Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren, ich eröffne die 273. Sitzung des Deutschen Bundestags und bitte den Herrn Schriftführer, die Namen der entschuldigten Abgeordneten bekanntzugeben.
Der Präsident hat Urlaub erteilt für zwei Tage den Abgeordneten Dr. Tillmanns, Dr. Königswarter, Brandt, Lemmer, Dr. Handschumacher.
Entschuldigt fehlen die Abgeordneten Paul , Harig, Agatz, Frau Krahnstöver, Even, Günther, Dr. Atzenroth, Dr. Henle, Dr. Bucerius, Dr. Orth, Dr. von Brentano, Böhm, Wittenburg, Frau Dr. Maxsein.
Die Aufzählung muß ergänzt werden um den Namen des Herrn Vizepräsidenten Dr. Schmid, der sich ebenfalls entschuldigt hat.
Meine Damen und Herren, bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich der Tatsache gedenken, daß bei den gestrigen Ereignissen in Berlin
eine größere, im einzelnen noch nicht feststehende Zahl von deutschen Menschen getötet oder schwer verletzt worden ist. Unabhängig von der Tatsache, wie diese Vorgänge zustande gekommen sind und wie sie sich im einzelnen abgespielt haben, gedenken wir der Tatsache, daß in einem Augenblick höchster politischer Spannung eine große Zahl von Menschen in der sowjetisch besetzten Zone und im Sowjetsektor Berlins — zusätzlich zu aller Not, die sie bisher erlitten haben — jetzt auch in den Tod haben gehen müssen. Der Deutsche Bundestag bekundet seine Verbundenheit mit diesen Opfern und mit den Angehörigen, die heute um sie trauern, und mit allen, die mit ihnen gemeinsam die Freiheit und Einheit des deutschen Volkes wollen, in dieser Stunde.
Sie haben sich zu Ehren dieser Menschen — unserer Brüder — von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, wir treten in die Tagesordnung ein. Zunächst erledigen wir den Punkt 4 der gestrigen Tagesordnung, der gestern nicht mehr behandelt werden konnte. Ich rufe auf die
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP, DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Deckung der Rentenzulagen nach dem Rentenzulagengesetz für das Rechnungsjahr 1953 .
Ich darf unterstellen, daß eine Begründung dieses Gesetzes nicht erfolgen soll, nachdem es bereits in einer etwas anderen Form zu anderer Zeit den Bundestag beschäftigt hat.
— Zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Schellenberg!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei dem vorliegenden Antrag handelt es sich um eine Vorlage von großer sozialpolitischer Bedeutung. Ich sehe den Herrn Bundesarbeitsminister, der für diese Fragen ressortmäßig zuständig ist, nicht im Hause.
Auf der Regierungsbank sitzt lediglich der Herr Bundesfinanzminister.
Ich beantrage gemäß § 46 der Geschäftsordnung, I den Herrn Bundesarbeitsminister zur Beratung dieses Punktes herbeizurufen,
besonders auch 'deshalb, weil wir im Zusammenhang mit der Erörterung einige Fragen an den Herrn Bundesarbeitsminister zu richten haben.
Ich darf darauf hinweisen, meine Damen und Herren, 'daß der Herr Bundesminister für Arbeit und sein Staatssekretär sich für diese Woche entschuldigt haben, da sie an der Tagung des Internationalen Arbeitsamts in Genf teilnehmen.
Sie haben den geschäftsordnungsmäßigen Antrag gemäß § 46 gehört. Ich komme zur Abstimmung über diesen Antrag.
Ich bitte die 'Damen und Herren, die sich für diesen Antrag aussprechen, eine Hand zu erheben. Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir treten in die geschäftsordnungsmäßige Behandlung des Punktes 1 der heutigen Tagesordnung
ein. Ich hatte die Frage gestellt, ob unterstellt werden darf, daß eine besondere Begründung des Gesetzentwurfs von den Antragstellern nicht mehr gewünscht wird. — Das ist offenbar der Fall. Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Aussprachezeit von 60 Minuten vor. Wer wünscht das Wort? — Herr Abgeordneter Schellenberg!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das mit dem vorliegenden Antrag angewandte Verfahren, den erst in diesen Tagen in dritter Lesung abgelehnten Entwurf über die Abschöpfung von Mitteln der Rentenversicherung nunmehr mit gleichem Inhalt in Form eines Initiativantrags der Regierungsparteien wiederum einzubringen, stellt eine höchst bedenkliche Praxis dar. Auch die Regierungskoalitionsollte sich einer vom Parlament in dritter Lesung getroffenen Entscheidung beugen,
insbesondere, wenn sie in namentlicher Abstimmung ergangen ist. Es führt zu unmöglichen Konsequenzen und zu einer empfindlichen Beeinträchtigung der parlamentarischen Arbeit, wenn die Parteien, die in dritter Lesung unterlegen sind, die gleiche Gesetzesvorlage in einer folgenden Sitzung wieder einbringen.
Als wir uns in der letzten Woche gelegentlich des SPD-Antrags über Leistungsverbesserungen der Rentenversicherung kurz auch mit der Frage der Abschöpfung von Barmitteln beschäftigten, hat ein Vertreter der Regierungskoalition - ich glaube, es war der Herr Kollege Horn — erklärt, es sei falsch, hier von einer Abschöpfung zu sprechen; es handele sich nur um eine erlaubte Form der Vermögensanlage. Ich glaube, es dient nicht der Sache, wenn hier der Versuch gemacht wird, die schwierigen sozialpolitischen und finanzwirtschaftlichen Fragen in dieser Weise zu bagatellisieren.
Worum handelt es sich? Staatszuschüsse, die der Bund auf Grund von Gesetzen an die Sozialversicherung zu zahlen hat, sollen teilweise nicht in bar, sondern in einer Höhe von 555 Millionen DM durch Schuldverschreibungen gewährt werden. Volkswirtschaftlich gesehen ist es kein Unterschied, ob der Staat Betriebsmittel der Sozialversicherung durch Schuldverschreibungen direkt abschöpft oder ob er eine indirekte Abschöpfung dadurch vornimmt, daß er seine Barzuschüsse entsprechend kürzt. Entscheidend ist, daß die freie Verfügung der Sozialversicherung über die Betriebsmittel beschränkt wird.
Dies geschieht in sehr erheblichem Umfang. Nach dem von der Bundesregierung vorgelegten Material wird die Rentenversicherung im Jahre 1953 voraussichtlich 960 Millionen DM Betriebsmittelüberschüsse erzielen, von denen 555 Millionen DM — das sind rund 60% — abgeschöpft werden sollen. Das ist eine außerordentlich hohe Abschöpfungsquote.
Bekanntlich ist die Frage der Inanspruchnahme von Mitteln der Sozialversicherung durch den Staat nicht neu. Es ist vielleicht nützlich, sich in dieser Hinsicht einmal die Erfahrungen der Vergangenheit ins Gedächtnis zurückzurufen. Im Jahre 1929 hatte der damalige Reichsfinanzminister zur Behebung von Haushaltsschwierigkeiten den Plan gefaßt, ähnlich wie jetzt der Herr Bundesfinanzminister anstatt der Staatszuschüsse zur Invalidenversicherung in Höhe von 165 Millionen DM — also rund ein Drittel des gegenwärtig erörterten Betrages - Schatzanleihen zu gewähren. Dieser Gedanke des Reichsfinanzministers rief einen derartigen Protest auch bei der Wirtschaft hervor, daß der Plan nicht verwirklicht werden konnte. Ich darf insbesondere die Damen und Herren der Regierungsparteien bitten, sich einmal die Auseinandersetzungen über diese Frage im „Arbeitgeber", Aprilheft 1929, anzusehen.
Lediglich während des ersten Weltkriegs und im Jahre 1938 bei der Verordnung über die Anlegung des Vermögens der Träger. der Reichsversicherung ist es den Finanzministern gelungen, Mittel der Sozialversicherung für Haushaltszwecke in Anspruch zu nehmen.
Es sollte aber gerade denjenigen, die, wie der' Herr Finanzminister, häufig mit besonderem Nachdruck von der Sicherung der Währung sprechen, zu denken geben, daß Gelder der Sozialversicherung vom Staat durch Zwangsanleihen oder in ähnlicher Form nur in Zeiten mit Beschlag belegt wurden, in denen es um eine zusätzliche Schöpfung von Geldmitteln ging.
Nach Ansicht meiner Fraktion ist es ein verhängnisvolles Unterfangen, wenn der Staat Betriebsmittel der Sozialversicherung, die sonst für produktive Zwecke, beispielsweise den Wohnungsbau, verwendet werden, zum Ausgleich seines Haushalts beansprucht.
Im übrigen sollten sich die Damen und Herren der Regierungsparteien darüber im klaren sein, daß doch offenbar nur ein gradueller und nicht ein prinzipieller Unterschied zwischen der zwangsweisen Inanspruchnahme von Betriebsmitteln der Sozialversicherung und etwa von Mitteln des Bank- und Geldwesens besteht.
In der letzten Aussprache über die Abschöpfung von Geldmitteln haben die Vertreter der Regierungsparteien bestritten, daß mit der Abschöpfung Gefahren in leistungsmäßiger Hinsicht verbunden seien; sie haben sich aber konkret hierzu nicht geäußert. Deshalb muß ich an dieser Stelle nochmals darauf hinweisen, daß bei den Ausschußberatungen der abgelehnten Regierungsvorlage die Sachverständigen die Gefahr für die Leistungen nicht von der Hand gewiesen haben, insbesondere, soweit es sich um freiwillige Leistungen handelt.
Inzwischen habe ich mir Zahlenmaterial über die Finanzlage der Träger der Rentenversicherung beschafft. Unsere Befürchtungen werden dadurch bestätigt. Nach der Abrechnung des Gemeinlastverfahrens für den Monat Juni dieses Jahres ergibt sich, daß die Landesversicherungsanstalten Oberbayern, Niederbayern, Oberpfalz, Oberfranken, Mittelfranken, Schwaben, Hannover, Braunschweig, Oldenburg, Bremen, Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz und Berlin schon heute Zuschußanstalten sind
und daß die Mittel für die Rentenversicherung heute wesentlich von den Anstalten der Länder Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg und in bescheidenem Ausmaß von Hamburg aufgebracht werden. Schon heute müssen die leistungsstärkeren Landesversicherungsanstalten dieser beiden Länder Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg im Jahr rund 380 Milionen DM aufbringen, um überhaupt die Durchführung der Rentenzah-
lungen zu ermöglichen. Bei dieser heiklen Lage sollten die Damen und Herren, bevor sie über eine solche Gesetzesvorlage Beschluß fassen, sich in ihren Ländern über the wirkliche Lage der Rentenversicherung unterrichten.
Erschwert wird die Lage noch dadurch, daß bis heute keine Bundesgarantie für die deutsche Rentenversicherung besteht. Das Grundgesetz spricht im Art. 120 ganz allgemein davon, daß der Bund Zuschüsse zur Rentenversicherung zu zahlen hat. Alle Kommentatoren sind sich aber darüber einig, daß es hierzu eines besonderen Gesetzes bedarf. § 1384 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung ist nach herrschender Ansicht nicht mehr in Geltung. Im Augenblick gilt § 5 Abs. 2 des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes, wo die Frage der Garantie zwar behandelt wird, aber gesagt wird, daß das Nähere durch ein besonderes Gesetz bestimmt wird. Die Bundesregierung hat bis jetzt noch kein solches Gesetzausgearbeitet. Es wäre wohl die Pflicht der Bundesregierung gewesen, mindestens im Zusammenhang mit den Plänen über die Abschöpfung von Betriebsmitteln in der Rentenversicherung gleichzeitig ein solches Gesetz über die Bundesgarantie für die Rentenversicherung vorzulegen.
Hinzu kommt noch etwas anderes. Der Herr Bundesarbeitsminister hat wiederholt von einer sogenannten versicherungstechnischen Bilanz der Rentenversicherung gesprochen. Eine versicherungstechnische Bilanz unter Berücksichtigung der gegenwärtigen Leistungsverpflichtungen liegt aber nicht vor, so daß man bezüglich der Verpflichtungen der Rentenversicherung gewissermaßen im dunkeln ) tappt. Bei einer so unklaren Lage ist es im Interesse der Leistungssicherung nicht zu verantworten, Betriebsmittel der Sozialversicherung zwangsweise im Wege von Schuldbuchforderungen so festzulegen, daß eine volle Rückzahlung nach dem vorliegenden Gesetzentwurf erst im Jahre 1978 erfolgt ist.
Der Herr Bundesarbeitsminister pflegt auch mit Regelmäßigkeit bei Erörterung von sozialpolitischen Fragen in diesem Hause auf den Beirat beim Bundesarbeitsministerium hinzuweisen. Dieser Beirat soll den Herrn Bundesarbeitsminister in allen grundsätzlichen sozialpolitischen Fragen beraten. Ich frage: Hat der Herr Bundesarbeitsminister in der sozialpolitisch wichtigen Frage der Abschöpfung von Geldmitteln der Rentenversicherung diesen Beirat befragt, und welches Urteil hat dieser Beirat abgegeben? Ist der Herr Bundesarbeitsminister bereit, darüber dem Hause eine Antwort zu geben?
Bei den Beratungen über das Verhältnis Staat und Sozialversicherung haben die Vertreter der Regierungsparteien — ich glaube, es war wieder der Herr Kollege Horn — darauf hingewiesen, daß die Regierungsparteien zu ihren grundsätzlichen Erklärungen in sozialpolitischer Hinsicht stehen. Ich habe schon neulich einmal auf die Erklärung des Herrn Abgeordneten Blank 'zu dieser Frage hingewiesen, der davon gesprochen hat, daß die Sozialversicherung vor den Zugriffen eines geldgierigen Staates geschützt werden sollte. Der Herr Bundesarbeitsminister hat wiederholt ähnliche Erklärungen abgegeben. Er hat im Jahre 1950 hier im Hause erklärt:
Wir haben deshalb vom Bundesarbeitsministerium aus den Antrag gestellt, daß jetzt, vor allem bei der Regelung des Lastenausgleichs, der Kapitalverlust der Träger der Rentenversicherung geregelt werden soll, und wir werden nicht daran vorbeikommen, vom Bundesfinanz- • minister,
— so sagte der Herr Bundesarbeitsminister —
d. h. vom Bund, zumindest einen Kapitalersatz und die Zinsen für die verlorengegangenen Kapitalien zu fordern.
Wenn die Vertreter der CDU zu diesen Erklärungen ihres Ministers noch heute stehen, können sie nicht heute einen Antrag stellen, durch den die Mittel der Sozialversicherung zugunsten des Bundeshaushalts abgeschöpft werden sollen.
Auch eine andere Regierungspartei hat sich in dieser Hinsicht verbindlich festgelegt. Im Sozialprogramm der Freien Demokratischen Partei — einstimmig verabschiedet, wie es im Vorwort heißt, am 5. Juli 1952 in Bonn — heißt es wörtlich:
Für diese Reform der Sozialversicherung ist notwendig die Sicherstellung der Anlagen der Sozialversicherungsträger vor staatlichen Zugriffen.
Das ist das Sozialprogramm der Freien Demokratischen Partei. Um dies zu gewährleisten, ist es doch unmöglich, den vorliegenden Antrag zu unterstützen.
Ich darf mir noch .eine persönliche Bemerkung gestatten. Wohl auf Grund dieses Sozialprogramms haben sich bei der letzten namentlichen Abstimmung einige Mitglieder der FDP gegen die Gesetzesvorlage ausgesprochen und andere prominente Mitglieder, u. a. der Herr Fraktionsvorsitzende Dr. Schäfer, sich der Stimme enthalten. Mit Erstaunen muß ich nun feststellen, daß Herr Dr. Schäfer jetzt den Antrag unterzeichnet hat, durch den eine Abschöpfung der Geldmittel vorgenommen werden soll.
Niemand von Ihnen, meine Damen und Herren der Regierungsparteien, kann behaupten, daß der vorliegende Antrag den Interessen der sozialversicherten Bevölkerung dient. Die Sozialdemokratische Partei lehnt die Vorlage ab.
Meine Damen und Herren, ich bin gebeten worden, mitzuteilen, daß der Haushaltsausschuß um 15 Uhr zusammentritt.
Das Wort hat 'der Abgeordnete Arndgen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Schellenberg hat gewußt, daß sich der Herr Bundesarbeitsminister zu einer wichtigen Sitzung des Internationalen Arbeitsamts in Genf befindet.
Obwohl der Herr Abgeordnete Schellenberg davon wußte, hat er die Herbeiholung des Bundesarbeitsministers verlangt.
Ich muß schon feststellen, daß ein solches Unterfangen außerhalb jeder parlamentarischen Gepflogenheit liegt.
Die Regierungsparteien lehnen es deswegen ab, auch nur mit einem Wort auf die Ausführungen des Herrn Schellenberg einzugehen,
zumal die Ausführungen des Herrn Abgeordneten Schellenberg wenn auch laute, aber nur Wiederholungen 'seiner Ausführungen gewesen sind, die vor einigen Tagen von der gleichen Stelle aus' gemacht wurden.
— Warum die Aufregung; meine sehr verehrten Damen und Herren?
Anschließend stelle ich den Antrag, den Entwurf eines Gesetzes zur Deckung der Rentenzulagen nach dem Rentenzulagengesetz dem Ausschuß für Sozialpolitik zu überweisen.
Das Wort hat der Abgeordnete Renner.
Herr Präsident! Meine Damen und' Herren! Ich verspreche mir auch von der Herbeizitierung des Herrn Bundesarbeitsministers nichts. Er spielt nämlich in der Frage gar keine Rolle. Entscheiden tut in dieser Frage der Herr Bundesfinanzminister, und den haben wir ja da.
Nun, ich habe nur fünf Minuten Zeit. Was mein Vorredner — der Sprecher der SPD — zu dem Sachverhalt gesagt hat, wird vollinhaltlich von unserer Fraktion gebilligt.
Ich berufe mich aber, in Ergänzung meiner seinerzeitigen Ausführungen 'zu dem Problem, heute auf ein Schreiben der Landesversicherungsanstalt Württemberg an das Arbeitsministerium von Baden-Württemberg vorn 6. Dezember. In diesem Schreiben wird gesagt, daß das, was heute vorgeschlagen wird, als ein Zwangseingriff in die Finanzgebarung der Sozialversicherungsträger bezeichnet werden kann und daß — abgesehen von liquiditätsmäßigen Folgen — schon wegen der Erfahrungen aus der jüngsten Vergangenheit von einer verantwortungsbewußten Anstaltsleitung niemals diese neue Maßnahme hingenommen werden darf.
Zu der Zwangsanleihe in Gestalt der vom Bund zur Verfügung' gestellten Schuldbuchforderungen sagt die LVA Württemberg, daß die Limitierung des Zinssatzes auf den Betrag von 5 v. H. eine wesentliche Schlechterstellung sogar gegenüber den 8 % für die neuen Bundesanleihen darstelle.
Damit ist bewiesen, daß diese Maßnahmen, die heute erneut von uns gefordert werden, zu einer allgemeinen Senkung auch der sogenannten zusätzlichen, freiwilligen Leistungen der Versicherungsträger führen müssen, was ich bei der vorletzten Besprechung dieses Tatbestandes breit und richtig ausgeführt habe.
Nun eine andere Seite der Geschichte: Die „Wiederholung", die heute hier der SPD vorgeworfen worden ist. Wer hat denn heute „wiederholt"? Ist das, was wir heute hier erleben, nicht geradezu eine schändliche Mißachtung des Bundestages?
Der Bundestag hat durch 'demokratischen Beschluß dieses Ihr heutiges Ansinnen bereits zurückgewiesen.
Warum kommt dieser Antrag heute wieder? — Nun, hinter diesem heutigen Antrage und hinter dem Umfall vor allem der FDP steht nichts anderes als die Peitsche des Herrn Adenauer, die Peitsche des Herrn Schäffer.
Nicht umsonst — —
— Ja, ja, die Peitsche, vor der Sie in die Knie gehen!
Was anders war denn seine Drohung mit dem Rücktritt? Was war das denn anderes als die Peitsche? Wir sind der Meinung, daß es zehnmal wünschenswerter ist, daß dieser Finanzminister abgeht, statt daß die finanzielle Grundlage der Versicherungsträger auch nur in etwa noch mehr über den derzeitigen Stand hinaus angetastet wird.
Wir sind der Auffassung: Der Bundestag hat entschieden, und dem Bundestag bleibt heute gar nichts anderes übrig, als bei seiner damaligen Entscheidung zu bleiben
und diesen Antrag der Koalition, auch der inzwischen der Besserung nahegebrachten Glieder dieser Koalition, der FDP, abzulehnen.
Wir lehnen dieses Ansinnen ab,
weil es eine gefährliche Unterhöhlung der Basis der Versicherungsträger ist. Wer das bestreitet, redet an den offenkundigen Tatsachen vorbei. Es geht ihm nur darum, die Mittel für die Aufrüstung zu schaffen.
Meine Damen und Herren, keine weiteren Wortmeldungen? — Herr Abgeordneter Willenberg!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der 267. Sitzung haben wir uns mit ähnlichen Gesetzesanträgen beschäftigt. Zentrum und Bayernpartei haben unter Darlegung der Gründe die damaligen Gesetzesentwürfe abgelehnt. Der heutige Gesetzentwurf sieht wiederum einen Eingriff in die Finanzgestaltung der Rentenversiche-
Deutscher Bundestag -273. -Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Juni 1953 18513
rung vor. Mit den gleichen Gründen, die wir damals angeführt haben, lehnen wir das Gesetz auch diesmal ab.
Keine weiteren Wortmeldungen? — Herr Abgeordneter Schellenberg? —Sie haben Ihre Redezeit verbraucht, Herr Abgeordneter.
— Also eine persönliche Bemerkung bitte nach Abschluß der Überweisung.
Dann schließe ich die Besprechung.
Es ist der Antrag gestellt worden, diesen Gesetzentwurf dem Ausschuß für Sozialpolitik zu überweisen. Ich darf unterstellen: federführend dem Ausschuß für Sozialpolitik und mitberatend dem Haushaltsausschuß.
Ich bitte die Damen und Herren, die dieser Überweisung zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; die Überweisung ist erfolgt.
Zu einer persönlichen Bemerkung Herr Abgeordneter Schellenberg!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Ar n d g en hat behauptet, es sei mir bekanntgewesen, daß der Herr Bundesarbeitsminister in Genf sei; und dennoch hätte ich beantragt, ihn herbeizurufen. Das entspricht nicht den Tatsachen. Es ist mir bis jetzt nicht bekanntgewesen, daß der Herr Bundesarbeitsminister in Genf ist. Im übrigen stehe ich auf dem Standpunkt, daß bei der Erörterung grundlegender sozialpolitischer Fragen zumindest der Herr Staatssekretär des Bundesarbeitsministeriums die Pflicht hat, hier dem Hause Rede und Antwort zu stehen.
Meine Damen und Herren, wobei ich nur festzustellen habe, daß der Herr Bundesminister für Arbeit mir bereits in der vergangenen Woche mitgeteilt hat, daß auch der Herr Staatssekretär sich in Genf befindet.
— Meine Damen und Herren, ich treffe doch nur eine sachliche Feststellung über eine Mitteilung des Bundesarbeitsministers. Wie Sie diese auffassen, muß Ihnen doch überlassen bleiben.
Es ist mir gegenüber die Bitte ausgesprochen worden, daß die beiden — —
— Herr Abgeordneter Renner, i c h habe augenblicklich das Wort, wenn Sie freundlichst gestatten.
— Vielen Dank!
— Meine Damen und Herren, wir werden das in den letzten 14 Tagen dieser Legislaturperiode nicht
mehr ändern. Damit habe ich mich bereits abgefunden.
Ich bin gebeten worden, die Punkte 23 und 24 der Tagesordnung, also die beiden Anträge, die sozialpolitische Bedeutung haben, heute vorwegzunehmen. Ich darf Ihr Einverständnis annehmen.
Ich rufe also auf die Punkte 23 und 24:
23. Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über Fremdrenten der Sozialversicherung an Berechtigte im Bundesgebiet und im Lande Berlin, über Leistungen der Sozialversicherung an Berechtigte im Ausland sowie über freiwillige Sozialversicherung (Nr. 4201 der Drucksachen);
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik (Nrn. 4449, zu 4449 der Drucksachen, Umdruck Nr. 977)
;
24. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Änderung des Gesetzes über Bemessung und Höhe der Arbeitslosenfürsorgeunterstützung .
Berichterstatter zu Punkt 23 ist Herr Abgeordneter Dr. Schellenberg. — Herr Abgeordneter Dr. Schellenberg benötigt offenbar noch seine Unterlagen. Ich darf vielleicht zunächst Punkt 24 vorwegnehmen.
Der Ältestenrat hatte zunächst eine Begründungszeit von 10 Minuten und eine Aussprachezeit von 40 Minuten vorgeschlagen. Es wurde mir mitgeteilt, daß man darauf verzichten könne, um diesen Gesetzentwurf möglichst schnell dem Ausschuß zu überweisen. Offenbar ist das die einmütige Meinung des Hauses. Ich unterstelle, daß dieser Gesetzentwurf an den Ausschuß für Arbeit überwiesen werden muß. — Die Überweisung ist erfolgt. Keine Bedenken. Punkt 24 ist damit erledigt.
Meine Damen und Herren, mir ist mitgeteilt worden, daß von einigen Fraktionen der Wunsch ausgesprochen worden ist, die Sitzung um 16 Uhr für eine Stunde zu unterbrechen — also von 16 bis 17 Uhr —, damit Fraktionssitzungen abgehalten werden können. Ich bitte Sie, sich von vornherein freundlichst darauf einzurichten. Also Unterbrechung von 16 bis 17 Uhr.
Darf ich nun Herrn Abgeordneten Schellenberg bitten, zu Punkt 23 das Wort zu nehmen.
Meine Damen und Herren! Ich darf auf den Schriftlichen Bericht*), der von mir erstattet wurde, verweisen. Es ist lediglich eine redaktionelle Änderung zu berücksichtigen. Nach dem Beschluß des Ausschusses sollen in den §§ 3 und 6 die Kriegsverordnungen nicht in ihrem vollen Wortlaut angeführt werden. Das ist um so leichter möglich, als durch Quellenangabe und Datum eine Verwechslung unmöglich ist.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Meine Damen und Herren, Sie haben eine Berichtigung des Berichtes auf Umdruck Nr. 977 zur Kenntnis genommen und weiter die Berichtigung in den §§ 3 und 6. Falls es in Ihren Exemplaren noch nicht gestrichen sein sollte, sind
*) Siehe Anlage 1 Seite 13557
Sie damit einverstanden, daß diese Berichtigung bei der Fassung des Textes in Betracht gezogen wird.
Ich rufe auf zur Einzelbesprechung der zweiten Beratung: Abschnitt I, — §§ 1, — 2, — 3, — 4, — 5,
— 6, — 7; — Abschnitt II, — §§ 8, — 9; — Abschnitt III, — §§ 11, — 12, - 13, — Abschnitt IV,
— §§ 14, — 15, — 16, — 17; — Abschnitt V, —§§ 18, — 19, — 20, — 21, — Einleitung und Überschrift. — Ich sehe keine Wortmeldungen.
Ich bitte diejenigen Damen und Herren, die den aufgerufenen Paragraphen, Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Einstimmig angenommen!
Wir kommen zur allgemeinen Aussprache in der
dritten Beratung.
Wird das Wort gewünscht? —
Wird zunächst in der allgemeinen Aussprache in dritter Beratung das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die allgemeine Besprechung.
Nunmehr hat der Herr Abgeordnete Kunze in der dritten Beratung einen Antrag zu § 7 zu stellen. Ich erteile ihm das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens aller Fraktionen des Hauses beantrage ich, in § 7 Abs. 1 Nr. 1 statt des Punktes am Schluß des vorletzten Satzes ein Semikolon zu setzen und folgenden Halbsatz anzufügen:
sie ist auch zuständig für Versicherungsfälle
aus Beschäftigungsverhältnissen bei der nationalsozialistischen Volkswohlfahrt und bei dem
Winterhilfswerk.
Ziel dieses Antrages ist, die Berufsgenossenschaft der freien Wohlfahrtspflege, die für die Arbeiterwohlfahrt, das Deutsche Rote Kreuz, die Caritas, die Innere Mission zuständig und die kein gewerbliches Unternehmen ist, von den hieraus sonst resultierenden Belastungen zu befreien, weil dieser Berufsgenossenschaft keine Mittel zur Verfügung stehen. Sie hat gelitten mit den Organisationen, für die sie geschaffen worden ist. Die Arbeiterwohlfahrt wurde verboten, die übrigen Einrichtungen mußten schwere Opfer erleiden. Jetzt soll sie zum Schluß noch zahlen, ohne Mittel zu haben. Darum dieser Antrag aller Fraktionen, dem ich zuzustimmen bitte.
Meine Damen und Herren, Sie haben den Antrag, den der Herr Abgeordnete Kunze namens aller Fraktionen des Hauses gestellt hat, gehört. Wird das Wort dazu gewünscht?
— Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag des Herrn Abgeordneten Kunze. Ich darf die Damen und Herren, die diesem Antrag aller Fraktionen zuzustimmen wünschen, bitten, eine Hand zu erheben. — Der Antrag ist einstimmig angenommen.
Ich bitte nunmehr die Damen und Herren, die dem § 7 mit der eben beschlossenen Änderung insgesamt zustimmen wollen, eine Hand zu erheben.
— § 7 ist in dieser Form einstimmig angenommen.
Wir kommen zur 'Schlußabstimmung über den Entwurf eines Gesetzes über Fremdrenten der
Sozialversicherung an Berechtigte im Bundesgebiet und im Lande Berlin, über Leistungen der Sozialversicherung an Berechtigte im Ausland sowie über freiwillige Sozialversicherung . Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Gesetz in seiner Gesamtheit zustimmen wollen, sich von den Plätzen zu erheben. — Ich stelle fest, daß diese Gesetzesvorlage einstimmig angenommen worden ist.
Nunmehr rufe ich auf Punkt 1 der heutigen gedruckten Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Fragen der Jugendfürsorge (Nr. 4432 der Drucksachen; Anträge Umdrucke Nrn. 974, 975, 980, 981, 992, 993, 994).
Berichterstatter ist der Herr Abgeordnete Nellen. Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes — Nr. 3641 der Drucksachen — und der Bericht des Ausschusses für Fragen der Jugendfürsorge — Nr. 4432 der Drucksachen — nehmen Bezug auf jenes wichtige Gesetz, das am 9. Juli 1922 im Reichstag einstimmig angenommen worden war. Dieses Reichsjugendwohlfahrtsgesetz vom 9. Juli 1922 hat seinerzeit in glücklicher Weise versucht, das weite Feld der seit Jahrzehnten in Deutschland erfolgreich durchgeführten Arbeit der Jugendwohlfahrt, also der nachgehenden Jugendfürsorge und der vorbeugenden Jugendpflege, zu ordnen, aus der geschichtlichen Entwicklung notwendig gewordene weitere Zielsetzungen zu umschreiben und geeignete Organisationsformen für diese Arbeit zu finden.
Wie dem Hohen Haus bekannt ist, wurde dieses wichtige und im besten Sinne fortschrittliche sozialpolitische Gesetz für 'die deutsche Jugend durch die Verordnung über das Inkrafttreten des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes vom 14. Februar 1924, basierend auf einem Ermächtigungsgesetz, zu einem Torso gemacht. Wichtige Aufgaben des Gesetzes wurden unter dem Druck finanzpolitischer Nöte ihres Pflichtcharakters entkleidet und zu KannAufgaben gemindert. Das gilt auch für die Pflicht zum Aufbau leistungsfähiger und den Aufgaben gerecht werdender behördlicher Organisationen. Eine weitere bezeichnende Verschlechterung wurde dem Gesetz durch das NS-Gesetz zur Änderung des Reichsgesetzes für Jugendwohlfahrt vom 1. Februar 1939 angetan, durch das die kollegiale Zusammensetzung des Jugendamtes abgelöst und der aus in der Jugendwohlfahrt erfahrenen Männern und Frauen zusammengesetzte Jugendamtsausschuß seiner echten Beschlußfunktionen und damit der verbindlichen Mitarbeit beraubt wurde. Daß einerseits die letzten Bestimmungen seit 1945 fielen, ist eine Selbstverständlichkeit. Daß sie andererseits durch den Gesetzgeber bis heute noch nicht auf dem Wege entsprechender gesetzlicher Maßnahmen ersetzt wurden, ist bedauerlich und ist einer der Gründe, weswegen das Hohe Haus sich heute mit diesem Gesetzentwurf beschäftigt.
Zu einzelnen Punkten ist in Kürze zu berichten:
Die Neufassung der Ziffer 3 des § 3 erweitert die Aufgaben der Jugendwohlfahrt auf eine Weise, die den heutigen Notständen angepaßt ist, und hat im Ausschuß keinen Widerspruch gefunden.
Der § 8 erklärt mit der wünschenswerten Deutlichkeit die öffentliche Jugendhilfe zu einer Selbstverwaltungsangelegenheit der Gemeinden und der kommunalen Verbände, und zwar als Pflichtaufgabe. Um diese Pflichtaufgabe zu einer möglichst konkreten Verwirklichung zu bringen, bestimmt der § 8 die Errichtung von Jugendämtern in einem solchen Ausmaß, daß das oft genannte „Netz von Jugendämtern" über dem gesamten Bundesgebiet wirklich zustande kommt. Die beachtliche Minderheit des Ausschusses hat bei diesem § 8 vorgebracht, ob nicht gewisse kleine Jugendämter dadurch konserviert würden, hat aber dem Paragraphen trotzdem zugestimmt.
Von großer Bedeutung, vor allem auch deswegen, weil sie gewisse Unklarheiten des alten Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes beseitigt, ist die im § 9 enthaltene Definition des Jugendamtes, und zwar in seiner Zweiteiligkeit als Jugendwohlfahrtsausschuß und als Verwaltung des Jugendamtes. Dabei sei hervorgehoben, daß der Begriff „Jugendwohlfahrtsausschuß" besser als früher die Aufgaben dieser Behörde charakterisiert. Früher hieß er „Jugendamtsausschuß".
Der neu hinzugefügte § 9 a bestimmt die Zusammensetzung des Jugendwohlfahrtsausschusses: zu 3/5 Mitglieder der kommunalen Vertretungskörperschaften und von ihr berufene Deputierte der Bürgerschaft, zu 2/5 Männer und Frauen, die auf Vorschlag der Jugendverbände und der freien Vereinigungen für Jugendwohlfahrt zu wählen sind.
Ausschließlich dieser Personenkreis soll stimmberechtigt sein. Die Mehrheit des Ausschusses glaubte im Hinblick auf die seit Jahrzehnten fachkundig und erfolgreich geleistete Arbeit der vorgenannten freien Verbände diese 2/5 in das Gesetz hineinarbeiten zu sollen. Sie befindet sich damit — das sei hervorgehoben — in Übereinstimmung mit der Arbeitsgemeinschaft für Jugendpflege und Jugendfürsorge und dem Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge und, was vielleicht noch wichtiger ist, in Übereinstimmung auch mit der Meinung der kommunalen Spitzenverbände. Die Minderheit des Ausschusses hat zu § 9 a Bedenken angemeldet und glaubte den parlamentarischen Charakter dieses Ausschusses dadurch stärker betonen zu müssen, daß sie sich 3/, Mitglieder der Vertretungskörperschaft und 2/, Männer und Frauen aus allen Bevölkerungskreisen und aus den im Bezirk des Jugendamtes wirkenden Jugendverbänden und freien Vereinigungen der Jugendwohlfahrt in dieses Gremium hinein wünscht. Weiter schlug sie eine Teilung des Jugendwohlfahrtsausschusses in einen parlamentarischen, beschließenden Ausschuß und einen Beirat vor. Die Ausschußmehrheit ist diesen Vorschlägen nicht beigetreten, weil sie die gerade für die Jugendwohlfahrtsarbeit so äußerst wichtige fachliche Qualifikation für vordringlicher hielt als die rein parlamentarische und weil sie andererseits der Meinung war, daß die Prärogative der Vertretungskörperschaft im § 9 a auch in der Ausschußfassung gebührend respektiert ist.
Der § 9 b wurde einstimmig angenommen. Bemerkenswert ist, daß in den Beratungen des Ausschusses bei voller Achtung vor einer wirkungsvollen Arbeit der öffentlichen Hand doch der subsidiäre Charakter gegenüber der vielfältigen und erfolgreichen Arbeit der freien Verbände betont wurde. In diesem Sinne sind die Ausdrücke „anregend" und „fördernd" von der Mehrheit des Ausschusses verstanden worden. Der ganze § 9 b ist darauf abgestellt, eine durchschlagende Wirksamkeit des Jugendwohlfahrtsausschusses, soweit es durch die Gesetzgebung geschehen kann, zu garantieren.
Zu § 9 c darf ich kurz darauf hinweisen, daß bei der Qualifikation zur Leitung und Verwaltung des Jugendamtes neben anderem auch „in der Regel eine fachliche Ausbildung" gefordert ist. Der Ausschuß ließ — darauf möchte ich ausdrücklich hinweisen — keinen Zweifel darüber, daß er nicht nur an eine Verwaltungsausbildung, sondern auch an eine Ausbildung in der Wohlfahrts- und Sozialarbeit denkt, oder, um es deutlicher zu formulieren, nicht nur an eine Inspektorenprüfung auf der Verwaltungs- und Sparkassenschule, sondern gleichfalls auch das Examen auf den Wohlfahrtsschulen und Sozialakademien im Auge hat. Der Ausschuß glaubt sich damit auch auf der Linie zu bewegen, die in vielbeachteten Diskussionen der kommunalen Spitzenverbände seit Jahren klargeworden ist.
Die Zusammenarbeit zwischen Gesundheitsamt und Jugendamt, zugleich aber auch eine Abgrenzung der Zuständigkeiten wird in § 10 der Ausschußfassung betont.
Der § 11 garantiert entsprechend der Gesamtsituation der öffentlichen und ,der freien Jugendpflege und -fürsorge die Delegation einzelner Aufgaben ah. eben diese Vereinigungen und Verbände und sanktioniert damit ein Verfahren, das sich in Deutschland als wirksam und erfolgreich erwiesen hat und ohne das die gesamte Jugendwohlfahrtspflege und -fürsorgearbeit überhaupt nicht funktionieren würde.
Die in § 12 des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes genannten Landesjugendämter sollen entsprechend Ziffer 8 des Ausschußberichts an der Kommunalaufsicht beteiligt werden. Ein neuer vierter Absatz des' § 12 trägt den besonderen Verhältnissen der Stadtstaaten Rechnung.
Der § 14 sieht analoge Lösungen wie in den §§ 9 a, 9 b und 9 c für das Landesjugendamt und den Landesjugendwohlfahrtsausschuß vor. Auch hier hat die Minderheit des Ausschusses die Erinnerung vorgebracht, die ich dem Hohen Hause schon zu § 9 a vorgetragen habe.
Zu Art. II des vorliegenden Entwurfs in der Ausschußfassung ist nur zu bemerken, daß die Mehrheit des Ausschusses wegen der Kürze der Zeit am Ende der Legislaturperiode von einer gesetzlichen Regelung zur Errichtung eines Bundesjugendamtes abzusehen wünschte.
Art. III mußte in das Gesetz hineingearbeitet werden, um zahlreiche Maßnahmen der Jugendämter seit 1945 auf einen legalen Boden zu stellen.
Von einer Stadtstaaten-Klausel glaubte der Ausschuß wiederum gegen die Minderheit absehen zu müssen, um nicht den aus der Sache für notwendig erachteten relativ gleichmäßigen Auf- und Ausbau der Jugendwohlfahrtseinrichtungen über das ganze Bundesgebiet hinweg zu gefährden. Die Mehrheit des Ausschusses konnte sich den verfassungsrechtlichen Bedenken der Minderheit nicht anschließen.
Die Geltung des Gesetzes für Berlin soll sich nach § 13 Abs. 1 des Dritten Überleitungsgesetzes regeln.
Ich habe die Ehre, dem Hohen Hause die Annahme dieses Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes in der vom Ausschuß erarbeiteten Form zu empfehlen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich eröffne die Einzelbesprechung der zweiten Beratung. Ich rufe auf Art. I. Ich schlage vor, daß zunächst .die Änderungsanträge zu Art. I begründet werden.
Zu Art. I Ziffer 1 — so muß es wohl heißen — hat Herr Abgeordneter Renner einen Änderungsantrag gestellt, den Sie auf Umdruck Nr. 992 vor sich haben. Herr Abgeordneter Renner zur Begründung!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! § 3 Ziffer 3 soll mach diem Vorschlag des Ausschusses folgendermaßen lauten:
die berufliche Förderung- Jugendlicher, die zwar nicht hilfsbedürftig im Sinne des Fürsorgerechts, aber bedürftig sind, soweit sie diese Förderung nicht von anderen Stellen erhalten oder erhalten können.
Das ist also der Personenkreis, dem die Leistungen des Gesetzes zugute kommen sollen. Nun erhebt sich eine Frage: Wo ist die Sicherung nach der materiellen Seite für die Verwirklichung der
im Gesetz angekündigten Leistungen? Hier ist von Jugendlichen die Rede, die zwar nicht hilfsbedürftig sind im Sinne des Fürsorgerechts, aber bedürftig sind.. Das soll wohl heißen: mach allgemeinen Begriffen bedürftig sind. Eine Umreißung des Begriffs „bedürftig" bringt das Gesetz bezeichnenderweise nicht, und' das ist unserer Auffassung nach einer der Grundmängel dieses Gesetzes. Damit gewinnt das Gesetz nichts anderes als lediglich den Charakter einer unverbindlichen Deklaration.
Wie steht es heute mit den Leistungen im Sinne des Fürsorgerechts? Dia ist mir ein Brief des Oberbürgermeisters der Landeshauptstadt München, des Herrn Wimmer, in die Hand gefallen. In diesem Brief heißt es:
Die Fürsorgesätze, die in den einzelnen Ländern und Gemeinden gelten, bedeuten auch in den Städten, die als sozial fortschrittlich Höchstsätze festgesetzt haben, nicht mehr als die Abgeltung des notwendigsten Lebensbedarfs. Leider muß vielfach festgestellt werden, daß die Bezüge der Sozialrentner auf Grund der Sozialversicherung, der Kriegsopfer auf Grund der Kriegsopferversorgung, insbesondere aber auch die Bezüge der Soforthilfeempfänger auf Grund des Lastenausgleichsgesetzes und die Unterstützung der Arbeitslosenfürsorge mehr oder minder erheblich hinter den Fürsorgerichtsätzen zurückbleiben.
Ich frage Sie: Was hat es denn dann mit der „Förderung" auf sich, auf die es Ihnen doch angeblich ankommt? Das, was in dem von mir genannten und auch in diesem Briefe zitierten Gesetze im Sinne einer Förderung der Jugend enthalten ist, ist doch gleich Null. Die Gemeinden, die zwar in dem Gesetz als die Organe angesprochen sind, die diese Aufgaben im Sinne einer Selbstverwaltungsangelegenheit zu regeln haben, haben doch keine Möglichkeiten, wirkliche Leistungen aus eigenen Mitteln aufzubringen. Ich erinnere nur an die Erhöhung dies Bundesanteils an der Einkommen- und Körperschaftsteuer auf 38 v. H. und die Auswirkung dieses Beschlusses. auf die Länder und Gemeinden. Ich erinnere an neue Einsparungsvorlagen des Herrn Bundesfinanzministers, die inzwischen dem Bundesrat zugeleitet worden sind. Ich denke da z. B. an das Gesetz, nach dem der Bund 'ab 1. Oktober 1953 nur noch 50 v. H. der Lasten tragen will, die durch die Aufnahme und Unterbringung der sogenannten „Sowjetzonenflüchtlinge" entstehen, und zum andern an einen Entwurf, der darauf abzielt, den Bund nach Inkrafttreten dieses Gesetzes nur noch mit einem Drittel der Steuerverwaltungskosten der Länder zu belasten. Bisher hatte der Rund teilweise bis zu 70 v. H. dieser Verwaltungsunkosten zu tragen. Diese Mitteilung verdanken wir der „Neuen Zeitung" vom 17. Juni 1953. Es ist anzunehmen, daß sie gut informiert ist.
Ich frage also: Wohin kommen wir, wenn wir es bei der Regelung des letzten Satzes des § 3 Ziffer 3 belassen? Sie laustet:
Voraussetzung, Art und Maß dieser Hilfe können durch eine Rechtsverordnung des Bundesministers des Innern mit Zustimmung des Bundesrats bestimmt werden.
Nun frage ich Sie: Was ist zu erwarten, wenn man die Festsetzung des Maßes, der Art und des Umfangs dieser Hilfe für die Jugendlichen dieser Regierung Adenauer überläßt? Erst kürzlich ist durch Beschlüsse, deren Auswirkung Sie nicht bestreiten können, die finanzielle Lage der Länder und damit auch der Gemeinden erheblich verschlechtert worden. Was darf man sich da noch versprechen, wenn man die Regelung dieser Jugendhilfeleistungen dem Innenminister, diesem Polizeiminister in dieser Adenauer-Regierung überläßt, wenn man ihm das Recht gibt, Art, Umfang, Höhe und Maß dieser Leistungen im Wege der Rechtsverordnung zu regeln?
— Herr Kunze, ich wage zu behaupten, daß dann aus dem ganzen Gesetz nichts herauskommt. Diese Regierung hat keine Gelder für soziale Aufgaben übrig.
Sie hat insbesondere auch kein Geld für die Durchführung einer echten Jugendhilfe übrig.
Deshalb sind wir der Meinung, 'daß man es dieser Regierung nicht überlassen darf, Art, Umfang und Höhe 'der Leistungen in Form von Rechtsverordnungen zu bestimmen. Wir sind der Meinung, daß sich der Bundestag selber die Verpflichtung, die Höhe der Leistungen zu bestimmen, aufladen sollte. Darum beantragen wir den Zusatz:
Voraussetzung, Art und Maß dieser Hilfe werden durch Bundesgesetz bestimmt.
Ich bin mir darüber klar, 'daß damit auch noch
nichts Positives im Sinne einer wirklichen Hilfe
geschaffen ist; aber wenn das beschlossen wird,
dann stehen Sie, meine Herren von der Koalition, vor der Verantwortung. Dann haben Sie gegenüber der Jugend die Verantwortung für ihre augenblickliche Notlage und auch die Verantwortung dafür zu übernehmen, 'daß Sie auch in Zukunft für eine wirkliche Hilfe für die Jugend nichts zu geben bereit sind.
Sehen Sie, Herr Kunze, das ist der Hintergrund unseres Antrags. Wir wollen Sie vor die Verantwortung stellen. Wir wollen Sie, die Sie heute die Gelder für die Aufrüstung, für die Kasernenbauten verwenden,
zwingen, vor dem Volk und vor der Jugend dafür die Verantwortung zu übernehmen. Darum stellen wir diesen Antrag.
Ich erwarte nicht von Ihnen, daß Sie diesem Antrag zustimmen.
Aber es kam mir darauf an, klarzustellen, daß dieses Gesetz in seiner jetzigen Form nichts Positives, nichts Zwingendes im Sinne einer wirklichen Hilfe enthält, daß dieses Gesetz nichts 'Zwingendes hinsichtlich der materiellen Seite dieser sogenannten Jugendhilfe enthält. Gewiß, Sie haben einiges geregelt und — zugegeben! — auch einige Dinge verbessert. Sie haben z. B. die Mitbestimmung der karitativen Organisationen bzw. ihrer Körperschaften eingeschaltet, — anerkennenswert! Aber das ist eine alte Forderung, das ist doch nichts Neues! Das ist doch eine Forderung, die seit 1945, seit idem Zusammenbruch des Nationalsozialismus, von allen fortschrittlich denkenden Menschen, die etwas Gefühl für Sozialpolitik haben, gestellt worden ist. Darauf brauchen Sie gar nicht besonders stolz zu sein!
— Nein, nein; damit erfüllen Sie ja nur eine selbstverständliche Forderung.
Abschließend stelle ich fest: wo es darauf ankam, Leistungen festzulegen, da bestimmen Sie diese Leistungen nicht durch Gesetz, sondern überlassen ihre Festlegung dem Herrn Wohlfahrtsminister, dem Herrn Innenminister,
dem Herrn Polizeiminister, der bei uns die Höhe der Wohlfahrtsleistungen bestimmt. Zu dem haben wir kein Vertrauen,
und kein denkender Mensch darf Vertrauen zu ihm haben,
,der eine wirkliche Hilfe für unser Volk fordert und für notwendig erachtet. Darum stellen wir den Antrag und stellen Sie vor die Verantwortung, ihn abzulehnen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Selbst auf die Gefahr hin, daß die denkenden Menschen kein Vertrauen zu mir haben, möchte ich — zwar
nicht auf die gewohnten gehässigen Ausführungen des Herrn Renner eingehen; die berühren mich weiter nicht — aber doch wegen der Bedeutung dieses Gesetzes einiges 'Grundsätzliche 'sagen.
Das Gesetz enthält drei Kernstücke, die in engem Zusammenhang miteinander stehen und voneinander abhängig sind. Man muß sie in ihrer Gesamtheit betrachten, um 'die Bedeutung dieses Gesetzes voll würdigen zu können. Diese drei Kernstücke, diese Grundpfeiler des Gesetzes, sind auf ein Ziel ausgerichtet, nämlich auf die Schaffung des so lange erwarteten lebendigen Jugendamts. Sinn und Zweck dieses lebendigen Jugendamts soll Wirklichkeit werden lassen, was 'das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz schon im Auge hatte, nämlich den Anspruch jedes Kindes auf Erziehung zur leiblichen, zur seelischen und zur gesellschaftlichen Tüchtigkeit .
Diese Novelle soll den Verbänden der freien Jugendwohlfahrtspflege und den Jugendverbänden das Recht der Mitbestimmung geben, das die nationalsozialistische Gesetzgebung ihnen genommen hat, also zurückgeben, was in den Zeiten 'der Diktatur weggenommen wurde. Wenn Sie, meine Damen und Herren, sich vergleichsweise einmal die alten §§ 1., 4, 6 und 9 des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes vor Augen halten und die Begründung aus dem Jahre 1922 nachlesen, dann finden Sie, daß das jetzt wiederhergestellte Mitbestimmungsrecht der freien Verbände ein ganz wesentlicher Teil dieser Novelle ist. Damit ist nicht etwa beabsichtigt, daß
nun die künftigen Jugendämter eigenmächig in die Familie hineinreden und eingreifen sollen, sondern in erster Linie hat die Familie zu sorgen. Aber in dem Augenblick, in dem die Familie oder die freiwillige Tätigkeit für eine Familie versagt, tritt die öffentliche Hilfe ein. Das ist kein subjektives Ermessen, sondern es muß eben objektiv festgestellt werden, daß der von mir vorhin erwähnte Anspruch des Kindes auf Erziehung zur leiblichen, seelischen und gesellschaftlichen Tüchtigkeit objektiv nicht erfüllt ist.
Die Novelle entwickelt eine neue Form, die in das bestehende Verwaltungsrecht eingefügt wird: ein Jugendamt, das aus der Behörde bzw. aus ihren Vertretern auf der einen Seite und dem Jugendwohlfahrtsausschuß auf der andern Seite zusammengesetzt ist. Das Jugendamt ist als ein künftiges Zentrum gedacht, in dem sich alle der Jugendwohlfahrt verschriebenen Kräfte sammeln, um einerseits anzuregen und andererseits Anregungen zu empfangen und ein umfassendes Netz der Jugendhilfe gemeinsam aufzubauen.
Die Landesjugendämter haben die gleiche Konstruktion wie die Ämter. Den Ländern bleibt 'die Zusammensetzung des Landesjugendwohlfahrtsausschusses weitgehend überlassen. Aber auch hier ist die Zweigleisigkeit verankert, d. h. auch diese Ämter bestehen aus der Behörde einerseits und den Jugendwohlfahrtsausschüssen andererseits. Auch für die den Ländern vorbehaltene Selbständigkeit gilt 'der Grundsatz des Mitbestimmungsrechts der freien Verbände.
Die Novelle hebt die wesentlichsten der einschränkenden Bestimmungen des Einführungsgesetzes zum Reichsjugendwohlfahrtsgesetz auf. Sie erklärt vor allem die Aufgaben des § 4 zu Pflichtaufgaben der Gemeinden und schließt durch die Neufassung des § 3 Ziffer 3 eine Lücke für die Berufsförderung der Jugendlichen, indem sie auch
diejenigen, die nicht „hilfsbedürftig" im Sinne des Fürsorgegesetzes, sondern „bedürftig" sind, in den Kreis der Ausbildungshilfeempfänger einbezieht.
Die frühere Verordnung von 1924 hatte unglücklicherweise ein Kernstück des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes von seinem Inkrafttreten an ausgeschlossen. Es geschah damals mit Rücksicht auf finanzielle Nöte. Nun, finanzielle Nöte haben wir zwar heute auch noch, aber trotzdem haben wir in der Erkenntnis, daß es sich hier um staatspolitische Notwendigkeiten handelt, uns nicht von den finanziellen Erfordernissen beeindrucken lassen, sondern wir haben die staatspolitischen Belange vorangestellt. Wir erkennen die besonderen Probleme der Jugendwohlfahrt, und wir sind der Überzeugung, daß Staat und Gemeinden gar nicht abseitsstehen können und helfend eingreifen müssen. Deshalb haben wir es nicht bei Kann-Vorschriften bewenden lassen, sondern haben Muß-Vorschriften, die Verpflichtung der Öffentlichkeit, helfend einzuspringen, in das Gesetz eingefügt.
Aus Gründen der meines Erachtens unentbehrlichen vorbeugenden Jugendfürsorge des § 4 muß man sich auch hier über finanzielle Bedenken hin' wegsetzen, die beim ersten Durchgang des Gesetzes und auch im Bundesrat noch geltend gemacht worden sind.
Angesichts der heutigen Jugendnot kann die Umwandlung der bisherigen Kann-Vorschriften des § 4 in Pflichtaufgaben sogar als eine der wichtigsten Bestimmungen der Novelle angesehen werden.
Die Mittel, die die vorbeugende Jugendfürsorge bekommt, werden, wenn man die Gesamtentwicklung im Auge behält, auch schon teilweise in der Gefährdetenfürsorge eingespart. Das Ergebnis ist keineswegs dasselbe, ob man schon vorbeugend mit der Hilfe weit höhere Ziele der Erziehung anspricht und durchsetzt als nachträglich eingreift. Je mehr die Jugendbehörden sich der freien Initiative der Jugendwohlfahrtsverbände bedienen, wer-. den zudem die Aufwendungen auch geringer sein.
Ein Drittes. In der Erkenntnis, daß die Aufgaben des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes nur von charakterlich und fachlich geeigneten Erziehungskräften und Persönlichkeiten bewältigt werden können, enthält auch die Novelle Mindestvorschriften für die Voraussetzungen, denen die in den Jugendwohlfahrtsbehörden verantwortlich tätigen Kräfte entsprechen müssen.
Ich fasse zusammen: Wir .haben mit dieser Novelle im Auge erstens die Zusammenarbeit freier und öffentlicher Jugendhilfe in den Jugendämtern und in den Landesjugendämtern, zweitens die Eingliederung des Jugendamts in die Gemeindeverwaltung, drittens das Mitbestimmungsrecht erfahrener Jugendwohlfahrtsverbände und der Jugend selbst bei der Durchführung der Aufgaben des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes, viertens die Verpflichtung der Gemeinden zur Durchführung der vorbeugenden Jugendfürsorge des § 4, fünftens die Erweiterung der Berufsförderung Jugendlicher gemäß der Neufassung des § 3 Ziffer 3 und schließlich sechstens die Förderung charakterlicher und fachlicher Eignung für alle, die sich behördlicherseits in den Organisationen der Erziehung der Jugend widmen.
— Das war nur für die Denkenden gesprochen.
Meine Damen und Herren! Es sind weitere Änderungsanträge gestellt zu den Ziffern 4, 5, 7 und 9. — Frau Abgeordnete Keilhack.
— Ich bitte um Begründung Ihrer Anträge 1 und 2.
Meine. Damen und Herren, ich bin gebeten worden — entschuldigen Sie einen Augenblick, Frau Abgeordnete —, mitzuteilen, daß der Ausschuß "für das Londoner Schuldenabkommen nicht im CDU-Sitzungssaal, sondern im SPD- Sitzungssaal zusammentritt. Ich bitte, davon Kenntnis zu nehmen.
Meine Herren und Damen! Wir haben dem Hohen Hause zu Ziffer 4 des Mündlichen Berichts Drucksache Nr. 4432 unseren Änderungsantrag Umdruck Nr. 974 vorgelegt. Ich darf vorweg bemerken, daß ich mit der Begründung zu Ziffer 2 unseres Änderungsantrages beginne, weil der Antrag zu Ziffer 1 unseres Umdrucks die Zustimmung dieses Hauses zu Ziffer 2 voraussetzt.
Meine Herren und Damen, mit dem vorliegenden Gesetz ist die Absicht verknüpft, aus diem heutigen, etwas zu sehr im Schatten des Gemeindeverbandes lebenden Jugendamt eine leistungsfähige und lebendige Einrichtung zu machen, die in engem Kontakt mit der Gemeindevertretung einerseits und den freien Jugendverbänden und Jugendwohlfahrtsverbänden andererseits die Jugendpolitik in der Bundesrepublik bis ins kleinste Gemeinwesen zu fördern in der Lage ist.
Nun glauben wir, meine Freunde aus der Fraktion und ich, nicht, daß ein Jugendamt, wie es in der Ihnen jetzt vorliegenden Drucksache Nr. 4432 in Ziffer 5 gestaltet ist, diese Aufgabe, die selbstverständlich alle in der Jugendarbeit tätigen Kräfte von ihm erwarten, zu leisten vermag. Dazu muß es zunächst einmal nach unserer Meinung, in Unterscheidung zu seiner bisherigen Stellung, die in. diesem Entwurf nur ganz unwesentlich verbessert ist, bedeutend mehr in den Gesichtskreis, möglichst in den Mittelpunkt der gesamten Gemeinde- und' Landespolitik gerückt werden.
Ein Jugendamt, das nach der Zielsetzung des vorliegenden Gesetzes in der Lage sein soll, die ihm schon bei der Schaffung des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes 1922 zugedachte Aufgabe nun endlich zu erfüllen, d. h. die gefährdete u n d die gesunde Jugend gleichermaßen zu umfassen, das Zentrum aller jugendfürsorgerischen und jugendpflegerischen Arbeit im Bund, in den Ländern, in den Städten und in den Gemeinden zu sein, muß viel mehr als bisher in den Brennpunkt des Interesses der verantwortlichen Bürger einer Gemeindeverwaltung in ihren Selbstverwaltungsorganen gestellt werden, also unter zentraler Verantwortung der demokratischen Vertretungskörperschaften arbeiten.
Unsere Meinung ist, daß jeder Landtagsabgeordnete, Stadt- oder Gemeindevertreter das Jugendamt als einen organischen Teil seiner Gemeindeverwaltung ansehen muß und sich gleichverantwortlich und gleichinteressiert fühlt wie für andere für ihn sehr wichtige Verwaltungen seiner Gemeinde oder seines Gemeindeverbandes, etwa des Sozialamtes oder des Bauamtes oder ähnlicher Verwaltungsbehörden. Das Jugendamt sollte nach unseren Vorstellungen einen Ausschuß erhalten, der in gleicher Weise eingerichtet ist wie die ande-
ren Ausschüsse der kommunalen Vertretungskörperschaften, in deren Bereich es sich befindet. Es sollte also aus seiner Sonderstellung, die es jetzt hatte und die es nach dem Willen der Mehrheit des 33. Ausschusses wiederum haben soll, herausgenommen werden und s o in die Landesverfassung oder in das Gemeindeordnungsrecht eingegliedert werden, wie es die anderen Ausschüsse der Landes-,Stadt- oder Gemeindeparlamente sind.
Die Mitglieder der sozialdemokratischen Fraktion haben deshalb schon im Jugendfürsorgeausschuß versucht, im vorliegenden Gesetz ein Jugendamt zu schaffen, das dieser Vorstellung entspricht. Wir wollten einen Ausschuß — den Jugendwohlfahrtsausschuß, wie er im Gesetz bezeichnet ist —, der nach der jeweiligen Gemeindeverfassung, nach der jeweiligen Gemeindeordnung zusammenzusetzen ist.
Meine Herren und Damen, wir standen und stehen auch heute noch auf dem Standpunkt, daß das Interesse des Bürgers an seiner Selbstverwaltungseinrichtung in seiner Gemeinde in dem Maße steigt, wie er in der Lage ist, Anteil an der gesamt en Arbeit der Selbstverwaltung zu nehmen, zu der ja das Jugendamt nach der Fassung der Ziffer 3 der Vorlage Drucksache Nr. 4432 uneingeschränkt gehören soll. Ich bitte Sie, sich das noch einmal besonders anzusehen.
Abgesehen von diesem Gesichtspunkt wollten wir, die sozialdemokratischen Mitglieder des 33. Ausschusses, der Selbstverwaltung durch Sonderregelungen, wie sie in diesem Gesetz für den Jugendwohlfahrtsausschuß vorgesehen sind, keine Rechte beschneiden, die ihr zustehen und die auch im Art. 28 des Grundgesetzes garantiert worden sind. Dort steht z. B. im Abs. 2:
Den Gemeinden muß das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Auch die Gemeindeverbände haben im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereiches nach Maßgabe der Gesetze das Recht der Selbstverwaltung.
Wir vertreten diesen Grundsatz, um so überzeugter, je mehr wir wissen, daß die demokratische Fundierung des Staatsbürgers auf der kleinsten Ebene des öffentlichen Bereichs am wirksamsten erfolgt. Auch für unsere Jugendarbeit sollte nach unserem Willen ein solcher Ausschuß eingebaut werden, wie es alle anderen Ausschüsse der Vertretungskörperschaft sind. Wir wollten darüber hinaus — das ersehen Sie aus unserem Änderungsantrag — einen Beirat, der unter fachlichen Gesichtspunkten aus Männern und Frauen aus allen Kreisen der Bevölkerung, aus den Jugendverbänden, aus den Wohlfahrtsverbänden, aus den Kirchen und aus den Gewerkschaften, aus der Lehrerschaft und aus anderen für die Jugendarbeit wichtigen Persönlichkeiten zusammengesetzt ist und der die politische parlamentarische Verantwortung des Jugendwohlfahrtsausschusses, laut Gemeindeverfassungsrecht, mit dem fachlichen Rat dieser Mitglieder des Beirats verknüpft.
Aus nicht ganz, für uns jedenfalls nicht ganz begreiflichen Gründen ist die Mehrheit des Ausschusses unseren Vorstellungen nicht gefolgt. Es wurde eine Konstruktion eines Jugendwohlfahrtsausschusses erdacht, die wir nicht nur deshalb für unglücklich halten, weil sie sich nicht in das geltende Gemeinderecht einfügt, sondern weil auch
nicht einmal mehr die Mitglieder der Vertretungskörperschaft in der Gemeinde die größere Zahl in diesem Ausschuß haben, dieser Vertretungskörperschaft und ihren Mitgliedern ein wesentliches Recht und nach unserer Meinung auch eine notwendige Pflicht der Verantwortung entzieht. Nach dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf Drucksache Nr. 4432 können nämlich die Mitglieder der Vertretungskörperschaft durch die nich parlamentarischen Mitglieder in diesem Ausschuß majorisiert werden, was wir für einfach indiskutabel halten.
Wir sind außerdem fest davon überzeugt, daß der in der Vorlage vorgesehene Ausschuß, der sich aus beschließenden und beratenden Mitgliedern zusammensetzt, entschieden zu groß und damit zu schwerfällig und nicht leistungsfähig genug ist. Er soll ja schließlich — das ersehen Sie aus der gesamten Zielsetzung dieses Gesetzes — nicht nur Informationen auf dem Gebiet der Jugendarbeit entgegennehmen, sondern er soll gestaltend mitarbeiten. Bitte bedenken Sie, daß nach dem Entwurf neben den Mitgliedern, die in dem Mündlichen Bericht unter § 9 a aufgeführt sind, nach Landesrecht noch weitere Personen hinzugezogen werden können. Darauf werden sehr viele Anspruch erheben. Bei der Absicht, die der Heranziehung weiterer beratender Mitglieder zugrunde liegt, haben auch wirklich alle die Organisationen und die Persönlichkeiten ein Recht auf Mitwirkung, die eine wesentliche Leistung, gleich ob im öffentlichen oder auch im privaten Raum, für die Jugendarbeit vollbringen. Dazu wissen wir — wie Sie sicher auch — aus Erfahrung, daß keiner das Odium auf sich nehmen will, sich nicht um eine solche Mitsprache bemüht zu haben, da ja im Bereich der Jugendamtsarbeit künftig Wesentliches für die Jugendarbeit gestaltet und auch entschieden werden wird. Ich arbeite selbst seit langen Jahren als Mitglied des Jugendamtsausschusses des Hamburger Jugendamts mit und kann durchaus ,abschätzen, wann und wie lange ein solcher Ausschuß noch arbeitsfähig ist und wann er in Gefahr gerät, das Instrument einer versierten Verwaltung zu werden.
Darf ich vielleicht einmal kurz zusammenfassen: Diese zwei wesentlichen Gesichtspunkte, also erstens keine Gestaltung des Jugendwohlfahrtsausschusses in diesem Gesetz nach dem jeweiligen Gemeinderecht, ja sogar die Möglichkeit der Majorisierung der parlamentarischen Mitglieder dieses Ausschusses durch die nichtparlamentarischen, und zweitens die mangelnde Arbeitsfähigkeit dieses Ausschusses durch die voraussichtliche Größe, die er nach diesem Gesetz erhalten kann, weil er beschließende u n d .beratende Mitglieder enthält, begründen unsere Ablehnung dieser Vorlage. Diese Vorlage — das ist unsere feste Überzeugung — wird die von allen erhoffte Entwicklung zu einem neuen und lebendigen Jugendamt — wie Herr Minister Lehr es schon andeutete, eine seit Jahren von allen Kreisen erhobene Forderung — sehr ernstlich bedrohen.
Ich muß leider sagen, daß unsere, wie ich glaube, sehr wohl begründete Vorstellung von dem Funktionieren eines künftigen Jugendwohlfahrtsausschusses auch nicht immer von den Jugendverbänden und den Jugendwohlfahrtsorganisationen verstanden worden ist. Diese Verbände möchten gerne — man kann es sicher verstehen — ein Recht des Mitbeschließens im Jugendwohlfahrtsausschuß erhalten. Dagegen wollen wir ihnen — das ist die
Vorstellung der SPD-Mitglieder dieses Anisschusses — ein umfassendes Mitspracherecht, eine fachliche Mitwirkung in einem Jugendwohlfahrtsbeirat vorbehalten.
Die freien Verbände leiten den von ihnen gestellten Anspruch im wesentlichen aus den alten Bestimmungen des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes von 1922 ab. Nun glaube ich aber, daß sich in diesen 30 Jahren in unserem Vaterland und in seiner sozialen Struktur allerhand geändert hat. Eine Massennot und traurige Folgeerscheinungen bei unserer Jugend sind die Folgen. Hieraus ergeben sich aber auch die größere Verantwortung, die größeren Pflichten und damit auch die größeren Rechte der Öffentlichkeit, der parlamentarischen Institutionen also auch für das Gebiet der Jugendwohlfahrt.
Nach sehr reiflicher Überlegung haben wir uns im Ausschuß trotzdem bereit gefunden, zwischen den bestehenden beiden Auffassungen eine Brücke zu schlagen, um zu einem vernünftigen und für die Jugendarbeit erfolgreichen Ergebnis zu kommen. Wir wollen damit die Bedeutsamkeit der Arbeit der freien Verbände, die wir vorbehaltlos anerkennen und fördern, ausdrücken. Es hatte niemand daran gedacht, ihnen eine untergeordnete Rolle in der Sozial- und' Jugendarbeit zu geben. Wir haben also nach langen Debatten im 33. Ausschuß einen Vermittlungsvorschlag gemacht, der Ihnen als Änderungsantrag in Umdruck Nr. 974 Ziffer 2 vorliegt. Wir haben einen neuen § 9 a formuliert, der den Vorstellungen entspricht, die ich hier soeben dargelegt habe, wonach sich also der Jugendwohlfahrtsausschuß zu drei Fünfteln der nichtbeamteten Mitglieder aus Mitgliedern der Vertretungskörperschaft zusammensetzt und dadurch die von uns gewollte letzte Verantwortung bei den gewählten Vertretern beläßt und zu zwei Fünfteln der nichtbeamteten Mitglieder des stimmberechtigten Ausschusses aus Vertretern der freien Jugendverbände und Wohlfahrtsverbände sowie bewährten und erfahrenen Männern und Frauen im Bezirk des Jugendamts. Dabei haben wir bewußt auf die Hereinnahme auch solcher Persönlichkeiten Wert gelegt, die nicht als Vertreter der großen Verbände namhaft gemacht werden, aber vielleicht als Lehrer, als ehrenamtlicher Vormund, als Wohlfahrtspfleger, als Mitglied einer kleineren aktiven Gruppe von Sozialarbeitern oder als Vater oder als Mutter hervorragenden Kontakt zur Jugendarbeit haben. Auf ihre Mitarbeit, meine Herren und Damen — das werden Sie, wenn Sie ein wenig Einblick in diese Arbeit haben. bestätigen —, kann oft gerade in kleineren Jugendämtern gar nicht verzichtet werden. Darin sind sich übrigens auch wohl alle Mitglieder des 33. Ausschusses einig. Für die Hereinnahme dieser Persönlichkeiten — das darf ich darüber hinaus noch einmal betonen — spricht auch die aalte Fassung des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes, die neben d'en Organisationsvertretern und den leitenden Beamten des Jugendamtes in der Jugendwohlfahrt, wie es dort heißt, „erfahrene und bewährte Männer und Frauen aus allen Bevölkerungskreisen" vorsah.
Nun wollten wir zu den Mitgliedern mit Beschlußrecht, zu dem mit Beschlußrecht ausgestatteten Jugendwohlfahrtsausschuß, noch den politischen Beamten, den Leiter der Kommunalverwaltung, wie wir es verbessernd bezeichnet haben, und den leitenden Beamten der Jugendamtsverwaltung, also den Jugendamtsleiter, als zum Ausschuß
gehörig hineinnehmen. Wir haben diese Formulierung unter § 9 a Buchstabe c eingefügt. Hier haben wir aber dem Landesrecht freigestellt, ob diese beiden Mitglieder mit 'Stimmrecht oder mit beratender Stimme teilnehmen. Es liegt ein Änderungsantrag der FDP vor, der vorsieht, daß der politische 'Beamte, der das Jugendamt verantwortlich leitet, mit Stimmrecht ausgestattet wird. Das ist uns durchaus recht. Wir werden also diesem Antrag zustimmen. Wir haben bei diesem Aufbau des Jugendamtes und des Jugendwohlfahrtsausschusses die Vorstellung gehabt, daß ein solcher Ausschuß etwa 15 bis 20 Personen umfassen würde, und halten ihn in solcher 'Größe, aber auch vor allen Dingen in solcher Zusammensetzung für in jeder Beziehung arbeitsfähig, d. h. den ihm im Gesetz gestellten Aufgaben wirklich gewachsen.
Wir halten es außerdem für nötig — und es sollte deshalb im Gesetz stehen —, daß die Fachkräfte des Jugendamtes wie auch anderer Behörden — vielleicht des Sozialamtes, der Haushaltsabteilung der Gemeinden oder sonstiger Verwaltungen, die hin und wieder zu der Arbeit des Jugendwohlfahrtsausschusses hinzugezogen werden müssen — hieran teilnehmen können. Deshalb unsere Formulierung in dem Umdruck Nr. 974 zu § 9 a Ziffer 3.
Die Aufgaben und die übrigen Bestimmungen für das Jugendamt und den Jugendwohlfahrtsausschuß sind von uns unverändert übernommen worden.
Meine Herren und Damen, unserer Vorstellung gemäß, zwar einen kleineren, arbeitsfähigen beschließenden Ausschuß zu haben, in welchem die politisch-parlamentarischen Mitglieder der Vertretungskörperschaft zumindest in der überwiegenden Zahl, wenn nicht mehr allein vertreten sind, der aber dabei doch auf keinen Fall auf die Beratung und fachliche Mitwirkung der Organisationen und Persönlichkeiten verzichten darf, die im Bezirk des Jugendamtes für die Jugend arbeiten, haben wir diesem kleinen Ausschuß mit Beschlußrecht einen Jugendwohlfahrtsbeirat mit beratenden Aufgaben beigegeben. In § 9 c unseres Änderungsantrages haben wir seine Zusammensetzung und seine Funktionen angeführt. Dieser Jugendwohlfahrtsbeirat soll Vertreter aller Organisationen und dazu die Persönlichkeiten erfassen, 'die in der Jugendarbeit des Bezirkes stehen und in ihr wirklich etwas zu sagen haben. Selbst ein großer Beirat würde in diesem Fall in keiner Weise erschwerend wirken, sondern im Gegenteil durchaus fördernd, und er würde die Arbeiten des Jugendwohlfahrtsausschusses und damit des Jugendamts unterstützen. Sie ersehen alles andere aus dem Text unseres Änderungsantrags. Unsere Absichten haben Sie durch die von mir vorher ausgeführten Worte außerdem bereits gehört. Ich brauche also zu § 9 c weiter nichts Erläuterndes mehr zu sagen.
Zur Mitarbeit gerade von Jugendvertretern — eines der wesentlichen Argumente der Jugendorganisationen — darf ich vielleicht noch einmal sagen, daß wirklich erst durch die von uns geforderte Mitwirkung auf breitester Grundlage entsprechend § 9 c der von uns vorgeschlagenen Fassung dem Anliegen der Jugend und damit auch ihrer Organisationen entsprochen werden kann, auch jüngere Mitarbeiter in diese Arbeit zu delegieren. Hier kann tatsächlich schon ein 17- oder 18jähriger Jugendlicher durch seine. Mitarbeit Einblick in die Probleme und Aufgaben der Selbstverwaltung in
einem für ihn überblickbaren Bereich bekommen, was ihn anspornen mag, später auch einmal seinen Teil staatsbürgerlicher Pflichten zu übernehmen. Die Vertreter der Jugendverbände dagegen, die in dem beschließenden Jugendwohlfahrtsausschuß tätig sein werden, müssen bereits das wählbare Alter haben, d. h. das Alter von 25 Jahren. In diesem Alter — ich glaube, das' ist die Überzeugung von uns allen — sollte aber die junge Generation sich nicht darauf beschränken müssen, in dem begrenzten Raum der Jugendarbeit zu stehen, sondern sollte schon Nachfolger sein in der allgemeinen politischen Arbeit auf jeder Ebene staatsbürgerlicher Betätigung. Ich hoffe, daß gerade das mehr und mehr die Überzeugung der jungen Generation, aber auch der Alteren in den Parteien werden wird.
Meine Herren und Damen, ich bitte Sie sehr, unseren Änderungsanträgen Ihre Zustimmung zu geben. Sie wollen lediglich bewirken, daß dieser erste Schritt zu einem neuen und leistungsfähigen Jugendamt nach der unseligen Nazizeit kein falscher Schritt wird. Wir möchten, daß das künftige Jugendamt mit seinen ihm durch dieses Gesetz gegebenen Aufgaben, vor allen Dingen auch dem § 4, einem der wichtigsten Paragraphen, die wir in Kraft setzen möchten, im Interesse unserer Jugend und unseres Volkes die öffentliche Verantwortung für unsere junge Generation voll wahrzunehmen in der Lage ist, d. h. diese öffentliche Verantwortung ganz in den Mittelpunkt unserer gesamten staatspolitischen Aufgaben zu stellen vermag. Ich bitte um Annahme unserer Anträge auf Umdruck Nr. 974 Ziffern 1 und 2.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zu zwei Punkten des Vortrags der Frau Vorrednerin sprechen. Das erste ist die Frage, ob Sie gewillt sind, den Jugendwohlfahrtsausschuß in zwei Gruppen zu teilen, in eine beschließende Gruppe und einen beratenden Beirat. Der Entwurf verdient in. dieser Beziehung meiner Meinung nach den Vorzug, weil er beide Gremien in einem vereinigt, beschließende und beratende Mitglieder. Das ist ein großer Vorzug. Wenn man einzelne Probleme besonders herausarbeiten will, so steht nichts entgegen, daß man von Fall zu Fall noch Unterausschüsse bildet, zu denen auch andere Persönlichkeiten als die Mitglieder des Jugendwohlfahrtsausschusses hinzugezogen werden können. Deshalb würde ich dem Hohen Hause in Übereinstimmung mit der Mehrheit des 33. Ausschusses vorschlagen, dieses eine Gremium vorzusehen.
In bezug auf den § 9 a darf ich darauf hinweisen, daß in Abs. 1 dieses Paragraphen die Personen aufgezählt sind, die Mitglieder des Jugendwohlfahrtsausschusses sein müssen, daß darüber hinaus aber nach Abs. 2 die Möglichkeit gegeben ist, auch noch andere Personengruppen hinzuzuziehen. Welche weiteren Personengruppen zugezogen werden müssen, ist von Fall zu Fall nach den örtlichen Gegebenheiten zu regeln. Es ist durchaus möglich, auch noch beratende Mitglieder zu besonderen Sitzungen des Ausschusses zuzuziehen. Eine Regelung von Bundes wegen ist meines Erachtens in dieser Hinsicht nicht geboten. Man sollte hier den örtlichen Gegebenheiten freien Spielraum lassen.
Meine Damen und Herren! Da Art. I aufgerufen ist und eine ganze Reihe von Änderungsanträgen vorliegen, halte ich es für zweckmäßig, daß wir in der Begründung der Anträge fortfahren, ehe wir in die Aussprache eintreten.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Ilk.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Auf Umdruck Nr. 981 haben meine Freunde und ich Ihnen den Antrag vorgelegt, in § 9 a Abs. 1 Buchstabe g die Worte einzufügen: „oder ein Jugendrichter". Das heißt, es soll nicht nur der Vormundschaftsrichter, sondern auch ein Jugendrichter zum Jugendwohlfahrtsausschuß herangezogen werden können, und zwar mit beratender Stimme. Ich möchte diesen Wunsch im Hinblick auf den erweiterten Pflichtenkreis äußern, den jetzt der Jugendrichter nach unserem neuen Jugendgerichtsgesetz übernimmt. In die Personengruppen, die das neue Jugendgerichtsgesetz umfaßt, ist die Gruppe der Heranwachsenden von 18 bis 21 Jahren mit aufgenommen worden. Außerdem haben wir im Jugendgerichtsgesetz das neue Bewährungssystem, wodurch eine engere Zusammenarbeit der Jugendwohlfahrtsbehörden mit dem Gericht erforderlich wird. Ich halte es daher für notwendig, daß auch dem Jugendrichter die Möglichkeit gegeben wird, im Jugendwohlfahrtsausschuß mitzuwirken.
Herr Präsident, darf ich auch gleich die Begründung unseres Antrages zu § 9 c anfügen?
Jawohl! Das gehört ja zusammen.
Der zweite Teil unseres Antrages geht dahin, in § 9 c den Regierungsentwurf wiederherzustellen, also die Worte „in der Regel" zu streichen. Der Sinn dieses Antrages ist, zu gewährleisten, daß wirklich nur eine qualifizierte und in der jugendfürsorgerischen Arbeit tätige Kraft zum Leiter der Verwaltung des Jugendamtes bestellt wird. Man kann vielleicht sagen: es ist nicht so wichtig, ob der Leiter der Verwaltung wirklich in den jugendfürsorgerischen Dingen Bescheid weiß. Aber wer die Arbeit in den Jugendämtern kennt, weiß, wie stark die Verwaltungsdinge in die fürsorgerische Arbeit hineingreifen. Wenn man hört, daß z. B. der frühere Leiter eines Schlacht- und Viehhofes Leiter eines Jugendamtes geworden ist, so packt einen doch eigentlich ein bißchen das Grauen. Man kann doch wohl nicht sagen, daß diese beiden Arbeitsgebiete so zusammenpassen, daß man die Leiterstellen einfach auswechseln könnte.
Natürlich sind heute im Jugendamt eine ganze Reihe von Kräften tätig, die nicht die entsprechende Fachausbildung haben, die sich aber bisher ausgezeichnet bewährt haben. Deshalb möchte ich zu Abs. 2 des Antrages auf Umdruck Nr. 981 noch den Zusatzantrag stellen, in Abs. 2 des § 9 c noch folgenden Satz 3 hinzuzufügen:
Diese Bestimmung
- nämlich daß nur fachlich ausgebildete Kräfte Leiter der Verwaltung sein können —
gilt nicht für die zur Zeit im Amt befindlichen, bewährten Kräfte.
Im Interesse der Jugendarbeit bitte ich um Annahme unseres Antrags. Gestatten Sie, Herr Präsident, daß ich Ihnen den Antrag überreiche.
Meine Damen und Herren, wer begründet weiter? — Das Wort hat Herr Abgeordneter Kemmer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben im Ausschuß bei der ersten Lesung beschlossen, daß der Jugendwohlfahrtsausschuß vor jeder Beschlußfassung des, Gemeindeparlaments zu hören ist. Das ist leider bei der Zusammenstellung der Synopse übersehen worden. Wir haben in der zweiten Lesung wieder beschlossen, wie es ursprünglich im Entwurf hieß, daß er gehört werden soll. Wir sind aber der Meinung, daß der Jugendwohlfahrtsausschuß ein so wichtiger Ausschuß ist, daß das Gemeindeparlament ihn in Jugendfragen v o r der Beschlußfassung hören m u B. Unser Antrag geht dahin, die Fassung der ersten Lesung im Ausschuß wiederherzustellen. Wir bitten Sie, ihm zuzustimmen. Ein gutes Gemeindeparlament wird in Jugendfragen den Jugendwohlfahrtsausschuß sowieso vorher hören. Für den Fall, daß ein Gemeindeparlament nicht ganz so gut ist, ist es eben richtig, es im Gesetz zu zwingen, den Jugendwohlfahrtsausschuß vorher zu hören.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schanzenbach.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion legt Ihnen zu Art. I Ziffer 7 § 11 einen Änderungsantrag vor, der besagt, daß im ersten Satz die Worte „oder Gruppen von Geschäften" gestrichen werden sollen.
Zur Begründung dieses Antrages habe ich folgendes vorzutragen. Wir streben durch diese Novelle an, daß das Jugendamt weit mehr als bisher Mittelpunkt aller Jugendhilfe werden soll. Das Jugendamt muß daher alle Fragen der Jugendpflege und Jugendfürsorge übersehen und aufeinander abstimmen können. Der § 11 in seiner jetzigen Fassung bedeutet jedoch, daß ganze Aufgabengebiete aus dem Jugendamt herausgebrochen und freien Verbänden, Ausschüssen oder einzelnen in der Jugendwohlfahrt erfahrenen und bewährten Männern und Frauen übertragen werden können. Es wäre also möglich, den Pflegekinderschutz, die Jugendgerichtshilfe und alle weiteren in den §§ 3 und 4 festgelegten Aufgaben durch den Jugendwohlfahrtsausschuß an die verschiedenen Vereinigungen der Jugendhilfe delegieren zu lassen. Das würde eine Zersplitterung und ein großes Gefälle in der Jugendarbeit bringen; denn die guten und leistungsfähigen Jugendämter würden nicht delegieren, während von dieser Möglichkeit die Jugendämter Gebrauch machen würden, die finanzschwach oder uninteressiert sind und annehmen, daß durch die Delegierung Einsparungen vorgenommen werden können.
Eine Aushöhlung des Jugendamts würde bei unserer heutigen Jugendnot die Möglichkeit einer intensiven und ausgleichenden Hilfe weit herabsetzen, weil die Einheitlichkeit nicht mehr gewahrt werden könnte, an der jeder Bürger das größte Interesse haben muß. Für den Gemeinde- oder Kreishaushalt entstehen durch eine Delegierung von Aufgaben kaum Einsparungen; denn auch die freien Jugend- und Wohlfahrtsverbände können ohne öffentliche Mittel ihre Arbeit heute nicht mehr leisten. Wir wünschen die Zusammenarbeit der freien und der öffentlichen Jugendwohlfahrt und stimmen insoweit für den § 11, als er die Delegierung von einzelnen Geschäften festlegt. Es liegt keineswegs im Interesse der freien Jugendwohlfahrtsverbände, gewissermaßen Teile des Jugendamts zu werden; denn damit müßten sie auch einer öffentlichen Kontrolle unterstellt werden, die dem Wesen der freien Wohlfahrtspflege nicht entspricht. Dazu kommt, daß auch die freien Verbände immer nur über eine beschränkte Anzahl von haupt- und ehrenamtlichen Kräften verfügen. Der § 6 des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes sieht die Förderung der freien Verbände durch das Jugendamt unter Wahrung ihrer Selbständigkeit und ihres satzungsgemäßen Charakters vor. Wenn das Jugendamt eine Gruppe von Geschäften überträgt, besteht die Gefahr, daß aus einer Notwendigkeit heraus das Jugendamt und damit die Öffentlichkeit gezwungen wäre, in die Selbständigkeit der freien Verbände einzugreifen. Schon um die Selbständigkeit der Verbände nicht anzutasten, sollten wir die Delegierung von Gruppen von Geschäften in § 11 streichen. Die freien Vereinigungen für Jugendhilfe haben gerade in unserer Zeit große Aufgaben an der Jugend zu erfüllen. Sie sind beweglich genug, Sofortmaßnahmen und Pionieraufgaben durchzuführen. Wir sollten sie nicht durch die Übertragung von Aufgaben einengen, die im Interesse der Sicherung eines gleichmäßigen Schutzes und einer guten Förderung aller deutschen Kinder, so wie § 1 des Gesetzes es vorsieht, beim Jugendamt bleiben müssen. Der Einfluß der freien Vereinigungen in der Jugendamtsarbeit ist durch die stimmberechtigte Vertretung im Jugendamtsausschuß gesichert. Wenn es uns wirklich ernst ist, daß das lebendige Jugendamt geschaffen werden soll, das alle Kräfte sammelt, um der Jugendnot zu begegnen, dürfen wir es nicht zulassen, daß Gruppen von Geschäften delegiert werden können. Ich bitte Sie deshalb, unserm Antrag zuzustimmen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Hübner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir legen auf Umdruck Nr. 980 einen Änderungsantrag zu § 9 a vor, in dem wir Ihnen vorschlagen, die Beschlußfunktionen innerhalb des Jugendwohlfahrtsausschusses auch dem Leiter der Verwaltung bzw. dem von ihm bestellten Vertreter zuzubilligen. Bei diesem Änderungsantrag leiten uns folgende Gesichtspunkte. Man erwartet doch wohl berechtigterweise von dem Leiter einer Verwaltung entscheidende Wirksamkeit, und zwar entscheidend im wahren Sinne des Wortes. Es erscheint uns nun als ein Mangel an Folgerichtigkeit, wenn man den Leiter der Verwaltung von der Beschlußbefugnis eines ihm unterstellten Amtes ausschließt — hierbei darf ja nicht übersehen werden, daß der Jugendwohlfahrtsausschuß ein Teil des Jugendamtes ist — und damit tatsächlich der merkwürdige Zustand eintritt, daß der Leiter der Verwaltung zwar seine entscheidende Wirksamkeit an oberster Stelle wahrzunehmen hat, aber in einer ihm unterstellten Amtsstelle diese Befugnis nicht besitzt. Wir bitten Sie deshalb, unserm Änderungsantrag zuzustimmen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Keilhack.
Meine Herren und Damen! Zu § 14 und zu unserem Änderungsantrag möchte ich sagen, daß diese Änderung lediglich bewirken soll, daß die Bestimmungen der vorhergehenden
Paragraphen über die Zusammensetzung des Jugendamts bei den Selbstverwaltungskörperschaften für die Landesjugendämter sinngemäß, aber nach Landesrecht gelten sollen. Die im Mündlichen Bericht enthaltene Fassung entspricht dieser Notwendigkeit nicht. Deshalb haben wir die auf Umdruck Nr. 974 zu § 14 vorgeschlagene Fassung gewählt. Ich bitte Sie, dieser Fassung zuzustimmen.
Herr Abgeordneter Hübner wünscht noch einen Änderungsantrag zu begründen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte, zu entschuldigen, daß ich nicht gleich angeführt habe, daß in Verbindung mit meinem Antrag in § 9 a Abs. 3 der letzte Satz von „Ob" bis „Satzung" gestrichen werden muß. Das ergibt sich zwangsläufig aus dem von uns gestellten Änderungsantrag.
Damit sind alle Änderungsanträge begründet, so daß wir zur Aussprache kommen. Das Wort hat Herr Abgeordneter Renner. Oder haben Sie noch etwas zu begründen, Herr Abgeordneter Renner?
— Nicht allgemeine Aussprache, sondern die Diskussion über den aufgerufenen Art. I. Nachdem zunächst die Änderungsanträge zu Art. I begründet
worden sind, ist nun die Möglichkeit, dazu zu sprechen. Das Wort hat also Herr Abgeordneter Renner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wollten Sie etwas Besonderes von mir wissen?
— Machen wir es nachher draußen ab.
Einige Worte nur zu dem sozialdemokratischen Antrag zu Art. I. So bedeutungslos, wie man nach der Diskussion hier annehmen könnte, ist die Frage der Machtverteilung in den beiden vorgesehenen Ausschüssen keineswegs.
— Natürlich geht es um Macht. Geld ist Macht. Oder wollen Sie das bestreiten? Hier schaffen Sie einen eigenartigen Zustand. Die parlamentarische Vertretung der Gemeinde, also der Körperschaft, die nach Ihren eigenen Absichten die Mittel aufzubringen hat, soll nach Ihrer Fassung überstimmt werden können.
Das ist Ihre Absicht.
Nun haben Sie sich bisher an der Klärung der Frage vorbeigewunden, wo überhaupt die Mittel für die Durchführung des Gesetzes herkommen sollen. Das hat keiner von Ihnen — auch nicht der Herr Minister - gesagt. Der Herr Minister hat wohl angedeutet, daß es eine Selbstverwaltungsangelegenheit der Gemeinde sei. Daraus kann man wohl auch schlußfolgern, daß die Gemeinden die Kosten zu tragen haben.
Nun ein Wort über die Haltung der Gemeindevertretungen und der Gemeindeverwaltungen zu den Wohlfahrtsverbänden, ein Wort, geboren aus
eigener Erfahrung. Schade, daß Frau Weber nicht hier im Saale ist. Ich hätte sie nämlich gefragt, ob sie denn nicht auch genau so wie ich weiß, mit welchen Schwierigkeiten heute die sogenannten „Wohlfahrtsspitzenverbände" schon zu kämpfen haben, wenn sie von den Gemeindevertretungen bzw. von den Gemeindeverwaltungen die Gelder haben wollen, die sie zur Durchführung ihrer eigenen Aufgaben brauchen. Es ist doch keineswegs so, daß auf der einen Seite absolut spende- und gebefreudige Gemeindeverwaltungen und Gemeindevertretungen vorhanden sind. Das ist doch einfach nicht wahr. Im Gegenteil, um jeden Pfennig, den diese sogenannten „Wohlfahrtsspitzenverbände" von den Gemeinden haben wollen, müssen sie doch bitter kämpfen. Oder wollen Sie das bestreiten? So gut ist das Verhältnis gar nicht. Eine ganze Reihe von Gemeindevertretungen . anerkennen dankbar die Arbeiten dieser Verbände. Aber wenn es darum geht, in finanzieller Hinsicht etwas für die Verbände zu tun, dann zeigen sie die kalte Schulter. Das ist nicht immer Böswilligkeit, sondern resultiert meistens aus der Tatsache, ,daß die Gemeinden für die Durchführung ihrer kommunalen Wohlfahrtsaufgaben dank der Politik von oben herunter nicht mehr die erforderlichen Mittel haben. Man muß sich also jetzt darüber klarwerden, wer das Geld hergeben muß. Den kann man doch nicht ganz aus dem Gremium heraushalten, das zu bestimmen hat.
Wenn Sie der Meinung sind, daß Sie mit dieser Regelung die derzeitig bestehenden Zustände in den Gemeinden verbessern, dann dürften Sie mit dieser Auffassung irren. Ich bin deshalb der Ansicht, daß der sozialdemokratische Antrag zu diesem Punkt wirklich Beachtung verdient. Wir werden ihm zustimmen.
— Sie sind ja sonst so großzügig in Deklarationen. Sie reden hier so schöne, große, wundervolle Formulierungen in die Welt hinein: „Wir wollen ein. lebendiges Jugendamt. Das Jugendamt soll Mittelpunkt der Jugendpflege werden." Aber an der Kernfrage, wer die Gelder hergeben soll, lavieren Sie vorbei. Sie wollen nämlich die Frage nicht klären. Es kommt Ihnen vor der Wahl doch nur darauf an, auf diesem Gebiet zu dem bisherigen Schmus einen neuen Schmus zu machen. Praktisch wird sich in den Gemeinden durch dieses Gesetz nichts ändern. Dort aber, wo wir schon ein gutes Verhältnis zwischen Verwaltung und Jugendhilfsorganisationen haben, wo wir also — wie in den allermeisten Gemeinden z. B. von Nordrhein-Westfalen — schon ein wirkliches Jugendamt haben, rennen Sie mit Ihrem Gesetz nur offene Türen ein. Dort haben wir bereits, was Sie wollen. In der Gemeindeordnung von Nordrhein-Westfalen sind diese Dinge doch schon alle enthalten. Deshalb brauchen Sie sich gar keine besonderen Lorbeeren an den Hut zu stecken, wenn Sie hier post festum mit einem Vorschlag kommen, das jetzt auch im Bundesmaßstab durchzuführen.
— Bleibt die Frage offen, wie lange Sie auch noch in Nordrhein-Westfalen regieren!
— Ich hoffe, daß das nicht länger dauert als hier im Bundesgebiet!
— Nachher! Für Ihre Witze habe ich jetzt keine Zeit. Ihnen ist es in dieser Beziehung mulmiger um Ihre Sättel wie 'manchem von unserer Seite.
Das hat man bei Ihren Manövern um die Gestaltung des Wahlgesetzes gesehen, aus dem Sie ein
Prämiengesetz für die Koalition machen wollten.
- So siegessicher sind Sie keineswegs, wie Sie hier tun; im Gegenteil, Ihnen geht ein gewisser Körperteil, wie man im Volksmunde sagt, mit Grundeis!
Herr Abgeordneter, das gehört aber nicht zur Sache!
Das gehört nicht zur Sache; aber der Zwischenruf gehörte auch nicht zur Sache!
Ich bitte Sié also, meine Damen und Herren — vor allem die Mitglieder des Hauses, die für diese Arbeit die Erfahrung haben —, sich gut zu überlegen, wie sie die Entscheidungsbefugnisse verteilen.
Nun noch, unter Bezugnahme auf den nächsten Punkt der Tagesordnung, ein Wort zu dem Vorschlag, den Jugendrichter in diesen Ausschuß hineinzuziehen. Soll das etwa ein Hinweis darauf sein, mit welchen Methoden Sie in Zukunft die Jugendwohlfahrtspflege betreiben wollen? Wollen Sie das mit dem Richter tun, oder wollen Sie das mit materiellen Leistungen tun?
— Ja, Ihnen ist das zuzutrauen. Weil ich Sie seit 30 Jahren kenne, deshalb bin ich so vorsichtig. Also bitte: die Praktiker an die Front! Die Praktiker werden sich dann für die Gedankengänge der SPD zu diesem Punkt aussprechen müssen, weil sie nur so ein wirklich gutes Zusammenarbeiten zwischen Gemeindevertretungen und Jugendamtsausschuß herstellen können. Eine andere Lösung schafft nicht das, was Sie doch angeblich wollen, schafft nicht das „lebendige Jugendamt"!
Das Wort hat Frau Abgeordnete Keilhack.
Meine Herren und Damen! Wir bitten, den Antrag der FDP Umdruck Nr. 980 abzulehnen, da der Leiter der Verwaltung des Jugendamts in vielen Fällen ein Beamter ist, in der britischen Zone z. B. der Oberstadtdirektor, und nur in einigen Fällen politischer Beamter, Bürgermeister oder, wie bei uns in den Stadtstaaten, Senator.
Wir halten es für richtig, dem Landesrecht zu überlassen, ob dieser Beamte eine beschließende oder eine beratende Funktion in dem Jugendwohlfahrtsausschuß haben soll. Wir halten unsere Formulierung also für glücklicher, weil sie elastischer ist und weil sie dem Lande die Möglichkeit gibt -
die es haben muß —, diesen Beamten nach seinem Ermessen in den Ausschuß einzubauen.
Wir bitten ferner, den Antrag der CDU Umdruck Nr. 993 abzulehnen, da wir in dem neuen Antrag der CDU eine noch größere Verstärkung der Tendenz erblicken — die wir bereits mit unserem Antrag und mit den Ausführungen dazu vermindern wollten —, das Recht der Selbstverwaltungskörperschaft der Gemeinden zu beschneiden. Wir halten es nicht für gut, einem Ausschuß, der diese besondere Konstruktion des Jugendwohlfahrtsausschusses haben soll, mehr Recht bzw. das erste Recht vor dem Recht der Gemeindevertreter zuzuerkennen. Wir bitten also noch einmal, auch diesen Antrag abzulehnen und das Wort „soll" zu belassen, so wie es im Mündlichen Bericht steht.
Wir bitten ferner, Ziffer, 2 des Antrags Umdruck Nr. 981 der Abgeordneten Frau Dr. Ilk, Hübner und Fraktion der FDP, abzulehnen, weil wir es nicht für möglich halten, den Gemeindeverband durch die Voraussetzung einer bestimmten Ausbildung des Leiters des Jugendamts festzulegen. Der Gemeindeverband muß eine gewisse Beweglichkeit in der Auswahl des Leiters des Jugendamts insoweit behalten, als es ihm auch freigestellt bleiben muß, unter den bei ihm langjährig tätigen und bewährten Beamten und Angestellten die Auswahl zu treffen. Wir hoffen, daß durch die Bestimmungen dieses Gesetzes ein solcher Lapsus künftig verhindert wird, daß man einen Schlachthofleiter zum Leiter des Jugendamts macht. Es liegt ja auch beim Jugendwohlfahrtsausschuß, der Anhörungsrecht hat, das zu verhindern. Man kann jedenfalls keine ganz spezielle Ausbildung, etwa die fürsorgerische, vorschreiben, wenn man dadurch z. B. Beamte eines Gemeindeverbandes ausschließt, die auf Grund ihrer langjährigen praktischen Ausbildung in der Verwaltung eine umfangreiche Erfahrung erworben haben, aber nicht die ganz speziellen Anforderungen erfüllen, die auf Grund dieses Antrags festgelegt werden sollen. Wir bitten also, auch im Interesse der Elastizität der Entscheidungen der kommunalen Körperschaft, die Herausnahme der Worte „in der Regel" abzulehnen.
Herr Abgeordneter Nellen, bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der. CDU/CSU stimmt zu den Erörterungen, die eben betreffend den Änderungsantrag zu Art. I und II von der Fraktion der SPD vorgetragen wurden, der Replik zu, die der Herr Bundesinnenminister schon gegeben hat, um so mehr, als wir aus dem, was der Herr Bundesinnenminister ausführte, die langjährige Erfahrung des leitenden Kommunalbeamten einer großen rheinischen Stadt heraushörten, der sich zu diesen Dingen sachkundig zu äußern vermag.
Wir zweifeln nicht daran, Herr Kollege Renner,
daß wir nicht gehalten sind, Ihnen den „Schmus",
den Sie eben zitiert haben, abzunehmen. Es ist
dem Hause bekannt, daß auch Sie über genügend
kommunalpolitische Erfahrung verfügen, um zugeben zu müssen, daß diese Novelle zum Reichsjugendwohlfahrtsgesetz unbedingt notwendig ist. Ich
appelliere nicht nur an Ihre Erfahrung als Ober-
Bürgermeister von Essen, sondern auch als Mitglied des ehemaligen Rheinischen Provinziallandtags.
Zu dem, was die Fraktion der SPD zur Begründung ihrer Änderungsanträge zu Art. I und II — die auch ich zusammen zu behandeln bitten darf — vorgebracht hat, möchte ich erklären, daß es selbstverständlich wohl die Meinung des gesamten Hauses ist, daß die Fragen der Jugendwohlfahrt, also der vorbeugenden Jugendpflege und der nachgehenden Jugendfürsorge, nicht stark genug in den Brennpunkt des ständigen Interesses der parlamentarischen Körperschaften und damit der Kommunalpolitiker hineingerückt werden können. Die Frage ist nur, ob diesem berechtigten Wunsch, den wir teilen, Frau Kollegin Keilhack, nicht in den Bestimmungen der Vorlage schon voll und ganz Genüge getan ist. Ich darf darauf aufmerksam machen: wenn Sie verlangen, daß drei Fünftel des Jugendwohlfahrtsausschusses ausschließlich nach d'Hondt aus Mitgliedern der Kommunalvertretung beschickt werden, so geht diese Forderung wohl zu weit. Denn auch die Ausschußfassung stellt doch klar heraus, daß in diesem Jugendwohlfahrtsausschuß erstens einmal Mitglieder der Vertretungskörperschaft sind — was Sie selbst auch wollen —, zweitens in der Jugendpflege tätige und erfahrene Männer und Frauen, die aber insofern doch auch auf seiten der Politik, also des Kommunalparlaments, stehen,
als sie — wie ich eben ganz objektiv im Bericht ausführen durfte — faktisch als Deputierte der Bürgerschaft dort sind. Sie stehen also auch auf seiten der Kommunalparlamentarier. Das ergibt sich aus
dem Text absolut. Wenn Sie die Güte haben wollen, den Wortlaut des Textes genau zu lesen, werden Sie es zugeben müssen, Frau Keilhack. Im übrigen werden ja doch zwei Fünftel der stimmberechtigten Mitglieder eben nur auf Vorschlag der Verbände in diesen Ausschuß gewählt.
Ich möchte mich natürlich hüten, einen falschen Zungenschlag zu riskieren, aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie werden mir zugeben: Wenn man auf der einen Seite mit Recht fordert, daß Jugendpflege und Jugendfürsorge in den Brennpunkt der Aufmerksamkeit und der ständigen Sorge der Kommunalpolitiker gerückt werden, so gibt es aber auch etwas — ich bitte, das recht zu verstehen -, was eine der sachlichen und fachlichen Arbeit dieses Ausschusses gefährlich werdende Politisierung bedeuten könnte. Ich zweifle nicht daran, daß das Hohe Haus diese Ausführung so versteht, wie sie gemeint ist.
Wir sind mit dem Herrn Minister der Überzeugung, daß die Bestimmungen des § 9 a Abs. a und b durchaus richtig ausgewogen sind. Wir bitten deswegen das Hohe Haus, den Antrag der Fraktion der SPD zu diesem Punkte abzulehnen.
Wir halten auch nichts davon, daß die relativ geschlossene und aktionsfähige einheitliche Konzeption dieses Jugendwohlfahrtsausschusses jetzt durch zwei Gremien ersetzt werden soll, nämlich eine parlamentarisch-politische Körperschaft und den sogenannten Beirat. Gerade dann, Frau Kollegin Keilhack, wenn Sie die Arbeit eng an das Parlament bringen wollen, glaube ich, werden Sie zu überlegen haben, ob Sie auf dieser Zweiteilung von Beschlußkörperschaft und Beirat im Ernst bestehen wollen.
Dasselbe gilt natürlich, wie Sie auch eben ausführten, für die Vorschläge, die entsprechend Ihrem Antrag für die Zusammensetzung des Landesjugendwohlfahrtsamtes von der Fraktion der SPD gemacht worden sind.
Wir legen Wert darauf, entgegen Ziffer 2 Ihres Antrags die Fassung des § 9 b in der vom Ausschuß erarbeiteten Form beizubehalten. Es scheint uns hier klar und konzis gesagt zu sein, was wir alle im Ausschuß mehr oder weniger intendiert haben. Vor allem legen wir großen Wert darauf, daß aus dem § 9 b der Satz 1: „Der Jugendwohlfahrtsausschuß befaßt sich anregend und fördernd mit den Aufgaben der Jugendwohlfahrt" nicht herausgerissen wird. Wir möchten diesen Satz nicht nur in dem Paragraphen haben, der sich nachher mit dem Beirat, der keine Beschlußfunktionen hat, befaßt, sondern — und darin werden Sie natürlich eines der politischen Grundanliegen der Fraktion der CDU/CSU erkennen — wir legen Wert darauf, in dieser sowieso recht sparsamen und zurückhaltenden Form das berechtigte Anliegen des Subsidiaritätsprinzips, das wir bei Gott nicht überspannen wollen, vorsichtig untergebracht zu haben. Niemand wird uns hier eine grobe Ambition vorwerfen können, im Gegenteil, es ist sehr sparsam darin. Deswegen wollen wir es aber auch an dieser Stelle haben. Ich bitte das Hohe Haus, auch zu diesem Punkt den Änderungsantrag der Fraktion der SPD abzulehnen.
Wir haben weiterhin Bedenken, den Antrag der Fraktion der FDP — das muß auch offen gesagt werden — in bezug auf die Mitbeteiligung, und zwar die beschließende Mitbeteiligung des leitenden Gemeindebamten zu akzeptieren. Wir glauben, der leitende Gemeindebeamte kann auch dann zum Zuge kommen, wenn eine klare Distinktion gemacht ist zwischen ihm und der Vertretungskörperschaft. Er steht ja auch ansonsten den parlamentarischen Ausschüssen seiner Kommunalvertretung gegenüber. Wir glauben, die Zusammenarbeit kann auch dann zustande kommen, wenn dieses Beschlußgremium, nämlich der Jugendwohlfahrtsausschuß — stimmberechtigt in ihm die unter a und b aufgeführten Personen — nicht um den leitenden Gemeindebeamten vermehrt wird. Wir bitten deswegen, diesen Antrag abzulehnen.
Dem Antrag Umdruck Nr. 981 zu Ziffer 1 stimmt die Fraktion der CDU/CSU zu. Bei Ziffer 2 fällt uns die Zustimmung nicht so leicht wie zu Ziffer 1. Denn das möchten wir der Fraktion der FDP sagen: Es ist nicht nur so, daß in dieser Nachkriegszeit eine ganze Reihe hervorragender Kräfte ohne den Stempel irgendeiner Fachausbildung gerade in der Verwaltung der Jugendämter nachgewachsen ist, die niemand von uns missen möchte und die noch weniger jemand von uns herausdrängen möchte.
— Sie haben deswegen auch vorsorgenderweise, Frau Kollegin Ilk, den einschränkenden Satz gemacht, der nach meiner Erinnerung — der Umdruck liegt noch nicht vor — lautet: „Diese Bestimmung gilt nicht für die zur Zeit im Amt befindlichen bewährten Kräfte." Habe ich Sie richtig verstanden?
Aber wir möchten darauf hinweisen: auf diesem
Gebiet der Jugendpflege und der Jugendfürsorge
wachsen immer mehr Leute, vor allem auch aus den großen Verbänden, heran, die ich nach meiner eigenen Erfahrung als pädagogische Originalgenies bezeichnen möchte. Da gibt es manchmal hervorragende Autodidakten, die auf Grund einer langen Erfahrung in der Arbeit der Verbände so hervorragend qualifiziert sind, daß es uns sehr schwer fällt, Ihrem Antrag zuzustimmen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Niggemeyer.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Mit ein paar kurzen Sätzen will ich zu dem Antrag der SPD, betreffend Änderung des § 11 durch Herausnahme der Worte „oder Gruppen von Geschäften", Stellung nehmen. Die Fraktion der CDU bedauert, hier mit Ihnen, Frau Schanzenbach, nicht einig gehen zu können. Wir sehen uns also nicht in der Lage zuzustimmen. Auch wir wollen ein lebendiges Jugendamt. Aber wir sehen keine Gefahr, daß das Jugendamt nicht lebendig wird, wenn nicht nur Einzelaufgaben an Einzelpersonen, sondern wenn Gruppen von Geschäften irgendeinem Verband oder einer Person übertragen werden. Wir sehen darin keine Gefahr, Frau Schanzenbach, weil selbstverständlich das Jugendamt nicht nur die Pflicht, sondern auch die Möglichkeit der Kontrolle über die übertragenen Gruppen von Geschäften hat. Selbstverständlich hat der Jugendwohlfahrtsausschuß die Möglichkeit, zu jeder Zeit, wenn er spürt, die Dinge werden nicht richtig gemacht, eine einmal gewährte Delegation zurückzuziehen. Wir sehen in der Übertragung von Gruppen von Geschäften an einen Verband oder an einzelne Personen die Möglichkeit der Durchführung des Grundsatzes der Subsidiarität. Wir sehen weiter in dieser Übertragung die Möglichkeit, daß leistungsschwache Jugendämter zumindest für gewisse Zeiten ihre Arbeiten ohne zu starke materielle Eigenbelastung durchführen können.
Dann möchte ich noch darauf hinweisen, der § 11 ist keine Ist-Bestimmung oder Soll-Bestimmung. Er sagt nur, der Jugendwohlfahrtsausschuß kann festlegen, kann delegieren. In dieser Formulierung sehe ich Schutz genug dagegen, daß sich irgendwelche Mißstände in die Arbeit des Jugendwohlfahrtsausschusses einschleichen können; zumindest ist das nicht für lange Zeit möglich.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Hübner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst noch einige Worte zu den Ausführungen von Frau Keilhack zum Änderungsantrag der SPD sagen. Zweifellos läßt sich darüber streiten, ob die Proportion von 2/5 bzw. 3/5, die man hier gefunden hat, den Stein der Weisen darstellt. Das wird die Erfahrung lehren. Aber, Frau Keilhack, bedenklich erscheint mir nun doch in Ihrem Antrag zu § 9 a Abs. 1 Buchst. b, daß Sie keine Bindung vorsehen, Vertreter der Jugend in den Jugendwohlfahrtsausschuß einzubauen. Sie haben mit Recht darauf hingewiesen, daß sich doch seit 1922 die Verhältnisse in der Gesellschaftsentwicklung unseres Volkes wesentlich gewandelt hätten. Das zeigt sich eben auch im Leben der Jugend. Ich glaube, daß wir darauf sehr Bedacht nehmen müssen und der Jugend einen neuen Platz im Gesellschaftsleben unseres Volkes anweisen sollten,
und zwar muß das ein Platz sein, der der Jugend eine Verantwortlichkeit zumißt. Diese Verantwortlichkeit soll sie hier gewinnen. Diese Überlegungen machen es uns allerdings auch nicht möglich, Ihrer Begründung zu folgen.
Wenn Sie nun den Vorschlag machen, einen Beirat zu bilden, gehen Sie, glaube ich, hier doch in der Sinngebung eines Beirats fehl. Ein Beirat soll das Organ einer Fachberatung in Spezialkenntnissen sein. Diese Voraussetzungen sind aber für die Jugend nicht gegeben. Bei der Jugend handelt es sich hier vielmehr um einen abgeschlossenen eigenen Lebenskreis des Jugendstils.
Nun noch etwas zu den Ausführungen von Herrn N e 11 e n. Herr Kollege Nellen — er ist im Augenblick wohl nicht da —: wir haben die Worte „in der Regel" nicht zuletzt deshalb streichen wollen, weil wir in diesen Worten auch eine gefährliche Ausweichmöglichkeit sehen. Wir sind nicht nur auf diesem Gebiet zutiefst davon überzeugt, daß eine fachliche Vorbildung immer die Voraussetzung für eine fruchtbringende Tätigkeit bildet.
Das Wort hat der Abgeordnete Renner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur noch eine Antwort an die Adresse der Frau Kollegin Niggemeyer
zu ihrer Abwehr des sozialdemokratischen Antrags betreffend Ablehnung der Möglichkeit der Delegation von „Gruppen von Geschäften" an Einzelpersonen oder Einzelverbände. So harmlos, Frau Niggemeyer, wie Sie die Sache eben dargestellt (D haben, ist sie in Wirklichkeit nicht. Wenn Sie vorgeben, eine Jugendpflege haben zu wollen, die von der gesamten Gemeindevertretung getragen wird, dann müssen Sie dafür sorgen, daß Aufgaben und Geschäfte des Jugendamts nicht nach parteipolitischen Gesichtspunkten verteilt, vergeben und damit zur Domäne irgendeiner bestimmten Jugendhilfsorganisation gemacht werden. Mit der Praxis, die Sie im Auge haben, Frau Kollegin Niggemeyer, kommt man nämlich zu dem Zustand, daß in Gemeinden, in denen eine bestimmte Partei — ich spreche im Augenblick nicht von Ihrer —
die Macht, also die Mehrheit in der Hand hat, diese Partei nun diese Aufgaben dorthin geben kann, wo sie auf eine Jugendhilfsorganisation stoßen, die von derselben Weltanschauung oder Betrachtungsweise her wie sie — die Partei — an die Jugendpflege herangeht. Sie wollen also mit diesem Recht der Delegation „von Gruppen von Geschäften" nichts anderes als ein Zuschieben öffentlicher Aufgaben an bestimmte, Ihnen nahestehende Jugendhilfsorganisationen.
Sie wollen also die Jugendpolitisierung, die einseitige Politisierung, Sie wollen aus der Jugendpflege eine Domäne Ihrer Koalition machen. Das wollen Sie!
Die Sache hat ja nicht nur die Seite der „Leistung",
die Sache hat auch noch die Seite des „Nehmens".
I Ja, ich stehe in der Praxis und kann deshalb aus
der Praxis reden. Es ist nämlich so, daß die Jugendhilfsorganisationen nicht nur geben, sondern auch nehmen.
— Natürlich geben Sie teilweise mehr. Lieber Freund,
der große Kampf ums Nehmen wird doch überall geführt, auch in diesen Organisationen. Deshalb sind wir der Meinung, man soll da außerordentlich vorsichtig sein, wenn man nicht das erreichen will, was Sie offensichtlich zu erreichen bestrebt sind, nämlich eine einseitige politische Ausrichtung der öffentlichen Jugendhilfe und Jugendpflege.
— Frau Weber, wir sind doch beide Essener; wir wissen doch, was auf dem Gebiet möglich ist. Wir alten Essener wissen doch, was z. B. Ihre frühere Partei und Ihre jetzige Partei aus diesen Dingen gedreht haben. Oder ist Ihnen der Begriff des berühmten „Essener Klüngels" ganz abhanden gekommen? Der Begriff ist Ihnen doch noch lebendig. Also, Frau Kaiser, gerade wegen der praktischen Erfahrungen, die wir auf diesem Gebiet haben, -
— Ja, ich habe an Ihre große Mitspielerin in Essen gedacht, an die Frau Kaiser. Es gehört nicht ganz zur Sache; aber bei uns in Essen sagt man zu Recht, daß kein Amt in der Stadtverwaltung ohne die Zustimmung der von mir nebenbei bemerkt sehr hochgeschätzten Frau Kaiser verteilt wird. Solche „Klüngel" gibt es schon bei uns im Dorf, Frau Weber,
und diese „Klüngel" wollen Sie jetzt mit dieser Bestimmung generalisieren und überall dort möglich
machen, wo Sie kräftemäßig — als Partei gemeint
— dominieren.
Also, Frau Niggemeyer, je süßer Sie reden, desto vorsichtiger muß man sein,
um das „Schwänzchen" zu erkennen, das hinter diesen süßen Reden herauskommt. Ich will nicht von Teufelsschwänzchen reden.
So sind die Dinge. Deshalb sollte man sich gegen diese Dinge wehren. Wer eine ehrliche, von der Gesamtheit der Bevölkerung und von der gesamten Gemeindevertretung getragene öffentliche Jugendpflege will, der muß sich verwahren gegen Tendenzen, aus diesen Aufgaben eine Domäne nach politischen Gesichtspunkten aufgeteilter Jugendhilfsorganisationen zu machen. So harmlos sind Sie nämlich gar nicht, Frau Niggemeyer, wie Sie hier tun, und Ihr Verbändchen ist auch nicht so harmlos. Man sollte aus der Jugendhilfe eine ehrliche, saubere öffentliche Angelegenheit machen und kein Geschäft und keine Domäne auch für gewisse Wohlfahrts- und Jugendhilfsorganisationen.
Wenn Sie das nicht wollen, dann müssen Sie dafür sorgen, daß der sozialdemokratische Antrag durchgent. Aber Sie wollen ja auch dabei das Geschäftchen machen. Wir kennen doch die Tendenz Ihrer Organisationen und wir kennen schließlich auch ihre politische Zweckbestimmung.
Es geht Ihnen doch nicht nur um die Sache, sondern 1 es geht auch um die politischen Hintergründe dieser Arbeit. Ihr Nein habe ich vor 30 Jahren schon gehört, und es war damals genau so unrichtig, wie es heute ist.
Keine weiteren Wortmeldungen. Ich schließe die Besprechung zu Art. I.
Ich komme zur Abstimmung, und zwar zunächst über den Antrag der Gruppe des Herrn Abgeordneten Renner Umdruck Nr. 992 betreffend Art. I Ziffer 1 letzter Satz des § 3 Ziffer 3. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag des Herrn Abgeordneten Renner zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Dieser Antrag ist gegen die Stimmen der kommunistischen Gruppe abgelehnt.
Ich bitte die Damen und Herren, die Ziffer 1 — ich nehme gleich die Ziffern 2 und 3 dazu — in der vom Ausschuß vorgeschlagenen Fassung zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
— Meine Damen und Herren, ich hatte angesagt: Ziffer 1, Ziffer 2 und Ziffer 3. Ist das klar gewesen oder nicht? Wenn es nicht klar war, wiederhole ich die Abstimmung. Ich bitte die Damen und Herren, die den Ziffern 1, 2 und 3 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
Zu den Ziffern 4 und 5 liegen unter den Ziffern 1 und 2 des Umdrucks Nr. 974 Änderungsanträge der Fraktion der SPD vor. Da diese Anträge in einer sachlichen Beziehung stehen, sind Sie, meine Damen und Herren, wohl mit einer gemeinsamen Abstimmung darüber einverstanden. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck Nr. 974 Ziffern 1 und 2 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Meine Damen und Herren, versuchen wir es durch Aufstehen! Ich bitte die Damen und Herren, die für den Umdruck Nr. 974 Ziffern 1 und 2 sind, sich von ihren Plätzen zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das zweite ist die Mehrheit; der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag der Abgeordneten Dr. Ilk, Hübner und Genossen auf Umdruck Nr. 980 betreffend § 9 a Abs. 3. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Dieser Antrag ist abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag auf Umdruck Nr. 981. Soll ziffernweise abgestimmt werden oder insgesamt?
— Ich bitte die Damen und Herren, die der Ziffer 1 auf Umdruck Nr. 981 betreffend § 9 a Abs. 1 Buchstabe g zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
Ich bitte die Damen und Herren, die der Ziffer 2 auf Umdruck Nr. 981 betreffend § 9 c Abs. 2 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Dieser Antrag ist abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über den Änderungsantrag der SPD auf Umdruck Nr. 974 Ziffer 3 betreffend Art. I Ziffer 7. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über Ziffer 4 auf Umdruck Nr. 974 betreffend Art. I Ziffer 10. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; dieser Antrag ist abgelehnt.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Art. I unter Berücksichtigung der beschlossenen Änderungen zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. —
—Ich bitte um Entschuldigung: ich hatte das übersehen. Da ist noch der Umdruck Nr. 993 betreffend Ziffer 5, Antrag der Abgeordneten Kemmer, Dr. von Brentano .und Genossen. Er liegt Ihnen vor. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag auf Umdruck Nr. 993 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Meine Damen und Herren, diese Abstimmung ist durch die verschiedenartige Abstimmung unklar. Ich bitte Sie, das im Wege des Hammelsprungs zu entscheiden. Es wird abgestimmt über den Antrag auf Umdruck Nr. 993.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, davon Kenntnis zu nehmen, daß der Unterausschuß „Fischwirtschaft" nicht um 16 Uhr, sondern um 18 Uhr in Zimmer 204 Südflügel tagt.
Ich bitte, mit der Auszählung zu beginnen und die Abstimmung zu beschleunigen.
Ich bitte, die Türen zu schließen. Die Abstimmung ist geschlossen.
Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis der Abstimmung bekannt: Für den Antrag haben gestimmt 149, dagegen 167 Abgeordnete bei 2 Enthaltungen; der Antrag ist abgelehnt.
Ich bitte die Damen und Herren, die unter Berücksichtigung der beschlossenen Änderungen dem Art. I in seiner Gesamtheit zustimmen wollen, die Hand zu erheben. —
— Zu verstehen ist deshalb nicht, weil so viele Unterhaltungen stattfinden. Ich schalte also eine größere Lautstärke ein und bitte die Damen und Herren, die dem Art. I unter Berücksichtigung der beschlossenen Änderungen zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
Ich rufe auf Art. II. — Keine Wortmeldungen! — Ich bitte die Damen und Herren, die Art. II zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
Nun rufe ich auf Art. III. — Keine Wortmeldungen! — Ich bitte die Damen und Herren, die Art. III zustimmen wollen, eine Hand zu erheben. Das ist die Mehrheit; angenommen.
Die SPD hat den Antrag gestellt, einen Art. III a einzufügen. Soll dieser Antrag begründet werden?
— Meine Damen und Herren, sind Sie damit einverstanden, daß wir die zweite Beratung zu Ende führen und dann die Pause eintreten lassen? — Ich stelle Ihr Einverständnis fest.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Keilhack.
Meine Herren und Damen! Wir haben einen Änderungsantrag gestellt, der die sogenannte Stadtstaatenklausel enthält. Die Konstruktion des nach dem Mündlichen Bericht beschlossenen Jugendamtes und Jugendwohlfahrtsausschusses — selbst wenn unsere Änderungsanträge angenommen worden wären, änderte sich daran nichts — verstößt in den wesentlichen Bestimmungen so sehr gegen die Landesverfassungen der Stadtstaaten Hamburg, Bremen und Berlin, daß es nicht möglich ist, das Gesetz ohne eine Sonderbestimmung für diese Länder zu verabschieden. Sie werden aus den Vorlagen ersehen, daß der Bundesrat bereits beim ersten Durchgang diese Sonderbestimmung eingefügt hat und daß die Bundesregierung sie sich auch teilweise zu eigen gemacht hat. Der 33. Ausschuß, der Jugendfürsorgeausschuß, dagegen hat die Übernahme dieser Stadtstaatenklausel für das vorliegende Gesetz abgelehnt, wenn auch — darauf darf ich ausdrücklich aufmerksam machen — mit der sehr knappen Mehrheit von 7 zu-6 Stimmen. Ich gehe wohl kaum fehl in der Annahme, daß die Mitglieder des Ausschusses, die sich bei der Abstimmung der Stimme enthalten haben, inzwischen die Angelegenheit der Stadtstaatenklausel noch einmal überdacht und Klarheit darüber gewonnen haben, welche Situation entstehen würde, wenn diese Stadtstaatenklausel tatsächlich nicht in das Gesetz kommen sollte. Ich glaube daher, daß diese Ausschußmitglieder der Stadtstaatenklausel jetzt ihre Zustimmung geben werden.
Ich darf jedoch den Damen und Herren, die nicht wissen, was die Stadtstaatenklausel beinhalten soll und weshalb diese drei Länder sie dringend brauchen, eine kurze Erläuterung geben. Wir haben in der jetzigen Ziffer 4 des Gesetzentwurfs Formulierungen, die für die Stadtstaaten deshalb nicht annehmbar sind, weil diese kein Satzungsrecht kennen. Sie können keine Regelung durch Satzungsrecht vornehmen, sondern nur durch Ausführungsgesetze auf dem durch ihre Landesverfassungen vorgeschriebenen Wege. Auch der verwaltungsmäßige Einbau des Jugendwohlfahrtsausschusses, wie er im Entwurf vorgesehen ist, ist in diesen drei Ländern einfach nicht möglich, weil dieser nach ihren Verfassungen und nach ihrem Verwaltungsaufbau nicht Teil der Verwaltung sein kann, sondern ihr als mitwirkendes bzw. mitberatendes Organ beigegeben ist.
Auch in Ziffer 5, § 9 a Abs. 1 a, sind Gesetzesbestimmungen eingebaut, die absolut gegen die Verfassungen dieser drei Länder verstoßen, d. h. gegen die in diesen Verfassungen festgelegten Grundsätze der Gewaltenteilung, z. B. dadurch, daß eine Muß-Vorschrift in § 9 a für die Beteiligung von Mitgliedern der Vertretungskörperschaften niedergelegt ist. Diese Tatsache hat also nichts mit den Grundsätzen des § 9 a zu, tun, wie sie in der vorherigen Abstimmung vom Parlament angenommen worden sind, sondern hier handelt es sich um eine Gesetzesfassung, die einfach in die Organisation dieser Stadtstaaten nicht einzubauen ist.
Ferner sind in § 9 a Abs. 1 b Formulierungen enthalten, die die Souveränität der Landesparla-
mente der Stadtstaaten dadurch beeinträchtigen, daß diese an die Vorschläge außerparlamentarischer Gruppen gebunden sind.
Auch die Bestimmungen in § 9 a Abs. 1 c und d passen nicht in das Landesrecht, und zwar aus ähnlichen Gründen, wie ich sie bereits dargelegt habe.
Zu § 9 b lassen Sie mich ebenfalls kurz noch etwas bemerken, damit Sie wirklich die Notwendigkeit einer Stadtstaatenklausel erkennen! Auch § 9 b ist nach den Verfassungen der Stadtstaaten nicht anwendbar; denn der Jugendwohlfahrtsausschuß kann nach diesen Verfassungen nicht unmittelbar an das Landesparlament Anträge stellen. Die Anträge müssen z. B. in meiner Vaterstadt Hamburg direkt an den Senat als die oberste Verwaltungsspitze gestellt werden. Die Antragsteller können auch keine Ausschüsse sein, sondern nur Mitglieder der Vertretungskörperschaft. Alle anderen Anträge würden im Sinne der Landesverfassung als Petitionen gelten, die jeder Staatsbürger einreichen kann.
Auch der § 9 c ergibt keine Grundlage für einen Einbau in diese Landesverfassungen. Die Landesregierungen können nach den Verfassungen nicht an Beschlüsse gebunden werden, die Ausschüsse — in diesem Falle der Jugendwohlfahrtsausschuß — fassen.
Entsprechendes gilt für Abs. 2. Der Leiter der Verwaltung ist z. B. bei den Jugendämtern Hamburg und Bremen der Senator. Er wird von der Landesregierung beauftragt, und es ist nicht möglich, die Landesregierung an die Vorschläge des Ausschusses zu binden, d. h. der Ausschuß kann nicht sagen, welcher Senator dem Jugendamt vorstehen soll.
Auf § 10 trifft Ähnliches zu, ebenso auf § 14. Deshalb haben wir unseren Änderungsantrag Umdruck 975 gestellt. Meine Herren und Damen, mir fällt die Begründung zu diesem Antrag um so leichter, weil die Forderungen der Stadtstaaten wirklich sehr berechtigt sind und weil der Sinn dieses Gesetzes, nämlich die Verlebendigung der Arbeit der Jugendämter, gerade in den Stadtstaaten — das werden die Herren und Damen bestätigen, die aus eigenem Augenschein diese Arbeit kennen - kaum besser erfüllt werden kann. Eine uneingeschränkte Ausdehnung dieses Gesetzes auf diese drei Länder mit dem Ziel der Verbesserung der Arbeitsgrundlagen ihrer Jugendämter ist wirklich nicht mehr notwendig; dagegen schafft sie ganz unnötige Debatten, auch im Bundesrat, der ganz zweifellos, wenn wir die Stadtstaatenklausel hier nicht einbauen, den Vermittlungsausschuß anrufen wird.
Uns dagegen — wir sind uns da durch alle Fraktionen einig; das darf ich hier noch einmal betonen, obgleich Sie unsere Änderungsanträge nicht angenommen haben — liegt an dem Gesetz außerordentlich viel, wie allen, die in der Jugendarbeit stehen. Wir möchten also gern, daß dieses Gesetz durchgeht und ohne große Einwendungen vom Bundesrat angenommen wird. Die öffentliche und die freie Arbeit warten aus dringenden Gründen schon lange darauf. Es würde sicherlich nicht verstanden werden, wenn der Bundestag durch die Ablehnung unseres Antrags, d. h. durch die Ablehnung der Stadtstaatenklausel, das Gesetz der Gefahr aussetzte, daß es in diesem Bundestag nicht mehr zum Zuge kommt, weil der Bundesrat es aufhalten und an den Vermittlungsausschuß
geben wird. Ich bitte Sie deshalb sehr, unserem Änderungsantrag zur Stadtstaatenklausel Ihre Zustimmung zu geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Kemmer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie, diesen Änderungsantrag abzulehnen. Nicht nur die Stadtstaatenverfassungen, sondern auch die Gemeindeverfassungen werden durch die Novelle berührt. Es geht also nicht nur um die Stadtstaaten. Die Stadtstaaten haben nach dieser Novelle die Möglichkeit, mehrere Jugendämter zu errichten, ein eigenes Landesjugendamt zu errichten oder beizubehalten oder nur ein Jugendamt ohne Landesjugendamt. Alle diese Möglichkeiten sind gegeben. Uns aber geht es nur darum — und darum geht es in Wirklichkeit bei diesem Streitgespräch, das wir ja nun seit fast einem Jahr führen —,
den freien Verbänden ein Mitbestimmungsrecht im
Jugendamt bzw. im Landesjugendamt einzuräumen.
Das ist die einmütige Forderung auch der kommunalen Spitzenverbände. Bei dem Zustandekommen dieser Forderung waren die Herren Oberbürgermeister von Hamburg und Bremen mit dabei.
— Mindestens von Hamburg! — Wir sehen also nicht ein, warum gerade in Hamburg, Bremen und Berlin die freien Verbände nicht auch ein Mitbestimmungsrecht im Jugendwohlfahrtsausschuß haben sollen.
Ich bitte deshalb, den Antrag der SPD abzulehnen.
Meine Damen und Herren, keine weiteren Wortmeldungen. — Ich schließe die Besprechung zu Art. III a.
Ich bitte die Damen 'und Herren, die dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck Nr. 975 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Meine Damen 'und Herren, der Sitzungsvorstand ist sich nicht einig. Ich bitte, die Abstimmung im Wege des Hammeisprungs vorzunehmen.
Ich bitte, mit der Auszählung 'zu beginnen.
Ich bitte, die Türen zu schließen. — Die Abstimmung ist geschlossen.
Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis der Abstimmung bekannt. Für den Antrag haben gestimmt 149 Abgeordnete, gegen' den Antrag 150 bei 5 Enthaltungen. Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe auf den Art. IV und den Art. V, die Einleitung und die Überschrift. Ich bitte die Damen und Herren, die den Artikeln IV und V, der Einleitung und der Überschrift zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
Meine Damen und Herren, entsprechend unserer Vereinbarung unter b r e c h e n wir jetzt die Sitzung bis 17 Uhr 30 Minuten. Wir beginnen dann mit der dritten Beratung dieses Gesetzes.
Die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP haben sofort nach der Unterbrechung Fraktionssitzung.
Ich unterbreche die Sitzung für eine Stunde bis 17 Uhr 30 Minuten.
Die Sitzung wird um 17 Uhr 44 Minuten wieder eröffnet.
Meine Damen und Herren, ich eröffne die unterbrochene Sitzung wieder.
Wir beginnen mit der
allgemeinen Aussprache der
dritten Beratung
zum Reichsjugendwohlfahrtsgesetz.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Heiler.
Es sind zwei Änderungsanträge gestellt worden. Die Fraktion der SPD wiederholt den Antrag bezüglich der §§ 9 a bis d aus der zweiten Beratung und den Antrag bezüglich des Art. III a. Ich darf unterstellen, daß Sie die Umdrucke noch zur Hand haben, so daß sich eine Vervielfältigung erübrigt.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Während der zweiten Beratung ist mehrfach auf die eigentümliche Geschichte des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes hingewiesen worden, eine Geschichte so exzeptioneller Art, daß man sie nicht umgehen kann, wenn man zu dieser Novelle spricht. Denn noch ehe das Gesetz überhaupt in Kraft trat, wurde durch eine Verordnung ein wesentliches Stück daraus herausgebrochen. Der dadurch entstandene Torso hat sich über 30 Jahre hin erhalten. Man hat während der Jahre 1920 bis 1922, als das Gesetz im Deutschen Reichstag der Weimarer Republik beraten wurde, große Hoffnungen und Erwartungen gehegt. Man wollte nicht nur die vor 1922 auf eine Vielzahl von Behörden verteilte und der Zuständigkeit nach zersplitterte Jugendhilfe vereinheitlichen und in einer Behörde des Landes bzw. der Gemeinde zusammenfassen; man wollte vielmehr die Fürsorge für die Jugend in ihrer ganzen Breite, soweit nicht Elternhaus und Schule diese Aufgaben erfüllen, aufgreifen.
Das Jugendamt sollte der Ort sein für jugendfürsorgerische Maßnahmen an gefährdeten Jugendlichen wie auch für jugendpflegerische Aufgaben für Kleinkinder, schulpflichtige und schulentlassene Jugend. Unter dem Schutz des Jugendamtes sollten Mütter und Säuglinge stehen. Den hilfsbedürftigen Minderjährigen sollte Pflege, Erziehung und Berufsausbildung von dorther gegeben werden. Nicht nur schon bestehenden Nöten, Schwierigkeiten und Fehlentwicklungen sollte abgeholfen, nicht nur Besserungsversuche bei körperlichen und sittlichen Schäden sollten gemacht, sondern rechtzeitige, dauernde und gründliche vorbeugende Maßnahmen gegenüber etwa sich zeigenden Mängeln der körperlichen, geistigen und sittlichen Entwicklung der Minderjährigen sollten getroffen werden. Es war ein Feld nicht der bloßen Paragraphenerfüllung, sondern einer in lebendiger Erzieherverpflichtung gemeinsam mit den Männern und Frauen der freien
Liebestätigkeit sich entfaltenden Amtsarbeit. Jugendamt — das sollte einen besonderen Klang haben. Es sollte nicht eine Behörde im üblichen Sinne gemeindlicher Verwaltungsbehörden sein. Die Arbeit sollte voller Vielfältigkeit sein und die ganze Jugend umfassen. Aber eineinhalb Jahre nach der Verkündung dieses wahrhaft mutigen und wegweisenden Gesetzes, noch vor seinem Inkrafttreten, wurde ein wichtiges Stück herausgebrochen und alles, was wir heute mit Jugendförderung, mit Jugendpflege bezeichnen, dem Pflichtbereich entnommen. Alle prophylaktischen Aufgaben waren damit als nicht mehr verpflichtend, als bloße Kannvorschriften im Gesetz gegeben. Nur das, was die verwahrloste oder die von Verwahrlosung bedrohte Jugend betraf, war noch Pflichtaufgabe.
Der wichtige § 4, der den Zweck hat, Einrichtungen und Veranstaltungen für die Jugendpflege anzuregen, zu fördern und gegebenenfalls zu schaffen, wurde aufgehoben, ebenso wie die Verpflichtung der berufsfördernden Maßnahmen für hilfsbedürftige Jugendliche.
Das Reich, die Länder, die Gemeinden, die eben erst den Schock der Inflation überwunden hatten, hatten kein Geld für ihre Jugend. Es trat das ein, was eine der Mitarbeiterinnen an diesem Gesetz, Dr. Marie Baum, in der 58. Sitzung des Deutschen Reichstags als Befürchtung und Warnung ausgesprochen hatte:
Wenn wir heute diese Frage
— nämlich die Frage einer umfassenden Jugendhilfe —
an Geldschwierigkeiten scheitern lassen, wer weiß, was die Folge sein wird, ob wir nicht nachher die jetzt verweigerten Beträge in zehn-
und zwanzigfacher Höhe werden zahlen müssen.
Das war 1921. Ich frage Sie: Hat Marie Baum nicht
recht gehabt, hat sie nicht allzusehr recht gehabt?
Während der Nazizeit kam der zweite Einbruch, der das in besonderem Maße nach demokratischen Prinzipien aufgebaute Jugendamt dem Führerprinzip unterordnete. Wenn auch der § 6 blieb, der die Einschaltung der Fürsorgeverbände, der freien Jugendverbände noch beließ, so waren doch eben diese Verbände alle auch dem Führerprinzip unterstellt, waren gleichgeschaltet. Damit war die Unterordnung unter das Führerprinzip auch für sie vollzogen.
Nach 1945 sind an vielen Orten, in Städten und auf dem Lande von seiten der Landesbehörden wie von seiten einzelner Gemeinden angesichts der materiellen, geistigen und sittlichen Notlage unserer Jugend, angesichts der Wohnungsenge der Familien, der Flüchtlingsnot wie der Notlage der einheimischen Jugend die jugendpflegerischen Aufgaben teilweise mit erheblichem finanziellen Einsatz in Angriff genommen worden. Das war und ist als eine pädagogisch und kulturell wertvolle Tat zu begrüßen, aber diese Maßnahmen entbehrten der gesetzlichen Basis. Dadurch war es nicht nur den Vertretungskörperschaften oft schwer, die Geldmittel für diese Aufgaben zur Verfügung zu stellen. Es kam dazu, daß die ressortmäßige Zuordnung der Jugendwohlfahrt sich bei den Regierungen der Länder wie auch in der Form der vorhandenen Jugendämter in den Gemeinden mit außerordentlicher Unterschiedlichkeit entwickelte.
Den zerstörenden Eingriffen aus den Jahren 1924 und 1939 will die nun vorliegende Novelle entge-
gentreten, teils, indem sie wiederherstellt, was ursprünglich war oder der Intention nach sein sollte, teils aber auch, indem sie auf Grund der Erfahrungen fortentwickelt und gestaltet. Das große Haupt- und Kernstück der Novelle ist die Wiederaufnahme des § 4, während der Wortlaut der Novelle Art. II den Art. 8 des Einführungsgesetzes in der Fassung der Verordnung vom 14. Februar 1924 aufhebt.
Es ist die Wiederherstellung dessen, was an jugendfördernden und vorbeugenden Aufgaben dem Jugendamt als Pflichtaufgaben zugewiesen sein soll, nicht so freilich, daß die Behörde, das Jugendamt, alle diese Aufgaben und Maßnahmen selbst erfüllen, alle diese Einrichtungen und Veranstaltungen selber schaffen soll. Vielmehr hat unter Anerkennung des Subsidiaritätsprinzips das Amt nur gegebenenfalls die Aufgaben anzugreifen. Seine erste Aufgabe auf diesem Gebiet der Jugendhilfe heißt anregen, fördern, auch finanziell fördern. Man denke an Kindergärten, Kinderhorte, Kindertagesstätten, an Heime der offenen Tür, an Sportplätze und Schwimmbäder, an Jugendorchester und Jugendbüchereien, an Zeltlager und Ferienerholungsfahrten.
Anregen und fördern soll das Jugendamt bei der organisierten Jugend, aber auch bei den Wohlfahrtsverbänden. In dieser Hinsicht soll das neue Jugendamt nach § 6 des Jugendwohlfahrtsgesetzes wieder voll zur Geltung kommen gegenüber den humanitären wie den kirchlichen Wohlfahrtsverbänden, um mit ihnen, wie §§ 6 sagt, „zum Zwecke eines planvollen Ineinandergreifens aller Organe der öffentlichen und privaten Jugendhilfe zusammenzuwirken".
Es verdient festgehalten und hier wiederholt zu werden, was Dr. Marie Elisabeth Lüders anläßlich der zweiten Lesung des Gesetzes am 14. Juni 1922 in der 226. Sitzung des Deutschen Reichstags gesagt hat:
Es wäre nichts törichter, nichts dem Zwecke dieses Gesetzes abträglicher, nichts bewiese eine größere Unkenntnis der tatsächlichen Verhältnisse in der Wohlfahrtspflege als etwa die Erfüllung ides hier und da aus schlechten Einzelerfahrungen resultierenden Verlangens nach Ausmerzung der Organisationen der freien Liebestätigkeit.
Die Zentrumsabgeordnete Frau Agnes Neuhaus hat während der gleichen Beratung gegenüber der Besorgnis der Verstaatlichung der freien Liebestätigkeit durch die Errichtung der Jugendämter, indem sie diese Bedenken zurückwies, gesagt:
Noch nie ist die freie Liebestätigkeit so gehoben, so auf festen Boden gestellt wie in diesem Gesetz.
Wir teilen diese Ansicht. Auch wir wollen — und das ist ein zweiter wichtiger Gesichtspunkt —die freie Wohlfahrt und die Tätigkeit der Jugendorganisationen nicht neben das Jugendamt stellen, sondern wünschen, daß sie ein lebendiges Glied des Jugendamts sind. Ein Jugendamt, das in erster Linie Behörde ist, in dem die Aktenführung und die Verwaltung das Wichtigste sind und der Mensch am Rande steht, ist kein echtes Jugendamt. Es ist da um der Menschen willen und soll, wo es noch
nicht besteht, in den Gemeinden und Kreisen wie in den Ländern geschaffen werden eben um der Menschen willen.
Das scheint uns um so mehr gewährleistet, je mehr die freiwilligen Kräfte verantwortlich in das Jugendamt einbezogen werden. Darum haben wir die besondere und vielleicht nicht ganz einfache Konstruktion des Jugendamts in seiner Zweiteilung — bestehend aus Jugendwohlfahrtsausschuß und Behörde mit Dienststellenleiter — gewählt. Sie beide zusammen — der Ausschuß und die Verwaltung des Jugendamts — bilden das Jugendamt. Sie zusammen sind erst das Ganze. Sie sollen miteinander die Aufgaben dieses Gesetzes wahrnehmen. Darum sind wir auch bei des Zusammensetzung des Ausschusses auf die Form zurückgegangen, wie sie im Gesetz von 1922 festgelegt war, wonach freie Vereinigungen und Verbände ein. Anrecht auf 2/5 der stimmberechtigten Mitglieder haben. Weil wir nicht nur die politischen Vertretungskörperschaften über Fragen der Jugendhilfe beschließen lassen wollen, sondern weil uns die Jugendwohlfahrt so sehr Aufgabe und Verpflichtung des ganzen Volkes ist, wünschen wir, daß die gewählten Vertreter aus Stadtverordnetenversammlung, Kreistagen und Landesparlamenten, die immerhin 3/, der Stimmen im Ausschuß haben, zusammen mit den in der Jugendpflege und Jugendfürsorge erfahrenen und tätigen Männern und Frauen im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten beschließende Vollmacht haben. Neben ihnen mögen und sollen dann weitere Männer und Frauen als beratende Mitglieder dem Ausschuß angehören.
Und ein Drittes scheint mir wichtig und für die Durchführung dieses Gesetzes von entscheidender Bedeutung zu sein. Es kommt hier Wohl mehr als sonst alles auf den Menschen an, der die Paragraphen durchführt, der ihnen Leben einhauchen soll. Wir brauchen Menschen, die in lebendiger und frischer Initiative die Arbeit an der Jugend in Stadt und Land beginnen, die sich die Zeit nehmen für vorausschauende, planende Arbeit an der Jugend und mit der Jugend, die nicht erst Jugendhilfe einsetzen lassen, wenn ein gesetzlich faßbarer Tatbestand dazu zwingt, die nicht zufrieden sind mit einer gut geführten Kartei, mit einer Adrema-Fürsorge. Wir brauchen Menschen, die bei aller begeisterten und opferbereiten Hingabe in ihrer Arbeit für Kinder und Jugendliche doch nicht vergessen, daß die Familie als Lebensgrund .des Kindes von größerer Wichtigkeit ist als alle Fürsorge von außen und daß wir dem Jugendlichen mehr helfen, wenn wir ihn in die Familie eingliedern, wenn wir die Familie stärken, damit sie den Jugendlichen in ihre Gemeinschaft einschließt, als wenn wir ihn Abend für Abend und Sonntag für Sonntag zu noch so schönen Veranstaltungen aus der Familie herausholen.
Wo sind die Jugendpfleger und die Fürsorgerinnen und die Beamten des Jugendamtes, die davon wissen, daß sie nur da eine Aufgabe übernehmen dürfen, wo die Familie dem Jugendlichen gegenüber nicht ausreicht — und bei der Kompliziertheit und Unübersehbarkeit unserer heutigen gesellschaftlichen Verhältnisse reicht die Familie oft genug nicht aus — oder wo, wie es leider -so oft der Fall ist, die Familie wirklich versagt? Wo sind die Menschen, die auch dann noch bereit und fähig sind zu all den vielfältigen Aufgaben der Jugendhilfe? Damit im Jugendamt soweit wie möglich solche Menschen tätig werden, Menschen mit
sachlichen Kenntnissen in den Fragen der Sozialpädagogik, der Psychologie, der Gesetzeskunde, der Jugendkriminalität und Jugendführung, der Erziehungsberatung und der Freizeitgestaltung, darum fordern wir vom Leiter der Verwaltung, daß er auf Grund seines Charakters, seiner Kenntnisse und Erfahrungen und auch einer fachlichen Ausbildung besondere Eignung für die Jugendhilfe mitbringt. Es ist falsche Sparsamkeit, im Jugendamt den Allround-Beamten einsetzen zu wollen.
Ebenso verlangen wir für die 'Facharbeiter von den Ländern Richtlinien, die in erster Linie die besonderen Aufgaben der Jugendpflege und Jugendfürsorge im Auge haben, wenn sie die Fragen der Ausbildung und Anstellung von Fachkräften in den Jugendämtern festlegen. Auch unsere Kommunalpolitiker, in deren Hände wir ja dieses Gesetz in erster Linie legen, werden erkennen, daß die Aufgabe am Menschen über aller Verwaltungsarbeit stehen muß. Ich weiß, daß unsere führenden Gemeindebeamten wie unsere Gemeindevertreter, wenn sie sich recht besinnen, sagen werden, daß das Schicksal unserer Jugend höher steht als Grundstücksverwaltung oder Kanalisation. Das Recht der Jugend ist das Lebensrecht unseres Volkes. Was wir an jungen Menschen nicht entwickeln, wird für unser Volk immer verloren sein.
Aber auch den freien Verbänden und Jugendorganisationen legt dieses Gesetz Pflichten auf, Pflichten, die sie wohl zum Teil immer schon erfüllt haben, die sie nicht einmal gern abgeben wollen. Es sind Pflichten, die von der Liebe und nicht von Paragraphen diktiert sind, die man darum letztlich auch nicht in Paragraphen fassen kann.
Wenn das neue Jugendwohlfahrtsgesetz aus dem Geiste echter Menschenliebe angepackt und zur Erfüllung gebracht wird, dann werden fiskalische oder organisatorische Schwierigkeiten kein Hindernis bilden können für das, was ein warmes Herz gebietet, was das Gesetz jetzt rechtlich ermöglicht und was letztlich, wenn es dem Wohle unserer Jugend in allen Bevölkerungsschichten dient, die Zukunft unseres Volkes baut.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hübner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Notwendigkeit und Dringlichkeit der Verabschiedung dieser Novelle ist diesem Hohen Hause erst vor wenigen Wochen mit einer erschreckenden Deutlichkeit demonstriert worden, als über Maßnahmen gegen die Gefährdung der Jugend in einigen Gebieten des Landes Rheinland-Pfalz beraten wurde. Hier wurde nämlich sichtbar, daß die Gefahren für die Jugend, die bisher ihren Hort nur in den größeren Städten und in den Großstädten hatten, jetzt eine Wanderung auf das Land bis in die kleinsten Ortschaften hinein angetreten haben. Dabei zeigte sich gleichzeitig 'das Unvermögen dieser kleineren Gemeinden', den Gefahren mit ausreichenden Mitteln begegnen zu können, weil hier eine ausreichende .Jugendpflege, wie sie in den größeren Städten vorhanden ist, um die Gefahren zu neutralisieren, fehlt. In richtiger Abschätzung dieser Situation, die die genannte Entwicklung nicht für eine vorübergehende Erscheinung hält, will die Novelle nun eine Lücke in dem Ring zum Schutze der Jugend schließen, indem sie keine Instanz mehr der Verpflichtung enthebt, Jugendarbeit zu treiben.
Auch wir sehen den Kernpunkt der Novelle darin, daß die Lenkung der Jugendarbeit durch einen mit Beschlußkraft ausgestatteten Jugendwohlfahrtsausschuß erfolgt. Diese Regelung findet aber erst ihre richtige Bedeutung dadurch, daß sie zur Berufung von Vertretern der Jugendverbände und -organisationen verpflichtet. Wir machen uns die Hoffnung, daß diese Vertreter 'der Jugend nicht nur der Jugendarbeit eine bessere Kenntnis der Jugendnot vermitteln werden, sondern daß sie auch mehr das Ohr der Jugend besitzen werden, um die Jugend vor den Gefahren, die sie bedrohen, bewahren zu können. Die gemeinsame Ausschußarbeit der Vertreter der Jugend in den Jugendwohlfahrtsausschüssen mit denen der Vertretungskörperschaften, die ja schließlich über den Jugendetat mit zu befinden und zu beschließen haben, wird überdies manche überspitzte Hoffnung dämpfen können. Sie- wird andererseits auch den Blick der Vertreter dieser Vertretungskörperschaften für die Forderungen der Jugend weiten können.
Von nicht zu unterschätzender Bedeutung sind für uns die Bestimmungen über die fachliche Vorbildung des Leiters der Verwaltung — ich habe darüber bereits gelegentlich der Begründung unseres Änderungsantrags Ausführungen gemacht — und die Bestimmungen über die von den Ländern zu treffende Regelung bezüglich der Laufbahnrichtlinien. Diese Bestimmungen werden erst die Gewähr dafür geben, daß nur mit der Jugend verbundene Kräfte 'an die Jugendarbeit herankommen. Ich glaube, daß die Forderung nach Heranziehung der Jugend zu der Arbeit der Jugendwohlfahrtsausschüsse nicht so nachdrücklich vertreten worden wäre, wenn man in der Vergangenheit einen Weg gefunden hätte, der die Angehörigen der Jugendarbeit zu tüchtigen Verwaltungspraktikern gemacht hätte. Ich bin mir dabei völlig klar darüber, daß sich keine Verwaltung den Luxus leisten kann, Spezialisten mit einem engen Verwendungsspielraum zu beschäftigen. Aber die Erfahrungen mit den technischen Laufbahnen der Bundesbahn und der Bundespost haben gezeigt, daß man aus Spezialisten durchaus gute Fachkräfte mit einer ansprechenden Einsatzbreite gewinnen kann.
Der Sinn der Novelle liegt für uns in dem Bestreben, die Jugendarbeit aus der nüchternen Verwaltungsperspektive herauszunehmen und in eine wirklich lebendige Beziehung zur Jugend zu stellen. Wir sind uns dabei aber dessen bewußt, daß weite Bereiche des Jugendlebens weder im Gesetzesrahmen noch im Verwaltungsrahmen ihre Förderung finden können. Sie sind und werden immer die Domäne der Familie bleiben. Die Stärkung des Familienlebens ist deshalb für uns nach wie vor die beste, die intensivste und die unersetzliche Jugendarbeit.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Ribbeheger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jeder, der um die Jugend als lebendigen Regenerationsquell unseres Volkes weiß, der die besondere geistige und materielle Not unserer Jugend nach 1945 kennengelernt hat, und jeder, der selbst in der praktischen Arbeit für unsere Jugend steht, wird es heute freudig begrüßen, daß am Ende dieser Legislaturperiode diese Novelle jetzt in dritter Lesung zur Verabschiedung steht.
Durch die bundeseinheitliche Regelung und Neufassung im Reichsjugendwohlfahrtsgesetz wird der Geist der Gewalt und der Vergewaltigung des Nationalsozialismus beseitigt. Wir begrüßen es sehr, daß das Bundesinnenministerium uns eine Novelle vorgelegt hat, die dem Gedanken der Selbstverwaltung in voller Farm Rechnung trägt. Zwar ist die Aufgabe der Jugendwohlfahrt als Pflichtaufgabe den Gemeinden übertragen, aber dennoch in völliger und freier Selbstverwaltung.
Es ist besonders zu begrüßen, daß auch der Begriff des Jugendamts klar und unmißverständlich formuliert worden ist, daß unter diesem Begriff „Jugendamt" nicht nur eine Behörde verstanden werden kann, sondern daß sich hier erstmalig im Jugendamt sowohl die Behörde als auch die freien Kräfte, die im Raum der Gemeinde wirken und tätig werden, zu gemeinsamer Aufgabe finden können.
Es ist hier hervorzuheben, daß der Jugendwohlfahrtsausschuß, der ein Teil des Jugendamtes ist, so zusammengesetzt ist, daß zu drei Fünfteln die Vertretung der Gemeinde mit beschlußfassend sein kann, daß darüber hinaus zwei Fünftel aus den freien Jugendorganisationen und -verbänden hinzukommen, und daß dieser Jugendausschuß völlig frei entscheiden kann.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auf den zur dritten Lesung neu gestellten Antrag der Fraktion der SPD kurz eingehen. Meines Erachtens ist es nicht tunlich, in ein Gesetz hineinzuarbeiten, daß neben dem Jugendausschuß noch ein sogenanntes Jugendkuratorium geschaffen werden soll. Wir sollten die Frage der Bildung eines Kuratoriums den Gemeinden selbst bzw. 'den Jugendämtern selbst überlassen. Es steht dem nichts im Wege, daß sie in ihren Satzungen sich selbst ein Kuratorium oder einen Beirat - oder wie immer man die Dinge nennen mag — schaffen,
wie es auch heute 'bei den Gemeinden üblich ist, Ausschüsse zu bilden je nach Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit. Aus diesem Grunde ist meine Fraktion nicht in der Lage, den zur dritten Lesung gestellten Antrag der Fraktion der SPD zu § 9 a der Novelle zu unterstützen.
Wir sind besonders darüber erfreut, daß das Landesjugendamt an der Kommunalaufsicht mitbeteiligt wird, um auch auf diesem Gebiet — Sie wissen alle, ich komme aus dem Lande NordrheinWestfalen, und wir müssen beklagen, daß z. B. der Regierungspräsident nicht genügend parlamentarische Kontrolle hat — durch das Landesjugendamt die Kommunalaufsicht für die Durchführung der Jugendarbeit einzuschalten. Ich halte das für einen sehr großen Vorteil, da auf diese Weise auch eine Überwachung der Durchführung der Auf gaben der Jugendfürsorge und Jugendwohlfahrt garantiert erscheint.
Zum Schluß sei mir noch ein Wort gestattet. Die Fraktion der CDU/CSU hat 'dem Hohen Hause einen Entschließungsantrag vorgelegt. Die Fraktion der Föderalistischen Union erklärt sich inhaltlich mit diesem Antrage völlig einverstanden und wird ihn auch, obschon sie nicht angehalten war, ihn zu unterzeichnen, unterstützen, weil sie zum Inhalt dieser Entschließung hundertprozentig steht, in der Gewißheit, daß wir mit der Verabschiedung der Novelle das erreichen, was wir uns alle gewünscht haben, nämlich 'das lebendige Jugendamt in freier Selbstverantwortung.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schanzenbach.
Frau Schanzenbach : Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Als Nr. 31 der Drucksachen des Bundestages liegt eine Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion bezüglich des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes vor. Die Regierung hat fast dreieinhalb Jahre benötigt, bis die Novelle dem Bundestag vorgelegt werden konnte, und erst in einer 'der letzten Sitzungen 'dieses Hauses kann dieses wichtige fürsorgerische Gesetz verabschiedet werden. Bei der Wichtigkeit des Gesetzes wäre eine frühere Vorlage durch die Regierung erforderlich gewesen, nachdem bereits im Januar 1950 die Verbände der freien Wohlfahrtspflege Vorschläge für diese Novelle unterbreitet hatten und da der Regierung die Notstände, unter denen unsere Jugend durch den Krieg und die Nachkriegszeit heute noch zu leiden hat, in weitem Umfange bekannt sind.
Die sozialdemokratische Fraktion hat sich in dieser Legislaturperiode immer wieder für positive Maßnahmen zur Bekämpfung der Jugendnot eingesetzt und ' an allen Gesetzesvorlagen weitestgehend mitgearbeitet. Die in der dritten Beratung anstehende Novelle sollte eines der wichtigsten Gesetze zur Bekämpfung der Jugendnot und zur Schaffung von Förderungsmaßnahmen für die gesamte Jugend sein. Sie soll helfen, den in § 1 fixierten Rechtsanspruch eines jeden deutschen Kindes auf Erziehung zur leiblichen, seelischen und gesellschaftlichen Tüchtigkeit zu sichern. Der Jugend gesunde Lebensverhältnisse zu schaffen, steht im engsten Zusammenhang mit der gesamten Wirtschafts- und Sozialpolitik. Aber auch die ausgesprochenen Jugendschutzgesetze tragen ihren Teil zur. normalen Entwicklung unserer Jugend bei.
Das vorliegende Gesetz kann jedoch nur wirksam werden, wenn in der breiten Öffentlichkeit das Interesse und das Verständnis für Jugendfragen wächst und wenn die in unserer Demokratie vom Volk gewählten Vertreter in den zuständigen Vertretungskörperschaften- und Ausschüssen sich verständnisvoll für alle Maßnahmen einsetzen, die der gesunden Entwicklung unserer Jugend dienen.
Wir halten es für richtig, daß die öffentliche Jugendhilfe durch diese Novelle Selbstverwaltungsangelegenheit der Gemeinden und Gemeindeverbände wird. Wir hätten gewünscht, daß der Jugendamtsausschuß entsprechend den geltenden Gemeindeordnungen gebildet worden wäre. Wir sind im Ausschuß mit unseren Vorstellungen nicht durchgedrungen und haben deshalb in der zweiten Lesung unsere begründeten Änderungsvorschläge eingebracht. Wir sind der Überzeugung, daß der Jugendamtsausschuß nach der in der 'zweiten Lesung beschlossenen Fassung keine Gewähr für eine gute Förderung der Jugendarbeit gibt.
Auch bei den Besichtigungen, die der Jugendfürsorgeausschuß des Bundestages in den verschiedenen Ländern durchgeführt hat, haben die Fachleute immer wieder betont, daß ein Ausschuß in dieser Größe einfach nicht arbeitsfähig ist.
Wir können aus unseren eigenen Erfahrungen diese Feststellungen nur bestätigen.
Meine Kollegin Frau Keilhack hat hierzu in der zweiten Lesung eine ausführliche Begründung gegeben. Wenn wir schon den Gemeinden und Kreisen die Aufgaben aus diesem Gesetz als Selbstverwaltungsangelegenheit zugestehen, dann sollten wir die Gemeindeordnungen nicht mit einer so tiefgreifenden Sondervorschrift durchbrechen.
Die Jugendnot war in Deutschland wohl noch nie so groß wie in unserer Zeit. Es muß deshalb eine der wichtigsten staatspolitischen Aufgaben sein, sie zu beheben. Darüber hat es in diesem Hause noch keine Meinungsverschiedenheiten gegeben. Eine wesentliche Verbesserung in der Fürsorge für die Jugend dürfte sich durch die Einführung des § 4 des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes als Pflichtaufgabe ergeben. Zwar hatte der Bundesrat gegen die Einführung dieses Paragraphen in dem vorliegenden Gesetz finanzielle Bedenken. Wir hoffen jedoch, daß die Länder von der Wichtigkeit der Erfüllung dieser vorbeugenden Wohlfahrtsarbeit überzeugt sind und im Bundesrat ihre Zustimmung hierzu nicht mehr versagen werden. Die Gemeinden ihrerseits sollten die Einsicht haben, daß vorbeugende Jugendarbeit immer billiger ist als heilende und daß sie vor allen Dingen viel menschliches Leid ersparen helfen kann. In der Gemeinde ist die Not der Jugend am deutlichsten sichtbar. Ich will nur einige Hinweise geben, die deutlich machen sollen, wie die Novelle durch den § 4 eingreifen soll. So sind familien- und erziehungsergänzende Einrichtungen notwendig für Kinder erwerbstätiger Mütter, für die Erziehung schwieriger und gefährdeter Kinder und für Kinder, die in schlechten und unzureichenden Wohnungen leben. Diese Einrichtungen dürfen keine Bewahranstalten sein, in denen man die Kinder sammelt; vielmehr sind Krippen, Kindergärten und Horte nötig, die den gesundheitlichen Ansprüchen gerecht werden und von pädagogisch und fürsorgerisch geschulten verständnisvollen Menschen geleitet werden, die dem Kind in allen seinen Nöten helfend zur Seite stehen können.
Wir brauchen besonders in den Großstädten „Heime der offenen Tür", um die Jugend vor den Gefahren der Straße zu bewahren, und wir brauchen Jugendheime, die den Jugendverbänden zur Verfügung stehen. Erziehungsberatungsstellen, die mit guten Fachkräften besetzt sind, können eine außerordentlich vorbeugende jugendfürsorgerische Arbeit leisten. Durch die Maßnahmen des § 4 kann den Familien eine wesentliche Hilfe zuteil werden. Sie sind ein Teil einer guten Familienpolitik. Wir sind davon überzeugt, daß diese Aufgabe nur bei einer aufgeschlossenen und verantwortungsbewußten Vertretungskörperschaft in Angriff genommen werden kann.
Der § 4 des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes ist das Kernstück dieser Novelle. Ohne seine Annahme hätte die Novelle ihren Sinn überhaupt verloren. Die Aufgaben des § 4 dürfen nicht nur vom finanziellen Standpunkt aus gesehen werden, sondern ausschlaggebend muß allein das Kind, muß der Jugendliche in seinen Bedürfnissen und in seinen Nöten sein.
So wichtig der Bau einer Straße sein kann, noch
vordringlicher ist das gesunde Heranwachsen unserer Kinder. Durch die Erfüllung des § 4 kann das Jugendamt die lebendige Jugendbehörde werden, die wir durch dieses Gesetz schaffen wollen. Bisher war es den meisten Jugendämtern nur möglich, fürsorgerische Aufgaben durchzuführen. Wenn wir jedoch der Jugendnot begegnen wollen, müssen wir ein Jugendamt schaffen, das Mittelpunkt aller Jugendhilfe sein kann.
In dieser Novelle wird besonderer Wert auf die Zusammenarbeit zwischen der öffentlichen und der freien Jugendhilfe und in der Jugendhilfe erfahrenen und bewährten Männern und Frauen gelegt. Es liegt uns sehr viel daran, daß alle in der Jugendarbeit stehenden Kräfte und Einrichtungen sinnvoll zur Hilfe an der Jugend eingesetzt werden. Deshalb muß das Jugendamt und muß insbesondere der Jugendamtsausschuß Mittelpunkt aller dieser Bestrebungen werden. Von hier aus sollten alle Möglichkeiten der Jugendhilfe erarbeitet und verwirklicht werden. Die Zusammenarbeit zwischen der öffentlichen und der freien Jugendhilfe kann aber nicht darin bestehen, daß durch die Delegation von Gruppen von Geschäften das Jugendamt ausgehöhlt und in seiner Funktion weitgehend lahmgelegt wird. Durch eine solche Regelung würde keine nennenswerte Einsparung vorgenommen werden; denn auch die freien Wohlfahrtsverbände und die Verbände der Jugendhilfe sind auf die Zuweisung öffentlicher Mittel angewiesen,
und wenn schon die Öffentlichkeit Mittel zur Verfügung stellt, dann muß sie auch die Möglichkeit der Kontrolle haben, in welcher Art und Weise diese Mittel verausgabt worden sind.
Bei der Schwierigkeit der sozialpolitischen und fürsorgerischen Arbeit brauchen wir die ausgebildete Fachkraft, wenn die Tätigkeit erfolgreich sein soll. Dieser Forderung ist in der Novelle Rechnung getragen. Ich möchte hier ein Wort für die Kräfte, die in der öffentlichen Wohlfahrtspflege arbeiten, einlegen. Man tut immer so, als wenn die vertrauensvolle Fürsorgerin nur bei den freien Wohlfahrtsverbänden wäre.
Ich weiß, welche Mühewaltung und welcher Opfersinn auch bei den Fürsorgerinnen, die in den Jugendämtern tätig sind, zu finden sind. Gerade sie haben es fertiggebracht, daß in der schweren Notzeit ein großer Teil der Jugendnot aufgefangen werden konnte,
und man soll nicht so tun, als fehlte es diesen Frauen und diesen Männern in der öffentlichen Arbeit an dem nötigen Opfersinn.
Bei der Delegation von Einzelfällen muß sich das Jugendamt genau überlegen, welche Betreuungsfälle durch ehrenamtliche Kräfte übernommen werden können; denn zur Durchführung einer sozialpädagogischen Arbeit in unserer Zeit gehört ein Mindestmaß an pädagogischen und fürsorgerischen Kenntnissen. Eine große gemeinsame Arbeit der Jugendämter und der freien Wohlfahrtsverbände sollte darin bestehen, den ehrenamtlichen Helfern möglichst gute Kenntnisse der Sozialpädagogik und des Fürsorgewesens zu vermitteln.
Auf unsere Bedenken hinsichtlich der Delegation von Gruppen von Geschäften habe ich in der zweiten Lesung zu § 11 ausführlich hingewiesen. Frau
Niggemeyer konnte die von mir angeführten Gründe nicht entkräften: Ich glaube, gerade die Wirklichkeit beweist, daß dort, wo wir gut geleitete Jugendämter haben, z. B. in meinem Heimatland Baden, in Bremen oder in Hamburg, keine Delegationen, zumindest keine Gruppendelegationen stattgefunden haben und daß nur dort, wo schwache, unfähige Jugendämter bestehen, in größerem Umfange Delegationen zu verzeichnen sind.
Wir können uns nicht wünschen, daß die Delegation eine Schwächung der Arbeit des Jugendamtes herbeiführt und ,daß die Öffentlichkeit in ihrem Verantwortungsbewußtsein nicht ,das Erforderliche tut, um ein lebendiges Jugendamt zu schaff en.
Über die Zusammenarbeit zwischen Jugendamt und Gesundheitsamt ist im Ausschuß eingehend gesprochen worden. Es wird dringend nötig sein, daß im Zusammenwirken mit dem Jugendamtsausschuß diese beiden Ämter ihre Tätigkeit aufeinander abstimmen. Die bisherige Regelung war in einigen Ländern so, daß der Außendienst des Jugendamtes durch Fürsorgerinnen des Gesundheitsamtes vorgenommen wurde. Diese Regelung hat nicht befriedigt, weil die sozialpädagogischen Aufgaben viel zuwenig berücksichtigt worden sind.
Wir haben heute in den Maßnahmen für die Jugend eine große Zersplitterung. Diese Maßnahmen zu koordinieren, ist eine wichtige Aufgabe der Jugendämter und der Landesjugendämter. Die Frage eines Bundesorgans ist bisher offengeblieben. Uns erscheint eine die Jugendarbeit im Bund koordinierende, fördernde und planende Stelle nötig zu sein, wenn die zur Verfügung stehenden Mittel und Möglichkeiten sinnvoll eingesetzt werden sollen. Wir sind der Meinung, daß sich der zweite Bundestag mit dieser Frage zu befassen haben wird.
Die Ursachen der Jugendnot können in einem Fürsorgegesetz nicht behoben werden. Da die öffentliche Jugendarbeit ein Bestandteil der Sozialpolitik ist, gehört sie in die volle Verantwortung der Parlamente, damit diese für die Gestaltung des öffentlichen Lebens verantwortlichen Gremien sich mit der Jugendnot und der Jugendförderung immer wieder befassen müssen und damit die Öffentlichkeit sich dadurch der Verantwortung und der Verpflichtung der Jugend gegenüber noch mehr als bisher bewußt wird.
Die Novelle in der Fassung der zweiten Lesung gibt uns durch die Festlegung des Jugendamtsausschusses in der vorliegenden Form keine Gewähr, daß die Jugendhilfe in den Gemeinden und Kreisen mit dem erforderlichen parlamentarischen Gewicht durchgeführt werden kann.
Wir befürchten, daß der Jugendamtsausschuß abseits der sonstigen Gemeindeausschüsse stehen und damit dem Jugendamt in der Öffentlichkeit nicht die Bedeutung geben wird, die es braucht, Um tatsächlich Mittelpunkt der gesamten Jugendhilfe zu sein.
Wir bedauern, daß es nicht gelungen ist, in wesentlichen Teilen dieser Novelle zu einer gemeinsamen Auffassung zu kommen. Die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei wird nach wie vor
alles tun, um gesunde Lebensverhältnisse für unsere Jugend zu schaffen. Dieser Novelle können wir aus den angeführten Gründen nicht zustimmen. Wir werden uns der Stimme enthalten.
Ich möchte nun noch kurz etwas zu der uns vorhin vorgelegten Entschließung der CDU/CSU sagen. Ich glaube, daß diese Entschließung nicht dazu beiträgt, das lebendige Jugendamt zu schaffen. Ich bin vielmehr der Meinung, daß, wenn diese Entschließung so, wie sie uns vorliegt, angenommen und in der Praxis in die Tat. umgesetzt wird, wir eine völlige Zersplitterung unserer gesamten Jugendarbeit bekommen. Es ist nicht so, wie es in dieser Entschließung steht, daß schon 1922 bei der Schaffung des Gesetzes Einigkeit darüber bestanden hat, daß die öffentliche Jugendwohlfahrtspflege subsidiär einzugreifen hat. Wir haben mit den Frauen der damaligen Reichstagsfraktion der SPD, soweit sie noch unter uns sind, Rücksprache genommen. Wir wissen, daß damals genau dieselben harten Kämpfe um diese Frage stattgefunden haben, wie wir sie im letzten Jahr in unserem Ausschuß erlebt haben.
Man gibt hier etwas an, was den Tatsachen einfach nicht entspricht. Heute, da die Verhältnisse noch anders liegen, ist diese Entschließung noch viel verhängnisvoller. Wir haben 1922 noch keine Jugendämter gehabt, sondern wir standen vor völligem Neuland. Es war damals deshalb selbstverständlich, daß man den freien Wohlfahrtsverbänden ein gewisses Schwergewicht gegeben hat. Wir haben in der Zwischenzeit eine Entwicklung durchgemacht, die zeigt, daß die öffentliche Wohlfahrtspflege eine ausgezeichnete Arbeit leistet und daß die Gemeinden verpflichtet sind, unter eigener Verantwortung das Beste zu tun.
Wenn wir ,diese Entschließung annehmen, dann zerschlagen wir die gesamte Jugendarbeit auf der Gemeindeebene.
Und noch etwas anderes. Wenn hier verlangt wird, daß die freie Wohlfahrtspflege so stark gefördert werden soll, daß zuerst immer die freie Jugendhilfe die Genehmigung geben muß, ehe die Gemeinde eine eigene Einrichtung schaffen kann, dann weiß ich nicht, wohin wir mit unserem Selbstverwaltungsprinzip, das wir in dieser Novelle so sehr angestrebt haben, kommen werden.
Wenn die Gemeinde schon Einrichtungen schafft, dann muß sie auch die Kontrolle darüber haben, was mit diesen Einrichtungen geschieht, und dann muß der Vertretungskörperschaft, da die Gemeinde ja überkonfessionell arbeitet und für alle Kinder und für alle Jugendlichen der Gemeinde da zu sein hat, auch das Recht zugestanden werden, zu bestimmen, wer die Einrichtungen zu schaffen hat.
Diese Entschließung würde ein großes Unrecht schaffen. Würde sie angenommen, dann würde dort, wo große, starke Verbände bestehen, für die Bevölkerungsschichten, die diesen Verbänden nahestehen, ausgezeichnet gesorgt werden, während die anderen, die in der Minderheit sind, ganz gewiß
vernachlässigt würden. Denn eine Gemeinde ist einfach nicht in der Lage, statt einer Einrichtung zwei oder drei Einrichtungen derselben Art zu schaffen.
Wir würden ein großes Unrecht gegenüber der Jugend begehen, wenn wir diese Entschließung so annähmen. Wir würden auch gegen den § 1 des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes verstoßen, der nicht von evangelischen und katholischen und jüdischen oder anderskonfessionellen Kindern spricht, sondern der sagt: Jedes deutsche Kind hat einen Anspruch auf Erziehung zur leiblichen, seelischen und gesellschaftlichen Tüchtigkeit.
Diese Entschließung ist unannehmbar, weil sie ein Unrecht in. die Welt setzen würde. Ich bitte Sie deshalb, diese Entschließung abzulehnen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit ist die allgemeine Aussprache zur dritten Beratung geschlossen.
Wir kommen zur Einzelberatung. Es liegen nur wenige Änderungsanträge vor. Sie sind nicht mehr umgedruckt worden, weil sie im Wortlaut Anträgen entsprechen, die zur zweiten Beratung gestellt worden sind.
Zunächst ein Änderungsantrag der SPD zu den §§ 9 a, 9 b, 9 c und 9 d. Ich glaube, ich brauche die gestellten Änderungsanträge nicht wieder zu verlesen; sie sind sicherlich dem Hause bekannt. Es handelt sich, wie gesagt, um eine Wiederholung der zum gleichen Gegenstand in der zweiten Beratung gestellten Anträge. Wird das Wort gewünscht? — Frau Keilhack!
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Gestatten Sie mir, Ihnen noch einmal ganz kurz die Bedeutung der sehr schwerwiegenden Entscheidung, vor die Sie jetzt gestellt werden sollen, darzulegen. Wir haben Ihnen schon bei der erstmaligen Begründung unseres Antrags gesagt: wir glauben ernstlich — und dahinter steckt nicht ein irgendwie geartetes Interesse —, daß dieser Jugendwohlfahrtsausschuß nicht arbeitsfähig sein wird, weil er erstens einfach zu groß ist, und weil er zweitens seine Arbeit abseits der allgemeinen Gemeindepolitik tun muß, da nicht das zentrale Interesse aller Mitglieder der Vertretungskörperschaft auf diesen Ausschuß gerichtet ist, etwa so, wie es bei den anderen Ausschüssen eines Parlaments der Fall ist. Wir haben ferner gesagt, daß wir die fachliche Mitwirkung aller im Jugendamt wirkenden Kräfte und Organisationen wünschen. In einem solchen Ausschuß, wie das vorliegende Gesetz ihn vorsieht, kann aber nur ein sehr kleiner Teil vertreten sein, d. h. es kann nur eine Delegierung erfolgen. Wir möchten sie aber alle erfaßt haben und haben' deshalb die Bildung des Beirats vorgeschlagen.
Meine Herren und Damen, ich möchte Sie auch noch einmal auf eine Entschließung des Städtetags hinweisen, der zu dieser Frage zweifellos etwas zu sagen hat. Der Städtetag hat in einer Entschließung vom 19. Mai 1953 zu § 9 a wie folgt Stellung genommen:
Aus Anlaß der Ausschußbeschlüsse wurde von
unseren Gremien erneut die Frage der Zusammensetzung des Jugendwohlfahrtsausschusses
eingehend erörtert. Dabei wurde wiederholt die Auffassung vertreten, daß die Zusammensetzung der Jugendwohlfahrtsausschüsse der Zusammensetzung der politischen Vertretungskörperschaft entsprechen müsse und daß demgemäß ein Anspruch der freien Vereinigungen und Jugendverbände auf zwei Fünftel der Sitze erheblichen Bedenken begegne.
Meine Herren und Damen, machen Sie sich diese Bedenken zu eigen und stimmen Sie unserem Antrag zu § 9 a zu.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Dann ist die Aussprache zu den §§ 9 a bis 9 d geschlossen.Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Änderungsantrag zustimmen, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.Wir kommen dann zu Art. III a entsprechend dem Änderungsantrag der SPD, der auch dem in der zweiten Beratung hierzu gestellten Antrag entspricht. Wird noch einmal das Wort zur Begründung verlangt? — Das Wort hat Frau Abgeordnete Keilhack.Frau Keilhack ,: Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Wir haben diesen Antrag betreffend die Stadtstaatenklausel noch einmal wiederholt. Gestatten Sie mir, daß ich aus der Debatte von vorhin noch einiges richtigstelle.Es ist nicht so, wie Herr Kemmer hier gesagt hat, daß die Bürgermeister dieser drei Städte der Nichthereinnahme der Stadtstaatenklausel zugestimmt haben. Das ist erwiesen; ich habe mich danach erkundigt. Es stimmt ja auch nicht, daß, wie hier gesagt worden ist, die Jugendverbände und die Wohlfahrtsverbände in Hamburg, Bremen und Berlin nicht beteiligt sind. Sie sind beteiligt, nur nicht in der Art, wie es hier nach dem mündlichen Bericht in der neuen Gesetzesfassung niedergelegt ist, weil eben diese drei Länder eine ganz andere Struktur auf Grund ihrer Landesgesetzgebung haben. Durch die vorliegende Gesetzesfassung wird kein besserer Effekt der Jugendarbeit dieser drei Länder erzielt werden. Ich darf Ihnen sagen, daß selbst die Herren und Damen der Koalitionsparteien, bestätigen werden, daß sie, voran Herr Kemmer, bei dem Besuch in Hamburg — wir haben aus Anlaß der Bearbeitung dieses Gesetzes viele Jugendämter besucht — begeistert waren von dem Aufbau und der Zusammenarbeit gerade des Hamburger Jugendamts und von der Hamburger Jugendarbeit überhaupt. Das trifft auch für Bremen und Berlin zu. Ich darf Ihnen noch mal sagen, daß auch das Landesjugendamt Nordrhein-Westfalen diesen drei Städten bestätigt hat, die größte Aktivität und die größte Initiative entwickelt zu haben. Hamburg und Bremen haben eine gute und gewachsene Tradition. Es ist nicht einzusehen, warum Sie diese Tradition brechen wollen.Sie können sich auch nicht auf den Art. 31 des Bonner Grundgesetzes berufen, der lautet: „Bundesrecht bricht Landesrecht." Ich möchte Ihnen ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Oktober 1951 vorlesen, in dem ausdrücklich steht:Solange die Länder bestehen und ihre verfassungsmäßige Ordnung sich im Rahmen des
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Deutscher Bundestag — 273. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Juni 1953 13537
Art. 28 Abs. 1 Grundgesetz hält ohne Verletzung des im Grundgesetz garantierten bundesstaatlichen Prinzips, darf man nicht in ihre Verfassungsordnung eingreifen.Meine Herren und Damen, ich mache Sie noch einmal darauf aufmerksam, daß dieses Gesetz durch die Anrufung des Vermittlungsausschusses eine unnötige Verzögerung erleiden würde. Ich bitte Sie, das zu vermeiden und diesem unserem zur dritten Lesung erneut aufgenommenen Antrag bezüglich der sogenannten Stadtstaatenklausel zuzustimmen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen dann zur Abstimmung über den Änderungsantrag betreffend Art. III a. Ich bitte diejenigen, die dem Änderungsantrag zustimmen, die zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe.
— Es besteht keine Klarheit, welches die Mehrheit ist. Wir müssen wieder einmal auszählen. Darf ich bitten, das Verfahren zu beschleunigen.
Ich bitte, mit der Auszählung zu beginnen.
Ich bitte um Beschleunigung; ich muß die Abstimmung jetzt beenden. — Die Auszählung ist beendet.
Meine Damen und Herren, das Ergebnis der Abstimmung: Mit Ja haben gestimmt 148, mit Nein 162 Abgeordnete; 6 haben sich der Stimme enthalten. Damit ist der Antrag abgelehnt.
Ich bitte dann, erst einen Formfehler berichtigen zu dürfen. Wir haben soeben den Änderungsantrag zu § 9 a abgelehnt. Wir haben aber noch nicht über § 9 a in der Fassung der Vorlage abgestimmt. Ich bitte also diejenigen, die für § 9 a in der Fassung der Vorlage sind, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; angenommen.
Damit ist die dritte Beratung beendet. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz im ganzen zustimmen, sich von den Plätzen zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Meine Damen und Herren, ich glaube nicht, daß es notwendig ist, Unruhe zu verursachen, weil infolge der Unruhe einige — nun, sagen wir: Unentschlossenheiten bestanden.
Wir haben noch die Abstimmung über die Entschließung auf Umdruck Nr. 994 zu erledigen.
— Eine Erklärung zur Abstimmung?
— Die Debatte über eine Entschließung ist ja immer in der Generalaussprache. Das entspricht unserem Brauch.
Also wir stimmen über die Entschließung auf Umdruck Nr. 994 ab. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; die Entschließung Ist angenommen.
Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Wir kommen zum zweiten Punkt der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs
eines Gesetzes zur Änderung des Reichs-
jugendgerichtsgesetzes ;
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht (Nr. 4437 der Drucksachen, Umdruck Nr. 972; Anträge Umdrucke Nrn. 980, 981).
Das Wort zur Berichterstattung hat Herr Abgeordneter Ewers.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Alles Fachliche und Rechtliche ist in dem Schriftlichen Bericht *) und in den Vorschlägen des Ausschusses enthalten. Darauf darf ich verweisen. Ich möchte diesen Schriftlichen Bericht nur um einige ganz kurze Hinweise und allgemeine Bemerkungen ergänzen.
Die Vorlage wurde in einem gemeinsamen Unterausschuß aus dem federführenden Rechts- ausschuß und dem Ausschuß für Fragen der Jugendfürsorge in sehr eingehenden Beratungen vorbereitet. Ich meine, diese Vorlage Ist ein Schulbeispiel dafür, daß es offenbar zweckmäßig ist, solche gemeinsamen Unterausschüsse after in Wirksamkeit treten zu lassen. Bei dem Entwurf handelt es sich um die Synthese zwischen den Forderungen 'des Rechtes, des Gesetzes mit denjenigen der Erziehung und der Jugendwohlfahrt. Wir alle in 'den beiden Ausschüssen waren am Schluß der Beratungen der Meinung, daß uns die Synthese vorbildlich gelungen sei. Beide Ausschüsse haben den Vorschlägen des Unterausschusses einstimmig und ohne Vorbehalt zugestimmt. Das freut uns vom Unterausschuß ganz besonders, weil es sich hier um die Wohlfahrt der gefährdeten Jugend handelt, weil das Jugendstrafrecht, richtig gesehen, zwar ein Strafrecht ist, aber- ein Besserungsstrafrecht, also ein Strafrecht, das den Erziehungsgedanken in den Vordergrund rückt, und weil man hofft, daß der jugendliche Rechtsbrecher bei richtiger Behandlung noch zu einem ordentlichen Mitglied der Gesellschaft umgeformt werden kann.
Diese Vorlage 'bringt für unser deutsches Strafrecht eine Fülle von neuen Einrichtungen und Möglichkeiten. Sie schafft damit für den Richter ein hohes Maß von Verantwortung und setzt bei ihm eine ungewöhnliche Einsicht insbesondere in die Jugendpsychologie voraus. Das Gesetz kann nur dann funktionieren, wenn die Länderjustizverwaltungen das Amt eines Jugendrichters nur solchen Juristen anvertrauen, die nicht nur mit Sachverstand und Könnerschaft, sondern auch mit Liebe und Freude an der Jugend ihr Amt wahrnehmen. Wir hoffen, daß das gelingen möge.
Diesen allgemeinen Vorbemerkungen habe ich zwei sachliche Hinweise anzufügen. Auf Umdruck Nr. 972 sind einige Druckfehler berichtigt. In § 26 Abs. 1 muß es „Bewährungszeit" statt „Bewährungsfrist" 'heißen. In § 97 Abs. 2 Zeile 4 muß es heißen statt „der Beseitigung des Strafmakels
*) Siehe Anlage 2 Seite 13561.
würdig" „der Beseitigung des Strafmakels besonders würdig", dass Wort „besonders" fehlt. Über den § 101 ist als Überschrift „Widerruf" einzusetzen. Ich bitte, die Vorlage mit diesen Berichtigungen zu verabschieden.
Eingegangen ist nur ein einziger Änderungsantrag von der Fraktion der SPD und einigen einzelnen Abgeordneten. Ich habe die Freude, Ihnen mitteilen zu können, daß er zurückgezogen ist. Dieser Antrag bezog sich auf eine Streitfrage, die wir wie auch die Regierung in diesem Gesetz nicht endgültig regeln wollten. Es handelt sich dabei um die Frage, welcher Behörde der neueingeführte Jugendbewährungshelfer anzugliedern ist, dem Jugend-, dem Sozialamt einerseits oder dem Gericht andererseits. Die Vorlage sieht in § 113 vor, daß das 'den Landesgesetzen zu überlassen ist. Natürlich kann der Bundesgesetzgeber hier eingreifen, aber ich glaube, er tut gut daran, wenn er es unterläßt, weil die örtlichen Verhältnisse da außerordentlich verschieden liegen können und weil man insbesondere auch mit Rücksicht auf § 33 Abs. 4 'der Vorlage nicht übersehen kann, wie groß die Jugendrichterbezirke werden; denn nicht an jedem kleinen Amtsgericht kann ein Jugendgericht gebildet werden, sondern mit Rücksicht darauf, daß eine Vollbeschäftigung des Gerichts erzielt werden muß, müssen unter Umständen mehrere Amtsgerichtsbezirke zusammengelegt werden. Dadurch können länderweise oder kreisweise Schwierigkeiten wegen der Amtsträgerschaft für diesen Helfer entstehen.
Abgesehen aber von diesem Gesichtspunkt müßte gesetzlich geregelt werden, wie sich die beamtenrechtliche Stellung dieses Bewährungshelfers auswirken soll, der nach § 24 der Vorlage 'der Aufsicht des Gerichts, des Richters, untersteht und der nach § 25 Weisungen des Richters auszuführen hat. Das haben wir gesetzlich geregelt; aber wo er nun personell untergebracht wird, das bleibt in der Vorlage besser dahingestellt.
Ich möchte aber nicht verschweigen, daß zwar ohne Abstimmung, aber, wie ich auf Grund der allgemeinen Erwägungen nicht zweifle, sicherlich eine bedeutende Mehrzahl im Unterausschuß und wohl auch in den beiden Hauptausschüssen der Meinung gewesen ist, daß diese neue Figur bei einer sozialen Dienststelle eingereiht sein sollte; 'denn -sie bedarf weniger der Rechtskenntnis als der Fürsorgekenntnis, und sie muß sich auf diesem Gebiete insbesondere auch mit 'den Fragen der Unterbringungsmöglichkeit, 'der Beschäftigungsmöglichkeit, also mit Fragen des allgemeinen Bedarfs von Jugendkräften in der Wirtschaft von Amts wegen beschäftigen. In der Gerichtsverwaltung ist derartiges bisher — insbesondere auch im Strafvollzug — nicht akut gewesen.
Ich möchte daher also als Berichterstatter feststellen: Der Bundestag dürfte mit einer gewissen überwiegenden Mehrheit der Meinung sein, daß überall dort, wo das aus örtlichen Gründen nicht ganz und gar unangebracht ist, dieser Bewährungshelfer, wenn er nur speziell für Jugendliche da ist, am besten beim Jugendamt amtlich einzuordnen sein wird. Ich glaube, dieser Meinung ist man wohl allgemein. Gerade deshalb konnten die Antragsteller diesen Antrag zurückziehen. Dabei spielte auch die Besorgnis eine Rolle, daß, wenn das nicht geschehe, möglicherweise der Bundesrat wegen dieses Eingriffs in die Länderrechte den Vermittlungsausschuß anrufen könnte. Daß ex es sonst tun
würde, glauben wir nicht. Alle Gegenvorstellungen des Bundesrats gegen die Regierungsvorlage
sind überall in die Bestimmungen des neuen Gesetzes hineingearbeitet worden; es ist ihnen weitestgehend Rechnung getragen. Ich hoffe, auch der
Bundesrat wird mit der gleichen Einstimmigkeit
beschließen, die, wie ich zu meiner Freude feststellen kann, hier im Bundestag zu erwarten ist.
Ich danke 'dem Herrn Berichterstatter.
Wir treten in die Einzelberatung ein. Ich darf wohl summarisch aufrufen, da nur ein einziger Änderungsantrag vorliegt. Dann werde ich die einzelnen Paragraphen zur Aussprache stellen.
Ich rufe also auf die Paragraphen 1 bis 19, — bis 25. — Bei § 26 ist die Berichtigung anzubringen, 'die auf Umdruck Nr. 972 steht und von der der Herr Berichterstatter schon gesprochen hat. §§ 27 bis 40, — bis 50, — bis 60, — bis 70, — bis 82, — bis 92, — bis 96. — Bei § 97 wieder eine Berichtigung nach Umdruck Nr. 972. — Dann die §§ 98 bis 100. — Bei § 101 ebenfalls eine Berichtigung nach Umdruck Nr. 972. — Die §§ 102 bis 112. Ich bitte diejenigen Damen und Herren, die diesen aufgerufenen Paragraphen zustimmen, die Hand zu heben. — Das ist zweifellos die Mehrheit; angenommen.
Ich rufe nun § 113 auf. Dazu liegt auf Umdruck Nr. 988 ein Änderungsantrag — —
— Der ist zurückgezogen. Also dann brauche ich auch darüber nicht abstimmen zu lassen, sondern kann mich darauf beschränken, aufzurufen die §§ 113 bis 124, Einleitung und Überschrift. Bei Einleitung und Überschrift verweise ich auf den Bericht, in dem eine andere Fassung der Überschrift vorgeschlagen wird.
— Jedenfalls steht in dem Bericht, daß eine Änderung der Einleitung und Überschrift vorgesehen ist. Ich verweise also auf den Bericht und die dort vorgesehene Überschrift.
Ich bitte die Damern und Herren, die den §§ 1 bis 124, Einleitung und Überschrift des Gesetzes zustimmen, die Hand zu heben. — Das ist die Mehrheit; damit ist das Gesetz in zweiter Beratung angenommen.
Ich rufe auf zur
dritten Beratung.
Für die allgemeine Aussprache hat der Ältestenrat eine Gesamtredezeit von 40 Minuten vorgesehen. Ich nehme die Zustimmung des Hauses dazu an.
Das Wort hat der Abgeordnete Müller.
Meine Damen und Herren! 'Die kommunistische Fraktion kann diesem Gesetz nicht zustimmen. Sie wird sich der Stimme enthalten,
da die Neufassung unserer Überzeugung nach die erforderlichen Verbesserungen des bisherigen Rechtes nicht bringt.
Vor allem halten wir es für einen schweren Mangel, daß die aus den Kreisen der Jugendfürsorgebehörden und der freien Vereinigungen für Jugendhilfe geforderte volle Gleichstellung der Jugendlichen und der Heranwachsenden nicht durchgeführt worden ist. Der in dem Ausschußbericht angeführte Grund für die Ablehnung dieser von den Jugendbehörden und den Jugendhilfeorganisationen geforderten Gleichstellung der Jugendlichen und der Heranwachsenden ist unserer Überzeugung nach nicht stichhaltig. Der weitaus größere Anteil der Heranwachsenden an der Gesamtkriminalität darf unserer Auffassung nach nicht dazu führen, gegenüber den Heranwachsenden ein schärferes Strafrecht in Anwendung zu bringen. Wir sind im Gegensatz zu der im Bericht vertretenen Auffassung der Meinung, daß gerade die besonderen Verhältnisse der Nachkriegszeit und die aus diesen Verhältnissen resultierende höhere Kriminalität bei den Heranwachsenden es zwingend notwendig macht, allein das mildere Jugendstrafrecht zur Anwendung zu bringen. Statt gegenüber den Heranwachsenden ein schärferes Jugendstrafrecht anzuwenden, ist es unserer Auffassung nach Aufgabe des Staates, die Ursachen, die zu dieser erschrekkend hohen Jugendkriminalität geführt haben, zu bekämpfen.
Im Jahre 1950 standen im Bundesgebiet 64 419 Jugendliche vor Gericht. Nach dem „Michael" vom 24. Juni 1951 wurden von 100 Verbrechen, die im Jahre 1950 in der Bundesrepublik verübt wurden, 7 von jugendlichen Tätern im Alter zwischen 14 und 18 Jahren begangen.
28,1 % dieser von Jugendlichen begangenen Verbrechen fallen unter die Delikte Notzucht und andere Verbrechen, 6,4 % auf Mord- und Totschlagsversuche. Die Jugendstraffälligkeit war bereits im Jahre 1950 gegenüber dem Jahre 1933 um 87 % gestiegen. Von der Gesamtheit der jugendlichen Menschen, die im Jahre 1950 in Westdeutschland wegen geheimer Prostitution angehalten wurden, waren fast 60 % noch nicht 14 Jahre alt. 51 % aller registrierten Geschlechtskranken waren unter 20 Jahre alt, 10 % davon noch nicht 14jährige Kinder. In dem oben erwähnten Artikel des „Michael" heißt es weiter, daß in Bayern allein im Jahre 1950 34 Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren, sowie Kinder unter 18 Jahren und Kinder unter 14 Jahren Selbstmord begangen haben.
Die durch den verbrecherischen Krieg und die völlig unvollständigen Hilfsmaßnahmen des Bundes, der Länder und der Gemeinden
hervorgerufene riesige Jugendnot ist die Ursache für das Anwachsen der Jugendkriminalität. Pastor Pawlowski, der Leiter der Inneren Mission, hat auf der Jahreshauptversammlung des Volkskirchenbundes in Bielefeld im Juni vergangenen Jahres mitgeteilt, daß noch über 200 000 Kinder in Westdeutschland in Elendsbaracken untergebracht sind. In den Gemeinden fehlt es an den notwendigen Beschulungsmöglichkeiten für die Jugendlichen.
Die in Westdeutschland in Massen gezeigten amerikanischen Filme, in denen der Jugend die schauerlichsten Verbrechen gezeigt werden, und die in Westdeutschland grassierende Schmutzliteratur
sind weitere Ursachen der Jugendkriminalität.
Wer der Jugend helfen will, muß den jugendschädlichen Zustand bekämpfen und beseitigen. Aber dazu fehlt es der Regierung und den Koalitionsparteien an dem notwendigen guten Willen und an den erforderlichen Geldern. Statt Jugendheimen, Schulen und Lehrlingswerkstätten
werden Kasernen gebaut — auf 'die Sie sich so freuen, Herr Strauß —, werden Flugplätze angelegt.
Der Staat, der mehr als die Hälfte seiner Einnahmen in die Kriegsvorbereitung hineinsteckt, kann keine Jugendfürsorge betreiben und muß zur Waffe eines scharfen Jugendstrafrechts greifen. Aus diesen Gründen können wir dem vorliegenden Gesetz nicht zustimmen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit ist die allgemeine Aussprache geschlossen.
Wir treten in die Einzelbesprechung der dritten Beratung ein. Änderungsanträge liegen nicht vor. Ich habe infolgedessen auch die einzelnen Paragraphen nicht aufzurufen.
Ich bitte diejenigen, die den §§ 1 bis 124, der Einleitung und der Überschrift in der Fassung der zweiten Beratung zustimmen, die Hand zu heben.
— Das ist die Mehrheit; damit ist das Gesetz angenommen.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz als ganzem zustimmen, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen?
— Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe nun auf den Punkt 3 der heutigen Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über Maßnahmen auf dem Gebiete der Zwangsvollstreckung ;
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht (Nr. 4452 der Drucksachen).
Der Herr Berichterstatter verweist auf den Schriftlichen Bericht*). Der Ältestenrat hat für die dritte Beratung keine allgemeine Aussprache vorgesehen. Änderungsanträge liegen nicht vor. Ich kann infolgedessen aufrufen Art. 1 bis Art. 11. — Das Wort hat Herr- Abgeordneter Leuze.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß als Berichterstatter noch eine redaktionelle Änderung in Vorschlag bringen, und zwar zu Art. 1 Nr. 15. Hier
*) Siehe Anlage 3 Seite 13572
heißt es in Abs. 2 des § 900 der Zivilprozeßordnung, daß Rücksicht darauf zu nehmen ist, wie lange noch eine Eintragung besteht. Mit Bezug darauf darf ich Sie bitten, noch den § 915 Abs. 2 auf Seite 31 der Drucksache Nr. 4452 aufzuschlagen. Hier heißt es:
Wird die Befriedigung des Gläubigers, der gegen den Schuldner das Offenbarungseidverfahren betrieben hat, nachgewiesen oder sind seit dem Schlusse des Jahres, in dem die Eintragung in das Verzeichnis erfolgt ist, fünf Jahre verstrichen, ...
Ich bitte, statt „fünf Jahre verstrichen" zu setzen: „drei Jahre verstrichen", damit die Übereinstimmung mit § 903 und auch mit § 900- Abs. 2 hergestellt ist. Ferner kann dann in § 915 Abs. 2 der Schlußsatz gestrichen werden, der lautet:
Im übrigen sind die Eintragungen fünf Jahre lang aufzubewahren.
Der redaktionelle Änderungsantrag geht also dahin, in § 915 Abs. 2 statt „fünf Jahre lang" zu setzen: „drei Jahre lang" und den Schlußsatz: „Im übrigen sind die Eintragungen fünf Jahre lang aufzubewahren" zu streichen. Ich bitte, diesen Änderungsantrag mit zu berücksichtigen.
Meine Damen und Herren! Sie haben die redaktionellen Änderungsanträge gehört. Ich brauche wohl nicht darüber abstimmen zu lassen, sondern kann unterstellen, daß das Haus ihnen zustimmt. — Das ist der Fall.
Nunmehr rufe ich auf die Artikel 1 bis 11. —Änderungsanträge liegen nicht vor, Wortmeldungen ebenfalls nicht. Ich bitte die Damen und Herren, die den aufgerufenen Artikeln sowie Einleitung und Überschrift zustimmen wollen, die Hand zu heben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen angenommen. Die zweite Beratung ist damit beendet.
Ich rufe jetzt auf die
dritte Beratung.
Eine allgemeine Aussprache hatte der Ältestenrat nicht vorgesehen. Ich kann sie also für geschlossen erklären.
Danach rufe ich wiederum auf die Artikel 1 bis 11 sowie Einleitung und Überschrift und bitte diejenigen Damen und Herren, die zustimmen wollen, die Hand zu heben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Nunmehr bitte ich diejenigen, die in der Schlußabstimmung dem Gesetzentwurf ihre Zustimmung erteilen wollen, die Hand zu heben. — Enthaltungen! — Bei einigen Enthaltungen mit überwiegender Mehrheit angenommen. Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe auf Punkt 4 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das gerichtliche Verfahren in Landwirtschaftssachen ;
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht (Erste Beratung: 139. Sitzung.)
Hierzu wird wiederum auf den Schriftlichen Bericht*) verwiesen.
*) Siehe Anlage 4 Seite 13580
Wir treten ein in die Einzelberatung, und zwar rufe ich zunächst auf § 1 mit dem Änderungsantrag auf Umdruck Nr. 969. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidt.
Meine Damen und Herren! In der Vorlage werden in Art. 1 Ziffer 4 nur diejenigen Fälle herangezogen, bei denen es sich um Erbhöfe und dergleichen handelt. Die Altenteilsstreitigkeiten bei kleinen Betrieben werden also damit nicht diesen Gerichten unterworfen. Ich meine, gerade hierbei treten besondere Schwierigkeiten auf. Die Beurteilung der Betriebsleistungsfähigkeit dieser Betriebe verlangt eine besondere Sachkenntnis, und ein besonderes Einfühlungsvermögen. Es wäre doch meines Erachtens sehr hart, wollte man hier mit zweierlei Maß verfahren. Es erscheint mir notwendig, bei allen Betrieben in Altenteilsstreitigkeiten die gleichen Maßstäbe anzulegen und das gleiche Recht anzuwenden. Wenn man schon die Altenteilsstreitigkeiten überhaupt einem Gericht besonderer Art zuweist, dann muß das für alle gelten.
Im übrigen weise ich darauf hin, daß dieser Vorschlag auch vom Verband der Landwirtschaftskammern einmütig vorgetragen worden ist und daß darüber hinaus der Ernährungsausschuß ebenfalls diese Anregung dem Rechtsausschuß gegeben hat. Der Rechtsausschuß hat leider dieser Anregung nicht stattgegeben.
Ich bitte in Anbetracht der Sachlage um Zustimmung zu unserem Antrage.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Leuze.
Herr Präsident! Meine Damen und, Herren! Wir bitten, den soeben gestellten Antrag abzulehnen. Ich darf diese Bitte folgendermaßen begründen. Wir gehen — und dieser Stellungnahme hat sich der Rechtsausschuß angeschlossen — davon aus, daß die ordentliche Gerichtsbarkeit mit ihrem normalen Gang über die Amtsgerichte, die Landgerichte zum Oberlandesgericht und endlich zum Bundesgerichtshof nach Möglichkeit zu wahren ist und so wenig als möglich durchbrochen werden soll. Es schafft eine allgemeine Rechtsunsicherheit, wenn die rechtsuchende Bevölkerung nicht weiß, in welchen Fällen sie sich an welche Gerichte wenden soll, wenn die ordentliche Gerichtsbarkeit so sehr aufgesplittert wird, daß eine besondere Wissenschaft daraus wird, zu wissen, welcher Tatbestand welchem Gericht zur Aburteilung zuzuweisen ist.
Von diesem allgemeinen Grundsatz sind wir bei der Bearbeitung des Entwurfs eines Gesetzes über das gerichtliche Verfahren in Landwirtschaftssachen ausgegangen. Wir haben uns entschlossen, die in § 1 genannten Fälle den mit landwirtschaftlichen Beisitzern besetzten Gerichten zuzuweisen, so wie sie bisher schon durch Landesrecht zugewiesen sind. Die Besetzung mit landwirtschaftlichen Beisitzern macht diese Gerichte zu einer Art von Sondergerichten, von besonderen Gerichten, jedenfalls zu Gerichten, die eine Abweichung von der ordentlichen Gerichtsbarkeit darstellen. Sie finden ihre Berechtigung darin, daß sie Fälle abzuurteilen haben, die auf Grund des bestehenden besonderen Landwirtschaftsrechts zu beurteilen sind, hier also Fälle, die in Versorgungsstreitigkeiten bestehen, die aus der Anwendung des Anerbenrechts oder, wie es namentlich in Nordrhein-Westfalen sich
nennt, des Höferechts entstanden sind. Deshalb, weil in diesen Fällen besondere landwirtschaftliche Tatbestände vorliegen — wobei besonders die Frage eine Rolle spielt, wie groß der Gutswert sei, der den Versorgungsstreitigkeiten zugrunde liegt, wie groß die Leistungsfähigkeit eines Hofes sei —, sind diese Fälle den besonderen Gerichten mit landwirtschaftlichen Beisitzern zugewiesen worden. Wir würden dieses ganze System ,verlassen, wenn wir dem soeben gestellten Antrag auf Umdruck Nr. 969 stattgeben würden. Derartige Versorgungsansprüche, wie sie hier gemeint sind, beruhen auf dem allgemeinen Recht, das nicht besonders auf die landwirtschaftlichen Bedürfnisse und Eigenarten zugeschnitten ist. Sie beruhen auf dem allgemeinen Recht. Zum großen Teil handelt es sich hier um vertragliche Ansprüche. Sie sind auf Grund des allgemeinen Rechts zu beurteilen. Das ist eine Aufgabe der ordentlichen Gerichte. Wenn wir in unserer Gerichtsbarkeit die Ordnung halten wollen, die sie braucht, um verläßlich arbeiten zu können, dann, glaube ich, müssen wir diesen Antrag ablehnen. Ich bitte darum.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Arndt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einige Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Leuze fordern doch zum Widerspruch heraus.
Zunächst einmal handelt es sich nicht um eine Absplitterung von der ordentlichen Gerichtsbarkeit; denn dieses Verfahren in Landwirtschaftssachen soll ja innerhalb der ordentlichen Gerichte stattfinden. Es wird also hier keine Sondergerichtsbarkeit eingesetzt wie bei den Verwaltungsgerichten, den Finanzgerichten oder den Arbeitsgerichten.
Zweitens wird ja die Aufsplitterung auch gerade von Ihnen gewünscht. Sie wollen Versorgungsansprüche nur dann diesem besonderen Verfahren anvertrauen, wenn es sich .um die Versorgungsansprüche der Größeren handelt. Sie wollen also eine Teilung zwischen Versorgungsansprüchen der Kleineren und der Größeren, und den Größeren wollen Sie abgesplittert ein besondersartiges Verfahren geben, während hier mein Fraktionskollege Martin Schmidt dafür eingetreten ist, daß, wenn Sie schon die Versorgungsansprüche in diesem besonderen Verfahren entscheiden lassen wollen, das für Versorgungsansprüche aller Art in Landwirtschaftssachen gelten muß. Wir sind andernfalls auch bereit — gerade um Ihrer Sorge, daß hier eine Aufsplitterung eintritt, Rechnung zu tragen —, für den Fall, daß Sie unseren Antrag nicht annehmen sollten, hilfsweise aus der Ziffer 4 die drei Worte „einschließlich der Versorgungsansprüche" zu streichen.
Uns liegt also an der Einheitlichkeit: entweder alle Versorgungsansprüche vor dieses besondersartig zusammengesetzte Gericht und in das besondersartige Verfahren oder aber kein Versorgungsanspruch dahin. Wie Sie unter diesen Umständen sagen können, daß Sie sich gegen die Aufsplitterung wehren, verstehe ich nicht; denn von Ihren Vorstellungen kommt j erst die Aufsplitterung her.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Weber.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, diesen Ausführungen des Herrn Kollegen Arndt kann man nicht zustimmen. Es handelt sich bei der Schaffung des Landwirtschaftsgerichts wirklich um ein besonderes Gericht mit einem besonderen Verfahrensrecht, das sehr gemischte Bestandteile hat, teilweise der freiwilligen Gerichtsbarkeit entnommen, teilweise auch der Zivilprozeßordnung angeglichen worden ist. Darum ging ja gerade der Streit im Ausschuß, und man soll diese Zersplitterung soweit wie irgend möglich vermeiden und diesen Gerichten keine Ansprüche zuweisen, die ihnen nicht unbedingt zugewiesen werden müssen, d. h. für die nicht eine besondere Sachkunde erforderlich ist.
Die Ausführungen haben aber vor allen Dingen eins übersehen. Das Anerbenrecht sieht gesetzlich derartige Versorgungsansprüche vor, ohne sie in ihrem Inhalt im einzelnen zu normieren. Infolgedessen wird zu deren Bestimmung besondere Sachkenntnis erforderlich sein, da jeder Einzelfall anders beurteilt werden kann. Deshalb ist lediglich klargestellt worden: „einschließlich der Versorgungsansprüche", und es wäre nicht richtig, Herr Kollege Arndt, das zu streichen. Das gleiche würde auch gelten, wenn lediglich dastünde: „das Anerbenrecht". Es ist nur eine Klarstellung, wenn gesagt wird: „einschließlich der Versorgungsansprüche". Es geht wirklich nicht darum, verschiedenes Recht für Große und Kleine zu schaffen, sondern es ist nun einmal anerkannt und es steht fest, .daß nicht jeder landwirtschaftliche Betrieb solchen Umfang hat und so groß ist, daß er zum Erbhof erklärt werden kann.
Deshalb ergibt sich aus dem Gesetz, daß hier besondere Regeln gelten müssen, weil diese Versorgungsansprüche bei Erbhöfen im Gesetz vorgesehen sind. Wenn übergeben wird, entstehen diese Ansprüche, ohne daß sie im Gesetz normiert sind. In allen anderen Fällen, insbesondere in den Fällen, die Ihr Antrag im Auge hat, werden diese Ansprüche vertraglich vereinbart. Dann kann sie jeder gestalten, wie er will, und dann ist kein Grund dafür vorhanden, dieses Rechtsgebiet anders zu behandeln, als es im allgemeinen Recht der Fall ist.
Auch ich bitte deshalb, den Antrag abzulehnen.
Meine Damen und Herren, die Aussprache ist dann geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Antrag Umdruck Nr. 969 zustimmen, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Meine Damen und Herren, wegen der merkwürdigen Besetzung ist nicht klarzustellen, wo die Mehrheit ist.
Wir müssen wieder einen Hammelsprung machen, es tut mir leid.
Darf ich bitten, den Saal beschleunigt zu verlassen, damit die Auszählung ohne Verzögerung vor sich gehen kann. —
Ich bitte, mit der Auszählung zu beginnen. *
Darf ich um Beschleunigung bitten, ich möchte die Auszählung beenden. — Die Auszählung ist beendet. Ich bitte, die Türen zu schließen. — Ich bitte, Platz zu nehmen.
Das Ergebnis der Abstimmung ist: mit Ja haben gestimmt 129 Abgeordnete, mit Nein 128, enthalten hat sich einer. Der Antrag ist also angenommen.
Wir fahren in der Beratung fort. Darf ich bitten, Platz zu nehmen. Bei dem vielen Herumstehen nimmt unser Sitzungssaal sonst einen börsenähnlichen Charakter an.
Ich bitte diejenigen, die dem § 1 mit der soeben beschlossenen Änderung zustimmen, die Hand zu heben. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
Ich rufe nun auf die §§ 2 bis 60, — Einleitung und Überschrift. — Das Wort ist nicht gewünscht, die Aussprache ist geschlossen.
Ich bitte diejenigen, die den aufgerufenen Paragraphen, der Einleitung und der Überschrift zustimmen, die Hand zu heben. — Das ist zweifellos die Mehrheit; angenommen. Damit ist die zweite Beratung beendet.
Ich rufe auf zur
dritten Beratung.
Der Ältestenrat hat von einer Redezeit für die allgemeine Aussprache abgesehen. Wir treten in die Einzelberatung ein. Änderungsanträge liegen nicht vor.
— Dann kommen wir wieder zu derselben Frage wie neulich; denn es muß natürlich ein Antrag mit den nötigen Unterschriften vorgelegt werden.
— Also ein Änderungsantrag von der Fraktion. Ich brauche ihn aber schriftlich. Der Antrag lautet also:
Der Bundestag wolle beschließen,
die Ausschußvorlage in § 1 wiederherzustellen.
Das Wort zur Begründung hat Herr Abgeordneter Ewers.
Ich möchte ganz kurz noch folgendes ausführen. Das Wort „Versorgungsansprüche", das in dem Antrag, der eben angenommen worden ist, steht, ist technisch falsch. Das allgemeine Recht kennt nur Unterhaltsansprüche, durch sie wird man „versorgt". Versorgungsansprüche unmittelbar gibt es im Höferecht an Stelle eines Erbteils. Der nicht den Hof erbende Miterbe wird durch Versorgung entschädigt, und zwar an Stelle des Erbteils. Deswegen müßte es aus technischen Gründen in dem Antrag mindestens heißen: „die Unterhaltsansprüche gegen". Dann ist meines Erachtens die völlige Unsinnigkeit der Bestimmung aber von vornherein klar; denn „versorgt" werden insbesondere z. B. auch Geschwister des Anerben, weil sie als Abkömmlinge nichts erben, während gegen Geschwister Unterhaltsansprüche nicht in Frage kommen können. Alles das sind so unterschiedliche Dinge, daß man überhaupt nicht versteht, wieso der studierende Sohn eines Großgrundbesitzers auf dem Lande, wenn sein Vater ihm im Monat 250 Mark Unterhalt zahlen soll und nicht will, seine Ansprüche in dem gerichtlichen Verfahren nach diesem Gesetz geltend machen muß. Es sind
doch ganz andere Gesichtspunkte, die hier eine Rolle spielen, z. B. ob er hilfsbedürftig ist, ob er Ansprüche in der begehrten Hohe hat. Deswegen meine ich, es ist wirklich ein Irrtum, zu glauben, daß die „Versorgungsansprüche" des Gesetzes mit den allgemeinen Unterhaltsansprüchen überhaupt etwas zu tun haben. Sonst würden wir schließlich dazu gelangen, daß Unterhaltsansprüche gegen einen Arbeiter vor das Arbeitsgericht gehören. Das wäre eine Parallele. Die Unsinnigkeit ist doch klar. Es kommt nämlich nicht auf den Beruf des Verpflichteten an, sondern auf die Natur des Anspruchs.
Das Wort hat der Herr Bundesjustizminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie meinerseits, die Vorlage so, wie sie der Ausschuß beschlossen hat und wie sie in diesem Punkt von mir vorgeschlagen war, wiederherzustellen. Der Antrag der SPD widerspricht dem Zweck des Gesetzes. Das Gesetz will die Zuständigkeit der Landwirtschaftsgerichte nicht erweitern, sondern will lediglich die nach den landesrechtlichen Vorschriften bestehenden Unterschiede beseitigen und auf einen Nenner bringen. Nach idem geltenden Recht sind Versorgungsansprüche außerhalb des Höferechts in keinem deutschen Land bisher in die Zuständigkeit der Landwirtschaftsgerichte einbezogen worden. Es gab nur eine einzige Ausnahme, nämlich in Bayern für den Teilkomplex der gerichtlichen Änderung der Altenteilsleistung nach der Verordnung vom 14. Dezember 1923. In allen Ländern gibt es im übrigen keine Zuständigkeit der Landwirtschaftsgerichte für die allgemeinen Versorgungsansprüche. Es würde also der Tendenz des Gesetzes widersprechen, diese Versorgungsansprüche in die Zuständigkeit der Landwirtschaftsgerichte zu geben.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag, in § 1 die Ausschußfassung wiederherzustellen. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Meine Damen und Herren, in der zweiten Beratung hing die Sache an zwei Stimmen. Das Bild sieht so ungewiß wie vorhin aus. Wir kommen an der Auszählung nicht vorbei. Ich darf um möglichste Beschleunigung bitten.
Die Auszählung beginnt.
Ich bitte um Beschleunigung.
Meine Damen und Herren, die Auszählung ist beendet. Ich bitte, die Türen zu schließen.
Das Ergebnis der Abstimmung: Mit Ja haben gestimmt 149 Abgeordnete, mit Nein 127; enthalten hat sich einer. Damit ist der Änderungsantrag auf Wiederherstellung der Ausschußfassung angenommen.
Weitere Änderungsanträge liegen nicht vor. Das Wort ist auch nicht gewünscht. — Damit ist die Aussprache geschlossen. Ich rufe also auf die §§ 2
bis 60, Einleitung und Überschrift und bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Das ist die Mehrheit. Angenommen.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz als Ganzem zustimmen, sich von den Plätzen zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei wenigen Enthaltungen angenommen. Damit ist das Gesetz in dritter Beratung verabschiedet.
Ich rufe auf Punkt 5 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, DP/ DPB, FU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Straffreiheit (Nr. 3935 der Drucksachen);
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Rechtsswesen und Verfassungsrecht (Nr. 4428 der Drucksachen).
Das Wort .zur Berichterstattung hat Herr Abgeordneter Hoogen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 5. Dezember 1952 haben alle Fraktionen des Bundestages den Entwurf eines Gesetzes über Straffreiheit unter-. zeichnet. Dieser Entwurf ist in der ersten Lesung ohne Begründung und Aussprache dem Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht überwiesen worden. Der Einbringung des Entwurfs waren allgemeinpolitische, rechtspolitische und auch staatspolitische Erwägungen in interfraktionellen Besprechungen vorausgegangen. Der Inhalt dieser Besprechungen wurde in allen Fraktionen beraten mit ) dem Ergebnis, daß alle Fraktionen, die den Gesetzentwurf eingebracht hatten, ein Amnestiegesetz für zulässig und erforderlich hielten.
Den Erwägungen, die in den Fraktionen zur Einbringung des Gesetzentwurfs geführt haben, lagen die Feststellungen und Erfahrungen zugrunde, die im 46. Ausschuß, dem sogenannten Platow-Untersuchungsausschuß, in öffentlichen Sitzungen getroffen worden waren. Dieser Ausschuß hatte sich zwar nach dem Willen der Antragsteller in erster Linie mit der Prüfung von Mißständen in der Bundesverwaltung zu befassen. Bei der Durchführung der Untersuchungen stellte sich jedoch bald heraus, daß es staatspolitisch angebracht erscheine, die im Verkehr zwischen Bediensteten der Bundesverwaltung und Journalisten zutage getretenen Mißstände durch eine Amnestie zu erledigen. Im einzelnen darauf einzugehen, ist in diesem Bericht nicht erforderlich, weil das dem Schlußbericht des sogenannten Platow-Untersuchungsausschusses vorbehalten bleiben muß.
Der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht beauftragte einen Unterausschuß mit der Überprüfung und Beratung der Einzelheiten des Gesetzentwurfs. Bei dieser Beratung wurden auch die vom Herrn Bundesminister der Justiz in seinen Schreiben vom 20. Januar und 8. April 1953 gegen den Gesetzentwurf vorgebrachten grundsätzlichen Bedenken und auch die Bedenken zu einzelnen Bestimmungen des Gesetzentwurfs behandelt und, soweit es sich um Einzelbestimmungen handelt, auch zum großen Teil berücksichtigt.
Der Herr Bundesminister der Justiz äußerte in seinen vorgenannten Schreiben zunächst Bedenken gegen die Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers zum Erlaß eines Straffreiheitsgesetzes. Der Rechtsausschuß und sein Unterausschuß haben diese Bedenken jedoch nicht anerkennen können und werden in dieser ihrer Meinung vom Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluß vom 22. April dieses Jahres unterstützt.
Das Bundesverfassungsgericht hatte sich nämlich auf Antrag eines bayerischen Amtsgerichts mit der Frage zu befassen, ob das Straffreiheitsgesetz vom 31. Dezember 1949 mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Es hat diese Frage bejaht. Zur Begründung dieser Ansicht und gleichzeitig auch zur Widerlegung der Bedenken des Herrn Bundesjustizministers gegen das Straffreiheitsgesetz darf ich den hier interessierenden Teil aus den Gründen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 22. April 1953 mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten wörtlich wiedergeben:
Die Anschauung
— so heißt es in dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts —
über das Wesen der Amnestie hat sich mit der staatsrechtlichen Entwicklung vom alten Obrigkeitsstaat zum modernen Rechtsstaat gewandelt. Im Volksbewußtsein wird die Gewährung von Amnestie nicht mehr als ein Ausfluß einer dem Recht vorangehenden Gnade, sondern als Korrektur des Rechtes selbst empfunden. Außerdem entspricht es dem Wesen des modernen Rechtsstaates, daß Amnestie nicht mehr durch einen Gnadenerweis des Staatsoberhauptes, sondern gesetzlich gewährt wird. Diese wesensmäßige Wandlung war bereits zur Zeit der Geltung der Weimarer Verfassung in der Rechtslehre erkennbar, die die Gewährung von Straffreiheit für noch nicht rechtskräftig abgeurteilte Straftaten nicht mehr als Gnadenakt ansah.
Und an anderer Stelle dieses Urteils des Bundesverfassungsgerichts heißt es:
Der Bundesgerichtshof hat sich schon mehrfach über Einzelheiten des Straffreiheitsgesetzes
— ich ergänze: von 1949 —
entschieden und dieses damit als gültig behandelt.
Ich fahre fort: In der vorgenannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist ferner ausgeführt, daß sich die Befugnis des Bundesgesetzgebers zur Gewährung von Straffreiheit, soweit Niederschlagung von Verfahren in Frage steht, aus seiner Kompetenz zur Gesetzgebung auf dem Gebiete des Verfassungsrechts ergibt. Denn durch die Gewährung von Straffreiheit wird ein Strafverfolgungshindernis für alle amnestiefähigen Straftaten mit der Wirkung geschaffen, daß die Einleitung oder Fortführung aller noch nicht rechtskräftig abgeschlossener Verfahren verboten ist. Hiernach kann, meine Damen und Herren, die Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers zum Erlaß dieses Straffreiheitsgesetzes nicht mehr mit Aussicht auf Erfolg in Zweifel gezogen werden, gleichviel ob es sich hierbei um den Erlaß bereits rechtskräftig erkannter Strafen oder um die Niederschlagung von Verfahren handelt.
In den Ausschußberatungen und auch in dem oben erwähnten Schreiben des Herrn Bundesministers der Justiz wurde geltend gemacht, daß gegen den Erlaß des in Rede stehenden Gesetzes Bedenken bestünden, weil dieses Gesetz gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoße. Auch diese Bedenken
konnten von der Mehrheit des Ausschusses nicht anerkannt werden. Mit dem Gesetz sollen die Straffolgen von Einzelfällen, und zwar in einer unbestimmten, nach Typen gekennzeichneten Zahl von Straftaten nicht mehr verfolgt werden. Hierbei schweben naturgemäß dem Gesetzgeber zwar typische Einzelfälle vor; diese sind aber nicht der eigentliche Gegenstand des Gesetzentwurfs, sondern nur Anlaß und Motiv zum Erlaß des Gesetzes, weil der Gesetzgeber eben im Zuge der Untersuchungen des 46. Untersuchungsausschusses Anlaß zum Erlaß eines solchen Gesetzes gefunden hat. Die Frage, ob nach den getroffenen Feststellungen ein Bedürfnis nach gesetzlicher Regelung besteht, ist eine Frage des pflichtgemäßen Ermessens des Gesetzgebers, des Bundestags und des Bundesrats. Diese Frage — auch hierauf hat das Bundesverfassungsgericht mit Recht hingewiesen — ist einer Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich entzogen.
Meine Damen und Herren, wenn es aber richtig ist, daß im Volksbewußtsein die Gewährung von Amnestie nicht mehr als ein Ausfluß einer dem Recht vorgehenden Gnade, sondern als eine Korrektur des Rechtes selbst empfunden wird, dann zwingen die im Untersuchungsausschuß getroffenen Feststellungen und gemachten Erfahrungen den Bundesgesetzgeber geradezu, die vorerwähnte Korrektur vorzunehmen. Diese Feststellungen gehen nämlich dahin, daß vor dem gesetzlich festliegenden Stichtag, dem 31. Dezember 1951, in der Bundesverwaltung besondere Anlaufschwierigkeiten und stellenweise große Unsicherheit bestanden haben, die sogar in Einzelfällen dazu geführt haben, daß gleiche Sachverhalte und gleiche Tatbestände in den einzelnen Ministerien und Verwaltungen verschieden behandelt wurden. Gerade das ist es, was den Ausschuß in seiner Mehrheit veranlaßt hat, unter diese Dinge nunmehr einen Schlußstrich zu ziehen.
Nun zu den wenigen Einzelbestimmungen des Gesetzes, soweit, das darf ich hinzufügen, gegen die Einzelbestimmungen Bedenken erhoben worden sind. Als Stichtag ist nicht mehr der 12. Oktober 1951, wie es in dem ursprünglichen Entwurf hieß, sondern der 31. Dezember 1951 gewählt worden, und zwar deshalb, weil es dem Ausschuß ratsam erschien, einen späteren Termin festzulegen. Der 12. Oktober 1951 war der Tag, an dem ein Kabinettsbeschluß erging, in dem auf die Unzuträglichkeiten aufmerksam gemacht wurde. Bei der Größe und auch teilweise bei der räumlichen Entfernung der verschiedenen Bundesverwaltungen ist der Ausschuß aber der Überzeugung gewesen, daß man einen späteren Tag festlegen sollte, und aus Gründen der Vereinfachung hat man alsdann den 31. Dezember 1951 gewählt.
In § 3 sind die Worte „in ähnlicher Stellung" — ähnlich nämlich wie Beamte — gestrichen worden, weil der strafrechtliche Beamtenbegriff im Sinne des § 359 des Strafgesetzbuches durch die von der Rechtsprechung zu dieser Vorschrift entwickelten Grundsätze seit Jahrzehnten eindeutig festliegt und es infolgedessen einer entsprechenden Bestimmung im Gesetzentwurf nicht mehr bedurfte.
Die Einfügung der §§ 185 etc. im § 2 des Gesetzentwurfs ist auf die Bedenken des Herrn Bundesministers der Justiz in seinem Schreiben vom 20. Januar 1953 zurückzuführen.
Im § 4 des Gesetzentwurfs ist der Wortlaut im Interesse einer einheitlichen Gesetzessprache dem
Text der §§ 2 und 3 des Straffreiheitsgesetzes vom 31. Dezember 1949 angepaßt. Das gleiche gilt von der abgeänderten Fassung des § 5 des Gesetzentwurfs, mit welchem bestimmte Vorschriften des Straffreiheitsgesetzes 1949 für entsprechend anwendbar erklärt worden sind.
In § 5 a ist die üblicherweise einzufügende sogenannte Berlin-Klausel eingefügt worden.
So viel zu den einzelnen Bestimmungen. Bevor ich aber meinen Bericht abschließe, lassen Sie mich noch zu einem von dem Herrn Bundesminister der Justiz und auch von Mitgliedern des Ausschusses erörterten grundsätzlichen Bedenken kurz Stellung nehmen. Die Ermittlungen im 46. Untersuchungsausschuß haben nämlich ergeben, daß von Journalisten in mehreren Fällen Bediensteten der Bundesbehörden Geschenke angeboten und auch gegeben worden sind. Diese Geschenke haben zwar keineswegs den Umfang gehabt, wie das in der Öffentlichkeit teilweise behauptet oder verbreitet wurde. Im Ausschuß war man vereinzelt deshalb der Meinung, daß diese Fälle aktiver und passiver Bestechung nicht von der Amnestie mit umfaßt werden sollten. Mit dieser Frage haben sich Rechtsausschuß und Unterausschuß sehr eingehend befaßt. Die Durchführung der Untersuchungen im 46. Ausschuß hat jedoch ergeben, daß die aus den verworrenen Nachkriegsverhältnissen und den Anlauf sschwierigkeiten der Bundesverwaltung herrührende Unsicherheit, zu deren Beseitigung das Straffreiheitsgesetz dienen soll, sich insbesondere auch auf die Fälle erstreckt, wo im Einzelfall eine Bestechung möglicherweise anfängt oder aufhört. Nach den durchgeführten Ermittlungen ist es in der Tat sehr schwer, zu sagen, ob Honorare, die ein Beamter angenommen hat, der für irgendeinen Informationsdienst als Informant gewirkt oder Artikel geschrieben hat, Bestechungsgelder gewesen sind oder ob es sich bei ihnen nur um das Entgelt für eine genehmigungspflichtige oder nach den Bestimmungen des Beamtengesetzes sogar um eine genehmigungsfreie Nebenbeschäftigung handelte. Das waren gerade die Schwierigkeiten, unter die wir einen Schlußstrich ziehen wollten. Die Anwendung strengen Rechtes auf alle diese verschieden gelagerten und zwischen den einzelnen Ministerien teilweise sogar verschieden gehandhabten Fälle würde die große Gefahr heraufbeschwören, daß Unrecht an die Stelle von Recht gesetzt würde, weil das Gericht diese Schwierigkeiten und Unterschiedlichkeiten zwar bei der Frage des Strafmaßes, niemals aber bei der Schuldfrage berücksichtigen könnte, sondern zu einer Verurteilung kommen müßte, wenn der Angeklagte durch seine Handlung den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht hat. Das zu verhindern, meine Damen und Herren, und deshalb auch bei etwa vorgekommenen Bestechungsfällen keine Ausnahme vom Straffreiheitsgesetz zu machen, war die mit überwiegender Mehrheit geäußerte Meinung des Ausschusses. — So viel zu dem sehr grundsätzlichen Bedenken, das ich, glaube ich, hiermit auch genügend erörtert habe.
Namens des Rechtsausschusses habe ich die Ehre, Sie zu bitten, dem Gesetzentwurf Ihre Zustimmung zu geben.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Wir treten in die Einzelberatung der zweiten Lesung ein. Ich rufe auf § 1. Dazu liegt ein Ände-
rungsantrag auf Umdruck Nr. 995 Ziffer 1 vor. — Das Wort hat der Herr Bundesjustizminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung erhebt grundsätzliche Bedenken gegen den Ihnen vorliegenden Gesetzentwurf,
ich möchte sagen, aus allgemein-politischen Gründen, aus staatspolitischen Gründen und aus rechtspolitischen Gründen.
Es sollen strafbare Handlungen von Verlegern, Journalisten und Beamten amnestiert werden, die darin bestehen, daß unmittelbar oder mittelbar Nachrichten und Informationen oder Artikel in strafbarer Weise mitgeteilt und entgegengenommen oder verbreitet worden sind. Aus dem Bericht des Herrn Kollegen Hoogen ergibt sich, ,daß die Handlungen zugrunde liegen, die wir mit dem Platow-
Komplex umfangen. Alle diese strafbaren Handlungen sind bereits überprüft. Die Verfahren sind bei den Gerichten eingeleitet worden. Die Anklage ist meistens erhoben. Zumindest sind die Ermittlungen sehr weit gediehen. Es sind insgesamt rund 40 Fälle. In einem Straffreiheitsgesetz sollen also 40 Leute amnestiert werden.
Ich brauche Sie nur darauf zu verweisen, daß das von Ihnen beschlossene Straffreiheitsgesetz vom 31. Dezember 1949 ungefähr 750 000 Personen zugute gekommen ist. Wenn Sie das miteinander vergleichen, dann wird Ihnen bewußt, was hier vorgeht, daß hier an etwas ganz Exzeptionelles gedacht ist, daß eine Gruppe von Personen, die sich strafbar gemacht haben und die sich verantworten sollen, der Wohltat eines besonderen Straffreiheitsgesetzes teilhaftig werden sollen.
Ich halte das für unmöglich. Ich habe das schon im Rechtsausschuß erklärt und würde das für einen Schock für jeden empfinden, der rechtlich denkt. Ich bin der Meinung, daß Sie dieses Gesetz nicht verabschieden können.
Wenn der Herr Kollege Hoogen auf Feststellungen des 46. Ausschusses, des Untersuchungsausschusses in der Angelegenheit Platow, verweist, so muß ich feststellen: solche Feststellungen liegen nicht vor. Es gibt doch keinen Bericht dieses Ausschusses, den Sie verwerten könnten. Das sind irgendwelche Eindrücke oder Annahmen, die einzelne Mitglieder dieses Ausschusses haben. Ich glaube also nicht, daß Sie sich auf solche mehr oder minder stimmungsmäßig betonten Feststellungen stützen können.
Ich bin der Ansicht, daß dieses Gesetz gegen denGrundsatz der Gleichheit und gegen den Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit verstoßen und erheblichen Bedenken unterliegen würde.
Die Frage der Zuständigkeit des Bundes ist unbestritten. Ich habe lediglich einmal während der Verhandlungen darauf 'hingewiesen, daß 'beim Bundesverfassungsgericht ein Verfahren schwebt, weil die Zuständigkeit des Bundes hinsichtlich des eben erwähnten Straffreiheitsgesetzes vom 31. Dezember
1949 in Zweifel gezogen worden war und ich nur pflichtgemäß bat, vielleicht zuzuwarten, bis eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vorliegt. Also hier liegen keine Bedenken vor.
Der Entwurf ist nach meiner Meinung in allen Einzelheiten derart gefaßt, daß er zu unmöglichen Konsequenzen führt. Stellen Sie sich vor, daß Verleger, Journalisten, Beamte amnestiert werden sollen; wenn eine kleine Schreibhilfe, ein kleiner Fahrer eines Ministeriums die gleiche Handlung begangen hat, dann wird er in das Strafverfahren einbezogen, und die Wohltat der Straffreiheit wird ihm nicht zuteil. Daß vor allem, meine Damen und Herren, für Fälle der aktiven und der passiven Bestechung ganz ohne Rücksicht auf die zu erwartende, doch sehr hohe Strafe Straffreiheit gewährt werden soll, das halte ich für nicht praktikabel.
Ich muß da besonders an Fälle denken, in denen aus ehrloser Gesinnung oder aus Gewinnsucht gehandelt worden ist. Es scheint mir unerträglich, daß solche Fälle der Wohltat der Straffreiheit teilhaftig werden sollen. Ein derartiger Vorgang müßte ja in der Öffentlichkeit den Eindruck erwecken, als ob in den höchsten Stellen der Bundesrepublik eine Verworrenheit und eine sich aus der Verworrenheit ergebende Korruption geherrscht hätte. Davon kann doch gar keine Rede sein. Es sind vereinzelte Beamte und Angestellte, die sich ihrer Verpflichtung nicht eingedenk waren, eine ganz kleine Gruppe von Menschen, die mit den anderen, mit der großen Zahl von einwandfreien Beamten und Angestellten des Bundes gar nicht in einem Atemzuge genannt werden können. Man würde doch der Aufopferung und der Pflichterfüllung der hier in Bonn tätigen Beamten direkt ein Unrecht zufügen, wenn man von der Voraussetzung als Grundlage dieses Straffreiheitsgesetzes ausginge, daß der überwiegende Teil unserer Beamten nicht einwandfrei und korrekt gehandelt und sich verhalten hat.
Daraus ergeben sich eine Fülle von Bedenken auch gegen die Einzelheiten, z. B. die Wahl des Stichtages, ursprünglich 12. Oktober 1951, jetzt 31. Dezember 1951. Nach meiner Meinung vollkommen willkürlich. Die Pflicht zur Geheimhaltung ergab sich für jeden Beamten aus den Bestimmungen des Strafgesetzbuches und aus den Bestimmungen des Beamtengesetzes. Wir haben ein Übriges getan und haben schon im November 1949, als uns die ersten Indiskretionen bekanntwunden, ausdrücklich auf die Pflicht zur Geheimhaltung noch einmal hingewiesen, was sich für jeden erfahrenen Beamten an sich von selbst verstand. Dann sind in den einzelnen Ministerien noch weitere Hinweise erfolgt, und dann ist, nur aus einem besonderen Anlaß, der Beschluß des Kabinetts vom 12. Oktober 1951 erfolgt, der doch nicht konstitutiv, sondern der rein deklaratorisch war und die Beamten 'angesichts der aufgetauchten Fälle von Indiskretionen noch einmal gewarnt hat. Eine solche zeitliche Begrenzung wäre nach meiner Meinung rein willkürlich.
Man kann vor allem nicht damit operieren, daß man sagt, 'den Beamten sei nicht bewußt geworden und sei nicht klargeworden, wo die Grenze für eine genehmigungspflichtige Nebentätigkeit gelegen und wo die Korruption, wo die Bestechung begonnen habe. Das ist nach meiner Meinung für jeden Beamten selbstverständlich gewesen. Es liegt die Tatsache fest, daß kein Beamter und kein Angestellter,
oder nur in Aussicht genommen hat.
Meine Damen und Herren, es ist nun die Frage: wünschen Sie Abstimmung über diesen Antrag, be-
vor die Debatte zu den Änderungsanträgen weitergeht, oder nicht? Der Antrag auf Rückverweisung ist jederzeit möglich.
— Herr Abgeordneter von Merkatz zur Geschäftsordnung, bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Rahmen der Geschäftsordnung ist es vielleicht erlaubt, Sie darauf hinzuweisen — um ein Mißverständnis auszuräumen —, daß dieser Änderungsantrag unseres sehr verehrten Herrn Kollegen Ewers sein persönlicher Antrag ist und nicht von der Mehrheit meiner Fraktion geteilt wird.
Welcher Antrag?
Der Änderungsantrag! Herr Kollege Ewers hat in sehr dankenswerter und sehr klarer Weise die Grundmotive unseres Entschlusses vorgetragen. Wir können ihm in der Mehrheit aber in seinen juristischen Darlegungen nicht folgen, weil sie die Realität dieser Fälle, über die ich mich nicht näher verbreiten möchte, nicht treffen. Die Mehrheit meiner Fraktion hat diese Vorlage, und zwar in der Ausschußfassung, trotz mancher Bedenken für notwendig und für richtig gehalten. Wir sind uns dabei bewußt, daß die Meinung unseres Kollegen Ewers von sehr vielen maßgeblichen Juristen dieses Hauses geteilt wird. Wir legen aber in Übereinstimmung mit dem Entschluß des Ausschusses Wert darauf, daß diese Sache nunmehr vom Tisch des Hauses kommt und nicht weiter verzögert wird.
Meine Damen und Herren, darf ich dann zunächst über den Antrag des Herrn Abgeordneten Ewers, diesen Gesetzentwurf dem, wie ich verstanden habe, Rechtsausschuß zu überweisen — oder an denselben Ausschuß zurück, Herr Abgeordneter Ewers? —
— also an den Rechtsausschuß zurückzuverweisen, abstimmen lassen. Ich bitte die Damen und Herren, die für die Rücküberweisung sind, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letzte ist die Mehrheit; die Rücküberweisung ist abgelehnt.
Wollten Sie noch zur Sache sprechen, Herr Abgeordneter von Merkatz?
— Ist erledigt!
Zur Einzelbesprechung der zweiten Beratung Herr Abgeordneter Mücke!
Herr Kollege Ewers hat seinen Änderungsantrag damit begründet, daß er sagte, der Vorschlag des Rechtsausschusses sei unmöglich. Ich glaube, während der vier Jahre, die dieses Haus getagt hat, ist wohl kein Vorschlag des Rechtsausschusses mit einer solchen Begründung zurückgewiesen worden.
Zum Antrag des Herrn Abgeordneten Ewers möchte ich mich auf eine Feststellung beschränken. Der Antrag des Herrn Kollegen Ewers beinhaltet materiell nichts anderes als der Antrag, den der Rechtsausschuß Ihnen vorgelegt hat. Er enthält
lediglich die Einschränkung, daß die passive Beamtenbestechung nicht amnestiert werden soll.
Zu § 2, den Herr Kollege Ewers besonders kritisiert hat, möchte ich hier nur feststellen, daß die Formulierung des § 2 im Benehmen mit dem Bundesjustizministerium — und ich glaube, auch nach Rückfrage bei den einzelnen Landesjustizverwaltungen — vom Unterausschuß Straffreiheit, der vom Rechtsausschuß eingesetzt war, gefunden worden ist.
Ich darf namens meiner Fraktion erklären, daß wir nicht für den Änderungsantrag des Herrn Kollegen Ewers stimmen werden.
Herr Abgeordneter Dr. Leuze!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Mitunterzeichner des Antrags Umdruck Nr. 995 gestatten Sie mir ein kurzes Wort. Ich bin der Auffassung, daß die Amnestie in der Form, wie sie Herr Abgeordneter Ewers in seinem Antrag vorgeschlagen hat, ihre Berechtigung darin findet, daß sich im Verhältnis zwischen Presse, und zwar einer pflichtbewußten Presse, und Regierungsinstanzen in den Jahren nach 1945 unter dem Einfluß der Besatzungsmächte eine starke Unsicherheit eingestellt hat und daß wir es hier mit Übergangserscheinungen zu tun haben, die inzwischen durch reguläre Verhältnisse abgeschlossen worden sind. Darin liegt für mich eine starke Berechtigung, die Amnestie insoweit auszudehnen, als Unsicherheit in der Handhabung der Geheimhaltungspflicht hier amnestiert werden soll.
Ich bin jedoch der Auffassung, daß in der Frage, ob sich ein Beamter bestechen lassen darf, um Nachrichten herauszugeben — und diesen Fehler vermeidet der Antrag Umdruck Nr. 995 —, eine Unsicherheit nie bestanden und nie bestehen durfte. Derartige Tatbestände sind einer Amnestie nicht zugänglich,
und 'derartige Erscheinungen sind im Umdruck Nr. 995 mit vollem Recht ausgeklammert.
Meine Damen und Herren, ich sehe keine weiteren Wortmeldungen. Ich schließe die Besprechung zur zweiten Beratung.
— Herr Abgeordneter Meitinger, ich hatte die Besprechung geschlossen; Sie sind so liebenswürdig, dem Rechnung zu tragen.
Es liegt vor der Änderungsantrag der Herren, Abgeordneten Ewers und Genossen Umdruck Nr. 995. Da es sich praktisch um eine Ersetzung wesentlicher Paragraphen in der Gesamtheit handelt, wird Herr Abgeordneter Ewers damit einverstanden sein, daß über diesen Antrag insgesamt abgestimmt wird.
— Sie sind einverstanden. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Änderungsantrag des Herrn Abgeordneten Ewers Umdruck Nr. 995 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Dieser Antrag ist mit überwiegender Mehrheit abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über die aufgerufenen §§ 1 bis 6, Einleitung und Überschrift. Ich bitte die Damen und Herren, die den aufgerufenen
Paragraphen, Einleitung und Überschrift zuzustim-
men wünschen, um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; die aufgerufenen Paragraphen, Einleitung und Überschrift sind angenommen.
Ich komme zur
dritten Beratung.
Der Ältestenrat hat Ihnen vorgeschlagen, auf eine allgemeine Aussprache in der dritten Beratung zu verzichten. Änderungsanträge sind nicht gestellt; die Einzelbesprechung entfällt daher.
Ich komme zur Schlußabstimmung über den Entwurf eines Gesetzes über Straffreiheit. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Gesetz in der Gesamtheit zuzustimmen wünschen, sich zu erheben.
— Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen?
— Das erste war die Mehrheit; das Gesetz ist in der Schlußabstimmung angenommen.
Ich rufe auf Punkt 6:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung und Überleitung von Vorschriften auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes und des Entwurfs eines Gesetzes über die Erstattung von Gebühren für im Armenrecht beigeordnete Vertreter in Patent- und Gebrauchsmustersachen ; Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Patentrecht und gewerblichen Rechtsschutz (16. Ausschuß) (Nrn. 4365, zu 4365 der Drucksachen).
Herr Abgeordneter Hoogen ist Berichterstatter auch in diesem Fall. Darf ich bitten!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bericht zu diesem Gesetzentwurf ist schriftlich erstattet.*) Ich darf auf ihn verweisen, muß Sie aber darum bitten, den Ihnen vorliegenden Schriftlichen Bericht um einige Bemerkungen ergänzen zu dürfen, da die Ausschußberatungen bei der Drucklegung des Berichts nicht beendet waren und der Ausschuß Wert darauf legte, daß der Schriftliche Bericht um einen nachträglich zur Sprache gekommenen Punkt noch kurz ergänzt wird.
In dem Gesetzentwurf und in dem Bericht sind nämlich nicht behandelt die die sogenannten Erlaubnisscheininhaber berührenden Fragen. Die Erlaubnisscheininhaber auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes sind solche Personen, denen neben den Patentanwälten und Rechtsanwälten vom Patentamt auf Grund gesetzlicher Ermächtigung die berufsmäßige Vertretung anderer in bestimmten Verfahren gestattet. ist. Im Ausschuß wurde angeregt, für die Erteilung solcher Erlaubnisscheine in diesem Gesetz einen Endtermin festzusetzen. Dieser Meinung schloß sich als Sachverständiger der Vertreter des Patentamts an. Trotzdem war die Mehrheit des Ausschusses der Meinung, daß -diese Frage in diesem Gesetz nicht mehr geregelt werden könne, aber nicht etwa, weil man sich den Erwägungen der Minderheit und des Patentamts verschlossen hätte und die hiermit in Zusammenhang stehenden Fragen nicht einer beschleunigten Regelung zugeführt wissen möchte, sondern weil man durch die Anhörung der beteiligten Kreise und den dadurch verursachten Zeitverlust das Gesetz im übrigen nicht gefährden
*) Siehe Anlage 5 Seite 13585
wollte. Das Justizministerium sagte darauf eine beschleunigte Gesetzesvorlage die Erlaubnisscheininhaber betreffend zu.
Diese Ergänzungen glaubte ich im Auftrag des Ausschusses dem Schriftlichen Bericht hinzufügen zu müssen. Namens des Ausschusses habe ich die Ehre, Sie zu bitten, dem Gesetzentwurf zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich rufe auf zur Einzelbesprechung der zweiten Beratung, zunächst des Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung und Überleitung von Vorschriften auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes, Art. 1, — 2, — 2 a, — 3, — 4, — 5, — Einleitung und Überschrift. — Keine Wortmeldungen. Ich bitte die Damen und Herren, die diesen aufgerufenen Artikeln, Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen.- Das ist die überwiegende Mehrheit, — ist fast einstimmig angenommen.
Ich rufe auf vom Gesetz über die Erstattung von Gebühren für im Armenrecht beigeordnete Vertreter in Patent- und Gebrauchsmustersachen die §§ 1,-2,-3,-4,-5,-6,-7,-8,-9, —10, — 11, — Einleitung und Überschrift. — Ich bitte die Damen und Herren, die den aufgerufenen Paragraphen, Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
Ich rufe auf zur
dritten Beratung.
Allgemeine Besprechung entfällt nach dem Vorschlag des Altestenrates, Einzelbesprechung ebenfalls, da Anträge nicht gestellt sind.
Ich komme zur Schlußabstimmung. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Fünften Gesetz zur Änderung und Überleitung von Vorschriften auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes und dem Gesetz über die Erstattung von Gebühren Eh-im Armenrecht beigeordnete Vertreter in Patent-und Gebrauchsmustersachen in der Schlußabstimmung zuzustimmen wünschen, sich von ihren Plätzen zu erheben. — Ich stelle fest, daß beide Gesetze fast einstimmig angenommen worden sind. Hat Abgeordneter Lücke den Wunsch, dagegen zu stimmen?
Enthaltung, aha!
Meine Damen und Herren, bei dem zweiten Gesetz ist vom Ausschuß das Datum des Inkrafttretens nicht eingesetzt worden. Darf ich an den Herrn Berichterstatter die Frage richten, ob das dem Bundestag überlassen werden soll oder ob die gesetzlichen Vorschriften über das Inkrafttreten vorgesehen sind?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Darf ich anregen, wenn eine Bestimmung darüber in dem Gesetzentwurf nicht vorgesehen ist, es dann bei der entsprechenden Bestimmung des Grundgesetzes sein Bewenden haben zu lassen, das ja solche Fälle regelt?
Darf ich vielleicht einen noch zweckmäßigeren Vorschlag machen? Da bei dem ersten Gesetz das Inkrafttreten am 1. August 1953 vorgesehen ist, empfiehlt es sich, bei dem zweiten Gesetz das gleiche zu tun.
— Das Haus scheint damit einverstanden zu sein.
Wir setzen also in § 11 ein: „1. August 1953". —
Auch der Herr Berichterstatter hat keine Bedenken.
Ich rufe auf Punkt 7:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität betreffend Genehmigung zur Haft zwecks Erzwingung der Ableistung des Offenbarungseides gegen den Abgeordneten Freiherrn von Aretin gemäß Schreiben des Rechtsanwalts Dr. jur. Krafft von Dellmensingen, München, vom 12. März 1953 (Nr. 4378 der Drucksachen).
Ich teile mit, daß mir heute eine Quittung über den Betrag von 533,27 DM, der heute telegraphisch überwiesen worden ist, von dem Herrn Abgeordneten von Aretin vorgelegt worden ist. Ich habe es übernommen, das Haus darüber zu informieren und es zu fragen, ob es unter diesen Umständen damit einverstanden ist, daß dieser Punkt der Tagesordnung vertagt wird, da der Herr Rechtsanwalt des Gläubigers telefonisch, wie der Herr Vorsitzende der Fraktion der Bayernpartei mir mitgeteilt hat, erklärt hat, daß er den Antrag zurückziehen würde, wenn das Geld eingegangen sei.
— Meine Damen und Herren, ich habe es übernommen, dem Hause diese Mitteilung zu machen. Ich muß anheimgeben, die Folgerungen daraus zu ziehen. Sind Sie mit der Verschiebung einverstanden?
Offenbar ist die Mehrheit einverstanden.
— Meine Damen und Herren, daß diese wiederholten Vorkommnisse nicht gerade förderlich sind, brauche ich nicht besonders hervorzuheben.
— Ich darf also unterstellen, daß trotz dieser Erkenntnis die Mehrheit dieses Hauses mit der Verschiebung .dieses Punktes der Tagesordnung einverstanden ist.
Ich rufe auf Punkt 8:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität betreffend Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Dr. Dehler gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 23. Februar 1953 (Az. 4023 E — 206/53) (Nr. 4392 der Drucksachen).
Herr Abgeordneter Dr. Meitinger ist Berichterstatter. Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesminister der Justiz hat sich mit Schreiben vom 23. Februar 1953 an den Präsidenten des Deutschen Bundestages mit der Bitte gewandt, eine Entscheidung des Bundestages darüber herbeizuführen, ob die Immunität d es Abgeordneten Dr. Dehler zur Strafverfolgung wegen Beleidigung des Abgeordneten Dr. Arndt aufgehoben wird. Der Sachverhalt ist kurz folgender:
Dr. Dehler hat laut Bericht des Herrn Oberstaatsanwalts von Bonn vom 20. Januar 1953 an den Vorsitzenden des Bundestagsausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht, Herrn Geheimrat Dr. Laforet, am 2. Dezember 1952 einen Brief geschrieben, in dem er einen. Teil des Gesuchs des ehemaligen Landrichters Dr. Arndt vom 9. April 1933 um Zulassung als Rechtsanwalt, gerichtet an den damaligen nationalsozialistischen preußischen Justizminister, wiedergibt. Diesen Brief hat Dr. Dehler sofort der Presse übergeben und einer unbestimmten Zahl von Personen mitgeteilt. Das vorgenannte Gesuch hat Dr. Dehler in Abschrift dem Brief beigefügt. Ich darf unterstellen, daß das Hohe Haus auf die Verlesung dieses, Gesuches verzichtet.
Im Anschluß an die Wiedergabe des Gesuches von Dr. Arndt hat Dr. Dehler am Schluß des Briefes gegen Dr. Arndt folgende Vorwürfe erhoben.
Wenn das Haus darauf verzichtet, — —
Dr. Arndt hat seine Pflichten als Richter, im besonderen seine Pflicht zur Wahrung des Beratungsgeheimnisses, aus selbstsüchtigen Gründen gröblich verletzt. Er hat seinen Richtereid gebrochen.
Er, der sich anmaßt, heute über die politische Vergangenheit anderer zu urteilen, hat sich d'en nationalsozialistischen Machthabern gegenüber gerühmt,
zu ihren Gunsten Recht gesprochen zu haben.
Der gleiche Mann hat am Schluß der Beratung des von Ihnen geleiteten Ausschusses über die Vertragsgesetze am 12. November 1952 erklärt: „Ich will Ihnen ganz klar sagen, ich für meinen Teil würde das Regime, das durch diese Verträge begründet wird, mit der gleichen Leidenschaft und mit der gleichen Empörung ablehnen, wie ich das nationalsozialistische Regime abgelehnt habe."
Der Charakter des Abgeordneten Dr. Arndt hat sich seit 1933 nicht gewandelt. Dr. Arndt hat am 18. Dezember 1950 einen an mich, gerichteten Brief der Öffentlichkeit übergeben, in dem er Einzelheiten der Beratungen des Richterwahlausschusses für den Bundesgerichtshof preisgegeben rund unter mißdeutender Verwertung von unterschlagenen und gehehlten Protokollen der Sitzungen des Bundeskabinetts entstellend dargestellt hat.
Er hat damit der Pflicht zur Verschwiegenheit, zu der er durch das Richterwahlgesetz gehalten ist und zu deren gewissenhafter Beobachtung er sich durch Handschlag verpflichtet hatte, bewußt entgegengehandelt.
Der Abgeordnete Dr. Adolf Arndt besitzt nicht die Legitimation für die von ihm in der deutschen Öffentlichkeit in Anspruch genommene Rolle.
Auf Grund dieses Briefes erschien ein Artikel über Dr. Arndt unter der Überschrift „Zum Fall Dr. Arndt" im Informationsdienst der CDU/CSU „Union in Deutschland" Nr. 100, desgleichen im „Rheinischen Merkur" Nr. 50, 7. Jahrgang vom 19. Dezember 1952.
Am 15. Dezember 1952 hat Dr. Arndt, vertreten durch seine Prozeßbevollmächtigten Dr. Wolf Wassermeyer und Dr. Max Horster, Rechtsanwälte in Bonn, wegen vorgeschilderter Vorwürfe Unterlassungsklage gegen den Bundesminister der Justiz Dr. Dehler in Bonn beim Landgericht — Zivilgericht
— in Bonn eingereicht.
Herr Abgeordneter Dr. Meitinger, haben Sie die Liebenswürdigkeit, vielleicht etwas zu kürzen. Ich glaube, der Sachverhalt ist dem Hause doch bekannt.
Dr. Meitinger !, Berichterstatter: Am 20. Dezember 1952 hat Dr. Arndt beim Herrn Oberstaats- anwalt beim Landgericht Bonn hierwegen Strafantrag gegen den Bundestagsabgeordneten und Bundesjustizminister Dr. Thomas Dehler in Bonn gestellt wegen Verleumdung und übler Nachrede.
Ich nehme an, daß das Hohe Haus auf die Verlesung des Strafantrags mit Begründung verzichtet.
Kommen Sie bitte zum Schluß, Herr Abgeordneter.
Der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität befaßte sich in der 165. Sitzung und 167. Sitzung mit dieser Angelegenheit. Nach Vortrag des Sachverhalts durch den Referenten kam die Mehrheit des Ausschusses zu der Überzeugung, daß es sich um politische Beleidigungen handle, die auf den tiefen politischen Gegensätzen der beiden Partner beruhen, während eine Minderheit den Standpunkt vertrat, daß der Verdacht des Vergehens der Verleumdung gemäß § 187, gegebenenfalls § 187 a bestehe.
Der Ausschuß faßte hierauf mit 11 gegen 9 Stimmen folgenden Beschluß:
Der Bundestag wolle beschließen:
Die Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Dr. Dehler wird nicht er-. teilt.
Ich bitte das Hohe Haus, diesem Ausschußantrag zuzustimmen.
Sie haben den Bericht des Abgeordneten Meitinger gehört. — Herr Abgeordneter Wagner?
— Zu diesem Punkt?
— Ja, bitte!
Meine Damen und Herren! Ich habe den Standpunkt meiner Fraktion in aller Kürze darzulegen.
— Ich weiß nicht, warum Sie Bemerkungen machen. Es hat doch jede Fraktion das Recht, bei der Abstimmung eine Erklärung abzugeben. Der
Fall selbst soll hier nicht behandelt werden. Er hat nicht etwa dadurch eine besondere Note, daß ein Abgeordneter dieses Hauses gegen einen anderen Abgeordneten dieses Hauses einen Strafantrag stellt, sondern er hat diese besondere Note dadurch, daß, wie Sie aus dem Munde des Herrn Berichterstatters gehört haben, der Strafantrag auf verleumderische Beleidigung gemäß § 187 des Reichsstrafgesetzbuches lautet, d. h. wegen der Behauptung einer Tatsache, die geeignet ist, einen anderen in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen, und die wider besseres Wissen abgegeben worden ist. Der Strafantrag geht nämlich davon aus, daß der Herr Abgeordnete Dehler dem Herrn Abgeordneten Arndt wider besseres Wissen den Vorwurf mache, er habe seinen Richtereid gebrochen und sich den nationalsozialistischen Machthabern gegenüber gerühmt, zu ihren Gunsten Recht gesprochen zu haben. Der Strafantragsteller behauptet, daß, obgleich dem Beleidiger das Unrecht und die Haltlosigkeit einer solchen Behauptung bewußt gewesen sei, er sie trotzdem aufgestellt habe.
Wir haben es bisher bei der Frage der Aufhebung der Immunität nie mit einem Fall zu tun gehabt, der sich mit verleumderischen Beleidigungen beschäftigte
.
—einen Augenblick, Herr Kollege, ich komme darauf zurück —, sondern lediglich mit Fällen der Beleidigung und der üblen Nachrede nach den §§ 185 und 186 des Strafgesetzbuches. Nun ist die Frage
— und jetzt gebe ich Ihnen die Antwort auf Ihren Zwischenruf, für den ich Verständnis habe —: Was ist für das Haus entscheidend? Kann das Haus nunmehr prüfen und hat es zu prüfen, ob es sich um eine Beleidigung nach den §§ 185 und 186 oder um eine Beleidigung nach § 187 dreht? Und da stehen wir allerdings auf dem Standpunkt, daß die Prüfung dieser Frage Sache des Gerichts und nicht Sache dieses Hauses ist.
— Einen Augenblick, Herr Kollege. Wir stehen weiter auf dem Standpunkt, daß maßgebend für unsere Stellungnahme der Inhalt des Strafantrags ist, es sei denn, daß dieser Strafantrag offenbar nach den besonderen Umständen des Falles in seinem Inhalt unmöglich ist. Das ist einegrundsätzliche Auffassung. Und wenn ein Strafantrag gestellt wird, wie in diesem Falle begründet von einem Mann, dessen juristische Qualitäten wahrscheinlich durch niemanden bestritten werden wollen, so ist eben davon schlechterdings auszugehen, — nicht nur in diesem Falle, sondern ganz grundsätzlich. Wenn das aber so ist, dann müssen wir daran denken, daß wir beispielsweise im Art. 46 des Grundgesetzes, und zwar im Art. 46 Abs'. 1 Satz 2 ausdrücklich die verleumderischen Beleidigungen ausnehmen, so daß man sagen muß, daß durch diese Wandlung gegenüber der Auffassung der Weimarer Verfassung wir in den Fällen, in denen es sich um Anträge auf Aufhebung der Immunität handelt, analog vorgehen müssen. Diese Analogie gebietet uns zu sagen, daß in solchen Fällen, auch wenn politische Gegensätze dabei eine Rolle spielen sollten, auch wean es sich im Hintergrund um persönlich-politische Auseinandersetzungen handeln sollte, meine Fraktion .grundsätzlich für Aufhebung der Immunität stimmt. Deshalb wird sie auch in diesem Falle für Aufhebung der Immunität sein.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mende.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, mein Herr Vorredner befindet sich in einem Irrtum. Art. 46 Abs. 1 bezieht sich nur auf die sogenannte Indemnität oder Redefreiheit hier im Hause, im Ausschuß oder den Fraktionen.
Ob ein solcher Analogieschluß, wie Sie ihn eben gezogen haben, auch für die Absätze 2 und 3 gerechtfertigt ist, ist seinerzeit bei den Richtlinien, die das Haus in Immunitätssachen als Anlage zur Geschäftsordnung beschlossen hat, nicht ausdrücklich vermerkt worden. Die Frage ist bestritten.
Ich möchte ferner der Auffassung widersprechen, daß der Inhalt des Strafantrags maßgeblich für die materielle Beurteilung sein soll.
Ganz besonders aber möchte ich der Feststellung widersprechen, daß die persönliche juristische Qualifikation des Antragstellers etwa durch das Haus gewertet werden sollte.
Meine Damen und Herren, wir begeben uns damit doch indirekt auf das Gebiet der materiellen Würdigung, die dem Hause versagt ist und ein Verstoß gegen die Verfassung wäre. Das Haus hat mit gutem Grund in den vergangenen dreieinhalb Jahren ohne Ansehen der Person solche aus den politischen Meinungsverschiedenheiten entstandenen Streite grundsätzlich gedeckt. Ich erinnere daran — und ich bitte die Fraktion der SPD, besonders gut zuzuhören —, daß ich als Berichterstatter in dem Strafantrag, den seinerzeit der Herr Heinrichsbauer gegen den Abgeordneten Arndt gestellt hatte, weil der Abgeordnete Arndt den Ausdruck „politischer Zuhälter" gebraucht hatte, auch trotz der Möglichkeit, daß es sich um eine Verleumdung handeln könnte, damals für Nichtaufhebung der Immunität plädiert habe, weil auch wir seinerzeit in diesem Kampf Heinrichsbauer gegen Arndt — entstanden aus den Ermittlungen des Untersuchungsausschusses — einen politischen Sachverhalt sahen, der durch die Richtlinien, die wir zu Art. 46 ausgearbeitet hatten, gedeckt war. Ob der neue Bundestag sich an, diese bisherige Praxis halten wird, ist eine andere Frage. Ich möchte jedoch davor warnen, wenige Wochen oder Monate vor dem Ende der Wahlperiode des alten Bundestages hier eine Änderung der bisherigen Praxis eintreten zu lassen, weil ich insbesondere im Hinblick auf den Wahlkampf fürchte, das Haus täte sich mit einer Änderung der bisherigen Richtlinien einen schlechten Dienst.
Ich bitte daher, im Sinne des Antrags des Berichterstatters zu verfahren und in diesem Fall wie in vielen ähnlichen, wenn nicht sogar gleichen Fällen, die Strafverfolgung nicht freizugeben.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Besprechung. Ich komme zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität Drucksache Nr. 4392. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag, die Genehmigung zur Strafverfolgung gegen den Abgeordneten Dr. Dehler nicht zu erteilen, zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich
bitte um die Gegenprobe. Enthaltungen? — Das
erste war die Mehrheit; dem Antrag ist entsprochen.
Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität betreffend Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Dr. Dehler gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 18. März 1953 (Az. 1044/1 E — 31/53) (Nr. 4393 der Drucksachen).
Ich bitte Herrn Abgeordneten Dr. Meitinger — wenn möglich in Kürze — die Berichterstattung zu den Punkten 9 und 10 zusammen durchzuführen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesminister der Justiz hat sich mit Schreiben vom 8. März 1953 an den Herrn Präsidenten des Deutschen Bundestags mit der Bitte gewandt, eine Entscheidung des Deutschen Bundestags darüber herbeizuführen, ob die Genehmigung zur Durchführung des Strafverfahrens gegen den Herrn Bundesminister der Justiz und Bundestagsabgeordneten Dr. Dehler wegen Beleidigung erteilt wird.
Der Sachverhalt ist folgender: Dr. Thomas Dehler hatte am 2. Dezember 1952 an den Vorsitzenden des Ausschusses für Rechtswesen und Verf assungsrecht, Professor Dr. Laforet, den im vorigen Ihnen vorgetragenen Immunitätsverfahren der heutigen Tagesordnung gegen den Abgeordneten Dr. Dehler teilweise verlesenen Brief geschrieben, den ich nun als bekannt voraussetze. Am 5. Dezember 1952 befaßte sich hierauf die Bundestagsfraktion der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands mit diesem Brief und sprach dem Bundestagsabgeordneten Dr. Arndt ihr volles Vertrauen aus. Sie übergab daraufhin der Presse folgende Erklärung, die von dem Bundestagsabgeordneten Menzel gezeichnet ist:
In ihrer Sitzung vom 5. Dezember 1952 be-
faßte sich die sozialdemokratische Fraktion des
Bundestages mit dem Brief des Bundesministers Dr. Dehler gegen den Bundestagsabgeordneten Dr. Arndt. Die Fraktion wandte
sich einmütig gegen den Versuch, politische
Gegner durch eine leichtfertige Ehrabschneiderei unschädlich machen zu wollen. Einstimmig wurde festgestellt, daß Dr. Arndt nach
wie vor das volle Vertrauen der Fraktion besitzt. Die Fraktion behält sich weitere Schritte
gegen jeden Verleumder vor.
In der Plenarsitzung des Deutschen Bundestages vom 5. Dezember 1952, dem letzten Tage der dreitägigen zweiten Beratung des EVG-Vertrages, sprach Dr. Dehler im Plenarsitzungssaal vor der Rednertribüne Dr. Menzel unvermittel an und fragte ihn, wie er dazu käme, ihn als Ehrabschneider zu bezeichnen. Dr. Menzel erwiderte, daß er sich nicht verpflichtet fühle, ihm im Plenarsitzungssaal und noch dazu während der Verhandlung Rechenschaft zu geben. Daraufhin gebrauchte Dr. Dehler gegenüber Dr. Menzel die Worte „Sie Schuft!". Da Dr. Menzel es nicht zu weiteren Auseinandersetzungen kommen lassen wollte, kümmerte er sich nicht um Dr. Dehler und ging an diesem vorbei, ohne weitere Erklärungen abzugeben. Dr. Dehler rief daraufhin Dr. Menzel nochmals die Worte „Sie Schuft!" nach.
Dr. Menzel hat unter dem 12. Dezember 1952 gegen Dr. Dehler wegen dieser Beleidigungen Strafantrag nach § 185 StGB gestellt.
Der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität befaßte sich in der 167. Sitzung mit dieser Angelegenheit. Der Ausschuß vertrat hierbei die Ansicht, daß die Indemnitätsvorschrift des Art. 46 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes auf den vorliegenden Fall keine Anwendung finde, da diese beleidigende Äußerung nicht durch die zu dieser Zeit stattfindende Verhandlung des Bundestages ausgelöst wurde. Andererseits kam der Ausschuß mit Mehrheit zu dem Ergebnis, daß es sich um eine typische rein politische Beleidigung handele.
Der Ausschuß beschloß mit 13 gegen 5 Stimmen bei 2 Enthaltungen:
Der Bundestag wolle beschließen:
Die Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Dr. Dehler wird nicht erteilt.
Ich bitte, diesem Ausschußantrage zuzustimmen.
Herr Abgeordneter Meitinger, haben Sie die Liebenswürdigkeit, den Bericht zu Punkt 10 auch gleich zu erstatten; wenn möglich, in Kürze. —
Wird das Wort zu Punkt 9 gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann kann ich diese Pause benutzen, um abstimmen zu lassen. Ich bitte die Damen und Herren, die -dem Antrage des Ausschusses, den der Herr Abgeordneter Meitinger eben begründet hat, zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit; ist angenommen.
Ich bitte nun Herrn Abgeordneten Meitinger; wenn möglich, kurz! Der Sachverhalt ist dem Hause bekannt. Ich rufe also auf Punkt 10 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität betreffend Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Dr. Arndt gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 23. März 1953 (Az. 1044/1 E - 30/53) (Nr. 4394 der Drucksachen).
Der Herr Bundesminister der Justiz hat mit Schreiben vom 23. März 1953 gebeten, eine Entscheidung des Deutschen Bundestages herbeizuführen, ob die Genehmigung zur Durchführung des Strafverfahrens gegen den Bundestagsabgeordneten Dr. Arndt wegen Beleidigung des Herrn Bundesministers der Justiz Dr. Dehler erteilt wird.
Der Sachverhalt ist folgender:
Aus dem Bericht — —
Herr Abgeordneter Dr. Meitinger, Sie hören aus der Reaktion des Hauses, daß der Sachverhalt bekannt ist. Fassen Sie es doch in wenigen Sätzen zusammen. Ich vermute, daß Sie es können.
— Die Unruhe verlängert ja nur diese Beratung.
Herr Präsident, ich bitte, mich in meinem Bericht nicht zu unterbrechen.
Herr Abgeordneter, Sie können einiges dazu beitragen.
Herr Dr. Arndt hat in diesem Brief erklärt, daß er bereits einmal im Plenum des Bundestages leider habe sagen müssen, daß ein Bundesminister der Justiz,
der die politische Lüge durch Gesetz strafbar machen wolle, sich j a selber entsprechend zu verhalten habe.
Der Ausschuß befaßte sich in der 165. Sitzung mit dieser Angelegenheit. Er kam zu der Überzeugung, daß es sich bei dem vorliegenden Sachverhalt um politische Beleidigungen handele, die als Ausfluß der tiefen politischen Gegensätze der beiden Partner zu werten seien. Der Ausschuß beschloß deshalb gegen eine Stimme bei einer Stimmenthaltung:
Der Bundestag wolle beschließen:
Die Genehmigung zum Strafverfahren gegen
den Abgeordneten Dr. Arndt wird nicht erteilt.
Ich bitte, diesem Ausschußantrag zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag auf Drucksache Nr. 4394 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit; dieser Antrag ist angenommen.
Darf ich fragen, Herr Abgeordneter Dr. Brill: wie lange schätzen Sie die Berichterstattung zu Punkt 11?
— Zwei Minuten, das ist eine ausgezeichnete Aussicht.
Ich rufe den Punkt 11 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend das Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge ; Mündlicher Bericht des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht (23. Ausschuß) (Nr. 4146 [neu] der Drucksachen).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Dr. Brill. Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen.
— Darf ich um etwas Konzentration bitten, damit wir noch einiges von der Tagesordnung erledigen können. Bitte schön, Herr Abgeordneter!
Dr. Brill ,, Berichterstatter: Meine Damen und Herren! Der Bundestag hatte anläßlich der Verabschiedung des Gesetzes über die Rechtsstellung der heimatlosen Ausländer in Deutschland am 28. Januar 1951 beschlossen, die Bundesregierung aufzufordern, unverzüglich dem allgemeinen Abkommen der Vereinten Nationen über die Flüchtlinge beizutreten. Nach jahrelangen Vorberatungen ist im August 1951 dieses Abkommen in Genf ausgehandelt und am 19. November 1951 von dem deutschen Geschäftsträger in New York für die Bundesrepublik unterzeichnet worden.
Darf ich zunächst auf das Abkommen selbst eingehen. Es bietet materiell keine Schwierigkeiten. Denn jeder einzelne Artikel, der materielles Recht bringt, stimmt zum Teil oder vollständig mit den entsprechenden Vorschriften des schon erwähnten Gesetzes über die Rechtsstellung der heimatlosen Ausländer überein. Einigè Artikel bleiben sogar hinter diesem materiellen Recht zurück.
Das Ratifikationsgesetz bedarf allerdings in zwei Punkten einer besonderen Erwähnung. In Art. 2 ist vorgesehen, daß ohne Rücksicht auf die notwendige Zahl der Staaten, die ratifizieren, nämlich sechs, und das Inkrafttreten innerhalb einer Frist von 19 Tagen dieses Abkommen in Deutschland als deutsches Recht sofort in Kraft gesetzt werden soll. In diesem Punkte entpuppt sich also das Ratifikationsgesetz als ein Mantelgesetz und macht das Abkommen selbst zu deutschem Recht, ein Vorgang, den wir, glaube ich, bisher noch nicht gehabt haben. Die Maßnahme ist nach Auffassung der Bundesregierung deshalb notwendig, weil ständig noch ein Zufluß von Flüchtlingen aus Polen und der Tschechoslowakei nach Deutschland stattfindet. Diese Flüchtlinge werden jetzt bloß nach Gewohnheitsrecht behandelt. Eine gesetzliche Grundlage wird von dem Vertreter des Hohen Kommissars für Flüchtlinge der Vereinten Nationen für notwendig gehalten. Außerdem sollte Deutschland im Ratifikationsvorgang selbst nicht zurückbleiben. Das Abkommen ist bereits von Norwegen und Dänemark ratifiziert. Die Ratifikation läuft bei etwa zehn weiteren Staaten. Das Ansehen der Bundesrepublik gebietet, daß die Ratifikation so schnell wie möglich vorgenommen wird.
Der zweite Punkt des Ratifikationsgesetzes, der besonderer Beachtung bedarf, ist die neue Berlin-Klausel. Sie ist zwischen dem Senat von Berlin und der Alliierten Westkommandantur ausgehandelt und von beiden Seiten bestätigt, so daß auch ihre Einfügung keine völkerrechtliche Schwierigkeit bietet. Sie bedeutet für das Verhältnis Berlins zur Bundesrepublik und für die staatsrechtliche Stellung Berlins einen Fortschritt.
Der Ausschuß hat das Abkommen und das Ratifikationsgesetz einstimmig angenommen und empfiehlt Ihnen, ebenso zu verfahren.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich rufe auf die Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift. — Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist einstimmig angenommen.
Die allgemeine Aussprache in
dritter Beratung
entfällt, ebenfalls die Einzelbesprechung. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Entwurf eines Gesetzes betreffend das Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge in seiner Gesamtheit zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Das ist einstimmig angenommen.
Gemäß § 88 Satz 4 der Geschäftsordnung entfällt eine Schlußabstimmung.
Ich rufe Punkt 12 auf:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Vertrieb von Blindenwaren .
Sind Sie bereit, meine Damen und Herren, auf eine Aussprache zu diesem Punkt zu verzichten?
— Sie sind einverstanden.
Ich schlage Ihnen vor, den Gesetzentwurf dem Ausschuß für Wirtschaftspolitik zu überweisen. — Das Haus ist damit einverstanden; die Überweisung ist erfolgt.
Ich rufe Punkt 13 auf:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Handelsabkommen vom 7. Oktober 1951 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Irak .
Es wird auf die schriftliche Begründung verwiesen. Ich schlage Ihnen vor, den Gesetzentwurf dem Ausschuß für Außenhandelsfragen zu überweisen. — Sie sind damit einverstanden.
Ich rufe Punkt 14 auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Zweite Protokoll vom 22. November 1952 über zusätzliche Zugeständnisse zum Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (Nr. 4237 der Drucksachen);
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Außenhandelsfragen (Nr. 4401 der Drucksachen).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Serres. Herr Abgeordneter Serres berichtet auch zu den Punkten 15 und 16 der Tagesordnung. Ich rufe also weiter auf Punkt 15:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den deutsch-chilenischen Briefwechsel vom 6. September 1952 betreffend die zollfreie Einfuhr von 50 000 t Chile- Salpeter in der Zeit vom 1. Juli 1952 bis 30. Juni 1953 ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Außenhandelsfragen (Nr. 4400 der Drucksachen)
, und Punkt 16: .
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Zweite Berichtigungs- und Änderungsprotokoll vom 8. November 1952 zu den Zollzugeständnislisten des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (Nr. 4159 der Drucksachen);
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Außenhandelsfragen (Nr. 4399 der Drucksachen).
Bitte, Herr Abgeordneter!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Hause ist mit Drucksache Nr. 4237 der Entwurf eines Gesetzes über das Zweite Protokoll vom 22. November 1952 über zusätzliche Zugeständnisse zum Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen — Österreich und Bundesrepublik Deutschland — zugegangen. Das
Gesetz befaßt sich mit den GATT-Verhandlungen, die im Rahmen der 7. GATT-Tagung im Herbst vergangenen Jahres stattgefunden haben und in denen mit Osterreich Zugeständnislisten ausgetauscht worden sind. Der Ausschuß für Außenhandelsfragen hat sich mit dem Inhalt dieser Zugeständnislisten im einzelnen befaßt und hat ihnen trotz- einiger Bedenken zugestimmt, und zwar deswegen, weil gewisse handelspolitische Schwierigkeiten für die Republik Österreich bestehen. Ich habe die Ehre, Sie namens des Ausschusses zu bitten, dem Ausschußantrag gemäß Drucksache Nr. 4401 Ihre Zustimmung zu geben.
Die Drucksache Nr. 4174 enthält den Entwurf eines Gesetzes über den deutsch-chilenischen Briefwechsel vom 6. September 1952 betreffend die zollfreie Einfuhr von 50 000 t Chile-Salpeter in der Zeit vom 1. Juli 1952 bis 30. Juni 1953. Die Einzelheiten ergeben sich aus dem Gesetz. Chile-Salpeter ist ein wichtiges Einfuhrgut für Deutschland,- andererseits das wichtigste Exportgut der Republik Chile. Der Ausschuß für Außenhandelsfragen, dem das Gesetz überwiesen worden war, hat sich auch mit dieser Materie befaßt. Ich darf Sie namens des Ausschusses bitten, dem Ausschußantrag gemäß Drucksache Nr. 4400 Ihre Zustimmung zu geben.
Die Drucksache Nr. 4159 enthält den Entwurf eines Gesetzes über das Zweite Berichtigungs- und Änderungsprotokoll vom 8. November 1952 zu den Zollzugeständnislisten des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens . Die Verhandlungen haben im Rahmen der- 7. Vollversammlung des GATT im Herbst vergangenen Jahres in Genf stattgefunden. Der Inhalt -des Änderungsprotokolls befaßt sich in der Hauptsache mit einer Reihe von Berichtigungen. Ferner sind Zugeständnislisten darin enthalten, sowohl von der Bundesrepublik Deutschland als auch von einigen anderen Ländern. Die Berichtigungen sind, wie der Ausschuß für Außenhandelsfragen festgestellt hat, überwiegend formeller Natur. Der Ausschuß hat sich im einzelnen damit befaßt und hat dem Berichtigungs- und Änderungsprotokoll vom 8. November 1952 seine Zustimmung gegeben. Ich habe die Ehre, Sie namens des Ausschusses zu bitten, dem Ausschußantrag gemäß Drucksache Nr. 4399 Ihre Zustimmung zu geben.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Ich rufe zunächst von der Drucksache Nr. 4237 Art. I, — II, — III, — Einleitung und
Überschrift auf. — Ich bitte die Damen und Herren,
die zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen.
— Das ist die Mehrheit; angenommen.
Ich komme zur
dritten Beratung.
— Keine Wortmeldungen. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Gesetz über das Zweite Protokoll vom 22. November 1952 über zusätzliche Zugeständnisse zum Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen in seiner 'Gesamtheit zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
Ich rufe von der Drucksache Nr. 4174 Art. I, — II,
— III, — Einleitung und Überschrift auf. — Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Gesetz über den deutsch-chilenischen Briefwechsel vom 6. September 1952 betreffend die zollfreie Einfuhr von 50 000 t Chile-Salpeter in -der Zeit vom 1. Juli 1952 bis 30. Juni 1953 in der Gesamtheit zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
Ich rufe von der Drucksache Nr. 4159 Art. I, — II, — III, — Einleitung und Überschrift auf. — Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Gesetz über das Zweite Berichtigungs- und Änderungsprotokoll vom 8. November 1952 zu den Zollzugeständnislisten des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens in der Gesamtheit zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
Meine Damen und Herren, wollen Sie den Rest der Tagesordnung, der sich in Kürze abwickelt, heute abend oder morgen früh abwickeln?
— Offensichtlich die Mehrheit morgen früh. Dann bitte ich, den Rest der heutigen Tagesordnung morgen früh zur Erledigung bringen zu dürfen.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf den 19. Juni, 9 Uhr, und schließe die 273. Sitzung.