Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Themen der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Nachversicherung von ausscheidenden Bundeswehrsoldaten in der Rentenversicherung, Tierschutzbericht 1995 und Erste Vertragsstaatenkonferenz zur Klima-Rahmenkonvention: Stand der inhaltlichen und organisatorischen Vorbereitung.
Wie Sie wissen, wird zum ersten Thema ein fünfminütiger Bericht gegeben. Dann stehen die anderen Themen ebenso für Ihre Fragen offen.
Ich bitte den Verteidigungsminister, Herrn Rühe, um den Bericht.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit Jahrzehnten bestehen in der Nachversicherung von ausscheidenden Soldaten Rückstände gegenüber den Rentenversicherungsträgern. Hauptgrund ist, daß die Versicherungspflicht in der Masse der Fälle zunächst gar nicht feststeht, sondern vom weiteren Verhalten der Betroffenen abhängig ist. Es sind also keine versteckten Schulden, sondern offene und allen Beteiligten offenkundige Fälle der Nachentrichtung von Beiträgen.Die Ausschüsse des Deutschen Bundestages wurden hierüber vor etwa einem Jahr ausführlich unterrichtet. In allen Ausschüssen wurde der aus finanziellen Gründen notwendige Abbau in mehreren Jahresschritten ausdrücklich zur Kenntnis genommen. Auch die Sozialdemokraten, die Opposition, haben damals keine Einwände dagegen erhoben.In den Jahren 1981 bis 1983 — und das zeigt, daß es kein neues Phänomen ist —, also zu einem Zeitpunkt einer anderen Regierungskonstellation, hatten wir mit etwa 80 000 Altfällen der Nachversicherung die höchsten Rückstände.
— Ja, aber es ist interessant, wer damals regiert hat, Herr Kollege Fischer.
Damals gab es keine deutsche Einheit, keine Notwendigkeit, die Bundeswehr radikal zu reduzieren, viele Zeitsoldaten freizusetzen, sondern es waren ganz normale Jahre bei der Bundeswehr. Ich stelle fest, damals gab es die höchsten Zahlen, was die Nachversicherung angeht. Ich glaube, das sollte einige in der heutigen Debatte etwas ruhiger machen.
— Ich weiß, daß Sie sich danach sehnen, vielleicht auch einmal Verantwortung zu übernehmen, aber wir müssen zunächst einmal feststellen, daß das kein neues Phänomen ist.Wir haben nach 1982 diese Zahlen systematisch abgebaut. Sie sind erst wieder im Zusammenhang mit den Problemen der deutschen Einheit angestiegen. Wir haben zunehmend deutlich steigende Haushaltsmittel ab 1989 und insbesondere nach den Ausschußberatungen ab 1994 aufgewendet, um die Bugwelle der Altfälle weiter zu reduzieren. Am Ende des Jahres 1994 gab es noch knapp 55 000 Altfälle. Das sind alle Fälle zusammengenommen, die, die bearbeitet werden können, und die, die noch nicht bearbeitet werden können, was in der Regel ungefähr ein Drittel der Fälle ausmacht. Werden die in der Finanzplanung vorgesehenen Beträge bewilligt, dann wird der Überhang 1997 vollständig abgebaut sein, und wir werden insofern eine Situation haben, die es vorher noch nicht gegeben hat.Ich stelle zweitens fest: Die nachzuversichernden Soldaten werden durch eine spätere Nachversicherung nicht benachteiligt. Für die Rentenversicherungsträger entsteht aus der späteren Zahlung kein Nachteil, weil sich die Aktualisierung der Einkommen auf die Beitragshöhe auswirkt und grundsätzlich zu einem Ausgleich führt.In der öffentlichen Diskussion ist vielfach der Vergleich mit einem privaten Arbeitgeber angestellt worden, der sich verbietet, weil er argumentativ in
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Bundesminister Volker Rüheeine völlig falsche Richtung führt. Insofern ist ein Vergleich mit einem privaten Arbeitgeber, der seinen Zahlungsverpflichtungen gegenüber der Rentenversicherung nicht nachkommt, völlig unzulässig. Wir haben es mit einer ganz anderen Situation zu tun, als sie im privatrechtlichen Arbeits- und Versicherungsverhältnis besteht. Das heißt: Der Tatbestand der Nachversicherung für ausscheidende Zeitsoldaten durch den Bund ist nicht mit der laufenden Entrichtung von Beiträgen für Arbeitnehmer vergleichbar. Diese führt das Bundesministerium der Verteidigung natürlich wie jeder Arbeitgeber monatlich ab; hier gibt es keinerlei Rückstände. Das Problem der Nachversicherung von ausscheidenden Zeitsoldaten, die ja praktisch wie Beamte behandelt werden, stellt sich im privaten Bereich überhaupt nicht. Von daher ist es nicht zulässig, den Eindruck zu erwecken, daß es im Hinblick auf die aktuellen Zahlungsverpflichtungen einen Rückstand gäbe.Im Falle der Nachversicherung steht die Beitragslast zu einem erheblichen Teil lange nicht fest, so daß das Bundesministerium der Verteidigung stets einen hohen Fluktuationsbestand hat, bei dem nachgezahlt werden muß, und wir es hier insofern mit einer Sondersituation zu tun haben.Ich fasse zusammen: Bei sachlicher Betrachtung der Ursachen für die Rückstände sind die erhobenen Vorwürfe unberechtigt. Die Reduzierung der Bundeswehr, insbesondere die soziale Absicherung der ehemaligen Angehörigen der NVA sowie die Kürzung der Verteidigungsausgaben seit 1991 um 6 Milliarden DM ließen ein anderes Verfahren als den Abbau in Jahresschritten nicht zu. Innerhalb des Etats gibt es keine weiteren Möglichkeiten; alles andere würde zu einem Verdrängungseffekt führen, der im übrigen im Verteidigungsausschuß auch von einem Sprecher der Opposition als seine Sorge angesprochen worden ist.Gegenüber der früheren Praxis stellen wir weit überproportionale Beträge zum vollständigen Abbau der Nachversicherungsfälle zu Lasten anderer Bereiche zur Verfügung und erreichen damit das bisher noch nie erzielte Ergebnis des vollständigen Abbaus bis 1997.Soweit mein Bericht zu diesem Sachverhalt,
Danke schön, Herr Bundesminister.
Die erste Wortmeldung liegt mir vom Kollegen Joachim Fuchtel vor.
Herr Minister, können Sie im einzelnen den Bestand zum jeweiligen Jahresende — etwa ab dem Jahre 1975 — darstellen,
urn der deutschen Öffentlichkeit aufzuzeigen, daß wir
durchaus in der Bandbreite früherer Jahre liegen,
wenn wir im Augenblick ein etwas höheres Soll
haben, und können Sie dabei die Jahre hervorheben, die vor der deutschen Einheit lagen?
Ich will das gerne tun. Es zeigt sich, daß wir trotz der Sonderbelastung durch die deutsche Einheit besser dastehen als zu ganz normalen Regierungszeiten.
— Haben Sie Zweifel daran, daß es normale Regierungszeiten waren, als andere regiert haben?
Jetzt greife ich aber ein: Das Wort hat der Bundesminister.
Der Rückstand betrug 1978: 42 915, 1979: 59 919,
1980: 68 606, 1981: 77 291, 1982: 80 185, 1983: 81 324, und 1984 hatten wir — Sie werden sich an die historischen Veränderungen erinnern, die es damals bei der Zusammensetzung der Regierung gegeben hat — einen Rückgang um 30 000 in einem Jahr auf 51 548.
Im Jahre 1985 — das soll die letzte Zahl sein, die ich nenne — gab es eine weitere Rückführung auf 39 432.
Als nächster der Kollege Rauber.
Herr Minister, Sie haben darauf hingewiesen, daß es 1982, als die SPD die Bundesregierung stellte, über 80 000 dieser unerledigten Fälle und Ende 1994 mit 38 000 weniger als die Hälfte gegeben hat. Wie erklären Sie sich, daß dies in all den letzten Jahren bei plus/minus 80 000 Fällen so hingenommen wurde, jetzt darüber aber plötzlich als Skandal gesprochen wird?
Herr Abgeordneter, argumentativ ist mir das auch rätselhaft. Aber ich möchte keinen Zweifel daran lassen, daß wir uns nicht an dem schlechten Vorbild orientieren, das damals gegeben worden ist. Vielmehr werden wir alle Anstrengungen unternehmen, um diese Altfälle in der Tat so zeitnah wie möglich abzubauen. Ich glaube, das ist eine große Leistung, wenn Sie sich die Enge des Verteidigungsetats im
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Bundesminister Volker Rüheletzten Jahr anschauen und sich daran erinnern, daß wir die Zahlung für die nächsten Jahre vor einem Jahr in den Ausschüssen im Einvernehmen mit allen Fraktionen angekündigt haben. Wir haben 400 Millionen DM aus dem letzten Haushalt zusätzlich realisiert, um die Zahl der Altfälle abzubauen. Wir werden uns also nicht an dem schlechten Beispiel orientieren. Das kann ich Ihnen versprechen.
Eine weitere Frage der Abgeordneten Lotz.
Herr Minister, können Sie bestätigen, daß es zu den von Ihnen geschilderten Altfällen zumindest seit dem 30. Juni 1993 eine geänderte Rechtslage durch den Erlaß des Innenministers gibt, daß die Nachentrichtung der Beiträge nun unverzüglich zu erfolgen hat und die aufschiebende Wirkung lediglich die Ausnahme sein soll, so daß Ihr Vergleich mit den früheren Jahren zumindest in dieser Hinsicht hinkt?
Ich weiß nicht, ob Sie beklagen, daß der damalige Innenminister die Bundesregierung nicht gemahnt hat, das zeitnah durchzuführen. Es gibt keine veränderte Rechtslage, sondern es gibt in der Tat das Bestreben dieser Bundesregierung, sich nicht an dem schlechten Beispiel zu orientieren.
Ich stehe voll hinter dem, was der Innenminister gesagt hat. Auch das hat uns dann zu den zusätzlichen Anstrengungen gebracht, die ich eben geschildert habe.
Noch einmal: Führen Sie sich einmal vor Augen, daß es in der deutschen Geschichte einmalig ist, aus zwei Armeen eine zu machen, eine Zahl von Hunderttausenden von Soldaten abzubauen, jährlich eine viel größere Zahl von Zeitsoldaten zu haben, die ausscheiden! Angesichts dieser Tatsachen ist das wirklich eine große Leistung. Das ändert aber nichts daran, daß wir diese Bilanz in den nächsten Jahren mit energischen Schritten noch weiter verbessern.
Zusatzfrage.
Den Erlaß des Innenministers gibt es, und danach wird nicht verfahren. Nur das will ich feststellen.
Das können Sie feststellen, aber es wird dadurch nicht richtig. Wir orientieren uns daran, das so zeitnah wie möglich zu machen. Ausgeben können wir nur das Geld, das uns das Parlament zur Verfügung stellt. Ich
empfehle Ihnen vielleicht ein Gespräch mit dem verteidigungspolitischen Sprecher der SPD-Fraktion. Im Ausschuß hat mich eben sehr beeindruckt, daß er gesagt hat, wir müssen verhindern, daß es durch dieses Problem zu Verdrängungseffekten vielleicht in anderen Teilen des Verteidigungshaushalts kommt. Das heißt, aus dem Verteidigungshaushalt sind über das hinaus, was wir vorgesehen haben, keine zusätzlichen Mittel zu aktivieren. Wir haben im nächsten Jahr 1,8 Milliarden DM vorgesehen. Von daher glaube ich, daß dies ein vernünftiger Weg in die Zukunft ist.
Herr Kollege Kolbow.
Herr Bundesminister, nachdem Sie mit freundlicher Unterstützung Ihres Fraktionskollegen so sehr auf die Vergangenheit abgehoben haben, darf ich Sie in diesem Zusammenhang fragen, wie das im Kabinett war und ob denn nicht der Herr Bundesminister der Finanzen, der Hüter unseres Haushalts, gesagt hat: Geht nicht so nah an das vermeintlich schlechte Beispiel von Vorgängerregierungen heran, sonst komme ich möglicherweise in eine Situation, daß ich mit meiner Senkung der Nettokreditaufnahme unglaubwürdig wäre. Könnten Sie uns über diesen Dialog im Kabinett, die Verantwortung des Bundesfinanzministers für die Höhe dieser nicht geleisteten Nachversicherung und auch die Stellungnahme des Herrn Blüm, der die Belange der Rentenversicherung zu wahren hat, etwas sagen?
Herr Abgeordneter Kolbow, ich darf Ihnen natürlich keine Auskunft über direkte Gespräche geben. Aber ich darf mich zunächst dafür bedanken, daß Sie selbst von dem „schlechten Beispiel" gesprochen haben. Das ist es in der Tat.
Richtig ist, daß der Finanzminister in den letzten schwierigen Jahren des deutschen Einigungsprozesses alle Anstrengungen unternommen hat, um die Kreditaufnahme zu begrenzen. Das ist ihm in einem ganz erheblichen Maße gelungen, im vergangenen Jahr über die Planungen hinaus. Das ist unser aller Interesse.Ich darf noch einen Unterschied zu der Zeit damals schildern, der zeigt, daß es uns wirklich um die Anliegen der Rentenversicherung geht. Nach meiner Kenntnis ist es so, daß damals eben nicht dynamisiert nachgezahlt wurde. Wenn jemand später nachversichert wurde, ist man nach dem Stand zum Zeitpunkt seines Ausscheidens gegangen. Insofern — das muß ich auch den Kollegen aus Ihrer Fraktion, die beklagt haben, daß Kosten auf den Bund zukommen, sagen — ist das eine Verbesserung gegenüber der Rentenversicherung. Wir sagen: Wenn wir verspätet zahlen, dann müssen die Zahlungen auch dynamisiert werden.Ich finde, auch in diesem Fall zeigt sich, daß unser Verhalten gegenüber der Rentenversicherung besser ist als das der SPD-geführten Regierung in den 70er und 80er Jahren.
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Ihr Fazit aus der Diskussion am heutigen Tage ist, daß Sie der Versicherung keine Mark mehr schuldig bleiben? Verstehe ich Sie da richtig?
Mein Fazit ist: Die Kritiker sollten sich an das erinnern, was sie damals gemacht haben. Wir müssen den Prozeß des beschleunigten Abbaus der Altfälle, so wie das im vergangenen Jahr in den Ausschüssen besprochen worden ist, in den nächsten Jahren fortsetzen. Dann haben wir einen Stand erreicht, den es vorher nie gegeben hat.
Frau Mascher.
Herr Verteidigungsminister, Ihre Parlamentarische Staatssekretärin hat heute im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung eine Reihe von Fragen beantwortet. Sie hat dort erklärt, daß das Verteidigungsministerium zwar auf der einen Seite höhere Beiträge leisten muß, dies aber auf der anderen Seite dadurch mehr als ausgeglichen werden wird, daß für den Bundeshaushalt keine Kreditzinsen entstehen.
Ist es richtig, daß eine Prüfung des vermeintlichen Ausgleichsmechanismus stattgefunden hat, und halten Sie es für korrekt, die Nettokreditaufnahme dadurch niedrig zu halten, daß Sie Zahlungen, zu denen Sie verpflichtet sind, aufschieben?
Frau Kollegin, ich denke, das hat sich auf die nicht hinzunehmenden Äußerungen des stellvertretenden SPD-Fraktionsvorsitzenden Dreßler bezogen,
der den Vorwurf erhoben hat, wir würden zu Lasten des Bundes handeln. In diesem Zusammenhang ist dieser Hinweis gekommen.
Aber mindestens so wichtig ist das, was ich eben gesagt habe: daß sich die Regierung unter der Führung der Sozialdemokraten damals zu Lasten der Rentenversicherung verhalten hat, indem sie die Nachversicherung nicht dynamisiert hat, sondern die Zahlungen zum Stand des Ausscheidens vorgenommen hat. Das wirkt sich in der Tat so aus, daß der Bund mehr spart, aber die Rentenversicherungen um die Einnahmen gebracht werden, die ihnen zustehen.
Angesichts dieser Entscheidungsnotwendigkeit ist die Politik, die wir vertreten und die auch die Frau Parlamentarische Staatssekretärin bei Ihnen im Ausschuß vorgetragen hat, goldrichtig.
Zusatzfrage? — Bitte.
Ich darf noch einmal nachfragen: Haben Sie in der Tat Zahlungen, zu denen Sie verpflichtet sind, aufgeschoben, nachdem Sie geprüft hatten, daß die Kreditzinsen höher wären als die höheren Beiträge, die geleistet worden sind? Sollten
Sie das nicht geprüft haben, dann fände ich das Verhalten, wie Sie mit Haushaltsmitteln umgehen, ausgesprochen oberflächlich und schlampig.
Diese Bewertung muß ich zurückweisen; wir haben das nicht so gemacht.
Ich hielte es auch für skandalös, wenn sich der Bund, nur um Zinsen zu sparen, so verhalten würde. Der Bund muß versuchen, die Beiträge zeitnah an die Rentenversicherung abzuführen.
Ich glaube, daß das wirklich die Zielsetzung sein muß.
Wenn auf Grund der angestiegenen Zahl der Fälle Schwierigkeiten auftauchen, dann leidet die Rentenversicherung nicht darunter — ich finde, das ist ein großer Fortschritt —, denn wir leisten die Zahlungen dynamisiert. Ich halte das für die bessere Politik als das, was die sozialdemokratisch geführte Bundesregierung damals gemacht hat, die sich praktisch zu Lasten der Rentenversicherung verhalten hat.
Gibt es noch weitere Fragen? — Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Minister, habe ich Ihre Ausführungen in der Quintessenz richtig verstanden, daß das Anmahnen der Außenstände durch den Verband der Rentenversicherungsträger eigentlich überflüssig, wenn nicht gar ein Teil einer böswilligen Kampagne gewesen ist?
Solche Formulierungen würde ich nicht verwenden, denn ich habe vollen Respekt vor dem Anliegen der Rentenversicherung, die Beträge so zeitnah wie möglich zu bekommen. Das ist auch unser Anliegen. Ich habe Ihnen geschildert, warum wir das nicht ganz geschafft haben, allerdings sehr viel besser als Sie in der Vergangenheit. Insofern ist das Anliegen berechtigt.
Ich hätte mir allerdings gewünscht, daß auch darauf hingewiesen worden wäre, daß wir die Zahlungen — so wie sie von allen Fraktionen in den Ausschüssen in diesem schwierigen letzten Jahr einvernehmlich zur Kenntnis genommen worden sind — um 400 Millionen DM übertroffen haben. Ein Wort der Würdigung hätte ich mir gewünscht. Vielleicht können Sie das ja noch leisten.
Eine Zusatzfrage, Herr Palis?
Herr Minister, zum Schluß eine informative Frage: Wenn Sie die Außenstände am 31. Dezember 1994 überwiesen hätten, wäre es dann teurer geworden als in diesem Jahr, oder ist es umgekehrt?
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Wenn ich die Frage richtig verstehe, dann zielt sie noch einmal darauf ab, ob dem Bund durch die Dynamisierung zusätzliche Kosten entstehen. Diese Frage habe ich schon einmal beantwortet: Auf der einen Seite wird es für den Bund teurer — weil wir uns gegenüber der Rentenversicherung gerechter verhalten, als Sie das damals gemacht haben —, auf der anderen Seite — darauf hat auch die Parlamentarische Staatssekretärin hingewiesen — entstehen durch die verzögerte Zahlung — nicht als unser Ziel, aber faktisch — Einsparungen im Zinsbereich. Unser Ziel ist trotzdem, zeitnah zu zahlen, um in den Zahlungen sowohl die Dynamisierung als auch den anderen Effekt, den ich angesprochen habe, zu vermeiden.
Eine letzte Frage dazu. Herr Rauber, bitte.
Herr Verteidigungsminister, Sie haben vorhin betont, daß dem einzelnen Soldaten keine Nachteile entstehen, daß in einem Todesfall oder in einem sonstigen Versorgungsfall sofort nachversichert wird. Sind die einzelnen Gebührnisämter auch zukünftig in der Lage, diese Nachversicherungen sofort vorzunehmen?
Ja, ich gehe davon aus. Das Interesse der Soldaten steht wirklich ganz im Vordergrund. Mir ist kein Fall bekannt, bei dem es dort Probleme geben würde. Wenn das der Fall wäre, dann würde ich mich sofort einschalten, um sicherzustellen, daß dem einzelnen Versicherten keinerlei Nachteil entsteht.
Vielen Dank, Herr Bundesminister der Verteidigung.
Gibt es zum Tierschutzbericht Fragen? — Bitte schön, Frau Kollegin Klappert.
Ich möchte vom Minister gern wissen, welche konkreten Maßnahmen er vorgesehen hat, um die Gesetze, in denen heute noch zwingend Tierversuche vorgeschrieben sind, zu überprüfen und zu ändern und eine Änderung dann auch wirklich durchzuführen, damit Alternativmethoden eingesetzt und zwingend vorgeschrieben werden.
Wir bemühen uns auf internationaler Ebene, Tierversuche zu verringern. Einerseits bemühen wir uns darum, daß Doppelforschung vermieden wird, d. h. daß nicht bei den gleichen Problembereichen in Deutschland und in anderen Ländern geforscht wird — Voraussetzung dafür ist die gegenseitige Anerkennung der Verfahren —; andererseits fördern wir die Entwicklung von Alternativ- und Ersatzmethoden mit einer Reihe von Verfahren.
Insgesamt werden mehr als 140 Projekte gefördert, in denen Ersatzmethoden zu Tierversuchen erforscht werden. Dadurch kann entweder die Zahl der benötigten Tiere verringert oder es können Tierversuche ganz vermieden werden. Unser Ziel ist es, durch immer mehr Alternativ- und Ersatzmethoden die Zahl der Tierversuche weiter zu verringern und dies dann auch in Verordnungen und Gesetzen umzusetzen.
Zusatzfrage.
Herr Minister, ich frage Sie: Haben Sie die finanzielle, personelle und materielle Ausstattung von ZEBET verbessert, um die Überprüfung und Validierung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden wirklich zu beschleunigen?
Die Entwicklung und Überprüfung von Ergänzungs- und Ersatzmethoden soll auch in Zukunft nicht an personellen und finanziellen Engpässen scheitern. Deswegen werden wir hier
soweit es notwendig ist — Aufstockungen vornehmen. Dies wird bei den Haushaltsberatungen erneut überprüft.
Herr Bredehorn.
Herr Minister, sehen Sie bald die Möglichkeit einer europäischen Tierschutztransportrichtlinie analog unserer deutschen Tierschutztransportverordnung, insbesondere auch im Hinblick auf die neuen EU-Mitglieder Schweden, Finnland und Österreich, bei denen ich den Eindruck habe, daß die Sensibilität für eine positive Entscheidung größer ist?
Wir haben uns in der Agrarratssitzung im Dezember 1994 auf wichtige Rahmenbedingungen bei Tiertransporten verständigt: Anforderungen an Transportfahrzeuge, Ladedichten, Sachkundenachweis für das Transportpersonal, Fütterungszeiten, Tränkzeiten und Ruhezeiten. Wir haben uns ebenfalls darauf verständigt, daß die Exporterstattung für Lebendtierexporte in Zukunft vom Zustand der Tiere abhängig gemacht werden soll, in dem sie im Empfängerland ankommen.Strittig geblieben ist die Frage der Begrenzung der Tiertransportzeiten. Weil dies strittig geblieben ist und hierin keine Einigung erzielt werden konnte, haben wir eine nationale Verordnung auf den Weg gebracht, der der Bundesrat zugestimmt hat und die jetzt im Notifizierungsverfahren ist. Hierzu wird die Europäische Kommission in Kürze Stellung nehmen. Die Beratungen im Agrarrat in dieser Woche haben gezeigt, daß wir durch die Erweiterung weitere Länder hinzugewonnen haben, die uns in unserem Bemühen unterstützen, die Tiertransportzeiten in Europa so zu begrenzen, daß Tiertransporte auch unter Gesichtspunkten des Tierschutzes verantwortbar sind. Ich glaube, das sind gute Voraussetzungen dafür, in den nächsten Monaten eine europaweite Regelung zu erreichen, die unseren Vorstellungen entspricht, die etwa dem entspricht, was wir auch in unserer nationalen Verordnung festgelegt haben.
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Zusatzfrage.
Herr Minister, dies ist ja alles sehr begrüßenswert. Wir gehen in Deutschland voran. Können wir denn sicherstellen, daß die Transportdauer, die wir vorschreiben — das ist ja auch gut so —, überprüfbar ist, damit das Ganze dann auch umgesetzt wird? Können wir das gewährleisten? Ist das technisch möglich?
Die Überprüfung der Transportzeiten ist technisch möglich, weil in den Begleitpapieren Abfahrtszeiten, Tränk- und Futterzeiten und Ankunftszeiten vermerkt werden müssen, so daß an Hand der Begleitpapiere die Transportzeiten und die eingehaltenen Bedingungen überprüft werden können. Genauso entscheidend ist aber, daß wir ebenfalls überprüfen, ob Vorschriften, etwa bei der Ladedichte, bezüglich der Eignung der Transportfahrzeuge und des Sachkundenachweises des Personals, eingehalten werden.
Danke. — Frau Mehl.
Herr Minister, befaßt sich der Tierschutzbericht mit folgendem Problem, und wie steht die Bundesregierung dazu: Die Deutsche Lufthansa transportiert im Jahr ca. 4 000 Makakenarten, also Affen, aus dem asiatischen Raum nach Frankfurt. Dort werden sie umgeschlagen und im europäischen Raum für Tierversuche verwendet. Die Deutsche Lufthansa sagt, sie müsse diese Transporte ausführen, weil sie dazu verpflichtet sei. Der Bundesverkehrsminister sagt, wenn es einen Antrag gäbe, würde sie von dieser Verpflichtung entbunden. Da die Deutsche Lufthansa zu 51 % der Bundesrepublik gehört, würde es doch Sinn machen, daß dieser Antrag käme. Haben Sie sich damit auseinandergesetzt?
Hier muß überprüft werden, unter welchen Bedingungen die Transporte durchgeführt werden und unter welchen Bedingungen die Transporte durchgeführt würden, wenn sie nicht mehr von der Lufthansa durchgeführt würden. Wir müssen die Transporte auf den benötigten Umfang reduzieren. Wir müssen vor allen Dingen sicherstellen, daß die Bedingungen der Transporte so sind, daß sie Tierschutzaspekten genügend Rechnung tragen.
Zusatzfrage,
Das Problem in diesem Falle ist nicht so sehr der Transport, sondern die Naturentnahme dieser Arten, wobei etwa 80 % der Tiere eingehen. Sie werden hier in Europa zu Versuchszwecken verwendet. Wenn diese Tiere nicht transportiert werden könnten — zumindest nicht mit einer deutschen Fluglinie —, dann könnten sie nicht für solche Zwecke verwendet werden. Darum stelle ich die Frage, ob Sie eine Initiative dahin gehend starten können, daß die Deutsche Lufthansa diese Transporte nicht mehr durchführt.
Ich glaube, eine solche Initiative wäre nur dann sinnvoll, wenn wir damit wirklich den von Ihnen geschilderten Zustand verhindern könnten. Die Initiative wäre nicht sinnvoll, wenn die Transporte dann mit anderen Luftfahrtgesellschaften erfolgten, bei denen wir auf die Transportbedingungen und auch darauf, woher die Tiere kommen, überhaupt keinen Einfluß mehr haben. Deswegen, glaube ich, müssen wir hier versuchen, gerade international eine Absprache zu erreichen, mit der wir verhindern, daß es sich um Tiere handelt, die gefangen worden sind und die dann unter Umständen transportiert werden, die nicht akzeptabel sind. Ich glaube, gerade bei Lufttransporten ist ein Alleingang wenig sinnvoll.
— Das Ergebnis zeigt, daß es hier immer darauf ankommt, daß wir eine internationale Regelung erreichen, weil man bei Lufttransporten und Transporten von Tieren aus anderen Erdteilen nach Europa dies nicht allein über Eingriffe oder Vorschriften bei einem einzigen Luftfahrtunternehmen erreichen kann.
Jetzt ist es genug; Sie haben sich eine Zusatzfrage ermogelt.
Herr Michels.
Herr Minister, Sie haben schon von den Bemühungen der Bundesregierung berichtet, die Realitäten des Tiertransportes europaweit zu verbessern. Ich möchte noch fragen: Was hat die Bundesregierung unternommen, um die Zahl und die Durchführung der Tierversuche europaweit den deutschen Praktiken mehr anzupassen?
Tierversuche lassen sich ja dadurch verringern, daß erstens Doppelforschung vermieden wird, d. h. daß nicht für den selben Untersuchungszweck Tierversuche in Deutschland und in anderen Ländern durchgeführt werden, und daß zweitens in verstärktem Umfang Alternativ- oder Ergänzungsverfahren eingesetzt werden. Wir bemühen uns im Rahmen der OECD, aber auch der Europäischen Union erfolgreich darum, die Bedingungen, unter denen Tierversuche durchgeführt werden, aber auch die Versuchsanordnung so zu gestalten, daß die Ergebnisse der Versuche international anerkannt werden. Damit können wir wirkungsvoll vermeiden, daß zu dem selben Zweck Versuche in unterschiedlichen Ländern durchgeführt werden. Wir überprüfen auch international die Ergebnisse von Alternativ- oder Ergänzungsverfahren, damit die Ergebnisse international anerkannt werden und dadurch Tierversuche vermieden werden können und ihre Zahl verringert werden kann.
Zusatzfrage?
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, ob von den Mitgliedsländern der Europäischen Union ein anderes Land — so wie
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Meinolf MichelsDeutschland durch die Bundesregierung — alle zwei Jahre einen Tierschutzbericht vorlegt?
Da bin ich im Augenblick überfragt; ich will das aber gern nachprüfen.
Ich kann noch die Fragen von Frau Lengsfeld und Herrn Heinrich berücksichtigen. Danach müssen wir die Regierungsbefragung beenden, obwohl sich weitere Abgeordnete gemeldet haben.
Frau Lengsfeld.
Herr Minister, sollen Tiertransporte auch in Zukunft subventioniert werden? Wenn ja, sollen diese Subventionen an bestimmte Bedingungen geknüpft werden?
Ich vermute, daß Sie mit der „Subventionierung von Tiertransporten" die Exporterstattungen für die Ausfuhr von Lebendvieh in Länder außerhalb der Europäischen Union meinen. Es gibt eine Reihe von Abnehmerländern, die wir nicht mit Fleisch, sondern die wir nur mit lebenden Tieren beliefern können. Wir wollen diese Exporterstattungen — das ist das Ergebnis der Beratungen im Agrarrat im Dezember — in Zukunft an bestimmte Bedingungen knüpfen, d. h. wir wollen die Auszahlung der Exporterstattungen abhängig machen von der Art des Transports und dem Zustand, in dem die Tiere im Empfängerland ankommen. Dies soll von Mitarbeitern der Europäischen Kommission überprüft werden. Ich glaube, nur dann erhalten wir einen objektiven Bericht darüber, wie die Transportbedingungen waren und in welchem Zustand die Tiere sind.
Daß sich Tiertransporte über lange Strecken durchführen lassen, ohne daß es zu einer Beeinträchtigung der Tiere kommt, und daß dabei Tierschutzaspekte berücksichtigt werden, zeigt der Export von Zuchttieren.
Eine Zusatzfrage, Herr Heinrich.
Herr Minister, ich möchte eine Frage stellen, die in die gleiche Richtung geht. Die Europäische Union hat sich einiges vorgenommen, indem sie in den Drittländern eine Überprüfung vornimmt. Wie stellen Sie sich diese Überprüfung vor? Wie stellen Sie sich die Überprüfung des Transports vor? Ich nehme an, daß wir in den Drittländern keine polizeilichen Maßnahmen durchführen können.
Die Kontrolle der Transporte bis zum Verlassen der Europäischen Union erfolgt durch die Mitgliedstaaten im Rahmen der Bedingungen, die wir in der Transportrichtlinie festlegen wollen. Dann sollen die Tiere und die Transportfahrzeuge bei der Ankunft im Empfängerland überprüft werden.
Dazu muß das Einverständnis des Transporteurs vorliegen. Wenn er mit diesem Verfahren nicht einverstanden ist, kann das dazu führen, daß die Exporterstattung für Lebendviehexporte nicht gezahlt wird. Ich bin sicher, daß dann, wenn die Exporterstattung von solchen Bedingungen abhängig gemacht wird, auch das ökonomische Interesse der Transportunternehmen darin besteht, die Tiere tierschutzgerecht zu transportieren. Damit werden wir schnell eine Verbesserung der Situation erreichen.
Herr Heinrich, wir haben die vorgegebene Zeit bereits überschritten.
Wir machen das in einem persönlichen Gespräch.
Ich habe auch die anderen nicht mehr berücksichtigt. Es wäre nicht fair, Ihre weitere Frage zuzulassen.
Da die Zeit abgelaufen ist, beende ich die Regierungsbefragung. Ich danke Herrn Minister Borchert.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
— Drucksachen 13/266, 13/284 —
Zunächst kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Justiz. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Funke zur Verfügung.
Wir kommen zuerst zur Dringlichen Frage 1 des Abgeordneten Erwin Marschewski:
Wer hatte nach den der Bundesregierung vorliegenden Informationen Kenntnis von dem Vermerk Willy Brandts, und liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, ob Ministerpräsident Johannes Rau Kenntnis von dem Vermerk hatte?
Ich erteile Ihnen das Wort.
Herr Kollege Marschewski, der Generalbundesanwalt hat den am 16. Januar 1995 sichergestellten Vermerk von Willy Brandt, der in dem Strafverfahren gegen Karl Wienand wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit Beweiswert haben kann, dem für das Verfahren zuständigen 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf übersandt.Mit Rücksicht auf das laufende Strafverfahren kann die Bundesregierung keine Auskunft über den Inhalt des Vermerks und über Personen geben, die von ihm möglicherweise Kenntnis hatten. Das gilt auch für andere Ermittlungsergebnisse, deren Bewertung dem zuständigen Gericht obliegt.
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Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Januar 1995
Eine Nachfrage des Abgeordneten Marschewski.
Ich habe keine Zusatzfrage zu der Frage 1.
Ich rufe die Frage 2 des Kollegen Erwin Marschewski auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß die Kenntnis des Vermerks durch Amtsträger und die Nichtweitergabe an die Strafverfolgungsbehörden einen Straftatbestand erfüllt, und ist der Bundesregierung bekannt, ob der Generalbundesanwalt entsprechende Ermittlungen führt?
Herr Kollege Marschewski, der Generalbundesanwalt führt zu dem in der Frage angesprochenen Sachverhalt keine Ermittlungen. Für diese wäre er auch nicht zuständig. Dafür sind die zuständigen Landesstaatsanwaltschaften verantwortlich.
Herr Staatssekretär, eine Zusatzfrage zu dieser Frage: Ist auf der Grundlage des Brandt-Vermerks das Bundesamt für Verfassungsschutz durch irgend jemanden befaßt worden?
— Ich frage noch einmal:
— Sie sind nicht der Beantworter, Herr Kollege Struck. —
Ist auf der Grundlage des Brandt-Vermerks das Bundesamt für Verfassungsschutz durch irgend jemanden befaßt worden? Ich bitte, diese Frage beantworten zu lassen, Frau Präsidentin.
Herr Staatssekretär.
Herr Staatssekretär Lintner wird antworten.
Aha! Jetzt Herr Staatssekretär Lintner. Die Frage wird doppelt beantwortet.
Herr Kollege Marschewski, ich gehe davon aus, daß, sofern sich in diesem Bereich
entsprechende Hinweise ergeben haben, das zuständige Bundesamt davon unterrichtet worden ist.
Keine weitere Nachfrage des Kollegen Marschewski.
Dann rufe ich die Dringliche Frage 3 des Abgeordneten Dr. Joseph-Theodor Blank auf:
Treffen Pressemeldungen zu, wonach Egon Bahr in seinen Vernehmungen durch den Bundesanwalt Lampe im März 1994 in der Strafsache Karl Wienand seine Kenntnis des Brandt-Vermerks verheimlicht hat, und falls ja, hat der Bundesanwalt Lampe in dieser Vernehmung Egon Bahr Fragen gestellt, bei deren wahrheitsgemäßen Beantwortung er seine Kenntnis von diesem Vermerk hätte offenbaren müssen?
— Ist er nicht im Hause?
— Wer von den Herren Staatssekretären möchte denn jetzt antworten? —
Der Staatssekretär Funke antwortet.
Soweit die Frage auf eine Aussage eines Zeugen in dem Strafverfahren gegen Wienand abstellt, kann die Bundesregierung wegen Anhängigkeit der Sache vor dem 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf dazu nichts sagen.
Im übrigen wäre für die Beurteilung, falls die Unterstellung richtig wäre, nicht die Bundesregierung, sondern die Landesstaatsanwaltschaft zuständig.
Eine Nachfrage des Abgeordneten Blank?
Dann rufe ich die Dringliche Frage 4 des Abgeordneten Dr. Joseph-Theodor Blank auf:Teilt die Bundesregierung die in der Mitteldeutschen Zeitung vom 23. Januar 1995 veröffentlichte Auffassung Egon Bahrs, er habe lediglich die Fragen beantworten müssen, die ihm gestellt worden sind, oder hätte er im Rahmen einer vollständigen Aussage über seine Kenntnisse diese auch ohne eine entsprechende Frage offenbaren müssen?
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Ich nehme insoweit auf meine Beantwortung zur letzten Frage Bezug.
Wir kommen dank der kurzen Antworten sehr schnell voran.
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über den vom Generalbundesanwalt beschlagnahmten Vermerk Willy Brandts bezüglich der ehemaligen SPD-Spitzenpolitiker Karl Wienand und Egon Bahr, und ist der Bundesregierung bekannt, ob der BND Erkenntnisse hat, die mit dem Inhalt des Vermerks von Willy Brandt übereinstimmen, und ist die Bundesregierung bereit, die zuständigen parlamentarischen Gremien noch in dieser Woche zu informieren?
Frau Präsidentin, darf ich mit Einverständnis des Kollegen Schmidt beide Fragen zusammenfassen? Dann würde ich sie gemeinsam beantworten, Herr Kollege Schmidt.
Dann rufe ich auch die Dringliche Frage 6 des Abgeordneten Andreas Schmidt auf:
Hat Präsident Konrad Porzner zu irgendeinem Zeitpunkt nach dem 31. März 1992 der Bundesregierung mitgeteilt, er habe Informationen, daß Karl Wienand eine Verpflichtung gegenüber einem östlichen Nachrichtendienst eingegangen ist, und hat die Bundesregierung Präsident Konrad Porzner um eine Stellungnahme gebeten, und wird die Bundesregierung gegebenenfalls daraus sofortige Konsequenzen ziehen?
Ich erteile Ihnen das Wort, Herr Schmidbauer.
Herzlichen Dank. — Herr Kollege Schmidt, über den vom GBA beschlagnahmten Vermerk kann ich mich den Ausführungen des Bundesministeriums der Justiz anschließen.
Zu den anderen Fragenkomplexen darf ich folgendes ausführen: Der Bundesnachrichtendienst hat dazu im Januar 1994 zwei Presseerklärungen abgegeben, die wie folgt lauten:
Erste Erklärung: Die „Bild"-Zeitung berichtet am 15. Januar 1994, daß der ehemalige sowjetische Botschafter Valentin Falin in der zweiten Märzhälfte 1992 gegenüber Willy Brandt angedeutet habe, Karl Wienand sei KGB-Agent. Die ,,Bild"-Zeitung behauptet ferner: Brandt ließ den Bundesnachrichtendienst in München-Pullach informieren. Diese Behauptung trifft nicht zu. Der BND wurde durch Willy Brandt weder direkt noch mittelbar über eine Tätigkeit Herrn Karl Wienands für das KGB informiert. — Ich sagte: zwei Presseerklärungen. Dies war die erste aus dem Jahr 1994.
Die zweite Presseerklärung lautet: Der im „Spiegel" Nr. 4/94 dargestellte Sachverhalt, demzufolge HansJochen Vogel dem Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes, Konrad Porzner, auf Wunsch Willy Brandts zur angeblichen KGB-Tätigkeit Karl Wienands vorgetragen haben soll, trifft nicht zu. Als der BND im Rahmen seiner Aufgabenerfüllung Hinweise auf eine angebliche MfS-Anwerbung von Karl Wienand erhielt, wurden diese Hinweise schriftlich ab Ende Mai 1993 an das Bundeskanzleramt und an das Bundesamt für Verfassungsschutz zuständigkeitshalber weitergeleitet.
Der Präsident des BND hat dienstlich mit Schreiben vom 3. Februar 1994 erklärt: Der im „Spiegel" Nr. 4/94 dargestellte Sachverhalt, demzufolge Hans-Jochen Vogel dem Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes, Konrad Porzner, auf Wunsch Willy Brandts zur angeblichen KGB-Tätigkeit Karl Wienands vorgetragen haben soll, trifft nicht zu.
Der Präsident des Bundesnachrichtendienstes hat jetzt mit Schreiben vom 24. Januar 1995 erklärt: Der Bundesnachrichtendienst hat Erkenntnisse, daß Karl Wienand eine Quelle des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit gewesen sein soll. Der Bundesnachrichtendienst hat keine Erkenntnisse, daß Karl Wienand Agent des KGB gewesen sein soll.
Die Frage, ob und gegebenenfalls welche Konsequenzen die Bundesregierung aus den Stellungnahmen des Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes ziehen wird, kann im Augenblick nicht beantwortet werden.
Die Bundesregierung ist im übrigen selbstverständlich bereit, die zuständigen parlamentarischen Gremien umgehend zu unterrichten. Die Parlamentarische Kontrollkommission wurde allerdings schon bisher laufend über nachrichtendienstliche Erkenntnisse zu Spionageverdachtsfällen unterrichtet.
Der Präsident des Bundesnachrichtendienstes hat darüber hinaus gestern Stellungnahmen abgegeben, die derzeit geprüft werden.
Eine Nachfrage, bitte.
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung bekannt, was der Präsident des Bundesnachrichtendienstes, Herr Porzner, nach dem Gespräch mit Herrn Vogel zu den Akten genommen hat?
Das Bundeskanzleramt ist diesbezüglich auf die Aussagen, die ich soeben im einzelnen ausgeführt habe, angewiesen. Die Aussagen von gestern werden derzeit zu diesem Sachverhalt geprüft.
Eine weitere Zusatzfrage. Herr Scholz, bitte.
Ich möchte die Bundesregierung im Hinblick auf den Vermerk Willy Brandts, der ja so merkwürdig spät — um es einmal so zu sagen — aufgetaucht ist, etwas fragen. Dieser Vermerk ist ganz offenkundig bei der FriedrichEbert-Stiftung gewesen. Die Friedrich-Ebert-Stiftung wird, was die Archivunterlagen Willy Brandts angeht, jetzt bekanntlich eine Kooperation mit der Willy-
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Dr. Rupert ScholzBrandt-Stiftung eingehen. Diese Willy-Brandt-Stiftung ist als Nationalstiftung der Bundesrepublik Deutschland errichtet worden. Maßgebend war die Bundesregierung beteiligt.Meine Frage geht dahin: Wird die Bundesregierung dafür Sorge tragen, daß künftig aus dem Nachlaß Willy Brandts nicht wieder Unterlagen nicht rechtzeitig zur Verfügung stehen, und hat die Bundesregierung weiterhin Sorge dafür getragen, daß gegebenenfalls parteipolitische Einflüsse bei der Verwertung und Zurverfügungstellung von Material aus dem Nachlaß Willy Brandts nicht mißbräuchlich behandelt werden?
Herr Staatsminister.
Herr Kollege, die Bundesregierung wird diese Fragen prüfen. Im übrigen kann sie dieser Prüfung erst dann nähertreten, wenn sie die Unterlagen und die Materialien, die vom GBA derzeit in das Verfahren gegen Karl Wienand eingeführt werden, ausgewertet hat. Dann kann diese Frage konkret beantwortet werden. Wir kennen diese Vorgänge nicht.
Eine Frage des Abgeordneten Götzer.
Es ist gerade das eingeleitete Verfahren angesprochen worden. Das betrifft meine Zusatzfrage: Treffen Pressemeldungen zu, daß der Spionageprozeß gegen Herrn Wienand vor dem OLG Düsseldorf auf absehbare Zeit oder auch, um es konkret zu nennen, vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 14. Mai nicht eröffnet werden kann?
Herr Kollege, ich kann Ihnen das nicht bestätigen. Auch ich kann mich da nur auf Pressemeldungen beziehen, daß es zu einer Verschiebung des Verfahrens gekommen ist. Inwieweit die Terminierung neu angesetzt wird, entzieht sich meiner Kenntnis, denn auch wir sind auf die entsprechenden Presseveröffentlichungen angewiesen.
Weitere Nachfragen liegen zu den eingereichten Dringlichen Fragen nicht vor.
Wir bleiben beim Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz.
Zur Frage 1 des Abgeordneten Schwanitz hat der Fragesteller um schriftliche Antwort gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit.
Zur Frage 2 des Abgeordneten Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten hat der Fragesteller um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Klaus-Jürgen Hedrich bereit.
Ich rufe die Frage 4 der Abgeordneten Dagmar Schmidt auf:
In welcher Form beinhalten die finanziellen Zusagen infolge des Rückübernahme-Abkommens mit Vietnam entwicklungspolitische Absprachen?
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Kollegin Schmidt, Anfang Januar hat eine Mission unter der Leitung der Staatsminister Schmidbauer und Hoyer nach Vietnam stattgefunden, um dort mit der vietnamesischen Regierung den Ausbau und die Vertiefung der gemeinsamen Beziehungen zu erörtern. In diesem Zusammenhang hat die Bundesregierung ihre Bereitschaft erklärt, die bisher vereinbarten Projekte der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit zügig zu realisieren und sehr bald Verhandlungen über die künftige entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit Vietnam aufzunehmen. Sie hat außerdem angekündigt, daß sich für 1995 die Finanzielle und Technische Hilfe für Vietnam einschließlich der sogenannten Wiedereingliederungshilfe — BMZReintegrationsprogramme — auf ca. 100 Millionen DM belaufen wird und daß der gleiche Betrag für 1996 vorgesehen ist. Sie hat dort weiterhin mitgeteilt, daß über die für eine Wiedereingliederung vorgesehene Zusage noch eine gesonderte Vereinbarung getroffen werden soll. Hier geht es konkret um die Aufstockung des laufenden Reintegrationsprogramms.
Ergänzend darf ich Ihnen mitteilen, daß die Regierungsverhandlungen — was ich für sehr erfreulich halte — über die entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit Vietnam bereits vom 14. bis 16. Februar hier in Bonn stattfinden werden.
Eine Nachfrage der Kollegin Schmidt.
Herr Staatssekretär Hedrich, wie erklären Sie sich dann Pressemitteilungen, u. a. im „Hamburger Abendblatt", in denen der Verdacht geäußert wird, daß mit dieser Geschichte in erster Linie die deutsche Wirtschaft gefördert werden soll? Mag es vielleicht daran liegen, daß die Bundesregierung nicht deutlich genug gemacht hat, welche Grundsätze sie nach der Neuorientierung der Entwicklungspolitik verfolgt?
Die Bundesregierung, hier insbesondere das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, hat schon zu Beginn der letzten Legislaturperiode unter Carl-Dieter Spranger die Kriterien für die entwicklungspolitische Zusammenarbeit sehr deutlich formuliert — sie sind Ihnen
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Parl. Staatssekretär Klaus-Jürgen Hedrichbekannt —: Menschenrechte, Rechtssicherheit, Entwicklungsorientiertheit der Regierung, Partizipation der Bevölkerung und marktwirtschaftliche Öffnung eines Landes. Diese Kriterien sind nach unserer Einschätzung in Vietnam in dem Sinne erfüllt, als wir in bezug auf diese Kriterien deutliche Verbesserungen in vielen Bereichen feststellen können. Die Interessen der deutschen Wirtschaft haben dabei immer eine Rolle zu spielen, aber unter entwicklungspolitischen Gesichtspunkten natürlich zurückzustehen.
Eine weitere Nachfrage zu dieser Frage? — Gut.
Ich danke Ihnen,daß Sie die Punkte noch einmal erläutert haben. Ich denke, es ist wichtig, daß das in die Öffentlichkeit kommt.
Ich möchte Sie trotzdem noch um die Erläuterung eines Punktes in diesem Zusammenhang bitten, nämlich den der Selbsthilfeorientierung. Da scheint es ja doch etwas zu hapern, weil offensichtlich die staatliche Seite in Vietnam noch nicht so mitspielt. Können Sie dazu etwas sagen?
Sie haben zu Recht darauf verwiesen, daß gerade im Rahmen von Armutsbekämpfung die Partizipation der Bevölkerung, die Unterstützung von Nichtregierungsorganisationen im Lande selbst, Selbsthilfegruppen und ähnliche Institutionen für die entwicklungspolitische Zusammenarbeit der Bundes-
' republik Deutschland von herausragender Bedeutung sind. Ich möchte an dieser Stelle nicht verhehlen, daß die Anstrengungen der vietnamesischen Regierung zur Eröffnung eines größeren Freiraums für Selbsthilfegruppen von uns als noch nicht ausreichend betrachtet werden.
Es gibt noch eine Nachfrage zur Frage 4.
Sie haben auf den Grundsatz hingewiesen, daß die Entwicklungshilfe in diesem Falle an Menschenrechtskriterien gekoppelt sein soll. Das ist natürlich eine berechtigte Forderung gegenüber den Empfängerländern, wobei man da sagen muß, daß dann Menschenrechtsgrundsätze bei der eigenen Politik ebenso eingehalten werden müssen. Wie beurteilen Sie im Zusammenhang mit der Koppelung von entwicklungspolitischen Absprachen beim Rückübernahme-Abkommen mit den Vietnamesen unter dem Gesichtspunkt der Menschenrechte der betroffenen Menschen die Tatsachen, daß diese Menschen, von denen viele schon jahrelang hier leben, auf Grund dieser Absprache abgeschoben werden?
Niemand wird in diesem Sinne abgeschoben. Diese Fragen sind übrigens letzte Woche hier im Plenum intensiv diskutiert worden. Es gibt eine Reihe von vietnamesischen Bürgern, die sich illegal in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten.
Die Volksrepublik Vietnam hatte sich bisher geweigert — aus welchen Gründen auch immer —, diesen Personenkreis in die Heimat zurückzunehmen. Im Rahmen der von mir soeben skizzierten Mission ist mit den Vietnamesen vereinbart worden, daß dieser Personenkreis, über einen bestimmten Zeitraum gestreckt, zurückgeführt wird.
Wir kommen zur Frage 5 der Abgeordneten Schmidt :
Kann das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung nähere Angaben über Umfang und Zahl der Vietnamesen machen, die an den für chilenische, eritreische und vietnamesische Flüchtlinge in Deutschland aufgelegten Programmen teilnehmen, oder ist nach Abschluß des deutschvietnamesischen Rückübernahme-Abkommens an eine Streichung der Programme für Vietnamesen gedacht?
Frau Kollegin Schmidt, Arbeitnehmer aus Entwicklungsländern mit mehrjähriger Arbeits- und Berufserfahrung in der Bundesrepublik Deutschland sowie hier ausgebildete oder fortgebildete Fachkräfte können bei einer Wiedereingliederung in ihrem Heimatland aus dem Haushalt des BMZ, Einzelplan 23, gefördert werden. Die berufliche Eingliederung von zurückkehrenden vietnamesischen Fachkräften wird im wesentlichen mit Darlehen für Existenzgründungen geplant, begleitet und durchgeführt.
Bisher wurden 555 zinsgünstige Darlehen mit einem Volumen von 9,7 Millionen DM ausgezahlt, davon 7 Millionen DM aus dem deutschen und 2,7 Millionen DM aus dem vietnamesischen Beitrag. Damit konnten nach mir vorliegenden Informationen rund 6 500 Arbeitsplätze geschaffen werden.
Zusätzlich stehen 5 Millionen DM für Begleitmaßnahmen wie Beratung und Fortbildung der Existenzgründer sowie Wirtschaftlichkeitsstudien zur Verfügung. Aus dem allgemeinen Reintegrationsprogramm konnten daneben an Vietnamesen 35 Zuschüsse für Existenzgründungen mit einem Gesamtbetrag von 230 000 DM zugesagt werden.
Bei den vorhin schon erwähnten und bevorstehenden Verhandlungen mit Vietnam über die entwicklungspolitische Zusammenarbeit 1995 sollen die Mittel für Darlehen an zurückkehrende Fachkräfte wegen der hohen Nachfrage deutlich aufgestockt werden. Ich bitte um Verständnis, daß ich Ihnen hier keine abschließende Zahl nennen kann.
Eine Nachfrage der Kollegin Schmidt.
Herr Staatssekretär Hedrich, ich spreche nicht von den Fakten, die Sie gerade aufgezählt haben, sondern von dem im Journalisten-Handbuch erwähnten Sonderprogramm für chilenische, vietnamesische und eritreische Flüchtlinge. Das Buch stammt aus dem Jahr 1994. 1993 sprach man davon, dieses Programm solle aufgelegt werden. Es heißt dort, diese Leute sollten hier ausgebildet werden, um dann im eigenen Land Entwicklungshelfer zu sein. Deshalb frage ich: Wie gezielt wird das mit Leuten gemacht, die für die Rückkehr vorgesehen sind? Werden sie für die kon-
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Dagmar Schmidt
kreten Projekte, die in Vietnam nötig sind, zu Entwicklungshelfern ausgebildet, als da sind Haushaltsaufbau, Rechtswesen, Provinzverwaltung, Eisenbahn usw.?
Möglicherweise liegt hier eine Verwechslung vor. Bei dem Punkt, auf den ich mich bezogen habe, geht es eindeutig um ein altbewährtes Programm zur Ermutigung von Bürgern, zurückzukehren, die in Deutschland oder auch anderswo eine qualifizierte Ausbildung erfahren haben und die nun in ihre Länder zurückkehren wollen oder sollen. Für diesen Bürgerkreis haben wir das spezielle Programm zur Existenzgründung aufgelegt. Ich kann aus unseren Erfahrungen sagen, daß es stark nachgefragt wird und daß es sich in vielen Ländern nachhaltig bewährt hat, nicht nur in Vietnam. Die Türkei ist ein weiteres klassisches Beispiel dafür.
Sie haben eine zweite Nachfrage, wenn Sie wollen.
Es geht tatsächlich nicht um das, was Sie mir erzählen, sondern um das Programm, das aufgelegt werden soll. Danach sollen bekannte Fluchtregionen langfristig stabilisiert werden. Das Programm bezieht sich auf hier lebende Flüchtlinge, die wir zur Rückkehr bewegen können, nachdem sich die Verhältnisse in ihren Ländern geändert haben. Das Programm soll aus drei Punkten bestehen: für chilenische, eritreische und vietnamesische Flüchtlinge. Es sollte so sein, daß diese Leute hier in Deutschland gezielt zu Entwicklungshelfern ausgebildet werden. Das scheint wohl noch nicht zu laufen, obwohl es angekündigt ist.
Sehr geehrte Frau Kollegin, es geht hier in der Tat darum, daß nach Beendigung der Pinochet-Diktatur in Chile, nach Beendigung des Bürgerkrieges zwischen Äthiopien und Eritrea und nach der Selbständigkeit von Eritrea sowie nach einer Intensivierung der Zusammenarbeit mit Vietnam die Bürger die Chance bekommen, in ihr Land zurückzukehren. Das schließt ein, daß diese Bürger auch eine Chance bekommen, möglicherweise in Projekten der deutschen Entwicklungszusammenarbeit oder aber bei Programmen, die im Lande selbst durchgeführt werden, tätig zu sein.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Graf Waldburg-Zeil.
Herr Staatssekretär, ist es nicht so, daß die in Eritrea gewonnenen Erfahrungen darauf hinweisen, daß Flüchtlinge nach Beendigung menschenrechtsverletzender Zustände in ihr Heimatland zurückkehren wollen, dann aber auch die Möglichkeit haben müssen, beim Wiederaufbau zu helfen, wobei gerade die Programme zur Förderung der Selbständigkeit ein Beispiel für das sein könnten, was man auch in Vietnam will?
Graf Alois, wenn Sie mich so fragen, kann ich Ihre Frage nur bejahen.
Weitere Nachfragen liegen zu diesem Geschäftsbereich nicht vor.
Ich komme damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Lintner zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 20 der Abgeordneten Amke Dietert-Scheuer auf:
Bis zu welcher Generation und welcher Begründung hält es die Bundesregierung für vertretbar, daß in Deutschland geborene bzw. aufgewachsene Inhaber und Inhaberinnen nichtdeutscher Pässe in die Herkunftsländer ihrer ausländischen Ahnen abgeschoben werden?
Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin, die Antwort lautet wie folgt: Im Bundesgebiet geborene und aufgewachsene junge Ausländer, die sich bei Vollendung ihres 16. Lebensjahres seit acht Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, haben einen Rechtsanspruch auf Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis. Das steht in § 26 Abs. 1 Satz 1 des Ausländergesetzes. Die Erteilung der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis darf nur unter engen Voraussetzungen — § 26 Abs. 3 des Ausländergesetzes — abgelehnt werden. Die Ausweisung im Bundesgebiet geborener und aufgewachsener junger Ausländer ist grundsätzlich auf Straftäter beschränkt und nur unter engen Voraussetzungen möglich. Soweit danach bei diesem Personenkreis die Ausreisepflicht entsteht, kann sich in der Folge auch eine Abschiebung ergeben.
Weitere Nachfragen zu dieser Frage liegen nicht vor.
Dann rufe ich die Frage 21 der Abgeordneten Amke Dietert-Scheuer auf:
Aus welchen Gründen hält die Bundesregierung eine Doppelbestrafung durch Ausweisung nach Strafverbüßung ausländischer Straftäter und Straftäterinnen für vereinbar mit dem im Grundgesetz verankerten Grundsatz der Gleichbehandlung, da deutsche Straftäter und Straftäterinnen einer solchen zusätzlichen Bestrafung nicht unterliegen?
Die Bundesregierung sieht in der Ausweisung ausländischer Straftäter nach Strafverbüßung weder eine Doppelbestrafung noch einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 des Grundgesetzes. Bei der Ausweisung handelt es sich um keine Bestrafung für begangenes Unrecht, sondern um Maßnahmen der Ausländerbehörden; denn nur derjenige Ausländer darf sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, der sich an die Rechtsordnung hält. Gegen den Gleichheitssatz wird nicht verstoßen, weil es sich nicht um gleiche Sachverhalte handelt.
Eine Nachfrage der Kollegin Dietert-Scheuer.
In der Koalitionsvereinbarung ist bekannter-
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Amke Dietert-Scheuermaßen das Konstrukt dieser „Schnupperstaatszugehörigkeit" für hier aufgewachsene junge Ausländer bis zum 18. Lebensjahr vorgesehen. Bei Straftätern ist es aber üblich, auch Jugendliche unter 18 Jahren abzuschieben. Daher meine Frage: Könnten von solchen Abschiebungen auch Jugendliche unter 18 Jahren betroffen sein, die in diese Kategorie der Doppelstaatszugehörigkeit fallen werden?
Frau Kollegin, das kann ich Ihnen jetzt nicht im Detail beantworten, weil die Ausgestaltung dessen, was in den Koalitionsvereinbarungen vorgesehen ist, noch nicht erfolgt ist und genau diese Details Gegenstand der Ausgestaltung sein werden.
Wir kommen damit zur Frage 22 des Abgeordneten Cem Özdemir:
Unter welchen Voraussetzungen hält die Bundesregierung eine Ausweisung oder Abschiebung von minderjährigen und heranwachsenden Personen mit nichtdeutschem Paß, die in der Bundesrepublik Deutschland geboren und/oder aufgewachsen sind, für vereinbar mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit?
Aus den gesetzlichen Regelungen der §§ 47 und 48 Abs. 2 des Ausländergesetzes ergibt sich, daß auch die Ausweisung minderjähriger und heranwachsender ausländischer Straftäter mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar sein kann. Wann dies im Einzelfall zutrifft, hat nicht die Bundesregierung zu entscheiden, da nach Art. 83 des Grundgesetzes die ausländerrechtlichen Bestimmungen im Bundesgebiet von den Ausländerbehörden als eigene Angelegenheit ausgeführt werden.
Keine Nachfrage.
Dann kommen wir zur Frage 23 des Abgeordneten Cern Özdemir:
Wie rechtfertigt die Bundesregierung die außerordentliche Härte, die entsteht, wenn junge Menschen, die das Herkunftsland ihrer Eltern oder Großeltern nur noch von gelegentlichen Urlaubsreisen kennen und die dortige Landessprache nicht mehr ausreichend beherrschen, in dieses ihnen fremde Land ausgewiesen und abgeschoben werden?
Das Ausländergesetz beschränkt die Ausweisung im Bundesgebiet geborener und aufgewachsener junger Ausländer grundsätzlich auf Straftäter. Soweit es im Einzelfall zu einer Ausweisung und einer nachfolgenden Abschiebung kommt, ist dies durch den gebotenen Schutz der Allgemeinheit vor Straftätern gerechtfertigt.
Eine Nachfrage des Kollegen Özdemir.
Ich frage die Bundesregierung: Sind Ihnen einschlägige Untersuchungen bekannt, gibt es Berichte, was mit solchen Kindern und Jugendlichen — insbesondere unter psychosozialen Aspekten — geschehen ist, die in ihr Land „zurückverfrachtet", abgeschoben worden sind, ist Ihnen bekannt, was insbesondere mit solchen Kindern und Jugendlichen geschehen ist, die — wie in meiner zweiten Frage angesprochen — die Sprache des Landes, in das sie zurückgeschoben worden sind, nicht so gut sprechen wie die Sprache des Landes, in dem sie gelebt haben, nämlich der Bundesrepublik Deutschland?
Herr Kollege, die Bundesregierung kennt eine Fülle von Einzelschicksalen, die das deutsche Recht allesamt insoweit bestätigen, als im deutschen Recht ohnehin vorgesehen ist, daß in Einzelfällen — bei entsprechenden Hinweisen — überprüft werden kann, ob jemand auch dann abgeschoben werden darf, wenn er Straftäter und zugleich Jugendlicher ist.
Sie haben eine zweite Zusatzfrage.
Unser Recht sieht vor, daß es so etwas wie eine „besondere Härte" gibt. Sind Sie nicht der Meinung, daß gerade solche Fälle eine besondere Härte darstellen und daß man gerade in solchen Fällen Gnade vor Recht ergehen lassen sollte, und meinen Sie nicht auch, daß wir als Gesetzgeber veranlassen sollten, daß die Ausländerbehörden in solchen Fällen Jugendliche nicht in das Land zurückschaffen, aus dem die Eltern kommen?
Das Kriterium der „besonderen Härte" ist typischerweise auf den Einzelfall bezogen.
Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß der Einzelfall Gegenstand von Überprüfungen ist, so daß im Einzelfall wiederum sichergestellt ist, daß solche Härten — sollten sie zur unzumutbaren Härte werden — berücksichtigt werden können und in einem solchen Fall praktisch ein Abschiebestopp gilt.
Eine Zusatzfrage der Kollegin Nickels.
Herr Staatssekretär, sind Sie von seiten der Bundesregierung bereit, zu mißbilligen, daß minderjährige Jugendliche, die aus dem Ausland stammen und keine deutsche Staatsangehörigkeit haben und hier bei ihren Großeltern leben, abgeschoben werden, obwohl sie von den Großeltern versorgt werden und in ihrem Heimatland keine Perspektive haben, und sind Sie weiter bereit, zu mißbilligen, daß in einem ganz konkreten Fall Jugendliche aus dem Unterricht heraus von der Polizei in Handschellen gelegt und ohne Verzug abgeschoben worden sind?
Frau Kollegin Nickels, ich bin nicht in der Lage, Einzelfälle, die mir jetzt konkret
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Parl. Staatssekretär Eduard Lintnernicht bekannt sind, zu mißbilligen oder überhaupt zu bewerten. Zuständig für den Vollzug des Ausländerrechts sind die zuständigen Länderbehörden. Ich bitte Sie also, Ihre Kritik dort anzubringen.
Eine Zusatzfrage der Kollegin Schmalz-Jacobsen.
Herr Staatssekretär, können Sie uns Zahlen nennen, aus denen hervorgeht, daß deutsche Gerichte unter 18jährige nichtdeutsche Straftäter ausgewiesen haben?
Frau Kollegin, ich kann Ihnen dazu keine Zahlen nennen. Im übrigen sind auch hier in erster Linie die Ausländerbehörden zuständig. Auch hier gilt wieder mein Hinweis von vorhin, daß es sich um Zuständigkeitsbereiche der Länder handelt. Zahlen aus den Ländern liegen uns im Detail nicht vor.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.
Dann rufe ich die Frage 24 des Abgeordneten Jürgen Augustinowitz auf:
Wann wird der Konsequenzenbericht zu den gewalttätigen Kurdendemonstrationen vom Frühjahr 1994 von der Bundesregierung vorgelegt, und welche Maßnahmen wird die Bundesregierung in diesem Bericht vorschlagen?
Herr Kollege Augustinowitz, die Antwort lautet: Nach den gewalttätigen, offensichtlich von der Arbeiterpartei Kurdistans — abgekürzt PKK— zentral gesteuerten Aktionen im Frühjahr 1994 hat die Bundesregierung, namentlich der Bundesinnenminister, wiederholt öffentlich deutlich gemacht, daß ein solches Verhalten nicht ohne Konsequenzen bleiben kann. Einen formalisierten Bericht über Schlußfolgerungen aus diesen Krawallen hat die Bundesregierung hingegen weder angekündigt, noch hält sie ihn aus heutiger Sicht für angezeigt.
Nach den Vorstellungen der Bundesregierung zählt zu den aus diesen Ereignissen zu ziehenden Konsequenzen die strikte Vollziehung des im November 1993 ausgesprochenen PKK-Verbots. Die Notwendigkeit dieser Maßnahme, die in der Zuständigkeit der Länder liegt, hat die Bundesregierung diesen gegenüber wiederholt deutlich gemacht.
Die Bundesregierung geht darüber hinaus davon aus, daß die Länder im Rahmen ihrer Zuständigkeiten alle für eine strafrechtliche Ahndung der PKKKrawalle vom Frühjahr 1994 erforderlichen Maßnahmen ergriffen haben.
Zu den weiteren Konsequenzen zählt auch die Aufenthaltsbeendigung nach Maßgabe der geltenden ausländerrechtlichen Vorschriften. Auch insoweit sind jedoch nach Art. 83 des Grundgesetzes die Länder zuständig.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Augustinowitz, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie sagten, es gebe keinen formalisierten Bericht. Das mag so sein. Ich möchte Sie aber daran erinnern, daß der Bundeskanzler selbst am 23. März 1994 auf einer Bundespressekonferenz angekündigt hat, nach Ostern 1994 werde ein entsprechender Bericht über die Vorkommnisse vorgelegt. Deswegen frage ich noch einmal: Wie weit sind die Überlegungen in der Bundesregierung gediehen, unter Umständen rechtliche Veränderungen vorzuschlagen, da der Bundeskanzler auf ebendieser Pressekonferenz auch ausgeführt hat, daß er sich dafür einsetzen wolle, die Gesetze zu ändern, wenn es notwendig sei?
Herr Kollege Augustinowitz, wie Sie wissen, überprüft die Bundesregierung ständig die Rechtslage unter dem Aspekt, ob die Rechtslage den auftretenden Phänomenen gerecht wird.
Zu dem von Ihnen angesprochenen Sachverhalt kann ich sagen, daß die bislang vorhandenen Instrumente — vorausgesetzt, sie werden von den dafür zuständigen Behörden tatsächlich angewandt — ausreichend sind, um dieser Sachverhalte im Sinne der Bundesregierung Herr zu werden.
Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Augustinowitz.
Herr Staatssekretär kann die Bundesregierung nachvollziehen, daß breite Teile der Bevölkerung darüber verärgert sind, daß nach diesen Krawallen, nach diesen Ausschreitungen strafrechtlich und ausländerrechtlich fast nichts passiert ist, und daß insbesondere der rechtstreue Bürger dieses Landes für ein solches Verhalten wenig Verständnis aufbringen kann?
Herr Kollege Augustinowitz, ich darf zunächst feststellen, daß Ihre Ausführungen die eine Kritik beinhalten, durchweg Bereiche betreffen, für die ausschließlich die Länder zuständig sind; denn es handelt sich entweder um den Vollzug des von der Bundesregierung verhängten PKK-Verbots oder um die Durchführung ausländerrechtlich gebotener Maßnahmen, also auch wiederum um den Vollzug eines Gesetzes. Insoweit darf ich Ihre Kritik schlicht und einfach weitergeben.Was im übrigen den Umgang der Bundesregierung mit der Materie angeht, kann ich darauf verweisen, daß wir erstens durch das Verbot der PKK und ihr nahestehender Organisationen, zweitens durch die Beobachtung dieser Aktivitäten im Bereich unserer Nachrichtendienste, drittens auch durch unseren sorgfältigen Umgang mit Fragen wie Abschiebestopp für Kurden und dergleichen der Öffentlichkeit eigentlich immer ausreichend dokumentiert haben, wie
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Parl. Staatssekretär Eduard Lintnerernst uns dieser Vorgang ist und wie wichtig wir auch die von Ihnen genannten, uns ja auch bekannten Sorgen der Bevölkerung nehmen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Such.
Herr Staatssekretär, Sie haben in der Beantwortung der Frage gesagt, daß die Kurdendemonstrationen von zentraler Stelle geleitet worden seien. Können Sie uns bitte die Informationsquelle nennen, wer das festgestellt hat, und von welcher zentralen Stelle diese Demonstrationen geleitet worden sind, d. h. welche Stelle für die Leitung dieser Demonstrationen verantwortlich ist?
Herr Kollege Such, da Sie jetzt Details abfragen, die speziell von einem Nachrichtendienst ermittelt worden sind, verweise ich auf die dafür zuständigen Gremien. Der Sachverhalt ist nicht geeignet, in der Öffentlichkeit im Detail beantwortet zu werden.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Kubatschka.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, die Kritik, die jetzt angeklungen ist, auch an den bayerischen Innenminister Beckstein weiterzugeben, der mit seinen Ankündigungen hinsichtlich juristischer Konsequenzen immer vollmundig war und bei den Staatsanwälten stets eine volle Bauchlandung erlebt hat?
Herr Kollege, ich bin bereit, den bayerischen Innenminister von dieser Kritik ausdrücklich auszunehmen;
denn er war meines Wissens der einzige, der trotz der vorhandenen öffentlichen Diskussion, soweit dies von der Rechtslage her möglich war, einzelne Kurden tatsächlich abgeschoben hat.
Weitere Fragen zu diesem Geschäftsbereich liegen nicht vor.
Ich komme damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Kurt Faltlhauser bereit.
Wir kommen zu Frage 25 des Abgeordneten Wilhelm Dietzel:
Welche rechtlichen Möglichkeiten bestehen, in Deutschland erzielte Einkünfte, insbesondere der Künstler, Sportler und anderer exklusiver Bevölkerungsgruppen, die ihren Wohnsitz aus steuerlichen Gründen ins Ausland verlegt haben, in Deutschland zur Besteuerung heranzuziehen?
Bitte.
Herr Kollege Dietzel, Sie fragen nach der Besteuerung derjenigen, die überwiegend in Deutschland ihr Einkommen erzielen und im Ausland leben. Hier muß man, zwischen zwei Besteuerungsmethoden, der beschränkten Steuerpflicht und der erweiterten beschränkten Steuerpflicht, unterscheiden.
Bei der beschränkten Steuerpflicht wird nur das deutsche Einkommen besteuert; zudem wird die Steuer in bestimmten Fällen an der Quelle einbehalten. Bei einem Zirkusunternehmen z. B. behält der Zirkus diesen Betrag gleich ein. Dies wird als Abgeltung angesehen; hier handelt es sich dann um eine Abgeltungssteuer.
Bei Sportlern und Künstlern wird eine Abgeltungssteuer in Höhe von 15 % erhoben. Dieser Satz kommt zustande, indem man unterstellt, daß sie bei einem Erlös von 100 DM Aufwendungen in Höhe von 70 DM haben. Die restlichen 30 DM werden mit einem Steuersatz von 50 % belegt. Auf die gesamten 100 DM bezogen, beträgt die Besteuerung 15 %.
Das ist in vielen Fällen sehr plausibel. Es gibt aber überhaupt keinen Zweifel daran, daß es in vielen Fällen nicht plausibel ist, einen Abgeltungssatz von 15 % anzunehmen. Deshalb hat die Bundesregierung für diesen Fall zwei Maßnahmen vor. Zum einen soll dieser Satz in Höhe von 15 % im Rahmen unseres Jahressteuergesetzes 1996 auf 25 % angehoben werden. Dadurch würde der Anreiz, als Sportler beispielsweise nach Belgien zu gehen, wesentlich reduziert. Zum anderen werden wir den Versuch unternehmen, mit anderen Staaten, etwa mit Belgien, das Doppelbesteuerungsabkommen dahin gehend zu ändern, daß die Einkommen in Belgien unter Anrechnung des Besteuerungssatzes in Deutschland — zukünftig, wie wir hoffen, also 25 % — in vollem Umfang und mit voller Progression versteuert werden.
Die zweite Besteuerungsmethode ist die sogenannte erweiterte beschränkte Steuerpflicht. Diese ist im Außensteuerrecht anzusiedeln. Es handelt sich um eine sehr komplizierte Materie, die bei denjenigen Anwendung findet, die ihre wesentlichen wirtschaftlichen Interessen im Inland haben, aber ihren Wohnsitz in Staaten mit niedriger Besteuerung verlegen. Nehmen Sie einmal das berühmte Beispiel Monaco. Nach dieser Besteuerungsmaxime werden die inländischen Einkünfte maximal elf Jahre lang versteuert, nicht darüber hinaus. Hierbei gibt es erstens keine Abgeltung; zweitens wird das Einkommen mit dem Satz versteuert, der sich unter Zugrundelegung des sogenannten Welteinkommens ergibt. Das ist aber eine kompliziertere Materie; aktuell ist die Materie der sogenannten beschränkten Steuerpflicht. Deren Vorteile will die Bundesregierung, wie ich gerade angekündigt habe, begrenzen.
Keine Zusatzfrage des Kollegen Dietzel auf diese ausführliche Antwort.Der Abgeordnete Simon Wittmann hat um schriftliche Beantwortung seiner Frage, der Frage 26, gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
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Vizepräsident Dr. Antje VollmerDamit kommen wir zur Frage 27 des Abgeordneten Georg Pfannenstein:Wie beurteilt die Bundesregierung die ablebende Stellungnahme der Innenministerkonferenz vom 26. November 1993 zur geplanten Umsatzsteuerpflicht für die kommunale Abwasserentsorgung, und wie will sie den Bürgern die Notwendigkeit für diese neue Steuer angesichts der bestehenden Abgaben- und Steuerbelastung erklären?
Herr Kollege Pfannenstein, die Kritik der Innenminister in der Stellungnahme vom 26. November 1993 ist nicht geeignet, die Richtigkeit der geplanten Maßnahme in Frage zu stellen. Sie werden sicherlich mit mir unterstellen, daß es richtig ist, daß die wirtschaftliche Tätigkeit eines öffentlichen Unternehmens, das möglicherweise in Konkurrenz zu einem Unternehmen steht, das in privater Hand ist, gleich besteuert werden muß. Nach diesem Prinzip müssen wir vorgehen. Es gibt eine Ausnahme allerdings dann, wenn hoheitliche Tätigkeiten ausgeübt werden. Dann gibt es Steuerbefreiung.
Nun besteht die Zufälligkeit, daß als hoheitliche Tätigkeit bisher nicht die Wasserversorgung, wohl aber die Abwasserentsorgung angesehen wird. Das kann jeder nach seiner eigenen praktischen Erfahrung als problematisch ansehen. Die Entwicklung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesfinanzhofs hat die kritische Einstellung gegenüber dieser unterschiedlichen Behandlung nachhaltig genährt. Deshalb sind wir zu dem Schluß gekommen, daß man hier eine Gleichstellung herbeiführen muß. Das heißt, daß die Abwasserentsorgung mit der Versorgung mit Wasser steuerlich gleichgestellt werden muß. Es handelt sich also um eine systematische Gleichordnung.
Die Klage der Kommunen und auch der Innenminister, Herr Kollege, scheint mir jedoch nicht gerechtfertigt zu sein, und zwar aus einem einfachen Grund: Wenn kommunale Betriebe mit — das ist der wesentliche Fall — 7 % Mehrwertsteuer belegt sind, dann haben sie die Möglichkeit des Vorsteuerabzugs in Höhe von 15%. Das heißt, daß sie in aller Regel mehr Einsparungen als Mehrbelastungen haben. Die Befürchtung, daß daraus irgendwelche höheren Gebühren entstehen, ist deshalb überhaupt nicht gegeben.
Ungefragt ein Zusatz: Wenn richtig ist, was ich sage, dann gibt es auf Grund dieser Besteuerung im Staatssäckel des Bundes weniger Geld anstatt mehr. Man muß sich daher durchaus überlegen, ob man diese systematische Harmonisierung überhaupt angeht.
Herr Pfannenstein, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, gibt es, wenn die Steuerpflicht eingeführt wird, dann eine Möglichkeit für Kommunen, die sich in der Vergangenheit vorbildlich verhalten und ihre Investitionen bereits getätigt haben, die Vorsteuer im nachhinein abzuziehen?
Herr Kollege, das ist eine sehr gerechtfertigte Frage, weil richtiges Verhalten, vorzeitig entsprechende Anlagen einzurichten, gewissermaßen bestraft würde und diejenigen, die säumig waren, belohnt würden. Deshalb überlegen wir, ob man auch die Investitionen der Vergangenheit in den Vorsteuerabzug einbeziehen kann. Nach meiner Ansicht müssen wir diese Maßnahme aber angesichts der Haushaltslage mit der gebotenen Zurückhaltung prüfen.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie sagten vorhin, diese Steuer würde keine Mehrbelastung erbringen. Ich habe ein Beispiel hier. Der Deutsche Städtetag kommt am Beispiel Mannheims zu dem Ergebnis, daß die Einführung der Steuerpflicht für kommunale Entsorgungsbetriebe einen jährlichen Mehraufwand von 13,8 Millionen DM verursachen würde. Das steht im Gegensatz zu Ihren Aussagen.
Ich kann einen derartigen Einzelfall nicht nachprüfen, weil mir die Grundlagen nicht vorliegen. Ich kann mich nur auf die allgemeine Feststellung zurückziehen, daß durch einen Vorsteuerabzug von 15 % nach Adam Riese eine Gebührenerhöhung nicht notwendig sein muß. Es kommt darauf an, welche Investitionen getätigt wurden und unter welchen Gesichtspunkten gerechnet wurde. Das müßte man im Einzelfall prüfen. Ich meine aber generell, daß die flächendeckende Klage hinsichtlich der intendierten Maßnahme der Besteuerung mit 7 % mit Sicherheit nicht gerechtfertigt ist.
Ich rufe Frage 28 des Abgeordneten Georg Pfannenstein auf:
Wie hoch soll die kommunale Abwasserentsorgung durch die neue Umsatzsteuerpflicht belastet werden, und wie würde sich der geplante Vorsteuerabzug u. a. in den Kommunen auswirken, die bereits in der Vergangenheit die notwendigen Umweltinvestitionen im Bereich Abwasserentsorgung vorgenommen haben?
Die Antwort auf diese Frage war, glaube ich, in meiner Antwort auf die Frage 27 im wesentlich en enthalten, Frau Präsidentin.
Aber Kollege Pfannenstein könnte noch zwei Zusatzfragen stellen.
Ist in Ordnung.
Dann kommen wir zur Frage 29 der Abgeordneten Susanne Kastner:
Wie verträgt sich das Vorhaben der Bundesregierung, für die kommunale Abwasserentsorgung eine gebührensteigernde Umsatzsteuerpflicht einzuführen, mit dem Beschluß der Regierungschefs von Bund und Ländern, mit den kommunalen Spitzenverbänden eine bundesweite Offensive zur Kostenreduzierung bei Gebühren und Beiträgen zu starten, und wie beurteilt sie die ablehnenden Stellungnahmen der kommunalen Spitzenverbände zu dieser neuen Steuer?
Frau Kastner, die Einbeziehung der kommunalen Abwasserentsorgung in die Umsatzsteuerpflicht mit dem ermäßigten Steuersatz
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Parl. Staatssekretär Dr. Kurt Faltlhauservon 7 % wirkt wegen des dann möglichen Vorsteuerabzugs in Höhe von 15 % insgesamt tendenziell gebührensenkend. Das habe ich gerade ausgeführt. Die Stellungnahmen der kommunalen Spitzenverbände, die im übrigen nicht uneingeschränkt ablehnend sind, gehen offensichtlich von anderen Voraussetzungen aus.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie dann die Äußerung Ihrer F.D.P.-Kollegin, mit dieser Forderung habe sich die F.D.P. endlich durchgesetzt und die steuerlichen Privilegien der öffentlich-rechtlichen Abwasser- und Abfallbetriebe beendet?
Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie es mir ersparen würden, dazu eine Beurteilung abzugeben.
Keine weitere Zusatzfrage.
Dann kommen wir zur Frage 30 der Abgeordneten Susanne Kastner:
Wie hoch schätzt die Bundesregierung die zusätzliche Gebührenbelastung der Bürger durch die geplante Einführung der Umsatzsteuerpflicht für die kommunale Abwasserentsorgung, und wie hoch schätzt sie den Anteil der Umsatzsteuer an den Abwassergebühren der privaten Haushalte?
Bisherige Berechnungen im Bundesministerium der Finanzen haben ergeben, daß bei der Einführung der Umsatzsteuerpflicht der Abwasserbeseitigung und gleichzeitiger Gewährung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes von 7 % unter Einbeziehung der gegenzurechnenden Vorsteuern in Höhe von 15 % Umsatzsteuermindereinnahmen entstehen werden.
Die Regelung müßte danach zu einer Gebührenentlastung für den Bürger führen, weil bei den entsprechenden Unternehmen insgesamt eine Entlastung eintreten kann. Ich wiederhole damit das, was ich schon dem Kollegen gesagt habe. Inhaltlich zielt Ihre Frage auf das gleiche ab.
Haben Sie trotzdem eine Zusatzfrage? — Bitte.
Herr Staatssekretär, könnten Sie mir eine Äußerung, die ich ebenfalls der Presse entnommen habe, erklären, in der es heißt, durch den bei der Umsatzsteuer möglichen Vorsteuerabzug würden Investitionen zum Aufbau der Abwasserentsorgung in den neuen Ländern und zur Renovierung des Kanalnetzes in den alten Bundesländern erleichtert? Dies stand im Zusammenhang mit der Berechnung des Städtetages — mein Kollege Pfannenstein hat darauf ja schon hingewiesen —, daß Mehrbelastungen der Städte die Folge seien,
Die Aussage, daß die Investitionen erleichtert werden, ist richtig. Dies gilt für die
neuen Bundesländer und für die alten Bundesländer. Denn wenn man bei entsprechenden Investitionen einen Vorsteuerabzug vornehmen kann, hat man den Vorteil, daß dem Vorsteuerabzug in Höhe von 15 % der ermäßigte Steuersatz in Höhe von 7 % der Einnahmen gegenübersteht.
Das betrifft das Problem, das Ihr Kollege auf geworfen hat, der fragte, wie es denn mit denen sei, die schon früher in solche Anlagen investiert haben. Aus diesem Sachzusammenhang läßt sich also in der Tat nicht nur ein Anreiz für jetzige Investitionen erkennen, sondern auch eine Belohnung früherer Investitionen.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? — Bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben mir die Antwort auf die Frage 29 eigentlich ein bißchen vorenthalten. Dort habe ich gefragt:
Wie verträgt sich das Vorhaben der Bundesregierung, für die kommunale Abwasserentsorgung eine gebührensteigernde Umsatzsteuerpflicht einzuführen, mit dem Beschluß der Regierungschefs von Bund und Ländern, mit den kommunalen Spitzenverbänden eine Offensive zur Kostenreduzierung bei Gebühren und Beiträgen zu starten . . .?
Da darüber hinaus Ihre Aussage so widersprüchlich zu denen der kommunalen Spitzenverbände und der Regierungschefs ist, möchte ich fragen: Haben Sie sich mit den kommunalen Spitzenverbänden und mit den Regierungschefs der Länder schon einmal an einen Tisch gesetzt?
Frau Kollegin, außer Fachgesprächen hat noch kein Spitzengespräch stattgefunden. Aber wir haben ohnehin vor, mit den kommunalen Spitzenverbänden in absehbarer Zeit ein Spitzengespräch über die Gewerbesteuer zu führen. Ich kann mir vorstellen, daß in diesem Spitzengespräch auch die Frage der Umsatzbesteuerung, wie sie hier angesprochen wurde, erörtert wird.
Allerdings muß ich Ihnen dies zum zweiten Teil Ihrer Frage — mitteilen, daß die Einführung des Steuersatzes in Höhe von 7 % sehr wohl in Einklang steht mit der gemeinsamen Forderung, die Gebühren zu senken, sofern es richtig ist, daß die Unternehmen die Vorsteuern in Höhe von 15 % abziehen können. Das wird sich im Einzelfall entscheiden.
Wir wiederholen uns, Frau Kollegin.
Es gibt eine Zusatzfrage des Abgeordneten Spiller.
Herr Staatssekretär, nach Ihrer Argumentation ist damit zu rechnen, daß die
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Jörg-Otto SpillerAbwasserbetriebe eine höhere Steuerrückvergütung haben werden, als sie an Steuern zu zahlen haben.
Was hat Sie dazu gebracht, einen neuen Subventionstatbestand zu schaffen?
Dies ist bei genauerer Betrachtung, Herr Kollege, kein Subventionstatbestand, sondern diese Maßnahme ist eine Systematisierung unseres Steuerrechts. Systematisierungen haben regelmäßig zum Ergebnis, daß einzelne Fälle anders als vorher behandelt werden. Das kann immer mal passieren. Ein Subventionstatbestand würde auf diese Weise sicher nicht vorliegen.
Ich argumentiere hier ganz anders, nämlich daß man diese Maßnahme aus Haushaltsgründen in Frage stellen muß. Wenn wir das noch einmal durchrechnen und erkennen, daß diese Maßnahme z. B. 1 Milliarde DM kosten würde, dann stellt sich die Frage, ob wir eine derartige Maßnahme zum gegenwärtigen Zeitpunkt tatsächlich angehen sollten.
Für die weiteren Fragen ist um schriftliche Beantwortung gebeten worden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs. Vielen Dank für Ihre Antworten.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Norbert Lammert zur Verfügung.
Die Fragen 35, 36 und 37 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe Frage 38 der Abgeordneten Dr. Angelica Schwall-Düren auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung — speziell unter den positiven Effekten der Energieeinsparung — die generelle Installation von Solar-Straßenlaternen?
Frau Kollegin, der Betrieb von Straßenlaternen mit photovoltaisch erzeugtem Strom vermeidet durch die Nutzung der erneuerbaren Sonnenenergie die Verwendung fossiler oder nuklearer Energieträger. Damit werden endliche Energieressourcen geschont und zugleich die Umwelt entlastet. Deshalb wird der Einsatz von Solar-Straßenlaternen von der Bundesregierung grundsätzlich positiv beurteilt.
Allerdings ist die solare Stromerzeugung im Normalfall noch um ein Vielfaches teurer als die herkömmliche Stromerzeugung; somit ist auch die solare Straßenbeleuchtung gegenüber der bisherigen wirtschaftlich im Nachteil.
In Einzelfällen jedoch, insbesondere wenn lange Kabelverbindungen verbunden mit hohen Installationskosten für die Einrichtung neuer Straßenbeleuchtungen notwendig sind, können Solar-Straßenlaternen kostengünstiger als die herkömmliche Straßenbeleuchtung sein. In diesen Fällen ist es sicherlich auch wirtschaftlich vorteilhaft für den Investor, sich für diese neue ressourcen- und umweltschonende Art der Straßenbeleuchtung zu entscheiden.
Eine Nachfrage der Kollegin?
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß eine verstärkte Nachfrage nach Solarstraßenlaternen respektive Solarzellen die Produktionskosten reduzieren und damit die Anschaffungskosten senken werden?
Grundsätzlich eröffnet eine verstärkte Nachfrage nach einem Produkt die Möglichkeit kostengünstigerer Produktion. Das gilt ganz sicher auch für diesen Zusammenhang.
Wir kommen zur Frage 39 der Abgeordneten Dr. Angelica Schwall-Düren:
In welchem Ausmaß befürwortet und fördert die Bundesregierung den Kauf von Solar-Straßenlaternen für Autobahnen, Bundesstraßen und bundeseigene Gebäude?
Frau Kollegin, der Einsatz von Solarstraßenlaternen für Autobahnen, Bundesstraßen und bundeseigene Gebäude wird wegen der Überlegungen, die ich im Zusammenhang mit der Beantwortung der vorigen Frage bereits vorgetragen habe, prinzipiell befürwortet. Da für die genannten Bundeseinrichtungen selbstverständlich das Gebot der Wirtschaftlichkeit gilt, wird die gegenüber herkömmlichen Beleuchtungen normalerweise wesentlich teurere Solarbeleuchtung bisher nicht eingesetzt. Es gibt dafür auch keine spezifischen Fördermaßnahmen.
Die konkrete Gestaltung und Beschaffung für Autobahnen und Bundesstraßen erfolgt in der durch die Auftragsverwaltung geregelten Zuständigkeit. Innerhalb dieser kann über die Installierung von Solarstraßenlaternen unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten entschieden werden.
Die Bundesregierung konzentrierte sich bei der Förderung der Photovoltaik — z. B. mit dem 1000Dächer-Programm — bisher auf netzgekoppelte Anlagen im privaten Bereich, bei denen durch Masseneinsatz und -produktion am ehesten eine Kostendegression erwartet werden kann. Also genau hier findet die unmittelbare, auch operative Umsetzung des Zusammenhanges statt, nach dem Sie in Ihrer Zusatzfrage zur vorherigen Frage nachgefragt hatten.
Sie haben keine weiteren Fragen? — Dann sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs; denn der Kollege Manfred Such hat, obwohl er im Raum ist, um schriftliche Beantwortung gebeten.Wir kommen deswegen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Michaela Geiger zur Verfügung. Im Raum ist auch der Abgeordnete Norbert Gansel.
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Vizepräsidentin Dr. Antje VollmerIch rufe die Frage 42 des Abgeordneten Gansel auf:Seit wann ist der Bundesregierung bekannt, daß die Telemit Electronic GmbH in libysches Eigentum übergegangen ist, und welche Aufträge aus dem Bereich des Bundesministeriums der Verteidigung oder des Bundesministeriums des Innern hat diese Firma seitdem erhalten?Bitte.
Frau Präsidentin, soweit dies heute und in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit noch feststellbar ist, wurden der Bundesregierung Anfang der 80er Jahre Hinweise bekannt, daß die Firma Telemit in libyschem Eigentum stand. Vor den Vorgängen um die Chemiewaffenanlage in Rabta/Libyen bestand keine Veranlassung, Firmen mit libyschem Eigentum wie die Firma Telemit bei Auftragsvergaben auszuschließen.
Als Reaktion auf die Rabta-Vorfälle wurde der Firma Telemit am 1. März 1989 mitgeteilt, daß sie ab sofort so lange nicht mehr am Wettbewerb beteiligt werde, bis die libysche Beteiligung an dem Unternehmen vollständig beendet sei. Nachdem das Ende der libyschen Beteiligung nachgewiesen war, wurde die Firma Telemit ab dem 16. Mai 1991 wieder in die Auftragsvergaben einbezogen und erhielt verschiedene Aufträge.
Als im April 1994 durch Veränderungen der Geschäftsführung und Gesellschafterbeziehungen erneut Zweifel aufkamen, wurde unter Einschaltung des BND versucht, für Aufklärung zu sorgen. Nach Auskunft des BND lagen keine Hinweise darauf vor, daß libysches Kapital hinter den genannten Beteiligungen stehe. Am 1. September 1994 wurde das Konkursverfahren über das Vermögen der Firma Telemit eröffnet.
Entsprechend diesem Sachverhalt wurden seit Ende der 60er Jahre bis Ende 1988 Direktaufträge im Gesamtwert von rund 57,6 Millionen DM erteilt. Zwischen dem 13. Dezember 1988 und dem 29. November 1991 wurde kein Auftrag erteilt. Danach kam es nochmals zu Aufträgen von insgesamt rund 7,6 Millionen DM.
Ich weise ausdrücklich darauf hin, daß es sich bei allen Aufträgen an die Firma Telemit nicht um sensibles Material handelte. Die Firma Telemit erhielt über diese Auftragsvergabe auch keinen Zugang zu Verschlußsachen der Bundeswehr.
Im Bereich des Bundesministeriums des Innern hat eine Eilabfrage ergeben, daß von der Beschaffungsstelle des BMI sowie vom Bundeskriminalamt, vom Bundesamt für Verfassungsschutz, vom Bundesverwaltungsamt, vom Bundesamt für Zivilschutz und vom Statistischen Bundesamt keine Aufträge an die Firma Telemit Electronic GmbH erteilt worden sind.
Eine Nachfrage des Kollegen Gansel.
Frau Staatssekretärin, gilt die Auskunft, die Sie mir gegeben haben, nicht nur für die Firma Telemit, sondern auch für 100%ige Töchter der Telemit, die mit ihr praktisch eine Geschäftseinheit bilden, wie z. B. für die Firma Astro-Technik GmbH in
München? Können Sie mir die Antwort — wenn Sie mir die Frage jetzt nicht beantworten können — gegebenenfalls schriftlich zukommen lassen?
Herr Abgeordneter Gansel, darum wollte ich Sie bitten. Da diese Frage nicht Gegenstand Ihrer ursprünglichen Frage war, würde ich sie gern schriftlich beantworten.
Danke sehr. — Dann habe ich eine zweite Zusatzfrage.
Ja, bitte.
Da Sie in Ihrer Antwort den Zeitpunkt, in dem die Bundesregierung davon Kenntnis erhalten hat, daß die Telemit im libyschen Eigentum stand, sehr ungenau angegeben haben, Erkenntnis aber kein Prozeß ist, sondern ein Ereignis, möchte ich Sie fragen, wann genau die Bundesregierung von diesen Eigentumsverhältnissen Kenntnis erhalten hat, und, weil die Stornierung von Aufträgen im Zusammenhang mit der Beteiligung deutscher Firmen an der Giftgasfabrik in Rabta genannt worden ist, ob die Firma Telemit oder eine ihrer Töchter in irgendeiner Art und Weise an dem Rabta-Projekt oder an ähnlichen Projekten beteiligt gewesen sind.
Herr Abgeordneter Gansel, wir sprechen hier über Vorgänge, die schon über zwölf Jahre zurückliegen. Soweit in der kurzen Zeit feststellbar war, gab es wohl im Jahr 1981 Hinweise, die den Schluß zuließen, daß die Firma Telemit in libysches Eigentum überging. Im übrigen wurde dieses Thema aber in den dafür vorgesehenen parlamentarischen Gremien ausführlich besprochen, also in der PKK. Sie könnten sich also auch über die entsprechenden Gremien informieren.
Zu einer weiteren Zusatzfrage erteile ich dem Abgeordneten Dr. Winfried Wolf das Wort.
Frau Staatssekretärin, Sie haben gesagt, daß die Firma Telemit, München, an Ausschreibungen für Auftragsvergaben beteiligt worden sei. Der Bericht des Magazins „stern" legt aber nahe, daß es keine Ausschreibungen waren, sondern daß es eine kontinuierliche Zusammenarbeit zwischen BND, Telemit und libyschen Auftraggebern oder Empfängern von Gütern gegeben hat. Ich frage Sie: Wo und in welcher Form wurden diese Aufträge ausgeschrieben und bekanntgemacht?
Normalerweise werden Aufträge der Bundeswehr immer ausgeschrieben. Aber ich bin gern bereit, Ihnen diese Frage schriftlich genau zu beantworten.
Sie haben leider nur eine Zusatzfrage, wenn Sie die Frage nicht selbst gestellt haben.Deswegen jetzt der Abgeordnete Lippelt.
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Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Januar 1995
Frau Staatssekretärin, wenn ich mich an die Dokumentation recht erinnere, die uns seinerzeit der Staatsminister im Bundeskanzleramt über die Vorgeschichte von Rabta vorgelegt hat, dann meine ich mich zu erinnern, daß frühe Hinweise durchaus da waren, auch vom BND überprüft worden sind, also längst vor 1989. Ich frage jetzt ganz einfach, da Sie nun sagen, daß man ab 1981 zumindest wußte, daß Telemit in libyschem Besitz war: Ist bei der Gelegenheit, bei der der BND so etwas überprüfen mußte, auch überprüft worden, was denn eine im vollen libyschen Eigentum befindliche Firma hier in Deutschland machte? Gibt es irgendeinen konkreten Hinweis einer Verbindung von Rabta und Telemit, die dann eigentlich in der Zeit der Recherchen hätte aufgedeckt werden müssen?
Mir ist ein solcher Hinweis nicht bekannt. Ich bin aber gern bereit, das noch einmal überprüfen zu lassen und schriftlich zu beantworten.
Hatten Sie eine Zusatzfrage, Herr Kollege Bachmaier? — Nein.
Dann beende ich die heutige Fragestunde. Die restlichen Fragen werden morgen beantwortet.
Ich rufe auf: Aktuelle Stunde
Antworten der Bundesregierung auf die Dringlichen Fragen aus der Fragestunde
Die Fraktion der CDU/CSU hat eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema verlangt. — Wollen Sie das noch begründen? — Bitte.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben eben bei der Beantwortung der dringlichen Fragen durch die Bundesregierung nicht ausreichende Antworten erhalten, bezogen auf das Thema, um das es geht.
Wir wissen seit Monaten,
daß es einen Vermerk des Ehrenvorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei gibt,
der in den Geschäftsgang der Parteiorganisation der SPD gegangen ist,
der Hans-Jochen Vogel veranlaßt haben soll,
mit dem Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes ein Gespräch zu führen. Wir wissen nicht, ob dieses Gespräch stattgefunden hat, ob dieses Gespräch Ergebnisse gebracht hat, und wir wissen vor allem nicht die einfache Frage zu beantworten: Sagt HansJochen Vogel in diesem Punkt die Wahrheit? Denn wenn es dieses Gespräch mit Porzner gegeben hat, dann müßte dieses Gespräch ja zu Konsequenzen geführt haben, entweder in Form von Berichten an die Bundesregierung oder an die Bundesanwaltschaft. Denn der Vermerk von Willy Brandt enthält ja nichts anderes als den schwerwiegenden Verdacht, daß ein früheres Mitglied dieses Hauses Landesverrat begangen hat oder für eine fremde Macht zum Nachteil der Bundesrepublik Deutschland spioniert hat.Das ist ein Vorgang, der im Zusammenhang mit vielen anderen Vorgängen, in denen der Name des gleichen ehemaligen Kollegen immer wieder vorkommt, z. B. bei einer Kanzlerwahl, als es um ein konstruktives Mißtrauensvotum ging, dringend der Aufklärung bedarf. Von daher wäre es erforderlich gewesen, daß wir etwas genauer und intensiver über das informiert worden wären, was die Bundesanwaltschaft, die sich mit diesem Sachverhalt befaßt, in Tat und Wahrheit veranlaßt hat.Außerdem steht noch in Rede, daß der derzeitige Präsident des Bundesrats ebenfalls bereits im April 1992 über diesen handschriftlichen Vermerk des Ehrenvorsitzenden der SPD und Friedensnobelpreisträgers Willy Brandt informiert worden ist.Es stellt sich die Frage: Wie werden Amtspflichten in Kenntnis solch schwerwiegender Verdachtsmomente wahrgenommen? Dieser Sachverhalt ist dringend aufklärungsbedürftig. Es ist vor allem aufklärungsbedürftig, was Hans-Jochen Vogel veranlaßt, nun den Ehrenvorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei, den ehemaligen Bundeskanzler und Friedensnobelpreisträger Willy Brandt in der Weise darzustellen, wie er es gegenwärtig tut.Es wird der Eindruck erweckt, als habe Willy Brandt, der Ehrenvorsitzende, nicht gewußt, was er nach einem Gespräch mit Falin, dem früheren Botschafter der Sowjetunion in der Bundesrepublik, am 31. März aufschreibt.
Ein vom Tode gezeichneter Mann habe da etwas aufgeschrieben, diesen Eindruck vermittelt Hans-Jochen Vogel.Dieser vom Tode gezeichnete Mann hat zwei Tage später Wahlveranstaltungen für die SPD in BadenWürttemberg wahrgenommen. Er hat weitere zwei Tage später an der Schlußveranstaltung der Sozialdemokratischen Partei im Landtagswahlkampf in Schleswig-Holstein teilgenommen, so daß der Eindruck, den Hans-Jochen Vogel zu vermitteln versucht, mit der öffentlich bekannten Wahrheit überhaupt nicht übereinstimmen kann.Es stellt sich doch dringlich die Frage: Was veranlaßt Hans-Jochen Vogel, ohne Rücksicht auf das Ansehen und die Ehre des Altbundeskanzlers Willy Brandt eine solche Situation zu schaffen und das Ansehen des Bundeskanzlers Willy Brandt so in Frage zu stellen?
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Joachim HörsterDeswegen bin ich der Auffassung, daß wir alle parlamentarischen Mittel nutzen müssen, um diesen Vorgang aufzuklären, weil es hier um viel mehr geht als nur um einen einfachen möglichen Spionagefall. Hier geht es um das Ansehen und die Verhaltensweisen wichtiger Organe unseres Staates.
Damit hat die Fraktion der CDU/CSU eine Aktuelle Stunde verlangt. Das entspricht Nr. 1 Buchstabe b der Richtlinien für die Aktuelle Stunde. Die Aussprache muß unmittelbar nach Schluß der Fragestunde durchgeführt werden.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Marschewski.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Kollege Hörster hatte Recht. Auch die „Stuttgarter Zeitung" hatte Recht, wenn sie kommentiert: Es handele sich bei diesem Sachverhalt um eine Affäre, von der jeder Sozialdemokrat, der etwas auf seinen guten Ruf hält, so viel Abstand wie irgend möglich halten müßte. Dem, meine Damen und Herren, kann niemand widersprechen.
Es ist eine wichtige Frage, ob führende SPD-Mitglieder in den 70er Jahren gegenüber der damaligen Sowjetunion und der DDR eine Geheimdiplomatie betrieben, ob sie ihren eigenen Kanzler hintergingen und Staatsgeheimnisse verraten haben. Über die mögliche KGB-Verstrickung des Ex-Wehner-Vertrauten Wienand ist in einem Gerichtsverfahren zu entscheiden. Ich fordere, alles zu tun, damit dieses Verfahren alsbald beginnen kann.
Auch und gerade im Falle eines hochrangigen Politikers wie des ehemaligen Parlamentarischen Geschäftsführers der SPD, Wienand, darf eines nämlich nicht gelten, Herr Kollege Wiefelspütz: Die Kleinen hängt man, und die Großen läßt man laufen. Das darf nicht passieren.
Es ist deshalb unabdingbar, der Justiz jede Hilfe zukommen zu lassen, um den Fall Wienand aufzuklären. Es ist richtig — Sie wissen dies doch —, daß der ungeheuerliche Verdacht besteht, daß damals mit Hilfe der Stasi und mit Hilfe Herrn Wienands Rainer Barzel nicht zum deutschen Bundeskanzler gewählt worden ist — mit Hilfe der Stasi!
Doch was geschieht? Ihre Parteifreunde halten offensichtlich belastendes Material zurück. Frau Seebacher-Brandt hat es nicht verdient, beschimpft zu werden, weil sie das Wissen ihres Mannes an die Öffentlichkeit gebracht hat, daß Wienand den östlichen Geheimdiensten Informationen zukommen ließ.
Vielmehr haben sich diejenigen, die entsprechende Notizen des Exkanzlers Brandt verheimlicht haben, zu
erklären. Erklären muß sich der Brandt-Vertraute Egon Bahr, erklären muß sich der ehemalige SPDVorsitzende Hans-Jochen Vogel, und erklären muß sich der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen Johannes Rau. Denn sie sollen Kenntnis von den Aufzeichnungen gehabt haben.
Aber was passiert? Alle drei SPD-Politiker schweigen. Egon Bahr erklärt, die Bundesanwaltschaft, die gegen Wienand wegen angeblicher Stasi-Verwicklungen ermittelte, habe ihn nicht dazu gefragt. Seit wann redet denn Herr Bahr nur, wenn er ausdrücklich gefragt wird?
Darüber hinaus geht es um ein Ermittlungsverfahren von großer staatsrechtlicher Bedeutung. Herr Bahr, Herr Vogel und Herr Rau: Sie sind zur Aufklärung verpflichtet! Sie haben die Aufklärungspflicht in dieser wichtigen Angelegenheit!
Aber es drängt sich für mich der Verdacht auf, daß verheimlicht, daß vertuscht werden soll. Das bedeutet, daß von einer politisch sauberen Diplomatie dieser SPD-Spitzenfunktionäre wohl kaum ausgegangen werden kann. Denn eins ist doch klar: Wer ehrlich ist, hat nichts zu vertuschen, der schweigt nicht.
Ich appelliere an Herrn Bahr, an Herrn Vogel und an Herrn Rau: Helfen Sie mit, den bestehenden Verdacht der Begünstigung auszuschließen!
Heute schreibt die „Rheinische Post": „Nicht Schwamm drüber, meine Damen und Herren der SPD-Fraktion, sondern redet, Genossen!" Dazu fordere ich Sie auf.
Jetzt hat das Wort der Abgeordnete Dr. Peter Struck.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese Rede, Herr Kollege Marschewski, reiht sich nahtlos ein in die Reihe der Lächerlichkeiten und Peinlichkeiten, die zu diesem Thema bis heute hier stattgefunden haben.
Ich wundere mich, daß so ein honoriger Mann wie Herr Scholz oder so ein honoriger Mann wie Herr Schäuble sich zu diesem Vorgang hergeben.Ich stelle hier eindeutig fest, Herr Kollege Marschewski, damit einmal klar ist, wie Sozialdemokraten und ich Gewaltenteilung verstehen: Wenn ein Prozeß unterbrochen ist, weil der Angeklagte verhandlungsunfähig schwer herzkrank im Krankenhaus liegt, dann können Sie hier nicht sagen: Dieser Prozeß wird aus politischen Gründen verzögert. Nehmen Sie das bitte einmal zur Kenntnis!
Der Vorsitzende Richter des Staatsschutzsenates des Oberlandesgerichts Düsseldorf das werden die Experten bestätigen — ist ein unumstrittener, unbestechlicher Fachmann in diesen Fragen. Glauben Sie doch nicht ernsthaft, daß Sie der Justiz, diesem Mann und auch Ihrem Ansehen, Herr Marschewski, einen
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Dr. Peter StruckGefallen tun, wenn Sie dem unterstellen, er wolle den Prozeß aus wahltaktischen Gründen verzögern! Nehmen Sie das ganz schnell zurück, sonst werden Sie sich in Nordrhein-Westfalen nicht mehr sehen lassen können!
Das zweite ist: Einen ehemaligen Kollegen, Karl Wienand, der unter einem Verdacht steht, der aber, glaube ich doch wohl, noch bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts einen Anspruch darauf hat, als unschuldig zu gelten, hier als Schuldigen zu diskreditieren ist ein unglaublicher Vorgang, Herr Marschewski.
Sie sollten sich für die Art und Weise schämen, wie Sie mit dem Ansehen eines Menschen umgehen — unabhängig davon, ob er Mitglied dieses Hauses war oder nicht.Wenn Sie auch andere ehemalige Kollegen dieses Hauses ansprechen — Hans-Jochen Vogel und Egon Bahr —, dann möchte ich Ihnen dazu nur eines sagen: Wenn Hans-Jochen Vogel eine Erklärung zu den Vorgängen, über die wir hier diskutieren, abgibt, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrigläßt, nämlich die Erklärung, er werde über dieses Gespräch mit dem ehemaligen Vorsitzenden der SPD, Willy Brandt, an der Stelle etwas sagen, an der es zu sagen ist, nämlich in dem Prozeß als Zeuge, dann haben Sie das zu respektieren, nicht aber ihn hier zu diskreditieren, als drücke er sich vor Antworten.
Herr Kollege Hörster, wirklich der Gipfel der Peinlichkeit ist es, wenn ich ausgerechnet Sie das Loblied Willy Brandts singen höre. Für Sie sind immer nur tote Sozialdemokraten gute Sozialdemokraten. Wir lassen uns so etwas nicht gefallen.
Wer das Lebenswerk Willy Brandts jetzt in den Dreck ziehen will, weil er glaubt, er könnte mit Niederschriften, Notizen und Erklärungen von anderen, die irgend etwas berichten, politisch etwas bewirken, etwa mit der aberwitzigen Vorstellung, so etwas würde die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen entscheiden, der tut dem Ansehen der Politik keinen Gefallen.
Wenn Sie wollen, daß diese Vorgänge aufgeklärt werden: Ich bin dafür, daß das Oberlandesgericht Düsseldorf sie aufklärt. Ich habe nämlich großes Vertrauen in die Unabhängigkeit der Justiz, dieses Vorsitzenden und dieses Senats.
Ich habe auch sehr großes Vertrauen in die vorbereitenden Arbeiten der Bundesanwaltschaft. Aber wenn Sie politisch etwas klären zu müssen glauben, nach dem Spielchen, das Sie hier angefangen haben, Herr Scholz, dann fordern Sie doch einen Untersuchungsausschuß! Setzen wir doch einen ein! Diesbezüglichhat aber wenigstens ein einsichtiger Mensch in Ihrer Fraktion schon gesagt: Nein! Das war der Bundeskanzler Kohl.
Zu diesem Vorgang muß man feststellen: Das muß geklärt werden. Der Angeklagte Karl Wienand bestreitet diese Vorwürfe ganz entschieden. Nicht ohne Grund liegt er wegen einer schweren Herzerkrankung im Krankenhaus.
— Das war ein Zwischenruf, den Sie ganz schnell aus dem Protokoll streichen lassen sollten, Herr Kollege Blank. Den Zwischenruf „Vor Angst" sollten Sie ganz schnell streichen lassen. Ich empfehle Ihnen das sehr. Das ist wohl Ihre Art, hier Politik zu machen.
Lassen Sie uns abwarten, wie dieser Prozeß ausgeht. Von mir aus können wir parallel dazu einen Untersuchungsausschuß einsetzen. Aber eines garantiere ich Ihnen: Ich werde solange dafür einstehen, daß Wienand das Recht auf die Unschuldsvermutung hat, solange nicht etwas anderes rechtskräftig entschieden ist.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Andreas Schmidt.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Struck, nicht diese Debatte ist peinlich, sondern peinlich ist das Verhalten führender Sozialdemokraten in dieser Frage.
Peinlich ist, wenn es notwendig ist, daß die Staatsanwaltschaft ein Schriftstück für ein Ermittlungsverfahren beschlagnahmen muß, obwohl führende Sozialdemokraten wußten, daß es dieses Schriftstück gibt, es aber nicht für nötig befunden haben, dieses Schriftstück von sich aus der Staatsanwaltschaft zur Verfügung zu stellen.
Meine Damen und Herren, das ist der eigentliche Skandal und die eigentliche Peinlichkeit in diesem Verfahren, nicht aber diese Debatte.Ich will ausdrücklich sagen, daß wir überhaupt nicht die Absicht haben, in ein Strafverfahren einzugreifen. Das können wir auch gar nicht. Aber der aktuelle Skandal in dieser Angelegenheit, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist die Tatsache, daß auch u. a. Ministerpräsident Johannes Rau von diesem Schriftstück wußte, aber nichts davon gesagt hat. Ich finde — das sollte man hier festhalten —, es gibt überhaupt keine Rechtfertigung, auch nicht für Herrn Rau, daß er sich jetzt hinter diesem Strafverfahren, das durchgeführt werden muß, versteckt.Ich will noch einmal sagen: Es ist die verdammte Pflicht und Schuldigkeit des Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, jetzt klipp und klar zu sagen,
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Andreas Schmidt
was er wußte. Ich finde, die Öffentlichkeit hat auch einen Anspruch darauf, dies zu erfahren. Er sollte erklären, warum er nicht gesagt hat, daß er Kenntnis von diesem Schriftstück gehabt hat.Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Sozialdemokraten, man muß ja auch in diesem Zusammenhang die Frage stellen: Wie geht eigentlich ein prominenter Politiker der Sozialdemokraten, der sich immer gerühmt hat, ein enges Vertrauensverhältnis zu Willy Brandt gehabt zu haben, mit einem Teilvermächtnis des verstorbenen Willy Brandts um, wenn er versucht, dieses Dokument zu verschleiern und zu vertuschen?
— Das ist zwar eine Angelegenheit der Sozialdemokraten; aber Sie sollten einmal darüber nachdenken, wie Sie eigentlich mit Ihrem verstorbenen Ehrenvorsitzenden im nachhinein umgehen, meine Damen und Herren.Das Vertuschen und Verstecken von Johannes Rau — auch das sollte man in diesem Zusammenhang einmal sagen — paßt im übrigen nahtlos zu seinem rückgratlosen Verhalten gegenüber den früheren Machthabern der Diktatur der DDR.
Daß er versucht hat, von der DDR Wahlkampfhilfe zu erhalten, und Egon Bahr dafür erklärt hat, man werde die DDR-Staatsbürgerschaft respektieren, paßt genau zu diesem rückgratlosen Verhalten.Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Witwe von Willy Brandt hat es gestern in ihrem Brief an Rudolf Scharping so zusammengefaßt — ich zitiere —: Die SPD von heute ist nicht mehr die freiheitliche Partei Willy Brandts. Ich will dies hier gar nicht kommentieren; ich will es nur zitieren. Sie sollten sich selbst Ihre Gedanken darüber machen.Ich finde, es ist höchste Zeit, daß führende Sozialdemokraten, Egon Bahr, Hans-Jochen Vogel, aber insbesondere auch Johannes Rau, jetzt sagen, was sie gewußt haben. Sie sollten auch erklären, warum sie bisher geschwiegen haben.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Stiegler.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Kollege Marschewski hat sich beklagt, die Fragen seien nicht ausreichend beantwortet worden. Mich erinnert das ein bißchen an Lichtenberg, der einmal gesagt hat: „Ein Narr kann mehr Fragen stellen, als hundert Weise beantworten können. — Es waren zwar nur zwei Weise aus der Regierung da;
aber denen war es auch ersichtlich peinlich, auf diese Fragen eingehen zu müssen.
Ich finde, das ist ein sehr, sehr durchsichtiger Versuch, hier sozusagen im Nebel herumzustochern und Menschen am Zeug zu flicken, die sich nicht mehr oder nur noch begrenzt verteidigen können. Es ist der durchsichtige Versuch, jemandem etwas anzuhängen. Es ist auch geradezu peinlich, daß der Kollege Marschewski hier rechtliche Fragen stellt, die, wenn er sie im Examen von sich gegeben hätte, unweigerlich dazu geführt hätten, daß er nie Richter hätte werden können.
Ich wundere mich, daß Herr Professor Scholz noch so ruhig neben ihm sitzt. Es ist mir unverständlich, wie man solche Fragen stellen kann und daß sich der Justitiar der Unionsfraktion nicht entblödet zu sagen, er prüfe die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Beteiligten. Da kann man nur sagen, Sie arbeiten nach der Methode „semper aliquid haeret" und wollen den Leuten etwas anhängen, obwohl jeder vernünftige Mensch weiß, daß an strafrechtlichen Vorwürfen gegenüber Rau oder Vogel oder Egon Bahr nichts dran ist.
— Das kann Ihnen jeder Jurist im vierten Semester darstellen. Es ist unerhört, daß Sie versuchen, einer Öffentlichkeit, die nicht aus Strafrechtsexperten besteht, unterschwellig unterzujubeln, hier liege ein strafrechtlich relevantes Verhalten vor. Das hat weder mit parlamentarischer Fairneß noch mit einer anständigen Zusammenarbeit hier etwas zu tun.
Es gab keine Amtspflicht. Willy Brandt hat HansJochen Vogel ein Dokument anvertraut und hat es bewußt nicht etwa der Witwe gegeben; er hat es vielmehr ihm anvertraut und hat gesagt: Mach das. — Vogel hat nichts anderes getan als das, worum Willy Brandt ihn gebeten hat.Fragen Sie einmal Ihren Bundeskanzler! Die Witwe berühmt sich doch jeden Tag, daß sie den Kanzler sozusagen immer ins Bild gesetzt hat. Wenn hier etwas zu unternehmen gewesen wäre, dann hätte es von einer ganz anderen Seite geschehen müssen.
Nein, Sie wollen in Hessen und in NordrheinWestfalen mit Nebelkerzen werfen; Sie wollen sogar andere Mittel benutzen. Sie haben kein Interesse an der Sache. Der Kollege Funke hat schon deutlich gemacht: Die Sache wird anständig, in einem gerichtlichen Verfahren aufgeklärt. Wir sind hier der Bundestag und kein Tribunal und kein Revolutionsgericht und auch kein Instrument für Ihre Wahlkampfführung.
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Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Januar 1995
Ludwig StieglerSie sind auch nicht die selbsternannten Testamentsvollstrecker von Willy Brandt.
Vielmehr hat er andere damit betraut.
Er hat andere damit betraut, mit den ihn berührenden Vorgängen aus seiner Biographie umzugehen. Das war die Situation. Vogel und andere haben sich so verhalten, wie es Willy Brandt von ihnen erwartet hat. Was Sie hier treiben, ist fast falsche Anschuldigung im strafrechtlichen Sinne.
— Natürlich. Wenn Sie hier gegenüber der Öffentlichkeit nach dem Staatsanwalt gegen Rau und andere rufen, ist das eine falsche Anschuldigung.
Denn die Kundigen unter Ihnen wissen, daß keine entsprechende Pflicht bestand. Oder geben Sie bitte alle Ihre Examina zurück.
Wir bleiben angesichts dieses wirklich durchsichtigen Versuches sehr ruhig und sehr gelassen.
— Das ist so wie mit den Tamilen. Ihr letzter Redner hat versucht, Johannes Rau mit der Tamilen-Sache in Verbindung zu bringen.
Johannes Rau hat Eppelmann und andere, die während des Wahlkampfes versucht haben, ihn anzuschwärzen, mehrfach schriftlich gebeten: Komm, reden wir öffentlich darüber, was war. — Während des Wahlkampfes haben sie ihre Behauptungen wiederholt. Nach dem Wahlkampf war kein Gesprächsbedarf mehr. Denn dann hatten sie ihre Schweinereien schon erledigt.
So kann man nicht miteinander umgehen. Wir lassen uns nicht gefallen, wie Sie versuchen, unbescholtene und hochangesehene Politiker ins Zwielicht zu bringen. Das wird Ihnen nichts nützen. Ich kann Ihnen nur mein herzliches Beileid aussprechen, daß Ihre politischen Argumente in NRW und in Hessen so miserabel sind, daß Sie zu solchen Mitteln greifen müssen.Vielen Dank.
Für die Bundesregierung spricht jetzt Bundesminister Bohl.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach dem Verlauf der Debatte möchte ich für die Bundesregierung zunächst einmal zwei Punkte klarstellen.Es handelt sich um ein laufendes Verfahren vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf. In diesem Verfahren ist Herr Wienand angeklagt. Es ist bekannt, daß nach der Eröffnung des Hauptverfahrens die Bundesanwaltschaft in den Besitz eines Vermerks von Willy Brandt gekommen ist, der dem Oberlandesgericht unmittelbar zur Verfügung gestellt wurde.Nach unserer Strafprozeßordnung ist es so, daß dann, wenn das Hauptverfahren schon eröffnet worden ist, die Staatsanwaltschaft keine eigenen Ermittlungen mehr durchführen kann, es sei denn, durch gerichtliche Entscheidung wird ihr das aufgegeben.
— Oder gegen andere Personen. Jedenfalls: Im Fall Wienand war das Verhalten der Bundesanwaltschaft absolut korrekt.Es muß auch klar gesagt werden, daß wegen dieses Sachverhalts die Bundesregierung nicht in der Lage ist, aus den Ermittlungsakten zu zitieren. Es kommt dabei nicht auf den Wunsch der Bundesregierung an, Neuigkeiten zu vermitteln, sondern die Bundesregierung ist an Recht und Gesetz gebunden. Deshalb konnte und kann die Bundesregierung aus diesen Ermittlungsakten nicht zitieren.
— Herr Duve, hören Sie doch zu.Das zweite, was ich sagen möchte, ist, daß die Fragen, die sich auf die Information des Bundesnachrichtendienstes oder des Kanzleramtes durch den Bundesnachrichtendienst beziehen, naturgemäß nur so beantwortet werden konnten, wie es Herr Staatsminister Schmidbauer getan hat, weil dieser Sachverhalt noch einer Aufklärung bedarf. Die Bundesregierung ist im Stadium der Aufklärung. Aus Fürsorgegründen ist es völlig ausgeschlossen, daß in dieser Frage seitens der Bundesregierung ein vorschnelles Urteil gefällt wird. Wir werden auch hier ganz korrekt vorgehen und dem parlamentarischen Kontrollgremium und gegebenenfalls dem Hohen Hause unmittelbar darüber berichten.Das ist das, was seitens der Bundesregierung kraft Gesetzes zu veranlassen war und ist.Davon zu trennen ist natürlich eine politische Bewertung. Es ist völlig richtig, daß die Unschuldsvermutung selbstverständlich auch für Herrn Wienand gilt. Es ist völlig richtig, daß es nicht Aufgabe der Bundesregierung oder auch des Parlaments sein kann, nun strafrechtliche Urteile zu fällen, über wen auch immer.Aber es ist natürlich schon das Recht des Parlaments, das ich mir jetzt nicht anmaße, aber auch eine
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Bundesminister Friedrich BohlMöglichkeit der Bundesregierung, diesen Sachverhalt politisch zu bewerten.
— Herr Kollege Struck, hören Sie mir doch zu. Eine politische Bewertung ist natürlich möglich; das wissen Sie ja auch.
Wenn es zutreffend ist, daß Herr Rau und Herr Vogel und Herr Bahr im Besitz dieses Vermerkes waren, seit Anfang 1992,
wenn das zutreffend ist
— hören Sie mir bitte zu, Herr Struck; ich bin es jetzt leid, daß Sie mich ständig unterbrechen; ich habe einen Anspruch darauf, daß Sie mir auch einmal zuhören —, wie unwidersprochen in den Medien geschrieben wird, dann bleibt doch festzustellen, daß es im Januar letzten Jahres eine sehr brisante öffentliche Diskussion darüber gab, ob Herr Wienand, Herr Bahr und andere durch Aussagen von Herrn Brandt belastet seien. Das war doch die öffentliche Diskussion.
In dieser öffentlichen Diskussion haben führende Sozialdemokraten, die dann im Besitz dieses Vermerkes waren, geschwiegen, sie haben geschwiegen, wenn nicht sogar durch Aussagen den Eindruck erweckt, als sei das alles völlig abwegig, was in den Medien stand.Dieser Sachverhalt, meine Damen und Herren, muß natürlich schon bestürzen. Das ist eine Frage der politischen Kultur, die insbesondere von der Opposition ja auch immer wieder in die Diskussion eingebracht wird.Wenn ein solcher politischer Sachverhalt in der öffentlichen Diskussion ist und führende Sozialdemokraten — der stellvertretende Parteivorsitzende Johannes Rau, zur Zeit Präsident des Bundesrates, der ehemalige Partei- und Fraktionsvorsitzende Hans-Jochen Vogel und Egon Bahr — im Besitz dieses Vermerkes waren, dann ist es wirklich schon ein Skandal, daß sie sich nicht öffentlich geäußert haben, sondern die Diskussion so haben laufen lassen, im übrigen auch mit einem Zivilrechtsurteil zu Lasten ihres Parteimitglieds Frau Seebacher-Brandt.Das ist der Sachverhalt. Ich nenne das in der Tat skandalös.
Meine Damen und Herren, es werden jetzt Fährten gelegt, als sei dieser Vermerk irgendetwas Mysteriöses, Irrelevantes, im Grunde genommen zu Vergessendes. Ich stelle dazu fest, daß, auf Grund welcher Hinweise auch immer, die Bundesanwaltschaft am vergangenen Montag zur Friedrich-Ebert-Stiftunggegangen ist und diesen Vermerk beschlagnahmt hat.
— Damit will ich nur deutlich machen, Herr Kollege Struck, daß dieser Vermerk doch von hoher Brisanz ist. Ich darf wohl unterstellen, daß Hans-Jochen Vogel als ehemaliger Justizminister die politische, rechtliche und sonstige Brisanz dieses Vermerkes erkannt hat. Das darf man doch unterstellen. Wenn das so ist, dann können Sie nicht damit durchkommen, daß Sie sagen: Das war ein irrelevanter Vermerk, ansonsten haben wir mit der Sache nichts zu tun.Ich wiederhole, daß ich es in der Tat skandalös finde, wenn die drei bekannten sozialdemokratischen Politiker in Kenntnis dieses Vermerks im Januar letzten Jahres geschwiegen haben, als diese öffentliche Diskussion aufkam. Ich muß sagen: Damit ist die politische Kultur in unserem Lande aufs schwerste beschädigt worden.
Das Wort hat der Abgeordnete Struck.
— Er verzichtet. Dann hat jetzt das Wort der Abgeordnete Koschyk. —
Herr Koschyk verzichtet auch.
Dann hat jetzt Herr Wilhelm das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es ist schon bemerkenswert, wenn das, was in den Ausgaben der heutigen Tageszeitungen steht, zutrifft: daß auf die Ankündigung der SPD-Fraktion, daß Frau Seebacher-Brandt ihren Austritt aus der SPD erklärt habe, der Parteivorsitzende meinte, daß es nicht um jeden Austritt schade sei, und daß er hinzufügte: Die SPD ist und bleibt die Partei Willy Brandts.Es geht bei dem massiven Vorwurf des Landesverrats nicht nur um das Verhalten der SPD gegenüber staatlichen Stellen, Ermittlungsverfahren zu unterstützen. Hier teile ich die soeben geäußerte Meinung, daß vorhandene Vermerke, die der Ehrenvorsitzende der SPD, der doch unverkennbar Glaubwürdigkeit bei der eigenen Partei besitzt, in dieser Frage gefertigt hat, weitergegeben werden müßten.Es ist weiterhin merkwürdig, wie — in Kenntnis dieser Vermerke — eine Frau wie Frau SeebacherBrandt auf Grund ihrer Behauptung, daß es einen solchen Vermerk gibt, von der eigenen Partei behandelt wird.
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Hans-Otto Wilhelm
Meine Damen und Herren, man muß sich vorstellen, daß vier herausragende Persönlichkeiten — sogar fünf, wenn der Parteivorsitzende Scharping es möglicherweise doch gewußt hat — von diesem Vermerk Kenntnis haben und auf die Vorhaltungen von Frau Seebacher-Brandt zu dieser Frage, daß es einen solchen Vermerk gebe, eine grandiose Ablenkungs- und Diffamierungskampagne gegen Frau SeebacherBrandt angestrengt haben. Es hat ein Ausschlußverfahren, ein Ordnungsverfahren im Kreisverband Neuwied — im Landesverband von Herrn Scharping — gegeben, in dem sie wegen groben Verstoßes gegen die Prinzipien der SPD gerügt worden ist. Was sind denn eigentlich Ihre Prinzipien? — Sie hat doch die Wahrheit gesagt, meine Damen und Herren.
Vor diesem Hintergrund muß man sich weiter die Frage stellen, warum in der Auseinandersetzung zwischen Herrn Wienand und Frau SeebacherBrandt, in der sie ihre Behauptung — auch auf Grund der Stellungnahme Falins — nicht beweisen, den Prozeß nicht zu ihren Gunsten entscheiden konnte, die Herren Rau, Porzner und Vogel — möglicherweise auch Scharping — in Kenntnis dieses Vermerks Frau Seebacher-Brandt diesen Prozeß bewußt haben verlieren lassen. Es ist doch die Frage zu stellen: Warum hat man das getan? Und: Wie geht man in der SPD-Fraktion mit ehrenwerten Mitgliedern der SPD um? Das macht mich in dieser Frage so besorgt.Meine Damen und Herren, wenn man jemanden — ich will es salopp formulieren — so ins Messer laufen läßt, in Kenntnis der Wahrheit, dann stellt sich doch die Frage, warum man das tut und welche weiteren Überlegungen und Kenntnisse möglicherweise sonst noch vorhanden sind.
Wenn man sich die heutige Presse anschaut, dann stellt man fest, daß Herr Falin dabei bleibt, nichts gesagt zu haben. Dann aber müssen Sie sich doch intern — denn es geht darum, wie die SPD mit solchen Vorwürfen umgeht — die Frage stellen, ob die Glaubwürdigkeit von Herrn Falin höher ist als die Glaubwürdigkeit Ihres Ehrenvorsitzenden.
Sie können sich nicht einfach hinstellen und sagen: Die SPD ist und bleibt die Partei Willy Brandts. — Wenn sie die Partei Willy Brandts bleibt, dann haben Sie auch die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, im Sinne Willy Brandts — denn er hat das ja nicht weitergegeben, damit es vertuscht wird, sondern er hat es weitergegeben, damit Aufklärung erfolgt — an der Aufklärung mitzuwirken. Das aber haben Sie nicht getan. Mehr noch: Sie haben einen Beitrag dazu geleistet, daß überhaupt nichts aufgeklärt wird. Das ist eine utilitaristische Moral: Gut ist, was der Partei nutzt. — Das ist eine ganz, ganz schlimme Moral!
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Rupert Scholz.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Aktuelle Stunde war notwendig, und ich bedanke mich ausdrücklich im Namen unserer Fraktion bei Bundesminister Bohl.Wir haben diese Aktuelle Stunde beantragt, weil wir mit den Antworten der Bundesregierung nicht zufrieden waren.
Die Antworten, die Sie uns, Herr Bundesminister, jetzt gegeben haben, waren die Antworten, die, glaube ich, dem Gegenstand gemäß waren. Sie haben deutlich gemacht, daß es hier um einen politischen Skandal geht. Sie haben deutlich gemacht, daß wir nicht beabsichtigen, in irgendeiner Form in ein gerichtliches Verfahren einzugreifen oder ähnliches. Es geht um fundamentale Vorgänge der deutschen Nachkriegsgeschichte, eines ehemaligen deutschen Bundeskanzlers, des Präsidenten eines Verfassungsorganes, eines ehemaligen Bundesjustizministers usw. Es besteht ein elementares Interesse der Öffentlichkeit, ein Recht dieses Hauses, sich damit zu befassen. Ich kann nur wiederholen, was Sie eben gesagt haben, Herr Bundesminister. Die politische Bewertung durch Regierung wie Parlament ist notwendig. Das war die Aufgabe dieser Aktuellen Stunde.
— Das war nicht raffiniert eingefädelt, sondern es war notwendig, Herr Duve. Die Manöver von Herrn Struck und von Herrn Stiegler sind schon recht deutlich. Es ist schwierig — ich gebe das ohne weiteres zu —, Ablenkungsmanöver in dieser Frage zu fahren. Da helfen auch keine Zwischenrufe. Es ist schwierig. Aber bekennen Sie sich dazu! Bekennen Sie sich zu dem Problem. Arbeiten Sie mit an der Aufklärung! Dann sind Sie wieder die Partei Willy Brandts. Dann sind Sie wieder das, was Ihnen Frau SeebacherBrandt leider absprechen mußte.
Ich gehe noch einen Schritt weiter.
— Wer ich bin, können Sie im Protokoll nachlesen. Wenn Sie noch weitere Probleme haben, schreien Sie weiter.
— Ich will Ihnen einmal ein Beispiel für eine Unverschämtheit nennen. Wenn Sie jetzt bitte einmal zuhören. Das, was Herr Kollege Wilhelm eben geschildert hat, wie die SPD Frau Seebacher-Brandt ins Messer laufen ließ, war noch dicker. Hören Sie jetzt einmal gut zu, was ich Ihnen jetzt erzähle. Egon Bahr, der den Vermerk seit 1992 kannte, ist bei Frau SeebacherBrandt gewesen und hat sie aufgefordert, das zu revozieren, was sie gesagt hat, Informationen, die ihr ihr Mann gegeben hatte, die sich als wahr erwiesen haben, daß Falin ihn über die Geheimdienstkontakte Wienands informiert hat. Herr Bahr hat sie aufgefordert, zu revozieren — damit sollten Sie sich einmal
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Dr. Rupert Scholzauseinandersetzen —, und das in Kenntnis dieses Vermerks, in Kenntnis der Notiz Willy Brandts. Meine Damen und Herren, das ist ein wahrhaftiger Skandal. Den können Sie auch nicht mit unqualifizierten Zwischenrufen beiseite fegen. Stellen Sie sich der Frage! Das sind Sie letztlich Ihrem Altkanzler und — wie es Bundesminister Bohl richtig gesagt hat — der politischen Kultur in diesem Hause schuldig. Wer es eine Schmutzkampagne nennt, wenn wir nach Sauberkeit rufen, ist selbst ein Schmutzfink. Das sollten Sie sich einmal hinter die Ohren schreiben.
Wir haben diese Aktuelle Stunde weiterhin beantragt, weil wir Sorgen haben, jedoch nicht um den Prozeß. Wir sind sicher, daß dieser Prozeß durchgeführt wird, wie es der unabhängigen deutschen Justiz gemäß ist. Ich erinnere noch einmal an meine Frage von vorhin. Wir haben, der Bundeskanzler an der Spitze, uns für die Stiftung Willy Brandt eingesetzt, die Stiftung, die auch die Friedrich-Ebert-Stiftung zumindest sehr zögerlich behandelt hat. Ich frage heute: Warum? Zum Glück ist diese Stiftung zustande gekommen. In diese Stiftung ist der Nachlaß Willy Brandts einzubringen. Wir sind aber nicht bereit, eine Nationalstiftung Willy Brandt, wie es uns allen bei der Bedeutung dieses Mannes zukommt, wirklich mit dem gemeinsamen Engagement zu tragen, wenn wir möglicherweise Gefahr laufen müssen, daß die Unterlagenaus dem Nachlaß Willy Brandts nicht vollständig zur Verfügung gestellt werden, wenn es möglich ist, daß mit Unterlagen Versteckspielchen getrieben werden. Meine Damen und Herren, das kommt nicht in Frage. Auch deshalb ist diese Aktuelle Stunde, auch deshalb waren diese Fragen notwendig. Das heißt zusammengefaßt, meine Damen und Herren: Es geht um Aufklärung. Der Appell, den wir heute noch einmal an die Sozialdemokratie sehr nachdrücklich richten, ist: Fordern Sie Ihre Repräsentanten auf, das Versteckspiel zu beenden und endlich zu sagen, was Sache ist!Vielen Dank.
Es sind keine weiteren Redner gemeldet.
Dann sind wir am Ende dieser Aktuellen Stunde und auch am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages für morgen, Donnerstag, den 26. Januar, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.