Protokoll:
1270

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 1

  • date_rangeSitzungsnummer: 270

  • date_rangeDatum: 11. Juni 1953

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 13:35 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 21:16 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag - 270. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Juni 1953 13303 270. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 11. Juni 1953. Geschäftliche Mitteilungen . . 13305A, B, 13317B, 13329C, 13364C Änderungen der Tagesordnung 13305B Dr. Hammer (FDP) 13305B Beratung des Mündlichen Berichts des Vermittlungsausschusses zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften und zur Sicherung der Haushaltsführung (Nrn. 4406, 4092, 4294, 4386 der Drucksachen) 13303C Dr. Frank, Finanzminister des Landes Baden-Württemberg, Berichterstatter 13305C Renner (KPD) 13308A Beschlußfassung 13308D Beratung des Mündlichen Berichts des Vermittlungsausschusses zu dem Entwurf eines Gesetzes über die Anrechnung von Renten in der Arbeitslosenfürsorge (Nrn. 4408, 3837, 3845, 4166, 4330 der Drucksachen) 13309A Neuenkirch, Senator von Hamburg, Berichterstatter 13309A Renner (KPD) 13309C Beschlußfassung 13309D Abstimmungen zur dritten Beratung des Entwurfs eines Dritten Strafrechtsänderungsgesetzes (Nrn. 4250, 1307, 3713 der Drucksachen, Umdrucke Nrn. 919, 938, 942) 13310A Berichtigung des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung über den Umdruck Nr. 938 Ziffer 4 13310A Entschließung Umdruck Nr. 942 . . . 13310A Fortsetzung der zweiten Beratung des Entwurfs eines Arbeitsgerichtsgesetzes (Nr. 3516 der Drucksachen); Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit (Nr. 4372 der Drucksachen, Umdrucke Nrn 948, 951 bis 953, 962) 13310B Sabel (CDU) . . . . 13310C, 13312D, 13315D Richter (Frankfurt) (SPD) . 13311A, 13316B Dr. Greve (SPD) 13312A, 13313A Ewers (DP) 13313C Dr. Leuze (FDP) 13314A Dr. Arndt (SPD) 13314C Schmücker (CDU) 13315C, 13316A Dr. Wellhausen (FDP) (zur Geschäftsordnung) 13317A Abstimmungen . 13310D, 13311B, 13315B, 13316C Beratung des Mündlichen Berichts des Vermittlungsausschusses zu dem Entwurf eines Gesetzes über die Verwaltung der Deutschen Bundespost (Postverwaltungsgesetz) (Nrn. 4407, 3479, 4204, zu 4204, 4388 der Drucksachen) 13317B Dr. Klein, Senator von Berlin, Berichterstatter 13317B Beschlußfassung 13317D Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Post- und Fernmeldewesen über den Antrag der Fraktion der FU betr. Erhöhung der Posttarife (Nrn. 4255, 3630 der Drucksachen) . . . 13317D Ekstrand (SPD), Berichterstatter . 13317D Beschlußfassung 13318A Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen über den Antrag der Fraktion der FU betr. Aufdeckung von Steuerzuwiderhandlungen (Nm. 4374, 3332 der Drucksachen) 13318A Dr. Freiherr von Fürstenberg (CSU), Berichterstatter 13318A Dr. Bertram (Soest) (FU) 13318C Frau Lockmann (SPD) 13319A Beschlußfassung 13319B Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die landwirtschaftliche Selbstverwaltung (Nr. 4382 der Drucksachen) . 13319C Überweisung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und an den Rechtsausschuß 13319C Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Flurbereinigungsgesetzes (Nr. 3385 der Drucksachen); Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (Nr. 4396 der Drucksachen; Umdrucke Nrn. 947, 954, 961) 13319D Schulze-Pellengahr (CDU) (Schriftlicher Bericht) 13365, 13373D Revenstorff (FDP) (Schriftlicher Bericht) 13370A Frühwald (FDP) (Schriftlicher Bericht) 13372A Dr. Schmidt (Niedersachsen) (SPD) als Berichterstatter (Schriftlicher Bericht) 13367D als Abgeordneter 13323C Niebergall (KPD) 13319D, 13322A, C, 13325A Lampl (FU) 13320A, 13321A, 13323A, 13326A Dr. Dr. Müller (Bonn) (CDU) 13320C, 13328 C, D Morgenthaler (CDU) 13320C Fürst Fugger von Glött (CSU) . . 13321C Funk (CSU) 13323B Bauknecht (CDU) 13326C Dr. Horlacher (CSU) . . . . 13327A, 13328B Dannemann (FDP) 13327D Kriedemann (SPD) 13329A Abstimmungen . . 13320D, 13321 B, D, 13322 A, D, 13323B, 13329B Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU betr. Dürrekatastrophe im südlichen Teil des Bundesgebietes (Nrn. 4368, 3701 der Drucksachen) 13329C Eichner (FU): als Berichterstatter 13329D Schriftlicher Bericht 13375 Beschlußfassung 13329D Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes betr. das Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation vom 28. Juni 1951 (Nr. 99) über die Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen in der Landwirtschaft (Nr. 4359 der Drucksachen) 13329D Frau Kipp-Kaule (SPD) 13330A Storch, Bundesminister für Arbeit 13330D Dr. Kneipp (FDP) 13331B Überweisung an den Ausschuß für Arbeit 13331C Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Mißbilligung von Äußerungen des Bundesministers der Justiz (Nr 4360 der Drucksachen) 13331C Wagner (SPD), Antragsteller . . 13331D Dr. Dehler, Bundesminister der Justiz 13336C Euler (FDP) 13337B Kiesinger (CDU) 13338C Renner (KPD) 13339C Beschlußfassung 13340B Erste, zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP, DP, FU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über die Wahl der Vertreter der Bundesrepublik zur Beratenden Versammlung des Europarats (Nr. 4410 der Drucksachen) 13340C Dr. Pünder (CDU), Antragsteller . 13340C Erler (SPD) 13341B Dr. Becker (Hersfeld) (FDP) . . . 13341C Abstimmungen 13341A, D Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Neuregelung der Grundbeträge in der Rentenversicherung der Arbeiter (Nr. 4346 der Drucksachen) . 13341D Frau Döhring (SPD), Antragstellerin 13341D Storch, Bundesminister für Arbeit 13342D, 13345A Arndgen (CDU) 13343D Dr. Schellenberg (SPD) . . . 13344B, 13348C Kohl (Stuttgart) (KPD) 13345C Frau Kalinke (DP) 13346A Horn (CDU) 13347B Dr. Hammer (FDP) . . . . 13348B, 13349A Renner (KPD) 13349A Überweisung an den Ausschuß für Sozialpolitik 13349 Zweite Beratung des Entwurfs eines Baulandbeschaffungsgesetzes (Nrn. 2281, 2300 der Drucksachen); Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Bau- und Bodenrecht (Nr. 4364 der Drucksachen; Anträge Umdrucke Nrn. 957 bis 960, 964) . . . 13349C Jacobi (SPD): als Berichterstatter 13349D Schriftlicher Bericht 13377 als Abgeordneter . . . . 13351D, 13358C Gundelach (KPD) . 13351B, 13352D, 13360D Wirths (FDP) 13352A Dr. Bertram (Soest) (FU) . . 13353A, 13359C Lücke (CDU) 13354C Ewers (DP) 13357A Dr. Glasmeyer (CDU) 13359A Dr. Kopf (CDU) 13361A Neumayer, Bundesminister für Wohnungsbau 13362D Abstimmungen 13351 A, D,13360 C, 13361A, 13363B Nächste Sitzung 13364C Anlage 1: Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten über den Entwurf eines Flurbereinigungsgesetzes (Nr. 4396 der Drucksachen) 13365 Anlage 2: Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU betr. Dürrekatastrophe im südlichen Teil des Bundesgebietes (Nrn. 4368, 3701 der Drucksachen) 13375 Anlage 3: Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Bau- und Bodenrecht über den Entwurf eines Gesetzes über die vorläufige Regelung der Bereitstellung von Bauland (Zweites Wohnungsbaugesetz) (Nr. 2281 der Drucksachen) und über den von den Abg. Lücke und Gen. eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Beschaffung von Bauland (Baulandbeschaffungsgesetz (Nr. 2300 der Drucksachen) 13377 Die Sitzung wird um 13 Uhr 35 Minuten durch den Präsidenten Dr. Ehlers eröffnet.
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    Anlage 1 zum Stenographischen Bericht der 270. Sitzung Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (19. Ausschuß) über den Entwurf eines Flurbereinigungsgesetzes (Nrn. 3385, 4396 der Drucksachen) Berichterstatter: Abgeordneter Schulze-Pellengahr (§§ 1 bis 31, 34 bis 36, 149 bis 159) Abgeordneter Dr. Schmidt (Niedersachsen) (§§ 37 bis 58, 61 bis 67) Abgeordneter Revenstorff (§§ 68 bis 108) Abgeordneter Frühwald (§§ 32, 33, 59, 60, 109 bis 148) A. Behandlung des Gesetzentwurfes im Bundestag Mit Schreiben vom 16. Mai 1952 hat die Bundesregierung dem Bundestag den Entwurf eines Flurbereinigungsgesetzes zugeleitet und gleichzeitig zu der Äußerung des Bundesrates zu dem Gesetzentwurf Stellung genommen (Bundestagsdrucksache Nr. 3385). Die erste Lesung des Gesetzentwurfes fand am 11. Juni 1952 statt. Der Entwurf wurde ohne Debatte dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten unter Beteiligung des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht überwiesen. Der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten nahm die Beratung des Entwurfs nach den Parlamentsferien am 8. Oktober 1952 auf. Ein Unterausschuß ist nicht gebildet worden. Der Rechtsausschuß hat gebeten, von seiner Beteiligung mit Rücksicht auf seine starke Inanspruchnahme durch den Entwurf eines Entschädigungsgesetzes abzusehen. B. Inhalt und Aufbau des Gesetzentwurfs Aufgabe der Flurbereinigung ist es, die Zersplitterung des ländlichen Grundbesitzes und ihre arbeitserschwerenden und produktionshemmenden Folgen zu beseitigen und durch eine zweckmäßige Neueinteilung der Gemarkung sowie die im Zusammenhang damit durchzuführenden Maßnahmen der Landeskultur die landwirtschaftliche Erzeugung zu steigern. Obgleich es dank der durch die Initiative des Bundes bereitgestellten ERP-Mittel gelungen ist, das jährliche Flurbereinigungsergebnis wesentlich zu steigern (von 72 000 ha im Jahre 1949 auf 160 000 ha im Jahre 1952), ist nach den Erhebungen der Länder immer noch fast die Hälfte der landwirtschaftlich genutzten Fläche des Bundesgebietes von der Zersplitterung des ländlichen Grundbesitzes betroffen. Die Beseitigung dieser Zersplitterung durch eine möglichst starke Zusammenlegung des Grundbesitzes und die Erleichterung der Bewirtschaftung der Felder durch den Bau von Wegen schaffen in weiten Teilen des Bundesgebietes erst die Voraussetzungen für die Verwendung von Schleppern und anderen neuzeitlichen Geräten, also für eine den technischen und betriebswirtschaftlichen Erfordernissen entsprechende moderne Landwirtschaft, die allein den Anforderungen des Wettbewerbs mit den hoch entwickelten Landwirtschaften des Auslandes gewachsen sein kann. Die Flurbereinigung und die mit ihr verbundenen Meliorationsmaßnahmen haben erfahrungsgemäß eine Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion bis zu 30 % und mehr zur Folge. Die vermehrte Erzeugung vermindert unsere Einfuhrabhängigkeit und trägt so zu erheblicher Einsparung von Devisen bei. (Schulze-Pellengahr) Im weitaus größten Teil des Bundesgebietes ist bis jetzt die auf dem Umlegungsgesetz vom 26. Juli 1936 (RGBl. I S. 518) beruhende Reichsumlegungsordnung vom 16. Juni 1937 mit den beiden Verordnungen vom 27. April 1938 und vom 14. Februar 1940 in Kraft geblieben. Lediglich Bayern hat durch Gesetz vom 15. Juli 1946 sein vor der RUO geltendes Recht wieder eingeführt. Die veränderten staatsrechtlichen Verhältnisse, die Beachtung der im Grundgesetz niedergelegten Bestimmungen über die Rechte und Pflichten der Staatsbürger sowohl im zivilen als auch im öffentlich-rechtlichen Sektor, sowie die gegenüber 1937 veränderte Verteilung der Aufgaben im Verhältnis der staatlichen Verwaltung, der landwirtschaftlichen Organisationen und Dienststellen und der einzelnen Beteiligten machen eine Änderung des geltenden Rechts nötig. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll die Entwicklung zur Neuordnung auf einem wichtigen Abschnitt des für die Landwirtschaft geltenden Rechts, die schon den Wirtschaftsrat beschäftigt hat, ihren Abschluß finden. Die grundsätzliche Bedeutung des Gesetzentwurfs ergibt sich aus der Neuordnung folgender Gebiete: 1. Die Anpassung des bisherigen Rechts an die veränderten staatsrechtlichen Verhältnisse, insbesondere an das Grundgesetz; 2. die Regelung der Rechte der Teilnehmer; 3. die Mitwirkung der Berufsvertretung von Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Fischerei; 4. die Entwicklung eines beschleunigten Zusammenlegungsverfahrens; 5. die Anwendung der Flurbereinigung bei größeren Maßnahmen öffentlicher Unternehmen, die in die wirtschaftlichen Verhältnisse störend eingreifen, ohne in einem inneren Zusammenhang mit der Flurbereinigung zu stehen. Der Entwurf des Flurbereinigungsgesetzes ist in folgende 11 Teile gegliedert: 1. Grundlagen der Flurbereinigung. 2. Die Beteiligten und ihre Rechte. 3. Neugestaltung des Flurbereinigungsgebietes. 4. Besondere Bestimmungen. 5. Beschleunigtes Zusammenlegungsverfahren. 6. Kosten. 7. Allgemeine Verfahrensvorschriften. 8. Rechtsmittel. 9. Abschluß des Flurbereinigungsverfahrens. 10. Die Teilnehmergemeinschaft nach der Beendigung des Flurbereinigungsverfahrens. 11. Schluß- und Übergangsbestimmungen. C. Der Gesetzentwurf im einzelnen Erster Teil: Grundlagen der Flurbereinigung (§§ 1-9) Im ersten Teil sind die grundsätzlichen Bestimmungen über den Zweck und die Zulässigkeit der Flurbereinigung, die Organisation der Flurbereinigungsbehörden und den Kreis der zur Mitwirkung berufenen Organisationen und Behörden niedergelegt. Der in § 1 formulierte Begriff der Flurbereinigung geht über den des bisherigen Rechts hinaus, indem er ausdrücklich die Zusammenlegung nach neuzeitlichen betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten fordert. In den §§ 2 und 3 werden die Art des Verfahrens und die Organisation der Flurbereinigungsbehörden festgelegt sowie die Durchführung der Flurbereinigung, entsprechend ihrer Bedeutung für die Landwirtschaft des Bundesgebiets, als vordringliche Maßnahme der Länder bestimmt. Nach eingehenden Erörterungen der zweckmäßigsten Form der Einleitung des Verfahrens hat sich der Ausschuß im Prinzip dem Vorschlag des Bundesrates angeschlossen, ihm jedoch eine der neueren Rechtsprechung angepaßte Fassung gegeben. Der Ausschuß legt ganz besonderen Wert auf eine eingehende Aufklärung der beteiligten Grundstückseigentümer und begrüßt es deshalb, daß die Sollbestimmung des bisherigen Rechts in eine Mußbestimmung umgewandelt ist. Außerdem wird die Behörde zur Aufklärung über die „voraussichtlich entstehenden Kosten" verpflichtet und gleichzeitig die Anhörung der landwirtschaftlichen Berufsvertretung vorgesehen. Die in den §§ 6-9 enthaltenen Bestimmungen über den Inhalt und die Bekanntmachung des Flurbereinigungsbeschlusses, die Begrenzung des Flurbereinigungsgebietes, seine Änderung und die etwaige Einstellung des Verfahrens entsprechen der bisherigen Regelung. Zweiter Teil: Die Beteiligten und ihre Rechte (§§ 10-36) Erster Abschnitt: Die einzelnen Beteiligten (§§ 10-15) Im ersten Abschnitt ist der Kreis der Beteiligten, der sich aus den Grundstückseigentümern als Teilnehmern und den Nebenbeteiligten zusammensetzt, festgelegt und ihre Ermittlung geregelt. Der Ausschuß hat nach eingehender Beratung den in der Regierungsvorlage aufgeführten Kreis der Nebenbeteiligten eingeschränkt, es aber für richtig gehalten, auch die Unterhaltungspflichtigen von Anlagen nach § 45 Abs. 1 Satz 2 als Nebenbeteiligte anzuerkennen. Der Ausschuß hat es ferner als zweckmäßig befunden, klarzustellen, daß die Flurbereinigungsbehörde nach §§ 11, 12 die Beteiligten zu „ermitteln", nicht „festzustellen" hat, um Irrtümer über die hieraus sich ergebende Verpflichtung auszuschalten. Gleichzeitig werden durch den Vorschlag des Ausschusses die Bestimmungen der §§ 12-15 ihrem logischen Aufbau entsprechend geordnet; insbesondere wird eine Frist für den glaubhaften Nachweis angemeldeter Rechte eingeführt, nach deren fruchtlosem Ablauf das Recht auf Beteiligung entfällt. Schließlich ist die bisher im § 13 enthaltene Bestimmung über den Grundstückserwerb während des Verfahrens, die nichts mit der Ermittlung zu tun hat, und über die Stellung des Erwerbs bis zur Eintragung ins Grundbuch oder zur Anmeldung des Erwerbs systematisch eingeordnet worden. (Schulze-Pellengahr) Zweiter Abschnitt: Die Teilnehmergemeinschaft (§§ 16-26) Die Frage der zweckmäßigen Ausgestaltung der Teilnehmergemeinschaft als der organisatorischen Zusammenfassung der beteiligten Grundstückseigentümer hat eine lebhafte Diskussion ausgelöst. Der Ausschuß hat sich dem in der Regierungsvorlage vertretenen Standpunkt angeschlossen, daß als Träger von Rechten und Pflichten nur die beteiligten Grundstückseigentümer (§ 10 Nr. 1) in Betracht kommen. Er hat auch die Rechtsform der Körperschaft des öffentlichen Rechts als die zweckmäßigste bejaht (§ 16). Der Aufgabenkreis der Teilnehmergemeinschaft ist dem Herkommen gemäß wie in der RUO und dem bayerischen Gesetz festgelegt worden. Dem Streben nach stärkerer Heranziehung der Teilnehmer zur Mitarbeit ist durch eine bereits vom Bundesrat vorgeschlagene Fassung zu § 18 des Regierungsentwurfs Rechnung getragen. Die Regelung der Leistungen der Teilnehmer (§§ 19, 20) entspricht den bewährten Methoden der bisherigen Praxis. Der Ausschuß hat sich jedoch den Bedenken der Regierung gegen die vom Bundesrat vorgeschlagene Sonderregelung hinsichtlich der Freistellung der Verkehrsträger von Flurbereinigungsbeiträgen angeschlossen und den Zusatz gestrichen, weil die Befreiung nur zu Lasten der Landwirte gehen würde (§ 19). Die in den §§ 21-26 des Regierungsentwurfs vorgesehene Regelung der Vertretung der Teilnehmergemeinschaft durch einen Vorstand, seine Wahl und Abberufung sowie seine Rechte und Befugnisse fanden die Billigung des Ausschusses mit der Einschränkung, daß die Bestimmung über die Abberufung von Vorstandsmitgliedern gegenüber der Änderung des Bundesrates klarer gefaßt und die Länder ermächtigt werden, die Abberufung von Vorstandsmitgliedern im Falle der Übertragung von Befugnissen der Flurbereinigungsbehörde nach § 18 Abs. 2 von der Zustimmung dieser Behörde abhängig zu machen (§ 23 Abs. 2). Nachdem unter Streichung des § 20 Abs. 2 des Regierungsentwurfs die Entscheidung über Beschwerden gegen Verwaltungsakte der Teilnehmergemeinschaft in § 18 Abs. 3 der Flurbereinigungsbehörde ausdrücklich zugebilligt worden ist, hat der Ausschuß den Vorschlag der Regierung gebilligt, nach dem zur Vermeidung rechtlicher Schwierigkeiten die Befugnisse der Länder zur Einführung eines Schiedsverfahrens (entsprechend dem Grundgesetz) als zulässig erklärt wird. Dritter Abschnitt: Bewertungsverfahren (§§ 27-32) Die Bewertung der alten Grundstücke der Teilnehmer bildet die Grundlage für die Bemessung der Landabfindungen und gleichzeitig den Maßstab für die Leistung der Beiträge. Die einfach und knapp gehaltenen Bestimmungen der §§ 27-33 regeln das Bewertungsverfahren in einer den Erfordernissen der Praxis entsprechenden Weise. Da es sich nur um einen Austausch der Grundstücke handelt, kommt es darauf an, einen den örtlichen Verhältnissen und den betriebswirtschaftlichen Erfordernissen entsprechenden Tauschwert zu ermitteln. Durch § 28 ist sichergestellt, daß die Ergebnisse der Reichsbodenschätzung soweit wie möglich zwecks Verbilligung und Vereinfachung des Schätzungsverfahrens herangezogen werden. Diese für steuerliche Zwecke ermittelten Werte genügen nicht in allen Fällen den besonderen Anforderungen des Flurbereinigungsverfahrens, so daß Abweichungen nach den örtlichen Verhältnissen zugelassen sind. Wesentliche Bestandteile von Grundstücken, die ihren Wert dauernd beeinflussen, wie Gebäude, aufstehender Wald, Obstbäume usw., sowie Rechte an Grundstücken werden nötigenfalls besonders geschätzt. Bestimmungen über die Auswahl der Schätzer nach einer im Einvernehmen mit der landwirtschaftlichen Berufsvertretung auf gestellten Liste und die Teilnahme des Vorstandes an der Schätzung, die öffentliche Auslegung der Schätzungsergebnisse, die Anhörung der Beteiligten in einem öffentlichen Termin und die Möglichkeit der Anfechtung der Ergebnisse in einem Rechtsmittelverfahren sollen dazu dienen, das Vertrauen der Dorfgemeinde zu einer gewissenhaften und zuverlässigen Durchführung des Bewertungsverfahrens zu sichern. Um dem Bedürfnis nach einer Berücksichtigung landesmäßiger Besonderheiten Rechnung zu tragen, wird den Ländern die Befugnis eingeräumt, das Bewertungsverfahren abweichend zu regeln. Vierter Abschnitt: Zeitweilige Einschränkung des Eigentums (§§ 34-36) Das Eigentum gehört zu den durch das Grundgesetz gewährleisteten Grundrechten (Art. 14). Wenn die in baulichen Anlagen: Bauwerken, Brunnen, Einfriedigungen u. dgl., ferner in Bäumen, Sträuchern, Rebstöcken vorhandenen Werte erhalten bleiben und nicht menschlicher Kurzsicht zum Opfer fallen sollen, bedarf es insoweit einer vorübergehenden zeitweiligen Einschränkung der Eigentümerrechte. Die Durchführung der Flurbereinigung bringt aber auch Maßnahmen mit sich, die, wie die Schätzung, Vermessung, der Ausbau von Wegen und Gräben, ohne Einschränkung des Eigentums nicht durchführbar sind. Der Entwurf gibt deshalb in den §§ 34, 35 die gesetzliche Grundlage für die erforderlichen Anordnungen und Handlungen der Flurbereinigungsbehörde, die sie in den Stand setzt, willkürliche Eingriffe einzelner auszuschließen. Durch die Bestimmung des § 36 wird weiterhin die Möglichkeit geschaffen, Besitz und Nutzung von Grundstücken und die Ausübung von Rechten vorübergehend zu regeln, wenn dringende Gründe es erforderlich machen. Der Ausschuß hat nach eingehender Diskussion die Notwendigkeit einer Aufnahme der in den §§ 34-36 vorgesehenen Bestimmungen bejaht. (Dr. Schmidt [Niedersachsen]) Dritter Teil: Neugestaltung des Flurbereinigungsgebietes (§§ 37-83) Der dritte Teil des Gesetzes ist für die Durchführung der Flurbereinigung von größter Bedeutung. In den §§ 37, 38 werden für die Neugestaltung des Flurbereinigungsgebietes allgemeine Grundsätze aufgestellt, wobei insbesondere der Notwendigkeit der Förderung und Steigerung der landwirtschaftlichen Erzeugung Rechnung getragen wird. Der erste Abschnitt (§§ 39-43) enthält Vorschriften darüber, welche Aufgaben bei der Neugestaltung im gemeinschaftlichen Interesse der Beteiligten und im öffentlichen Interesse zu erfüllen sind. (Dr. Schmidt [Niedersachsen]) Der zweite Abschnitt (§§ 44-55) dient der Wahrung der Interessen der Beteiligten bei der Gestaltung ihrer Abfindungen. Die Abschnitte 3 bis 7 (§ 36-83) enthalten grundlegende Vorschriften hinsichtlich der Aufstellung des Flurbereinigungsplanes, seiner Ausführung einschl. der Wahrung der Rechte Dritter und der Übernahme seiner Ergebnisse in die öffentlichen Bücher. Der Inhalt des § 37 gibt Rahmen und Inhalt der unter dem Begriff der Flurbereinigung zusammengefaßten Maßnahmen zur Neugestaltung des Flurbereinigungsgebietes. Das Wohl der Allgemeinheit und die Interessen der Beteiligten sind gegeneinander abzuwägen, um die zweckdienlichste Lösung zu finden. Die Flurbereinigungsbehörde hat die Pflicht, unter Ausnutzung der mit öffentlicher Hilfe gebotenen einmaligen Gelegenheit dafür zu sorgen, daß die Neuordnung des Flurbereinigungsgebietes den neuzeitlichen betriebswirtschaftlichen Erkenntnissen entspricht und auf lange Sicht den wirtschaftlichen Erfordernissen der Teilnehmer und der Gemeinde Rechnung trägt. Dabei ergeben sich zahlreiche Berührungspunkte mit anderen Dienststellen, Organisationen und Verbänden. Die Flurbereinigung hat die verschiedenen Interessen zum Ausgleich zu bringen und dabei in möglichem Umfang die Planungen anderer Stellen zu berücksichtigen, um die störende Auswirkung bevorstehender Eingriffe auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Das gilt für Baugebietspläne, Bebauungspläne, Verkehrsplanungen usw., bei denen gegebenenfalls nötige Änderungen durch Verhandlungen mit den planenden Stellen herbeizuführen sind. Der Ausschuß hat die von der Regierung vorgeschlagene Fassung des § 37 nach eingehender Aussprache gebilligt und durch Einfügung „der Fischerei" Vorsorge getroffen, daß auch die Interessen dieses Produktionszweiges im Rahmen der Gesamtplanung Beachtung finden. Er hat ferner die Worte „ländliche Siedlung" durch den heute üblichen Begriff „landwirtschaftliche Siedlung" ersetzt. In den Erörterungen des Ausschusses nahm die Frage einer Beteiligung der landwirtschaftlichen Berufsvertretung an der Durchführung der Flurbereinigung einen großen Raum ein. Der Ausschuß begrüßte es, daß die Regierungsvorlage über die bei den wichtigen Abschnitten des Verfahrens vorgesehene Beteiligung der Berufsvertretung hinaus die Berücksichtigung der von dieser durchgeführten Vorplanungen bei der „Aufstellung der allgemeinen Grundsätze für die zweckmäßige Neugestaltung des Flurbereinigungsgebietes" vorsieht. Durch die Vorschrift des § 38 wird den Vertretern der Landwirtschaft Gelegenheit gegeben, den in den §§ 1, 37 verankerten Grundsatz einer Berücksichtigung neuzeitlicher betriebswirtschaftlicher Erkenntnisse in bestimmten Forderungen zu konkretisieren und damit ihren Anteil an der Neugestaltung beizutragen. Erster Abschnitt: Gemeinschaftliche und öffentliche Anlagen (§§ 39-43) Die Neugestaltung des Flurbereinigungsgebietes nach § 37 kann nur dann zu einer befriedigenden Gestaltung der Abfindung des einzelnen Teilnehmers führen, wenn zuvor die der gemeinschaftlichen Benutzung oder einem gemeinschaftlichen Interesse dienenden Anlagen geschaffen sowie die einem öffentlichen Interesse dienenden Anlagen berücksichtigt werden. Der gesetzliche Auftrag zur Schaffung solcher gemeinschaftlichen Anlagen ist in § 39, die Ermächtigung zur Ausweisung von Anlagen des öffentlichen Interesses in § 40 verankert. Der Ausschuß hat die Frage erörtert, ob die in § 39 des Regierungsentwurfs aufgezählten gemeinschaftlichen Anlagen ihrer Bedeutung und Notwendigkeiten entsprechend in solche die geschaffen werden müssen, und solche, die geschaffen werden können, gegliedert werden sollen. Er hat von dieser Gliederung abgesehen, es jedoch für zweckmäßig erachtet, die in der Regierungsvorlage enthaltene Aufzählung von Beispielen gemeinschaftlicher Anlagen durch eine allgemeine Fassung zu ersetzen. Gegenüber dem Vorschlag des Bundesrates zu § 40, der Anlagen im öffentlichen Interesse ebenfalls von dem Interesse der Beteiligten abhängig machen wollte, hat der Ausschuß beschlossen, der Regierungsvorlage zuzustimmen, weil durch die Fassung des Bundesrates eine unerwünschte Vermischung der die beiden Bestimmungen beherrschenden Prinzipien befürchtet werden müsse. Er stimmte jedoch der Beschränkung des für öffentliche Anlagen bereitzustellenden Landes auf einen verhältnismäßig geringen Umfang zu. Um eine verstärkte Beteiligung der Teilnehmer auch bei der Regelung dieser Frage sicherzustellen, hat der Ausschuß eine Neufassung des Abs. 2 des § 41 vorgenommen, wonach der Plan über die Anlagen im Benehmen mit dem Vorstand der Teilnehmergemeinschaft aufzustellen ist. Die Aufgabe und die Pflicht der Teilnehmergemeinschaft zur Herstellung und Unterhaltung der Anlagen sowie die Heranziehung von Grundstückseigentümern, die hierdurch besondere Vorteile erlangen, zu den Unterhaltungskosten, ist durch § 42 in einer den praktischen Bedürfnissen entsprechenden Weise geregelt. Für die Fälle, in denen sich die Bildung eines Wasser- und Bodenverbandes als zweckmäßig erweist, ist in § 43 die Aufsicht der Flurbereinigungsbehörde für die Dauer des Verfahrens vorgesehen, um Überschneidungen in der Zuständigkeit zu vermeiden. Auf eine Erweiterung der Aufsicht bis zum Schluß der Baumaßnahmen — auch nach Beendigung des Verfahrens — ist in Übereinstimmung mit dem Bundesrat jedoch verzichtet worden. Zweiter Abschnitt: Grundsätze für die Abfindung (§§ 44-45) Im § 44 sind die Grundsätze festgelegt, nach denen die Landabfindungen zu regeln sind. Diese Grundsätze sind in Beschwerdefällen auch für die Beurteilung der Abfindung durch die obere Behörde oder das Flurbereinigungsgericht maßgebend. Bei der Bemessung der Landabfindungen ist von den im Verfahren ermittelten Werten auszugehen, jedoch sind auch die in diesen Werten nicht erfaßten Umstände, wie Entfernung vom Wirtschaftshof, Hanglage, Möglichkeit der Bebauung oder der gewerblichen Bewertung u. dgl., zu berücksichtigen. Der Grundbesitz soll unter Beachtung neuzeitlicher betriebswirtschaftlicher Erkenntnisse großzügig zusammengelegt werden. Die neuen Grundstücke müssen durch Wege zugänglich sein. Ent- und Bewässerungen sind soweit wie möglich zu schaffen. Eine Abfindung, die zur völligen Veränderung der Struktur des Betriebes führen würde, bedarf der ausdrücklichen Zustimmung des Eigentümers. Der Arrondierung eines Betriebes dient es auch, daß (Dr. Schmidt [Niedersachsen]) für die in Nachbargemeinden gelegenen Grundstücke Abfindung in dem Verfahren der Wohngemeinde gegeben werden kann. Die Vorschriften des § 45 haben nach eingehender Aussprache gegenüber dem Regierungsentwurf eine veränderte Fassung erhalten. Es sind Grundstücke besonderer Art aufgezählt, die nur aus besonderen Gründen und mit Zustimmung der Eigentümer verändert oder verlegt werden können. Bei Verkehrsanlagen ist die Zustimmung der Unterhaltungspflichtigen, bei Friedhöfen die Zustimmung der beteiligten Kirchen einzuholen. Bei Flächen, die dem Naturschutz unterliegen, ist die Naturschutzbehörde zuzuziehen. Die Werterhöhung durch Bodenverbesserungen (§ 46), die als besondere Maßnahme mit erheblichen öffentlichen Zuschüssen durchgeführt worden sind, ist Gegenstand einer eingehenden Aussprache gewesen. Eine solche Werterhöhung läßt Land für Siedlungszwecke (Aufstockung oder dgl.) frei werden, dessen Erlös auch nach Auffassung des Ausschusses zur Deckung der Kosten der Bodenverbesserungen zu verwenden ist. Das Land zu Wegen, Gräben und anderen gemeinschaftlichen Anlagen ist grundsätzlich von allen Teilnehmern nach dem Verhältnis des Wertes ihrer alten Grundstücke aufzubringen, jedoch ist der Anteil in besonderen Fällen zu erhöhen, z. B. im Baugelände, oder zu ermäßigen, z. B. für bereits ganz oder teilweise arrondierte Betriebe (§ 47). Nach § 48 ist die Aufteilung von Grundstücken zulässig, die nach altem Herkommen in gemeinschaftlichem Eigentum stehen. Die Aufteilung wird jedoch regelmäßig nur in Frage kommen, wenn die Anteile mit dem sonstigen Besitz der Miteigentümer zusammengelegt werden können. Für die Aufteilung anderer gemeinschaftlicher Grundstücke ist Voraussetzung, daß sie dem Zweck der Flurbereinigung dient und die Miteigentümer zustimmen. Die Flurbereinigung bedingt eine Neuordnung der hinsichtlich der Grundstücke bestehenden dinglichen und persönlichen Rechte. Soweit solche Rechte, z. B. Wegerechte, durch die Flurbereinigung entbehrlich werden, sind sie ohne Entschädigung aufzuheben. In allen anderen Fällen sind die Rechte auf die Landabfindung zu übertragen oder, wenn dies zweckmäßig nicht geschehen kann, gegen Entschädigung in Geld oder Land aufzuheben (§ 49). Obstbäume, Beerensträucher, Rebstöcke, Feldgehölze u. dgl. hat der neue Eigentümer grundsätzlich gegen angemessene Entschädigung zu übernehmen, jedoch sind abweichende Vereinbarungen zulässig. Soweit Bäume und Sträucher abgängig oder noch verpflanzbar sind, wird keine Entschädigung gezahlt; der bisherige Eigentümer kann sie entfernen. Bei Rebstöcken gelten nicht nur die reblausverseuchten, sondern auch die in den sogenannten Sicherheitsgürteln stehenden Rebstöcke als abgängig. Die Bestimmung in § 50 Abs. 3 gibt den Ländern das Recht, die Entfernung von Bäumen, Sträuchern und Rebstöcken anzuordnen, wenn Bodenverbesserungen oder ähnliche Maßnahmen, z. B. Rebenneuaufbau, sonst nicht zweckmäßig durchgeführt werden können. Mit dieser Ermächtigung soll den an dieser Frage interessierten Ländern der Weg zu einer Lösung geebnet werden. Die Entschädigung für andere wesentliche Bestandteile eines Grundstücks ist von Fall zu Fall besonders zu regeln (§ 50). Vorübergehende Wertunterschiede zwischen den alten Grundstücken und der Landabfindung, z. B. im Baumbestand, oder andere vorübergehende überdurchschnittliche Nachteile eines Teilnehmers werden in Geld ausgeglichen. Die in der RUO enthaltene Bestimmung, nach der für geringfügigen Grundbesitz Abfindung in Geld statt in Land auch ohne Zustimmung des Eigentümers gegeben werden konnte, ist weggefallen. Dagegen ist der freiwillige Verzicht auf Landabfindung, der in geeigneten Fällen durchaus dem Zweck der Flurbereinigung entspricht, erleichtert worden. In den §§ 52, 53 ist das Verfahren für solche Fälle unter Wahrung der Rechte Dritter geregelt. Zur Finanzierung solcher Geldabfindungen kann auch ein gemeinnütziges Siedlungsunternehmen eingeschaltet werden. Dritter Abschnitt: Flurbereinigungsplan (§§ 56-60). Der vom Bundesrat vorgeschlagenen Pflicht zur Anhörung der Teilnehmer über ihre Wünsche für die Abfindung stimmt der Ausschuß zu (§ 57). Die Ergebnisse des Flurbereinigungsverfahrens werden im Flurbereinigungsplan (§ 58) zusammengefaßt. In ihm sind die neuen Grundstücke sowie die Regelung der Rechtsverhältnisse nachzuweisen; eine Karte der neuen Feldeinteilung gehört zu seinen Bestandteilen. Der Flurbereinigungsplan hat für gewisse Festsetzungen im gemeinschaftlichen oder öffentlichen Interesse die Wirkung von Gemeindesatzungen. Diese Festsetzungen werden dadurch gesichert, daß sie nach Beendigung des Verfahrens nur mit Zustimmung der Gemeindeaufsichtsbehörde geändert oder aufgehoben werden können. Im Flurbereinigungsplan ist auch die Änderung von Gemeindegrenzen vorzusehen, wenn solche Änderungen zur Anpassung an die neue Feldeinteilung zweckmäßig sind. Die Zustimmung der Kommunalaufsichtsbehörde zu den Änderungen ist rechtzeitig einzuholen. Nach der Abmarkung der neuen Grundstücke ist der Flurbereinigungsplan den Beteiligten förmlich bekanntzugeben. Als Beschleunigungsmaßnahme ist vorgesehen, daß Beschwerden zur Vermeidung des Ausschlusses in einem Anhörungstermin vorzubringen sind. Der Ladung zu dem Anhörungstermin ist für jeden Eigentümer ein Auszug aus dem Flurbereinigungsplan beizufügen, der die neuen Grundstücke nach Fläche und Wert sowie das Verhältnis seiner Gesamtabfindung zu dem von ihm Eingebrachten nachweist. Die Länder können zur Anpassung an das bei ihnen eingeführte Verfahren schriftliche Beschwerde neben oder an Stelle der im Anhörungstermin vorzubringenden Beschwerde zulassen. Vierter Abschnitt: Ausführung des Flurbereinigungsplanes (§§ 61-64) Der Flurbereinigungsplan steht rechtskräftig fest, wenn Beschwerden gegen ihn nicht erhoben sind oder über sie rechtskräftig entschieden ist. Die Flurbereinigungsbehörde bestimmt in einer Ausführungsanordnung den Zeitpunkt, zu dem der im Flurbereinigungsplan vorgesehene neue Rechtszustand an die Stelle des bisherigen tritt. Durch Überleitungsbestimmungen, die nach Anhörung des Vorstandes der Teilnehmergemeinschaft zu erlas- (Dr. Schmidt [Niedersachsen]) sen sind, ist die tatsächliche Überleitung in den neuen Zustand, namentlich dei Übergang des Besitzes und der Nutzung der neuen Grundstücke, zu regeln. Eine „Vorzeitige Ausführungsanordnung" ist schon vor der Rechtskraft des Flurbereinigungsplanes zulässig, wenn zwar noch Beschwerden bestehen, aus einem längeren Aufschub der Planausführung jedoch erhebliche Nachteile erwachsen würden. Fünfter Abschnitt: Vorläufige Besitzeinweisung (§§ 65-67) Als weitere Beschleunigungsmaßnahme, jedoch mit wesentlich beschränkter rechtlicher Wirkung, ist die „Vorläufige Besitzeinweisung" zugelassen. Sie kann bereits vor Aufstellung des Flurbereinigungsplanes angeordnet werden, wenn die nach der Karte bestimmten Grenzen der neuen Grundstücke in die Örtlichkeit übertragen sind. Hier erhalten die Teilnehmer zunächst nur den Besitz und die Nutzung ihrer Abfindung, während das Eigentum erst durch den auch in diesem Falle zu fertigenden vollständigen Flurbereinigungsplan erlangt wird. (Revenstorff) Sechster Abschnitt: Wahrung der Rechte Dritter (§§ 68-78) Die Flurbereinigung berührt nicht nur die Grundstückseigentümer, sondern sie greift auch in die hinsichtlich der Grundstücke bestehenden Rechte Dritter ein. Entsprechend der neueren Rechtsentwicklung sind die persönlichen Ansprüche nunmehr ebenso zu wahren wie die dinglich gesicherten Rechte. Örtlich gebundene öffentliche Lasten wie Anliegerbeiträge, Wasserleitungen, Starkstromleitungen gehen auf die in deren örtlicher Lage ausgewiesenen neuen Grundstücke über. In allen anderen Fällen bleiben die Rechte, soweit sie nicht gemäß § 49 aufzuheben sind, an der für die belasteten alten Grundstücke ausgewiesenen Landabfindung bestehen. Da die Beiträge zu den Verfahrenskosten aus den laufenden Betriebseinnahmen aufzubringen sind, ist es nötig, daß auch dem Nießbraucher ein angemessener Teil dieser Beiträge oder deren Verzinsung auferlegt wird. Soweit in Pachtverträgen nicht besondere Abmachungen für den Fall der Flurbereinigung enthalten sind, laufen sie grundsätzlich weiter, jedoch ist der Pächter zur Kündigung berechtigt, wenn ihm die Bewirtschaftung infolge erheblicher Änderung des Pachtbesitzes wesentlich erschwert wird (§ 70). Mangels gütlicher Einigung kann die Flurbereinigungsbehörde zur Entscheidung angerufen werden. In den §§ 72-78 ist das Verfahren geregelt, nach dem die Rechte der Hypotheken-, Grundschuldoder Rentenschuldgläubiger sowie anderer Berechtigter zu wahren sind, wenn die Abfindung ganz oder teilweise in Geld erfolgt. Um den Abschluß des Flurbereinigungsverfahrens nicht zu behindern, ist vorgesehen, daß die Geldabfindung in Streitoder Zweifelsfällen bei dem zuständigen Amtsgericht zu hinterlegen und einem gerichtlichen Verteilungsverfahren zu unterwerfen ist. Siebenter Abschnitt: Berichtigung der öffentlichen Bücher (§§ 79-83) Die im Flurbereinigungsplan niedergelegten Ergebnisse des Verfahrens sind auf Ersuchen der Flurbereinigungsbehörde von Amts wegen in die öffentlichen Bücher, insbesondere Grundbuch und Liegenschaftskataster, zu übernehmen, ohne daß es einer Mitwirkung der Beteiligten bedarf. Für einzelne Teilnehmer kann das Grundbuch auf Antrag vorweg berichtigt werden, um notwendige Grundbucheintragungen nicht zu verzögern. Vierter Teil Besondere Bestimmungen (§§ 84-90) Erster Abschnitt: Waldgrundstücke (§§ 84, 85) Die Bestimmungen dieses Abschnittes gelten sowohl für Waldflächen, die in die Feldmark eingesprengt sind, als auch für größere Flächen parzellierten Bauernwaldes, für die eine Grundstückszusammenlegung von erheblicher volkswirtschaftlicher Bedeutung ist. An Stelle der landwirtschaftlichen Berufsvertretung ist hier die forstwirtschaftliche Berufsvertretung zu beteiligen. Die Zustimmung der Forstaufsichtsbehörde ist erforderlich: 1. zur Einbeziehung geschlossener Waldflächen von mehr als 10 ha Größe in ein Verfahren, 2. zur Veränderung einer geschlossenen Waldfläche von mehr als 3 ha Größe, 3. zur Teilung von Waldgrundstücken, die in gemeinschaftlichem Eigentum stehen, 4. zur Aufhebung von Dienstbarkeiten an Waldgrundstücken. Für aufstehendes Holz ist möglichst Abfindung in Holzwerten zu geben, deshalb sind die Werte auszutauschender Holzbestände nach den Grundsätzen der Waldwertrechnung durch geeignete Sachverständige zu ermitteln. Zweiter Abschnitt: Vereinfachtes Flurbereinigungsverfahren (§ 86) Das in § 86 behandelte vereinfachte Flurbereinigungsverfahren stellt neben dem Zusammenlegungsverfahren des 5. Teils eine weitere Möglichkeit zur Beschleunigung der Flurbereinigung dar. Es ist für zwei Gruppen von Verfahren gedacht: 1. Verfahren zur Beseitigung landeskultureller Nachteile als Folge störender Eingriffe durch Unternehmen oder zur Erleichterung von Bodenreform- und Siedlungsverfahren sowie von sonstigen Aufbaumaßnahmen, 2. Verfahren, die unter bestimmten Voraussetzungen (Wiederumlegung, Weilerbildung, Einödhöfe und kleinere Gemeinden) in erleichterter Form durchgeführt werden sollen. Das Verfahren zu 1. setzt voraus, daß das für das Unternehmen erforderliche Land nicht im Wege eines Flurbereinigungsverfahrens aufzubringen ist. Nach der in Abs. 2 enthaltenen Kostenbestimmung können dem Träger des Unternehmens die Ausführungskosten nur insoweit auferlegt werden, als die Nachteile in einem Planfeststellungsverfahren nach anderen gesetzlichen Vorschriften nicht berücksichtigt und erst nach der Planfeststellung (Revenstorff) erkennbar geworden sind. Den Träger des Unternehmens über diese Voraussetzungen hinaus oder nach Ablauf von 5 Jahren seit Herstellung der Anlagen mit Kosten zu belasten, besteht keine Veranlassung. Dritter Abschnitt: Bereitstellung von Land in großem Umfange für Unternehmen (§§ 87-90) Die Bestimmungen der §§ 87 ff., die in ihrer Grundanlage auf die Bestimmungen der §§ 1, 57 der RUO und Art. 5 des Bayer. Ges. über die Durchführung von Flurbereinigungen vom 7. Dezember 1933 zurückgehen, sollen eine doppelte Funktion erfüllen: 1. Es sollen die mit der Landbereitstellung (Enteignung) verbundenen Nachteile für die allgemeine Landeskultur vermieden werden. 2. Der durch die Enteignung hervorgerufene Landverlust soll auf einen größeren Kreis von Grundstückseigentümern verteilt werden. Von den Fachverwaltungen wird berichtet, daß die einschlägigen Bestimmungen des bisherigen Rechts sich in der Praxis bewährt haben. Ein Teil der Ausschußmitglieder äußerte jedoch Bedenken dagegen, die Flurbereinigungsbehörde mit einer Aufgabe zu betrauen, die ihr die Vollziehung der Enteignung übertrage und sie damit einer unerwünschten Kritik seitens der Betroffenen aussetze. Diese Besorgnis sei gerade im Hinblick auf große Landinanspruchnahmen für die Beschaffung von Talsperren, Flugplätzen usw. begründet, bei denen man um Aussiedlungen nicht herumkomme. Eine Grenze für die Höhe des zulässigen Landabzugs sei schwer zu bestimmen. Der Inhalt, die Zweckbestimmung und die Fassung des § 87 waren deshalb Gegenstand längerer und eingehender Auseinandersetzungen. Die vom Bundesrat gebilligte Fassung der Regierungsvorlage schien dem Ausschuß zu stark den Gesichtspunkt der Enteignung herauszustellen, so daß der Eindruck entstehen konnte, als sei die Flurbereinigungsbehörde die Enteignungsbehörde. Der Ausschuß einigte sich schließlich auf eine Formulierung, in der nunmehr zum Ausdruck gebracht ist, daß die Verantwortung der Enteignung bei der sie anordnenden Stelle liegt, die den Antrag auf Einleitung eines Flurbereinigungsverfahrens stellen kann. Zur Feststellung, ob die Verteilung des Landverlustes tragbar ist, soll die landwirtschaftliche Berufsvertretung herangezogen werden. Die Bestimmungen des § 88 sind ebenfalls weitgehend neu gefaßt worden. Sie enthalten die Sonderbestimmungen für ein Flurbereinigungsverfahren, das aus Anlaß des § 87 durchgeführt wird. Die Grundlage des Regierungsentwurfs ist zwar erhalten geblieben, insbesondere die Einführung eines doppelten Rechtsweges, d. h. die Zulassung des Rechtsweges vor den ordentlichen Gerichten wegen der Höhe der Geldentschädigungen (§ 88 Nr. 7), nachdem das Flurbereinigungsgericht über die Landabfindung entschieden hat. Der Ausschuß hat es für richtig gehalten, die Geltendmachung des Anspruchs wegen der Höhe der ihm zustehenden Geldentschädigung durch jeden Beteiligten zuzulassen, ohne die Teilnehmergemeinschaft, wie im Regierungsentwurf vorgesehen, zwischenzuschalten. Die Bestimmung über die nach § 36 zulässige vorläufige Anordnung zugunsten des Trägers des Unternehmens ist dahin ergänzt worden, daß die obere Flurbereinigungsbehörde auf Antrag der für das Unternehmen zuständigen oberen Behörde den Zeitpunkt für die Besitzeinweisung in die vom Unternehmen benötigten Flächen festsetzt. Im Hinblick darauf, daß nach den Enteignungsgesetzen nicht immer ein Anspruch auf Entschädigung in Land besteht, ist der neue § 89 eingefügt worden, nach dem die Enteignungsbehörde nach Maßgabe des Enteignungsgesetzes zu entscheiden hat, wer nur in Geld zu entschädigen ist. Für diesen Fall wird zugelassen, daß die Entscheidung über die Höhe der Geldentschädigung abweichend von § 88 Nr. 7 alsbald nach ihrer Festsetzung angefochten werden kann. Die Bestimmung in § 90 über die entsprechende Anwendung der §§ 87, 88 auf die Grundabtretung nach berggesetzlichen Vorschriften ist unverändert nach dem Entwurf übernommen. Fünfter Teil Beschleunigtes Zusammenlegungsverfahren (§§ 91-103) Die im fünften Teil enthaltenen Bestimmungen sollen eine möglichst rasche und großzügige Zusammenlegung des zersplitterten Grundbesitzes in einem weitgehend vereinfachten Verfahren ermöglichen. Das aus den Versuchen zum Landnutzungstausch entwickelte Verfahren soll der Bereinigung von Gemeinden dienen, in denen die Anlage eines Wege- und Gewässernetzes nicht erforderlich ist. Es wird deshalb in der Hauptsache für Gemeinden mit nicht zu großer Teilnehmerzahl und einfach gelagerten Verhältnissen zur Anwendung kommen. Es setzt eine weitgehende Aufgeschlossenheit der Teilnehmer voraus sowie ihre Bereitwilligkeit zur Mitarbeit und soll nicht dazu führen, eine gegebenenfalls später durchzuführende reguläre Flurbereinigung auszuschließen. Bei verständnisvoller Unterstützung durch die Fachbehörden kann das Verfahren ein brauchbares Instrument in der Flurbereinigungstätigkeit der Länder werden. Die Tendenz des Verfahrens nach dem fünften Teil fand die grundsätzliche Billigung durch den Ausschuß. In dem Bestreben nach möglichster Vereinfachung dieses Verfahrens hat der Ausschuß dem § 93 (§ 92 des Reg.-Entw.) eine abgekürzte Fassung gegeben. Aus dem gleichen Grunde ist die Zustimmung zu nachträglichen Änderungen des Zusammenlegungsgebietes auf die des Vorstandes beschränkt worden. Um möglichst rasch Erfahrungen nach einem einheitlichen Verfahren zu gewinnen, hat der Ausschuß es für richtig gehalten, die im § 103 (§ 102 des Reg.-Entw.) vorgesehene Befugnis der Länder zur abweichenden Regelung des Verfahrens entfallen zu lassen und die Ausnahmebestimmung auf die Fortgeltung der in den Ländern Bayern und Baden-Württemberg (Landesteil Württemberg-Hohenzollern) bestehenden Vorschriften zu beschränken. Sechster Teil Kosten (§§ 104-108) Die Kostenregelung in den §§ 104-108 bezieht sich nur auf Kosten, die im Zuge des Verfahrens vor der Behörde entstehen, während für abwei- (Revenstorff) sende Entscheidungen im Rechtsmittelverfahren die Kosten gemäß § 147 festzusetzen sind. Die Verpflichtung des Landes, die persönlichen und sächlichen Kosten der Behördenorganisation zu tragen, entspricht der bisherigen Regelung. Die Regierungsvorlage sah davon ab, den Beteiligten den bisher üblichen Anteil an diesen Verfahrenskosten aufzuerlegen, weil dieser Anteil in keinem Verhältnis zu den Aufwendungen der Länder und des Bundes stand. Der Ausschuß ist nach eingehender Aussprache dem auf die Weitererhebung des Anteils zielenden Vorschlag des Bundesrates nicht beigetreten. Ausführungskosten (§ 105) sind alle von der Teilnehmergemeinschaft aufzubringenden Kosten. Wichtig ist, daß auch Eigentümer von Grundstükken, die nicht zum Flurbereinigungsgebiet gehören, aber von Flurbereinigungsmaßnahmen (Wegeverbesserungen u. dgl.) wesentliche Vorteile haben, zu Kostenbeiträgen heranzuziehen sind. Die bestehende Befreiung von Gebühren, Steuern und Abgaben für die der Flurbereinigung dienenden Geschäfte und Verhandlungen werden beibehalten. Dem in Art. 105 Abs. 2 Nr. 1 des Grundgesetzes gegebenen Vorbehalt hinsichtlich der Gesetzgebungsbefugnisse über die Grunderwerbsteuer und die Wertzuwachssteuer wird Rechnung getragen. (Frühwald) Siebenter Teil Allgemeine Verfahrensvorschriften (§§ 109-137) Wegen der Eigenart der Flurbereinigung und der großen Zahl der Beteiligten sind im siebenten Teil eine Reihe von Verfahrensvorschriften gegeben, die gegenüber dem Verfahren vor anderen Verwaltungsbehörden der Vereinfachung und Beschleunigung dienen, wobei jedoch die berechtigten Interessen der Beteiligten voll gewahrt werden. Folgende Besonderheiten sind hervorzuheben: An den wichtigsten Abschnitten des Verfahrens ist die Berufsvertretung der Landwirtschaft, Forstwirtschaft oder Fischerei zu hören oder zu beteiligen. In den Ländern, in denen eine Landwirtschaftskammer besteht, ist diese die Berufsvertretung. Im übrigen hat die zuständige Landesbehörde zu bestimmen, welche Organisation zu beteiligen ist (§ 109). An Stelle der im Regierungsentwurf vorgesehenen besonderen Vorschriften über die Zustellung ist das Verwaltungszustellungsgesetz vom 3. Juli 1952 getreten. Als Sonderart ist die Zustellung durch Umlauf beibehalten worden, die jedoch für Beschwerdebescheide nicht anwendbar ist, weil durch diese der Rechtsweg vor dem Flurbereinigungsgericht eröffnet wird (§§ 112, 113). Die Flurbereinigungsbehörde und die obere Flurbereinigungsbehörde sind für die volle Beweiserhebung zuständig, jedoch ist eidliche Vernehmung nur durch das Flurbereinigungsgericht oder durch das Amtsgericht — durch letzteres im Wege der Amtshilfe — zulässig (§ 116). Der vom Bundesrat vorgeschlagenen Streichung des § 118 des Regierungsentwurfs hat der Ausschuß zugestimmt, weil die im bisherigen Flurbereinigungsrecht vorgesehene Vertretungsmacht des Ehemannes mit der durch das Grundgesetz gegebenen Rechtsstellung der Ehefrau nicht mehr in Einklang steht (§ 118). Die Vorschriften über die Versäumung eines Verhandlungstermins oder einer Frist sind im Interesse der beschleunigten Durchführung des Verfahrens erforderlich. Als Grundsatz gilt, daß die Flurbereinigungsbehörde von sich aus alles zu tun hat, was dem bestmöglichen Ergebnis der Flurbereinigung dient. Sie muß daher auch Erklärungen zulassen können, wenn sie formal einem Beteiligten gegenüber wegen der eingetretenen Versäumung hierzu nicht mehr verpflichtet ist (§ 134). Der Bedeutung der Flurbereinigung entspricht es, daß alle Behörden und Dienststellen zu einer weitgehenden Rechts- und Amtshilfe ausdrücklich verpflichtet werden. Die Beschränkungen hinsichtlich der Kostenerstattung entsprechen der in § 108 enthaltenen Einschränkung der Steuerfreiheit (§ 135). Im Interesse der Rechtsvereinheitlichung hat der Ausschuß vorgesehen, daß an Stelle der in den §§ 136-139 des Regierungsentwurfs enthaltenen Bestimmungen über Zwangsmaßnahmen das für den Bereich der Bundesbehörden eingeführte Verwaltungsvollstreckungsgesetz vom 27. April 1953 auch im Flurbereinigungsverfahren entsprechend anzuwenden ist (§§ 136, 137). Achter Teil Rechtsmittelverfahren (§§ 138-148) Die mit dem Grundgesetz eingetretenen Veränderungen machen eine grundsätzliche Umgestaltung der Rechtsmittel und der zur Entscheidung darüber berufenen Instanzen erforderlich. Nach der RUO ergehen die Entscheidungen über Einwendungen und Beschwerden der Beteiligten in einem dreifach gegliederten Instanzenzug. Im ersten Rechtszug sind die Umlegungsbehörden als Spruchstelle, im zweiten Rechtszug die oberen Umlegungsbehörden als obere Spruchstellen für Umlegung tätig. Im dritten Rechtszug war das Reichsverwaltungsgericht zuständig. Im ersten Rechtszuge sind Spruchstelle und Verwaltungsbehörde identisch. Im zweiten Rechtszuge ist die obere Spruchstelle von der Verwaltung zwar getrennt — wie es auch im dritten Rechtszuge beim Reichsverwaltungsgericht der Fall war —, die beamteten Mitglieder sind aber für die Dauer ihres Hauptamtes bei der Verwaltungsbehörde bestellt. Den Mitgliedern der Spruchstellen ist nur in sachlicher Hinsicht die richterliche Unabhängigkeit gewährleistet. Das Bayerische Flurbereinigungsgesetz hat zur Entscheidung von Streitigkeiten und Widersprüchen vorgesehen: 1. das Schiedsgericht, 2. den Spruchausschuß des Flurbereinigungsamtes. Die Entscheidungen des Schiedsgerichts sind schlechthin endgültig, ebenso die des Spruchausschusses mit Ausnahme besonderer Beschwerdefälle, für die die Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes zugelassen ist. Auch nach der RUO waren bestimmte Beschlüsse (insbesondere der Einleitungsbeschluß) und Entscheidungen unanfechtbar. Die Befugnis der in den bisherigen Gesetzen geschaffenen Rechtsmittelinstanzen zur Entschei- (Frühwald) dung der im Flurbereinigungsverfahren auftretenden Streitigkeiten ist seit einiger Zeit bestritten. Vielfach ist die Klage vor dem Verwaltungsgericht zugelassen worden, und oberste Verwaltungsgerichte der Länder haben es abgelehnt, die Spruchstellen nach der RUO als besondere Verwaltungsgerichte anzuerkennen. Der Gesetzentwurf sieht deshalb im § 138 ein besonderes Flurbereinigungsgericht vor, das in jedem Land als Senat des obersten Verwaltungsgerichtes einzurichten ist und über die Anfechtung aller Verwaltungsakte und über alle Streitigkeiten zu entscheiden hat, die durch ein Flurbereinigungsverfahren hervorgerufen werden. Die Streitigkeiten müssen jedoch vor Beendigung des Verfahrens anhängig geworden und es muß für sie der Verwaltungsrechtsweg gegeben sein. Das vorgesehene Rechtsmittelverfahren baut sich auf dem in den Ländern des Bundes geltenden Landesrecht über die Verwaltungsgerichtsbarkeit auf. Dabei ist in Anlehnung an die landesrechtliche Ermächtigung an Stelle des Einspruchs bei der Flurbereinigungsbehörde die Beschwerde an die obere Flurbereinigungsbehörde zugelassen. Der Entwurf sieht grundsätzlich davon ab, die untere Verwaltungsbehörde (Flurbereinigungsbehörde) mit der Entscheidung von Streitigkeiten zu betrauen, um dem Vorwurf vorzubeugen, daß die mit der Durchführung der Flurbereinigung betrauten Personen mit den zur Entscheidung berufenen identisch seien. Diese Regelung schließt die in der Praxis bewährte und in den Landesrechten verankerte Befugnis der Verwaltungsbehörde zur Abhilfe von Beschwerden nicht aus. Bei begründeten Beschwerden gegen den Flurbereinigungsplan ist die Abhilfe der Flurbereinigungsbehörde zur Pflicht gemacht (§ 60). Durch die Betrauung der oberen Flurbereinigungsbehörde mit der Entscheidung im Verwaltungsverfahren, die die Voraussetzung für die Anrufung des Verwaltungsgerichts (Flurbereinigungsgericht) bildet, wird nicht nur dem landesrechtlichen Grundsatz einer Nachprüfung des Verwaltungsaktes durch eine Verwaltungsbehörde Genüge geleistet, sondern auch eine möglichste Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens angestrebt. Der Ausschuß hat das im Reg.-Entw. vorgesehene Rechtsmittelverfahren mit der Beschränkung auf die Entscheidung durch eine Verwaltungsinstanz (obere Flurbereinigungsbehörde) und Zulassung der Klage bei einem Senat des obersten Landesverwaltungsgerichts (Flurbereinigungsgericht) nach eingehender Aussprache gebilligt. Er vertritt die Auffassung, daß die Abwicklung der Beschwerden im Interesse der Beschleunigung der Flurbereinigung — und damit aller Beteiligten — in einem möglichst kurzen Rechtsgang gesichert werden muß, wobei das Rechtsschutzinteresse durch die Einschaltung des obersten Verwaltungsgerichts mit einem von fachkundigen Richtern besetzten Senat gewahrt wird. Auch die Befugnis des Verwaltungsgerichts zur rechtsgestaltenden Entscheidung hat der Ausschuß unter Zurückweisung der von nicht fachkundigen Stellen erhobenen Einwände gebilligt, da auf andere Weise eine unabsehbare Verschleppung nicht vermieden werden könnte. Der Ausschuß hat sich mit besonderem Nachdruck für die Beibehaltung der Bestimmungen in den §§ 139 Abs. 3 und 141 Abs. 4 eingesetzt, da nach seiner Ansicht die Beteiligung praktischer Landwirte an den zur Entscheidung berufenen Gremien die Gewähr dafür bietet, daß Entscheidungen ergehen, die den Bedürfnissen und Belangen der Landwirtschaft Rechnung tragen. Der Ausschuß hat sich jedoch — ähnlich wie bei § 60 a — dem Vorschlag des Bundesrates nicht anschließen können, die Länder zu einer abweichenden Regelung des Rechtsmittelverfahrens zu ermächtigen. Er ist der Auffassung, daß bei der Erteilung einer so umfassenden Ermächtigung die Errichtung des Flurbereinigungsgerichts — als besonderes Verwaltungsgericht — nicht mehr in allen Ländern als gewährleistet angesehen werden könne. Von dieser Voraussetzung einer fachlich zuverlässigen Instanz zur Entscheidung der von der sonstigen Verwaltungsgerichtstätigkeit völlig abweichenden Fälle glaubt der Ausschuß nicht absehen zu können. Als bemerkenswert sind noch folgende Gesichtspunkte hervorzuheben: 1. Die Einrichtung eines gemeinschaftlichen Flurbereinigungsgerichts durch mehrere Länder und die Übertragung seiner Aufgaben in Bremen und Hamburg auf ein anderes Gericht werden zugelassen. 2. Im Hinblick auf die unterschiedliche Besetzung der Senate der obersten Verwaltungsgerichte in den Ländern des Bundes erscheint die Besetzung des Flurbereinigungsgerichts mit zwei fachlichen Richtern, einem beamteten Beisitzer und zwei ehrenamtlichen Beisitzern aus landwirtschaftlichen Kreisen als zweckmäßig und den Erfordernissen der Praxis entsprechend (§ 139). 3. Die verfahrensrechtlichen Bestimmungen enthalten nur die unbedingt nötige ergänzende Regelung zu den länderrechtlichen Verfahrensbestimmungen (§§ 142-145). 4. Die Änderung des angefochtenen Verwaltungsaktes durch das Flurbereinigungsgericht selbst ist in Abweichung von sonstigen Verwaltungsgerichtsverfahren hier unentbehrlich. Die Befugnis zur ganzen oder teilweisen Aufhebung eines Verwaltungsaktes und Zurückverweisung wird jedoch nicht ausgeschlossen (§ 144). 5. Durch die Sonderbestimmungen des § 142 Abs. 4 über die Gestaltung der Klage, des § 146 über den Klageantrag, den Ermessensgebrauch und die Verbindung von Klagen sowie des § 148 über die Vollstreckung der Urteile wird der Eigenart des Flurbereinigungsverfahrens Rechnung getragen. (Schulze-Pellengahr) Neunter Teil Abschluß des Flurbereinigungsverfahrens (§§ 149, 150) Die Schlußfeststellung schließt das Verfahren so ab, daß die Zuständigkeit der Flurbereinigungsbehörde erlischt und die Beteiligten mit Nachforderungen, Anträgen u. dgl. nicht mehr gehört werden können. Sie kann daher erst erlassen werden, wenn die Flurbereinigung planmäßig ausgeführt ist, die Ansprüche der Beteiligten sowie ihre Verpflichtungen gegenüber der Teilnehmergemeinschaft erfüllt und die öffentlichen Bücher berichtigt sind. Da die Schlußfeststellung zugleich den Vorstand der Teilnehmergemeinschaft entlasten soll, ist auch dem Vorstand das Beschwerderecht ausdrücklich zugestanden. Eine Abschrift der (Schulze-Pellengahr) rechtskräftigen Schlußfeststellung ist dem Vorstand und den beteiligten Behörden zum Nachweis der Beendigung des Verfahrens zuzustellen. Eine Karte mit der neuen Feldeinteilung, ein Verzeichnis der neuen Grundstücke und eine Zusammenstellung der Dauerbestimmungen des Flurbereinigungsplanes ist der Gemeinde oder der Gemeindeaufsichtsbehörde zu übergeben. Zehnter Teil Die Teilnehmergemeinschaft nach der Beendigung des Flurbereinigungsverfahrens (§§ 151-153) Bleiben die Aufgaben der Teilnehmergemeinschaft, z. B. die Unterhaltung der gemeinschaftlichen Anlagen, Fertigstellung von Meliorationsanlagen, Abwicklung langfristiger Darlehen, auch nach der Beendigung des Verfahrens bestehen, so ist dies in der Schlußfeststellung unter Bezeichnung der Aufgaben ausdrücklich festzustellen. Von der Rechtskraft der Schlußfeststellung ab steht die Teilnehmergemeinschaft unter der Aufsicht der Gemeindeaufsichtsbehörde, von der sie auch nach Erfüllung ihrer Aufgaben aufzulösen ist. Die Vertretung der Teilnehmergemeinschaft und die Verwaltung ihrer Angelegenheiten kann auch der Gemeindebehörde übertragen werden. Die Erhebung von Beiträgen richtet sich auch weiterhin nach den Bestimmungen des Flurbereinigungsgesetzes. Ein Teil der nach dem Bayer. Flurbereinigungsgesetz in der Fassung vom 11. 2. 1932 begründeten Flurbereinigungsgenossenschaften besteht fort — auch in einem Teilgebiet des Landes Rheinland-Pfalz —, obgleich ihre Aufgaben längst durchgeführt sind. Ihre Auflösung ist dadurch erschwert, daß der Auflösungsbeschluß der Zustimmung von 2/3 der Genossen, die bei Verfahren mit vielen Beteiligten fast nie zu erreichen ist, und der Genehmigung der Flurbereinigungsbehörde bedarf. Die erforderliche Bereinigung soll durch die Bestimmung im § 153 Abs. 2 erleichtert werden. Elfter Teil Schluß- und Übergangsbestimmungen (§§ 154-159) Die der Erhaltung der charakteristischen Erscheinungsform der Landschaft und der Sicherung des geordneten Übergangs in den neuen Zustand dienenden Schutzbestimmungen in § 34 Abs. 1 und § 85 Nr. 5 werden durch die Möglichkeit der Festsetzung einer Geldbuße und der Einziehung der gewonnenen Gegenstände wirksamer gestaltet. Im Interesse der Rechtseinheit hat der Ausschuß auch hier das Bundesgesetz über Ordnungswidrigkeiten vom 25. 3. 1952 als Grundlage gewählt. In den §§ 155, 156 ist das Außerkrafttreten des bisherigen Rechts und die Überleitung der anhängigen Verfahren in das neue Recht geregelt. Die Durchführung von Flurbereinigungsverfahren an den Landesgrenzen bringt es mit sich, daß Grundstücke eines benachbarten Landes in ein Verfahren einbezogen werden. Für diesen Fall wird im § 157 sichergestellt, daß die auf Grund von Ermächtigungen dieses Gesetzes ergehenden abweichenden Bestimmungen einheitlich gelten. Das Gesetz soll gemäß § 159 am 1. 1. 1954 in Kraft treten. Dieser verhältnismäßig späte Zeitpunkt wird vom Ausschuß mit Rücksicht darauf vorgeschlagen, daß die Länder eine ausreichende Zeit benötigen, um die erforderlichen Ausführungsbestimmungen zu schaffen. Bonn, den 28. Mai 1953 Schulze-Pellengahr Dr. Schmidt (Niedersachsen) Revenstorff Frühwald Berichterstatter Anlage 2 zum Stenographischen Bericht der 270. Sitzung Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (19. Ausschuß) über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU betreffend Dürrekatastrophe im südlichen Teil des Bundesgebiets (Nrn. 3701, 4368 der Drucksachen) Berichterstatter: Abgeordneter Eichner Der Antrag wurde nach ausführlicher Debatte über die Dürreschäden in Süddeutschland im Plenum vom 9. Oktober 1952 an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (federführend), an den Ausschuß für Verkehrswesen und an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen überwiesen. Nach Beratungen im Ernährungsausschuß am 29. Oktober, 10. Dezember 1952 und 29. Januar 1953 wurde beschlossen, den Antrag abschließend zu behandeln, wenn die Berichte aller in Betracht kommenden Länder vorliegen. Inzwischen hatten die mitbeteiligten Ausschüsse wie folgt Stellung genommen: Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen (12. November 1952) Der Ausschuß kam zu dem Ergebnis, daß das geltende Recht bereits die Grundlage für die gewünschten Maßnahmen enthalte. Darüber hinaus hat er dem Bundesministerium der Finanzen nahegelegt, sich mit den Ländern — bei Bundessteuern mit den Oberfinanzdirektionen — in Verbindung zu setzen, um in den von der Dürrekatastrophe betroffenen Gebieten eine koordinierte großzügige Handhabung der bestehenden Härtevorschriften zu erreichen. Das Bundesministerium der Finanzen hat dies zugesagt. Ausschuß für Verkehrswesen (26. November 1952) Der Ausschuß empfiehlt, die Nr. 4 des Antrags Drucksache Nr. 3701 für erledigt zu erklären, da 1. inzwischen ein neuer Ausnahmetarif für Heu und Stroh für die von der Dürrekatastrophe betroffenen Gebiete in Kraft gesetzt wurde und 2. die bereits bestehende tarifliche Begünstigung für Saatkartoffeln (anerkanntes Saatgut) als ausreichend erachtet wird. Nachdem die Berichte aller in Frage kommenden Länder dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vorlagen, hat das Ministerium mit Schreiben vom 11. April 1953 zu den einzelnen Punkten des Antrags nach grundsätzlicher Feststellung, daß nach den Bestimmungen des Grundgesetzes die Beseitigung derartiger Schäden zur Zuständigkeit der Länder gehört und daher Bundesmittel für diesen Zweck nicht zur Verfügung stehen, wie folgt Stellung genommen: „Zu Ziffer 1 Die Bereitstellung von zusätzlich verbilligtem Futtergetreide wurde bei dem Herrn Bundesminister der Finanzen mit Schreiben vom 26. September 1952 und vom 2. März 1953 beantragt, von diesem jedoch in beiden Fällen abgelehnt. Für eine Erweiterung der Roggentauschaktion 1952 durch Einbeziehung des Weizens standen keine Bundesmittel zur Verfügung. Außerdem hätte diese Maßnahme, da sie nicht gebietsweise begrenzt werden kann, den Getreidemarkt gefährdet. Andererseits hätte vermutlich der größere Teil der geschädigten Betriebe daraus keinen Nutzen ziehen können, da diese Betriebe nicht über Weizen zur Abgabe verfügten. Hafer ist in Süddeutschland mehrfach unter dem Mindestpreis angeboten worden. Die dürregeschädigten Landwirte hatten daher Gelegenheit, sich Hafer zu günstigen Einkaufsmöglichkeiten zu beschaffen. Durch Abgabe von zusätzlich verbilligtem Futtergetreide aus Beständen der Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide wäre eine weitere ungünstige Wirkung auf den Hafermarkt ausgeübt worden. In den von der Trockenheit des letzten Jahres besonders betroffenen landwirtschaftlichen Betrieben bestand nicht in erster Linie ein Mangel an Futtergetreide zur Weiterführung der Schweinemast, sondern ein solcher an Rauhfutter. Andererseits waren nicht nur in Norddeutschland, sondern auch in einigen Gegenden des süddeutschen Raumes Überbestände an Rauhfutter vorhanden, so (Eichner) daß ein ausreichendes Angebot den ganzen Winter über gegeben war. In großen Teilen der Gebiete, die im vergangenen Sommer unter Dürreschäden gelitten haben, kann bereits in Kürze mit dem Einbringen von Grünfutter gerechnet werden. Damit ist für die dortigen Betriebe der Anschluß an die neue Fütterungsperiode vollzogen. Zu Ziffer 2 Die Aufnahme von Vieh durch die Einfuhr- und Vorratsstelle für Schlachtvieh, Fleisch und Fleischerzeugnisse zur Verhinderung von Preiseinbrüchen ist in dem erforderlichen Umfange erfolgt. In der Zeit vom 8. August bis 6. Dezember 1952 wurden rund 6 400 Stück Rindvieh aus süddeutschen Märkten aufgenommen. Die Maßnahme, die mit einem Kostenaufwand von etwa 5,5 Mio DM durchgeführt wurde, ist Anfang Dezember 1952 eingestellt worden, nachdem mit Beendigung des Weideabtriebes wieder normale Marktverhältnisse zu erwarten waren. Eine ausführliche Zusammenstellung über die Rinderentnahmen durch die Einfuhr- und Vorratsstelle wurde den Mitgliedern des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit Schreiben III A 3 — 3331-52/53 vom 18. Februar 1953 überreicht. Hinsichtlich der Bereitstellung von Mitteln für die Einfuhr- und Vorratsstelle für Vieh und Fleisch darf auf mein Schreiben III A 3 - 3325 - 86/53 vom 27. März 1953 an den Herrn Vorsitzenden des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Bezug genommen werden. Der Minister für Landwirtschaft, Weinbau und Forsten des Landes Rheinland-Pfalz hatte am 21. August 1952 beantragt, die Überbestände vor allem der Klassen C und D als ausgebeintes Fleisch durch die Einfuhr- und Vorratsstelle zu übernehmen. Dem Antrag konnte gemäß meinem Schreiben III/13 - 3602/2-361/52 vom 5. September 1952 nicht entsprochen werden, da die für die Ausbeinung aufzuwendenden Kosten durch die erzielbaren Erlöse nicht annähernd gedeckt werden. Zu Ziffer 3 Die landwirtschaftlichen Kreditinstitute sind in der Lage, den Kreditbedarf zum Ankauf von Rauhfutter und Kraftfutter jederzeit zu befriedigen. Schwierigkeiten sind hierbei bisher nicht aufgetreten. Mittel für eine Verbilligung stehen der Bundesregierung nicht zur Verfügung. Zu Ziffer 4 Ein ermäßigter Frachttarif für übergebietliche Rauhfuttersendungen wurde geschaffen. Er trat bereits am 10. November 1952 in Kraft. Für Pflanzkartoffeln bestehen folgende Ermäßigungen der Eisenbahngütertarife: a) Im Stückgutverkehr werden beim Versand von Pflanzkartoffeln nur 50 % des frachtpflichtigen Gewichtes zur Errechnung der Frachtkosten zugrunde gelegt. b) Im Wagenladungsverkehr besteht im Rahmen des allgemeinen Ausnahmetarifes 16 B 1 für frische Kartoffeln eine Ermäßigung um rund 25 % gegenüber der niedrigsten Wagenladungsklasse „G". Die Deutsche Bundesbahn sieht sich nicht imstande, eine weitergehende Ermäßigung zu gewähren. Zu Ziffer 5 Die Gewährung von Zuschüssen oder Zinsverbilligungen für den Bezug von Saatkartoffeln, Futtersämereien und Dünger aus Haushaltsmitteln des Bundes ist nicht möglich, da hierfür kein Titel vorhanden ist. Zu Ziffer 6 Bezüglich der steuerlichen Maßnahmen wurden dem Ausschuß ausführliche Darlegungen der einzelnen Länder übergeben. Zu Ziffer 7 Da der größere Teil der mittelfristigen landwirtschaftlichen Kredite aus ERP-Mitteln stammt, wurden die mit der Durchleitung dieser Mittel beauftragten Kreditinstitute ermächtigt, Tilgungsraten, jedoch nicht Zinsen, so weit zu stunden, als es sich um Betriebe in dürregeschädigten Gebieten handelt und glaubhaft dargelegt wird, "aß durch die Dürreschäden die finanzielle Leistungsfähigkeit des Betriebes zur Aufbringung der Tilgungsraten nicht ausreicht." Der Ernährungsausschuß hat nun auf Grund der Stellungnahme des Ministeriums vom 11. April 1953 den vorliegenden Antrag für erledigt erklärt, spricht aber die Empfehlung aus, daß bei nachhaltigen Schäden die Steuerermäßigungen für ein weiteres Jahr gewährt werden sollten. Bonn, den 20. Mai 1953 Eichner Berichterstatter Anlage 3 zum Stenographischen Bericht der 270. Sitzung Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Bau- und Bodenrecht (36. Ausschuß) (Nr. 4364 der Drucksachen) über den Entwurf eines Gesetzes über die vorläufige Regelung der Bereitstellung von Bauland (Zweites Wohnungsbaugesetz) (Nr. 2281 der Drucksachen) und über den von den Abgeordneten Lücke und Genossen eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Beschaffung von Bauland (Baulandbeschaffungsgesetz) (Nr. 2300 der Drucksachen) Berichterstatter: Abgeordneter Jacobi A. Werdegang des Gesetzentwurfs I. In der Erkenntnis, daß der Mangel an geeignetem Bauland neben der Finanzierung eines der schwerwiegendsten Probleme des Wohnungsbaues darstellt, faßte der Deutsche Bundestag in seiner 53. Sitzung vom 28. März 1950 gleichzeitig mit der Verabschiedung des Ersten Wohnungsbaugesetzes folgenden einstimmigen Beschluß: „Um die Durchführung des Wohnungsbauprogramms zu ermöglichen, wird die Bundesregierung ersucht, 1. bis zum 30. September 1950 einen Gesetzentwurf über die Enteignung von Grundstücken zugunsten des Wohnungsneubaues und für den Wiederaufbau vorzulegen, 2. in diesem Gesetzentwurf Bestimmungen zu treffen, die gegebenenfalls unter Änderung von Bestimmungen des Grundgesetzes die schnelle, wirksame, endgültige und zu günstigen Preisen mögliche Enteignung von Grundstücken vorsehen." Bei dieser Entschließung ging der Bundestag von der Feststellung aus, daß die geltenden gesetzlichen Enteignungsbestimmungen angesichts der beispiellos großen in unserer Zeit dem Wohnungsbau gestellten Aufgaben zur Überwindung der bestehenden Baulandnot nicht ausreichen. Die landesrechtlichen Enteignungsgesetze — durchweg in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts erlassen — erweisen sich wegen der Schwerfälligkeit ihres Verfahrens und wegen der in ihnen enthaltenen Entschädigungsregelungen als zur Überwindung der aufgetretenen Schwierigkeiten unzulänglich. Dies gilt ebenso für die reichsrechtliche Verordnung zur Behebung der dringendsten Wohnungsnot vom 9. Dezember 1919 (Reichsgesetzbl. I S. 1968). Diese sah zwar ein sehr vereinfachtes und beschleunigt durchführbares Verfahren unter Ausschluß gerichtlicher Nachprüfung vor; die Verfahrensbestimmungen sind indes nach Einführung der verwaltungsgerichtlichen Generalklausel und seit Inkrafttreten des Grundgesetzes (Art. 14 Abs. 3 und Art. 19 Abs. 4 GG) mit der Folge geändert, daß auch hier eine zweigleisige gerichtliche Nachprüfung mit den dadurch bedingten erheblichen Verzögerungen zulässig ist. Überdies bestehen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der in der Behebungsverordnung getroffenen Entschädigungsregelung, da diese nicht in dem von Art. 14 Abs. 3 GG geforderten Maße konkret gesetzlich bestimmt ist. Auch die nach 1945 von der Mehrzahl der Länder geschaffenen Aufbaugesetze haben aus den verschiedensten Gründen der Schwierigkeiten nicht Herr werden können. Aus der hier nur angedeuteten Unzulänglichkeit des geltenden Rechtes ergibt sich die Notwendigkeit, eine neue gesetzliche Grundlage für die Bereitstellung von Bauland zu schaffen, die über die vom Bundestag in seiner eingangs erwähnten Ent- (Jacobi) schließung erhobenen Forderungen hinaus dem rechtsstaatlichen Bedürfnis nach Rechtsklarheit und Rechtssicherheit genügt. Bereits bei den Beratungen über das Erste Wohnungsbaugesetz war eine Einbeziehung der Baulandenteignung erwogen, aber alsbald als undurchführbar abgelehnt worden. Angesichts der vielfältigen Beziehungen zu allgemein baurechtlichen Sachgebieten und der zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausreichend weit gediehenen Vorbereitungsarbeiten erwies es sich als unmöglich, die Baulandbeschaffung im Rahmen des Ersten Wohnungsbaugesetzes befriedigend zu lösen. Eine einfache Anknüpfung an die Behebungsverordnung konnte im Hinblick auf die Fortentwicklung des Enteignungsrechtes und im Rahmen der einschlägigen Bestimmungen des Grundgesetzes zu keinem tragbaren Ergebnis führen. Auch stellten sich einer Beschränkung der Baulandbeschaffung auf das vom Ersten Wohnungsbaugesetz geregelte Gebiet Schwierigkeiten in der Abgrenzung zwischen Wohnbauten und Bauten mit anderer Zweckbestimmung entgegen. Diese Erwägungen führten zu dem Verlangen, die Baulandbeschaffung in einem besonderen Gesetz zu regeln. Mit der in dem Bundestagsbeschluß enthaltenen Terminbestimmung brachte der Bundestag die Dringlichkeit der gesetzlichen Neuregelung zum Ausdruck. II. Die Bundesregierung kam dem Verlangen des Bundestages durch die Einbringung eines Gesetzentwurfs am 28. Mai 1951 nach. Ihre Behandlung im Bundesrat führte zu zahlreichen Abänderungsvorschlägen, die sich in der Bundestagsdrucksache Nr. 2281 finden. Hinsichtlich der überwiegend ablehnenden Stellungnahme der Bundesregierung zu den Vorschlägen des Bundesrates wird auf die gleiche Drucksache verwiesen. Am 5. Juni 1951 wurde seitens der Abgeordneten Lücke und Genossen ein dieselbe Materie betreffend er Initiativgesetzentwurf (Bundestagsdrucksache Nr. 2300) eingebracht. Beide Entwürfe sind in der 153. Sitzung des Bundestages am 15. Juni 1951 nach eingehender Diskussion dem Bundestagsausschuß für Bau- und Bodenrecht (36) — der als federführender bestimmt wurde — und den Ausschüssen für Wiederaufbau und Wohnungswesen (18) und für Rechtswesen und Verfassungsrecht (23) — zur Mitberatung — überwiesen worden. Die Ausschüsse für Bau- und Bodenrecht und für Wiederaufbau und Wohnungswesen befaßten sich in mehr als 40 Sitzungen mit den Entwürfen. An den Sitzungen der beiden Ausschüsse nahmen regelmäßig Vertreter der beteiligten Bundesministerien sowie des Bundesrates teil. Am 19. März 1953 fand eine gemeinsame Sitzung der beiden Bundestagsausschüsse und des Bundesratsausschusses für Wiederaufbau (Wohnungswesen) statt. Im Laufe der Beratungen wurden mehrfach Sachverständige für besonders umstrittene Fragen gehört. Durch Besichtigungsreisen nach Süddeutschland, Berlin, Hannover und Köln versuchten die Ausschüsse unmittelbares Erfahrungsmaterial aus eigener Anschauung zu gewinnen. Die Beratungen wurden durch zwischenzeitlich zu behandelnde und als vordringlich betrachtete Gesetze (Wohnraummangelgesetz, Bergarbeiterwohnungsgesetz, Wohnungsbauprämiengesetz, Gebührenbefreiungsgesetz, Novelle zum Ersten Wohnungsbaugesetz) mehrfach unterbrochen, was neben den in der Materie liegenden Schwierigkeiten zu weiteren Verzögerungen des Beratungsabschlusses führte. In der Zeit vom 17. März 1952 bis zum 20. November 1952 befaßte sich der mitberatende Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht (23) mit den Entwürfen und empfahl eine Anzahl einschneidender Änderungen und Ergänzungen, denen die Ausschüsse 18 und 36 nur zum Teil zu folgen vermochten. B. Allgemeines zum Inhalt und Aufbau des Gesetzes I. Das erste bundesrechtliche Enteignungsgesetz Das Baulandbeschaffungsgesetz ist das erste vom Bundesgesetzgeber zu verabschiedende Enteignungsgesetz. Ihm kommt daher über den eigentlichen Gesetzeszweck hinaus eine besondere Bedeutung zu. Auf dem Gebiet der Enteignung hat sich in den letzten Jahren eine nicht unerhebliche Rechtsunsicherheit und Rechtsunklarheit ergeben, die ihren treffenden Ausdruck in der Divergenz der verschiedenen Gerichtsurteile findet. Die Begründung hierfür ist in erster Linie darin zu suchen, daß dem bisherigen vorkonstitutionellen Enteignungsrecht die Anpassung an das neue Verfassungsrecht fehlte. Diese dem Gesetzgeber obliegende Aufgabe war in den letzten Jahren den Gerichten überantwortet. Dem Baulandbeschaffungsgesetz kommt daher nicht nur die Bedeutung zu, für das begrenzte von ihm geregelte Gebiet klares und eindeutig verfassungsgemäßes Recht zu schaffen, es soll zugleich den Weg für eine Klärung und Fortentwicklung des Enteignungsrechtes bahnen. II. Vorläufigkeit der Regelung, Verhältnis zu einem Bundesbaugesetz Die Baulandbeschaffung ist eine Teilmaterie des gesamten Baurechtes. Der bei dem Beginn der Beratungen über das Baulandbeschaffungsgesetz vorliegende Sachstand ließ jedoch nicht die Erwartung zu, daß die in Aussicht genommene Gesamtregelung der baurechtlichen Materie in so kurzer Zeit erfolgen könne, wie dies für das Teilgebiet der Baulandbeschaffung als erforderlich betrachtet wurde. Dementsprechend war die Baulandbeschaffung vorab zu regeln. Diese Regelung sollte jedoch, und daran ist auch heute noch festzuhalten, lediglich eine vorläufige sein, um später in den Rahmen einer Gesamtregelung mit geringeren oder größeren Änderungen übernommen zu werden. Der interimistische Charakter dieses Gesetzes kam in der ihm zunächst zugedachten amtlichen Bezeichnung als „Gesetz über die vorläufige Regelung der Bereitstellung von Bauland" zum Ausdruck. Wenn die Ausschüsse sich für die jetzt gewählte Bezeichnung als „Baulandbeschaffungsgesetz" entschieden, so geschah dies nur aus sprachlichen Erwägungen und in Anbetracht des Umstandes, daß die kurze, sachlich treffende Bezeichnung sich bereits weitgehend eingebürgert hat. Keinesfalls sollte aber dadurch der Charakter des Gesetzes als eine Übergangslösung geleugnet werden. Die Beratungen haben deutlich gezeigt, daß die Teilmaterie der Baulandbeschaffung allenthalben mit Problemen des allgemeinen Baurechtes (z. B. Planung, Bauaufsicht, Behördenaufbau, Verfahren usw.) verflochten ist. Es erscheint daher kaum vermeidlich, daß das Baulandbeschaffungsgesetz einer gründlichen Überarbeitung und Anpassung bedarf, wenn es als Teil desselben in ein kommendes Bundesbaugesetz eingebaut werden soll. Auch (Jacobi) unter dem Gesichtspunkt der Fortentwicklung und Konsolidierung des Enteignungsrechtes (vgl. Ziffer B I dieses Berichtes) bedarf die Vorläufigkeit des Gesetzes der Hervorhebung. Die hier gewählten Regelungen sind zum Teil ausgesprochene Interims- und Kompromißlösungen, die zwar zur Erreichung des konkreten Gesetzeszweckes geeignet erscheinen, nicht aber ohne weiteres als Vorbild für spätere Enteignungsgesetze dienen können. Dies gilt — um nur ein Beispiel zu nennen — für die Regelung des Gerichtsverfahrens (vgl. Ziffer B III 2 dieses Berichtes). Die Ausschüsse halten es daher für erforderlich, ausdrücklich die Vorläufigkeit des Baulandbeschaffungsgesetzes, selbst wenn es in der Tat einen längeren Zeitraum überbrücken müßte, zu betonen. III. Umfang der Regelung 1. Ausscheidung der Umlegung und Zusammenlegung Um das Gesetz angesichts der Schwierigkeit seiner Materie so schnell als möglich behandeln zu können, wurden bereits in der Regierungsvorlage die Tatbestände ausgeschieden, die einer vordringlichen Lösung nicht unbedingt bedürftig erschienen. Es handelt sich um die Sachgebiete der Baulandumlegung und -zusammenlegung. Die Herauslassung dieser an sich auch der Bereitstellung von Bauland dienenden Institute ist vertretbar. Im Rahmen der nach Landesrecht bereits zulässigen Umlegungs- und Zusammenlegungsverfahren ist es nicht möglich, nichtgrundbesitzende Bauwillige sofort mit einem Bauplatz zu versehen. Derartige Verfahren benötigen selbst im Falle ihrer vielleicht möglichen günstigeren Regelung einen längeren Zeitraum. Es kommt hinzu, daß die Umlegung und Zusammenlegung eine Reihe sachlich besonders schwieriger Fragen aufwerfen, durch deren Behandlung das vorliegende Gesetz eine nicht unerhebliche weitere Verzögerung erfahren hätte. Die Ausschüsse erachten daher die Ausscheidung dieser Sachgebiete als zweckmäßig. 2. Einbeziehung des Verwaltungs- und Gerichtsverfahrensrechtes In Übereinstimmung mit der Regierungsvorlage hielten es die Ausschüsse für erforderlich, daß neben dem materiellen Enteignungsrecht (Zulässigkeit der Enteignung, Enteignungsvoraussetzungen, Entschädigung) auch das formelle Enteignungsrecht (d. h. sowohl das Verwaltungs- wie auch das Gerichtsverfahren) in die Regelung einbezogen wird. Die Notwendigkeit ins einzelne gehender Regelungen über die Zulässigkeit und Voraussetzungen der Enteignung sowie über die Entschädigung ergibt sich unmittelbar aus Artikel 14 Abs. 3 GG. Hierüber und über die Zuständigkeit des Bundes zur Regelung des materiellen Enteignungsrechtes für den Wohnungsbau hat es bei den Beratungen keine Meinungsverschiedenheiten gegeben. Dagegen hat der Bundesrat in seiner Stellungnahme vom 2. März 1951 (vgl. Bundestagsdrucksache Nr. 2281 S. 40) die Zulässigkeit und Notwendigkeit bundesgesetzlicher Verfahrensregelungen bestritten und demgemäß die Streichung des dritten und vierten Abschnittes vorgeschlagen. Diesem Vorschlag war die Bundesregierung nicht gefolgt; auch die Ausschüsse vermochten ihm nicht zu folgen. Geeignetes Verfahrensrecht, welches sowohl eine beschleunigte Durchführung der Enteignung ermöglicht, als auch ausreichende rechtsstaatliche Sicherheiten bietet, ist weder als Landes- noch als Bundesrecht vorhanden. Es müßte also in jedem Falle geschaffen werden. Da aber die Länder frühestens nach Verabschiedung des Baulandbeschaffungsgesetzes hierzu geeignetes Verfahrensrecht hätten schaffen können, wäre zwangsläufig eine weitere Verzögerung bis zur praktischen Wirksamkeit des Gesetzes eingetreten. Zunächst hielten jedoch die Länder auch diesen Bedenken gegenüber an ihrer ursprünglichen Auffassung fest. Um ein Scheitern des Gesetzes, das bekanntlich der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zu verhindern, wurde eine dem Interesse aller Beteiligten gerecht werdende Kompromißlösung gesucht. Die nunmehr unter Mitwirkung von Vertretern des Bundesrates gefundene Lösung geht dahin, daß die Länder nach § 52 befugt sind, künftig zu erlassendes Landesverfahrensrecht an Stelle des im Baulandbeschaffungsgesetz enthaltenen Verfahrensrechtes anzuwenden. IV. Aufbau des Gesetzes Das Gesetz gliedert sich in sechs Abschnitte, deren erster die Zulässigkeit der Enteignung regelt. Der zweite Abschnitt regelt die Entschädigung, der dritte das Verwaltungsverfahren, der vierte das Gerichtsverfahren und der fünfte die Ausführung des Enteignungsbeschlusses. Der letzte Abschnitt enthält die Übergangs- und Schlußbestimmungen. V. Ubersicht über den Inhalt des Gesetzes 1. Enteignungszweck und -voraussetzungen a) Die verfassungsrechtliche Grundlage Die verfassungsrechtliche Grundlage des Enteignungsrechtes ist Art. 14 Abs. 3 GG. Danach darf die Enteignung — dies ist die formelle Voraussetzung — nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen. An den Inhalt der Enteignungsgesetze stellt das Grundgesetz besonders strenge Anforderungen. Dies ist erforderlich, weil die Enteignung einen nur ausnahmsweise gestatteten Eingriff in das durch Art. 14 Abs. 1 GG ausdrücklich geschützte Eigentum und die diesem gleichgestellten privaten Vermögensrechte darstellt. Der zweite — materielle — verfassungsrechtliche Grundsatz besagt, daß die Enteignung nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig ist. Recht verstanden bedeutet dies, daß der Eingriff in die Rechtssphäre des einzelnen im Interesse der Allgemeinheit erforderlich ist. Die Enteignung muß die ultima ratio bleiben; sie darf nicht zum Werkzeug für Maßnahmen werden, deren Ziel auch auf andere Weise zu erreichen ist. Die hiermit gestellte Frage ist in ihren Grundzügen durch den Gesetzgeber zu entscheiden. Er hat die Aufgabe, im Rahmen der Generalklausel des Grundgesetzes die Enteignungszwecke und -voraussetzungen tatbebestandsmäßig festzulegen. Dies ergibt sich zwingend aus Art. 20 Abs. 3 GG. Hier ist das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, welches das gesamte Grundgesetz beherrscht, zum Ausdruck gebracht. Auf den Fall des Enteignungsrechtes angewandt bedeutet dies, daß die der Verwaltung zu gewährenden Enteignungsbefugnisse in klarer, eindeutiger Weise (Jacobi) durch Gesetz zu bestimmen und zu begrenzen sind. Dabei dürfen einerseits die Eingriffsbefugnisse nicht weiter erstreckt werden, als im Hinblick auf anerkannte Zwecke erforderlich ist; andererseits müssen die Eingriffsbefugnisse gerade so weit gehen, daß der Gesetzeszweck auch tatsächlich erreicht werden kann. Öffentliche und individuelle Interessen bedürfen der sorgsamen Abwägung. Vor dieser Aufgabe steht der Gesetzgeber mit der Verabschiedung des Baulandbeschaffungsgesetzes für den konkreten von diesem Gesetz zu regelnden Bereich. b) Baulandbeschaffung ein zulässiger Enteignungszweck Die erste grundsätzliche Frage ist, ob die Enteignung zum Zwecke der Baulandbeschaffung dem Wohle der Allgemeinheit, so wie das Grundgesetz diesen Begriff versteht, dient. Diese Frage ist zu bejahen. Die Wohnungsnot ist trotz aller bisherigen Bemühungen um Linderung noch immer brennend. Bewirtschaftungsmaßnahmen vermögen den Mangel wohl im besten Falle nach dem Prinzip der gerechten Beteiligung aller zu verteilen, nicht aber zu beheben. Behoben werden kann die Wohnungsnot nur durch die Schaffung des benötigten Wohnraums — durch Neubau oder Wiederherstellung zerstörten und beschädigten Wohnraums. Das hierzu erforderliche Bauland jedoch steht oft nicht zur Verfügung. Dies hat seinen Grund sowohl in der mangelnden Bereitschaft vieler Besitzer, Land abzugeben, als auch in der Tatsache, daß den Gemeinden entgegen einer weitverbreiteten, jedoch irrigen Auffasung nach den ersten Jahren der Anwendung des Ersten Wohnungsbaugesetzes ein eigener hierfür einsetzbarer Bodenvorrat kaum noch oder überhaupt nicht mehr zur Verfügung steht. Hat der Baulandmangel aber ein Ausmaß erreicht, daß die Fortsetzung der zur Linderung der Wohnungsnot gebotenen Bautätigkeit gefährdet ist, so muß die Abwägung der Individualinteressen und der Interessen der Allgemeinheit zu dem Ergebnis führen, daß es generell gesehen zulässig ist, Bauland im Wege der Enteignung zu beschaffen. e) Enteignung zugunsten Dritter Wird die Bereitstellung des benötigten Baulandes für Wohnungszwecke als dem Wohle der Allgemeinheit dienend betrachtet, so ergibt sich die weitere Frage, ob die Enteignung auch dann noch zulässig ist, wenn sie zugunsten von Privatpersonen erfolgen soll. Das klassische Enteignungsrecht kannte derartige Privatpersonen begünstigende Maßnahmen nicht. Es kannte lediglich die Enteignung zugunsten eines dem Allgemeinwohl dienenden Unternehmens. Der Wohnungsbau und das Eigentum an den geschaffenen Wohnungen sind und müssen in aller Regel eine private Angelegenheit bleiben. Auf die private Initiative kann nicht verzichtet werden. Wird aber der Wohnungsbau an sich als dem gemeinen Wohl dienend betrachtet und soll der Wohnungsbau nichtstaatlich bleiben, so kann auch die Enteignung zugunsten von Privatpersonen nicht unzulässig sein. Das Gesetz zieht aus diesen Erwägungen die Konsequenz und läßt die Enteignung geeigneten Baulandes zugunsten eines jeden zu, der seine alsbaldigen Bauabsichten zu realisieren in der Lage ist. d) Inhalt des ersten Abschnittes In den einzelnen Bestimmungen des ersten Abschnittes legt das Gesetz die Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Baulandenteignung fest. Als besonders wichtig und im Rahmen eines allgemeinen Überblickes erwähnenswert erscheinen folgende Bestimmungen: § 1, der als Gesetzeszwecke nicht nur die Förderung des Wohnungsbaues, sondern darüber hinaus die Verbindung breiterer Volksschichten mit dem Grund und Boden und die Erhaltung und Förderung einer geordneten Bebauung herausstellt; §§ 4 und 7, die dem von der Enteignung Betroffenen rechtsstaatlich gebotene Schutz- und Einwendungsrechte gewähren; § 5, der besonders klar herausstellt, daß die Enteignung die ultima ratio bleiben muß; § 6, der vorsieht, daß zugunsten einer Gemeinde enteignet werden kann, wenn die Gemeinde das Gelände zum Zwecke der Baureifmachung benötigt. 2. Enteignungsentschädigung a) Verfassungsrechtliche Grundlagen Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG schreibt vor, daß die Enteignung nur gegen Entschädigung zulässig ist. Insoweit geht das Grundgesetz über die entsprechende Vorschrift der Weimarer Verfassung hinaus. Art. 153 der Weimarer Verfassung eröffnete dem Reichsgesetzgeber die Möglichkeit, eine Entschädigung auszuschließen. Dies ist nach dem Grundgesetz nicht mehr zulässig. Wenn auch der Bundestag in seiner Entschließung vom 28. März 1950 gegebenenfalls eine Änderung des Grundgesetzes erwog, so fand sich doch in den gesamten vorparlamentarischen und parlamentarischen Beratungen über dieses Gesetz keine Stimme für eine Änderung des Grundgesetzes in der Richtung, daß der Grundsatz der Entschädigungspflicht für den Fall der Baulandenteignung angegriffen werden solle. Die Regelung der Entschädigungsfrage erwies sich jedoch als außerordentlich schwierig. Das Grundgesetz schreibt vor, daß Art und Ausmaß der Entschädigung durch Gesetz zu regeln sind. Es war daher nicht möglich, nach dem Vorbild des bisherigen Enteignungsrechtes lediglich eine kurz und generell gefaßte, z. B. das Grundgesetz insoweit lediglich wiederholende Bestimmung über die Entschädigung aufzunehmen. Es waren vielmehr konkrete Bestimmungen über Art und Ausmaß der Entschädigung erforderlich. b) Die Art der Entschädigung Grundsätzlich wurde an der Verpflichtung zur Zahlung in einer Kapitalsumme festgehalten, da diese Entschädigungsart in aller Regel am ehesten geeignet ist, die gestörte Vermögenslage des Betroffenen auszugleichen. Nur unter einschränkenden Voraussetzungen läßt das Gesetz andere Entschädigungsarten zu. Die wichtigste ist die der Entschädigung in Land, die sich, soweit sie im bisherigen Recht vorgesehen war, bewährt hat und in geeigneten Fällen die unmittelbarste und wirksamste Form der Entschädigung darstellen kann. Als weitere Ausnahme von der Entschädigung in einer Kapitalsumme ist die Entschädigung durch die Einräumung von Teileigentum, Wohnungseigentum, Dauerwohnrecht und Dauernutzungsrecht vorgesehen, wenn der Enteignete dies beantragt. Bei der Belastung eines Grundstückes mit einem Erbbaurecht ergibt sich die Entschädigung in der Form wiederkehrender Leistungen, nämlich des Erbbauzinses, aus der rechtlichen Konstruktion des Erbbaurechts. (Jacobi) Die Regierungsvorlage sah in Anbetracht der angespannten Finanzlage der Gemeinden eine Sonderregelung vor: Danach sollte es im Falle der Enteignung zugunsten einer Gemeinde zulässig sein, Ratenzahlungen festzusetzen. Die Ausschüsse konnten sich den gegen diese Bestimmung erhobenen Bedenken nicht verschließen. Es ist zwar nicht von der Hand zu weisen, daß die Gemeinden sich vor allem infolge der durch den Wiederaufbau ausgelösten Verpflichtungen teilweise in erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten befinden und nur selten in der Lage sein dürften, die zur Baureifmachung und Erschließung erforderlichen Mittel bereitzustellen. Andererseits kann es jedoch dem Enteigneten nicht zugemutet werden, daß er als Einzelperson der Gemeinde einen Kredit für diese Zwecke zur Verfügung stellt, indem ihm lediglich ein Anspruch auf Teilzahlungen zugebilligt wird. Diese Bedenken konnten auch nicht dadurch ausgeräumt werden, daß etwa bestimmte Wertpapiere zur einstweiligen Abgeltung des Entschädigungsanspruches angeboten würden. Unter dem Gesichtspunkt der gleichartigen Behandlung gleichartiger Tatbestände entschieden sich die Ausschüsse zur Streichung der Sondervorschrift. c) Die Höhe der Entschädigung Als sehr schwierig erwies sich verständlicherweise die Regelung der Entschädigungshöhe. Die in dem Bundestagsbeschluß vom 29. März 1950 geforderte „günstige", d. h. für den Baulandbewerber günstige Preisregelung ließ sich in dieser Form kaum verwirklichen, da das Grundgesetz die Festsetzung der Entschädigung unter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und aller Beteiligten verlangt Gerechte Entschädigung gebietet das Grundgesetz. Dies bedeutet aber, daß die Entschädigung auch den berechtigten Belangen des Enteigneten entsprechen muß. Nach langen und sehr gründlichen Beratungen gelangten die Ausschüsse hinsichtlich der Höhe der Entschädigung zu den in § 10 festgelegten Ergebnissen: Bei der Festsetzung der Entschädigung ist von den Stopp-Preisen von 1936 auszugehen. In der Zwischenzeit eingetretene Veränderungen der Wertverhältnisse sind zu berücksichtigen, soweit sie auf der veränderten Kaufkraft der Mark, nicht aber soweit sie auf der Möglichkeit einer erhöhten baulichen Ausnutzbarkeit beruhen. In keinem Falle darf die Entschädigung den gemeinen Wert übersteigen. 3. Das Enteignungsverfahren Das administrative Verfahren ist im dritten Abschnitt des Gesetzes geregelt. Aus den bereits oben (vgl. B III 2 dieses Berichts) dargelegten Gründen hielten die Ausschüsse eine bundesrechtliche Regelung des Enteignungsverfahrensrechtes jedenfalls solange für unbedingt geboten, als nicht die Länder über ein auf die Bedürfnisse dieses Gesetzes zugeschnittenes oder voll geeignetes Verfahren verfügen, welches mit der gleichen Schnelligkeit, Wirksamkeit und Rechtsstaatlichkeit durchführbar ist. Diese drei genannten Attribute stellen die Ziele dar, die das Baulandbeschaffungsgesetz mit seinem dritten Teil verfolgt. Dem Gesichtspunkt einer möglichst großen Sicherheit für den Betroffenen folgend, sah das klassische Enteignungsrecht ein sehr förmliches und daher langwieriges Verfahren vor, welches in mehrere jeweils von verschiedenen Stellen durchzuführende Abschnitte (Verleihung des Enteignungsrechtes, Planfeststellungsverfahren und Entschädigungsfeststellungsverfahren) unterteilt war. Das Baulandbeschaffungsgesetz vereinfacht das Verfahren bis zu dem äußersten unter Wahrung der Rechtssicherheit vertretbaren Ausmaße und entkleidet es soweit als möglich von überflüssigen Förmlichkeiten. Deshalb verzichtet das Gesetz auf eine Unterteilung des Verfahrens in mehrere Abschnitte, weist es vielmehr in einem Zuge einer Behörde zu, die im Regelfalle in einer einzigen Entscheidung, dem Enteignungsbeschluß über alle mit dem konkreten Fall zusammenhängenden Fragen und Anträge zu entscheiden hat: nämlich die Zulässigkeit der Enteignung, deren Umfang, die Entschädigung und gegebenenfalls eine Ersatzlandenteignung. Der Verfahrensbeschleunigung dienen weiterhin die Möglichkeit der Vertreterbestellung für abwesende, nicht auffindbare und feststellbare Beteiligte, kurze Einwendungs- und Rechtsmittelfristen, Ausschlußfristen für die Geltendmachung bestimmter Rechte und mittelbar die Möglichkeit der Aufhebung des Enteignungsbeschlusses, wenn der Begünstigte nicht fristgemäß seiner Entschädigungspflicht nachkommt. Auf der anderen Seite sind trotz der gebotenen Beschleunigung des Verfahrens die rechtsstaatlich erforderlichen Sicherungen für die Beteiligten nicht vernachlässigt. Das Mindestmaß rechtlicher Sicherheiten im Enteignungsverfahren ist dahin zusammenzufassen, daß jedem Beteiligten, soweit er zu ermitteln ist, von der Einleitung des Verfahrens Kenntnis gegeben wird, daß die nicht von Amts wegen feststellbaren Beteiligten die Möglichkeit der Kenntnisnahme durch öffentliche Bekanntmachung erhalten, daß jedem, auch dem rechtsunkundigen Beteiligten, die Möglichkeit geboten wird, seine Rechte wirksam zu vertreten, daß der Enteignete davor geschützt wird, seine Rechte ohne Sicherheit für die Entschädigung zu verlieren, und daß die Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung der Verwaltungsentscheidung offensteht. 4. Der Rechtsschutz Der vierte Abschnitt des Gesetzes regelt das Gerichtsverfahren in Baulandenteignungssachen. Auch hier waren im Prinzip dieselben Gesichtspunkte wie bei dem administrativen Verfahren zu berücksichtigen: möglichste Beschleunigung des Verfahrens auf der einen und Gewährleistung rechtsstaatlicher Sicherheiten für die Beteiligten auf der anderen Seite. Der Lösung dieser Fragen stehen durch die Verfahrensvorschrift des Art. 14 Abs. 3 Satz 4 GG gewisse Schwierigkeiten dadurch im Wege, daß hier wegen der Streitigkeiten um die Entschädigung die Zuständigkeit der Zivilgerichte vorgeschrieben ist, während die Entscheidung über die Zulässigkeit der Enteignung nach Einführung der verwaltungsgerichtlichen Generalklausel zur Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte gehört. Nach geltendem Recht ergibt sich daher in Enteignungssachen eine zu erheblichen Verzögerungen führende Zweigleisigkeit des Gerichtsverfahrens dahin, daß zunächst eine rechtskräftige Entscheidung der Verwaltungsgerichte vorliegen muß, ehe das Zivilgerichtsverfahren durchgeführt werden kann. Bei Ausschöpfung aller Rechtsschutzmöglichkeiten können daher — bei entsprechendem Streitwert — sechs Gerichte mit derselben Enteignung befaßt werden. Da die zu entscheidenden Streitfragen aufgeteilt sind, ergibt sich aus dieser Vielzahl von (Jacobi) Rechtsmitteln durchaus nicht eine erhöhte Rechtssicherheit für die Beteiligten, sondern lediglich eine erhebliche Verfahrensverzögerung. Das Bestreben mußte daher eine Vereinheitlichung der Rechtsbehelfe mit dem Ziele sein, zumindest einen nur einspurigen Rechtsweg vorzusehen. Der Rechtsnatur der Enteignung nach wären an sich die Verwaltungsgerichte auch zur Entscheidung im Entschädigungsstreit berufen. Der Zuweisung des Entschadigungsstreites an die Verwaltungsgerichte steht jedoch die Vorschrift des Art. 14 Abs. 3 Satz 4 GG entgegen. Dabei kann kein ernsthafter Zweifel daran bestehen, daß das Grundgesetz mit dem Begriff der „ordentlichen Gerichte" die Zivilgerichte meint. Die heutige wissenschaftliche Terminologie bezeichnet zwar die Verwaltungsgerichte, nachdem sie in ihrer Besetzung, Organisation und ihrem Verfahren den Zivilgerichten vollkommen gleichwertig sind, auch als „ordentliche Gerichte." Diese Feststellung hilft jedoch angesichts des erkennbar klaren Willens des Grundgesetzgebers nicht weiter, selbst wenn man der wohl richtigen Ansicht folgt, daß die Bestimmung des Art. 14 Abs. 3 Satz 4 GG ihre Motivation in einem zwar historisch erklärlichen, aber heute nicht mehr berechtigten Mißtrauen gegen die Verwaltungsgerichte findet. Aus diesen Gründen lag der Gedanke an eine Grundgesetzänderung, zumal sie rein formaler Natur wäre, nahe. Die Verfassungsänderung, die zwar bei der Entschließung vom 28. März 1950 noch erwogen worden war, wurde jedoch von der Regierung und der Mehrheit der Ausschußmitglieder für un-tunlich erachtet, während der Bundesrat, wie aus seiner bereits jetzt erkennbar gewordenen Stellungnahme zu einem entsprechenden Antrag der Hansestadt Hamburg ersichtlich, einer Änderung 1 des Art. 14 Abs. 3 Satz 4 GG zuneigt. Soll indes die Verfassung nicht geändert werden, so bleibt, wenn man die Einspurigkeit und Beschleunigung des Rechtsmittelverfahrens anstrebt, nur die Einführung eines neuen, einheitlich den Zivilgerichten zuzuweisenden Rechtsmittels. Diese in der Regierungsvorlage entwickelte Lösung trägt ausgesprochenen Kompromißcharakter. Als Kompromiß erschien sie auch den Ausschüssen unter dem Gesichtspunkt tragbar, daß sie gegenüber der bisherigen Zweispurigkeit des Rechtsweges das geringere Übel ist. Um den mit Fragen des öffentlichen Rechtes nur ausnahmsweise befaßten Zivilgerichten die Erfahrungen der Verwaltungsgerichte zunutze zu machen, sieht das Gesetz die bei den Landgerichten bzw. Oberlandesgerichten zu bildenden Baulandkammern bzw. -senate vor, die mit je drei Zivilrichtern und zwei Verwaltungsrichtern zu besetzen sind. Die Ausschüsse haben sich mit dem von verschiedenen Seiten erhobenen Bedenken auseinandergesetzt, ob die Baulandkammern und -senate in dieser Besetzung und als „ordentliche Gerichte" im Sinne des Art. 14 Abs. 3 Satz 4 GG zu betrachten seien. Nach eingehenden Beratungen und unter Berücksichtigung der vom Bundesjustizministerium eingeholten gutachtlichen Stellungnahme wurde die gestellte Frage im Ergebnis unbedenklich bejaht. Der Rechtsmittelzug wurde auf zwei Instanzen beschränkt. Der erste gegen die Entscheidung der Enteignungsbehörde zugelassene Rechtsbehelf ist der „Antrag auf gerichtliche Entscheidung", über den die Baulandkammer durch Urteil entscheidet. Gegen das Urteil der Baulandkammer ist die Revision an den Baulandsenat zulässig. An Stelle des Baulandsenats entscheidet in Fragen von grundsätzlicher Bedeutung der Bundesgerichtshof. 5. Vollzug der Enteignung Aus dem fünften Abschnitt des Gesetzes sei in dieser einleitenden Übersicht besonders auf das Rechtsinstitut der Ausführungsanordnung hingewiesen. Durch die besonders zu erlassende, nicht im Enteignungsbeschluß enthaltene Ausführungsanordnung soll sichergestellt werden, daß die Enteignung erst dann vollzogen wird, wenn die Enteignungsentscheidung rechtskräftig ist und die Entschädigung geleistet oder sichergestellt ist. Nur in Fällen besonderer Dringlichkeit kann eine vorzeitige Besitzeinweisung erfolgen, wie dies auch bereits in den älteren Enteignungsgesetzen vorgesehen ist. Ausgesprochen rechtsstaatlicher Natur ist die Rückenteignung an den Enteigneten, die für den Fall vorgesehen ist, daß der Begünstigte den Enteignungszweck nicht fristgemäß erfüllt. C. Die Einzelbestimmungen des Gesetzes ERSTER ABSCHNITT Zulässigkeit der Enteignung Zu § 1: Absatz 1 stellt in seinem ersten Halbsatz den allgemeinen Zweck der Baulandbeschaffung heraus. Dieser ist in dreifacher Hinsicht festgelegt. Die Förderung des Wohnungsbaues ist das ursprüngliche in dem Bundestagsbeschluß vom 28. März 1950 zum Ausdruck gebrachte Gesetzesmotiv. Das Ziel der Verbindung breiterer Volksschichten mit dem Grund und Boden - übernommen aus § 1 des CDU-Entwurfes — betont die sozial- und staatspolitische Funktion des Wohnungsbaues vor allem für Heimatlose und Vertriebene. Der Grundsatz geordneter Bebauung entspricht der Einordnung des Baulandbeschaffungsgesetzes in das Baurecht. Auch das Baulandbeschaffungsgesetz soll in seiner Anwendung dazu beitragen, daß die bauliche Ordnung gewahrt bleibt. Die näheren zur Erfüllung dieses Zieles getroffenen Bestimmungen enthalten §§ 3 und 53. Der zweite Halbsatz des ersten Absatzes stellt klar, daß die Enteignung die ultima ratio bleiben muß. Sie kann, wie im § 5 im einzelnen festgelegt, nur Platz greifen, wenn ein freihändiger Erwerb oder eine Bereitstellung von Bauland durch die in § 12 des Ersten Wohnungsbaugesetzes verpflichteten Körperschaften des öffentlichen Rechtes nicht möglich ist. Durch die Verweisung auf § 12 des Ersten Wohnungsbaugesetzes wird die Verbindung zu diesem Gesetz hergestellt, wobei jedoch darauf hinzuweisen ist, daß sich Rechtsansprüche aus den in § 12 des Ersten Wohnungsbaugesetzes festgelegten Grundsätzen nicht herleiten lassen. Die Umschreibung der nach dem Gesetz zulässigen Enteignungsmaßnahmen in Abs. 2 verzichtet im Gegensatz zur Regierungsvorlage bewußt auf eine Definition des Enteignungsbegriffes. Dadurch soll — einem Wunsche des Bundesrates entsprechend — die Gefahr einer einengenden Rückwirkung auf bestehende und möglicherweise weitergehende enteignungsrechtliche Handhaben im Landesrecht verhindert werden. Zugleich wird auf diese Weise eine Präjudizierung der Weiterentwicklung des Enteignungsrechtes vermieden. (Jacobi) Der dem Abs. 2 unausgesprochen zugrunde gelegte Enteignungsbegriff geht vom klassischen Enteignungsbegriff aus, erweitert diesen jedoch in mehrfacher Hinsicht. Neben der Entziehung des Vollrechtes ist auch dessen Beschränkung zulässig, wodurch die in der Praxis oft geübte Bestellung von Erbbaurechten ermöglicht wird. Das Gesetz läßt erforderlichenfalls auch die Entziehung und Beschränkung beschränkt dinglicher Rechte zu, soweit diese einer beabsichtigten Bebauung im Wege stehen. Schließlich unterliegen dem enteignungsrechtlichen Eingriff auch nichtdingliche Rechte, wie z. B. Miete und Pacht. Zu § 2: Nach Art. 14 Abs. 3 GG ist die Enteignung nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Dieser Verfassungsgrundsatz steht über dem Gesetz und bedurfte infolgedessen nicht der Wiederholung. Wenn auch § 2 die zulässigen Enteignungszwecke festlegt, so liegt darin zwar die Entscheidung des Gesetzgebers, daß diese Zwecke im allgemeinen die Enteignung rechtfertigen; gleichwohl bedarf es bei der Anwendung des Gesetzes im Einzelfalle der Prüfung, ob das konkrete Vorhaben, zu dessen Zweck enteignet werden soll, dem Wohle der Allgemeinheit dient. Dabei kann jedoch davon ausgegangen werden, daß in der heutigen Situation jede zur Linderung der Wohnungsnot beitragende Maßnahme dem Wohle der Allgemeinheit dient. Die Förderung des Wohnungsbaues soll jedoch nicht auf die Bereitstellung des Baulandes im engsten Sinne beschränkt bleiben. Es ist gewährleistet, daß die Baulandbeschaffung nach Maßgabe dieses Gesetzes auch für solche Wohn- und Siedlungsformen wirksam wird, die der Förderung würdig sind. § 2 Buchst. b gesteht deshalb auch die Beschaffung des Garten- und Wirtschaftslandes in dem jeweils üblichen Umfange (z. B. bei der Kleinsiedlung — bei Einfamilienhäusern mit Nutzgarten etc.) zu. Ebenso ist die Beschaffung des für Nebenanlagen benötigten Landes gestattet. Das Gesetz läßt die Enteignung auch für gemischt genutzte Gebäude zu, soweit diese überwiegend Wohnzwecken dienen. Dabei ist von einem Vergleich der Flächen, nicht von den Nutzungsoder Mietwerten derselben auszugehen. Die Enteignung ist nicht gerechtfertigt, wenn die Wohnungsgröße einen Umfang erreicht, der der öffentlichen Förderung nicht mehr würdig ist. Daher wurde in Anlehnung an die Bestimmungen des Ersten Wohnungsbaugesetzes (§ 7 Abs. 2) eine feste Grenze für die Flächengröße der einzelnen Wohnungen (120 qm) festgesetzt. Die Notwendigkeit, diese Begrenzung im Einzelfalle zu überschreiten, kann sich aus wirtschaftlichen Gründen z. B. bei Wiederaufbauten unter Verwendung erhaltener Fundamente ergeben. Auch in derartigen Fällen ist die Enteignung zulässig. Die Regierungsvorlage sah in § 2 Abs. 2 eine einengende Vorschrift des Inhaltes vor, daß die Enteignung unzulässig sei, wenn die „Aufwendigkeit" der zu errichtenden Gebäude nicht mit Gründen des Allgemeinwohls gerechtfertigt werden könne. Der Begriff der Aufwendigkeit erschien jedoch nicht hinreichend präzise. Es wurde auch nicht für zweckmäßig erachtet, die Klärung dieses Begriffes der Praxis und Rechtsprechung zu überlassen. Wenn aus diesen Gründen in dem vorliegenden Entwurf auf die Übernahme des in der Regierungsvorlage verwandten Begriffes der Aufwendigkeit verzichtet wurde, so folgt gleichwohl aus Art. 14 Abs. 3 GG, daß für besonders luxuriöse Bauvorhaben die Enteignung nicht in Betracht kommt. Demjenigen, der ein besonders aufwendiges Bauwerk zu errichten beabsichtigt, muß zugemutet werden, das Bauland freihändig zu erwerben. Buchstabe c läßt die Enteignung auf Grund dieses Gesetzes auch für die Beschaffung der Gemeinbedarfsflächen zu. Damit soll ermöglicht werden, daß das Gesamtgelände auch hinsichtlich der Gemeinbedarfsflächen in einem denselben materiellen und formellen Vorschriften unterliegenden Verfahren enteignet werden kann. Ob dies geschehen soll, ist den zuständigen Behörden freigestellt. Daher kann die Enteignung für die Gemeinbedarfsflächen auch weiterhin auf Grund der Landesgesetze durchgeführt werden, wenn dieses günstiger oder zweckmäßiger erscheint. Schließlich ist die Enteignung zur Beschaffung von Ersatzland zulässig. Auch insoweit werden keine Bedenken getragen, die verfassungsrechtliche Zulässigkeit zu bejahen. Der mittelbare Zweck der Ersatzlandbeschaffung ist die Förderung des Wohnungsbaues. Der unmittelbare Zweck ist die Existenzerhaltung des Enteigneten. Beides dient dem Gemeinwohl (vgl. im übrigen § 8). Zu § 3: § 3 bezeichnet die Grundstücke, deren Enteignung zulässig ist, ohne daß der in Absatz 1 wiedergegebenen Aufzählung die Bedeutung einer verbindlichen Rangordnung zukommt. Der Enteignung unterliegen wegen des in der Bebauung bestehenden Enteignungszwecks selbstverständlich in erster Linie unbebaute Grundstücke. Daneben stehen die in Ziffer b erwähnten Trümmergrundstücke, deren Wiederbebauung besonders dringlich zu wünschen ist. Auf eine genaue Definition des Begriffes der Trümmergrundstücke, wie sie etwa in den Enttrümmerungsgesetzen, der Berechnungsverordnung oder der VO PR 75/52 enthalten ist, wurde bewußt verzichtet und an Stelle dessen eine allgemeine Formulierung gewählt, deren Handhabung der Praxis unbedenklich überlassen bleiben kann. Auch Grundstücke mit geringfügiger Bebauung müssen der zulässigen baulichen Ausnützung zugeführt werden können. Die in Buchstabe c zweiter Halbsatz aufgeführte nähere Umschreibung will keine erschöpfende, sondern eine lediglich beispielhafte sein. Absatz 2 verdeutlicht den engen Zusammenhang der Baulandbeschaffung mit dem Planungsrecht, dessen Ziel die Herbeiführung und Erhaltung einer geordneten Bebauung ist. Eine geregelte Bebauung ist gewährleistet, wenn Grundstücke in Gebieten und zu solchen Zwecken enteignet werden, die den förmlich festgestellten Fluchtlinien oder Bebauungsplänen entsprechen (Buchstabe a). Bei dem derzeitigen Stand des Planungsrechtes ist jedoch die Aufstellung förmlicher Pläne nicht überall vorgeschrieben und erfolgt. In diesen Fällen scheidet daher die Anknüpfung an die städtebaulichen Pläne aus. Es ist vielmehr eine Einzelprüfung dahingehend erforderlich, ob die beabsichtigte Verwendung mit einer geordneten baulichen Entwicklung des Gemeindegebiets vereinbar ist. Die Entscheidung darüber steht der für die Ortspla- (Jacobi) nung zuständigen Aufsichtsbehörde zu. Diese wird ihrer Entscheidung in aller Regel die Stellungnahme der Gemeinde zugrunde legen. Um diese beschleunigt herbeizuführen, sieht § 19 vor, daß der Enteignungsantrag bei der Gemeinde einzubringen ist und die Gemeinde den Antrag mit ihrer Stellungnahme an die Enteignungsbehörde weiterzuleiten hat. Wegen der Möglichkeiten, auch den Naturschutzbestimmungen unterworfene Grundstücke der Baulandbeschaffung zu unterwerfen, sei auf § 53 hingewiesen. Zu § 4: Diese Vorschrift enthält — dem Grundgedanken des Art. 14 GG entsprechend — Schutzbestimmungen zugunsten des in Anspruch genommenen Eigentümers. Leitender Grundsatz ist, daß nicht weiter, als zur Erfüllung des Enteignungszweckes erforderlich, in die Rechtssphäre und die wirtschaftlichen Interessen des Eigentümers eingegriffen werden soll. Deshalb wird dem Eigentümer unter bestimmten Voraussetzungen ein Wahlrecht zwischen der Entziehung des Vollrechts und der Eigentumsbeschränkung durch Bestellung geeigneter beschränkt dinglicher Rechte (z. B. Erbbaurecht) eingeräumt. Absatz 1 geht von dem Fall der ursprünglich beabsichtigten Vollenteignung (Entziehung des Eigentums) aus. Hier kann der Eigentümer die Belastung mit einem dinglichen Recht verlangen, wenn dies zur Verwirklichung des Enteignungszweckes ausreicht, z. B. bei der Enteignung zugunsten eines Einzelbauvorhabens. Genügt dem durch die Enteignung zu begünstigenden Antragsteller die objektiv ausreichende Bestellung eines beschränkt dinglichen Rechtes nicht, so steht es ihm frei, seinen Enteignungsantrag zurückzuziehen. Die Bestellung beschränkt dinglicher Rechte kommt nicht in Betracht für Gemeinbedarfsflächen, da z. B. für die Freilegung des Straßenlandes ein Erbbaurecht nicht ausreicht, sondern die Übertragung des Eigentums erforderlich ist. Ähnlich liegt der Fall, wenn zur Abrundung einer im Eigentum eines Wohnungsbauunternehmens stehenden zusammenhängenden Fläche für ein geschlossenes Siedlungsvorhaben oder ein Großbauvorhaben enteignet werden muß. Hier wird es in aller Regel aus dem Gesichtspunkt der Klarheit der Rechtsverhältnisse erforderlich sein, das Eigentum zu entziehen. In diesen Fällen müßte das Verlangen des Eigentümers nach Absatz 1 zurückgewiesen werden. Absatz 2 geht davon aus, daß ursprünglich die Belastung des Grundstücks mit einem beschränkt dinglichen Recht beabsichtigt war. Hier kann der Eigentümer die Eigentumsentziehung verlangen, wenn die Eigentumsbeschränkung für ihn unbillig ist. Dies ist z. B. dann der Fall, wenn es den begründeten wirtschaftlichen Interessen des Eigentümers widerspricht, auf den Erbbauzins verwiesen zu werden, und er etwa nachweist, die bei Vollenteignung zu gewährende Entschädigung für den Erwerb eines anderen Grundstücks oder eine anderweitige Kapitalanlage verwenden zu wollen. Absatz 3 bringt die bereits dem klassischen Enteignungsrecht geläufige Vorschrift, daß der Eigentümer die Ausdehnung der Enteignung auf den baulich oder wirtschaftlich nicht mehr verwertbaren Restbesitz verlangen kann. Bei Vorliegen der in den Absätzen 1 bis 3 festgelegten Voraussetzungen hat der Eigentümer einen echten Rechtsanspruch auf die Berücksichtigung seiner Anträge. Insoweit ist für Ermessensentscheidungen der Enteignungsbehörde kein Raum. Zu § 5: Diese Vorschrift dient der Verwirklichung des aus Art. 14 GG sprechenden Grundsatzes, daß die Enteignung die ultima ratio bleiben muß. Sie kann nur Platz greifen, wenn der Baulandbedarf im konkreten Fall auf andere Art und Weise nicht erworben werden kann. Zulässigkeitsvoraussetzung der Enteignung ist daher der vom Antragsteller zu erbringende Nachweis, daß er sich ernsthaft, jedoch vergeblich um den freihändigen Erwerb bemüht hat. Die Bemühungen brauchen sich indes nur auf den Erwerb anderen geeigneten Geländes zu beziehen. Welches Gelände geeignet im Sinne dieser Vorschrift ist, ergibt sich in planerischer Hinsicht aus § 3 Abs. 2. Geeignet muß das Gelände aber auch insbesondere für das beabsichtigte Bauvorhaben des Antragstellers sein. So wäre die Enteignung z. B. dann zulässig, wenn das Bauvorhaben in der Errichtung einer geschlossenen Siedlung besteht, freihändig aber nur eine Anzahl zerstreut liegender Grundstücke zu erwerben ist. Hinsichtlich des Geländes, um dessen freihändigen Erwerb der Bauwillige sich bemüht haben muß, bringt Absatz 2 insoweit eine Einschränkung, als der die Enteignung eines Trümmergrundstückes Begehrende sich nur um den freihändigen Erwerb anderer Grundstücke dieser Art zu bemühen braucht. Wer ein Trümmergrundstück zu bebauen beabsichtigt, soll nicht in unerschlossene Außengebiete verwiesen werden, solange noch Trümmergrundstücke zur Verfügung stehen. Der Zweck dieser Vorschrift ist städtebaulicher Natur. Überzeugende Gründe vor allem der volkswirtschaftlich gebotenen Ausnützung der vorhandenen Versorgungsleitungen und Verkehrswege sprechen für die bevorzugte Wiederbebauung der zerstörten Stadtkerne und die Schließung der Baulücken. Diesem Ziel soll im Rahmen seiner Möglichkeiten auch das Baulandbeschaffungsgesetz dienen. Der Preis, dessen Zahlung im Falle des freihändigen Erwerbs dem Bauwilligen zuzumuten ist, ergibt sich aus § 10. Der Bauwillige hat sich daher auch dann vergeblich bemüht, wenn er anderes geeignetes Gelände nur zu einem die nach § 10 zu leistende Entschädigung überschreitenden Preis freihändig erwerben könnte. Daß als Vergleichspreis nur die Enteignungsentschädigung nach den Grundsätzen des § 10 in Betracht kommt, ergibt sich aus dem mittelbar mit dem Gesetz angestrebten allgemeinen Zweck, nämlich den Grundstücksverkehr zum Zwecke einer Mehrung des Wohnungsbaus zu beleben, ohne zugleich eine ungerechtfertigte Erhöhung der Baulandpreise auf dem freien Markt hervorzurufen. Über die Art, in der der Bauwillige den Nachweis der erfolglosen Bemühung zu führen hat, wurden besondere Vorschriften für entbehrlich erachtet. Die Entscheidung darüber ist in das pflichtgemäße Ermessen der Enteignungsbehörde gestellt. Der Bauwillige wird konkrete Bemühungen, z. B. ernsthafte Kaufverhandlungen mit Grundstückseigentümern nachweisen müssen. (Jacobi) Zu § 6: Diese Vorschrift umschreibt den Kreis der Erwerbsberechtigten. Der Gesetzeszweck, die Herbeiführung einer beschleunigten Bebauung, verlangt, daß nur zugunsten eines solchen Bauwilligen enteignet werden darf, der das Grundstück binnen eines Jahres der Bebauung zuführen wird. Daß er dies tatsächlich will und kann, hat der Bauwillige in geeigneter Weise nachzuweisen. Bewerben sich mehrere Antragsteller um die Enteignung eines Grundstücks, so soll bei im übrigen gleichen Voraussetzungen derjenige bevorzugt werden, der noch kein Grundeigentum besitzt. Im übrigen kommt jeder Bauwillige — gleich, ob natürliche oder juristische Person — in Betracht. Ein Rechtsanspruch steht jedoch — dies ist ein allgemeiner enteignungsrechtlicher Grundsatz — keinem Bewerber zu (vgl. Abs. 4). Einem Mißbrauch der Enteignung seitens des durch sie Begünstigten wirkt die Vorschrift des Abs. 2 entgegen. Erfüllt der Bauwillige innerhalb der bestimmten Frist nicht den Enteignungszweck, d. h. beginnt er nicht binnen eines Jahres mit den Bauarbeiten (oder läßt er den begonnenen Bau länger als ein Jahr stilliegen), so kann er in einem gegen ihn gerichteten Enteignungsverfahren den Abwendungsanspruch des § 7 nicht geltend machen. Er muß also, wenn er den Enteignungszweck nicht erfüllt, damit rechnen, daß das erworbene Grundstück in einem neuen Enteignungsverfahren zugunsten eines anderen Bauwilligen enteignet wird. Dies gilt selbst dann, wenn der Enteignungsbegünstigte inzwischen ernsthaft bauwillig geworden sein sollte. Auch kann auf Antrag des Enteigneten gegen den Enteignungsbegünstigten das Rückenteignungsverfahren nach § 51 eingeleitet werden. Aus diesen beiden Vorschriften spricht der Gedanke, daß der durch den Zwangseingriff der Enteignung Begünstigte den Enteignungszweck tatsächlich erfüllen muß; andernfalls würde sich die Enteignung nachträglich als ungerechtfertigt erweisen. Absatz 3 enthält eine Sonderregelung zugunsten der Gemeinde. Will sie selbst bauen, so gelten die allgemeinen Vorschriften der Absätze 1 und 2. Dagegen kann zu ihren Gunsten auch enteignet werden, wenn sie das Gelände baureif machen will. Jedoch muß sie das enteignete Gelände, soweit es nicht im Rahmen der Erschließung für Gemeinbedarfsflächen benötigt wird, binnen zwei Jahren nach dem Eigentumsübergang an Bauwillige oder als Ersatzland veräußern. Findet eine Veräußerung an Bauwillige statt, so müssen diese in der Lage sein, das Grundstück binnen eines Jahres zu bebauen. Die Gemeinde darf bei der Weiterveräußerung keinen Gewinn erzielen, selbstverständlich jedoch die Erschließungskosten und sonstige Aufwendungen berücksichtigen, soweit diese nicht auf andere Art und Weise nach kommunalabgabenrechtlichen Gesichtspunkten umgelegt werden. Die für die Erschließung eingeräumte Zweijahresfrist dürfte im allgemeinen ausreichen, zumal die Einleitung des Enteignungsverfahrens von dem Antrag der Gemeinde abhängig ist und die Gemeinde somit in die Lage versetzt wird, erst dann die Enteignung zu betreiben, wenn die sachlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Erschließung gegeben sind. In Sonderfällen ist jedoch nach Anhörung des Enteigneten eine Verlängerung der Frist um weitere zwei Jahre zulässig. Die Sonderregelung zugunsten der Gemeinden verfolgt den Zweck, die baulichen Erschließungsmaßnahmen zu erleichtern und damit die spätere schnelle Bebauung des Geländes vorzubereiten. Zu § 7: Diese Vorschrift enthält eine — ihrer inneren Motivation nach derjenigen des § 5 vergleichbare — Schutzvorschrift für den Eigentümer: das sogenannte Abwendungsrecht. Dieses war dem bisherigen Enteignungsrecht (abgesehen von der Bestimmung des § 50 Abs. 1 des Hamburger Aufbaugesetzes) unbekannt. Der Umstand, daß das bisherige Enteignungsrecht eine gleichartige Bestimmung nicht kannte, ergibt sich daraus, daß die Zwecke, zu deren Erfüllung im klassischen Enteignungsrecht enteignet wurde (z. B. Eisenbahn, Schulen, Straßen etc. etc.) vom einzelnen Eigentümer aus offensichtlichen Gründen nicht erfüllt werden konnten. Anders verhält es sich bei der Baulandenteignung, deren Zweck, nämlich die Bebauung, der zu enteignende Eigentümer an sich durchaus erfüllen kann. Ob der Eigentümer oder ein durch die Enteignung zu begünstigender Dritter das betreffende Grundstück der baurechtlich zulässigen Bebauung zuführt, ist vom Standpunkt des öffentlichen Interesses aus betrachtet im allgemeinen gleichgültig. Das öffentliche Interesse ist jedoch zur Linderung der brennenden Wohnungsnot auf eine baldige Bebauung gerichtet. Wird dieser Zweck vom Eigentümer in gleicher Weise wie von dem die Enteignung begehrenden Dritten erfüllt, so würde im übrigen die Enteignung nicht mehr durch den Art. 14 GG gedeckt werden, da das Gemeinwohl die Enteignung in diesem Falle nicht erfordert. Von diesen Erwägungen ausgehend ermöglicht die Vorschrift des Absatzes 1 dem Eigentümer die Abwendung der Enteignung, wenn er der Enteignung widerspricht und glaubhaft macht, daß er das Grundstück binnen angemessener Frist selber im baurechtlich zulässigen Ausmaße bebauen und mit den Bauarbeiten binnen einem Jahr beginnen wird. Um den unter Umständen kapitalstärkeren Enteignungsantragsteller nicht gegenüber dem Eigentümer zu bevorzugen, ist nach Absatz 1 Satz 2 zu unterstellen, daß dem Eigentümer bei Wohnbauten die üblichen öffentlichen Mittel gewährt werden, wenn die Voraussetzungen hierfür vorliegen. Es sind zwei Fristen zu beachten: die eine ist im Gesetz genau bezeichnet, nämlich die bis zum Baubeginn. Sie beträgt (wie die des § 6) grundsätzlich ein Jahr, kann jedoch unter Umständen auf drei Jahre verlängert werden, wenn Tatsachen die sichere Annahme rechtfertigen, daß der Eigentümer binnen dieser Zeit mit den Bauarbeiten beginnt. Das dürfte z. B. dann der Fall sein, wenn der Eigentümer einen in drei Jahren zuteilungsreifen Bausparvertrag abgeschlossen hat oder durch Vorlage entsprechender Kapitalansammlungsverträge nachweist, daß er bis zu diesem Zeitpunkt das erforderliche Eigenkapital angespart hat. Die zweite in Absatz 1 genannte Frist ist die bis zur Baufertigstellung. Diese Frist konnte wegen der für die verschiedenen Bauvorhaben unterschiedlichen Bauzeiten nicht konkret festgelegt werden. Der Begriff der im Gesetz verwandten „angemessenen Frist" will besagen, daß der Eigentümer nicht nur binnen eines Jahres mit den Bauarbeiten beginnen, sondern die Bauarbeiten in zügiger Beschleunigung zu Ende führen muß. Dies erschien, um einen Mißbrauch des Abwendungsrechts zu verhindern, erforderlich. Einem Mißbrauch des Ab- (Jacobi) wendungsrechts wird weiterhin dadurch entgegengewirkt, daß der Bauherr das Grundstück in dem baurechtlich zulässigen Maße bebauen muß. Der Widerspruch gegen die Enteignung kann daher z. B. nicht darauf gestützt werden, daß der Eigentümer auf einem zur zweigeschossigen Bebauung zugelassenen Grundstück eine Gartenlaube oder im Gebiet viergeschossiger Bebauung ein eingeschossiges Haus errichten will. Ebensowenig kann das Abwendungsrecht dann eingreifen, wenn der Eigentümer ein zur Bebauung in voller Straßenfront geeignetes und zugelassenes Grundstück nur zu einem Teil der Grundstücksbreite bebauen will. Einem Mißbrauch des Abwendungsrechts wird schließlich dadurch gesteuert, daß der Eigentümer im Falle eines neuen Enteignungsverfahrens die Enteignung nicht wieder abwenden kann, wenn er nicht binnen eines Jahres mit den Bauarbeiten begonnen oder die Bauarbeiten länger als ein Jahr unterbrochen hat. Der Verlust des Abwendungsrechtes tritt nicht ein, wenn die Frist aus vom Eigentümer nicht zu vertretenden Gründen nur unerheblich überschritten oder über einen rechtzeitig und ordnungsgemäß gestellten Antrag auf Bewilligung öffentlicher Mittel noch nicht entschieden worden ist. Während im ersten Falle selbst eine unverschuldete, aber erhebliche Überschreitung der Frist zum Verlust des Abwendungsrechtes führt, ist dies bei einer durch Verzögerung in der Gewährung öffentlicher Mittel bedingte Fristüberschreitung nicht der Fall. Die öffentliche Hand kann dem Eigentümer nicht eine in ihren eigenen Verwaltungsbereich fallende Verzögerung, gleich welchen Umfanges, zur Last legen. Aus den eingangs dargelegten allgemeinen Gesichtspunkten über das Abwendungsrecht ergibt sich die in Absatz 3 getroffene Vorschrift, daß das Abwendungsrecht nicht Platz greifen kann bei Enteignungszwecken, die vom Eigentümer nicht erfüllt werden können, nämlich bei der Gemeinbedarfsflächenbeschaffung nach § 2 Buchstabe c. Derselbe Gedanke liegt dem Absatz 4 zugrunde, der das Abwendungsrecht dann ausschließt, wenn die öffentlichen Interessen an einer alsbaldigen Bebauung überwiegen oder ein großes zusammenhängendes Bauvorhaben ohne Inanspruchnahme des Grundstücks nicht ausführbar ist. Im letztgenannten Fall kann sich jedoch der Eigentümer, wenn dies nach der Natur des Vorhabens möglich ist, mit seinem Grundstück an dem Bauvorhaben beteiligen und die Bebauung dem Antragsteller übertragen. In diesem Fall muß sich indes der Eigentümer in angemessenem Umfange an der Finanzierung beteiligen. Das Abwendungsrecht stellt, soweit dessen Voraussetzungen vorliegen, einen echten Rechtsanspruch des Eigentümers dar. Dieses Recht steht selbstverständlich auch z. B. dem Inhaber eines Erbbaurechts oder eines anderen zur Bebauung berechtigenden Rechtes zu, wenn dieses enteignet werden soll. Die in das Gesetz aufgenommenen, das Abwendungsrecht einengenden Vorschriften erschienen zur Vermeidung von Mißbräuchen, die leicht zu einer völligen Entwertung des Gesetzes hätten führen können, erforderlich. Es bedeutet ohne Zweifel eine gewisse Härte, einen Eigentümer zu enteignen, der zwar den ernsten Willen zur Bebauung hat, diesen aber erst nach den vorgesehenen Fristen verwirklichen kann. Hier mußte jedoch eine Abwägung der öffentlichen und individuellen Interessen zu der im Gesetz niedergelegten Lösung führen. Sie führt indes in keinem Fall zu einem untragbaren Ergebnis; denn das Gesetz ermöglicht es auch dem Enteigneten, der sein Grundstück verloren hat, sobald er wirtschaftlich zur Verwirklichung von Bauabsichten in der Lage ist, ein neues Grundstück im Wege der Enteignung zu erwerben. Zu § 8: Unter bestimmten einengenden Voraussetzungen kann Ersatzland im Wege der Enteignung beschafft werden. Die erste Voraussetzung ist, daß eine Entschädigung in Land nach § 16 festgesetzt werden soll. Weitere Voraussetzung ist, daß der Entschädigungsberechtigte mit seiner Berufs- oder Erwerbstätigkeit auf das zu enteignende Grundstück angewiesen ist (vgl. § 16 Abs. 2). Auch hier kann die Enteignung entsprechend dem Charakter der Enteignung als eines letzten Ausweges nur dann in Betracht kommen, wenn geeignetes Gelände weder dem Enteignungsbegünstigten gehört noch zu angemessenen Preisen freihändig erworben werden kann. Da der Enteignungszweck hier nicht die Bebauung ist, scheidet die Anwendung der §§ 3 und 6 aus. Im übrigen gelten die Vorschriften des Gesetzes sinngemäß. Der Ersatzlandenteignung unterliegen nicht solche Grundstücke, auf die der Eigentümer mit seiner Berufs- oder Erwerbstätigkeit angewiesen ist oder deren Enteignung eine unbillige Härte bedeuten würde. Dies ergibt sich aus dem Grundgedanken der Ersatzlandenteignung, die gerade dazu bestimmt ist, den Enteignungseingriff in seinen Auswirkungen für den Enteigneten zu mildern. Die durch die Enteignung für den Betroffenen entstehende Belastung darf daher nicht lediglich auf eine andere Person überbürdet werden. Absatz 3 bringt den bereits im geltenden Enteignungsrecht herrschenden Grundsatz zum Ausdruck, daß zur Erfüllung öffentlich-rechtlicher Aufgaben benötigtes Gelände nicht enteignet werden darf, erweitert diesen Grundsatz für die Ersatzlandenteignung jedoch dahin, daß der Schutz auch solchen Körperschaften des öffentlichen Rechts zuteil wird, die nicht mit der Wahrnehmung hoheitlicher Funktionen betraut sind. Für die eigentliche Baulandbeschaffung gilt dieser erweiterte Schutz jedoch nicht. Hier sind nur diejenigen Grundstücke öffentlich-rechtlicher Körperschaften vor der Enteignung geschützt, die zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben benötigt werden und diesen Zwecken bereits gewidmet sind. ZWEITER ABSCHNITT Entschädigung Zu § 9: Die Absätze 1 und 2 bestimmen zunächst, wer entschädigungspflichtig und -berechtigt ist. Soweit die enteigneten Rechte in das Vermögen eines anderen übergehen, liegt es auf der Hand, daß der Begünstigte entschädigungspflichtig ist. Dies gilt aber auch für den Fall, in dem eine Übertragung nicht in Betracht kommt, sondern dingliche oder obligatorische Rechte lediglich entzogen werden, wenn z. B. das einer Bebauung entgegenstehende Erbbau-, Miet- oder Pachtrecht einem Dritten enteignet wird, um die Bebauung durch den Eigentümer zu ermöglichen. (Jacobi) Auf der anderen Seite ist entschädigungsberechtigt, wer durch die Enteignung ein Recht verliert oder in diesem beeinträchtigt wird. Das Gesetz wiederholt in Absatz 1 die Verfassungsvorschrift (Art. 14 Abs. 3 GG), nach welcher die Entschädigung unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten festzusetzen ist. Diese Interessenabwägung dürfte indes in aller Regel zu dem Ergebnis führen, daß der objektive Wert das Mindestmaß der Entschädigung darstellt. Dieser Fall ist in § 10 geregelt. Darüber hinaus kann eine Entschädigung für andere durch die Enteignung eintretende Vermögensnachteile nach Maßgabe des § 11 in Betracht kommen. Ausgeschlossen in jedem Falle sind die Liebhaber- und Affektionswerte, d. h. solche lediglich subjektiven Werteinschätzungen, die der realen, wirtschaftlich meßbaren Grundlage entbehren. Aus dem Grundsatz, daß die Entschädigung dazu bestimmt ist, die gestörte Vermögenslage des Enteigneten auszugleichen, folgt, daß durch die Enteignung ausgelöste, dem Enteigneten zuwachsende Vermögensvorteile zu einer entsprechenden Minderung der Entschädigung führen. Dabei darf jedoch der objektive Wert nicht unterschritten werden. Absatz 3 beantwortet die in den bisherigen Enteignungsgesetzen meist offengelassene Frage nach dem für die Entschädigungsbemessung maßgeblichen Zeitpunkt. Maßgeblich ist der Zustand des Grundstücks zu dem Zeitpunkt der Entscheidung der Enteignungsbehörde bzw., soweit eine vorzeitige Besitzeinweisung stattfindet, der Zeitpunkt, in dem diese wirksam wird. Absatz 4 regelt die Pflicht zur Verzinsung von Geldentschädigungen. Die Geldentschädigung ist von dem in Absatz 3 bestimmten Zeitpunkt ab zu verzinsen. Eine Verzinsungspflicht besteht nicht, soweit die Entschädigung in der Form wiederkehrender Leistungen zu erbringen ist; denn die wiederkehrenden Leistungen werden anders als eine Kapitalsumme, in periodischen Zeitabständen, fällig. Eine Verzinsung scheidet hier begrifflich aus, es sei denn im Verzugsfall für die einzelne Leistung. Zu § 10: Der Bundestag verlangte mit seiner Entschließung vom 28. März 1950 eine zu „günstigen Preisen" mögliche Entschädigung. Damit war offenbar eine für den Baulanderwerber günstige Regelung gemeint, um auch auf diese Weise eine Erleichterung und Förderung des Wohnungsbaues zu bewirken. Das Grundgesetz schreibt indes über die Bemessung der Enteignungsentschädigung vor, daß diese unter gerechter Abwägung der Interessen der Beteiligten und der Allgemeinheit zu bestimmen ist. Aus dieser den Gerechtigkeitsgedanken ausdrücklich betonenden Vorschrift ergibt sich, daß eine lediglich oder überwiegend auf das Interesse eines Beteiligten abgestellte Entschädigungsregelung nicht verwirklicht werden kann. Es mußte daher eine auf der Grundlage des geltenden Verfassungsrechtes stehende Lösung gefunden werden, die zugleich den für die Praxis erforderlichen Grad der klaren Konkretisierung erreichte. Dem stellten sich in der Natur der Sache liegende erhebliche Schwierigkeiten in den Weg, die nicht zuletzt durch die innerhalb des Beratungszeitraums erfolgten preisrechtlichen Maßnahmen eine zusätzliche Erschwerung und Komplizierung erlitten. Daher nahm die Erörterung über die Bemessungsgrundlage für die Entschädigung in den Ausschußberatungen einen besonders breiten Raum ein. Im Laufe der Beratungen wurde erwogen, ob es zulässig sei, bei der Festsetzung der Entschädigung die wirtschaftliche Lage der Beteiligten oder den Enteignungszweck zu berücksichtigen. Die damit gestellte Frage wurde im Ergebnis verneint. Eine derartige differenzierte Entschädigungsregelung würde dem Grundsatz der Gerechtigkeit widersprechen. Von dem wirtschaftlich besser gestellten Enteignungsbegünstigten kann auf dem Umwege über eine höhere Enteignungsentschädigung keine sozialmotivierte Zuschußleistung zugunsten des wirtschaftlich schlechter gestellten Enteigneten verlangt werden. Ebensowenig kann es dem Enteigneten zugemutet werden, sich nur deshalb mit einer geringeren Entschädigung zu begnügen, weil der Baulanderwerber wirtschaftlich schwächer ist. Auch der Enteignungszweck kann insoweit keine Berücksichtigung finden. Eine in der Minderung der Entschädigung bestehende Sonderleistung des Enteigneten z. B. für den sozialen Wohnungsbau kann auf diesem Wege nicht gefordert werden. Leistungen dieser Art, für sozial Schwache und für bestimmte im öffentlichen Interesse liegende Zwecke müssen von der Gemeinschaft bereitgestellt werden und nach dem Grundsatz der Gleichheit von allen Abgabepflichtigen aufgebracht, nicht aber können sie dem zufällig von der Enteignung Betroffenen aufgebürdet werden. Um die Entschädigungsbemessung auf eine konkrete Basis zu stellen, wurden verschiedene Bemessungsgrundlagen in Vorschlag gebracht: Einheitswert (gegebenenfalls mit bestimmten Zuschlägen), Beleihungswert, Stopppreis (gegebenenfalls mit Zuschlägen), Ertragswert, gemeiner Wert. Der Einheitswert schied als Bemessungsgrundlage deshalb aus, weil er lediglich eine in einem summarischen Verfahren ermittelte Steuerbemessungsgrundlage ist und damit keine den Einzelfall verläßlich bewertende Grundlage bieten kann. Es kommt hinzu, daß der Einheitswert in einem unterschiedlichen Ausmaße unter dem derzeitigen gemeinen Wert liegt. Der demgegenüber erhobene Einwand, daß, wer in der Vergangenheit wegen eines zu geringen Einheitswertes zuwenig Steuern bezahlt habe, sich dies auch bei der Festsetzung der Entschädigung entgegenhalten lassen müsse, konnte nicht durchgreifen; denn die Einheitswerte werden einerseits von Amts wegen festgestellt; andererseits sind die zum Ausgleich der niedrigen Einheitswerte erhöhten Hebesätze zu berücksichtigen. Der Beleihungswert kam nicht in Betracht, weil es für diesen keine einheitliche und verläßliche Ermittlungsmethode gibt. Auch eine starre Übernahme des Stopppreises erschien nicht vertretbar. Soweit es sich um bebaute Grundstücke handelt, was hier insbesondere für die Trümmergrundstücke von Bedeutung ist, wurde durch die VO PR 75/52 die bisher bestehende Preisbindung ohnehin aufgehoben. Insoweit erschien es daher aus Gründen der Gerechtigkeit nicht angängig, für den Fall der Enteignung eine im Gegensatz zu der allgemeinen Regelung stehende Sonderregelung zu treffen. Für unbebaute Grundstücke gelten jedoch die Preisbindungen bekanntlich weiter. Auch hier erschien es indes nicht vertretbar, an den Nominalpreisen des Stichtages festzuhalten. Absatz 1 bestimmt daher, daß von den Wertverhältnissen am Stichtage auszugehen ist. Dabei sind Wertveränderungen, die ihren Ursprung in den Veränderungen der Kaufkraft der Mark haben, zu (Jacobi) berücksichtigen. Keine Berücksichtigung dagegen dürfen diejenigen Werterhöhungen finden, die ihre Ursache in der Möglichkeit einer veränderten Nutzung oder der Aussicht hierauf haben. Damit stellt das Gesetz sich eindeutig auf den Standpunkt, daß die Widmungsänderungen und Erwartungswerte bei der Wertermittlung auszuschließen sind. Solche Wertsteigerungen, deren Entstehung allerdings nicht verhindert werden kann, gehen nicht auf Leistungen oder Aufwendungen des Eigentümers zurück. Sie sollen daher auch nicht zu einer Erhöhung der Entschädigung führen. Dies gilt selbstverständlich nicht, wenn der Eigentümer die Werterhöhungen durch eigene Leistung oder Aufwendungen herbeigeführt hat. Mit dieser Regelung will das Gesetz den Weg für eine spätere Abschöpfung der Wertsteigerung offenhalten, ohne daß damit zu der Frage der Wertsteigerungsabschöpfung selbst Stellung genommen wird. Absatz 2 schreibt vor, daß bei der auf der Grundlage des Absatzes 1 ermittelten Entschädigung der gemeine Wert nicht überschritten werden darf. Es liegt auf der Hand, daß im Rahmen der Enteignung keine die im freien Grundstücksverkehr erzielbaren Preise überschreitenden Entschädigungen gewährt werden können. Daß, soweit Preisbindungen bestehen, diese auch für die Entschädigungshöhe verbindlich sind, war, da selbstverständlich, einer besonderen Erwähnung im Gesetz nicht bedürftig. Der in Absatz 2 getroffenen Regelung, daß der gemeine Wert nicht überschritten werden darf, kommt praktische Bedeutung vor allem in den Fällen zu, in denen der gemeine Wert unter dem gesetzlich zulässigen Höchstpreis liegt. Damit ist zugleich festgelegt, daß der Stopppreis nicht etwa die untere Grenze darstellt. Der letzte Satz des Absatzes 1 bringt die bereits dem klassischen Enteignungsrecht geläufige Regelung, daß nach Einleitung des Enteignungsverfahrens durch bauliche usw. Maßnahmen des Eigentümers bewirkte Werterhöhungen dann unberücksichtigt bleiben müssen, wenn die Enteignungsbehörde nicht zugestimmt hat. Insoweit nämlich ist ein Schutzbedürfnis des von der Enteignung Betroffenen nicht anzuerkennen. Absatz 3 trifft eine Sonderregelung für die Berücksichtigung von Bauwerken bei der Festsetzung der Entschädigung. Für ordnungsmäßig genehmigte Bauwerke ist in jedem Falle Entschädigung zu gewähren. Dagegen ist für Bauwerke, deren entschädigungsloser Abbruch nach den jeweils geltenden baurechtlichen Bestimmungen gefordert werden kann, Entschädigung nur dann und insoweit zu gewähren, als dies aus Billigkeitsgründen geboten ist. Hier handelt es sich um die sowohl formell als auch materiell baurechtswidrigen Bauwerke, d. h. solche, die in ihrer Ausführung nicht den bauaufsichtlichen Bestimmungen entsprechen und für die entweder keine Bauerlaubnis erteilt oder eine widerruflich erteilte Erlaubnis zulässigerweise widerrufen worden oder aber eine befristete Erlaubnis durch Zeitablauf erloschen ist. Bei befristeten Bauwerken ist, wenn die Frist noch nicht abgelaufen ist, die Entschädigung nach dem Verhältnis der noch nicht abgelaufenen zu der gesamten Frist festzusetzen. Diese Regelung gilt jedoch nur, wenn nach Ablauf der Frist der entschädigungslose Abbruch gefordert werden könnte. Absatz 4 stellt klar, daß bei der dem Eigentümer zu gewährenden Entschädigung solche durch die Rechte Dritter begründete Wertminderungen berücksichtigt werden, für die eine gesonderte Entschädigung nach § 12 festzusetzen ist (Altenteilsberechtigte sowie obligatorische Rechte etc.). Das gleiche gilt, soweit diese Rechte aufrechterhalten oder gleichartige Rechte nach § 17 am Ersatzland begründet werden. Absatz 5 war notwendig, um bei der Entschädigung von selbständig enteigneten dinglichen und obligatorischen Rechten eine Minderung der dem früheren Rechtsinhaber zustehenden Entschädigung im Wege der Interessenabwägung auszuschließen. Hier ist in jedem Falle der gemeine Wert der enteigneten Rechte zu entschädigen. Zu § 11: Soweit dem Enteigneten über den Verlust des enteigneten Rechtes hinaus ein wirtschaftlicher Schaden zugefügt wird, muß auch hierfür Entschädigung gewährt werden, um die durch die Enteignung mit ihren Folgeerscheinungen ausgelöste Störung der wirtschaftlichen Lage des Betroffenen wieder auszugleichen. Auch diese Entschädigung ist unter gerechter Interessenabwägung festzusetzen. Der Entschädigungsanspruch nach § 11 steht nicht nur dem Hauptberechtigten, sondern auch den Nebenberechtigten (vgl. § 12) gegen den Enteignungsbegünstigten zu. Die Gewährung einer Entschädigung nach § 11 kommt nur insoweit in Betracht, als die zusätzlichen Vermögensnachteile nicht schon bei der Festsetzung der Entschädigung für den Rechtsverlust (§ 10 Abs. 4) berücksichtigt sind. Dies gilt z. B. für den Ertrag des Grundstücks, dessen Wert in der Entschädigung für den Eigentumsverlust enthalten ist. Es muß sich also insoweit um andere Arten von Vermögensnachteilen handeln. Die Buchst. a und b geben hierfür einige Beispiele, die sich an das bisherige Enteignungsrecht anlehnen, jedoch nicht als erschöpfender Katalog zu werten sind. Zu § 12: Die hier genannten Rechte sind im Gegensatz zu den in § 13 erwähnten nicht auf Befriedigung aus dem Erlös gerichtet. Diese Rechte können für ihre Inhaber einen höheren Wert besitzen als die Beeinträchtigung für das belastete Grundstück. So kann z. B. ein Miet- oder Pachtrecht für dessen Inhaber einen den Miet- bzw. Pachtzins überschreitenden Wert haben. Eine Grunddienstbarkeit kann unter Umständen den Eigentümer nur geringfügig belasten, gleichwohl aber einen hohen wirtschaftlichen Wert für den Inhaber bedeuten. Daher ist die Entschädigung für diese Rechte gesondert festzusetzen und von dem Enteignungsbegünstigten unmittelbar an die Rechtsinhaber, die sogenannten „Nebenberechtigten", zu leisten Dies gilt selbstverständlich nur, soweit die Rechtsinhaber nicht durch die Begründung gleichartiger Rechte am Ersatzland (vgl. § 17) entschädigt oder die Rechte aufrechterhalten werden. Die an die Nebenberechtigten zu leistende gesonderte Entschädigung ist gemäß 10 Abs. 4 bei der Festsetzung der dem Eigentümer zu gewährenden Entschädigung zu berücksichtigen. Diese Berücksichtigung kann — dem Leitgedanken des § 12 folgend — jedoch nicht einfach auf die Weise erfolgen, daß die Hauptentschädigung im Wege der mathematischen Subtraktion (Jacobi) um den Betrag der gesonderten Entschädigung nach § 12 gekürzt wird. Vielmehr ist im Rahmen des § 10 Abs. 4 die Wertminderung unabhängig von der nach § 12 festzusetzenden Entschädigung selbständig zu ermitteln. Zu § 13: Die in § 13 erfaßten Grundpfandrechte sind ihrem Inhalt nach auf Befriedigung aus dem Erlös des Grundstücks gerichtet. Ihr Wert ist also in dem als Entschädigung festgesetzten Wert des Grundstücks enthalten. Konsequenterweise werden die Inhaber dieser Rechte auf die Entschädigung für den Rechtsverlust, die dem Enteigneten zu gewähren ist, verwiesen. Die verfahrensrechtlichen Sonderregelungen für die Sicherung und Verwirklichung dieser gegen den Entschädigungsberechtigten gerichteten Ansprüche sind in §§ 47, 48 enthalten. Zu § 14: Den Regelfall der Entschädigung bildet die Zahlung einer Kapitalsumme. Diese ist in bar zu entrichten und, sofern dies nicht zum Fälligkeitstermin geschieht, gemäß § 9 Abs. 4 zu verzinsen. Bei der Begründung von Erbbaurechten ist die Entschädigung, wie in der Natur dieses Rechtes liegend, durch Zahlung des Erbbauzinses zu leisten (Abs. 2). Von diesen Grundsätzen abweichende Entschädigungsregelungen sind in §§ 15, 16 und 17 vorgesehen. Darüber hinausgehende abweichende Modalitäten der Entschädigungsleistung sind durchaus möglich, können aber nicht gegen den Willen der Beteiligten festgesetzt werden. Bei freier Vereinbarung der Beteiligten sind dementsprechend auch wiederkehrende Leistungen oder Teilzahlungen zulässig. Hinsichtlich der wiederkehrenden Leistungen legt § 9 Abs. 4 fest, daß keine Verzinsungspflicht besteht. Hingegen besteht eine solche bei der Vereinbarung von Teilzahlungen. Zu § 15: Die Entschädigung durch Bestellung oder Übertragung von Wohnungseigentum, Teileigentum, Dauerwohnrecht oder Dauernutzungsrecht ist in § 15 geregelt. Voraussetzung ist in formeller Hinsicht der Antrag des Entschädigungsberechtigten; in materieller Hinsicht ist Voraussetzung, daß der durch die Enteignung Begünstigte über ein zur Bestellung oder Übertragung derartiger Rechte geeignetes Grundstück verfügt; Absatz 3 sieht vor, daß wegen der Kompliziertheit dieser Entschädigungsart zunächst der Weg der Vereinbarung zwischen den Beteiligten beschritten werden soll. Erst wenn diese erfolglos versucht ist, setzt die Enteignungsbehörde auf Antrag des Entschädigungsberechtigten den Inhalt der als Entschädigung zu gewährenden Rechte fest. Diese Rechte werden alsdann dem Entschädigungspflichtigen im Wege der Enteignung entzogen und auf den Entschädigungsberechtigten übertragen. Der Antrag nach Absatz 3 muß innerhalb der Sechsmonatsfrist des Abs. 4 gestellt werden. Nach Ablauf dieser Frist kann der Entschädigungsberechtigte seinen Anspruch auf Übertragung der gemäß Abs. 3 bestimmten Rechte allerdings noch im Rahmen der normalen Zwangsvollstreckung durchsetzen. Dabei steht der rechtskräftige Enteignungsbeschluß einem Vollstreckungstitel gleich. Zu § 16: Die Entschädigung in Land findet sich bereits in einer Reihe älterer Enteignungsgesetze sowie in den meisten Aufbaugesetzen der Länder. Sie gestattet, die einschneidenden Wirkungen der Enteignung zum großen Teile zu mildern. Sie hat sich bewährt und soll daher beibehalten werden. Die Entschädigung in Land setzt in jedem Falle den Antrag eines der Beteiligten voraus. Diesem Antrage muß entsprochen werden, wenn durch die Enteignung der Bestand eines landwirtschaftlich oder gärtnerisch genutzten Familienbetriebes gefährdet wird. Dem Antrag muß ferner stattgegeben werden, wenn ein im Eigentum einer Religionsgesellschaft stehendes Trümmergrundstück, welches vor der Zerstörung unmittelbar kirchlichen Zwecken gedient hatte, enteignet wird. In diesem Falle ist Land an einer Stelle zuzuweisen, die für die Wiedererrichtung des zerstörten kirchlichen Gebäudes geeignet ist. Eine Sonderregelung bei der Enteignung kleingärtnerisch genutzten Geländes enthält Abs. 4. Inhaltlich entspricht sie der im Falle der Kündigung aus Gründen des öffentlichen Interesses eingreifenden Regelung des § 3 der Verordnung über Kündigungsschutz und anderer kleingartenrechtlicher Vorschriften in der Fassung vom 15. Dezember 1944 (Reichsgesetzbl. I S. 347). Da die Geldentschädigung sich nach den allgemeinen Vorschriften dieses Gesetzes richtet, war in Absatz 4 die sinngemäße Anwendung des § 3 der Verordnung vom 15. Dezember 1944 nur hinsichtlich der Ersatzlandgewährung umzuschreiben. Zur Vereinfachung des Verfahrens sind die in der erwähnten Verordnung vorgesehenen behördlichen Entscheidungen für den Anwendungsbereich dieses Gesetzes der Enteignungsbehörde übertragen. Bei dieser Sonderregelung der Entschädigung für Kleingärtner ließen sich die Ausschüsse von folgender Erwägung leiten: Im Falle der außerordentlichen Kündigung nach § 1 Abs. 2 Buchst. d der Verordnung vom 15. Dezember 1944, d. h. wenn das Kleingartengelände aus Gründen des Gemeinwohls benötigt wird, stehen dem Kleingärtner die Entschädigungsansprüche des § 3 der Verordnung vom 15. Dezember 1944 zu. Dies gilt insbesondere dann, wenn das Gelände zu Wohnungsbauzwecken benötigt wird. Es erscheint nicht gerechtfertigt, dem Kleingärtner die Rechtswohltat des § 3 der erwähnten Verordnung für den Fall der Enteignung zu versagen, wenn sie ihm für den Fall der außerordentlichen Kündigung gewährt wird. Im Interesse der Gleichbehandlung gleichartiger Tatbestände erschien daher die Regelung: des § 16 Abs. 4 geboten. Absatz 5 schreibt im Interesse der Verfahrensbeschleunigung vor, daß die auf die Entschädigung in Land gerichteten Anträge vor Beginn der mündlichen Verhandlung gestellt werden müssen. Absatz 6 regelt die Frage der Ausgleichszahlungen, sofern das Ersatzland einen höheren oder geringeren Wert als das enteignete Grundstück hat. Zu § 17: § 17 folgt ausnahmsweise dem sonst im Enteignungsrecht nicht anwendbaren Prinzip der Naturalrestitution dahin, daß ,die Inhaber dinglicher und obligatorischer Rechte, soweit die Hauptentschädigung in Land festgesetzt wird, durch Begrün- (Jacobi) dung gleichartiger Rechte am Ersatzland entschädigt werden sollen. Soweit durch Ersatzland entschädigt wird, kommt die Gewährung von Geldentschädigungen an die Inhaber der in §§ 12 und 13 genannten Rechte nur ausnahmsweise in Betracht, nämlich dann, wenn die Begründung gleichartiger Rechte am Ersatzland wegen des Inhalts der betreffenden Rechte nicht möglich ist (z. B. bei einer Grunddienstbarkeit) oder aber auf diesem Wege eine den berechtigten wirtschaftlichen Interessen der Rechtsinhaber entsprechende Schadloshaltung nicht erreicht werden kann. DRITTER ABSCHNITT Durchführung der Enteignung Zu § 18: In Übereinstimmung mit dem klassischen Enteignungsrecht, der Behebungsverordnung und einigen Aufbaugesetzen ist in § 18 die höhere Verwaltungsbehörde als zur Durchführung des Enteignungsverfahrens zuständig bezeichnet, wie dies auch die Regierungsvorlage vorsah. Die Ausschüsse haben sich eingehend mit der Frage auseinandergesetzt, ob — wie u. a. vom Deutschen Städtetag vorgeschlagen — an Stelle der höheren die untere Verwaltungsbehörde als Träger des Enteignungsverfahrens vorzuziehen sei. Gegen die untere Verwaltungsochörde wurden die aus der oft gegebenen Selbstbeteiligung der Stadtoder Landkreisverwaltung sich ergebende Gefahr, die Besorgnis der Untätigkeit aus lokal oder persönlich motivierten Anlässen und der Mangel an I fachlich qualifizierten Personen für die Besetzung der Enteignungsbehörde geltend gemacht. Für die untere Verwaltungsbehörde wurden deren örtliche Nähe, die Vertrautheit mit den lokalen Verhältnissen und die geringere, eine beschleunigte Erledigung zulassende Anzahl einzelner Verfahren ins Feld geführt. Für die höhere Verwaltungsbehörde wurde angeführt, daß hier eine objektive, lokalen Einflüssen weitgehend entzogene Handhabung unbedenklich gewährleistet erschien. Die Ausschüsse traten diesem Argument bei und halten unter Abwägung aller Gesichtspunkte trotz gewisser nicht ausgeräumter Bedenken die höhere Verwaltungsbehörde im Regelfall für die zur Durchführung des Enteignungsverfahrens am besten geeignete Behörde. Satz 2 des ersten Absatzes läßt den Ländern die Möglichkeit offen, eine andere Verwaltungsbehörde als Enteignungsbehörde zu bestimmen, wenn dies im Hinblick auf die in einzelnen Ländern mit abweichenden Regelungen gemachten Erfahrungen zweckmäßig erscheint. Es ist daher zulässig, z. B. sowohl den Gemeindevorstand (wie z. B. in 15 des hessischen Aufbaugesetzes) wie die Ministerialinstanz (wie z. B. in § 49 des Hamburger Aufbaugesetzes) als Enteignungsbehörde zu bestimmen. Das in der Regierungsvorlage vorgesehene einengende Attribut, daß nur eine „staatliche" Verwaltungsbehörde bestimmt werden dürfe, wurde, um den Ländern möglichst freie Hand zu geben, gestrichen. Es folgt jedoch aus dem Wesen der Enteignung als eines nur dem Staat zustehenden Rechtes, daß eine nichtstaatliche — gemeindliche — Behörde nur im Wege der Auftragsverwaltung zur Enteignungsbehörde bestimmt werden kann. Dieser Gedanke kommt auch in Absatz 3 Satz 5 zum Ausdruck, wo vorgeschrieben ist, daß die Enteignungsbehörde an die Weisungen der fachlich zuständigen obersten Landesbehörde gebunden ist. Absatz 2 regelt die örtliche Zuständigkeit, um Kompetenzkonflikte auszuschalten. Absatz 3 schafft keine neue Behörde, sondern schreibt lediglich eine bestimmte Zusammensetzung vor, um einerseits die ausreichende fachliche Befähigung des Leiters der Enteignungsbehörde zu sichern und unter Hinzuziehung sachlich erfahrener Beisitzer das Laienelement zu stärken. Die Enteignungsbehörde entscheidet als Kollegialbehörde, wobei für Beratung und Abstimmung die einschlägigen Vorschriften des GVG anwendbar sind. Sie ist jedoch weisungsgebunden. Soweit im Einzelfalle Weisungen erteilt sind, scheidet insoweit eine Beratung und Abstimmung aus. Die Enteignungsbehörde ist nicht nur für die Entscheidung über die Zulässigkeit der Enteignung, sondern auch für die Festsetzung der Entschädigung zuständig. Eine besondere Entschädigungsfestsetzungsbehörde, wie sie einzelne landesrechtliche Vorschriften kennen, ist nicht vorgesehen, weil die Einschaltung einer weiteren Behörde notwendig zu einer Verlängerung des Verfahrens führen müßte. Bei der Zusammensetzung der Enteignungsbehörde nach Absatz 2 kann diese unbedenklich als zur Entscheidung über die Art und Höhe der Entschädigung geeignet betrachtet werden. Aus diesen Gründen wurde auch ein in Entschädigungsfragen beratendes Gremium (wie in § 54 des Aufbaugesetzes des Landes Schleswig-Holstein) für entbehrlich gehalten. Zu § 19: Der Enteignungsantrag ist bei der Gemeinde einzureichen. Diese Regelung entspricht dem geltenden Enteignungsrecht. Über Form und Inhalt des Enteignungsantrages enthält das Gesetz keine Vorschriften. Der Antrag muß jedoch alle zur Beurteilung des Sachverhalts notwendigen Angaben enthalten. Ein bestimmtes Grundstück kann, braucht aber nicht bezeichnet zu sein. Jedoch muß aus dem Antrag hervorgehen, ein Grundstück welcher Art, Lage und Größe beschafft werden soll. Des weiteren muß der Antragsteller gemäß § 6 Abs. 1 seine ernste und alsbald realisierbare Bauabsicht und gemäß § 5 sein vergebliches Bemühen um den freihändigen Erwerb eines geeigneten Grundstücks nachweisen. Die Gemeinde hat zu dem Antrag Stellung zu nehmen. Dabei wird den Gesichtspunkten des § 3 besondere Bedeutung zukommen. Die Vorschrift, daß die Gemeinde den Antrag binnen vier Wochen der Enteignungsbehörde vorlegen muß, dient der Verfahrensbeschleunigung. Zu § 20: Diese in der Regierungsvorlage nicht vorgesehene Vorschrift enthält die zur Vorbereitung der Entscheidung erforderlichen Befugnisse, auf den für die Enteignung in Betracht kommenden Grundstücken Ermittlungen anzustellen. Satz 2 regelt den Ersatz dabei entstehender Schäden, die von dem Antragsteller, in dessen Interesse die Enteignungsbehörde tätig geworden ist, auszugleichen sind. (Jacobi) Zu § 21: Diese dem § 9 des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung nachgebildete Vorschrift bringt die im bisherigen Enteignungsrecht nur vereinzelt aufzufindende Umschreibung des Kreises der am Enteignungsverfahren Beteiligten. Der Vorzug dieser Regelung liegt in der dadurch bedingten Erleichterung des Verfahrens sowie vor allem in der Klarstellung, welche Personen zur Einlegung eines Rechtsmittels befugt sind. Zu § 22: Diese allgemeine Vorschrift über die Durchführung und Vorbereitung des Enteignungsverfahrens dient der Verfahrensbeschleunigung. Dies gilt auch für die auf Anregung des Rechtsausschusses aufgenommene Verpflichtung zur Belehrung des Eigentümers über das ihm nach § 7 zustehende Abwendungsrecht. Dadurch soll der Eigentümer einerseits auf diese ihm zustehende Schutzvorschrift aufmerksam gemacht werden, andererseits soll es ihm ermöglicht werden, sich so bald als möglich darüber schlüssig zu werden, ob er von dieser Schutzvorschrift Gebrauch machen will und kann. Die Verpflichtung, bereits im vorbereitenden Stadium allen sachlich interessierten Behörden die Möglichkeit zur Stellungnahme zu geben, verfolgt den Zweck, bereits zu einem möglichst frühen Zeitpunkt der Enteignung etwa entgegenstehende Gesichtspunkte zur Kenntnis der Enteignungsbehörde zu bringen. In Betracht kommen je nach Lage des Falles z. B. die für die Ortsplanung zuständige Aufsichtsbehörde, Naturschutz-, Berg-, Energieaufsichts-, Wasseraufsichtsbehörde (vgl. §§ 3 und 53). Die Preisbehörde muß in jedem Falle gehört werden, um zu ermitteln, ob für das zu enteignende Grundstück eine Preisminderung besteht. Die Landwirtschaftsbehörde muß bei der Enteignung von gärtnerisch oder landwirtschaftlich genutzten Grundstücken in den Außengebieten gehört werden. Zu § 23: Die hier getroffenen Vorschriften über die öffentliche Bekanntmachung der Einleitung des Enteignungsverfahrens, die Ladung der Beteiligten zur mündlichen Verhandlung und die Benachrichtigung des Grundbuchamtes entsprechen im wesentlichen dem bisherigen Enteignungsrecht. Die Bestimmungen der Buchstaben c und d des Absatzes 2 — mit der Aufforderung, Einwendungen bereits vor der mündlichen Verhandlung zu erklären, und dem Hinweis, daß auch bei Nichterscheinen über die gestellten Anträge entschieden werden kann — dürften wesentlich zur Verfahrensbeschleunigung beitragen. Von der in den Beratungen nach dem Beispiel älterer Enteignungsgesetze erwogenen Eintragung eines Enteignungsvermerks in das Grundbuch wurde wegen der Überlastung der Grundbuchämter Abstand genommen, zumal dem Enteignungsvermerk bei der jetzt möglichen beschleunigten Durchführung des Enteignungsverfahrens eine wesentlich geringere Bedeutung zukommen dürfte. Zu § 24: Im Gegensatz zu der Regierungsvorlage, die die Bestellung eines Vertreters durch die Enteignungsbehörde vorsah, wurde an der für diese Aufgabe bestehenden allgemeinen Zuständigkeit des Vormundschaftsgerichtes festgehalten. Diese über die einschlägigen bürgerlich-rechtlichen Vorschriften hinausgehende Bestimmung über die Bestellung eines Vertreters für abwesende, unbekannte oder ungewisse Beteiligte kann vor allem im Bereich stark zerstörter Städte zur Verfahrensbeschleunigung beitragen, zumal die dem Vormundschaftsgericht zur Erledigung gestellte Frist mit zwei Wochen sehr kurz bemessen ist. Zu § 25: Auch diese Vorschrift dient der Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung, indem die gesetzlichen Vertreter, Vormünder und Pfleger von allen Genehmigungserfordernissen (z. B. nach §§ 1821, 1824, 1829 und 1832 BGB) befreit werden. Diese Befreiung kann unbedenklich vertreten werden, weil in dem amtlichen, unter der Leitung eines rechtskundigen Vorsitzenden stehenden Enteignungsverfahren der Gefahr einer ungerechtfertigten Benachteiligung des Mündels keine praktische Bedeutung zukommen kann. Zu § 26: Diese Vorschrift bringt im Interesse der Verfahrensbeschleunigung Ausschlußfristen für die Anträge nach §§ 4 und 15 Nr. 2. Diese Anträge können nur bis zum Schluß der letzten mündlichen Verhandlung gestellt werden. Zu § 27: Die in der Regierungsvorlage vorgesehene Regelung für die Einigung erschien den Ausschüssen zu formal und kompliziert. Die Vorschriften wurden daher wesentlich vereinfacht, wobei an der Förderung und Erleichterung der Einigung zwischen den Beteiligten festzuhalten war. Zu § 28: Diese Vorschrift behandelt den Fall, in dem die Einigung lediglich über den Rechtsübergang erzielt wird. Hier nimmt das Verfahren hinsichtlich der Festsetzung der Entschädigung seinen üblichen Fortgang. Zu § 29: Diese Bestimmung bringt als einen der wesentlichen Gedanken der Verfahrensvorschriften den Grundsatz zum Ausdruck, daß die Enteignungsbehörde in einer einzigen Entscheidung über alle im Zusammenhang mit dem schwebenden Enteignungsverfahren gestellten Anträge zu befinden hat. Ebensowenig wie dem Enteignungsverfahren eine Verleihung des Enteignungsrechtes durch eine übergeordnete Behörde vorgeschaltet ist, ist das Verfahren selbst in weitere Abschnitte eingeteilt. Der das Verwaltungsverfahren abschließende Enteignungsbeschluß entscheidet über die Zulässigkeit, den Umfang und die Folgen der Enteignung einschließlich der Entschädigung und der Ersatzlandenteignung, falls diese stattfindet. Absatz 2 macht eine zusätzliche Entscheidung der Preisbehörde entbehrlich, soweit von der Enteignung der Preisbindung unterliegende Grundstücke betroffen sind. Die Ausnahmegenehmigung der Preisbehörde gilt in diesem Falle als durch den Enteignungsbeschluß erteilt. Bedenken gegen diese Vereinfachung können deshalb nicht bestehen, weil in derartigen Fällen die Stellungnahme der Preisbehörde zuvor eingeholt werden muß (vgl. § 22 Abs. 1 letzter Satz). (Jacobi) Zu § 30: § 30 enthält die notwendigen Vorschriften über Form und Inhalt des Enteignungsbeschlusses. Aus Gründen der Rechtssicherheit ist wegen der einschneidenden Wirkungen der Enteignung Schriftform und Zustellung des Beschlusses vorgeschrieben. Die Rechtsmittelbelehrung ist erforderlich, um zu verhindern, daß einer der Beteiligten aus Rechtunkenntnis einen ihm zustehenden Rechtsbehelf einbüßt. Der Enteignungsbeschluß gibt den alten und neuen Rechtszustand, die begünstigten und belasteten Personen sowie die Art und Höhe der Entschädigung wieder, so daß alle Entscheidungen der Enteignungsbehörde, gleich für und gegen welchen der verschiedenen Beteiligten sie ergangen sind, in einer auch äußerlich einheitlichen Urkunde enthalten sind. Der in §§ 29 und 30 geregelte Enteignungsbeschluß ist in seinen Rechtswirkungen mit dem Enteignungsbeschluß des klassischen Enteignungsrechtes, der die Übereignung und die Besitzeinweisung enthielt, nicht identisch. Der Enteignungsbeschluß dieses Gesetzes enthält zwar die Entscheidung über alle mit der Enteignung zusammenhängenden Fragen, stellt aber noch nicht deren Vollzug dar. Der Vollzug ist vielmehr der Ausführungsanordnung (vgl. § 45) vorbehalten. Zu§ 31: Die bereits den älteren Enteignungsgesetzen bekannte vorzeitige Besitzeinweisung wurde beibehalten, obgleich es zweifelhaft erscheint, ob diesem Institut vor allem wegen der Frage der Beleihbarkeit im Wohnungsbau praktische Bedeutung zukommen wird. Immerhin kann die vorzeitige Besitzeinweisung in Fällen, in denen es auf die Beleihung des Grundstücks nicht ankommt (z. B. bei der Enteignung einer in eine zusammenhängende Fläche eingebetteten Kleinparzelle), zweckmäßig sein und eine beschleunigte Durchführung des Bauvorhabens ermöglichen ohne Rücksicht auf den Abschluß eines etwa schwebenden Rechtsmittelverfahrens. VIERTER ABSCHNITT Anfechtung der Entscheidungen der Enteignungsbehörde Zu § 32: Als Rechtsmittel gegen alle Entscheidungen der Enteignungsbehörde ist die Anrufung des Landgerichts — Kammer für Baulandsachen — vorgesehen. Von der ursprünglich in der Regierungsvorlage vorgesehenen Bezeichnung des Rechtsmittels als „Einspruch" wurde Abstand genommen und statt dessen die den rechtsförmlichen Charakter stärker betonende Bezeichnung als „Antrag auf gerichtliche Entscheidung" gewählt. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist binnen der zur Verfahrensbeschleunigung auf zwei Wochen bemessenen Frist seit Zustellung der anzufechtenden Entscheidung bei der Enteignungsbehörde einzureichen, die den Antrag unverzüglich dem zuständigen Landgericht vorzulegen hat. Zu § 33: Auf Anregung des Rechtsausschusses wurde die in § 28 Abs. 4 der Regierungsvorlage enthaltene Vorschrift in einem besonderen Paragraphen verselbständigt. Inhaltlich ist die Vorschrift über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand den §§ 233, 234 ZPO angeglichen. Zu § 34: Diese Vorschrift regelt die örtliche Zuständigkeit der Landgerichte und ermächtigt die Länder, den Zuständigkeitsbereich eines Landgerichts — Kammer für Baulandsachen — auf den Bereich mehrerer Landgerichtsbezirke auszudehnen; dadurch wird die Notwendigkeit, bei jedem Landgericht eine Baulandkammer einzurichten, vermieden und eine Anpassung an den tatsächlichen Arbeitsanfall sowie zugleich eine qualifizierte Besetzung der Baulandkammern ermöglicht. Zu § 35: Die Baulandkammern sind mit drei Zivilrichtern des Landgerichts (einschließlich des Vorsitzenden) und zwei auf die Dauer von drei Jahren bestellten Verwaltungsrichtern besetzt. Durch die Hinzuziehung der Verwaltungsrichter soll deren fachliche Erfahrung nutzbar gemacht werden, zumal die zu entscheidenden Fragen ausschließlich öffentlich-rechtlicher Natur sind. Die Bestellung der Verwaltungsrichter erfolgt auf einen Zeitraum von drei Jahren, um einerseits die erforderliche Unabhängigkeit der Verwaltungsrichter zu gewährleisten und andererseits für die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedern der Baulandkammern möglichst günstige Voraussetzungen zu schaffen. Einer besonderen Vorschrift über die Zuteilung der Verwaltungsrichter an die Landgerichte bedurfte es nicht, da insoweit § 63 GVG eingreift. Zu § 36: Auf das Verfahren in Baulandsachen sind die Bestimmungen der ZPO sinngemäß anzuwenden. Jedoch herrscht allgemein im Verfahren in Baulandsachen der Untersuchungsgrundsatz. In Baulandsachen gilt, um dem Rechtsuchenden die eigene Vertretung seiner Belange zu ermöglichen, wie vor den Verwaltungsgerichten kein Anwaltszwang. Zu § 37: Das Streitverfahren in Baulandsachen kennt keine Parteistellung nach Kläger und Beklagtem, sondern nur „Beteiligte". Diese Regelung ergab sich notwendig aus der Eigenart der zu entscheidenden Rechtsverhältnisse. Im Streit um die Zulässigkeit der Enteignung wäre nach der innerhalb des Verwaltungsstreitverfahrens geläufigen Konstruktion die Enteignungsbehörde Beklagte, während im Entschädigungsstreit entweder der Entschädigungsberechtigte oder -verpflichtete Beklagter wäre. Die übrigen am Verfahren Beteiligten müßten entweder der einen oder der anderen Partei, unter Umständen sogar ihrer Interessenlage nach mit verschiedenen Anträgen beiden Parteien beitreten. Eine sachgemäße Lösung für diese dem Enteignungsverfahren typischen Komplizierungen ließ sich im Rahmen der zivilprozessualen Vorschriften nicht finden, weshalb der im Gesetz gewählte Weg zweckmäßig erschien. (Jacobi) Zu § 38: In gewissem Umfange stehen der Enteignungsbehörde Ermessensentscheidungen zu. Diese können — wie im Verwaltungsstreitverfahren — der gerichtlichen Nachprüfung nur insoweit unterworfen werden, als Ermessensmißbrauch oder Ermessensüberschreitung gerügt werden. Nicht als Ermessensentscheidungen im Sinne des § 38 gelten, obgleich sie es ihrer Natur nach sind, die Entscheidungen über die Höhe der Ersatzleistung nach § 31 Abs. 6 oder einer Ausgleichszahlung nach § 16 Abs. 3. In diesen Fällen braucht die gerichtliche Anfechtung demgemäß nicht auf Ermessensmißbrauch oder -überschreitung gestützt zu werden. Zu § 39: Diese Vorschrift enthält eine Sicherung zugunsten des von der vorzeitigen Besitzeinweisung Betroffenen. Hat dieser gegen die vorzeitige Besitzeinweisung das Gericht angerufen, so sind Zwangsmaßnahmen zur Durchsetzung der Besitzeinweisung nur mit Zustimmung des Gerichtes zulässig, bei dem die Sache anhängig ist. Hat der Betroffene dagegen keinen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt, so ist die vorzeitige Besitzeinweisung nach den einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften im Verwaltungszwangsverfahren vollstreckbar. Zu § 40: Während die Regierungsvorlage die gerichtliche Entscheidung als „Beschluß" bezeichnete, wurde von den Ausschüssen der Bezeichnung als „Urteil" der Vorzug gegeben, um auch darin die Vollwertigkeit des Gerichtsverfahrens zum Ausdruck zu bringen. Bei seinem Urteil hat das Gericht im Rahmen der von den Beteiligten gestellten Anträge Entscheidungsfreiheit. Es darf jedoch über den jeweils weitestgehenden Antrag der Beteiligten nicht hinausgehen. Das den Enteignungsbeschluß ändernde Urteil tritt an die Stelle des Beschlusses der Enteignungsbehörde. Ergibt sich eine wesentliche Änderung des Gegenstandes der Enteignung, so kann die Sache zur erneuten Entscheidung an die alsdann an die Auffassung des Gerichtes gebundene Enteignungsbehörde zurückverwiesen werden. Ein Teilurteil soll, wenn nicht alle Anträge entscheidungsreif sind, nur im Ausnahmefall erlassen werden, nämlich dann, wenn dies der Verfahrensbeschleunigung dient. Im allgemeinen dürfte der Verfahrensbeschleunigung allerdings mit einer Entscheidung über alle Anträge, da diese regelmäßig in einer engen Verbindung miteinander stehen, gedient sein. Die Bestimmung über das Teilurteil wurde in die Form einer Soll-Vorschrift gekleidet, um in dieser Hinsicht im Falle der Verletzung keinen Revisionsgrund zu schaffen. Ändert das Gericht den Enteignungsbeschluß, so ist das an die Stelle des Enteignungsbeschlusses tretende Urteil allen Beteiligten zuzustellen. Bei einer Änderung des Enteignungsgegenstandes und sofern hinsichtlich des Grundstückes ein Zwangsvollstreckungsverfahren schwebt, ist dem Vollstreckungsgericht von dem Urteil Kenntnis zu geben. Zu§41: Diese der Verfahrensbeschleunigung dienende Vorschrift gewährleistet, daß das Gerichtsverfahren durch die Säumnis eines Beteiligten keine Verzögerungen erleidet. Im Falle des Ausbleibens eines Beteiligten, der seinen Antrag bereits in einer früheren mündlichen Verhandlung gestellt hat, kann ohne weiteres nach Lage der Akten entschieden werden. Bleibt der Beteiligte, der den Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt hat, aus, so bedarf es des Antrages eines der übrigen Beteiligten oder der Enteignungsbehörde zur Entscheidung nach Lage der Akten. Die in Absatz 3 enthaltenen Verweisungen auf Bestimmungen der Zivilprozeßordnung bringen nahere Verfahrensvorschriften in Anlehnung an das für das Versäumnisurteil geltende Verfahren. Zu§42: Da zu den gemäß § 36 Abs. 1 dieses Gesetzes sinngemaß anzuwendenden zivilprozessualen Vorschriften auch die §§ 91 ff. ZPO geboren, sind Sondervorschriften über Prozeßkosten nur insoweit erforderlich, als sich dies aus der besonderen Konstruktion des Verfahrens vor den Baulandkammern und -senaten ergibt. Für den Fall des Obsiegens desjenigen Beteiligten, der den Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt hat, schreibt Absatz 1 vor, daß die Enteignungsbehörde die Kosten des Verfahrens zu tragen hat. Dies gilt jedoch nur, wenn keiner der übrigen Beteiligten Antrage im Widerspruch zu dem die gerichtliche Entscheidung begehrenden Beteiligten gestellt hat. Sind widerstreitende Anträge gestellt, so regelt sich die Kostentragung nach §§ 91 ff. ZPO. Absatz 2 ermöglicht eine Ermessensentscheidung des Gerichtes über die Erstattung der Kosten eines Beteiligten, der zur Hauptsache keine Anträge gestellt hat. Zu § 43: Als zweitinstanzliches Rechtsmittel ist die Revision vorgesehen, über die das Oberlandesgericht - Senat fur Baulandsachen — entscheidet. in dieser Instanz können, wie die Bezeichnung des Rechtsmittels und die Verweisung auf die §§ 548 bis 566 ZPO klarstellen, nur Rechtsfragen überprüft werden. Die Revision ist unzulässig, wenn der Wert des Streitgegenstandes unter 50 DM liegt oder das erstinstanzliche Urteil auf Rückverweisung an die Enteignungsbehörde lautet. Im letztgenannten Falle wurde die Revision zur Verfahrensabkürzung deshalb ausgeschlossen, weil ohnehin gegen die erneute Entscheidung der Enteignungsbehörde der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt werden kann. Für die Besetzung der Baulandsenate gelten die für die Baulandkammern getroffenen Bestimmungen sinngemäß, d. h. die Baulandsenate bestehen aus drei Richtern des Oberlandesgerichts und zwei Verwaltungsrichtern. Die Abkürzung der Revisions- und Begründungsfrist auf je zwei Wochen dient der Verfahrensbeschleunigung. (Jacobi) Die Vorschrift des Abs. 4, die in bestimmten Sonderfällen die Entscheidung der Revision an Stelle des Oberlandesgerichts durch den Bundesgerichtshof vorsieht, dient der bundeseinheitlichen Fortentwicklung des Baulandenteignungsrechtes. Die in Absatz 5 vorgesehene Erhöhung der Gerichtskosten in der Revisionsinstanz soll einer mutwilligen Ausschöpfung des Rechtsmittelzuges entgegenwirken. Zu § 44: Diese Vorschrift dient der Erleichterung der in jedem Stadium des Verfahrens, also auch noch innerhalb des Gerichtsverfahrens, anzustrebenden Einigung. FÜNFTER ABSCHNITT Ausführung des Enteignungsbeschlusses Zu §§ 45, 46: Der allgemeine Grundsatz des Enteignungsrechtes, daß die dingliche Rechtsänderung erst nach Klärung aller Einzelfragen und nach Zahlung der Entschädigung eintritt, findet im Baulandbeschaffungsgesetz besonders klaren Ausdruck. Den förmlichen Abschluß des Enteignungsverfahrens bildet die dem bisherigen Enteignungsrecht nicht geläufige Ausführungsanordnung. Sie darf erst erlassen werden, wenn die Enteignungsentscheidung (entweder in der Form des Enteignungsbeschlusses oder einer Rechtsmittelentscheidung) rechtskräftig ist und die Entschädigung geleistet ist. Das letztgenannte Erfordernis entfällt natürlich, soweit die Entschädigung nach dem Inhalt der Enteignungsentscheidung erst zu einem späteren Zeitpunkt fällig ist (z. B. im Falle des § 15, bei der Bewilligung von Ratenzahlungen, im Falle der Begründung eines Erbbaurechts und bei anderweitiger Vereinbarung wiederkehrender Leistungen). Als Bewirkung der Entschädigungsleistung gilt auch die Hinterlegung, soweit diese zulässig ist (vgl. § 47). Die Wirkung der Ausführungsanordnung geht dahin, daß der neue Rechtszustand mit dem in der Ausführungsanordnung festgesetzten Tage eintritt. Die Rechtsänderung tritt ohne Grundbucheintragung ein; das Grundbuch ist zu berichtigen. Zu § 47: Diese Vorschrift strebt die Sicherung der Entschädigungsberechtigten im Verhältnis zueinander an. Wenn mehrere Entschädigungsberechtigte sich über die Verteilung der Entschädigung noch nicht geeinigt haben, ist diese zu hinterlegen. Zu § 48: Im Streitfalle kann jeder Beteiligte seinen Anspruch auf die hinterlegte Entschädigungssumme im normalen zivilprozessualen Verfahren geltend machen; er kann jedoch auch den Weg des in Absatz 2 näher geregelten gerichtlichen Verteilungsverfahrens wählen. Zu § 49: Diese Vorschrift schreibt die Kostenfreiheit für die Fertigung aller von der Enteignungsbehörde verlangten Grundbuchauszüge und sonstigen Unterlagen vor. Zu § 50: Auf Antrag eines Entschädigungsberechtigten kann der Enteignungsbeschluß durch die Enteignungsbehörde aufgehoben werden, wenn der Entschädigungspflichtige nach Eintritt der Rechtskraft der Enteignungsentscheidung in Verzug gerät und die Ausführungsanordnung nach § 45 noch nicht erlassen ist. Auf diese Weise ist weitgehend gewährleistet, daß nur ein ausreichend leistungsfähiger Antragsteller das Enteignungsverfahren betreibt. Zugleich wird im Interesse des Enteigneten ein wirksamer Druck auf die Zahlung der Entschädigung zum Fälligkeitstermin ausgeübt. Zu § 51: Die Ausschüsse befaßten sich eingehend mit der Frage, ob im Falle der Nichterfüllung des Enteignungszwecks entweder ein obligatorischer Rückgewähranspruch oder der in der Regierungsvorlage vorgesehene Weg der Rückenteignung zu wählen sei. Darüber, daß dem Enteigneten für diesen Fall überhaupt ein irgendwie gearteter Anspruch zuzubilligen sei, bestand von vornherein Einigkeit, einmal aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten im Interesse des Enteigneten, zum andern, um einen Druck auf den Erwerber dahin auszuüben, den Enteignungszweck auch tatsächlich zu erfüllen. Nach längeren Beratungen entschieden sich die Ausschüsse für die Beibehaltung der Regierungsvorlage, da die Rückenteignung der in der Praxis am wenigsten komplizierte und wirksamste Weg ist. Die Rückenteignung vermeidet gewisse bei dem Wiederkaufsrecht auftauchende Schwierigkeiten im Konkurs- und Zwangsvollstreckungsverfahren. Sie gestattet auch eine reibungslose Abwicklung in den Fällen, in denen der enteignete Gegenstand — z. B. infolge von Grenz- oder Zuschnittsänderungen — nicht in der gleichen Form zurückgegeben werden kann. Soweit die Voraussetzungen des Abs. 1 vorliegen und die Rückenteignung nicht nach Maßgabe des Abs. 2 ausgeschlossen ist, steht dem Enteigneten ein echter Rechtsanspruch zu. Eine Ermessensentscheidung ist lediglich im Rahmen des Abs. 4 zugelassen. SECHSTER ABSCHNITT Zusatz-, Übergangs- und Schlußbestimmungen Zu § 52: Diese Bestimmung hält dem Landesgesetzgeber die Möglichkeit offen, die Verfahrensvorschriften dieses Gesetzes durch künftig zu erlassendes Landesrecht zu ersetzen. Vgl. im übrigen Ziffer B V 3 dieses Berichtes. Zu § 53: § 53 ermöglicht die Lockerung der Landschaftsschutzbestimmungen (vgl. § 19 Reichsnaturschutzgesetz vom 26. Juni 1938 — Reichsgesetzbl. I S. 821), sofern es im Rahmen einer geordneten baulichen Entwicklung des Gemeindegebietes erforderlich ist, bislang mit Baubeschränkungen belegte Gebietsteile der baulichen Nutzung zuzuführen. Die Aufhebung der die Bebauung hindernden Landschaftsschutzanordnungen kann entweder durch die Festsetzung förmlicher Fluchtlinien-, Bebauungs- usw. (Jacobi) -pläne oder durch die Einzelentscheidung nach § 3 Abs. 2 Buchst. b erfolgen. In beiden Fällen obliegt die Entscheidung der für die Ortsplanung zuständigen Aufsichtsbehörde im Benehmen mit der Naturschutzbehörde. Zu § 54: Die Feststellung, daß die Hansestadt Hamburg zugleich als Staat und Gemeinde gilt, ist im Hinblick auf die mehrfache Erwähnung der Gemeinden im Gesetz erforderlich. Zu § 55: Zur Rechtsvereinheitlichung sind die Entschädigungs- und Verfahrensvorschriften dieses Gesetzes auch bei der Landbeschaffung für Kleingärten anzuwenden. Damit sind zugleich die von verschiedener Seite gegen die einschlägigen Bestimmungen der Dritten Notverordnung erhobenen verfassungs- und staatsrechtlichen Bedenken ausgeräumt. Der Aufrechterhaltung früherer Vorschriften über die Landbeschaffung für Kleinsiedlungen bedarf es nicht, da insoweit jetzt § 2 Buchst. a und b eingreift. Der Klarheit halber wurde deshalb in § 55 Abs. 2 vorgeschrieben, daß für die Landbeschaffung im Rahmen der Kleinsiedlung nur noch die Bestimmungen dieses Gesetzes anzuwenden sind. Zu § 56: Diese Vorschrift erstrebt den Anwendungsbereich des Gesetzes auf zwei weitere in rechtlicher Hinsicht untereinander verwandte Tatbestände. In beiden Fällen handelt es sich um auf fremdem Grund und Boden errichtete Bauwerke. Zweck der Regelung ist die Entwirrung unklarer Rechtsverhältnisse. Die in Absatz 1 geregelte, nach seinem voraussichtlich wichtigsten Anwendungsfall sogenannte „Lex Salzgitter" erfaßt solche baulichen und andere Maßnahmen, die im Hinblick und im Vertrauen auf eine zulässige Enteignung durchgeführt sind. Hier ist zur nachträglichen Bereinigung der dinglichen Rechtsverhältnisse die Durchführung der Enteignung, d. h. die Übertragung des bebauten Geländes auf den Bauherrn, nach den Bestimmungen dieses Gesetzes zulässig. Voraussetzung ist jedoch, daß 1. die Enteignung nach den im Zeitpunkt der Bebauung geltenden Gesetzen zulässig war, 2. die Bebauung nicht nach dem Währungsstichtag erfolgte, 3. es sich um Bauwerke und Anlagen handelt, für die nach § 2 Buchst. a bis c dieses Gesetzes Gelände enteignet werden darf und 4. die bereits durchgeführte Bebauung mit einer geordneten baulichen Entwicklung des Gemeindegebietes vereinbar ist. Der in Absatz 2 geregelte Tatbestand erfaßt in der Hauptsache die im Rahmen der 1943 eingeleiteten Behelfsheimaktion für Luftkriegsbetroffene errichteten Behelfsheime. Auch hier ist die nachträgliche Übereignung des Baugrundstückes auf den Bauherrn im Wege der Enteignung zulässig, wenn die errichteten Gebäude als Dauerbauten anzusehen sind und den bauaufsichtlichen Vorschriften entsprechen. Das bedeutet, daß die sogenannten „wilden" Behelfsheimbauten, die die geordnete bauliche Entwicklung des Gemeindegebietes stören und den Bauordnungsvorschriften nicht entsprechen, in Absatz 2 nicht erfaßt werden. Absatz 3 schreibt vor, daß bei der Ermittlung der Entschädigung der Wert der Gebäude usw. außer Ansatz bleibt. Diese Vorschrift war erforderlich, weil es oft zweifelhaft ist, ob der Bauherr gemäß § 95 BGB Eigentümer des Bauwerks geblieben oder das Eigentum an dem Bauwerk nach § 94 BGB auf den Grundeigentümer übergegangen ist. Eine in dieser Hinsicht jeweils auf die dingliche Rechtslage des Einzelfalls abgestellte Prüfung würde das Enteignungsverfahren unnötig komplizieren (vgl. §§ 94, 946, 951 BGB). Zu § 57: In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist der Übergang vom alten auf das neue Recht dahin geregelt, daß schwebende Enteignungs- und Gerichtsverfahren nach dem bisherigen Recht abzuwickeln sind. Auf Grund des bisherigen Rechts ergangene Enteignungsentscheidungen (der Verwaltungsbehörden) unterliegen der gerichtlichen Nachprüfung nach den Bestimmungen dieses Gesetzes, soweit das Gerichtsverfahren noch nicht eingeleitet ist. Die Anfechtung der Enteignungsentscheidung nach den Vorschriften dieses Gesetzes kommt weder im Übergangsstadium noch später dann in Betracht, wenn es sich um die Beschaffung von Gemeindebedarfsflächen nach Landesrecht handelt. Zu § 58: Die durch dieses Gesetz entbehrlich gewordenen bzw. überholten Vorschriften der Behebungsverordnung und des § 45 der Verordnung vom 19. Juli 1940 waren aufzuheben und § 28 des Reichsheimstättengesetzes anzupassen. Bonn, den 22. Mai 1953 Jacobi Berichterstatter
Gesamtes Protokol
Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0127000000
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 270. Sitzung des Deutschen Bundestages mit der Tagesordnung: Fortsetzung der Beratung der gestrigen Tagesordnung und Erledigung der für heute vorgesehenen Tagesordnung.
Zur heutigen Tagesordnung wünscht das Wort zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Dr. Hammer. Bitte!

Dr. Richard Hammer (FDP):
Rede ID: ID0127000100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unter Punkt 9 der Tagesordnung vom Donnerstag finden Sie die erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung von Fragen des Hebammenwesens verzeichnet. Eine Besprechung im Gesundheitspolitischen Ausschuß hat gestern zu der Feststellung geführt, daß über den Inhalt dieses Gesetzentwurfs Einstimmigkeit herrschen wird. Lediglich zwei kleine redaktionelle Änderungen werden vorzunehmen sein. Es besteht die Möglichkeit, das Gesetz hier ohne Aussprache anzunehmen.
Ich beantrage deshalb, auch die zweite und dritte Lesung auf die Tagesordnung zu setzen.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0127000200
Darf ich fragen, ob das Haus damit einverstanden ist?

(Zustimmung.)

— Das ist offenbar der Fall. Dann haben wir zu Punkt 9 die zweite und dritte Beratung auf die Tagesordnung gesetzt.
Ich bitte zunächst den Herrn Schriftführer, die Namen der entschuldigten Abgeordneten bekanntzugeben.

Heinz Matthes (DP):
Rede ID: ID0127000300
Der Präsident hat Urlaub erteilt für zwei Tage den Abgeordneten Dr. Semler, Höhne, Dr. Handschumacher, Rische, Reimann, Agatz, Harig und Fisch.
Entschuldigt fehlen die Abgeordneten Gibbert, Frau Thiele, Paul (Düsseldorf), Dr. Koch, Frau Dietz, Dr. Henle, Dr. Atzenroth, Seuffert, Berlin, Dr. Wuermeling, Dr. Königswarter und Dr. Luchtenberg.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0127000400
Ich danke vielmals.
Meine Damen und Herren, ich habe folgende Frage: Haben Sie Bedenken dagegen, daß wir mit Rücksicht auf die Herren Berichterstatter, die zum Teil vom Bundesrat gestellt werden, die vorgesehenen mündlichen Berichte des Vermittlungsausschusses — jedenfalls den Bericht zu Punkt 1 der Tagesordnung — vorwegnehmen, ehe wir in die Beratung des Arbeitsgerichtsgesetzes wieder eintreten? — Das ist nicht der Fall.
Dann darf ich zunächst Punkt 1 der Tagesordnung aufrufen:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften und zur Sicherung der Haushaltsführung (Nrn. 4406, 4092, 4294, 4386 der Drucksachen).
Berichterstatter ist Herr Minister Dr. Frank. — Darf ich Sie bitten, das Wort zu nehmen.
Dr. Frank, Finanzminister des Landes Baden-Württemberg, Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das vom Bundestag am 6. Mai 1953 verabschiedete Gesetz zur Änderung steuerlicher Vorschriften und zur Sicherung der Haushaltsführung bedarf nach Art. 106 Abs. 3 des Grundgesetzes der Zustimmung des Bundesrates wegen seines Zweiten Teils, in dem die Inanspruchnahme eines Teils der Einkommen- und Körperschaftsteuer durch den Bund geregelt ist.
In seiner Sitzung vom 22. Mai 1953 hat der Bundesrat diesem Teil der Gesetzesvorlage seine Zustimmung nicht gegeben, vielmehr beschlossen, den Vermittlungsausschuß anzurufen, und zwar mit folgendem Ziel: erstens die Vorlage in zwei Teile aufzuspalten und aus dem Ersten und Zweiten Teil je ein selbständiges Gesetz zu machen, zweitens den an den Bund abzuführenden Beteiligungsprozentsatz in den Rechnungsjahren 1953 und 1954 von 40 auf 37 % herabzusetzen, drittens die Plafondbestimmungen des § 1 Abs. 2 im Zweiten Teil des Gesetzes zu streichen und viertens im Gesetz eine Garantiebestimmung zu verankern, die jedem Land in den Rechnungsjahren 1953 und 1954 100 °/o des im Rechnungsjahr 1952 verbliebenen Anteils an der Einkommen- und Körperschaftsteuer sichert. Dem ersten Teil des Gesetzes, dem Gesetz zur Änderung steuerlicher Vorschriften, der sogenannten kleinen Steuerreform, hat der Bundesrat trotz mancher Bedenken im einzelnen zugestimmt und ihn außerdem auch hinsichtlich des Inkrafttretens der Tarifsenkung am 1. Juni 1953 zur alsbaldigen Annahme empfohlen.
Bereits am 1. Juni dieses Jahres ist der Vermittlungsausschuß zur Beratung zusammengetreten. Seine Arbeit, die im Gegensatz zu den Verhandlungen im Jahre 1951 und vor allem auch zu dem andauernden Ringen im Jahre 1952 um den Bundesanteil an der Einkommen- und Körperschaftsteuer schon in einer einzigen Sitzung zum Ergebnis führte, stand für alle Teilnehmer der Sitzung im Zeichen der von der Öffentlichkeit sehnsüchtig


(Dr, Frank)

erwarteten kleinen Steuerreform, obwohl diese selbst entsprechend dem Beschluß des Bundesrats außerhalb aller Diskussion blieb. Sie sollte — darüber waren sich alle Mitglieder des Bundestags und Bundesrats im Vermittlungsausschuß von vornherein einig — hinsichtlich des Zeitpunkts des Inkrafttretens durch die Beratungen des Vermittlungsausschusses nicht verzögert werden. Die Steuerreform — das kann wohl gesagt werden — hat die Arbeit des Vermittlungsausschusses in ihrem Tempo beflügelt, was ich bei Ihrer heutigen Entschließung mit zu bedenken bitte; sie ließ eine Vertagung der Entscheidung praktisch nicht zu, was sich sicher auch auf die Kompromißbereitschaft aller Mitglieder des Vermittlungsausschusses förderlich ausgewirkt hat.
Im Mittelpunkt der Erörterungen des Vermittlungsausschusses stand naturgemäß die Haushaltslage des Bundes und die Haushaltslage der Länder. Bezüglich des Bundeshaushalts war die Frage zu beantworten: Sind 40 % unbedingt notwendig, d. h. steht und fällt der Bundeshaushalt mit einem Anteil von 40 %, oder ist die Haushaltsführung auch nach einem Abstrich von einigen Prozentsätzen noch gesichert? — Die Haushaltslage der Länder erforderte dagegen eine Antwort auf die Frage: Ist ein Bundesanteil von 37 °/o die äußerst zumutbare Belastung, insbesondere auch mit Rücksicht auf d .e leistungsschwächeren Länder, oder läßt die Lage der Länderhaushalte ohne größere Schwierigkeiten für ihr Gleichgewicht noch eine weitere Einengung des Aufkommens aus der Einkommen- und Körperschaftsteuer zugunsten des Bundesanteils zu?
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat zur Haushaltslage des Bundes ausgeführt, daß eine Verschlechterung von 3 % aus der Einkommen- und Körperschaftsteuer — das sind rund 330 Millionen DM -- angesichts des bereits erheblichen Fehlbetrages des Bundes nicht verantwortet werden könne. Der Bundeshaushaltsplan für das Rechnungsjahr 1953 gehe von einem Bundesanteil von 40 % aus. Werde dieser herabgesetzt, so müsse ein Ausgleich gefunden werden. Es sei aber nicht ersichtlich, welche Deckungsmöglichkeiten im gegenwärtigen Augenblick ausfindig gemacht werden könnten. Der Beschluß über die Inanspruchnahme der Einkommen- und Körperschaftsteuer dürfe im Hinblick auf die erforderliche Zustimmung des Bundesrats nicht zu einer willkürlichen Entscheidung führen; vielmehr müsse den berechtigten Forderungen des Bundes voll Rechnung getragen werden. Von seiten des Herrn Bundesfinanzministers wurde weiter darauf hingewiesen, daß die Notwendigkeit eines vierzigprozentigen Bundesanteils an der Einkommen- und Körperschaftsteuer sich aus der Zwangsläufigkeit der Bundesausgaben, also aus dem bekannten starren Verhältnis von 80 % für Sozialausgaben und Besatzungskosten zu 20 % vorwiegend disponiblen Ausgaben, ergebe. Der Herr Bundesfinanzminister hat weiter auf die bedeutenden Mittel für Berlin, für den Wohnungsbau und für wirtschaftliche Subventionen hingewiesen. Er hat das Argument der Länder, daß der Bund nach der Regierungsvorlage selbst einen Bundesanteil von 38,15 % an Stelle von ursprünglich 44 % Prozent für tragbar gehalten habe, während 200 Millionen DM an die Länder als Bundeszuschüsse zur Deckung von Ausgaben auf dem Gebiet des Schulwesens gewährt werden sollten, mit dem Hinweis beantwortet, daß diese Zuschüsse bei den Ländern selbst keine Gegenliebe gefunden hätten. Ebensowenig hätten sich die Länder an seinem Vorschlag interessiert gezeigt, an den Lasten für die Sowjetzonenflüchtlinge mitzutragen.
Soweit im wesentlichen die Gesichtspunkte, die von seiten der Bundesregierung vorgetragen worden sind.
Was nun den Einnahmeausfall von über 300 Millionen DM, von der Länderseite her betrachtet, anlangt, so wurde von den Ländervertretern hervorgehoben, daß dieser Betrag bei dem Gesamtvolumen des Bundeshaushalts nicht von ausschlaggebender Bedeutung sein könne. Es müsse möglich sein, bei einem Gesamtbetrag von 24 Milliarden DM und bei dem Schwergewicht der Haushaltswirtschaft in der Bundesrepublik eine Möglichkeit eines anderweitigen Ausgleichs mindestens im Laufe des Rechnungsjahrs zu finden. Soweit aber die Begründung auf die spezielle Mehrbelastung wegen des Einstroms der Sowjetzonenflüchtlinge abgestellt ist, wurde von den Vertretern der Länder dargetan, daß zu einem Zeitpunkt, zu dem das Problem der Sowjetzonenflüchtlinge und seine finanziellen Auswirkungen bereits bekannt und übersehbar gewesen seien, eine Inanspruchnahme von nur 38,15 % der Einkommensteuer vom Bundesfinanzministerium für tragbar gehalten wurde. Im übrigen bezahlt der Bund ja nicht den vollen Aufwand. Die Länder sind vielmehr durch die Interessenquote von 15 % an der Kriegsfolgenhilfe auch am Aufwand für diese Flüchtlinge mit 15 % beteiligt. Die Vertreter des Bundesrats im Vermittlungsausschuß haben weiterhin ausgeführt, ohne daß die Richtigkeit dieser Ausführungen bestritten worden ist, daß über diese Beteiligung hinaus den Ländern aus dieser Flüchtlingshilfe laufend weitere Kosten erheblichen Umfangs erwachsen würden.
Zur Haushaltslage der Länder wurde im Vermittlungsausschuß besonders betont, daß nicht nur der Bundeshaushalt durch eine im wesentlichen unelastische Ausgabengestaltung gekennzeichnet sei; dasselbe treffe im Unterschied zur Situation der früheren Jahre heute auch für die Länderhaushalte zu. Es mag wohl stimmen, daß der bewegliche Teil der Ausgaben etwas größer ist als beim Bundeshaushalt. Es kann jedoch nicht bestritten werden, daß die disponible Finanzmasse von Jahr zu Jahr immer mehr einschrumpft. Der traditionelle Rahmen der Länderhaushalte — das haben alle Sprecher des Bundesrats betont — ist durch die Entwicklung nach dem Zusammenbruch, insbesondere durch den Bevölkerungszuwachs von innen und außen, gesprengt worden. Dieser enorme Bevölkerungsdruck, so wurde im Vermittlungsausschuß unterstrichen, nimmt täglich zu. Er erfordert gebieterisch und unabweisbar neue Schulen, neue Krankenhäuser, neue Wohnungen und nicht zuletzt — eine Lebensfrage für unser Volk — einen großzügigen, auf lange Sicht geplanten Ausbau der Wasserversorgung neben vielen anderen lebensnotwendigen Einrichtungen der Gemeinden, der Kreise und der Länder. Diesen elementaren Forderungen der Daseinsfürsorge zu einem Zeitpunkt, in dem die öffentlichen Kriegsschäden von Land und Gemeinden noch nicht einmal beseitigt sind, können sich die Länder nicht entziehen. Hierzu kommt noch als Sonderbelastung gegenüber früher der gesteigerte Personalaufwand für Beamte, Angestellte und Arbeiter, da das Schwergewicht der Verwaltung nun einmal nach dem Grundgesetz bei den Ländern liegt.


(Dr. Frank)

Aus dieser Erkentnis ihrer Haushaltslage haben die Vertreter der Länder im Vermittlungsausschuß die Auffassung vertreten, daß sie einer weiteren Belastung über 37 % hinaus nicht gewachsen seien. Es müsse daher ein Bundesanteil von 37 % wie in den früheren Jahren gesetzlich verankert werden, da sich sonst die Haushaltslage einer Anzahl Länder noch weiter defizitär entwickeln werde.
In der Sitzung des Vermittlungsausschusses übergab der Herr Bundesminister der Finanzen eine Übersicht über den Haushaltsabschluß der Länder seit dem Rechnungsjahr 1950 mit einem vorläufigen Ergebnis für 1952 ohne Auslauf, um damit ihre gegenüber dem Bund günstigere Lage zu beweisen. Aus dieser Übersicht ergibt sich für 1952 nach dem Stand vom 31. März 1953 — also ein Abschluß ohne Auslauf — ein Überschuß der Isteinnahmen über die Istausgaben in Höhe von 909 Millionen DM. Diese Berechnung fußt zwar auf Angaben der Länder über ihre Isteinnahmen und Istausgaben. Die Vertreter des Bundesfinanzministeriums mußten aber selbst einschränkend darauf aufmerksam machen, daß sich der Überschuß im Auslauf des Rechnungsjahrs 1952 noch um schätzungsweise 500 Millionen DM verringern würde.
Da dieser Betrag in der öffentlichen Diskussion in den verflossenen Wochen eine große Rolle gespielt hat, hat er auch, im Vermittlungsausschuß seine Kritiker gefunden. So wird z. B. in der Übersicht des Bundesfinanzministeriums für Baden-Württemberg ein Überschuß von 155 Millionen DM ausgewiesen, während der am 11. Mai 1953 verabschiedete Haushaltsplan für das Rechnungsjahr 1952 mit einem rechnungsmäßigen Fehlbetrag von 195 Millionen abschließt. Dagegen wird für Nordrhein-Westfalen ein Überschuß von 693,6 Millionen — das sind 75 °/o des Gesamtüberschusses, den angeblich die Länder haben — errechnet. Schon aus diesem hohen Anteil des Landes Nordrhein-Westfalen ist ersichtlich, daß der Gesamtbetrag von 500 Millionen — allgemein als Länderhaushaltsüberschuß gekennzeichnet — kein zutreffendes Bild der wirklichen Lage gibt. Auch für das Land Hessen wird ein Überschuß ausgewiesen, während der Haushalt mit einem Fehlbetrag abschließt.
Es wurde daher im Vermittlungsausschuß gesagt, daß die Aufstellung nicht der tatsächlichen Haushaltslage entsprechen kann. Vielmehr beweisen diese Beispiele überzeugend, daß das schematische Bild der Ländergesamtheit auf Grund dieser Übersicht, die dem Vermittlungsausschuß vorlag, nicht mit dem Mosaikbild der Länderhaushalte übereinstimmt, wie es sich nach dem tatsächlichen Abschluß in den Ländern selbst ergibt.
Die Aussprache im Vermittlungsausschuß zu dieser wichtigen Seite der weiteren Belastungsmöglichkeit der Länder ergab im Hinblick auf § 75 der Reichshaushaltsordnung, daß sich der rechnungsmäßige Überschuß oder Fehlbetrag nicht nur nach den Istmehreinnahmen oder Istmehrausgaben, sondern nach den weiteren Einnahmen- und Ausgabenresten der folgenden Zeit richtig ermittelt und daß diese hinzuzurechnen bzw. abzusetzen sind. Es liegt also nicht im freien Ermessen der Länder, wie in diesem Zusammenhang schon gelegentlich zu hören war, ob sie diese Reste heimfallen lassen oder übertragen wollen.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0127000500
Herr Minister, darf ich die freundliche Bitte aussprechen, daß in der Berichterstattung doch vielleicht etwas stärker der Charakter des Berichts und etwas weniger stark der Charakter der Polemik sichtbar wird? Es gibt nämlich sonst die Notwendigkeit zu einer Diskussion, die nach der Geschäftsordnung bei Vermittlungsausschußberichten nicht stattzufinden hat.
Dr. Frank, Finanzminister des Landes Baden-Württemberg, Berichterstatter: Ich werde das gern berücksichtigen. — Zwei Sonderbestimmungen der Ausgleichsregelung müssen aus dem Gange der Beratungen des Vermittlungsausschusses noch hervorgehoben werden: die sogenannte Garantieklausel, die vom Bundesrat gefordert wird und jedem Land 100 % seiner ihm verbleibenden Vorjahrseinnahmen aus der Einkommen- und Körperschaftsteuer gewährleisten soll, und die sogenannten Plafondbestimmungen des § 1 Abs. 2 des zweiten Teils des Gesetzentwurfs, nach denen der Bundesanteil von 40 auf 80 % verdoppelt werden soll bezüglich der Mehreinnahmen von 950 Millionen, die den Plafond von 10,9 Milliarden übersteigen.
Gegen diese Garantiebestimmung hat die Bundesregierung erhebliche Bedenken geltend gemacht, die im Vermittlungsausschuß auch Anerkennung fanden. Die Garantie bewirkt automatisch den Ersatz des Steuerausfalls, den einige Länder auf Grund des Zerlegungsgesetzes erleiden; ein Ergebnis, das der mit diesem Gesetz angestrebten sachgerechten Steuerverteilung unter den Ländern widerspricht. Dieser Einwand wurde, wie ich bereits betont habe, im Vermittlungsausschuß durchaus anerkannt. Auf der anderen Seite aber wurde im Vermittlungsausschuß hervorgehoben, daß die sogenannte Plafondbestimmung wegfallen müsse, weil die Entwicklung der Einnahmen aus der Einkommen- und Körperschaftsteuer in den folgenden beiden Haushaltsjahren noch nicht in vollem Umfang zu übersehen sei. Vertritt man nämlich die Auffassung, daß die Garantieklausel in der vertikalen Finanzausgleichsregelung für 1953 keinen Platz mehr haben kann, dann muß auch die Plafondbestimmung fallen, d. h. auch das Mehraufkommen darf dann nicht überwiegend dem Bund zugute kommen, wenn der Plafond von 10,9 Milliarden DM überschritten wird.
Nachdem der Vermittlungsausschuß alle diese soeben dargelegten Gesichtspunkte erörtert hatte, haben die Vertreter der Länder einen Vorschlag unterbreitet, der dann im wesentlichen von der Mehrheit des Ausschusses auch angenommen wurde. In erster Linie wurde festgelegt, daß ab 1. Juni 1953 in den Rechnungsjahren 1953 38% der Einnahmen aus der Einkommen- und Körperschaftsteuer an den Bund fließen sollen. In der weiteren Diskussion wurde der Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses erhöhten Bundesanteils auf den 1. April 1953 festgelegt und zugleich die Gesamtregelung auf 1953 beschränkt. Der zweite Gesichtspunkt des Vermittlungsvorschlages geht dahin, die Garantieklausel von diesem Zeitpunkt an fallenzulassen. Drittens wird vorgeschlagen, auch die Plafondbestimmung des § 1 Abs. 2 des Zweiten Teils wegfallen zu lassen, und schließlich wird noch einmal hervorgehoben, daß das Gesetz, soweit es die Kleine Steuerreform umfaßt, am 1. Juni 1953 in Kraft treten soll.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser Beschluß, den Sie auf der Bundestagsdrucksache Nr. 4406 verzeichnet finden, hat die Zustimmung der großen Mehrheit des Vermittlungsausschusses gefunden. Nur zwei Länder, die der Überzeugung waren, daß die Garantieklausel beibehalten werden sollte, konnten sich dieser Auffassung zunächst nicht anschließen.


(Dr. Frank)

Zum Abschluß meiner Darlegungen darf ich darauf hinweisen, daß der Vermittlungsvorschlag ein einheitlicher Vorschlag ist und daß nach Auffassung des Vermittlungsausschusses über ihn als Ganzes sowohl im Bundestag wie im Bundesrat, abgestimmt werden sollte. Namens des Vermittlungsausschusses bitte ich das Hohe Haus, der in Bundestagsdrucksache Nr. 4406 vorliegenden neuen Fassung des Zweiten Teils des Gesetzentwurfs seine Zustimmung zu geben.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0127000600
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wird gewünscht, daß Erklärungen abgegeben werden? — Herr Abgeordneter Renner!

Heinz Renner (KPD):
Rede ID: ID0127000700
Herr Präsident! Meine Damen Herren! Zu dem Bericht des Vermittlungsausschusses über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften und zur Sicherung der Haushaltsführung, Drucksache Nr. 4406, gebe ich im Namen der Bundestagsfraktion der Kommunistischen Partei Deutschlands

(lebhafte Zurufe von der Mitte und rechts: Gruppe!)

folgende Erklärung ab.
Die Bundestagsfraktion der KPD

(erneute Zurufe von der Mitte)

verurteilt aufs schärfste, daß der Bundesrat vor der massiven, verfassungswidrigen Drohung des Herrn Bundesfinanzministers Schäffer, die von ihm fälschlich als freiwillig bezeichneten Zuwendungen an die Länder zu sperren, zurückgewichen ist und einer Erhöhung des Bundesanteils an der Einkommen- und Körperschaftsteuer von 37 auf 38 y. H. zugestimmt hat. Die Bundestagsfraktion der KPD

(Abg. Kunze: „Gruppe", Herr Renner! — weitere Zurufe)

stellt vor aller Öffentlichkeit fest, daß damit auch die sozialdemokratischen Minister im Bundesrat dieser Erhöhung ihre Zustimmung gegeben haben, die der Schäfferschen Kriegskasse

(Lachen bei den Regierungsparteien)

eine Mehreinnahme von mindestens 120 Millionen DM pro Jahr einbringt. Die Zustimmung der sozialdemokratischen Minister im Bundesrat zu der Erhöhung des Bundesanteils kann nicht ohne ausdrückliche Billigung des Parteivorstandes der SPD und seiner Vorsitzenden, der Herren Bundestagsabgeordneten Ollenhauer und Mellies, erfolgt sein, die hier im Bundestag bei der dritten Beratung des Gesetzentwurfs am 6. Mai 1953 noch eine scheinoppositionelle Erklärung gegen die beantragte Erhöhung abgegeben haben und den Gesetzentwurf ablehnen ließen.

(Abg. Kunze: Sie kennen das Grundgesetz nicht, Herr Renner!)

Wir Kommunisten weisen noch einmal mit allem Nachdruck darauf hin, daß die Erhöhung des Bundesanteils an der Einkommen- und Körperschaftsteuer vor dem deutschen Volk nicht verantwortet werden kann. Nach allen bisherigen Erfahrungen werden die Länderfinanzminister, auch die sozialdemokratischen, diese neuerliche Erhöhung wiederum benutzen, um die Landesausgaben für soziale und kulturelle Aufgaben zu kürzen. Sie werden zum anderen unter Berufung auf den Einnahmerückgang der Länder die Finanzzuweisungen an die Kreise und an die Gemeinden entsprechend kürzen. Auf diese Weise werden die Kreise und Gemeinden erneut veranlaßt, den ihnen entstehenden Einnahmeausfall zu ersetzen in der Form der Erhöhung der kommunalen Gebühren für Gas, Wasser, Strom, der Tarife der Verkehrseinrichtungen und der übrigen kommunalen Abgaben. Die Gemeinden werden dazu übergehen, in verstärktem Ausmaß die Ausgaben für soziale und kulturelle Zwecke, insbesondere für den sozialen Wohnungsbau und die Erneuerung des zerstörten Schulraumes, zu senken. Die Gemeinden werden weiterhin die längst fällige Erhöhung der kommunalen Wohlfahrtsrichtsätze ablehnen.
Die Auswirkungen der Schäfferschen Finanzpolitik zur Finanzierung der Wiederaufrüstung und der Kriegsvorbereitung müssen also im Endeffekt von den Bürgern in der Gemeinde getragen werden. Die Lasten werden einmal mehr auf die sozial Schwächsten abgewälzt. Trotzdem wird das im Haushalt bestehende Defizit, das im Haushaltsjahr 1951/52 1,3 Milliarden betrug und das im laufenden Geschäftsjahr nach dem Eingeständnis des Bundesfinanzministers Schäffer noch höher werden wird, nicht ausgeglichen.
Wenn durch Vierer-Besprechungen und durch Verständigung von Ost und West, durch Verständigung vor allem der Deutschen untereinander,

(Zuruf von der Mitte: Zur Sache! — weitere Zurufe)

ein Friedensvertrag geschlossen würde und der Abzug der Besatzungsmächte erfolgte, wie die Sowjetunion es vorschlägt und wie die Adenauer/ Schäffer es mit allen Mitteln zu verhindern suchen, wenn Schluß gemacht würde mit der volksverderblichen Politik der Wiederaufrüstung und der Kriegsvorbereitung,

(fortgesetzte Zurufe: Schluß!)

dann würde sich das Defizit im Haushaltsplan in einen Überschuß verwandeln. Es könnten weitere Steuersenkungen durchgeführt werden, und in friedlicher Arbeit könnten die großen sozialen und kulturellen Aufgaben, die infolge der Adenauerschen Generalvertragspolitik ungelöst bleiben

(erneute lebhafte Schlußrufe)

und die unlösbar sind, solange das Adenauerregime an der Macht ist, gelöst werden.
Aus all diesen Gründen versagt die Bundestagsfraktion der KPD

(lebhafte Zurufe: Gruppe!)

dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses auf
Erhöhung des Bundesanteils an der Einkommen-
und Körperschaftsteuer von 37 auf 38 v. H. ihre
Zustimmung. Wir lehnen den Antrag entschieden ab.

(Beifall bei der KPD. — Abg. Kühn: Völlig gleichgültig! — Weitere Zurufe. — Abg. Renner: Sagen Sie doch sachlich etwas dazu!)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0127000800
Meine Damen und Herren, zur Abgabe weiterer Erklärungen wird das Wort nicht gewünscht, wobei die Frage, was eine Erklärung und was ein Diskussionsbeitrag ist, immer problematischer wird.

(Heiterkeit.)

Ich komme zur Abstimmung über den Antrag des Vermittlungsausschusses, den der Herr Berichterstatter Ihnen vorgetragen hat, Drucksache Nr. 4406. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag des Vermittlungsausschusses in seiner Gesamtheit zuzustimmen wünschen, eine Hand zu er-


(Präsident Dr. Ehlers)

heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; der Antrag des Vermittlungsausschusses ist angenommen.
Die Berichterstatter zu den Punkten 2 und 3 sind noch nicht anwesend. — Der Berichterstatter zu Punkt 3, Herr Senator Neuenkirch, ist, wie ich eben sehe, anwesend. Dürfen wir auch diesen Punkt vorziehen?

(Zustimmung.)

Dann rufe ich auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Entwurf eines Gesetzes über die Anrechnung von Renten in der Arbeitslosenfürsorge (Nrn. 4408, 3837, 3845, 4166, 4330 der Drucksachen).
Berichterstatter: Senator Neuenkirch (Hamburg). Bitte, Herr Senator!
Neuenkirch, Senator von Hamburg, Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundesrat hat wegen des vom Bundestag beschlossenen Gesetzes über die Anrechnung von Renten in der Arbeitslosenfürsorge den Vermittlungsausschuß angerufen. Der Bundesrat beantragte eine Ausdehnung des Gesetzes, das eine Freistellung der Grundrenten von Kriegsbeschädigten in der Arbeitslosenfürsorge vorsieht, auch auf die Bezieher von Unfallrenten und die Verletztenrenten der Opfer des Nationalsozialismus. Der Bundesrat war der Meinung, daß bei allen drei Personengruppen ein vergleichbarer Tatbestand vorliegt und daß die ihnen gewährten Renten in gleicher Weise einen Teil enthalten, der nicht nur sozialwirtschaftlichen Fürsorgevorstellungen oder Versorgungsgedanken entspricht, sondern auch die Abgeltung für eine körperliche Belastung, zu der man sich aus Gedanken der Haftung des Staates oder der Wirtschaft in den berufsgenossenschaftlichen Unfallrenten verstehen müßte. Infolgedessen hat der Bundesrat beantragt, daß der Vermittlungsausschuß eine Ergänzung des Gesetzes vornehmen und den Beziehern von Unfallrenten und den Beziehern von Verletztenrenten die gleichen Freibeträge zugestehen möge, wie sie die Grundrente für die Kriegsbeschädigten darstellt.
Der Vermittlungsausschuß ist dem Antrag des Bundesrats nicht in vollem Umfang gefolgt. Er hat anerkannt, daß man unbedingt eine Vergleichbarkeit zwischen Kriegsbeschädigungen und denjenigen Körperbeschädigungen anerkennen müsse, die die Folge von Verfolgungsmaßnahmen unter der nationalsozialistischen Herrschaft darstellten. Deshalb empfiehlt Ihnen der Vermittlungsausschuß die Ergänzung des Gesetzes in § 1 durch einen Abs. 2, der den Opfern nationalsozialistischer Verfolgung die gleichen Freibeträge wie Kriegsbeschädigten zusprechen soll. Der Vermitlungsausschuß ist in bezug auf die Einbeziehung der Unfallrentner dem Antrag des Bundesrats nicht gefolgt, weil vom Herrn Bundesarbeitsminister in Übereinstimmung mit der Mehrheit des Ausschusses die Auffassung vertreten wurde, man solle eine Entscheidung in dieser Frage zurückstellen, bis über die Beziehungen zwischen den Versicherungsträgern der Sozialversicherung eine Klärung und eine vielleicht in verschiedenen Punkten notwendige gesetzliche Neuregelung erfolgt ist.
Ich darf Sie namens des Vermittlungsausschusses bitten, der Ihnen in der Drucksache Nr. 4408 vorliegenden Änderung des vom Bundestag beschlossenen Gesetzes über die Anrechnung von Renten in der Arbeitslosenfürsorge zuzustimmen.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0127000900
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Wird das Wort zu einer Erklärung gewünscht? —Herr Abgeordneter Renner mit dem ausdrücklichen Hinweis auf den Charakter einer Erklärung.

(Zuruf des Abg. Renner.)

— Wir werden uns sicherlich einig werden, Herr Abgeordneter. Aber Erklärungen — —

(Erneuter Zuruf.)

— Ja, Sie lesen die anderen Diskussionsbeiträge ja auch meistens vor. Bitte schön, Herr Abgeordneter!

Heinz Renner (KPD):
Rede ID: ID0127001000
Ohne mich der Gefahr eines Ordnungsrufs auszusetzen, darf ich auf diese Feststellung nicht antworten. Wenn ich sie beantwortete, müßte ich sagen: woher nimmt der Herr Präsident bei mir den Mut zu einer derartigen Feststellung?
Nun zur Sache! Die Bundestagsfraktion der Kommunistischen Partei Deutschlands

(Zurufe)

hält ihre bereits anläßlich der zweiten und dritten Beratung des Gesetzes über die Anrechnung von Renten in der Arbeitslosenfürsorge am 16. April 1953 vertretene Auffassung aufrecht, daß Renten aus dem Bundesversorgungsgesetz, aus der Sozialversicherung, insbesondere der Unfallversicherung, sowie Renten, welche Opfern des nationalsozialistischen Terrors wegen einer durch die Verfolgung erlittenen Gesundheitsschädigung gewährt werden, nicht als Einkommen bei der Bewilligung der Arbeitslosenfürsorgeunterstützung angerechnet werden dürfen. Diese Renten sind nichts anderes als ein Ersatz, ein völlig unzureichender Ersatz für die Auswirkungen der erlittenen Beschädigung. Sie sollten ein Ersatz für die Mehraufwendungen geldlicher Natur und die Belastungen körperlicher und psychischer Natur sein, die dem Beschädigten auf Grund seiner Beschädigung entstanden sind. Deshalb sind wir Kommunisten der Auffassung, daß diese Renten in voller Höhe außer Ansatz bleiben müssen bei der Bewilligung der Arbeitslosenfürsorgeunterstützung. Die Freigabe dieser Renten nur in der Höhe der Grundrente, die in der Kriegsopferversorgung bei gleicher Minderung der Erwerbsfähigkeit gewährt wird, ist unverantwortbar.
Wir sind aus diesen grundsätzlichen Erwägungen heraus nicht in der Lage, dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses unsere Zustimmung zu geben. Wir werden uns vielmehr der Stimme enthalten.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0127001100
Weitere Erklärungen werden nicht gewünscht. — Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag des Vermittlungsauschusses auf Drucksache Nr. 4408 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Danke schön. Bei Enthaltungen der kommunistischen Gruppe ist dieser Antrag des Vermittlungsausschusses einstimmig angenommen worden.
Der Berichterstatter zu Punkt 2 der heutigen Tagesordnung ist noch nicht anwesend. Herr Senator Klein steht erst um 14 Uhr 30 zur Verfügung.


(Präsident Dr. Ehlers)

Ich kehre also zunächst zur gestrigen Tagesordnung zurück.
Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen leider eine Korrektur des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung*) — das „leider" bezieht sich selbstverständlich nur auf die Tatsache, daß es immer bedauerlich ist, wenn infolge von Irrtümern eine Abstimmung in ihrem Ergebnis korrigiert werden muß — zu dem Antrag Umdruck Nr. 938 Ziffer 4, der zum Dritten Strafrechtsänderungsgesetz gestellt war, vorzutragen. Die Überprüfung der Auszählung, bei der gestern bekanngegeben wurde, daß dieser Antrag mit 169 gegen 167 Stimmen bei 9 Enthaltungen angenommen worden sei, hauergeben, daß eine Ja-Stimme, da sie doppelt vorhanden war, ungültig ist und eine Nein-Stimme nicht gezählt wurde, so daß das endgültige Ergebnis ist, daß 168 Ja-Stimmen und 168 Nein-Stimmen bei 9 Enthaltungen festzustellen sind. Der Antrag ist damit abgelehnt. Ich habe mich darüber vergewissert — wir können uns also geschäftsordnungsmäßige Auseinandersetzungen darüber sparen —, daß eine Wiederholung der Schlußabstimmung trotz dieses Ergebnisses nicht erforderlich erscheint. Ich darf dann zur Kenntnis geben, daß sich insofern der Inhalt des Dritten Srafrechtsänderungsgesetzes verändert.
Zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Ewers. — Meine Damen und Herren, Herr Abgeordneter Ewers macht mich darauf aufmerksam — was bereits aufgefallen und Ihnen auch zweifellos in Erinnnerung sein wird —, daß gestern zur dritten Beratung des Strafrechtsänderungsgesetzes von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP und DP ein Entschließungsantrag, Umdruck Nr. 942, gestellt worden ist, der sich mit dem gleichen Objekt befaßt wie der jetzt abgelehnte Änderungsantrag. Ich lese ihn zweckmäßigerweise noch einmal vor, weil ich nicht unterstellen kann, daß Sie alle die Drucksache in der Hand haben. Der Antrag hieß:
Die Bundesregierung wird ersucht, im Benehmen mit den Ländern die Frage der Immunität der Landtagsabgeordneten in ihrer Wirkung gegenüber den Gerichten und Behörden des Bundes und der Länder zu prüfen und, soweit ein Bundesgesetz notwendig erscheint, dieses vorzubereiten.
Dieser Antrag ist gestern nicht zur Abstimmung gekommen, da er durch den angenommenen Antrag der Fraktion der SPD sachlich erledigt war.
Ich komme jetzt, da sich das Ergebnis geändert hat, zur Abstimmung über diesen Entschließungsantrag. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag auf Umdruck Nr. 942 zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die überwiegende Mehrheit des Hauses; der Entschließungsantrag ist angenommen. Damit ist die Beratung des Dritten Strafrechtsänderungsgesetzes erledigt.
Wir fahren fort in der
Zweiten Beratung des Entwurfs eines Arbeitsgerichtsgesetzes (Nr. 3516 der Drucksachen);
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit (20. Ausschuß) (Nr. 4372 der Drucksachen; Anträge Umdrucke Nrn. 948, 951, 952, 953, 962).

(Erste Beratung: 229. Sitzung.)

*) Vgl. 269. Sitzung, Seiten 13276C, 13302.
Wir waren gestern bis zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Laforet, Dr. Wahl und Genossen, Umdruck Nr. 953 Ziffer 4, betreffend Neufassung des § 18 gediehen. Ich gebe Ihnen das Ergebnis der namentlichen Abstimmung*) bekannt. Für den Antrag haben 115 Abgeordnete gestimmt, dagegen 188 bei 6 Enthaltungen; von den Berliner Abgeordneten haben 4 mit Ja, 11 mit Nein gestimmt bei einer Enthaltung. Der Antrag ist abgelehnt.
Auf Umdruck Nr. 953 Ziffer 1 ist ebenfalls zu § 18 die Ersetzung der Worte „im Benehmen mit der Landesjustizverwaltung" durch die Worte „im Einvernehmen mit der Landesjustizverwaltung" beantragt worden. — Herr Abgeordneter Sabel, bitte!

Anton Sabel (CDU):
Rede ID: ID0127001200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich nehme an, daß es sich hier um einen Irrtum handelt. In § 18 ist die Situation anders. Hier heißt es:
Die Vorsitzenden
— also der Arbeitsgerichte —
werden von der nach Landesrecht zuständigen Stelle
das ist also im Regelfall die Landesregierung — im Benehmen mit der obersten Arbeitsbehörde des Landes und der Landesjustizverwaltung .. . ernannt.
Ich glaube, es geht nicht gut an, daß wir den Beschluß der Landesregierung an das Einvernehmen mit den beiden Verwaltungen binden. Ich kann nur annehmen, daß hier ein Irrtum vorliegt.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0127001300
Das ist bereits gestern vorgetragen worden, Herr Abgeordneter Sabel, hat aber nicht zur Zurückziehung des Antrags geführt. Ich muß über die Anträge, die vorliegen, abstimmen lassen. Ob sie einen von Ihnen anerkannten Sinn haben oder nicht, ist eine zweite Frage.

(Heiterkeit.)

Der Antrag wird offenbar aufrechterhalten. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag Umdruck Nr. 953 Ziffer 1 betreffend § 18 zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Meine Damen und Herren, der Appell des Herrn Abgeordneten Sabel hat einen geradezu durchschlagenden Erfolg gehabt.

(Heiterkeit.)

Dieser Antrag ist mitallen Stimmen abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über § 18 in der Ausschußfassung. Ich bitte die Damen und Herren, die § 18 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die überwiegende Mehrheit; angenommen.
Den Antrag, einen § 18 a einzufügen, hat Herr Abgeordneter Laforet bereits begründet. Es handelt sich um die Ernennung von Hilfsrichtern, Umdruck Nr. 953 Ziffer 5. Wird das Wort dazu gewünscht?

(Abg. Ewers: Der Änderungsantrag ist hinfällig!)

— Ist hinfällig, da ja in § 18 Abs. 7 die Frage der Bestellung von Hilfsrichtern bereits geregelt ist. Der Antrag ist also nach Meinung der Antragsteller sachlich erledigt. Ich stelle das ausdrücklich fest.
Zu § 19 liegt ein Streichungsantrag vor. Ich bin im Augenblick nicht ganz sicher, ob dieser Strei-
*) Vgl. 269. Sitzung, Seite 13302.


(Präsident Dr. Ehlers)

chungsantrag mit dem Antrag der Abgeordneten Laforet und Genossen zu § 18 eine sachliche Beziehung hat.

(Abg. Dr. Leuze: Steht in innerem Zusammenhang!)

— Er ist auch sachlich erledigt, meinen Sie? Da Herr Dr. Leuze einer der Antragsteller ist, kann ich mich ohne weiteres darauf verlassen. Der Streichungsantrag ist also erledigt.
Ich bitte die Damen und Herren, die § 19 zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; ist angenommen.
§ 20! Bitte, Herr Abgeordneter Richter.

Willi Richter (SPD):
Rede ID: ID0127001400
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! In § 20 Abs. 1 Satz 1 heißt es: Die Arbeitsrichter werden von der obersten Arbeitsbehörde des Landes im Benehmen mit dem Präsidenten des Landesarbeitsgerichts auf die Dauer von vier Jahren berufen.
Meine Fraktion beantragt, die Worte „im Benehmen mit dem Präsidenten des Landesarbeitsgerichts" zu streichen. Wir sind der Auffassung, daß es nicht gut und zweckmäßig ist, wenn die Landesarbeitsbehörde gehalten sein soll, über die Berufung der Arbeitsrichter — das sind also die von den Arbeitgebern und Arbeitnehmern vorgeschlagenen Beisitzer — die Stellungnahme des Präsidenten des Landesarbeitsgerichts zu hören. Dadurch könnte der Schein erweckt werden, daß der Präsident des Landesarbeitsgerichts ein Werturteil über die vorgeschlagenen Arbeitgeber oder Arbeitnehmer abgeben soll. Wenn dies der Fall sein sollte — sonst hat ja die Bestimmung überhaupt keinen Sinn —, müßte der Präsident sich laufend über die Tätigkeit dieser von den Arbeitgebern und Arbeitnehmern vorgeschlagenen Richter erkundigen, und er müßte dann eine Notifizierung vornehmen. Das würde doch schließlich die Unabhängigkeit der Richter und somit die Unabhängigkeit des Gerichts und die Unabhängigkeit der Rechtsprechung irgendwie beeinträchtigen können.
Aus diesen Erwägungen glauben wir, daß es im Interesse der Landesbehörde und im Interesse des Präsidenten eines Landesarbeitsgerichts liegt, diese Bestimmung zu streichen. Ich bitte um Ihre Zustimmung.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0127001500
Danke schön. Wünscht jemand das Wort dazu? — Das ist nicht der Fall. Der Änderungsantrag ist von Herrn Abgeordneten Richter begründet und bekanntgegeben worden. Nach dem Antrag sollen in § 20 Abs. 1 Satz 1 die Worte „im Benehmen mit dem Präsidenten des Landesarbeitsgerichts" gestrichen werden. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die überwiegende Mehrheit; dieser Änderungsantrag ist angenommen.
Ich bitte die Damen und Herren, die § 20 in der geänderten Fassung zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
Zu § 21 Änderungsantrag der Gruppe der KP Umdruck Nr. 948 Ziffer 7.. Ohne Begründung, keine Wortmeldung. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Änderungsantrag auf Umdruck Nr. 948 Ziffer 7 zuzustimmen wünschen, um ein
Handzeichen. — Dieser Antrag ist gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt.
Ich bitte die Damen und Herren, die § 21 — ich bitte, falls noch irgend jemand das Wort dazu wünscht, sich jeweils zu melden —, § 22, — § 23,
—§ 24,—§25,—§ 26,—§ 27,—§ 28,—§ 29,
— § 30, — § 31 zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die überwiegende Mehrheit; sie sind angenommen.
Ich rufe auf die §§ 33 bis 39. — Keine Wortmeldung.

(Abg. Dr. Leuze: Das Problem „im Benehmen"!)

— Ja, dazu komme ich. Im Umdruck Nr. 951 und im Umdruck Nr. 953 ist beantragt worden — der übliche Antrag —, in § 33 die Worte „im Benehmen mit" durch die Worte „im Einvernehmen mit" zu ersetzen. Weiter keine Wortmeldungen. Ich bitte die Damen und Herren, die bezüglich § 33 diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letztere ist die Mehrheit; dieser Antrag ist abgelehnt.

(Widerspruch in der Mitte.)

— Meine Damen und Herren, es besteht kein Zweifel am Ergebnis der Abstimmung. Wenn Sie wünschen, diesen Antrag anzunehmen, dann bitte ich freundlichst, sich von der Möglichkeit, eine Hand zu erheben, nicht zu dispensieren.

(Zurufe von der Mitte.)

— Also meine Damen und Herren, darf ich unterstellen, daß Abgeordnete nicht gemerkt haben, worüber ich abstimmen ließ.

(Zustimmung in der Mitte. — Widerspruch links.)

Ich muß Ihnen, da wir uns in der zweiten Beratung befinden, anheimstellen, Anträge zur dritten Beratung zu stellen, wenn Sie es für richtig halten. Ich habe festgestellt, daß dieser Änderungsantrag abgelehnt ist.
Für § 34 Abs. 1 und 2, § 35 Abs. 3 und § 36 ist im Umdruck Nr. 951 der gleiche Antrag gestellt. Also, meine Damen und Herren, es wird schwierig. Zunächst komme ich zur Abstimmung über den Antrag auf Umdruck Nr. 953 Ziffer 1 betreffend § 34 Abs. 1 und 2 und § 35 Abs. 3, jeweils wieder die Worte „im Benehmen" durch die Worte „im Einvernehmen" zu ersetzen. Ich bitte die Damen und Herren, die hinsichtlich der §§ 34 Abs. 1 und 2 und 35 Abs. 3 dieser Änderung zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Diesmal war das erste die Mehrheit; der Antrag ist angenommen.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag auf Umdruck Nr. 951 Ziffer 1, nach dem auch in § 36 die gleiche Änderung vorgenommen werden soll. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; dieser Antrag ist angenommen.
Ich bitte die Damen und Herren, die den §§ 33 bis 39 unter Berücksichtigung dieser Änderung zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; diese Paragraphen sind angenommen.
Ich rufe auf §§ 40, — 41, — 42. — Zu § 40 Abs. 2 und § 41 Abs. 3 liegt unter Ziffer 1 des Umdrucks


(Präsident Dr. Ehlers)

Nr. 951 der Antrag vor, jeweils das Wort „Benehmen" durch das Wort „Einvernehmen" zu ersetzen. — Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen.—Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; dieser Antrag ist angenommen.
In Umdruck Nr. 953 Ziffer 1 ist der Antrag gestellt, in § 42 Abs. 1 die Worte „im Benehmen mit der Landesjustizverwaltung" durch die Worte „im Einvernehmen mit der Landesjustizverwaltung" zu ersetzen. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Herr Abgeordneter Richter, ich glaube, wir müssen auch hier einmal wieder Irrtümer korrigieren. — Meine Damen und Herren, ich frage also noch einmal: Wer dafür ist, daß entsprechend dem Antrag Umdruck Nr. 953 Ziffer 1 in § 42 Abs. 1 „Benehmen" durch „Einvernehmen" ersetzt wird, den bitte ich, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Eindeutig die Mehrheit dagegen. Der Antrag ist abgelehnt.
Ich bitte die Damen und Herren, die §§ 40 bis 42 unter Berücksichtigung der für §§ 40 und 41 beschlossenen Änderung zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
Ich rufe § 43 auf. Dazu liegt unter Ziffer 2 des Umdrucks Nr. 952 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wünscht ihn jemand zu begründen? — Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Greve!

Dr. Otto Heinrich Greve (SPD):
Rede ID: ID0127001600
Meine Damen und Herren! Der Zweck des Antrags meiner Fraktion ist, das Arbeitsgerichtsgesetz in Übereinstimmung mit dem Grundgesetz zu bringen. Nach den Artikeln 95 und 96 des Grundgesetzes sind die Richter der oberen Bundesgerichte, zu denen auch das Bundesarbeitsgericht gehört, von dem für das jeweilige Sachgebiet zuständigen Bundesminister gemeinsam mit einem Richterwahlausschuß zu berufen. Wer ist nun Richter der oberen Bundesgerichte? Es kann meines Erachtens keinem Zweifel unterliegen, daß Richter sowohl die nach § 42 sogenannten Berufsrichter als auch die nach § 43 sogenannten Bundesarbeitsrichter sind. Das ergibt sich eindeutig aus Art. 92 des Grundgesetzes, in dem es heißt, daß die rechtsprechende Gewalt den Richtern, und zwar den Richtern schlechthin, anvertraut ist. Dabei macht es keinerlei Unterschied, ob — wie in diesem Fall — das Gesetz die Zusammensetzung der Senate des Bundesarbeitsgerichts aus — wie ich der Auffassung bin, hätte es besser heißen sollen — rechtsgelehrten Richtern nach § 42 und nichtrechtsgelehrten Richtern nach § 43 vorsieht. Daß das richtig ist, ergibt sich meines Erachtens eindeutig auch aus § 41 des Arbeitsgerichtsgesetzes, der die nicht als Vorsitzende der Senate mitwirkenden Richter in ihrer richterlichen Funktion als Beisitzer völlig gleichstellt. Wenn es nun so ist, daß sowohl die rechtsgelehrten als auch die nichtrechtsgelehrten Richter nach dem Grundgesetz und nach dem Arbeitsgerichtsgesetz als die rechtsprechende Gewalt ausübende Richter völlig gleichgestellt sind, dann kann es für ihre Berufung keine verschiedenartige Regelung geben. Es gelten die Vorschriften des Art. 95 und des Art. 96 des Grundgesetzes, nach denen sie von einem Richterwahlausschuß zu wählen sind.
Der § 43 des Arbeitsgerichtsgesetzes sieht nun aber vor, daß die nichtrechtsgelehrten Richter des Bundesarbeitsgerichtes nach einem besonderen Verfahren vom Bundesarbeitsminister zu berufen sind, ohne daß ein nach dem Grundgesetz zur Mitwirkung berufener Richterwahlausschuß ihre Wahl vorgenommen hat. Meine Fraktion ist der Auffassung, daß eine solche Vorschrift mit den Bestimmungen des Grundgesetzes im Widerspruch steht, und beantragt deshalb, den § 43 Abs. 1 Satz 1, wie es in Umdruck Nr. 952 niedergelegt worden ist, dahingehend zu ändern, daß die Bundesarbeitsrichter vom Bundesminister für Arbeit gemeinsam mit dem Richterwahlausschuß für die Dauer von vier Jahren berufen werden.
Ich möchte zur Begründung meines Antrags zum Schluß noch auf folgendes hinweisen. Für den Fall, daß das Bundesverfassungsgericht der Auffassung meiner politischen Freunde, die ich hier vertreten habe, recht geben sollte, nach der der § 43 des Arbeitsgerichtsgesetzes in seiner gegenwärtigen Form nicht dem Grundgesetz entspricht, besteht die Gefahr, daß die Richter des Bundesarbeitsgerichtes nicht ordnungsgemäß berufen sind. Wenn aber nicht ordnungsgemäß berufene Richter an den Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts mitgewirkt haben, würden sämtliche so ergangene Entscheidungen rechtsunwirksam sein. Auf die Folgen, die sich an solche Rechtsunwirksamkeit knüpfen, brauche ich im einzelnen nicht hinzuweisen. Ich glaube, es ist den Mitgliedern des Hohen Hauses im einzelnen genügend klar, welche Folgen eine solche Rechtsunwirksamkeit von Entscheidungen haben würde.
Im Hinblick darauf, daß das Arbeitsgerichtsgesetz in allen seinen Bestimmungen dem Grundgesetz entsprechen muß und auch entsprechen soll, bitte ich, dem Antrag meiner Fraktion stattzugeben.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0127001700
Herr Abgeordneter Sabel.

Anton Sabel (CDU):
Rede ID: ID0127001800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über die Frage, die gerade von Herrn Kollegen D r. Greve zur Sprache gebracht wurde, ist auch im Ausschuß lange diskutiert worden. Wir dürfen aber nicht übersehen, wie die Vorschläge für die Bundesarbeitsrichter, also für die Laienbeisitzer, erfolgen sollen. In § 43 Abs. 1 ist gesagt, daß die Richter aus Vorschlagslisten entnommen werden müssen, die von den Verbänden der Arbeitnehmer und der Unternehmer einzureichen sind. Das entspricht der Übung, die auch früher im Arbeitsgerichtsgesetz vorgeschrieben war. Wollten wir der Auffassung von Herrn Kollegen Dr. Greve zustimmen, so hätte das zur Konsequenz, daß der Richterwahlausschuß praktisch an diese Vorschläge gebunden wäre.
Nun heißt es aber in § 10 Abs. 1 des Richterwahlgesetzes:
Der zuständige Bundesminister und die Mitglieder des Richterwahlausschusses können vorschlagen, wer zum Bundesrichter zu berufen ist.
Diese Regelung würde also dazu führen, daß die Vorschläge der Organisationen nicht zum Zuge kommen könnten, sondern daß vielmehr der zuständige Bundesminister und die Mitglieder des Richterwahlausschusses die Vorschläge zu machen hätten. Ich glaube nicht, daß es möglich ist, dem Richterwahlausschuß zuzumuten, eine Liste, die von Organisationen vorgelegt wird, zu schlucken. Ich persönlich bin auch der Auffassung, daß man bei der Abfassung des Grundgesetzes und der Schaffung des Richterwahlgesetzes davon ausgegangen ist, daß es sich um die Mitwirkung des Richterwahlausschusses bei


(Sabel)

der Berufung der Berufsrichter handelt. Es ist leider nicht ausdrücklich gesagt. Deswegen kann die abweichende Meinung aufkommen. Es wäre interessant, ob über diese Frage im Parlamentarischen Rat diskutiert worden ist. Ich möchte annehmen, daß man damals gewollt hat, der Richterwahlausschuß solle nur bei der Wahl der Berufsrichter mitwirken. Ich weise darauf hin, daß die Prozedur, wie sie Herr Dr. Greve vorschlägt und wie sie auch der Antrag vorsieht, zu wesentlichen Schwierigkeiten führte; dann müßten auch die Bestimmungen über die Vorschläge geändert werden.
Ich bitte, dem Antrag nicht stattzugeben. Präsident Dr. Ehlers: Herr Dr. Greve!

Dr. Otto Heinrich Greve (SPD):
Rede ID: ID0127001900
Meine Damen und Herren! Ich vermisse leider, daß der Kollege Sabel auf das eingegangen ist, was ich über die Gleichstellung der rechtsgelehrten und nichtrechtsgelehrten Richter gesagt habe. Er meinte, daß man im Parlamentarischen Rat nur die von ihm so genannten Berufsrichter im Auge gehabt habe. Ich habe mich in meinen Ausführungen bemüht darzulegen, daß es nach dem Arbeitsgerichtsgesetz gar keinen Unterschied zwischen rechtsgelehrten oder Berufsrichtern und nichtrechtsgelehrten oder Bundesarbeitsrichtern gibt. Die richterliche Funktion sowohl der nichtrechtsgelehrten als auch der rechtsgelehrten Bundesrichter am Bundesarbeitsgericht ist eine und dieselbe. Es gibt keinen Unterschied zwischen den Richtern, ob sie rechtsgelehrt oder nichtrechtsgelehrt sind. Das ist auch bei den Beratungen des Parlamentarischen Rats die Auffassung aller derer gewesen, die daran mitgewirkt haben. Wenn das richtig ist, daß es, wie ich schon einmal ausgeführt habe — und ich bitte den Herrn Kollegen Sabel doch darum, darauf einzugehen, wenn er anders argumentieren will —, in der richterlichen Funktion keinen Unterschied zwischen den rechtsgelehrten und den nichtrechtsgelehrten Richtern gibt, kann es auch für ihre Berufung keine unterschiedliche Regelung geben. Da das Grundgesetz die Mitwirkung des Richterwahlausschusses vorsieht, muß auch die Berufung von nichtrechtsgelehrten Richtern am Bundesarbeitsgericht unter Mitwirkung der nach dem Grundgesetz festgelegten Richterwahlausschusses erfolgen. Das kann meines Erachtens gar keinem Zweifel unterliegen. Nur die Sorge um die Verfassungsmäßigkeit der Bestimmung des § 43 des Arbeitsgerichtsgesetzes hat uns veranlaßt, den Änderungsantrag zu stellen.
Die übrigen Bestimmungen des § 43 des Arbeitsgerichtsgesetzes werden dadurch, Herr Kollege Sabel, nicht hinfällig. Sowohl der zuständige Bundesminister als auch die Mitglieder des Richterwahlausschusses haben dann allerdings, wenn die übrigen Bestimmungen des § 43 von Bestand bleiben, nur die in diesem Gesetz festgelegte Möglichkeit, aus den Vorschlagslisten diejenigen Kandidaten herauszugreifen, die sie für die Wahl von Richtern am Bundesarbeitsgericht vorschlagen wollen. Das ist insoweit ein Spezifikum und eine Modifikation gegenüber der Tätigkeit der zuständigen Minister und der Mitglieder des Richterwahlausschusses bei der Wahl von Richtern an den übrigen oberen Bundesgerichten.
Es ist nicht notwendig, irgend etwas anderes zu ändern als das, was meine Fraktion vorgeschlagen hat. Ich bitte Sie dringend, meine sehr verehrten Damen und Herren, unserem Antrag stattzugeben, und mache Sie noch einmal auf die Gefahren aufmerksam, die den vom Bundesarbeitsgericht zu treffenden Entscheidungen drohen, wenn das Bundesverfassungsgericht feststellt, daß § 43 des Arbeitsgerichtsgesetzes nicht dem Grundgesetz entspricht. Dann haben eben bei allen Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Richter mitgewirkt, die nicht ordnungsgemäß berufen sind, mit der Folge, daß sämtliche so ergangenen Entscheidungen rechtsunwirksam sind. Auch das kann keinem Zweifel unterliegen. Ich glaube auch nicht, daß es irgendwie schädlich für die Arbeitsgerichtsbarkeit in ihrer Gesamtheit wie auch für die zu wählenden Richter sein wird, wenn der Richterwahlausschuß auch hier, wie es nach dem Grundgesetz vorgeschrieben ist, mitwirkt.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0127002000
Herr Abgeordneter Ewers!

Hans Ewers (DP):
Rede ID: ID0127002100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Greve irrt, wenn er annimmt, daß dieses Gesetz zwischen den sogenannten Bundesarbeitsrichtern und den Berufsrichtern als Beisitzern keine Unterscheidung mache. Abs. 2 von § 41, den wir soeben verabschiedet haben, befiehlt, daß jeder Senat sich zusammensetzt aus einem Vorsitzenden, zwei Bundesrichtern und je einem Bundesarbeitsrichter aus den Kreisen der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber. Die Bestimmung wäre vollkommen sinnlos, wenn es dem Gesetzgeber ganz gleichgültig wäre, ob da ein Bundesarbeitsrichter oder ein Volljurist als Richter tätig ist. Insofern ist also ein entscheidender Irrtum vorhanden.
Zur Sache im übrigen: Ohne einer subtilen Doktorarbeit, was der Grundgesetzgeber mit dem Richterwahlausschuß bezweckt und gewollt haben möge, vorgreifen zu wollen, möchte ich folgendes feststellen. Man mag zu der Institution des Richterwahlausschusses stehen wie man will; der Zweck dieser Einrichtung ist jedenfalls, der Verwaltung, die normalerweise in den Demokratien politisch geführt wird, nicht das alleinige Recht einzuräumen, die Dauerstellungen unabhängiger Richter zu besetzen, sondern daß demokratische Teile des Parlaments, also der Volksvertretung, daran teilnehmen sollen. Diese Beziehung ist bei den Laienrichtern überhaupt nicht vorhanden; denn sie werden nur auf Zeit gewählt, sie sind absetzbar, indem sie nicht wiedergewählt werden. Bei den Schöffen und den anderen Laienrichtern ist die Voraussetzung ihrer Berufung im übrigen, daß sie — ohne Richterwahlauschuß — von Parlamenten gewählt werden. Hier kommt das Vorschlagsrecht gewisser Verbände hinzu und ihre Herkunft aus dem Arbeitgeber- oder Arbeitnehmerkreis.
Wenn hier eine gewisse Verwirrung eingetreten ist und Kollege Greve als geschickter Jurist sie sich zunutze macht, so beruht das auf dem außerordentlichen Sprachgebrauch dieses Gesetzes. Hier findet sich eine Vokabel, auf die das Augenmerk zu richten ich als literarischer Feinschmecker auf keinen Fall unterlassen möchte. Wir haben das neue wunderschöne Wort „nichtberufsrichterlich" geprägt — so zu lesen in § 41 Zeile 6. Diese Vokabel „nichtberufsrichterlich" zeigt den ganzen Wirrwarr der Begriffe.

(Abg. Dr. Laforet: Sehr richtig!)

Bisher war Richter der Mann, der auf Grund seines Studiums den Beruf zu richten ergriffen hatte. Andere Richter kannten wir bisher nicht, außer Ehrenrichtern vielleicht. Jetzt haben wir plötzlich den vorsitzenden hauptberuflichen Richter und den


(Ewers)

Beisitzer, sonst im allgemeinen Schöffen genannt, der die komische Bezeichnung „Arbeitsrichter" empfangen hat — offenbar aus einem gewissen Dekorumsstolz heraus, um den Mann zu erhöhen.
Ich sage Ihnen ganz offen: Mit diesem Wunsche, eine Titelwirtschaft einzuführen, hat man die klare Begriffsbestimmung verwirrt. Hier handelt es sich überhaupt nicht um eine „Richterwahl", sondern um eine typische Laienrichterbeisitzerberufung; und daß diese nicht durch den Richterwahlausschuß erfolgen kann und darf, ist klar; denn der Richterwahlausschuß ist nur dann in er Wahl frei, wenn er nicht an Vorschlagslisten gebunden ist. Die Bindung liegt hier aber vor, und damit ist das demokratische Element voll gewährleistet. Ich, bin der Ansicht, daß nur unter Verkennung des etwas peinlichen Sprachgebrauchs dieses Gesetzes überhaupt in Erwägung gezogen werden konnte, daß bei diesen Bundesarbeitsgerichtsbeisitzern der Richterwahlausschuß bemüht werden könnte.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0127002200
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Leuze.

Dr. Eduard Leuze (FDP):
Rede ID: ID0127002300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich ganz kurz in Ergänzung zu dem, was Herr Abgeordneter Sabel und Herr Abgeordneter Senator Ewers ausgeführt haben, noch auf einen rechtlichen Gesichtspunkt hinweisen. Die Bestimmung des Art. 96 und folgende über die Einführung eines Richterwahlausschusses ist in das Grundgesetz auf eine Anregung namentlich von Hessen her hineingekommen, wo die Richterwahl bereits eingeführt war. Gerade dort aber denkt niemand daran, die Richterwahl in gleicher Weise neben den Berufsrichtern auch auf die Laienbeisitzer auszudehnen.

(Abg. Ewers: Hört! Hört!)

Vielmehr beschränkt sich hier die Richterwahl durchaus auf das Berufsrichtertum. Gerade dieser Ursprung deutet darauf hin, daß das Grundgesetz in den entsprechenden Bestimmungen analog auszulegen ist. Wenn wir aber das Grundgesetz selber ansehen, so sagt zunächst Art. 96:
Für das Gebiet der ordentlichen, der Verwaltungs-, der Finanz-, der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit sind obere Bundesgerichte zu errichten.
In den Hauptsparten zunächst, Bundesgerichtshof, Bundesfinanzhof, Bundesverwaltungsgericht, sind nirgends Beisitzer verwendet; hier sprechen Recht die Berufsrichter. Das läßt doch jedenfalls die Vermutung zu, daß in Art. 96 vorwiegend und zuerst an das Berufsrichtertum gedacht war. Daß aber das Grundgesetz auch so verstanden sein will, geht meines Erachtens sehr stark auch aus Art. 98 hervor, wo es heißt:
Die Rechtsstellung der Bundesrichter ist durch besonderes Bundesgesetz zu regeln.
Bei diesem Art. 98 hat sicher niemand daran gedacht, in das Wort „Bundesrichter" die Laienbeisitzer, etwa beim Bundesarbeitsgericht, mit einzubeziehen. Die Terminologie des Grundgesetzes ist in diesem Punkt einheitlich. Aber ich glaube, man muß dann das Wort „Bundesrichter" in Art. 98 mit dem gleichen Inhalt lesen, mit dem man dieses Wort auch in Art. 96 zu lesen hat.
Ich glaube, diese rechtlichen Erwägungen sprechen sehr stark dafür, den Art. 96 und den rechtlichen Zwang, die Berufsrichter im Wege der Wahl auszuwählen, nicht auf die Laienbeisitzer auszudehnen.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0127002400
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Arndt.

Dr. Adolf Arndt (SPD):
Rede ID: ID0127002500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich gerade an die letzten Ausführungen des Herrn Kollegen Leuze anknüpfen darf, so trifft es nicht zu, daß man im Parlamentarischen Rat an die, die Sie als Laienbeisitzer bezeichnet haben, nicht gedacht hätte. Es ist auf ausdrücklichen Antrag gerade meiner Fraktion im Parlamentarischen Rat das Bundesarbeitsgericht im Grundgesetz aufgeführt, und vor Augen stand das Reichsarbeitsgericht in der Gestalt, wie es sie zuvor gehabt hatte. Auch das Reichsarbeitsgerichtsgesetz kannte bereits die sachverständigen Richter — die vom Arbeitsleben her sachverständigen Richter — unter der Bezeichnung „Reichsarbeitsrichter". Es trifft daher auch nicht zu, wenn Herr Kollege Ewers meint, es sei hier durch einen unzulässigen Ausdruck im Bundesarbeitsgerichtsgesetz eine Verwirrung eingetreten, die Herr Kollege Greve, wie Herr Ewers meint, als geschickter Jurist sich zunutze gemacht habe. Nun, Herr Kollege Ewers, so sollten wir nicht argumentieren. Es liegt ja niemandem hier daran, irgendeine Haarspalterei zu treiben, sondern es ist doch wirklich ein berechtigtes Anliegen, dafür zu sorgen, daß dieses so außerordentlich wichtige obere Bundesgericht nicht von vornherein mit einem verfassungsrechtlichen Fehler behaftet zur Entstehung gelangt und dadurch Unsicherheit hervorgerufen wird. Darum hat Herr Kollege Greve als Mitglied des Parlamentarischen Rates auch darauf hingewiesen; Herr Kollege Menzel wäre auch dazu imstande, wenn er nicht augenblicklich durch andere Arbeiten verhindert wäre.
Also gerade das, Herr Leuze, was Sie gesagt haben, stimmt nicht, denn das Reichsarbeitsgericht kannte eine gleichartige Erscheinung und stand den Mitgliedern des Parlamentarischen Rates vor Augen, die diese Bestimmung in das Grundgesetz hineingebracht haben. Es ist auch nicht richtig, was Sie über Hessen als Ursprungsland sagen. Im übrigen hatte Bremen auch schon einen Richterwahlausschuß.
Die Regelung in den Ländern ist nicht die, daß sich die Mitwirkung des Richterwahlausschusses auf die rechtsgelehrten Richter beschränkt, die Sie als Berufsrichter zu bezeichnen pflegen. Der Unterschied kommt in den Ländern auf einer ganz anderen Basis daher, daß Schöffen und Geschworene ja nicht von der Exekutive bestimmt werden, sondern ohne jeden Einfluß der Exekutive gewählt werden, so daß da das Element einer Wahl bereits besteht.
Dagegen sollte der Richterwahlausschuß in den Ländern und soll auch im Bunde dazu dienen, nun eine, sagen wir einmal, Entparteipolitisierung der Exekutive vorzunehmen. Das gilt für die nichtrechtskundigen Richter am Bundesarbeitsgericht in gar keiner anderen Weise wie für die rechtskundigen Richter. Deshalb ist es schließlich auch irrig, wenn Herr Kollege Ewers gemeint hat, nach Auffassung von Herrn Greve bestünde keinerlei Unterschied. Herr Ewers, wir sind auch imstande, das Gesetz zu lesen. Wir wissen sehr wohl, daß die Bundesarbeitsrichter als nicht rechtskundige und nur auf Zeit berufene eine andere Regelung haben als die Bundesrichter, die rechtskundig


(Dr. Arndt)

sind und auf Lebenszeit berufen werden, und daß die Senate beim Bundesarbeitsgericht nun in bestimmter Art aus Richtern dieser verschiedenen Qualifikationen in ihrer Ausbildung und in ihrer zeitlichen Dauer zusammengesetzt werden. Aber das ist ja nicht das Entscheidende.
Worauf Herr Kollege Greve mit Recht Wert gelegt hat, ist ja, daß die richterliche Funktion identisch ist. Beide Arten von Bundesrichtern beim Bundesarbeitsgericht haben dieselbe Kompetenz, ohne jeden Unterschied. Sie sind also insofern Organe der bundesrichterlichen Gewalt, so daß auf sie auch dem Ursprung und Sinngehalt nach das Grundgesetz Anwendung zu finden hat.
Es ist deshalb auch nicht richtig, daß Sie diese, wie Sie sagen, Laienrichter als absetzbar bezeichnen; sie sind für die Periode ihrer Wahl nicht absetzbar, und es wäre ein schlechter Brauch, sie nachher je nach ihrer Rechtsprechung etwa zu kritisieren oder zu zensieren. Ich hoffe, daß das niemandem in den Sinn kommt, Sie sind also für die Zeit, in der sie gewählt sind, genau so unabsetzbare und unabhängige Richter wie jeder andere.
Ich bitte Sie, doch darauf zu achten, daß wir hier das Grundgesetz nicht verletzen. Es wäre wirklich eine unerfreuliche Angelegenheit, ein oberes Bundesgericht zu konstituieren, bei dem in Streit steht, ob es dem Grundgesetz entspricht oder nicht, zumal wirklich nicht einzusehen ist, warum hier der Richterwahlausschuß nicht mittätig sein soll. Denn, Herr Kollege Sabel, die Vorschlagslisten sind auch von dem Herrn Bundesarbeitsminister nicht zu „schlucken". wie Sie sich ausgedrückt haben; es sind Vorschläge mit der Maßgabe, daß andere als vorgeschlagene nicht berufen werden können.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0127002600
Keine weiteren Wortmeldungen. — Ich schließe die Besprechung. Ich komme zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck Nr. 952 Ziffer 2. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich bitte die Damen und Herren, die § 43 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe auf die §§ 44 und 45. Keine Wortmeldungen. Ich bitte die Damen und Herren, die diesen beiden Paragraphen zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
Ich rufe auf die §§ 46 bis 63. — Keine Wortmeldungen. Ich bitte die Damen und Herren, die den §§ 46 bis 63 zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
Ich rufe auf die §§ 64 bis 70. — Keine Wortmeldungen. Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit; ist angenommen.
Ich rufe auf die §§ 72 bis 79. — Keine Wortmeldungen. Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
Ich rufe auf die §§ 80 bis 86, 87 bis 91, 92 bis 96, 97 bis 100. -- Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
Ich rufe auf die §§ 101 bis 110. — Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
Zu § 111 liegt der Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck Nr. 951 Ziffer 4 vor. Soll der Antrag begründet werden? — Das ist nicht erforderlich. — Keine Wortmeldungen. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Änderungsantrag auf Umdruck Nr. 951 Ziffer 4 zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; der Änderungsantrag ist angenommen.
Ich bitte die Damen und Herren, die § 111 unter Berücksichtigung der soeben beschlossenen Änderung — — Ja, meine Damen und Herren, jetzt wird's schwierig: ich bekomme in diesem Augenblick einen Antrag Umdruck Nr. 962, ebenfalls zu § 111 Abs. 2, der die Beilegung von Streitigkeiten zwischen Innungsmitgliedern und ihren Lehrlingen betrifft. Hier steht: „Sie werden durch dieses Gesetz nicht berührt", während nach diesem Antrag eingesetzt werden soll — —

(Abg. Schmücker: Ich bitte ums Wort!)

— Das Wort hat Herr Abgeordneter Schmücker. (Abg. Sabel: § 111 ist ja jetzt angenommen!)


Dr. Kurt Schmücker (CDU):
Rede ID: ID0127002700
Es handelt sich um folgendes. Es sollte erreicht werden, daß die Innungsausschüsse die Möglichkeit haben, bei Lehrlingsstreitigkeiten vorher in Tätigkeit zu treten. Nun ist aber die Handwerksordnung noch nicht in Kraft gesetzt, und da ist man der Meinung, daß der erste Vorschlag der Fraktion auf Umdruck Nr. 951 nicht ausreicht, denn dort heißt es: „Bei Inkrafttreten dieses Gesetzes bestehende Vorschriften ...". Wir haben nun „bestehende Vorschriften" in der britischen Zone; diese werden aber durch die Handwerksordnung aufgehoben. In der amerikanischen oder ehemaligen amerikanischen Zone — wenn ich mich einmal so ausdrücken darf — haben wir keine Vorschriften. Nun meinen wir, daß es notwendig ist, eine Formulierung zu finden, die dann auch noch das Ziel, das wir erstreben, erreicht, wenn die Handwerksordnung in Kraft gesetzt sein wird. In der Handwerksordnung heißt es in § 49 unter (2) bei den Aufgaben der Innungen: .. ein gutes Verhältnis zwischen Meistern, Gesellen und Lehrlingen anzustreben", und bei den Übergangsbestimmungen heißt es in § 122, daß in der Gewerbeordnung die hier angezogenen Paragraphen gestrichen werden. Man ist damals so verfahren, weil man die Absicht hatte, diesen Komplex im Arbeitsgerichtsgesetz zu regeln.
Ich darf also zusammenfassend sagen: wir sind ,der Meinung, daß die Fassung, wie sie zunächst vorgeschlagen war, deswegen nicht ausreicht, weil die Handwerksordnung gegenwärtig noch nicht in Kraft ist und wir nicht wissen, wann das der Fall sein wird. Wir möchten aber auf jeden Fall erreichen, daß die Innungsausschüsse in Tätigkeit treten können. Daher bitten wir Sie, unseren Antrag auf Umdruck Nr. 962 anzunehmen.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0127002800
Herr Abgeordneter Sabel!

Anton Sabel (CDU):
Rede ID: ID0127002900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Leider habe ich diesen Umdruck noch nicht. Ich kenne die Formulierung nicht. Ich möchte aber sagen, wie wir zu dem Vorschlag auf Umdruck Nr. 951 gekommen sind. Die Frage ist im Ausschuß


(Sabel)

1 diskutiert worden. Im Ausschuß kam man zu der Auffassung, die Erledigung zurückzustellen, da die Voraussetzung für die Regelung die — ich möchte einmal sagen — Sanktionierung der Organe, wie sie in der Handwerksordnung vorgesehen sind, sei. Im Ausschuß hat man die Auffassung vertreten, man müsse, um diesen Fragenkomplex zu regeln, die Gestaltung der Handwerksordnung abwarten. Die Handwerksordnung ist zwar inzwischen vom Bundestag verabschiedet, aber sie ist aus bekannten Gründen noch nicht verkündet. Deshalb ist zu überlegen, wie dieser Fragenkomplex, der auch von Herrn Kollegen Schmücker angeschnitten worden ist, in diesem Gesetz geregelt werden kann.
Wir glaubten daher, auf das Bisherige abheben und es sanktionieren zu sollen. Dabei waren wir uns darüber im klaren, daß nach der Verkündung der Handwerksordnung unter Umständen überlegt werden muß, ob dann der § 111 Abs. 2 noch ausreicht. Mit unserem Antrag wäre somit dem grundsätzlichen Anliegen entsprochen, und es wäre dann allenfalls notwendig, später, nach Verkündung der Handwerksordnung, zu überprüfen, ob eine Ergänzung oder eine Änderung notwendig ist. Ich glaube, das wäre das geeignetere Verfahren.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0127003000
Herr Abgeordneter Schmücker!

Dr. Kurt Schmücker (CDU):
Rede ID: ID0127003100
Wir verstehen das Bemühen des Kollegen Sabel durchaus, müssen aber darauf hinweisen, daß wir, wenn die Handwerksordnung in — sagen wir einmal — vier Wochen in Kraft tritt, für drei bis vier Monate überhaupt keine Regelung haben. Gerade das wollten wir vermeiden.

(Zuruf des Abg. Richter [Frankfurt].)

Denn in den nächsten drei bis vier Monaten tagen wir nicht, können also die Novelle, die Herr Sabel angeführt hat, nicht einbringen. Gerade, um diese Übergangszeit, die gesetzlose Zeit zu vermeiden, haben wir den Antrag umformuliert.

(Beifall.)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0127003200
Herr Abgeordneter Richter!

Willi Richter (SPD):
Rede ID: ID0127003300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben schon bei verschiedenen Gelegenheiten in diesem Hause gehört, daß beim Handwerk das Verhältnis zwischen Meistern, Gesellen und Lehrlingen außerordentlich gut, ja vorbildlich sei. Deshalb müssen Sie mir schon gestatten, meine Verwunderung darüber zum Ausdruck zu bringen, daß mein verehrter Herr Vorredner, Herr Kollege Schmücker, Angst hat, wenn er nun drei Monate ohne eine Regelung ist, also im Falle einer Streitigkeit zwischen Meister und Lehrling keine Innungsschiedsstellen da sind.

(Zuruf: Das ist falsch!)

Deshalb wird die Welt wirklich nicht untergehen, und es passiert in der ganzen Bundesrepublik nichts! Wenn es so ist, wie Sie sagen — und in der Handwerksordnung steht es ja auch —, daß ein gutes Verhältnis zwischen Meister und Lehrling bestehen soll, dann könnte man überhaupt auf die Sonderstelle verzichten

(Abg. Schmücker: Die Schiedsstellen der Innungen sollen ja gerade das gute Verhältnis fördern!)

und sollte die Arbeitsgerichte, die für diese Streitigkeiten auch für die anderen Berufe, für Handel, Gewerbe und Landwirtschaft, zuständig sind, in Gottes Namen auch in dieser Sache zuständig sein lassen.
Ich möchte Sie aber noch auf den § 17 aufmerksam machen, den wir bereits beschlossen haben. In Abs. 2 dieses Paragraphen ist die Bildung von Fachkammern für die Streitigkeiten bestimmter Berufe und Gewerbe und bestimmter Gruppen von Arbeitnehmern vorgesehen. Dadurch besteht also die Möglichkeit, für das Handwerk bei den Arbeitsgerichten Kammern zu errichten, in denen erstens die unmittelbar beteiligten Gruppen durch die Beisitzer vertreten sind und in denen zweitens all das durchgefochten werden kann, was das Handwerk notwendig zu haben glaubt.
Auf Grund dieser unserer Einstellung bitten wir, sowohl den Vorschlag auf Umdruck Nr. 962 als auch den Vorschlag auf Umdruck Nr. 951 Ziffer 4 abzulehnen.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0127003400
Meine Damen und Herren, das letzte ist schon nicht mehr möglich, da der Antrag inzwischen angenommen ist. Ich stehe aber vor einer geschäftsordnungsmäßigen Schwierigkeit. Wäre der Antrag auf Umdruck Nr. 962 rechtzeitig gestellt worden, dann wäre er der weitergehende Antrag gewesen, und es hätte zuerst über ihn abgestimmt werden müssen. Sind Sie bereit, über den Antrag Umdruck Nr. 962 unter der Voraussetzung abzustimmen, daß bei Annahme der Antrag Umdruck Nr. 951 Ziffer 4 entfällt? Denn beide Anträge nebeneinander können zweifellos nicht bestehenbleiben.

(Zurufe.)

— Der Antrag ist gestellt; mit der Annahme des Antrags Umdruck Nr. 962 erledigt sich der Antrag Umdruck Nr. 951 Ziffer 4. Ich schlage Ihnen vor, daß wir die Abstimmung vornehmen. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag Umdruck Nr. 962 zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen.
— Ich bitte um die Gegenprobe. — Darf ich bitten, die Frage durch Aufstehen zu klären. Ich bitte diejenigen, die für den Antrag Umdruck Nr. 962 sind, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Ich bitte die Damen und Herren, die § 111 in der abgeänderten Fassung zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
Ich rufe auf §§ 112 bis 116. — Keine Wortmeldungen. Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
Die Fraktion der CDU/CSU hat auf Umdruck Nr. 951 unter Ziffer 2 die Einfügung eines § 116 a als Folge der Ersetzung des Wortes „Benehmen" durch „Einvernehmen" an mehreren Stellen beantragt. Die Begründung ist bereits gestern erfolgt. Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich bitte die Damen und Herren, die § 116 a gemäß Umdruck Nr. 951 Ziffer 2 zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. —Das ist die Mehrheit; angenommen.
Ich rufe auf §§ 117 bis 120. — Keine Wortmeldungen. Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
Zu § 121, Berlin-Klausel, liegt ein Änderungsantrag der CDU/CSU auf Umdruck Nr. 951 Ziffer 5 vor.

(Zuruf von der Mitte: Keine Begründung!)

— Keine Begründung. — Keine Wortmeldungen. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit; angenommen.


(Präsident Dr. Ehlers)

Zu § 122 liegt ein Antrag der Fraktion der SPD bezüglich des Inkrafttretens vor, Umdruck Nr. 952 Ziffer 3, und ein damit übereinstimmender Antrag der CDU/CSU. Beide Anträge sehen das Inkrafttreten am 1. Oktober 1953 vor. Bedarf wohl keiner Begründung?

(Abg. Richter [Frankfurt]: Herr Präsident, die beiden Anträge decken sich!)

— Habe ich eben bereits festgestellt, Herr Abgeordneter Richter, und habe daraus geschlossen, daß es keiner Begründung bedarf.
Ich bitte die Damen und Herren, die den übereinstimmenden Änderungsanträgen der SPD und der CDU/CSU zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
Ich bitte die Damen und Herren, die § 122 in der geänderten Fassung zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
Ich bitte die Damen und Herren, die Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; angenommen.

(Abg. Dr. Wellhausen: Ich bitte ums Wort!)

Herr Abgeordneter Wellhausen! Zur Geschäftsordnung, nehme ich an.

(Abg. Dr. Wellhausen: Ja!)


Dr. Hans Wellhausen (FDP):
Rede ID: ID0127003500
Namens meiner Freunde widerspreche ich der dritten Lesung.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0127003600
Meine Damen und Herren, es wird der dritten Lesung widersprochen. Wir sind nicht in der Lage, die Änderungen der zweiten Beratung rechtzeitig zu verteilen. Die dritte Beratung kann also heute nicht stattfinden. Wir werden diesen Punkt in der nächsten Woche auf die Tagesordnung bringen. Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Ich habe zunächst bekanntzugeben, daß der Haushaltsausschuß sich um 16 Uhr im üblichen Raum zu einer Sitzung versammelt.
Ich schlage Ihnen vor, daß wir zunächst den Punkt 2 der heutigen Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Entwurf eines Gesetzes über die Verwaltung der Deutschen Bundespost (Postverwaltungsgesetz) (Nrn. 4407, 3479, 4204, zu 4204, 4388 der Drucksachen),
an die Reihe nehmen, da der Berichterstatter, Herr Senator Dr. Klein, inzwischen eingetroffen ist. Ich schlage Ihnen weiter vor, im Anschluß daran Punkt 17, betreffend die Erhöhung der Posttarife, zu erledigen, was auch ohne Besprechung vor sich gehen soll.
Dr. Klein, Senator von Berlin, Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 22. Mai hat der Bundesrat beschlossen, den Vermittlungsausschuß wegen des Postverwaltungsgesetzes anzurufen. Der Bundesrat wünscht, daß das vom Bundestag verabschiedete Postverwaltungsgesetz in drei Punkten geändert wird.
Der Bundesrat wollte erstens in § 14, der den Erlaß der Benutzungsverordnungen regelt, einen Satz streichen. Der Satz „Die Benutzungsverordnungen bedürfen nicht der Zustimmung des Bundesrates" sollte wegfallen. Der Vermittlungsausschuß hat geglaubt, die Mitwirkung der Länder an dem Zustandekommen der Benutzungsverordnungen durch die Beteiligung des Bundesrates an dem Zustandekommen des Verwaltungsrats hinreichend gesichert zu sehen. Der Verwaltungsrat muß den Benutzungsverordnungen zustimmen. Dementsprechend schlägt der Vermittlungsausschuß Ihnen vor, es bei der Fassung des Bundestages zu lassen und § 14 nicht zu ändern.
Zweitens wollte der Bundesrat dem Postverwaltungsgesetz einen § 31 a des Inhalts anfügen, daß die Postscheck- und Postspargelder in demjenigen Land anzulegen seien, in dem sie aufkommen. Der Vermittlungsausschuß hat sich nicht entschließen können, Ihnen einen dahingehenden Vorschlag zu unterbreiten. Eine Abkehr von der bisherigen Praxis bei der Anlage der Postscheck- und Postsparguthaben würde sich gegen die Einheitlichkeit unseres Wirtschaftsgebietes auswirken.
Als dritten Punkt hat der Bundesrat beantragt, § 6 des Postverwaltungsgesetzes zu ergänzen. Dieser sah vor, daß der Bundesrat von den ihm zustehenden Verwaltungsratsmitgliedern diejenigen auszuwählen habe, die Länderminister seien. Die Überlastung der Länderminister läßt es angebracht erscheinen, auch die Wahl von leitenden Beamten eines Landesministeriums zuzulassen. Dementsprechend hat der Vermittlungsausschuß Ihnen vorgeschlagen, § 6 Abs. 1 Satz 2 wie folgt zu fassen:
die Vertreter des Bundesrates müssen der Regierung ihres Landes angehören oder leitende Beamte eines Landesministeriums sein.
Es wird gebeten, diesem Vorschlag zuzustimmen.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0127003700
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Es wird nicht gewünscht, Erklärungen abzugeben. Ich komme daher zur Abstimmung über den Antrag des Vermittlungsausschusses Drucksache Nr. 4407. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die überwiegende Mehrheit; der Antrag des Vermittlungsausschusses ist angenommen.
Ich komme zu Punkt 17 der heutigen Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Post- und Fernmeldewesen (28. Ausschuß) über den Antrag der Fraktion der FU (BP-Z) betr. Erhöhung der Posttarife (Nrn. 4255, 3630 der Drucksachen).
Herr Abgeordneter Ekstrand als Berichterstatter!

Hans Ekstrand (SPD):
Rede ID: ID0127003800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ausschuß hat sich mit dem Antrag Drucksache Nr. 3630 der FU beschäftigt. Während der Beratung hat das Ministerium erklärt, daß die Deutsche Bundespost nicht die Absicht hat, in dieser Legislaturperiode eine Gebührenerhöhung durchzuführen. Der Ausschuß ist daher der Auffassung, daß eine weitere Beratung überflüssig ist, und ich habe den Auftrag, Sie zu bitten, dem Antrag des Ausschusses, diesen Antrag für erledigt zu erklären, Ihre Zustimmung zu geben.


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0127003900
Ich danke dem Herrn Berichterstatter für die kurze Berichterstattung.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, auf eine Aussprache zu verzichten. Ich komme daher zur Abstimmung. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag des Ausschusses für Post- und Fernmeldewesen Drucksache Nr. 4255 zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die überwiegende Mehrheit; der Antrag ist angenommen.
Damit, meine Damen und Herren, kommen wir zur Abwechslung wieder zur gestrigen Tagesordnung zurück. Ich rufe auf Punkt 9:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen (11. Ausschuß) über den Antrag der Fraktion der FU (BP-Z) betreffend Aufdeckung von Steuerzuwiderhandlungen (Nrn. 374, 3332 der Drucksachen).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Dr. Freiherr von Fürstenberg. Darf ich ihn bitten, das Wort zn nehmen.

Freiherr Elimar von Fürstenberg (CSU):
Rede ID: ID0127004000
Meine Damen und Herren! Uns liegt vor der Antrag der Föderalistischen Union Drucksache Nr. 3332 folgenden Inhalts:
Die Bundesregierung wird ersucht, im Bereich der Besitz- und Verkehrsteuern Erfolgsprämien und Belohnungen für die Mithilfe bei der Aufdeckung von Steuerzuwiderhandlungen nicht zu gewähren, soweit die Vertrauensleute Betriebsangehörige derjenigen Unternehmungen sind, in denen sich Steuerzuwiderhandlungen ergeben haben.
Der Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen hat sich in seiner 204. Sitzung mit dem Antrag befaßt. Zur Begründung wies der Vertreter der Antragsteller darauf hin, daß es gegen den Anstand und das Wesen eines Rechtsstaates verstoße und deshalb untragbar sei, wenn der Angehörige eines Betriebs für eine Anzeige beim Finanzamt über eine Steuerzuwiderhandlung seines eigenen Betriebs eine Prämie erhalte.
Demgegenüber brachte der Vertreter der Regierung folgende Gesichtspunkte vor. Erstens: Steuerhinterziehung ist ein Betrug, und alles, was zur Aufdeckung eines solchen Betrugs dient, muß vom Fiskus beachtet, jede Anzeige muß untersucht werden. Es ist selbstverständlich, daß für geringfügige Vergehen und für Racheakte keine Belohnung gezahlt werden darf. Es geht nur um große Steuersünder. Im übrigen werden auch in anderen Staaten teilweise erhebliche Prozentsätze für die Aufdeckung von hinterzogenen Steuerbeträgen gezahlt.
Zweitens: die Handhabung sei im übrigen bei den Ländern unterschiedlich. Tatsächlich haben die Länder Belohnungen ausgezahlt und auch den Bund veranlassen wollen, entsprechend seinem Anteil am Steueraufkommen an der Zahlung der Belohnungen zu partizipieren. Der Bund hat jedoch bis heute keine Belohnung für die Mithilfe bei der Aufdeckung von Steuerzuwiderhandlungen im Bereich der Besitz- und Verkehrsteuern gezahlt.
Der Ausschuß sah die Argumente, die gegen den Antrag sprechen, nicht für stichhaltig an. Die Mitglieder des Ausschusses waren alle der Meinung, daß eine Belohnung von derartigen Anzeigen vielleicht überhaupt, aber unter allen Umständen für den Fall, daß sie von Angehörigen des Betriebs erstattet werden, grundsätzlich abzulehnen sei. Nach Auffassung des Ausschusses sollen nicht nur diejenigen von einer Belohnung ausgeschlossen werden, die Betriebsangehörige sind, sondern auch die, die Betriebsangehörige waren. Demgemäß wurde der Antrag eingebracht, hinter die Worte „Betriebsangehörige derjenigen Unternehmungen sind" die Worte „oder waren" einzufügen.
Mit dieser Ergänzung hat der Ausschuß dem Antrag Drucksache Nr. 3332 einstimmig zugestimmt und empfiehlt, den Antrag anzunehmen.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0127004100
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wird das Wort gewünscht? Herr Abgeordneter Dr. Bertram im Rahmen einer Redezeit von 40 Minuten, die der Ältestenrat Ihnen vorschlägt.

Dr. Helmut Bertram (FU):
Rede ID: ID0127004200
Meine Damen und Herren! Wir freuen uns, daß unser Antrag vom Ausschuß angenommen worden ist, wenn auch die Finanzverwaltung Einwendungen zu erheben hatte. Diese Einwendungen, die vor allem darauf hinauslaufen, daß der Staat Delikte gegen staatliche Gesetze mit allen Mitteln bekämpfen müsse und auch bekämpfen könne, sind nicht stichhaltig.
Zunächst einmal ist die Kompliziertheit unseres Steuersystems so groß geworden, daß ein Pflichtiger mit den Steuergesetzen leicht in Konflikt kommen kann. Wenn dann eine Anzeige gegen ihn von irgendeinem Denunzianten erstattet wird, wird allzuhäufig vom Unterwerfungsverfahren Gebrauch gemacht, einfach deshalb, weil der Pflichtige, der auch subjektiv in gutem Glauben gehandelt hat, sich scheut, auf der Anklagebank zu sitzen und in öffentlicher Verhandlung seine Unschuld zu beweisen und darzutun, daß er zumindest aus subjektiven Gründen nicht bestraft werden könne. So wird eine bloße Denunziation dazu führen, daß eine Bestrafung erfolgt, obwohl in Wirklichkeit kein Delikt vorliegt. Wenn der Staat diese Denunziation durch Belohnungen fördert, so fördert er damit effektiv Unrecht und bringt nicht das Recht zum Vorschein. Auch da, wo vorsätzliche Steuerzuwiderhandlungen vorliegen, genügt diese Tatsache allein nicht, um eine Denunziation zu rechtfertigen und zu belohnen. Es dreht sich doch hier darum, daß man eine Handlungsweise, die man sonst als Lumperei bezeichnet, in Diensten der Staates als etwas Redliches, als etwas Gutes hinstellen will.

(Zustimmung in der Mitte.)

Ich kann mir nicht helfen, ich finde: das, was beim redlichen einzelnen unehrenhaft ist, ist auch als Mittel der Staatsverwaltung unehrenhaft.
Das ist der Grund, aus dem wir uns gegen diesen Antrag gewendet haben. Es wird darauf hingewiesen, daß Steuervergehen auch tatsächlich echte Delikte seien. Das ist natürlich vollkommen richtig. Aber wir wollen nicht vergessen, was dazu doch allgemein die jüngste Entwicklung gebracht hat, was insbesondere auch Schmölders neulich in seinem Handbuch geschrieben hat. Ich möchte dies kurz einmal zitieren, wenn der Herr Präsident mir die Erlaubnis gibt. Schmölders schreibt:
Es ist ein weitverbreiteter Irrtum, die Steuerdisziplin als Funktion der Durchführung der Steuervorschriften und der Anwendung rigoroser Fahndungs- und Strafbestimmungen zu sehen, so als ob die Finanzverwaltung es in der Hand habe, die Steuermoral durch die


(Dr. Bertram [Soest])

Verschärfung der Kontrollen, durch kräftige Strafandrohungen oder gar durch die behördliche Prämiierung von Steuerdenunziationen zu heben. So einfach liegt das Problem der Steuermoral nicht. Vielmehr kommt es vor allem darauf an, das Vertrauen der Bevölkerung in eine gesunde, sparsame Finanzgebarung des Staates wiederherzustellen und durch eine vereinfachte und verständliche und als gerecht empfundene Ausgestaltung der Besteuerung das Bewußtsein für die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit steuerlicher Maßnahmen wieder herbeizuführen.
Ich glaube, wenn man diesen Weg geht, dann wird man den richtigen Weg gehen. Wenn wir in unserem Antrag nur einen ganz beschränkten Kreis aus der Zahl der Denunziationen aufgegriffen haben, so soll das nicht heißen, daß nun alle übrigen Belohnungen von Denunzianten durch die Finanzverwaltung unsere Billigung fänden. Wir wollen überhaupt, daß dieses Mittel der staatlichen Autoritätswahrung ausscheidet. Der Staat hat durch die Buch- und Betriebsprüfungen und andere Mittel genügend Möglichkeiten, die Steuerehrlichkeit und Steuermoral herzustellen. Er sollte nicht ein solches Mittel, das in sich unsittlich ist, weiterhin verwenden.

(Beifall in der Mitte und bei der FU.)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0127004300
Frau Abgeordnete Lockmann!

Gertrud Lockmann (SPD):
Rede ID: ID0127004400
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Dem vorliegenden Antrag liegt ein moralischer Gedanke zugrunde. Er soll das Denunziantentum innerhalb der Betriebe verhindern. Die Praxis wird lehren, ob man das mit diesem Antrag erreichen kann. Zunächst ist die Frage offen, ob nicht die Steuerhinterziehung unmoralischer ist als die Anzeige mit dem Erfolg, daß dem Staat die hinterzogenen Steuern zugeführt werden können. Das Finanzministerium erklärt: Belohnungen für Angaben im Kampf gegen Hinterziehung von Zöllen und Verbrauchsteuern haben sich als unentbehrliches Hilfsmittel bewährt. Die Länder haben darüber hinaus auch Belohnungen im Bereich der Besitz- und Verkehrsteuern gezahlt. Damit ist klar erkennbar, daß immer noch beachtliche Steuerreserven, die auf Steuerhinterziehungen beruhen, solche Maßnahmen notwendig machen. Strittig ist eigentlich nur, wieviel Milliarden es sein mögen, auf die der Finanzminister bei Ausgleich seines Etats verzichten muß. Auf diesen Zahlenstreit einzugehen, erscheint müßig. Aber manche Aufgabe, die in diesem Hause ungelöst geblieben ist, könnte bei richtiger Steuererhebung erfüllt werden.
Meine Herren und Damen, hoffentlich werden wir mit Hilfe der großen Steuerreform die Steuergesetze so systematisch ordnen, daß das Zeitalter der Steuerhinterziehungen ein für allemal überwunden wäre.

(Abg. Dr. Wellhausen: Sehr gut!)

Dann brauchten wir neben dem Verlust der Steuern auch keine Belohnungen mehr zu zahlen. Zu diesem erstrebenswerten Ziel könnte vielleicht der vorliegende Antrag ein Schritt sein.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0127004500
Keine weiteren Wortmeldungen. Ich bitte die Damen und Herren, die dem
Antrag des Ausschusses auf Drucksache Nr. 4374
zuzustimmen wünschen, ihre Hand zu erheben. —

(Zurufe.)

— Doch, das ist die überwiegende Mehrheit. Jetzt ist der Antrag angenommen.
Ich rufe auf den Punkt 10 der gestrigen Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die landwirtschaftliche Selbstverwaltung (Nr. 4382 der Drucksachen).
In dieser Drucksache ist die schriftliche Begründung der Bundesregierung enthalten. Sie verweist darauf. Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, auf eine Aussprache zu verzichten.

(Zuruf des Abg. Dr. Horlacher.)

— Herr Dr. Horlacher, wozu? Zur Geschäftsordnung oder zur Sache?

(Abg. Dr. Horlacher: Zur Sache!)

— Tut mir leid; der Ältestenrat hat vorgeschlagen, auf eine Aussprache zu verzichten. Ich stelle die Meinung des Hauses fest. Wünscht das Haus auf eine Aussprache zu verzichten? Ich bitte die Damen und Herren, die dafür sind, eine Hand zu erheben.
— Das ist die überwiegende Mehrheit; eine Aussprache findet also nicht statt. Ich schlage Ihnen vor, diesen Gesetzentwurf dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu überweisen. — Das Haus ist damit einverstanden.

(Abg. Dr. Horlacher: Ich bitte, den Gesetzentwurf auch dem Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht zu überweisen!)

— Also federführend der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und mitberatend Rechtsausschuß. Der Rechtsausschuß wird sich freuen. — Herr Geheimrat Laforet freut sich bereits.

(Heiterkeit.)

Ich rufe auf Punkt 11 der gestrigen Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Flurbereinigungsgesetzes (Nr. 3385 der Drucksachen);

(19. Ausschuß)

Die Schriftlichen Berichte des Ausschusses liegen vor. Darf ich fragen, ob eine mündliche Ergänzung erforderlich ist? — Offenbar nicht. Dann ist die Berichterstattung erledigt.
Meine Damen und Herren, wir kommen zur zweiten Beratung. Sie haben eine größere Zahl von Änderungsanträgen der Gruppe der KP im Umdruck Nr. 947 und fünf Änderungsanträge der Fraktion der FU im Umdruck Nr. 954 vor sich.
Ich rufe zunächst auf die §§ 1 bis 9. Darf ich bitten, die Änderungsanträge zu begründen, wenn das Wort gewünscht wird. — Herr Abgeordneter Niebergall!

Otto Niebergall (KPD):
Rede ID: ID0127004600
Meine Damen und Herren! Niemand bestreitet die Notwendigkeit einer Flurbereinigung. Voraussetzung einer solchen Bereinigung ist, daß der Staat die Kosten trägt und daß diese Bereinigung freiwillig und auf demokratischer Grundlage durchgeführt wird und daß die gesamte
*) Siehe Anlage 1 Seite 13365


(Niebergall)

Bevölkerung ,des Dorfes damit einverstanden ist. Die Erfahrung der Vergangenheit lehrt, daß durch die Flurbereinigung, wie sie bisher mittels der Reichsumlegungsordnung von 1938 und 1940 durchgeführt wurde, in unzähligen Fällen besonders die kleinen Bauern hart getroffen wurden. Mit unserem Änderungsantrag zu § 1 bezwecken wir, diese kleinen Bauern zu schützen. Ich bitte Sie deshalb um Ihre Zustimmung.
Mit unserem Änderungsantrag zu § 4 wollen wir erreichen, daß sich die Flurbereinigung eben, wie ich bereits gesagt habe, auf freiwilliger und demokratischer Grundlage vollzieht. Wir bitten um Ihre Zustimmung.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0127004700
Meine Damen und Herren, wünscht die Föderalistische Union ihren Antrag Umdruck Nr. 954 Ziffern 1 und 2 zu begründen?

(Abg. Lampl: Jawohl!)

— Bitte schön!

Roman Lampl (FU):
Rede ID: ID0127004800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach § 4 des vorliegenden Gesetzentwurfs sollen es die Flurbereinigungsbehörden sein, die ohne Antrag Flurbereinigungen anordnen. Wir halten dieses Verfahren für unrichtig, hauptsächlich aus psychologischen Gründen. Die Flurbereinigung bedeutet nun einmal einen starken Eingriff in bestehende und ererbte Besitzverhältnisse. Der Antrag soll daher von draußen kommen, von den Beteiligten, aus der Gemeinde, und zwar von einer bestimmten Mindestzahl der Beteiligten. Deshalb haben wir den Antrag gestellt, die Flurbereinigung soll nur dann angeordnet werden können, wenn mindestens ein Drittel der Beteiligten den Antrag gestellt hat und wenn diese Beteiligten mindestens die Hälfte der zu bereinigenden Fläche besitzen.

(Zuruf von der SPD: Geben Sie es doch gleich auf!)

— Nein. — Diese Regelung wird z. B. in Bayern seit langem praktiziert. Sie hat sich bewährt. Ich darf daher bitten, dem Antrag unter Ziffer 1 des Umdrucks Nr. 954 die Zustimmung zu geben.
Gestatten Sie, Herr Präsident, daß ich gleich Ziffer 2 begründe?

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0127004900
Ja, bitte.

Roman Lampl (FU):
Rede ID: ID0127005000
Wir haben weiterhin einen Antrag gestellt, der verhindern soll, daß die Antragstellung auf Flurbereinigung unnötig erschwert wird. Dem § 4 soll ein Abs. 2 angefügt werden, der den Begriff des „Beteiligten" bezüglich der Antragstellung
— und nur für diesen Zweck — insofern einschränkt, als bei der Feststellung des genannten Drittels der Beteiligten lediglich von den Beteiligten ausgegangen werden soll, die ihre Grundstücke oder ihr Grundstück von einer Hofstelle aus bewirtschaften. Wir denken dabei vor allem an die Realteilungsgebiete. Infolge der Erbteilung ist es dort meist ein höherer Prozentsatz von Beteiligten
— flächenmäßig spielte dies meist keine Rolle —, die keine Beziehung zur Landwirtschaft oder zur Gemeinde mehr haben. Dieser Personenkreis ist inzwischen in die Stadt abgewandert und hat in der Regel kein Interesse an der Flurbereinigung; er ist sogar meist dagegen. Dadurch entstehen Schwierigkeiten. Deswegen soll in dem Drittel der Beteiligten, das zur Antragstellung notwendig sein soll, die Mitzählung dieses Personenkreises unterbleiben. Dadurch wird der Antrag auf Einleitung der Flurbereinigung erleichtert. Aus diesem Grunde wurde unser Antrag unter Ziffer 2 des Umdrucks Nr. 954 gestellt, der sich lediglich — ich betone es noch einmal — auf die Antragstellung beziehen soll.
Ich darf auch hier um Ihre Zustimmung bitten.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0127005100
Zu § 5 Abs. 2 liegt im Umdruck Nr. 961 Ziffer 1 ein Antrag der Abgeordneten Fürst Fugger von Glött und Genossen vor. Wünscht ihn jemand zu begründen? — Offenbar nicht.
Zur Aussprache Herr Abgeordneter Dr. Müller.

Dr. Karl Müller (CDU):
Rede ID: ID0127005200
Meine Damen und Herren! Ich habe nur eine kurze Bemerkung zu machen. Die Gruppe der KP hat 40 Änderungsanträge vorgelegt, weil sie wahrscheinlich der Auffassung ist, daß es billiger ist, wenn man sofort 3'/4 Dutzend zusammenpackt.

(Abg. Niebergall: Das ist ja Unsinn!)

Man hat davon gesprochen, daß das Gesetz auf demokratischer Grundlage beschlossen werden muß. Wir sind nicht gesonnen, uns mit den Anträgen von Kolchosenvertretern hier zu beschäftigen, und werden Ihre Anträge ohne weitere Debatte ablehnen.

(Abg. Niebergall: Ziemlich geistlos!)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0127005300
Herr Abgeordneter Morgenthaler.

Wendelin Morgenthaler (CDU):
Rede ID: ID0127005400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der zweite Antrag der FU bezieht sich auf die Realteilung. Es werden hier alle diejenigen benachteiligt, die vom Vater etwas ererbt haben und die vielleicht in die Stadt gezogen sind, die aber nach wie vor die Verbindung mit der Scholle und mit der Heimat aufrechterhalten. Ich möchte dazu auf folgendes hinweisen. Gerade dadurch, daß sie daheim noch ein Grundstück haben, haben sie Interesse für die Landwirtschaft. Ich betrachte es als nicht im Interesse der Landwirtschaft liegend, wenn man sie ausschließt. Sie sollen genau so behandelt werden wie die Landwirte. Man geht im Gesetz vom Eigentumsbegriff aus. Wenn der Mann vom Vater Eigentum ererbt hat, dann darf man ihn bei dieser Gelegenheit nicht auf die Seite stellen. In § 10 ist ausdrücklich vom Eigentum die Rede. Wenn diese Leute hier zurückgestellt werden, dann bedeutet das für sie eine Benachteiligung in dem, was sie vom Vater übereignet bekamen.
Ich bitte, diesen Antrag unter allen Umständen ablehnen zu wollen.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0127005500
Keine weiteren Wortmeldungen. — Ich schließe die Besprechung.
Ich komme zur Abstimmung über die Änderungsanträge der Gruppe der KP zu den aufgerufenen Paragraphen Umdruck Nr. 947 Ziffern 1 bis 7. Ich bitte die Damen und Herren, die diesen Anträgen zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Diese Anträge sind gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der FU Umdruck Nr. 954 Ziffer 1. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Dieser Antrag ist abgelehnt.


(Präsident Dr. Ehlers)

Ich komme zur Abstimmung über den Antrag Umdruck Nr. 954 Ziffer 2. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Dieser Antrag ist abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Abgeordneten Fürst Fugger von Glött und Genossen zu § 5 Abs. 2 in Umdruck Nr. 961 Ziffer 1. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Dieser Antrag ist abgelehnt.
Ich bitte die Damen und Herren, die nach der Ablehnung aller Änderungsanträge den §§ 1 bis 9 zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; damit sind die Paragraphen angenommen.
Ich rufe auf die §§ 10 bis 15. Dazu liegen keine Änderungsanträge vor. Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit. Sie sind angenommen.
Ich rufe die §§ 16 bis 26 auf. Dazu Änderungsanträge der Gruppe der KPD Umdruck Nr. 947 Ziffern 8 bis 18. Sollen sie begründet werden? — Herr Abgeordneter Niebergall verzichtet auf die Begründung. — Änderungsantrag der FU Umdruck Nr. 954 Ziffer 3.
Herr Abgeordneter Lampl, bitte!

Roman Lampl (FU):
Rede ID: ID0127005600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf sieht in § 16 die Bildung von Teilnehmergemeinschaften vor. Unseres Erachtens werden diesen Gemeinschaften im Gesetzentwurf nicht genügend Möglichkeiten eingeräumt, bei der Durchführung der Flurbereinigung entscheidend und verantwortlich mitzuarbeiten.

(Zuruf von der Mitte.)

— Es ist nicht ganz gleich, Herr Kollege, wie man es nennt. Die Rechtsformen sind in diesen Fällen verschiedene. Die entscheidende, verantwortungsvolle Mitarbeit an dem Unternehmen seitens der Beteiligten ist in deren eigenem Interesse, aber auch zur Durchführung der Flurbereinigung selbst notwendig. Das Interesse der Beteiligten am Unternehmen muß angeregt und erhalten bleiben. Deswegen unser Antrag, § 16 neu zu fassen und an Stelle von Teilnehmergemeinschaften Flurbereinigungsgenossenschaften zu schaffen, deren Mitglieder alle Beteiligten sein sollen. Die Behörde soll lediglich durch einen Beamten vertreten sein, der an die Beschlüsse der Genossenschaft im wesentlichen gebunden sein soll. Das ist das Prinzip der Selbstverwaltung. Die Genossenschaft soll und muß die Gewähr dafür bieten, daß die Beteiligten am Flurbereinigungsunternehmen nicht nur bei dessen Durchführung, sondern auch bei der späteren Unterhaltung der geschaffenen Anlagen und Einrichtungen maßgeblich und verantwortlich eingeschaltet sind. Deswegen darf ich Sie bitten, meine Damen und Herren, dem Antrag zuzustimmen.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0127005700
Keine weitere Wortmeldung. Ich schließe die Besprechung.
Ich bitte die Damen und Herren, die den Anträgen der kommunistischen Gruppe Umdruck Nr. 947 Ziffern 8 bis 18 zuzustimmen wünschen, die Hand zu erheben. — Diese Anträge sind gegen die Stimmen der kommunistischen Gruppe abgelehnt.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag betreffend § 16, den der Herr Abgeordnete Lampl begründet hat, zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Dieser Antrag ist abgelehnt.
Ich bitte die Damen und Herren, die den §§ 16 bis 26 in der Gesamtheit zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; sind angenommen.
Ich rufe auf §§ 27 bis 33. — Änderungsanträge der kommunistischen Gruppe unter Ziffern 19 und 20! — Keine Begründung. Keine weiteren Anträge. — Keine Wortmeldungen. Ich bitte die Damen und Herren, die den kommunistischen Anträgen Umdruck Nr. 947 Ziffern 19 und 20 zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Diese Anträge sind gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt.
Ich bitte die Damen und Herren, die den §§ 27 bis 33 insgesamt zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; ist angenommen.
Ich rufe auf §§ 34 bis 36. — Dazu zunächst der Antrag Fürst Fugger von Glött und Genossen Umdruck Nr. 961 Ziffern 2 bis 4! Soll er begründet werden? — Bitte schön, Fürst Fugger von Glött!

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0127005800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser Antrag bezweckt lediglich, zu verhindern, daß unsere einseitig ausgebildeten Techniker weiteres Unheil anrichten, wie es in der Vergangenheit geschehen ist. Wir wollen nur verhüten, daß die Landschaftspflege, die Frage des Grundwasserstandes usw. vernachlässigt wird. Einen andern Zweck hat dieser Antrag überhaupt nicht. Ich wäre dankbar, wenn das Hohe Haus unserem Anliegen Verständnis entgegenbrächte.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0127005900
Zu §§ 35 und 36 Anträge der kommunistischen Gruppe Umdruck Nr. 947 Ziffern 21 bis 23! — Keine Begründung. — Keine Wortmeldung.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag Fürst Fugger von Glött und Genossen Umdruck Nr. 961 Ziffern 2 bis 4 betreffend § 34 zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit. Die Anträge sind angenommen.
Ich komme zur Abstimmung über die Anträge der kommunistischen Gruppe Umdruck Nr. 947 Ziffern 21 bis 23. Ich bitte die Damen und Herren, die diesen Anträgen zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Diese Anträge sind gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt.
Ich bitte die Damen und Herren, die den §§ 34 bis 36 unter Berücksichtigung der beschlossenen Änderung ides § 34 zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
Ich rufe auf §§ 37 und 38. Dazu die Änderungsanträge Fürst Fugger von Glött und Genossen auf Umdruck Nr. 961 Ziffern 5 bis 8. Ohne Begründung? — Ja. Änderungsantrag der kommunistischen Gruppe auf Umdruck Nr. 947 Ziffer 24 zu § 38 Ohne Begründung? — Keine Wortmeldung.
Ich bitte die Damen und Herren, die den Anträgen der Abgeordneten Fürst Fugger von Glött und Genossen auf Umdruck Nr. 961 Ziffern 5 bis 8 zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; die Anträge sind angenommen.


(Präsident Dr. Ehlers)

Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag der kommunistischen Gruppe Umdruck Nr. 947 Ziffer 24 zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen.
— Dieser Antrag ist gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt.
Ich bitte die Damen und Herren, die §§ 37 und 38 unter Berücksichtigung der beschlossenen Änderungen zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen.
— Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen?
— Die aufgerufenen Paragraphen sind mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe auf §§ 39 bis 43. Zu § 39 Änderungsantrag Umdruck Nr. 961 Ziffer 9 ohne Begründung. Anträge der kommunistischen Gruppe Umdruck Nr. 947 Ziffern 25 bis 28. Der Antrag Ziffer 29 ist zurückgezogen. — Herr Abgeordneter Niebergall!

Otto Niebergall (KPD):
Rede ID: ID0127006000
Meine Damen und Herren! Zunächst eine kurze Bemerkung zu Herrn Dr. Dr. Müller. Man hat uns aus dem Ausschuß herausgewählt, und man muß uns folglich schon gestatten, unsere Gedankengänge zu einem solch wichtigen Gesetz hier zum Ausdruck zu bringen. Wir haben den Änderungsantrag zu § 40 deshalb gestellt. weil wir es in den letzten beiden Jahren erlebt haben, daß 500 000 ha Land, Wald und Wiese unserer Ernährung und Versorgung für militärische Zwecke entzogen wurden. Weil wir befürchten, daß mittels dieses Flurbereinigungsgesetzes Ähnliches geschehen könnte, bitten wir Sie, unserem Antrag die Unterstützung zu geben.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0127006100
Keine weiteren Wortmeldungen. Ich komme zur Abstimmung zunächst über den Antrag der Abgeordneten Fürst Fugger von Glött und Genossen Umdruck Nr. 961 Ziffer 9. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrage zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letzte war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich bitte die Damen und Herren, die den kommunistischen Anträgen Umdruck Nr. 947 Ziffern 25 bis 28 zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Diese Anträge sind gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt worden.
Ich bitte die Damen und Herren, die den §§ 39 bis 43 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
Ich rufe auf §§ 44 bis 55. Änderungsantrag Umdruck Nr. 961 Ziffer 10 betreffend § 45. — Ohne Begründung. Weiterer Änderungsantrag der kommunistischen Gruppe auf Umdruck Nr. 947 Ziffer 30. Keine Begründung.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrage Fürst Fuger von Glött und Genossen auf Umdruck Nr. 961 Ziffer 10 zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag Umdruck Nr. 947 Ziffer 30 zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Dieser Antrag ist gegen einen Teil der Stimmen der Antragsteller abgelehnt.
Ich bitte die Damen und Herren, die den §§ 44 bis 55 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
Ich rufe auf §§ 56 bis 60. Änderungantrag Umdruck Nr. 947 Ziffer 31. — Ohne Begründung. Keine weiteren Wortmeldungen.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrage Nr. 947 Ziffer 31 zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt.
Ich bitte die Damen und Herren, die den §§ 56 bis 60 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
Ich rufe auf §§ 61 bis 64, Änderungsantrag der kommunistischen Gruppe Umdruck Nr. 947 Ziffer 32. — Ohne Begründung. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Änderungsantrag der kommunistischen Gruppe zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt.
Ich bitte die Damen und Herren, die den §§ 61 bis 64 — ich rufe gleichzeitig auf §§ 65 bis 67, 68 bis 78 — zuzustimmen wünschen, ihre Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
Ich rufe auf §§ 79 bis 83. — Keine Wortmeldungen. Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
Ich rufe auf §§ 84 bis 86, Änderungsanträge der kommunistischen Gruppe Umdruck Nr. 947, Ziffern 33 bis 35. — Im Interesse der Vereinfachung rufe ich auf bis § 90, Umdruck Nr. 947, Ziffer 36. — Herr Abgeordneter Niebergall.

Otto Niebergall (KPD):
Rede ID: ID0127006200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unsere Landwirschaft ist mit mehr als 4 Milliarden DM verschuldet. Hinzu kommen die hohen Steuern, die unsere Landwirtschaft belasten, die hohen Industriepreise und jetzt die Naturkatastrophen sowie die Auswirkungen der Liberalisierung für unseren Obst-, Wein- und Gemüsebau und für die Käsewirtschaft. Es ist deshalb unmöglich, die Lasten der Flurbereinigung, wie das in dieser Gesetzesvorlage vorgesehen ist, den Bauern aufzuzwängen. Wir sind der Meinung, die Mittel dazu sollen vom Staat, d. h. von den Ländern und dem Bund, gegeben werden. Geld ist nach unserer Auffassung in Hülle und Fülle da.

(Lachen bei den Regierungsparteien.)

Mit Recht sagen die Bauern draußen in den Versammlungen: Die sollen oben die Ministergehälter abbauen, sollen die Prunkbauten einstellen und sollen das übrige von den Besatzungskosten nehmen; dann haben wir mehr als genug, nicht nur für die Flurbereinigung, sondern auch für andere friedliche Zwecke.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0127006300
Herr Abgeordneter Niebergall, erleichtert es Ihnen die Arbeit, wenn ich hier gleich bis § 107 aufrufe?

(Abg. Niebergall: Ich bin fertig!)

— Sie sind fertig, aha. —
Ich komme zunächst zur Abstimmung über die Anträge auf Umdruck Nr. 947 Ziffern 33 bis 36. Ich bitte die Damen und Herren, die diesen Anträgen zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt.
Ich bitte die Damen und Herren, die den §§ 84 bis 90 zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen.
— Das ist die Mehrheit; angenommen.


(Präsident Dr. Ehlers)

Ich rufe auf §§ 91 bis 103, Änderungsantrag der kommunistischen Gruppe auf Umdruck Nr. 947 Ziffer 37 auf Streichung der §§ 91 bis 103. — Keine Begründung. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Streichungsantrag zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt.
Ich bitte die Damen und Herren, die diese Paragraphen anzunehmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
Ich rufe auf §§ 104 bis 137, Änderungsanträge der Gruppe der KPD Umdruck Nr. 947 Ziffern 38 bis 40. — Keine Wortmeldungen. Ich bitte die Damen und Herren, die den kommunistischen Anträgen zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichnen. — Gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt.
Ich bitte die Damen und Herren, die die, §§ 104 bis 137 anzunehmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
Ich rufe auf §§ 138 bis 153. — Keine Wortmeldungen. Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
Ich rufe auf §§ 154 bis 159, Änderungsanträge der FU Umdruck Nr. 954, Ziffern 4 und 5. — Herr Abgeordneter Lampl zur Begründung, bitte.

Roman Lampl (FU):
Rede ID: ID0127006400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der § 155 enthält eine Liste von Gesetzen, die mit der Verkündung des Bundes -Flurbereinigungsgesetzes außer Kraft treten sollen. Darunter befindet sich auch das bayerische Flurbereinigungsgesetz. Wir halten dieses bayerische Gesetz für besser als das vorliegende Bundesgesetz bzw. dessen Entwurf und bitten deshalb, das bayerische Gesetz zu belassen und dementsprechend in § 155 des vorliegenden Entwurfes „bayerisches Gesetz" zu streichen. Ich bitte, diesem Antrag zuzustimmen.
Aus dem gleichen Grunde beantragen wir unter Ziffer 5, dem § 158 einen Abs. 2 anzufügen des Inhalts, daß das bayerische Flurbereinigungsgesetz durch das Bundesflurbereinigungsgesetz nicht berührt wird. Ich darf bitten, diesem Antrag Ihre Zustimmung zu geben.

(Abg. Renner: Bayern kriegt auch seine eigenen Soldaten wieder!)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0127006500
Keine Wortmeldungen. — Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag der Föderalistischen Union auf Umdruck Nr. 954 Ziffern 4 und 5 zuzustimmen wünschen, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Dieser Antrag ist abgelehnt.
Ich bitte die Damen und Herren, die die §§ 154 bis 159, Einleitung und Überschrift anzunehmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit. Ist angenommen. Damit ist die zweite Beratung beendet. Ich komme zur
Dritten Beratung.
Es ist eine allgemeine Aussprache von 60 Minuten vorgesehen. Herr Abgeordneter Funk.

Friedrich Funk (CSU):
Rede ID: ID0127006600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die, Christlich-Soziale Union ist nicht in der Lage, dem Flurbereinigungsgesetz zuzustimmen.

(Oho! rechts.)

Sie ist von der Notwendigkeit der Flurbereinigung im Interesse der Landwirtschaft und der Ernährung überzeugt. Ich weise aber darauf hin, daß diese Aufgabe in den meisten Ländern seit Jahrzehnten gesetzlich und organisatorisch geregelt und in der Durchführung begriffen ist. Wenn diese Aufgabe auch noch nicht überall abgeschlossen ist, so liegen die Gründe dafür in den sehr verschiedenen Größenverhältnissen des landwirtschaftlichen Grundbesitzes und außerdem noch in den verwaltungsmäßigen und finanziellen Schwierigkeiten der hinter uns liegenden Zeit. Seit der Überwindung dieser Schwierigkeiten ist in Bayern eine verstärkte Flurbereinigung mit neuzeitlichen Methoden im Gange, die durch eine bundesgesetzliche Regelung nur wieder aufgehalten und verzögert wird.

(Vizepräsident Dr. Schäfer übernimmt den Vorsitz.)

Es besteht offenbar die Meinung, daß es nur einer bundesgesetzlichen Regelung bedürfe, um die Flurbereinigung beschleunigt durchzuführen. In Wirklichkeit muß jedes Land unter Berücksichtigung seiner Verhältnisse und seiner jahrzehntelangen Erfahrungen diese Aufgabe selbst lösen.

(Beifall bei der CSU.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0127006700
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Schmidt.
Dr. Schmidt (Niedersachsen) (SP )): Meine sehr verehrten Damen und Herren! Trotz der noch langen Tagesordnung für heute darf ich mir erlauben, einige Bemerkungen zum Thema Flurbereinigung an sich und zu der Vorlage zu machen, zumal wir bei der ersten Lesung keine Debatte gehabt haben, und zum anderen, damit in der Öffentlichkeit nicht der Eindruck entseht, als ob wir diesem Gesetz vorbehaltlos unsere Zustimmung gäben.
Allgemein ist bekannt, daß die Flurbereinigung ein vorrangiges Problem ist.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Einmal Ist sie ein grundlegendes Mittel zur Verbesserung der landwirtschaftlichen Produktionsgrundlage, zum anderen wird sie von vielen als ein Teil einer landwirtschaftlichen Neuordnung beurteilt. Ich glaube, Politiker wie Wissenschaftler sind sich darin einig.
Wir haben uns in vielen Anträgen um eine schnelle Lösung der Flurbereinigung bemüht, und wir konnten daher auch hohe Erwartungen an die Regierungsvorlage stellen, zumal wir ja lange darauf warten mußten. Man hätte hoffen können, das Sprichwort würde hier in Erfüllung gehen: Was lange währt, wird endlich gut. Leider muß ich sagen: für uns war die Vorlage eine Enttäuschung. Die Vorlage selbst bringt nur eine Zusammenfassung aller bisherigen Bestimmungen im Umlegungsrecht, und sie entspricht vor allen Dingen nicht unserer Forderung, die wir in unseren agrarpolitischen Richtlinien niedergelegt haben, daß die bisherigen gesetzlichen Verfahren zeitlich abzukürzen und technisch zu vereinfachen sind.
Ich gebe zu, daß der Fünfte Teil der Vorlage ein Kapitel über die beschleunigte Zusammenlegung enthält. Aber es bleibt leider nur ein untergeordnetes Verfahren. Der Versuch, die ganze Vorlage entsprechend unseren Auffassungen zu ändern, hätte bedeutet, daß man sie der Regierung hätte


(Dr. Schmidt) [Ni dersachsen]

zurückgeben müssen, um daraus zwei neue Gesetze zu machen. Dazu war weder Zeit, noch war die Regierung dazu bereit und in der Lage.
Der Vorteil der jetzigen Vorlage besteht darin, daß der Rechtszersplitterung Einhalt geboten ist. Deswegen und weil keine Verschlechterung gegenüber dem geltenden Recht eintritt, werden wir dem Gesetz auch unsere Zustimmung geben.
Wir haben uns — das muß ich ausdrücklich sagen — im Ausschuß letzten Endes darum bemüht, klare Begriffe und Formulierungen zu schaffen und das Verfahren so eindeutig wir nur möglich zu machen. Daß das notwendig war, erkennen Sie schon aus der Tatsache, daß allein der Bundesrat 91 Änderungswünsche gehabt hat. Ich darf hinzufügen, daß wir viele Versuche haben abwehren müssen, die darauf hinausliefen, die Flurbereinigung mit allen möglichen Mitteln zu durchlöchern; dieser Versuch ist ja auch heute in der Beratung gemacht worden. Wir haben darüber hinaus verhindern müssen, daß die Flurbereinigung mit anderen Maßnahmen — ich meine hier mit Bodenreformplänen und auch mit sonstigen Landbeschaffungsmaßnahmen —gekoppelt wurde. Damit würde nämlich der Flurbereinigung ein sehr schlechter Dienst erwiesen worden sein. Ich darf auf die §§ 87 und 88 verweisen. Es ist eine Kompromißlösung. Sie befriedigt uns noch nicht. Wir werden aber trotzdem, wie ich schon sagte, dem Gesetz unsere Zustimmung geben.
Wir begrüßen es — auch das möchte ich ausdrücklich sagen —, daß in dem Gesetz die betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkte mehr in den Vordergrund gerückt worden sind, daß das Lineal und der Zirkel etwas zurücktreten müssen. Ich weiß, daß das Streben, betriebswirtschaftliche Gesichtspunkte in den Vordergrund zu rücken, bei den Umlegungsbehörden auf außerordentliche Schwierigkeiten stößt. Das nimmt auch gar nicht wunder; denn die Umlegungsbehörden waren bisher das Monopol der Juristen. Nebenbei gesagt: auch das sollte einmal anders werden! Daher ist im Gesetz verankert, daß in vielen Punkten eine Zusammenarbeit mit der gesetzlichen Berufsvertretung notwendig ist.
Die anderen Interessengruppen, die damit zu tun haben — ich meine hier die Siedlung, den Wohnungsbau, den Naturschutz, die Landschaftspflege, die Wasserwirtschaft usw. — sind meines Erachtens weitgehend berücksichtigt worden. Allerdings gingen manche Forderungen zu weit. Ich darf Ihnen einmal ein Beispiel geben. Ein großer Jagdschutzverband hat uns eine Eingabe unterbreitet, in der gefordert wurde, sogar die Jagdberechtigten als Teilnehmer beim Flurbereinigungsverfahren aufzunehmen. Ich meine, solche Vorschläge kann man wirklich nicht ernst nehmen. Ich bedaure jedoch, daß die in der zweiten Lesung gefaßten Beschlüsse, durch die Fragen der Landschaftsgestaltung und der Landschaftspflege noch mehr in den Vordergrund gerückt worden sind, dazu führen werden, daß die Flurbereinigung noch mehr erschwert wird, als es heute schon der Fall ist.
Nun, die Flurbereinigung wird einmal von dem Einfühlungsvermögen der Umlegungsbehörden und zum andern von der Geldfrage abhängen. Man weist uns darauf hin, daß die Flurbereinigung im wesentlichen am Widerstand der Bauern scheitern werde. Demgegenüber möchte ich von vornherein erklären, daß die Schuld an einem etwaigen Scheitern niemals beim Bauern zu suchen ist. Die
Schuld tragen allein der Gesetzgeber und die Behörden. Man kann einfach eine Flurbereinigung nicht mit Holzhammermethoden erzwingen wollen. Hier ist eben eine geistige Vorleistung der Umlegungsbehörden notwendig, um den Bauern klarzumachen, daß die Flurbereinigung letzten Endes auch in ihrem eigenen Interesse liegt. Ich möchte den Bauern sehen, der die Flurbereinigung dann ablehnte. Im übrigen empfehle ich der Bundesregierung, bei der Durchführung dieser Aufgabe für das ganze Bundesgebiet Dringlichkeitsstufen und Dringlichkeitszonen festzulegen.
Nun noch etwas zur Kostenfrage. Das ist ein außerordentlich wunder Punkt. Wenn man, wie bisher, für den Hektar Umlegungsland 300 DM veranschlagte, so würde das bei 7 Millionen Hektar umlegungsbedürftiger Fläche einen Gesamtbetrag von 2,1 Milliarden DM ausmachen. Würde man dagegen andere, vereinfachte Wege gehen, dann käme man mit einem Bruchteil dieser Summe aus. Es ist selbstverständlich, daß die Landwirtschaft einen wesentlichen Teil dieser Kosten nicht aus eigenen Mitteln bestreiten kann. Hier müssen öffentliche Mittel in Anspruch genommen werden. Wenn man die Flurbereinigung will, muß man meines Erachtens auch die Konsequenz daraus ziehen. Ich verweise auf die Haushaltspläne. Im Haushaltsplan des Ernährungsministeriums steht in Kap. 1002 in der Begründung des Tit. 663, daß die Flurbereinigung eine der wesentlichsten Voraussetzungen der Erzeugungssteigerung ist. Man muß staunen, daß für diese wesentliche Voraussetzung nur 1 Million DM bereitgestellt werden. Ich finde, diese Summe ist nicht nur beschämend, sie ist nach meiner Ansicht sogar ein Zeichen für die eigentliche Haltung dieser Bundesregierung. Ich brauche auf der anderen Seite nur an die Millionenausgaben von Förderungsmitteln für andere Zwecke zu erinnern. Der Eingriff in die Eigentumsrechte der Bauern und der daraus entstehende volkswirtschaftliche Nutzen rechtfertigen größere Ausgaben an öffentlichen Mitteln direkter und auch indirekter Art durch den Großeinsatz von Maschinen. Ich nehme an, daß wir bei den Etatberatungen auf diesen Punkt noch einmal zurückkommen werden.
Lassen Sie mich zum Schluß noch einen anderen Gesichtspunkt hinzufügen. Die Flurbereinigung soll — ich glaube, da sind wir alle einer Meinung — eine Maßnahme von Dauer sein. Sie soll aber kein Dauerproblem werden. Deswegen begrüßen wir die Entschließung des Bundesrats, der sich auch der Ernährungsausschuß angeschlossen hat. Wir begrüßen sie deshalb, weil die Flurbereinigung damit zu einer Maßnahme von Dauer gemacht werden kann.
Ich darf zusammenfassen: Alles in allem ist die Flurbereinigung nach der jetzigen Konstruktion für die Regierung nur ein technisches Instrument. Sie ist kein Teil eines großen umfassenden Plans. Sie bringt vor allen Dingen keine Lösung des Problems der Mittel- und Kleinbetriebe. Sie kann nur eine Teillösung sein. Ich bin der Meinung, wir müssen sie in einen großen landwirtschaftlichen Neuordnungsplan hineinstellen. Die Regierung hat einen solchen Plan nicht. Wir bedauern das. Wir bedauern noch mehr, daß all diese Fragen vorwärts zu treiben man letzten Endes einigen Regierungsräten und Oberregierungsräten in den Ministerien überläßt.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Trotz aller dieser Bedenken werden wir dem Gesetzentwurf zustimmen. Wir hoffen, daß wenig-


(Dr. Schmidt [Niedersachsen» stens die einheitliche Rechtsentwicklung uns einige Schritte weiter bringt. Das Wort hat Herr Abgeordneter Niebergall. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Aus dem Schriftlichen Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Abschnitt B, ist ersichtlich, daß für die Flurbereinigung ERP-Mittel zur Verfügung gestellt werden. Niemand in diesem Hause, der über einen eigenen Verstand verfügt, kann annehmen, daß die Amerikaner dieses Geld aus wirtschaftlichen Gründen zum Wohle der deutschen Bauern geben. Im Gegenteil, sie sind ja daran interessiert, ihre landwirtschaftlichen Produkte weiter auf der Basis der Liberalisierung zum Schaden der deutschen Landwirtschaft in Westdeutschland abzusetzen. Deshalb müssen für die Vergebung der ERP-Mittel andere Gründe eine Rolle spielen. Was sind das für Gründe? Bei der Durchführung der Flurbereinigung in den einzelnen Gemarkungen wird eine Verdichtung des bisherigen Festpunktnetzes geschaffen. Durch Festlegung neuer Dreieckspunkte und vor allem durch die Anlage eines vollkommen neuen Polygonnetzes, dessen Koordinaten errechnet werden, ist in militärischer Hinsicht der kleinste Raum in sehr kurzer Zeit festzustellen. (Abg. Dr. Dr. Müller [Bonn] : Das hat man Ihnen aber schön ausgearbeitet!)


(Beifall bei der SPD.)

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0127006800
Otto Niebergall (KPD):
Rede ID: ID0127006900

(Sehr gut! bei der KPD.)


(Lachen in der Mitte.)

— Sie können uns kein X für ein U vormachen, auch nicht den Bauern. Wie bekannt, benötigt sowohl die Artillerie als auch die Luftwaffe unbedingt solche bestimmten Punkte zum direkten und indirekten Beschuß und zur Bombardierung. Im Zuge der technischen Durchführung der Flurbereinigung findet eine vollkommen neue Vermessung des jeweiligen Bereinigungsnetzes und eine Ausmessung aller Kulturausscheidungen im jeweiligen Flurbereinigungsgebiet statt. Es sind dies Wege, Brücken, Böschungen, Kiesgruben, auffallende einzeln stehende Bäume und Feldkreuze. Diese Ausmessung ist deshalb eine wichtige Kartenunterlage. Die Kartierung erfolgt bei der Flurbereinigung in den Maßstäben 1 : 1000, 1 : 2500 und 1 : 5000, also Maßstäben, die im Verhältnis zu der Schießkarte von 1 : 25 000 wesentlich genauere Unterlagen bieten.
Durch die Flurbereinigung erfolgt zu gleicher Zeit die Heranbildung eines großen Stabes von technischem Fachpersonal sowohl in den Flurbereinigungsämtern wie auch als Vermessungstechniker als Fachkräfte in der Kartenherstellung.

(Abg. Dr. Dr. Müller [Bonn]: Wie machen Sie es denn in der Ostzone?)

Dieses erspart die langdauernde Ausbildung von Fachkräften bei einer eventuellen Wehrmacht. — Herr Dr. Dr. Müller, in der Deutschen Demokratischen Republik hat man das nicht nötig; und wenn Sie das in Westdeutschland ändern wollen, bitte, in gemeinsamen Verhandlungen, in gemeinsamer Absprache, in gemeinsamem Auf-einenNenner-Bringen, lassen sich alle diese Probleme lösen.

(Abg. Dr. Dr. Müller [Bonn] : Also wird es auch gemacht!)

Die technische Einrichtung der Flurbereinigungsämter, z. B. die neuen Produktionsabteilungen, sowie die Instrumente wären im Bedarfsfalle, im Falle eines Krieges, sofort für Kriegszwecke zu verwenden. Im Zuge der Flurbereinigung besteht die Möglichkeit, Flächen und Gebiete zu schaffen, die militärischen Zwecken dienen. Wir haben interessanterweise erlebt, daß die Sozialdemokratische Partei sagt, sie sei nicht mit diesem Gesetz einverstanden, sie werde aber diesem Gesetz, wie der Sprecher das zum Ausdruck brachte, trotzdem ihre Zustimmung geben. Das bedeutet auch, daß sie zustimmt, daß im Rahmen der Flurbereinigung den Bauern das Land für militärische Zwecke genommen wird. Aus dieser Tatsache geht klar hervor, daß das Flurbereinigungsgesetz unter anderem eine Vorleistung für den Generalvertrag, für die Kriegsverträge von Bonn und Paris ist.
Dieses Gesetz hat aber auch eine andere Seite. Es soll dazu beitragen, die wirtschaftlich Mächtigen im Dorf zu stärken, das zu realisieren, von dem der Herr Bundesminister Professor Dr. Niklas in Kreuznach sprach, daß nämlich 700 000 kleinbäuerliche Betriebe angesichts der Grausamkeit des Weltgeschehens zugrunde zu gehen haben. Den wesentlichen Vorteil von der Flurbereinigung haben die wirtschaftlich Mächtigen im Dorf, während das Gros durch den Flächenverlust von 5 bis 10 % und die anfallenden Kosten für die Flurbereinigung, die bis zu 300 DM pro Hektar betragen, zu leiden haben. Da sich die rationellen Arbeitsmethoden mit Maschinen und Geräten nur eine kleine Schicht im Dorfe erlauben kann, wäre die Vernichtung des kleinbäuerlichen Besitzes die Folge dieses Gesetzes.
Dieses Flurbereinigungsgesetz hat einen vollkommen antidemokratischen und diktatorischen Charakter. Erstens soll die Flurbereinigung von der Flurbereinigungsbehörde dann angeordnet werden, wenn sie die Voraussetzung als gegeben ansieht. Ausgeschaltet werden soll die Freiwilligkeit der Bereinigung und das demokratische Recht der Bestimmung der Dorfbevölkerung selber.
Zweitens sollen den Bauern gegen ihren Willen die Kosten der Flurbereinigung auferlegt und bei Nichtbezahlung gerichtlich eingetrieben werden.
Drittens besagen die Erfahrungen der Vergangenheit, daß eine Bereinigung von Wald und Weinbergen. teilweise auch von Wiesen und Viehweiden unvermeidlich eine Benachteiligung einzelner Beteiligter bringt. Deshalb wird eine Bereinigung gerade auf diesen Gebieten von dem Gros unserer Bauern abgelehnt.
Es ist sehr interessant, daß die SPD dieses Gesetz schluckt. Herr Kollege Schmidt stellt sich hier hin und sagt: Ja, das belastet unsere Bauern. Aber wir haben ja einen ganz konkreten Änderungsantrag eingebracht, wonach der Bund und die Länder diene Kosten zu tragen haben. Trotzdem hat die SPD dagegen gestimmt.
Das vorliegende Flurbereinigungsgesetz dient keineswegs unserer Nation. Es ist antinational. Es dient in erster Linie der Kriegsvorbereitung sowie den Großen im Dorf und trifft die Kleinen. Der Beifall jener, die bisher die Bodenreform verhindert haben, für dieses Gesetz zeigt ganz klar, worum es sich bei diesem Gesetz handelt.

(Beifall bei der KPD.)



Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0127007000
Das Wort hat der Abgeordnete Lampl.

Roman Lampl (FU):
Rede ID: ID0127007100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir betrachten den vorliegenden Entwurf für ein Bundesflurbereinigungsgesetz so recht als ein Beispiel dafür,- wie der Bund bestrebt ist, die Gesetzgebung an sich zu ziehen und die Zuständigkeiten der Länder zu beschneiden.

(Sehr gut! bei der BP.)

Im Falle des Flurbereinigungsgesetzes hat Bayern schon im Bundesrat die Zuständigkeit des Bundes bestritten und erklärt, daß ein Bundesflurbereinigungsgesetz weder berechtigt noch sachlich vertretbar ist. Bayern besitzt seit langem ein eigenes Flurbereinigungsgesetz. Das zur Zeit geltende besteht seit 1932. Es wurde 1946 wieder in Kraft gesetzt, nachdem es sich gezeigt hatte, daß das inzwischen eingeführt gewesene Reichsumlegungsgesetz den Bedürfnissen nicht gerecht zu werden vermochte. Seit 1946 nun wird in Bayern die Flurbereinigung wieder nach dem eigenen Gesetz mit bestem Erfolg durchgeführt.
Nach statistischen Unterlagen liegen die Arbeitsergebnisse der bayerischen Flurbereinigungsämter zur Zeit an erster Stelle unter allen Bundesländern. Bezeichnend ist auch, daß der erste Lehrgang für Flurbereinigung, der nach 1945 vom Bund aus stattgefunden hat, 1951 — wohl nicht zufällig — in Bayern abgehalten worden ist.

(Zuruf .von der SPD.)

— Ja, das stimmt; es ist Tatsache, Herr Kollege! — Ein Teilnehmer dieses Lehrgangs, ein Beamter der niedersächsischen Flurbereinigungsbehörde, hat anläßlich einer Besichtigungsreise des Ernährungsausschusses im Herbst 1951 in einer öffentlichen Aussprache erklärt — die hier anwesenden Mitglieder dieses Ausschusses können es bestätigen —, er habe gesehen, wie vorbildlich die bayerische Flurbereinigung arbeite, und daß man Bayern um sein Flurbereinigungsgesetz beneiden müsse.
Meine Damen und Herren! Bei dieser Sachlage ist es wirklich nicht angebracht, ein bewährtes Ländergesetz durch ein Bundesgesetz zu ersetzen, zu ersetzen übrigens durch ein weniger gutes Gesetz. Der Bundesgesetzentwurf atmet den Geist der verflossenen Reichsumlegungsordnung. Er beschneidet die verantwortliche Mitarbeit der Beteiligten, die doch so willkommen sein muß, und vermindert zudem das Interesse der Beteiligten an der Flurbereinigung. Es ist nicht einzusehen, warum die Behörde die Flurbereinigung allgemein ohne Antrag anordnen soll. Ein Flurbereinigungsverfahren bedeutet für eine Gemeinde eine Art „Erdrutsch". Der Entschluß dazu ist nicht leicht. Um so gründlicher muß er überlegt werden, und um so wichtiger ist es, die Dinge zu einer gewissen Reife kommen zu lassen. Die Initiative der Beteiligten muß daher in den Vordergrund gestellt werden! Um so überzeugter werden die Beteiligten dann zu ihrem Unternehmen stehen, um so eher das geschaffene Werk als ihr eigenes betrachten. Um so leichter wird es dann auch der Behörde, zu arbeiten, und um so besser ist das Ergebnis. Auch zahlreiche sonstige Bestimmungen des Gesetzes bedeuten eine Schlechterstellung mindestens der bayerischen Landwirtschaft, u. a. die Bestimmung über das Beschwerderecht, z. B. im Falle der Landneuzuteilung.
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, zusammenfassend sagen: Wir sehen in der Flurbereinigung eine der vordringlichsten Maßnahmen zur Hebung der Leistungsfähigkeit und zur Rationalisierung der Landwirtschaft. Wir brauchen vielleicht ein Bundesrahmengesetz, um den Ländern, die noch kein eigenes Gesetz haben, die Möglichkeit zu schaffen, möglichst bald ein solches Gesetz zu erhalten. Wir brauchen aber auf keinen Fall ein Gesetz, das alle Fluren zwischen der Nordsee und unseren bayerischen Bergen einheitlich umlegen und zusammenlegen will.

(Sehr richtig! bei der FU.)

Wir brauchen kein Bundesgesetz, wenn es nachweislich ein bewährtes Landesgesetz gibt und das Bundesgesetz dann dieses Landesgesetz aufhebt.
Weil der vorliegende Entwurf das will, muß meine Fraktion, die Föderalistische Union— Bayernpartei-Zentrum —, dieses Bundesflurbereinigungsgesetz ablehnen.

(Beifall bei der FU.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0127007200
Das Wort hat der Abgeordnete Bauknecht.

Bernhard Bauknecht (CDU):
Rede ID: ID0127007300
Meine Damen und Herren! Meine Absicht ist nicht, zu dem Inhalt des Gesetzes zu reden, ich möchte vielmehr nur das Hohe Haus auf folgendes aufmerksam machen. Wenn dieses Flurbereinigungsgesetz in Kraft tritt, haften an ihm noch eine ganz große Anzahl Mängel. Man wird nämlich sehen, daß dort, wo die Fluren bereinigt werden und man sich nicht bemüßigt fühlt, zu verhindern, daß später, im ersten Erbgang bereits, wieder eine Teilung erfolgt, die öffentlichen Gelder verschwendet werden. Es ist deshalb begrüßenswert, daß der Bundesrat eine Entschließung eingebracht hat, der sich der Ernährungsausschuß des Bundestags voll angeschlossen hat, in der von der Regierung verlangt wird, daß beschleunigt entweder ein neues Gesetz kommt oder daß durch irgendwelche Vorschriften verhindert wird, daß zusammengelegte Fluren wieder aufs neue geteilt werden.
Ein Zweites. Die Öffentlichkeit ist oft der Auffassung, daß Wesentliches für die Rationalisierung der Landwirtschaft getan sei, wenn die Fluren bereinigt seien. Ich mache darauf aufmerksam, daß folgende Dinge weiterbestehen. Bei unseren traditionellen Siedlungen, bei den geschlossenen Dörfern bleibt die Weite der Wege bestehen. Die Feldstücke können wohl auf einen Rayon zusammengelegt werden, aber die Entfernungen vom Hof zu den Fluren werden dadurch nicht kürzer.
Weiter bleibt die Dorfenge nach wie vor bestehen. Es wäre deswegen vielleicht ganz gut, wenn einige Dörfer miteinander die Fluren bereinigten und man Abmachungen treffen könnte, daß jeweils wenigstens ein Teil der Bauern gleichzeitig ausgesiedelt würden und daß dort, wo die Dorffluren zusammenstoßen, einige Einzelhöfe oder Weiler errichtet würden.
Das ist an und für sich nichts Neues, es ist nur die Fortsetzung dessen, was unsere Altvordern schon vor Jahrhunderten gemacht haben. Ich erinnere daran, daß in meiner Heimat, im Allgäu, bereits im Jahre 1680 aus der Erkenntnis der Klöster, die die Lehensgüter hatten, die Vereinigung durchgeführt wurde. Wir sind heute froh, daß das damals geschehen ist. Aber es scheint, als ob man diese Dinge nun nicht mehr praktizieren wollte. Sehen wir in das Ausland hinaus, nach Dänemark, nach


(Bauknecht)

Holland, nach Schweden! Dort hat man eine echte Bauernbefreiung vor 100 und 150 Jahren dadurch durchgeführt, daß man die Dörfer aufgelöst und Einzelhöfe geschaffen hat. Es nimmt uns deswegen nicht wunder, daß man dort eben billiger produzieren kann, wenn die Fluren geschlossen um den Hof liegen. Es ist wirklich notwendig, daß auch bei uns Mittel für diese Aussiedlungen bereitgestellt werden. Sonst bleibt eben die alte Dorfenge bestehen, wir kommen aus den Schwierigkeiten nicht heraus und werden auch in einem kommenden Europa nicht wettbewerbsfähig sein.

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0127007400
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Horlacher.

Dr. Michael Horlacher (CSU):
Rede ID: ID0127007500
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe zunächst den grundsätzlichen Ausführungen des Sprechers der CSU, des Abgeordneten Funk, nichts Gegenteiliges hinzuzufügen. Daß da kein Irrtum entsteht! Aber ich möchte dazu folgendes sagen. Für uns in Bayern ist dieses Flurbereinigungsgesetz, das weit über ein Rahmengesetz hinausgeht, eine sehr schmerzliche Angelegenheit, um so mehr, als wir in Bayern — das nehmen wir für uns in Anspruch; Württemberg ist auch etwas nachgefolgt — auf dem Gebiete der Flurbereinigung eine mustergültige Regelung getroffen haben.

(Sehr richtig! bei der CSU.)

Es ist nicht so, daß wir von den andern zu lernen brauchen, sondern die andern müssen von uns lernen.

(Sehr richtig! bei der CSU.)

Sie haben ja den Grundsatz auch in dem § 102 anerkannt, wo Sie das beschleunigte Verfahren zur Durchführung der Flurbereinigung, das in Bayern angewandt wird, auch für Bayern wohlweislich belassen haben. Denn Sie wissen ganz genau, daß wir zur rascheren Durchführung der Flurbereinigung jetzt die Einrichtungen geschaffen haben, die die anderen nachmachen müssen. Nach meiner Überzeugung wäre es chon möglich gewesen, daß die anderen Länder sich nach dem bayerischen Beispiel in ihren Länderparlamenten selber Flurbereinigungsgesetze geschaffen hätten.

(Sehr richtig! bei der CSU.)

Dazu hätten sie kein Bundesflurbereinigungsgesetz gebraucht. Das ist für uns der schwerwiegende Punkt.
Auf der anderen Seite ist es für uns besonders schmerzlich, daß das gute alte bayerische Flurbereinigungsgesetz, das im Jahre 1946 wieder aufgenommen wurde, außer Kraft tritt, weil in diesem Gesetz eine Reihe von Bestimmungen enthalten sind — der Herr Kollege Lampl hat schon darauf hingewiesen —, die eine vernünftigere Einschaltung der Beteiligten gewährleisten als das jetzige Gesetz. Der Kollege La m p l hat auf die Genossenschaften hingewiesen, die zur Durchführung der Flurbereinigung bestehen. Ich will mich da auf Einzelheiten nicht mehr einlassen. Das ist für uns alles eine Angelegenheit, die man kaum verstehen kann. Dabei steht juristisch einwandfrei fest — der Herr Kollege Laforet war selber in dem Parlamentarischen Rat, wie er geheißen hat, dabei, und aus den Protokollen geht es hervor —, daß die Flurbereinigung nicht zu den Gebieten gehört, die durch ein Bundesgesetz zu regeln sind. Vielmehr war die Flurbereinigung nicht unter die Gegenstände aufgenommen, die von Bundes wegen geregelt werden sollten. Das möchte ich einwandfrei feststellen. Das Gesetz geht weit über den Rahmen hinaus, der im Grundgesetz zugestanden worden ist.
Aus diesem Grunde ist es für uns konsequenterweise absolut notwendig, daß wir von seiten der CSU diesem Gesetz unsere Zustimmung versagen. Darüber möchte ich keinen Zweifel lassen. Wir haben in den Beratungen mitgemacht, um so viel an Verbesserungen anbringen zu können, wie es bei den Gesamtverhältnissen, die sich da ergeben haben, möglich war. Wir müssen also das Flurbereinigungsgesetz ablehnen. Wir hätten gewünscht, daß die einzelnen Länder sich nach einem Bundesrahmengesetz mit wenigen Bestimmungen selber Flurbereinigungsgesetze geschaffen hätten. Das ist nicht geschehen. Daraus, daß wir aus verfassungsmäßigen und praktischen Gründen dieses Gesetz ablehnen, darf aber nicht der Schluß abgeleitet werden, daß wir gegen die Flurbereinigung als solche wären. Die Flurbereinigung halten wir für absolut notwendig. Wir hätten es aber für notwendig gehalten, daß die anderen Länder einmal dem guten Beispiel Bayerns gefolgt wären. Es kommt nicht lauter Schlechtes von uns, sondern es kommt auch Gutes. Das müssen Sie auch anerkennen. Auf dem Gebiet der Flurbereinigung sind wir die Pioniere gewesen, und es wäre eine Anstandspflicht gewesen, daß Sie uns gefolgt wären.

(Abg. Kriedemann: Aber das Geld vom Bund wollen Sie doch nehmen, Herr Horlacher, was?)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0127007600
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dannemann.

Robert Dannemann (FDP):
Rede ID: ID0127007700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Von verschiedenen Sprechern ist bereits darauf hingewiesen worden, daß eine der vordringlichsten Maßnahmen, die wir in der Landwirtschaft überhaupt durchzuführen haben, eine einheitliche und großzügige Flurbereinigung ist. Man macht so oft und so gern der Landwirtschaft den Vorwurf, daß sie nicht modern sei, daß sie nicht mit der auswärtigen Landwirtschaft konkurrieren könne. Man macht ihr den Vorwurf, daß sie insbesondere auf dem Gebiete der Technisierung nicht mit dem Ausland Schritt gehalten habe.
Wie liegen die Verhältnisse? Fahren wir einmal durch unser Bundesgebiet, dann müssen wir feststellen, daß es sich bei der Vielzahl der etwa zwei Millionen bäuerlicher Betriebe, die wir haben, in der Hauptsache um klein- und mittelbäuerliche Betriebe handelt und daß sehr viel von der mühseligen Arbeit der Landwirtschaft an den Rädern hängenbleibt, weil die vielen Parzellen irgendwo zerstückelt in der Flur herumliegen. Wir sind daher der Meinung gewesen, daß man mit allem Nachdruck und beschleunigt ein Flurbereinigungsgesetz für das ganze Bundesgebiet durchführen sollte.
Ich bin mir auch klar darüber, daß dies nicht nur eine Angelegenheit der Landwirtschaft ist, sondern daß es eine Angelegenheit des gesamten Staates ist. Wir haben daher die Auffassung vertreten, daß auch hier wesentliche Mittel des Bundes eingesetzt werden sollten. Ich habe in gewisser Hinsicht Verständnis dafür, wenn sich die Kollegen aus Bayern dagegen sträuben, daß nun ihr wirklich gutes Flurbereinigungsgesetz im Zuge dieser einheitlichen Regelung außer Kraft gesetzt werden soll. Ich darf aber zu Ihrer Beruhigung sagen, meine Damen und


(Dannemann)

Herren, daß wir uns im Ernährungsausschuß gerade dieses gute bayerische Gesetz zum Vorbild genommen haben und daß viele Gedankengänge, die hier verwirklicht worden sind, weiter nichts sind als die Nachahmung der Bestimmungen, die in dem guten bayerischen Gesetz niedergelegt sind.

(Hört! Hört! bei der FU.)

Infolgedessen ist es wirklich kein Rückschritt, wenn wir jetzt den Standpunkt vertreten, daß der Einheitlichkeit wegen das, was sich dort gut bewährt hat, auf das gesamte Bundesgebiet ausgedehnt werden sollte. Ich bitte daher, auch unseren Standpunkt als richtig anzuerkennen, der dahin geht, daß die Streichung des bayerischen Gesetzes, die wir in dem abschließenden Katalog angeführt haben, nicht irgendein Schritt gegen Bayern ist, sondern wir wollen damit nur das, was sich gut bewährt hat, auf das gesamte Bundesgebiet ausdehnen. Ich bitte infolgedessen, auch diesem Vorschlag des Ernährungsausschusses zuzustimmen und die Änderungsanträge abzulehnen.

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0127007800
Keine weiteren Wortmeldungen. Damit ist die allgemeine Aussprache zur dritten Beratung geschlossen.
Wir kommen zur Einzelberatung. Änderungsanträge liegen nicht vor.

(Abg. Dr. Dr. Müller [Bonn]: Doch!)

— Ja, dann müßte ich ihn haben, sonst kann ich ihn nicht aufrufen. — Zu § 37 liegt also lediglich ein Änderungsantrag von Herrn Abgeordneten Dr. Müller vor. Zur Begründung Herr Abgeordneter Dr. Müller!

Dr. Karl Müller (CDU):
Rede ID: ID0127007900
Meine Herren, zu § 37 ist der Antrag Umdruck Nr. 961 Ziffer 6 angenommen worden, der bestimmt, daß neben den Wegen, Gräben und anderen gemeinschaftlichen Anlagen auch Neupflanzungen zu schaffen sind. Meine Freunde und ich sind der Auffassung, daß dieses Wort nicht stehenbleiben darf.

(Abg. Kriedemann: Sehr richtig!)

Denn was heißt „Neupflanzungen"? Darunter kann man Gehölz verstehen, darunter kann man auch einen Forst oder einen Park verstehen

(Abg. Kriedemann: Und überflüssige Einmischungen in die Flurbereinigung!)

— und überflüssige Einmischungen in die Flurbereinigung. Ich bitte Sie, meinem Antrag, den Text der Ausschußvorlage in diesem Punkte wiederherzustellen, zuzustimmen, weil es sonst in einer ganzen Reihe von Zusammenlegungen Komplikationen gibt, die dem Verfahren nicht dienen werden.

(Abg. Kriedemann: Sehr richtig!)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0127008000
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Horlacher.

Dr. Michael Horlacher (CSU):
Rede ID: ID0127008100
Meine sehr verehrten Damen und Herren! An diesem praktischen Beispiel sieht man wieder, wie notwendig es gewesen wäre, die Flurbereinigungsgesetze den Ländern zu überlassen. Die Geschichte ist praktisch nämlich so. Wir haben in der Flurbereinigung — das haben wir letzthin bei einem Vortrag an Hand von Bildern vorgeführt bekommen — auch eine Reihe von Fehlern begangen. Man kann bei der Flurbereinigung nicht einfach so vorgehen, daß man alle Pflanzungen, die Schutzpflanzungen für die Natur und den Boden sind, einfach herausnimmt und daß man hier auch gewisse Abholzungen vornimmt, weil das bequemer ist und weil die Flurbereinigungsfläche sich besser verteilen läßt. Das ist nämlich eine sehr gefährliche Angelegenheit. Das führt unter Umständen dazu — wenn das unsachgemäß gemacht wird und wenn hier die Sachverständigen des Naturschutzes nicht auch ein Wort mitzureden haben —, daß man hier Bodenverhältnisse schafft, bei denen der Boden Wind und Wetter und allen möglichen Dingen ausgesetzt ist und die zu einer Verschlechterung des Grund und Bodens führen können. Deswegen ist der Antrag so gemeint, daß hier dafür gesorgt werden muß, daß unbedingt entsprechende Pflanzungen wieder stattfinden; denn unsere Alten waren auch nicht so dumm, wie wir heute oft annehmen. Die haben ihre Gräben und ihre Schutzpflanzungen deswegen gehabt, weil sie zur Erhaltung der Kultur notwendig waren, um die Kultur gegen die Einflüsse, die von den Witterungsverhältnissen herrühren, zu schützen. Deswegen ist es notwendig, diesen Gesichtspunkten Rechnung zu tragen.
Ich würde Sie dringend bitten, das, was in der zweiten Lesung angenommen worden ist, beizubehalten. Das ist für uns im Süden bei dem welligen Gelände und bei dem Unterschied zwischen Berg und Tal eine absolute Notwendigkeit. Bei Ihnen droben in der flachen Ebene ist es vielleicht auch eine Notwendigkeit. Der Begriff „Neupflanzung" wird schon entsprechend ausgelegt. So dumm sind die zuständigen Leute auch nicht, daß Sie meinen, Sie müßten neue Pflanzungen machen. Nein, Sie müssen Ersatzpflanzungen machen. Bei der Zusammenlegung wird dann dafür gesorgt werden müssen, daß das entsprechend geregelt wird. Von mir aus können Sie sagen: Ersatzpflanzungen. Ich bin damit einverstanden. Dann ist das geradeso. Wir haben dann eine gewisse Bewegungsfreiheit. Also, Herr Kollege Müller, sagen wir: „Die notwendigen Ersatzpflanzungen." Das wäre vielleicht das beste. Dann haben wir das getroffen, was wir hier wollen.

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0127008200
Herr Abgeordneter Dr. Müller.

Dr. Karl Müller (CDU):
Rede ID: ID0127008300
Meine Damen und Herren! So harmlos, wie Herr Kollege Horlacher die Dinge ansieht, sind sie nicht. Er kann überzeugt sein, daß auch wir in der Ebene den Nutzen der Schutzpflanzungen durchaus kennen, denn in den letzten Jahren sind bei uns eine Reihe von Pflanzungen in gemeinsamer Arbeit entstanden. Die werden aber durch die Bestimmung der Ausschußfassung des § 37 nicht behindert. Denn hier steht: „Auch andere gemeinschaftliche Anlagen sind zu schaffen, Bodenverbesserungen vorzunehnehmen". Meine Damen und Herren, das umfaßt gerade diese Tätigkeit. Der weitgehende und unklare Begriff „Neupflanzungen" ist abzulehnen, denn er eröffnet jeder Auslegung Tür und Tor. Ich kann mir vorstellen, daß Zeitgenossen, die es verstehen, das Geld anderer Leute für sich in Bewegung zu setzen, hier den Versuch machen, sich auf Kosten der Allgemeinheit Vorteile zu verschaffen.
Auch der letzte Vorschlag von Herrn Kollegen Horlacher gefällt mir nicht. Ich bin leider nicht in der Lage, ihm zuzustimmen, weil das, was gemeint ist, in dem alten Text steht. Mit diesem kann es auch durchgeführt werden, ohne neue Unklarheiten in das Gesetz zu bringen.

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0127008400
Das Wort hat der Abgeordnete Kriedemann.


Herbert Kriedemann (SPD):
Rede ID: ID0127008500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist hier vorhin passiert, daß einige Anträge auf Umdruck Nr. 961 eine Mehrheit gefunden haben. Sie haben zweifellos diese Mehrheit nur einer, wollen wir mal sagen: guten taktischen Vorbereitung zu verdanken, die in den letzten Tagen hier sehr eifrig betrieben worden ist. Der Ausschuß hat monatelang an diesem Gesetzentwurf gearbeitet. Er hat dabei auch sehr sorgfältig alle die Eingaben und Stellungnahmen beachtet, die von interessierten Stellen an ihn herangetragen worden sind. Es wurde vorhin schon gesagt, daß dabei sehr viele Widerstände überwunden werden mußten. Wenn sich auch alle Leute darüber einig sind, daß die Flurbereinigung durchgeführt werden muß, so gibt es doch sehr viele Argumente, die in Wirklichkeit nur ein Nein der Flurbereinigung gegenüber verbergen.
Ich muß den Damen und Herren, die heute bei dem Umdruck Nr. 961 ihrem Gefühl freien Lauf gelassen und das in einer so schönen Form getan haben, indem sie gesagt haben: „Wir wollen nur verhindern, daß diese seelenlosen Techniker in unserer Landschaft herumwühlen, und wollen nur die Idealisten ein bißchen ans Werk kommen lassen", sagen, daß sie im Grunde nur den Leuten Vorschub leisten, die auf jede nur mögliche Weise das Ingangkommen und vor allem die Durchführung der Flurbereinigung sabotieren wollen. Es muß noch einmal gesagt werden: von der möglichst schnellen Durchführung der Flurbereinigung hängt für mehr als die Hälfte der Landwirtschaft treibenden Bevölkerung ab, daß sie mehr Zeit auf ihren Äckern zubringen kann, als sie auf den Wegen zubringen muß.
Die Kultur ist eine alte und uns allen liebenswerte Sache. Die Landeskultur, meine Damen und Herren, steht vielleicht am Anfang. Manch einer, der sich sonst vielleicht gern mit Kultur befaßt, hätte hier die Sorge für die Kultur und die Menschen, die auf dem Lande arbeiten, schon denen überlassen können, die — ich sage es noch einmal — mit aller Sorgsamkeit an diesen Fragen gearbeitet haben.
Ich muß sagen: es ist schon mehr als komisch, daß hier das Wort Neupflanzungen eingefügt werden soll, nachdem doch, wie Herr Kollege Müller bereits erklärt hat, alles gesagt ist, was gesagt werden muß, vor allen Dingen auch die Gesichtspunkte von Landeskultur und Landschaftspflege berücksichtigt sind. Nur weil ein paar Spezialisten in irgendwelchen Vereinen lieber ihre Terminologie angewendet wissen möchten, werden solche Anträge gestellt.
Ich bitte Sie deshalb, dem Antrag, der die Wiederherstellung des alten Textes begehrt, zuzustimmen. Sonst werden nämlich Handhaben dafür geschaffen, daß Forderungen aufgestellt werden können, die wegen ihrer finanziellen Konsequenzen nur den einen Zweck haben, nicht Neupflanzungen zu bewerkstelligen, aber die Durchführung der Flurbereinigung aufzuhalten.

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0127008600
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Dann ist die Aussprache zu § 37 geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung, zunächst über den Änderungsantrag Dr. Müller. Der Antrag hat die ausreichende Zahl von Unterschriften. Ich bitte diejenigen, die diesem Änderungsantrag zustimmen, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit. Der Antrag ist angenommen.
Ich bitte diejenigen, die § 37 mit der soeben beschlossenen Änderung zustimmen, die Hand zu erheben. — Das ist ebenfalls die Mehrheit; ist angenommen.
Es ist kein weiterer Änderungsantrag zur dritten Beratung dieses Gesetzentwurfes gestellt. Wir kommen gleich zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz als Ganzem zustimmen, sich von den Sitzen zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit. Das Gesetz ist angenommen.
Es ist noch über den Entschließungsantrag auf Seite 11 des Ausschußberichts Nr. 4396 der Drucksachen abzustimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Entschließungsantrag zustimmen, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen wenige Stimmen bei einigen Enthaltungen angenommen.
Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Ich darf im Auftrag des Herrn Vorsitzenden des Haushaltsausschusses mitteilen, daß der Haushaltsausschuß im Anschluß an die Verabschiedung dieses Gesetzes zu einer Sitzung zusammentritt.
Ich rufe Punkt 12 der gestrigen Tagesordnung auf:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (19. Ausschuß) über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU betreffend Dürrekatastrophe im südlichen Teil des Bundesgebietes (Nrn. 4368, 3701 der Drucksachen).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Eichner.

Josef Eichner (FU):
Rede ID: ID0127008700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann mir einen Mündlichen Bericht ersparen, nachdem der Schriftliche Bericht*) vorliegt. Der Antrag des Ausschusses lautet:
Der Bundestag wolle beschließen,
den Antrag — Nr. 3701 der Drucksachen — auf Grund der Stellungnahme des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 11. April 1953 für erledigt zu erklären.

(Bravo!)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0127008800
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Meine Damen und Herren, vom Ältestenrat ist vorgesehen, keine Aussprache eintreten zu lassen und sich auf die Beschlußfassung über den Vorschlag des Ausschusses zu beschränken. Ich darf also den Ausschußvorschlag zur Abstimmung stellen. Ich bitte diejenigen, die ihm zustimmen, die Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit; ist angenommen.
Ich komme nunmehr zu Punkt 13 der gestrigen Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes
betreffend das Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation vom 28. Juni
1951 (Nr. 99) über die Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen in der Landwirtschaft (Nr. 4359 der Drucksachen).
*) Siehe Anlage 2 Seite 13375


(Vizepräsident Dr. Schäfer)

Wird das Gesetz eingebracht? — Von der Regierung scheint keine Einbringung vorgesehen zu sein. Wir das Wort zur Aussprache gewünscht?
Frau Abgeordnete Kipp-Kaule hat das Wort.
Für die Beratung hat der Ältestenrat eine Gesamtaussprachezeit von 60 Minuten vorgesehen. — Ich nehme die Zustimmung des Hauses an.

Liesel Kipp-Kaule (SPD):
Rede ID: ID0127008900
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei begrüßt die Vorlage der Drucksache Nr. 4359. Damit ist das unter a) der Drucksache Nr. 3999 angeführte Übereinkommen über die Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen zur Ratifizierung vorgelegt.
Wir alle miteinander wissen, wie notwendig es ist, daß gerade für die Arbeiter und Arbeiterinnen in der Landwirtschaft etwas getan wird. Wir sind alle von der großen Sorge beseelt, die uns nun schon seit Jahren vor Augen führt, daß die Abwanderung der landwirtschaftlichen Arbeiter zur Stadt immer größer wird und daß teilweise die Landwirtschaft gerade in dieser Zeit, in der wir uns befinden, die für die Ausführung der anfallenden Arbeiten notwendigen Menschen nicht zur Verfügung hatte.
Wir werden uns natürlich bei den Ausschußberatungen noch näher mit der Vorlage zu beschäftigen haben. Aber ich habe an den Bundesarbeitsminister in diesem Zusammenhang doch eine Frage zu stellen. Herr Arbeitsminister, selbst wenn hier jetzt durch das internationale Übereinkommen zur Festsetzung von Mindestlöhnen für die Landwirtschaft solche Mindestlöhne von den Gremien, die in Art. 3 und in den übrigen Artikeln genannt werden, festgelegt werden sollen, wie stellen Sie sich dann in Zukunft auch für die Landwirtschaft die Lösung der Frage des gleichen Entgelts für weibliche Arbeitskräfte bei gleichwertiger Arbeit vor? Diese Frage ist in einer ernsten Sorge begründet. Vielleicht ist es Ihnen etwas leichter gefallen, die Vorlage, die Sie hier heute zur Beratung vorgelegt haben, im Kabinett vorzubringen und durchzudrücken, weil Sie es hier nicht mit einem kompakten Zusammenschluß von Arbeitgebern zu tun hatten.
Mit etwas Befremden — so muß ich schon sagen hat meine Fraktion zur Kenntnis genommen, daß Sie im Zusammenhang mit der Drucksache Nr. 3999 — in der die gleiche Frage behandelt worden ist, von der ich jetzt spreche, nämlich wie die Angelegenheit des gleichen Entgelts weiblicher Arbeitskräfte auch in der Landwirtschaft geregelt werden soll — gesagt haben, die Arbeitgeber hätten sich gegen dieses Übereinkommen gewandt. Herr Bundesarbeitsminister, viereinhalb Millionen deutsche weibliche Arbeitskräfte sind in Industrie und Landwirtschaft in der Bundesrepublik beschäftigt, und über sechs Millionen organisierte Arbeiter im Deutschen Gewerkschaftsbund, davon über eine Million Frauen, sprechen den Wunsch aus, daß man das Übereinkommen Nr. 100 doch ratifizieren möchte. Wir verstehen Sie nicht mehr ganz, und wir glauben auch nicht, daß mit der Ratifizierung dieses internationalen Übereinkommens zur Festsetzung von Mindestlöhnen in der Landwirtschaft diese Angelegenheit ihre Erledigung findet. Wir werden auch in der Landwirtschaft späterhin noch die unterschiedliche Bezahlung von männlichen und weiblichen Arbeitskräften feststellen müssen. Daher hätten wir es begrüßt, Herr Arbeitsminister, wenn Sie uns mit der
Drucksache Nr. 4359 eine Vorlage eingebracht
hätten, nach der das Übereinkommen Nr. 100
gleichzeitig seiner Ratifizierung zugeführt worden
wäre. Wir bedauern, daß das bis zum heutigen
Tage nicht geschehen ist. Wir geben aber trotzdem
die Hoffnung nicht auf. Sie wissen ganz genau, daß
man ein Unrecht, das bis zum heutigen Tage angehalten hat, doch endlich aus der Welt schaffen
sollte. Unsere Frauen und Mütter waren immer gut
genug, wenn der Staat sich in Not befand. Wenn
der Staat verteidigt werden mußte, dann waren
sie gut genug, diesem Staate durch Dienstverpflichtungen zu helfen. Sie wissen genau so gut wie wir,
Herr Arbeitsminister, daß die verheerenden Auswirkungen der minderen Bezahlung weiblicher Arbeitskräfte auf die Einstellung der Frau zur Arbeit
in diesem Zusammenhang eine große Rolle spielt.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Wir wünschen gleiches Recht für alle. Wenn endlich der Art. 3 des Bonner Grundgesetzes seine Verwirklichung finden soll, dann geben wir der Hoffnung Ausdruck, daß wir nicht mehr allzu lange darauf zu warten brauchen und Sie sich im Kabinett stark genug dafür machen, daß das, was das Kabinett uns mit Drucksache Nr. 3999 vorgelegt hat und wonach die Konvention Nr. 100 nicht ratifiziert wird, einmal wieder rückgängig gemacht wird.
Wir werden der Vorlage Nr. 4359 im Ausschuß unsere Beratung nicht versagen. Ich beantrage, diese Drucksache dem Ausschuß für Arbeit zu überweisen.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0127009000
Das Wort hat der Herr Bundesarbeitsminister.

Anton Storch (CDU):
Rede ID: ID0127009100
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin Frau Kipp-Kaule für die Frage, sie sie an mich gestellt hat, dankbar. Die Frage der Ratifizierung von Übereinkommen der Internationalen Arbeitskonferenz ist eine sehr ernste Frage, und jedes Land, das durch seine Mitgliedschaft in dieser großen Organisation an der Gesamtheit mitzuarbeiten gewillt ist, muß sich natürlich die größte Mühe geben, das, was dort an einheitlichen Auffassungen festgelegt wird, auch durchzuführen. Nur sollten wir meines Erachtens zwei Dinge nicht durcheinanderwerfen.
Die Konvention Nr. 100 spricht nicht nur von gleicher Arbeit, sondern auch von gleicher Arbeitsleistung. Wir in Deutschland haben durch das Tarifvertragsgesetz unseren Staat aus der Gestaltung der Lohn- und Arbeitsbedingungen bewußt restlos herausgenommen, und das Bonner Grundgesetz müßte ja eigentlich die Tarifpartner binden, ihre neuen Tarifverträge auf diese Grundsätzlichkeit des Bonner Grundgesetzes abzustellen. Die Schuld daran, daß wir hier nicht vorwärtsgekommen sind, liegt also weniger an der Regierung als an den Sozialpartnern, die gesetzlich gezwungen sind, die Lohn- und Arbeitsbedingungen für Mann und Frau festzulegen. Ich habe schon vor einer ganzen Zeit auf Grund einer Anfrage beispielsweise die Leitung der Industriegewerkschaft Metall gefragt, ob sie der Meinung sei, daß wir das Tarifvertragsgesetz wieder durch eine staatliche Lohnordnung ersetzen sollten. Ich habe darüber hinaus vor kurzem dem Herrn Abgeordneten Richter als dem Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes auf Grund eines


(Bundesarbeitsminister Storch)

Briefes ebenfalls geschrieben, ich bäte ihn um eine klare Stellungnahme des Deutschen Gewerkschaftsbundes zu dieser Frage.
Also, Frau Abgeordnete, Sie dürfen sicher sein, daß uns dieser ganze Fragenkomplex sehr viel Sorge macht, weil ich weiß, daß wir Genf gegenüber im Rückstand sind, und weil ich selbst überzeugt bin, daß man noch nicht ernstlich versucht hat, den Art. 3 unseres Grundgesetzes bei der Gestaltung der Lohn- und Arbeitsbedingungen durch die Tarifpartner restlos zur Anwendung zu bringen.
Ich habe den Deutschen Gewerkschaftsbund darüber hinaus darum gebeten, doch dahin zu streben, und habe auch die Arbeitgeber wissen lassen, daß es zweckmäßig sei, in Deutschland alle Beteiligten — hier meine ich die Regierung, vertreten durch das Arbeitsministerium, und darüber hinaus die Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände — zu einer Gemeinschaftsarbeit zusammenzubringen, um einmal eine klare Übersicht darüber zu schaffen, wie bei gleicher Arbeit gleiche Leistung entweder gegeben ist oder nicht gegeben ist. Ich hoffe, daß wir auf diesem Gebiet in der nächsten Zeit vorwärtskommen. Schon in der nächsten Woche werde ich Veranlassung haben, in Genf zu einigen dieser Dinge Stellung zu nehmen.
Ich will gern hoffen, daß wir, wenn wir im nächsten Jahre zur Internationalen Arbeitskonferenz gehen, nachweisen können, die große Mehrzahl der getroffenen Konventionen bei uns ratifiziert und zur Durchführung gebracht zu haben. Ich halte es für das allerunglücklichste, wenn derartige internationale Vereinbarungen zwar ratifiziert, aber in den einzelnen Ländern nachher nicht durchgeführt werden. Wir wollen vertragstreu sein,
,1 und ich glaube, auch die Vertreter der Gewerkschaften und der Arbeitgeberverbände in Genf werden sich darüber freuen, wenn man uns nicht vorwerfen kann, daß wir zwar ratifiziert, aber nicht durchgeführt hätten.

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0127009200
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Kneipp.

Dr. Otto Kneipp (FDP):
Rede ID: ID0127009300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Kipp-Kaule hat die Übereinkünfte Nr. 99 und Nr. 100 in die Debatte hereingezogen. Ich werde mich auf die Übereinkunft Nr. 99 beschränken, weil nur diese Übereinkunft auf der heutigen Tagesordnung steht. Frau Kollegin Kipp-Kaule hat bei diesem Anlaß die Frage der landwirtschaftlichen Entlohnung angesprochen. Ich muß dazu auch einiges sagen.
Alle Möglichkeiten, zu Übereinkommen, zu Tarifverträgen auf dem landwirtschaftlichen Sektor zu kommen, sind auch ohne diese internationale Übereinkunft gegeben, denn wir haben repräsentative Arbeitgebervereinigungen in allen Bezirken und in allen Ländern unserer Bundesrepublik. Wenn auch diese repräsentativen Arbeitgebervereinigungen noch nicht mehr als 30, 40 oder 50% der Arbeitgeber umfassen, so ist doch die Möglichkeit gegeben, daß Tarifverträge abgeschlossen und allgemein verbindlich erklärt werden. Denn wir haben ja im November 1951 schon den § 5 des Tarifvertragsgesetzes dahingehend erweitert, daß wir den sogenannten sozialen Notstand als neuen Begriff zur Anwendung aufgenommen haben. Daraufhin sind auch bereits 27 Tarifverträge landwirtschaftlichen Charakters allgemein verbindlich erklärt worden.
Deshalb hat auch das Gesetz über die Mindestarbeitsbedingungen praktisch bisher auch auf dem landwirtschaftlichen Sektor noch keine Anwendung gefunden, weil dieses Gesetz ja nur im Hintergrund stehen sollte und schon in der Behandlung dieses Gesetzes im Arbeitsausschuß auch von den Vertretern der SPD erklärt wurde, wenn überall diese repräsentativen Arbeitgebervereinigungen im landwirtschaftlichen Sektor beständen — die Gewerkschaft ist ja überall vertreten —, dann sei dieses Gesetz für die Landwirtschaft nicht anwendbar.
Ich möchte mich auf diese Ausführungen beschränken. Es bestehen zur Zeit nicht weniger als 45 landwirtschaftliche, forstwirtschaftliche und gärtnerische Arbeitgeberverbände, die sich, wie ich nochmals betone, über die ganze Bundesrepublik erstrecken.

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0127009400
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. — Dann ist die Aussprache geschlossen. Es ist der Antrag auf Überweisung an den Ausschuß für Arbeit gestellt. Weitere Überweisungsanträge sind nicht eingegangen. — Es wird nicht widersprochen. Ich kann wohl annehmen, daß das Haus mit dieser Überweisung einverstanden ist.
Damit, meine Damen und Herren, ist die Tagesordnung der gestrigen Sitzung erschöpft. Wir kommen zur Tagesordnung der heutigen Sitzung zurück, und ich rufe nun auf den Punkt 4 dieser Tagesordnung:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Mißbilligung von Äußerungen des Bundesministers der Justiz (Nr. 4360 der Drucksachen).
Das Wort hat Herr Abgeordneter Wagner.

Friedrich Wilhelm Wagner (SPD):
Rede ID: ID0127009500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Aufgabe, den Antrag der sozialdemokratischen Fraktion auf Drucksache Nr. 4360 zu begründen. Sie haben diesen Antrag gelesen.

(Zuruf rechts: Nicht einmal!)

— Das ist Ihr eigener Fehler. Wenn Sie die Drucksachen nicht lesen, sollten Sie das nicht noch unterstreichen.

(Erneuter Zuruf rechts: Interessiert uns zuwenig!)

— Ich kann mich auf solche Bemerkungen, die vom allgemeinen Gesichtspunkt aus nicht gerade einen guten parlamentarischen Eindruck machen, jetzt nicht mehr einlassen.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Sie haben den Antrag gelesen, und Sie wissen, daß dieses Haus sich am 4. März dieses Jahres an und für sich mit dem Fragenkomplex beschäftigt hat. Es kam jenes Mal zu einer Begründung unseres ersten Mißbilligungantrages gegen den Herrn Bundesjustizminister durch meinen Parteifreund Herrn Professor Gülich. Es haben jenes Mal der Herr Bundesjustizminister gesprochen, der eine sehr bemerkenswerte Rede gehalten hat, und von der Koalition die Herren Kiesinger und Euler.
Die Stellungnahme der Herren Vertreter der Koalitionsparteien in der Sitzung vom 4. März war so, daß man, wenn man sie objektiv nachliest, sagen muß, daß der Herr Bundesjustizminister darin keine Aufmunterung erblicken konnte, die Gedankengänge, die die Veranlassung zu unserem Mißbilligungantrag waren, weiterzuspinnen. Der Abgeordnete Kiesinger hat seinerzeit erklärt,


(Wagner)

er werde gegen den Mißbilligungsantrag stimmen, weil er diesen Antrag an und für sich aus formellen Gründen für unzulässig halte. Ich will über diese Frage heute nicht sprechen. Der Herr Abgeordnete Euler von der eigenen Fraktion des Herrn Bundesjustizministers hat in einer sehr kurzen Erklärung im Endergebnis gesagt, die Ausführungen des Herrn Bundesjustizministers seien verständlich.

(Abg. Euler: Nicht nur verständlich!)

— Herr Kollege Euler, ich will ja nicht Ihre ganze Rede vortragen. Ich habe den letzten Satz aus Ihrer Rede entnommen. Ich war jenes Mal selbst krank und muß mich also vollständig auf das Protokoll verlassen. Danach haben Sie — was für die ganze Sache nicht entscheidend ist — erklärt — ich kann es Ihnen vortragen, das war Ihr letzter Satz —:
Und ich glaube, daß dieser Gesichtspunkt die
von dem Herrn Bundesjustizminister geübte
Kritik verständlich macht.
Ich zitiere also wortgetreu und auch sinngetreu. Der Herr Kollege Kiesinger hat jenes Mal den Satz geprägt:
Böse oder ungeschickte Zungen gibt es in allen Lagern,
und sich in der Form von den Äußerungen distanziert. Böse Zungen gibt es sicher in allen Lagern; das ist gar kein Zweifel.

(Abg. Kiesinger: Ich habe den Herrn Justizminister nicht als „böse Zunge" bezeichnet!)

- Oh, Herr Kollege Kiesinger, das habe ich auch gar nicht gesagt. Ich pflege ganz exakt zu zitieren, weil alles falsche Zitieren sich gegen den, der zitiert, selbst wendet.

(Abg. Erler: Außerdem besteht der Minister nicht nur aus der Zunge! — Heiterkeit. — Abg. Renner: Die ist aber einer der gefährlichsten Teile bei ihm!)

— Ich treibe ja hier keine Biologie. Ich wollte diese Bemerkung nur machen, um zu sagen, daß der Herr Bundesjustizminister aus dieser Debatte für meine und für unsere Begriffe doch eine Konsequenz hätte ziehen sollen, nämlich die, daß er sich über den Punkt, der die Veranlassung zu jener Debatte gab, öffentlich nicht weiter äußert.
Der Herr Bundesjustizminister hat es aber trotzdem getan, und das ist der Anlaß für unseren heutigen Antrag. Er hat in einem Brief an die Zeitschrift „Die Gegenwart", 8. Jahrgang, Nr. 181 vom 9. Mai 1953 — in einem Brief an die Herausgeber dieser Zeitschrift, um ganz genau zu sein — seine Gedanken ausgedrückt und dabei noch einmal Behauptungen aufgestellt, die schon am 4. März Gegenstand der Kritik und der Aussprache waren. Wir haben diese Behauptungen in unserem Antrag noch einmal in großer Kürze wiedergegeben. Ich darf sie nochmals ganz kurz wiederholen.
In dem einen Fall sagt er:
In Wahrheit geht es darum,
— und ich zitiere hier wörtlich —daß das Bundesverfassungsgericht mit seinem Beschluß vom 8./9. Dezember 1952 die Grenzen dieses Rechtes
— nämlich des Rechtes auf schöpferische Weiterbildung des Rechts —
ganz eklatant überschritten hat.
Er sagt dann im nächsten Absatz seines Schreibens,
daß das Gericht durch Plenarentscheidung den
Rechtssatz der Verbindlichkeit der Gutachten ausgesprochen habe, und behauptet dabei etwas, dem ich nur nebenbei sachlich widersprechen muß. Er behauptet nämlich:
Die meisten deutschen höchsten Gerichte hatten und haben die Befugnis zur Gutachtenerstattung über Fragen, die ihnen später auch in einem Rechtsstreit unterbreitet werden können.
Das ist nicht richtig. Wir hatten bisher ja eigentlich nur zwei obere Gerichte: das eine war das Bundesgericht — das hat eine solche Funktion und solches Recht nicht —, und das andere war das Bundesfinanzgericht, das zwar ein Gutachten kennt, jedoch ein Gutachten in einer ganz anderen Frage. Aber ich will mich ja nicht materiell mit dem Herrn Bundesjustizminister auseinandersetzen; das ist eine ganz andere Angelegenheit.
Er behauptet schließlich im dritten Absatz seines Briefes etwas, was er früher auch mit Bezug auf den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Dezember, der am 9. Dezember verkündet worden ist, gesagt hat, nämlich, daß man dem Gesetz von seiten des Bundesverfassungsgerichts „Gewalt angetan" habe. Zum Schlusse sagt er, daß das Bundesverfassungsgericht Wege gegangen sei — er sagt das in einer Weise, die ich gleich mit seinen Worten, ich zitiere sehr genau, vortrage —, die mit dem Recht nicht in Einklang stünden. Er sagt:
Zur Verwirklichung dieser Ziele hätte es andere, mit dem Recht in Einklang stehende Wege gegeben.
Das heißt also, daß der Weg, den das Bundesverfassungsgericht gegangen ist, mit dem Recht nicht in Einklang steht.
Ich kann mir denken, daß Freunde des Herrn Bundesjustizministers — auch politische Freunde, die hohe Funktionen bekleiden — sich bei Bekanntwerden dieses Briefes die Frage vorgelegt haben: Wozu soll denn das alles gut sein, und wozu soll denn das alles dienen? Es scheint mir, meine Damen und Herren, erforderlich zu sein, eine völlige Klarstellung des Problems noch einmal zu unterstreichen. Es kann gar keinem Zweifel unterliegen, daß jeder berechtigt ist, an einem Urteil Kritik zu üben. Daß Urteile, die veröffentlicht werden, schon immer bei uns in den juristischen Fachzeitschriften, sei es in Fußnoten, sei es in Besprechungen, beurteilt worden sind, kritisiert worden sind, daß Stellung genommen worden ist, daß andere Rechtsauffassungen vorgetragen worden sind, das ist ganz selbstverständlich. Darüber gibt es zwischen uns und irgendeinem anderen und irgendeiner anderen Gruppe gar keinen Streit. Ich stehe sogar auf dem Standpunkt, daß, wenn sich die Herren Kollegen und Frauen Kolleginnen dieses Hohen Hauses das Problem genau vergegenwärtigen, wahrscheinlich bei uns allen, die wir auf dem Boden des demokratischen Rechtsstaates stehen, abweichende Meinungen kaum aufkommen dürften. Die Frage ist ja nicht, ob irgend jemand Kritik üben darf. Die Frage ist ja nicht, ob beispielsweise Herr Dehler als Vorsitzender seiner Partei in Bayern an diesem Urteil oder an irgendeinem anderen Kritik üben darf. Herr Dehler zerfällt ja mindestens in drei, vier Teile, ja in noch mehr Teile:

(Heiterkeit)

einmal Herr Dehler — der Landesvorsitzende seiner
Partei in Bayern, Herr Dehler — der Abgeordnete,
Herr Dehler — der Bundesjustizminister, und


(Wagner)

schließlich — das erwähne ich nur, ohne mich damit beschäftigen zu dürfen —: Herr Dehler — der Mensch; also vier Teile.

(Abg. Renner: Und der Sonntagsredner! — Heiterkeit.)

— Ich will in der Unterteilung nicht weitergehen!

(Erneute Heiterkeit.)

Der Herr Vorsitzende seiner Partei in Bayern kann Ausführungen machen, wie immer sie ihm gefallen. Dann können politische Gegner oder seine Freunde ihn kritisieren oder zufrieden sein, ihn beschimpfen oder ihn loben. Er kann sogar ausfällige Bemerkungen machen; nun gut, das geht eben auf dem Gebiet der Politik so, und ,da er nicht sehr zurückhaltend ist, wird er es nicht als Beleidigung empfinden, wenn ich das sage. Herr Dehler der Abgeordnete, den ich nun schon seit dem Parlamentarischen Rat kenne — und ich muß sagen, wir haben auch sehr angenehm zusammengearbeitet; ich will die Dinge rein sachlich und ohne jede persönliche Polemik behandeln, weil es mir nur auf die Herausarbeitung des Sachlichen ankommt —, Herr Dehler der Abgeordnete ist zwar nicht mehr ganz so frei wie der Vorsitzende der Freien Demokratischen Partei Bayerns, weil er, wenn er von dieser Stelle aus spricht, sich bewußt sein muß, daß er mit großer Verantwortung zu reden hat. Aber Herr Dehler der Bundesjustizminister, das ist nun etwas ganz anderes; der kann nicht mehr gleichzeitig einer von den beiden anderen Dehler sein. Der muß sich Beschränkungen auferlegen, die sein Amt erfordert, und der muß wissen, daß, wenn Dehler dann als Bundesjustizminister spricht, es ein anderer Dehler sein muß, der sich in besonderem Maße der Verantwortung bewußt ist und der daran denkt, daß jetzt der Bundesjustizminister spricht, der Bundesjustizminister mit allen seinen gesetzlichen und politischen Verpflichtungen. Da haben wir allerdings den Eindruck, daß auf Grund seines Temperaments — und ich kann nicht behaupten, daß ich gerade temperamentlos wäre — oft der Gaul mit ihm durchgeht und nicht nur der Sache selbst ein schlechter Dienst geleistet wird, sondern, wie ich glaube, auch seiner eigenen Sache ein schlechter Dienst geleistet wird. Denn ich kann mir nicht denken, daß er nicht im gleichen Maße wie die anderen auf demokratischem Boden stehenden Abgeordneten den demokratischen Rechtsstaat bedingungslos akzeptiert. Wenn ich aber den demokratischen Rechtsstaat bedingungslos akzeptiere, dann muß ich mein Verhalten danach einrichten, dann muß ich mir vergegenwärtigen, daß der Unterschied zwischen dem totalitären, dem tyrannischen Staat, dem autoritären Staat einerseits und dem demokratischen Rechtsstaat andererseits doch gerade darin liegt, daß beim demokratischen Rechtsstaat durch die Dreiteilung der Gewalten jede einzelne dieser drei Gewalten gehindert wird, sich auf Kosten der anderen auszudehnen, das Gleichgewicht zu stören und die Freiheit des Landes sowohl wie die Freiheit des Individuums zu gefährden.

(Abg. Euler: Das ist genau das Problem des Beschlusses!)

— Ich werde sofort darauf eingehen, Herr Kollege.
— Diese Dreiteilung ist durch das Verhalten des Bundesjustizministers insofern verletzt worden, als der Bundesjustizminister ein Urteil des höchsten deutschen Gerichts in einer Weise kritisiert hat, die in Wirklichkeit bedeutet, daß die Exekutive in die Justiz eingreift, den Grundsatz der Unabhängigkeit
des Richters nicht mehr respektiert und den Satz vergißt, wonach der Richter nicht dem Justizminister, nicht einer Regierung, sondern nur dem Gesetz unterworfen Ist.

(Abg. Euler: Allerdings!)

Das ist das, was der Amerikaner „government of law" nennt, im Gegensatz zu „government of men". Was der Herr Bundesjustizminister in dieser Richtung getan hat, läßt den von den alten westlichen Demokratien verkündeten Grundsatz des „government of law" außer acht und geht über zum „government of men".

(Abg. Euler: Stimmt nicht!)

— Lassen Sie mich diesen Gedankengang zu Ende führen! ich gebe mich der Hoffnung hin, daß Sie sich zumindest bis zu einem gewissen Grade von meinen Argumenten überzeugen lassen und empfinden, daß wir wirklich nur aus tiefer Sorge über eine etwa sich anbahnende Entwicklung diese Beanstandungen vortragen. Der Herr Justizminister kann sich nicht darauf berufen, daß ihm das Recht zustehe, seine Meinung frei zu äußern. Was er getan hat, ist nicht das Äußern einer freien Meinung, sondern das bedeutet im Prinzip eine Antastung jenes Grundsatzes der Unabhängigkeit der Gerichte und bedeutet im Prinzip doch den Versuch, zum mindesten in seiner Auswirkung den unbewußten Versuch — wenn es so etwas gibt —, die Gerichte in ihrem künftigen Verhalten irgendwie zu beeinflussen. Meine Damen und Herren, das ist ein außerordentlich gefährliches Unterfangen. Ein Regierungsvertreter, insbesondere ein Bundesjustizminister, der doch das Gewissen, das rechtliche Gewissen des Kabinetts sein muß, muß es sich dreimal überlegen, ehe er in Richtung gegen irgendein Gericht abfällige Werturteile, insbesondere die, man sei vom Boden des Rechts abgewichen und man habe dem Gesetz Gewalt angetan, fällt. Diese Äußerungen halten :ich sicherlich nicht mehr im Rahmen des Rechts der Exekutive.
Was setzen Sie, mein Herr Bundesjustizminister, auf diese Weise — ich bitte, sich das doch einmal vor Augen zu halten, und Sie werden mir nicht verübeln, wenn ich das so formuliere — den kleinen Leuten draußen im Volk für ein Beispiel, die Zivilprozesse führen,

(Sehr gut! bei der SPD)

die in Strafprozessen vor dem Richter stehen, wenn sie mit einem Urteil, an dem sie direkt oder indirekt interessiert oder beteiligt sind, unzufrieden sind und ihre Unzufriedenheit in einer Form ausdrücken, die bei dem kleinen Mann, der seinen Prozeß verloren hat, dann einen Ausdruck findet, wie wir ihn häufig hören!

(Abg. Dr. Menzel: Sehr gut!)

Sie geben damit ein Beispiel, das, wenn es nachgeahmt werden würde, in unserer Gerichtsbarkeit bei den ordentlichen Gerichten, bei den Zivilgerichten und Strafgerichten, geradezu zu einer Respektlosigkeit vor der Justiz führen würde und das Ansehen der Justiz zu gefährden in höchstem Grade angetan wäre.
Ich bitte, sich diese Dinge doch einmal zu vergegenwärtigen. Man kann über die Urteile des Bundesverfassungsgerichts materiell-rechtlich oder formal-rechtlich in vielen Dingen anderer Meinung sein. Man kann sie erörtern und wird auch bei der Erörterung für meine Begriffe in einem maßvollen Rahmen bleiben müssen. Man kann aber als Justizminister nicht in Äußerungen sich ergehen, wie der


(Wagner)

Herr Bundesjustizminister es getan hat, ohne jene Dreiteilung der Gewalten, die Teilung der Gewalten überhaupt zu überschreiten und damit — meine Damen und Herren, ich will nichts dramatisieren — aber den Anfang zu setzen, sie zu verwischen, den Anfang zu setzen zum Übergang zu einem im Prinzip totalitären Regime. Ich sage: im Prinzip. Deswegen sollte man den Anfängen gerade in einem jungen Staat, in einer Demokratie, die noch versucht, richtig laufen zu lernen, wehren, insbesondere in einem Volk, das Jahre und Jahre des Gewaltregimes hinter sich hat und bei dem sich immer noch auch in seinen leitenden Kreisen Spuren einer Ideologie finden, deren Ausdruck wir zum Teil hier erlebt haben.
Meine Damen und Herren, man beruft sich bei uns oft — oft mit Recht, oft mit Unrecht — auf ausländische Beispiele, und ich glaube, es ist gar nicht schlecht, wenn man z. B. auf ein Land schaut, in dem die Demokratie in Fleisch und Blut übergegangen ist, die Vereinigten Staaten von Amerika.

(Lachen bei der KPD.)

— Den Leuten, die jetzt lachen, geht allerdings Demokratie nicht in Fleisch und Blut über;

(Sehr richtig! in der Mitte und rechts) die machen Politik mit Blut!


(Sehr gut! in der Mitte.)

Wer Amerika von innen heraus kennt und wer da nicht nur einige Tage gelebt hat, weiß, daß dieses Volk, das von Anfang an von freien Menschen aufgebaut worden ist, denen Europa zu unfrei war, eine Demokratie geschaffen hat, deren Verhalten und deren Literatur für uns manches bringen könnte. Darf ich Sie an die Zeit erinnern, als Franklin Delano Roosevelt mit seiner modernen
Arbeitergenehmigung einer modernen Farmergesetzgebung begonnen hat, der Herbeiführung höherer Löhne, kürzerer Arbeitszeiten, kurzum seinem sozialpolitisch fortschrittlichen Programm, mit seinem, wie man es in Amerika sagt, New Deal. Seine Gesetze, d. h. die Gesetze, die das Parlament mit der Mehrheit seiner Partei beschlossen hatte, wurden auf dem normalen Rechtsweg angefochten. Das Supreme Court, das höchste Gericht, in Washington hat einige Gesetze, die für den Präsidenten und für die Masse der Arbeiter ungeheuer wichtig und fortschrittlich waren, als verfassungswidrig erklärt. Nun, Franklin Delano Roosevelt hat aus einem edlen Bestreben heraus versucht, diese Gesetze doch in die Wirklichkeit umzusetzen. Die Urteile des Supreme Court waren ihm sehr unsympathisch, und jede Macht, meine Damen und Herren, hat in sich die Tendenz, sich auszuweiten, trägt in sich auch eine gewisse Tendenz, mißbraucht zu werden.

(Abg. Renner: Auch die Macht des Dr. Adenauer!)

Und zwar gilt das für jede Macht, ob sie bei der Legislative, der Exekutive oder der Justiz ist. Das ist gar kein Zweifel. So hat Roosevelt versucht, durch Änderungen der Zusammensetzung der Richterbank des höchsten Gerichts in Amerika, indem er mehr Richter bestimmen wollte, was an und für sich verfassungsmäßig möglich war, eine ihm genehmere Richtermehrheit zu bekommen.

(Abg. Euler: Er hat außerdem aber auch die Rechtsprechung sehr heftig kritisiert!)

— Augenblick, ich werde es Ihnen gleich sagen.
Wenn Sie das Nachstehende hören, was Sie vielleicht noch nicht gelesen haben, dann wird es nicht
ohne Eindruck auf Sie sein. — Er hat versucht, seinen Weg weiterzugehen. Er hat im Parlament einen Antrag einbringen lassen, und der Rechtsausschuß, das Senate Judiciary Committee, hat daraufhin zu diesen Versuchen Stellung genommen. Mit der gütigen Erlaubnis des Herrn Präsidenten und mit der Bitte an Sie um etwas Geduld darf ich Ihnen dieses Dokument, das so wichtig ist und für unsere Zeit geschrieben sein könnte, vorlesen.

(Zuruf des Abg. Ewers.)

- Daß Sie, Herr Abwinker, sich dafür nicht interessieren, das glaube ich. Hier geht es ja um Dinge, bei denen man denken muß.

(Abg. Ewers: Ihre Zeit ist um, Herr Kollege! Das ist die Sache!)

Dieses Dokument findet sich in den „Documents of American History", die herausgegeben sind — ich zitiere sehr genau — „by Henry Steele Commager, Columbia University, Second Edition", erschienen in New York 1941. Es ist veröffentlicht in den Verhandlungen des 75. Kongresses in der First Session im Record des Senats Nr. 711.
Ich habe nun diesen Text sowohl in Englisch als auch in einer nicht guten deutschen Übersetzung da. Die Wirkung in Englisch ist natürlich eine ganz andere. Da ich diesem Hause aber nicht zumuten kann, diesen englischen Text anzuhören — um so mehr, als ich nicht weiß, ob mein Englisch auch für die, die Englisch kennen, ganz überzeugend wirken würde —, bitte ich um Erlaubnis, Ihnen den deutschen Text vorzutragen. Ich glaube, wir alle könnten daraus manches lernen.

(Zuruf des Abg. Ewers.)

— Was sagten Sie?

(Abg. Ewers: Gehen wir in die Schule, um zu lernen!)

— Herr Ewers, Sie sprechen in diesem Hause so viel, daß man ruhig von Ihnen erwarten könnte, um so mehr, als Sie auch schon ein älterer Herr sind, sich etwas zu beherrschen und auch einmal das anzuhören, was Sie vielleicht — —

(Abg. Ewers: Ihre Redezeit ist um!)

— Aber Herr Ewers, Sie sind doch als Jurist ein Anhänger des demokratischen Rechtsstaates.

(Abg. Ewers: Auch der Redezeit!)

— Also, Herr Kollege, dann würde ich Ihnen empfehlen, sehr aufmerksam zu sein.

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0127009600
Darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß angesichts der begrenzten und bereits an der Grenze angekommenen Redezeit

(Abg. Ewers: Nein, längst überschritten!) diese Zwiegespräche unzweckmäßig sind.


Friedrich Wilhelm Wagner (SPD):
Rede ID: ID0127009700
Meine Damen und Herren, ich gebe dem Herrn Präsidenten vollständig recht.

(Abg. Dr. Greve: Er spricht eben etwas langsamer als Herr Seebohm zum Beispiel!)

Ich werde nun etwas zitieren aus Seite 569 dieses Dokuments. Ich zitiere:
Lassen Sie uns zum Zwecke der Diskussion unterstellen, daß das Gericht im Unrecht gewesen ist, im Unrecht nicht nur darin, daß es irrtümliche Meinungen abgegeben hat, sondern im Unrecht in dem weit ernsteren Sinn, daß es seinen Willen an Stelle des Willens des Kongresses in der Sache der Gesetzgebung gesetzt hat.


(Wagner)

— Das ist ja das, Herr Kollege Euler, worauf Sie vorhin angespielt haben. — Ich zitiere weiter:
Dürfen wir nichtsdestoweniger das Gericht ruhig bestrafen?
Heute mag es das Gericht sein, welchem vorgeworfen wird, seine verfassungsmäßigen Pflichten vergessen zu haben. Morgen mag es der Kongreß sein. Den nächsten Tag mag es die Exekutive sein. Wenn wir nun der Versuchung nachgeben, das Gericht unter Prügelstrafe zu nehmen, so lehren wir lediglich andere, wie sie die Prügelstrafe auf uns selbst und auf das Volk anwenden können, wenn die Gelegenheit dazu gewährleistet zu sein scheint.
Augenscheinlich, wenn wir das Gericht zwingen, die Interpretation der Verfassung in einem bestimmten Sinne sicherzustellen, dann mag ein späterer Kongreß diesen Vorgang wiederholen, um eine andere und verschiedene Interpretation und eine, die unseren Ohren weniger angenehm klingt als die, für die wir nun streiten, sicherzustellen.
Und dann fährt der Bericht fort — ich will nicht den ganzen Text verlesen, sondern nur einzelne Kapitel — —

(Zuruf rechts.)

— Ja, ich kann es doch! Es ist zu interessant. — Der Bericht fährt fort:
Es gibt ein Heilmittel
— sagt der Senat —
für Usurpationen oder anderes gerichtliches Unrechttun. Wenn dieses Gesetz von den Arbeitern dieses Landes aus dem Grunde unterstützt wird, daß sie ein Gericht wünschen, welches Gesetzgebung über Arbeitszeitbeschränkung und für Sicherung von Minimallöhnen aufrechterhält, so müssen sie bedenken, daß die in diesem Gesetz angewandte Prozedur unter einer anderen Verwaltung gebraucht werden könnte, um die Arbeitszeit zu verlängern und die Löhne herabzusetzen. Wenn Farmer Landwirtschaftshilfe wünschen und dieses Gesetz begünstigen aus dem Grunde, daß es ihnen ein Gericht gibt, das Gesetzgebung zu ihren Gunsten aufrechterhalten wird,

(Zuruf rechts: Wir sind doch nicht in Amerika!)

so müssen sie bedenken, daß das angewandte Verfahren eines Tages gebraucht werden möchte, um sie jeder Spur von Landwirtschaftshilfe zu berauben.

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0127009800
Herr Abgeordneter, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß die Redezeit, die jetzt über die Redezeit, die für die Begründung festgesetzt ist, hinausgeht, auf Kosten Ihrer Diskussionsredezeit geht.

Friedrich Wilhelm Wagner (SPD):
Rede ID: ID0127009900
Ich bin damit einverstanden.

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0127010000
Ja, gewiß, ich wollte Sie nur darauf aufmerksam machen.

Friedrich Wilhelm Wagner (SPD):
Rede ID: ID0127010100
Der Gegenstand, Herr Präsident, ist von einer so großen allgemeinen und prinzipiellen Bedeutung, daß ich glaube, es wäre ein Versäumnis, die markantesten Stellen jenes Senatsbeschlusses nicht vorzutragen.
Es heißt dann weiter:
Uns wird gesagt, daß eine reaktionäre Oligarchie dem Willen der Mehrheit Trotz bietet, daß dies ein Gesetz sei, um das Gericht umzustellen und den Wünschen der Mehrheit Wirksamkeit zu verschaffen.
Nun kommen noch weitere Ausführungen, die ich Ihnen in Anbetracht der beschränkten Zeit, die mir zur Verfügung steht, nicht vortragen kann. Schließlich sagt der Senat:
Wenn solch ein Prinzip angenommen wird, ist unser Verfassungssystem über den Haufen geworfen.
Es ist dort der ausgezeichnete Satz zu lesen: Laßt uns
- so heißt es in dem Senatsbeschluß vom 75. Kongreß —
in Worten, die niemals von einem nachfolgenden Kongreß mißachtet werden sollen, erklären, daß wir lieber ein unabhängiges Gericht haben, ein furchtloses Gericht, ein Gericht, das wagen wird, seine ehrlichen Meinungen über das, was für die Verteidigung der Freiheiten des Volkes hält, kundzutun, als ein Gericht, das aus Furcht oder dem Gefühl der Verpflichtung gegenüber der ernennenden Gewalt oder gegenüber Parteileidenschaft eine Maßnahme, die wir in Kraft setzen mögen, billigt.
Und nun, Herr Bundesjustizminister, ein Satz wörtlich:
Wir sind nicht die Richter der Richter. Wir stehen nicht über der Verfassung. Selbst wenn der Fall weit schlimmer wäre, als behauptet wird, würde es doch kein Argument zugunsten dieses Gesetzes sein, zu sagen, daß die Gerichte und einige Richter ihre Befugnisse mißbraucht haben. Weder die Gerichte noch die Richter sind vollkommen. Der Kongreß ist nicht vollkommen, noch sind es die Senatoren oder Abgeordneten. Diese Zweige der Administration und die Leiter in ihnen sind von menschlichen Wesen besetzt, die zum größten Teil danach streben, gemäß der Würde und dem Idealismus unseres Systems zu leben, das entworfen wurde, um das größtmögliche Maß von Gerechtigkeit und Freiheit für alle Menschen zu erreichen. Wir werden das System zerstören,
— so heißt es —
wenn wir es auf die unvollkommenen Maßstäbe der Menschen, die es handhaben, herabsetzen. Wir werden es uns selbst stärken, wir werden Gerechtigkeit und Freiheit für alle Menschen gewisser machen durch Geduld und Selbstbeschränkung.
Es fehlt mir die Zeit, all die klassischen Formulierungen, die im Englischen ja viel besser wirken als in der unvollkommenen deutschen Übersetzeng, vorzulesen. Ich werde deshalb mit Ihrer Erlaubnis nur noch zwei Stellen bringen.

(Unruhe und Zurufe rechts.)

— Das spricht nicht sehr für Ihr Bestreben, einen Sachverhalt objektiv zu prüfen.

(Erneute Zurufe rechts.)

— Wissen Sie, meine Reden halte ich, wahrscheinlich im Gegensatz zu den meisten von Ihnen Zwischenrufern, frei, aber wenn ich etwas zitiere, muß ich es ja vorlesen, da ich sonst ungenau bin. Etwas


(Wagner)

ernsthafter also dürften Ihre Zwischenrufe sein, wenn Sie sich nicht dadurch selbst herabsetzen wollen.
Es heißt schließlich in diesem Beschluß abschließend:
Es ist ein Antrag, der so emphatisch zurückgewiesen werden muß, daß ein ähnlicher Antrag nie mehr den freien Vertretern des freien Volkes von Amerika vorgelegt werden wird.
Meine Damen und Herren! Wenn man einen solchen Beschluß einer alten Demokratie und eines alten Parlaments liest, dann hat man doch, wenn man vergleicht, ein bißchen das Gefühl, daß wir gut daran täten, uns in diesem Parlament auf die Grundlagen der rechtsstaatlichen Demokratie zu besinnen und uns von den Gesichtspunkten leiten zu lassen, die hier erfahrene Männer in einer erfahrenen Demokratie niedergelegt haben. Wir sind, Herr Bundesjustizminister, nicht die Richter der Richter. Die Exekutive ist kein Oberrichter, und wenn Sie in Ihrer Bundestagsrede vom 4. März erklärt haben, daß es Ihre Aufgabe sei, über die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts — so sagten Sie wörtlich — zu wachen, so war das wohl nicht nur ein falscher Zungenschlag, sondern so war das eben bereits ein Stück jenes Geistes, der das Wesen der Dreiteilung der Gewalten verkennt. Das war etwas außerordentlich Gefährliches. Das Gericht ist unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen, und es gibt in der Exekutive keinen Oberrichter. Sie haben doch mit Ihrer neuerlichen Veröffentlichung, Herr Minister, wieder diese Rolle des Oberrichters zu übernehmen versucht und haben doch wirklich in der Sache dem Gedanken des demokratischen Rechtsstaats in keiner Weise gedient.
Ich weiß nicht, ob Sie den Versuch machen wollen, Herr Bundesminister, mit uns allen zusammen in diesem Hause sich diese Gedankengänge durch den Kopf gehen zu lassen. Es ist doch wirklich in einer jungen Demokratie, die sich erst zum demokratischen Rechtsstaat hin entwickeln will, eine Gefahr, wenn von der höchsten Stelle, wenn von der Stelle, die das juristische Gewissen des Kabinetts sein soll, derartige Behauptungen ausgehen. Ich glaube, das Parlament kann es sich nicht leisten, mit Stillschweigen über die Dinge hinwegzugehen, sondern sollte sich darauf besinnen, daß ein junges Staatswesen, das sich zur Demokratie durchringen muß — denn mit der Form allein ist es nicht getan —, bei der Übung solcher Praktiken, wie sie leider jetzt eingeführt worden sind, vorsichtig sein sollte.
Ich möchte hoffen, daß Sie unseren guten Willen bei der Erörterung dieser Frage voraussetzen, daß Sie unsere Sorge um den demokratischen Rechtsstaat anerkennen, daß Sie unser Bestreben und unsere Bereitschaft anerkennen, mit allen Kräften, die auf dem Boden der Demokratie stehen, dafür zu sorgen, daß man nicht aus politischen Zweckmäßigkeitsgründen fundamentale Dinge angreift, sondern daß gewisse Grundsätze respektiert werden, ganz gleich, ob man seine Prozesse gewinnt oder ob man seine Prozesse verliert.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0127010200
Für die folgende Aussprache hat der Ältestenrat eine Gesamtredezeit von 60 Minuten vorgesehen. Ich nehme die Zustimmung des Hauses dazu an.
Das Wort hat der Herr Bundesjustizminister.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0127010300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich teile weitgehend, ich möchte sagen, ich teile vollständig die Grundsätze, von denen die Ausführungen meines sehr verehrten Herrn Kollegen Wagner getragen waren. Ich bin mit ihm der Meinung, daß die Unabhängigkeit der Gerichte und daß der Grundsatz der Achtung der Gerichte ein hoher, ein höchster ist. Ich bin mit ihm der Meinung, daß die Exekutive niemals in Anspruch nehmen kann, Richter über die Richter, Oberrichter zu sein. Ich habe nur das Empfinden, Herr Kollege Wagner, wir gehen von ganz verschiedenen Voraussetzungen aus. Das ist doch das Entscheidende: Sie sagen, ich stünde in Gefahr, den Grundsatz der Dreiteilung der Gewalten dadurch zu verletzen, daß ich an einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts Kritik übe. Ich sage: im Gegenteil, es liegt ein Übergriff des Bundesverfassungsgerichts in die Gewalt der Gesetzgebung vor; ich bin der Meinung, es ist die Pflicht jedes verantwortlichen Mannes, nicht zuletzt des Bundesjustizministers, dagegen in der richtigen Form die Grenze zu ziehen.
Es ist notwendig, diese Dinge noch einmal im einzelnen darzulegen. Das Bundesverfassungsgericht hat mit einem Beschluß vom 8./9. Dezember einen Rechtssatz aufgestellt — kein Urteil gefällt, Herr Kollege Wagner, sondern einen Rechtssatz aufgestellt —, wonach ein Gutachten des Bundesverfassungsgerichts seine Senate in der Rechtsprechung bindet. Es handelt sich doch nur um folgendes. Erstens: Ist dieser Rechtssatz wirklich in einem anhängigen Verfahren aufgestellt worden? Zweitens: War wirklich eine Lücke des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes vorhanden, die durch das Bundesverfassungsgericht hätte geschlossen werden müssen? Darum geht doch die Diskussion. Wenn ein Urteil, eine Entscheidung oder ein Beschluß des Bundesverfassungsgerichts in einem echten Verfahren vorgelegen hätte, würde ich nie gewagt haben, dazu kritisch Stellung zu nehmen. Das wäre doch nicht meine Sache. Es wäre auch nicht richtig. Sie sagen, wir — nämlich die Bundesregierung — seien an diesem Verfahren beteiligt gewesen. Nein, es handelte sich ja nicht um ein Verfahren, sondern es handelte sich um die Aufstellung eines allgemein gültigen Rechtssatzes: Bindung der Senate an ein Gutachten. Es geht doch darum, daß das Bundesverfassungsgericht, und zwar das Plenum, es für richtig hielt, das von Ihnen beschlossene Bundesverfassungsgerichtsgesetz zu ergänzen, weil angeblich eine Lücke in ihm vorhanden ist. Das geschah aber nicht etwa im Rahmen eines Verfahrens, für das das Plenum des Bundesverfassungsgerichts zuständig gewesen wäre, sondern aus einem Anlaß, der keinerlei sachliche Zuständigkeit des Plenums des Bundesverfassungsgerichts begründete. Damals war vom Herrn Bundespräsidenten der Auftrag gegeben worden, ein Gutachten zu erstellen. Das wird normalerweise im Beratungszimmer erstellt. Das Bundesverfassungsgericht, das Plenum, hat es für notwendig gehalten. eine Art Verfahren durchzuführen, d. h. die Beteiligten zu laden, um das Problem, über das ein Gutachten erstattet werden sollte, mit ihnen zu erörtern. Kein Verfahren, wie es im Bundesverfassungsgerichtsgesetz vorgesehen ist! Das Bundesverfassungsgericht entscheidet eben durch seine beiden Senate nach den diesen Senaten zugeteilten Zuständigkeiten. Das Plenum entscheidet nur in bestimmten Fragen: wenn über die Zuständigkeit der Senate Streit besteht oder wenn ein Senat von einer Entscheidung eines andern Senats abweichen


(Bundesjustizminister Dr. Dehler)

will und dieser Senat deswegen das Plenum anruft. Also, es war kein Verfahren anhängig.
Nach meiner Meinung liegt auch keine Lücke des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes vor, das zu ergänzen war. Darauf allein kommt es an. Der Beschluß vom 8. Dezember kann doch nicht in der Welt bleiben. Es muß geklärt werden, ob er zu Recht besteht oder nicht. Der Beschluß greift doch in Ihre Rechte, in die Rechte des Gesetzgebers ein;

(Sehr richtig! rechts)

er sagt, Sie als Gesetzgeber hätten nichts gedacht und eine Lücke gelassen, und das Plenum des Bundesverfassungsgerichts müsse diese Lücke schließen.
Nun, wie waren die Dinge? „Die Gegenwart", eine sehr seriöse Zeitung, die ich seit langen Jahren lese, bringt den Beschluß vom 8. Dezember unter der Überschrift „Ein klassisches Dokument" und schreibt: „Es hat ,die Klarheit eines klassischen rechtsschöpferischen Textes". Das war im Dezember. Ich habe erwartet, daß man dazu Stellung nimmt, daß irgend jemand von den 402 Abgeordneten, um deren Rechte es geht, Stellung nimmt zu der Frage, ob dieser Beschluß wirklich Rechtens ist und ob es richtig ist, daß das Bundesverfassungsgericht in die Rechte des Gesetzgebers eingreift. Ich habe dann mit dem Herrn Reifenberg, dem Herausgeber der „Gegenwart", einen langen Briefwechsel geführt. Herr Kollege Wagner, man kann ja nicht einige Stellen aus meinem letzten Brief herausnehmen! Dadurch geht doch der Zusammenhang vollkommen verloren. Wenn Sie beispielsweise sagen, ich hätte behauptet, das Bundesverfassungsgericht habe dem Gesetz Gewalt angetan, so ist das nicht richtig. Ich habe gesagt: „Der Satz, das Bundesverfassungsgerichtsgesetz enthalte eine Lücke, wird einfach behauptet; er bedürfte wahrlich des Beweises; er ist nicht zu beweisen, wenn man nicht dem Gesetz Gewalt antun will!" Also, ich meine, auf jeden Fall bekommen in der Herauslösung dieser Sätze aus dem Zusammenhang diese Bemerkungen nicht den richtigen Akzent.
Es wäre viel darüber zu sagen; aber ich wiederhole, meine Damen und Herren: Sie können mich hier doch nicht mißbilligen, weil ich es für richtig halte, die Rechte des Parlaments in Anspruch zu nehmen, wenn nach meiner festen Überzeugung vom höchsten deutschen Gericht, vom Bundesverfassungsgericht, in Ihre Rechte eingegriffen wird!

(Beifall bei der FDP, rechts und in der Mitte.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0127010400
Das Wort hat Herr Abgeordneter Euler.

August-Martin Euler (DP):
Rede ID: ID0127010500
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir setzen heute das Gespräch fort, das wir zuletzt aus Anlaß der früheren Mißbilligungsanträge der SPD am 4. März hier geführt haben.
Es ist mir ein Bedürfnis, zu sagen, daß der Herr Kollege Wagner dieses Gespräch auf eine sehr angemessene Weise eröffnet hat. Der Kern des Gesprächs ist genau derselbe wie damals. Letzten Endes ist der springende Punkt der, ob der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 8./9. Dezember 1952 die Schließung einer Lücke war, also neue Rechtsschöpfung in dem Rahmen, der dem Bundesverfassungsgericht dazu freisteht, oder aber, ob es sich um einen neuen Rechtssatz entgegen einem ganz klaren Wortlaut des Gesetzes handelte, der den Willen des Gesetzgebers eindeutig wiedergibt. Was dies anbelangt, so können wir uns nur wundern, daß das Gespräch wieder aufgenommen wird, zumal da der Herr Bundesjustizminister in der seinerzeitigen Debatte sehr ausführlich dargelegt hatte, welche Momente dafür sprechen, daß das Bundesverfassungsgericht mit seinem Beschluß vom 8. Dezember neues Recht auf eine nicht zulässige Weise gesetzt hat. Es ist doch damals der Bundesjustizminister gewesen, der auch an Hand der früheren Darlegungen in den Schriftsätzen der sozialdemokratischen Opposition nachdrücklich herausgearbeitet hat, daß das Bundesverfassungsgericht keinen Anlaß zu der Aufstellung des Rechtssatzes hatte, daß die Gutachten für die Senate verbindlich zu sein haben, weil der Gesetzgeber, als er das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht erließ, das Institut des Rechtsgutachtens ausdrücklich als etwas ganz anderes wollte, als daß die Gutachten Entscheidungscharakter haben sollten. Ich meine, gerade die Darlegungen des Herrn Bundesjustizministers in unserer damaligen Plenarsitzung haben doch volle Klarheit darüber gegeben, daß bei den Beratungen im Rechtsausschuß alle Fraktionen völlig einmütig darin waren, daß man eben keine verbindliche Kraft des Gutachtens wollte und daß es der ganze Sinn des Gutachtens war, dem Bundespräsidenten bzw. den gesetzgebenden Organen in Verbindung mit der Bundesregierung die Möglichkeit zu geben, einen Ratschlag des obersten Gerichts einzuholen — einen Ratschlag, der seine Kraft nur aus der Autorität des Bundesverfassungsgerichts und aus der Güte der Gründe ziehen sollte.
Es wurde damals auch sehr nachdrücklich darauf hingewiesen, wie richtig die Reaktion des Bundespräsidenten auf diesen Beschluß vom 8. Dezember war, insofern als der Bundespräsident ganz richtig erfaßte, daß mit diesem, dem Willen des Gesetzgebers zuwiderlaufenden Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Dezember das Institut des Gutachtens eigentlich zerstört war; als Gutachten sollte nunmehr eine Entscheidung gegeben werden, die für eine politische Mitwirkung und eine politisch selbständige Entscheidung des Bundespräsidenten überhaupt keinen Raum mehr ließ. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Man muß vor allem daran denken, daß, wenn man dem Gutachten Entscheidungscharakter gibt, eines überhaupt nicht möglich ist, womit nicht nur wir als Gesetzgebungsorgan gerechnet hatten, als wir die Möglichkeit des Gutachtens schufen, sondern womit auch gerade der Bundespräsident gerechnet hatte: daß Gutachten in der Form von Mehrheits- und Minderheitsgutachten gegeben werden, mit der nur dieser Form eigenen Nachdrücklichkeit der Darstellung der Zweifelsgründe, die bei der Mehrheit und Minderheit des Bundesverfassungsgerichts bestehen.
Von diesen Darlegungen her wird es doch verständlich, daß es sich bei der Kritik des Bundesjustizministers gegenüber dem Karlsruher Beschluß vom 8. Dezember nicht darum handelt, in die richterliche Unabhängigkeit einzugreifen, sondern umgekehrt eine Kompetenzüberschreitung der richterlichen Gewalt, einen Einbruch der richterlichen Gewalt in die gesetzgebende, zu kritisieren und durch Kritik dafür Sorge zu tragen, daß in Zukunft das Bundesverfassungsgericht doch kritischer gegenüber dem Willen zur Rechtsetzung sein möge. Ich glaube, daß die damaligen sehr ausführlichen Darlegungen des Herrn Bundesjustizministers gerade hier im Plenum einen sehr starken Eindruck


(Euler)

gemacht haben, vor allem auch insofern, als damals das ihn beherrschende Motiv der Sorge um unsere rechtsstaatliche Entwicklung klargestellt wurde. Dem Herrn Justizminister geht es darum, Verrückungen in dem Gleichgewicht der drei Gewalten, wie es sich der Verfassunggeber gedacht hat, zu vermeiden. Solche Verrückungen können ja nicht nur dadurch eintreten, daß das Gesetzgebungsorgan seine Grenzen, beispielsweise im Verhältnis zur Regierungsgewalt, überschreitet, und nicht nur dadurch, daß die Regierung ihre Kompetenzen im Verhältnis zur gesetzgebenden oder richterlichen Gewalt überschreitet, sondern auch dadurch, daß die richterliche Gewalt sich einen Willen zur Gesetzgebung beilegt in einem Maße, das zu einer Ausdehnung der richterlichen Kompetenz gegenüber der gesetzgeberischen führt. Also auch von dieser Seite her kann eine Gefährdung des Gleichgewichts zwischen den drei Gewalten, wie es sich der Grundgesetzgeber gedacht hat, eintreten.
Um nichts anderes als eine Kritik des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Dezember 1952 in diesem Sinne ging es auch wieder bei den Äußerungen des Herrn Justizministers gegenüber Benno Reifenberg, dem Herausgeber der „Gegenwart". Wenn man von dieser Darstellung ausgeht, dann, meine sehr geehrten Damen und Herren, sind die drei Schlußfolgerungen, die der Bundesjustizminister in seinem Brief an Benno Reifenberg gezogen hat, in sich völlig klar und begründet. Die erste dieser drei Schlußfolgerungen ist, daß von einer Lücke im Gesetz nicht die Rede sein kann, es sei denn, man setze sich über den eindeutig feststellbaren Willen des Gesetzgebers hinweg, wie er im Gesetz über das Bundesverfassungsgericht seinen Niederschlag in jenem Paragraphen über das Rechtsgutachten gefunden hat, oder — wie sich der Justizminister ausgedrückt hat — man tue dem Gesetz Gewalt an. Die zweite Schlußfolgerung, die damit im engsten Zusammenhang steht, ist doch die, daß das Bundesverfassungsgericht die ihm gesetzte Grenze der Rechtsetzung überschritten hat. Und auch die dritte Schlußfolgerung ist begründet, daß es für die Verwirklichung des Anliegens des Bundesverfassungsgerichts nur den mit dem Recht im Einklang stehenden Weg hätte geben dürfen; und dieser Weg konnte kein anderer sein als der, daß das Bundesverfassungsgericht, wenn es feststellte, daß eine gewollte Regelung des Gesetzgebers zu völlig untragbaren Ergebnissen führt, den Gesetzgeber auf die Notwendigkeit seines Eingreifens hingewiesen hätte. Statt dessen hat das Bundesverfassungsgericht unter der willkürlichen Behauptung, es sei eine Lücke im Gesetz vorhanden, einfach neues Recht gesetzt, entgegen dem völlig eindeutig feststellbaren Willen des Gesetzgebers, wie er bei den Verhandlungen über das Bundesverfassungsgerichtsgesetz seinen Niederschlag gefunden hatte — völlig eindeutig, nach dem übereinstimmenden Willen der bei diesem Gesetz Mitwirkenden aller Fraktionen.
Wir können also mit dem besten Willen nicht zugeben, daß die Kritik des Bundesjustizministers, die er in diesem Punkte gegenüber dem Bundesverfassungsgericht geltend macht, ungerechtfertigt sei und daß diese Kritik in der Art ihrer Äußerung unangemessen sei. Wir finden die Auffassung des Bundesjustizministers in jeder Weise gut begründet und finden in seinem Brief an die „Gegenwart" nichts, was den Mißtrauensantrag der SPD rechtfertigen könnte.

(Beifall bei der FDP.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0127010600
Das Wort hat Herr Abgeordneter Kiesinger.

Dr. Kurt Georg Kiesinger (CDU):
Rede ID: ID0127010700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist zweckmäßig, daß wir davon Abstand nehmen, bei dieser Debatte zu untersuchen, ob der Herr Bundesjustizminister mit seiner Ansicht über das Gutachtenverfahren sachlich recht hat oder das Bundesverfassungsgericht. Der Gegenstand, über den wir heute zu verhandeln haben, ist so zu sehen: Selbst wenn der Herr Bundesjustizminister in seiner Auffassung recht hätte, würde, glaube ich, wenn ich den Antrag der Fraktion der SPD richtig verstehe, diese Fraktion seine Kritik tadeln, weil sie ihm grundsätzlich das Recht abspricht, in der Weise, in der er es getan hat, seine Meinung zu äußern. Dazu möchte ich ein paar Worte sagen.
Der Antrag der sozialdemokratischen Fraktion hat verschiedene Gegenstände. Zuerst wird verlangt, daß einige konkrete Äußerungen des Herrn Bundesjustizministers mißbilligt werden. Dann ist in Ziffer 2 des Antrags in einer sehr allgemein gehaltenen Formulierung gesagt, es sei unerwünscht und mit der verfassungsgerechten Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichts und der Bundesgerichte nicht vereinbar, daß der Bundesminister der Justiz in amtlicher Eigenchaft weiterhin an Entscheidungen usw. Kritik übe.
Ich bin natürlich mit vielen Gedankengängen, die der Herr Kollege Wagner hier vorgetragen hat, durchaus einverstanden, wie es jeder rechtsstaatlich Denkende sein muß. Aber ich muß Sie doch darauf aufmerksam machen, daß er wohl in einigen, und zwar wesentlichen Punkten die Sache selbst nicht getroffen hat. Z. B. ist der Vergleich mit einem Zivilprozeßstreit nicht richtig, denn es hat sich, wie der Herr Bundesjustizminister bereits selbst richtig bemerkt hat, ja gar nicht um eine Stellungnahme des Bundesjustizministers zu einer Streitentscheidung gehandelt. Es handelte sich um eine Stellungnahme zu einer allgemeinen Festlegung des Bundesverfassungsgerichts aus Anlaß eines schwebenden Gutachtenverfahrens, und zwar eine — das wird mir jeder 'zugestehen müssen — für alle Beteiligten recht überraschend gekommene Festlegung.
Es ist auch in der Literatur zu dieser Frage Stellung genommen worden. So hat z. B. Professor Blomeyer in einem Aufsatz in der „Monatsschrift für deutsches Recht" dazu gesagt — ich darf den Herrn Präsidenten bitten, diese paar Zeilen verlesen zu dürfen —:
Nun ist aber die Rechtsfrage, ob die Gutachten des Plenums die Senate binden, weder zum Gegenstand eines Senatsverfahrens noch eines Gutachtenverfahrens gemacht worden. Der Beschluß vom 8. Dezember 1952 über die bindende Kraft aller Gutachten des Plenums ist vielmehr bei Gelegenheit eines Gutachtenverfahrens, das eine andere Frage betraf, erlassen worden. Gleichwohl beansprucht er verbindliche Kraft für die Senate für alle künftigen Urteilsverfahren. Ein dem Urteilsverfahren gleichwertiges Verfahren ist hinsichtlich dieser Frage nicht durchgeführt worden. Von den Beteiligten hat niemand Gelegenheit gehabt, sich zu dieser Frage zu äußern. Gar mancher wäre wohl in der Lage gewesen, schwerwiegende Gründe gegen die im Plenum vorherrschende Ansicht vorzubringen. Das hätte vielleicht zu einem anderen Ergebnis geführt.


(Kiesinger)

Sei dem nun, wie ihm wolle. Jedenfalls hat hier der Herr Bundesjustizminister nicht zu einer Streitentscheidung des Bundesverfassungsgerichts Stellung genommen, sondern zu einer allgemeinen Festlegung.
Das ist das eine. Das andere: Der Herr Kollege Wagner hat von der Dreiteilung der Gewalten gesprochen. Nun, darüber wäre viel zu sagen; mit Fontane zu sprechen: „Es ist ein weites Feld". Ich erinnere mich daran, daß an dieser Stelle der jetzige Herr Ministerpräsident Zinn darauf hingewiesen hat, daß auch gewisse Gefahren von jener dritten Gewalt der Justiz kommen könnten, und daß er an die Worte unseres Erzvaters des Rechtsstaats, Montesquieu, erinnert hat über eine mögliche arbiträre Diktatur der Justiz.
Es ist sicherlich notwendig, daß auch zu gewissen Entscheidungen der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit Stellung genommen wird, und zwar gerade zu jenen, zu denen unser Bundesverfassungsgericht in dem kurzen Anlauf, den es bisher hatte, neigt. Darüber hat sich erst in einer der letzten Nummern der „Juristischen Wochenschrift" Professor Dr. Schneider-Tübingen in einem Aufsatz ausgelassen. Er weist darauf hin, daß der amerikanische Supreme Court hundert Jahre gebraucht habe, bis seine Urteilssprüche sich Autorität verschafft hätten. Daraus müßte eigentlich eine gewisse Zurückhaltung des Bundesverfassungsgerichts, jedenfalls allgemeine Leit- und Lehrsätze aufzustellen, folgen. Das Bundesverfassungsgericht habe aber im Gegenteil sehr „forsch zugepackt". Nun mag das da und dort nötig gewesen sein — ich will im Augenblick keine Kritik daran üben —, jedenfalls aber erfordert es die Tatsache, daß die Verfassungsgerichtsbarkeit in deutschen Landen jung ist und daß das Bundesverfassungsgericht die Neigung zeigt, seine Aufgabe „ziemlich forsch" zu erledigen, dazu kritisch Stellung zu nehmen.

(Sehr richtig! rechts.)

Man kann auch dem Herrn Bundesjustizminister dieses Recht nicht versagen. Schließlich ist er als Bundesjustizminister mit dieser Materie vertraut und betraut. Es hat in den letzten Jahren gelegentlich Auseinandersetzungen darüber gegeben, daß nicht nur die Richter, sondern gerade auch die oberste Spitze der Justizverwaltung, der Bundesjustizminister, völlig entpolitisiert werden sollten, daß sie — wogegen sich der Herr Bundesjustizminister gelegentlich temperamentvoll gewehrt hat — ein „Gelübde politischer Keuschheit" ablegen sollten. Der Herr Bundesjustizminister hat sich immer sehr nachdrücklich zur Politik als seiner großen Liebe bekannt, und das kann man ihm wohl auch nicht übelnehmen.

(Beifall bei der FDP.)

Im übrigen ist es natürlich eine Ermessensfrage, eine Frage des Taktes, der Form, der Situation. Im vorliegenden Falle, glaube ich, hat der Herr Bundesjustizminister seine Grenzen in der Sache wohl nicht überschritten. Ob er gut daran getan hätte, in der Form eine etwas vorsichtigere Formulierung zu wählen, ist eine andere Frage. Wenn es sich für uns also darum handelt, nur zu dieser Frage Stellung zu nehmen, dann würde ich sagen, daß man nicht wohl seine Äußerungen, die er in dem Schriftwechsel getan hat, schlechthin mißbilligen kann.
Was den zweiten Punkt des Antrages anlangt, so muß ich sagen, daß es wohl auch bei gründlichem Durchdenken auf Ihrer Seite nicht wünsehenswert erschiene, wenn man dem Herrn Bundesjustizminister ein für allemal anläßlich derartiger Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, wie sie die grundsätzliche Bindung an das Gutachten darstellt, den Mund verbieten würde.
Infolgedessen und unter Hinweis auf den von uns schon bei den vorgängigen Fällen vertretenen Grundsatz, daß wir derartige Mißbilligungsanträge gegen einzelne Minister prinzipiell mit Reserve betrachten, werden meine politischen Freunde dem Antrag nicht zustimmen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0127010800
Das Wort hat Herr Abgeordneter Renner.

Heinz Renner (KPD):
Rede ID: ID0127010900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Vorbemerkung in Anknüpfung an den letzten Satz des Herrn Kiesinger: in diesem Fall keine Veranlassung zur Kritik. Soll man daraus die Hoffnung schöpfen, daß Sie sich bei nächster Gelegenheit den Herrn Dehler und seine Kampfrede gegen die politisierende Kirche und gegen den „Kirchenfeldwebel" vorknöpfen werden?

(Abg. Kiesinger: Das gehört nicht zum Bundesverfassungsgericht!)

- Das war ja nur eine Vorfrage, nicht wahr, nur eine Vorfrage!

(Heiterkeit.)

Nun, was haben wir heute wieder einmal erlebt? Um einen politischen Tatbestand haben sich hier drei Juristen und ein Minister, der auch Jurist ist, gestritten. Das gab eine große Haarspalterei, und herausgekommen ist im Endeffekt: sie sind sich alle einig! Dabei gab es einige sehr interessante Enthüllungen, die den „Sozialisten" Herrn Kollegen Wagner ganz eindeutig herausstellten. Ich hatte heute wirklich nicht erwartet, daß bei der Gelegenheit das Hohelied über die „Demokratie" und über die „demokratische Justiz" Amerikas gesungen werden würde. Dem Herrn Wagner, dem Sozialdemokraten, der sich gelegentlich Sozialist nennt, rufe ich nur zwei Namen ins Gedächtnis: Sacco und Vanzetti und den Fall des Ehepaars Rosenberg!

(Sehr gut! bei der KPD. — Zurufe von der SPD und von der Mitte.)

Und nun — ich habe nur fünf Minuten Zeit —: der „viergeteilte" Dehler, von dem er sprach! Wir werden ihn vielleicht in den nächsten Tagen noch etwas mehr zerpflückt bekommen, Herr Kiesinger, wenn Sie Wort halten. Für uns ist dieser Herr Dehler der auf den Boden des Bundesjustizministeriums gestellte Repräsentant seiner Klasse. Das ist unsere Auslegung der Funktion und der Person des Herrn Dehler. Für Herrn Dehler ist das Bundesverfassungsgericht ganz selbstverständlich eine Institution, die den Interessen seiner Klasse zu dienen hat.

(Sehr richtig! bei der KPD.)

Tut das Bundesverfassungsgericht ihm den Gefallen nicht, dann ist der Herr Dehler verschnupft, und dann fallen mehr oder minder delikate Feststellungen und Äußerungen, die nachher alle wieder mit dem Mantel der — auch in dieser Klasse beliebten — christlichen Liebe zugedeckt werden.
Aber nun ist die Frage: Warum stellt sich die SPD so schützend vor das Bundesverfassungsgericht? Warum die Aufrechterhaltung der Fiktion von einer Institution, die in voller Unabhängigkeit und in voller Überparteilichkeit urteilt,


(Renner)

reines Recht spricht, herausgelöst aus allen Bindungen der Klasse, herausgelöst aus allen Bindungen gesellschaftlicher Natur? Warum halten Sie diese Fiktion aufrecht? Darauf will ich Ihnen eine Antwort geben! Sehen Sie: daß es sich bei diesem Gericht und bei der Zusammensetzung seiner Richter um ein politisches Faktum handelt, dafür gibt es doch einen eklatanten Beweis. Das ist der seit einem Jahr tobende Kampf um die Besetzung des zwölften, im Augenblick noch unbesetzten Richterpostens. Da stoßen doch Parteien parteimäßig gegeneinander, und die Wiederbenennung dieses Richters scheitert doch daran, daß die beiden Komponenten sich nicht einig werden können.
Warum also diese Fiktion? Nun, Sie haben diese Fiktion nötig! Sie stellen heute dem Volk, das gegen die Außenpolitik dieser Regierung ankämpft

(Zuruf von der Mitte: Welches Volk?)

— diese Außenpolitik, die sogar Ihr verstorbener Parteiführer persönlich einmal als eine Klassenpolitik angesprochen hat —, Sie stellen den Bestrebungen unseres Volkes, mit dieser Klassenpolitik Schluß zu machen, die im EVG-Vertrag ihren eindeutigsten Ausdruck findet, das Bundesverfassungsgericht entgegen. Sie sagen unserem Volk: Es gibt ein Gericht, das rein objektives, rein sachliches Recht sprechen wird, und wir brauchen deshalb gegen Adenauer nicht zu kämpfen. Darum machen Sie diesen Betrug auf, als sei beim Bundesverfassungsgericht in dieser entscheidenden Frage für unser Volk „Recht" zu finden. Das ganze Theater, das Sie heute hier aufgezogen haben, hat nur den einen Sinn, das Volk von dem Kampf gegen diese Regierung, die dieses Regime vertritt, abzuhalten. Darum halten Sie die Fiktion aufrecht, als seien in Karlsruhe Richter, die reines, absolutes, abstraktes Recht sprächen, als bedürfe es keines Kampfes. Dort sitzen Teile und Glieder einer Klasse, dort sitzt ein Klasseninstrument. Herr Wagner, das Sie das als Sozialist so ganz vergessen haben, das ist wirklich erstaunlich! Im Wahlkampf kam in den letzten Tagen bei Ihnen sogar gelegentlich einmal das Wort von der Klasse zum Durchbruch. Warum, so frage ich Sie, machen Sie jetzt das Theater, warum führen Sie nicht unsere Klasse in den Kampf gegen diesen Justizminister, der auf dem ihm gegebenen Posten eine Funktion dieser Adenauer-Regierung ausübt? Warum machen Sie die Arbeiterklasse nicht mobil? Warum halten Sie hier so sinnlose Reden?

(Beifall bei der KPD. — Zuruf von der SPD: Warum machen Sie solches Theater? — Abg. Renner: Lest mal etwas bei Karl Marx nach, ihr alten Sozialdemokraten! — Weitere Auseinandersetzungen zwischen Abgeordneten der KPD und der SPD.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0127011000
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen. Auch die Privatunterhaltungen sind damit wohl nutzlos.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag Drucksache Nr. 4360. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. —

(Abg. Renner: Ich stimme gegen den Minister Dehler, aber nicht mit der Begründung der SPD!)

Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt. Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe auf Punkt 5:
Erste, zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP, DP, FU (BP-Z) eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Gesetzes über die Wahl der Vertreter der Bundesrepublik zur Beratenden Versammlung des Europarats (Nr. 4410 der Drucksachen).
Das Wort zur Begründung hat Herr Abgeordneter Dr. Pünder.

Dr. Hermann Pünder (CDU):
Rede ID: ID0127011100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es handelt sich hier um einen zwar kleinen, aber doch immerhin recht bedeutsamen formellen Vorgang. Wir haben seinerzeit das Gesetz verabschiedet, wonach die Vertreter der Bundesrepublik in der Beratenden Versammlung des Europarats und ihre Stellvertreter vom Bundestag aus seiner Mitte gewählt werden. Es ist aber nichts darüber gesagt worden, auf wie lange Zeit und welcher Zustand eintreten soll, wenn ein neuer Bundestag gewählt wird. Es liegt auf der Hand, daß nach der Richtung eine kleine Ergänzung dieses Gesetzes notwendig ist.
Der Ihnen vorliegende Initiativgesetzentwurf enthält diese kleinen Änderungen. Im § 1 ist eingefügt worden „jeweils für die Dauer seiner Wahlperiode". Die Geschäftsordnung der Beratenden Versammlung in Straßburg hat sich mit dem Problem natürlich auch schon befaßt, und in ihrem Art. 7 heißt es:
Die Abgeordneten und ihre Stellvertreter bleiben bis zur Eröffnung der folgenden ordentlichen Sitzungsperiode im Amt, vorbehaltlich des Rechtes der Mitgliedstaaten, nach Wahlen zum Parlament Neubenennungen vorzunehmen.
Naturgemäß kann der Europarat aber nicht in die Zuständigkeit der nationalen Länderparlamente eingreifen. Deswegen ist eben eine solche Ergänzung nach der Auffassung der Fraktionen, die diesen Initiativantrag unterzeichnet haben, dringend notwendig.
Der Abs. 2 des § 1 trägt demselben Gedanken Rechnung. Er lautet:
Nach Ablauf der Wahlperiode eines Bundestages bleiben die Vertreter und Stellvertreter im Amt, bis der neue Bundestag innerhalb von sechs Wochen nach seinem ersten Zusammentritt eine Neuwahl durchgeführt hat.
Wir glauben diese Frist von sechs Wochen einsetzen zu sollen. Wenn wir am 15. September wieder eine Delegation nach Straßburg senden müssen, hat sich der neue Bundestag naturgemäß noch nicht konstituiert. Aber man wird annehmen dürfen, daß innerhalb von sechs Wochen nach seinem ersten Zusammentritt eine solche Entscheidung erfolgen kann. Das ist der Sinn dieses Abs. 2.
In dem § 2, der jetzt eingefügt werden soll, ist betont, daß das Verfahren der Wahl sowie die Nachfolge im Amt im Falle des Ausscheidens eines Vertreters infolge Tod oder aus sonstigen Gründen der Bundestag zu bestimmen habe.
. Nach unserer Auffassung ist es, wie gesagt, ein notwendiger, aber formeller Vorschlag, den wir Ihnen machen müssen, und wir bitten um einstimmige Annahme heute in allen drei Lesungen. Ich glaube, viele Erörterungen zu dem Punkt wären nicht erforderlich.

(Abg. Erler: Ich bitte ums Wort!)



Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0127011200
Zur ersten Beratung?

(Abg. Erler: Ja!)

Wenn eine Aussprache in erster Beratung entgegen der Vereinbarung im Ältestenrat stattfinden soll, dann muß ich Ihnen eine Redezeit von 40 Minuten vorschlagen.

(Abg. Erler: Ich bin bereit, zur dritten Beratung zu sprechen!)

— Dann liegen zur ersten Beratung keine Wortmeldungen vor. Ich schließe die erste Beratung und rufe auf zur
zweiten Beratung,
und zwar artikelweise. Zu Art. 1 liegen Änderungsanträge und Wortmeldungen nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen. Ich bitte diejenigen, die Art. 1 zustimmen, die Hand zu heben. Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; angenommen.
Ich rufe auf Art. 2. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Gegenprobe! — Das erste war die Mehrheit; Art. 2 ist angenommen.
Einleitung und Überschrift. Dazu darf ich selbst wohl eine Bemerkung machen. Das Gesetz enthält nicht nur eine Ergänzung, sondern auch eine Änderung seiner bisherigen Fassung. Es müßte also genau heißen: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung. Darf ich .das dem Hause vorschlagen und die Zustimmung annehmen?

(Zustimmung.)

— Damit würde das Gesetz die Bezeichnung „Gesetz zur Änderung und Ergänzung . . ." bekommen. Ich darf die Zustimmung des Hauses zur Einleitung und zur Überschrift annehmen und damit die zweite Beratung schließen.
Ich rufe auf zur
dritten Beratung.
Allgemeine Aussprache. Darf ich vorschlagen, die Redezeit auf 40 Minuten zu begrenzen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Erler.

Fritz Erler (SPD):
Rede ID: ID0127011300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir können uns nicht entschließen, diesem Gesetz unsere Zustimmung zu geben, weil wir es für überflüssig halten. Es steht fest, daß nach dem Statut des Europarats das Mandat derjenigen Delegierten weitergilt, in deren Land inzwischen auf Grund einer Neuwahl ein neues Parlament gebildet worden ist, bis das Parlament oder die Regierung des betreffenden Landes andere Delegierte an ihrer Stelle geschickt hat. Die Frage, die Sie lösen wollen, ist also gelöst, und ich meine, bei der Hypertrophie der Gesetzgebung, die uns ohnehin viel zuviel zu schaffen macht und die Öffentlichkeit mit einer Flut von Gesetzen überschüttet, sollten wir nicht auch noch völlig überflüssige Gesetze machen.
Die Bestimmung, daß der Bundestag die Delegierten zum Europarat aus seiner Mitte wählt, hat doch nur die Bedeutung, daß damit ausgedrückt ist, wer passiv legitimiert ist, gewählt zu werden, nämlich ein Mitglied des Bundestages. Das ist alles. Es bedeutet nicht, daß etwa mit dem Ende der Legislaturperiode automatisch das Mandat erlischt, zumal das Statut des Europarats ausdrücklich eine andere Regelung dieser Frage enthält. In dem bisherigen Gesetz ist nichts über das Erlöschen eines solchen Mandats gesagt.
Zum zweiten versuchen Sie nun, dem neuen Bundestag eine Frist für die Erledigung dieser Arbeit zu setzen. Es ist sehr ungewöhnlich, daß ein Parlament ausdrücklich ein Gesetz beschließt, um seinem Nachfolger für die Erledigung bestimmter Geschäfte Fristen zu setzen. Ich nehme an, daß der neue Bundestag vernünftig genug ist, die Delegierten zum Europarat dann zu wählen. wenn er es für erforderlich hält. Ich meine nicht, daß Sie die Wahlergebnisse jetzt schon so weit voraussehen, daß Sie ohne weiteres annehmen könnten, der neue Bundestag müßte unter allen Umständen dümmer sein als dieser.

(Lachen rechts.)

Wenn es sich also wirklich um eine Frage handelt, die gelöst werden muß, dann wird sich der neue Bundestag ihrer annehmen. Aber warum sollen wir so unhöflich sein, jetzt von Gesetzes wegen Arbeiten zu regeln, die dem Ältestenrat des neuen Bundestages zukommen? Ich meine, damit entwerten wir die Arbeit der Gesetzgebung. Wir können diesem überflüssigen Gesetz nicht zustimmen.

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0127011400
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Becker.

Dr. Max Becker (FDP):
Rede ID: ID0127011500
Meine Damen und Herren! Ich habe aus der negativ formulierten Rede unseres verehrten Kollegen Erler entnommen, daß er sachlich eigentlich mit allem einverstanden ist. Er hält die Bestimmungen nur für überflüssig, im wesentlichen unter Hinweis darauf, daß das Statut des Europarats wenigstens die wesentlichste Frage schon geregelt habe. Ich glaube aber, daß, wenn eine internationale Rechtsetzung einen bestimmten Rechtssatz formuliert hat, es nicht nur nicht schaden kann, wenn er auf der deutschen Rechtsebene wiederholt wird, sondern es scheint mir sogar notwendig zu sein, daß auch das deutsche Recht sich diesem internationalen Recht anpaßt,

(Sehr richtig! rechts)

und deshalb bitte ich doch, dem Antrag zuzustimmen.

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0127011600
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor; dann ist die Aussprache zur dritten Beratung geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe auf Art. 1 und 2, Einleitung und Überschrift und bitte diejenigen, die zustimmen. die Hand zu heben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; das Gesetz ist angenommen.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz als Ganzem zustimmen, sich- zu erheben. — Gegenprobe! — Das erste war die Mehrheit; das Gesetz ist in dritter Beratung verabschiedet.
Ich rufe nun auf Punkt 6 der Tagesordnung: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Neuregelung der Grundbeträge in der Rentenversicherung der Arbeiter (Nr. 4346 der Drucksachen).
Der Ältestenrat hat eine Begründungszeit von 10 Minuten und eine Gesamtredezeit von 40 Minuten vorgesehen. Ich nehme die Zustimmung des Hauses an.
Wer spricht zur Begründung? — Das Wort hat Frau Abgeordnete Döhring.

Clara Döhring (SPD):
Rede ID: ID0127011700
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Bei dem vorliegenden Antrag der SPD-Fraktion Drucksache Nr. 4346 handelt es sich darum, die Grundbeträge


(Frau Döhring)

oder, richtiger gesagt, die festen Bestandteile, der Renten in der Rentenversicherung der Arbeiter etwas gerechter zu gestalten. Dies ist notwendig; denn obwohl die abzuführenden Beiträge in den beiden Rentenversicherungen nun bereits seit dem Jahre 1942 bei ein und demselben Verdienst gleich hoch sind, haben wir noch immer wesentliche Unterschiede in der Rentenberechnung. Heute beträgt der feste Bestandteil der Renten in der Invalidenversicherung 40 DM monatlich gegenüber 70 DM in der Angestelltenversicherung. Dafür liegen allerdings die Steigerungsbeträge bei den Angestelltenrenten etwas ungünstiger. Um diese letzte Ungerechtigkeit zu beseitigen, hat meine Fraktion bekanntlich am 5. Mai dieses Jahres auf Drucksache Nr. 4271 die Erhöhung der Steigerungsbeträge der Renten für die Angestellten beantragt.

(Präsident Dr. Ehlers übernimmt wieder den Vorsitz.)

Wie ich in der seinerzeitigen Begründung bereits ausgeführt habe, muß selbstverständlich auch die Ungerechtigkeit in der Rentenversicherung der Arbeiter, die in den niedrigeren Grundbeträgen liegt, beseitigt werden. Diese Tendenz war erfreulicherweise auch aus den Ausführungen des Herrn Bundesarbeitsministers am 5. Mai zu entnehmen. Er sagte damals, daß man, wenn man eine neue Rentenformel festlegen wolle, dies selbstredend dann auch für die Invalidenversicherung tun müsse. Freilich meinte der Herr Arbeitsminister, man müsse mit der Regelung dieser Dinge warten, bis die Arbeiten des Beirats beim Arbeitsministerium abgeschlossen seien.
Nun, Herr Bundesarbeitsminister und meine Herren und Damen von der Regierungskoalition, wir Sozialdemokraten sind nicht der Meinung, daß man so lange warten kann.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

In den vielen Briefen, die uns erreichen — lassen Sie mich nur einen einzigen zitieren — wird verlangt, daß die Renten endlich in gerechterer Weise geregelt werden; denn die Renten seien ja in normalen Zeiten festgesetzt worden, als man für 0 Pfennig noch vier bis fünf Brötchen bekommen habe. Die Rentner, so heißt es weiter, kämen mehr und mehr zu der Auffassung, den Mitgliedern des Parlaments fehle vielleicht das menschliche Verständnis und das soziale Verantwortungsbewußtsein für die große Not der Rentner. Haben sich denn, so geht der Brief weiter, die Abgeordneten noch keine Gedanken darüber gemacht, daß sonderbarerweise jetzt wieder viele alte Leute „durch Unglücksfall" aus dem Leben scheiden? Das ist eine sehr ernste Mahnung, meine Herren und Damen, die uns verpflichten sollte, den Rentnern zu helfen, noch bevor dieses Hohe Haus seine Pforten demnächst schließt.
Wie Sie wissen, betragen jetzt die monatlichen Grundbeträge in der Rentenversicherung der Arbeiter nur 40 DM für den Rentner, 32,75 DM für die Witwe und 18,25 DM für die Waise. Wirtschaftlich gesehen läuft unser Antrag auf Neufestsetzung der Grundbeträge darauf hinaus, daß die Renten in der Rentenversicherung der Arbeiter um monatlich 10 DM für den Rentner, 7,25 DM für die Witwe und 6,75 DM für das Waisenkind erhöht werden. Die Notwendigkeit der Erhöhung der Grundbeträge wird wohl von niemandem in diesem Hauses ernsthaft bestritten werden können, zumal wenn man bedenkt, wie niedrig die Durchschnittsrenten liegen. Schon die Durchschnittsrente in der Angestelltenversicherung, die jetzt bei monatlich 120 bis 121 DM liegt, ist zum Sterben zuviel und zum Leben zuwenig. Um wieviel bitterer ist die Tatsache, daß die Durchschnittsrente in der Rentenversicherung der Arbeiter selbst nach den erfolgten verschiedenen, allerdings bescheidenen Erhöhungen noch immer nur 79 DM im Monat beträgt!

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Nun kann ja erfreulicherweise festgestellt werden, daß wir mit unserer Auffassung, daß auch für die Renten der Arbeiter wieder etwas getan werden muß, nicht allein stehen. Vielmehr wurde im Sozialpolitischen Ausschuß anläßlich der Beratung unseres Antrages für die Verbesserung der Angestelltenrenten, der allgemein ein gewisses Verständnis fand, auch von Vertretern der Regierungsparteien eine entsprechende Regelung gleichzeitig für die Renten der Arbeiter gewünscht.
Zur Frage der Deckung der benötigten Mittel kann ich mich kurz fassen. Diese Mittel stehen nämlich zur Verfügung. Nachdem die von der Bundesregierung beabsichtigte Abschöpfung der Mittel der Rentenversicherungen in der Sitzung des Bundestags vom 2. Juni dieses Jahres erfreulicherweise abgelehnt worden ist, hat die Rentenversicherung der Arbeiter zur Zeit einen Überschuß von rund 680 Millionen DM. Dies ist nicht etwa nur eine Annahme von uns, sondern dieser Betrag ist von der Bundesregierung in dem von ihr vorgelegten Material in der Drucksache Nr. 4005 selbst angegeben bzw. kann auf Grund dieses Materials errechnet werden. Die Rentenversicherung der Arbeiter ist also durchaus in der Lage, die beantragte Neufestsetzung der Grundbeträge durchzuführen. Deshalb haben wir unter Punkt 2 unseres Antrages zur Frage der Deckung gesagt, daß die Grundbeträge zur Hälfte vom Bund und zur andern Hälfte von den Trägern der Rentenversicherung getragen werden. Das bedeutet praktisch, daß für den Bund überhaupt keine Mehrbelastung eintritt und die vollen Mehrausgaben nach diesem Gesetz von der Rentenversicherung übernommen werden.
Ich bitte Sie deshalb namens meiner Fraktion, die so dringend erforderliche Hilfe für die Rentner sofort zu beschließen, indem Sie dem vorliegenden Antrag zustimmen und die Bundesregierung damit beauftragen, dem Bundestag umgehend einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0127011800
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit.

Anton Storch (CDU):
Rede ID: ID0127011900
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Frau Bundestagsabgeordnete, die eben den Antrag begründet hat, hat gesagt, daß die Finanzierung auf Grund dieses Gesetzentwurfs in ihrer ganzen Breite die Invalidenversicherung treffe, daß irgendwelche Bundesmittel dafür nicht aufzuwenden seien. Wenn Sie sich die genaue Rechnung auf Grund der gegebenen Verhältnisse aufmachen, finden Sie, daß diese Behauptung nicht der Wahrheit entspricht. Das volle Gewicht der Verpflichtungen ist nämlich nur dort gegeben, wo der Mann keine Zuschüsse auf Grund der Mindestrente bekommt. Hier ist ja schon oft dargelegt worden, in welchem Umfang wir Mindestrenten geben. Ich bin gern bereit, Ihnen die Unterlagen dafür zu geben, daß der Antrag so, wie er von Ihnen gestellt worden ist, für die Bundesrepublik, für die Versicherungsträ-


(Bundesarbeitsminister Storch)

ger, also für die Landesversicherungsanstalten, eine Gesamtbelastung von 256 Millionen DM ausmacht, zusätzlich 18 Millionen DM, die wir für Berlin aufzuwenden hätten, also insgesamt 274 Millionen DM. Davon würden auf die Rentenversicherungsträger hier im Bundesgebiet 146 Millionen DM entfallen, zusätzlich 13 Millionen DM, die wir für Berlin aufzubringen hätten, also insgesamt 159 Millionen DM, während aus Bundesmitteln zusätzlich 110 Millionen DM für die Bundesrepublik und 5 Millionen DM für Berlin aufzuwenden wären.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn man einen derartigen Antrag richtig beurteilen will, muß man die Frage stellen und auch beantworten, ob wir die gesamte Struktur unserer Sozialversicherung und vor allen Dingen unserer Invalidenversicherung in diesem Moment durch einen derartigen Antrag restlos ändern können. Solange die Invalidenversicherung besteht, hat es einen Grundbetrag gegeben. Das war immer der Staatszuschuß zu der einzelnen Rente, eine Verpflichtung, die der Staat dafür übernommen hat, daß bei der Gründung der Invalidenversicherung auf einen Versicherungsträger Aufgaben überladen worden sind, die früher aus der Armenfürsorge des Staates abzudecken waren. Wir haben bis zu dem Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz niemals eine Grundrente aus den Beitragsmitteln der Versicherungsträger in der Invalidenversicherung gekannt. Es war auch in Frankfurt — schade, daß Herr Kollege Richter nicht hier ist — nicht die Absicht des Gesetzgebers, neben die staatliche Grundrente eine Grundrente aus den Beitragsmitteln zu setzen. Wir waren uns damals vielmehr einig darüber, daß man sich bei den Rentnern der Sozialversicherung vor einem ungeheuren Notstand befand. Wir haben eine Teuerungszulage — und zwar eine allgemeine Teuerungszulage — beschlossen. die, wie von allen damals gewünscht wurde, bei einer Reorganisation der Versicherungsträger wieder in echte Versicherungsleistungen umgewandelt werden sollte.

(Abg. Horn: Sehr richtig!) Das war der Sinn der ganzen Sache.

Wir sind nun hergegangen und haben die Grundrente, die ja buchmäßig oder satzungsmäßig noch immer 13 DM im Monat betrug, im vergangenen Dezember auf 18 DM erhöht. Geht man her und rechnet man die Leistungen, die man prozentual von den Teuerungszulagen als Grundbeträge anrechnen könnte, dann kommt man auf die Ziffern, die uns vorhin von der Antragstellerin genannt worden sind. In der Berechnungsgrundlage also finden wir uns völlig zusammen.
Nun frage ich Sie allen Ernstes: Wollen wir in einer Zeit, in der wir vor die Aufgabe gestellt sind, unsere Sozialversicherung einer grundsätzlichen Prüfung zu unterziehen. eine Vorwegentscheidung treffen, wonach in der Zukunft die Träger der Invalidenversicherung aus dem Beitragsaufkommen einen Betrag von 25 DM als Grundrente auch dann geben sollen. wenn die wirkliche Rente nicht auf einer echten Beitragsleistung beruht? Das sind doch die Dinge, vor denen wir stehen. Die Unzahl der Fälle. in denen wir die sogenannte Mindestrente zahlen. zeigt uns doch, daß wir durch die ganze Gesetzgebung — vor allen Dingen für die Kriegsteilnehmer in der nationalsozialistischen Zeit — bei unseren Versicherungsträgern zu Verpflichtungen gekommen sind, die man mit regulären Beiträgen rieht mehr abdecken kann. Sie in diesem Hohen Hause haben doch selbst den Wunsch gehabt, das gesamte Problem der Sozialversicherungsträger und insbesondere der Rentenversicherung einmal einer grundsätzlichen Prüfung zu unterziehen.

(Abg. Kunze: Sehr richtig!)

Sie haben beschlossen, daß beim Bundesarbeitsministeium ein Beirat für diesen Zweck eingesetzt werden soll.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Wir sind hier an der Arbeit. Aber wir wollen doch nicht heute noch einmal mit einem neuen Flickwerk die Aufgabe dieses Beirats, der Regierung und auch dieses Parlaments weiter erschweren.
Von der Sozialdemokratischen Partei wurde mir in der letzten Zeit sehr oft der Vorwurf gemacht, daß alles, was wir auf sozialpolitischem Gebiet hätten, Flickwerk sei. Ich gebe Ihnen restlos zu, daß wir in der Nachkriegszeit infolge der Verhältnisse, die wir vorgefunden haben, mit viel Flickwerk arbeiten mußten. Denn in der Zeit, als unser Sozialprodukt bei 80 Milliarden DM lag, waren eben Sozialleistungen, wie wir sie heute bei einem Sozialprodukt von 126 Milliarden DM gewähren können, gar nicht möglich. Wenn man nun zu der Überzeugung kommt, wir seien an einem Punkt angekommen, wo wir auf einer festen Basis ein neues Gebäude errichten können, dann sollten wir doch nicht zu dem alten Flickwerk bewußt neues Flickwerk hinzufügen.

(Sehr gut! in der Mitte.)

Sicher können die Sozialversicherungsträger die zur Zeit notwendigen Gelder für diesen Antrag aufbringen. Wenn wir aber so handelten, dann wären wir nicht in der Lage, denjenigen, die heute die Beiträge zahlen, zuzusichern, daß wir die vom heutigen Gesetzgeber beschlossenen `Leistungen auch dann noch geben können, wenn sie einmal die Rentenempfänger sein werden.

(Sehr richtig! in der Mitte. — Zurufe von der SPD.)

— Winken Sie doch nicht ab! — Diese Verantwortlichkeit haben beispielsweise die Vertreter Ihrer Partei nach dem ersten Weltkrieg mit den Vertretern der weltanschaulichen Gruppen, die früher im Reichstag von uns gestellt wurden, hundertprozentig geteilt. Man hat nicht von einem Tag zum anderen gelebt, sondern war sich darüber klar, daß man gegenüber jedem, der Beitrag zahlt, Verpflichtungen hat.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Frau Döhring: Das nehmen Ihnen die Rentner draußen doch nicht ab! — Gegenrufe von den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0127012000
Meine Damen und Herren, liegen Wortmeldungen vor? — Herr Abgeordneter Arndgen!

Josef Arndgen (CDU):
Rede ID: ID0127012100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Döhring hat bei der Begründung ihres Antrages gefordert, die Drucksache Nr. 4346 heute zu verabschieden. Ich frage die anwesenden Damen und Herren, soweit sie nicht in Sozialversicherungsangelegenheiten bewandert sind, ob sie diesen Antrag verstanden haben.

(Abg. Frau Dr. Weber [Essen]: Wir haben ihn nicht verstanden!)

In diesem Antrag heißt es:
Die Grundbeträge in der Rentenversicherung
der Arbeiter nach § 1268 Abs. 2 und § 1272


(Arndgen)

Abs. 1 RVO sind unter Berücksichtigung der Regelung im Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz, dem Rentenzulagengesetz und dem Grundbetragserhöhungsgesetz für Rentner auf monatlich ...
— und so weiter —
festzusetzen.
Ich glaube, daß der größte Teil dieses Hohen Hauses nicht in der Lage ist, sich unter diesem Antrag etwas vorzustellen.

(Abg. Marx: Aber mehr als beim Generalvertrag! — Weitere Zurufe von der SPD.) Ich selbst habe versucht, mir ein Bild über diesen Antrag zu machen. Man kann bei ihm verschiedene Lesarten anwenden. Zunächst einmal kann man sagen: Der Grundbetrag hat 13 DM betragen; durch das Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz sind 15 DM hinzugekommen; dann sind diese beiden Beträge durch das Rentenzulagengesetz um 25% erhöht worden; schließlich sind durch das Grundbetragserhöhungsgesetz vom Dezember vorigen Jahres noch einmal 5 DM hinzugekommen; das ist der bisherige Grundbetrag, und dieser soll nach dem Antrag auf 50 DM für die Normalrente erhöht werden. Das ist die eine Lesart. Man kann aber auch nach einer zweiten Lesart den Antrag verstehen.


(Abg. Marx: Und die dritte?!)

— Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Linken, wenn Sie hier Anträge stellen und gleich verabschiedet wissen wollen, seien Sie so freundlich und fassen Sie die Anträge so klar, daß sie jeder versteht.

(Zuruf von der SPD: Die sind klar; die kann man verstehen!)

Man kann nach der zweiten Lesart den Antrag so verstehen, daß die Grundbeträge, die Teuerungszulagen und der 5 Mark-Satz nach dem Grundbetragserhöhungsgesetz, dann aber auch die 25%, die das Rentenzulagengesetz vorgesehen hat, dazugenommen werden. Man käme dann zu höheren Sätzen.
Bei der Unklarheit des Antrags sind meine politischen Freunde nicht in der Lage, der Verabschiedung zuzustimmen. Ich stelle namens meiner politischen Freunde den Antrag, die Drucksache Nr. 4346 dem Ausschuß für Sozialpolitik zu überweisen.

(Abg. Marx: Stellen Sie doch einen klareren Antrag!)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0127012200
Das Wort hat der Abgeordnete Schellenberg.

Dr. Ernst Schellenberg (SPD):
Rede ID: ID0127012300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Arndgen ist, wie er sagt, nicht in der Lage, den wirtschaftlichen Sinn unseres Antrags voll zu begreifen. Der Herr Bundesarbeitsminister hat uns aber soeben vorgetragen, daß der Aufwand, der sich aus diesem Antrag ergibt, 274 Millionen DM betragen würde. Es war also möglich, sehr genau zu berechnen, wie hoch sich der Aufwand beläuft, und deshalb ist also der Antrag durchaus verständlich.

(Zuruf des Abg. Arndgen.)

Ich meine, man soll die Dinge nicht komplizierter machen als sie sind. Auch der Herr Bundesarbeitsminister hat vorgetragen, daß der feste Bestandteil jeder Rente in der Invalidenversicherung gegenwärtig 40 DM beträgt. Meine Kollegin, Frau Döhring, hat dargelegt, daß es der Sinn unseres Antrags ist, diesen festen Bestandteil der Rente um 10 DM monatlich auf 50 DM zu erhöhen. Das ist sozialpolitisch notwendig, weil nach den eigenen Angaben der Bundesregierung trotz aller Erhöhungen die durchschnittliche Rente in der Rentenversicherung der Arbeiter gegenwärtig 79 DM und die durchschnittliche Witwenrente nur 45 DM betragen.
Finanzwirtschaftlich ist doch entscheidend, daß die Mittel zur Verwirklichung der beantragten Rentenerhöhungen zur Verfügung stehen. Nach einer Aufstellung des Bundesarbeitsministeriums vom 10. März dieses Jahres hat die Invalidenversicherung einen jährlichen Überschuß von 680 Millionen DM. Von diesen 680 Millionen DM sollen nach unserem Antrag 274 Millionen DM für eine Verbesserung der Leistungen verwandt werden. Wir halten das für sozialpolitisch sinnvoller und dringender als die Vorlage, die in der letzten Sitzung hier beraten wurde und die die Regierungskoalition wieder zum Gegenstand eines Antrags gemacht hat, nämlich die Mittel der Sozialversicherung für Haushaltszwecke abzuschöpfen.

(Sehr gut! links. — Abg. Kunze: Das ist einfach nicht wahr, was Sie da sagen!)

— Die Mittel der Sozialversicherung sollen für Zwecke des Haushalts abgeschöpft werden; das ist ein Tatbestand, meine Damen und Herren, über den es keinen Zweifel gibt.

(Beifall bei der SPD. — Widerspruch bei der CDU.)

Meine Damen und Herren, wenn Sie nun davon sprechen, daß unser Antrag, die Rentenleistungen für die versicherten Arbeiter um 10 Mark und für die Witwen um 7 Mark monatlich zu erhöhen, gewissermaßen als ein Agitationsantrag zu werten sei,

(Abg. Kunze: Ist es doch auch! — Abg. Horn: Ist er das etwa nicht?)

dann darf ich auf die Beschlüsse des Bundesausschusses der CDU für Sozialpolitik verweisen, die dem Bundesparteitag der CDU am 19. bis 22. April dieses Jahres vorgelegt wurden. Hier heißt es wörtlich:
Das Verhältnis zwischen dem Arbeitseinkommen, aus welchem die Beiträge zur Rentenversicherung geleistet wurden, und den gewährten Renten ist zu verbessern. Dabei ist auf Versicherungsgrundlage eine weitgehende Annäherung an die Regelung, wie sie für die Beamtenschaft besteht, zu erreichen.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Das sind die Grundsätze, die Sie in Ihren Vorlagen
des Bundesausschusses der CDU für Sozialpolitik
herausstellen. Wenn wir aber beantragen, die Rente
in der Rentenversicherung aus den vorhandenen
Mitteln ohne Beanspruchung des Etats um 10 Mark
monatlich zu erhöhen, dann erklären Sie, das sei
wirtschaftlich nicht durchführbar! Zur Überwindung der Notlage der Rentner und zum bescheidenen Ausgleich der erheblichen Diskrepanz
zwischen der wirtschaftlichen Lage der Rentner
und der wirtschaftlichen Lage beispielsweise der
Beamtenpensionäre vertreten wir den Standpunkt,
daß die Verabschiedung unseres Antrags und ein
entsprechender Auftrag an die Bundesregierung
ein Gebot der sozialpolitischen Notwendigkeit sind.

(Beifall bei der SPD.)



Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0127012400
Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit.

Anton Storch (CDU):
Rede ID: ID0127012500
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir sollten uns bei der Behandlung dieser Angelegenheit nicht allzusehr ereifern.

(Abg. Arnholz: Sie haben sich ja vorhin selber ereifert!)

— Nein, ich habe mich bestimmt nicht ereifert, weil ich weiß, daß auch bei Ihnen eine ganze Reihe von Leuten sitzen, die sich um die weitere Gestaltung der sozialen Versicherung sehr ernste Gedanken im Interesse der arbeitenden Schichten machen.

(Abg. Renner: Ja, aber vorläufig hat man nur die Ministergehälter erhöht!)

Ich habe ja gar keine Ministergehaltserhöhung gewünscht! —
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich muß Ihnen doch einmal folgendes sagen. Die Errechnungen, die von meinem Ministerium herausgegangen sind, sehen im Rechnungsjahr 1953 eine voraussichtliche Mehreinnahme für die Invalidenversicherung in Höhe von 636 Millionen DM vor. Das trifft aber nur zu, wenn der Bund den Sozialversicherungsträgern im Laufe dieses Jahres 2,7 Milliarden DM in bar auf den Tisch legt.

(Hört! Hört! bei den Regierungsparteien.)

Wenn man in der deutschen Arbeitnehmerschaft eine innere Sicherung für die Zukunft haben will, kann man ihr nicht vorrechnen, daß bei der heutigen Kapitalsubstanz in fünf Jahren, wo die Zahl der Beitragszahler kleiner und die Zahl der Rentner größer geworden sein wird, noch die heutigen Leistungen gegeben werden können. Wenn ich mir vorstelle, daß wir zur Zeit monatlich 275 Millionen DM, d. h. jährlich über 3,3 Milliarden DM, aus der Invalidenversicherung an Renten bezahlen, dann ist doch das, was wir jetzt an Jahresüberschuß haben und was zur unbedingten Sicherstellung der späteren Rentenzahlung benötigt wird, eine derartige Bagatelle, daß ich mich wirklich wundern muß, wie Herr Schellenberg, der letzten Endes lange die große Versicherungsanstalt in Berlin geleitet hat, eine derartig oberflächliche Darlegung geben kann.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich unterhalte mich gern mit jedem, der es ernst mit der Sicherstellung der Arbeitnehmer meint.

(Abg. Frau Döhring: Wir etwa nicht?)

Aber über eines bin ich mir völlig klar: Herr Professor Schellenberg, wenn Sie die Linie, die Sie hier der Sozialversicherung aufzwingen wollen, einmal mit Herrn August Schmidt oder mit anderen Gewerkschaftsführern besprechen und ihnen sagen, welche Auswirkungen die Dinge für die Zukunft haben können, dann sagen die Ihnen alle: „Herr Professor, wir danken für Ihren Rat!"

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Frau Döhring: Diese Gewerkschaftler sind auch nicht für eine Zwangsanleihe, Herr Minister! Vielmehr sind sie auch dafür, daß die Rentner etwas kriegen!)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0127012600
Das Wort hat Herr Abgeordneter Kohl.

Rudolf Kohl (KPD):
Rede ID: ID0127012700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gehe mit dem Herrn Bundesarbeitsminister in einer Frage einig, und zwar wenn er davon spricht, daß auch dieser Antrag wieder ein gewisses Flickwerk darstellt. Wir haben ja wiederholt in diesem Hause festgestellt, daß die ganzen Anträge, die auf dem Gebiet der Sozialpolitik geseilt worden sind, Flickwerk sind. Aber die Schuld, daß es Flickwerk gewesen ist und bisher noch bleibt, ist allein bei dem Bundesarbeitsminister zu suchen, der vier Jahre Zeit gehabt hätte, endlich einmal die Reform der Sozialversicherung in Angriff zu nehmen.

(Abg. Kunze: Ach, Sie verstehen ja gar nichts davon!)

Mit platonischen Erklärungen können Sie niemanden täuschen, meine Damen und Herren, sondern das sind Tatsachen, und alle Rechenkunststückchen, die der Herr Bundesarbeitsminister hier aufgestellt hat, täuschen nicht über die tatsächliche Lage.
Wir sind einverstanden mit dem, was Frau Kollegin Döhring bei der Begründung ihres Antrags gesagt hat; aber wir sind nicht damit einverstanden, daß die Aufbringung der Mittel geteilt werden und die Hälfte zu Lasten der Sozialversicherung, die andere Hälfte zu Lasten des Bundes gehen soll.
Der Herr Bundesarbeitsminister hätte, glaube ich, gut daran getan, wenn er die beiden Reden, die er hier über die Lage der Sozialversicherung gehalten und in der er das Schreckgespenst ausgemalt hat, daß in einigen Jahren die Sozialversicherung nicht mehr liquide sein werde, keine Rente mehr werde zahlen können, seinem Kollegen, dem Finanzminister Schäffer, gehalten hätte, als er versuchte, die Mittel der Sozialversicherung für seine Rüstungsausgaben in Anspruch zu nehmen.

(Beifall bei der KPD. — Abg. Winkelheide: Endlich die alte Platte!)

Meine Damen und Herren, mit diesen Tatsachen müssen Sie sich abfinden, und Sie haben bei der Wahl Gelegenheit, sowohl Ihre Beschlüsse von Hamburg - die Herr Kollege Schellenberg vorgelesen hat — wie auch wirklich soziale Taten in diesem Bundestag auf sozialpolitischem Sektor erneut unter Beweis zu stellen.
Wie liegen denn die Dinge? Rechnen Sie doch bitte einmal aus — wer sich in der Sozialversicherung auskennt, wird das bestätigen müssen —,

(Abg. Winkelheide: Da kennen Sie sich aber nicht aus!)

daß das Steueraufkommen der Bundesrepublik - das sind die amtlichen Zahlen der Bundesregierung! — zu 55,4 % aus indirekten Steuern besteht, so daß also ein Arbeitsloser oder ein Rentner bei einem Verbrauch von 100 DM insgesamt etwa 20 DM an indirekten Steuern bezahlt. Ein kleines anderes Beispiel, daß Sie in einer Ausgabe des Sozialministeriums von Nordrhein-Westfalen lesen können: die Feststellung, daß die Durchschnittsrente bei 72 DM liegt. Darin sind enthalten — und das gilt für Herrn Kollegen Arndgen, weil Sie die Politik der Bundesregierung so leidenschaftlich zu verteidigen suchen — die 25%ige Erhöhung nach dem Rentenzulagengesetz mit 14,50 DM und der Grundbetrag von 13 DM. Der Invalidenrentner hat also 45 DM seiner Rente durch Beiträge selbst erworben, und er erhält vom Staat insgesamt einen Zuschuß von 27,50 DM. Und nun, meine Damen und


(Kohl [Stuttgart])

Herren, stellen Sie sich doch nicht so hin, wie es der Herr Bundesfinanzminister laufend in seinem Hausblatt tut, der sagt, die Soziallast des Bundes betrage weit über 17 Milliarden DM. Die Soziallast des Bundes liegt wesentlich niedriger; sie beträgt noch nicht einmal 7 Milliarden. Und das, meine Damen und Herren, soll man angesichts dieses Antrags wirklich in diesem Hause unter Beweis stellen.
Aber noch ein Wort zur sozialdemokratischen Fraktion: Ich bin der Meinung, es wäre besser gewesen, Sie hätten die Aktivität, die Sie jetzt auf diesem Sektor angesichts der kommenden Wahlen entfalten, auch früher entwickelt.

(Heiterkeit. — Abg. Kunze: Der einzige gute Satz, Herr Kohl!)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0127012800
Frau Abgeordnete Kalinke.

Margot Kalinke (CDU):
Rede ID: ID0127012900
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! In dem Parlament eines Volkes, in dem der Sozialetat und die soziale Not eine solche Höhe sozialer Leistungen erfordern, sollte eigentlich in der Geschäftsordnung verankert sein, daß sechs Monate vor Beginn von Neuwahlen keine sozialpolitischen Diskussionen mehr stattfinden.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Andauernde Zurufe links. — Zuruf von der Mitte: Überhaupt keine politischen!)

Der Tatbestand, daß hier der Sprecher der Sozialdemokratischen Partei, Herr Schellenberg, und der Sprecher der Kommunistischen Partei, Herr Kohl, mit der üblichen Demagogie über ein Problem gesprochen haben,

(Pfui-Rufe von der SPD — Zurufe von der KPD: Herr Präsident!!)

das allen verantwortungsbewußten Menschen Anlaß zu größter Sorge gibt,

(Abg. Renner: Wie ist das mit Ihrem Kriegsgefangenenantrag? War das etwas anderes als Demagogie? — Zurufe von der Mitte: Frau Kalinke, weitersprechen! — Glocke des Präsidenten)

der Tatbestand, daß hier von Menschen, die sich selbst als Sachkenner der Sozialversicherung bezeichnen, etwa Beweise angeführt werden wie die — eben hörten wir es von Herrn Kohl —, daß „die Invalidenrentner in ihrer Gesamtheit einen gewissen Prozentsatz der Rente mit Beitragsleistungen erworben hätten", oder wie jenes Argument des Herrn Schellenberg, der die Durchschnittsrenten in der Invaliden- und in der Angestelltenversicherung gegenüberstellte, ohne überhaupt zu fragen, wie die Durchschnittshöhe und die Durchschnittsdauer der geleisteten Beiträge im Verhältnis zu der Durchschnittsrente steht, — diese Tatsachen zeigen, wie leichtfertig hier ein Problem behandelt wird, das sechs Millionen Deutsche angeht.
Denn sechs Millionen erhalten heute Renten, erhalten Leistungen der Rentenversicherungen und Leistungen der Krankenversicherung der Rentner, ohne daß bei diesen sechs Millionen etwa gleiche oder zu vergleichende Voraussetzungen für den Rentenbezug, weder für die Bedürftigkeit und Notlage als Grundlage für staatliche Hilfe noch für den Rechtsanspruch aus erworbenen Leistungen, vorhanden wären. Unlängst konnten wir in der Zeitung „Die Welt" lesen, das für 50 Pfennig Beitrag jedermann, vor allem jede Hausfrau, in Zukunft eine Rente erwerben kann und soll. Viele
kurzfristige Beitragszahler konnten auf Grund der Gesetzgebung in der US-Zone nur durch das Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz zu einer Rente kommen, obwohl sie in ihrem Leben nur ganz kurze Zeit und sehr geringe Beiträge bezahlt haben. Selbständige, freiwillig Weiterversicherte — Beamte, die vorübergehend versichert waren —, die durchaus nicht zum Kreis „bedürftige Rentner" gehören, sondern oft hohe Einkommen haben, erhielten Rechtsansprüche auf Staatszuschüsse, während den wirklich nur auf die Rente angewiesenen Versicherten nicht genügend gegeben werden kann. Der Herr Arbeitsminister hat sehr richtig darauf hingewiesen, daß der Grundbetrag als Leistung des Staates und aller Steuerzahler, die Teuerungszulagen, die Zulagen nach den verschiedenen Anpassungsgesetzen vom Staat allen seinen Bürgern gegeben werden. Diese staatlichen Leistungen sollten doch zuerst denen gegeben werden, die nach einem arbeitsreichen Leben, in dem sie regelmäßig Pflichtbeiträge gezahlt haben, nun eine ausreichende Rente bekommen, die oft noch unter der Höhe der Fürsorgeleistung liegt. Sollte ein verantwortungsbewußter Sozialpolitiker und sollte jemand, der sich selber als Kenner der Materie bezeichnet, nicht darüber nachdenken, daß es unser aller gemeinsames Bestreben sein müßte, dafür zu sorgen, daß zuerst die bisherigen Renten aufrechterhalten, dann denjenigen gerechte Leistungen gegeben werden müssen, die jahrzehntelang Beiträge gezahlt haben, und schließlich die Mittel des Staates, nämlich die Grundbeträge und die Teuerungszulagen und sonstigen Zuschüsse vor allem denen gegeben werden, die mit ihrer Rente nicht auskommen können oder die nicht in der Lage waren, ausreichende Beiträge zu zahlen?

(Unruhe. — Glocke des Präsidenten.)

Die Sicherheit der Leistungen der Rentenversicherung und die Frage der Kapitaldeckung ist seit mehr als 20 Jahren problematisch, und schon 1934 wurde genau wie 1945, 1947, 1948 und heute darüber diskutiert, in welcher Form man die Anwartschafterhaltung, die Deckung der Rentenzulagen und die Erfüllung des Leistungsanspruchs der Beitragszahler garantiert und die Verantwortung für die Zukunft nicht versäumt.

(Glocke des Präsidenten.)

— Darf ich sagen, Herr Präsident: der Herr Minister hat mehrmals das Wort genommen, Dadurch ist die Redezeit verlängert.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0127013000
Frau Abgeordnete Kalinke, wir haben seit längerer Zeit eine Geschäftsordnung, in der steht, daß, wenn die Redezeit von Fraktionen verbraucht ist und ein Mitglied der Bundesregierung spricht, dann ein Viertel der Redezeit noch einmal verbraucht werden kann. Sie hatten noch nicht gesprochen!

Margot Kalinke (CDU):
Rede ID: ID0127013100
Vielen Dank! Ich bitte Sie, mir noch eine Minute zu geben. — Dem Herrn Kollegen Schellenberg möchte ich hinsichtlich der Verantwortung nur sagen: er hat uns in Berlin mit großer Leichtfertigkeit vorexerziert, wie er über die Sicherheit von Rentenansprüchen denkt. 1945 wurden die Rentner in Berlin um ihre wohlerworbenen Ansprüche gebracht,

(Zurufe von der SPD.)

und als unter dem Druck der öffentlichen Meinung 1946 die Rentenansprüche wiederhergestellt wurden, wurden sie entscheidend verschlechtert.

(Lebhafte Zurufe von der SPD.)



(Frau Kalinke)

Die Rentner mußten die Berufstätigkeit aufgeben, ehe sie Rentenansprüche geltend machen konnten, und sie erhielten — jawohl, Frau Schroeder! — dann eine Rente nach ihren Arbeitseinkünften der fünf letzten Jahre. Wer also in Berlin in den fünf letzten Jahren das richtige Parteibuch und eine Anstellung hatte, der bekam die höhere Rente!

(Erregte Zurufe von der SPD: Unverschämtheit! — Unruhe. — Glocke des Präsidenten.)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0127013200
Frau Abgeordnete Kalinke, kommen Sie bitte zum Schluß! Auch diese Minute ist abgelaufen!

Margot Kalinke (CDU):
Rede ID: ID0127013300
Die Fraktion der Deutschen Partei wünscht, Sie hätten nicht jetzt vor der Wahl, — —Präsident Dr. Elhers: Kommen Sie bitte zum Schluß!

(Anhaltende Zurufe links. — Lärm.)


Margot Kalinke (CDU):
Rede ID: ID0127013400
— sondern eher unseren Anträgen von 1949 bis 1951 zugestimmt. Wir werden der Überweisung an den Ausschuß zustimmen und Ihnen dann gern Unterricht geben über das, was Sie noch nicht wissen oder nicht erkannt haben.

(Beifall rechts.)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0127013500
Frau Abgeordnete Kalinke, mein Herr Amtsvorgänger hat im Jahre 1949 festgestellt, daß der Ausdruck „Demagogie" in diesem Hause verpönt sei. Ich bitte, diese gute Übung drei Monate vor der Wahl nicht mehr zu ändern.

(Heiterkeit.)

Das Wort hat Herr Abgeordneter Horn.

Peter Horn (CDU):
Rede ID: ID0127013600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich würde das Wort nicht mehr genommen haben, wenn nicht die Ausführungen des Herrn Kollegen Schellenberg noch zu einer Erwiderung zwängen. Wenn ich zunächst einen kleinen Nachtrag zu den sehr überzeugenden Ausführungen des Herrn Bundesarbeitsministers

(Zuruf von der KPD: Für Sie!)

hinzufügen darf, der uns verpflichtet, die Maßnahmen auf dem Gebiet der Rentenversicherung und hier der Invalidenversicherung, mit besonders starkem Verantwortungsbewußtsein zu überlegen, dann ist es neben den Gründen, die der Herr Bundesarbeitsminister bereits angeführt hat, u. a. auch noch dieses: Im Bundesarbeitsministerium ist vor einiger Zeit die unlängst veröffentlichte Sterbetafel der Bundesrepublik überprüft worden hinsichtlich ihrer Auswirkung auf die Altersgliederung in der sozialen Rentenversicherung. Dabei ist festgestellt worden, daß die Lebensalter über 65 Jahre in den nächsten 25 Jahren noch um 70 % steigen werden, daß dagegen aber die Lebensalter von 15 bis zu 65 Jahren auf dem Stande des Jahres 1950 beharren werden.
Überlegen Sie sich das einmal in der Auswirkung auf die Entwicklung der Rentenversicherung und machen Sie sich klar, daß im Jahre 1975 die Menschen im Lebensalter von 15 bis zu 65 Jahren, also die beitragzahlenden, eine zusätzliche Belastung von 70 % übernehmen müßten—wenn diese Dinge allein aus Beiträgen getragen würden —, um die Rentenzahlungen für die Invaliden- und die Angestelltenversicherung weiterhin zu garantieren! Das zwingt doch angesichts der knappen Vermögenslage, die zu verzeichnen ist, bei dem, was wir jetzt tun, zu der allergrößten Vorsicht.
Lassen Sie mich aber mit Bezug auf die beiden Herren Vorredner von der linken Seite folgendes sagen. Diejenigen Menschen draußen — und ich glaube, auch die Rentner —, die sich noch ein sachliches Urteil bewahrt haben, werden sich auch von einem solchen Stimmaufwand, wie er hier so nachdrücklich nach draußen getragen wird, in der Beurteilung dessen, was tatsächlich ist, nicht beeinflussen lassen.

(Zuruf von der SPD: Auch nicht von Ihrem Wortaufwand! — Weitere Zurufe.)

Wir und auch die Menschen draußen sollten der Bundesregierung und diesem Parlament dankbar dafür sein — und ich habe die Überzeugung, daß dieses Gefühl draußen auch noch vorhanden ist —,

(Fortgesetzte Zurufe von der SPD.)

daß wir mit Vernunft und Überlegung ohne übereilte Schritte zunächst einmal die Leistungen überhaupt garantiert und sie dann im Verlauf dieser vier Jahre in einem Ausmaß gesteigert haben, das heute doch zu einem Bundeszuschuß von nahezu drei Milliarden DM geführt hat.

(Abg. Dr. Schröder [Düsseldorf]: Hört! Hört! — Zurufe von der SPD. — Lachen links.)

Meine Damen und Herren, ich glaube, daß das draußen gesehen und auch anerkannt wird.

(Zuruf des Abg. Renner.)

Herr Professor Schellenberg hat heute hier zum soundsovielten Male dargetan, wir seien aber entschlossen gewesen und seien es noch, Mittel der sozialen Rentenversicherung für Zwecke des Bundeshaushalts abzuschöpfen. Diese Behauptung wird, auch wenn sie noch so oft vorgetragen wird, deshalb doch nicht wahr!

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der SPD.)

Was hier geschieht — das muß noch einmal betont werden —, ist die nach den gesetzlichen Vorschriften erlaubte Vermögensanlage der Versicherungsträger, die in dem bekannten Maße verzinst und amortisiert wird.

(Erneute Zurufe von der SPD.)

Es muß immer wieder betont werden, daß, wenn der Bund in den vergangenen vier Jahren in einem derartigen Ausmaß mit seinen Mitteln eingesprungen ist, erwartet werden darf, daß in einer Lage wie der gegenwärtigen und bei diesen Ursachen auch die Rentenversicherung einmal Vermögensteile in dem Maße und auf diese Weise anlegt, anstatt sie woanders anzulegen.

(Zustimmung in der Mitte. — Zurufe von der SPD.)

Meine Damen und Herren, ein Letztes! Herr Kollege Schellenberg hat vorhin die Entschließung unseres Hamburger Parteitags als Stütze für seine Argumente herbeigezogen. Verehrter Herr Kollege Schellenberg und meine Damen und Herren, zu dem, was in unserem Parteitagsbeschluß geschrieben ist, steht die Christlich-Demokratische Union.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Lachen bei der KPD. — Lebhafte Zurufe von der SPD. — Unruhe. — Glocke des Präsidenten.)



(Horn)

— Etwas weniger Aufwand bei Ihnen tut's auch!

(Abg. Renner: Ihr steht darauf!)

Wir stehen zu diesem Programm. Daß wir aber diese Dinge als Richtschnur und Maßstab für die Überlegungen und die kommenden Vorarbeiten für eine wirklich echte Neuordnung auf diesen Gebieten gewertet sehen wollen, das möchte ich hier mit allem Nachdruck betonen. Genau so, wie Sie Ihren Sozialplan verkünden, der in konkreten Dingen vielleicht noch nicht einmal an das herankommt, was hier formuliert ist,

(Zuruf von der SPD: Denkste!)

genau so haben wir auf unserem Bundesparteitag

(Abg. Renner: Etwas formuliert!) grundsätzlich eine Stellungnahme bezogen, die wir bei den Vorbereitungen für kommende Neuordnungen berücksichtigt wissen wollen, die aber nicht dazu zwingt, in dieser Situation Entscheidungen zu treffen, die angesichts der Lage nicht vertreten werden können. Sie werden uns nicht bereit finden, dab wir hier Ihren wahlagitatorischen Anträgen - etwas anderes ist es nicht — ohne weiteres Folge leisten, sondern wiederholen unseren Antrag. Wir werden uns dann im Sozialpolitischen Ausschuß darüber unterhalten.


(Beifall bei den Regierungsparteien. — Auseinandersetzungen zwischen Abgeordneten der Mitte und der Linken. — Abg. Renner: Der Ausschuß schläft, und die Invaliden hungern weiter! — Abg. Schröder [Düsseldorf]: Kümmern Sie sich mal um die Ostzone! — Abg. Renner: Immer der alte Schmus! — Weitere Zurufe und Gegenrufe.)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0127013700
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hammer.

Dr. Richard Hammer (FDP):
Rede ID: ID0127013800
Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Schellenberg hat vorhin darauf hingewiesen, daß aus Mitteln der Invalidenrentenversicherung im Augenblick etwa 670 Millionen DM anständen. Der Herr Bundesarbeitsminister hat darauf hingewiesen, daß weit über 2 Milliarden DM der deutschen Sozialversicherung aus Bundesmitteln zuflössen, und der Herr Kollege Horn hat ebenfalls darauf hingewiesen, daß die versicherungsmathematische Bilanz unserer Rentenversicherung äußerst schlecht ist. Ich kann also dem Herrn Professor Schellenberg nicht den Vorwurf ersparen, daß er seine Zukunftsplanungen einzig und allein auf die Kassenlage eingestellt und Kassenlage mit Bilanz verwechselt hat.
Meine Damen und Herren, das Gespräch sieht so aus, als sei es nur auf die Interessen unserer Rentner zugeschnitten. Darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß es in Deutschland auch Millionen von Versicherten gibt, deren Mittel in den Beträgen stecken, über die im Augenblick so freigebig verfügt werden soll, und deren in der Zukunft anfallende Renten von uns genau so treuhänderisch behandelt werden müssen wie die Kapitalien und Renten derjenigen, die diese Renten im Augenblick beziehen.
Wir halten unter diesen Umständen den Antrag der SPD für eine schwere Schädigung der in Deutschland vorhandenen Rentenversicherten und können aus der sozialpolitischen Verantwortung der FDP heraus dem Antrag der SPD unter gar keinen Umständen zustimmen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0127013900
Herr Abgeordneter Schellenberg!

Dr. Ernst Schellenberg (SPD):
Rede ID: ID0127014000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist hier von der Verantwortung gegenüber den Rentnern gesprochen warden.

(Abg. Dr. Hammer: Und den Versicherten!)

— Und den Versicherten. Ich glaube, daß diejenigen, die sich gegen die Methoden der Beanspruchung von Mitteln der Sozialversicherung — ich muß es noch einmal wiederholen — durch den Herrn Bundesfinanzminister in Gestalt von Schuldverschreibungen wenden, eine größere Verantwortung für die Rentner und für das soziale Schicksal unseres Volkes zeigen als diejenigen, denen es nur darum geht, im Augenblick den Haushalt auszugleichen.

(Beifall bei der SPD.)

Ein zweites. Es ist davon gesprochen worden, daß dieser Antrag meiner Fraktion in Verbindung mit den Wahlen stehe.

(Zustimmung in der Mitte.)

Meine Damen und Herren, die sozialdemokratische Fraktion hat am 22. Oktober vergangenen Jahres unter Drucksache Nr. 3791 den Antrag gestellt, Zuschläge zu den Renten der Rentenversicherung in Höhe von 15 DM für den Versicherten, 12 DM für die Witwe und 6 DM für die Waisen zu gewähren. Dieser Antrag hat lediglich zu einer Erhöhung von 5 DM, 4 DM und 2 DM geführt. Was wir heute wünschen, ist nichts anderes als die Annahme unseres alten Antrages, und zwar in einem Zeitpunkt,

(Abg. Kunze: Wo keine Deckung vorhanden ist!)

in dem unbestritten die Mittel für die Deckung zur
Verfügung stehen würden, wenn diese nicht für die
Abschöpfung in Anspruch genommen werden sollten.
Nun noch ein Wort zu den Zahlen über die Zuschüsse zur Sozialversicherung. Der Herr Bundesarbeitsminister hat von 2,7 Milliarden gesprochen; Herr Kollege Horn hat von 3 Milliarden gesprochen.

(Abg. Horn: Fast 3 Milliarden! — Weitere Zurufe in der Mitte und rechts.)

Aber bei diesen Beträgen ist die halbe Milliarde eingerechnet, die Sie gerade abschöpfen wollen. Tatsächlich ist der Zuschuß aus öffentlichen Mitteln, der zu den Renten der Sozialversicherung gegeben wird, heute niedriger als jemals zuvor. Die öffentlichen Zuschüsse zur Sozialversicherung betragen heute keine 30 %.

(Abg. Winkelheide: 38! — Weitere Zurufe von den Regierungsparteien.)

— Keine 30 %! Sie liegen unter 30 % der Ausgaben der Rentenversicherung. Die öffentlichen Zuschüsse zur Sozialversicherung betrugen aber früher immer über 30 %. Insofern ist die Argumentation nicht richtig, daß heute relativ mehr Mittel des Staates für die Leistungen der Sozialversicherung zur Verfügung gestellt werden. Wenn wir gleichzeitig nachweisen können, daß Leistungserhöhungen aus den Beiträgen der Versicherten bestritten werden können, ist kein Anlaß vorhanden, einen solchen Antrag abzulehnen.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0127014100
Herr Abgeordneter Renner!

(Zurufe von der Mitte.)

— Eine Minute.


Heinz Renner (KPD):
Rede ID: ID0127014200
Meine Damen und Herren! Nachdem wir jetzt aus dem Mund des Herrn Kollegen Schellenberg erfahren haben, daß es sich um die Wiederholung des SPD-Antrags vom 22. Oktober des vorigen Jahres handelt, darf ich zur Steuer der Wahrheit daran erinnern, daß wir Kommunisten am 11. Dezember vorigen Jahres diesen alten sozialdemokratischen Antrag unter ausdrücklichem Hinweis darauf, daß es der alte sozialdemokratische Antrag vom Oktober war, aufgegriffen haben. Im Protokoll des Bundestags steht: Abgelehnt gegen die Stimmen der Antragsteller bei großer Stimmenthaltung, und die Stimmenthaltung hat die SPD geübt. Nichtsdestoweniger sind wir Kommunisten der Auffassung, daß das, was im Dezember am Widerstand dieser Koalition und an der Nachgiebigkeit der SPD gescheitert ist, heute nachgeholt werden muß.

(Beifall bei der KPD. — Zurufe.)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0127014300
Herr Abgeordneter Hammer!

Dr. Richard Hammer (FDP):
Rede ID: ID0127014400
Meine Damen und Herren! Offenbar hat nach dem alten Sprichwort der eine Esel den andern ,,Langohr" genannt.

(Heiterkeit.)

— Es ist nur ein Sprichwort!

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0127014500
Ich bitte aber, nicht zu bildhaft zu sprechen, Herr Abgeordneter!

(Erneute Heiterkeit.)


Dr. Richard Hammer (FDP):
Rede ID: ID0127014600
Ich werde mir Ihre Mahnung zu Herzen nehmen.
Meine Damen und Herren, Herr Professor ) Schellenberg hat wieder behauptet, daß die Bundesregierung Mittel der Rentenversicherung zur Sanierung des Haushalts verwandt habe.

(Zurufe von der SPD: Jawohl!)

Damit versucht er, bei dem sozialpolitisch nicht genügend geschulten deutschen Volk den Eindruck zu erwecken, den er das letzte Mal schon zu erwecken versucht hat: daß Renten nicht gezahlt würden, damit der Bundesfinanzminister seine Schulden bezahlen kann.

(Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

Es ist doch klar, daß die ganze Beweisführung darauf hinausgelaufen ist.

(Zustimmung in der Mitte.)

Meine Damen und Herren, ich will die Worte „Propaganda" und „Demagogie" nicht in den Mund nehmen.

(Abg. Arnholz: Sie tun es aber!)

Sie haben das letzte Mal ganz deutlich gehört, und zwar durch einen Zwischenruf des Herrn Abgeordneten Preller, der meine Ausführungen bestätigt hat: Diese Mittel, die nun in Bundesschatzanweisungen angelegt werden sollen, sollten nach Ihrer Forderung für den sozialen Wohnungsbau verwandt werden, also nicht zur Rentenzahlung, meine Damen und Herren.

(Zurufe von der SPD.)

Wenn aus dem Haushalt des Bundes ein Betrag von 2000 Millionen oder 2100 Millionen DM überführt und eine Kapitalanlage von 500 Millionen DM in Schatzwechseln beim Bunde vorgenommen wird: nun, zu wessen Gunsten ist dann die Zahlungsbilanz aktiv? Hieraus dem Bund einen Vorwurf machen zu wollen, das ist doch ganz üble Demagogie.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0127014700
Herr Abgeordneter Dr. Hammer, ich beanstande auch bei Ihnen das Wort „Demagogie".

(Zuruf von der SPD: Er hat „üble Demagogie" gesagt!)

Dadurch wird es doch nicht besser, sondern nur schlimmer, meine Damen und Herren.
Keine weiteren Wortmeldungen? — Ich schließe die Besprechung.
Es ist der Antrag gestellt, diesen Gesetzentwurf dem Ausschuß für Sozialpolitik zu überweisen. Ich bitte die Damen und Herren, die für die Überweisung an den Ausschuß für Sozialpolitik sind, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; die Überweisung ist erfolgt.
Ich rufe auf den Punkt 7 der Tagesordnung: Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Baulandbeschaffungsgesetzes (Nrn. 2281, 2300 der Drucksachen);
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Bau- und Bodenrecht (36. Auschuß) (Nr. 4364 der Drucksachen; Antrag Umdruck Nr. 957). (Erste Beratung: 153. Sitzung.)
Es liegt Ihnen der Schriftliche Bericht des Herrn Berichterstatters vor. Ist noch eine mündliche Ergänzung erforderlich? — Aber bitte in aller Kürze, Herr Abgeordneter!

Werner Jacobi (SPD):
Rede ID: ID0127014800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann verstehen. wenn der Herr Präsident aus einer ganzen Reihe von Gründen Wert darauf legt, daß auch die Beratung dieses Tagesordnungspunktes nicht allzu lange andauert. Ich will als Berichterstatter weitgehend darauf Rücksicht zu nehmen versuchen. Ihnen ist ein eingehender Schriftlicher Bericht") unterbreitet worden; ich darf ihn Ihrer Aufmerksamkeit empfehlen. Aber bei der Bedeutung des Gesetzes, das das erste Enteignungsgesetz der Bundesrepublik darstellt, muß ich nun doch eine Reihe von tragenden Gesichtspunkten herausstellen, die diesen Gesetzentwurf betreffen.

(Vizepräsident Dr. Schäfer übernimmt den Vorsitz.)

Der Gesetzentwurf verdankt seine Entstehung einem einstimmigen Bundestagsbeschluß, der bei der Verabschiedung des Ersten Wohnungsbaugesetzes gefaßt wurde. Dieser Beschluß sah zur Durchführung des Wohnungsbauprogramms die Vorlage eines Gesetzes vor, das, gegebenenfalls unter Änderung von Bestimmungen des Grundgesetzes, die schnelle, wirksame, endgültige und zu günstigen Preisen mögliche Enteignung von Grundstücken vorsehen sollte. Sie können durch einen Blick in die jetzige Vorlage feststellen, in welcher Weise die Bundesregierung diesem Verlangen des Bundestags Rechnung getragen hat. Der Schriftliche Bericht gibt Ihnen des weiteren die Möglichkeit, sich über den Verlauf der Aussschußberatungen im einzelnen zu informieren. Im wesentlichen haben diese Verhandlungen eine Bestätigung der Regierungsvorlage, mindestens was ihre Grundzüge anlangt, ergeben. Dies gilt unter anderem für den Enteignungszweck, für die Zulässigkeit der Enteignung auch zugunsten privater Bauherren, für die Enteignungsvoraussetzungen, die Verfahrensregelung und den zwei Instanzen umfassenden
*) Siehe Anlage 3 Seite 13377


(Jacobi)

Rechtsschutz vor den Baulandkammern und -senaten. Ich darf auch hier, was die Einzelheiten betrifft, auf den Schriftlichen Bericht verweisen. Das Gesetz läßt die Enteignung von Land für Wohnbauten, für das dazugehörige Gartenland und für den Gemeinbedarf zu, und zwar unter bestimmten Voraussetzungen. Lediglich dann, wenn der Bedarf anderweitig nicht zu decken ist, kann der Weg der Enteignung beschritten werden. Sie ist also die ultima ratio und zudem an die Voraussetzung geknüpft, daß die Enteignung dem Wohle der Allgemeinheit dient.
Es lag in der Natur der Sache, daß in den Beratungen immer wieder die Frage nach der Vereinbarkeit der zu treffenden Regelungen mit den Bestimmungen der Verfassung auftrat. Bekanntlich schreibt Art. 14 des Grundgesetzes u. a. vor, daß die Enteignung als äußerstes Mittel nur dann zulässig ist, wenn die Bedürfnisse und Interessen der Allgemeinheit dies erfordern. Die Ausschußberatungen haben eine volle Übereinstimmung darüber ergeben, daß der immer noch brennende Wohnraummangel einen öffentlichen Notstand darstellt, der nur durch eine konsequente Fortsetzung der Bautätigkeit gelindert und schließlich behoben werden kann. Es muß aber möglich sein, das erforderliche Bauland zu beschaffen.
Bei den Beratungen wurde festgestellt, daß die unerläßliche Weiterführung und Steigerung des Wohnungsbaues heute vielerorts durch den Mangel an geeignetem Baugelände bedroht ist. Den sich hieraus ergebenden Gefahren will das Gesetz abhelfen. Es läßt entgegen dem klassischen Enteignungsrecht auch die Enteignung zugunsten eines einzelnen, einer Privatperson, einer Gesellschaft, einer Genossenschaft zu. Allerdings kann nur derjenige ein Grundstück im Enteignungswege erwerben, der den Willen und die Möglichkeit hat, binnen einer kurz bemessenen Frist die Bebauung vorzunehmen.
Ich will darauf verzichten, einzelne Bestimmungen des Gesetzes hier lang und breit zu erörtern, sondern nur einen kurzen allgemeinen Überblick geben. Dabei verzichte ich auf eine Darstellung der Eingangsbestimmungen und wende mich dem Teil des Gesetzes zu, der in erster Linie Gegenstand der Auseinandersetzungen war. Ich meine den Zweiten Abschnitt des Gesetzes, der sich mit der Frage der Entschädigung beschäftigt. Das Grundgesetz schreibt anders, als dies die Weimarer Verfassung vorsah, die Pflicht zur Entschädigung in jedem Enteignungsfalle vor. Dementsprechend ist bei den Ausschußberatungen niemals und von niemandem ein Entschädigungssausschluß erwogen worden. Vielmehr wurde an Hand und auf Grund der Verfassung nach einem Weg gesucht, der eine gerechte Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten gewährleistet. Hier lag ein Schwerpunkt der Beratungen, bei denen es galt, zwei in echtem Widerspruch zueinander stehende Bestrebungen auf einen Nenner zu bringen. Auf der einen Seite wurde im Sinne des Bundestagsbeschlusses vom 28. März 1950 eine günstige, d. h. für den Baulanderwerber günstige Entschädigungsregelung gefordert. Auf der anderen Seite wurde geltend gemacht, daß auch im Enteignungsfall grundsätzlich der volle sonst im freien Grundstücksverkehr zu erzielende Preis, also der gemeine Wert, geleistet werden müsse. Nachdem es an vielen extremen, aber auch an vermittelnden Vorschlägen nicht gefehlt hatte, wurde schließlich die Lösung des § 10 der Ihnen heute unterbreiteten
Vorlage gefunden. Nach dieser Vorschrift ist bei der Ermittlung der Entschädigung von den Stopppreisen des Jahres 1936 auszugehen. Die in der Zwischenzeit eingetretenen Wertveränderungen sollen jedoch grundsätzlich berücksichtigt werden. Hierbei schwebte dem Ausschuß vor, daß der Änderung der Kaufkraft der D-Mark entsprechende Zuschläge zum Stoppreis von heute etwa 30% im Schnitt oder ein weniges darüber als zulässig angesehen werden können.

(Abg. Lücke: Nein, das stimmt nicht ganz! Es war etwas höher!)

— 30 % im Schnitt und etwas darüber, habe ich gesagt. Wir haben im Ausschuß als Höchstes ungefähr 50% für Ausnahmefälle, und zwar unter Berücksichtigung des gegenwärtigen Kaufkraftwertes der D-Mark betrachtet. Ausgeschlossen ist die Berücksichtigung solcher Werterhöhungen, die in der Veränderung der baulichen Ausnutzbarkeit oder der Aussicht hierauf begründet sind. In keinem Fall darf der gemeine Wert überschritten werden. Die Frage, ob die Regelung des § 10 mit dem Grundgesetz vereinbar sei, ist Gegenstand sorgfältiger Prüfung gewesen. Der Ausschuß hat hierzu vor allem das Bundesjustizministerium gehört, das gutachtlich die Vereinbarkeit der Bestimmungen des § 10 mit dem Grundgesetz bejaht hat.
Ich will über die weiteren Schwerpunkte der Beratungen hier nichts weiter sagen, sondern mich darauf beschränken, sie zu erwähnen.
Den zweiten Schwerpunkt bildete das Enteignungsverfahrensrecht. Hier waren Überlegungen anzustellen, die darauf abzielten, gewisse Einwände des Bundesrates auszugleichen. Das ist dadurch gelungen, daß in § 52 eine Kompromißformel gefunden wurde, deren Beachtung und Betrachtung im Bericht ich Ihnen empfehlen darf.
Der dritte umstrittene Fragenkomplex sei ebenfalls hier nur erwähnt. Er betraf das Gerichtsverfahren in Baulandsachen. Hier ist der Versuch gemacht worden, das Neben- und Nacheinander der bisherigen Regelung abzumildern und vor allen Dingen zu einer Vereinfachung des Verfahrens und der Rechtsmittelzüge zu kommen. Auch hier darf ich mich, was die Einzelheiten anlangt, auf den Schriftlichen Bericht beziehen.
Den Ausschüssen, vor allem dem federführenden Ausschuß, schwebte selbstverständlich das Ziel vor, eine Vereinfachung des Rechtswegs und des Verfahrens überhaupt zu erreichen, wo immer dies möglich und notwendig erschien. Das ist im wesentlichen, wie ich sagen darf, dadurch erreicht worden, daß auch eine Klippe umschifft wurde, die sich aus der Bestimmung des Art. 14 des Grundgesetzes ergab. Gegenüber der heutigen Zweispurigkeit des Verfahrens ist der Versuch gemacht worden, durch die Schaffung von Baulandkammern bei den ordentlichen Gerichten — also bei den Zivilgerichten — eine neue Einrichtung zu schaffen, die wesentlich der Vereinfachung des Verfahrens unter der dennoch vorhandenen Garantie einer sach-
und fachgemäßen Prüfung dienen soll. Die Baulandkammern sollen mit zwei Verwaltungs- und drei Zivilrichtern besetzt werden. Dieser Kompromiß wurde nach langen Bemühungen gefunden. Hinsichtlich seiner Zulässigkeit wurden zunächst Bedenken geltend gemacht. Sie sind aber schließlich in Übereinstimmung mit einem seitens des Bundesjustizministeriums erstatteten Gutachten als unbegründet zurückgewiesen worden.


(Jacobi)

Eine allgemeine Bemerkung zum Schluß: Der Gesetzentwurf stellt lediglich eine vorläufige Regelung dar. Im Rahmen der Beratungen über ein geschlossenes Baugesetz, das den kommenden Bundestag vermutlich demnächst beschäftigen dürfte, wird sich nicht nur die Möglichkeit, sondern darüber hinaus die Notwendigkeit ergeben, die durch das Baulandbeschaffungsgesetz geregelten Tatbestände einer erneuten Überprüfung zu unterziehen. Ich darf darum bitten, die Vorlage dieses Gesetzentwurfs in der Fassung, die sich aus der Drucksache Nr. 4364 ergibt — das ist ein Auftrag, den mir der Ausschuß erteilt hat —, unverändert anzunehmen und die in dieser Sache eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären.

(Beifall.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0127014900
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Wir treten in die zweite Beratung ein. Um die Verhandlungen etwas zu beschleunigen, werde ich immer nur die Paragraphen besonders verlesen, zu denen Änderungsanträge vorliegen.
Ich darf zunächst die §§ 1 und 2 aufrufen. Dazu liegen keine Änderungsanträge vor. Eine Aussprache wird nicht gewünscht. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei wenigen Enthaltungen angenommen.
Zu § 3 liegt ein Änderungsantrag der KP auf Umdruck Nr. 959 Ziffer 1 vor.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Gundelach.

Gustav Gundelach (KPD):
Rede ID: ID0127015000
Meine Damen und Herren! Der § 3 des vorliegenden Gesetzentwurfs regelt die Frage, welche Grundstücke der Enteignung unterliegen. Unter Buchstabe c des Abs. 1 dieses § 3 wird bestimmt, daß der Enteignung auch Grundstücke mit geringfügiger Bebauung unterliegen.
Als geringfügig
- so heißt es in der Gesetzesvorlage —
ist namentlich eine Bebauung anzusehen, die erheblich unter dem Maß der zulässigen oder üblichen Bebauung liegt oder nach ihrem Umfang die Verpflichtung zur Leistung von Anliegerbeiträgen nicht auslöst oder in behelfsmäßiger Bauart errichtet oder nur auf Widerruf genehmigt ist.
Wenn in diesem Gesetz kein besonderer Schutz für die zahlreichen Behelfsheime festgelegt wird, dann entsteht für die zur Zeit darin wohnenden Familien die große Gefahr, daß sie eines Tages ihre mit vieler Mühe und unter großen Entbehrungen unter dem Zwang der Ausbombung oder der allgemeinen Wohnungsnot geschaffenen Behelfsheime räumen müssen, ohne eine entsprechende Entschädigung zu erhalten. Oftmals wird auch die Gefahr bestehen, daß sie keine entsprechende andere Wohnung bekommen. Wenn man bedenkt, daß allein im Hamburger Gebiet nach amtlichen Angaben fast 40 000 derartige Behelfsheime vorhanden sind, dann muß man einen besonderen Schutz für die darin wohnenden Familien fordern, der zumindest den Schutzbestimmungen entspricht, die im geltenden Kleingartenrecht enthalten sind. Ich will damit keineswegs zum Ausdruck bringen, daß das zur Zeit geltende Kleingartenrecht ausreichenden Schutz gewährt. Der Verband der Kleingärtner, der die Interessen von über 1 Million Kleingärtner und Behelfsheimbewohner vertritt, hat immer wieder ein neues
Kleingartenrecht gefordert, .das der heute gegebenen Lage entspricht. Wiederholt ist auch seitens meiner Fraktion diese berechtigte Forderung der Kleingartenbewegung von dieser Stelle aus vertreten worden. Aber die Regierung hat trotz wiederholter Verprechungen dem Bundestag bis zum heutigen Tage ein derartiges dringend notwendiges Gesetz nicht vorgelegt. Statt eines verbesserten Schutzes wird mit dem vorliegenden Gesetz zur Bereitstellung von Bauland das geltende Kleingartenrecht noch eingeschränkt.
Um nun in dem vorliegenden Gesetz mindestens den Schutz für Kleingärtner und Behelfsheimbewohner zu erhalten, was auch der Verband der Kleingärtner auf einer großen Kundgebung am letzten Montag in Hamburg verlangt hat, wo über 8000 interessierte Kleingärtner und Behelfsheimbewohner anwesend waren — zu der ich geladen und wohl als einziger Bundestagsabgeordneter vertreten war —, fordern wir, daß es in § 3 heißt:

(1) Der Enteignung für die in § 2 Buchst. a

und b geannten Zwecke unterliegen nur
c) Grundstücke mit geringfügiger Bebauung; als geringfügig ist namentlich eine Bebauung anzusehen, die erheblich unter dem Maß der zulässigen oder üblichen Bebauung liegt.
Und nun kommt entsprechend der Forderung der Kleingärtner das Entscheidende:
Kleingartengelände mit Behelfsheimbauten darf nur auf der Grundlage des geltenden Kleingartenrechts enteignet werden.
Wir vertreten darüber hinaus den Standpunkt, daß Inhaber von Behelfsheimen nur dann zur Aufgabe ihres Behelfsheims veranlaßt werden dürfen, wenn erstens eine bessere Wohnung zur Verfügung gestellt und zweitens der volle Wert des aufzugebenden Behelfsheims vergütet wird.
In diesem Geist ist unser Änderungsantrag gehalten. Wir ersuchen Sie, im Interesse der zahlreichen Kleingartenbesitzer mit Behelfsheimen unserem Antrag Ihre Zustimmung zu geben.

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0127015100
Das Wort hat der Abgeordnete Jacobi.

Werner Jacobi (SPD):
Rede ID: ID0127015200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf als Berichterstatter noch zwei kurze Bemerkungen machen. Der Herr Vorredner hat offenbar den § 3 nicht oder nicht richtig durchgelesen.

(Abg. Lücke: Er war ja bei den Beratungen nicht dabei!)

Anscheinend hat er auch nicht darauf geachtet, daß die Wünsche der Kleingärtner, ,die dem Ausschuß bekannt waren, in § 16 des Gesetzentwurfs eine gewisse Berücksichtigung gefunden haben.
Ich darf zu § 3 und dem, was hierzu angeführt worden ist, nur noch einmal bemerken, daß auch in einem solchen Fall selbstverständlich eine entschädigungslose Enteignung nicht denkbar ist.

(Abg. Renner: Warum kommt das dann nicht ins Gesetz hinein?)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0127015300
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der KPD. Ich bitte diejenigen, die ihm


(Vizepräsident Dr. Schäfer)

zustimmen, die Hand zu heben. — Gegenprobe! — Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich bitte diejenigen, die dem § 3 in der Fassung der Vorlage zustimmen, die Hand zu heben. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
Ich rufe weiter auf: §§ 4,-5,-6,-7,-8,-
9. — Dazu liegen keine Änderungsanträge und Wortmeldungen vor. Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die den aufgerufenen Paragraphen zustimmen, die Hand zu heben. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
Ich rufe § 10 auf. Dazu liegen vor ein Änderungsantrag der FDP auf Umdruck Nr. 957, der KPD auf Umdruck Nr. 959 unter Ziffer 2 und ein Antrag der FU auf Umdruck Nr. 960.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Wirths.

Carl Wirths (FDP):
Rede ID: ID0127015400
Meine Damen und Herren! Der Antrag meiner Fraktion bezweckt die Wiederherstellung der Regierungsvorlage. Wir sind der Meinung, daß die Fassung der Drucksache Nr. 4364 nicht klar genug ist. Es wird davon gesprochen, daß von den Wertverhältnissen am 17. Oktober 1936 auszugehen sei und die seitdem eingetretenen Änderungen in den Wertverhältnissen zu berücksichtigen seien. Der Herr Berichterstatter hat in seinem Schriftlichen Bericht ausgeführt, daß damit die Kaufkraftänderungen der D-Mark gemeint seien. Nach meinem Dafürhalten ist das aber ungenügend. Man kann sich unter Wertverhältnissen — an sich sind sie im späteren Text ausgeschlossen — eine ganze Reihe von anderen Dingen vorstellen. Es ist auch unerfindlich, weshalb man hier von den „Wertverhältnissen" am 17. Oktober 1936 ausgehen will, wenn man die Werte am 17. Oktober 1936 im Auge hat. Wir sind der Meinung, daß der Text der Regierungsvorlage besser und klarer ist und insbesondere den Enteignungsbehörden und auch den Baulandkammern bei streitigen Verfahren eine bessere Handhabe gibt, den Preis zu ermitteln. Solange wir bei den unbebauten Grundstücken noch einen gesetzlichen Preis haben, nämlich den Preisstopp, werden wir davon ausgehen müssen. Ich möchte aber keinen Zweifel über unsere Auffassung lassen, daß auch der Preisstopp für unbebaute Grundstücke aufgehoben werden muß. Wir werden uns nachher mit der Entschließung, die die CDU eingebracht hat, beschäftigen. Wir stimmen dieser Entschließung zu, weil sie diese Notwendigkeit anerkennt und weil sie auf der anderen Seite — da stimmen wir ebenfalls zu — Spekulationsgewinne beim Grund und Boden ausschließen will.
Wenn der Herr Berichterstatter nun erklärt hat, der Auschuß sei sich darüber klargewesen, daß im Schnitt diese Aufstockung im Wertverhältnis zu 1936 etwa einen Betrag von 30 % und etwas höher auf die Preise von 1936 bedeuten würde, dann mag darüber im Ausschuß gesprochen worden sein. Ich kann mich nicht darauf besinnen. Ich kann also nicht sagen, daß diese Erklärung etwa den Kommentator oder sogar die Behörden oder das Gericht binden würde.

(Abg. Lücke: Damit ist die Kaufkraft gemeint!)

Man wird darüber streiten können, ob damit etwa die Kaufkraftänderung seit der Zeit gemeint ist. Aber ich glaube, darüber werden sich die Finanzgelehrten noch nicht einig sein.
Nun haben wir seit geraumer Zeit den Preisstopp für Trümmergrundstücke aufgehoben. Trümmergrundstücke können nach diesem Gesetz enteignet und der Wiederbebauung zugeführt werden. Wir haben nicht feststellen können, daß sich eine erhebliche Preissteigerung bei den Trümmergrundstücken ergeben hätte. Es ist nach wie vor so, daß in vielen Fällen noch nicht einmal der Einheitswert erreicht wird. Deshalb sind wir weiterhin der Auffassung, daß es gerade weil im Wohnungsbau, insbesondere im sozialen Wohnungsbau — also in dem Wohnungsbau, der durch dieses Gesetz gefördert werden soll —, die Rendite durchaus mager ist, nicht zu einer erheblichen Preissteigerung auch der unbebauten Grundstücke kommen kann, weil eben der wirtschaftliche Anreiz nicht da ist. Wir möchten also dafür plädieren, daß wir nach sorgfältigen Ermittlungen und Erwägungen zu einer Auflockerung des Preisstopps für unbebaute Grundstücke kommen müssen.
In unserer Vorlage haben wir erklärt, daß, wenn ein gesetzlich zulässiger Preis nicht mehr existiert, der Verkehrswert, der gemeine Wert, zu vergüten sei. Wir halten das für billig. Denn wenn man schon eine so einschneidende Maßnahme und einen solchen Eingriff in das private Vermögen vornimmt wie die Enteignung von Grundstücken, muß man auch den Wert bezahlen, den der Betreffende im üblichen Geschäftsverkehr hätte erzielen können.
Nun kommt noch eines hinzu. Sowohl bei der Enteignungsbehörde wie auch nachher etwa im gerichtlichen Verfahren wird man ohne Sachverständigenmitwirkung und Sachverständigengutachten gar nicht auskommen können. Es hat sich bereits in der Vergangenheit, auch der letzten Jahre, ergeben, daß die Taxen, die von den Sachverständigen aufgestellt werden, in der Regel den gemeinen Wert deklarieren. Es ist ja beim Grundstücksverkehr überhaupt nicht möglich, diesen Wert genau festzustellen, weil es sich immer wieder um andere Grundstücke handelt.
Ich möchte also der Auffassung Ausdruck geben, daß die Vorlage, die wir Ihnen gemacht haben, eine bessere Regelung des § 10 vorsieht, und ich bitte Sie, ihr zuzustimmen.

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0127015500
Weitere Begründungen zu den Anträgen? Das Wort hat Herr Abgeordneter Gundelach.

Gustav Gundelach (KPD):
Rede ID: ID0127015600
Meine Damen und Herren! Vorweg eine kleine Bemerkung zu den Ausführungen des Berichterstatters Herrn Jacob i. Wenn Sie, Herr Jacobi, sagen, die Forderungen des Kleingartenverbandes seien im wesentlichen berücksichtigt worden, so kann ich Sie nur bitten, sich mit dem Vorsitzenden des Kleingartenverbandes, Herrn Berg, und mit dem Zweiten Bürgermeister von Hamburg, Dr. Nevermann, in Verbindung zu setzen, um von denen zu erfahren, was auf der großen Kundgebung in Hamburg ihrerseits zu dem vorliegenden Gesetz ausgeführt worden ist. Mehr will ich im Augenblick dazu nicht sagen.
Nun zu dem Änderungsantrag zu § 10. § 10 Abs. 3 regelt die Entschädigung für Bauwerke auf enteigneten Grundstücken. Der Abs. 3 des § 10 richtet sich nach unserer Meinung in nicht vertretbarer Weise gegen die Behelfsheimbesitzer. Hier wird ein sehr dehnbarer Begriff über eine Entschädigung im Enteignungsfalle im Gesetz verankert; es wird bestimmt, daß eine Entschädigung nur „aus Gründen der Billigkeit" gewährt werden kann. Wir


(Gundelach)

Kommunisten vertreten den Standpunkt, daß die Frage einer Entschädigung nicht zu einer Ermessensfrage der Behörden gemacht werden darf. Aus diesem Grunde beantragen wir, daß § 10 Abs. 3 folgende klare Fassung erhält:
Eine Entschädigung für Bauwerke, insbesondere für Behelfsheime, die in Verbindung mit Kriegsschäden oder der allgemeinen Wohnungsnot errichtet worden sind, ist entsprechend den Werten voll zu gewähren.
Es geht nicht an, meine Damen und Herren, daß eine Entschädigung für Bauwerke, deren entschädigungsloser Abbruch nach dem jeweils geltenden Recht gefordert werden kann, nur dann zu gewähren ist, wenn es aus Gründen der Billigkeit geboten ist, wie es im vorliegenden Gesetzentwurf gesagt wird. Wir fordern demgegenüber, daß die Behelfsheimbesitzer, die alle fast ohne Ausnahme ohne staatliche Hilfe und durch die Not gezwungen eine eigene Behausung durch eigene Arbeit und mit vom Munde abgesparten Geldern errichtet haben, im Falle der Enteignung voll entschädigt werden. Dieser berechtigten Forderung des Verbandes der Kleingärtner entspricht der von meiner Fraktion gestellte Änderungsantrag zu § 10 Abs. 3 des vorliegenden Gesetzes.

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0127015700
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bertram.

Dr. Helmut Bertram (FU):
Rede ID: ID0127015800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir namens der Fraktion der Föderalistischen Union einen Änderungsantrag zu § 10 dieses Gesetzes gestellt haben, so sind wir ebenso wie alle anderen hier in diesem Hause von der Notwendigkeit der Baulandbeschaffung überzeugt. Gerade in dörflichen und kleinstädtischen Verhältnissen ist die Beschaffung von Bauland auf besonders große Schwierigkeiten gestoßen. Bauland für Siedler und Baulustige in diesen Verhältnissen zu beschaffen, stößt oft auf den an sich verständlichen Widerstand der Grundstückseigentümer, die von ihrer kargen Ackernahrung nichts hergeben wollen. Hier stehen sich berechtigte Interessen oft schroff gegenüber. Ein Baulandbeschaffungsgesetz ist deshalb notwendig.
Trotzdem kann uns das Gesetz in der Regelung der Einzelheiten zur Entschädigungsfrage nicht befriedigen. Der hauptsächliche Sachverhalt, der nach unserer Meinung am meisten vorkommt, stellt sich doch so dar: Unbebaute Grundstücke, die 1936 landwirtschaftlich genutzt waren und auch jetzt noch als Äcker oder Gärten bewirtschaftet werden, werden durch Fluchtlinienplan oder Leitplan zu Bauland erklärt. Diese Erklärung schafft bereits eine Wertsteigerung und stellt außerdem die Folge einer tatsächlichen Entwicklung der Besiedlung dar. Wenn früher der Wert des Ackerlandes, sagen wir, 30 oder 50 Pfennig je Quadratmeter gewesen ist, so ist er nach einer solchen Erklärung schnell auf 2,50 oder 3 DM je Quadratmeter gestiegen. Die gesetzliche Folge des § 10 in der vorliegenden Fassung ist, daß dieses Land dem einen zum Preise von 30 oder 50 Pfennig je Quadratmeter abgenommen und dem Erwerber zu demselben Preis zugeschlagen wird, dieser also den Gewinn aus der Wertsteigerung zieht.
Die in Satz 2 des § 10 zugelassene Erhöhung des Kaufpreises durch Arbeits- oder Kapitalaufwand stellt keinerlei Entschädigung für das Grundstück dar, sondern ist eine Entschädigung für sonstigen
Aufwand, beispielsweise eine Dränage, und kann deshalb hier ausscheiden. Aber auch die in Satz 1 zugelassene Berücksichtigung der Änderung des Wertverhältnisses kann meiner Ansicht nach aus zwei Gesichtspunkten nicht so beurteilt werden, wie es hier geschehen ist. Einmal kann die Berücksichtigung von Währungsänderungen nicht dadurch zugelassen werden, daß Änderung von Wertverhältnissen vorgeschrieben wird. Der Wert einer Sache wird zwar in der jeweiligen Währung ausgedrückt; er selbst ändert sich aber nicht ohne weiteres durch eine neue Währung. Das gilt im vorliegenden Falle ganz eindeutig durch die Bezugnahme auf die Preisstoppverordnung, die ja für die preisgestoppten Grundstücke nach wie vor fortgilt und Reichsmark gleich Deutsche Mark setzt. Unter diesen Umständen kann die Berücksichtigung von Wertverhältnissen nur die sonstigen Wertverhältnisse betreffen. Wenn ich den Wortlaut „Veränderung der Wertverhältnisse" in diesem Gesetz betrachte — vorher ist auf Grundstücke, hinterher ist auf Grundstücke Bezug genommen —, dann kann das sinngemäß nur die Veränderung von Werten von Grundstücken betreffen. Da diese Werte aber gestoppt gewesen sind, kann daraus die Schlußfolgerung, wie sie der Berichterstatter gezogen hat, gar nicht gezogen werden. Es kann aber insbesondere auch nicht richtig sein, wenn der Berichterstatter sagt, man sei sich darüber einig geworden, daß ein bestimmter Satz von Änderung von Wertverhältnissen, beispielsweise 30 %, berücksichtigt werden könne. Der Kollege Wirths hat sofort widersprochen und hat einen höheren Satz genannt, Kollege Lücke rief dazwischen und sagte 66 %.

(Abg. Wirths: Ich habe keinen Satz genannt!)

— Ich sagte, Herr Wirths, Sie haben widersprochen, und Herr Kollege Lücke machte in Form eines Zwischenrufes den Satz von 66 % geltend.

(Abg. Lücke: Der ist nur erwähnt worden!)

Alle diese Dinge sind reine Annahmen, die im Gesetz keinen Ausdruck gefunden haben und deshalb für die Berechnung des Wertes der Entschädigung überhaupt ausscheiden müssen.
Was mit dem Gesetz in diesem § 10 beabsichtigt ist, ist ganz eindeutig: Man will hier dem Veräußerer einen Preis bezahlen, der mehr oder weniger erheblich unter dem Verkehrswert liegt. Wenn es anders wäre und nicht eine Entschädigung unter dem Verkehrswert beabsichtigt wäre, brauchte man ja diese ganze Bestimmung nicht.
Die Frage der Rechtsgültigkeit einer solchen Bestimmung ist, wie der Berichterstatter gesagt hat, sorgfältig geprüft worden. Diese Prüfung vom Bundesjustizministerium hat nach manchem Wenn und Ach und Aber ergeben, daß diese Bestimmung möglicherweise rechtsgültig ist. Aber der Berichterstatter hat nicht erwähnt, daß der Rechtsausschuß dieses Hauses die Frage ebenfalls geprüft hat und auf einem anderen Standpunkt steht. Er ist in einem dem Ausschuß für Bau- und Bodenrecht erstatteten schriftlichen Gutachten zu dem Ergebnis gekommen, daß die Bezugnahme auf den Preisstopp von 1936 rechtlich unzulässig sei.
Über die Entschädigung bei Enteignungen enthält das Grundgesetz nur eine allgemeine Bestimmung, die durch eine grundlegende Entscheidung des Großen Senats des Bundesgerichtshofes vom 10. Juni 1952 ausgelegt worden ist. Der Bundesgerichtshof geht in seiner Entscheidung davon aus, daß die Entschädigung, die bei einer Enteignung


(Dr. Bertram [Soest])

dem Betroffenen zu zahlen ist, dazu bestimmt ist, die Einhaltung des Gleichheitsgrundsatzes zu gewährleisten. Die Entschädigung soll dem Betroffenen einen Ausgleich für das Opfer bieten, das ihm durch den Eingriff in seine private Rechtssphäre auferlegt worden ist. Von diesem Gesichtspunkt weichen Sie in der Vorlage ab.

(Abg. Lücke: Das ist Ihre Meinung!)

Der Verstoß der vorgeschlagenen Fassung liegt darin, daß einem Eigentümer, dem im Wege der Enteignung das Grundstück fortgenommen wird, ein bestimmt fixierter Preis, ein niedrigerer Preis als der Verkehrswert, zugedacht ist, während einem anderen Eigentümer — und jetzt kommt die Frage des Gleichheitsgrundsatzes zum Tragen —, der sein Grundstück nicht veräußert, der gesamte Wert, und zwar nicht ohne die Abzüge, wie Sie sie in diesem Gesetz statuieren, belassen bleibt. Damit verstoßen Sie gegen den Grundsatz des Art. 14 in Verbindung mit Art. 2, wie er in dieser grundlegenden Entscheidung des Bundesgerichtshofes zum Ausdruck gebracht worden ist, und damit wird diese Bestimmung Gegenstand unzähliger Erörterungen bei Zivilgerichten und beim Bundesverfassungsgericht sein. Die schlechten Erfahrungen, die man mit dem Bodenreformgesetz, wie wir es in Nordrhein-Westfalen haben, gemacht hat, das ähnliche Bewertungsbestimmungen enthält, sollten doch schrecken. Man sollte nicht von vornherein nur aus taktischen bzw. praktischen Gesichtspunkten eine Bestimmung schaffen, die dann hinterher Gegenstand zahlreicher Prozesse und zahlreicher Umgehungshandlungen sein wird. Die Betroffenen werden sich nicht wehrlos einer solchen Bestimmung ausserzen. Die Fülle der Umgehungsmöglichkeiten zeichnet sich jetzt schon ab. Wer das, was wir mit einer entsprechenden Bestimmung des Bodenreformgesetzes an Vertragskunststücken erlebt haben, kennt, wird mir recht geben.
Außerdem: wem stünde — wenn wir die Frage des Grundgesetzes einmal außer Betracht lassen wollen — nach moralisch-rechtlichen Gesichtspunkten die Werterhöhung an sich denn zu, wenn sie nicht, wie Sie es wollen, dem neuen Erwerber zufließen kann? Dem bisherigen Eigentümer offenbar auch nur zu einem kleinen Teil. Zustehen müßte sie eigentlich der Öffentlichkeit, der Allgemeinheit, die die letzte Trägerin der Werterhöhung dieser Grundstücke ist. Durch Anlagen der Allgemeinheit, durch die Tatsache, daß Wege und Versorgungseinrichtungen angelegt werden, daß die Gemeinde wächst und daß dafür wieder alle möglichen Schulen und sonstigen Anstalten unterhalten werden, wird letzten Endes auch die Werterhöhung von solchem Land, das am Dorfoder Stadtrand liegt, begründet. Also müßte die Werterhöhung der Allgemeinheit zufließen. Es ist aber doch sicher unrecht, diese effektiv vorhandene Wertsteigerung dem einen, nämlich dem bisherigen Eigentümer, entschädigungslos fortzunehmen und sie einem anderen, Privaten, ohne daß er dafür zu zahlen hätte, zufließen zu lassen. Dieser Private kann dann, nachdem er ein Haus auf das Grundstück gesetzt hat, seinerseits das Grundstück plus Haus verkaufen und die ganze Differenz in harem Gelde realisieren. Das ist der Erfolg dieser merkwürdigen Bestimmung, die eben gegen mein Rechtsgefühl verstößt und die nach meiner Kenntnis auch mit der Bestimmung des Grundgesetzes nicht in Einklang zu bringen ist.
Ich bin der Ansicht, daß unabhängig davon, ob die Frage der Erfassung der Bodenwertsteigerung schon richtig gelöst ist oder nicht, nur auf diesem Wege die etwaige Bodenspekulation bekämpft werden kann, unter keinen Umständen dadurch, daß sich die Bodenspekulation von dem Erstbesitzer auf den Zweitbesitzer verlagert. Es ist doch nun einmal so, daß gerade diese Grundstücke sehr häufig nicht in die Hand von einzelnen Siedlern gelangen, die diese Grundstücke dauernd behalten wollen, sondern in die Hand von kapitalistischen oder genossenschaftlichen Trägern oder Wohnungsbaugesellschaften, die eigens dazu gegründet sind, das geschaffene Wohneigentum zu veräußert, und dann werden alle diese Wertsteigerungen, die Sie hier zum Verschwinden bringen wollen, wieder auftauchen.
Ich würde Sie deshalb dringend bitten, nicht dieser Vorlage, wie sie vom Ausschuß erarbeitet worden ist, sondern unserem Vorschlag Ihre Zustimmung zu geben. Der von uns erarbeitete Vorschlag deckt sich wörtlich mit der Entscheidung des Bundesgerichtshofes und gestattet insbesondere die Anrechnung solcher Wertvorteile, die einem Grundstückseigentümer dadurch zuwachsen, daß sein Restgrundstück durch den Enteignungsakt wertvoller wird. Die Anrechnung eines solchen Vermögenszuwachses ist nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs ohne weiteres möglich und auch notwendig. Deshalb scheint mir diese Formulierung die richtige zu sein. Ich bitte Sie, unserem Antrag zuzustimmen.

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0127015900
Das Wort hat Herr Abgeordneter Lücke.

Paul Lücke (CDU):
Rede ID: ID0127016000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Bertram, wer 31/2 Jahre lang im Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen und im Ausschuß für Bau- und Bodenrecht daran mitgearbeitet hat, diese Frage, und zwar gerade die Höhe der Entschädigung, zu regeln, weiß, wie schwer eine solche Regelung ist. Ich bin der Meinung, das, was Sie hierzu gesagt haben, läßt etwas vermissen, nämlich das Maß an Sachkenntnis, das man im allgemeinen voraussetzen muß, wenn man zu dieser Frage sprechen will. Sie haben von Bodenwertabschöpfung, von diesem und jenem gesprochen. Diese Probleme stehen hier nicht zur Debatte. Es wäre besser gewesen, Sie hätten im Laufe der letzten vier Jahre im Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen und im Ausschuß für Bau- und Bodenrecht einmal Gelegenheit genommen, sich dort auch mit dieser sicherlich brennenden Frage zu befassen. Dann würde einige Verwirrung, die sonst in diesem Hohen Hause leicht entstehen könnte, vermieden werden.

(Beifall in der Mitte.)

Ich nehme an, daß der Herr Minister Neumayer im Namen der Bundesregierung zu der rechtlichen und juristischen Seite dieses Antrags noch etwas sagen wird, insbesondere zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Persönlich möchte ich als Abgeordneter dazu nur sagen: Art. 14 des Grundgesetzes fordert ausdrücklich, daß Art und Ausmaß der Entschädigung bei Enteignungen durch Gesetz zu regeln sind,

(Sehr richtig! bei der SPD)

daß also wir hier Recht schaffen, nach dem später das Bundesverfassungsgericht zu urteilen hat. Von mir aus kann ich zu dieser Frage weiter feststellen, daß sich das Urteil auf die bisherigen Gesetze stützt.


(Lücke)

Wenn ich daher bitte, den Antrag des Herrn Dr. Bertram und seiner Freunde abzulehnen, dann tue ich das, weil dieser Antrag das Problem nicht trifft und uns bei der gerechten Regelung dieser heiklen Frage der Entschädigung bei Grund und Boden in Schwierigkeiten bringen würde. Das gleiche gilt für den Antrag der kommunistischen Fraktion.
Wenn ich zu dem Antrag der FDP-Fraktion einige Ausführungen grundsätzlicher Art mache, dann in der Absicht, Ihnen klarzumachen — vielleicht gelingt es mir —, daß dem FDP-Antrag heute eigentlich die Grundlage fehlt. Seitdem die Regierungsvorlage eingebracht worden ist, sind mehr als 21/2 Jahre vergangen. In der Zwischenzeit — das wissen Sie; Herr Kollege Wirths hat es ausgeführt — ist der Preisstopp für bebaute Grundstücke aufgehoben worden. Wir haben uns erst kürzlich mit dieser Frage befaßt. Deshalb ist es für die Beurteilung des Antrags der FDP-Fraktion auf Wiederherstellung der Regierungsvorlage wichtig, sich noch einmal zu vergegenwärtigen, welche Gründe z. B. zu dieser Regierungsvorlage geführt haben und welche Voraussetzungen ihr zugrunde liegen. Ich zitiere deshalb wörtlich aus der Begründung, die dem — heutigen — § 10 seitens der Bundesregierung in der Regierungsvorlage gegeben wurde. Es heißt da:
Für die Gültigkeitsdauer dieses vorläufigen Enteignungsgesetzes kann man sich damit begnügen, als Höchstmaß der Entschädigung den gesetzlich zulässigen Preis festzusetzen, da die der Enteignung unterliegenden Grundstücke ausnahmslos den geltenden Preisbildungsvorschriften unterworfen sind. Innerhalb des hiernach gegebenen Rahmens ist die Entschädigung nach der in das Gesetz übernommenen Bestimmung des Grundgesetzes über die gerechte Abwägung der beiderseitigen Interessen zu bemessen.
Die Regierungsvorlage ging also bewußt davon aus, daß es sich um ein vorläufiges Enteignungsgesetz handelt und daß für die Gültigkeitsdauer dieser Zwischenlösung die geltenden Preisbildungsvorschriften auch weiterhin aufrechterhalten bleiben.
Meine Freunde und ich würden diesem Vorschlag der Regierung und der FDP-Fraktion unsere Zustimmung nicht versagen, wenn die Voraussetzungen von damals auch heute noch gegeben wären. Aber — und das ist das Entscheidende — die preisrechtliche Ausgangssituation, wie sie bei der Ausarbeitung der Regierungsvorlage bestand, ist heute nicht mehr vorhanden. Ich darf in diesem Zusammenhang noch einmal an die Debatte erinnern, die seinerzeit im Zusammenhang mit der Großen Anfrage der SPD stattgefunden hat. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat damals erklärt, daß er nicht daran denke, den Preisstopp für unbebaute Grundstücke aufzuheben. Er hat weiterhin erklärt, er werde nach Verabschiedung des Baulandbeschaffungsgesetzes prüfen, ob und in welcher Form eine Auflockerung der Preisbestimmungen folgen könne. Es ist also nicht möglich, die Regierungsvorlage aufrechtzuerhalten, da die entscheidenden Voraussetzungen durch die Aufhebung des Preisstopps für bebaute Grundstücke und die Lockerungen auch für unbebaute Grundstücke, wie sie auf dem Verordnungswege erfolgt sind, weggefallen sind. Darum bitte ich, dem Antrag der FDP-Fraktion auf Wiederherstellung der Regierungsvorlage nicht stattzugeben und der Ausschußfassung Ihre Zustimmung zu erteilen. Weiter würde eine Annahme dieses Antrages zu § 10, der das Kernstück des Gesetzes darstellt, das Gesetz in seiner Wirksamkeit gefährden und die endgültige Regelung der Bodenfrage unmöglich machen.
Meine politischen Freunde und ich können der in § 10 gefundenen Fassung nur so lange zustimmen, bis ein Baulandbewertungsgesetz vorliegt. Ich möchte auch hier zum wiederholten Male erklären, daß wir den Preisstopp als längst überholt ablehnen. Wir wissen auch, daß gesetzliche Verbote keine geeigneten Mittel sind, um die Bodenpreise in geordnete Bahnen zu lenken. Wir wissen aus der Erfahrung, daß auch Stoppreise nichts helfen, wenn eine Marktpartei stark genug ist, über die Stoppreise hinaus zu zahlen. Wenn das nicht offiziell geschieht, so werden diese Preise schwarz gezahlt. Stoppreise blockieren nur den legalen Verkehr und beleben den illegalen und schaffen so einen Schwarzmarkt, wie wir ihn leider im Grundstücksverkehr heute vielfach beobachten müssen. Das alles aber geht zu Lasten eines geordneten Wiederaufbaus und zu Lasten der Menschen, für die wir uns hier besonders einsetzen müssen. Darum muß der Stoppreis bald fallen. Wenn wir heute hier im Hohen Hause vor der schwierigen Aufgabe stehen, diesem dringend notwendigen Gesetz unsere Zustimmung zu geben, obwohl die Frage der Bodenbewertung noch nicht geregelt ist, dann nur deshalb. weil dieses Baulandbeschaffungsgesetz zur Durchführung des Wohnungsbaues, vor allem aber für den Wiederaufbau dringend und noch einmal dringend benötigt wird und eine Verschiebung dieses Gesetz auch nur für Monate nicht verantwortet werden kann.
Der Stoppreis darf aber nicht ersatzlos fallen. Er muß durch etwas Besseres ersetzt werden. Die Damen und Herren des Hohen Hauses, die sich mit dieser Frage befassen, wissen, daß meine Freunde und ich, die CDU/CSU, seit längerem an dem Entwurf eines Baulandbewertungsgesetzes arbeiten. Dieser Gesetzentwurf soll gewährleisten, daß auf dem Grundstücksmarkt keine Marktpartei zur herrschenden wird. In diesem Gesetzentwurf ist neben der Aufhebung des Preisstopps auch für unbebaute Grundstücke — neben der bereits erfolgten für bebaute — unter anderem vorgesehen, daß Bodenspekulationen unmöglich gemacht werden, und zwar dadurch, daß alle nicht auf Arbeits- und Kapitaleinsatz beruhenden Wertsteigerungen, also der sogenannte unverdiente Bodenwert, abgeschöpft werden. Die CDU/CSU hat sich deshalb in all ihren Programmen wiederholt zu diesem Grundsatz bekannt und die Forderung vertreten, daß baldmöglichst ein Bodenrecht geschaffen werde, das den Interessen der Allgemeinheit und der Betroffenen gerecht wird. Es liegt im Wesen dieser überaus schwierigen Rechtsmaterie, daß der Entwurf dem Bundestag noch nicht vorgelegt werden konnte. Um jedoch überhaupt ein brauchbares Bodenhewertungsgesetz erlassen zu können, ist erste Voraussetzung — das kann ich nur mit großem Ernst sagen -, daß die in § 10 gefundene Fassung der Ausschußvorlage angenommen wird. Dieses Baulandbewertungsgesetz, an dem wir seit Jahren arbeiten. läßt sich nicht so rasch erarbeiten, wie wir geglaubt haben, und das weiß jeder hier im Hause und jeder draußen im Lande, der sich mit dieser Frage befaßt hat.
Wir halten jedoch an unserer Forderung fest und haben Ihnen, meine Damen und Herren, deshalb eine Entschließung vorgelegt, die im Namen


(Lücke)

meiner Fraktion zu begründen ich die Ehre habe. Diese Entschließung, die wir zur zweiten Lesung dem Hohen Hause hiermit vorlegen, lautet:
Um die als Zwischenlösung anzusehende Vorschrift über die Entschädigungshöhe in § 10 des Baulandbeschaffungsgesetzes durch eine endgültige Regelung zu ersetzen, wird die Bundesregierung ersucht,
1. bis zum 30. Juni 1954 — sei es im Rahmen des vom Deutschen Bundestag mit Beschluß vom 13. September 1951 geforderten Bundesbaugesetzes oder als Sonderregelung — den Entwurf eines Gesetzes über die Bodenbewertung vorzulegen,
2. durch diesen Gesetzentwurf u. a. die Preisstoppvorschriften abzulösen und eine Regelung zu treffen, durch die Spekulationsgewinne am Grund und Boden ausgeschlossen werden.

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0127016100
Herr Abgeordneter, ich mache darauf aufmerksam, daß Entschließungen erst in der dritten Beratung zur Abstimmung kommen.

Paul Lücke (CDU):
Rede ID: ID0127016200
Meine Damen und Herren, ich darf Sie herzlich bitten, dieser Entschließung zuzustimmen.
Meine Freunde haben weiter überlegt, ob wir in der Lage seien, die Frist, innerhalb deren die Regelung des § 10 abgelöst werden muß, etwa in das Gesetz zu schreiben. Das läßt sich jedoch nicht ermöglichen, da die Regelung dieser ungemein schwierigen Rechtsmaterie eine bestimmte Fristsetzung nicht zuläßt. Überdies werden meine Freunde und ich weiterhin an der Vervollkommnung des Initiativgesetzentwurfs zur Baulandbewertung arbeiten, und ich hoffe diesen Entwurf dem Parlament sehr bald vorlegen zu können. Das würde bedeuten. daß somit auf dem Wege des Initiativgesetzentwurfs allein schon die Gewähr geboten wäre, daß § 10 in seiner heutigen Fassung durch das Baulandbeschaffungsgesetz abgelöst würde.
Meine Damen und Herren, wenn ich in diesem Zusammenhang wegen der Bedeutung der Regelung der Entschädigung einige kurze Gedanken grundsätzlicher Art ausführe, dann, damit sich das Hohe Haus der ganzen Verantwortung bewußt wird, die gerade dieser Paragraph für die künftige Baugesetzgebung und auch für die sozialpolitischen Belange hat. Der Grund und Boden ist nun einmal nicht vermehrbar. Er kann deshalb marktwirtschaftlichen Prinzipien nicht unterworfen werden. Gerade dadurch, daß Millionen deutscher Menschen zu uns gekommen sind, wird es immer und immer schwieriger, den vorhandenen Boden gerecht zu verteilen. Ich meine hier das Bauland. Es handelt sich hier nicht um ein Gesetz, das die ländliche Siedlung oder die Probleme der bäuerlichen Siedlung regelt. Es ist kein Bodenreformgesetz, es ist ein Baulandbeschaffungsgesetz. Die Not aus der Sowjetzone gejagter deutscher Menschen erhöht diese Schwierigkeit der Unterbringung. Eine gerechte Verteilung des vorhandenen Grund und Bodens ist jedoch nur möglich, wenn ihr eine gerechte Bodenbewertung vorausgeht.
Ich habe von dieser Stelle aus wiederholt gefordert, daß wir unsere Menschen über den Wohnungsbau mit dem Grund und Boden verwurzeln sollten. Es ist unsere Pflicht, möglichst vielen der Vertriebenen wieder Eigentum an Grund und Boden
zu geben. Dazu aber benötigt man Boden. Dieser Boden, Herr Kollege Dr. Bertram, soll nicht zu unangemessen niedrigen Preisen vom Eigentümer gefordert werden. Wir halten es aber für ungerecht, wenn für Boden nur deshalb ein oft unerschwinglicher Preis gezahlt werden muß, weil jemand aus einer Notlage heraus bauen muß. Aus der Not der Millionen Vertriebener, Ausgebombter und junger Familien darf auch beim Verkauf von Bauland kein Geschäft gemacht werden. Wir können nicht schweigen, wenn der Versuch unternommen wird, auch in dieser Notzeit mit dem so knappen Boden Spekulationsgewinne zu erzielen. Vor allem können wir Christen dazu nicht schweigen.

(Sehr gut! in der Mitte.)

Man wird mir entgegenhalten, daß die Bodenspekulation heute doch weiß Gott keine Bedeutung mehr habe und die Berlin-Schöneberger MillionenBauern der Gründerjahre der Vergangenheit angehörten, wie ja heute auch ein so schöner Artikel ausgeführt hat, zu dem hier noch gesprochen werden wird. Meine Damen und Herren, auch heute wird leider. Gott sei es geklagt, Spekulation mit Grund und Boden getrieben. Um Beweise dafür zu finden, brauchen wir uns nur das anzusehen, was z. B. hier in Bonn geschehen ist. In der Nähe des Johanniter-Krankenhauses, in Godesberg und an anderer Stelle wurde im Jahre 1951, nachdem der Deutsche Bundestag hier bereits tagte, in Bonn pro Quadratmeter Bauland z. B. ein Preis von 1,50 DM gezahlt. Heute werden an derselben Stelle 15 bis 20 DM und mehr verlangt. Das bedeutet eine Verteuerung von 1400 %.

(Abg. Wirths: Solche Preise hat auch die öffentliche Hand in Bonn gefordert!)

— Leider hat auch die öffentliche Hand bei der Steigerung der Bodenpreise eine oft sehr unerfreuliche Rolle gespielt. Sie wird nicht ausgenommen, auch sie wird von diesem Gesetz betroffen. Darum machen wir es ja.
Ich kann mir nicht vorstellen, daß jemand hier im Hause ist, der eine derartige Entwicklung billigt und wünscht. Wir müssen jedoch nach wirksamen Mitteln suchen, um einer solchen Entwicklung zu begegnen. Das ist nur möglich, wenn wir zunächst an dem korrigierten Preisstopp festhalten und ihn in einem halben bis dreiviertel Jahr durch ein geeignetes Bodenrecht ablösen.
Bei den Beratungen dieses Gesetzes haben wir viele Beweise des Verständnisses, vor allem seitens unserer Landwirtschaft, gefunden, Bauland herzugeben. Überall jedoch wurde die Forderung vertreten — dieses Verlangen soll nicht unausgesprochen bleiben —: Wenn man Land hergibt, auch seitens der Landwirtschaft, um der Not zu steuern, soll damit überall, wo es möglich ist, neues Einzeleigentum geschaffen werden, damit nicht allein große Wohnungsunternehmen, wie Kollege Bertram etwas scharf formulierte, in den Genuß einer derartigen Möglichkeit kommen.
Meine Freunde und ich bekennen uns auch in dieser Stunde zu dem Grundsatz, daß nur durch die Bejahung der sozialen Gebundenheit des Grund und Bodens die Beteiligung weitester Kreise am Grund und Boden und damit am Eigentum ermöglicht wird. Darum, und nur darum, haben wir das Familienheimgesetz eingebracht. Dieses Familienheimgesetz ist die Konsequenz des vorliegenden Gesetzes, das das notwendige Bauland dafür schafft. Eigentum wird auf die Dauer nur dann erhalten


(Lücke)

bleiben, wenn möglichst viele der Entwurzelten Eigentümer werden.

(Sehr richtig! in ,der Mitte.)

Wir wollen nicht, daß der Preisstopp von 1936 maßgebend sein soll. Bei den Beratungen hat lediglich die Kaufkraftänderung oder die Änderung der Wertverhältnisse, wie es im Gesetz steht, zur Diskussion gestanden, damit demjenigen, der Land hergeben muß, ein Preis gezahlt wird, der der Änderung der Kaufkraft gegenüber 1936 entspricht.
Wenn ich Sie, meine Damen und Herren, zum Schluß dringend bitte, an dieser Fassung festzuhalten, dann tue ich es um des weitergesteckten Zieles willen, daß wir ein gutes Bodenbewertungsgesetz erhalten. Deshalb bitte ich, die Anträge abzulehnen und der zur dritten Lesung von mir und meinen Freunden eingebrachten Entschließung zu dieser Frage Ihre Zustimmung zu geben.

(Beifall in der Mitte.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0127016300
Das Wort hat Herr Abgeordneter Ewers.

Hans Ewers (DP):
Rede ID: ID0127016400
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als Sprecher einer kleinen Fraktion wäre ich sehr versucht, hier in der zweiten Lesung anläßlich des § 10 des Baulandbeschaffungsgesetzes ebenso weit und breit wie mein verehrter Vorredner Herr Lücke zu allgemeinen Betrachtungen auszuholen. Denn in der Generalberatung haben dazu kleine Fraktionen keine Zeit. und jetzt haben wir Gott sei Dank keine Redezeit, also weitestgehende Freiheit. Ich würde der Versuchung unterliegen, wenn wir nicht 20 Minuten nach 20 Uhr hätten und ich nicht wüßte, daß das Haus durch eine längere Rede, die ich nun noch
draufsetzte, direkt aus dem Tempel herausgetrieben würde. Ich will mich deswegen in gewohnter Weise, der Versuchung widerstehend, so kurz wie möglich fassen.
Mit den Generalgrundsätzen des verehrten Herrn Kollegen Lücke bin ich für meine Person, wie er weiß, weitgehend einverstanden. Auch ich bin der Meinung, daß man heute, wenn man baut, grundsätzlich - vorbehaltlich eigener Spekulation — der Allgemeinheit eine Wohltat erweist, weil nämlich der Wohnraum unserer Gesamtbevölkerung in einer immer noch außerordentlich bitteren Weise fehlt. Aber ich sehe zunächst einmal nicht ein, warum derjenige, der heute Bauland abgibt, an irgendwelchen früheren Preisstopp gebunden sein soll, der Erwerber aber nach einem Jahr den Realpreis bekommen soll. Das sehe ich um so weniger ein, als wir auch zugunsten Privater enteignen, mögen sie nun gemeinnützige Genossenschaften, oder mögen sie einfache Bürger sein. Also deswegen sind all diese schönen Grundsätze zunächst Theorie.
Nun ist es richtig: dieser § 10 ist der Angelpunkt des Gesetzes. Meine Fraktion hat einstimmig beschlossen, diesem Gesetz zu ihrem Bedauern nicht zustimmen zu können, wenn es bei dem § 10 in der heutigen Fassung bleibt. Ich will Ihnen das kurz begründen.
Herr Kollege Lücke hat uns als Spezialist auf diesem Gebiete darüber belehrt, wie heute bei Landverkäufen die Preisstoppverhältnisse sind. Er hat sich darüber beklagt, daß der Preisstopp für bebaute Grundstücke — ich füge hinzu: Gott sei Dank — aufgehoben sei und daß deshalb eine Änderung der alten Vorlage nicht mehr möglich sei; er hat weiter erklärt, die Ministerien dächten daran, nach Verabschiedung dieses Baulandgesetzes auch den Preisstopp für unbebautes Land aufzulokkern. Das war doch wohl wörtlich das, was er gesagt hat.

(Abg. Lücke: Nicht ganz!)

Nun stelle ich fest: Der aufgehobene Preisstopp für bebaute Grundstücke kann uns hier gänzlich gleichgültig sein.

(Abg. Lücke: Ist ja längst aufgehoben!)

— Eben, das kann uns gleichgültig sein! — Denn nach § 3 des allerdings schwer zu übersehenden Gesetzes kommen bebaute Grundstücke überhaupt nicht für Enteignungen in Betracht. Enteignet werden können nach § 3 — ich bitte, es nachzulesen: Seite 23 des Ausschußberichts — erstens unbebaute Grundstücke, zweitens Trümmergrundstücke, also Grundstücke, auf denen die früher vorhandenen Gebäude zerstört oder beschädigt sind, und endlich Grundstücke mit geringfügiger Bebauung, so daß die Bebauung nicht zu Anliegerbeiträgen verpflichtet, also auch schlechthin — im Sinne des Wohnungsbaus — „unbebaute" Grundstücke. Für alle diese Grundstücke ist bisher kein Preisstopp aufgehoben. Aus diesem Grunde ist die Rückkehr zum Jahre 1936 völlig unsinnig. 1936 — mein Gott, was war denn damals los?, fragt man sich nunmehr nach 17 Jahren. Im Jahre 1936 fing der Vierjahresplan, d. h. die geharnischte Aufrüstung an, und der Preisstopp diente nichts anderem als der Erhaltung der Kaufkraft des übermäßig viel gedruckten oder durch schlechte Wechsel gedeckten deutschen Währungsgeldes. Das war der Sinn dieser Naziverfügung von 1936.
Ich muß sagen, der Rechtsausschuß tat recht daran, wenn er — meiner Erinnerung nach einstimmig — jede Rückkehr zu diesen längst überholten, in ihrer wirtschaftlichen Bedeutung gar nicht mehr zu erkennenden und im übrigen durch einen totalitären Staat eingeführten Stoppgesetzen einfach radikal als unmöglich ablehnte. Diese Auffassung des gesamten Rechtsausschusses macht sich meine Fraktion zu eigen.
Die Frage ist: Wie ist es denn nun also in der

(J Grundstücksmarktes? In der Praxis ist es so, daß der Preisstopp bei diesen Grundstücken bis heute gilt. Wieso er eigentlich bei den unbebauten Grundstücken in der Gegend von Godesberg-Bonn nicht gegolten haben soll, ist ein düsteres Geheimnis. Der gestoppte Preis muß ja wohl von den Verwaltungsstellen erhöht worden sein. Dieser erhöhte Preis fand also praktische Anwendung, und dem trägt der § 10 überhaupt nicht Rechnung, sondern er sagt doch: Der Preisstopp — sagen wir also einmal pro Quadratmeter 1 Mark — vom Jahre 1936 bleibt unverändert bestehen; er wird nur wegen der veränderten Kaufkraft des Geldes auf vielleicht 1,70 oder 1,90 DM erhöht. Das ist doch offenbar der Sinn. Nun meine ich, daß das verkehrt ist. Ich glaube nicht, daß die Grundstückspreise im freien Verkehr heute — mangels der Kapitalbildung, die noch nicht weit genug vorgeschritten ist — generell Schritt gehalten haben mit dem Lebensstandard. Ich bin nicht der Meinung, daß die Preise für Land etwa dem heutigen Währungsstand entsprechend gestiegen sind. Die so errechneten Preise sind mir also einfach zu hoch. (Zuruf von der Mitte: Sie sind aber oft durch besondere Umstände bestimmt!)

— Sehr richtig, diese besonderen Umstände wollen
wir voll berücksichtigen. Ich sage Ihnen ganz offen:


(Ewers)

Ein Bauer etwa, der in der Nähe einer Großstadt ein Gartenland hat, soll nicht den Preis für Bauland bekommen; aber er soll den in der Nachbarschaft der Großstadt höheren Preis für ländliches Land bekommen.

(Zuruf von der Mitte: Erhält er doch!)

— Ich weiß nicht, ob er ihn erhält. Ich kann es Ihnen nicht sagen; ich kenne den Preisstopp von 1936 nicht und will keine Zurückrechnung haben. Das alles drückt der Antrag der FDP deutlichst aus.

(Abg. Lücke: Der Preisstopp ist nur ein Ausgangspunkt!)

- Entschuldigen Sie, er drückt es deutlichst aus. In § 10 der Ausschußvorlage wird gar nichts ausgedrückt, sondern dort wird gesagt: Du, Sachverständiger, versetze dich zunächst einmal in das Jahr 1936, schlage alte Katasterbücher auf und sieh nach, wie hoch damals der Stopp-Preis war, und dann berücksichtige die geänderten Wertverhältnisse und sage: der Stopp-Preis von damals sieht heute also schematisch soundso aus.
Nun haben sich seit 1936 die Dinge rein wirtschaftlich in einzelnen Gebieten wegen der angesiedelten Kriegsindustrie, wegen der Ausdehnung der Städte so ungeheuer geändert — und zwar gerade der Stopp-Preis —, daß das überhaupt kein Schema mehr ist.

(Abg. Lücke: Das wird berücksichtigt!)

Deswegen sagt der Antrag der FDP und deswegen sagt die Regierungsvorlage: Auszugehen ist vom Stopp-Preis. Wenn es den gibt, gibt es ihn ebenso wie im freien Verkehr auch bei der Enteignung, und wenn es den nicht gibt, kommt der gemeine Wert in Betracht, d. h. der Preis, der unter Brüdern für das Grundstück bezahlt wird, der nicht immer leicht zu ermitteln ist, — daher Sachverständigengutachten. So erreicht man genau das, was Sie nach Ihren Ausführungen wollen, Herr Kollege Lücke, nämlich den Ausschluß der Spekulation, der Werterhöhung, die nicht durch eigene Leistung und Arbeit des früheren Eigentümers entstanden ist.
Ich sage demgegenüber: Bleiben Sie bei § 10 des Ausschußentwurfs, so ist die Tendenz folgende: Zugunsten eines Mannes, der in der angenehmen Lage ist, genug Gelder zu haben, um bauen zu können, soll ein armer Teufel sein Grundstück so billig wie nur möglich, zum „günstigsten" Preis für den Empfänger, verkaufen. Das wollen wir nicht. Das widerspricht dem Grundgesetz, und es widerspricht insbesondere jedem Sinn des Eigentumsbegriffes. Ich gebe Ihnen zu: das Grundeigentum ist angesichts der beschränkten Masse des Grund und Bodens kein Spekulationsobjekt. Aber daß hier ein armer Teufel, der noch irgendwie ein bißchen Land gerettet hat, zu dem für den Erwerber günstigsten Preis enteignet werden soll, dagegen sind wir mit letzter Entschiedenheit.

(Zuruf von der Mitte: Stimmt nicht!)

Und da das, was nach seinen Ausführungen von Herrn Kollegen Lücke angestrebt wird, in der Ausschußvorlage nicht klar zum Ausdruck kommt, da diese Ideen nicht ihren einwandfreien Niederschlag in Ihrem § 10 gefunden haben, sehen wir in der Regierungsvorlage — in Übereinstimmung mit dem gesamten Rechtsausschuß und dem FDP-Antrag -
die einzig mögliche Lösung.
Ich möchte von vornherein energisch der Auffassung entgegentreten, daß mit der Änderung des § 10 im Sinne der FDP die Durchführung des Gesetzes irgendwie gefährdet oder auch nur erschwert wird. Ich behaupte, es ist umgekehrt, es erleichtert die Sache, weil es jedem Richter und jedem Sachverständigen eine ganz klare Marschroute gibt, wie er zu verfahren hat. Wir sehen in der Absicht, die mit dem § 10 der Ausschußvorlage verfolgt wird, einen außerordentlich bedenklichen Angriff auf das Eigentum und den Grundsatz des Grundgesetzes, daß eine Enteignung nur unter voller Entschädigung vorgenommen werden darf. Wir bejahen den Gedanken des Gesetzes im allgemeinen. Wir möchten aber nicht, daß um dieses Gesetzes willen der Eigentumsbegriff in einer höchst bedenklichen Weise angetastet wird. Daher bitte ich das Haus — ohne das Gesetz im übrigen gefährden zu wollen —, dem § 10 in der von der FDP beantragten Fassung zuzustimmen.

(Beifall rechts.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0127016500
Das Wort hat Herr Abgeordneter Jacobi.

Werner Jacobi (SPD):
Rede ID: ID0127016600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur ein paar kurze berichtigende Bemerkungen. Wenn ich in meinem Ausschußbericht einen Prozentsatz von 30 bis 50% genannt habe, so sollte damit nicht zum Ausdruck gebracht sein, daß der Ausschuß bei der Fassung des § 10 bestimmte fixe Merkmale festgelegt hat. Vielmehr wollte ich damit nur referierend wiedergeben, daß wir zu dem Zeitpunkt unserer Beratungen etwa von solchen Prozentsätzen als möglichen Zuschlägen ausgingen. Das sei zunächst erklärend gesagt.
Was die Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Bertram anlangt, so lege ich Wert auf die Feststellung, daß das von ihm zitierte Urteil an sich mit dem Fragenkomplex des § 10 des heute zur Beratung stehenden Gesetzentwurfs nichts zu tun hat, und zwar deshalb nicht, Herr Kollege Dr. Bertram, weil das Karlsruher Urteil lediglich die Feststellung trifft, daß eine Enteignung vorliegt, wenn gleichartige Tatbestände nicht gleichartig behandelt werden. Dieses Urteil beschäftigt sich nicht mit der Frage der Entschädigung, sondern mit dem Begriff der Enteignung, und ist insoweit — soweit ich das zu übersehen vermag — kein Argument und nicht beweiskräftig für das, was hier zum § 10 zu sagen war.
Im übrigen, Herr Kollege Dr. Bertram, wird bei Ihrem Antrag im Grunde genommen doch wieder von einer Behandlung der Entschädigungsfrage ausgegangen, wie wir sie zwar nach der Weimarer Verfassung kannten, in der von der ,angemessenen Entschädigung" gesprochen wurde, wie sie aber unter der Ägide des Grundgesetzes, nach den Bestimmungen des Art. 14 des Grundgesetzes nicht mehr möglich ist; denn Art. 14 sieht eine konkrete Entschädigungsregelung vor.
Der Inhalt des § 10 unseres Gesetzentwurfs ist vom Bundeswohnungsbauministerium — worauf ich noch einmal verweisen darf — als verfassungsrechtlich unbedenklich bezeichnet worden. Ich will gern nachholen, was ich als Berichterstatter nicht ausdrücklich getan habe — auch insoweit habe ich mich auf den Schriftlichen Bericht berufen —, und sagen, daß der mitbeteiligte Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht in bezug auf die von uns vorgeschlagene Regelung gewisse Bedenken geäußert hat. Er hat sich aber darauf beschränkt — ohne das im einzelnen zu begründen —, zu erklären, daß er die Regelung des § 10 — wie es wörtlich in


(Jacobi)

seinem Schriftlichen Bericht heißt — „für rechtlich verfehlt halte". Wir haben uns gestattet, diese Meinung des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht durch die gegenteiligen Äußerungen des Bundesjustizministeriums als widerlegt anzusehen. Aber das ist Auffassungssache.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0127016700
Das Wort hat Herr Abgeordneter Glasmeyer.

Dr. Heinrich Glasmeyer (CDU):
Rede ID: ID0127016800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will mich nicht in den Streit der Juristen einmischen. Ich bin kein Jurist; ich bin Bauer und Volkswirt.
Als der Bauer, der in diesem Ausschuß mitgearbeitet hat, sage ich nur folgendes: Mir genügt die Bestimmung in § 10 Abs. 2, wonach die Entschädigung den gemeinen Wert nicht übersteigen darf. Ich gehe bei der Festsetzung des Preises davon aus, daß die Spekulationsgewinne wegmüssen.

(Abg. Lücke: Sehr gut!)

Zweitens. Es genügt mir vollständig, wenn ich außer dem gerechten Preis den Lagepreis hinzubekomme. Es ist mir zugesichert und steht im Gesetzentwurf drin, daß die Lage zum Markt und zum Kulturzentrum entsprechend mit berechnet wird. Mehr kann ein Bauer überhaupt nicht verlangen, der ja im großen und ganzen, falls er einen Familienbetrieb hat, gar nicht enteignet wird oder Ersatzland bekommt.

(Abg. Lücke: Sehr richtig!)

Das ist mein Standpunkt als Bauer. Im übrigen nehme ich zu dem Gesetzentwurf weiter keine Stellung. Ich möchte in diesem Hohen Hause nur den heiligen Crispin freundlichst begrüßen. Ich habe nämlich heute — und so wird es wohl auch sehr vielen Abgeordneten, die im Baulandausschuß tätig waren, gegangen sein — den „Industriekurier" bekommen. Darin hat der heilige Crispin einen Artikel über unsere Tätigkeit geschrieben. Nun möchte ich Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren, einmal sagen, wer der heilige Crispin gewesen ist. Das war ein Schuhfabrikant aus alten Tagen, der so sozial handelte, daß er den armen Leuten nicht nur umsonst die Schuhe lieferte und die Arbeit leistete, sondern auch das Leder dazu gab. Das war also ein Mann mit Taten, die sich heutzutage nicht einmal unser „Salamander"-Fabrikant aus Bietigheim gestatten kann.

(Heiterkeit.)

Der heilige Crispin schreibt uns nun einen Artikel. Ich habe vorhin im Geiste mit ihm gesprochen. Er hat gesagt, er wäre hier und gäbe Obacht, ob wir ebenso sozial wären wie er. Heutzutage wird ein Unternehmer für sein soziales Handeln in England geadelt oder hier bekommt er ein Verdienstkreuz. Dafür hat er im Mittelalter von der Kirche den Heiligenschein bekommen. Da nimmt der heilige Crispin heute von uns an, daß wir ebenso sozial gesonnen sind wie er, daß wir uns der Not der Armen annehmen und den Besitzlosen das geben, was ihnen gebührt, nämlich auch Besitz.

(Beifall in der Mitte.)

Es steht nämlich nirgendwo geschrieben, daß nur einzelne Menschen Besitz haben sollen und die große Masse besitzlos bleiben soll.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Es ist ja auch vollständig unklug, meine hochverehrten Damen und Herren, wenn die Besitzenden den andern nicht etwas geben wollen. Dadurch schafften sie sich doch Freunde. Darum sagen wir als Christen und als Demokraten: wir wollen klug sein und denen etwas mitgeben, die nichts haben, damit sie mit uns den Privatbesitz verteidigen.

(Lebhafte Zustimmung.)

Wir sind edle Bauern. Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen: Bauer sein heißt heute aufpassen. Aber Bauer sein heißt heute auch das, was mein Vorname Heinrich bedeutet: Herr sein im Heim, König im Besitz. Könige sollen großmütig und edel sein. Wir besitzenden Bauern haben den Großmut, von unserem großen Besitz denen zu geben, die nichts haben. Das ist meine Parole. Horchen Sie auf Crispin! Nehmen Sie das Baulandbeschaffungsgesetz an und rühren Sie nicht an den Streit der Juristen!

(Beifall in der Mitte und bei der SPD.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0127016900
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor; die Aussprache ist beendet.

(Abg. Dr. Bertram [Soest]: Ich bitte ums Wort!)

— Ich bitte doch darum, die Wortmeldungen so frühzeitig anzubringen, daß man nicht fortgesetzt die Aussprache wieder eröffnen muß, nachdem man sie schon geschlossen hat. Das gibt nur unnötige Verzögerungen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bertram.

Dr. Helmut Bertram (FU):
Rede ID: ID0127017000
Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Lücke hat es für richtig befunden, in einer Frage, die hier, wie auch die Ausführungen des Kollegen Ewers gezeigt haben, durch sachliche Diskussionen geklärt werden kann und muß, wieder mal die alte Walze ablaufen zu lassen und zu sagen: Ja, der Kollege Bertram ist die ganzen 31/2 Jahre nicht im Bauausschuß gewesen! — Ich selber bin im Finanzausschuß, und es ist eine starke Verkennung der Aufgaben des Plenums und der Abgeordneten hier im Plenum, wenn nicht auch die Abgeordneten, die in anderen Ausschüssen tätig sind, hier in der zweiten Lesung zu den entsprechenden Gesetzen Anträge einbringen und dazu sprechen dürften. Ich glaube, Herr Kollege Lücke, diese persönlichen Bemerkungen sind ganz fehl am Platz. Ebenso fehl am Platze sind die Bemerkungen, daß ich hier die Kenntnis vermissen ließe, die erforderlich sei.

(Abg. Lücke: Sie waren über die Vorgänge nicht informiert!)

Ich stelle nur dazu fest, lieber Herr Kollege Lücke: Die Einwendungen, die ich zu Ihrem § 10 gemacht habe, sind von Ihnen im wesentlichen gar nicht bestritten worden. Sie haben nicht bestritten, daß der Preisstopp gefährlich ist. Dagegen haben Sie ihm in diesem Gesetz neue Korsettstangen eingezogen und ihn neu verewigt.

(Abg. Lücke: Das ist nicht wahr! Das ist eine Unwahrheit! Wir haben eine Entschließung eingebracht! Sie sollen nicht die Unwahrheit sagen!)

— Es steht im Gesetz! In dem Gesetz selber ist dem Preisstopp eine neue Korsettstange eingezogen, und er ist erneut wichtig geworden, obwohl Sie sagen, der Preisstopp werde weitgehend nicht mehr eingehalten, sondern die Geschäfte fänden auf dem Schwarzen Markt statt — was ich auch behauptet habe.


(Dr. Bertram [Soest])

Die zweite Feststellung, die ich dazu zu treffen habe, betrifft die Tatsache, daß wirklich die Frage des Beziehungssystems in Ihrer Fassung nicht gelöst ist. Eine Bezugnahme nur auf den Reichsmarkwert von 1936 bedeutet nichts für die Frage der Veränderung der Wertverhältnisse. Auf dieses Argument haben Sie überhaupt nicht geantwortet. Es fehlt dem Richter hinterher überhaupt die Möglichkeit, auf Grund Ihrer Formulierung zu entscheiden und zu sagen, was er nun machen soll. Diese Frage haben Sie nicht berührt.

(Abg. Lücke: In dem Bewertungsgesetz!)

Sie haben ferner zu der Frage nicht Stellung genommen,

(Abg. Lücke: Sie haben nicht Obacht gegeben, Herr Dr. Bertram!)

daß wir an den Gleichheitsgrundsatz und an die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes gebunden und nicht berechtigt sind — wie Sie anzunehmen scheinen —, frei Recht zu setzen. Wir sind hier nur berechtigt, im Rahmen des Grundgesetzes Recht zu setzen.

(Abg. Lücke: So naiv bin ich nicht, Herr Dr. Bertram!)

Diese Grundsätze, wie sie vom Karlsruher Urteil ausgearbeitet worden sind, haben Sie nicht widerlegen können. Sie haben dazu gar keine Stellung genommen und haben nur Behauptungen aufgestellt, ohne irgendeine Begründung zu geben.
Und endlich: Das Karlsruher Urteil legt in seinem ersten Teil fest, wann der Enteignungsfall gegeben ist, und enthält in seinem zweiten Teil — und das hatte ich mir erlaubt zu zitieren, Herr Kollege Jacobi — ausdrücklich die Grundsätze für die Entschädigung. Und diese Grundsätze für die Entschädigung sind der Wortlaut unseres Antrags. Diese Grundsätze für die Entschädigung sehen auch nach dem Art. 14 des Grundgesetzes ebenso wie nach Art. 153 der Weimarer Reichsverfassung die Möglichkeit der angemessenen Entschädigung ausdrücklich vor. Diese Möglichkeit haben wir in unserem Antrag entsprechend aufgenommen. Unser Antrag ist deshalb meiner Ansicht nach, gerade weil der Wortlaut der Formulierung unseres höchsten Gerichts entspricht und wörtlich aus dem Urteil entnommen ist, der klarste und eindeutigste.
Das, was der § 10 in der Formulierung der CDU bzw. des Ausschusses will, wird aus den Gründen, die ich dargelegt habe, unter allen Umständen zu den größten Schwierigkeiten nach der einen oder anderen Seite, zu völlig abweichenden Gerichtsurteilen, zu einer Fülle von Umgehungshandlungen und zu Streitigkeiten führen und damit gerade den Erfolg des Gesetzes, den wir doch alle wünschen, vereiteln und gefährden. Das ist meine feste Überzeugung.
Und wenn Sie sagen, Spekulationsgeschäfte müßten verhindert werden: — Natürlich müssen Spekulationsgeschäfte verhindert werden. Aber Sie selbst haben ja festgestellt, daß die Spekulationsgeschäfte mit Hilfe des Preisstopps, den Sie hier verewigen wollen, nicht verhindert werden!

(Abg. Dr. Lücke: Das ist eine Unwahrheit zu wiederholten Malen, Herr Dr. Bertram! Sie sollten bei der Wahrheit bleiben!)

- Ich bleibe schon bei der Wahrheit! Es steht in
§ 10 darin. Sie brauchen nur § 10 zu lesen. Diese
Verewigung der Schwarzmarktgeschäfte wird unter
keinen Umständen dem Spekulationsgeschäft ein Ende machen; dazu brauchen wir eine andere gesetzliche Maßnahme, auf die Sie selber hingewiesen haben. In der Beziehung sind wir mit Ihnen einig. Mit Ihren Grundsätzen sind wir einig; aber wir sind nicht damit einverstanden, daß hier ein Weg beschritten werden soll, der dem ganzen Gesetz unserer festen Überzeugung nach unter allen Umständen die größten Schwierigkeiten, die Gefahr der Verfassungswidrigkeit und die Gefahr der Umgehung bringen wird.

(Abg. Lücke: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß!)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0127017100
Meine Damen und Herren! Die Aussprache ist nunmehr beendet.
Wir kommen zur Abstimmung, zunächst über den Änderungsantrag der FDP auf Umdruck Nr. 957. Ich bitte diejenigen, die diesem Änderungsantrag zustimmen, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen dann ab über den Antrag der KPD auf Umdruck Nr. 959 Ziffer 2. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Gegenprobe! — Gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt.
Wir stimmen ab über den Antrag der Föderalistischen Union auf Umdruck Nr. 960. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe! — Darf ich die Abstimmung wiederholen. Ich bitte zunächst diejenigen, die für den Antrag sind, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Dann bitte ich diejenigen, die dem § 10 in der Fassung der Ausschußvorlage zustimmen, die Hand zu heben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; angenommen.
Ich rufe nun auf die §§ 11 bis 15. — Dazu liegen keine Änderungsanträge und Wortmeldungen vor. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Das ist zweifellos die Mehrheit; angenommen.
Zu § 16 liegt ein Änderungsantrag der KPD auf Umdruck Nr. 959 Ziffer 3 vor. Zur Begründung Herr Abgeordneter Gundelach.

Gustav Gundelach (KPD):
Rede ID: ID0127017200
Meine Damen und Herren! Zu § 16 Abs. 4 beantragt meine Fraktion, daß in der neunten Zeile das Wort „sinngemäß" gestrichen wird. Wir beantragen die Streichung dieses an sich so harmlos klingenden Wortes, weil wir dagegen sind, daß auch die Verpflichtung zur Bereitstellung von Ersatzland für kleingärtnerisch dauernd genutztes Land zu einer Ermessensfrage der zuständigen Behörden gemacht werden soll. § 16 Abs. 4 regelt die Zurverfügungstellung von Ersatzland für kleingärtnerisch dauernd genutztes Land im Falle der Enteignung. Es wird darin gesagt, daß die Enteignungsbehörde bei der Bereitstellung von Ersatzland die Bestimmungen des § 3 der Verordnung über Kündigungsschutz und andere kleingartenrechtliche Vorschriften in der Fassung der Verordnung vom 15. Dezember 1944 sinngemäß anzuwenden hat. In der Praxis angewandt, meine Damen und Herren, führt diese Einschränkung durch das Wort „sinngemäß" mit Sicherheit zu Nachteilen für die Kleingärtner. Aus diesem Grunde beantragen wir die Streichung.


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0127017300
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor; die Aussprache ist geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der KPD auf Umdruck Nr. 959, Ziffer 3. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Gegenprobe! — Gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt.
Dann bitte ich diejenigen, die § 16 in der Fassung der Vorlage zustimmen, die Hand zu heben. — Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe auf § 17, — § 18, — § 19, — §§ 20 bis 26,
— 27 bis 35. — Dazu liegen keine Änderungsanträge und keine Wortmeldungen vor. Dann bitte ich diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben.
— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen wenige Stimmen bei einigen Enthaltungen angenommen.
Zu § 36 liegt ein Änderungsantrag Dr. Kopf und Genossen auf Umdruck Nr. 964 unter Ziffer 1 vor. Zur Begründung Herr Abgeordneter Dr. Kopf.

Dr. Hermann Kopf (CDU):
Rede ID: ID0127017400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Baulandgesetz ist notwendig, und es muß in seiner Zwecksetzung und in seinen Absichten von uns begrüßt werden. Der Rechtsausschuß hat an der Bearbeitung des Gesetzes einen nicht unerheblichen Anteil genommen. Er hat sich dabei auf eine Stellungnahme zu den Fragen des Rechts beschränkt. Er hat nicht zu den Erwägungen des Gesetzes, die dem Gebiet der Zweckmäßigkeit angehört haben, Stellung genommen.
Bei der Arbeit des Rechtsausschusses handelte es sich um schwierige Fragen. Es handelte sich darum, einen Weg zu finden, der auf der einen Seite den Wünschen der Antragsteller und der Regierungsvorlage, den Wohnungsbau nach Möglichkeit und mit größter Beschleunigung zu fördern, gerecht wird, der auf der anderen Seite aber die rechtsstaatlichen Garantien, die im Grundgesetz verankert sind, respektiert .Das war nicht immer ganz einfach, und wenn auch die unmittelbaren Vorschläge des Rechtsausschusses nur zu einem geringen Teil in die Vorlage des Ausschusses Eingang gefunden haben, so glaube ich doch andererseits mit Befriedigung feststellen zu dürfen, daß die rechtlichen Bedenken, die im Rechtsausschuß entwickelt worden sind, auf die Klärung der Gedankengänge auch des Wohnungsbauausschusses nicht ohne Einfluß gewesen sind. Ich glaube auch, daß dieser Einfluß günstig war und dazu beigetragen hat, dieses Gesetz zu einem rechtsbeständigen Gesetz zu machen.
Meine Freunde und ich möchten die Tendenz und die Durchführung des Gesetzes nicht erschweren. Sie haben daher auch davon abgesehen, zu dem umstrittenen § 10 Änderungsvorschläge zu machen, obwohl der Rechtsausschuß seinerseits vorgeschlagen hatte, die Regierungsvorlage wiederherzustellen. Wir haben uns vielmehr darauf beschränkt, zu der Frage der Rechtsmittel und der Anfechtung der Entscheidungen der Enteignungsbehörde einige Gedanken wieder aufzugreifen, die im Rechtsausschuß entwickelt worden sind. Der Rechtsausschuß hat den Vierten Abschnitt des Gesetzes, der die Anfechtung der Entscheidungen der Enteignungsbehörde behandelt, mit gutem Grunde völlig neu gefaßt, nämlich deshalb, weil es sich dabei in der Hauptsache um rechtliche Bestimmungen und nicht um Bestimmungen der Zweckmäßigkeit gehandelt hat und weil wir den größten Wert darauf gelegt haben, diese Rechtsmittel in Einklang mit den Bestimmungen des Grundgesetzes zu gestalten.
Der Wohnungsbauausschuß hat bedauerlicherweise in diesem Abschnitt die Anregungen des Rechtsausschusses nur in sehr geringem Maße berücksichtigt. Dies veranlaßt uns, hier unseren Änderungsantrag Umdruck Nr. 964 zu stellen. Nach dem Entwurf des Ausschusses ist vorgesehen, daß gegen die Entscheidung der Enteignungsbehörde ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt werden kann und daß über diesen Antrag das Landgericht zu entscheiden hat, und zwar eine besondere Kammer, die aus einem Berufszivilrichter und aus zwei Verwaltungsrichtern zusammengesetzt ist, die sogenannte Baulandkammer. Diese Kammer entscheidet sowohl über die Frage der Durchführung der Enteignung als auch über die Frage der Höhe des Entschädigungsbetrags. Die bisherige Zweigleisigkeit ist somit verlassen worden.
Wir haben hiergegen vom Rechtsausschuß keinerlei prinzipielle Bedenken geltend gemacht. Aber wir sind der Auffassung, daß diese Baulandkammer ein ordentliches Gericht sein soll, und zwar ein Bestandteil des Landgerichts; denn sie entscheidet ja als Landgericht. Daher ist es nicht angängig und nicht erwünscht, für dieses Verfahren des Landgerichts Bestimmungen anzuwenden, die nicht für das Verfahren des Landgerichts, sondern für das Verfahren der Amtsgerichte Geltung haben. Wir sind gegen jede weitere Rechtszersplitterung. Wir betrachten mit einigem Unbehagen jede Entwicklung, die dazu führen kann, die Einheit des Rechtes und der Rechtspflege weiterhin aufzuteilen und zu zerspalten.
Wenn man nun schon das Landgericht als das entscheidende Gericht gewählt hat und nicht das Amtsgericht — das hätte man vielleicht auch machen können —, dann sollte man aber auch konsequent bleiben und die Verfahrensregeln zur Anwendung bringen, die in der Zivilprozeßordnung allgemein für das Verfahren des Landgerichts vorgesehen sind. Wir schlagen daher vor, in § 36 Abs. 1 die Worte zu streichen, die die Anwendung der landgerichtlichen Verfahrensgrundsätze der Zivilprozeßordnung ausschließen und das amtsgerichtliche Verfahren Anwendung finden lassen wollen.
Wir bringen gleichzeitig eine Ergänzung. Wir halten es nicht für erwünscht, daß die Enteignungsbehörde und die beteiligten Gemeinden gezwungen sind, sich in Anwendung der landgerichtlichen Verfahrensgrundsätze durch Rechtsanwälte vertreten zu lassen. Diese Stellen können ihre Vertretung selbst übernehmen. Wir schlagen daher vor, in § 37 Abs. 1 den Satz einzufügen:
Die Enteigungsbehörde und eine beteiligte Gemeinde können das Verfahren selbst oder durch jede prozeßfähige Person betreiben.
Der Entwurf des Ausschusses hat ein Rechtsmittel geschaffen. Er sieht vor, daß diese Entscheidung des Landgerichts, Baulandkammer, durch eine Revision an das Oberlandesgericht angefochten werden kann. Dies bedeutet, daß das Oberlandesgericht lediglich die rechtlichen Gesichtspunkte, nicht aber den Tatbestand nachprüfen kann. Das Rechtsmittel ist somit beschränkt und verkürzt. Wir haben Zweifel, ob diese Verkürzung und Beschneidung des Rechtsmittels, diese Beschränkung auf die reine Nachprüfung der rechtlichen Gesichtspunkte, noch als zulässig und mit den Bestimmungen des Grundgesetzes vereinbar angesehen werden kann. Art. 14 des Grundgesetzes sieht für Enteignungsverfahren den ordentlichen Rechtsweg vor; und Art. 19 des Grundgesetzes bestimmt, daß jeder, der


(Dr. Kopf)

durch den Verwaltungsakt einer Behörde — und das ist auch der Verwaltungsakt der Enteignungsbehörde — beschwert ist, das Recht haben soll, den ordentlichen Rechtsweg zu beschreiten. Zum ordentlichen Rechtsweg gehört aber nach der deutschen Rechts- und Gerichtspraxis zumindest der Zweiinstanzenzug, der die Schaffung von zwei Vollinstanzen voraussetzt. Die Enteignungsbehörde ist eine Verwaltungsbehörde. Sie ist nicht die erste Instanz dieses Instanzenzuges, sondern der Instanzenzug setzt sich zusammen aus dem Landgericht — Baulandkammer — und dem Oberlandesgericht — Baulandsenat —. Wir glauben, daß diesem Grundsatz und diesem Erfordernis des ordentlichen Rechtsweges nur dann Genüge geschehen kann, wenn auch die zweite Instanz eine Tatsacheninstanz ist. Darum schlagen wir vor, daß nicht der Weg der Revision eröffnet, sondern der Weg der Berufung an das Oberlandesgericht gegeben wird und daß das Oberlandesgericht sowohl die Sachlage und die Tatsachen als auch die Rechtslage nachprüfen kann.
Darüber hinaus aber halten wir es für notwendig, gegen die Entscheidungen des Oberlandesgerichts in gewissen Fällen auch den Weg der Revision an den Bundesgerichtshof zu ermöglichen, allerdings nicht in allen Fällen. Wir möchten nicht Bremsschuhe und Hemmungen einschalten, weil wir das Enteignungsverfahren beschleunigt fördern möchten, aber wir wollen Rechtsgarantien für den betroffenen Eigentümer schaffen. Das Revisionsverfahren soll daher, wie es schon der Rechtsausschuß vorgeschlagen hat, nur dann zulässig sein, wenn die angefochtene Entscheidung sich auf Geldansprüche bezieht, nämlich entweder auf eine Geldentschädigung oder auf eine Ersatzleistung oder auf eine Ausgleichszahlung.
Die Revision soll nicht zulässig sein, wenn es sich um die Frage handelt, ob überhaupt eine Enteignung durchgeführt werden soll. Die Schaffung dieser Revisionsinstanz gibt auch die Gewähr dafür, daß sich eine einheitliche Rechtsprechung in Deutschland herausbildet. Das ist gerade deshalb notwendig, weil der von Ihnen soeben angenommene § 10 nach meiner festen Auffassung in der Rechtsprechung zu einer Reihe von Zweifels- und Auslegungsfragen rechtlicher Natur Anlaß geben wird. Deshalb ist es notwendig, daß eine einheitliche Höchstinstanz, nämlich der Bundesgerichtshof, einheitliche Grundsätze für die Anwendung dieses Gesetzes entwickelt. Es wäre verfehlt, wollte man die Rechtsentwicklung auf dem Gebiete der Festsetzung der Entschädigungen etwa 20 verschiedenen Oberlandesgerichten überlassen. Dadurch würde eine bedauerliche Zersplitterung der Rechtsprechung eintreten.
Ich glaube nicht, daß durch die Vorschläge und Anregungen des Rechtsausschusses, die ich in konzentrierter und abgekürzter Form übernommen habe, die Gefahr entsteht, daß das Verfahren verlangsamt wird. Das wünschen wir nicht; ich möchte aber in wenigen Worten darlegen, warum diese Gefahr nach meiner festen Auffassung nicht gegeben ist. Auch der jetzige Vorschlag des Ausschusses eröffnet ja die Möglichkeit einer zweiten Instanz, die allerdings nur eine Revisionsinstanz ist. Ich glaube nicht, daß durch die Umformung dieser Revisionsinstanz in eine Tatsacheninstanz eine wesentliche Verlangsamung eintritt. Zwei Instanzen können ja in beiden Fällen in Anspruch genommen werden. Die dritte Instanz, die Revisionsinstanz, soll nur in Fragen der Entschädigung
entscheiden. Die Entschädigung braucht vor der Durchführung der Enteignung und vor dem Eigentumsübergang nicht ausbezahlt zu werden. Diese Akte können beschleunigt vorgenommen werden, der Entschädigungsprozeß bei der Höchstinstanz kann nachhinken.
Es ist auch nicht richtig, daß die Notwendigkeit einer genauen Vorkalkulation es als unerwünscht erscheinen ließe, daß die Entscheidung über die endgültige Höhe der Entschädigung zu lange hinausgeschoben wird. Der § 10 gibt ausreichende Anhaltspunkte dafür, wie der im äußersten Fall zu bemessende Preis voraussichtlich beschaffen sein wird. Diese Mutmaßungen genügen als Kalkulationsgrundlage. Bei Annahme unserer Vorschläge wird sich sowohl der Besitzübergang, als auch der Eigentumsübergang nicht langsamer vollziehen, als es bei Annahme der Vorschläge des Ausschusses voraussichtlich der Fall sein wird. Darüber hinaus werden aber hinsichtlich der Festsetzung des Entschädigungsbetrags dem Betroffenen alle Rechtsgarantien, äußerstenfalls auch noch durch die Inanspruchnahme der Revisionsinstanz, eröffnet.
Ich muß leider den letzten Teil unseres Antrags, der sich auf § 43 a bezieht, noch in zwei kleinen Punkten einer Neufassung unterziehen. Ich bitte, mir zu gestatten, daß ich Ihnen unsere endgültige Fassung des § 43 a vorlese. § 43 a lautet nach unserem Vorschlag:
Gegen das Urteil des Oberlandesgerichts steht jedem Beteiligten und der Enteignungsbehörde nach Maßgabe der Vorschriften der Zivilprozeßordnung die Revision an den Bundesgerichtshof zu,
— der weitere Text bleibt bestehen —
soweit die angefochtene Entscheidunng eine Geldentschädigung, eine Ersatzleistung oder eine Ausgleichszahlung betrifft, falls die in Zivilprozeßverfahren geltende Revisionssumme erreicht wird.
Ich darf nochmals zum Ausdruck bringen, daß es der gemeinsame Wunsch meiner Freunde, die mit mir diesen Antrag unterzeichnet haben, ist, dem Gesetz zu einem vollen Erfolg zu verhelfen. Dieser Erfolg setzt aber voraus, daß die rechtsstaatlichen Garantien auch bei der Durchführung des Verfahrens voll gewahrt bleiben und daß den betroffenen Eigentümern, denen Opfer zugunsten der Volksgesamtheit aufgebürdet werden, die Möglichkeit eröffnet wird, wenn sie schon auf das Eigentum an ihrem Grundstück verzichten müssen, diejenigen Ansprüche durchzufechten, die ihnen durch das Grundgesetz garantiert sind. Wir wollen den Bau und das Bauen, aber wir wollen auch das Recht.

(Beifall bei Abgeordneten in der Mitte und rechts.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0127017500
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wohnungsbau.

Dr. Fritz Neumayer (FDP):
Rede ID: ID0127017600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nur ganz kurz einige Bemerkungen! Die Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Kopf waren von einem hohem Rechtsgefühl getragen. Das Hohe Haus hat darüber zu entscheiden, ob es dem Antrag des Herrn Kollegen Dr. Kopf stattgeben wird oder nicht. Ich möchte sachlich dazu nicht Stellung nehmen.


(Neumayer)

Dagegen möchte ich zu einer Frage noch ganz kurz einige Bemerkungen machen, nämlich zu der Frage, ob die Vorschriften, wie sie nunmehr durch den Ausschuß für Bau und Bodenrecht und durch den Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen für das Verfahren getroffen worden sind, gegen Art. 14 des Grundgesetzes verstoßen oder nicht. Diese Frage wurde von uns eingehend beraten und sodann dem Bundesjustizministerium vorgelegt. Das Bundesjustizministerium kam zu dem Ergebnis, daß eine Verletzung der Vorschriften des Art. 14 nicht gegeben sei. Die Prüfung kam zu folgenden Feststellungen:
Unter dem Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten ist nach dem Grundgesetz die Anrufung der mit unabhängigen und uriabsetzbaren Richtern besetzten und mit besonderen Rechtsgarantien des Verfahrens umgebenen ordentlichen Gerichte zu verstehen. Daraus folgt, daß die grundlegenden prozessualen Vorschriften des für die ordentlichen Gerichte durch die Zivilprozeßordnung bestimmten Verfahrens, z. B. die Gleichstellung der Parteien, der Verhandlungsgrundsatz in Entschädigungsfragen und die Öffentlichkeit der Verhandlung, sowie diejenigen Vorschriften gelten müssen, die wesentliche Unterschiedsmerkmale des Verfahrens vor den ordentlichen Gerichten im Gegensatz zum Verwaltungsverfahren und zum Verfahren der Verwaltungsgerichte enthalten. Art. 14 gibt aber keinerlei Anhalt dafür, daß das Verfahren der Zivilprozeßordnung in allen Stücken maßgebend sein soll und sein muß. Verfassungsrechtliche Bedenken können daher nicht dagegen erhoben werden, daß das Gesetz bei der Regelung des gerichtlichen Verfahrens überhaupt in mehreren Punkten von der Zivilprozeßordnung abweicht. Das Maß dieser Abweichung ist sehr sorgfältig erwogen worden. Es hält sich in allen Punkten in den bezeichneten Grenzen.
Ich darf auch noch darauf hinweisen, daß die dargelegte Auslegung des Art. 14 eine weitere Stütze in einem Urteil des Reichsgerichts findet, und zwar befaßt sich dieses Urteil mit der gleichlautenden Bestimmung des Art. 153 der Weimarer Reichsverfassung. Das Reichsgericht hat im Jahre 1922 in einem Urteil zu dem Hamburgischen Enteignungsgesetz von 1920 die gleichen Grundsätze entwickelt, die vorzutragen ich mir erlaubt habe. Dies war auch die Auffassung des Bundesministers der Justiz.

(Beifall bei Abgeordneten in der Mitte.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0127017700
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor; die Aussprache ist geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag Dr. Kopf und Genossen auf Umdruck Nr. 964 Ziffer 1. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Dann bitte ich diejenigen, die § 36 in der Fassung der Vorlage zustimmen, die Hand zu heben. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
Wir kommen zu § 37. Dazu liegt vor der Antrag Dr. Kopf und Genossen auf Umdruck Nr. 964 Ziffer 2. Er ist bereits begründet worden. Wir können also unmittelbar darüber abstimmen, da keine weiteren Wortmeldungen vorliegen. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Gegenprobe! — Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Dann bitte ich diejenigen, die dem § 37 in der Fassung der Vorlage und den §§ 38 bis 42 zustimmen, die Hand zu heben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen wenige Stimmen angenommen.
Zu § 43 liegt vor der Änderungsantrag Dr. Kopf und Genossen auf Umdruck Nr. 964 Ziffer 3, dem Paragraphen eine andere Fassung zu geben.

(Zurufe: § 43 a!)

— Ja, und einen § 43 a einzufügen. Wir können also
zunächst über § 43 in der alten Fassung abstimmen.

(Abg. Hilbert: Zuerst über den Änderungsantrag! — Weitere Zurufe.)

— Wir stimmen also über den Änderungsantrag ab, § 43 durch § 43 a zu ersetzen.

(Widerspruch und Zurufe.)

— Dem § 43 eine andere Fassung zu geben und einen § 43 a einzufügen. Also eine Gesamtänderung. Dann bitte ich diejenigen, die dem zustimmen, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letzte ist die überwiegende Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt; also § 43 in der Ausschußfassung angenommen.
Wir kommen dann zu den §§ 44 bis 59, Einleitung und Überschrift. Wortmeldungen und Änderungsanträge liegen nicht vor. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; die genannten Paragraphen, Einleitung und Übersicht sind angenommen. Damit ist die zweite Beratung beendet.
Meine Damen und Herren, wir sind an unserer Zeitgrenze. Ich kann natürlich in die dritte Beratung nur eintreten lassen, wenn auf die allgemeine Aussprache verzichtet wird.

(Abg. Lücke: Es wird verzichtet! — Weitere Zurufe.)

Änderungsanträge liegen nicht vor. Dann kann ich die §§ 1 bis 59 aufrufen.

(Abg. Dr. Becker [Hersfeld]: Ich habe Widerspruch erhoben!)

— Widerspruch wogegen?

(Abg. Dr. Becker [Hersfeld]: Gegen die dritte Lesung!)

— Gegen die dritte Beratung ist ein Widerspruch nicht möglich, da meines Wissens kein Änderungsantrag angenommen worden ist.

(Zustimmung und Zurufe.)

Da kein Änderungsantrag angenommen worden ist, ist, glaube ich, kein Widerspruch anzubringen.

(Zurufe: Weitermachen! — Zuruf von der SPD: Lassen Sie sich nicht stören! — Weitere Zurufe von allen Seiten.)

Meine Damen und Herren, jetzt wird ein Änderungsantrag gestellt. Unter diesen Umständen, glaube ich, bin ich nach der Vereinbarung im Ältestenrat gezwungen, jetzt abzubrechen und die dritte Beratung — —

(Zurufe von der Mitte: Abstimmen!)

— Ja, es gibt doch wieder Begründungen und Diskussionen.

(Lebhafte Zurufe: Nein!)

Ich glaube unter diesen Umständen die Beratung abbrechen zu müssen.

(Lebhafte Zurufe von der Mitte: Wir waren in der Abstimmung, Herr Präsident!)

— Wir waren nicht in der Abstimmung.


(Vizepräsident Dr. Schäfer)

Herr Dr. Bertram, um das zu klären: Sie wollen noch einen Änderungsantrag stellen? Hat der Antrag 15 Unterschriften?

(Abg. Dr. Bertram [Soest]: Ich wiederhole den Antrag zu § 10 des Gesetzes!)

— Es gibt kein „Ich wiederhole". Sie müssen einen neuen Antrag mit 15 Unterschriften vorlegen.
Meine Damen und Herren, unter diesen Umständen rufe ich auf zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. — Es liegen keine Wortmeldungen vor. — Die Aussprache ist geschlossen.

(Abg. Renner: Doch! Wortmeldungen!)

— Ich habe keine Wortmeldungen gehabt.

(Abg. Renner: Was wollen Sie denn? Wortmeldungen liegen doch vor!)

Ich rufe auf die §§ 1 bis 59, —

(Abg. Renner: Es liegen Wortmeldungen vor!)

Einleitung und Überschrift.

(Abg. Dr. Bertram [Soest]: Ich muß doch die Zeit zur Sammlung der Unterschriften haben! — Lebhafte Zurufe. — Unruhe.)

— Sie halten doch nur unnütz auf. Sie sehen, daß die übergroße Mehrheit des Hauses die Entscheidung der zweiten Beratung zu Ende bringen will. Angesichts der Geschäftslage ist es doch sachlich notwendig, dem Rechnung zu tragen.
Ich rufe also diese Paragraphen auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Paragraphen sind angenommen.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz als Ganzem ihre Zustimmung geben, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das Gesetz ist in dritter Beratung verabschiedet.
Damit, meine Damen und Herren, sind wir am Ende dieses Punktes der heutigen Tagesordnung. Es liegt noch eine Entschließung der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck Nr. 958 vor. Ich bitte diejenigen, die dieser Entschließung zustimmen, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; angenommen.
Dann muß noch über Buchstabe b des Ausschußantrags Nr. 4364 der Drucksachen abgestimmt werden. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen.
Ich darf dann im Namen des Herrn Vorsitzenden des Haushaltsausschusses mitteilen, daß die für morgen angesetzte Sitzung des Haushaltsausschusses bereits um 10 Uhr beginnt.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 12. Juni 1953, 9 Uhr, ein.
Die 270. Sitzung ist geschlossen.