendenzen eines neoliberalistischen Ökonomismus aus diesem Konzept nicht verschwinden, wird die Bundesregierung im besten Falle Marginalien im Gewande eigener Gewissensberuhigung zur dauerhaften Stabilisierung der lateinamerikanischen Gesellschaften beitragen können.
Das wäre wegen mancher guter Ansätze im Konzept eine wirklich vertane Chance.
In diesem Zusammenhang ein nächstes Problem: Mit diesem Konzept wird ein weiteres Produkt versandfertig gemacht, das in der Koalition auch für die Bundesrepublik von großer, ja von größter Bedeutung für die Gesundung von Staat und Finanzen ist. Das ist die sogenannte Deregulierung. Sie betrifft zum einen die Privatisierung staatlicher Unternehmen, zum anderen die Entstaatlichung weiter Teile der Sozialpolitik.
Nur trifft ein solches Konzept in Lateinamerika auf Gesellschaften, denen selbst zunehmend bewußt wird, daß der Abschied des Staates aus diesen Bereichen die ohnehin manifeste soziale Krise verschärft, bestenfalls zementiert und damit die Demokratisierung destabilisiert.
Ich will dafür ein Beispiel nennen: In Brasilien soli die größte Minengesellschaft der Welt privatisiert werden. Interessenten dafür gibt es genug. Bei den Beschäftigten allerdings bis hoch in die Führungsetagen und bei den Gewerkschaften formiert sich dagegen Widerstand, und das nicht, weil die Privatisierung als solche oder grundsätzlich abgelehnt wird, sondern weil bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Sorge umgeht, daß selbst die ohnehin schon spärlichen sozialen Sicherheiten, die dieses Unternehmen gewährt, verlorengehen könnten.
Bevor Deregulierung und Privatisierung empfohlen werden, sollten wir genauer und viel unbefangener feststellen, daß diese Politikprinzipien ein untaugliches politisches Exportprodukt sind, weil sie nicht nur im eigenen Land, bei uns, umstritten sind, sondern weil sie in Lateinamerika in Gesellschaften implantiert werden sollen, in denen die wirtschaftliche Gesundung am Anfang steht, die sich enormen sozialen Spannungen ausgesetzt sehen und die, auch weil wir sie mit dazu zwingen, eine zum Teil umweltzerstörerische Politik geradezu betreiben müssen. Zumindest deren Auswirkungen werden - das ist eine Allerweltsweisheit - eher früher als später auch uns treffen.
Im Lateinamerika-Konzept selbst gibt es zu diesem Spannungsverhältnis einen beachtenswerten Ansatz, der jedoch leider von jenen Ideologismen, von denen ich gesprochen habe, überlagert wird. Ich meine die
Rolle dessen, was heute mit dem etwas schillernden Begriff Zivilgesellschaft bezeichnet wird. Dahinter steht die Notwendigkeit, den in vielen dieser Länder begonnenen gesamtgesellschaftlichen Dialog um all die Kernfragen, die ich nicht noch einmal zu nennen brauche, zu unterstützen. Manche unserer entwicklungspolitischen Projekte zielen genau auf die Alltagsprobleme der Menschen in diesen Ländern und leisten damit schon einen erheblichen Beitrag zu deren Emanzipation aus den vielfältigen entmündigenden Abhängigkeitsverhältnissen. Sie tragen damit sichtbar zur Stabilisierung dieser Gesellschaften von unten bei. Sie tun das zuallermeist im Einvernehmen mit den dortigen Regierungen.
So bleibt die Aufgabe, das politische Ungleichgewicht des Lateinamerika-Konzepts zu korrigieren und zumindest an dieser Stelle die Chance wahrzunehmen, die unterbelichteten entwicklungspolitischen Impulse endlich aufzublenden.
Vielen Dank.
Herr Schubert, das war Ihre erste Rede im Parlament. Mir steht es nicht zu, sie zu bewerten, aber ich denke, daß gerade auch Ihr Beitrag zur Lateinamerika-Debatte gezeigt hat, daß im Parlament auch am Beispiel globaler Entwicklungs- und Wirtschaftspolitik immer gleichzeitig Prinzipien angefragt werden, hier das Prinzip der Sozialen Marktwirtschaft. Sie als Vertreter aus den neuen Bundesländern, aus Brandenburg, haben diese Fragen hier sehr eindringlich gestellt. Das wird kontrovers gesehen werden; aber ich finde, das Parlament kann sich mit seinen Beiträgen sehen lassen.
Der Kollege Armin Laschet hat jetzt das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In den Februar-Tagen des Jahres 1990, wenige Tage vor den ersten freien Wahlen, schilderte mir ein Nicaraguaner seine Sorge, daß der Frieden vergeßlich machen und das Engagement und Interesse für Mittelamerika sehr schnell erlahmen könnte, wenn erst einmal der Bürgerkrieg beendet sei.
Die Gefahr war groß, und sie ist auch heute noch nicht überwunden, daß Regionen für uns Europäer nur dann von Interesse sind, wenn sie zu den Krisenherden der Weltpolitik gehören. „Die Vernunft der Nationen", so hat Henry Kissinger sein umfassendes Werk über das Wesen der Außenpolitik genannt,
in dem er dieses Gefühl kartographisch für die Welt des Kalten Krieges festgehalten hat: Korea und China als Krisenregionen der 50er, Vietnam als Krisenregion der 60er, Afrika und Nahost als Krisen-
Armin Laschet
regionen der 70er und Mittelamerika als Krisenregion der 80er Jahre.
- Liebe Kollegen Duve und Kohn, Ihre gegenseitigen Parteiprobleme brauchen wir an dieser Stelle jetzt vielleicht nicht zu erörtern.
Interessieren uns Regionen wirklich nur dann, wenn Kriegsberichterstattungen täglich unsere Medien füllen, wenn Militärputsche die Welt erregen und wenn sich kriegerische Konflikte zu einem Ost-West-Konflikt ausdehnen könnten?
Insofern setzt das Lateinamerika-Konzept der Bundesregierung ein Gegensignal. Es zeigt, daß Politik Entwicklungen auch befördern kann, daß nicht nur in der Krise gehandelt wird, sondern auch dann, wenn ein Partner auf gutem Wege ist.
Nach dem sogenannten „verlorenen Jahrzehnt" ist Lateinamerika heute von einer Dynamik gekennzeichnet, die viele verblüfft, die in den letzten Jahren fast hypnotisiert nur noch nach Asien geschaut haben. Der Prozeß der demokratischen Erneuerung ganz Lateinamerikas, die Abkehr von autoritären Regierungsformen hat den ganzen Kontinent erfaßt, wenn man einmal von der Entwicklung in Kuba absieht.
Ich stimme, lieber Kollege Duve, Ihren kritischen Bemerkungen zum amerikanischen Embargo und auch zur Position des amerikanischen Kongresses zu. Es ist auch begrüßenswert, daß die kubanische Regierung mit ihrem neuen Investitionsgesetz vor drei Wochen eine neue wirtschaftliche Öffnung eingeleitet hat. Aber wir sollten auch sagen - das habe ich bei Ihrer Kurzintervention vermißt, Herr Duve -,
daß wirtschaftliche Öffnung in China und in Kuba ohne politischen Pluralismus, ohne Zugeständnisse bei den Menschenrechten nicht machbar ist. Die Berichte von Amnesty International weisen aus, daß bis heute kein Beobachter einreisen durfte. Auch dies sollte man an dieser Stelle erwähnen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Bitte.
Herr Kollege, wir sprechen über Lateinamerika. Stimmen Sie mir zu, daß wir zunehmend ein Problem dadurch bekommen, daß die Ökonomie in Rußland mit Glasnost allein relativ viele Probleme hat, während die Ökonomie in China mit Perestroika ohne Glasnost anscheinend ganz gut läuft? Teilen Sie meine Auffassung, daß das für uns ein ernstes Problem ist?
Ich stimme Ihnen darin zu. Dennoch müssen wir, wenn wir eine wirtschaftliche Öffnung erleben, auch politische Reformen einfordern. Da würde ich mir auch von manchen der Unterorganisationen der SPD, auch von den Jusos, wünschen, daß sie bei ihren Solidaritätswochen und Solidaritätsbekundungen für Kuba die Frage des politischen Pluralismus und der Menschenrechte einmal energischer ansprechen würden.
- Diesen gemeinsamen schwarz-grünen Beifall in dieser Frage sollten Sie Ihren Jungsozialisten einmal übermitteln.
Auch bei den Menschenrechten hat Lateinamerika bedeutende Fortschritte gemacht und ist auf die internationale Bühne zurückgekehrt. Auf der Weltkonferenz für Menschenrechte 1993 hat sich Lateinamerika zur Universalität von Menschenrechten bekannt. Ich halte das für bemerkenswert in einer Zeit, in der viele andere Regionen mit Bezug auf eigene geschichtliche, kulturelle oder religiöse Traditionen sich diesem gemeinsamen Konsens bezüglich der Menschenrechte verweigern. Lateinamerika ist Bestandteil der westlichen Wertegemeinschaft.
Ich frage mich, ob wir die Begriffe Atlantische Gemeinschaft und Atlantische Brücke in unserem Denken nicht allzuoft verkürzen. Atlantische Gemeinschaft ist mehr als militärische Sicherheit, es ist eine Wertegemeinschaft. Atlantische Gemeinschaft ist auch mehr als Nordatlantik; zu ihr sollte ebenfalls der Südatlantik gehören. Zur Atlantischen Gemeinschaft gehören in diesem umfassenderen Sinne nicht nur die Vereinigten Staaten von Amerika, sondern alle Staaten des amerikanischen Kontinents.
Wir sind Lateinamerika kulturell, geschichtlich und in unserer Wertüberzeugung enger als jedem anderen Kontinent verbunden. Auch bei uns in Deutschland wächst die Erkenntnis, gerade auch durch den Einsatz des deutschen Bundeskanzlers vor, während und nach der Rio-Konferenz, daß Sicherheit sich nicht mehr allein auf militärische Fragen bezieht, sondern daß in diesem Zusammenhang gerade globale Klimaveränderungen von wachsender Bedeutung sind. Der Gedanke der „einen Welt" läßt sich in unserem Verhältnis zu Lateinamerika in besonderer Weise veranschaulichen. Auch die Deut-
Armin Laschet
sche Bischofskonferenz hat dies mit ihrem in dieser Woche vorgelegten Papier „Mut zur Strukturanpassung - Hilfe für die Entwicklungsländer" einmal mehr eindrucksvoll unterstrichen.
Das Lateinamerika-Konzept, Frau Köster-Loßack, ist keine Verschiebung der Prioritäten in Richtung Außenwirtschaftsförderung zu Lasten der Armutsbekämpfung. Im Gegenteil, die Bekämpfung der Armut bleibt Schwerpunkt der deutschen Entwicklungszusammenarbeit mit Lateinamerika. Gerade von unten, durch die Förderung beschäftigungsintensiver Bereiche der Privatwirtschaft, des Handwerks und des Kleingewerbes, wächst Veränderung. Das bleibt Konzeption dieser Koalition.
Ich denke allerdings, daß in die Umsetzung dieses Konzepts nicht nur die deutschen Auslandshandelskammern einbezogen werden sollten, sondern auch die Nichtregierungsorganisationen und die Kirchen in Deutschland und Lateinamerika.
In vielen kriegerischen Konflikten haben sie zur Versöhnung beigetragen, und bei vielen sozialen Verwerfungen haben sie Partizipation gefördert und soziale Gerechtigkeit eingefordert.
Die Politik der Union war immer, ausgehend vom christlichen Menschenbild, ausgerichtet auf Meine Einheiten mit einer Skepsis gegenüber dem Staat oder Großorganisationen. Diese Politik hat einen breiten Mittelstand und eine breite Streuung des Eigentums in unserem Land ermöglicht. Bei dem schon erwähnten Dialogprogramm der Kirchen in Brasilien konnten wir vor wenigen Monaten vor Ort feststellen, daß gerade die Projekte, die auf Kleinbauern, auf Kleingewerbe setzten, nicht nur die sozialen Probleme minimierten, sondern auch am effektivsten eine nachhaltige ökologische Entwicklung möglich machten.
Derjenige, der eigenverantwortlich sein Land oder seinen Wald bewirtschaftet, kommt nicht auf die Idee des gedankenlosen Abholzens oder Brandrodens großräumiger Flächen im tropischen Regenwald. Deshalb wird im Pilotprojekt der G-7-Staaten gerade die Demarkierung von Indianergebieten in Brasilien gefördert. Es ist unerläßlich, daß daran nicht gerüttelt wird.
Eigentum für viele fördert Eigenverantwortlichkeit - das ist eine Grunderkenntnis auch in Lateinamerika. Die Entwicklung zu einer Sozialen Marktwirtschaft schreitet fort und ist keine Aufgabe für Exoten der Entwicklungspolitik. Die beste Wirtschaftspolitik, lieber Herr Bundeswirtschaftsminister, auch im klassischen Sinne Ludwig Erhards war immer Querschnittspolitik, nicht nur Ressort- und Wirtschaftsförderungspolitik. Wir stimmen sicher darin überein, daß dieses Konzept der Querschnittsaufgabe gerecht wird.
In seinem Buch „Hundert Jahre Einsamkeit" läßt der lateinamerikanische Schriftsteller Gabriel Garcia Márquez eine seiner Figuren sagen: Die Dinge haben ihr Eigenleben. Es kommt nur darauf an, ihre Seele zu erwecken. - Die Dinge in Lateinamerika und in unseren Beziehungen entwickeln ihr Eigenleben mit hoher Dynamik. Lassen Sie uns mit allen, die das Konzept einlädt, einen Beitrag in Lateinamerika und Europa dazu leisten, diese Seele zu erwecken.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister Dr. Rexrodt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch für Lateinamerika gilt: Wirtschaft ist nicht alles, aber ohne Wirtschaft ist alles nichts. Deshalb nimmt die Wirtschaft in unserem Lateinamerika-Konzept einen so hohen Rang ein.
Wir sind der wichtigste Handelspartner Lateinamerikas innerhalb der Europäischen Union. Wir stehen nach den USA und Japan an dritter Stelle. Diese starke wirtschaftliche Position zu Lateinamerika - dazu bekennen wir uns mit allem Nachdruck - wollen wir ausbauen; denn das ist die Grundlage dafür, daß in dieser Region unserer Welt auch im sozialen Bereich ein Wandel eintritt, den wir alle begrüßen.
In diesem Zusammenhang setzen wir auf unternehmerische Initiative und unternehmerische Kreativität. Bundesregierung und Wirtschaft, so meinen wir, müssen gemeinsam handeln. Das Lateinamerika-Konzept unterstützt deutsche Unternehmen in Lateinamerika, vor allem das verstärkte Engagement der mittleren und kleinen Unternehmen, die dort im Unterschied zu den großen nicht so stark vertreten sind, wie wir es uns wünschen.
Wir setzen auf private Initiative und Wettbewerb zwischen den Unternehmen. Investitionslenkende, staatliche Einflußnahme lehnen wir ebenso ab wie Subventionen in Entscheidungen für Investitionen im Ausland.
Hier darf ich mit Blick auf die Ausführungen des Kollegen Schubert, der nicht mehr da ist, sagen: Ich habe viel Verständnis dafür, begrüße und fördere es sogar, mit den gesellschaftlichen Gruppen dieser Länder in eine gesellschaftspolitische Diskussion einzutreten und im Dialog Werte nahezubringen versuchen, die wir als richtig empfinden, und Modelle anzubieten, die wir mit Erfolg erprobt haben. Wenn wir aber meinen, unsere Modelle mit missionarischem Eifer dieser Region aufpfropfen zu können, dann werden wir keinen Erfolg haben. Wir würden
Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
eher auf der ganzen Linie verlacht, als daß wir Akzeptanz für unsere Modellvorstellungen erhielten.
Wir brauchen einen Dialog, niemals aber eine Haltung, die darauf hinausläuft, daß wir alles besser könnten und wüßten. Wir müssen sprechen, nicht aufpfropfen und oktroyieren. Das würde dem deutschen Wesen, wie man es sich in manchen Teilen der Welt vorstellt, nahekommen. Es ist aber, wie wir meinen, kein erfolgreiches Konzept.
Ich habe am Montag dieser Woche auf einem brasilianischen Privatisierungsseminar in Frankfurt am Main die deutsche Wirtschaft noch einmal aufgefordert, die verbesserten politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für verstärkte Investitionen vor allem in Brasilien zu nutzen.
Ich richte diesen Appell erneut an deutsche Unternehmen. Er gilt für ganz Lateinamerika; denn die Rahmenbedingungen für ausländische Investitionen haben sich in den letzten Jahren in fast allen Staaten Südamerikas verbessert. Ich denke an Investitionen in den Bereichen Energieversorgung, Bergbau, Verkehr und Telekommunikation.
Unser Konzept setzt auf den Dialog, die Kooperation und die Partnerschaft zwischen den Regierungsstellen, den Handelskammern und den Unternehmen. Wir sagen immer wieder - und das tragen wir auch in diese Länder, das erwarten wir: Wir wollen offene Märkte und internationale Arbeitsteilung, und wir sind sehr froh, daß sich die lateinamerikanischen Länder zu diesen Prinzipien bekennen. Ich werde mich weiter dafür einsetzen, daß die Türen zu den Märkten in Lateinamerika weiter geöffnet werden.
Wir haben mit der Lateinamerika-Konferenz im Juni dieses Jahres in Buenos Aires einen Dialog mit der lateinamerikanischen Wirtschaft und mit den Regierungsvertretern aus ganz Lateinamerika intensiviert. Das war eine sehr erfolgreiche Konferenz in Buenos Aires. Wir wollen daran anknüpfen, und deshalb habe ich zur zweiten Lateinamerika-Konferenz im nächsten Jahr eingeladen. Sie wird hier in Deutschland stattfinden.
Meine Damen und Herren, Deutschland verfügt in Lateinamerika über ein dichtes Netz von Auslandshandelskammern. 14 Auslandshandelskammern arbeiten in Lateinamerika, davon drei bereits über 75 Jahre. Sie spielen eine Schlüsselrolle in den bilateralen Wirtschaftsbeziehungen, und auf sie setzen wir.
Auch hier setzen wir Akzente, indem wir diese Auslandshandelskammern zu Servicecentern ausbauen. Das Informationsangebot der Kammern wird durch moderne Informationstechnologie vernetzt. Jede Kammer ist mit jeder Kammer in Kontakt, und es bestehen Beziehungen, unmittelbare informationstechnische Kanäle nach Deutschland.
Die Unternehmen in Lateinamerika können bei jeder Kammer wichtige Informationen abrufen. Ein solches Datennetz wird ein zentraler Infrastrukturbaustein für deutsche Unternehmen in Lateinamerika sein.
Ich begrüße auch sehr die Bemühungen und die Aktivitäten des Kollegen Kinkel, des Auswärtigen Amtes, die deutschen Botschaften vor Ort verstärkt als Vermittler zwischen der deutschen Wirtschaft und der ausländischen Regierung bzw. den ausländischen Unternehmen einzusetzen,
Meine Damen und Herren, wir öffnen Türen und ebnen Wege dadurch, daß wir mit den lateinamerikanischen Ländern Investitionsförderungs- und -schutzverträge abschließen. Da ist unheimlich viel gelungen, das sind die Rahmenbedingungen. Das ist nicht nur Reden über irgendwelche Wünsche und Vorstellungen, das ist praktische Politik.
Wir haben mit elf lateinamerikanischen Ländern solche Förder- und Schutzverträge abgeschlossen. Mit sieben Ländern sind diese Verträge unterzeichnet, aber noch nicht in Kraft getreten. Mit acht Ländern stehen wir in Verhandlungen. Das ist das Rahmenwerk für mehr und besseren Handel. Das ist das Rahmenwerk für Investitionen in Lateinamerika. Damit haben wir von Regierungsseite das getan, was wir wollen, nämlich Lateinamerika zu einem wichtigen Handelsplatz für deutsche Unternehmen zu machen, zu einem wichtigen Investitionsstandort.
Damit tun wir auch etwas für kleine und mittlere Unternehmen. Kleine und mittlere Unternehmen - ich habe es eingangs schon gesagt - müssen den Weg in diese Wachstumsregion finden, so wie große Unternehmen zum Teil seit Jahrzehnten, zum Teil seit hundert Jahren in Lateinamerika ansässig sind.
Die großen Unternehmen ziehen als Zulieferer manchmal Klein- und Mittelunternehmen mit sich. Das ist aber nicht alles. Wir wollen neue Märkte erschließen, deshalb legen wir großes Gewicht auf unsere sogenannte Auslandsmessepolitik. Die Auslandsmessepolitik besteht darin, daß wir kleinen und mittleren Unternehmen Zuschüsse geben, damit sie an Messen und Ausstellungen in Lateinamerika teilnehmen können. Aus diesen Messen resultieren dann Kontakte, Handelskontakte und auch die Möglichkeit zur Investition.
Ich erinnere in dem Zusammenhang - ich kann es in zehn Minuten nur im Geschwindschritt tun - an die große Technologieausstellung, die wir in Mexiko hatten, die TECHNOGERMA. Sie war im vorigen Jahr ein großer Erfolg. Wir werden im November dieses Jahres in Sao Paulo die FEBRAL haben. Ihr Stellenwert mag daran deutlich werden, daß der Bundespräsident und der brasilianische Präsident diese Messe gemeinsam eröffnen werden.
Wir haben vor, langfristig erfolgreiche Wirtschaftsbeziehungen zu entwickeln. In dem Zusammenhang haben wir aber auch - das möchte ich sagen - Wünsche an die lateinamerikanische Seite. Am 8. September fand im Bundeswirtschaftsministerium ein Follow-up zur Lateinamerika-Konferenz von Buenos Aires vom Juni statt. Wir haben von unseren Unternehmen gehört, die unterwegs sind oder unterwegs nach Lateinamerika sein wollen, daß sie sichere und berechenbare Rahmenbedingungen brauchen, die es nicht immer und noch nicht überall in Lateinamerika gibt. Das gilt für den Zollsektor, das gilt für den
Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
Schutz des geistigen Eigentums, das gilt für den freien Zugang bei Investitionen und Dienstleistungen, und das gilt in einigen Länder auch noch für den Kapitalverkehr; es gibt Restriktionen in all diesen Bereichen. Es ist der Wunsch der deutschen Wirtschaft, den ich gerne transportiere, daß auf diesem Sektor bessere, sichere und kalkulierbare Rahmenbedingungen entstehen. Ich bin sicher, daß unsere lateinamerikanischen Partner das aufnehmen.
Ich möchte noch erwähnen, daß wir uns dafür einsetzen, daß zwischen der Europäischen Union und der Mercosur engere und bessere Beziehungen entstehen. Wir wollen allerdings, daß das Abkommen zwischen den großen Blöcken nicht dazu führt, daß Bilateralismus auf seiten der Blöcke entsteht, son-dem daß das alles in die GATT-Vereinbarungen eingebettet bleibt, in das, was wir in der WTO noch zu vereinbaren haben. Wir wollen keinen Bilateralismus, nicht nur nicht zwischen den Staaten, sondern auch nicht zwischen den Blöcken.
Ich sage also für die Bundesregierung, daß wir unsere Schularbeiten, was die wirtschaftlichen Weichenstellungen angehen, gemacht haben, aber sie liegen nicht hinter uns. Wir haben noch weitere zu machen. Wir sind in diesem Prozeß. Wir öffnen die Türen für unsere Unternehmen und heißen auch lateinamerikanische Unternehmen in unserem Land willkommen.
Unser Lateinamerika-Konzept ist ein wichtiger Bestandteil einer modernen Außenwirtschaftspolitik zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland. Wir sagen in unserem Konzept zum Standort Deutschland: Wir setzen auf die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen. Dazu müssen wir viel tun: von der Kostensenkung und der Steuersenkung über eine neue Dynamik bei Forschung und Entwicklung, mehr Flexibilität in der Arbeitswelt bis hin zu einer modernen Außenwirtschaftspolitik. Moderne Außenwirtschaftspolitik ist nicht nur Außenwirtschaftsförderung - das auch -, das ist das Schaffen der richtigen Rahmenbedingungen. Das ist das Eintreten für Handel, für offene Märkte und für eine Welt, in der über den Austausch von Gütern und Dienstleistungen auch ein Austausch von Ideen stattfindet, der hoffentlich dazu beitragen mag, daß diese wichtige und neuerdings auch boomende Region auch in gesellschaftspolitischer Hinsicht, in sozialer Hinsicht die Entwicklung durchmachen kann, die wir uns wünschen, die im Interesse dieser Region liegt und im Interesse unseres Landes.
Schönen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Elke Leonhard, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst ist es mir eine
Ehre, alle lateinamerikanischen Botschafter, die auf der Tribüne sitzen, zu begrüßen.
Ich hoffe, wir kommen zu einer wertvollen und sinnvollen Zusammenarbeit.
Wir reden hier, meine Damen und Herren, über ein Konzept, nicht etwa über eine Erfolgsbilanz. Also, zur Überheblichkeit, Herr Kollege Hauser, besteht nun wirklich kein Anlaß.
Es ist richtig, die Bundesregierung hat die Außenwirtschaftspolitik wiederentdeckt. Ich sage dies ohne Zynismus, aber Schönreden bringt uns auch nicht weiter. Über längere Zeit fast vergessen, wurde die Außenhandelspolitik durch die Schwächephase der Exportwirtschaft in den Jahren nach der deutschen Vereinigung aus ihrem Dornröschenschlaf gerissen. Allzu lange hatte man dem Ruf als Exportnation Nummer zwei vertraut und die traditionellen Handelsbilanzüberschüsse als nahezu selbstverständlich angesehen. Die Exportrezession führte dazu, daß nunmehr hektisch Initiativen aus dem Boden gestampft werden, daß der Erfolg ministerieller Auslandsreisen am Volumen der abgeschlossenen Verträge und nicht etwa der Wirtschaftsverträge gemessen wird.
Die Spatzen pfeifen es von den Dächern, und es ist auch der geschätzten Aufmerksamkeit der Bundesregierung, wie wir heute gehört haben, nicht entgangen: Die Wachstumsmärkte in Übersee müssen erobert werden. Das klassische, von Ricardo entworfene Bild des Handels als Quelle des Wohlstandes scheint wieder zu stimmen. Doch es bleibt mehr als fraglich, ob wir damit zur Normalität der Außenwirtschaft zurückgekehrt sind.
In Zukunft wird der Erhalt internationaler Konkurrenzfähigkeit ein ständiges Ringen sein. Die Ausformung der Außenwirtschaftspolitik stellt daher eine Herausforderung dar, der mit Professionalität und Mut begegnet werden muß, elegant und konziliant im Auftritt, aber mit einer knallharten und klaren Strategie. Ich glaube, das hilft beiden Seiten. Daß sie von Herzlichkeit flankiert ist, Herr Außenminister, ist immer gut; aber ich sehe allzu oft nur Tolpatschigkeit. Selbst wenn Tolpatschigkeit inzwischen zum Stil erhoben worden sein sollte, wird dadurch unsere Außenwirtschaftspolitik nicht effektiver.
Andere Staaten haben dies bereits erkannt. Dort fanden die Ideen der strategischen Außenhandelspolitik Eingang. Wir sehen aber auch, daß kurzfristige Erfolge auf Kosten der Konkurrenz durchaus Gefahren bergen. Damit will ich in aller Kürze sagen: Wir brauchen handelsschaffende Maßnahmen.
Nun zur Sache: Ich bedaure, daß erst auf Initiative der deutschen Wirtschaft 1994 der Gesprächskreis Lateinamerika entstanden ist. Das Lateinamerika-
Dr. Elke Leonhard
Konzept, das die Bundesregierung heute dem Deutschen Bundestag vorlegt, verfolgt den ehrenwerten Anspruch, Zielvorgabe für die amtliche Politik und den Dialog nach innen und außen zu sein. Na ja!
Meine Damen und Herren, es ist richtig: Lateinamerika ist für die Bundesrepublik eine wichtige Partnerregion; Deutschland ist der wichtigste Handelspartner Lateinamerikas in der Europäischen Union. Traditionell war der lateinamerikanische Kontinent eine bevorzugte Region für Direktinvestitionen deutscher Unternehmen. Zwei Drittel der deutschen Investitionen in Staaten der Dritten Welt entfallen - wir haben das heute oft gehört - auf Lateinamerika. Außerhalb der Europäischen Union ist Lateinamerika die einzige Region, in der deutsche Unternehmen in einigen Branchen der verarbeitenden Industrie bedeutende Marktanteile besitzen oder gar Schlüsselpositionen innehaben.
Folgerichtig fehlt im Lateinamerika-Konzept der Bundesregierung kein Stichwort. Fleißig wurden alle weltwirtschaftlichen Termini aneinandergereiht. Sie haben wirklich keiner Institution und keiner Person auf die Füße getreten. Insofern ist es vollständig.
Meine Damen und Herren, die spannende Frage lautet aber: Reicht das aus? Von der Regierung eines Landes, in dem jeder dritte Arbeitsplatz vom Export abhängig ist, erwarten wir als Opposition keine reaktive, sondern eine aktive und vor allen Dingen eine vorausschauende Außen- und Außenwirtschaftspolitik.
Wir erwarten keinen Aktivismus. Wir erwarten eine hochprofessionelle außenwirtschaftliche Strategie mit Blick auf Lateinamerika, eine Kontinentstrategie, eine qualifizierte Verbesserung der bilateralen Beziehungen - Herzlichkeit reicht da nicht aus - und eine gründliche Analyse der regionalen Zusammenschlüsse. Auch Stichworte, Zahlen und Absichtserklärungen reichen hier nicht.
Uns liegt, kurz gesagt, an Pragmatismus. Darin liegt unsere Verantwortung, unsere Herausforderung und auch unsere Chance.
Sagen Sie nicht, wir hätten dazu keine Vorschläge gemacht. Als außenwirtschaftliche Sprecherin meiner Fraktion in der letzten Legislaturperiode habe ich mehrere hundert Seiten zur strategischen Außenhandelspolitik publiziert. Ich habe, weil Außenwirtschaftspolitik auf möglichst breiter Basis stehen sollte, in Kontakt mit den Kollegen Kittelmann, Dr. Sprung, auch mit dem Kollegen Beckmann, in Zusammenarbeit mit dem DIHT und BDI, mit den Außenhandelskammern und mit den Wirtschaftsabteilungen unserer Botschaften sowie mit den Stiftungen Strategien und Instrumentarien ermittelt.
Aber was ist daraus geworden? Welche Instrumentarien über Parteigrenzen hinaus, die auch Akzeptanz finden, haben Eingang in dieses Konzept gefunden?
Manche Passagen des Konzepts sind von solcher Allgemeinheit und Unverbindlichkeit, daß geographische Begriffe austauschbar werden. Sie schreiben - ich zitiere : „Grundlagen dieses Dialogs sind gegenseitiges Vertrauen und Verständnis" - Binsenweisheit -; „Kernelemente sind hochrangiger Besuchsaustausch und umfassende Konsultationen" - wie gehabt -; von der „Einbeziehung aller gesellschaftlichen Gruppen" ist die Rede und von „Werbung für ökologische und soziale Verantwortung".
Meine Damen und Herren, das ist nichts anderes als Placebo-Rhetorik. Das ist zuwenig. Fragen wir uns doch wirklich einmal ganz pragmatisch: Warum betreiben wir Messenförderung mit japanischem Equipment? Und, und, und. Zu diesen praktischen Fragen müssen wir vordringen.
Der Fairneß halber muß natürlich gesagt werden: Mein Vorwurf richtet sich nicht allein an die Bundesregierung, sondern auch an die parlamentarischen Gremien. Es ist ein Zeichen von Oberflächlichkeit, es ist fahrlässig, es ist unverantwortlich, daß es weder unter der Ägide des Ausschusses für Wirtschaft noch unter der des Auswärtigen Ausschusses einen Unterausschuß Außenwirtschaft gibt, der sich auf dieses zentrale Gebiet im Schnittpunkt von Wirtschafts- und Außenpolitik konzentriert, Schlagworte hinterfragt und zu pragmatischen Lösungsansätzen gelangt.
Die Qualität der Regierungsarbeit und damit der Erfolg für unser Land wird nicht zuletzt dadurch bestimmt, in welchem Maße effektive parlamentarische Kontrolle erfolgt. Wir sind der Motor, und ohne diesen Motor wird vieles in der Konzeptphase verharren.
Ich versichere Ihnen: Wie ich die praktischen Ergebnisse Ihres Asien-Konzeptes hinterfragt habe, so wird meine Aufmerksamkeit auch den praktischen Ergebnissen Ihres Lateinamerika-Konzeptes gelten. Sie werden beobachtet und kritisch-konstruktiv begleitet.
Wir, die sozialdemokratische Opposition, sind zur Mitarbeit an einer Außenwirtschaftsstrategie bereit, die diesen Namen verdient. Es geht um die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft, es geht um zahllose Arbeitsplätze in der Bundesrepublik.
Aber - auch das wurde heute von vielen Rednern angesprochen -: es geht ebenfalls um Demokratieförderung, ökologische Verträglichkeit, soziale Entwicklung und Integration. Richtig, meine Herren Minister, wir brauchen einen kritischen Dialog aller Beteiligten.
Vergessen wir aber nicht: Aktive Außenwirtschaftspolitik ist nicht nur nach Ricardo Quelle des Wohlstands, sondern - davon bin ich fest überzeugt - Außenwirtschaftspolitik ist auch die beste Friedenspolitik, Prävention im edelsten Sinne.
Dr. Elke Leonhard
Sie haben uns zur Unterstützung Ihrer Konzeption aufgefordert. Wir sagen ja. Die sozialdemokratische Opposition hat Konzepte zur Reform der Außen- und Außenwirtschaftspolitik.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat dei Kollege Fritz, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Das Lateinamerika-Konzept ist gut. Das freut die Koalition, das ärgert die Opposition. Diese Rollenverteilung ist in Ordnung. Wir sind für die Freude zuständig und die Opposition für den Frust; dabei wollen wir es belassen.
Frau Leonhard und Frau Terborg, dieses Konzept ist natürlich kein Fünfjahresplan mit quantifizierbaren Einzelmaßnahmen. Die Hauptaufgabe eines solches Konzepts ist vielmehr, den Blick erneut auf etwas zu lenken, was in der Gewohnheit scheinbar erlahmt ist oder was in einer Phase der politischen Veränderungen, der negativen Veränderungen in Südamerika in unseren Blick geraten ist. Jetzt müssen alle Akteure wieder auf einen Punkt konzentriert werden, damit wir einen neuen Ansatz finden.
Die Stärke des Lateinamerika-Konzepts der Bundesregierung ist, daß hier wirklich versucht wird - ich sage: versucht wird -, Felder der Zusammenarbeit, die häufig genug nebeneinander betrieben werden, so miteinander zu verbinden oder zu vernetzen - wie man heute sagt -, daß daraus eine Initialzündung werden kann, wenn die Umsetzung in den einzelnen Schritten gelingt. Wenn alle Beteiligten in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft sowie in den gesellschaftlichen Gruppen in diesem Verständnis unsere Beziehungen zu Lateinamerika entwickeln, dann wird das für beide Seiten von großem Vorteil sein.
Der Bundesaußenminister hat vorhin in seiner Rede von einem offenen und gleichberechtigten Dialog gesprochen, in dem unsere Erfahrungen beim Aufbau der sozialen und ökologischen Marktwirtschaft weitergegeben werden könnten. Wir stellen fest, daß in vielen Ländern das Prinzip Marktwirtschaft schnell übernommen wird, daß aber die soziale und ökologische Ausprägung zu wünschen übrig läßt. Ein Dialog darüber ist wirklich unerläßlich. Er kann besonders im Verhältnis zu Lateinamerika auch unseren eigenen Blick für die globalen Zusammenhänge einer ökologischen und sozialen Marktwirtschaft schärfen. Schließlich sind wir in Deutschland auch nicht am Ende dieses Prozesses.
Ökologische Marktwirtschaft hat etwas mit Nachhaltigkeit zu tun. Im Kap. 3 der Lateinamerika-Initiative kommt dieser Begriff tatsächlich einmal vor, wenn es nämlich heißt, das Ziel der Initiative sei es, die Länder „auf dem Weg zu einer friedlichen und nachhaltigen Entwicklung zu unterstützen" . Dennoch wissen wir, daß die meisten dieser Länder erst
am Anfang einer langen Entwicklung sind, die zu einer solchen nachhaltigen Entwicklung im sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Bereich führen kann. Sie dabei zu unterstützen dient nicht nur den lateinamerikanischen Ländern, sondern wegen der globalen Auswirkungen auch uns selbst.
Das Konzept versucht, wirtschaftspolitische Ziele mit sozialen wie der Armutsbekämpfung zu verknüpfen, mit entwicklungspolitischen wie der wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit und der Ausbildung und mit ökologischen Zielen wie der Förderung von Umwelttechnik, entsprechender Forschung, innovativer Verkehrstechnologie und sinnvoller Energieversorgung. Wir wissen allerdings, wie schwer es uns selbst fällt, diese Teile eines sinnvollen Ganzen so miteinander zu verknüpfen, daß der Begriff Nachhaltigkeit gerechtfertigt ist. Deshalb kann man die Bundesregierung nur ermuntern, auf dem eingeschlagenen Weg voranzuschreiten, und alle Beteiligten auffordern, diese Ziele bei ihren einzelnen Schritten im Auge zu behalten.
Hier ist bereits dargestellt worden, welchen Weg Lateinamerika in den 80er Jahren genommen hat. Ich will das nicht wiederholen. Es ist ein attraktiver Wachstumsmarkt. Wir haben beste Voraussetzungen für eine Zusammenarbeit im wirtschaftlichen Bereich und können die Zusammenarbeit in die anderen Erfordernisse einordnen. Die Modernisierungserfordernisse sind wichtige Ansatzpunkte für dauerhaft erfolgreiche Wirtschaftsbeziehungen. Die Beteiligung an den Privatisierungsmaßnahmen, zum Teil tatsächlich verschlafen, bieten langfristig Chancen für deutsche Unternehmen und auch den Boden für folgende Exporte.
Der große Investitionsbedarf läßt sich z. B. am Bereich der Verkehrsinfrastruktur und der Energieversorgung ablesen. Es gibt Schätzungen, daß in Lateinamerika in den nächsten Jahren 50 bis 60 Milliarden US-Dollar pro Jahr investiert werden müßten, also etwa 4 1/2 % des Bruttoinlandsprodukts dieser Länder. Ein wesentlicher Teil davon wird für den Energiesektor verwendet werden müssen. Wenn dabei der private Sektor entscheident größeren Anteil gewinnt, ist das ein Feld der Zusammenarbeit, das für Deutschland besonders interessant ist. Wenn dabei noch etwa die Interamerikanische Entwicklungsbank sagt: Wir sind jetzt bereit, in den privaten Sektor ohne Rückbürgschaften durch die Regierungen zu investieren, dann ist das nicht nur ein Ansatz, der dazu beiträgt, daß solche Projekte überhaupt in Gang kommen, sondern auch ein Weg, daraus Wohlstandsfortschritte zu erzielen, weil dann in anderer Weise als bei staatlichen Unternehmen gewirtschaftet wird und daraus Beschäftigung und Einkommen erzielt werden.
Direktinvestitionen wird man dafür natürlich brauchen. Jeder weiß, daß wir bei Direktinvestitionen gleichzeitig die deutsche Seite sehen und sagen: Das hat bestimmte Konsequenzen für uns. Das sind nicht immer Folgen, die uns schmecken. Aber wenn man wie Herr Wolf vorgeht, dann landet man ganz selbstverständlich im Protektionismus.
Erich G. Fritz
Wer dahin geht, hat anschließend die schlimmsten Folgen selbst zu tragen und tut auch den Partnern keinen Gefallen. Das ist kein Weg, Herr Wolf.
Wir müssen in dem breiten Betätigungsfeld, das die deutsche Wirtschaft in Lateinamerika hat, der Telekommunikation und der Umwelttechnik alle Türen öffnen. Der Wirtschaftsminister hat das gerade gesagt. Dafür muß das ganze Instrumentarium der Außenwirtschaftsförderung eingesetzt werden.
Mich freut ganz besonders, daß man sich jetzt bemüht, Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen und von vornherein darauf zu achten, daß alle handelnden Akteure sinnvoll miteinander in Verbindung kommen. Auch die Nicht-Regierungsorganisationen müssen in diesen Bereich eingebunden werden.
Herr Kollege Fritz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wolf? Ich halte auch die Uhr an.
Ja.
Danke schön.
Sie haben mich gewarnt, daß man bei der Konzeption, die ich vorgeschlagen haben soll, so aber nicht vorgeschlagen habe, in Protektionismus verfallen würde. Können Sie mir zustimmen, daß der Aufstieg des britischen Reiches, der Aufstieg des Preußen-Reiches und des Deutschen Reiches sowie der Aufstieg der USA zu den produktivsten Nationen der Welt nur vor dem Hintergrund erfolgen konnte, daß die jeweiligen Länder Jahrzehnte, zum Teil ein Jahrhundert lang Protektionismus betrieben haben, bis sie produktiv genug waren, um auf dem Weltmarkt die anderen Mächte mit dem Freihandel zu konfrontieren?
Ich kann ihnen schon aus wesentlich früheren Zeiten Modelle schildern, bei denen das zutrifft. Aber Sie werden mir sicher recht geben, daß wir in einer Zeit leben, in der die globale Verflechtung bereits so weit fortgeschritten ist, daß jedes vergleichbare Verhalten dazu führt, daß man sich als Wettbewerber, aber auch als Partner in der Weltwirtschaft ausklinkt, daß man dazu beiträgt, daß sich regionale Zonen der Weltwirtschaft abschotten und daß wir dadurch nicht zur Prosperität und nicht zum Ausgleich des, Wohlstands beitragen, sondern im Gegenteil genau die zuvor genannten Entwicklungen fördern.
Vielmehr brauchen wir heute eine weltweite Zusammenarbeit, die regionale Märkte sich entwickeln läßt
- lassen Sie mich den Nebensatz gleich dazusagen;
darauf wollte ich hinaus -; das setzt voraus, daß das
keine Einbahnstraße ist, sondern daß Marktöffnung
bei allen Partnern zu erfolgen hat. Das verlangt von uns wiederum Anpassungsprozesse, die man auch deutlich beim Namen nennen muß. Sie gehören allerdings genau zu denjenigen, die auf der einen Seite die Hypermoral predigen und sagen: Wir müssen alles anders machen, damit wir dort das soziale Elend beseitigen. Gleichzeitig sind Sie aber nicht bereit, Anpassungsmaßnahmen, die bei uns soziale Folgekosten haben würden, zu akzeptieren und den Leuten klarzumachen, daß dazu ein anderer Lebensstil, eine andere Wirtschaftsstruktur und viele Prozesse gehören, die weh tun, die man aber bewußt auf sich nehmen muß, damit man diese Ziele erreicht.
Herr Kollege Fritz, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Herr Präsident, die Uhr ist weitergelaufen.
Nein, das ist schon in Ordnung. Wenn die Uhr bei Ihnen auf Null steht, haben Sie noch eine Minute. Ich halte die Uhr jetzt aber an.
Bitte schön.
Herr Kollege Fritz, können Sie mir zustimmen, daß durch den Protektionismus, der gerade auch in der DDR unter dem Begriff Störfreimachung betrieben wurde, eine sehr starke Zerstörung der Wirtschaft stattgefunden hat, daß also ein Protektionismus in der heutigen Zeit auch sehr stark zur Schädigung der Volkswirtschaft beitragen kann?
Herr Kollege Petzold, in bezug auf den Einwurf der gegenüberliegenden Seite verteidige ich Sie in der Weise, daß ich bestätige: Das muß immer wieder gesagt werden, damit es nicht so schnell vergessen wird. Ich stimme Ihnen zu. Das Übelste daran ist, daß in diesem System nicht nur mit den wirtschaftlichen Möglichkeiten in einer solchen Weise umgegangen worden ist, sondern daß die Gewalt gegen Menschen und gegen die Umwelt gleichzeitig stattgefunden hat, so daß man sagen kann: Alle wesentlichen Bezüge des Menschen sind in einer Weise mißhandelt worden, wie wir uns das nicht wünschen. Deshalb ist die Alternative ein verantwortungsbewußtes, soziales, ökologisches, marktwirtschaftliches System weltweit und eine Partnerschaft, die dazu führt - da gebe ich Frau Leonhard recht -, daß die Verknüpfung in der Weise geschieht, daß gleichzeitig ein Rückfall in Diktatur, Gewaltherrschaft und Krieg unmöglich wird. Handeln ist besser als Hilfe, als Almosen. Auf dem Weg wollen wir weitermachen.
Metadaten/Kopzeile:
4742 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. September 1995
Erich G. FritzVon Erfolg werden wir nur reden können, wenn positive Veränderungen auch für die Menschen spürbar werden. Die Bevölkerung der lateinamerikanischen Länder hat die notwendigen Umgestaltungen - das ist mehrfach gesagt worden - ja mit großer Geduld getragen, in der Hoffnung, der Gefahr der Inflation zu entrinnen und als Konsequenz dieser schwierigen Zeit überhaupt die Chance eines Neubeginns zu erhalten. Wir tun gut daran, mitzuwirken, daß die Wachstumserfolge nun auch größeren Bevölkerungsteilen zugute kommen. Das kann am besten erreicht werden, wenn wirtschaftliche Aktivitäten auch von sozialen Investitionen begleitet werden, wie die Initiative dies ja vorsieht. Dabei hat die Investition in Bildung, vor allem in die Berufsausbildung und in die Ausbildung von Führungskräften, neben dem Bereich des Gesundheitswesens Vorrang.Wir Deutsche müßten schließlich am besten wissen, daß sich Investitionen in Bildung für die wirtschaftliche Entwicklung, die Erhöhung des Einkommens und die Sicherung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in hohem Maße auszahlen.Die Lateinamerikainitiative hat große Aufmerksamkeit gefunden. Wir sind der Bundesregierung zu Dank für diese Initiative verpflichtet. Nun wünschen wir ihr Erfolg. Sie soll die Ergebnisse bringen, die uns nützen und die ein Beitrag und eine Hilfe für die Menschen und Länder Lateinamerikas sind. Dazu wünsche ich allen Akteuren recht viel Erfolg.
Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/1479 und 13/2358 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Tagesordnung um die Beratung des Antrags der Fraktion der SPD zur Wiederauffüllung der International Development Association zu erweitern. Sind Sie mit dieser Erweiterung der Tagesordnung einverstanden? - Das ist der Fall.
Dann rufe ich auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ingomar Hauchler, Ingrid Becker-Inglau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
11. Wiederauffüllung der International Development Association
- Drucksache 13/2401 -
Die Vorlage soll jetzt gleich ohne Aussprache zur federführenden Beratung an den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie zur Mitberatung an den Haushaltsausschuß überwiesen werden. Sind Sie mit der Ausschußüberweisung einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch und anderer krankenversicherungsrechtlicher Vorschriften
- Drucksache 13/2264 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Gesundheit
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dr. Dieter Thomae, F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Gesundheitspolitik befindet sich ganz offensichtlich in einem tiefgreifenden Dilemma. Einerseits sind wir aus vielerlei Gründen gezwungen, die Krankenkassenleistungen stärker als in der Vergangenheit auf das medizinisch Notwendige zu begrenzen; andererseits zeigt sich immer deutlicher, daß die klassischen Methoden der Kostendämpfung, zu denen auch die Positivliste gehört, ein gefährlicher Irrweg sind.
Ich möchte mich heute auf die Positivliste beschränken und drei entscheidende, sinnvolle Argumente anführen, warum wir die Positivliste ablehnen.
Erstens. Die Positivliste ist ein dirigistisches Instrument. Hierfür gibt es im Ausland zahlreiche Beispiele. Viele behaupten, durch eine Begrenzung der Zahl der Arzneimittel auf 2 000 oder 3 000 würde eine erhebliche Einsparquote erzielt.
Alle vergleichbaren Daten in den Ländern, in denen es Positivlisten gibt, zeigen, daß der Arzneimittelverbrauch dort mindestens so hoch ist wie in den Ländern, in denen es keine Positivliste gibt. Ein typisches Beispiel ist Deutschland, wo ohne Positivliste weniger Arzneimittel als in anderen Staaten wie Frankreich und England verbraucht werden.
Ganz wichtig für uns ist aber, meine Damen und Herren, daß die Verfechter von Positivlisten immer behaupten, solche Marktbeschneidungen würden kostendämpfend wirken. Nein! Wer einen Kurs in Volkswirtschaft mitgemacht hat, weiß, daß eine Positivliste letztlich immer mehr den Wettbewerb verhindert. Wer Wettbewerb aber nicht will, muß auch wissen, daß dann Preiserhöhungen folgen. Preiserhöhungen der Arzneimittel wären also die Folge, wenn wir die mittelständische Industrie durch die Positivliste erheblich beeinträchtigten. Wir wollen ja Mittelstandspolitik, wir wollen ja, daß die Pharmafirmen in Deutschland bleiben und die Chance haben, hier Forschung zu betreiben.
Dr. Dieter Thomae
Zweiter Punkt: Therapiefreiheit. Meine Damen und Herren, wieso hat der Patient nicht das Recht, mit dem Arzt über die Therapie zu sprechen? Formulierten wir Positivlisten, dann hätten wir Therapiestandards. Dann müßten wir aber auch solche Patienten haben, die diesen Standards permanent entsprechen; wir hätten eine Standardmedizin. Das können wir nicht akzeptieren. Wir wollen, daß Patient und Arzt in der Therapie die Freiheit haben, die unterschiedlichen Therapiestandards und -möglichkeiten zu nutzen.
Ich komme nun zu dem dritten und entscheidenden Grund. Ich erwähne in diesem Zusammenhang auch die Regierungserklärung von Herrn Rau in Nordrhein Westfalen.
- Ich komme ja darauf. Ich freue mich ja, daß der Ministerpräsident dieses Landes auf einmal feststellt, Biotechnologie und Gentechnologie seien der Wachstumssektor in Deutschland. Darüber freue ich mich. Wie lange ist in den Ländern, in denen SPD und Grüne regiert haben, dieser Forschungsbereich erheblich diskriminiert worden!
- Ja, auch das gehört zur Positivliste.
Der Forschungsstandort Deutschland würde durch eine Positivliste beeinträchtigt. Daher wollen wir dies ebenfalls ablehnen.
- Er würde beeinträchtigt, weil die Produkte eine zweifache Hürde überspringen müßten: einmal beim Institut für Arzneimittel und Medizinprodukte und zum zweiten beim Institut der Krankenkassen. Zwei Hürden würden die Forschungstätigkeit massiv beeinträchtigen.
Daher ist uns lieber, meine Damen und Herren, wir haben ein vernünftiges Zulassungsverfahren beim Institut für Arzneimittel und Medizinprodukte. Sicherlich muß dieses Zulassungsverfahren verbessert werden; damit bin ich einverstanden. Aber eine zweite Hürde bereitete hier erhebliche Schwierigkeiten und beeinträchtigte insoweit den Forschungsstandort Deutschland. Wir haben Beispiele genug: 60 000 Arbeitsplätze sind im gentechnischen Bereich aus Deutschland ausgewandert, auch weil die Forschung beeinträchtigt worden ist. Dies wollen wir umkehren. Wir wollen die Arzneimittelhersteller in die Lage versetzen, den Patienten in Deutschland vernünftige Arzneimittel auch in Zukunft zur Verfügung zu stellen, und uns die Therapiefreiheit sichern.
Das waren drei Argumente, die wir immer wieder genannt haben und mit denen wir leider in Lahnstein nicht erfolgreich waren. Endlich schaffen wir es jetzt, daß die Positivliste verschwindet.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Klaus Kirschner, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Thomae - der Bundesminister kommt erst nachher -, ich kann mich doch nur wundern: Erst in der letzten Sitzungswoche haben Sie auf die defizitäre Entwicklung in der gesetzlichen Krankenversicherung hingewiesen, und heute haben wir einen Gesetzentwurf, der eine weitere Absetzbewegung von den Zielsetzungen des Gesundheitsstrukturgesetzes nach sich zieht, nämlich mehr Wirtschaftlichkeit und zugleich Qualitätsverbesserungen in der medizinischen Versorgung sicherzustellen. Das sind die Ziele des Gesundheitsstrukturgesetzes, und davon - Herr Dr. Thomae hat das ja deutlich gemacht - wollen Sie sich verabschieden.
Nun lassen Sie mich zu den Fakten Ihres Gesetzentwurfs kommen. Insbesondere beziehe ich mich auf Ihre Äußerungen, Herr Bundesgesundheitsminister. Ich habe mir das alles einmal ein bißchen vor Augen gehalten, was Sie in den letzten Monaten gesagt haben.
- Ja, das ist völlig klar.
Sie haben u. a. gesagt: Die Positivliste höhlt das Prinzip der Selbstverwaltung aus und führt zur Oberreglementierung. Richtig ist: Die Beschlußlage des Deutschen Ärztetages fordert eine Positivliste.
Die Spitzenverbände der Krankenkassen wollen die Positivliste. Sie haben gute Gründe:
Die Positivliste sorgt für Klarheit in der Arzneiversorgung. Die Positivliste verbessert die Qualität der Arzneiversorgung.
Lassen Sie mich einmal aus der Begründung des von uns gemeinsam beschlossenen Gesundheitsstrukturgesetzes zitieren. Da heißt es - es ist ja nach wie vor Gesetz -:
Die verschiedenen Vorgaben und Instrumente
zur Gewährung einer wirtschaftlichen Verord-
Klaus Kirschner
nungsweise werden zusammengeführt mit dem Ziel, dem Kassenarzt die Übersicht über die zu Lasten der Krankenkassen verordnungsfähigen Arzneimittel und ihre Preiswürdigkeit zu erleichtern. Das bisherige, zum Teil unkoordinierte Nebeneinander unterschiedlicher Regelungen über den Ausschluß von Arzneimitteln aus der Leistungspflicht der Krankenkassen wird beseitigt.
Damals haben wir klar und deutlich beschlossen: weniger und klare Regelungen. Die Positivliste löst nämlich die Transparenzlisten ab - dies ist schon geschehen -, die Preisvergleichsliste des Bundesausschusses Ärzte und Krankenkassen, die Bagatellarzneimittelregelungen und die Negativliste. Nach Ihrem Willen sollen diese Vorschriften wieder fröhlich Urstände feiern. Das nenne ich Listenwirrwarr.
Zweitens wurde behauptet, das IAK, das Institut für Arzneimittel in der Krankenversicherung, hätte keine Liste mit Handelsnamen veröffentlichen dürfen. Diese Behauptung erstaunt ebenfalls, Herr Minister. Darf ich Sie auf das Gesetz verweisen, wo es heißt: Das Institut erstellt eine „wirkstoffbezogene Vorschlagsliste verordnungsfähiger Fertigarzneimittel". Wie, bitte, soll der Entwurf der Vorschlagsliste aussehen, der zur Anhörung gebracht wird? Fertigarzneimittel sind nämlich Arzneimittel mit einem Handelsnamen.
Der ganze Unsinn dieser Kritik erschließt sich bei einer genauen Betrachtung des Arzneimittelmarktes: Nur bei etwas mehr als 300 bedeutenden Wirkstoffen oder Stoffkombinationen gibt es mehr als einen Handelsnamen bzw. Anbieter. Meistens sind das die erfolgreichen und bewährten Wirkstoffe, die sich fast vollzählig in dem Vorschlag der Positivliste wiederfinden. Außerdem ist die überwiegende Zahl der Wirkstoffe und Wirkstoffkombinationen nur einmal, d. h. mit einem Warenzeichen, im Markt vertreten. Für die Frage „Ausschluß oder Aufnahme?" ist es völlig unbedeutend, ob Wirkstoff oder Handelsname genannt wird. Für die Transparenz des Anhörungsverfahrens aber macht es einen gewaltigen Unterschied. Stellen Sie sich das Sammelsurium von Wirkstoffkombinationen im Listenentwurf vor, das die betroffenen Fachkreise in einem längeren Suchprozeß zu entwirren hätten, bevor sie dazu Stellung nehmen könnten! Meine Damen und Herren, ich denke, dieses Argument zieht ebenfalls nicht.
Drittens. Der Bundesgesundheitsminister behauptet, das Institut hätte die Ausschlüsse begründen müssen. Auch dies erstaunt sehr. Offensichtlich kennen Sie das Gesetz nicht; da steht nichts von Begründungspflicht. Schließlich stehen die drei Ausschlußgründe im Gesetz. Diese sollten Sie doch kennen. Mein Rat: Schauen Sie doch wieder einmal ins Gesetz.
Des weiteren bedeutete dies einen unnötigen bürokratischen Aufwand für das Institut. Es müßte nämlich nicht nur die Positivliste zusammenstellen, sondern zusätzlich auch die spiegelbildliche Negativliste zu Papier bringen, nach Wunsch des Ministers und der Pharmaindustrie mit Begründung. Ferner liegt es auch im wohlverstandenen Interesse betroffener Unternehmen, vor und während des gesamten Verfahrens nicht auch noch schwarz auf weiß bescheinigt zu bekommen, weshalb ihre Produkte nicht auf der Liste vertreten sind. Genau das haben wir nämlich in Gesprächen in Lahnstein diskutiert: Die nicht aufgeführten Arzneimittel sollten eine Chance im OTCMarkt behalten oder auf Privatrezept verschrieben werden können. Das wäre viel schwieriger, wenn der Ausschluß auch noch dezidiert begründet wird.
Viertens. Herr Bundesgesundheitsminister, Sie haben behauptet, die Ausgrenzung von Bagatellmittein enge die Ärzte in ihrer Therapiefreiheit ein. Dies erstaunt nun wirklich. Es gibt diese Ausgrenzungen nämlich schon im Gesetz: beispielsweise Erkältungsmittel, Mund- und Rachentherapeutika, Abführmittel und Arzneimittel gegen Reisekrankheiten. Das wurde 1983 von Ihnen beschlossen. Erinnern Sie sich?
Ich sagte doch, das Gesetz hieß damals Haushaltsbegleitgesetz. Es zeugt von Ihrer argumentativen Hilflosigkeit, das Totschlagargument von der Therapiefreiheit gegen Entscheidungen heranzuziehen, die schon lange gefallen sind bzw. auch selbst von der Industrie vorgeschlagen werden oder auch in dem von Ihnen, Herr Minister, in Auftrag gegebenen und nach Ihrer vorgegebenen Fragestellung erstellten Gutachten des Sachverständigenrats. Auch dort können Sie dies nachlesen.
Fünftens. Sie behaupten, die Ausgrenzung ganzer Arzneimittelgruppen führe zu einem Rückschritt unserer medizinischen Versorgung. Welche Arzneimittelgruppen meinen Sie? Sind das diejenigen Gruppen, die seit Jahren als umstritten gelten? Sind das diejenigen Gruppen, die von den Ärzten unter den Wirkungen des Budgets deutlich zurückhaltender verordnet wurden? Herr Minister, ich zitiere aus Ihrer Pressemitteilung vom März 1994, welche Sie als Erfolgspressemitteilung verkauft haben, zum Gesundheitsstrukturgesetz:
Die Ärzte haben sich verantwortungsbewußt gezeigt und verordneten weiterhin das medizinisch Notwendige, stiegen auf wirkstoffgleiche, aber kostengünstigere Generika um und verzichteten auf therapeutisch umstrittene Arzneimittel wie z. B. Mittel zur Förderung der Durchblutung, Venenmittel, Vitamine und Mineralstoffpräparate.
Der Verzicht auf diese Mittel war damals verantwortungsvoll. Heute droht ein Rückschritt unserer medizinischen Versorgung. Wer hier eine opportunistische Kehrtwendung der ministeriellen Argumentation vermutet, der liegt wahrscheinlich so falsch nicht.
Sechstens. Der Bundesgesundheitsminister behauptet, die Positivliste wäre ein Rückschritt, weil sie zu keiner Kostensenkung führt. Das hat auch übrigens gerade Herr Dr. Thomae gesagt. Diese Meinung erstaunt und verblüfft nun wirklich. Die Positivliste ist nicht als Instrument der Kostensenkung konzipiert worden, sondern als ein Instrument der Quali-
Klaus Kirschner
tät der Arzneiversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung.
Dieser Vorwurf geht also auch ins Leere. Er hat aber fatale Nebenwirkungen. Mit der Ankündigung, die Positivliste zu streichen, wird ein verheerendes Signal gesendet. In der Frage der Arzneiversorgung darf also alles so weiterlaufen wie bisher.
So ernst hat es die Politik offensichtlich nicht gemeint. Die Ergebnisse dieser Ankündigungen liegen bereits auf dem Tisch.
Das Nachgeben bei der Positivliste ist nur der erste Schritt. Der Druck der Lobby erzwingt weitere. Wann dürfen wir mit dem Abbau der Festbeträge rechnen? Wie man hört, stellt die Koalition die Stufen II und III der Festbeträge schon zur Disposition. Wann werden die Budgets fallen? Das Ergebnis dieser Politik kündigt sich schon an. Es heißt Kostenexplosion.
Siebtens. Der Bundesgesundheitsminister behauptet - das wurde gerade auch vom Herrn Kollegen Dr. Thomae in den Raum gestellt -, der Wirtschaftsstandort Deutschland würde in einer besonders innovativen und prosperierenden Sparte einer weiteren Gefährdung ausgesetzt. Diese Behauptung erstaunt nun endgültig. Welches innovative Arzneimittel, meine Damen und Herren von der Regierungsseite und von der Koalition, ist nicht auf dem Listenvorschlag des Instituts? Welches innovative Unternehmen wird denn gefährdet? Es gibt diese Gefahr nicht, sondern genau das Gegenteil ist der Fall. Ausgeschlossen sind die umstrittenen Mittel, die Altlast des Marktes, die die Krankenkassen viel Geld kostet und die in der Nachzulassung viel Arbeit bereitet.
Auf der Liste dagegen sind moderne, aber auch bewährte und überprüfte Arzneimittel. Unternehmen mit einem modernen und innovativen Sortiment profitieren also. Unternehmen mit einem zweifelhaften und veralteten Sortiment profitieren nicht von der Liste. Das ist allerdings richtig.
Die Gefahr für den Wirtschaftsstandort Deutschland jedoch ist ein Popanz, der immer dann aufgebaut wird, wenn die Argumente ausgehen. Bisher war es die Pharmaindustrie, die diesen Popanz mit großer Regelmäßigkeit aufbaute. Der Minister selbst - es ist immer wieder interessant, dort einmal hineinzuschauen - hat dies in einer, wie ich meine, bemerkenswerten Rede im August 1993 den „Götterdämmerungskomplex" genannt.
Dieser „Götterdämmerungskomplex" tritt zuverlässig immer dann auf, wenn Regierung oder Gesetzgeber sich anschicken, etwas zu tun, was die
Pharmaindustrie als schlecht für die Vermarktung ihrer Produkte ansieht.
Das Thema „Industriestandort Deutschland" ist nicht mit dem Gesundheitsstrukturgesetz in die Welt gekommen. Man braucht nur ins Archiv zu greifen - in den Jahren, in denen der Gesetzgeber aktiv war, wird man auf dieses Thema stoßen. Immer ist der Industriestandort Deutschland kurz vor dem Ende seiner Existenz, stets wird das Totenglöckchen für die Arzneimittelforschung geläutet.
So äußerte sich Minister Seehofer im August 1993.
Jetzt steht er selbst Arm in Arm mit der Pharmaindustrie an der Klagemauer und beschwört die Gefahr für den Industriestandort durch die Positivliste. Herr Minister, glaubwürdiger wird das Argument dadurch auch nicht.
Achtens. Es wird behauptet, Unternehmen und Arbeitsplätze würden durch eine mutwillige Listenmedizin gefährdet. Diese Meinung erstaunt tatsächlich nicht. Das Argument ist zwar schlecht und widersprüchlich, aber es hat einen großen Vorteil: Dadurch wird die Position der Koalition in der Gesundheitspolitik entlarvt.
Es geht Ihnen nicht um die Qualität der Arzneimittelversorgung. Es geht Ihnen auch nicht um die Wirtschaftlichkeit. Es geht Ihnen um Industriepolitik, wenn auch in einer platten und zudem widersprüchlichen Form.
Die Solidargemeinschaft soll von Ihnen dazu mißbraucht werden, mit Beitragsgeldern Wirtschaftspolitik zu betreiben. Gleichzeitig beklagen Sie die Höhe der Lohnnebenkosten.
- Nein. Wenn aber der Wunsch nach einer lupenreinen Klientelpolitik Vater des Gedankens zur Abschaffung der Positivliste ist, dann wundern die schlechten und widersprüchlichen Argumente nicht.
Die Liste führt nicht zu weniger Verordnungen, und sie spart nicht; trotzdem würden Arbeitsplätze gefährdet.
Die Liste hat alle neuen modernen Produkte aufgenommen. Trotzdem sei der Forschungsstandort angeblich in Gefahr.
Die Liste löst alle alten Vorschriften zu Negativlisten, Preisvergleichslisten ab. Trotzdem sei das Überreglementierung.
Klaus Kirschner
Die Liste schafft mehr Qualität, aber ohne Kostensenkung ist das angeblich ein Rückschritt.
Meine Damen und Herren, man muß diese platten Argumente einer fehlgeleiteten Industriepolitik weiter nach vorne denken, um die Gefahr erst richtig würdigen zu können, die in dieser Politik begründet ist.
Wie viele Arbeitsplätze werden durch die Nachzulassung gefährdet? Müssen wir zur Sicherung des Forschungsstandortes nicht sofort die Festbeträge und die Budgets abschaffen und die Preise verdoppeln?
Wem nützt diese lupenreine Klientelpolitik? Dem Patienten nützt sie nicht. Er vertraut auf eine qualitativ hochstehende Arzneiversorgung, die zur Zeit nicht verwirklicht ist.
Dem Arzt nützt sie auch nicht. Er soll sich nach dem Willen der Koalition weiter mit verschiedenen Listen und Richtlinien herumschlagen.
Der gesetzlichen Krankenversicherung nützt sie mit Sicherheit nicht. Sie klagt seit Jahren über Milliarden DM, die für umstrittene Arzneimittel bezahlt werden müssen, und spricht sich deshalb für die Positivliste aus.
Der forschenden Pharmaindustrie nützt sie ebenfalls nicht. Deren Präparate sind auf der Liste, Innovationen haben ihren guten Platz in Deutschland und werden auch zukünftig bezahlt.
Es verbleiben also einige Hersteller mit umstrittenen therapeutischen Sortimenten und Produkten. Diesen Herstellern bzw. dem Vorsitzenden des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie, Professor Vogel, macht der Staatssekretär von Herrn Seehofer anläßlich des 60. Geburtstages das symbolische Geschenk einer durch den Reißwolf zerkleinerten Positivliste. Die solchermaßen geschredderte Liste demonstriert - so der „Stern" am 17. August - die „wahren Machtverhältnisse in dieser Republik" auf eine besonders eindringliche und nach meiner Meinung besonders geschmacklose Art und Weise.
Es wird klar, um was es Ihnen in Wirklichkeit geht: Sie wollen keine Qualitätsverbesserung in der Arzneimitteltherapie.
Sie, Herr Lohmann, haben im Auftrag der Koalition bereits zu Anfang des Jahres durch Ihren Antrag im Gesundheitsausschuß zu erkennen gegeben, daß Sie die Positivliste abschießen wollen - und das zu einem Zeitpunkt, zu dem Sie den Vorschlag der Sachverständigen überhaupt nicht kannten.
Es geht dem Bundesgesundheitsminister und der Regierungskoalition darum, eine Schönwetterpolitik für Teile der Pharmaindustrie zu kreieren.
Der Kanzler telefoniert - so ist das -, der Bundesgesundheitsminister marschiert, und die Klientel applaudiert. Auf der Strecke bleibt die Qualität der Arzneiversorgung - sozusagen geschreddert.
Die Argumente sind auf unserer Seite. Was die gemeinsamen Beschlüsse von Lahnstein angeht: Wortbruch ist in dieser Sache ein miserabler Ratgeber.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Kollegin Marina Steindor, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In keinem anderen Land der Welt sind so viele Arzneimittel zugelassen wie in Deutschland: ein regelrechtes Pharmaindustrieparadies.
Dieser Präparateüberschuß ist Folge einer verfehlten Arzneimittelpolitik. Sie ist definitiv nicht, wie Sie vorschlagen, mit der fünften AMG-Novelle rückgängig zu machen, weil diese Novelle nicht genügend Genehmigungskriterien enthält.
In den Industrieländern konsumieren ungefähr 25 % der Weltbevölkerung 75 % der Weltarzneimittel. Die Weltgesundheitsorganisation hat sich ausdrücklich für das Erstellen einer Liste der wesentlichen Arzneimittel ausgesprochen, um eine rationalere Arzneimittelverordnung zu gewährleisten.
Sie haben die Verabschiedung der Positivliste von Beginn an politisch hintertrieben. Es ist keine Frage der endgültigen Gestaltung oder der Fristeinhaltung, sondern es ist ausdrücklich eine politische Entscheidung. Sie schließen sich wider besseres Wissen der Propaganda der Arzneimittelindustrie an und garnieren das Ganze mit einem guten Stück Populismus, indem Sie den Eindruck erwecken, daß den Patienten durch die Positivliste wesentliche Medikamente vorenthalten würden.
Ihre Entscheidung gegen die Positivliste ist ausschließlich industriepolitischer Protektionismus. Eine Positivliste hat im übrigen nichts mit der Methode der Herstellung von Arzneimitteln zu tun, wie hier suggeriert worden ist. Sie. unterstützen die unselige Tendenz bei Ärzten, Medikamente aus therapeutischer Hilflosigkeit zu verordnen. Sie leisten der Fixierung chronisch Kranker auf unsinnige Arzneimittel Vorschub.
Eine Positivliste soll Hilfestellung und psychologische Hürde für die Ärzte sein. Sie hat nie wie von Ihnen suggeriert eine ausschließende Funktion; in Einzelfällen bleiben Medikamente weiterhin erstattungsfähig, wenn die Ärztinnen und Ärzte die Notwendigkeit begründen.
Marina Steindor
Es ist durchaus eine gesundheitspolitische Frage, ob es der Gesundheitsminister zuläßt, daß sich Ärzte und Patienten mit großen Mengen unsinniger oder irreführender Arzneimittel herumschlagen müssen. Die Unübersichtlichkeit des deutschen Arzneimittelmarkts ist auch ein Grund für die irrationalen Verordnungen durch die Ärzte.
In Deutschland sind die Ärzte strukturell nicht in der Lage, die vielen Arzneimittel zu überblicken und wären für Hilfestellungen dankbar.
Glauben Sie im Ernst, daß dieses Buch für eine rationale Arzneimittelverordnung praxisnah ist?
Meine Damen und Herren, wir alle wissen, daß ein Großteil der unsinnigen Verordnungen bei älteren Menschen und chronisch Kranken in Kleiderschränken verschwindet und dort bis zur Sondermüllverbrennung zwischengelagert wird. Aber bezahlen muß das alles die Krankenkasse.
Eine Positivliste ist schon immer Forderung der kritischen Ärzteschaft gewesen, deshalb hat in Berlin die Selbstverwaltung zur Selbsthilfe gegriffen.
Ärztekammer und Innungskrankenkasse haben sich die Freiheit genommen, eine Positivliste zu empfehlen. Im Entwurf Ihrer Positivliste waren noch 20 000 Medikamente enthalten. Die Berliner Positivliste sagt:
Die unübersehbare Fülle von Arzneimitteln ist kein Ausdruck von Qualität unserer Arzneimitteltherapie, im Gegenteil, sie zerstört Transparenz und Sicherheit in der Pharmakotherapie.
Die Berliner Positivliste, wesentlich handlicher und kompakter, ist die Reduktion der Roten Liste auf ihre therapeutische Essenz oder das wirksame Sediment des Arzneimittelmarkts der Bundesrepublik Deutschland. Sie enthält ungefähr 400 Wirkstoffe in 600 Arzneimitteln.
Die Fülle von Nachahmerpräparaten und die Fülle von Analogpräparaten, die wir auf unserem Arzneimittelmarkt haben, dient in der Regel den wirtschaftlichen Interessen der Industrie und nicht den therapeutischen Aufgaben der Ärzteschaft. Was Sie wollen, ist ein Wettbewerb um Methylgruppen, aus dem sich keinerlei therapeutischer Vorteil ergibt. Das, was Sie hier postulieren, ist auch keine Therapiefreiheit. Diese Kopien und Abwandlungen von eingeführten Wirkstoffen sind doch kein therapeutischer Reichtum, wie Sie hier versuchen zu suggerieren,
sondern diese Dinge sind für den Arzt ein absolutes Ärgernis, und sie sind wirtschaftlich unsinnig.
Sie sprechen immer von Listenmedizin, die es mit Ihnen nicht geben soll. Sie argumentieren, daß man den Ärzten nicht vorschreiben könne, was sie ihren Patienten verschreiben sollen. Ich dagegen behaupte: Die Mehrheit der Ärzte will eine Positivliste. Die meisten Krankenhäuser arbeiten mit einer Positivliste.
Wir haben in den letzten Tagen erleben können, wie empfindlich die Pharmaindustrie reagiert, wenn die Ärzteschaft und die Krankenkassen zur Selbsthilfe greifen.
Entschuldigung. Darf ich darum bitten, daß der Dialog im Haus etwas schwächer wird, damit wir der Rednerin zuhören können? - Bitte sehr.
Ich bedanke mich.
Die Pharmaindustrie hat sofort geklagt, und zwar nicht wegen der Positivliste und nicht wegen ihrer Inhalte, sondern sie hat die Rechtsbefugnis zum Erstellen einer Positivliste in Frage gestellt. Dieser Vorgang macht deutlich, daß wir aus Gründen der Rechtsverbindlichkeit eine Positivliste des Gesundheitsministers brauchen. Denn sonst kommt der Vorgang vor Landgerichte und die höheren Instanzen, wenn die Ärzteschaft diesen Kurs weiter betreibt. Wir werden sehen, was dabei herauskommt.
- Es sieht so aus, wenn der Staat wichtige Pflichten nicht übernimmt und wenn er sich vor den Karren der Chemieindustrie spannen läßt.
- Selbstverständlich nicht.
- Ich habe gesagt: vor den Karren spannen lassen. Ich habe nicht von Bestechung gesprochen. Das haben Sie suggeriert, Herr Zöller.
Wenn Sie sich weiterhin nicht als Gesundheitsminister, Herr Seehofer, sondern als Gesundheitswirtschaftsminister betätigen, dann halte ich das für eine sehr bedenkliche Entwicklung.
Marina Steindor
Ich freue mich darüber, daß Ellis Huber mit dem Beschluß der Berliner Ärztekammer nach dem Urteil, das einem faktischen Verbot gleichkommt, die Neuauflage der Berliner Positivliste plant.
Meine Damen und Herren, fast alle Länder in Europa haben eine Positivliste.
Sogar die Schweiz hat eine Spezialitätenliste, trotz ihrer großen Pharmakonzerne, die Biotechnik und Gentechnik betreiben.
Wir haben die London School of Economics sozusagen als neutrale Instanz angeschrieben, weil die Debatte in Deutschland sehr hohe Wogen schlägt. Man hat uns geantwortet, daß mit einer Positivliste durchaus Geld zu sparen ist. Das wurde ausdrücklich bejaht. Es wurde hinzugefügt, daß zur Positivliste eine Beeinflussung der Verschreibungspraxis der Ärzte durch eine Budgetierung hinzukommen muß.
Die konzertierte Aktion im Gesundheitswesen hat die Empfehlung zu den Arzneimitteln mit einer verklausulierten Forderung nach einer Positivliste leider nicht angenommen. Aber der Verband der forschenden Arzneimittelhersteller war dafür. Wenn Sie hier vom Forschungsstandort Deutschland oder von einem wichtigen Wirtschaftsbereich, der stranguliert wird, sprechen, dann muß ich sagen, daß das nicht ganz zusammengeht. Generika, die Sie schützen wollen, sind wenig exportrelevant, - falls auch dieses Argument noch kommen sollte.
- Genau, sagen Sie es noch einmal laut und deutlich, damit jeder weiß, um was es geht. Es geht Ihnen um den Wettbewerb, um Methylgruppen, die der Mittelstand herstellt. Das ist es.
Politisch ist über die Positivliste noch nicht das letzte Wort gesprochen.
Ich würde mir wünschen, daß, wenn die Regierung weiterhin Wirtschaftspolitik macht - der Herr Minister hat soeben ganz selbstgefällig gesagt, es sei ja schon entschieden -, die Selbstverwaltung, der Sie ja immer Vorrang einräumen wollen, Herr Minister, weiterhin zur Selbsthilfe schreitet und in anderen Bundesländern dem Berliner Modell folgt.
Das Wort hat Kollege Lohmann, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Steindor, vor allen Dingen aber Herr Kirschner haben in ihren Reden wie einen roten Faden herüberzubringen versucht: Damals haben wir beschlossen, damals sind diese und jene Zitate gefallen. Das zeigt doch wieder einmal deutlich, daß Sie Politik nur nach hinten gewandt machen können.
Offensichtlich sind Sie nach wie vor nicht bereit oder fähig, etwas dazuzulernen. Dies habe ich beim letztenmal schon gesagt. Ich meine, man sollte immer froh sein, wenn Menschen lernfähig sind. Ich nehme das auch für mich in Anspruch und billige das jedem Kollegen zu.
Denn gerade auf einem am Dialogprinzip orientierten Politikfeld wie der Gesundheitspolitik kann man das von uns Parlamentariern mit Fug und Recht verlangen.
Ich kann deswegen auch nur begrüßen, daß die Fassung der Positivliste, die das Institut „Arzneimittel in der Krankenversicherung" im April dieses Jahres - Sie werden sich entsinnen - gegen das Votum des Ministers und nach Rückgabe durch den Minister in die Öffentlichkeit lanciert hat, durch die Arbeit des Instituts und seiner Sachverständigen in den vergangenen Monaten weiterentwickelt und sogar verbessert wurde, soweit das bei einer Liste überhaupt möglich ist. So wurden insbesondere einige der Hauptkritikpunkte im Bereich bisher ausgegrenzter und nicht substituierbarer Arzneimittel beseitigt. Das Institut hat beispielsweise Nootropika, also Präparate gegen Hirnleistungsstörungen, und durchblutungsfördernde Mittel in die Liste aufgenommen, was vorher nicht der Fall war. Insgesamt wurde - wenn Sie es von der Umsatzseite sehen wollen - ein zusätzlicher Umsatz von rund 1,5 Milliarden DM wiederaufgenommen. Das ausgegrenzte Volumen betrug dann 5 Milliarden DM, nachdem es vorher 6,8 Milliarden DM betragen hat.
Ich muß also sagen, die Kritik von Ihnen, der SPD, an dem Listenentwurf hat gewirkt. Ein Institut wäre sicherlich auch schlecht beraten, wenn es eine Positivliste als Beschlußfassung vorlegen würde, von der bekannt ist, daß diese Fassung nicht nur von der Koalition - das habe ich, wie Sie eben zitiert haben, auch schon früher gesagt -, sondern auch von der SPD in Bundestag und Bundesrat, also von den Hauptprotagonisten einer solchen Liste, abgelehnt wird. Die Mitglieder des Instituts „Arzneimittel in der Krankenversicherung" gehören also offensichtlich zu denen, die lernfähig sind und die im Hinblick auf das, was ich eben gesagt habe, obendrein noch politisch klug sind.
Um so mehr bedaure ich eigentlich, daß wir in absehbarer Zeit, bereits ab Anfang nächsten Jahres, auf
Wolfgang Lohmann
die Arbeit dieses Instituts und seiner Mitglieder verzichten müssen. Denn es bleibt dabei, die Positivliste wird es nicht geben.
Die mit dem Gesundheitsstrukturgesetz - da haben Sie recht, Herr Kollege Kirschner - im Konsens mit Ihnen beschlossenen Rechtsgrundlagen der Positivliste werden auch durch die heute morgen in erster Lesung eingebrachte fünfte Novelle endgültig beseitigt. Es bleibt dabei - ich wiederhole einen vielleicht griffigen Ausdruck -: Grober Unfug wird auch dann nicht umgesetzt, wenn er im Konsens beschlossen worden ist. Das Phantom der Positivliste wird aus der Gesundheitspolitik verschwinden, und zwar mit oder ohne Ihre Zustimmung.
Herr Kollege Lohmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kirschner?
Bitte.
Ich habe Ihnen sehr aufmerksam zugehört. Sie haben selber die Entwicklung der Positivliste vom ersten Vorschlag des Instituts bis zum jetzt vorliegenden endgültigen Vorschlag des Instituts aufgezeigt. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie selber gesagt, daß die ursprünglich in die Liste nicht aufgenommenen Mittel - was Sie kritisieren - in der Zwischenzeit in ihr enthalten sind. Können Sie mir dann eigentlich noch einen Grund nennen, warum Sie jetzt gegen diese Liste sind, bzw. können Sie einmal sagen, welche Medikamente, die vom Institut jetzt nicht aufgenommen wurden, nach Ihrer Auffassung nach den Qualitätskriterien noch aufzunehmen wären?
Selbstverständlich könnte ich das sagen. Ich werde im folgenden auf die Begründungskette kommen. Sie versuchen doch, diese Kette mit Ihrer Zwischenfrage zu unterbrechen.
Ich möchte zitieren, was ich eben ausdrücklich gesagt habe: Wenn man diese Liste überhaupt verbessern kann, dann ist sie durch die jetzigen Ergänzungen verbessert worden. Davon wird sie noch lange nicht gut und richtig; das ist doch selbstverständlich. Ich habe mich zu der Liste immer eindeutig geäußert - dabei bleibe ich - und werde dies auch im weiteren tun. Daß sie aber vom ersten Entwurf bis zum jetzigen Stadium eine Änderung erfahren hat, ist gar keine Frage. Dazu haben Sie auch beigetragen.
Im übrigen werde ich Ihnen nicht den Gefallen tun, nun wieder verschiedene Dinge aufzuzählen, die nicht auf der Liste sind. Wir haben Sie immer wieder aufgefordert, zu sagen, was ausgegliedert werden soll. Die Antwort auf diese Frage sind Sie uns schuldig geblieben. Sie können den Ball also nicht zurückspielen.
Ich bitte Sie herzlich, wenn Sie schon nicht bereit sind, Lernfähigkeit zu demonstrieren, wenigstens zu versuchen, den Gedankengängen ein bißchen zu folgen und dann vielleicht doch zu sagen: Na ja, so ganz unrecht hat er nicht. - Ein Mitglied Ihrer Fraktion ist offensichtlich anderer Meinung. Diese Kollegin ist inzwischen schon fast demonstrativ gegangen, und jeder weiß, wie sie zu Inhalten der Positivliste von damals und auch heute steht.
Die Gründe, die von Ihnen bisher für die Listenmedizin angeführt wurden, haben bereits damals in Lahnstein nicht recht überzeugt und können heute sogar als abwegig bezeichnet werden. Ich bin sogar davon überzeugt, daß Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren von der SPD-Fraktion, letztendlich nicht an Ihre eigenen Gründe für die Listenmedizin glauben.
Ich werde, weil sich vielleicht doch noch eine Chance findet, Ihre Einsichtsfähigkeit zu verbessern oder herauszukitzeln, die wesentlichen Argumente für unsere Ablehnung noch einmal stichwortartig aufgreifen. Ich konzentriere mich auf das, auf das Sie sich bezogen haben, Herr Kirschner, nämlich auf die Begriffe der Qualität einerseits und der Preise oder Kostenersparnis andererseits.
Es ist nicht richtig, wenn Sie heute sagen, Sie hätten nie von Kostenersparnis gesprochen. Sie haben in den verschiedenen Argumenten für eine Positivliste immer von beidem gesprochen, von der Qualität und der Kostenersparnis. Tun Sie bitte heute, nachdem wir Ihnen bewiesen haben und weiterhin beweisen werden, daß keine Kosten eingespart werden können, nicht so, als wäre dies nie Ihr Thema gewesen!
Es mag 1992 bei der Beratung des Gesundheitsstrukturgesetzes mit dem Ziel der Verbesserung der Qualität der Arzneimittelversorgung noch etwas dafür gesprochen haben, die von Ihnen als „essential" vorgeschlagene Positivliste zu beschließen. Inzwischen aber sind wir doch - auch mit Zustimmung der SPD in Bundestag und Bundesrat - in der Arzneimittelpolitik einen wesentlichen Schritt weitergekommen: Durch die fünfte AMG-Novelle ist auf der Grundlage EG-rechtlicher Vorschriften der vom Hersteller zu erbringende Wirksamkeitsnachweis für jede Neuzulassung und auch für jede Nachzulassung eines Arzneimittels ab 1994 - das gilt es zu betonen - eingeführt worden.
Wir alle wissen doch, daß die Neuregelung insbesondere der Nachzulassung gerade für Hersteller von Präparaten der besonderen Therapierichtungen trotz der zehnjährigen Abverkaufsfrist und trotz der Sonderzulassung für sogenannte traditionelle Arzneimittel nicht einfach ist. Eine auf dem Wirksamkeitsnachweis aufbauende Arzneimittelzulassung aber ist in Deutschland unverzichtbar, wenn vor dem Hintergrund der Europäisierung der Arzneimittelpolitik die deutsche Arzneimittelzulassung künftig ein Signum für Qualität und Sicherheit des zugelassenen Präparates werden soll.
Jeder, der für die Verordnungsfähigkeit in der gesetzlichen Krankenversicherung zusätzlich zu dieser
Wolfgang Lohmann
neuen, wirksamkeitsorientierten Arzneimittelzulassung eine positive Listung der zu Lasten der GKV verordnungsfähigen Arzneimittel fordert, muß daher erklären, warum er Patienten zugelassene und damit wirksame Arzneimittel vorenthalten will.
Mir hat das bisher niemand, schon gar nicht Sie, Herr Kollege Kirschner, darlegen können.
Herr Kollege Lohmann, gestatten Sie - -
Ich möchte jetzt bitte im Zusammenhang vortragen.
Diese Einschränkung der Therapiefreiheit der Ärzte zu Lasten der Versicherten der GKV - das sind immerhin 90 % der Bevölkerung - bin ich nicht bereit zu akzeptieren.
Es ist natürlich richtig, daß die volle Wirkung der fünften AMG-Novelle erst mit Ablauf der Abverkaufsfrist im Jahr 2004 eingetreten sein wird. In der Zwischenzeit werden die Hersteller, die bis zum 31. Dezember 1995 erklären, daß sie auf den Zu-bzw. Nachzulassungsantrag verzichten, ihre Präparate auch ohne diesen Wirksamkeitsnachweis auf dem Markt belassen können. Alle anderen Hersteller allerdings, d. h. diejenigen, die diese Erklärung bis Ende des Jahres nicht abgeben, werden den Wirksamkeitsnachweis voll und ganz erbringen müssen.
Wie groß die Zahl der Hersteller ist, die die Abverkaufsfrist in Anspruch nehmen werden, ist noch nicht bekannt. Sie scheint nach den bisherigen Erfahrungen aber deutlich geringer als erwartet auszufallen.
Allein für dieses geringe Segment - das dann übrigbleibt - bereits auf dem Markt befindlicher Arzneimittel kann ernsthaft unter Qualitätsgesichtspunkten eine Positivliste diskutiert werden, und zwar auch nicht auf Dauer, sondern nur als Interims-, als Zwischenlösung, die spätestens dann ihre Legitimierung verliert, wenn die Abverkaufsfrist bis 2004 abgelaufen sein wird.
Die CDU/CSU-Fraktion, die Koalition und ich selbst sind nicht bereit, für eine Zwischenzeit, die zudem nur für ein sehr geringes Segment Bedeutung hat, den Einstieg in eine Listenmedizin vorzunehmen.
Es bleibt dabei: Eine Positivliste ist zur Verbesserung der Qualität der Arzneimittelversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht erforderlich.
Das zweite ist das finanzielle Argument, auch wenn Sie heute immer bestreiten, daß dies jemals eine Begründung für Sie gewesen sei.
Wie ist es denn mit den finanziellen Auswirkungen
dieser ominösen Positivliste? Wir alle stimmen darin
überein, daß die Finanzentwicklung in der gesetzlichen Krankenversicherung im ersten Halbjahr 1995 besorgniserregend ist. Die Beschlüsse der konzertierten Aktion im Gesundheitswesen vom 14. dieses Monats geben hierauf, abgesehen vom Arzneimittelsektor, die perspektivisch wohl richtige Antwort - das werden Sie sicher auch sagen - für die Phase bis zum Inkrafttreten der dritten Stufe der Reform.
Damit ist aber doch auch die Frage gestellt, ob denn die von der SPD vorgeschlagene Positivliste geeignet wäre, einen wesentlichen - ich betone: einen wesentlichen - Beitrag zur Stabilisierung der Finanzentwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung zu liefern. Wenn Sie heute immer bestreiten, daß das gar nicht Ihr Ziel sei, geben Sie damit offensichtlich auch die Antwort, daß man damit keinen Beitrag leisten kann.
Das Ausgrenzungsvolumen, das Sie mit der berichtigten Liste - ich unterstelle einmal, daß diese jetzt Ihren Vorstellungen entspricht - vorschlagen, beträgt ca. 5 Milliarden DM, gegenüber dem Entwurf des Instituts vom April also 1,5 Milliarden DM weniger Ausgrenzung als damals.
Ich bin davon überzeugt, daß das finanzielle Volumen der Liste durch die SPD-geführten Länder im Bundesrat bzw. durch Ihre Fraktion, die SPD-Bundestagsfraktion, noch weiter und deutlich zurückgeführt werden würde, wenn eine derartige Liste wirklich zur Beschlußfassung vorläge.
Richtig bleibt, daß eine Ausgrenzung von Arzneimitteln aus dem Verordnungsspektrum der gesetzlichen Krankenversicherung in Höhe von rund 5 Milliarden DM, bezogen auf den GKV-Markt West, mit einem Volumen von etwa 23 Milliarden DM in den alten Ländern eine ganz wesentliche Größe wäre. Ist - so müßte ich mich jetzt fragen lassen - die Positivliste vielleicht doch ein taugliches Mittel, um einen Beitrag zur Konsolidierung der Finanzen der Krankenkassen zu leisten? Ich sage noch einmal nein, und ich versuche auch, das zu begründen.
Das Institut Arzneimittel in der KV hat auf Grund Ihrer Kritik und Ihrer Interventionen dazu beigetragen, daß die Ausgrenzungen nicht im substituierbaren Bereich quasi auf Null reduziert worden sind. Das heißt doch andererseits, daß auch die finanziellen Auswirkungen dieser Liste damit gleich Null sind. Es werden eben nicht weniger, sondern nur andere Arzneimittel verordnet. Das, was Sie ausgegrenzt haben, wird schlicht und ergreifend substituiert. Ob dies nicht sogar teilweise durch teurere Arzneimittel geschehen würde, lasse ich jetzt einmal offen. Es gibt sehr viele, die das als sicher annehmen.
Damit steht fest, Herr Kollege Kirschner, daß die Pseudoausgrenzungen aus der Arzneimittelversorgung nicht dazu geeignet sind, einen wesentlichen Beitrag zur Lösung der Finanzprobleme in der Krankenversicherung zu leisten.
Wozu dann also - wenn ich jetzt beides zusammennehme - die Ausgrenzerei, wo doch jeder weiß, daß dies zudem im Sektor der Arzneimittelausgaben der Krankenversicherung nicht einmal notwendig ist? Preis und Menge - auch das war 1992 noch nicht übersehbar - sind auf Dauer durch das Festbetrags-
Wolfgang Lohmann
system und die vertragliche Budgetierung der Arzneimittelausgaben, die es ja nun bekanntlich gibt, gesichert. Eine Ausgrenzung von Arzneimitteln durch eine Positivliste führt also nur zu Verschiebungen innerhalb des Budgets. Das Volumen der Arzneimittelausgaben wird durch die Positivliste also nicht wesentlich verändert werden.
Das wäre nur anders, wenn Sie darauf setzen würden, daß die Krankenkassen auf der Grundlage einer Positivliste bei den Verhandlungen über die Fortschreibung des Budgets weitere Einsparungen in der Arzneimittelversorgung im substituierbaren Bereich der Liste erzwingen würden. Vielleicht wollen Sie das, aber bisher haben Sie sich dazu nicht geäußert.
Einmal abgesehen von der Frage, wie erfolgreich derartige Bemühungen der Krankenkassen sein würden, bleibt doch die Tatsache bestehen, daß auch unter Einbeziehung der Steigerungen der Arzneimittelausgaben im ersten Halbjahr 1995, die unbestreitbar sind, die heutigen Ausgaben der Krankenkassen für Arzneimittel noch immer deutlich niedriger sind als vor Inkrafttreten des Gesundheitsstrukturgesetzes. Das muß man zumindest auch als Erfolg bezeichnen.
Aber selbst wenn Sie unterstellen würden, daß in der ambulanten Arzneimittelversorgung der Krankenkassen weitere Einsparreserven über die bereits erfolgten Einsparungen hinaus realisiert werden könnten, bleibt doch immer noch die Frage offen, ob wir dazu eine verbindliche bundesweite Liste der verordnungsfähigen Arzneimittel in der Krankenversicherung benötigen. Ich beantworte diese Frage ganz klar mit Nein.
Die Krankenkassen haben bereits jetzt auf der Grundlage des Gesundheitsstrukturgesetzes alle Chancen, bei den Verhandlungen mit der Ärzteschaft die Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelversorgung zu verbessern. Wenn die Krankenkassen dazu eine Positivliste in der Form einer Rechtsverordnung benötigen, tun sie mir leid. Nicht der Ruf nach dem Staat, sondern eigene Verhandlungskompetenz und eigenes Verhandlungsgeschick sind künftig gefragt, um derartige Ziele zu erreichen.
Mit der dritten Reformstufe wollen wir gerade diesen Ansatz, d. h. die Selbstverwaltung in der gesetzlichen Krankenversicherung deswegen noch weiter stärken.
Was bei der Analyse von Sinn und Zweck der Positivliste der SPD bleibt, ist daher sehr wenig. Und das, was bleibt, ist ernüchternd.
Mit dieser Liste wird nämlich in das Konkurrenzverhältnis einzelner Pharmahersteller willkürlich, d. h. ohne sachlich gerechtfertigten Grund, eingegriffen. Mit der Liste wird also letztendlich eine Standort- bzw. Wirtschaftspolitik betrieben, die weder durch Qualitäts- noch durch finanzielle Aspekte gesundheitspolitisch gerechtfertigt ist. Die Positivliste paßt also genau zu Ihnen und zur SPD, Herr Kollege Kirschner.
Mit moderner Wirtschaftspolitik haben Sie bekanntlich Ihre Probleme. Das haben wir in den vergangenen Tagen und Wochen durch eine Serie von Rücktritten mitbekommen. Ich würde also vorschlagen und Sie bitten: Lassen Sie besser die Finger von derartigen willkürlichen Eingriffen in den Markt!
Wie willkürlich und wie miserabel diese Listenpolitik ist, belegt besonders eindrucksvoll die von dem Präsidenten der Berliner Ärztekammer vorgelegte, um nicht zu sagen, verbrochene Berliner Positivliste. Sie ist vorhin einmal angesprochen worden. Arzneimittel von Herstellern aus den neuen Bundesländern hat Herr Huber schlicht und einfach vergessen.
- Ja, es müßte Sie eigentlich interessieren. Vor allem Frau Steindor muß das interessieren. Ich zitiere aus der Ausgabe der „Berliner Morgenpost"
- ich habe noch drei Minuten, die ich in Anspruch nehme; da können Sie noch so dazwischenschreien - vom 5. September 1995:
Ich glaube,
- so der Vorstandsvorsitzende der Berlin-Chemie, Hansjörgen Nelde -
daß die beiden westdeutschen Herren, ein Mediziner und ein Apotheker, aus deren Feder die Liste geflossen ist, ostdeutsche Medikamente nicht gut kennen und sie deshalb auf der Liste stark unterrepräsentiert sind.
Dazu meint Herr Huber lakonisch:
Das ist ein Dilemma, daß die Ostfirmen in das wissenschaftliche Auswahlraster nicht hineinpassen.
Ich frage mich also: Wie lange wollen Sie von der SPD sich eine derartige Unverfrorenheit eigentlich noch gefallenlassen?
Ist ein Mann als Kammerpräsident überhaupt noch tragbar, dem das Landgericht Düsseldorf gerade erst vor wenigen Tagen in einer einstweiligen Anordnung den Vertrieb dieses Listenelaborats bei Androhung eines Ordnungsgeldes in Höhe von 500 000 DM bar oder ersatzweise eine sechsmonatige Ordnungshaft untersagt hat?
Herr Kollege Lohmann, Sie haben vorhin gesagt, Sie wollten im Zusammenhang vortragen. Oder gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich kann Herrn Kirschner nicht enttäuschen.
Gut.
Ich trage es mit Fassung. Herr Kollege Lohmann, jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr, wenn Sie sagen, wir seien für die Berliner Liste verantwortlich, und uns fragen: Wie lange wollen Sie sich das noch gefallenlassen? Mir ist nicht bekannt, daß die Berliner Liste im Auftrag der SPD erstellt worden ist, sondern sie ist, wenn ich es richtig verstehe, deshalb von der Berliner Ärztekammer und von den Innungskrankenkassen erstellt worden
- sie ist jetzt erstellt worden -, weil offensichtlich klar ist, daß Sie diese bundesweit geltende Positivliste nicht wollen. Wenn Sie auf der anderen Seite sagen „Vorfahrt für die Selbstverwaltung", -
Frage, bitte.
- dann verstehe ich überhaupt nicht mehr, was Sie wollen.
Haben Sie die Frage verstanden?
Ja.
Ich habe kein Fragezeichen gehört.
Herr Kirschner hat gelegentlich Schwierigkeiten damit, Fragen klar zu stellen. Ich verstehe ihn trotzdem, weil ich ihn länger kenne.
Ich habe Sie kritisiert, weil dies eine Positivliste ist, die Sie auch selbst beklatscht haben. Das ist der erste Punkt.
Auch den zweiten Punkt sage ich ganz klar: Es ist doch wohl allgemein bekannt, daß der Kammerpräsident Huber Ihrer Partei - um es ganz vorsichtig zu sagen - außerordentlich nahesteht. Deswegen mache ich Ihnen den Vorwurf, daß Sie sich solche Bemerkungen, solche Unverfrorenheiten so lange gefallen lassen.
Ein besseres Beispiel für Ihre miserable Gesundheits- und Wirtschaftspolitik kann es eigentlich gar nicht geben: Die Pharmahersteller aus den neuen Ländern werden einfach „weggelistet", weil der Präsident der Ärztekammer Berlin sie schlicht und einfach vergessen hat.
Sie machen mit der Positivliste aber nicht nur eine schlechte Wirtschaftspolitik, nein, die Auswirkungen Ihrer Arzneimittelpolitik auf den Arbeitsmarkt sind genauso fatal wie der dirigistische Ansatz Ihrer Forschungspolitik. Die von Ihnen in der gesundheitspolitischen Debatte verwendeten Metaphern „Kniefall vor der Pharmaindustrie" - auch das ist heute so oder ähnlich wiederholt worden - oder „Sieg der Pharmalobby" sind nicht nur falsch, sondern auch hoffnungslos antiquiert. Ich sage jedenfalls: Wir haben es in gar keiner Weise nötig, Kniefälle vor irgend jemandem zu machen. Aber Ihr Forschungsskeptizismus, verbunden mit wirtschaftlichem Mißtrauen und wirtschaftlichem Neid, ist der falsche Ansatz, um in der Arzneimittelforschung zu neuen Ergebnissen zu kommen. Daß wir aber neue Ergebnisse für die Patienten und Kranken brauchen, wird auch von Ihnen keiner bestreiten.
Der Königsweg zur Innovation bleibt, verstärkt Freiräume zu schaffen, damit sich vorhandene Ressourcen im Interesse des Ganzen verstärkt entfalten können. Die Listenmedizin kann da gar nicht der richtige Ansatz sein, da durch eine Positivliste keine Freiräume geschaffen, sondern nötige Freiräume weiter eingeschränkt werden.
Nun haben Sie bei verschiedenen Gelegenheiten starke Worte gebraucht, beispielsweise, daß es für Sie überhaupt nicht in Frage komme, mit uns noch über Weiterentwicklung zu sprechen, wenn wir an diesem Vorhaben festhielten. - Herr Kirschner, ich bin sehr gespannt, ob den starken Worten auch Taten folgen. Wie lange Sie den Spagat zwischen dem, was Sie gesagt haben, und dem, was Herr Dreßler vergangene Woche in der Haushaltsplandebatte gesagt hat - da gab es geradezu ein Angebot zur Zusammenarbeit und zum Gespräch, auch mit dem Hause Blüm -, aushalten können, werden wir einmal abwarten.
Ich möchte abschließend eine Frage an die Grünen stellen: Frau Steindor, in der Presse war in den vergangenen Tagen wieder einmal von einem Strategiepapier Ihres Vorsitzenden, des Kollegen Joschka Fischer, zu lesen. Es ging darin u. a. um interessante Fragen nach der Weiterentwicklung des Sozialstaates und um Deregulierung, Entbürokratisierung und grüne Mittelstandspolitik. Er sagte wörtlich:
Unsere Vorschläge zur Gesundheitsreform ... müssen in diesem Jahr auf den Tisch!
Recht so! Wir wüßten auch ganz gerne, was Sie gesundheitspolitisch wollen. Ich habe allerdings nach der Rede,' die Sie eben gehalten haben, den Eindruck, daß Sie wie die SPD die „Listenmedizin" wollen. Fragen Sie bitte einmal Ihre Fraktion, Herrn Fischer, ob er das auch so sieht!
Das Wort hat die Kollegin Dr. Ruth Fuchs, PDS.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen soll nun die vielzitierte Positivliste wieder gestrichen und die Tätigkeit des für ihre Erstellung eingerichteten „Instituts Arzneimittel in der gesetzlichen Krankenversicherung" beendet werden. Damit würde immerhin eines der wenigen wirklich strukturellen Reformelemente aus dem Gesundheitsstrukturgesetz zunichte gemacht. Das ist in vieler Hinsicht ein bemerkenswerter Vorgang.
Im wesentlichen sollen mit dieser Liste Arzneimittel mit nicht nachgewiesener Wirksamkeit bzw. umstrittenem Nutzen von der Erstattung durch die Krankenkassen ausgenommen werden. Das ist und bleibt ein richtiger Schritt zu einer höheren Qualität der Arzneimittelversorgung. Er berücksichtigt die international völlig unbestrittene Tatsache, daß nicht eine besonders große Zahl von Einzelspezialitäten, sondern ein möglichst hoher therapeutischer Wert des Gesamtsortimentes Ausdruck der Güte eines Arzneimittelangebotes ist. Andere hochentwickelte Industrieländer wie die Schweiz, Österreich oder Schweden haben sich vor diesem Hintergrund längst auf nur wenige tausend Präparate festgelegt.
In der Bundesrepublik ist gegenwärtig noch immer eine Unzahl von ca. 50 000 Medikamenten zugelassen, was allein schon wegen der damit einhergehenden Unüberschaubarkeit die Versorgung qualitativ erheblich beeinträchtigt. Damit nicht genug: Mehr als die Hälfte davon, etwa 35 000, sind nicht einmal entsprechend dem Arzneimittelgesetz auf ihre Wirksamkeit geprüft. Mit einer Summe von 6 bis 7 Milliarden DM jährlich muß die gesetzliche Krankenversicherung immerhin mehr als ein Fünftel ihrer gesamten Arzneimittelaufwendungen für Präparate mit zweifelhaftem oder nicht nachgewiesenem Nutzen ausgeben. Auch hier liegt auf der Hand, daß dies mit Qualität schlecht zu vereinbaren ist.
Die bestehende Situation muß jedoch über den Qualitätsaspekt hinaus zwangsläufig auch die Wirtschaftlichkeit der Arzneimitteltherapie beeinträchtigen. Auch wenn die Positivliste a priori kein Kostendämpfungsinstrument ist und sein kann, so gilt in der Medizin doch der Satz, daß eine wissenschaftlich gesicherte rationale Therapie in der Regel auch die jeweils wirtschaftlichste ist.
Meine Damen und Herren, nach allem, was abzusehen ist, wird die geschilderte Misere auch im Gefolge der 5. Novelle zum Arzneimittelgesetz nicht so ohne weiteres zu überwinden sein. Bekanntlich haben jene Hersteller, bei denen der Gesetzgeber offensichtlich vorausgesetzt hat, daß sie selbst nicht an einen Wirksamkeitsnachweis bei ihren Produkten glauben, die Möglichkeit erhalten, ihre Präparate auch ohne Nachzulassung für immerhin weitere zehn Jahre unverändert zu vermarkten.
Darüber hinaus kann ohnehin mit Hilfe des Arzneimittelgesetzes der Fülle von Erzeugnissen mit gleichem oder ähnlichem Wirkstoff ebenso wie der Vielzahl der Kombinationspräparate kein Einhalt geboten werden. Das ist schon deshalb klarzustellen, weil Koalition und Regierung jetzt vor allem damit argumentieren, daß die erforderlichen Qualitätsverbesserungen allein auf der Grundlage des novellierten Arzneimittelgesetzes erreicht werden könnten. Weil dies eben nicht der Fall ist, sollte die unhaltbare Situation wenigstens mit Hilfe einer Positivliste spürbar verbessert werden, auch wenn sie so nicht grundsätzlich verändert werden kann. Ohne Zweifel würde eine solche Liste dem Arzt vor allem die Obersicht über das Sortiment erleichtern, ihm mehr Sicherheit geben und schon von daher günstigere Voraussetzungen für die Therapie schaffen.
Natürlich darf eine Positivliste nicht zu eng gefaßt sein. Selbstverständlich gehören in die Hand des Arztes auch ausreichend sanfte Arzneimittel bis hin zum Placebo. Strittige Fragen und Probleme, die in diesem Zusammenhang bei der Erstellung der Liste aufgetreten sind, hätten sich bei entsprechendem politischem Willen sicher klären bzw. korrigieren lassen. So aber werden nun vermeintliche Verfahrensfehler zum offensichtlich höchst willkommenen Anlaß genommen, die Liste kurz und schmerzlos zu beerdigen. Vor allem der Pharmaindustrie dienten sie dazu, Druck zu machen und das Anliegen der Positivliste in der Öffentlichkeit gründlich in Mißkredit zu bringen. In dieser Kampagne ist „Listenmedizin" inzwischen einer der harmlosesten Kampfbegriffe geworden.
Wenn Regierung und Koalition jetzt die Positivliste streichen wollen, so zeigen sie damit, daß sie weder Kraft noch Mut haben, die noch immer bestehenden Mißstände und Unzulänglichkeiten auf dem Arzneimittelmarkt auch nur anzugehen. Die Pharmaindustrie strebt ausschließlich nach Umsatz und Gewinn. Aufgabe des Gesetzgebers und der Regierung muß es dagegen jedoch sein, in erster Linie den Interessen der Menschen an einer bestmöglichen gesundheitlichen Versorgung Rechnung zu tragen.
Mit diesem Gesetz tut die Koalition meiner Meinung nach vor aller Augen genau das Gegenteil.
Bis in die Sprachregelungen hinein folgt sie mit ihrem Entwurf und seiner Begründung den Vorgaben der pharmazeutischen Industrie. - Herr Lohmann hat das im Prinzip im letzten Teil seiner Rede deutlich gesagt. - Schon erste Mißfallensäußerungen der Hersteller haben offensichtlich ausgereicht, um Regierung und Koalition zur Preisgabe eines von ihnen selbst und sogar gemeinsam mit SPD und Bundesrat beschlossenen Gesetzes zu veranlassen. Deutlicher können die realen Kräfteverhältnisse in diesem Lande wohl kaum zum Ausdruck kommen.
Dr. Ruth Fuchs
Die Frage, die sich hier aufdrängt, ist die nach der Art und dem Charakter einer Gesundheitsreform, die von dieser Regierung überhaupt noch erwartet werden kann. Das Schicksal der Positivliste scheint mir mehr als ein böses Omen zu sein.
Die PDS lehnt deshalb diesen Gesetzentwurf ab. - Sicher, für die Pharmaindustrie gebe ich Ihnen hundertprozentig recht.
Das Wort hat Herr Bundesminister Seehofer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sogenannte Positivliste ist nicht nur überflüssig, sie ist schädlich.
Sie verbessert weder die Wirtschaftlichkeit noch die Qualität der Arzneimittelversorgung und führt darüber hinaus zu nicht hinnehmbaren finanziellen Belastungen für Kranke, insbesondere chronisch Kranke. Deshalb wird sie nicht kommen.
Die Frau Kollegin Steindor hat hier ihre Zuneigung zur Berliner Positivliste von Ellis Huber deutlich zu erkennen gegeben. Deshalb darf man sie daran messen. Die Berliner Positivliste reduziert den deutschen Arzneimittelmarkt von 60 000 auf 600 Arzneimittel. Liebe Frau Steindor, mich wundert Ihre Zuneigung zu dieser Entwicklung deshalb, weil dies nämlich im Klartext für die Menschen in diesem Lande heißt, daß alle Medikamente der besonderen Naturheilrichtungen aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung ausgegrenzt sind.
Sie treten sonst immer für Umweltverträglichkeit, für gesundheitsbewußtes Verhalten und für die sanfte Medizin ein. Hier lobhudeln Sie eine Liste, die alle Naturheilmittel aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung ausgrenzt.
- Ich lasse keine Zwischenfrage zu.
Zweitens. Man muß der Öffentlichkeit einmal sagen: Positivliste ist ein irreführender Begriff. Positivliste bedeutet im Klartext, daß wesentlich weniger Medikamente als heute zu Lasten der Krankenversicherung verordnet werden können. Alles, was nicht
zu Lasten der Krankenversicherung verordnet werden kann, geht zu Lasten der Menschen, insbesondere der älteren Menschen. Täuschen Sie nicht die Öffentlichkeit!
Dann wird gesagt, die Ärzte wollen die Positivliste. - Einmal wird mir vorgehalten, ich würde Politik nach dem Gusto der Ärzte machen. Heute wird mir gesagt, die Ärzte wollen sie, und jetzt machen Sie eine Politik gegen die Ärzte. Wenn Sie wirklich immer so auf die Ärzte schauen, Sie von der SPD und Sie von den Grünen, dann folgen Sie uns bei der Stärkung des Hausarztprinzips und unterstützen Sie den Gesetzentwurf, mit dem wir die Hausärzte mit 600 Millionen DM besser bezahlen wollen.
Solche Unwahrheiten, ein solcher Unsinn! Ich sage es einmal auf bayerisch: Dümmer geht es nimmer, was hier an Argumenten zur Positivliste in der ganzen öffentlichen Diskussion aufgeführt wird.
Herr Kirschner sagt heute: Wie können Sie in einer Zeit, in der wir Defizite in der gesetzlichen Krankenversicherung haben, verantworten, keine Positivliste vorzulegen? Unausgesprochen schwingt mit: Es kostet mehr, wenn solche Medikamente im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung bleiben.
Die Positivliste, Herr Kirschner, spart nicht eine einzige Mark. Das wissen Sie.
- Sie haben aber gesagt: Wie können Sie in einer Zeit der Kostenexplosion die Positivliste abschaffen?
Deshalb zum ersten Argument: Sie spart Kosten,
sie begrenzt die Ausgaben. Wenn eine Liste an Stelle von 60 000 lediglich 30 000, 20 000 oder 10 000 Arzneimittel vorsieht, dann gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder bekommt der Patient die weggefallenen Arzneimittel nicht mehr verordnet, oder er muß sie aus der eigenen Tasche bezahlen. Dann sparen Sie, aber auf höchst unsoziale Weise.
Eine solche unsoziale Maßnahme kommt mit uns nicht in Frage.
Oder das weggefallene Arzneimittel wird durch ein solches substituiert, das noch auf der Positivliste steht. Dann ersetzen Sie sanfte Medizin durch chemisch harte Medizin, ersetzen ein preiswertes Arzneimittel durch ein teures.
Bundesminister Horst Seehofer
Auch einen solchen Unsinn kann man nicht machen!
- Ich lasse keine zu, Herr Dr. Schuster. Ich sage am Schluß, warum.
Lassen wir endlich die Volksverdummung weg, als könnte die Positivliste den Menschen dienen, als könnte sie Kosten einsparen.
Tatsache ist: Wenn ein Arzneimittel aus dem Leistúngskatalog der Krankenversicherung ausgegrenzt ist und der Patient es verordnet haben möchte, hat er es selbst zu bezahlen.
Wenn es durch ein anderes Arzneimittel substituiert wird, ist das andere risikoreicher und teurer. Das ist die Realität!
Das zweite Argument: die Qualität. Ich bleibe dabei: Die Prüfung der Qualität eines Arzneimittels hat bei der einzelnen Arzneimittelzulassung in der Bundesrepublik Deutschland individuell zu erfolgen.
Nur bei der Einzeluntersuchung eines Arzneimittels können Sie seriös die Wirksamkeit und die möglichen Nebenwirkungen pharmazeutisch und fachlich einwandfrei beurteilen.
Jetzt bitte ich gerade die SPD, genau hinzuhören, zu welcher Flickschusterei es führt, wenn Sie glauben, man könne über eine „Listenmedizin", über eine Positivliste, die Qualität verbessern. Wir haben den ersten Entwurf einer solchen Liste vor der Sommerpause bekommen. Daraufhin haben einzelne Sachverständige, aber auch viele Kollegen aus der Koalition auf manche Probleme dieser ersten Liste hingewiesen, z. B. auch auf das Problem, das Sie, Herr Kirschner, heute angesprochen haben und wozu das WIdO, das Institut der Kassen, schon seit Jahren sagt: Die Venenmittel sind nicht wirksam; durchblutungsfördernde Mittel haben ein Volumen von 2 Milliarden DM. Sie müssen aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung verschwinden.
Nun hat das „Institut Arzneimittel in der gesetzlichen Krankenversicherung" diese Mittel im Volumen von 2 Milliarden DM herausgenommen. Ich habe denen gesagt: Wenn ihr das macht, ist das ein Anschlag auf die chronisch Kranken und auf die kleinen Leute, die die Kosten für diese Mittel aus ihrer eigenen Tasche zu bezahlen haben. Die aber haben immer gesagt: Die Qualität ist schlecht, die Medikamente sind nicht wirksam, und es ist nicht zumutbar, daß man so etwas aus Beitragsmitteln zahlt. Zu meiner Überraschung findet sich jetzt im zweiten Entwurf der Liste die ganz große Mehrheit dieser - nach Meinung der Wissenschaft völlig unwirksamen - durchblutungsfördernden Mittel wieder.
Was Nootropika - das sind Mittel gegen Hirnleistungsstörungen - angeht, hat mir der Geschäftsführer dieses Instituts mit Engelszungen die Nullwirkung dieses Arzneimittelwirkstoffs bei der Alzheimer-Krankheit erklärt. Jetzt traue ich meinen Augen nicht. Ich bekomme die Liste, und es steht wieder ein großer Teil von Nootropika drauf.
- Ich beantworte Ihnen die Frage gleich.
Ich bin noch bei dem Argument: Verbessert eine „Listenmedizin" Qualität? Ich möchte Ihnen veranschaulichen, wie Medikamente, die unter Qualitätsgesichtspunkten noch im Juni und Juli gestrichen werden sollten, behandelt werden.
Ich nehme als weiteres Beispiel Medikamente, die Blutfettwerte senken, z. B. die sogenannten Fibrate. Sie seien völlig wirkungslos und schlimm, wurde gesagt, es gebe etwas besseres. - Jetzt stehen sie wieder auf der Liste, weil man entdeckt hat, daß andere Medikamente, die als Substitute zur Verfügung stehen, wesentlich teurer sind. Diese als Beispiele genannten drei Mittel - auch Herr Kirschner hat die Venenmittel heute wieder genannt - sollten von der Liste gestrichen werden.
- Sie haben sich auf die Venenmittel bezogen, auf die Fibrate und Nootropika. - Vor acht Wochen galten sie nach Meinung der elf Weisen noch als vöilig wirkungslos. Dann kam der öffentliche Druck, die öffentliche Diskussion, der Vorwurf, dies sei unsozial. Also hat man diese Mittel überwiegend wieder in die Liste aufgenommen.
Meine Damen und Herren, es drängt sich doch der Eindruck auf, daß unter öffentlichem Druck und sozialen und finanziellen Aspekten gehandelt wurde, aber nicht unter Qualitäts- und fachlichen Gesichtspunkten.
Das ist eine absolute Flickschusterei! Genau das, was man mit großartigen Begründungen herausgenommen hat, nahm man jetzt unter öffentlichem Druck wieder in die Liste auf.
Bundesminister Horst Seehofer
Wir können doch nicht eine Liste - wenn Sie sie schon für sich beanspruchen - nach dem Motto erstellen: Wer in der Öffentlichkeit den größten Druck ausüben kann, dessen Medikamente kommen in die Positivliste hinein. Das ist doch keine Qualitätsverbesserung, meine Damen und Herren. Es ist nichts anderes als Tarifpolitik, als emotionale Arzneimittelpolitik. Für ein solches Werk stehen wir nicht zur Verfügung.
Jetzt komme ich zum Verfahren: Auch bei dieser Positivliste muß man sich außerordentlich streng und sorgfältig an rechtsstaatliche Prinzipien halten. Das zeigt nicht nur das Urteil des Landgerichts Düsseldorf, das die Berliner Positivliste wieder kassiert hat. Das zeigen uns auch viele andere Punkte beim Vollzug des Arzneimittelgesetzes, bei denen wir pausenlos mit Schadensersatzklagen konfrontiert sind.
Jetzt hat dieses famose Institut, dessen sofortige, ersatzlose Auflösung angesichts einer solchen Flickschusterei die zwangsläufige Folge ist, keiner einzigen Firma den Grund genannt, warum sie auf der Liste steht bzw. nicht draufsteht. Glauben Sie denn, daß eine solche Vorgehensweise vor Gericht auch nur acht Tage Bestand hat, daß man den Beteiligten, deren Meinung man wissen will, nicht einmal mitteilt, aus welchen Gründen sie auf der Liste stehen bzw. nicht stehen? Das ist ein großer Rechtsmangel, auf den wir die Verantwortlichen vorher hingewiesen haben. Aber sie haben diesen Hinweis ignoriert. Ein solches Verfahren ist nicht hinzunehmen. Ich kann das nicht verantworten. Auf dieser Grundlage kann man keine Verordnung erlassen. Hinzu kommen noch all die Gründe, die Wolfgang Lohmann und Dieter Thomae schon genannt haben. Deshalb haben wir uns entschlossen, das Gesetz so zu ändern, daß eine Positivliste in der Bundesrepublik Deutschland nicht erscheinen wird.
Ich richte jetzt noch ein Zitat an die Adresse der SPD. Es heißt wörtlich:
Es ist zu befürchten, daß Deutschland mit der bekanntlich längsten Tradition auf dem Gebiet der Naturheilmittel sich auf Dauer bewährter, von Arzt und Patient geschätzter Arzneimittel beraubt. Abgesehen davon wäre mit Schließung zahlreicher kleinerer und mittelständischer pharmazeutischer Unternehmen, die seit Jahrzehnten in diesem Bereich tätig sind, zu rechnen.
Diese Aussage stammt nicht etwa vom Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie; ich beglückwünsche vielmehr den niedersächsischen Ministerpräsidenten und seinen Gesundheitsminister zu dieser Erkenntnis.
Denn dieses Zitat, das ich gerade vorgetragen habe, stammt aus einem Antrag an die nächste Gesundheitsministerkonferenz. Dieser Antrag wird im Zusammenhang mit der Arzneimittelnachzulassung gestellt.
Wenn eine SPD-Landesregierung bei der Arzneimittelnachzulassung, also bei einem wesentlich schonenderen Verfahren, in dem Fall für Fall geprüft wird, sagt - so wie das Niedersachsen tut -, das sei ein Anschlag auf die Naturheilmittel, das würde die Schließung zahlreicher kleinerer und mittelständischer pharmazeutischer Unternehmen und die Zerstörung der gesamten Tradition der Arzneimittelherstellung in der Bundesrepublik Deutschland bedeuten, wenn man dies im Hinblick auf die schonende Arzneimittelzulassung als riesiges Problem bezeichnet, dann können Sie von der SPD doch heute nicht gewissermaßen mit einem Sensenschnitt ein Drittel der am Arzneimittelmarkt tätigen Unternehmen herauswerfen.
Das ist Doppelzüngigkeit.
Erkundigen Sie sich bei Ihrem niedersächsischen Ministerpräsidenten!
Ich komme zum letzten Argument, dem mit dem Wortbruch: Während wir uns von den Anstrengungen von Lahnstein ausgeruht haben, während wir noch von Lahnstein träumten - vielleicht Dieter Thomae weniger als wir; jedenfalls war es so -,
haben SPD-geführte Landesregierungen bereits im Bundesrat Anträge zur Änderung der LahnsteinKompromisse eingebracht. Da war von unserer Seite von Positivliste und ähnlichem überhaupt noch keine Rede. Während mir hier Wortbruch vorgeworfen wird, legt der Kollege Kirschner mit dem Kollegen Dreßler und gemeinsam mit einigen SPD-geführten Ländern der Öffentlichkeit ein Konzept vor, in dem ein Großteil dessen, was heute im Gesundheitsstrukturgesetz steht, wieder aufgegeben wird. Und Sie werfen uns Wortbruch vor!
Herr Kirschner, Sie schlagen die Abschaffung der Festbeträge und ihren Ersatz durch Arzneimittelpreisverhandlungen vor, und uns unterstellen Sie heute wieder in der öffentlichen Diskussion, wir wollten die Festbeträge abschaffen.
Sagen Sie doch der Öffentlichkeit, daß Sie sie abschaffen wollen, und nicht wir! Die Abschaffung der Festbeträge ist ein Verstoß gegen die Lahnsteiner Beschlüsse. So einfach ist das. Bleiben auch Sie beim Wort!
Bundesminister Horst Seehofer
Nein, Herr Kirschner, das ist kein redlicher Umgang, wenn man ein Konzept vorlegt, das die Ergebnisse von Lahnstein auf die Hälfte reduziert, und wenn man dann hier auftritt und sich als ehrenwerter, moralisch verantwortlicher Politiker darstellt, der der einzige sei, auf dessen Wort man sich verlassen könne und der Lahnstein auf Punkt und Komma einhalte. Sie haben vor 14 Tagen ein Konzept vorgelegt, das Lahnstein völlig aus den Angeln hebt.
Ich habe jetzt ein Problem. Der Bundesrat wartet auf mich wegen der Beratung unserer SozialhilfeVorschläge. Deshalb bitte ich um Verständnis, gerade Sie, Kollege Schmidbauer, daß ich gehe und „nur" die Frau Staatssekretärin zurückbleibt. Der Bundesrat hat schon einige Tagesordnungspunkte wegen der parallel laufenden Debatte im Bundestag verschoben.
Jetzt hat das Wort die Kollegin Monika Knoche zu einer Kurzintervention.
Herr Minister Seehofer, ich will Sie natürlich nicht aufhalten; ich habe dafür Verständnis. Nur meine ich, daß das, was Sie vorgetragen haben, zum Teil sehr aufgeregt war. Teilweise war es auch an die Bundestagsfraktion der Grünen gerichtet. Sie waren sich da wohl sehr sicher, daß Sie ein schlagendes Argumentationsmuster gegen uns haben, wenn Sie uns die Naturheilverfahren an den Kopf werfen, die nach der Positivliste herausfallen sollen. Sie haben auch noch Herrn Ellis Huber von der Berliner Ärztekammer genannt. Ich stehe hier nicht, um die Beschlüsse der Berliner Ärztekammer zu kritisieren. Ich nehme es mit Interesse zur Kenntnis, was man dort macht.
Nur weiß auch ich, daß gleichzeitig mit der Vorstellung der Positivliste gesagt wurde - das wurde auch schriftlich dokumentiert -, daß man selbstverständlich daran arbeite, für Naturheilmittel eine weitere Liste zu erstellen. Wir sind nicht diejenigen, die blauäugig auf sogenannte grüne Naturheilmittel schauen und sie als Alternativmedizin der Schulmedizin gegenüberstellen. Diese einfache Rechnung machen wir nicht. Wir erkennen sehr wohl an, daß in bezug auf die Naturheilverfahren Kriterien entwickelt werden müssen. Sie sind nicht immer ungefährlich; auch darüber wissen wir genug. Folglich müssen wissenschaftliche Kriterien entwickelt werden, um die Wirksamkeit dieser Präparate nachzuweisen. Also auch in diesem Sinne müssen Qualitätskriterien vorhanden sein. Es wird Ihnen nicht gelingen, der Bundestagsfraktion der Grünen gerade das als schlagendes Argument entgegenzuhalten. Wir legen auch hier - das sagte ich eben - Wert auf Qualität und wollen in diesem Sinn eine Positivliste einführen.
Wenn Sie jetzt noch das soziale Argument bringen, daß wir diejenigen seien, die, weil wir für die Positivliste sind, verursachten, daß die Quote der Selbstmedikation oder der Eigenfinanzierung für Ältere und chronisch Kranke steigt, dann will ich Ihnen noch ein Argument nennen, das man gesamtgesundheitspolitisch nicht unter den Tisch fallen lassen darf. Der Bedarf an und auch die Abhängigkeit von Medikamenten ist sehr stark mit der sozialen Stellung verbunden. Das ist sehr wohl richtig. Deshalb gehört das größte Augenmerk darauf gerichtet, daß die Hausärzte und auch sehr viele Fachärzte nicht bloß in einem Nachschlag eine nicht strukturverbessernde Aufwertung der „sprechenden Medizin" bekommen, sondern daß wir in die Zukunft hinein einen viel größeren Raum und eine viel bessere finanzielle Ausstattung für die „sprechende Medizin" vorhalten, damit genau die sozialen Probleme, die zu Medikamentenbedarf und -abhängigkeit führen, von der allgemeinen Gesundheitsversorgung in den Griff bekommen werden.
Das sind Ziele grüner Gesundheitspolitik. Aber wir werden Ihnen in Zukunft auch noch einige andere vorstellen.
Bitte, eine Gegenrede, Herr Minister.
Frau Kollegin Knoche, ich hätte Sie für die Berliner Positivliste nicht in Anspruch genommen, wenn Frau Steindor nicht Zuneigung zu dieser Liste und Verliebtheit in sie gezeigt und sie als Vorbild dargestellt hätte. Sie kommen aus dieser Diskussion nicht heraus, daß dies ein riesiger Anschlag auf die Naturheilmittel ist. Übrigens wird von Naturheilmitteln niemand medikamentenabhängig, und deshalb ist es doppelt schlimm, wenn man die Naturheilmittel aus dem Leistungskatalog hinauswirft.
Aus diesem Dilemma kommen Sie deshalb nicht heraus, weil in der Liste, die ja außer Kraft gesetzt worden ist, steht, daß andere Arzneimittel nicht verordnet werden sollen. Jetzt kommen die ganzen Verwerfungen aus Ihren Listenmedizin-Überlegungen: Wir machen noch eine Liste. 90 % der Deutschen sind in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert. Das heißt, wenn ein Medikament nicht mehr zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig ist, dann ist das für den Hersteller dieses Medikaments ein Existenzproblem; denn von den restlichen 10 % der Bevölkerung kann er nicht leben. Sie wollen andererseits nicht, daß man dann in der Öffentlichkeit sagt, der Patient solle es selbst bezahlen. Dann wären Sie ja unsozial; das wollen Sie nicht. Also wird das Medikament überhaupt nicht verordnet. Bis aber die neue Liste fertig ist, sind diese Arzneimittelhersteller pleite. Die können nicht ein Jahr
Bundesminister Horst Seehofer
oder neun Monate warten, bis es der Politik eingefallen ist, die Listenmedizin fertigzustellen. Das ist das Verheerende.
Deshalb sage ich aus tiefer Überzeugung: Wenn Sie die Positivliste Berlins bejahen, sagen Sie ja zur Ausgrenzung aller sanften Arzneimittel, und das sind 30 000 Medikamente in der Bundesrepublik Deutschland.
Das Wort hat der Kollege Schmidbauer aus der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir wollen doch nicht übersehen, daß der Arzneimittelmarkt in der Bundesrepublik von Arzneimitteln überquillt: 56 000 Arzneimittel drängeln sich auf dem Markt. 34 000 davon sind Alt-Arzneimittel, die sich im Stadium der Nachzulassung befinden. 34 000 Alt-Arzneimittel sind also ohne Überprüfung ihrer Wirksamkeit und Verträglichkeit für den Markt zugelassen, obwohl ein therapeutischer Nutzen bei der Behandlung einer Erkrankung nicht belegt ist. In den Apotheken wimmelt es von Mittelchen, deren Wirksamkeit nicht nachgewiesen ist, die aber bis ins nächste Jahrtausend hinein noch abverkauft werden.
Besonders makaber ist es, wenn der oberste Beamte des Ministeriums im Jahr 1994 - ich zitiere - „zu der bitteren Erkenntnis gelangt, daß wir im Jahr 1994 gar nichts gelöst haben im Gegensatz zu den europäischen Ländern, sondern daß wir nach 16 Jahren Arbeit insgesamt 10 Arzneimittel im Rahmen der Nachzulassung mit einer Zulassung versehen haben. Wohlgemerkt, 10 und nicht etwa 10 000." Diese Aussage stammt von Herrn Schulte.
Die Kassen gaben 1993 noch 6,6 Milliarden DM für Präparate mit zweifelhafter Wirkung aus. Gestern wurden in Bonn die neuen Daten des „Arzneiverordnungs-Reportes " vorgestellt und veröffentlicht. Da war wiederum erschreckend: 6,8 Milliarden DM oder 22 % werden für Arzneimittel ausgegeben, deren Nutzen für Patient und Arzt nicht belegbar ist. Das ist fast jede vierte Mark für Arzneimittel im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung. Es belegt die Tatsache, daß die Qualität der arzneitherapeutischen Versorgung bei uns mangelhaft ist.
Als einziges Land der Europäischen Union hat die Bundesrepublik es nicht geschafft, gemäß den Vorgaben der Europäischen Union den Arzneimittelmarkt bis 1990 zu ordnen und aufzuarbeiten. Als einziges Land hat die Bundesrepublik es nicht geschafft, den Markt von veralteten, wirkungslosen oder gar bedenklichen Arzneimitteln zu säubern.
- Wir reden über die 34 000.
Die jüngste Bilanz des „Arzneiverordnungs-Reportes" belegt, daß wir im Jahr 1994 Ausgaben für Arzneimittel in Höhe von insgesamt 30,8 Milliarden DM hatten. Positiv an diesem Report, der gestern vorgestellt worden ist, ist, daß die Fachleute darauf hinweisen, daß Einsparungen in der Größenordnung von 4,7 Milliarden DM möglich sind. Ich sage dazu: Wir brauchen diese Wirtschaftlichkeitsreserven, um Beitragsstabilität auch auf diesem Sektor zu gewährleisten.
Wir brauchen diese Wirtschaftlichkeitsreserven auch, um Verbesserungen durchzuführen, z. B. um den Wegfall der Selbstbeteiligung bei chronisch kranken Menschen zu erreichen.
Erschreckend ist dagegen: Die positiven Auswirkungen des Gesundheitsstrukturgesetzes auf den Arzneimittelmarkt waren nur von kurzer Dauer. Der Sparerfolg 1993 blieb einmalig. Der Anstieg der Ausgaben, 1994 bereits um 4,2 %, war schon alarmierend. Die Zunahme im ersten Halbjahr 1995 lag mehr als doppelt so hoch wie 1994.
Trotzdem haben Sie die Unverfrorenheit und schreiben in die Begründung zum Gesetzentwurf - ich zitiere -:
Die Arzneimittelausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung sind seit ... 1988 wie kein anderer Bereich der Gesundheitsversorgung unter Kontrolle.
Das Ganze wird vollends zur Ironie, wenn davon ausgegangen wird, daß eine Senkung der Ausgaben durch andere Aspekte nicht erreichbar ist. Wenn man diese Alarmsignale der Entwicklung nicht mehr hören kann, ist es dringend geboten, daß man zum Ohrenarzt geht.
Wir wären doch schon froh, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn sich die Ausgaben im Arzneimittelsektor stabilisieren würden. Aber das Chaos wird noch größer durch die Konzertierte Aktion: fünf verschiedene Meinungen - so vergangene Woche - und kein Ergebnis über den Weg, wie es mit der Arzneimittelversorgung weitergehen soll.
Dieses Chaos soll durch die Eliminierung der Positivliste vollends perfekt gemacht werden. Der Rückzieher von Herrn Seehofer wird in den Kommentaren unter dem Titel „Seehofer auf der Flucht" behandelt. Ich darf zitieren:
Seehofer will die Grenze zwischen Qualität und Schund mit einer Liste, die seinen Namen trägt, nicht ziehen. Im Interesse der Gesetzlichen Krankenversicherung . . ., im Interesse der Qualität, wäre es besser, diesen Strauß auszufechten, als
Horst Schmidbauer
der Pharmaindustrie einfach das Feld zu überlassen.
Die Gefahr einer Anarchie auf dem deutschen Arzneimittelmarkt wächst.
Wir wollen doch einmal deutlich sagen: Auf der Strecke bleiben die Schwächeren, auf der Strecke bleiben die Beitragszahler und die Patienten. Die Versicherten müssen die Stabilität des Beitrags opfern.
- Selbstverständlich, ich habe die Entwicklung doch aufgezeigt.
- Hören Sie zu, dann verstehen Sie das vielleicht besser.
Die Patienten riskieren ihren Gesundheitsschutz wegen mangelnder Qualitätssicherung.
Unsere europäischen Nachbarn haben es uns mit der Positivliste längst vorgemacht. Ich verstehe immer nicht, daß die CDU den europäischen Blick, den sie sonst immer groß lobt, in dieser Frage nicht hat.
Von Dänemark bis zur Schweiz, von den Niederlanden bis Österreich, von Frankreich bis Italien haben sie es uns vorgemacht. Sie machen es wie die Kliniken bei uns. Denn fast jedes Krankenhaus in der Bundesrepublik, das etwas auf sich hält, arbeitet schon längst intern mit einer Positivliste.
Auch den Ärzten dämmert, daß wir zuviel für solche Arzneimittel ausgeben, die gelegentlich, überhaupt nicht oder höchst ungewiß wirken. Deshalb forderte der Ärztetag doch 1992 die Positivliste.
Als Kompaß durch den Arzneimitteldschungel schafft eben die Positivliste für den Arzt Transparenz.
Als neuer Qualitätsstandard verbessert die Positivliste die Arzneimittelversorgung unserer Patienten und entrümpelt den Pharmamarkt von Arzneimüll. Die Positivliste führt eben nicht zur Rationierung, sondern zur Rationalisierung in der Arzneimittelversorgung. Sie beschneidet eben nicht die Therapiefreiheit des Arztes, sondern bietet als schlankes Musterbuch dem Arzt eine Art Hilfe an.
Die Verordnungen außerhalb der Positivliste - um das ganz deutlich zu machen - bleiben doch deshalb möglich. Das haben wir doch im Gesetz festgelegt. Sie müssen aber klar begründet werden.
Deshalb ist eine Positivliste keine Zweitzulassung, sondern eine Empfehlungsliste. Sie macht das, was unser Arzneimittelgesetz doch nicht machen kann und versäumt: Sie trennt Spreu vom Weizen, indem sie zugelassene Arzneimittel nach deren therapeutischem Nutzen gewichtet und bewertet. Das Arzneimittelgesetz versagt, weil die Anforderungen an den formalen Wirkungsnachweis für die Zulassung so niedrig angesetzt sind, daß selbst zweifelhafte Wirksubstanzen diese Hürde doch leicht nehmen können.
Damit wird auch ganz klar: Der Wirksamkeitsnachweis im Arzneimittelgesetz - wenn er denn erbracht ist - sagt noch nichts über den Nutzen einer Therapie aus.
Ich will das an einem Beispiel verdeutlichen. Wirksam nach den Kriterien des AMG ist z. B. ein Durchblutungsmittel, wenn der Patient nach der Einnahme statt 100 m 115 m schmerzfrei laufen kann. Dieser Effekt ist allerdings mit einem Gehtraining besser und vor allem nebenwirkungsfrei zu bewerkstelligen. Der therapeutische Nutzen eines Medikaments fordert doch mehr, nämlich eine faßbare und ausreichend große Beeinflussung des Krankheitsverlaufes.
Die Positivliste prüft eben nicht die Wirksamkeit, sondern den Nutzen. Das ist die Qualitätssicherung in der Arzneiversorgung. Das macht den qualitativen Sprung in der Arzneitherapie aus. Diesen leistet nicht das AMG, wohl aber die Positivliste. Der Herr Minister verschleiert die entsprechende Diskrepanz zwischen Arzneimittelgesetz hier und Sozialgesetzbuch dort. Die Prüfung des therapeutischen Nutzens durch die Zulassungsverfahren ist nach dem Arzneimittelgesetz verboten, weil das Grundgesetz eine Bedarfsprüfung ausschließt. Dieselbe Bedarfsprüfung eines Arzneimittels ist nach dem Sozialrecht dagegen geboten. Das ist der entscheidende Unterschied zwischen dem, was hier verboten, und dem, was dort geboten ist.
Arzneimittelzulassung ist ein hoheitlicher Akt und interessiert sich nicht für den therapeutischen Nutzen oder gar für die Kosten-Nutzen-Relation eines Arzneimittels, während sich das Sozialgesetzbuch gerade dafür zu interessieren hat.
Mit den Unterschieden, die ich herausgearbeitet habe, ist klar: Wir lassen keine Informationsverschmutzung zu. Im Sozialrecht, im Sozialgesetzbuch V, führt kein Weg an der Positivliste vorbei.
Horst Schmidbauer
So falsch Ihre Argumentation mit dem Arzneimittelgesetz ist, so unredlich ist das dauernde Gerede von der angeblichen „Vorfahrt für die Selbstverwaltung". Dies ist ebenfalls eine Lieblingsvokabel des Gesundheitsministers.
Es zeigt sich auch hier bei der bisherigen Arbeit des Instituts an der Positivliste, wieviel diese Lippenbekenntnisse in Wirklichkeit wert sind. Wie müssen sich eigentlich die Selbstverwaltung der Ärzte und die Selbstverwaltung der Krankenkassen fühlen, die sich auf die Besetzung des Sachverständigen geeinigt haben? Wie müssen sich die Sachverständigen des Instituts fühlen, die alle Arbeitsschritte auf der Grundlage des Gesetzes, alle Arbeitsschritte in Abstimmung mit dem Ministerium getroffen haben, die den Listenentwurf fristgerecht fertiggestellt haben und dafür die öffentliche Schelte des Ministers bekommen?
Ich denke, wir Sozialdemokraten müssen mit aller Entschlossenheit vor allem darauf achten, daß diese Rosinenpickerei der Koalition bekämpft wird. Was sind das doch für Vertragspartner, die nach Abschluß eines Vertrages die für sie unangenehmen Teile herauspicken, um sie dann anschließend zu liquidieren! Solche unzuverlässigen Vertragspartner müssen zur Ordnung gerufen werden. Wer so handelt, der vergiftet auch das politische Klima. Wer so handelt, macht sich selbst unglaubwürdig und muß wissen:
Erstens. Wer die Positivliste als zentrales Reformelement aus dem gemeinsam beschlossenen Paket von Strukturmaßnahmen eiskalt und schamlos herausschießt, ist für die SPD in Zukunft kein Verhandlungspartner mehr.
Zweitens. Solange die Lahnsteiner Vereinbarungen zur Positivliste nicht Punkt für Punkt von der Regierungskoalition eingehalten werden, kann sich der Minister den gewünschten Konsens für eine Gesundheitsreform 2000 abschminken. Die SPD schließt keine neuen Verträge mit jemandem, der zuvor gemeinsam beschlossene Gesetze bricht.
Ich will erklären: Wie war die Situation vor der Bundestagswahl? Juni 1994:
Man kann hier mit Sicherheit sagen, ein Teil der Zukunft hat schon begonnen. Das Institut „Arzneimittel in der Krankenversicherung" arbeitet ... Der augenblickliche Stand der Arbeiten erlaubt die Erwartung, daß der Termin im wesentlichen eingehalten werden kann.... Es wird mit Sicherheit auch nach der Erstellung in Deutschland insgesamt mehr Arzneimittel für alle mit Arzneimitteln behandelbaren Krankheiten geben als in anderen Industrienationen. Aus diesem Grunde besteht nach wie vor ein Gesamtinteresse an einer möglichst rechtzeitigen Verabschiedung der Liste.
Das ist interessant. So sagte es Ihr oberster Beamter Gerhard Schulte auf einer Tagung.
Es handelt sich dabei um eine Positionsbeschreibung, die den Geist von Lahnstein eigentlich widerspiegelt - noch, muß man sagen; denn mit dem Begriff „Schritt in die Zukunft", den Herr Schulte benutzt hat, war nicht zu erahnen, daß die Positivliste nach der Wahl auf kaltem Weg gekippt werden sollte. Nun soll die Geburt, die - sicherlich gegen den Widerstand der F.D.P. - mit der CDU/CSU und dem Herrn Minister zustande kam, plötzlich eine Totgeburt sein.
Was aber soll der Versicherte, der Patient eigentlich davon halten, daß ihm das Menü, das ihm vor der Wahl als schmackhaft serviert worden war, nach der Wahl als unverdaulich erklärt worden ist?
Im Moment ist der Minister sicherlich auf die F.D.P. angewiesen.
Die gilt es - wenigstens zur Zeit noch - bei der Stange zu halten. So einfach ist das: Wenn es der Regierung nutzt, dürfen die Arzneiwässerchen fließen. Wenn es ihr schaden könnte, wird der Strom eben gestoppt.
Die Wochenzeitung „Die Zeit" meint dazu: Denn der Gewinn, den sie
- gemeint ist die Pharmaindustrie -
dank Streichung der Positivliste zu erwarten hat, übertrifft die in den Sand gesetzten Kosten um ein Vielfaches. Vermutlich wird die Dankbarkeit der Branche aber sehr einseitig in Richtung F.D.P. gehen. Nachdem die Partei in den vergangenen Jahren keine Parteispenden mehr bekommen hat, gibt es jetzt wirklich keinen Grund mehr für eine derartige Zurückhaltung.
Es bleibt abzuwarten, ob die Koalition nicht selbst im Medikamentenstrom erstickt.
Zu einer Kurzintervention erhält jetzt der Kollege Kirschner das Wort.
Frau Präsidentin! Nachdem der Bundesgesundheitsminister mich mehrmals angesprochen hat, möchte ich ein paar Dinge geraderücken.
Erstens stelle ich fest: Für die SPD ist die Positivliste ein Instrument der Qualitätssicherung und der Qualitätsverbesserung - und nichts anderes.
Zur Ausgabenbegrenzung dient das Arzneimittelbudget, das ebenfalls nach dem Gesundheitsstrukturgesetz festgelegt wurde. Das ist das Instrument der Ausgabenbegrenzung.
Zweitens. Was die Behauptung angeht, die SPD habe den Konsens von Lahnstein mit entsprechenden Aktivitäten gebrochen: Ich will nur daran erinnern, daß die dritte Novelle zum SGB V von der Regierungs- und der Koalitionsseite noch vor der Bundestagswahl vorgelegt wurde. Auf die Inhalte gehe ich nicht ein. Das heißt, schon damals wurde versucht, von Lahnstein abzurücken.
Drittens. Was die Einschränkung der Therapiefreiheit für den Arzt angeht, verweise ich in aller Bescheidenheit auf die Bundestagsdrucksache 12/3608, d. h. auf unser gemeinsames Gesetz. In der Begründung steht u. a.:
Der Kassenarzt kann in Einzelfällen auch die nicht auf der Vorschlagsliste aufgeführten Arzneimittel verordnen. Er hat diese Verordnung dann allerdings gesondert zu begründen.
Dann heißt es klar und deutlich:
Die Therapiefreiheit bleibt in vollem Umfang vorhanden.
Viertens. Was die Behauptung des Bundesgesundheitsministers angeht - das hat auch der Kollege Lohmann gesagt -, daß die fünfte Novelle zum Arzneimittelgesetz die Positivliste überflüssig mache, will ich nur darauf verweisen, was in der Begründung des Gesetzes - siehe Drucksache 12/3608 - steht:
Eine Konkurrenz mit den Kriterien für die Zulassung eines Arzneimittels nach den Regelungen des Arzneimittelgesetzes besteht nicht, da die Zulassungsregelungen primär auf die Abwägung der therapeutischen Wirksamkeit und der möglichen Risiken eines Arzneimittels ausgerichtet sind. Wirtschaftlichkeitsaspekte spielen bei der Zulassung und damit auch bei den Anforderungen an das Ausmaß des nachzuweisenden therapeutischen Nutzens keine Rolle.
Meine Damen und Herren, ich stelle fest: Das ist vor dem Hintergrund dieser Positivliste geschehen. Das ist damals von uns gemeinsam eindeutig in der Begründung festgehalten worden. Damit widerlegt sich der Bundesgesundheitsminister selbst.
Ich schließe damit die Aussprache.
Interfaktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf Drucksache 13/2264 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Gesundheit und zur Mitberatung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung sowie an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Wahlprüfungsausschusses
zu den gegen die Gültigkeit der Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland eingegangenen Wahleinsprüchen
- Drucksache 13/2029 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Bertold Reinartz
Dr. Peter Paziorek Erika Simm
Anni Brandt-Elsweier
Der Kollege Wiefelspütz hat freundlicherweise gesagt, daß er seine Rede zu Protokoll geben würde. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.*)
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Wahlprüfungsausschusses auf Drucksache 13/2029. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der PDS ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Beratung des Zwischenberichts des Innenausschusses gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Hermann Bachmaier, Dr. Herta Däubler-Gmelin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Erleichterung der Einbürgerung unter Hinnahme der doppelten Staatsangehörigkeit
- Drucksachen 13/259, 13/2356 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Meinrad Belle Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Cornelia Schmalz-Jacobsen Cern Özdemir
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch, dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat jetzt die Kollegin Sonntag-Wolgast.
*) Anlage 2
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich wende mich sogleich an die Koalition: Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Geduld ist erschöpft. Seit Januar liegt der SPD-Antrag zur „Erleichterung der Einbürgerung unter Hinnahme der doppelten Staatsangehörigkeit" dem Deutschen Bundestag vor. Am 9. Februar haben wir ihn nach intensiver Debatte an den Innenausschuß verwiesen.
Immer wieder versuchen wir Ihnen klarzumachen, daß unsere Vorlage dringlich ist. Bis heute haben Sie aber die Beratung im Innenausschuß verschleppt.
Was Sie als „noch vorhandenen Beratungsbedarf " eher vornehm umschreiben, ist in Wahrheit - das wissen wir doch -, der alte, aber nach wie vor akute Dissens zwischen Union und Liberalen in dieser Frage.
Wir können und wollen jetzt nicht länger warten, und wir wollen Sie zwingen, Flagge zu zeigen, nicht um Sie in Ihrer Zerstrittenheit vorzuführen - obwohl auch das ruhig einmal aktenkundig werden kann -, sondern im Interesse der vielen Menschen ausländischer Herkunft, die hier längst ihren Lebensmittelpunkt gefunden haben und mit Recht jetzt ihren Anspruch auf eine volle politische Teilhabe einfordern.
Weil das so ist, wählt die SPD einen ungewöhnlichen, in der Geschäftsordnung aber durchaus vorgesehenen Weg. Eine Fraktion kann nach Ablauf von 10 Sitzungswochen dafür sorgen, daß der Bundestag über den Stand der Beratungen unterrichtet wird. Das tun wir hiermit und fordern den Innenausschuß, Herr Penner, zur Einhaltung seiner Pflichten auf und verlangen, daß der Antrag unverzüglich - ich denke, eine Zeit von zwei Wochen ist angemessen - endlich beraten und über ihn beschlossen wird.
Unsere Forderungen sind einfach und einleuchtend. Ich will nur noch in aller Kürze rekapitulieren: Wir wollen den Bürgern nichtdeutscher Herkunft nach fünf Jahren Aufenthalt die Möglichkeit und nach acht Jahren den Rechtsanspruch auf Einbürgerung geben. Die bisherige Staatsangehörigkeit beizubehalten soll dabei kein Hinderungsgrund sein. Kinder von hier lebenden Ausländern sollen automatisch mit der Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben, d. h. das Abstammungsprinzip wird durch das Territorialprinzip ergänzt.
Das alles sind dringliche, ja überfällige Schritte. Sie dienen der Integration, und sie sind die logische Folgerung aus der Erkenntnis, daß die Bundesrepublik de facto längst ein Einwanderungsland ist. Wenn Sie sich, meine Damen und Herren, dieser Einsicht weiter verschließen, wenn Sie weiterhin die Einbürgerung durch hohe Hürden und zu lange Wartezeiten erschweren, dann fördern Sie damit eine Entwicklung, die sich leider unter den ausländischen Bürgern ohnehin bemerkbar macht: Viele ziehen sich aus Enttäuschung zurück und separieren sich. Ich finde, das ist keine gute Entwicklung.
Wir Sozialdemokraten wollen diese Ausgrenzung nicht, sondern wir wollen die Integration; wir wollen das friedliche Miteinander von Einheimischen und Zugewanderten. Davon darf man aber nicht nur reden, sondern dafür muß man auch etwas tun.
Was beobachten wir statt dessen? Die Koalition dümpelt in trüber Uneinigkeit vor sich her, und ab und zu reckt ein Liberaler oder eine Liberale mit einem munteren Bekenntnis zur Einbürgerungserleichterung und Duldung der Mehrstaatigkeit aus diesem Boot den Kopf in die Höhe und sackt alsbald ängstlich wieder in sich zusammen.
- Ja, es ist nun einmal so, Frau Schmalz-Jacobsen, auch wenn Sie den Kopf schütteln; Sie wissen sehr genau, von was ich spreche.
Dann hören wir, daß sich in der F.D.P. immer stärkeres Mißbehagen an dem ohnehin verunglückten, aber in der Koalitionsvereinbarung nun einmal festgelegten Modell der Kinderstaatszugehörigkeit ausbreitet. Dann gibt es Pressemeldungen, nach denen der Bundesinnenminister die Frist für die Einbürgerung auf zehn Jahre herabsetzen wolle, und die werden flugs wieder dementiert. Dann wieder hört man leise Schalmeienklänge aus dem Lande Bayern, nach denen selbst die dortige Staatsregierung - ja nicht unbedingt an der Spitze des Fortschrittes - ein Jahrzehnt Aufenthalt für ausreichend hält.
Liebe Kollegen und Kolleginnen aus der Union, Sie fürchten offenbar noch immer die Hinnahme der doppelten Staatsangehörigkeit wie die Allergiker den Pollenflug. Ich kann es mir nicht anders vorstellen, auch wenn Ihre Gegenargumente immer fadenscheiniger werden und die Front der Ablehnung bröckelt.
Die Liste derjenigen Namen, die sich für unseren Kurs aussprechen, auch aus Ihren Reihen, wird länger, und immer wieder höre ich mehr Namen auch aus dieser Bundestagsfraktion. Vernunft und Oberzeugungskraft sind nun einmal offenkundig auf unserer Seite. Fast täglich erreichen uns Stellungnahmen derer, die unseren Kurs befürworten und diese Reform wollen: von Bürgerinitiativen über die Ausländerbeauftragten, die Gewerkschaften und die Wohlfahrtsverbände bis hin zur Katholischen Arbeitnehmerbewegung, die ja erst vorgestern die Einbürgerungspolitik der Bundesregierung als „Integrationshindernis" kritisierte. Ich finde, da hat diese Organisation ganz recht.
Wir wollen den Weg zur Einbürgerung von überflüssigen Stolpersteinen befreien. Dabei ist die doppelte Staatsangehörigkeit wahrhaftig, meine Damen und Herren, nicht unser Traumziel und unsere Zauberwaffe. Wir wollen sie aber hinnehmen und akzeptieren die Haltung derer, die aus unterschiedlichen
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast
Gründen - materiellen, erbrechtlichen, aber auch aus Gründen der emotionalen Bindung an ihr Herkunftsland - nicht alle Brücken hinter sich abbrechen wollen.
Unser Antrag liefert wahrhaftig nicht die volle Grundlage, wohl aber ganz wesentliche Bausteine zu der noch immer anstehenden großen Reform des Staatsangehörigkeitsrechts, zu einer Reform, Herr Staatssekretär Lintner, die uns die Bundesregierung trotz andersklingender Versprechungen bis auf den heutigen Tag schuldig bleibt.
Grund für diese Verzögerungstaktik ist nun einmal der Streit in der Koalition. Das mag Ihre Sache sein; aber dann sollten Sie der Öffentlichkeit auch klar und deutlich sagen, daß Sie wegen dieses Zwistes Ihre Aufgabe nicht bewältigen können.
Im übrigen war die Vorlage einer Reform des Staatsangehörigkeitsrechts auch Bestandteil des Asylkompromisses. Gerade Innenminister Kanther, der ja immer wieder vor der Aushöhlung dieses Kompromisses warnt, hat ihn in wichtigen Bestandteilen bisher nicht umgesetzt. Dazu gehört der besondere Aufenthaltsstatus für die Flüchtlinge, dazu gehört aber auch die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts.
Liebe Kollegen und Kolleginnen, ich komme zum Schluß. Überwinden Sie vielleicht doch Ihren Streit, und bitte möglichst bald, geben Sie endlich dieses Signal für mehr Partnerschaft an die Einheimischen und an die Zuwanderer weiter! Denn wer Fanatismus und Fundamentalismus nicht will, der muß unser Konzept wollen.
Das Wort hat Kollege Meinrad Belle.
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Ich habe gerade noch das Wort „Streit" gehört. Wer streitet hier eigentlich? Kann man noch mehr streiten als in der SPD? Kann man noch mehr streiten als in der SPD zum Einwanderungsgesetz: Einwanderungsgesetz ja, Einwanderungsgesetz nein?
Ich wäre mit diesen Äußerungen ein bißchen vorsichtig.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, als ich diesen Tagesordnungspunkt gesehen habe, ist mir ein altes kleines Gedicht eingefallen. Wenn die Frau Präsidentin einverstanden ist, würde ich Ihnen dieses Gedichtchen gern kurz vortragen.
Sie wissen, Gedichte genehmige ich immer.
Leider nicht vertont. Beim nächsten Mal werde ich mich bemühen, Herr Penner, das auch noch vertont vorzutragen.
Es lautet:
Wir ändern morgen, ändern heut, wir ändern wütend und erfreut, wir ändern, ohne zu verzagen,
an allen sieben Wochentagen.
Wir ändern teils aus purer Lust, mit Vorsatz und teils unbewußt, wir ändern gut und auch bedingt, weil Ändern immer Arbeit bringt.
Wir ändern resigniert und still, weil jeder es so haben will.
Die Alten ändern und die Jungen, wir ändern selbst die Änderungen.
Wir ändern, was man ändern kann, und stehen dabei unseren Mann. Ist die Arbeit auch gut gelungen, bestimmt verträgt sie Änderungen.
Wir ändern deshalb früh und spät alles, was zu ändern geht.
Wir ändern heut und jederzeit, zum Denken bleibt uns keine Zeit.
Die Initiative der SPD beschränkt sich auf die Erleichterung des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit insbesondere unter Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft. Das ist uns zuwenig.
Wir wollen nicht Teilbereiche ändern und wieder ändern, wir wollen eine generelle Reform des Staatsangehörigkeitsrechts.
In der Koalitionsvereinbarung von Ende 1994 heißt es:
Die Bundesregierung wird eine umfassende Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vornehmen.
Dabei werden auch die rechtlichen Regelungen, die für die bei uns lebenden Ausländer die berechenbaren Grundlagen für ihre Lebensplanung bilden, weiter verbessert.
Die im Einbürgerungsverfahren bisher vorgesehenen Ermessensentscheidungen sollen weitge-
Meinrad Belle
hend durch Rechtsansprüche ersetzt und Fristen beim Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit verkürzt werden.
Für in Deutschland geborene Kinder der dritten Generation wird eine deutsche Kinderstaatszugehörigkeit ... neu eingeführt .. .
Meine Damen und Herren, ich weiß - auch Sie sollten es und könnten es wissen -, daß im Bundesinnenministerium die Arbeiten unverzüglich aufgenommen worden sind. Bereits Anfang Januar dieses Jahres wurde den Innenministerien der Bundesländer ein Fragenkatalog zu dem neuen Rechtsinstitut Kinderstaatszugehörigkeit übersandt und um Stellungnahme gebeten. Nicht alle Äußerungen der Bundesländer sind allzuschnell eingegangen.
Meine Damen und Herren, den Stein der Weisen findet man nicht per Knopfdruck oder auf Kommando der SPD-Bundestags-Fraktion. Eine gute Lösung, gerade eine umfassende Lösung, braucht Zeit, und wir nehmen uns diese Zeit. Wir sind auch dabei, eine gute Lösung zu erarbeiten.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Penner?
Meinem Vorsitzenden im Innenausschuß immer.
Herr Kollege Belle, so lange sind Sie noch nicht in der Innenpolitik, aber soviel ist immerhin klar: Wir haben in der Bundesrepublik 1,7 Millionen Menschen, die eine doppelte Staatsangehörigkeit besitzen.
1,3 Millionen glaube ich, aber es spielt keine Rolle.
Meine Frage ist: Wollen Sie diesen 1,3 oder 1,7 Millionen zum Zwecke der Erzielung der einheitlichen Staatsangehörigkeit eine der beiden Staatsangehörigkeiten aberkennen, oder wohin geht die Reise Ihrer Politik?
Das ist eigentlich bekannt. Wir haben dies bereits in verschiedenen Presseveröffentlichungen dargelegt. Es geht hier nicht um die doppelte Staatsbürgerschaft von Menschen, die aus gemischtnationalen Ehen stammen, sondern um den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit für hier wohnhafte Ausländer. Diese Sache wollen wir uns gut überlegen; denn wir wollen eine gute Reform machen. Dazu brauchen wir ein bißchen Zeit.
- Ich habe geantwortet. Herr Schily, Sie haben vorhin nur gestört. Hätten Sie zugehört, hätten Sie mitbekommen, daß ich die Frage meines Vorsitzenden beantwortet habe.
Wie gesagt, wir sind dabei, eine gute Lösung zu erarbeiten. Vor wenigen Tagen haben wir Innenpolitiker der CDU/CSU-Fraktion uns auf einer Klausurtagung intensiv mit den Eckpunkten beschäftigt. Wir werden in den nächsten Tagen mit unserem Koalitionspartner die Gespräche über die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts aufnehmen.
Wir sind uns über weitere Erleichterungen bei Einbürgerungen, das Ersetzen der bisherigen Ermessensentscheidungen durch Rechtsansprüche und die Verkürzung der Fristen einig.
Es ist kein Geheimnis - wir haben auch noch nie eines daraus gemacht -, daß wir bei der Frage der doppelten Staatsbürgerschaft unterschiedlicher Meinung sind. Wir werden diese Koalitionsgespräche aber wie bisher in gewohnt sachlicher Atmosphäre führen. Ich bin mir sicher, daß wir ein gutes Ergebnis finden werden. Das alte Sprichwort „Gut Ding muß Weile haben" gilt auch hier.
Der Antrag auf Zwischenbericht des Innenausschusses gemäß § 62 der Geschäftsordnung ist natürlich zulässig. Er ist aber auch so durchsichtig wie klares Glas. Der Versuch, unsere Koalition an diesem Punkt auseinanderdividieren zu wollen, wird mißlingen. Das werden Sie sehen. Ich habe es vorhin schon gesagt: Sie wollen in dieser Frage doch nur von Ihren eigenen Schwierigkeiten - Einwanderungsgesetz ja, Einwanderungsgesetz nein - ablenken.
Meine Damen und meine Herren, wir werden in dieser erfolgreichen Regierungskoalition von CDU/ CSU und F.D.P. auch in diesem Punkt unsere Hausaufgaben erledigen und eine umfassende Reform des Staatsangehörigkeitsrechts in der Verantwortung für unsere Bürger, deutsche wie ausländische, verwirklichen.
Vielen Dank.
Es spricht jetzt der Kollege Cern Özdemir.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Belle, ich bin mir nicht ganz sicher, wie die Zeit des Schweigens von seiten der Bundesregierung in Sachen Reform des Staatsangehörigkeitsrechts zu
Cern Özdemir
bewerten ist. Ich weiß nicht, ob Herr Kanther oder in seiner Vertretung Sie, Herr Lintner, die Zeit genutzt haben, kontemplative Überlegungen anzustellen, wie denn nun das Staatsangehörigkeitsrecht im ausgehenden 20. Jahrhundert in Deutschland, in der Mitte Europas gestaltet werden soll. Ich habe allerdings die Hoffnung nicht aufgegeben, daß wir noch in dieser Legislaturperiode mit einer Reform rechnen können. Die Ankündigung der Einsetzung einer Arbeitsgruppe aus den Reihen der Union läßt zumindest einen leichten Hoffnungsschimmer zu.
Diese Bewegung ist, so denke ich, dringend notwendig; denn die Lebenssituation der Nichtdeutschen in der Bundesrepublik Deutschland hat sich in den letzten 20, 30 Jahren tiefgreifend verändert. Von etwa 7 Millionen Nichtdeutschen, die hier wohnen, lebt ein Viertel bereits länger als 20 Jahre bei uns. Die Mehrzahl ihrer Kinder ist hier geboren. Sie sind Bestandteil dieses Landes und bekennen sich zu diesem Land. Sie sind keine Ausländer mehr; sie sind neue Inländer.
Ich denke, es besteht ein öffentliches Interesse daran, mit der Absurdität aufzuhören, daß wir in diesem Land Ausländer produzieren;
denn Kinder, die in dieser Republik auf die Welt gekommen sind, sind nach geltender Rechtsauffassung Ausländer. Auch ihre Kindeskinder sind noch immer Ausländer, und deren Kinder bleiben Ausländer. Ich glaube, wir sollten mit diesem Unsinn in Deutschland aufhören.
Mir ist nicht bekannt, daß sich irgend jemand darüber beschwert, wenn ein türkischstämmiger Ringer Goldmedaillen für Deutschland holt. Im Gegenteil, wir sind alle stolz darauf. Vielleicht sollten wir eher stolz darauf sein, daß dieses Land eine multikulturelle Gesellschaft ist und daß sich die Zusammensetzung dieser Gesellschaft verändert hat. Vielleicht sollten wir es anderen Bürgern dieser Republik leichter machen, den Paß dieses Landes zu bekommen.
Meine Kolleginnen und Kollegen, wir stehen vor einer sehr anspruchsvollen Aufgabe. Es geht darum, Inländer, die bisher nicht gleichberechtigt sind, rechtlich und politisch gleichzustellen. Es geht darum, Jugendlichen ein Zugehörigkeitsgefühl zu dieser Gesellschaft zu geben. Es geht darum, den alten Menschen dieser Republik deutlich zu machen, daß sie Bestandteil dieser Gesellschaft sind, daß sie dafür honoriert werden, daß sie 30 Jahre ihres Lebens hier verbracht haben. Kurzum, wir wollen sie zu Bürgern erster Klasse in dieser Republik machen.
Wenn ein Teil dieser Menschen sich zur Zeit von dieser Gesellschaft abwendet, dann hat dies auch etwas damit zu tun, daß es uns nicht gelungen ist, diese Menschen zu integrieren, ihnen das Gefühl zu
geben, daß dieses Land ihre zweite bzw. erste Heimat geworden ist. Nicht wir sollten sie anklagen, sondern wir sollten uns fragen, was wir falsch gemacht haben, wo wir bei der Integration dieser Menschen Fehler gemacht haben.
Es werden immer wieder Nachteile der doppelten Staatsbürgerschaft ins Feld geführt, zum Teil zu Recht, zum Teil zu Unrecht. Lassen Sie uns doch in einem Punkt bestehende Einigkeit bestätigen: Ich kenne niemanden in diesem Haus, der sagt, das Staatsangehörigkeitsrecht sollte nicht reformiert werden.
Warum lassen Sie uns dann nicht an den Fragen arbeiten, in denen wir doch offensichtlich einig sind? Das betrifft die Fragen, daß Kinder, die in diesem Land geboren sind, ein Geburtsrecht auf den deutschen Paß bekommen sollten, daß Menschen, die ihren Lebensmittelpunkt in diesem Land haben, die über viele Jahre hinweg in diesem Land leben, einen solchen Rechtsanspruch nach acht Jahren bekommen sollen. Warum wollen wir in diesen Fragen nicht endlich eine Lösung der Vernunft finden?
Warum wollen wir nicht bei der Frage der Mehrstaatlichkeit oder der doppelten Staatsbürgerschaft einmal genau hinschauen, um welche Personengruppe es sich handelt? Auch nach geltendem Ausländergesetz ist es zur Zeit möglich - das wissen Sie alle -, daß Menschen die doppelte Staatsbürgerschaft bekommen können, wenn die Aufgabe der Staatsbürgerschaft nur unter unzumutbaren Härten möglich wäre.
Lassen Sie uns doch einmal genau anschauen, um wen es sich handelt. Warum können wir für Iraner, die von ihrem Herkunftsland nicht ausgebürgert werden, weil sie Oppositionelle sind, keine vernünftige Lösung finden? Warum sagen wir nicht bei den Angehörigen der ersten Generation: Wir erkennen an, daß ihr zwischen zwei Welten gelebt habt, daß ihr eine Brücke braucht, wir schlagen euch eine Brücke, und diese Brücke heißt doppelte Staatsbürgerschaft.
Lassen Sie uns auch an dieser Stelle endlich aus den parteipolitischen Schützengräben heraustreten und eine Lösung finden, die Deutschland und Europa angemessen ist. Lassen Sie uns damit aufhören, daß wir das Schlußlicht in Europa bilden.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Schmalz-Jacobsen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Sonntag-Wolgast, ich trete hier durchaus unängstlich an das Podium. Die Frage hat auch weniger mit Angstlichkeit oder Mut zu tun. Allerdings ist es nicht mehr besonders spannend, und es gefällt mir auch nicht,
Cornelia Schmalz-Jacobsen
daß dieses Thema ein Dauerbrenner in diesem Haus geworden ist.
Das dient auch nicht dem, was die ausländische Wohnbevölkerung von uns erwarten darf.
Die ausländische Wohnbevölkerung hat sich ganz überwiegend auf einen Daueraufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland eingestellt. Das wissen wir alle. Mehr als die Hälfte lebt länger als zehn Jahre hier, viele von ihnen weit länger. 2,5 Millionen junger Leute leben bei uns, die unter 25 Jahren sind. Fast zwei Drittel von ihnen sind bei uns geboren.
Die erleichterte Einbürgerung ist also geboten. Prinzipiell gibt es darüber ja auch gar keine unterschiedliche Meinung, nur der Weg macht die Schwierigkeiten. Das Parlament muß Druck machen, damit wir hier endlich vorankommen.
- Ich mache Ihnen doch gar keinen Vorwurf.
Die Vereinbarungen, die in der Koalition getroffen worden sind, müssen auf den Tisch. Sie müssen in Bälde umgesetzt werden.
Für die F.D.P. will ich sagen, daß wir selbstverständlich weitere Erleichterungen bei der Einbürgerung wollen. Wir wollen kürzere Fristen,
und wir wollen keine Verteufelung der Doppelstaatsbürgerschaft. Sie ist kein Allheilmittel, aber die Praxis hat sich auch in anderen Ländern so weitgehend an das Völkerrecht angepaßt, daß dies auch für uns interessant ist. Übrigens lohnt es sich auch, die Frage zu stellen, was eigentlich mit den Europäern, den EU-Bürgern ist. Wir streben eine Unionsbürgerschaft an. Zumindest da sollte dieses Problem keine Rolle mehr spielen.
Es geht uns ebenfalls um die Kinder, spätestens in der dritten Generation. Das wissen Sie alles.
Aber es ist ja weitere Bewegung in die Debatte gekommen.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Sonntag-Wolgast?
Ja, natürlich, gern.
Frau Kollegin Schmalz-Jacobsen, wir hören gerade vom Kollegen Belle, daß munter an der Kinderstaatszugehörigkeit gearbeitet wird. Wir vernehmen aus Ihren Kreisen
steigende Zweifel gerade an diesem Modell. Können Sie mir eine Antwort darauf geben, welchen Kurs wir erwarten dürfen?
Ich will Ihnen gerne sagen, Frau Kollegin, daß wir in den Beratungen sind und daß wir mit allen Möglichkeiten dafür eintreten werden, daß diese Kinder der dritten Generation die gleichen Rechte haben wie deutsche Kinder, die hier geboren sind.
Daß weitere Bewegung in die Debatte gekommen ist, pfeifen die Spatzen von den Dächern, und zwar sowohl draußen vor Ort als auch hier im Parlament; denn immer weniger Leute können und wollen sich den Ideen eines zusammenwachsenden Europas verschließen. Dazu gehört ein modernes Staatsbürgerschaftsrecht, das den Entwicklungen, die wir sehen, Rechnung trägt. Das hat auch Angleichungen innerhalb der Europäischen Union zur Folge. Es ist nun einmal ein Kernstück eines weltoffenen, selbstbewußten, demokratischen Gemeinwesens, zu fragen: Wer gehört zu uns? Wie definieren wir den Staatsbürger? Kein Mensch glaubt doch im Ernst daran, daß man das immer noch nur nach der Abstammung tun kann. Dann könnten nämlich die anderen, die sich einbürgern lassen wollen, nie mehr richtige Staatsbürger werden. Das geht gar nicht. Daran glaubt ja auch kein Mensch mehr.
Wir müssen allerdings zwei Dinge strikt auseinanderhalten - das will ich bei dieser Gelegenheit sagen -: Wir müssen die Einreise, zu der logischerweise eine Ausreise gehört, und die Einwanderung auseinanderhalten. Entschuldigen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, daß ich dieses Un-wort gebrauche, aber man muß es manchmal gebrauchen, auch um klare Abgrenzungen zu treffen. Zu der Einwanderung gehört die Integration und gehört die Einbürgerung.
Herr Scharping hat uns nun alle überrascht und gesagt, daß er eine Zuwanderung gegen null haben will. Wie er das machen will, ist mir schleierhaft. Aber vielleicht erklärt er das irgendwann.
Ich möchte gerne etwas zu den Zuzugszahlen der sogenannten Gastarbeiter und ihrer Nachfolger sagen, weil es nicht schaden kann, Dinge einfach zu wissen. Es wird häufig ein großer Popanz aufgebaut, daß die Familienzusammenführung unermeßliche Zahlen mit sich bringt. Das ist nicht wahr, und das möchte ich hier sagen. Sehen wir einmal auf die Anwerbeländer, und sehen wir uns einmal den Wanderungssaldo an: Die Zahlen für 1993 liegen vor. Bei den Griechen waren es ganze 748, bei den Italienern 713. Bei den Spaniern gibt es ein Minus. Hier gibt es einen negativen Wanderungssaldo von 1327. Bei den Portugiesen hat man uns schreckliche Sachen erzählt, welchen Zuzug wir haben werden. Der Wanderungssaldo beträgt nur 6 500.
Cornelia Schmalz Jacobsen
Interessant wird es bei den Türken. Das ist die Bevölkerungsgruppe, bei der immer wieder große Angst erzeugt wird oder wo unterschwellig Angst besteht. Der Wanderungssaldo bei den Türken im Jahre 1993 betrug 21492. Das ist gering angesichts einer Bevölkerungsgruppe, die so groß ist, nämlich 2 Millionen. Was die Geschichte noch komplizierter macht, ist, daß bei den Zahlen der Türken die Asylbewerber dazukommen. Das waren im Jahr 1993 19 000. Also rechnen Sie einmal nach, was da übrigbleibt.
Aus dem ehemaligen Jugoslawien sind es zum größten Teil Bürgerkriegsflüchtlinge. Also nennen Sie bitte keine Horrorzahlen, was den Familiennachzug der Gastarbeiter angeht.
Zum Schluß lassen Sie mich sagen: Man kann im wohlverstandenen Interesse des Landes - und das sollte man auch tun - strikt und stringent sein beim Hereinlassen. Aber wer drin ist, sollte drinnen nicht auch noch abgewehrt werden, dem sollte man nicht mit Mißtrauen begegnen. Den sollte man dann aufnehmen. Dazu gehört die erleichterte Einbürgerung. Dieser Appell richtet sich an beide Seiten.
Ich richte auch die Aufforderung an die, die eigentlich Deutsche mit ausländischem Paß sind: Lassen Sie sich einbürgern! Seien Sie uns willkommen! Wir wollen Sie haben; wir wollen Sie einbürgern.
Ich höre von immer mehr Gemeinden, daß Anträge auf Einbürgerung zum Teil überhaupt nicht mehr angenommen werden. Hier in der Nähe gibt es z. B. eine solche Gemeinde. Sie kann die Anträge nicht mehr bearbeiten.
Da muß es in einem geordneten Verwaltungsverfahren bitte so laufen, daß Leute umgesetzt werden, die dann diese Anträge bearbeiten können. Es geht nicht, daß sich Menschen zu uns bekennen wollen, deutsche Staatsbürger werden wollen, alle Voraussetzungen erfüllen und dennoch nicht aufgenommen werden. Sorgen Sie, meine Kolleginnen und Kollegen, in Ihren Gemeinden bitte dafür, daß sich hier etwas rührt; denn sonst sind alle unsere Reden, die wir hier halten, Schall und Rauch.
Das Wort hat die Kollegin Ulla Jelpke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, wie ehrlich es die SPD mit der heutigen Debatte meint; denn wir haben erst vor wenigen Wochen hier den Gesetzentwurf zur doppelten Staatsbürgerschaft aus der vergangenen Legislaturperiode diskutiert, der in dieser Legislaturperiode von den Grünen erneut eingebracht wurde. Mir als Obfrau im Innenausschuß ist der Druck der SPD nicht spürbar geworden. Mir ist nicht bekannt, daß dort auch nur ein einziges Mal Druck dahin gehend gemacht worden wäre, daß jetzt endlich die doppelte Staatsbürgerschaft diskutiert wird.
Der Antrag, den Sie jetzt eingebracht haben, bleibt um einiges hinter dem Antrag, den Frau Schmalz-Jacobsen in der letzten Legislaturperiode erarbeitet hat zurück. Ich finde dieses Thema eigentlich zu traurig, um sich damit zu profilieren. Wir konnten in diesen Fragen bislang nichts, wirklich nichts verändern.
Ich möchte daran erinnern, daß in der vergangenen Legislaturperiode nach jedem rassistischen Übergriff auf Asylunterkünfte oder einzelne Ausländer und Ausländerinnen immer wieder betont und beteuert wurde, endlich müßten die doppelte Staatsbürgerschaft und andere Verbesserungen her.
Ich meine, daß der Druck der SPD in Sachen Ausländerpolitik nicht besonders groß ist, z. B. wenn es um Bürgerkriegsflüchtlinge, um die Asylaltfälle, um die Abschiebehaft und, wie gesagt, auch um die doppelte Staatsbürgerschaft geht.
In dem Antrag, den Sie einbringen, schlagen Sie im Grunde genommen vor, das Abstammungsprinzip beizubehalten. Da bin ich der Meinung, daß die Koalitionsforderung ein Stück weiter geht. Denn immerhin wird dort zum erstenmal akzeptiert: Wer hier geboren ist, ist deutsch. Sie machen immer noch das Abstammungsprinzip bzw. Blut mit zum Kriterium für eine Einbürgerung. Die in Ihrem Antrag vorgesehenen Fristen sind wie in den vergangenen Legislaturperioden zu lang. Das will ich auch weiterhin kritisieren.
Das ändert nichts daran, daß man auch die Bundesregierung kritisieren muß. Die Koalitionsfraktionen haben vor einem Jahr hier versprochen, die Einbürgerung zu erleichtern. Sie haben bisher nur angekündigt, wer hier geboren wird, soll die deutsche Staatsbürgerschaft für 18 Jahre bekommen. Ich denke, das ist eine Schnupperstaatsbürgerschaft. Die lehnen wir natürlich ab. Wer hier geboren wird, ist deutsch. Das hat auch Frau Schmalz-Jacobsen hier ausgeführt. Das kann ich nur unterstützen; das ist ein sehr wichtiger Punkt, um das Leben miteinander gleichberechtigt zu gestalten.
Ich möchte auch darauf hinweisen, daß die Zahl der Anträge auf Einbürgerung vor allen Dingen wegen der faktischen Abschaffung des Asylrechts und wegen der Sonderrechte im Ausländergesetz angestiegen ist. Die Ausländer und Ausländerinnen sind in diesem Land tatsächlich Bürger und Bürgerinnen zweiter Klasse. Sie werden mit diesen Gesetzen diskriminiert. Das führt dazu, daß andere sich motiviert fühlen, rassistisch zu handeln oder ausländerfeindlich zu sein.
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist leider zu Ende.
Ich komme zu meinem letzten Satz: Ich denke, die Bundesregierung tut gut daran, endlich einen Entwurf vorzulegen, um die Beratungen im Innenausschuß schnell voranzubringen. Ich hoffe, daß dann nach sechs Jahren Debatte über diese Frage endlich etwas Positives für die Betroffenen dabei herauskommt.
Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Körper das Wort.
Ich möchte zu dem letzten Beitrag bezüglich der Anmahnung der Frau Kollegin bei den verschiedenen Obleutegesprächen folgendes bemerken: Da gibt es bei Ihnen vielleicht eine Gedächtnislücke. Das ist aber Ihr Problem und nicht unser.
Ich sage, um hier einer Legendenbildung vorzubeugen ganz deutlich, daß wir in den Gesprächen diesen Antrag immer wieder auf die Tagesordnung setzen wollten. Das geht aber nur - ich gucke den Kollegen Hirsch an -, wenn die Mehrheit dem zustimmt; das ist ganz selbstverständlich. Dies war allerdings bisher nicht der Fall.
Im übrigen will ich, um Ihr Gedächtnis ein bißchen aufzufrischen, an unsere Initiativen z. B. im Zusammenhang mit der Altfallregelung im Ausländergesetz und der Asylgesetzgebung oder an unsere Initiative bezüglich des § 32a des Ausländergesetzes erinnern.
Ich denke, man sollte nicht solche Gerüchte in die Welt setzen. Wir haben das bisher so besprochen, und das ist Fakt.
Zur Kurzintervention Ulla Jelpke.
Ich will Ihnen einen ganz einfachen parlamentarischen Weg nennen: Sie hätten längst den heutigen Antrag ohne Debatte in den Innenausschuß überweisen lassen können, und Sie hätten verlangen können, daß der Innenausschuß die doppelte Staatsbürgerschaft auf die Tagesordnung setzt. Das wäre überhaupt kein Problem gewesen.
Meiner Meinung nach führen Sie heute eine reine Profilierungsdebatte; denn, wie gesagt, der Antrag der Grünen liegt im Innenausschuß - nicht beraten. Wenn Sie Änderungen vornehmen wollen, können Sie das im Innenausschuß vortragen.
- Ja, aber zu einer Beschleunigung haben Sie in dieser Legislaturperiode in der Tat nichts beigetragen, Herr Körper. Zeigen Sie mir ein Protokoll über Obleutegespräche, wo dieser Tagesordnungspunkt erwähnt ist.
Herr Kollege Hirsch, bitte.
- Liebe Kollegen, drei Kurzinterventionen sind schon viel. Wir können aber nicht eine zweite Debattenrunde beginnen. Es tut mir leid.
Ich möchte eine Bemerkung zu der Rede der Kollegin Jelpke machen, die sich in der Tat auf die Verabredungen der Obleute bezogen hat. Nur dazu will ich etwas sagen.
Ich zucke immer zusammen, wenn einer sagt: Das ist Fakt. Ich glaube, ich habe noch ein einigermaßen gut funktionierendes Gedächtnis. Wir waren uns in den Obleutegesprächen eigentlich immer darüber einig, daß man sich in einer streitigen Frage überlegen muß, ob man dazu beitragen will, daß man in der Sache weiterkommt, ob man also die Terminierung der Beratungen so vornimmt, daß für die Betroffenen dabei etwas Vernünftiges herauskommt
- in diesem Fall die Ausländer, um deren Staatsangehörigkeit es geht -, oder ob die Priorität darin liegt, daß man die politische Auseinandersetzung im Plenum streitig führen will, um den anderen vorzuführen.
In dieser Frage waren wir uns bisher mit den Kollegen der SPD und denen der CDU/CSU erfreulicherweise immer insoweit einig, daß es besser ist, sich um die Terminierung so zu kümmern, daß im Ergebnis etwas für diejenigen herauskommt, denen wir uns gemeinsam verpflichtet fühlen, nämlich für die Ausländer, die seit vielen Jahren in der Bundesrepublik leben und deren Integration wir erleichtern wollen.
Ich hoffe trotz der Reden, die hier gehalten worden sind, daß diese Übereinstimmung auch in Zukunft in den Fraktionen weiter vorhanden ist und vorrangig sein wird.
Bitte, Herr Ausschußvorsitzender.
Danke schön, Frau Präsidentin!Frau Kollegin Jelpke, es geht nicht um einen neuen Sachantrag, sondern es geht um die Darstellung eines Verfahrensstandes. Das Plenum hat Anspruch darauf, zu erfahren, warum ein Sachantrag, der zu einem sehr frühen Zeitpunkt dieses Jahres dem Innenausschuß federführend überwiesen worden ist - in diesem Fall geht es um einen Sachantrag der SPD, der die doppelte Staatsangehörigkeit betrifft -, innerhalb eines halben Jahres nicht hat behandelt werden können.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. September 1995 4769
Dr. Willfried PennerDie Gründe dafür hat Herr Dr. Hirsch in der ihm eigenen eleganten Art dargestellt. Frau Schmalz-Jacobsen hat es auch eingeräumt: Es gibt Differenzen, Angleichungsnotwendigkeiten zwischen zwei Partnern, die zueinander finden wollen. Ich hoffe im Interesse der Betroffenen, daß das geschieht.Frau Jelpke, es geht also nicht um einen Sachantrag der Grünen, sondern es geht um einen Sachantrag der SPD.Noch eines will ich sagen: Wenn sich im Obleutegespräch herausstellt, daß die Mehrheit nicht willens oder in der Lage - oder beides - ist, im Innenausschuß darüber sachlich zu beraten, dann bestünde theoretisch die Möglichkeit, daß der Vorsitzende diesen Punkt auf die Tagesordnung des Innenausschusses setzt. Das hätte aber nur die Konsequenz, daß sich am Anfang die Mehrheit zu Wort meldet und darum bittet, diesen Tagesordnungspunkt abzusetzen. Das macht auch keinen Sinn.Jetzt bin ich wieder mit meinem alten Kollegen Dr. Hirsch einig. Da im Parlament nun einmal die Mehrheit das entscheidende Sagen hat, hat es im Interesse der Betroffenen keinen Zweck, Prinzipienreiterei zu betreiben. Das ist vermieden worden. Aber gleichwohl kann ich berichten, daß die SPD immer darum geworben hat, ihren eigenen Antrag auf die Tagesordnung zu setzen.Schönen Dank.
Ich schließe damit die Aussprache.
Ich rufe die Punkte 18a bis 18c der Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Heidi Knake-Werner und der Gruppe der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes
- Drucksache 13/983 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Wirtschaft
Verteidigungsausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Gesundheit
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Heidi Knake-Werner, Petra Bläss und der Gruppe der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes - Nichtberücksichtigung der Kirchensteuer in den neuen Ländern
- Drucksache 13/1843 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Finanzausschuß
c) Beratung des Antrags der Gruppe der PDS
Arbeitsmarktpolitische Sofortmaßnahmen für 1996
- Drucksache 13/2263 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Gesundheit
Haushaltsausschuß
Es ist gebeten worden, die Reden zu Protokoll zu geben*). Ich bitte dazu um Ihre Zustimmung. Lediglich die PDS soll eine Redezeit von zwei Minuten bekommen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Damit erteile ich der Kollegin Heidi Knake-Werner das Wort. Die anderen Reden werden zu Protokoll genommen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Auch ich hatte zugestimmt, meine Rede zu Protokoll zu geben, trotzdem darum gebeten, zwei Minuten sprechen zu dürfen. Denn es handelt sich um „unseren" Tagesordnungspunkt. So häufig haben wir nicht die Chance, hier eine Aussprache über unsere politischen Vorstellungen zu führen. Ich wollte deshalb wenigstens kurz sagen, worum es sich bei unserem Antragspaket handelt.
Wir haben zum einen einen Regelungsvorschlag für den Kirchensteuerabzug vorgelegt, der generell noch vorgenommen wird. Wir denken, das ist wegen des Bundesverfassungsgerichtsurteils längst überfällig. Wir wollen eine Verbesserung beim Selbstbehalt bei Erwerbstätigkeit von Arbeitslosen. Darüber hinaus wollen wir Sofortmaßnahmen zum Arbeitsförderungsgesetz, die sich insbesondere darauf beziehen, Sozialhilfeberechtigte zukünftig in die Arbeitsförderungsmaßnahmen einzubeziehen. Das wäre eine echte Entlastung der Kommunen. Wir möchten gern, daß Arbeitsförderungsmittel entsprechend den Arbeitslosenzahlen in den Regionen regional zugewiesen werden.
Schließlich möchten wir mit diesem Antrag erreichen, daß es nicht zu weiteren Abstrichen bei AB-Maßnahmen und solchen nach § 249 h AFG kommt, weder was den Umfang noch was die Fördermodalitäten angeht. Das ist gegenwärtig das Kernproblem, das auch im Blick auf die anstehenden Haushaltsberatungen deutlich wird.
Ich habe zugestimmt, daß die Reden zu Protokoll gegeben werden, weil ich es auch nicht besonders glücklich finde, immer Donnerstag nachts oder Freitag nachmittags über Arbeitsmarktpolitik zu diskutieren. Ich wünschte mir eine übergreifende Initiative aller Sozialpolitikerinnen mit dem Ziel, dieses wichtige Thema endlich einmal zu Zeiten zu diskutieren, wo das Plenum voll ist und wo auch andere Menschen mehr davon mitbekommen, nämlich diejenigen, die es vor allen Dingen betrifft.
*) Anlage 3
Dr. Heidi Knake-Werner
Ich habe mich sehr geärgert, daß ich zugestimmt habe, insbesondere gestern nach der Debatte über die Diätenerhöhungen. Ich wünschte mir zur Sozialpolitik und zur Arbeitsmarktpolitik ein einziges Mal eine solch engagierte und emotionsgeladene Debatte wie gestern.
Danke schön.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorlagen auf den
Drucksachen 13/983, 13/1843 und 13/2263 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie damit einverstanden? - Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir sind damit am Schluß der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 27. September 1995, 13.00 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.