Protokoll:
1264

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 1

  • date_rangeSitzungsnummer: 264

  • date_rangeDatum: 6. Mai 1953

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 10:03 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 20:33 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag - 264. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1933 12845 2b4. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1953. Geschäftliche Mitteilungen . . . 12846D, 12847A, 12872D, 12920C Glückwünsche zum Geburtstag des Abg Rümmele 12847A Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für gesamtdeutsche Fragen über den Antrag der Fraktion der SPD zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Zwangsmaßnahmen gegen den Bauernstand in der sowjetischen Besatzungszone (Nrn. 4303, 3956 der Drucksachen. Umdruck Nr. 764) 12847B Gerns (CDU): als Berichterstatter 12847B Schriftlicher Bericht 12921 Kaiser, Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen 12848D Beschlußfassung 12849D Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über öffentliche Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsordnungsgesetz) (Nr. 1102 der Drucksachen); Mündlicher Bericht des Ausschusses zum Schutze der Verfassung (Nr. 4291 der Drucksachen; Umdrucke Nrn. 898, 899, 900) . . 12849D, 12885C. 12889A Mehs (CDU): als Berichterstatter 12850A als Abgeordneter 12867B Dr. Dr. h. c. Lehr, Bundesminister des Innern 12852A Fisch (KPD) . . 12853D, 12858A, 12859A, D, 12860B, 12863A, C, 12866D, 12889D Ewers (DP): zur Sache . . . 12857A, 12865D, 12868B, 12871A, 12872B, 12889B zur Geschäftsordnung 12862A Schoettle (SPD) (zur Geschäftsordnung) 12862B Renner (KPD) (zur Geschäftsordnung) 12862C Dr. Bergstraeßer (SPD) . . 12863D, 12868A Dr. Jaeger (Bayern) (CSU) 12864A, 12865A, 12887C Meitmann (SPD) . 12864B, 12866B, 12871C Euler (FDP) . . . 12864D, 12865C, 12870C. 12872A, 12888A Dr. Menzel (SPD) 12865B Dr. Schneider (FDP) 12867C Dr. Brill (SPD) 12869D, 12871B Maier (Freiburg) (SPD) 12886C Freiherr von Aretin (FU) 12887A von Thadden (Fraktionslos) . . . 12890C Abstimmungen . . 12858A, D, 12859C, 12860B, 12861D, 12862D, 12863C, 12864A, 12869B, 12872D, 12885D, 12891A Zweite Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 (Nr. 2260 der Drucksachen); Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen (Nrn. 4300, zu 4300 der Drucksachen) 12847A, 12872D, 12888D, 12891A Wacker (CDU): als Berichterstatter 12873A Schriftlicher Bericht 12930 zur Geschäftsordnung: Dr. Gülich (SPD) 19873C Beratung unterbrochen 12873D zur Sache: Dr. Laforet (CSU) 12874D Dr. Gülich (SPD) 12875D Dr. Wellhausen (FDP) 12380D Dr. Besold (FU) 12882A Jaffe (DP) 12883B Renner (KPD) 12884C zur Geschäftsordnung: Dr. Menzel (SPD) 12891A Präsident Dr. Ehlers . . 12891B. D. 12892C Dr. Wellhausen (FDP) 19891C Dr. Schröder (Düsseldorf) (CDU) . 12891C Dr. Arndt (SPD) 12892A Abstimmungen 12873C. 12889A Namentliche Abstimmung . . . 12892D, 12893D, 12895C, 12975 Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Erbschaftsteuergesetzes (Nr. 4268 der Drucksachen) 12873D Überweisung an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen 12873D Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Verwaltung des ERP-Sondervermögens (Nr. 4283 der Drucksachen) 12874A Überweisung an den ERP-Ausschuß . 12874A Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur vorläufigen Durchführung von wirtschaftlichen Verträgen mit ausländischen Staaten (Nr. 4289 der Drucksachen) 12874B Überweisung an den Ausschuß für Außenhandelsfragen 12874B Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität betr. Genehmigung zur Haft zwecks Erzwingung der Ableistung des Offenbarungseides gegen den Abgeordneten Langer (Nr. 4258 der Drucksachen) 12874B Zurückgestellt 12874C Unterbrechung der Sitzung 12874C Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion des Zentrums eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Entschädigung von Verlusten der Altsparer (Altsparergesetz) (Nr. 1874 der Drucksachen); Schriftlicher Bericht des Ausschusses für den Lastenausgleich (Nrn. 4282, zu 4282 der Drucksachen, Umdrucke Nrn. 903, 905, 906) . . . 12847A, 12892D Dr. Atzenroth (FDP) : als Berichterstatter 12893A, D Schriftlicher Bericht 12961 Wackerzapp (CDU): als Berichterstatter 12894B Schriftlicher Bericht 12971 als Abgeordneter 12898B Dr. Bleiß (SPD) 12895C Kunze (CDU) 12896C, 12899B Dr. Besold (FU) 12897B Farke (DP) 12898A Abstimmungen 12895B, 12899A, B Dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften und zur Sicherung der Haushaltsführung (Nrn. 4092, 4294 der Drucksachen; Umdrucke Nrn. 896, 897, 902, 904) 12899C Seuffert (SPD) 12899C, 12911C Dr. Meitinger (FU) 12901D Walter (DP) 12902C Frau Kalinke (DP) 12902C Renner (KPD) 12903B Dr. Gülich (SPD) . . . . 12904C, 12909C Neuburger (CDU) 12906A Dr. Wellhausen (FDP) . . . 12908A, 12909B Schäffer, Bundesminister der Finanzen . . . . 12909B, 12910C, 12912B Frau Lockmann (SPD) 12910A Dr. Miessner (FDP) 12911A Dr. Handschumacher (CDU) 12911D, 12912C Abstimmungen 12912D Beratung des Antrags der Abg. Brookmann, Wehner, Dr. Henn, Walter, Freiherr von Aretin, und Genossen betr. Sofort- und Sondermaßnahmen im Zonengrenzgebiet (Nr. 4276 der Drucksachen) 12874C, 12913B Brookmann (CDU), Antragsteller . 12913B Dr. Henn (FDP) 12914D Behrisch (SPD) 12915B Frau Dr. Brökelschen (CDU) . . . 12916D Renner (KPD) 12918A Beschlußfassung 12919C Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Vierten Gesetzes über die Übernahme von Sicherheitsleistungen und Gewährleistungen im Ausfuhrgeschäft (Nr. 4169 der Drucksachen); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Außenhandelsfragen (Nr. 4280 der Drucksachen; Umdruck Nr. 901) . . 12874A, 12919C Dr. Serres (CDU), Berichterstatter 12919D Beschlußfassung 12920A Nächste Sitzung 12920C Anlage 1: Schriftlicher Bericht des Ausschusses für gesamtdeutsche Fragen über den Antrag der Fraktion der SPD zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Zwangsmaßnahmen gegen den Bauernstand in der sowjetischen Besatzungszone (Nr 4303 der Drucksachen) 12921 Anlage 2: Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen über den von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (Nr. 4300 der Drucksachen) 12930 Anlage A zur Anlage 2: Gutachten der Sachverständigen: Dr. Carl, Oberfinanzpräsident a. D. 12932A, 12940C Dr. Jacobsen, Oberfinanzpräsident 12935A Ellinger, Oberfinanzpräsident a. D. 12939B, 12940C Dr. Ringelmann, Staatssekretär . . 12940D, 12945B Kaiser, Stadtrat a. D. . . 12945C, 12947D, 12948A, B Dr. Bräuer, Präsident des Bundes der Steuerzahler 12948B Wolkersdorf, Dipl.-Kaufmann . . . 12955C Dr. Gast, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages . . . 12957B, 12960C Anlage 3: Schriftlicher Bericht des Ausschusses für den Lastenausgleich über den von der Fraktion des Zentrums eingebrachten Entwurf über die Entschädigung von Verlusten der Altsparer (zu Nr. 4282 der Drucksachen) 12961 Zusammenstellung der namentlichen Abstimmung in dritter Beratung über § 2 sowie Einleitung und Überschrift des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland 12975 Die Sitzung wird um 10 Uhr 03 Minuten durch den Präsidenten Dr. Ehlers eröffnet.
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    Anlage 1 zum Stenographischen Bericht der 264. Sitzung Schriftlicher Bericht des Ausschusses für gesamtdeutsche Fragen (8. Ausschuß) (Nr. 4303 der Drucksachen) über den Antrag der Fraktion der SPD zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU (Nr. 3956 der Drucksachen, Umdruck Nr. 764) betreffend Zwangsmaßnahmen gegen den Bauernstand in der sowjetischen Besatzungszone Berichterstatter: Abgeordneter Gerns Der Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen hat sich während der Monate März und April in mehreren Sitzungen mit dem ihm zur Beratung überwiesenen Antrag der Fraktion der SPD zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU — Nr. 3956 der Drucksachen, Umdruck Nr. 764 — betr. Zwangsmaßnahmen gegen den Bauernstand in der sowjetischen Besatzungszone befaßt. Der Antrag verlangte von der Bundesregierung eine gründliche Unterrichtung der Ausschüsse für gesamtdeutsche Fragen und für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten über a) Ausmaß und Folgen der in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands gegen die bäuerliche Bevölkerung eingeleiteten Zwangsmaßnahmen; b) die Möglichkeiten, durch Hilfsaktionen oder durch Lieferung von Lebensmitteln im Rahmen von Interzonen-Handelsabkommen den besonders hart betroffenen Bevölkerungsschichten der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands beizustehen; c) die Hilfe, die den geflüchteten Bauern und ihren Angehörigen durch Ansiedlung oder auf andere Weise gewährt wird. Auf Grund eingehender Befragungen der Sachbearbeiter der zuständigen Bundesministerien und unter Ausnutzung maßgeblicher Publikationen sowie aller aus der sowjetisch besetzten Zone erreichbaren Unterlagen wurde dem Ausschuß ein umfassender Überblick über die in dem zur Beratung stehenden Antrag berührten Probleme möglich. Der Ausschuß legt nachfolgend — in Übereinkunft mit dem an der Ausschußüberweisung mitbeteiligten Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten —, dem Beschluß des Plenums folgend, schriftlich einen Bericht über seine Ermittlungen und Feststellungen vor. I. Die Kollektivierung der Landwirtschaft in der sowjetisch besetzten Zone und die Verfolgung der bisher selbständigen Bauern (Zu Absatz 1 a des Antrags der Fraktion der SPD — Umdruck Nr. 764 —) Die Statistiken des Bundesnotaufnahmeverfahrens über die berufliche Zugehörigkeit der Flüchtlinge aus der sowjetischen Besatzungszone lassen seit geraumer Zeit kaum noch einen Zweifel, daß die Entwicklung der Bolschewisierung Mitteldeutschlands nunmehr ein Stadium erreicht hat, in dem die Zerstörung der Kernsubstanz des Volkes beginnt: die bäuerliche Bevölkerung, die seit Generationen in ihren Dörfern und auf ihren Höfen seßhaft war, ist zur Massenflucht aufgebrochen. Bisher — und das betrifft noch statistische Untersuchungen über die berufliche Zusammensetzung des Flüchtlingsstromes des Jahres 1951 und der ersten Jahreshälfte 1952 — entsprach der Anteil der Berufskategorie „selbständige Landwirte" prozentual etwa der Zahl der Handwerker, Angestellten und Gewerbetreibenden, der Beamten und Lehrer, die in ihrem einzelnen Schicksal der unmittelbaren Bedrohung oder der Vernichtung ihrer Existenz nur durch die Flucht entgehen konnten. Nun aber haben allein von Oktober des Vorjahres bis Anfang April 9363 Bauern mit ihren Familien Hof und Heimat verlassen. Dort, wo in vielen (Gerns) Fällen vierhundert Jahre hindurch Bauerngeneration auf Bauerngeneration auf angestammtem Hof und Boden ein Element der Ruhe und Beständigkeit im Ablauf der Jahrhunderte wurden, hat die Massenflucht vor dem Terror der Bauernverfolgung eingesetzt. Der Auftakt zur Offensive der sowjetzonalen Machthaber gegen das Bauerntum vollzog sich im Juni vorigen Jahres auf der 2. Parteikonferenz der SED durch die Beschlüsse über den „Aufbau des Sozialismus auf dem Lande": Im Zeichen des Klassenkampfes wurde dem Großbauern — und darunter hatte sich von diesem Zeitpunkt ab jeder selbständige Landwirt zu rechnen, dessen Besitz mehr als 20 ha umfaßt — das Recht der bäuerlichen Existenz abgesprochen. Damit war die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft in ihr entscheidendes Stadium getreten. Lange Monate hindurch wurden organisatorische und verwaltungstechnische Vorbereitungen getroffen. Im Juni 1952 wurde der Zusammenschluß der „werktätigen Bauern" zu Produktionsgenossenschaften proklamiert. Während jedoch mit allen Mitteln versucht wird, diesen Agrarkollektivs die landwirtschaftlichen Betriebe mittlerer Größe — und darunter wurden nun auch alle bisher selbständigen Bauernhöfe mit einer Nutzungsfläche unter 20 ha gerechnet — als wirtschaftliche und menschliche Potenz zuzuführen, wird der Großbauer ausgeschaltet, politisch diffamiert und schließlich sogar als Staatsfeind oder Wirtschaftsverbrecher in seiner Person, seiner Familie und seiner Existenz bedroht. Der Kampf wird hierbei von den sowjetzonalen Machthabern mit den erprobten Methoden wirtschaftlicher und finanzieller Zwangsmaßnahmen geführt. Maschinen und Geräte, Düngemittel, Brennstoff und Saatgut werden seit langem ausschließlich in Staatsbetrieben erzeugt und über Staatsorganisationen, in erster Linie über die Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe (VdgB) und das Netz der Maschinen-Traktoren-Stationen (MTS) verteilt, die in den letzten Jahren als Körperschaften des öffentlichen Rechts geschaffen wurden, um politische Funktionäre im Dorf zu verankern und den politischen Druck auf dem Lande zu verstärken. Diese Institutionen nun haben mit zynischer Rücksichtslosigkeit Lenkungsmethoden eingeführt, die es dem Großbauern, dem „Feind des Sozialismus" unmöglich machen, seine Erzeugungspflichten zu erfüllen. So ist er zum Beispiel bei der Feldbestellung davon abhängig, daß die landwirtschaftlichen Maschinen und Traktoren der MTS*) nicht durch die zu bevorzugenden Staatskollektive oder Produktionsgenossenschaften benötigt werden. Dabei reicht, obgleich die gesamte Landmaschinenproduktion ausschließlich diesen Stationen zufließt, der vorhandene Maschinenpark bei weitem nicht für die Versorgung dieser staatsbegünstigten Betriebe aus. Sodann wird in der Tarifordnung der MTS das nächste Mittel gefunden, um die „Rentabilität der Großbetriebe" ins Schwanken zu bringen: Man führte eine Staffelung der Leihgebühren und der Kasten für Arbeitsleistungen der MTS ein, durch die der Großbauer Tarife zudiktiert erhält, *) Nicht zufällig wurde der seitherige Name der Maschinen-Ausleih-Stationen = MAS nach russischem Muster in Maschinen-Traktoren-Stationen MTS umbenannt. die durchschnittlich um das Fünf- bis Siebenfache höher als die Sätze der Produktionsgenossenschaften liegen. Gleichzeitig aber wird von der Seite des Ablieferungssolls her die Schraube der wirtschaftlichen Bedrängung angezogen: Für jeden Bauern verbindliche Anbau- und Viehhaltepläne sehen Ablieferungsnormen vor, die dem Großbetrieb wiederum Abgaben auferlegen, die das Soll der Produktionsgenossenschaften um ein Vielfaches übersteigen. So haben Betriebe über 20 ha 18,7 dz Getreide pro Hektar abzuliefern, wärend bei den Produktionsgenossenschaften das Soll für den Hektar etwa bei 5,5 dz liegt. Den Großbetrieben wird ein Kartoffelablieferungssoll von 104,7 dz pro Hektar zudiktiert, während die Produktionsgenossenschaften etwa 41 dz pro Hektar aufzubringen haben. Bei Erfüllung seines Ablieferungssolls erhält der Großbauer den sogenannten „Erfassungspreis", der für ihn jedoch so niedrig ist, daß kaum der laufende Aufwand der Betriebskosten bestritten werden kann. Den Erwerb der alltäglichen Bedarfsartikel (Nägel, Schnur, Arbeitsschuhe u. ä.), die der „werktätige Bauer" auf Bezugschein erhält, soll der Großbauer von den sogenannten freien Spitzen bestreiten. Welcher landwirtschaftliche Großbetrieb aber ist unter den gegebenen Verhältnissen imstande, über das Soll hinaus solche freien Spitzen zu erzielen! Ein weiteres unausweichliches Problem entsteht, wenn auf einem Großbetrieb die nötigen Arbeitskräfte fehlen, um auch nur eine geringe Chance zu haben, die auferlegte Norm zu erfüllen: Der Zugang über die behördliche Arbeitsvermittlung zum öffentlichen Arbeitsmarkt ist dem Betriebsinhaber versagt, Inserate in den Zeitungen sind für ihn verboten. Endlich ist zu alledem eine Staffelung der Lohnsätze eingeführt, die dem Großbetrieb nur die niedrigste Lohnstufe zugesteht, die Arbeit beim selbständigen Bauern für den Lohnarbeiter also völlig unattraktiv macht. So wird der Großbauer von drei Seiten her durch wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen dahin getrieben, daß es ihm unmöglich ist, die auferlegten Ablieferungspflichten zu bewältigen. Nichterfüllung des Solls aber liefert ihn der Staatsanwaltschaft aus, die ihn nach den Gesetzen dieser Zone zum Wirtschaftsverbrecher und Saboteur stempeln kann. Schließlich ist auch die Besteuerung dieses Regimes mit überhöhten, völlig einseitigen Belastungen zum Kampfmittel der Vernichtung des selbständigen Bauerntums geworden. Außerdem werden nachträglich angebliche Steuerschulden festgelegt und aus zurückliegenden Jahren Steuerstrafen errechnet, die zu einem Zeitpunkt gefordert werden, an dem es dem Bauern unmöglich ist, auch nur einen Teil der geforderten Beträge aufzubringen. Als Folge verfällt sein Besitz den Vollzugsmaßnahmen des Staates, ein Treuhänder wird eingesetzt, er selbst und seine Familie des Hofes verwiesen. Vor allem aber muß er wiederum damit rechnen, unter Strafverfolgung gestellt zu werden — und so verbleibt nur der Weg zur Flucht. Kaum aber ist die Offensive zur Vernichtung des selbständigen Bauerntums Mitteldeutschlands aufgenommen, zeigt es sich, daß Zwangskollektivierung und Bauernverfolgung Folgen heraufbeschwören, die der ganze Apparat des Regimes mit seinen Produktionsgenossenschaften und Produktions- (Gerns) brigaden nicht zu bewältigen vermag. Noch sind die — häufig nicht einmal fachkundigen — politischen Funktionäre der „gegenseitigen Bauernhilfe", der SED und der staatlichen Behörden mit der Umstellung der Landwirtschaft auf das Kollektiv der Produktionsgenossenschaften befaßt, da machen sich die Folgen der Bolschewisierung für die Entwicklung der ohnehin labilen Versorgungslage auf dem Lebensmittelsektor der Sowjetzone in katastrophaler Weise bemerkbar. Mit ziemlicher Sicherheit muß von den sowjetzonalen Erfassungsbehörden damit gerechnet werden, daß als erste Auswirkung der neuen Kollektivierungs-Kampagne für das Jahr 1953 ein Produktionsfehlbetrag von 500 000 bis 600 000 t Brotgetreide, 1 025 000 t Kartoffeln und 60 000 t Lebendvieh eintreten wird. Durch eine Verordnung über „devastierte landwirtschaftliche Betriebe", die noch im Jahre 1952 erlassen wurde, suchte das Regime zunächst eine erste Möglichkeit, den herrenlosen Besitz, dessen Umfang nach den zur Zeit vorliegenden Zahlen etwa mit 440 000 ha angenommen werden muß, wenigstens noch zum Teil der landwirtschaftlichen Nutzung dieses Jahres zuzuführen. Nach dieser Verordnung erhalten die Landräte in den mitteldeutschen Kreisen die Möglichkeit, Treuhänder auf den verlassenen Gütern oder auf Betrieben, deren Besitzer wegen „schlechter Wirtschaftsführung" des Hofes verwiesen wurden, einzusetzen. Weiter wurde durch den Einsatz von Polizeiverbänden und durch Rekrutierung zusätzlicher Arbeitskräfte aus den Städten — es handelte sich in erster Linie um Frauen und Rentner — versucht, soweit wie möglich die planmäßige Durchführung der Frühjahrsbestellung zu erzwingen. Doch nun zeigte sich, daß der Bauernverfolgung nicht nur der Mangel an Arbeitskräften folgte, sondern daß die Zwangsmaßnahmen des Regimes auch die Saatzucht gefährdet hatten und für die Frühjahrsaussaat nicht genug Saatgut vorhanden war. Überdies ist dem Produktionsbrigadier mit der Umschulung auf das Kollektiv jedes Verhältnis zu seiner Arbeit, zu dem Boden, den er beackert, genommen: Die Pflugarbeit der MTS ist ganz auf Flächenleistung abgestellt und daher qualitativ so unzureichend, daß mit dem Aufgehen der Aussaat in vielen Fallen nicht gerechnet werden kann. Dennoch wird über all diese Krisenerscheinungen hinweg der Aufbau der Produktionsgenossenschaften forciert. Die landwirtschaftlichen Kollektivs sind bisher in drei Typenmodellen geplant: Nach dem Typenmuster 1 soll in einer solchen Produktionsgenossenschaft nur der Acker gemeinschaftlich bewirtschaftet werden. Nach dem Typenmuster 2 werden Acker, Traktoren, Pferde, Ochsen und landwirtschaftliche Maschinen und Geräte gemeinschaftlich genutzt. Im Typenmuster 3 werden Acker, Wiesen, Weiden, Wald, das gesamte Vieh, die Maschinen und Geräte und die für die Produktionsgenossenschaft notwendigen Wirtschaftsgebäude der Gemeinschaft zugeführt. In den Statuten der Produktionsgenossenschaften, die als Richtschnur für ihre Mitglieder (und das sind sämtliche Bauern und deren Familienangehörige, Landarbeiter und andere dorfansässige Personen im Alter über 16 Jahre) aufgestellt werden, werden das Leben der dörflichen Gemeinschaft und die Existenz-, Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten des Einzelnen vorbestimmt. Vor allen Dingen ist festgelegt, wie die Ernte und die Geldeinkünfte der Produktionsgenossenschaften zu verwenden sind: Von der Ernte sind zunächst die Ablieferungspflichten an den Staat zu erfüllen, ein Saatgutfonds zu bilden, die notwendigen Futtermittel bereitzustellen und darüber hinaus ein Reserve- und Hilfsfonds zu schaffen. Dann ist das zur Bezahlung der Arbeitsleistungen der MT-Stationen notwendige Getreide abzugeben. Erst der darüber hinaus etwa verbleibende Rest der Ernte wird an die Mitglieder der Genossenschaft, entsprechend den von ihnen geleisteten Arbeitseinheiten und dem von ihnen eingebrachten Boden, verteilt. Das gleiche Verfahren gilt für die geldlichen Einnahmen der Genossenschaft: die Steuern an den Staat werden gezahlt, die Versicherungsleistungen, die laufenden Produktions- und Wirtschaftsausgaben; dann wird ein nicht unbeträchtlicher Betrag einem Reserve- und Hilfsfonds zugeleitet. Verbleibt ein Überschuß, sollen wieder die Mitglieder der Genossenschaft beteiligt werden. (Dabei ist vorgesehen, daß für den eingebrachten Boden 20-40°A, für die geleisteten Arbeitseinheiten 60-80°A der Natur- bzw. Geldeinkünfte ausgeworfen werden sollen.) Wer aber will sagen, wie der einzelne Teilbetrag unter den gegebenen Verhältnissen aussehen wird? Keiner, der in dieser Produktionsgenossenschaft beschäftigt wird, hat mit einer regelmäßigen und ausreichenden Entlohnung zu rechnen. Den Satzungen der Kollektivs nach soll sich der Eintritt in die Produktionsgenossenschaft unter völliger Freiwilligkeit vollziehen, doch zeigt die große Zahl der Landarbeiter und Kleinbauern unter den Flüchtlingen aus der SBZ—vom Bauernverband Berlin wird für die Zeit von Oktober 1952 bis Februar 1953 allein die Zahl von 4100 angegeben —, daß die Alternative zu der Existenz im Kollektiv auch für sie nur die Flucht bleibt. II. Der Zusammenbruch der Versorgung Obwohl schon im Herbst 1952 den zuständigen Behörden der SBZ klar sein mußte, daß durch den überstürzten Drusch des noch feuchten Getreides ein Großteil der Getreideernte für den menschlichen Genuß unbrauchbar gemacht wurde, die Kartoffel- und Rübenernte außerdem schwer unter dem früh einsetzenden Frost gelitten hatte und die Brennstoffzuteilung für die betriebsfähigen Schlepper der MTS nicht hinreichte, die Herbstbestellung und die Winterfurche in vollem Maße durchzuführen, wurde in der Öffentlichkeit stereotyp behauptet, daß von einer Krisenlage auf dem Ernährungssektor in keiner Weise gesprochen werden könne. Man wollte unter keinen Umständen, kaum daß der Propagandafeldzug für die Bolschewisierung der Landwirtschaft und den Klassenkampf gegen die Großbauern in die breite Öffentlichkeit getragen war, die ersten ernsten Rückschläge der Kollektivierung zugeben. Inzwischen hat der Zusammenbruch der Lebensmittelversorgung jedoch ein derartiges Ausmaß angenommen, daß auch die Ministerien und Staatssekretariate der SBZ genötigt sind, ihre Verschleierungsversuche fallen zu lassen und sich in der Öffentlichkeit mit der unausweichbar nahenden Not auseinanderzusetzen. (Gerns) Zuerst wurde die Schuldfrage natürlich wieder zu Angriffen auf die „sabotierenden Großbauern" umgemünzt und die bestehenden Schwierigkeiten darüber hinaus mit der Nichteinhaltung der von „kapitalistischen Ländern" mit der „DDR" abgeschlossenen Lieferverträgen und der Dürre des letzten Sommers erklärt. Endlich wurde das Ministerium für Handel und Versorgung beschuldigt (besonders auf dem Sektor der Margarineversorgung), nicht planvoll und verantwortungsmäßig gewirtschaftet zu haben. Tatsächlich aber ist die Verknappung oder gar der völlige Mangel an den unentbehrlichsten Grundnahrungsmitteln nicht mehr aus Planungsfehlern eines Ministeriums erklärbar. Ein Überblick über die Versorgung mit den wichtigsten Grundnahrungsmitteln in der sowjetisch besetzten Zone ergibt gegenwärtig folgendes Bild: Die Fettversorgung stützt sich fast ausschließlich auf Margarine. Butter reicht nur zur Kartenvollversorgung für Kinder, Schwerarbeiter und einige andere bevorzugte Schichten. Schon bisher erhielt die Bevölkerung übrigens stets nur 1/6 der zugeteilten Fettmenge in Butter. In der ersten Jahreshälfte 1952 schien wenigstens das Margarineangebot in der SBZ noch ausreichend zu sein. Wie nötig die Bevölkerung darauf angewiesen wir, zeigte, daß die HO-Läden für solche Margarine minderwertiger Qualität bei einem Preis von 8,— DM pro Kilogramm Absatz fanden. Im zweiten Halbjahr 1952 fielen nun aber Ölsaatimporte aus Bulgarien und Rumänien in Höhe von rund 39 000 t aus. Dadurch ist für die kommenden Monate die Markenbelieferung mit Margarine stark in Frage gestellt. Bei der Versorgung mit Kartoffeln ergibt sich folgende Bilanz: Einem wahrscheinlichen Gesamtbestand am Ende des 1. Quartals 1953 in Höhe von 375 000 t steht bis zum Ende des 3. Quartals — also bis zum Anschluß an die neue Ernte — nachstehender Bedarf gegenüber: Bevölkerungsbedarf 800 000 t Reduzierter Industriebedarf 200 000 t Sonderbedarf Sowjet-Armee usw. 400 000 t 1 400 000 t Vorhandener Bestand 375 000 t Tatsächlicher Fehlbedarf 1 025 000 t Der neu ernannte Minister für Handel und Versorgung, Bach, mußte Ende Februar offiziell zugeben, daß die Kartoffelbestände im Monat April zu Ende gehen werden. Der im „Volkswirtschaftsplan 1952 der DDR" aufgestellte Ernährungsplan hatte — sicherlich bereits in Anrechnung der durch die geplanten Umstellungen zu erwartenden Produktionsminderungen — im Jahre 1952 ein Getreideaufkommen von 3 350 000 t vorgesehen. Das tatsächlich erreichte Aufkommen lag um 470 000 t tiefer. Nun muß man sich darüber hinaus darauf gefaßt machen, daß im Jahre 1953 — bei einem Gesamtplan von 2 900 000 t — ein Brotgetreideausfall von mindestens 500- bis 600 000 t bevorsteht. Das im Volkswirtschaftsplan vorgesehene Aufkommen an Fleisch wird im ersten Quartal 1953 wesentlich unter der mit 980 000 t festgesetzten Planziffer liegen, obwohl im Januar 1953 das Fleischablieferungssoll um 30 v. H. erhöht worden ist. Mit der Kurzschlußlogik des autoritären Systems gab das Ministerpräsidium der Sowjetzone Mitte Februar darüber hinaus Weisung, daß gleichzeitig mit diesen überhöhten Forderungen die Eintreibung restlicher Rückstände von 1951 und 1952 mit insgesamt 26 200 t abgeschlossen wird. Dabei mußte bereits Mitte Januar d. J. die Hauptabteilung Viehwirtschaft des sowjetzonalen Landwirtschaftsministeriums die zusätzliche Einfuhr von 300 000 t Kraftfutter verlangen, um den Anschluß an die neue Grünfutterperiode zu erhalten. Diese Anforderung wurde vom Ministerrat abgelehnt. Vor kurzem nun sollen die russischen Militärbehörden in der Sowjetzone angesichts der steigenden Aufmerksamkeit, mit der die westliche Welt sich der drohenden Hungersnot in Mitteldeutschland zuwendet, angeordnet haben, daß die Lieferung für die Besatzungsmacht und der Export an Lebensmitteln stark reduziert werden. Von einer solchen Anordnung müßte die Bevölkerung gerade eine Verbesserung in der besonders unzureichenden Versorgung mit Fleisch und Fett erwarten können. Nach wie vor aber arbeiten die Gesamtbetriebe der bekannten Fleischfabriken Heine in Halberstadt und der Geraer Fleischwarenfabrik zur Herstellung von Fleischkonserven, die ausschließlich für den Verbrauch durch die Sowjetarmee bestimmt sind. Als Folge der langanhaltenden Trockenheit im Jahre 1952 wurden in der Gemüseerzeugung in der SBZ anstelle der geplanten 900 000 t nur 485 000 t aufgebracht. Dieser Bestand wird nun ebenfalls in der Hauptsache zur Deckung des Bedarfs der Besatzungsmacht und der Volkspolizei verwendet. Der Mangel an Frischgemüse ist so groß, daß im März d. J. lediglich Diabetiker auf Karten 1 kg in der Woche und Kinder bis zu 5 Jahren 1/2 kg Gemüse erhielten. Alle sonstigen Verbraucher konnten nur 250 g Zwiebeln beziehen. Schließlich wurde vom Ministerratspräsidium der SBZ zugegeben, daß bis zum Anschluß an die neue Ernte eine Fehlmenge von 98 000 t Zucker zu verzeichnen ist. Diese Feststellung ist der Tatsache gegenüberzustellen, daß im Exportplan des Jahres 1952 vom sowjetzonalen Außenhandelsamt 328 000 t Zucker geliefert wurden. So ist also bei allen wichtigen Grundnahrungsmitteln, wie Fett, Brot, Kartoffeln, Gemüse und Zucker, der Anschluß an die nächste Ernte — selbst zu den niedrigen Rationssätzen der SBZ — nicht gesichert. Die Bevölkerung hat keine Möglichkeit, das Fehlen eines Nahrungsmittels durch Ausweichen auf eine andere gleichwertige Verpflegung zu ersetzen. Sollte es der SBZ-Regierung nicht gelingen, durch den sofortigen Abschluß umfangreicher Importverträge wenigstens die notwendigsten Reserven an Grundnahrungsmitteln zu schaffen, erscheint für die sowjetzonale Bevölkerung die wirkliche nackte Not des Hungerns unausweichlich. Zur Verdeutlichung der Situation seien die Ziffern der Rationssätze, die in der sowjetischen Besatzungszone bisher, also unter „normalen Verhältnissen" für die Lebensmittelzuteilung gegeben sind, vergleichsweise dem durchschnittlichen Verbrauch in der Bundesrepublik gegenübergestellt: (Gerns) Zuteilung in der SBZ Durchschnittlicher Verbrauch in der Bundesrepublik (monatlich) (monatlich) Fett 900g 2070 g Butter = 550 g Margarine = 875 g Schlachtf. = 425 g Plattenf. = 93 g Speiseöl = 127 g 2070 g Fleisch 1350g 3260 g (davon in der Regel nur 1000 g Fleisch, Rest Fisch oder Eier) Fisch: nur als Ersatz für 1008 g Fleisch Eier: nur als Ersatz für Fleisch (HO 0,55 DM je Stck.) 11 Stck. Milch: nur für Kinder 9,4 Liter bis zu 5 Jahren 1/2 1 täglich (HO 2,— DM je Liter) Zucker: 1240 g 2260 g Kartoffeln: 125 kg im 15 kg Oktober ausgegeben = 10,4 kg je Monat Gemüse: nur für Kinder 3620 g bis zu 5 Jahren = 2000 g und für Diabetiker = 4000 g Obst: HO völlig unzureichend 3700 g. III. Maßnahmen der sowjetzonalen Behörden zur Überwindung der Versorgungskrise Welche Maßnahmen haben die verantwortlichen Stellen der SBZ zur Überwindung dieser Notlage getroffen? In einer Sitzung des sowjetzonalen Ministerrats vom 6. April 1953 wurde beschlossen, fast sämtlichen selbständigen Gewerbetreibenden, Unternehmern, Aktionären und Händlern sowie den sogenannten Berliner „Grenzgängern" die Lebensmittelkarten zu entziehen. Man beschränkt den Kreis der Kartenempfänger in Berlin mit der Begründung, die Nutznießer des sogenannten Schwindelkurses „auf Wunsch breiter Kreise der Werktätigen" aus der Lebensmittelkartenversorgung auszuschließen. Der Kartenentzug für die „Selbständigen" in der Zone wurde mit der Behauptung gekrönt, daß die „stürmische Wirtschaftsentwicklung" den noch selbständigen Unternehmern den Einkauf von Lebensmitteln zu den überhöhten Preisen der HOLäden gestatte. (Hierbei soll nur auf den Margarinepreis in den HO-Läden in Höhe von 8,— DM und auf die Tatsache hingewiesen werden, daß schon jetzt bei der Versorgung mit verschiedenen Grundnahrungsmitteln, z. B. bei der Belieferung mit Zucker, den HO-Läden keine Zuteilung mehr gegeben werden kann.) Das Ausmaß dieser Entzugsmaßnahmen geht weit über alle bisherigen Befürchtungen hinaus: So erhalten ab Mai dieses Jahres zum Beispiel alle Inhaber, Mitinhaber, Aktionäre oder Pächter von Betrieben des Handels, des Handwerks, der Wirtschaft und der Industrie, die über fünf Angestellte oder Arbeiter beschäftigen, mit ihren Familienangehörigen keine Lebensmittelkarten mehr. Von dem Kartenentzug sind weiterhin betroffen Haus- und Grundstücksmakler, Hausbesitzer mit Mieteinnahmen von 4800 DM im Jahr und darüber, Handelsvertreter, Handelsreisende, Ladenbesitzer, Rechtsanwälte, Steuerhelfer, Bäcker, Fleischer, Konditoren, Gastwirte, Hoteliers und Pensionsinhaber, Besitzer oder Pächter von Taxi-, Speditions- und Fuhrunternehmen und viele andere mehr. Auch hier sind in fast allen Fällen sämtliche Familien- und Haushaltszugehörige ebenfalls von den Entzugsmaßnahmen erfaßt. Insgesamt sind das allein in der Zone über 11/2 Millionen Menschen. Der Kreis der Berliner „Grenzgänger" umschließt 40 000 im Berliner Ostsektor wohnende Arbeiter und Angestellte Westberliner Betriebe, die ebenfalls betroffenen Familienangehörigen nicht eingerechnet. Die wachsende Nat hat die Machthaber der Sowjetzone also lediglich von neuem veranlaßt, denen, die dem System der Bolschewisierung stets als (Gerns) ein Hemmnis erscheinen müssen, rücksichtslos die Existenzgrundlage fortzunehmen, um dort, wo ein Loch in der Ernährungsdecke für die breite Öffentlichkeit viel peinlicher erkennbar würde, die Notlage, so lange es geht, zu verschleiern: Gleichzeitig nämlich mit dem Lebensmittelkartenentzug für diese eineinhalb Millionen Menschen wurde eine Verordnung über die „Verbesserung des Werkküchenessens" erlassen, die eine „Verdoppelung der Verpflegungsnormen" für Fett, Fleisch und Zucker für diese Rationen ab 1. Mai 1953 verkündet. Es wird kaum zu kontrollieren sein, ob das Werkküchenessen nun tatsächlich doppelte Mengen an Fett, Fleisch und Zucker enthält, dagegen dürfen die verantwortlichen Stellen annehmen, daß der bis zum Anschluß an die neue Ernte in immer stärker werdendem Maße eintretende Ausfall an Grundnahrungsmitteln durch Ausgleichsmaßnahmen bei den Werkküchen am ehesten überbrückt werden kann. Bemerkenswert ist schließlich, daß man sich entschließen mußte, auch die sogenannten IN-Karten für die schaffende Intelligenz wegfallen zu lassen. Durch die Einrichtung von besonderen Geschäften für Angehörige der wissenschaftlichen und technischen Führungsschicht plant man ohne Zweifel, den erheblichen Mehrverdienst dieses Personenkreises (über ein Sonderpreissystem) abzuschöpfen. Inzwischen ist jedoch die Entwicklung der Krisenlage allen diesen seit Anfang Mai anlaufenden Maßnahmen vorausgelaufen. Das Politbüro der SED sah sich genötigt, ohne den Versuch weiterer beschönigender Propagandaaktionen Sofortmaßnahmen zur Eintreibung aller nur erreichbaren Bestände an Ernährungsgütern und Futtermitteln zu ergreifen. In Schulen und volkseigenen Betrieben wurden Schüler und Arbeiter aufgefordert, Kartoffeln aus den privaten Einkellerungsbeständen mitzubringen, die als Saatkartoffeln Verwendung finden sollen. Darüber hinaus haben Beamte der Volkspolizei in verschiedenen Orten Kartoffelvorräte direkt in privaten Haushaltungen beschlagnahmt. Sogenannte Viehwirtschaftskommissionen wurden aus Vertretern der SED und der Produktionsgenossenschaften gebildet, um allen landwirtschaftlichen Betrieben „beratend" zur Seite zu stehen, das heißt aber, um eine zusätzliche Kontrolle und einen verstärkten Druck bei der Durchführung des Erzeugungsplanes auszuführen und die Einhaltung der festgelegten Abgabenormen mit allen Mitteln zu erzwingen. Die erste Anordnung dieser Kommissionen war, daß die auf dem Erfassungswege sichergestellten Mengen an Heu und Stroh ausschließlich den landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften zur Verfügung stehen. Die selbständigen Bauern erhalten nichts. IV. Möglichkeiten zu Hilfsaktionen und zum Beistand für die besonders hart betroffenen Bevölkerungsschichten der sowjetisch besetzten Zone (Zu Absatz 1 b des Antrags der Fraktion der SPD — Umdruck Nr. 764 —) In einer ersten Überschlagrechnung haben Ernährungsfachleute errechnet, daß mindestens 13 Millionen Menschen in der Sowjetzone auf Hilfe und Unterstützung von außen angewiesen sind, wenn sie nicht durch die sich in den letzten Monaten noch wesentlich verstärkende Ernährungskrise hart betroffen werden sollen. Nach den gleichen Errechnungen müßte sich eine wirkungsvolle Lebensmittelhilfe vor allen Dingen auf die Versorgung mit Fett, Fleisch und Kartoffeln erstrecken, und zwar wird die monatlich benötigte Menge an diesen Lebensmitteln mit 6 400 t für Fett (Margarine), 6 400 t für Fleisch (Büchsenfleisch) und 64 000 t für Kartoffeln angesetzt, wenn davon ausgegangen wird, daß der sowjetzonalen Bevölkerung bei einer Kartenration von 900 g Fett zusätzlich 500 g Margarine, bei einer Zuteilung von 1350 g Fleisch 500 g Büchsenfleisch und ein Zuschuß von 5 kg Kartoffeln monatlich je Person zukommen soll. Die mit diesen Errechnungen befaßten Sachverständigen sind der Ansicht, daß sich produktionsmäßig kaum eine Schwierigkeit für die Zusammenstellung solcher Lieferungen ergeben dürfte, da ausreichende Vorräte in der Bundesrepublik vorhanden wären. Der für eine solche Hilfsaktion erforderliche finanzielle Aufwand wird mit 46 528 000 DM angegeben. Als naheliegendsten Weg, solche Lieferungen zu verwirklichen, mußte zunächst an den Interzonenhandel gedacht werden. Eine erste Überprüfung in dieser Richtung ergab jedoch, daß sich im Interzonenhandel — ganz abgesehen von den nunmehr gesuchten Möglichkeiten, in seinem Rahmen durch verstärkte Lieferung von Lebensmitteln der durch die Ernährungskrise bedrohten Bevölkerung zu helfen — eine Entwicklung besonderer Schwierigkeiten abzeichnet. Zunächst ist festzustellen, daß es nach Mitteilung der zuständigen Ressorts der Bundesregierung auch bei den Handelsvereinbarungen für das Jahr 1953 nicht gelang, das Volumen der gegenseitigen Lieferungen auf die Höhe der in den bisherigen Verlautbarungen der Sowjetzonenpropaganda als wünschenswert bezeichneten Größenordnung von 1 Milliarde DM (beiderseits) zu bringen, sondern daß der für dieses Jahr vorgesehene Warenaustausch nur Lieferungen im Werte von 400 bis 500 Millionen Verrechnungseinheiten (VE) umfassen wird. Allein schon darin wird eine Begrenzung der Lieferungsmöglichkeiten an Nahrungsmitteln durch die Bundesrepublik gesehen. Außerdem wird darauf hingewiesen, daß auch der Außenhandel der Sowjetzone völlig in die Handelsplanung der Ostblock-Staaten einbezogen ist und, wie aus Wirtschaftsstatistiken entnommen wurde, 75 Prozent der sowjetzonalen Ausfuhr für Lieferungen an die Ostblockstaaten festgelegt worden sind, während nur 25 Prozent des Exports für den Handel mit westlichen Ländern zur Verfügung stehen. Der Interzonenhandel nimmt hierunter einen unerheblichen Bruchteil ein. Außerdem wurde dem Ausschuß von Sachbearbeitern der Bundesregierung erläutert, daß der Umfang der Lieferungsaufträge an Lebensmitteln ganz von der Aufnahmebereitschaft der sowjetzonalen Verhandlungspartner abhängig ist. Die Sowjetzone sei aber von jeher bestrebt gewesen, in erster Linie Rohstoffe und industrielle Produktionsgüter zu erhalten. Erst ab Dezember vorigen Jahres wurde eine größere Aufnahmebereitschaft für Konsumgüter verzeichnet. (Gerns) Dennoch muß festgestellt werden, daß auch gegenwärtig der Anteil der vereinbarten Lebensmittellieferungen in keinem Verhältnis zu dem tatsächlichen Versorgungsbedarf der mitteldeutschen Bevölkerung steht. Die Lieferungen der Bundesrepublik werden über zwei Verrechnungskonten gebucht. Das erste Konto umfaßt hauptsächlich Lieferungen an Ölen und Fetten in Höhe von 11,5 Millionen VE. Über das zweite Verrechnungskonto sind im wesentlichen Lieferungen von Frischfischen im Werte von 30 Millionen VE vorgesehen. Von den zuständigen Stellen der Bundesregierung wird nunmehr versucht, bei laufenden Verhandlungen wenigstens eine Aufstockung der Fischlieferung auf einen Gesamtbetrag von 50 Millionen VE zu erreichen. Darüber hinaus wird jedoch wenig Hoffnung auf die Möglichkeit einer in das Gewicht fallenden Ausweitung der Lebensmittellieferungen im Interzonenabkommen gemacht. Es wird auf die zuvor erwähnten Gründe: den Einbau des Sowjetzonenexports in den Ostblockhandel und die Tendenz der sowjetzonalen Unterhändler, in erster Linie Vereinbarungen über Rohstofflieferungen herbeizuführen, verwiesen, vor allen Dingen aber festgestellt, daß das Gesamtvolumen des Interzonenhandels ganz wesentlich auch dadurch begrenzt ist, daß die Sowjetzone nicht im ausreichenden Maße mit Warenangeboten aufwarten kann, die auf dem Markt der Bundesrepublik Aufnahmebereitschaft finden. Am stärksten aber wird gegenwärtig das Lieferungsprogramm der Bundesrepublik durch die Tatsache gehemmt, daß die sowjetzonalen Behörden sich — vor kurzem noch erheblich über die im üblichen Prozentsatz vereinbarte Swing-Regelung hinaus — mit der Bezahlung der aus der Bundesrepublik gelieferten Waren im Rückstand befinden. Die zuständigen Stellen der Bundesrepublik sehen sich angesichts dieser Verschuldung gezwungen, die Gesamtlieferungen im Interzonenhandel gegenwärtig auf einen Wert von 2 Millionen VE im Monat zu beschränken. An eine Erhöhung kann von Seiten der Bundesrepublik nur gedacht werden, wenn die Verschuldung nicht mehr über die übliche Swing-Grenze des Bankenabkommens hinausgeht. Auch im Bereich der Lebensmittellieferungen war die Auswirkung zwangsläufig, daß es nicht einmal möglich ist, die vorgesehene Lebensmittellieferung in voller Höhe durchzuführen, zumal die Lebensmittellieferanten der Bundesrepublik nicht imstande sind, ihrerseits auf unbestimmte Frist auf Zahlung zu verzichten. Um hier das Möglichste zu tun, die bedrohliche Versorgungslage der Bevölkerung der SBZ nicht noch weiter zu verschärfen, wurde den zuständigen Stellen von Seiten des Ausschusses zu erwägen gegeben, Möglichkeiten zu finden, wenigstens die vorgesehenen Lebensmittellieferungen unabhängig vom Stande der Verschuldung der sowjetzonalen Vertragspartner im Interzonenhandel zu machen. Hierbei wurde vorgeschlagen, den im diesjährigen Interzonenhandelsabkommen vorgesehenen Swing um einen Betrag von 30 Millionen DM zu erhöhen, und zwar so, daß dadurch eine erhöhte Lieferung von Lebensmitteln veranlaßt wird. Angesichts der grundsätzlichen Bereitschaft aller zuständigen Stellen, in weit größerem Umfange Lebensmittel in die sowjetisch besetzte Zone zu liefern, und der Tatsache anderseits, daß mit einem wesentlichen Ausbau der Lieferungen im Rahmen des Interzonenhandels nicht gerechnet werden kann, wurde im Ausschuß von verschiedener Seite die Auffassung vertreten, daß den sowjetzonalen Stellen in besonderer Verhandlung das Angebot von Warenkrediten zur Behebung der Schwierigkeiten auf dem Sektor der Lebensmittelversorgung gemacht werden solle. Dem Einwand, daß die bisherige Haltung der Wirtschaftsbehörden der SBZ nicht annehmen lasse, daß von ihrer- Seite auf dieses Angebot eingegangen wird, wurde entgegengehalten, daß mit einer solchen Ablehnung gleichzeitig vor aller Weltöffentlichkeit die volle Verantwortlichkeit der derzeitigen Machthaber Mitteldeutschlands für die heraufbeschworene Hungersnot manifestiert sei. Schließlich wurde der Vorschlag gemacht, zu prüfen, in welchem Umfange und unter welchen praktischen und finanziellen Voraussetzungen in Aussicht genommen werden kann, in größerem Umfang in Westberlin Lager an Kartoffeln und Brot anzulegen, um dort Bewohnern des Ostsektors und Anrainern aus der Sowjetischen Zone nach einem bestimmten Zuteilungssystem Gelegenheit zu geben, sich gegen Zahlung in DM-Ost wenigstens mit diesen Grundnahrungsmitteln zu versorgen. Vor allen Dingen aber besteht — völlig unabhängig vom Willen und der Einsicht der für die bedauernswerte Lage der Sowjetzonenbevölkerung verantwortlichen Behörden in der SBZ oder von der Notwendigkeit umfassender finanzieller und organisatorischer Planungen der Bundesrepublik andererseits — für jeden einzelnen Bewohner der Bundesrepublik die Möglichkeit, die Notlage der Bewohner Mitteldeutschlands in nicht zu unterschätzendem Maße zu erleichtern. Unter den Entbehrungen, die mit dem Zusammenbrechen der Lebensmittelversorgung in der Sowjetzone jeder Einzelne zu tragen hat, stellen Sendungen von Lebensmittelpaketen aus der Bundesrepublik eine Hilfe dar, deren Gewicht hier, vom Blickwinkel normaler Lebensverhältnisse aus, gar nicht überschätzt werden kann. Seit einiger Zeit wird zwar von den Organen der sogenannten Kontrollpostämter in der Sowjetzone in verstärktem Maße versucht, die menschlichen und persönlichen Bindungen, die bisher noch auf diesem Wege zwischen dem westlichen Teil unseres Vaterlandes und den Bewohnern Mitteldeutschlands auf rechterhalten werden konnten, dem Eingriff der alles kontrollierenden Staatsgewalt auszusetzen: Man hat in wiederholten Fällen damit begonnen, Lebensmittelsendungen, die von gemeinnützigen Verbänden oder über die Einrichtungen der sogenannten „Päckchenhilfe" an notleidende Angehörige oder Freunde in der Sowjetzone gesandt wurden, als Kettensendungen, d. h. also als illegale Warenlieferungen zu deklarieren und auf den Kontrollpostämtern zu beschlagnahmen. Im großen und ganzen muß jedoch festgestellt werden, daß private und individuelle Paketsendungen an Angehörige oder Freunde (oder an von diesen vermittelte andere Anschriften Hilfsbedürftiger) zur Zeit noch am wenigsten behindert sind. Es wird Aufgabe aller zuständigen Stellen und Behörden sein, die einen Überblick über die Verhältnisse in der sowjetisch besetzten Zone haben, in der nächsten Zeit die Öffentlichkeit der Bundesrepublik in verstärktem Maße auf die Möglichkeiten hinzuweisen, die hier für eine echte Hilfe in der Not gegeben sind. Gleichzeitig aber sollte (Gerns) durch ständige Aufklärung über die von den sowjetzonalen Behörden erlassenen Versandvorschriften Sorge getragen werden, daß die aus der Bundesrepublik gesandten Pakete ihrem Empfänger nicht wegen angeblicher formeller Fehler entzogen werden können. Endlich sollte nichts unterlassen werden, was geeignet ist, die Wiederaufnahme der über die individuelle Betreuung hinausgehenden Hilfstätigkeit der Wohlfahrtsorganisationen und konfessionellen karitativen Verbände der Bundesrepublik zu erwirken, denen es bedauerlicherweise Anfang dieses Jahres unmöglich gemacht wurde, ihre karitative Tätigkeit für die Bevölkerung der sowjetisch besetzten Zone über den Rahmen solch individueller Paketsendungen auszudehnen. Eine sehr reale und entscheidende Hilfe würde weiterhin darin zu suchen sein, wenn es auch internationalen Hilfsverbänden in Zukunft ermöglicht würde, über individuelle Paketsendungen hinaus Altersheime und ähnliche Einrichtungen in der Sowjetzone durch ständige Geschenksendungen zu versorgen. Es sollte nicht unterlassen werden, bei den in Frage kommenden Organisationen anzuregen, auf geeigneter Ebene Verhandlungen über Möglichkeiten solcher Hilfsleistung aufzunehmen. V. Die Betreuung der in die Bundesrepublik geflüchteten bäuerlichen Bevölkerung aus der sowjetisch besetzten Zone (Zu Absatz 1 c des Antrags der Fraktion der SPD — Umdruck Nr. 764 —) Wenn das Problem der Eingliederung der nunmehr insgesamt etwa 12 500 aus der Sowjetzone geflüchteten Bauern und ihrer Familienangehörigen aufgegriffen wird, steht man der Tatsache gegenüber, daß nach 1945 294 000 heimatvertriebene bäuerliche Familien mit 1,2 Millionen Menschen in die Bundesrepublik einströmten, deren Unterbringung im alten Beruf und in der Umgebung ihrer Herkunft bisher trotz aller Anstrengungen und Sondermaßnahmen nur zu einem Bruchteil ermöglicht werden konnte. Vom Jahre 1949 bis heute wurden aus Bundes-, Länder- und ERP-Mitteln 564 735 392 DM für die Seßhaftmachung bäuerlicher Heimatvertriebener aufgebracht. Diese Mittel ermöglichten es, insgesamt etwa 45 000 bäuerliche Betriebe neu zu erstellen oder wüste und auslaufende Höfe zu pachten und zu erwerben. 35 000 dieser Höfe gelangten in die Hände von Bauern aus dem Kreise der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge, so daß — die Familienangehörigen zugerechnet — etwa 140 000 von den 1,2 Millionen Menschen in die Landwirtschaft der Bundesrepublik eingegliedert sind. Gegenwärtige Planungen sehen (soweit dieser Betrag haushaltsmäßig gedeckt werden kann) für weitere Eingliederungsmaßnahmen, allein aus Mitteln des Bundes, für die Jahre 1953-1957 zusätzlich zu den von den Ländern aufzubringenden Leistungen jährlich 100 Millionen DM vor. Ferner erhalten die Länder jährlich 100 Millionen DM aus dem Ausgleichsfonds. Als Darlehn für bäuerliche Siedlungen und für die Kultivierung von Moor und Ödland werden vom Bund auf Antrag der Länder 2 500 DM je Hektar ausgeworfen. Durch diese Leistungen sollen jährlich im Rahmen des Bundesvertriebenengesetzes 20 000 bäuerliche Familien angesiedelt und seßhaft gemacht werden. Hierbei besteht nun selbstverständlich nicht die Möglichkeit, die aus der sowjetischen Zone flüchtenden Bauern zu bevorzugen, doch ist ihnen im Falle der Anerkennung nach Paragraph 3 des Bundesvertriebenengesetzes zugesichert, daß sie in ihren Rechten und Ansprüchen den Heimatvertriebenen und Flüchtlingen aus den besetzten deutschen Ostgebieten völlig gleichgestellt werden. Zur Zeit wird von den zuständigen Stellen vor allen Dingen Sorge getragen, daß bereits Einweisung und Unterbringung dazu beihelfen, die flüchtenden Bauern und ihre Familien dem Lande zu erhalten. In allen Aufnahmeländern wird versucht, Wohnungen und Arbeitsmöglichkeiten in Dörfern und Landgemeinden zu sichern. Die Schwierigkeit, die sich nun hierbei ergibt, liegt weniger an den Beschäftigungsmöglichkeiten im landwirtschaftlichen Beruf, da eine große Zahl von Landarbeiterstellen offen sind und sich die meisten der flüchtenden Bauern auch bereitzeigen, vorübergehend eine solche unselbständige Beschäftigung zu übernehmen, als vielmehr darin, daß 35 Prozent der Landarbeiterwohnungen seit Kriegsende durch Personen fremder Berufszugehörigkeit belegt wurden. In der Nähe mittlerer und großer Städte sind von Einweisungen solcher nichtlandgebundenen Personen etwa Zweidrittel aller Landarbeiterwohnungen betroffen. Es gilt deshalb zu versuchen, einen wesentlichen Teil von dem kürzlich für die Unterbringung von Sowjetzonenflüchtlingen insgesamt bewilligten 180-Millionen-DM-Betrag für die Errichtung von Wohnungen oder für den Wohnungsausbau auf dem Lande zu bestimmen. Während der Erörterungen, die der Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen zu diesem Problem führte, wurde außerdem angeregt, die Gewährung von öffentlichen Mitteln zum Bau von Werkswohnungen davon abhängig zu machen, daß die dadurch geschaffenen Unterbringungsmöglichkeiten in erster Linie für die Aufnahme von berufsfremden Bewohnern solcher Landwohnungen verwendet werden. Begrüßenswerterweise wird von seiten der Bauernverbände der Bundesrepublik in zunehmendem Maße Anteilnahme für die Lage der aus der Sowjetzone flüchtenden Bauern bewiesen. So wird von zuständiger Seite mitgeteilt, daß gegenwärtig Bestrebungen zur Koordinierung der von diesen Verbänden beabsichtigten Betreuungs- und Hilfsmaßnahmen unternommen werden. Außerdem wird gerade von dieser Seite versucht, konkrete und den finanziellen und wirtschaftlichen Gegebenheiten in der Bundesrepublik angepaßte Vorschläge zur Eingliederung der geflüchteten bäuerlichen Bevölkerung in die Landwirtschaft zu formulieren. So fordert eine Denkschrift des Bauernverbandes Berlin, die Planung der Eingliederungsmaßnahmen in erster Linie a) auf die Unterbringung der flüchtenden Bauern in sogenannten Nebenerwerbssiedlungen, b) auf die Zuweisung vorübergehender ländlicher Heimstätten mit dazugehörigem Kleinbesitz von etwa einem Morgen Land, c) auf die Schaffung von Pachtlandzulagen für diese neu erstellten Heimstätten aus Ländereien im Besitz des Staates, der Gemeinden und der Kirche, durch pachtweise Überlassung aus dem Besitz sogenannter wüster oder auslaufender Höfe und durch die Aufschließung zur Zeit noch nicht landwirtschaftlich genutzter Flächen zu erstrecken. (Gerns) In der gleichen Denkschrift wird ein detaillierter Vorschlag über den organisatorischen Aufbau der Erfassung und Betreuung von flüchtenden Bauern seitens der Bauernverbände gemacht; vermutlich dürfte hier die Grundlage der mit den Koordinationsbestrebungen verbundenen Verhandlungen gefunden werden. Endlich ist eine Anregung zu erwähnen, die in Beratungen des Ausschusses für gesamtdeutsche Fragen erörtert und nun begrüßenswerterweise von den Landvolkhochschulen der Bundesrepublik aufgegriffen wurde. Es war vorgeschlagen worden, während der sommerlichen Semesterferien jugendliche Flüchtlinge aus den Kreisen der bäuerlichen SBZ-Bevölkerung für einige Wochen in den leerstehenden Heimen der Landvolkhochschulen zusammenzufassen, dort pädagogisch und psychologisch zu betreuen, gleichzeitig aber auf freiwillige Meldungen hin (über ein besonderes Vermittlungssystem) einzelne, besonders ausgesuchte Jugendliche ebenso sorgfältig ausgewählten landwirtschaftlichen Betrieben zuzuführen, auf denen sie nicht nur einen Arbeitsplatz, sondern eine wirkliche Fortbildungsmöglichkeit und vor allen Dingen ein Zuhause finden. Erst wenn die Einweisung der Landjugend in landwirtschaftliche Betriebe nicht planlos erfolgt, kann damit gerechnet werden, daß diese Jugend mit Leib und Seele dem Land erhalten bleibt. Die Landvolkhochschulen haben diese Notwendigkeit erkannt und sich dem vorgetragenen Plan mit ganzer Anteilnahme zugewendet. Ein erster Kursus wird in diesen Tagen von einer Landvolkhochschule Hessens begonnen. Es ist anzunehmen, daß damit der Auftakt zu einer echten, persönlichen und wirkungsvollen Betreuung gegeben ist, die wenigstens in diesem einen Bereich hoffen läßt, daß die Kräfte der Zerstörung, denen das mitteldeutsche Bauerntum preisgegeben ist, hier nicht fortzuwirken vermögen bis in die nächste und übernächste Generation. Bonn, den 30. April 1953 Gerns Berichterstatter Prozentualer Anteil der landwirtschaftlichen Nutzfläche der einzelnen Betriebsgrößenklassen in der Sowjetzone 1939 und 1951 Gebiet -5 ha*) 5 -20 ha 20 -50 ha 50 -100 ha über 100 ha**) 1939 1951 1939 1951 1939 1951 1939 1951 1939 1951 Brandenburg 7,9 10,0 28,0 56,0 25,0 23,7 9,5 4,6 29,6 5,7 Mecklenburg 3,8 5,6 19,4 65,0 20,3 19.5 8,2 4,1 48,3 5,8 Sachsen-Anhalt 7,6 9,4 29,4 53,8 24,9 24,2 11,2 7,4 26,9 5,2 Thüringen 20,9 24,0 48,3 57,5 16,1 14,2 4,7 2,4 10,0 1,9 Sachsen 11,6 13,3 45,8 60,3 23,9 21,8 5,8 2,6 12,9 2,0 Sowjetzone 9,2 11,2 31,8 58,4 22,4 21,2 8,4 4,5 28,2 4,7 *) 1951 ohne Sondergruppe Kleinbetriebe unter 0,5 ha Gesamtfläche, für die rund 295 000 ha landwirtschaftliche Nutzfläche ausgewiesen sind. **) 1951 sämtliche Staatsbetriebe (VVG) und noch nicht verteilte Flächen zu Großbetrieben gerechnet. Anlage 2 zum Stenographischen Bericht der 264. Sitzung Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen (11. Ausschuß) über den von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 (Nrn. 2260, 4300 der Drucksachen) Berichterstatter: Abgeordneter Wacker Der Bundestag hat in seiner 152. Sitzung am 14. Juni 1951 den obenbezeichneten Antrag an den Finanz- und Steuerausschuß als federführend und an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht überwiesen. Der Finanz- und Steuerausschuß hat in seiner Sitzung am 5. Juli 1951 die eingehende Beratung des überwiesenen Antrages und die Anhörung einer ganzen Reihe von Sachverständigen auch außerhalb der Bundesfinanzverwaltung beschlossen. Als Sachverständige wurden geladen und angehört: 1. Herr Geheimrat Dr. Carl, Oberfinanzpräsident a. D., Bremen, 2. Herr E 11 i n g e r, Oberfinanzpräsident a. D., Stuttgart, 3. Herr Dr. Jacobsen, Oberfinanzpräsident, Hannover, 4. Herr Dr. Ring elm ann , Staatssekretär, München, 5. Herr Kaiser, Stadtrat a. D., Herdecke/Westfalen, 6. Herr Professor Dr. Brauer, Präsident des Bundes der Steuerzahler, Stuttgart, 7. Herr Dipl.-Kfm. Wolkersdorf, Wirtschaftswissenschaftliches Institut der Gewerkschaften, Köln, 8. Herr Dr. Gast, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages, Bonn. Nach dem Anhören der Sachverständigen nahm Herr Bundesfinanzminister Schäffer noch zu dem Antrag Stellung. Bundesminister Schäffer glaubt nicht, daß eine Erörterung der Ausführungen der Sachverständigen die Angelegenheit wesentlich fördern könne, da die Entscheidung über die Grundgesetzänderung ein Politikum sei. Er halte es für unwahrscheinlich, daß die zur Änderung des Grundgesetzes erforderliche Zweidrittelmehrheit im Bundesrat erreicht werden könne, auch wenn dies im Bundestag gelingen sollte. Seine Einstellung zu dem Gesamtproblem werde von der Bemühung bestimmt, jeder Körperschaft das zu geben, was sie brauche. Vom Standpunkt des Bundes müsse er Einheitlichkeit in der Steuererhebung und Steuerverwaltung fordern; dagegen sei die Höhe der Verwaltungskosten ein zweitrangiges Problem. Nachdem das Zweite Gesetz über eine Bundesfinanzverwaltung zustande gekommen sei, sei im Benehmen mit den Ländern eine Durchführungsverordnung erarbeitet worden, zu der er die Zustimmung des Bundesrates zu erhalten hoffe. Diese Verordnung regele im wesentlichen drei Probleme: sie begründe nämlich die Zustimmungsnotwendigkeit des Bundesministers der Finanzen bei Stundungen nach § 127 RAO über eine gewisse Höhe hinaus, Erlassen nach § 131 RAO über eine gewisse Höhe hinaus und Gewährung von sonstigen Steuervergünstigungen (z. B. Pauschalabkommen). Er halte diese Regelung für einen großen Fortschritt in der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern zur Erzielung der unbedingt notwendigen Einheitlichkeit, durch den eine Änderung des Grundgesetzes entbehrlich sei. Ergänzend fügt der Minister hinzu, daß es nach der augenblicklichen Fassung des Grundgesetzes einem Land nicht möglich sei, die Verwaltung seiner Steuern auf den Bund zu übertragen. So erlaube das Grundgesetz, das in Artikel 107 eine Neuverteilung der Steuern auf Bund und Länder vorsieht, auch nicht, evtl. an den Bund übergehende Steuern auch vom Bund verwalten zu lassen. In der Diskussion werden noch folgende Punkte erörtert: (Wacker) 1. Eigenstaatlichkeitsgefühle in den Ländern. Bundesminister Schäffer ist der Meinung — und die meisten Mitglieder des Ausschusses pflichten ihm bei —, daß im Lande Bayern ein besonderes Gefühl der Eigenstaatlichkeit in der Bevölkerung bestehe, das auch bei der Übertragung von Zuständigkeiten der Länder an den Bund berücksichtigt werden sollte. 2. Benötigte Mehrheit zur Änderung des Grundgesetzes. Entgegen der Auffassung von Bundesminister Schäffer halten es die Vertreter der SPD für möglich, daß in beiden Häusern eine starke Mehrheit, evtl. sogar die erforderliche Zweidrittelmehrheit zustande kommt. 3. Einsparungen durch eine Bundesfinanzverwaltung. Bundesminister Schäffer hält die Einsparung an reinen Verwaltungskosten für verhältnismäßig gering, erklärt sich aber in Übereinstimmung mit der von den Sachverständigen vor dem Ausschuß vertretenen Auffassung, daß durch eine einheitliche Bundesfinanzverwaltung eine Erhöhung des Steueraufkommens zu erzielen sei, deren Ausmaß man noch nicht schätzen könne. 4. DVO zum Zweiten Finanzverwaltungsgesetz. Die Vertreter der SPD halten die angegebene Grenze der Höhe von Stundungen, Erlassen und sonstigen Vergünstigungen, über die hinaus die Zustimmung des BFM erforderlich werden soll, für zu hoch. Der Ausschuß ist jedoch mit dem Bundesminister der Finanzen der Meinung, daß das Zustandekommen dieser DVO ein wesentlicher Fortschritt gegenüber dem bisherigen Zustand sei. Der Antrag wurde vom Finanz- und Steuerausschuß mit 16 zu 7 Stimmen angenommen. Der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht hat sich im wesentlichen der Ansicht des Finanz- und Steuerausschusses angeschlossen. Die Gutachten der Sachverständigen sind dem Schriftlichen Bericht in der Anlage*) beigefügt. Bonn, den 30. April 1953 Wacker Berichterstatter *) Anlage A Seite 12932. Anlage A zum Schriftlichen Bericht des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen (11. Ausschuß) (zu Nr. 4300 der Drucksachen) über den von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 (Nrn. 2260, 4300 der Drucksachen) Gutachten der Sachverständigen Dr. Carl gibt zu Beginn seiner Ausführungen einen historischen Überblick über die Entwicklung, die 1919 zur Schaffung der Reichsfinanzverwaltung geführt habe. In der Reichsverfassung von 1871 sei die Finanzverwaltung auch hinsichtlich der Verwaltung der Zölle und Reichssteuern ausschließlich in die Hand der Länder gelegt worden. Als Folge davon habe der merkwürdige Zustand bestanden, daß das Reichsschatzamt, das damalige Reichsfinanzministerium, keinen Unterbau gehabt hätte, also sozusagen ein Kopf ohne Hände und Füße gewesen sei. Es habe lediglich einzelne „Krücken" in Gestalt der sog. „Reichsbevollmächtigten" bei den Zolldirektivbehörden und eine Reihe von „Stationskontrolleuren" bei den einzelnen Zollämtern zur Verfügung gehabt, Krücken seien jedoch immer schwach und hätten auch auf diesem Gebiet die unerfreulichen Zustände damals nicht zu beheben vermocht. In der Provinz habe lediglich eine „diplomatische Höflichkeit", sachlich jedoch ein ständiger unerfreulicher Kampf zwischen der Länderverwaltung und ihren „Kontrolleuren" geherrscht. Auch die Krücken, mit denen man heute arbeitet und die man ständig vermehren müßte, seien nicht in der Lage, den Grundfehler zu beheben, der — heute wie früher bei der Reichsaufsicht — darin liege, daß das Reichs- oder Bundesministerium, das für die Ausführungen der Steuergesetze verantwortlich sei, hinsichtlich der Informationen, die es erhalten müßte, auf die Zwischeninstanz der Länderministerien angewiesen sei und sich nicht unmittelbar an die Provinzial- und Lokalbehörden der Länderfinanzbehörden wenden dürfe. Dieser Zustand sei ebenso unmöglich wie der, daß die Provinzialbehörden sich nicht unmittelbar an das Bundesfinanzministerium wenden könnten, sondern den Weg über die Länderministerien nehmen müßten. Die Folge sei Zeitverlust, Kostenvermehrung und vor allem eine starke Verwässerung der von der Provinzialverwaltung herangetragenen Anregungen und Informationen einerseits und eine Verminderung der Durchschlagskraft von Anordnungen des Bundesfinanzministeriums an die Provinzialverwaltung. Bei dem Reichsschatzamt wie heute beim Bundesfinanzministerium sei ein weiterer Nachteil dadurch aufgetreten, daß die in diese Behörden einmal aufgenommenen Beamten nicht ohne weiteres wieder in den Länderverwaltungen verwandt werden könnten, sondern mangels einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit bis zu ihrer Pensionierung oder ihrem Ableben in ihren Dienststellen bleiben müßten. Man könne daher weder das Reichsschatzamt noch heute das Bundesfinanzministerium als das betrachten, was es unbedingt sein müßte, nämlich als eine Art „Generalstab". Ein Wechsel zwischen „Front" und „Generalstab", also zwischen oberster Reichsbehörde und Provinzialbehörden, das Hin und Her, das für eine lebensfähige Verwaltung unbedingt notwendig sei, sei damals vollkommen ausgeschlosen gewesen und sei heute wiederum ausgeschlossen. Ähnliche Verhältnisse lägen infolge der Trennung der Provinzial- und Lokalverwaltung in Länderverwaltungen auch bei diesen Behörden vor. Dabei gäbe nicht der einheitliche Aufbau einer Behörde als solcher den Ausschlag, sondern es sei die Möglichkeit eines lebendigen Kreisens aller Kräfte innerhalb eines solchen Aufbaues erforderlich. Es sei nichts schädlicher, als wenn nicht nur die Rekrutierung, sondern auch die Ausbildung der Beamtenschaft nicht völlig gleichmäßig sei und damit der innere Geist, das Gefühl der Zusammengehörigkeit und die ganze Einstellung der Beamtenschaft der Einheitlichkeit ermangele. Gerade die Erfahrungen nach der Schaffung einer Reichsfinanzverwaltung hätten gezeigt, wie wertvoll in einem großen Beamtenkörper die Möglichkeit eines ständigen Austausches der Beamten innerhalb der gesamten Verwaltung sei. Die Nachteile haben sich vor 1919 besonders beim Grenzdienst ausgewirkt, wo das Fehlen einer Austauschmöglichkeit zu einer gefährlichen Überalterung in den einzelnen Ländern geführt hat. (Sachverständiger Dr. Carl) Darüber hinaus habe die Beamtenschaft der Landesbehörden verständlicherweise allzusehr unter dem Eindruck gestanden, Landesbeamte zu sein und deshalb die Interessen des Landes vordringlich wahren zu müssen. Der Einfluß provinzieller Wirtschaftskreise, politischer Parteien, von Länderparlamenten und -Regierung sei unter solchen Umständen ein ganz anderer — und zwar für die Allgemeinheit wesentlich ungünstigerer —, als wenn sie in einer Reichsverwaltung tätig und nur dem Bundesfinanzminister und dem Bundesparlament verantwortlich seien. Ferner seien infolge der Bindung der Verwaltungsbezirke an die Länder die Größenverhältnisse der einzelnen Provinzialbehörden wesentlich verschieden gewesen. Infolge dieser Bindung mußten und müssen zwangsläufig Mammut- und Liliputbezirke entstehen. Eine Abgrenzung der Bezirke nach wirtschaftlichen, verkehrs- und verwaltungstechnischen Gesichtspunkten wird unmöglich. Dazu sei gekommen, daß sich das Arbeiten des Verwaltungsapparats durch die Zwischenschaltung der einzelnen Ministerien als außerordentlich umfangreich, schwerfällig und kostspielig erwiesen habe. Das gelte natürlich in erster Linie für die fachliche Arbeit, also für die Bearbeitung der Steuerangelegenheiten, bei der sich die Länderministerien leider nicht auf die Rolle eines Briefträgers und ihre Mitwirkung im Bundesrat beschränkt haben. Es gelte aber weiter auch für die verwaltungstechnische Arbeit. Man denke an die Zersplitterung in die vielen Haushaltspläne der Länder, an die Zersplitterung im Kassen- und Rechnungswesen, im Prüfungswesen, in der Bearbeitung der Personalangelegenheiten von Beamten und Angestellten und an vieles andere mehr. Dabei sei gerade der Verwaltungsapparat ein Machtfaktor ersten Ranges, der von einer Zentralstelle aus einheitlich geleitet werden und oft schlagartig eingesetzt werden müßte. Man denke nur an die Bedeutung einer einheitlichen Grenz-, Zoll- und Steuerverwaltung im Verkehr mit dem Ausland und an die Verführung einer Länderverwaltung zu Zoll-, Steuer- und Wirtschaftsmanipulationen, gegen die ein Oberfinanzpräsident machtlos sei, der zwei Herren dienen solle. Alles in allem könne man wohl sagen: Ein privates Wirtschaftsunternehmen, das sich eine solche Organisation leiste wie die Finanzverwaltung vor 1919 und nach 1945, wäre schon in Normalzeiten, geschweige denn in Krisenzeiten nicht lebensfähig gewesen. Alle diese Fragen seien in den Jahren 1908/1909 aus Anlaß der wachsenden finanziellen Sorgen des Reichs erstmalig aufgeworfen worden. Das Reichsschatzamt habe damals aus eigenem Unbehagen an dieser Situation eine Erhebung über die Kosten und die Verteilung dieser Kosten auf die einzelnen Abgabenarten in den einzelnen Ländern machen lassen, die bei der Erhebung der Zölle und Verbrauchsteuern entstanden seien. Dabei habe sich herausgestellt, daß diese Länder an diesen Verwaltungskosten sehr stark profitiert, andere, wie z. B. Elsaß-Lothringen, ein erhebliches Minus gehabt hätten. So seien beispielsweise in Preußen infolge der dort überwiegend vorhandenen Großbrennereien große Einnahmen an Verwaltungskosten erzielt worden, während in Baden und Elsaß-Lothringen durch die Überwachung der 20 000 bis 50 000 Kleinbrenner eine starke Unterbilanz zu verzeichnen gewesen wäre. Als ebenso ungünstig habe sich in diesen Ländern die Lage der Zollverwaltungskosten erwiesen. Das Reich habe die Grenzzollverwaltungskosten lediglich nach Durchschnittssätzen getragen. Die Finanzverwaltungen Badens und Elsaß-Lothringens hätten infolgedessen nach 1900 jährlich erhebliche, bis an 3 Mill. Mark gehende Verluste gehabt. Aus diesen Erwägungen heraus habe man im Jahre 1910 beim elsaß-lothringischen Finanzministerium den Antrag gestellt, dem Gedanken näher zu treten, ob nicht die Zoll- und Verbrauchsteuerverwaltung in eine Reichsverwaltung übergehen könnte. Dieser Antrag, der in einer Denkschrift des damaligen Generaldirektors der Zölle und indirekten Steuern in Elsaß-Lothringen aus dem Jahre 1910 enthalten sei, stelle den ersten dokumentarischen Vorstoß zu einer Reichsfinanzverwaltung dar. Bekanntlich seien auf dem Gebiet der Verwaltung der direkten Steuern, die bis 1920 Landessteuern waren, die Verhältnisse auf dem Gebiete der Verwaltungsorganisation noch viel buntscheckiger und unzureichender gewesen als bei der Landeszollverwaltung. Gerade die Unterschiede in der Verwaltung der Landessteuern in Aufbau, Personalbestand und in der Zuständigkeitsregelung haben sich bereits als unhaltbar erwiesen, als das Reich am Anfang des Jahrhunderts mit der Erbschaftsteuer, der Wertzuwachssteuer und dem Wehrbeitrag in das Gebiet der direkten Steuern eingreifen mußte. Mit der Einführung der reichsgesetzlichen Regelung auf dem gesamten Gebiet der direkten Steuern sei eine einheitliche Regelung auch der Verwaltung der direkten Steuern schlechterdings unvermeidbar geworden. Redner schildert dann die sofort nach dem Zusammenbruch im Jahre 1918 noch im November des gleichen Jahres einsetzenden Arbeiten für eine neue Reichsverfassung, soweit sie die Finanzgesetzgebung und die Finanzverwaltung betroffen haben. Man habe damals beschlossen, für die Zölle und die damaligen Reichssteuern (Verbrauch- und Verkehrsteuern) in der Verfassung die Verwaltung durch das Reich vorzusehen. Von einer verfassungsmäßigen Verankerung einer Reichsverwaltung auf dem Gebiete der direkten Steuern habe man aber abgesehen, dagegen ihre Einführung durch ein normales, nicht verfassungsänderndes Reichsgesetz offengelassen. Ausschlaggebend für diesen einstweiligen Verzicht sei der Gesichtspunkt gewesen, daß für diese grundlegende und einschneidende Veränderung gegenüber dem bestehenden Zustand die Zeit noch nicht reif sei. Parlament und Öffentlichkeit hätten erst allmählich vorbereitet und ein passender Augenblick abgewartet werden müssen. Dabei sei man schon damals von der absoluten Notwendigkeit der baldigen Einführung auch einer Reichssteuerverwaltung überzeugt gewesen. Bei den Verhandlungen in der Nationalversammlung und in ihren Ausschüssen habe dann die Einführung einer Reichszollverwaltung wenig Schwierigkeiten gemacht. Lediglich zwei Fragen hätten lebhafte Diskussionen ausgelöst: Man habe einmal verhüten wollen, daß infolge einer solchen Regelung süddeutsche Beamte nach Norddeutschland und umgekehrt „deportiert" würden, und habe weiterhin verhindern wollen, daß durch die Abgrenzung der Bezirke der Reichsprovinzialbehörden die Länder in ihrem Machtbereich geschädigt würden. Die Länder hätten ihre Grenzen ohne (Sachverständiger Dr. Carl) Rücksicht auf wirtschaftliche und verkehrstechnische Gesichtspunkte unangetastet lassen wollen. Auch hier habe schließlich ein labiler Passus Ausnahmen aus „Zweckmäßigkeitsgründen" zugestanden. Die Verfassung habe dann kurz vor ihrer Verabschiedung gestanden, als der Versailler Vertrag abgeschlossen worden sei. Am Tage darauf habe er (Redner) dem damaligen Reichsfinanzminister Erzberger vorgetragen, nunmehr sei der Zeitpunkt für die Errichtung der Reichssteuerverwaltung gekommen, und zwar mit der Begründung, bei der Belastung, die der Friedensvertrag vorsehe, sei es unmöglich, daß die Reichsregierung die Steuerverwaltung aus der Hand gebe und sich dadurch die Möglichkeit, ihre Verpflichtungen zu erfüllen, sehr stark verbaue. Erzberger habe das sofort eingesehen. Trotz der damals herrschenden Meinung, der für die Einführung der Reichssteuerverwaltung vorgeschlagene Termin von 3 Monaten sei zu kurz bemessen, habe er (Redner) sich für diesen Termin eingesetzt und darauf hingewiesen, wenn man die Sache auf die lange Bank schiebe, würden die Widerstände immer schwerer zu überwinden sein. Am 1. Juli habe man darauf im Reichsschatzamt den Entschluß gefaßt, die Reichssteuerverwaltung außerhalb der Reichsverfassung durch ein Reichsgesetz festzulegen. So sei es im August 1919 zu dem Gesetz gekommen, in dem die Reichsfinanzverwaltung mit dem 1. Oktober 1919 begründet worden sei. Hinsichtlich der Übernahme der Landesbeamten auf das Reich habe man sich mit den Ländern und der Beamtenschaft selbst geeinigt. Dagegen konnte die Frage der Abgrenzung der Provinzialbezirke nur vorläufig gelöst werden, weil die Länder zum großen Teil von der Forderung nicht abgingen, die Grenzen der Reichsverwaltungsbezirke hätten sich ohne Rücksicht auf wirtschaftliche und verkehrstechnische Schwierigkeiten an die Grenzen der Länder zu halten. Eine endgültige Festsetzung der Verwaltungsbezirke wurde daher einem besonderen Gesetz vorbehalten, das am 1. April 1920 in Kraft treten sollte, aber immer wieder verschoben wurde. Redner erwähnte sodann, er habe in seiner späteren Tätigkeit (1921) als „Reichskommissar für die Vereinfachung und Vereinheitlichung der Reichsverwaltung" dem Reichskabinett Vorschläge zu einer endgültigen Regelung der Verwaltungsbezirke nach wirtschaftlichen und verkehrstechnischen Gesichtspunkten unterbreitet, die aber an dem Widerstand der Länderministerien und Parlamente sowie insbesondere der Länderbürokratie unter den Tisch fielen. Ein wesentlicher Fortschritt sei im Jahre 1934 auf Grund eines von Staatssekretär Popitz ausgearbeiteten Vorschlags erzielt worden, der wenigstens in Norddeutschland durch die Schaffung der Verwaltungsbezirke Weser-Ems und Schleswig-Holstein-Mecklenburg Ordnung geschaffen habe. Die Hauptwiderstände hätten immer bei Bayern (Pfalz) und zudem bei Preußen gelegen, das um den Bestand des Landes Preußens besorgt war. Wenn nun auch damit noch kein Idealzustand geschaffen gewesen sei, so sei doch die Grundfrage, die Einrichtung einer Reichsfinanzverwaltung, gelöst worden. Man habe ein Ministerium gehabt, das wirklich als „Generalstab" fungieren konnte und die Provinzial- und Lokalverwaltung fest in der Hand gehabt habe. Man habe eine Provinzial- und Lokalverwaltung von einheitlichem Geiste gehabt, die unabhängig war von der lokalen und provinziellen Wirtschaft, von der lokalen und provinziellen politischen Verwaltung und unabhängig von den Parlamenten und Regierungen der einzelnen Staaten. Die Länder seien auf ihr eigentliches Einflußgebiet, auf die Tätigkeit im Bundesrat beschränkt worden. Die Auswirkungen der Einrichtung der Reichsfinanzverwaltung auf die Länder habe zu keinerlei Nachteilen für die Länder geführt. Insbesondere hätten die Länder regelmäßig die Einnahmeübersichten über die Reichssteuern erhalten und damit eine wirtschaftliche Übersicht über die Verhältnisse in ihrem Land bekommen. Sie seien der Versuchung enthoben gewesen, aus egozentrischen Gründen in die Durchführung der Reichsabgaben einzugreifen. Irgendwelche Unstimmigkeiten wären niemals entstanden. Wie befriedigend die Reichsfinanzverwaltung gearbeitet habe, könne man auch daraus ersehen, daß eine Reihe von Ländern der Reichsverwaltung auch die Verwaltung von Landessteuern übertragen haben. Das sei z. B. in Hamburg, in Bremen und sogar in Bayern der Fall gewesen, und diese Länder hätten es schon aus finanziellen Gründen sehr bedauert, als sie infolge der Änderung des Reichsgesetzes gezwungen gewesen wären, die Verwaltung der Landessteuern wieder in ihre eigene Hand zu nehmen. Zum Abschluß des Berichtes über die historische Entwicklung sei noch dem Einwand zu begegnen, die Reichsfinanzverwaltung sei mit daran Schuld gewesen, daß die nationalsozialistische Regierung erfolgreich habe wirken können. Demgegenüber sei zu betonen, daß er (Redner) bis 1941 Oberfinanzpräsident des Bezirks Weser-Ems gewesen sei und dafür einstehen könne, daß nicht ein einziges Mal eine Lokal- oder Provinzialstelle der Partei mit Erfolg versucht habe, in die Verwaltung der Reichsfinanzverwaltung einzugreifen. Bis 1941 sei jedenfalls jeder Versuch der Partei, auf die Arbeiten der Reichsfinanzverwaltung Einfluß zu nehmen, gescheitert. Redner berichtet, zu seiner Entlassung durch die nationalsozialistische Regierung sei es gekommen, weil er sich 1940 in einer Broschüre unter dem Kerngedanken, daß keine politische Instanz außer dem verantwortlichen Reichsminister Einfluß auf die Reichsfinanzverwaltung haben dürfe, gegen alle entgegengesetzten nationalsozialistischen Bestrebungen gewandt habe. Wäre die Finanzverwaltung in der nationalsozialistischen Zeit Landesverwaltung gewesen, so hätte das Bild sicherlich ganz anders ausgesehen. Was schließlich den Zeitpunkt für die Wiedereinführung einer Reichsfinanzverwaltung anbelange, so halte er ihn heute für durchaus gekommen. Der heutige Zustand sei hinsichtlich einer gleichmäßigen Durchführung der Steuergesetze, einer rationellen, sparsamen Verwaltung sowohl hinsichtlich des Aufkommens wie hinsichtlich der Stimmung in der steuerpflichtigen Bevölkerung untragbar. Dabei müsse man bedenken, daß sich die Schwierigkeiten einer Wiedereinführung der Reichsfinanzverwaltung von Tag zu Tag vergrößern. Während 1919 die Einführung der Reichsfinanzverwaltung ein Wagnis, ein Sprung ins Dunkel gewesen sei, so bedürfe es heutzutage nur eines Federstrichs, um geordnete Zustände herbeizuführen. Er könne wohl sagen, daß, von wenigen persönlich interessierten Beamten abgesehen, die gesamte Beamtenschaft geschlossen hinter dem Antrag stehe, die durch außenpolitische Einflüsse (Sachverständiger Dr. Carl) zerstörte Reichsfinanzverwaltung wieder herzustellen. Dr. Jacobsen gibt gegenüber der weitgehend geschichtlichen Darstellung des Vorredners ein Bild von der heutigen Lage und verweist auf die nach dem Grundgesetz gegebene Rechtslage hinsichtlich der Verwaltung der verschiedenen Steuerarten. Er betont, er beabsichtige nicht, das allgemeine Für und Wider einer Finanzverwaltung zu diskutieren, sondern lediglich die anstehenden Fragen unter zwei Gesichtspunkten, unter dem der Steuergerechtigkeit und unter dem der praktischen Verwaltung zu betrachten und daraus die Fragestellung nach der Notwendigkeit einer einheitlichen Finanzverwaltung zu beantworten. Bei dieser Betrachtung ergäben sich drei Fragen von ausschlaggebender Bedeutung, die zunächst vor ihrer Beantwortung folgendermaßen zu skizzieren seien. Der Redner fährt wörtlich fort: Erstens steuerliche Gleichmäßigkeit und Gerechtigkeit. Oberster Grundsatz für eine gerechte Steuerverwaltung muß es sein, daß jeder Steuerpflichtige zu den durch Bundesgesetz erlassenen Steuergesetzen auch wirklich gleichmäßig herangezogen wird. Es darf für die steuerliche Belastung des einzelnen keinen Unterschied machen, ob er im Norden, Süden, Osten oder Westen der Bundesrepublik wohnt, ob er zufällig einem finanzstarken oder einem finanzschwachen Lande angehört. Selbstverständlich gilt dieser Grundsatz nur für die Steuern, die vom Bund für die gesamte Bundesebene erlassen worden sind, wie z. B. die Einkommensteuer, die Körperschaftsteuer, die Vermögensteuer. Die erste und wichtigste Frage lautet demnach: Ist dieser Zustand einer befriedigenden Gleichmäßigkeit bei dem augenblicklichen Rechtszustand, nach dem den Ländern die Verwaltung zusteht, erreicht oder zumindest erreichbar, oder kann er nur durch die Schaffung einer einheitlichen Finanzverwaltung erreicht werden? Zweitens: Ziel einer jeden Verwaltung muß es sein, so sparsam und so rationell wie möglich zu wirtschaften. Es muß also erstrebt werden, daß mit den geringsten Mitteln der größte Nutzeffekt erzielt wird. Ich will damit nicht zum Ausdruck bringen, daß der Steuerverwaltung nicht das nötige Personal und Material zur Verfügung gestellt werden soll, um die Aufgaben zu erfüllen; im Gegenteil: in dieser Beziehung wird bei den fortgesetzt auftauchenden neuen Aufgaben und bei den immer komplizierter werdenden Steuergesetzen sehr viel getan werden müssen. Um so mehr muß aber verlangt werden, daß jede, aber auch jede vermeidbare Doppelarbeit, unter Umständen sogar Mehrfacharbeit, ausgeschaltet wird und daß alle Kräfte nur da eingesetzt werden, wo sie unbedingt erforderlich sind. Die zweite Frage lautet also: Ist bei dem jetzigen Zustand der Landesfinanzverwaltung ein rationelles Arbeiten gewährleistet oder durch die Einführung einer einheitlichen Bundesverwaltung eine wesentliche Verwaltungsvereinfachung durch Vermeidung von Doppelarbeit oder Mehrfacharbeit zu erzielen? Drittens: Kann bei der Einführung einer Bundesfinanzverwaltung mit einem Mehraufkommen an Steuern unter gleichen Gesetzen und Steuersätzen gerechnet werden? Diese drei Fragen möchte ich nun untersuchen. Erstens: Gleichmäßigkeit. Die Frage, ob bei den jetzigen Länderverwaltungen auch nur annähernd die Gleichmäßigkeit und Steuergerechtigkeit erreicht worden ist oder erreichbar ist wie bei der Bundesfinanzverwaltung, muß ich nach meinen Erfahrungen, die ich als Oberfinanzpräsident in der Praxis gemacht habe und täglich mache, glatt verneinen. Ich will Sie nicht mit allgemeinen Ausführungen behelligen, sondern einige Fälle aus meiner Praxis herausgreifen, aus denen Sie sehen, wie unterschiedlich zur Zeit die steuerliche Behandlung ist. Die Finanzämter sind zur Zeit mitten in der Einkommensteuerveranlagung 1950. Wenn ich dies erwähne, dann bin ich schon mitten in der unterschiedlichen Handhabung der steuerlichen Verwaltung, die mit den zeitlichen Unterschieden in der Veranlagung anfängt und mit den materiellen Unterschieden in der Veranlagung endet. Was die zeitlichen Unterschiede anlangt, so ist zu beobachten, daß bei einem Teil der Länder die Veranlagung ganz bewußt forciert wird, d. h. man hat das Bestreben, die Veranlagung auf Kosten der Gründlichkeit so schnell wie möglich zu beenden. Man steht dabei auf dem Standpunkt, und zwar mit sehr beachtlichen Gründen, daß es bei dem ungeheuren Zeitdruck, unter dem die Finanzämter arbeiten, unbedingt notwendig sei, die Veranlagung 1950 so schnell wie möglich abzuschließen, um Zeit zu gewinnen für die neuen Aufgaben —Investitionshilfe, Einkommensteuerveranlagung 1951, Vermögensteuerveranlagung, Lastenausgleich —, Aufgaben, von denen man noch gar nicht weiß, wie man sie überhaupt bewältigen soll. In anderen Ländern steht man demgegenüber, und ebenfalls mit sehr beachtlichen Gründen, auf dem Standpunkt, daß es auch bei allem Zeitdruck, unter dem die Finanzämter leiden, nicht möglich sei, im Interesse der Steuergerechtigkeit und des Steueraufkommens auf eine gründliche Veranlagung zu verzichten. Sie sehen also schon hieran rein äußerlich: Je gründlicher ich veranlage, um so mehr Zeit brauche ich; aber um so mehr kommt auch durch die exakte Veranlagung, durch Beanstandungen, Rückfragen usw. heraus. Je mehr ich forciere, um so weniger gründlich kann ich veranlagen. Die Folge ist jedenfalls eine unterschiedliche Behandlung der Steuerpflichtigen. Man wird nun einwenden: Warum erläßt der Bund denn nicht einheitliche Richtlinien über die Intensität und über die Zeitdauer der Veranlagung? — Ich glaube, die Beantwortung ist sehr einfach: Das kann der Bund gar nicht, so lange er nicht selber die Verwaltung der Steuern hat. Denn Intensität und auch Zeitdauer einer Veranlagung hängen entscheidend von der Stellenbesetzung in den einzelnen Oberfinanzdirektionen ab. Sie werden maßgeblich beeinflußt, ob die Veranlagung mit einem gut ausgebildeten und gut durchgebildeten Personal durchgeführt wird oder ob weitgehend, wie es zur Zeit vielfach der Fall ist, auf unausgebildete und nicht voll ausgebildete Hilfskräfte zurückgegriffen werden muß. Sie hängen auch davon ab, wie die Raumfrage bei den einzelnen Finanzämtern gelöst ist, wie die wohnungsmäßige Unterbringung der Beamten und Angestellten der Finanzverwaltung gesichert ist usw. Alle diese Faktoren sind für das Arbeiten der Steuerverwaltung entscheidend und weisen in den einzelnen Ländern kolossale Unterschiede auf. Der Bund ist überhaupt nicht in der Lage, hier helfend einzugreifen, da er die Verwaltung der Steuern nicht hat. Redner geht sodann besonders auf die Fragen der Zollverwaltung ein, die bis zum Herbst 1950 (Sachverständiger Dr. Jacobsen) Auftragsverwaltung der Länder gewesen sei und ebenfalls alle die erwähnten Mängel gezeigt habe. Nach Schaffung der Bundesverwaltung und der damit verbundenen Vereinheitlichung sei bereits Entscheidendes verbessert worden. Zeige schon das äußere Bild einer einzigen Veranlagung bei oberflächlicher Betrachtungsweise ein erhebliches Maß von Verschiedenheit in der Verwaltung auf, so werde dieses Bild geradezu erschreckend vertieft, wenn man in die Einzelheiten hineinsteige und nachforsche, wo überall Unterschiede in der praktischen Handhabung zu verzeichnen seien. Man könne herausgreifen, was man wolle, man müsse feststellen, daß überall in den einzelnen Oberfinanzdirektionen, und zwar bedingt durch die Grundeinstellung in den einzelnen Länderministerien, verschieden verfahren werde. Das fange, um nur einzelne Beispiele zu nennen, mit der Bewertung des Anlagevermögens an, es greife über auf die Fragen der Schätzung der Lebensdauer von abnutzbaren Gegenständen und damit die Höhe der Abschreibung, es erstrecke sich weiter auf die Beurteilung, inwieweit Aufwendungen Betriebsausgaben oder zu aktivierende Herstellungskosten seien, ferner auf die Beurteilung der Ordnungsmäßigkeit der Buchführung und dergl. mehr. Es greife Platz auf die übrigen zahlreichen Fragen, die insbesondere bei einer Buch- und Betriebsprüfung akut würden, auf das Fahndungswesen, auf die Strafbemessungen bei Steuervergehen und Zuwiderhandlungen, auf das Beitreibungs- und Vollstreckungswesen und, was von ganz besonderer Wichtigkeit sei, auf die Erlaß- und Stundungspraxis, die in den einzelnen Ländern geübt werde. Es sei deutlich die Tendenz erkennbar, daß in all diesen Fragen in den finanzstarken Ländern, die zur Erfüllung ihrer eigenen Verpflichtungen nicht so sehr auf die restlose Erschöpfung ihrer Steuerquellen angewiesen seien und einen Teil ihrer Überschüsse doch an finanzschwache Länder abführen müßten, den Steuerpflichtigen wesentlich mehr entgegengekommen werde als in den finanzschwachen Ländern, die ihre Steuerquellen bis aufs Letzte ausschöpfen müßten und dadurch, daß sie ihre Steuerquellen ausschöpften, von ihren Steuern an den Bund auch noch mehr abführten als großzügig vorgehende finanzstarke Länder. Diese unterschiedliche Behandlung zeige noch eine andere Folge. Die Wirtschaft sei sehr feinfühlig und hellhörig, wenn es um ihren Geldbeutel gehe, und sie treffe ihre Maßnahmen, wenn sie dadurch große Beträge ersparen könne. Diese Maßnahmen seien, wo es möglich sei, Sitzverlegung. Solche Entschlüsse würden noch wesentlich dann gefördert, wenn von seiten anderer Länder, die Industrien zu sich hinüberziehen möchten, die Sirenenklänge der Gewährung von steuerlichen Erleichterungen zu den in Frage kommenden Betrieben herübertönten. Aus all diesen Gründen würden auf der einen Seite Steueroasen unter Schonung und Stärkung der einheimischen Wirtschaftsgebiete geschaffen, und auf der anderen Seite entstünden Steuerwüsten unter Schwächung der einheimischen Wirtschaft, ein Zustand, der unter dem Gesichtspunkt der Steuergerechtigkeit unerträglich sei. Auch der hier denkbare Einwand, warum der Bund nicht durch Herausgabe entsprechender Richtlinien für eine Einheitlichkeit der Handhabung sorge, sei einfach dadurch zu beantworten: bindende Richtlinien könnten nur da herausgegeben werden, wo es sich um Rechtsauslegungen handele. Bei all den genannten Umständen handele es sich aber im wesentlichen um Tatsachenermittlungen, um Tatsachenbeurteilung und darüber hinaus noch weitgehend um Ermessensfragen. Mit Anweisungen und allgemeinen Richtlinien über milde oder strenge Maßstäbe sei dabei nichts zu erreichen. Da nütze nur eine unmittelbare Unterstellung der mittleren und unteren Instanzen, also der Oberfinanzdirektionen und der Finanzämter, unter die Aufsicht des Bundes. Nur wenn der Bund die ihm unterstellten Dienststellen selber kontrollieren könne, könne er dafür sorgen — gegebenenfalls durch Versetzung oder Ersetzung von Beamten —, daß die ihm richtig erscheinenden Maßstäbe bei der Veranlagung auch tatsächlich angewandt würden. Für ihn (Redner) sei dabei nicht entscheidend, wie diese Maßstäbe aussähen, sondern nur das Verlangen, daß diese Maßstäbe in der gesamten Bundesrepublik einheitlich angewandt würden. Das sei aber nicht möglich, solange der Bund nicht unmittelbar die Kontrolle habe. Die widerstrebenden Tendenzen der einzelnen Länder könnten auf andere Weise nicht beseitigt und ausgeschaltet werden. Zwar müsse z. B. bei Steuerhinterziehungen, wo die Verhältnisse von Fall zu Fall anders liegen, ein erheblicher Spielraum gelassen sein; aber die Grundtendenz, der Rahmen, müsse einheitlich gegeben werden. Auch Steuersündern müsse man das Recht zugestehen, in der Bundesrepublik gleichmäßig behandelt zu werden. Von einer solchen Gleichmäßigkeit könne aber zur Zeit überhaupt keine Rede sein. Noch weiter auseinander gingen in den Ländern die Tendenzen bei den Vollstreckungsmaßnahmen und bei der Stundungs- und Erlaßpraxis, besonders dann, wenn bei Steuerhinterziehungen die nachzuzahlenden Beträge und die Strafen, zusammengerechnet, die Leistungsfähigkeit des Betriebes überstiegen und den Betrieb gefährdeten. In einigen Ländern werde der scharfe Standpunkt vertreten, daß es zur Herstellung der Steuermoral und auch im Interesse der steuerehrlichen Betriebe notwendig sei, grundsätzlich rücksichtslos durchzugreifen und nicht davor zurückzuschrecken, daß sich der Betrieb gegebenenfalls verkleinern müsse, daß sich der Betriebsinhaber von seinem Betrieb vielleicht trennen müsse und daß bei ganz krassen Fällen unter Umständen der Betrieb auch zum Erliegen komme. Im Gegensatz hierzu werde in anderen Ländern der Standpunkt vertreten — natürlich nicht offiziell durch Erlasse, sondern durch die Handhabung in der Erlaßpraxis usw. —, daß die Vollstreckung da ihre Grenzen haben müsse, wo der Betrieb gefährdet sei, sei es, daß er zum Erliegen komme oder auch nur durch Einschränkungen Arbeiterentlassungen notwendig würden. Je nach diesen Grundeinstellungen in den Ländern werde nun vollkommen verschieden verfahren; vielleicht nicht immer so kraß, wie geschildert, aber doch in den einzelnen Fällen grundlegend voneinander abweichend. Auch hier solle weder dem strengen noch dem milden Maßstab das Wort geredet werden — diese Entscheidungen sollten höheren Ortes getroffen werden —, aber es sei zu verlangen, daß die Tendenz einheitlich und nicht dem Ermessen des einzelnen Landes überlassen sei. Welche geradezu unlösbaren Gewissenskonflikte in den Ländern dabei aufträten, zeige folgender Fall aus der Praxis, den der Redner wörtlich wie folgt schildert: Zwei Konkurrenzfirmen, die in verschiedenen Ländern liegen, nehmen in der Herstel- (Sachverständiger Dr. Jacobsen) lung eines bestimmten Produktes fast eine Monopolstellung ein. Die eine Firma erweist sich nun als ein arger Steuersünder. Die Zahlung der Steuernachforderungen nebst Strafen würde den Betrieb zum Erliegen bringen, was sofort zur Folge haben würde, daß in diesem Land das betreffende Produkt nur noch aus dem anderen Lande bezogen werden könnte, daß also eine Schwächung der heimischen Wirtschaft zugunsten der Stärkung der Wirtschaft des Nachbarlandes eintreten würde. Abgesehen hiervon würde aber auch allein das Verweigern der steuerlichen Unbedenklichkeitsbescheinigung, die ja für Aufträge der öffentlichen Hand benötigt wird und die bei Steuervergehen zu versagen ist, dazu führen, daß nun alle öffentlichen Aufträge auf das betreffende Produkt nicht mehr dem Lande, in dem der Steuersünder wohnt, sondern dem anderen Lande zuflössen. Es handelt sich dabei um einen Artikel, der gerade von der öffentlichen Hand stark benötigt wird. Wie wird nun eine solche Entscheidung ausfallen? Ist es überhaupt möglich, von dem betreffenden Land eine objektive Entscheidung zu verlangen? Ist es überhaupt zumutbar, das Land vor solche Gewissenskonflikte zu stellen? Ich stehe auf dem Standpunkt: nein! Auf die Steuerfahndung eingehend, die als Teil der Steuerverwaltung ebenfalls Landessache sei, führt der Redner wörtlich aus: Gerade die größten und lukrativsten Fahndungsfälle sind sehr oft die, die sich nicht nur auf das eigene Land erstrecken, sondern auch die Nachbarländer und -bezirke berühren. Solche Fahndungen können nur dann mit durchschlagendem Erfolg durchgeführt werden, wenn sie schlagartig in den betroffenen Ländern einsetzen und wenn die Belege bei den verdächtigen Firmen gleichzeitig sichergestellt werden. Man glaubt gar nicht, wie ausgezeichnet der Nachrichtendienst zwischen den Fahndungskunden funktioniert und wie schnell Belege verschwinden. Jede Verzögerung einer beabsichtigten Maßnahme, auch an nur einer Stelle, kann den ganzen Erfolg zum Scheitern bringen. Eine unerläßliche Voraussetzung ist somit auf diesem Gebiet ein gleichmäßiger organisatorischer Aufbau, eine gleichstarke Schlagkraft und ein reibungsloses Zusammenarbeiten in den einzelnen Ländern. Von diesem reibungslosen Zusammenarbeiten kann man heute, sobald sich eine Fahndung auf ein anderes Land erstreckt, keineswegs sprechen. Jedes Land hat noch das Interesse, zunächst einmal seine eigenen Fälle zu bereinigen. Wenn ein Ersuchen aus einem Nachbarbezirk kommt, sind die besten Fahnder gerade nicht greifbar oder einsatzbereit. Um in einem anderen Bezirk zu fahnden, muß man aber grundsätzlich die Genehmigung des benachbarten Landes haben. Ist einmal Not am Mann, und wird die Fahndung auf eigene Faust durchgeführt, so gibt es in vielen Fällen sehr große Konflikte mit den Steuerpflichtigen. Auch bei der Fahndung gibt es Fälle, in denen die in einem Land eingeleitete Fahndung den Interessen des anderen Landes zuwiderläuft. Hierzu ein lehrreiches Beispiel aus der Zeit der Kohlenengpässe, aus der Zeit des Schwarzhandels. Die Schwarzhändler saßen meist da, wo die Kohle war. Die Abnehmerfirmen waren Betriebe in allen Teilen der Bundesrepublik und mußten die Kohle begierig aufkaufen, um Arbeitseinstellungen usw. zu vermeiden. Schwarzhändler sind für die Fahndung zwar außerordentlich lohnende, aber sehr schwer zu überführende Objekte. Die Überführung gelingt meist nur, wenn auch durch Feststellung der abnehmenden Firmen der Nachweis der Höhe der Lieferung und der Preis erbracht wird. Also war das Ersuchen um Rechtshilfe von dem Lande, in dem die Schwarzhändler saßen, an die anderen Länder notwendig, um festzustellen, welche Firmen daran beteiligt waren und zu welchen Preisen sie Kohle abgenommen hatten. — Ich kann mir kaum denken, daß ein solches Ersuchen an die Beamten der übrigen Länder, die ja doch Landesbeamte sind und sich in erster Linie ihrem Land gegenüber verpflichtet fühlen, die Interessen des eigenen Landes zu wahren, mit Begeisterung aufgenommen und ihm mit Nachdruck Folge geleistet worden ist. Die Mehrsteuern und Strafzuschläge würden ausschließlich dem anderen Land zufließen. Die Fahndungsbeamten des einen Landes würden also ihre Zeit — von ihrem Standpunkt und vom Standpunkt des Landes aus gesehen — für ein anderes Land aufwenden müssen und würden darüber hinaus die Volkswirtschaft ihres eigenen Landes erheblich schädigen, weil die Folge doch die sein würde, daß der Zufluß der Schwarzmarktkohle schlagartig ausgesetzt hätte. Die Firmen in diesem Land hätten ihre Betriebe einschränken müssen, Arbeiterentlassungen vornehmen müssen usw. —. Auch hier sieht man, daß es in vielen Fällen den Ländern gar nicht zumutbar ist, sich gegenseitig Hilfe zu leisten. Man erkennt, welche Gewissenskonflikte entstehen, sobald gegenseitige Interessen der Länder im Spiele sind. Diese Konflikte können nur vermieden werden, wenn eine einheitliche Lenkung durch den Bund erfolgt. Redner betont, aus Zeitmangel nicht auf alle Steuerarten eingehen zu können, um den Überblick erschöpfend zu geben. Wo man jedoch überhaupt nur eine Steuerart herausgreife, könnten auf Grund der Erfahrungen der Praxis Unterschiede in der Handhabung und in der Veranlagung aufgezeigt werden. Redner fährt fort: Nur noch ein Wort zur Umsatzsteuer. Die Verwaltung wird bei der Oberfinanzdirektion durchgeführt, und zwar derart, daß das Umsatzsteuerreferat der Landesabteilung, nämlich der Abteilung für Besitz- und Verkehrsteuern zugeteilt, aber nicht ihr unterstellt ist. Es untersteht unmittelbar dem Oberfinanzpräsidenten. Diese Konstruktion kann man auch bei wohlwollendster Betrachtung nur als eine organisatorische Groteske bezeichnen. Die Regelung in der Unterinstanz — das man sich der Finanzämter als Hilfsstellen der Oberfinanzdirektionen bedient, die Verwaltung also von Oberfinanzdirektionen wahrgenommen wird und die Finanzämter lediglich Hilfestellung leisten — ist meines Erachtens eine gesetzestechnische Akrobatik. Die Auswirkungen dieser Regelung sind dementsprechend auch höchst unbefriedigend. In den Oberfinanzdirektionen entsteht eine Doppelarbeit bei der Bearbeitung der Stundungs-, Erlaß- und Vollstrekkungsfälle, deren Bedeutung täglich wächst. Täglich muß berichtet werden. Bei Aufstellung von Ratenzahlungsplänen, die früher beim Zusammentreffen von Einkommen- und Umsatzsteuern stets einheitlich bearbeitet werden konnten, müssen jetzt zwei verschiedene Dienststellen in Funktion treten. Auch bei den Lokalinstanzen, bei den Finanzämtern, tritt dadurch eine Erschwerung ein, daß sie in solchen Fällen an zwei Instanzen berichten müssen. Für den Betriebsprüfer ergeben sich aus seiner Stellung als Landesbeamter, der Landes- und Bundessteuern zu prüfen hat, Gewissenskonflikte, weil (Sachverständiger Dr. Jacobsen) beispielsweise bei einer Steuernachforderung von 1000,— DM Umsatzsteuer sich unter Umständen das Aufkommen an Einkommensteuer und Gewerbesteuer um mehr als 900,- DM verringern kann. Des weiteren ergeben sich bei der Oberfinanzkasse erhebliche Erschwernisse dadurch, daß wir nicht mehr eine einheitliche Oberfinanzkasse, sondern eine Bundes- und eine Landesfinanzabteilung haben. Hierdurch wird ein erhöhtes Maß an Buchungen notwendig, weil vieles getrennt werden muß, was früher vereinheitlicht war. Auch das Prüfungswesen wird erschwert. Die Vollstreckungen müssen nämlich einmal durch das allgemeine Vollstreckungsreferat und, soweit auch Umsatzsteuer in Frage kommt, daneben durch das Umsatzsteuerreferat auf seinem Gebiet überprüft werden. Nach diesen nur herausgegriffenen wichtigsten Punkten komme ich zu der Schlußfolgerung, daß bei der Verwaltung der Besitz- und Verkehrsteuern durch die Länder eine befriedigende Gleichmäßigkeit und Steuergerechtigkeit nicht erreicht werden kann, sondern daß zur Erreichung dieses Zieles unbedingt die Schaffung einer einheitlichen Bundesfinanzverwaltung erforderlich ist. Der vom Bundestag bereits verabschiedete Entwurf eines Zweiten Gesetzes über die Finanzverwaltung ist ein Gesetz, das auf Krücken läuft. Man kann mit ihm vielleicht einige kleine Ungleichmäßigkeiten ausgleichen, aber eine Änderung der Grundeinstellung der einzelnen Länder und eine Erwirkung der Gleichmäßigkeit der Handhabung wird hiermit nicht erreicht. Gleichmäßigkeit kann nur ereicht werden, wenn der Bund auch das Personal und die Organisation unter sich hat, wenn er die Beamten da einsetzen kann, wo sie seiner Ansicht nach nötig sind, wenn er sie gleichmäßig durch Schulung usw. ausrichtet, — was aber alles nur durch Schaffung einer einheitlichen Bundesfinanzverwaltung möglich ist. Die zweite aufgeworfene Frage, die Frage der sparsamen Verwaltung. Mit Rücksicht auf die Verwaltung der Besitz- und Verkehrsteuer durch die Länder sind in den einzelnen Landesministerien Steuerabteilungen erforderlich. Die Aufgaben dieser Verwaltung sind einmal die Ausübung der beratenden Mitwirkung bei der Vorbereitung von Gesetzen und Verordnungen durch den Bund gegenüber dem Bundesfinanzministerium; zweitens sind sie der — alleinige — Mittler zwischen dem Bundesfinanzministerium und den Mittel- und Unterinstanzen, den Oberfinanzdirektionen und den Finanzämtern; drittens üben sie noch eine beratende Tätigkeit für die Beschlüsse, die im Bundesrat zu treffen sind, aus. Dieser Aufbau entspricht nicht dem Gedanken einer sparsamen Verwaltung; denn die Tätigkeit der Länderministerien kann ich nur da für notwendig ansehen, wo es sich um die Beratung für die Beschlüsse des Bundesrates handelt, nicht dagegen auf den beiden anderen Gebieten. Damit die Länder ihre beratende Tätigkeit beim Bund ausüben können, müssen sie weitgehend auf die praktischen Erfahrungen bei den Oberfinanzdirektionen zurückgreifen. Sie müssen sich also entweder durch mündliche Besprechungen oder durch schriftliche Berichte von den Oberfinanzdirektionen Informationen holen. Diese werden dann beim Bund verwertet. Wäre es da nicht sehr viel einfacher, zwangloser und billiger, wenn statt der umständlichen Regelung, daß sich erst elf Länderministerien von ihren Oberfinanzdirektionen berichten lassen und die Ergebnisse beim Bund zusammentragen, der Bund die Referenten der Oberfinanzdirektionen unmittelbarhörteund daraus seine Erfahrungen schöpfte? Das hätte für den Bund auch den Vorteil, daß er die Erfahrungen der Oberfinanzdirektionen aus der Nähe der Praxis und unmittelbar vorgetragen bekommt und nicht erst durch das Filter der Länder. Ein solches Filter kann weitgehend nicht zusagende Auffassungen verschwinden lassen. Der Bund würde sich also sehr viel schneller und objektiver berichten lassen können, wenn es unmittelbar geschähe. Dieses Verfahren ist aber heute nicht möglich, denn der Bund darf auf dem Gebiet der Besitz- und Verkehrsteuern mit den Oberfinanzdirektionen überhaupt nicht unmittelbar verkehren. Soweit die Mittlertätigkeit zwischen dem Bund und den OFD in Betracht kommt, wirkt sich dieser Zustand von Doppel- oder besser gesagt Mehrfacharbeit noch stärker aus. Da sich der Bund zur Zeit nur auf die Regelung der grundsätzlichen Fragen beschränken muß und die zur Durchführung der Verwaltung erforderlichen Anweisungen im wesentlichen von den Ländern herausgegeben werden, wird bei all diesen Anweisungen elfmal die gleiche Arbeit geleistet, die, wie ich in dem 1. Teil meiner Ausführungen dargelegt habe, noch nicht mal eine gleiche Arbeit ist, da die Tendenzen der Länder in der Verwaltung vielfach voneinander abweichen. Im Laufe des Jahres 1951 sind im Teil II des Bundessteuerblattes etwa 150 Ländererlasse veröffentlicht worden, die Zahl der nicht veröffentlichten Erlasse dürfte noch wesentlich höher liegen. Zu einer einzigen Vorschrift, nämlich zu § 7 c des Einkommensteuergesetzes (Förderung des Wohnungsbaues durch Hingabe von Zuschüssen und unverzinslichen Darlehen), sind bisher 23 Länder-Ministerial-Erlasse ergangen, die sich auf 9 Länder verteilen. Daß dieses Vielfache an Länder-Ministerial-Erlassen sich auch für Betriebe, die sich über mehrere Länder erstrecken, und auch für die übergebietlich tätig werdenden Betriebsprüfer und Fahndungsbeamten als starke Mehrbelastung auswirkt, bedarf keiner Erwähnung. Bei Schaffung einer einheitlichen Bundesfinanzverwaltung könnten die Steuerabteilungen der Länder auf einen Bruchteil reduziert werden. Sie brauchten nur noch die Kräfte zu haben, die nötig sind, um ihre beratende Tätigkeit für die Beschlüsse des Bundesrates auszuüben. Demgegenüber würde die Mehrbelastung des Bundesfinanzministeriums nur in der Schaffung eines Organisations- und Personalreferats für die Bundesbeamten bestehen, also kaum ins Gewicht fallen. Zur dritten aufgeworfenen Frage, der Frage des Mehraufkommens an Steuern bei Einführung der Bundesfinanzverwaltung. Daß durch Schaffung einer einheitlichen Bundesfinanzverwaltung, die, wie ich oben ausgeführt habe, viel straffer und damit schlagkräftiger sein würde, bei gleichen Steuergesetzen und -sätzen ein Mehraufkommen zu erzielen sein würde, kann meines Erachtens nicht in Zweifel gezogen werden. Über die Höhe selbst lassen sich nur schwer Schätzungen aussprechen, denn die Höhe des Mehraufkommens wird ausschlaggebend beeinflußt werden von den mehr oder weniger strengen Maßstäben, die die Bundesfinanzverwaltung als Grundsatztendenz für die einzelnen Tatsachenbeurteilungs- und (Sachverständiger Dr. Jacobsen) Ermessensfragen aufstellt. Man braucht aber gar nicht den strengsten Maßstab zu wählen. Selbst wenn zur Herbeiführung der Gleichmäßigkeit in den Ländern, die ihre Steuerquellen notgedrungen voll ausschöpfen, eine gewisse Milderung des Maßstabes erfolgen sollte, dafür aber in den Ländern, die es sich leisten können, großzügig zu verfahren, eine Verschärfung eintreten würde, dürfte das Mehraufkommen nicht unbeachtlich sein. Ich schätze, daß man — ohne den Bogen bei der Bemessung der Maßstäbe zu überspannen — für die beiden wichtigsten Steuern — nämlich Einkommen- und Körperschaftsteuern — mit einem Mehraufkommen von etwa 10 % rechnen könnte. Ich bin davon überzeugt, daß bei den übrigen Steuern das Minderaufkommen mit 5 % veranschlagt werden kann, so daß wir, wenn wir eine einheitliche Bundesfinanzverwaltung haben werden, mit einem Mehraufkommen von der Größenordnung von etwa einer Milliarde rechnen können. Zum Schluß noch ein Wort von allgemeiner Bedeutung. Das Auseinanderfallen der Steuerverwaltung hat ein außerordentlich bedrohliches Maß erreicht. Wo bis jetzt noch ein größeres Abbrökkeln der Einheitlichkeit vermieden worden ist, ist es nur dem Umstand zu verdanken, daß sowohl in der praktischen Verwaltung der Oberfinanzdirektionen und Finanzämter, als auch—und das möchte ich ausdrücklich betonen — in den Länderministerien erfahrene Beamte sitzen, die noch in der Tradition der alten einheitlichen Finanzverwaltung groß geworden sind und die noch immer diese unsichtbare Klammer der alten Tradition um sich spüren. Wenn noch einige Jahre ins Land gehen und jüngere Kräfte — denn die jetzige erfahrene Generation an Referenten ist im Aussterben —ans Ruder kommen, die noch nie in anderen Bezirken tätig waren und nicht wissen, wie es dort aussieht, dann wird das Auseinanderbröckeln ungleich schneller vor sich gehen. Es wird dann sehr viel schwieriger sein, den Topf wieder zusammenzuleimen, der durch die Aufgabe der einheitlichen Finanzverwaltung seinerzeit zerschlagen worden ist. Ellinger verweist darauf, daß die Vorredner bereits einen Teil seiner Ausführungen vorweg genommen hätten. Er beabsichtige, diese Frage besonders vom Standpunkt der Beamten aus zu betrachten, die sich bei der alten Reichsfinanzverwaltung sehr wohlgefühlt hätten. Wenn man heute unter den Finanzbeamten eine Abstimmung machen würde, würde man feststellen können, daß 98 bis 99 % wieder sehr gern nach dem alten System arbeiten würden. Die Gründe für diese Einstellung der Beamtenschaft seien sehr verschiedenartig. Redner führt ein Wort von Popitz an: „Steuern ist Kunst, Etat ist Handwerk!". Heute seien die „Künstler" den „Handwerkern" unterstellt, und das habe nicht gut getan. Er (Redner) habe immer den Standpunkt vertreten: Wir müssen eine einheitliche Verwaltung haben. Schon aus den ersten Nachkriegserscheinungen, insbesondere bei der 25prozentigen Lohnabgabe in einem gewissen Land, habe man zu diesem Standpunkt kommen müssen. Die Gefahr eines vollkommenen Auseinanderlebens sei da sehr groß gewesen. Auf den Tagungen der süddeutschen Länderverwaltungen in Bad Boll im November 1945 und im Februar 1946 und später habe man sich zu koordinieren bemüht. Wenn das damals nicht ganz gelungen sei, dann deshalb, weil die verschiedenen Militärregierungen und die Ländervertretungen oft anderer Meinung gewesen seien. So habe man diese Zustände über die ganze Zeit hinweggeschleppt, bis das Grundgesetz, dessen Abschnitt X allerdings gewisse Mängel aufweise (s. u.), gekommen sei. Redner erwähnt sodann die Zollschiebungen an der Schweizer Grenze, die damals nur durch die getrennte Verwaltung möglich gewesen seien. Heute sei so etwas infolge der einheitlichen Bundeszollverwaltung schon wesentlich schwerer. Die gewerbliche Wirtschaft in begünstigteren Ländern klage auch sehr oft darüber, daß ihre Kollegen aus anderen Ländern weniger Steuern zahlten. Auch das sei eine natürliche Folge des Auseinanderfallens der Steuerverwaltung. Zur Betriebsprüfung und Fahndung sei zu sagen, in seinem Lande habe man keine schlechten Erfahrungen bei der Zusammenarbeit mit den anderen Ländern gemacht; man müsse aber auf diesem Gebiet noch mehr an einem Strang ziehen. Auf das Grundgesetz eingehend, weist der Redner darauf hin, Art. 108 habe den Leuten von der Steuerverwaltung erhebliche Kopfzerbrechen gemacht, da unter dem Druck der Besatzungsmächte manches Unzweckmäßige hineingekommen sei. Man habe zwischen der Umsatz- und der Beförderungsteuer einerseits und der Biersteuer andererseits den Unterschied gemacht, erstere den Oberfinanzpräsidenten und nicht den Finanzämtern zur Verwaltung zu geben. Das gehe nur mit der Fiktion, daß die Finanzämter Hilfsstellen des Oberfinanzpräsidenten seien. Es sei eben unmöglich, daß eine Mittelinstanz Steuern verwalte. Bei der Biersteuer habe man eingesehen, daß es so nicht gehe, es gehe aber namentlich bei der Umsatzsteuer ebensowenig. Nach Unterstreichung einiger Ausführungen der Vorredner bemerkt der Redner, es sei unmöglich, daß man die Umsatz- und de Beförderungssteuerakten voneinander trenne. Der Bezirksbearbeiter müsse die Akten stets beieinander haben, schon um, wenn irgendein Stundungs- oder Erlaßfall komme, ihn einheitlich bearbeiten zu können. Noch mehr sei dies der Veranlagung wegen notwendig. Wegen dieser und anderer Konstruktionen, die wir den Besatzungsmächten verdanken, schreie alles nach einer einheitlichen Bundesfinanzverwaltung. Redner betont sodann, man könne diese ohne weiteres einrichten, denn bis jetzt habe sich noch kein großes Auseinanderleben gezeigt. Es sei jedoch höchste Zeit dazu, weil die alten Beamten der früheren Reichsfinanzverwaltung allmählich ausfallen. Er führt einige Nachteile aus der Länderverwaltung an und verweist besonders auf die Austauschmöglichkeit namentlich der jüngeren Beamten. Eine weitere Frage sei die des Gehalts, das bei der getrennten Verwaltung keineswegs einheitlich sei. Ferner müsse das Gebiet der Steuern von einem Finanzpräsidenten ordnungsgemäß bearbeitet werden, denn davon hänge alles ab. Eine, wenn auch nur vorübergehende Verlegung dieser Stelle aus der Steuerverwaltung hinaus richte vid Schaden an. In der Frage des landsmannschaftlichen Prinzips sei er jedoch anderer Meinung als Herr Dr. Jacobsen. Die jungen Leute sollten zwar heraus, sollten sich anderen Wind um die Ohren wehen lassen; aber wenn es sich darum handele, die leitenden Posten beim Finanzamt oder Hauptzollamt (Sachverständiger Ellinger) zu besetzen, dann wolle man schon die eigenen Landsleute dafür nehmen. Das landsmannschaftliche Prinzip müsse also wenigstens bei den leitenden Stellen berücksichtigt werden. Hinsichtlich der Steuerverwaltung verweist der Redner darauf, daß es beim Reich bis 1933 auf diesem Gebiet keine Beanstandungen gegeben habe. Das zentralistische Prinzip, wie es im Dritten Reich eingeführt worden sei, lehne er jedoch grundsätzlich ab. Die Steuern müßten richtig erhoben und verteilt werden. In kleineren Staaten sei die Einwirkung des Länderfinanzministeriums auf das Oberfinanzpräsidium mangels Personals für eine ausgebaute Steuerabteilung beim Finanzministerium im allgemeinen nicht sehr groß. Eine große Steuerabteilung koste Geld und Leute. Der Bundesrat nähme schließlich die Interessen der Länder genügend wahr. Die Einwirkung von elf Länderfinanzministerien sei jedoch unerwünscht, da sie teilweise ganz verschiedene Interessen und Einstellungen zeigten. Bezugnehmend auf die Ausführungen der Vorredner wendet er sich gegen eine schlappe Steuererhebung und betont, in Bedarfsfällen könne man im Einzelfall helfen. Dann sei die Frage der Einwirkung der Länder auf die Verwaltung und auf die Verwaltungsaufgaben aufgetaucht. Seiner Meinung nach gleiche sich das mindestens aus. Der Bund werde bei einer einheitlichen Finanzverwaltung vielleicht etwas mehr an Ausgaben haben, dafür aber die Länder erheblich weniger; das könne keinesfalls ein hindernder Gesichtspunkt sein. Ein Gegenargument gegen die Bundesfinanzverwaltung sei ferner, der Weg nach Bonn sei für den einzelnen zu weit. Man habe jedoch früher, als der Reichsfinanzminister in Berlin gesessen habe, den Steuerpflichtigen zumuten müssen, nach Berlin zu gehen, wenn sie es für nötig gehalten hätten, mit den allerhöchsten Herren zu sprechen. Im übrigen gingen die kleinen Leute sowieso höchstens zum Oberfinanzpräsidenten, und die großen fänden den zuständigen Mann in jedem Falle. Auf die entsprechenden Ausführungen der Vorredner eingehend, wendet sich der Redner ebenfalls gegen den unerträglichen Zustand, daß sich die Länder gegenseitig die Betriebe ausspannten. — Sodann verweist er auf die ländermäßige Verschiedenheit in der Lebenshaltung namentlich der großen Gewerbetreibenden und deren Einfluß auf das Steueraufkommen. Er erklärt, die von den Besatzungsmächten seinerzeit geschaffenen willkürlichen Ländereinteilungen sollten im Rahmen des Gesunden und Erträglichen bereinigt werden. Bei Vorhandensein von nur fünf oder sechs ausgeglichenen Ländern sei der horizontale Finanzausgleich, der den Ländern besonderen Kummer mache, vollkommen hinfällig. Wenn aber Länder von anderen Ländern etwas haben wollten, müßten sie sich auch eine gewisse Kontrolle gefallen lassen. Im Zusammenhang damit vertritt der Redner die Forderung nach einem Bundessparkommissar. In der Steuerverwaltung brauche man ihn nicht, aber wenn man tatsächlich sparen wolle, könne man es nur dadurch machen, daß man die einzelnen Verwaltungen kontrolliere und nicht wie seinerzeit (Sämisch) unausführbare Organisationsvorschläge mache. Diese Forderung werde auch vom Bund der Steuerzahler erhoben. Abschließend betont der Redner noch einmal, daß er die einheitliche Bundesfinanzverwaltung für unbedingt nötig halte und daß sie auch von den Leuten in seiner Verwaltung gefordert werde, — nicht etwa im Interesse der Steuerbeamten, sondern im Interesse der Finanzen des Bundes und der Länder. Auf die Frage eines Abgeordneten führt Dr. Carl aus, die völlig überflüssige Ministerialinstanz in den Ländern solle ausgeschaltet werden. Das bringe durch Zusammenlegungen, verminderte Reisekosten usw. die geforderten Ersparnisse. In dieser Beziehung werde ein unendlicher Leerlauf betrieben, weil zwischen einer Ministerialinstanz des Bundes und den Provinzialverwaltungen noch einmal eine Ministerialinstanz stehe. Ein wirtschaftlicher Betrieb werde sich einen solchen Luxus nicht leisten dürfen. Der Vorsitzende stellt Anregungen des Ausschusses bezüglich einer umfangreichen Materialsammlung seitens der Oberfinanzpräsidien zu den heute angeschnittenen Fragen fest. Ellinger wendet sich gegen die Einziehung der Gewerbesteuern durch die Gemeinden. Diese Aufgabe könne ohne weiteres von den Finanzämtern mit erledigt werden, was weniger Arbeit und Kosten mache. Zur Lohnsteuer sei noch zu bemerken, daß die Lohnsteueraußenbeamten wegen des Lohnsteuerausgleichs noch nicht hätten richtig eingesetzt werden können. Von Monat zu Monat vermindere sich dadurch das Aufkommen, da die Betriebe, wenn sie merkten, daß der Außenbeamte nicht komme, die Lohnsteuer lässiger berechneten, als wenn sie Angst haben müßten, daß der Mann am nächsten Tage eintreffe. Staatssekretär Dr. Ringelmann: Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe dem Herrn Vorsitzenden gerade Druckstücke eines Vortrags übergeben, den ich im Wirtschaftsbeirat der CSU im Februar dieses Jahres zur Frage der Bundesfinanzverwaltung gehalten habe. Ich halte mich nicht an diesen Vortrag, sondern möchte mein Gutachten ausschließlich als Finanzsachverständiger abgeben, während ich dort als Staatssekretär des bayerischen Finanzministeriums gesprochen habe. Ich glaube ein ziemlich objektives Urteil in der Frage „Bundesfinanzverwaltung und Landesfinanzverwaltung" geben zu können; denn ich kenne die deutschen Finanzverwaltungen seit nahezu vierzig Jahren. Ich war in der Finanzverwaltung tätig, als sie in allen deutschen Bundesstaaten in ihrem gesamten Umfang noch reine Landesverwaltung war. Ich habe die Umwandlung der wichtigsten Teile dieser deutschen Finanzverwaltungen in eine zentrale Reichsfinanzverwaltung auf Grund des Gesetzes vom 10. September 1919, das dann in die Reichsabgabenordnung vom Dezember 1919 eingebaut wurde, erlebt. Ich habe die straffe Entwicklung dieser Reichsfinanzverwaltung zu einem leistungsfähigen Steuerverwaltungsapparat erlebt und habe auf der andern Seite gesehen, wie mit dieser straffen Entwicklung der Reichsfinanzverwaltung die Reste der Landesfinanzverwaltungen allmählich in Verfall geraten sind. Ich war dann auch Zeuge des Zusammenbruchs der Reichsfinanzverwaltung im Jahre 1945, des Wiederaufbaus der Finanzverwaltungen — teils als Zonenverwaltung unter der Führung einer Finanzleitstelle in der britisch besetzten Zone, teils als unmittelbare Landesverwaltungen - in der Zeit von 1945 bis 1950. (Sachverständiger Dr. Ringelmann) Ich kenne endlich, da ich dem Parlamentarischen Rat als Sachverständiger in Finanzfragen zugeteilt worden war, die durch Art. 108 des Grundgesetzes herbeigeführte und durch das Erste Gesetz über die Finanzverwaltung näher bestimmte Aufspaltung dieser neugebildeten Finanzverwaltungen in eine Zoll- und Verbrauchsteuerverwaltung des Bundes auf der einen und in eine Landesverwaltung auf der anderen Seite, die insbesondere die Besitz- und Verkehrsteuern verwaltet. Ich konnte mir also ein Urteil über die Vorteile und Nachteile dieser Finanzverwaltungssysteme bilden. Eines möchte ich vorausschicken, um nicht mißverstanden zu werden. Ich habe das Empfinden, daß man bei der Erörterung der Streitfrage vielfach Begriffe durcheinander wirft. Entscheidend ist nicht, in wessen Hand sich die Finanzverwaltung oder, richtiger gesagt, die Steuerverwaltung befindet. Das Urteil kann auch nicht ausschließlich darauf abgestellt werden, mit welchem finanziellen Erfolg die Steuerverwaltung arbeitet. Ein zutreffendes Urteil kann nur dann gefunden werden, wenn man sich über die Begriffe Finanzverfassung, Finanzverwaltung und Steuerverwaltung klar ist und die Zusammenhänge zwischen diesen drei Begriffen klar herausstellt. Fangen wir bei der Steuerverwaltung an. Sie stellt sich uns grundsätzlich als eine Sonderverwaltung dar, die einen ganz bestimmten werbenden Zweck verfolgt. Sie ist gewissermaßen die Maschine, der Apparat für die Erhebung und Verwaltung der Zölle und der Steuern, wobei es theoretisch völlig belanglos ist, ob sie für den Bund oder für die Länder oder für die Gemeinden oder auch für andere steuerberechtigte Körperschaften in deren Eigenschaft als Steuergläubiger arbeitet. Die Finanzverwaltung hingegen — das ist der weitere Begriff — ist ein Zweig der allgemeinen öffentlichen Verwaltung, sei es des Bundes, sei es der Länder oder auch der Gemeinden. Als Teil der öffentlichen Verwaltung ist sie politische Verwaltung der gesamten Mittel der betreffenden Körperschaft, zu denen naturgemäß auch die Zölle und die Steuern gehören, die aber nicht die einzigen Mittel sind, die von dieser politischen Finanzverwaltung, wenn ich sie so nennen darf, verwaltet werden. Art und Ausmaß der Mittel, die diesen Körperschaften zufließen und die von der Finanzverwaltung als solcher vereinnahmt und verausgabt werden, sind von der jeweiligen Finanzverfassung abhängig, d. h. von der jeweiligen verfassungsmäßigen Verteilung der Finanzgewalt, zu der auch die Steuerhoheit und die Steuergläubigerschaft gehören. Die Finanzverwaltung als politische Verwaltung bedient sich also der an sich unpolitischen Steuerverwaltung zur Gewinnung der Zölle und der Steuern. Handelt es sich um einen in allen Beziehungen souveränen Staat, dann stellt weder die Finanzverfassung noch die Regelung des Verhältnisses zwischen Finanz- und Steuerverwaltung irgendein Problem dar. Die Steuerverwaltung liegt in diesem Falle in den Händen des Staates, der zugleich der Träger der Finanzgewalt, der Inhaber der Finanzverwaltung und naturgemäß auch der Inhaber der Steuerverwaltung ist. Er hat die Möglichkeit, souverän alles Nähere über das Verhältnis zwischen der Finanzverwaltung und ihrem Apparat, also der Steuerverwaltung, zu bestimmen. Er hat auch die Möglichkeit, seine Steuerverwaltung den untergeordneten Körperschaften in seinem Gebiet gewissermaßen gegen Entlohnung zur Verfügung zu stellen, d. h. durch sie gegen Vergütung die Gemeindesteuern, Kirchensteuern und sonstige Abgaben einheben zu lassen. Hier können wir feststellen, daß die Steuerverwaltung kein Machtinstrument, sondern eine bloße Maschine in den Händen des souveränen Staates ist und daß sie als solche von der politischen Verwaltung, der Finanzverwaltung, die sich ihrer bedient, gelenkt wird. Das Problem der Innehabung und Lenkung der Steuerverwaltung beginnt, sobald sich Staaten oder Länder zu einem größeren Gebilde zusammenschließen. Ich habe den verstorbenen Geheimrat Markull gut gekannt. Er hat einen Kommentar zum Finanzausgleichsgesetz geschrieben und führt in der Vorrede folgendes aus: „Es sind zwei Grundbedürfnisse des Menschen, die sein Gemeinschaftsleben in wechselnder Stärke, jedoch in dauerndem Gegensatz bestimmen: der Trieb zum Zusammenschluß und der Drang nach Verselbständigung. Die Problematik dieses Gegensatzes erfüllt die Geschichte." Er hat vollkommen recht. Der Bundesstaatsgedanke, der die deutsche Geschichte seit dem Ende der Hohenstaufen beherrschte und der sie trotz der durch die Entwicklung von Verkehr und Technik zwangsläufigen Verringerung der Zahl der Staatsgebilde noch Jahrzehnte beherrschen wird, ist gekennzeichnet einerseits durch die Erkenntnis der Notwendigkeit des Zusammenschlusses der deutschen Staaten zu einem politisch und wirtschaftlich machtvolleren Gebilde, als es die Einzelstaaten sein können, andererseits aber auch durch den Kampf um die Erhaltung einer möglichst weitgehenden Steuersouveränität der in diesem größeren Gebilde zusammengeschlossenen Staaten. In diesen Kampf wird die Finanzverwaltung und im Hinblick auf die Bedeutung des Steuerverwaltungsapparats für die Einnahmeerzielung auch die Steuerverwaltung zwangsläufig hineingetrieben. So entsteht dann die Frage: Wer soll der Herr dieses Steuerverwaltungsapparats sein und wer muß sich damit abfinden, die Maschine des anderen gegen Vergütung für sich arbeiten zu lassen? So liegt das Problem in einem Staatsgebilde, dem eine Reihe von Mitgliedern angehört, die mehr oder minder Selbständigkeit für sich beanspruchen. Bei einer Sozietätswirtschaft der zu einem Bund zusammengeschlossenen Staaten, die in ihrer extremsten Form das übergeordnete Staatswesen auf die Finanzierung durch Beiträge der Mitgliedstaaten, also in der Hauptsache auf Matrikularbeiträge, verweist, wird der Bund zwar einer eigenen Finanzverwaltung bedürfen, aber er bedarf keiner bundeseigenen Steuerverwaltung; denn er bekommt seine Mittel durch die Beiträge der Mitgliedstaaten. Er wird deshalb auch gar kein Interesse daran haben, auf diese Steuerverwaltungen irgendeinen Einfluß auszuüben. Wenn der Bund aber die Forderung nach einer selbständigen, ungeteilten und von den Mitgliedstaaten völlig unabhängigen Finanzwirtschaft aufstellt und wenn er sogar soweit geht, daß er letzten Endes auch die Einnahmen und Ausgaben seiner Mitgliedstaaten weitgehend bestimmen will, dann wird er selbstverständlich danach trachten, eine bundeseigene Steuerverwaltung zu erhalten, und sich äußerstenfalls bereit erklären, den Bundesgliedern, deren Einrichtungen oder deren finanzielle Leistungsfähigkeit für eine eigene Steuerverwaltung nicht ausreichen, seine Verwaltung zur Er- (Sachverständiger Dr. Ringelmann) hebung von Steuern und Abgaben zur Verfügung zu stellen. Das sind die beiden Extreme, auf der einen Seite die Sozietätswirtschaft, in der der Bund lediglich durch Zuschüsse, durch Beiträge der einzelnen Länder gespeist wird und keine eigene Steuerverwaltung braucht, auf der anderen Seite eine Finanzverfassung, in der der Bund alle Macht, also auch die Steuersouveränität für sich beansprucht, die Länder mehr oder minder dotiert und letzten Endes auch die gesamte Steuerverwaltung in seine Hand nimmt. Zwischen diesen beiden Extremen haben sich die Versuche und Bemühungen bewegt, durch Aufspaltung der Finanzgewalt und der ihr dienstbaren Steuerverwaltung den beiden Teilen so viel zu geben, daß sie unabhängig voneinander ihr Eigenleben führen können. So ist es verständlich, daß in der Sozietätswirtschaft des Norddeutschen Bundes die Steuerverwaltung unbestritten in den Händen der Bundesstaaten lag und daß auch das Bismarcksche Reich sich auf die Überwachung der bundesstaatlichen Erhebung und Verwaltung der dem Reich zufließenden Zölle und indirekten Steuern durch Reichsbevollmächtigte beschränken konnte und der Ruf nach einer reichseigenen Steuerverwaltung noch nicht erhoben wurde. Anders wurde es, als die Erzbergersche Finanzreform kam, die dem Reich auch die direkten Steuern nicht nur hinsichtlich der Gesetzgebung, sondern auch mit ihrem Ertrag zuwies und die Bundesstaaten, soweit die Steuersouveränität in Betracht kam, zu Ländern als gehobenen Selbstverwaltungskörpern degradiert hatte. Als diese Reichsfinanzreform kam, mußte zwangsläufig auch auf dem Gebiet der Steuerverwaltung ein grundlegender Wechsel eintreten. Mit der Anerkennung der Omnipotenz des Reichs auch auf dem Gebiet der direkten Steuern, die das Reich zum Steuersouverän, d. h. nicht nur zum Steuergesetzgeber, sondern auch zum Steuergläubiger gemacht hatte, war der Weg für eine reichseigene Steuerverwaltung in Haupt und Gliedern zwangsläufig gegeben. Aus den bundesstaatlichen Zoll- und Steuerverwaltungen wurde diese reichseigene Zoll- und Steuerverwaltung in der Form von Landesfinanzämtern, Finanzämtern und Hauptzollämtern usw. gebildet. Ich sagte „zwangsläufig" nicht etwa deshalb, weil es vielleicht nicht möglich gewesen wäre, die gesamte Reichssteuergesetzgebung dem allgemeinen Verfassungsgrundsatz entsprechend durch Landesbehörden ausführen zu lassen. Auch die Weimarer Verfassung kannte den Grundsatz der Ausführung der Reichsgesetze durch die Länder, der ja auch im Grundgesetz enthalten ist. Theoretisch brauchte also keine Änderung einzutreten. Zwangsläufig kam es aber deshalb zur reichseigenen Steuerverwaltung, weil das Reich in konstanter Expansion seiner Verwaltungszuständigkeit mit der Übernahme der Steuerverwaltung als der den Hauptteil der Einnahmen erbringenden Verwaltung seine absolute Steuersouveränität sicherstellen wollte. Ich bitte aber schon hier zu beachten, daß damals ein ganz anderer Zustand bestand, als er heute vorliegt. Damals nahm das Reich die Steueromnipotenz für sich in Anspruch. Es hatte nicht nur die Gesetzgebung, sondern auch den gesamten Ertrag der Steuern an sich gezogen und sich lediglich bereit erklärt, den Ländern, die früher Bundesstaaten waren, Anteile an den Reichssteuern, aus denen später zahlenmäßig ganz bestimmte Dotationen wurden, zu geben. Nach dem Grundgesetz haben wir ganz andere Verhältnisse. Nach dem Grundgesetz gehört die Einkommensteuer, die Körperschaftsteuer und auch die laufende Vermögensteuer in ihrem Ertrag den Ländern, nicht dem Bund. Das darf man nicht übersehen. Es ist ein gewaltiger Unterschied gegenüber den damaligen Verhältnissen. Damals war die Reichssteuerverwaltung zwangsläufig, weil die Länder nicht mehr Steuergläubiger dieser großen Steuern waren und so gut wie nichts mehr an Steuern kraft eigenen Rechts zu vereinnahmen hatten. Heute besteht aber — wenigstens nach dem derzeitigen Stand des Grundgesetzes und nach der Verteilung, die im Grundgesetz hinsichtlich der Steuereinnahmen vorgesehen ist — kein zwingender Anlaß, zu sagen, die Finanzverfassung dränge dazu, daß nun auch die Steuerverwaltung ausschließlich in die Hände des Bundes kommt und daß der Bund lediglich sich verpflichtet oder verpflichtet wird, die Steuern, deren Auf kommen den Ländern noch verbleibt, selbst zu verwalten. Man muß immer davon ausgehen, daß die mächtigen direkten Steuern heute in ihrem Ertrag noch bei den Ländern liegen. Die Frage der Gesetzgebung über die Steuern steht auf einem ganz anderen Blatt. Hier haben wir es mit der Verwaltung zu tun. Solange das Grundgesetz in den Artikeln 30 und 83 den Ländern die Verwaltungszuständigkeiten für die Ausführung der Gesetze zugesteht, insolange geht es nicht an, daß man in einer späteren Bestimmung des Grundgesetzes den Ländern die Zuständigkeit zur Verwaltung und Ausführung der vom Bund beschlossenen Steuergesetze nimmt. Man hat bei der Erzbergerschen Reform auf den Friedensvertrag verwiesen und gesagt, die Lasten seien so groß, daß man nun eine zentrale Verwaltung haben müsse. Diese Argumentation war nicht richtig; denn auch die Bundesstaaten hätten mit ihren eigenen Maschinen diese Beträge erbringen können. Die Notwendigkeit hätte nach der ursprünglichen Fassung der Weimarer Verfassung auch gar nicht bestanden; denn der Art. 83 der Weimarer Verfassung hat ganz deutlich unterschieden zwischen der Abgabeverwaltung der Länder und dem Abgabeverwaltungsapparat des Reichs. Nur für die Zölle und für die indirekten Steuern, die auch heute wieder entsprechend dem Aufbau des Bismarckschen Prinzips dem Bunde zustehen, sollte das Reich eine Verwaltungsbefugnis haben. Im übrigen war die Abgabenverwaltung der Länder vorgesehen. Erst durch das Gesetz vom 10. September 1919 und die Reichsabgabenordnung wurde das geändert und die reichseigene Steuerverwaltung eingeführt. Man hat damals gesagt, daß die ungeheure Steigerung der Steuerbelastung es gebieterisch zur Pflicht mache, daß man eine gleichartige und gleichmäßige Veranlagung erreiche. Meine sehr verehrten Damen und Herren, damals hatten wir keine Veranlagungsrichtlinien. Damals mußten wir noch durch Doppelsteuerverträge und sonstige Maßnahmen auf eine gewisse Einheitlichkeit zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung hinwirken. Die Reichseinkommensteuergesetzgebung und die Körperschaftsteuergesetzgebung kamen gewissermaßen über Nacht; damit ergab sich zwangsläufig der Drang nach einer gewissen Vereinheitlichung. Diese Vereinheitlichung ist aber in der Zwischenzeit längst erfolgt und ist, seitdem wir das Grundgesetz haben, restlos durchgeführt. Wir haben die Veranlagungsrichtlinien für die Einkommensteuer, (Sachverständiger Dr. Ringelmann) für die Körperschaftsteuer, für die Lohnsteuer, für die Vermögensteuer, für die Gewerbesteuer; in diesen Veranlagungsrichtlinien, die dicke Bücher sind, ist bis ins einzelne alles geregelt. Nach dieser Richtung spielt also die Frage, wem die Steuerverwaltung gehört, keine Rolle mehr. Eine andere Frage, die immer wieder erhoben wurde, ist die: Kann nicht vielleicht die Gefahr bestehen, daß dadurch, daß Landesfinanzverwaltungen diese direkten Steuern verwalten, eine ungleichmäßige Behandlung des Erlaßwesens, des Stundungswesens usw. eintritt? Ich habe aus einem Bericht; den ich über die Vernehmung der bisherigen Sachverständigen erhalten habe, gehört, daß vom Standpunkt der Erlaß- und der Stundungspraxis und des Beitreibungs- und Vollstreckungswesens gewisse Bedenken bestünden. Es ist hier geäußert worden, es bestehe die Gefahr, daß das eine Land so und das andere anders arbeite. Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch nach dieser Richtung sind die Gefahren beseitigt. Sie kennen ja das Zweite Gesetz über die Finanzverwaltung, das die Mitwirkung des Bundes bei der Verwaltung der Einkommen- und Körperschaftsteuer und die Überwachung der Landessteuerverwaltung durch den Bund vorsieht und das den Bund auch in die Betriebsprüfung einschaltet. Es liegt bereits der Entwurf einer Durchführungsverordnung vor, die die Stundungen, wenn sie gewisse Beträge übersteigen, und die Erlasse von der Zustimmung des Bundesfinanzministers abhängig macht, die sogar die Sonderabschreibungen und die Steuervergünstigungen eingehend regelt und überall ein Mitwirkungsrecht des Bundesfinanzministers vorsieht. Auch hinsichtlich der Betriebsprüfung haben bereits eingehende Erörterungen stattgefunden, die zu einer ganz ersprießlichen Verständigung führen werden. Es kann also wirklich nichts mehr passieren. Wenn verlangt wird, daß Ungleichheiten vermieden werden und eine gleichartige und gleichmäßige Veranlagung sowie ein gleichartiges und gleichmäßiges Stundungs- und Erlaßwesen Platz greifen, dann muß ich sagen, daß eine organisatorische Änderung hierzu nicht nötig ist; denn alle diese Dinge sind jetzt bereits geregelt. Nun will ich noch zu anderen Einwendungen Stellung nehmen, die damals auch geltend gemacht worden sind. Man hat gesagt, es sei weitaus billiger, wenn man eine Zentrale hat, die unter Ausschaltung der Länderfinanzministerien alles regelt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe das Reichsfinanzministerium in seiner Blütezeit kennen gelernt. Personaliter ist die heutige Bundesfinanzverwaltung, obwohl sie nach meiner Anschauung bereits ziemlich reich besetzt ist, dagegen noch ein zartes Pflänzchen. Ich bin im Reichsfinanzministerium x-mal durch die langen Gänge gegangen, auf denen die Amtsräte sogar die Paragraphen des Besoldungsgesetzes, der Steuergesetze usw., die sie bearbeitet haben, an die Türe geschrieben haben, damit der Pflichtige gewußt hat, wer beispielsweise die Kinderermäßigungen, die Besteuerung der Veräußerungsgewinne, der Personalgesellschaften usw. behandelt. Da habe ich mir oft gesagt, mein lieber Gott, da wird doch nichts anderes gezüchtet als Spezialisten für die einzelnen Gesetzesbestimmungen; und wenn die Gesetzesbestimmung noch so schlecht ist, der Amtsrat wird dafür sorgen, daß sie bestehen bleibt; denn sonst muß er den Paragraphen an seiner Tür wegstreichen und hat vielleicht keine Beschäftigung mehr. Und bekommt er einen neuen Paragraphen, dann kommt er vielleicht in Konkurrenz mit seinem Nachbarn, der einen verwandten Paragraphen hat, und der Kampf geht weiter. Als alter Verwaltungsbeamter kenne ich diese Verhältnisse. Wenn ich mir dann den Etat des Reichsfinanzministeriums angesehen habe, so habe ich gesehen, daß im Jahre 1930 im Reichsfinanzministerium allein 65 Ministerialräte, 37 Oberregierungsräte und 144 Amtmänner vorhanden waren; 1935 waren es bereits 98 Ministerialräte, 48 Oberregierungsräte und über 200 Amtmänner. Nun frage ich Sie: Wird das heute wieder anders werden, wenn die Landesministerien ihre Zuständigkeiten an das Bundesfinanzministerium abgeben und wenn die Landesmittelbehörden und die Landesaußenbehörden verschwinden und Bundesbehörden an ihre Stelle treten? Die Landesministerien sind — soweit die Steuerverwaltung in Betracht kommt — wirklich nicht üppig aufgezogen. Wenn ich daran denke, wie klein unsere Steuerabteilung ist und wieviel sie leisten muß, wenn ich auf der anderen Seite auch bedenke, welchen Überblick unsere Herren über die gesamte Steuergesetzgebung haben — es sind so wenige, daß jeder eine große Materie beherrschen muß —, dann kann ich das eine sagen: ein Spezialistentum können und werden wir in den Ländern nicht großziehen. Aber trotzdem sind unsere Leute immer sehr begehrt, weil sie eben sehr vielseitig verwendbar sind. Es wird nicht so kommen, daß einer sein ganzes Leben lang in der Körperschaftsteuer arbeitet und gewissermaßen mit den Scheuklappen durchs Leben geht, die ihm das Gesetz ansetzt, sondern diese Beamten bekommen den Kopf auch für andere Dinge frei. Sie lernen insbesondere, sich nicht in Kleinigkeiten einzumischen, sondern arbeiten großzügig. Deshalb bitte ich, über die Landesverwaltungen kein abfälliges Urteil zu fällen. Die Herren des Bundesfinanzministeriums werden nicht unglücklich sein, wenn ihnen bei den Finanzreferentenbesprechungen Ideen aus allen elf Landesfinanzverwaltungen zugetragen werden. Es ist doch nicht so, daß ein Gesetz dann besonders gut ist, wenn es ein Spezialist in aller Stille entwirft und sich redliche Mühe gibt, es ohne Änderung durch die gesetzgebenden Körperschaften durchzubringen. Beseitigen Sie aber die Landesverwaltungen, dann können die Steuerreferenten der Länder kein neues Material und keine neuen Gesichtspunkte aus der Praxis mehr beibringen; es fehlen ihnen dann die Saugwurzeln für ihre Tätigkeit. Sie werden nicht mehr durch die Praxis befruchtet, sie bekommen nichts mehr von unten herauf, aus dem sie ihre Vorschläge für die Gesetzesreform machen können; den Schaden trägt die Allgemeinheit. Ich komme jetzt zu einer ganz anderen Sache, die Sie, meine verehrten Damen und Herren, vom Haushaltsstandpunkt aus interessieren wird. Das ist der § 19 der Reichsabgabenordnung, den man damals geschaffen hat, als Erzberger den Ländern ihre Regierungsfinanzkammern oder sonstigen Mittelstellen der Finanzverwaltung, ihre Finanzämter, ihre Zollämter usw. weggenommen hat. Es stellte sich heraus, daß diese Ämter noch eine große Zahl sonstiger Aufgaben der Finanzverwaltung — nicht der Steuerverwaltung — wahrzunehmen hatten. Damals schuf man zur Überbrückung den § 19 der Abgabenordnung, der darauf hinauslief, daß der Reichsfinanzminister verpflichtet war, den nunmehrigen Reichsbehörden auch die Verwaltung dieser Landesaufgaben zu übertragen. (Sachverständiger Dr. Ringelmann) Ich weiß, welche Kämpfe sich infolge der Übertragung dieser Aufgaben abgespielt haben. Es hat keine zwei Jahre gedauert, bis die Klagen der Länder über die ungenügende Betreuung ihrer sonstigen Aufgaben begannen. Diese Klagen waren durchaus nicht unberechtigt; denn sie beruhten auf Wahrnehmungen, die nicht aus der Welt geschafft werden können. Es war ja ein sehr großes Gebiet von Aufgaben, das auf Grund des § 19 wahrzunehmen war. Die Landesfinanzverwaltung hat neben der Steuerverwaltung umfangreiche Haushaltsgeschäfte, sie hat die Vermögensverwaltung und die fiskalische Vertretung des Landes, sie hat Kassen- und Rechnungsgeschäfte für die gesamte Landesverwaltung, sie hat den großen Kreis der Versorgungsangelegenheiten zu betreuen. Der Bundestag hat ein Gesetz zu Art. 131 des Grundgesetzes beschlossen, das die Rechtsverhältnisse der Personen regelt, die aus anderen als beamtenrechtlichen oder tarifrechtlichen Gründen ihre Stellung verloren haben. Das Gesetz erfordert eine ungeheure Verwaltungsarbeit: Festsetzung von Besoldung, Übergangsgeldern, Unterhaltsbeiträgen, Versorgungsbezügen usw. Wer macht das alles? Das machen die Landesbehörden, und zwar die Landesfinanzbehörden neben der Steuerverwaltung. Der Bund würde sich ein furchtbares Odium aufladen, wenn er diese Geschäfte übernehmen würde. Es handelt sich hier auch nicht um Sachen, die man zentral behandeln kann, sondern um Aufgaben, in die auch die Finanzkassen, die Oberfinanzkassen und die Oberfinanzpräsidenten mit ihren Zweigstellen eingeschaltet sind. Nehmen Sie heute den Antrag an, daß die Finanzbehörden, die heute als Landesfinanzbehörden tätig sind, auf den Bund übergehen, dann müssen Sie die Aufgaben, die die Landesfinanzverwaltungsbehörden auf dem Ge- biete des Haushalts, des Kassen- und Rechnungswesens, der Liegenschafts- und sonstigen Vermögensverwaltung, der Versorgungsangelegenheiten, der Rechtsangelegenheiten des Landes usw. haben, mitübernehmen. Davon ist aber keine Silbe in dem Antrag zu Art. 108 enthalten, sondern hier ist nur von der Verwaltung der Landessteuern die Rede, nicht auch von der Verwaltung der sonstigen Landesfinanzgeschäfte. Übernehmen Sie aber diese Aufgaben auf den Bund, dann schlagen Sie dem Grundgesetz in seinen Artikeln 30 und 83 ins Gesicht, wo steht, daß die Bundesgesetze von den Ländern als eigene Angelegenheit ausgeführt werden und die Zuständigkeitsvermutung für die Länder spricht. Sie werden sehen, daß das Folgerungen hat und auf eine ganze Reihe von Gebieten übergreift. Denn wenn Sie heute die Landesfinanzverwaltungen zu einer Bundesverwaltung machen, wird zwangsläufig eine ganze Reihe von Verwaltungsaufgaben nachfolgen, die der Bund übernehmen soll und vielleicht auch übernehmen muß; lesen Sie aber Art. 109 des Grundgesetzes, wo steht, daß Bund und Länder gesonderte Haushaltsführung haben sollen, und lesen Sie die Bestimmungen über die Zuständigkeitsregelung zwischen Bund und Ländern, dann werden Sie sagen, wir kommen zwangsläufig zu einem vollkommenen Umbau unseres Grundgesetzes. Ich möchte Sie an folgendes erinnern. Der Staatsrechtslehrer Laband, der doch wirklich nicht als überzeugter Föderalist angesprochen werden kann, hat in seinem „Staatsrecht des deutschen Rechts" — und zwar im 4. Band, der im Jahre 1914 erschienen ist — sich zur Frage der Einkommensteuer geäußert: Dieser doppelten Teilung der Aufgaben zwischen dem Reich und den Bundesstaaten und der damit verbundenen finanziellen Lasten muß auch eine sichere Teilung der Einnahmequellen entsprechen. Die Heranziehung der direkten Steuern zur Deckung der Reichsbedürfnisse kann der Weg zu einer tief einschneidenden Umbildung der Grundlagen der Reichsverfassung sein und namentlich den Staaten ohne besonders ertragreiches Eisenbahn- und anderes großes Finanzvermögen die Tragung der finanziellen Lasten und damit die Aufrechterhaltung der staatlichen Existenz unmöglich machen. Das hat Laband im Jahre 1914 geschrieben. Er hat es vorgeahnt, was kam, wenn die direkten Steuern — wie es bei der Erzbergerschen Reichsfinanzreform der Fall war — auf das Reich übernommen würden. Er hat vorausgeahnt, daß das zum allmählichen Zusammenbruch der Länder und zu einem völligen Umbau der Verfassung führen muß. Wir haben es heute nicht mit der Finanzverfassung zu tun, mit der Inanspruchnahme der Einkommensteuer, obwohl ja der bekannte Streit über die 27 oder 40 %, den wir heute nachmittag im Vermittlungsausschuß weiterbehandeln wollen, auf dieses Gebiet hinübergeht. Aber das eine kann ich Ihnen sagen: Heute sprechen wir von der Steuerverwaltung — nicht von der Steuerhoheit —, aber genau so wenig wie sich die Steuerertragshoheit von dem Schicksal und von der Existenz der Länder und von der Frage des organischen Aufbaues des Bundes trennen läßt, genau so wenig läßt sich die Frage der Steuerverwaltung von der Frage der gesamten Bundesverwaltung bzw. von der Frage der Durchführung der Bundesgesetze trennen. Wenn Sie diesen Antrag annehmen, gehen Sie einen Weg, der, ich wiederhole es, zu einem totalen Umbau unseres Verwaltungssystems führen muß. Denken Sie nur an das Kassenwesen und die Zuständigkeit zur Ausgabe der Kassenanweisungen! Es besteht heute auch keine Notwendigkeit zu einer Änderung. 1919 ist man diesen Weg gegangen, weil die Steueromnipotenz auf das Reich übergegangen ist. Bereits 1920 wurden die Länder von der Steuerhoheit und aus dem steuerlichen Getriebe ausgeschaltet. Damals kam die Reichssteuerverwaltung zwangsläufig. Heute würde sich die Sache als Umkehrung darstellen. Heute würden praktisch die Länder zunächst aus der Verwaltung ausgeschaltet. Aber was wäre die nächste Folge? Die gesamten Steuereinnahmen würden in die Kassen des Bundes fließen. Wenn aber jemand aus einer Kasse etwas herausgeben soll, fällt es ihm viel schwerer, als wenn er etwas hineinnehmen soll. Die natürliche Folge wäre, daß der Bund nach Wegen sucht, das, was in seine Kassen fließt, für sich zu behalten, und sehr bald kämen Sie zum Dotationssystem, dem gleichen System, das die Folge der steuerlichen Omnipotenz des Reiches gewesen ist. Ich male nicht schwarz, aber die Entwicklung wird genau so verlaufen, wie sie im Dritten Reich verlaufen ist. Sie werden einen omnipotenten Bund bekommen, der zunächst die Steuerverwaltungen und dann die Steuern für sich in Anspruch nimmt, und schließlich wird alles in Bonn oder Berlin — oder wo sonst der endgültige Sitz der Bundesregierung sein wird — entschieden. Man macht dann nicht nur die Gesetze 600 Kilometer entfernt von dem Land, in dem sie sich (Sachverständiger Dr. Ringelmann) auswirken, sondern wird sich dort auch um alle Kleinigkeiten des Vollzuges kümmern. Es wird nichts anderes übrig bleiben, als daß die Herren vom Bundesfinanzministerium nach München oder Stuttgart reisen, während die passiv Beteiligten von München nach Bonn fahren. Sie bekommen in Bonn — entschuldigen Sie — einen großen Wasserkopf, der alle Einzelheiten behandelt, aber gezwungen ist, in die einzelnen Länder zu gehen und dort mit den Interessenten zu verhandeln, weil er die Sachen nicht mehr von unten heraufgetragen erhält, sondern sich die Sachen erst mühsam aus den Quellen herausholen muß. Denken Sie auch daran, daß der Antrag in der gegenwärtigen Fassung überhaupt nicht marschieren kann, weil Sie damit die gesamten Finanzverwaltungsgeschäfte der Länder, die nicht Steuergeschäfte sind, lahmlegen und den Ländern den ganzen Apparat wegnehmen, und daß Sie den Kampf, den die Länder zwölf Jahre mit dem Reich über die Auslegung und Durchführung des § 19 und des späteren § 480 geführt haben, bekommen werden. Bedenken Sie, daß die Neufassung des § 480 die Landesfinanzverwaltungsgeschäfte, die nicht Steuergeschäfte sind, als „artfremde Geschäfte" der Reichsfinanzverwaltung hinstellt, von denen die Oberfinanzpräsidien und die Finanzämter so schnell wie möglich entlastet werden sollen! Wenn es so kommt, daß wir als Land für unsere Finanzverwaltungsgeschäfte keine Einrichtung mehr zur Verfügung haben, dann müssen wir uns, so leid es uns für die Steuerzahler tut — und das gilt für die andern Länder auch —, wieder eine eigene, wenn auch beschränkte Finanzverwaltung einrichten. Dann frage ich Sie vom Standpunkt der Wirtschaft aus: Worin liegt die Erleichterung? Dann frage ich Sie: Lohnt sich das für die Wirtschaft oder ist es für sie nicht angenehmer, wenn sie in ihrer Bundeshauptstadt ihre Wünsche vorbringt, weil sie weiß, daß man dort ihre besonderen Verhältnisse besser kennt und diese ihre Wünsche vertreten wird? Wir haben hier fast jede Woche die Besprechung der Finanzreferenten mit dem Bundesfinanzministerium: erst gestern wieder konnte ich mich davon vergewissern, welch ersprießliche Arbeit dabei geleistet wird. So, wie es derzeit ist, bedeuten die Landesfinanzverwaltungen nicht nur eine Befruchtung, sondern auch ein gewisses Korrektiv und eine Überwachung der Bundesfinanzverwaltung — nicht eine finanzielle Überwachung —, daß nicht Dinge geschehen, die der Gesamtheit nicht zum Wohl sind. Heute arbeitet alles im Interesse der Gesamtheit zusammen, jede Anregung, die gebracht wird, kann ausgewertet werden und trägt ihre Früchte. Infolgedessen, glaube ich, besteht heute keine Notwendigkeit, an dem Zustand, wie er durch die Gesetzgebung und die Durchführungsbestimmungen geschaffen worden ist, etwas zu ändern. Ich wiederhole, Sie laufen Gefahr, hier etwas heraufzubeschwören, was Sie später vielleicht bedauern werden. Vors. Dr. Wellhausen: Herr Staatssekretär, Ihre temperamentvollen Ausführungen als Vertreter der Länder werden wir sicher noch miteinander besprechen müssen; aber es ist sehr gut, daß Sie sich schon in diesem Stadium zur Verfügung gestellt haben, um die Dinge hinsichtlich des Antrags, den wir zu beraten haben, zu klären. Staatssekretär Dr. Ringelmann: Als ich mich den übrigen Herren Sachverständigen vorgestellt habe, habe ich gesagt: Sie werden natürlich für die Bundesfinanzverwaltung eintreten, worauf ein Herr gesagt hat: ich weiß nicht, wer heute überhaupt noch eine Landesfinanzverwaltung verteidigen kann. Nun, ich bin einer dieser seltsamen Vögel. Stadtrat a. D. Kaiser: Darf ich mit einer Vorbemerkung beginnen. Ich weiß nicht, ob der Zeitpunkt für eine Änderung des Grundgesetzes wirklich schon gekommen ist. Das Grundgesetz und die Arbeit auf Grund des Grundgesetzes läuft jetzt etwa zwei Jahre. Das ist eine Zeit des Überganges, in der nicht nur hier, sondern an allen möglichen Stellen Schwierigkeiten aufgetreten sind und auftreten, was in der Natur der Sache liegt. Es müßten schon ganz grobe Mängel hervorgetreten sein, um nach einer so kurzen Zeitspanne an eine Änderung des Grundgesetzes zu denken, das zudem von vornherein ja nur einen vorläufigen Charakter hat und demnächst doch einmal in eine endgültige Form umgewandelt werden muß. Nun zur Sache. Der Änderungsantrag hat — vielleicht unbeabsichtigt, aber doch offenbar — tatsächlich eine politische Seite. Der seitherige Aufbau der Steuerverwaltung in Bund und Ländern ist ein Kompromiß zwischen föderativen und zentralistischen oder unionistischen Bestrebungen in der Gestaltung des Bundes überhaupt, und da der föderalistische Gedanke nicht bis zu der unteren Stufe durchgedrungen ist — bis zu den Gemeinden oder mindestens Gemeindeverbänden — und ich auch nicht annehme, daß Neigung besteht, ihn etwa so weit vorzutreiben, so betrifft die Frage, die durch diesen Änderungsantrag aufgeworfen worden ist, eigentlich nur das Verhältnis Bund und Länder. Insofern fühle ich mich nicht beauftragt, zu sprechen, weil ich annehme, daß Sie meine Ansicht vom Standpunkt der Gemeindeverwaltung aus hören wollen. In sachlicher Hinsicht könnte es scheinen, daß die Gemeinden an diesem Änderungsantrag uninteressiert seien. Bisher war nach Art. 108 Abs. 3 die Sache so, daß die Verwaltung der den Gemeinden zufließenden Steuern durch die Länder ganz oder zum Teil den Gemeinden übertragen werden konnte. Nach dem Änderungsantrag, der in seinem Abs. 2 diese Frage behandelt, könnte man annehmen, daß nur beabsichtigt ist, die Fassung dieses Abschnitts entsprechend den Änderungen des Abs. 1 vorzunehmen und im übrigen alles beim alten zu lassen. Nun sind in Wirklichkeit aber die Gemeinden an der rechtlichen und tatsächlichen Gestaltung des Verhältnisses ihrer eigenen Steuerverwaltung stark interessiert. Es ist zu fragen, was die Antragsteller mit dem Abs. 2 des Antrags beabsichtigen. Es gibt meiner Ansicht nach nur zwei Möglichkeiten. Die erste ist, daß die Antragsteller es beim bisherigen tatsächlichen Zustand belassen wollen, also nur Anpassung des bisherigen Abs. 3 an die Verlagerung der Zuständigkeit in Abs. 1. Jetzt können die Länder die Verwaltung der Realsteuern — um diese handelt es sich ja in der Hauptsache — den Gemeinden überlassen, und tatsächlich ist — soweit ich sehen kann, in allen Ländern, mindestens in den meisten Ländern — den Gemeinden die Erhebung der Gewerbesteuer — die Grundsteuer ist nicht an die Finanzämter übergegangen — zurückübertragen, nicht aber die Veranlagung. Die Gemeinden hatten einige Jahre lang die Veranlagung und Erhebung der Gewerbesteuer auf Grund der Vereinfachungsverordnung abtreten müssen, und die Rücküber- (Sachverständiger Kaiser) tragung stellt also wenigstens zum Teil den alten Zustand wieder her. Nun, meine Herren, wenn die Absicht der Antragsteller also nichts anderes ist als die Angleichung der bisherigen Bestimmung an die beantragten grundsätzlichen neuen Verhältnisse, dann kann man fragen, warum wird sie dann nicht gleich zum Ausdruck gebracht? Jetzt ist der umständliche Weg gewählt, daß zunächst nach Abs. 1 die Verwaltung dieser Gemeindesteuern — ich darf mich kurz ausdrücken, Sie wissen ja alle, was gemeint ist — von den Bundesfinanzbehörden wahrgenommen wird; und dann müßte, wenn der alte Zustand aufrechterhalten werden sollte, gleichzeitig auch nach Abs. 2 ein Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates beschlossen werden, wonach die Verwaltung dieser Gemeindesteuern den Gemeinden wieder übertragen wird. Wenn man also diese Absicht hat, wäre es ja viel einfacher, die Bestimmung gleich so zu fassen, daß im Abs. 1 gesagt würde: Zölle, Finanzmonopole und die auf Bundesgesetzen beruhenden Steuern mit Ausnahme der Realsteuern und anderer den Gemeinden und Gemeindeverbänden zufließenden Steuern werden durch Bundesfinanzbehörden verwaltet. Das weitere im Abs. 1 könnte unverändert bleiben. Nun käme die Frage, die ja vorhin auch in dem ersten Gutachten schon angeklungen ist, daß es Gemeinden gäbe, die ihre Steuerverwaltung den Bundesfinanzbehörden übertragen sehen möchten. Ich glaube, daß es Gemeinden dieser Art gibt. Dann könnte man die Bestimmung des Abs. 2 analog der für die Länderverwaltungen folgendermaßen fassen: Die Gemeinden können die Verwaltung der auf Bundesgesetz beruhenden und ihnen zufließenden Steuern durch Vereinbarung mit den Bundesfinanzbehörden diesen gegen angemessene Vergütung — mit Zustimmung der zuständigen Landesregierung — übertragen. Die folgenden Absätze könnten unverändert bleiben. Dann gäbe es in der Beziehung gleich klare Verhältnisse, und der umständliche Weg, wie ich eben sagte, würde vermieden. Das ist ein Anliegen der Gemeinden, was natürlich auch schon den heutigen Zustand betrifft; aber ich glaube nicht, daß die Gemeinden, wenn nicht eine Änderung des Grundgesetzes überhaupt in Frage kommt, es z. Z. verfolgen würden. Die andere Möglichkeit wäre die, daß in der Tat die Antragsteller die Verwaltung der Realsteuern den Bundesfinanzbehörden übertragen wissen wollen. Wenn das die Absicht sein sollte, dann müßte ich allerdings schwerste Bedenken dagegen äußern. Zunächst möchte ich darauf hinweisen, daß der allgemeine Gedanke der Selbstverwaltung und ihre Gewährleistung in Art. 28 Abs. 2 ausgesprochen ist. Es kann nach meiner Ansicht keinem Zweifel unterliegen, daß zu der Selbstverwaltung auch die Verwaltung der Steuern — selbstverständlich im Rahmen der Gesetze — gehört. Die Realsteuern bilden einen wesentlichen Teil der Steuereinnahmen der Gemeinden und der Einnahmen überhaupt, und man kann doch bestimmt nicht behaupten, daß in der dann nur noch übrigbleibenden Befugnis der Gemeinden, alljährlich den Hebesatz festzustellen, noch der Rest einer Selbstverwaltung zu sehen ist! Ich möchte weiter darauf hinweisen, daß die Stärke der örtlichen Selbstverwaltung in ihrer Verbindung mit der gesamten Lage einer derartigen örtlichen Gemeinschaft besteht. Die Verwaltung der Realsteuern gibt der örtlichen Verwaltung einen Einblick in die Struktur der örtlichen Wirtschaft und, was beinahe ebenso wichtig ist, in die Wandlungen der örtlichen Wirtschaft. Es gibt keine Methode, die diese Einsichtmöglichkeit ersetzen könnte, wenn die Verwaltung dieser wirtschaftlich bedeutsamen Steuern nicht mehr in der Hand der Gemeinden läge. Diese Feststellungen werden auch durch die Erfahrung gestützt, und zwar durch die Erfahrung, die wir verschiedentlich im Laufe der Jahre, insbesondere in den letzten Jahren gemacht haben. Ich sagte Ihnen schon, daß die Gewerbesteuer 1943 auf Grund der Kriegsvereinfachungsverordnungen den Finanzämtern übertragen wurde. Die Erfahrungen, die die Gemeinden mit dieser Art der Verwaltung gemacht haben, waren denkbar schlecht. Ich mache den Finanzämtern daraus keinen Vorwurf. Man muß bedenken, daß sie schlecht besetzt waren und eine Unmenge von anderen Arbeiten, die nicht unmittelbar mit der Finanzverwaltung zusammenhingen, zu erledigen hatten. Es ist natürlich, daß in einem solchen Fall die Arbeitszeit, die nun überhaupt auf dieses Arbeitsgebiet verwandt werden konnte, in erster Linie der Förderung der Arbeiten an eigenen Steuern gedient hat und weniger an denen, die sie für fremde Gläubiger erledigen mußten. Das ist menschlich und ist institutionsmäßig zu verstehen. Dagegen soll also nichts gesagt werden, es handelt sich um die Feststellung einer Tatsache. Wie sehr die Verwaltung der Gewerbesteuer bei den Finanzämtern rückständig war — in manchen Fällen kann ich aus eigener Erfahrung sogar sagen, in Unordnung war —, zeigte sich bei der Rückübertragung der Gewerbesteuererhebung auf die Gemeinden. Die Gemeinden, die natürlich ein erhebliches Interesse an dem rechtzeitigen und vollständigen Eingang der Steuern hatten, stellten sich mit mehr oder weniger Eifer auf die Arbeit ein, und es ist kein Geheimnis, daß der vielbesprochene Gewerbeboom der Gemeinden zum Teil auf diese Wiedereinschaltung der Gemeinden zurückzuführen ist, indem nämlich die nachgeholten Arbeiten bewirkten, daß die Kasseneinnahmen nicht, wie Sie auch wissen, dem tatsächlichen jährlichen Gewerbesteuer-Soll entsprachen. — Das sind die Bedenken, die sich von der grundsätzlichen Seite her ergeben und die durch die Erfahrung gestützt werden. Nun ist mir die Niederschrift über die erste Lesung des Änderungsgesetzes im Bundestag zugänglich gemacht worden. Ich entnehme daraus, daß die Behauptung eine große Rolle gespielt hat, daß die Landesfinanzbehörden durch ungleichmäßige Handhabung der Gesetze und der Durchführungsvorschriften für den Bund Steuerausfälle in erheblichem Umfang herbeigeführt hätten. Es wird da von einer Milliarde gesprochen und gewünscht, daß diese Behauptung zahlenmäßig nachgeprüft wird. Ich weiß nicht, ob seit dieser ersten Lesung positives Zahlenmaterial zur Stütze einer solchen Behauptung beigebracht worden ist und ob etwa, wenn solche Ausfälle da sind, sie auf die eben schon von mir erwähnten besonderen Umstände zurückzuführen sind oder ob da wirklich ein organisatorischer Mangel vorliegt. Im Kreise der gemeindlichen Steuerverwaltung werden ähnliche Behauptungen aufgestellt. Ein Kämmerer einer Großstadt hat mir dazu folgendes gesagt: In dieser Stadt sind nach einigermaßen gründlichen Schätzungen in den Nachkriegsjahren rund 500 Millionen DM Fremdkapital im Wieder- Sachverständiger Kaiser) aufbau investiert; diese halbe Milliarde müßte sich doch in den Steuererklärungen zur Gewerbesteuer auswirken, weil sie ja jedenfalls zum allergrößten Teil durch Hinzurechnung zu den Körperschaft- und Einkommensteuermeßbeträgen ausgedrückt werde. Er sagte weiter, es ist aber erschreckend, in welch geringem Maße das tatsächlich der Fall ist. Das kann doch nur den einzigen Grund haben, daß die Übernahme der Hinzurechnungsbeträge aus den finanzamtlichen Veranlagungsverfahren in der Gewerbesteuerfestsetzung höchst mangelhaft erfolgt ist. Ich kann die Richtigkeit nicht nachprüfen; ich wollte Ihnen aber doch sagen, daß die Möglichkeit bei den Gemeinden besteht, sich über diese Dinge ein Urteil zu bilden. Also auch von dieser Seite kommen Beanstandungen, ich will nicht gerade sagen, Mißtrauen, aber gewisse Regungen eines Mißtrauens, die vielleicht institutionsmäßig immer vorhanden sein müssen. Etwas Humor liegt darin, daß in diesem Fall nun diese Regung von Mißtrauen — oder wie Sie es nennen wollen — einmal von unten und einmal von oben kommt; und wenn Sie etwa zu dem Ergebnis kämen, daß Sie eine zentrale Bundessteuerverwaltung für alle diese Steuern einführen würden, dann würden Sie sicher erleben, daß sich dieses originäre Mißtrauen von der untersten und mittleren Stufe zu einem Strom entwickelt, der dann auch noch gegen alle Naturgesetze bergauf liefe. Aber der Bund könnte sich einem solchen „Mißtrauen" gegenüber gar nicht einmal wehren; denn er selber ist j a gewissermaßen von einem solchen Mißtrauen beseelt, falls andere für ihn die Steuern erheben. Sie brauchen nur Abs. 4 des Art. 108 nachzulesen, wonach der Bundesfinanzminister Bundesbevollmächtigte zur Überwachung der ordnungsmäßigen Verwaltung der dem Bund zufließenden Steuern bestellen kann. Die oberste Instanz also hat die Möglichkeit, gegenüber den unteren Mißtrauen zu haben, und Sie werden deshalb den demnächst unselbständig gemachten Steuergläubigern sicher nicht verargen können, wenn sie auch ein solches Mißtrauen in sich aufkeimen fühlen. Wenn Sie also zu dem Ergebnis kämen, die Steuerverwaltung bis zu diesen Gemeindesteuern herab einer Bundesfinanzverwaltung zu übertragen, dann müßten Sie vom Standpunkt der Gemeinden aus die Mitwirkung gemeindlicher Organe bei der Steuerverwaltung — d. h. also Veranlagung, Erhebung, Stundungen usw. — absolut sicherstellen. Sie dürfen nicht darauf hinweisen, daß jetzt die Gemeinden berechtigt sind, in den Steuerausschüssen mitzuwirken. In Wirklichkeit ist das eine Sache, die auf dem Papier steht. Eine wirkliche autoritative Mitwirkung muß sichergestellt sein, ähnlich wie jetzt der Bundesfinanzminister sogar die Möglichkeit des Weisungsrechts gegenüber den Unter- und Mittelbehörden hat. Ein Weisungsrecht ist natürlich in diesem Fall nicht gegeben; aber was würden Sie dazu denken, wenn man hier eine Institution einführte, die in manchen Fällen schon vorhanden ist, nämlich die Bestellung eines Vertreters der Interessen des jeweiligen Steuergläubigers. Einen solchen Fall haben wir beispielsweise bei der an sich nicht sehr bedeutenden Schankkonzessionserlaubnissteuer. Aber Sie erinnern sich sicher auch alle noch des Vertreters des Reichsinteresses bei der Feststellung der Kriegsschäden. Da haben wir also eine solche Einrichtung gehabt. Jedenfalls müßte ein solcher Vertreter des Interesses des Steuergläubigers die Möglichkeit haben, bei der gesamten Veranlagung, Erhebung, Stundung, Steuererlaß usw. verantwortlich mitzuwirken. Mit einem Wort darf ich vielleicht noch auf den Einwurf eingehen, der der gesonderten gemeindlichen Steuerverwaltung gegenüber häufig gemacht wird, daß auf diese Weise der Steuerschuldner statt mit einer mit zwei Behörden zu tun hat. Ich glaube, daß die Schwierigkeit dabei etwas übertrieben wird; denn auch bei der einheitlichen Steuerbehörde müssen für die Gewerbesteuern ja die entsprechenden Zu- und Abschreibungen gemacht werden, und es kann nicht viel bedeuten, wenn — da der Ausgangspunkt immer die Feststellung des Steuermeßbetrags für die Einkommen- und Körperschaftsteuer bei den Finanzämtern ist — diese verhältnismäßig geringe zusätzliche Arbeit getragen wird. Weiter wird gesagt, eine gesonderte gemeindliche Steuerverwaltung bedeute eine Verteuerung. Den Beweis dafür sind die Aufsteller dieser Behauptung bisher immer schuldig geblieben, und ich bezweifle auch, daß sie jemals den Beweis wirklich werden erbringen können. Aber selbst wenn das anders wäre, es kommt hier doch nicht darauf an, à tout prix eine Verwaltung zu verbilligen und zu vereinfachen, sondern es kommt darauf an, die Steuerbeträge gerecht und ordentlich und pünktlich einzuziehen. Wenn Sie sich überlegen, wie es meinetwegen in der Privatwirtschaft sein würde: ein Kaufmann, bei dem die Kunden in langen Schlangen warten müssen, bis eine Verkäuferin frei ist, wird doch zwei oder drei oder vier einstellen müssen und erwarten, daß der dabei herauskommende vermehrte Umsatz die vermehrten Kosten aufwiegt. Zunächst ist also der Beweis nicht erbracht, und wäre er es. so wäre der Einwand nach meiner Auffassung nicht durchschlagend. Ich fasse das Wesentliche vom Standpunkt der Gemeinden aus zusammen. Nach meiner Auffassung ist für das Gesetz vorzusehen: erstens, daß die den Gemeinden zufließenden und auf Bundesgesetz beruhenden Steuern von ihnen selbständig verwaltet, d. h. veranlagt und erhoben werden; und zweitens, wenn Sie sich dazu nicht entschließen könnten, daß dann — einerlei, ob es bei der bisherigen Regelung verbleibt oder ob eine Bundessteuerverwaltung für alle diese Steuern eingerichtet wird — die Mitwirkung der unselbständig gemachten Steuergläubiger bei der Veranlagung und Erhebung der ihnen zufließenden Steuern ausreichend und wirksam sichergestellt wird. Abg. Dr. Kneipp (FDP): Aber die Meßbeträge sollen doch wohl von den Finanzämtern festgestellt werden? Stadtrat a. D. Kaiser: Der Meßbetrag der Gewerbesteuer ist durch die Hinzurechnungen und Abrechnungen ein anderer als der Meßbetrag der Einkommensteuer. Abg. Dr. Kneipp (FDP): Bei der Grundsteuer nicht! Stadtrat a. D. Kaiser: Bei der Grundsteuer nicht. Da gibt es keine Schwierigkeiten. Es handelt sich um die Gewerbesteuer, bei der die Ab- und Zurechnungen kommen; und bei der Ab- und Zurechnung müßten nach meiner Auffassung die Gemeinden autoritativ beteiligt sein. Vors. Dr. Wellhausen: Ich danke Ihnen für Ihre Ausführungen und begrüße es lebhaft, daß Sie vom Standpunkt der Gemeinden aus zur Klärung hin- (Vors. Dr. Wellhausen) 1 sichtlich des Antrags, den wir zu beraten haben, beigetragen haben. Abg. Dr. Dresbach (CDU): Sie sprachen eben von der Differenz zwischen Gewerbeertragsteuer und Einkommenertragsteuer. Wir können aber doch wohl feststellen, daß sich die Berechnungsart immer mehr angeglichen hat. Ich erinnere daran, Herr Koch, wie wir seinerzeit bei der Gewerbeertragsteuer die Spenden für wissenschaftliche Zwecke absatzfähig gemacht haben, und wir haben es getan in dem Bewußtsein, wir nähern uns damit der Personalsteuer. Ich glaube, Herr Kaiser, wenn Sie zurückdenken — und Sie können auf eine beträchtlich größere Spanne zurückdenken als beispielsweise ich —, werden Sie mir recht geben, es hat sich hier manches angeglichen. Ich glaube, wenn ich von meinem bisherigen Standort mehr die Lage der Landgemeinden und der kreisangehörigen Städte übersehe, kann ich feststellen, daß da nicht das Verlangen da ist, eine Steuerverwaltung in dem Sinne zu bekommen, daß sie die Gewerbesteuer selber zu veranlagen haben. Sie setzen wohl nach wie vor den Hebesatz fest und haben dann auch alles, was mit Erlaß, Billigkeit, Niederschlagung, Stundung usw. zusammenhängt, zu handhaben; aber die meisten Landgemeinden — das glaube ich auch von den meisten kreisangehörigen Städten sagen zu können — möchten den Zustand nicht wieder haben und können ihn nicht ertragen. Ich glaube, Herr Kaiser, was Sie ausgeführt haben, ist doch im wesentlichen nur auf die Stadtkreise mit ihrer entsprechenden Verwaltungsapparatur zugemünzt. Stadtrat a. D. Kaiser: Sie haben recht, meine Erfahrungen liegen auf dem Gebiet der Städte, aber nicht nur der kreisfreien, sondern auch der größeren kreisangehörigen Städte, mit denen ich seit Jahrzehnten zusammen in den Ausschüssen arbeite. Von diesen Städten ist meines Wissens keine, die die Verwaltung der Gewerbesteuer missen möchte. Abg. Dr. Dresbach (CDU): Nicht im Sinne der Steuerhoheit, sondern der Verwaltung! Stadtrat a. D. Kaiser: Ja, der Verwaltung; die möchten sie alle wiederhaben. Ich gebe aber zu, daß bei kleinen Gemeinden und vielleicht auch bei kleineren Städten der Wunsch auf Verwaltung durch die Finanzämter besteht. Daher mein Vorschlag, zu sagen, die Gemeinden können sie durch Vereinbarung übertragen, wobei für die Vereinbarung gewisse Richtlinien aufgestellt und meiner Ansicht nach eine Vergütung an die Finanzbehörden gegeben werden müssen. Ohne Vergütung kann man das den Bundesfinanzbehörden nicht zumuten. Dieser Fall ist also von mir durchaus bedacht worden. Dr. Bräuer: Eine Prüfung der Frage, ob eine einheitliche Bundesfinanzverwaltung richtig ist oder ob eine Aufteilung der Finanzverwaltung zwischen Bund und Ländern für gewisse Steuern stattfinden soll, kann nicht isoliert vorgenommen werden. Man muß die Dinge im Zusammenhang sehen und den Blick aufs Ganze richten, um die letzten und tiefsten Gründe für eine richtige Lösung, für ein zweckentsprechendes Handeln aufzufinden. Die Deutsche Bundesrepublik steht heute vor gewaltigen Aufgaben, deren Bewältigung die Zusammenfassung aller Kräfte zur höchsten Wirksamkeit erfordert. Zwei verlorene Kriege, die größten Katastrophen in der Geschichte der abendländischen Völker, haben eine totale Umformung unserer sozialen Struktur, eine Umwertung aller Werte, eine völlige Wandlung im Zusammenleben der Menschen herbeigeführt. Der Verlauf dieser beiden Kriege bewirkte eine ungeheure Zerstörung materieller und geistiger Werte, eine weitgehende Vernichtung des zur Erzeugung und Verteilung von Gütern erforderlichen Kapitals, einen vorher nie gekannten Bedarf an öffentlichen Mitteln, die im modernen Steuerstaat fast ausschließlich auf dem Wege des zwangsweisen Eingriffs der offentlichen Gewalt in Einkommen und Vermögen gewonnen werden müssen. Diesen Tatsachen müssen wir Rechnung tragen, um den Standort zu erkennen, von dem aus man zu den hier in Frage stehenden Problemen Stellung zu nehmen hat. Ein ungeheurer Steuerdruck lastet heute auf allen Schichten und Gruppen des deutschen Volkes. Es ist ein schlechter Trost, daß das eine internationale Erscheinung ist; wir wissen jedenfalls, daß wir trotz aller Versuche gewisser ausländischer Kreise, die Geister zu verwirren, doch heute das höchstbesteuerte Land der Erde sind. In dieser Not eines geradezu lähmenden Steuerdrucks ist der ständige Ruf nach einer grundlegenden Reform unserer Steuerverfassung begreiflich und sehr ernst zu nehmen. Wer tiefer blickt, muß aber erkennen, daß auch eine organische Reform unserer Steuerverfassung nicht mehr ausreichend sein kann. Was uns not tut, ist eine gründliche Reform unserer gesamten Finanz- und Steuerverfassung, zu der da und dort schon wertvolle Anhaltspunkte gefunden worden sind. Die Voraussetzung für eine sinnvolle Neuordnung unseres Steuerwesens ist eine tiefgreifende Umgestaltung unserer Finanzverfassung und Finanzverwaltung und, wo es not tut, auch eine Änderung des Grundgesetzes, das sich ja selbst als eine vorläufige Verfassung bezeichnet. Die in dem Antrag der Deutschen Volkspartei hervortretende Bestrebung, anstelle der im Grundgesetz anerkannten Aufteilung der Finanzverwaltung zwischen Bund und Ländern eine einheitliche Bundesfinanzverwaltung für alle durch Bundesgesetz geregelten Steuern eintreten zu lassen, ist nur ein Ausschnitt aus diesem Gesamtbild. Aber es ist ein Ausschnitt von größter Tragweite, von entscheidender Bedeutung, weil das gestellte Problem eine Art Schlüsselstellung gegenüber allen übrigen Problemen unserer öffentlichen Finanzwirtschaft einnimmt. Anstelle der bestehenden Zweigleisigkeit soll im Bereich der Bundessteuergesetzgebung eine Eingleisigkeit eintreten und ein Zustand wiederhergestellt werden, den wir zur Zeit der Weimarer Verfassung schon einmal besessen haben. Auch in finanzpolitischen Dingen ist die Geschichte der große Lehrmeister, an dem niemand ungestraft vorbeigehen kann. Erst eine geschichtliche Betrachtung läßt erkennen, welche Wege bisher schon gegangen waren, welche Umwege eingeschlagen wurden, welche Irrwege zurückgelegt werden mußten, um zum richtigen Ziele zu gelangen. Auch der Irrtum wird zur Quelle der Erkenntnis. Es ist für die Beurteilung unseres Problems deshalb von besonderer Wichtigkeit, uns die Erfahrungen nutzbar zu machen, die schon in der Vergangenheit mit der Ausgestaltung einer zentralen Reichsfinanzverwaltung gewonnen worden sind. Auf der anderen Seite verfügen wir in der unmittelbaren Gegenwart über eine Fülle von Erfahrungen, die man mit einer andersartigen Lösung des Problems gemacht hat, und es ist nun von ent- (Sachverständiger Dr. Bräuer) scheidender Bedeutung, diese Erfahrungen von einst und jetzt in unbefangener Weise einander gegenüberzustellen und kritisch auszuwerten. Um das Ergebnis meiner Untersuchungen vorwegzunehmen: Die Lösung, die man bei der Verabschiedung des Grundgesetzes in Artikel 108 gefunden hat, hat sich als ein verhängnisvoller Irrweg herausgestellt. Wir wissen heute alle, daß im Parlamentarischen Rat die Würfel gefallen waren zugunsten einer einheitlichen Bundesfinanzverwaltung, daß aber das Veto der Besatzungsmächte wie in so vielen anderen Fällen auch hier einen kerngesunden Plan zunichte machte und daß man zu dieser Notlösung des Art. 108 seine Zuflucht nehmen mußte, um das Grundgesetz überhaupt zu retten. Im Grunde genommen befinden wir uns in einer ganz ähnlichen Situation, wie sie nach der Beendigung des ersten Weltkrieges vorgelegen hatte: Auch heute stehen wir wieder unter dem unerbittlichen Zwang einer gewaltigen Übersteigerung des öffentlichen Bedarfs auf der ganzen Linie. Auch heute wieder ist die Finanzdecke, die alle öffentlichen Gemeinwesen, den Bund, die Länder, die Gemeinden, die Gemeindeverbände decken soll, viel zu kurz. Auch heute wieder zerren Gewalten von unterschiedlicher politischer Stärke an dieser Decke hin und her. Jahr für Jahr erleben wir das förmliche Tauziehen und den horizontalen und vertikalen Finanzausgleich, zu dem neuerdings das Feilschen um die Quote der Beteiligung des Bundes an dem Aufkommen von Einkommen- und Körperschaftsteuer getreten ist. Vieles von dem, was wir auf diesem Gebiete erleben, könnte uns wahrlich erspart werden, aber die Wurzeln liegen hier sehr tief, sie liegen in der Gestaltung unseres Grundgesetzes. Eines steht im Streit der wogenden Meinungen unverrückbar fest: Der Bedarf unserer öffentlichen Finanzwirtschaften ist längst hinausgewachsen über unsere Steuerkraft, und er hat leider noch die Tendenz, dauernd zu steigen. Auch heute bleibt uns nichts mehr übrig, als unter dem unerbittlichen Zwang eines übersteigerten Finanzbedarfs alle verfügbaren Steuerquellen restlos auszuschöpfen, und damit stehen wir mitten in dem uns beschäftigenden Problem. Wer da glaubt, daß auf anderem Wege als durch eine straffe Zusammenfassung der Finanzverwaltung an der Spitze eine gründliche Ausschöpfung der wichtigsten Steuerquellen noch möglich ist, der sieht an dem Schwerpunkt aller finanzwirtschaftlichen Probleme vorbei. Was anders hat damals Erzberger veranlaßt zu der folgenschweren Übertragung der Finanz- und Steuerhoheit auf das Reich und zur zentralen Verwaltung der gesamten Reichssteuern als der unmittelbare Zwang? Man hat sich diese Entscheidung auch damals gewiß nicht leicht gemacht: die vorher souveränen Einzelstaaten haben sich den Entschluß nur nach schwersten Kämpfen abringen lassen, aber die Erkenntnis siegte damals einfach deshalb, weil einem die Not auf den Nägeln brannte. Auch heute stehen wir im Grunde genommen in der gleichen Not- und Zwangslage, die entschiedenes Handeln von uns verlangt. Ich werde noch in anderem Zusammenhang davon zu sprechen haben, aus welchen Gründen trotz der uns aufgezwungenen, nicht auf deutschem Boden gewachsenen Notlösung des Art. 108 GG es möglich geworden ist, in der Gegenwart das Schifflein unserer öffentlichen Finanzwirtschaft durch die Klippen hindurchzusteuern. Mit der Behauptung, daß eine Zentralisierung der Finanzverwaltung in den Händen des Bundes eine unabdingbare Notwendigkeit sei, ist es allein nicht getan. Eine solche Behauptung bedarf eingehender Begründung, einer tiefgreifenden, in geschichtlichen Betrachtungen und Gegenwartsbeobachtungen wurzelnden Erkenntnis. Ich komme aus Gründen, die ich nun belegen will, zu einer unbedingten Ablehnung des bestehenden Zustandes einer Zweigleisigkeit auf dem Gebiete der Verwaltung von bundesgesetzlich geregelten Steuern und beginne mit 1. dem Grundsatz der Gerechtigkeit und der gleichmäßigen Verteilung der Gesamt-Steuerlast. Es ist ein unglücklicher Gedanke, die sogenannte Ertragshoheit verkoppeln zu wollen mit der Verwaltungshoheit. Die Ertragshoheit ist der Rechtsanspruch eines Staates auf den Ertrag oder gewisse Teile des Ertrages einer Steuer, die Verwaltungshoheit ist das Recht, alle mit der Veranlagung und Erhebung einer Steuer erforderlich erscheinenden Anordnungen zu treffen. Von einer solchen oft geforderten Verkoppelung muß man sich im modernen Staat einfach lösen. Schon bei der Miquelschen Steuerreform hat sich der Gedanke bewährt, die Realsteuern als Staatssteuern weiterzubilden, ihren Ertrag jedoch den Gemeinden zu überweisen. Es ist nicht nur erlaubt, sondern unter Umständen geradezu sinnvoll, die Gesetzgebung über bestimmte Steuern dem Bund zu übertragen, die Steuereingänge aber ganz oder zum Teil den Ländern oder Gemeinden zur Verfügung zu stellen. Eines hat sich aber bestimmt nicht bewährt: Veranlagung und Erhebung gerade der wichtigsten, ertragreichsten und innerlich zusammengehörenden Steuerformen, der Einkommensteuer, der Körperschaftsteuer und der Umsatzsteuer, teils durch den Bund, teils durch die Länder vornehmen zu lassen. Schon das Gefühl sagt, daß hier etwas nicht stimmen kann, und bei allen Einsichtigen und wirklich Sachkundigen dürfte kein Zweifel darüber bestehen, daß bei diesem Verfahren der oberste Grundsatz der Steuerpolitik, die Lasten gleichmäßig und daher gerecht zu verteilen, aufs gröblichste verletzt wird. Man kann hier nicht Länderinteressen den Vorrang geben vor dem unabdingbaren Anspruch des Steuerpflichtigen, Steuern nur bei gerechter Verteilung der gesamten Steuerlast zu tragen. Die fortschreitende Neigung zur Omnipotenz des Staates, zur Staatsallmacht, hat den Steuerpflichtigen immer mehr in die Lage des Wehrlosen gedrängt. Aber man wolle ja nicht übersehen, welche großen Gefahren für die Aufrechterhaltung von Staat und Gesellschaft, für die Wahrung des sozialen Friedens damit heraufbeschworen werden. Das Prinzip einer gerechten Verteilung der steuerlichen Gesamtbelastung ist so leicht ausgesprochen und so schwer zu verwirklichen. Hier aber, wo die Dinge geradezu handgreiflich sind, wo jeder Unbefangene empfinden muß, daß bei der vorhandenen Rechtslage eine gerechte Verteilung einfach unmöglich ist, darf man nicht länger zögern, die Uhr richtig zu stellen. Heute ist es schon dem einfachen Mann klar, daß Steuerpflichtige gleicher Art und gleicher Leistungskraft in den verschiedenen Ländern mit verschiedenen Maßstäben gemessen werden. Man sollte darüber nicht (Sachverständiger Dr. Bräuer) die einzelnen handelnden Menschen immer schelten, die Länderfinanzminister, die Oberfinanzpräsidenten, die Beschäftigten des Finanzamtes, sondern hier den Fehler im System erkennen. Wenn eine einzige von der Bundesgesetzgebung geschaffene Rechtsnorm in 12 verschiedenen Ländern interpretiert werden soll, dann gibt es eben 12 Möglichkeiten der Auslegung; je nach der Finanz- und Steuerkraft eines Landes, nach der Sozialstruktur, aber auch nach egozentrischen Länderinteressen werden die Maßstäbe verschieden ausfallen. Das ist menschlich begreiflich, damit müssen wir immer rechnen. Wenn wir aber diese zum Teil geradezu untragbar gewordenen Mißstände ausräumen wollen, dann müssen wir an die Wurzel der Dinge herankommen, und das ist der verhängnisvolle Dualismus zwischen Bund und Ländern, oder, genauer gesagt, zwischen Bundesgesetzgebung und Landesverwaltung bestimmter Steuern. Auch in ausländischen Staaten hat man erkannt, daß mit der Unifizierung von Steuerformen noch nichts erreicht ist, dazu gehört eben auch die Einheitlichkeit der Verwaltung, ohne die die Maßstäbe einer gerechten und gleichmäßigen Verteilung der Gesamt-Steuerlast nicht angewendet werden können. Ich habe gerade davon gesprochen, daß auch der einfache Mann dafür eine sehr feine Witterung hat. Man braucht sich nur einmal umzusehen in den Grenzgebieten zweier benachbarter Länder der Bundesrepublik. Diesseits der Grenze vielleicht ein sehr hartes Zugreifen, eine strenge Auslegung der Gesetze und Verordnungen hinsichtlich der Bewertung, der Gewinnermittlung, der steuerschädlichen oder steuerunschädlichen Vorgänge, aller Ermessensfragen, der Stundungs- und Erlaßanträge, wahrend wenige Kilometer entfernt im Nachbargebiet eine sehr milde Observanz herrscht. Aufs Große gesehen sind diese Unterschiede sehr beträchtlich, je nachdem, ob es sich um steuerstarke oder steuerschwache Länder handelt, wie diese Länder im Finanzausgleich dastehen, von welchen Intentionen der Landesfinanzminister oder der zuständige Oberfinanzpräsident sich leiten läßt. Man vergesse ja nicht die sogenannten Imponderabilien, die im Leben doch oft ein sehr starkes Gewicht haben. Es ist — wie ein sehr zuständiger Sachverständiger (Dr. Eckhardt) erkannte — nicht ohne Bedeutung, ob der zuständige Finanzminister seines Zeichens Rechtsanwalt, Landwirt, Wirtschaftsführer oder Flüchtling ist: alle diese scheinbaren Unwägbarkeiten haben für wichtige Entscheidungen oft ein starkes Gewicht. Von Land zu Land schwanken jedenfalls die Maßstäbe der Bewertung, der Feststellung des Anlagevermögens, der Lebensdauer von Maschinen und Geräten und damit der Höhe der Abschreibungen. Wie schwerwiegend kann die Entscheidung sein, ob hohe Aufwendungen des Steuerpflichtigen z. B. für Enttrümmerungskosten bei Betriebsgrundstücken als Betriebsausgabe anerkannt werden oder als Herstellungskosten aktiviert und daher versteuert werden müssen. Wie bedeutungsvoll ist es, wenn das eine Land, vielleicht aus wohlerwogenen Gründen, große Konzessionen in Sonderabschreibungen macht, während das Nachbarland zu derartigen Maßnahmen gar nicht zu bewegen ist. Man vergesse auch ja nicht dabei, in welche Situation man unter Umständen den Oberfinanzpräsidenten bringt, der ja bekanntlich auf der einen Seite Bundesbeamter, auf der anderen Seite Landesbeamter ist, wenn, wie in einem mir bekannten Beispiel, bei der Umsatzsteuer die Frage der Steuerschädlichkeit oder Steuerunschädlichkeit entschieden werden muß und eine Umsatzsteuer von rund einer Viertelmillion DM in Frage steht. Dann muß man sich einmal in die Seele des Oberfinanzpräsidenten hineindenken: Konzediert er die Steuerschädlichkeit zugunsten des Bundes, so fließen dem Bund 250 000 DM zu. Da Aber die Umsatzsteuer an der Einkommensteuer abgeht, hat praktisch bei einem Steuersatz von vielleicht 80 % das Land diese 200 000 DM zu tragen, die der Bund schluckt. Wie soll also der Oberfinanzpräsident entscheiden? Das sind doch Gewissenskonflikte, in die er sehr häufig kommen wird, und die man ihm wirklich ersparen sollte! 2. Das Tempo des Steuereinzugs Von erheblicher Bedeutung ist es, in welchem Tempo die Veranlagung und Erhebung einer Bundessteuer im Rahmen der Länderverwaltung erfolgt. Auch hier liegen die Verhältnisse von Land zu Land sehr verschieden, die Auffassungen schwanken hin und her. Es ist menschlich durchaus begreiflich, daß der eine Finanzminister bzw. Oberfinanzpräsident die strenge oder sogar die strengste Observanz vertritt und dafür sorgt, daß die Veranlagung und Erhebung der Steuern in seinem Bezirk mit der größten Genauigkeit und Gründlichkeit durchgeführt wird. Es ist klar, daß infolgedessen das Veranlagungsgeschäft nur in einem langsamen Tempo durchgeführt werden kann, daß somit der Zwischenraum zwischen dem Zeitpunkt der Entstehung des steuerlichen Tatbestandes und dem Erlaß des Steuerbescheides verhältnismäßig lang ist. Diese Gründlichkeit muß also mit einer erheblichen Verzögerung des Steuereinzuges bezahlt werden. Auf der anderen Seite begegnet uns wieder in einem anderen Land eine ganz andere Grundauffassung. Hier erklärt man wieder, daß der Beschleunigung in der Veranlagung und Erhebung der Steuern die allergrößte Bedeutung beizumessen ist. Aus diesem Grunde verfährt man dort großzügiger, d. h. die Veranlagung wird tunlichst beschleunigt auf Kosten der Gründlichkeit. Es ist bei einer derartigen großzügigen Behandlung des Veranlagungsgeschäftes unvermeidlich, daß in einzelnen Fällen eine erhebliche Schonung des Steuerpflichtigen, eine ungenügende Ausschöpfung der Steuerkraft stattfindet. Beide Methoden haben ihre Licht- und ihre Schattenseiten. Der Vorzug einer mehr großzügigen und beschleunigten Durchführung des Veranlagungsgeschäftes liegt darin, daß der Fiskus rascher zu seinem Gelde kommt, daß gegenüber den Vorauszahlungen die Nachzahlungen sehr rasch fällig werden. Für den Steuerpflichtigen entsteht der Vorteil, daß er ganz anders disponieren kann, daß er mit der Zustellung des Steuerbescheides auch die überzahlten Beträge rasch zurückerhält. Bei einem zu gründlichen und daher zeitraubenden Verfahren der Veranlagung und Erhebung entstehen die größten Unzuträglichkeiten: Der Fiskus muß länger auf sein Geld warten. Wenn das Veranlagungsgeschäft 11/2, 2 Jahre und vielleicht noch länger hinter der Entstehung des steuerlichen Tatbestandes herhinkt, dann ist von den Steuerpflichtigen der dem Fiskus geschuldete Betrag längst ausgegeben, d. h. investiert oder in den Konsum eingegangen. Die Folgen kennen wir alle: Weitgehende Steuerrückstände, Schwierigkeiten der Eintreibung, Härten im Beitreibungsverfahren usw. Überzahlungen des Steuerpflichtigen (Sachverständiger Dr. Bräuer) werden erst nach Jahren zurückerstattet, wenn der Steuerbescheid vorliegt. Hier ist es notwendig, die rechte Mitte zu finden, was nur bei einer einheitlichen Führung der Bundesfinanzverwaltung möglich ist. Mit einer zentralen Steuerung verschwinden mit einem Male alle die Unterschiede im Tempo der Veranlagung in 12 verschiedenen Ländern und die schweren Unzuträglichkeiten, die durch Verzögerung oder Beschleunigung von Land zu Land in der steuerlichen Belastung auftreten. 3. Die Betriebsprüfung Der im Artikel 108 verankerte Dualismus, die Zweigleisigkeit in der Verwaltung von bundesgesetzlich normierten Steuern, wirkt sich in verhängnisvoller Weise bei der Betriebsprüfung aus. An Bemühungen zu einer einheitlichen Ausrichtung der in den Ländern verschiedenartig gehandhabten Betriebsprüfungen fehlt es gewiß nicht, aber damit können die großen Unterschiede von Land zu Land nicht aus der Welt geschafft werden. Auch hier schwankt das Gesamtbild in den einzelnen Ländern aus den schon aufgezeigten Gründen. Wenn ein Finanzminister mitten aus der Wirtschaft kommt, wie das beispielsweise beim Finanzminister Zorn in Bayern der Fall war, dann kann unter Umständen die Betriebsprüfung grundlegend andere Züge annehmen als in einem anderen Land, wo der Finanzminister ein früherer Verwaltungsbeamter ist. Gerade im Gebiet der Betriebsprüfung können die durch Artikel 108 GG geschaffenen Verhältnisse geradezu untragbar werden. Das Bundesfinanzministerium hat den anerkennenswerten Versuch gemacht, wenigstens die Einheitlichkeit der Betriebsprüfung im Gesamtgebiet der Bundesrepublik durchzusetzen, und es waren in dieser Richtung schon bemerkenswerte Vorarbeiten getroffen. Schließlich scheiterte aber alles wieder an der unglücklichen Fassung des Artikels 108 GG. Wenn dort gesagt wird, daß dem Bund, falls er einen Teil der Einkommen- oder Körperschaftsteuer für sich in Anspruch nimmt, auch insoweit die Verwaltung zustehe, so ist das ein gänzlich unmöglicher Zustand. Wie soll denn das überhaupt zu realisieren sein? Angenommen, der Bund nimmt 27, 31,5 oder 40 % des Ertrags dieser Steuern in Anspruch, wie soll er denn zu 27, zu 31,5 oder zu 40 % verwalten? Praktisch sucht man sich zu helfen durch die Interpretation, daß der Bund in diesem Falle auch das Ganze verwalten könne, daß also, genauer gesagt, die Betriebsprüfung sich auf die gesamte Einkommen- und die gesamte Körperschaftsteuer erstrecken dürfe. Wenn nun der Bund so weit gehen sollte, daraufhin den Anspruch zu erheben, in irgendeinem Land die ganze Betriebsprüfung an sich zu ziehen, dann kann jeder Landesfinanzminister die Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht erheben, daß der Artikel 108 des GG verletzt worden ist. Dort heißt es ja ausdrücklich, daß der Bund insoweit, als er Anteile der Einkommensteuer und Körperschaftsteuer für sich in Anspruch nimmt, auch das Recht der Verwaltung habe. In der Tat holt ja jetzt auch das Bundesfinanzministerium aus, um die Betriebsprüfung der großen Unternehmen, namentlich der Konzernbetriebe, an sich zu ziehen. Wer den Buch- und Betriebsprüfungsdienst der früheren Reichsfinanzverwaltung in seiner Entstehung erlebte und in seinem Ablauf studieren konnte, der weiß, wie ausgezeichnet dieser Apparat einstmals funktionierte. Aber doch nur deshalb, weil im gesamten Reichsgebiet alle in die Betriebsprüfung eingeschalteten Instanzen ihre Erfahrungen austauschen konnten. Ob eine Mühle in Königsberg oder in Karlsruhe lag, ob eine Zigarettenfabrik in Hamburg, Dresden, Breslau oder Baden-Baden ihren Standort hatte, war ganz gleichgültig: die Erfahrungen flossen alle an einer Stelle zusammen und wurden im ganzen Reichsgebiet ausgetauscht, die gewonnenen Richtzahlen waren wertvolle Hilfsmittel, und im ganzen hat sich dieses Verfahren vortrefflich bewährt. Artikel 108 hat es bewirkt, daß auch diese wundervolle Einheit völlig auseinandergerissen wurde. Mühsam sucht man jetzt wieder die einheitlichen Linien aufzufinden, aber man kann diesen Artikel 108 drehen und wenden wie man will, er ist jeder sinnvollen Ausgestaltung unserer Finanzverwaltung dauernd im Wege. Wenn der Bundesfinanzminister zwecks Betriebsprüfung von Bundes wegen sich die großen Brocken heraussucht und seine Getreuen in die verschiedenen Länder entsendet, so wird man sie dort sicherlich höflich aufnehmen, aber doch stets nur als Gäste betrachten. Es ist kaum damit zu rechnen, daß man ihnen alles Material zur Verfügung stellen wird, daß man ihnen die sachliche Prüfung mit der wünschenswerten Intensität ermöglicht, die dieser Bundesbetriebsprüfung erst einen rechten Sinn verleiht. Wozu also diese Spiegelfechterei, diese Vortäuschung eines Tatbestandes, der überhaupt nicht vorhanden ist, wozu diese Versuche, auf krummen Wegen ein richtiges Ziel anzusteuern? 4. Vereinfachung des Steuerrechts Unser gesamtes Steuerrecht ist heute unübersehbar kompliziert geworden, es gleicht einem undurchdringlichen Gestrüpp, durch das selbst Sachverständige heute nicht mehr den richtigen Weg finden können. Der gesetzgeberische Wille ist vielfach vergraben, förmlich verschüttet durch die Flut von Gesetzen, Rechtsverordnungen, Ausführungsbestimmungen, Durchführungsverordnungen, Änderungsgesetzen usw. usw. Der Art. 108 hat nun bewirkt, daß diese Flut nicht nur nicht eingedämmt wurde, sondern sich zum reißenden Strom entwickelte. Hunderte und aber Hunderte von Erlassen der verschiedenen Länder hinsichtlich der Verwaltung der Einkommensteuer und Körperschaftsteuer sind in den letzten Jahren auf uns herniedergeprasselt, ganz abgesehen von den nach vielen Hunderten zählenden unveröffentlichten Erlassen der Oberfinanzdirektionen, die steuerrechtlichen Inhalt haben. Welche Rechtsunsicherheit, welche Ausuferungen auf einem praktisch so wichtigen Gebiet, das noch vor einigen Jahrzehnten lichtvoll klar gewesen ist! An Stelle einer ständigen Vertiefung erleben wir eine immer weiter um sich greifende Verflachung dieses Gebietes, und dazu haben die anordnenden Länder ein gerütteltes Maß beigetragen. Wie einfach kann das alles gestaltet werden bei einer zentral gesteuerten Finanzverwaltung, wie das auch früher schon einmal war. Diese hypertrophische Entwicklung von Gesetzgebung und Anordnungen der Verwaltung auf dem Gebiet des Steuerwesens hat alle erlaubten Grenzen überschritten. Der Bund der Steuerzahler ist radikal genug, zu fordern, daß in diesem förmlichen Urwald der Gesetzgebung erbarmungslos gelichtet, da und dort sogar kahlgeschlagen werden müsse, wenn man überhaupt noch den gesetzgebe- (Sachverständiger Dr. Bräuer) rischen Weg ergründen will. Das banale und viel mißbrauchte Wort „Warum einfach, wenn es nicht auch kompliziert gemacht werden kann", hat seine uneingeschränkte Gültigkeit im Bereich der Finanzverwaltung. 5. Modernisierung des Finanzverwaltungsapparates Jeder Sachkenner weiß heute, daß unsere Finanzverwaltung, insbesondere ihre untersten Stellen, die Finanzämter, nicht nur völlig ausgelastet, sondern daß sie stellenweise auf das schwerste überlastet sind. Die Gesetzgebungsmaschine sorgt dafür, daß diesem schon überlasteten Verwaltungsapparat dauernd neue und zusätzliche Lasten aufgebürdet werden, gegen die er sich gar nicht wehren kann. Man braucht nur die Worte „Lastenausgleich", „Investitionshilfe", „Zusatzumsatzsteuer" auszusprechen, um zu erkennen, daß es so einfach nicht mehr weitergehen kann, daß ohne eine gründliche Rationalisierung hier kein Wandel geschaffen werden kann. Es ist grundfalsch, den Ausweg immer darin sehen zu wollen, die Dimensionen des Verwaltungsapparates in sachlicher oder personeller Ausstattung dauernd zu vergrößern. Die Einheiten sind heute gewiß schon groß genug, die Aufgaben können wir nicht von heute auf morgen abbauen, die Maschine der Gesetzgebung kann wohl da und dort abgebremst, aber nicht stillgelegt werden. Es bleibt daher nur übrig, die Leistungskraft des vorhandenen Apparats so zu stärken, daß er seinen Aufgaben gewachsen ist. Infolgedessen ist es hohe Zeit, den Apparat der Finanzverwaltung, der bürotechnisch noch vielfach auf dem Standpunkt wie zur Zeit der Postkutsche steht, zu modernisieren, ihm alle Erleichterungen zu verschaffen, die vom Standpunkt einer kochentwickelten modernen Büro- und Verwaltungstechnik möglich sind. Eine solche Modernisierung nach der technischen und organisatorischen Seite ist heute geradezu eine gebieterische Notwendigkeit, wenn dieser Apparat seine Aufgaben voll erfüllen soll, und wenn wir nicht hinnehmen wollen, daß vordringliche Veranlagungsarbeiten jahrelang verschleppt werden. Auch hier wieder stehen wir hinsichtlich des Artikels 108 vor dem gleichen Problem. Nur bei einer einheitlichen Bundesfinanzverwaltung kann dieser Apparat einfacher, leicht übersehbar und daher billiger gestaltet werden gegenüber dem jetzt bestehenden Zustand, wo in 12 verschiedenen Ländern, die unabhängig voneinander den Willen des Gesetzgebers vollziehen sollen, die verwaltungstechnischen Maßnahmen einfach nicht unter einen Hut zu bringen sind. Wertvolle Anfänge sind schon vor Jahrzehnten geschaffen worden durch die Initiative des hochverdienten Reichssparkommissars Dr. Saemisch, die aber leider ins Stocken geraten sind und es verdienten, von einer einheitlichen Bundesfinanzverwaltung wieder aufgenommen zu werden. Wieviel nutzlos vertane Verwaltungsarbeit könnte bei einer richtigen Organisation, die von einer zentralen Stelle gesteuert wird, erspart werden. Es ist schon manches erreicht, und es ist sehr erfreulich, wenn weitschauende Oberfinanzpräsidenten in ihrem Bezirk vorangehen, um nach dieser Richtung die Bahn zu brechen, wenn z. B. Düsseldorf mit hochleistungsfähigen Buchungsmaschinen zu arbeiten vorsieht, wenn Stuttgart die Verwendung von schreibenden Hollerith-Maschinen einführt. Aber solche Dinge sollten doch nicht dem Zufall und der Initiative des einen oder des anderen Oberfinanzpräsidenten überlassen bleiben, die in ihren Bestrebungen womöglich noch auf den heftigsten Widerstand im Landtag stoßen, wenn es um die Bewilligung der erforderlichen Mittel geht. Der Bund der Steuerzahler hat Beweise genug davon geliefert, daß es ihm um die Verwurzelung des Prinzips echter Sparsamkeit in der gesamten Verwaltung geht. Er ist aber ebenso abgeneigt, die Sparsamkeit am falschen Platz zu dulden, weil sie, aufs Große gesehen, zu einer grandiosen Verschwendung öffentlicher Mittel wird. Wenn heute Buchungsmaschinen von höchster Leistungsfähigkeit, Diktiermaschinen, schreibende Hollerith-Maschinen, Transportanlagen für die Beförderung von Schriften über die Räume und Etagen hinweg, die MikroFotografie und vieles andere zur Verfügung stehen, dann ist es hohe Zeit, daß eine zentral gesteuerte Bundesfinanzverwaltung dem völlig überlasteten Apparat der Finanzverwaltung Hilfe leistet. Freilich kostet die Investition für eine solche Modernisierung unseres Verwaltungsapparates Geld, aber diese Aufwendungen sind sehr rasch amortisiert und sie ermöglichen, den Verwaltungsapparat ohne Ausdehnung in räumlicher, sachlicher und personeller Hinsicht zu weit höheren Leistungen zu bringen oder bei gleicher Leistungskraft mit einem wesentlich geringeren Sach- und Personalbedarf auszukommen. Derartige Ziele sind aber wirklich nur auf Bundesebene durch eine zentrale Verwaltung unserer Finanzen herbeizuführen. 6. Die finanziellen Auswirkungen Der nicht auf deutschem Boden gewachsene Artikel 108 kostet uns schweres Geld. Ich vermag allerdings denjenigen nicht zu folgen, die mit apodiktischer Gewißheit vorhersagen wollen, daß mit einer einheitlichen Bundesfinanzverwaltung eine Einsparung von einer Milliarde DM zu erwarten sei. Ich halte diese wiederholt in der Presse angegebene Zahl doch für übertrieben hoch, aber auf alle Fälle werden es Hunderte von Millionen sein, die bei einer Zentralisierung der Finanzverwaltung und einer Beseitigung der Zweigleisigkeit in Wegfall gebracht werden können. Welch unnötige zusätzliche Verwaltungskosten, die bei dem jetzigen Zustand anfallen! Auf manchen Gebieten findet eine förmliche Multiplikation von Verwaltungsaufwand statt, der durch die Anordnungen der Länder eintritt. Wozu haben wir noch in jedem einzelnen Land besondere Steuerabteilungen für die ländermäßige Verwaltung der Einkommen- und Körperschaftsteuer? Durch eine Umschaltung auf eine einheitliche Bundesfinanzverwaltung würde vor allen Dingen eine außerordentliche Entlastung und eine Ersparung von Verwaltungskosten bei den Finanzministerien entstehen. Dazu kommen noch eine Reihe von zusätzlichen Verwaltungsaufwendungen, die man im Bereich der Reichsfinanzverwaltung nicht kannte und von denen ich Ihnen nur ein Beispiel geben möchte: Früher war es gänzlich gleichgültig, welches Finanzamt die Einkommen- oder Körperschaftsteuer erhob. Heute liegen die Länder in edlem Wettstreit um die Steuereinnahmen, wenn der Wohnsitz des Pflichtigen und der Ort, an dem das Einkommen verdient wurde, in verschiedenen Ländern gelegen sind. Schon durch die Wohnungsnot in kriegszerstörten Gebieten, aber auch durch manche anderen Ursachen erklärt es sich, daß das Wohnen, entfernt von der Stätte des Betriebes, zur verbreiteten Erscheinung geworden ist. Solange (Sachverständiger Dr. Bräuer) Bund und Länder sich in die Steuerverwaltung teilen, wird eine geradezu sinnlose und gewiß nicht geringe Mehrarbeit der Verwaltung geleistet werden müssen, um die rivalisierenden Länder zu befriedigen. Welche Verwaltungsmühe und welche Rechenkunststücke wurden den Länderfinanzverwaltungen auferlegt durch das Zerlegungsgesetz vom 29. März 1952! Gerade dieses Gesetz ist ein treffender und eindrucksvoller Beweis für die bedenkliche Auswirkung der Aufspaltung der Finanzverwaltung zwischen Bund und Ländern. Wer z. B. in Heidelberg oder Mannheim wohnt, seine Tätigkeit aber im angrenzenden Ludwigshafen ausübt, für dessen Einkommensteuerleistung interessieren sich zwei Länder, die durch Anwendung höherer Mathematik ihre Anteile an der Einkommensteuer ausklügeln. Solche gänzlich unfruchtbare und nutzlos vertane Verwaltungsarbeit hat doch wahrhaftig keinen Sinn. Wenn ich gegenüber der genannten Milliarde einzusparender Kosten der Verwaltung mir Zurückhaltung auferlegte, so vermag ich das leider nicht zu tun auf dem Gebiet des Ertrages an Steueraufkommen. Ich bin überzeugt, daß infolge dieses Dualismus in der Finanzverwaltung, den ungleichen Maßstäben von Land zu Land neben drückender Härte der Lastenauferlegung auf der anderen Seite eine Schonung von leistungsfähigen Steuerpflichtigen eintritt, daß also hinsichtlich des Steueraufkommens noch Reserven in nicht geringem Umfang zur Verfügung stehen. Ich habe bereits ausgeführt, daß durch die oft jahrelang verzögerte Veranlagung an sich fällig gewesene Steuerleistungen nicht mehr hereinkommen, weil sie inzwischen investiert oder in den Konsum übergegangen sind. Dazu kommt noch, daß verschiedene Länder durch die Gewährung besonderer Steuervergünstigungen den erfolgreichen Versuch machen, große Industriebetriebe in ihr Gebiet zu verlagern. Im Bereich der Gewerbesteuer ist es eine bekannte Erscheinung, daß manche Gemeinden den anzusiedelnden Industriebetrieben steuerlich weit entgegenkommen. aber auch auf Länderebene spielen diese Vorkommnisse eine nicht geringe Rolle. Man muß dieses Problem gewiß von zwei Seiten sehen, denn die Ansiedlung neuer leistungsfähiger Betriebe bedeutet, daß hierdurch Steuerquellen begründet werden, die allerdings erst später rich tig zum Fließen gelangen. Auch die arbeitsmarktpolitische Bedeutung dieser Angelegenheit soll gewiß nicht vergessen werden. Immerhin bedeuten aber diese oft stark ins Gewicht fallenden Steuervergünstigungen eine Einbuße an Steuerleistung in allen Fällen, in denen die Ansiedlung in einem bestimmten Lande deshalb vorgenommen wird, weil andere Länder kein oder ein viel geringeres Entgegenkommen zeigen. Es ist dabei zu beachten. daß auf diesem Wege zuweilen ein Standort gewählt wird, der volkswirtschaftlich unrichtig ist und für dessen Wahl lediglich steuerliche Gründe maßgebend sind. Es ist gewiß nicht leicht, eine zahlenmäßige Größe zu finden für diese Einbuße des Fiskus an Steuerertrag durch zu geringe Ausschöpfung von Steuerquellen und weitgehendes Entgegenkommen bei Industrieverlagerungen. Hier kann nur durch grobe Schätzung ein zahlenmäßiges Bild gewonnen werden, aber bei aller Vorsicht wird man doch annehmen dürfen, daß eine Milliarde Einbuße an Steueraufkommen die Untergrenze bilden wird. Nicht zu vergessen ist dabei, daß durch die in den einzelnen Ländern verschiedenartige Strenge oder Milde bzw. das Entgegenkommen gegenüber neu anzusiedelnden Betrieben die wirkliche Steuerkraft der einzelnen Länder nur in verzerrtem Bild erscheint und daß hierdurch der Finanzausgleich, der auf diesen Steuerkraftzahlen basiert, verfälscht wird. 7. Kontakt zwischen Gesetzgebung und Verwaltung Es ist für die organische und wirklichkeitsnahe Weiterführung der Gesetzgebung von entscheidender Bedeutung, daß in die zur Entstehung gelangenden Gesetze und Verordnungen alle Erfahrungen eingebaut werden, die bei der Verwaltung der Steuern gemacht worden sind. Bei allen Steuerformen, die auf der Bundesgesetzgebung beruhen, aber von den Ländern veranlagt und erhoben werden, entsteht hinsichtlich der Weiterentwicklung unserer Steuergesetzgebung ein bedauerlicher Zwiespalt. Praktisch ist es doch so: Der Referent und alle übrigen an der Vorbereitung eines Entwurfs Beteiligten können nur dann wirklichkeitsnah bleiben, wenn ihnen das gesamte Material zur Verfügung steht, aus dem ersichtlich ist, wie sich bestehende gesetzliche Normen praktisch bewährt haben. Diese Möglichkeit ist aber gar nicht vorhanden, wenn das Material bei den Länderregierungen ruht, wo es für diese Zwecke nur wenig ausgenutzt werden kann. Der Referent, der eine Einkommensteuer-Novelle bearbeitet, kann doch nicht bei allen 12 Länderverwaltungen herumreisen, um an Ort und Stelle das weitschichtige Material aller Erfahrungen zu prüfen. Er ist im besten Falle angewiesen auf spärliche Mitteilungen, auf das, was die Länder herausgeben wollen. Nur auf indirektem Wege wird dieses überaus wertvolle Material nutzbar gemacht werden können, nämlich über den Bundesrat, aber es liegt wohl in der Natur der Sache, daß dort nur diejenigen Beweisgründe vorgebracht werden, die auch dem Interesse der Länder entsprechen. Das Ergebnis auch dieser Betrachtung ist eindeutig und klar: Gesetzgebung und Verwaltung, namentlich der wichtigen Bundessteuern, gehören unmittelbar zusammen, ihre Trennung ist die Quelle von schwerwiegenden Schäden aller Art. Schlußbetrachtungen Die hier getroffenen Feststellungen dürften genügen, um zu erweisen, daß die Aufrechterhaltung des bestehenden Zustandes mit den wohlverstandenen Interessen der Bundes-, Länder- und Gemeindefinanzwirtschaft nicht mehr vereinbart werden kann. Die durch Artikel 108 geschaffene Zweigleisigkeit (besser Vielgleisigkeit) ist ein ausgesprochener Irrweg, eine Fehlkonstruktion in unserem Grundgesetz, bei der der Geist Richelieus Pate gestanden hat und die nur durch einen scharfen politischen Druck der Besatzungsmächte zustande gekommen ist. Mit Recht hat der Bundestagsabgeordnete Dr. Greve festgestellt, daß hier ein Unrecht geschehen ist, das wiedergutgemacht werden sollte. In der Tat ist durch dieses Unrecht unsere Finanzwirtschaft an einer entscheidend wichtigen Stelle in eine falsche Richtung gedrängt worden. Es ist nicht zu verstehen, daß jetzt, wo der Weg frei geworden ist, um zu einer richtigen, einfachen und klaren Lösung zu gelangen, Versuche unternom- (Sachverständiger Dr. Bräuer) men werden, die bestehende Fehlkonstruktion mit fadenscheinigen Gründen zu rechtfertigen und diese unheilvolle Verstrickung von Bundes- und Länderfinanzverwaltungen zu verewigen. Wenn wir in Deutschland etwas machen, so machen wir es gewöhnlich sehr gründlich, und so ist auch die Zweigleisigkeit in sachlicher und personeller Hinsicht bis zur letzten Konsequenz, bis zu den untersten Verwaltungseinheiten, bis zur letzten Schreibstube durchgeführt worden — „wie das Gesetz es befahl"! Der Riß geht mitten durch die Büros der Oberfinanzdirektionen und der Finanzämter sowie der Oberfinanzkassen. Überall werden — schon aus haushaltstechnischen Gründen — die beschäftigten Personen streng geschieden nach Bund und Ländern. Logisch wäre es ja gewesen, neben den vom Bund verwalteten Finanzämtern auch besondere Bundesfinanzämter zu errichten, aber glücklicherweise hat man die Torheit doch nicht so weit getrieben. Man hat die Finanzämter als Landesbehörden, z. B. für die Erhebung der Umsatzsteuer, den Oberfinanzdirektionen als Hilfsstellen zugeordnet. Auch hier wieder krumme Wege, keine klare Lösung! Mit einer Handbewegung sucht man sich über alle Erfahrungen mit der früheren einheitlichen Reichsfinanzverwaltung hinwegzusetzen und diese damit abzutun, daß das in der Weimarer Verfassung verankerte System als völlig gescheitert anzusehen sei. Ein überspitzter Föderalismus operiert mit dem Argument, daß mit einer Wiedereinführung einer einheitlichen und zentral gesteuerten Finanzverwaltung der Föderalstaat verlassen und durch einen auf die Spitze getriebenen Zentralismus der erste Schritt gemacht würde in den totalitären Staat. Solche Gedanken führen auf einen bedenklichen Abweg. Die begriffliche Klarheit erfordert, gegenüber einer fortschreitenden Verwirrung festzustellen, daß der Gegenpol des Föderalismus nicht der Zentralismus, sondern der Unitarismus ist. Zentralismus ist — das weiß jeder Sachkenner — nichts anderes als eine Form der Verwaltung eines irgendwie gearteten Staates, nicht aber eine Staatsform. Auch der Föderalstaat kann sich zur Führung der Geschäfte des straffsten Zentralismus bedienen, was am Beispiel der USA und ihrer Entwicklung in den letzten Jahren klar zu erkennen ist. Andererseits kann auch der Einheitsstaat eine dezentralisierte Verwaltung durchführen. Mit solchen Argumenten kommen wir wirklich keinen Schritt weiter. Manche mögen sich wundern, daß trotz des mit Artikel 108 in die Oberfinanzdirektionen hineingetragenen Dualismus (hie Bund — hie Land), trotz des durch die Parallelschaltung von 12 verschiedenen anordnenden Ländern entstandenen Pluralismus der Apparat überhaupt noch funktioniert. Das erklärt sich lediglich daraus, daß die Oberfinanzpräsidenten und auch andere leitende Beamte vielfach noch die Tradition der ehemaligen Reichsfinanzverwaltung in sich tragen und so handeln, „als ob" eine einheitliche Finanzverwaltung an der Spitze noch existierte. Die Oberfinanzpräsidenten haben bisher in ihren Zusammenkünften sicherlich mit viel Takt und Geschick diesen inneren Zwiespalt zu überwinden versucht und sich bemüht, das Trennende zu überwinden, das Gemeinschaftliche zu betonen. Aber wie weit das gelingen mag, steht auf einem anderen Blatt. Und in welcher Gewissensnot mag sich mancher Oberfinanzpräsident befinden, der in der Verwaltung der Einkommen- und Körperschaftsteuer seinem Land Ordre parieren muß, in Fragen der Umsatzsteuer des gleichen Steuerfalles dem Bundesfinanzministerium botmäßig ist. Auch beim besten Willen wird es nicht möglich sein, auf die Dauer dieser störenden Gewalten Herr zu werden und diesen Pluralismus einer vielgestaltigen Ausdeutung des gesetzgeberischen Willens zu überwinden. Es ist auch der Einwand gemacht worden, daß zwar die einheitliche Bundesfinanzverwaltung das erstrebenswerte Ziel sei, daß aber der richtige Zeitpunkt noch nicht gekommen wäre. Darauf kann man nur erwidern: Wie lange will man denn noch warten, und aus welchem Grunde soll dieser Zeitpunkt noch nicht gekommen sein? Ich finde, die Lösung ist schon längst überfällig. Was macht man seit Jahr und Tag anders, als von dem zerbrochenen Gebäude der ehemaligen Reichsfinanzverwaltung die Steinehen mosaikartig wiederzusammenzusetzen, um den Apparat funktionsfähig zu erhalten? Nachdem das Fundament für eine einheitliche Bundesfinanzverwaltung vorhanden ist, sollte man so rasch wie möglich die Strebepfeiler aufrichten, das Gebäude vollenden und den Apparat zur höchsten Leistungsfähigkeit ausbauen. Man muß befürchten, daß er in der Zukunft noch manche schwere Belastungsprobe wird aushalten müssen. Jeder ins Leben gerufene Verwaltungsapparat hat nach unserer geschichtlichen Erfahrung ein starkes Beharrungsvermögen, ein zähes Leben. Die Widerstände wachsen mit jedem Tag, und schließlich fressen sich die Einrichtungen so ein, daß eine Änderung oder Entfernung nur durch die Entfaltung stärkster politischer Gegenkräfte erzwungen werden kann. Schon aus diesem Grunde ist es angezeigt, die Entscheidung nicht länger hinauszuziehen, als das unbedingt erforderlich ist. Symptomatisch für diesen Widerstand aus bestimmten Kreisen ist die Forderung in der Gegenschrift zur bekannten Denkschrift der Leitstelle der Finanzverwaltung der britischen Zone. Diese Gegenschrift ist von drei süddeutschen Finanzministern verfaßt, sie trägt den beinahe provozierenden Titel: „Noch einmal eine Reichssteuer- und Reichszollverwaltung?" und kommt in ihrer Quintessenz zu der Forderung: „Der künftige Finanzausgleich darf nicht bestimmen, was das Reich den Ländern geben soll, sondern muß entscheiden, was die Länder dem Reich zu geben haben, damit es die ihm zukommenden Aufgaben erfüllen kann." Das ist eine Rückkehr in die Zeit vor 1914, nicht ein Bekenntnis zur früheren Reichsfinanzverwaltung. Die in der Weimarer Verfassung verankerte zentrale Reichsfinanzverwaltung war ein stolzes Gebäude, das von allen wirklichen Sachkennern des In- und Auslandes ehrlich bewundert worden ist. Trotz mancher unverkennbarer Schwächen galt sie doch als vorbildlich, als mustergültig, und nicht umsonst haben eine Reihe ausländischer Sachverständiger sie auf das genaueste studiert, um sich ihre Einrichtungen zunutze zu machen. Das Reichs- finanzministerium war wirklich im Gebiete der Finanzwirtschaft der Große Generalstab, der über die gesamten Erfahrungen an der Front der Steuerpraxis verfügte und die Gesetzgebung auf diesen Erfahrungen aufbauend weiterentwickeln konnte. Man sollte ja nicht vergessen, daß erst auf dem Hintergrund einer einheitlichen und zentral gesteuerten Reichsfinanzverwaltung die großartigen Schöpfungen der Reichsabgabenordnung, des Reichsfinanzhofes, die einheitliche Buch- und Be- (Sachverständiger Dr. Bräuer) triebsprüfung, die einheitliche Veranlagung und Erhebung der Steuern, die Schaffung einheitlicher Bewertungsgrundsätze und vieles andere für das gesamte Reichsgebiet erst ihren rechten Sinn erhalten haben. Nunmehr scheint der Zeitpunkt wirklich gekommen, hier ganze Arbeit zu machen, nicht überall nur die Widerstände zu sehen, sondern mit dem ernsten Willen zur Tat an diese entscheidend wichtige Aufgabe heranzutreten. Man wolle diese Gedanken nicht abtun durch die Erklärung, daß heute ja die Schwierigkeiten in unserem zerrissenen und weithin zerstörten Gebiet unendlich viel größer seien, als sie 1919/20 gewesen sind. Gewiß, damals war noch ein einheitliches Reichsgebiet, ein unzerstörtes, nur am linken Rheinufer besetztes Gebiet vorhanden. Aber man möge nicht vergessen, welche ungeheuren Schwierigkeiten auch damals vorhanden waren, welche monumentalen Aufgaben man mutig in Angriff genommen und in einem geradezu märchenhaft erscheinenden Tempo gelöst hat: Die staatsrechtlichen Beziehungen zwischen Reich und Einzelstaaten wurden von Grund auf geändert, die großen und ergiebigen Steuerquellen den Einzelstaaten weggenommen und dem Reich übertragen, die Länderbahnen, der kostbarste Besitz der Einzelstaaten, wurden in die Reichseisenbahn eingeschmolzen, eine totale Reichs- und Länderreform machte vor keinen Schwierigkeiten halt, und im Rahmen der Finanz- und Steuerreform wurde das Reichssteuersystem geschaffen und eine einheitliche Reichsfinanzverwaltung errichtet. Das waren verfassungspolitische Taten von unerhörter Kühnheit, die in kurzem Anlauf vollbracht worden sind und die erkennen lassen: Wo ein ernster Wille ist, wird auch ein Weg gefunden werden. Im Anschluß an das von Prof. Bräuer erstattete Gutachten führt Abg. Morgenthaler (CDU) folgendes aus: Es wird immer behauptet, daß die Bundesfinanzverwaltung das Bessere sei. Nun verstehe ich eines nicht. Die Steuergesetze werden sämtlich vom Bund gemacht, ebenso die Durchführungsverordnungen und Weisungen. Die Länderfinanzminister kommen alle paar Tage zusammen, um sich auszusprechen. Nun kann ich nicht verstehen, warum eine solche Ungleichheit in der Veranlagung und all diesen Dingen überhaupt entstehen kann. Wenn eine Bundesfinanzverwaltung da ist, muß in den einzelnen Ländern ja auch eine Stelle sein, die über das Ganze wacht. Habe ich dann die Gewähr, daß der vom Bund bestellte Vertreter, der das zu überwachen hat, nun das in dem einen Land ganz genau und haarscharf so macht wie der in einem anderen? Das glaube ich nicht. Das liegt an den persönlichen Interessen des einzelnen Menschen. Das sehen Sie an zwei Rechtsanwälten, die über eine Sache reden, da hat jeder eine andere Meinung. Ich kann mir vorstellen, daß das in einer künftigen Bundesfinanzverwaltung ganz ähnlich sein wird. Ich muß noch etwas sagen, ohne in die Debatte selber einzutreten. Ich habe die Meinung, daß die Länder eben die Verhältnisse besser kennen; denn die Verhältnisse sind in den einzelnen Ländern total verschieden. Darüber kann es gar keinen Zweifel geben. Auch die wirtschaftlichen Verhältnisse sind total verschieden. Es kommen noch andere Momente hinzu, und ob das dann gerechter gemacht werden kann, wenn einer vom Bund in das Land gesetzt wird, der diese Dinge zu überwachen hat, möchte ich nun einmal geklärt haben. Wir versuchen wieder etwas zu machen, was wir schon einmal gemacht haben und bei dem doch gesagt worden ist, daß soundso viel Nachteile daraus erwachsen. Dipl.-Kaufmann Wolkersdorf: Ich habe Ihnen entsprechend der Anregung Ihres Herrn Vorsitzenden versprochen, meinen Vortrag zeitlich zu untertreiben. Ich will versuchen, mein Versprechen wahr zu machen. Ich kann dies auch mit guten Gründen, weil mein Herr Vorredner schon sehr vieles von dem, was ich zu sagen wünschte, gesagt hat, so daß ich mir erlaube, aus meinem Vortrag nur einige wenige Bemerkungen herauszupicken. Ein entscheidender Tatbestand ist für mich das Faktum, daß wir ja schon vor einigen Jahren weiter gewesen sind als heute. Über die Gestaltung des Finanzwesens ist im Parlamentarischen Rat sehr eingehend diskutiert worden, und man ist zu einer anderen — meines Erachtens wesentlich besseren — Regelung des Finanzwesens gekommen. Dann kam die Intervention der Besatzungsmächte, und ich glaube, hier muß man einhaken. Ich werde Ihnen am Schluß an Hand von Zitaten zeigen, wie Fachleute jenes Landes, dem wir im wesentlichen die jetzige Regelung des Finanzwesens verdanken, über die derzeitige Regelung der deutschen Finanzverwaltung denken und welche Vorschläge sie für eine Änderung des Grundgesetzes zu machen haben. Aber zunächst einige Bemerkungen zu den Fragen, die hier angeklungen sind und die mir wert scheinen, doch noch etwas eingehender behandelt zu werden. Es ist von Herrn Ringelmann und von Herrn Morgenthaler gesagt worden — und das leuchtet zunächst ein —: „Mein Gott, nun haben wir schon eine bundeseinheitliche Steuergesetzgebung, wir haben auch Veranlagungsrichtlinien, und warum soll das dann nicht klappen?" Herr Ringelmann sagte, all das hätte man damals nicht gehabt, als im Jahre 1919 die getrennte Finanzverwaltung durch die Reichsfinanzverwaltung abgelöst wurde. Und hier möchte ich auf einen Gesichtspunkt hinweisen, und zwar mache ich diese Bemerkung aus der Erfahrung meines früheren Wirkungskreises als langjähriger Bilanzprüfer einer großen Treuhandgesellschaft. Als Prüfer weiß man, daß sich entscheidende Tatbestände überhaupt gar nicht in ein Gesetz verlegen lassen, auch nicht in Richtlinien. Sie können die Richtlinien noch einmal so dick machen, und Sie werden die ganze bunte Fülle der wirtschaftlichen Wirklichkeit nicht einfangen können. Es bleiben immer noch auf entscheidenden Gebieten Ermessensfragen zu entscheiden, und das ist der wunde Punkt. Nun will ich eine Parallele zu dem Wirtschaftsprüferberuf herstellen. Welche Entwicklung drohte der Wirtschaftsprüferberuf nach 1945 zu nehmen, wenn in der Organisation der Wirtschaftsprüfer noch über die ersten drei, vier Jahre hinaus eine weitere Abkapselung und Partikularisierung stattgefunden hätte? Der Wirtschaftsprüfer wendet das Gesetz bundeseinheitlich an. Es bilden sich Grundsätze ordnungsgemäßer Bilanzierung heraus, die in Baden, in Württemberg, in Schleswig-Holstein, im ganzen Bundesgebiet einheitlich praktiziert werden. Ich glaube, es ist ein wesentlicher Unterschied, ob — jetzt springe ich zur Finanzverwaltung über — eine steuerliche Betriebsprüfung Grundsätze ordnungsmäßiger Betriebsprüfung länderweise oder bundeseinheitlich entwickelt. Das scheint mir das Wesentliche zu sein. Bei den Einwänden, die hier gemacht worden sind, wird das Moment der Ausbildung, des Trainings der Leute, (Sachverständiger Wolkersdorf) I die mit der Anwendung der Gesetze und Durchführungsbestimmungen beschäftigt sind, unterschätzt. Ich bin vor einigen Tagen in der akademischen Finanzschule in Siegburg gewesen, und ich muß sagen, es war sehr eindrucksvoll. Es waren Finanzamtsleiter aller Bundesteile, auch aus Bayern vertreten, und als ich zum Thema „Einheitliche Bundesfinanzverwaltung" sprach, ging ein Getrampel los und eine Begeisterung, die mich wirklich tief beeindruckte, weil sich nämlich weder Württemberger noch Bayern noch sonst irgendwelche Vertreter — auch ein Finanzamtsleiter aus München war dabei — dagegen aussprachen; es war ein „bundeseinheitliches Getrampel", (Heiterkeit) und ich glaube, das scheint nicht unerheblich zu sein, wie die Leute, die das Gesetz täglich praktizieren, über den Zustand denken, den wir seit drei Jahren haben. Denn ich bin nicht der Meinung von Herrn Kaiser, daß die Zeit noch zu kurz sei, um nicht schon ein Urteil über die Mängel oder Qualitäten des gegenwärtigen Zustandes abzugeben. Ich glaube, die Zeit ist schon viel zu lang, und ich möchte nur ein Beispiel anführen. Der niedersächsische Finanzminister Kubel erklärte vor einigen Wochen: „Es gibt im Bundesgebiet schon wieder Steueroasen. Es ist nicht mehr mit anzusehen, wie große Betriebe aus Niedersachsen hinausdrängen, weil sie in anderen Ländern besser behandelt werden. Man mietet z. B. in Hamburg eine Villa, obwohl man seinen Betrieb in Niedersachsen hat. Einen gewissen Riegel hat dieser ungesunden Entwicklung wenigstens das Zerlegungsgesetz vorgeschoben, ... Aber wir brauchen eine Bundesfinanzverwaltung und eine Beseitigung der Steuervergünstigungen in den Ländern. ..." Mir ist z. B. bekannt, daß in Nordrhein-Westfalen in einer Körperschaftsteuerangelegenheit ein erheblicher Steuernachlaß gewährt worden ist, und zwar mit dem geflüsterten Grund, daß man es ja sonst in den horizontalen Finanzausgleich geben müsse. Das ist nicht nur in Nordrhein-Westfalen so, die finanzschwachen Länder machen es genau so, und die Begründung liegt in derselben Richtung. Sie sagen, dann wird der Unterschiedsbetrag, den wir von den finanzstarken Ländern ausgeglichen haben wollen, um so größer. Ich weiß, daß z. B. in Schleswig-Holstein ein Betrieb angesiedelt worden ist, bei dem man sich wirklich fragen muß, ob die Ökonomie im Spiele gewesen ist. Ich möchte der Finanzbehörde nicht so ohne weiteres die Entscheidung darüber geben, wo Betriebe angesiedelt werden sollen, aber gerade das wird in weitgehendem Maß seit Jahren praktiziert. Kraft der Entscheidung des Finanzamtes wird die Standortwahl oft getroffen, weil das Kostenelement „Steuern" bei allen Überlegungen, die die wirtschaftlichen Betriebe anstellen, häufig entscheidend durchschlägt. Meines Wissens standen bei Ford zwei Standorte zur Wahl, und Ford wird heute froh sein, daß er in Köln ist, denn bei der Wahl des anderen Standorts läge er heute in der russischen Zone, und dann wäre alles verloren gewesen. So ist er noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen. Nun habe ich einige Zahlen. Es ist mit Zahlen zwar ein komisches Ding, da man sie oft nicht hieb- und stichfest beweisen kann. Aber wenn Professor Bühler sich auf der Bonner Steuertagung zu einer Bemerkung veranlaßt sieht, daß die Erhebungskosten der Finanzverwaltung für Westdeutschland mit knapp 3 % veranschlagt werden und daß sie in England nur 1,11 % betragen golfen so weiß ich zwar, daß da eine Menge von Gründen im Spiel sind. Meine Frage aber lautet: Ist nicht vielleicht an dieser Diskrepanz auch der bestehende Finanzverwaltungszustand schuld? Es ist hier von der Betriebsprüfung gesprochen worden. Ich habe dazu nicht mehr viel zu sagen, weil Herr Professor Bräuer in extenso zu dieser Frage Stellung genommen hat und ich seine Äußerungen hundertprozentig unterschreibe. Mir wurde z. B. folgender Fall bekannt: Ein Prüfer in Niedersachsen griff eine Fährte auf, die in das Land Nordrhein-Westfalen führte, und dann kam er einfach nicht weiter. Diese Dinge müssen ja schlagartig kommen, und die Prüfer müssen gleichzeitig in verschiedenen Bundesländern auftauchen können. Der erwähnte Prüfer kam nicht weiter, weil eben die Verwaltung Schwierigkeiten machte; so hätte z. B. erst die Erlaubnis des Finanzministers von Nordrhein-Westfalen eingeholt werden müssen. Und nun noch ein Zitat, bevor ich zu meinen entscheidenden Schlußausführungen komme. Ich weiß nicht, ob Sie gelesen haben, daß Herr Bundesratspräsident Kopf am 16. Mai vor der Presse Bedenken gegen das Lastenausgleichsgesetz wegen der Einbeziehung des öffentlichen Vermögens anmeldete. Ich zitiere die „Welt": Er bezeichnete es als merkwürdig, daß man bei den Beratungen des Bundesrates die Möglichkeit der Einsparung durch Wiedererrichtung der Bundesfinanzverwaltung überhaupt nicht zur Sprache gebracht habe. An dieses heiße Eisen wolle offensichtlich niemand recht heran. „Ich weiß nicht, ob Bundesfinanzminister Schäffer sich nicht vergewaltigen lassen würde." Ich darf ferner darauf hinweisen, daß sich sämtliche Oberfinanzpräsidenten kürzlich für die einheitliche Bundesfinanzverwaltung ausgesprochen haben, und darf auch daran erinnern, daß der Wissenschaftliche Beirat des Bundesfinanzministeriums im vergangenen Jahr erklärt hat, daß die ungenügende Ergiebigkeit der vorhandenen Steuerquellen zum größten Teil auf die mangelnde Einheitlichkeit des Finanzwesens zurückzuführen ist und daher das dringende Gebot der Stunde sei, hier mit der erforderlichen Abhilfe einzusetzen. Ich weiß nicht, ob der Bericht der Finanzkommission, die im vergangenen Jahr das Finanzwesen in der Bundesrepublik studiert hat, bekannt ist. Ich weiß, daß der Bericht (Hansen-Bericht) vertraulich ist, ich hoffe aber, Herr Ministerialdirektor Mersmann, daß ich, wenn ich einige Sätze daraus zitiere, meine Pflicht zur Verschwiegenheit nicht verletze. Ich stelle es aber anheim, Sie mögen entscheiden, weil ich mich gebunden fühle. Aber es brennt mir unter den Nägeln, Ihnen zu zeigen, daß die Väter dieser grundsätzlichen Bestimmungen selber heute eine andere Regelung vorschlagen. Ich weiß, daß sie nicht personengleich sind; es sind andere gewesen, die uns zu diesen Bestimmungen veranlaßt haben. Wenn Sie mich aber nicht zum wörtlichen Zitieren autorisieren, möchte ich Ihnen die Seitenzahlen angeben, so daß Sie es sich auf Umwegen — etwa durch Platow oder sonstwie — beschaffen können. Ich kann es aber auch sinngemäß wiedergeben. Der Hansen-Bericht kommt zu dem Ergebnis, daß man, wenn man schon an eine Neuregelung der Verteilung der Finanzquellen herangehe, damit (Sachverständiger Wolkersdorf) gleichzeitig die Änderung des Art. 108 verbinden solle. Alle die Gründe, die Sie gebracht haben, Herr Professor Bräuer — gleichmäßige Besteuerung, bessere Erfassung der Quellen usw. —, werden in dem Bericht genannt. Im übrigen wird in diesem Bericht gesagt, daß auch bei einem föderativen Aufbau des westdeutschen Bundesgebietes die Finanzverwaltung eine technische Angelegenheit, eine technische Aufgabe bleibt, die nichts mit der Politik an sich zu tun hat. Deshalb sei es sehr wohl möglich, daß die Länder noch ein sehr weites Maß von Eigenständigkeit haben könnten, auch wenn sie die Finanzverwaltung nicht mehr in ihren Händen hätten. Zu der von Herrn Staatssekretär Ringelmann gemachten Unterscheidung von Finanzverwaltung und Steuerverwaltung möchte ich sagen, daß ich nicht weiß, ob man mit dieser Unterscheidung, die doch sehr gekünstelt erscheint, in der Praxis weiterkommen kann. Diese Dinge sind doch von erheblicher materieller Auswirkung. Der Hansen-Bericht folgert, daß, wenn der Bund einen erheblichen Anteil an den Ländersteuern — Einkommen- und Körperschaftsteuer — für sich beansprucht — ich glaube, daß dieser Tatbestand gegeben ist —, alsdann die Einkommen- und Körperschaftsteuer zusammen mit der Umsatzsteuer einheitlich vom Bund verwaltet werden sollte — heute werden 27 % der Einkommen- und Körperschaftsteuer, bald aber 40 % des Aufkommens der gesamten Steuern und — erschrecken Sie bitte nicht — wenn die Dinge so weitergehen, dann werden es in nicht allzuferner Zeit 50 % und mehr werden. Sie müssen sich darüber im klaren sein, daß sich weder Arbeitnehmer noch Unternehmer wie überhaupt das übrige deutsche Volk damit abfinden werden, daß wir unter Umständen nach Inkrafttreten des Generalvertrages und der Verteidigungsgemeinschaft nur wegen der unzulänglichen Finanzverwaltung aus den bestehenden Steuergesetzen nicht das Optimum an Steuern herausholen können und deswegen zur Erschließung neuer Steuerquellen schreiten müssen. Ehe wir diesen Weg einschlagen, müssen wir die Gewähr haben, daß zunächst alle vorhandenen Steuerquellen optimal erfaßt sind. Der Hansen-Bericht zieht aus dieser Sachlage die einzig richtige Konsequenz: Wenn der Bund einen entscheidenden Anteil an der Einkommen- und Körperschaftsteuer für sich beansprucht, dann gibt es überhaupt keinen anderen Weg — wenn man die Gefahr einer ungleichen Besteuerung vermeiden will —, als zu einer einheitlichen Bundesverwaltung für diese Steuern zusammen mit der Umsatzsteuer zu kommen. Bei einem anderen Verhalten würde nämlich — so heißt es in dem Bericht — das Moment der ungleichen Besteuerung wesentlich stärker zu Buch schlagen als die Vorteile der gegenwärtigen Regelung. Deshalb möchte ich persönlich nur wünschen, daß sich sowohl im Bundestag wie im Bundesrat für den verfassungsändernden Gesetzentwurf der FDP die erforderliche Zweidrittelmehrheit findet. Der Vorsitzende bittet sodann Herrn Dr. Gast (Deutscher Industrie- und Handelstag) zu sprechen. Er führt folgendes aus: Meine Herren, ich darf vorausschicken, daß Herr Wolkersdorf und ich beim Parlamentarischen Rat über die gleiche Frage als Sachverständige gehört wurden und daß wir uns damals beide für die einheitliche Finanzverwaltung ausgesprochen haben. Ich darf auch von mir aus feststellen: die augenblickliche Regelung ist im wesentlichen auf alliierten Einfluß zurückzuführen. Sie würde gewiß anders aussehen — davon bin ich nach der Diskussion im Finanzausschuß des Parlamentarischen Rates überzeugt —, wenn sich dieser alliierte Einfluß nicht ausgewirkt hätte. Damals wurde das, was in dem Antrag der FDP gesagt ist, in einen größeren Zusammenhang gestellt. Das hat auch Herr Professor Bräuer getan. Ich möchte diesen Zusammenhang in einer Formulierung wiedergeben, die zwar damals nicht so vorhanden war, die aber die Auffassung des Finanzausschusses darstellt. Es dreht sich bei der Gesamtfrage um die Sicherung der übergebietlichen staatswirtschaftlichen Funktion, die dem Haushalt des Oberverbandes in einem Bundesstaat eigentümlich . Jede Schwächung dieser Funktion des Bundeshaushalts muß die gegenwärtige Unausgeglichenheit der Wirtschafts- und Sozialstruktur des Bundesstaates noch vertiefen und verschärfen. Das ist das eigentliche Kardinalproblem. Ausgehend von diesem Kardinalproblem hat sich der Deutsche Industrie- und Handelstag gestern in seiner Vollversammlung in München nicht nur mit der Frage der Organisation der Finanzverwaltung befaßt, sondern auch gleichzeitig mit dem Inanspruchnahmegesetz. Ich habe mir erlaubt, den Herren die Entschließung des Deutschen Industrie- und Handelstages vorzulegen. In dieser Entschließung finden Sie auch das Bemühen, den Gesamtzusammenhang herauszustellen. Es besteht eben zwischen diesem Gesetz zur Inanspruchnahme eines Teiles der Einkommen- und Körperschaftsteuer und zwischen der Frage der Organisation der Finanzverwaltung ein absoluter ursächlicher Zusammenhang. Beide Fragen müssen gleichmäßig gesehen werden. Wenn wir schon eine Funktion der Ausgaben im Sinne des Ausgleichs haben, dann haben wir ebenso diese Funktion bei den Einnahmen. Das hat auch das Grundgesetz richtig erkannt. Das Grundgesetz gab deshalb die Zölle, die großen Verbrauchsteuern und die Umsatzsteuer dem Bund. Nun bietet aber das Grundgesetz noch weitere Möglichkeiten für einen Bundeszugriff auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer. Durch diese beiden Steuern sollen die leistungsfähigen Länder im Wege des Bundeszugriffs stärker belastet werden als die finanzschwachen Länder. Auf diese Weise sollen dem Bund diese Mittel zugeführt werden und es soll ihm die Möglichkeit gegeben werden, diese Mittel in den Wirtschaftsgebieten einzusetzen, in denen sie gesamtwirtschaftlich den größten ökonomischen und. sozialen Nutzeffekt erzielen. Staatswirtschaftlich gesehen, stellen — und das ist der Sinn dieser Zugriffsbestimmung — die Einkommen- und Körperschaftsteuer keine Einnahmen dar, die ihrem Wesen nach allein den Ländern vorbehalten sind. Der deutsche Steuerzahler hat einen Anspruch darauf, daß seine Steuerleistung ausschließlich nach dem Maße der finanzwirtschaftlichen Dringlichkeit auf Bund und Länder verteilt wird. Hierbei bitte ich folgenden Gesichtspunkt zu beachten. Die Einzelwertung der Finanzbedürfnisse des Bundes in der Summe seiner gesamtwirtschaftlichen Aufgaben — Verteidigungsaufgaben, Soziallasten usw. — muß zu der Erkenntnis führen, daß der Bund seine vorrangigen Verpflichtungen nur durch die Inanspruchnahme eines bestimmten Teiles der Einkommen- und Körperschaftsteuer erfüllen kann. Gerade nach den Grundsätzen einer föderativen (Sachverständiger Dr. Gast) Verfassung ist dieser Teil ihm zuzubilligen; denn zu diesen gehört die Anerkennung des Oberverbandes mit dem Ziel, ihn funktionsfähig zu machen. Noch ein Gesichtspunkt ist von Bedeutung. Der Bundeshaushalt weist gegenüber einem Gesamtausgabenvolumen von rund 23 Milliarden DM ein Steuervolumen von 19,8 Milliarden DM aus. Dieser Betrag entspricht annähernd der Summe derjenigen Ausgaben, die für die Erfüllung der gesamtwirtschaftlichen Verpflichtungen notwendig sind. Das heißt also, der Bund lebt überhaupt nicht von den Steuern, die er einzieht. Er erfüllt mit diesen Steuern gesamtwirtschaftliche Aufgaben, d. h. Aufgaben, die an sich die Länder erfüllen müßten, die diese aber dem Bund, ihrem Oberverband, gegeben haben. Das bedeutet aber — übertragen auf die Frage der Bundesfinanzverwaltung —: erkennt man die Ausgleichsfunktion des Oberverbandes an, muß man auch die Notwendigkeit bejahen, daß diese Ausgleichsfunktion auf der Einnahmeseite fundiert wird. Und das ist die Frage der Bundesfinanzverwaltung. In diesem Gesamtrahmen sehen wir seitens der Wirtschaft diese Frage. Bei der Wirtschaft herrscht das stärkste vitale Interesse, daß hier eine Fundierung der Ausgleichsfunktion erfolgt, um die sie gefährdenden Mißstände, mit denen wir es heute zu tun haben, zu beseitigen. Ich darf vielleicht ganz kurz diese Mißstände des augenblicklichen Zustandes wiedergeben. Sie beruhen — da komme ich auf die Frage des Herrn Abgeordneten Morgenthaler — einmal auf dem Verhältnis Bund und Länder auf der obersten Ebene und dann zweitens auf der Länderebene an sich. Wenn wir einmal Bund und Länder in ihrer Zusammenarbeit — Gesetz, Verordnungen, Erlasse und Verwaltung — nehmen, dann sehen wir, daß eines nicht zum Zuge kommt. Wir haben in der Bundesrepublik eine einheitliche Wirtschaftspolitik, wir haben ein einheitliches Wirtschaftsgebiet, die Wirtschaft stellt einen einheitlichen Körper dar. Es ist selbstverständlich, daß eine einheitliche Wirtschaftspolitik in der Steuerpolitik irgendwie ihren Niederschlag finden muß. Man muß anerkennen, daß die Bundesregierung immer bemüht ist, den Niederschlag im Wege der Steuergesetzgebung — in der Verordnungs- und Erlaßpraxis, bei den Richtlinien usw. — zu realisieren. Sie stößt aber hier auf den Widerstand der Länder. Es ist durchaus zu verstehen, daß das Bundesfinanzministerium sich z. B. zur Bereinigung der Atmosphäre bei einem Erlaß erst einmal die Steuerreferenten der Länder herbittet und mit ihnen die Sache bespricht. Es ist aber ebenso selbstverständlich, daß die Länder aus ihren Überlegungen heraus nicht den Blick für das Ganze haben können, den der Bundesfinanzminister hat. Vielmehr kommen bei den Länderfinanzministern häufig diejenigen Motive zum Ausdruck, die aus ihrer Haushaltspolitik stammen. Ich darf hier als Beispiel an die Scheingewinnbehandlung erinnern, die uns seit Jahren beschäftigt. Man kommt hier nicht weiter, weil sich bei den Ländern immer wieder Schwierigkeiten ergeben. Ich denke auch an die Entwicklung im Rahmen des DM-Bilanzgesetzes und die sich dabei ergebenden Schwierigkeiten; ich denke weiter an die Verwaltungsanordnung für die Gewerbesteuer und schließlich an das Schicksal der Investitionshilfe. Diese Probleme sind bitter ernst und bringen den Bundesfinanzminister immer wieder in die gefährliche Zwangslage, durch Steueränderungen oder neue Steuern die Fundierung der Ausgleichsfunktion der Einnahmen zu versuchen. Geht man nun auf das Verhältnis der Länder untereinander, somit auf die Entwicklung der Verwaltungspraxis in den Ländern, ein, so sehen wir jenes erschütternde Auseinanderklaffen, das heute schon durch Herrn Professor Bräuer und Herrn Wolkersdorf geschildert wurde. In keiner Verwaltung ist bei der Durchführung der Gesetze und Verordnungen die Verwaltungspraxis so ausschlaggebend wie in der Finanzverwaltung. Klafft die Verwaltungspraxis hier auseinander, dann ist es nicht möglich — mögen die Gesetze und Verordnungen noch so schön aussehen —, eine Einheitlichkeit herbeizuführen. Diese Einheitlichkeit aber ist von entscheidender Bedeutung. Nachdem hierzu schon so viele Beispiele gegeben worden sind, möchte ich mich auf die Frage der ordentlichen Durchführung und der Betriebsprüfung beschränken. Da haben wir im Jahre 1948/49 die sogenannten zeitnahen Prüfungen, die innerhalb der Länder entwickelt wurden — eine Katastrophe! Diese zeitnahen Prüfungen gehören zu den fundamentalsten Fehlern, die von der Länderfinanzverwaltung gemacht wurden, indem man nämlich Fahndung und Betriebsprüfung durcheinander warf. Fahndung und Betriebsprüfung sind grundsätzlich verschiedene Dinge. Es gibt aber immer noch Länder, die glauben, bei der Betriebsprüfung mit Fahndungsmethoden arbeiten zu können. Sie verstoßen damit gegen eine der wichtigsten organisatorischen Grundlagen einer Finanzverwaltung; denn die Betriebsprüfung ist die Sphäre, in der sich das Zusammenarbeiten zwischen dem Steuerpflichtigen und der Finanzverwaltung zu entwickeln hat. Aus ihr resultiert Befriedigung und Vertrauen. Das wird immer wieder in seinem Kern nicht erkannt. Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang eine kurze Erinnerung. Ich bin selbst elf Jahre lang Finanzamtsleiter gewesen. In den Jahren 1925/26 wurden etwa 80 Prozent der Unternehmen im Finanzamtsbezirk geschätzt. In den folgenden Jahren gewann die Buchführung an Raum. Es wuchsen die Buchstellen hervor. Als ich dann meine Finanzamtsleiterstellung im Jahre 1934 aufgeben mußte, wurden vielleicht 25 Prozent der Unternehmen noch geschätzt. Steuerpflichtige und die Finanzverwaltung gewöhnten sich aneinander an Hand der Buchprüfungen. Das war ebenso wichtig wie erfolgreich. Mit dem Zusammenbruch haben wir dann auch den Rückgang der Buchführung und Buchstellen erlebt. Daß man trotz dieses Rückganges im Jahre 1948 sich entschloß, den 7er-Katalog des Einkommensteuergesetzes an die Voraussetzung der ordentlichen Buchführung zu binden, habe ich immer für einen Fehler gehalten. Es ist falsch, anzunehmen, daß in jenem Augenblick und auch heute die Verhältnisse auf dem Gebiet der Buchführung denjenigen gleichen, die wir 1932 oder 1934 hatten. Das Buchführungs- und Betriebsprüfungssystem muß erst wieder geschaffen werden in Abstimmung aufeinander. Dann würde auch wieder das Vertrauen erreicht werden, das besonders hart erschüttert worden ist, als die einzelnen Länder ganz unterschiedlich Begünstigungen des 7er-Kataloges strichen, weil sie das Vorliegen einer ordentlichen Buchführung verneinten. Das führte zur Erhöhung der Steuerbelastung, hatte Verschärfungen zur Folge und trübte weitgehend das Verhältnis zwischen Steuerpflichtigen und Finanzverwaltung. Das ist ein überaus ernstes Problem. Gewiß sind inzwischen seitens des Bundesfinanzmini- (Sachverständiger Dr. Gast) steriums Erlasse mit dem Ziel der Milderung der Praxis ergangen. Aber in den Ländern ist je nach der Einstellung der betreffenden Regierung oder des betreffenden Länderfinanzministers bis in die letzte Zeit in einer Form vorgegangen worden, die ein Verhältnis zwischen Finanzverwaltung und Steuerpflichtigen herbeigeführt hat, das überaus bedauerlich ist. Nehmen wir einmal die Buchstellenorganisation beim Handwerk. Heute haben wir in der Handwerksorganisation etwa 100 Buchstellen, von denen der größte Teil Vertragsbuchstellen sind. Früher — Anfang der 30er Jahre — hatten wir in jedem Finanzamtsbezirk mindestens eine, wenn nicht zwei Buchstellen. Heute sind es bei rund 600 Finanzämtern 100 Buchstellen. Ich darf wiederholen: die richtige Betriebsprüfung führt Verwaltung und Steuerpflichtige zusammen. Beide lernen durch diese, und hieraus resultiert das Vertrauen. Das kann aber mit Erfolg nur geschehen — und das ist die Quintessenz meiner Ausführungen — auf der Bundesebene. Auf der Länderebene läßt sich das nicht durchführen. Herr Wolkersdorf hat das auch unter Hinweis auf die Wirtschaftsprüfer ausgeführt, die ebenfalls bundeseinheitlich vorgehen. Ich darf in diesem Zusammenhang auf einen weiteren Punkt hinweisen, der für die Haltung der Finanzbeamtenschaft von Bedeutung ist. Ich erinnere mich an ein Erlebnis, das sehr interessant war. Ich war Mitglied eines Vereinfachungsausschusses bei der Verwaltung für Finanzen in Bad Homburg. Bei irgendeinem Vorschlag, der zu einer vorübergehenden Minderung des Steueraufkommens führen mußte, erklärte ein Finanzamtsleiter eines kleineren Landes: um Gottes willen, das ist doch bei der Haushaltslage meines Landes nicht möglich. Ich frage mich: was hat ein Finanzamtsleiter mit dem Haushalt seines Landes zu tun? Aber auch gar nichts. In den elf Jahren meiner Finanzamtsleitertätigkeit habe ich niemals meine Arbeit unter haushaltspolitischen Überlegungen durchgeführt. Der Finanzamtsleiter muß zu 50 % Richter sein und zu 50 % Verwaltungsmann. Die Freiheit der Stellung muß ihm gegeben werden. Das Recht steht an der Spitze im Steuerrecht, nicht die Anforderungen des Haushaltsreferenten. Ein Ausgleich des Haushalts kann auf der Gesetzesebene herbeigeführt werden, aber nicht da unten beim Finanzamt. Zu enge Beziehungen zwischen den Länderministerien und den Finanzamtsleitern sind eine Gefahr für die Durchführung derjenigen steuerlichen Verwaltungspraxis, die eine Vorbedingung für eine sichere wirtschaftliche Entwicklung ist. In diesem Zusammenhang spricht noch folgendes mit: durch die Ländergrenzen sind Aussprachen z. B. zwischen Leitern benachbarter Finanzämter sehr schwierig. Früher kamen benachbarte Finanzamtsleiter in bestimmten Zeitabständen zusammen und überlegten, wie sie die Praxis ihrer Ämter einander angleichen könnten. Auch die Verwendungsmöglichkeit von Beamten ist wesentlich schwieriger. Es ist heute schwer, einen Beamten, der vielleicht an einer anderen Stelle geeigneter verwendet werden könnte, dorthin zu bringen, da die Grenze dazwischen liegt. Das sind alles Fragen, die die gegenwärtige Regelung herbeiführt. Wir haben eben zur Zeit eine zwölfgleisige Finanzverwaltung und nicht eine zweigleisige, von der das Grundgesetz spricht. Die Höhe der Kosten, die eine solche Organisation verursacht, zu berechnen, ist gewiß nicht einfach. Für mich besteht aber kein Zweifel, daß diese geltende Organisation erheblich mehr Kosten verursacht als eine Bundesfinanzverwaltung. Heute betragen die Unkosten des Bundes für seine gesamte Verwaltung etwa 4 Prozent seines Ausgabevolumens. Bei den Ländern sind es 40 Prozent. Nimmt man die absoluten Zahlen, so betragen die Verwaltungskosten des Bundes etwa 800-900 Millionen DM, während der entsprechende Betrag bei den Ländern sich auf 5 Milliarden DM beläuft. Hier kann und muß gespart werden. Keine Verwaltung ist geeigneter, bei der Kostensenkung den Anfang zu machen, als die Finanzverwaltung. Wenn eine technische Verwaltung von dieser ungeheuren Bedeutung vorhanden ist, muß sie zuerst rationalisiert werden. Das geht nur durch ihre Vereinheitlichung. Bei dieser Gelegenheit einen kurzen Blick auf den Finanzausgleich. Der horizontale Finanzausgleich ist ein außerordentlich schwieriges Instrument. Würde der Bundesfinanzminister in der Lage sein, die Kosten des Verteidigungsbeitrages oder die Kosten der Soziallasten auf die Länder abzuwälzen, würde dies eine Belastung des horizontalen Finanzausgleichs in geradezu hoffnungsloser Weise bedeuten. Man wird zum vertikalen Finanzausgleich kommen müssen, das kann man aber nur, wenn man ihn durch eine einheitliche Verwaltung fundiert, die ihn dann trägt. Noch ein kurzes Wort zur Ertragshoheit und Verwaltungszentralisierung. Wir haben immer früher zwischen Verwaltungszentralisierung und Finanzhoheit im Sinne der Ertragshoheit unterschieden. Der Erzbergerschen Reichsfinanzreform liegt dieser Gedanke zugrunde. Gerade Bayern anerkannte ihn zuerst; denn Bayern ging in den Jahren 1919/20 mit seiner gesamten Steuerverwaltung in die Reichsfinanzverwaltung. Das ging so weit, daß in Bayern Finanzämter aufrechterhalten wurden, zu deren wesentlichen Aufgaben die Zahlung der Forstarbeiterlöhne gehörte. Und Bayern hat, soviel ich weiß, sich durchaus wohl hierbei gefühlt. Ich selber habe als Finanzamtsvorsteher etwa im Jahre 1930 eine sehr interessante Maßnahme mitgemacht, und zwar die Übernahme der Grund-, Gewerbe- und Hauszinssteuer auf die Finanzämter im Lande Braunschweig. Herr Dr. Kaiser ist der Auffassung, daß die Gemeinden damit nicht zufrieden gewesen wären. Ich kann nur das Gegenteil sagen, sowohl Gemeinden wie das Land Braunschweig fühlten sich hierbei durchaus wohl. Es mag sein, daß Herr Dr. Kaiser in diesem Zusammenhang an bestimmte großstädtische Verhältnisse gedacht hat. Bei diesen Erörterungen darf schließlich nicht das Zweite Gesetz über die Finanzverwaltung unerwähnt bleiben. Dieses Gesetz stellt für mich, der ich mich seit 1919 mit dem Finanzwesen befasse, ein Dokument der Not und ein Dokument der Verlegenheit dar, wie es für eine finanzpolitische Entwicklung ernster nicht gedacht werden kann. Im Grunde entbehrt es seines wesentlichen Inhalts, und wenn es spricht, kompliziert es. Nehmen Sie z. B. die Vorlage der vereinbarungsähnlichen Maßnahmen oder der Erlassungsstundungsanträge. Es bearbeiten hier Länderfinanzministerien und Bundesfinanzministerium die gleiche Angelegenheit. An einer anderen Stelle wird von einer Überwachung durch den Bund gesprochen. Das erinnert mich an (Sachverständiger Dr. Gast) jenen Kommissar beim Zoll, den wir bis 1918 hatten. Diese Reichskommissare waren im Grunde eine repräsentative Angelegenheit ohne besondere sachliche Bedeutung. Die Überwachung eines Finanzamtes erfolgt durch die Geschäftsprüfungen, die von den Oberfinanzdirektionen gemacht werden und die durchgeführt werden durch beste Beamte, erfahrene Oberregierungsräte, Steuerräte, Steueramtmänner, Obersteuerinspektoren. Der Abteilungspräsident der Oberfinanzdirektion leitet jede Geschäftsprüfung möglichst selbst. Der Oberfinanzpräsident faßt die Geschäftsprüfungsberichte in einem Gesamtbericht zusammen, der dem Ministerium vorgelegt wird. Dort werden diese Geschäftsberichte ausgewertet mit dem Ziel der Vereinheitlichung der Verwaltungspraxis. Das ist aber nicht eine Sache von Monaten, sondern eine Arbeit von Jahren. In dieser Beziehung muß der Reichsfinanzverwaltung besondere Anerkennung ausgesprochen werden. Was damals auf dem Gebiet der Geschäftsprüfung erreicht worden ist, gab absolut die Gewähr einer gleichmäßigen Verwaltungsarbeit. Die Institution der Geschäftsprüfung ist das Rückgrat der Verwaltung. Auf ihrer Grundlage für die Gleichmäßigkeit der Verwaltungsarbeit zu sorgen, wäre die erfüllbare Aufgabe eines Bundesfinanzministeriums. Ich darf abschließend noch auf die Entschließung des Deutschen Industrie- und Handelstags verweisen, die ich mir erlaubt habe, den Herren vorzulegen. Bei der Frage der 40prozentigen Inanspruchnahme der Einkommen- und Körperschaftsteuer spricht der Deutsche Industrie- und Handelstag sich für das Begehren der Bundesregierung aus. Er spricht sich ferner dafür aus, daß Zölle, Finanzmonopole und die auf Bundesgesetzen beruhenden Steuern durch Bundesfinanzbehörden verwaltet werden. In dem Antrag der FDP wird dann noch von der Finanzgerichtsbarkeit gesprochen. Daß die Finanzgerichtsbarkeit ebenfalls bundeseinheitlich geregelt sein muß, ist selbstverständlich. Das hat aber die Wirtschaft seit Jahr und Tag gefordert. Ich glaube nicht, daß es notwendig ist, das zu wiederholen. Im Anschluß an dieses Referat macht Dr. Gast auf Befragen des Vorsitzenden noch einige Ausführungen zur Verwaltung der Realsteuern. Er steht auf dem Standpunkt, daß eine Verwaltung durch den Bund wohl sachlich richtig wäre. Dafür sprächen auch die erwähnten Erfahrungen aus der Vergangenheit. Für den Augenblick spreche er sich noch für eine Kann-Bestimmung aus, die Entwicklung aber werde schließlich doch zur Verwaltung durch den Bund führen. Der Vorsitzende glaubt, daß ein grundsätzlicher Unterschied zwischen den Auffassungen von Herrn Dr. Gast und Dr. Kaiser nicht bestehe. Mit diesen Bemerkungen wird die Anhörung der Sachverständigen abgeschlossen. Anlage 3 zum Stenographischen Bericht der 264. Sitzung Schriftlicher Bericht des Ausschusses für den Lastenausgleich (17. Ausschuß) (zu Nr. 4282 der Drucksachen) über den von der Fraktion des Zentrums eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Entschädigung von Verlusten der Altsparer (Altsparergesetz) (Nrn. 1874, 4282 der Drucksachen) Bericht des Abgeordneten Dr. Atzenroth (Erster bis Vierter Abschnitt, Sechster Abschnitt) A. Im allgemeinen 1. Dem Deutschen Bundestage ist am 2. Januar 1951 ein Initiativantrag (Drucksache Nr. 1784) vorgelegt worden, in dem eine Entschädigung für bestimmte Währungsverluste gefordert wird. Dieser Antrag ist vom Bundestag am 22. Februar 1951 in erster Lesung dem Ausschuß für den Lastenausgleich federführend und dem Ausschuß für Geld und Kredit zur Mitberatung überwiesen worden. Die Überprüfung im Ausschuß für den Lastenausgleich ergab, daß zunächst die Verabschiedung des Lastenausgleichsgesetzes notwendig sei, a) weil die Ansprüche der Vertriebenen und Sachgeschädigten im Durchschnitt noch dringlicher erschienen, b) weil das Altsparergesetz verfahrenstechnisch mit dem Lastenausgleichsgesetz abgestimmt und seine Durchführung zum Teil den Lastenausgleichsbehörden übertragen werden mußte. Eine Einarbeitung des Altsparergesetzes in das Lastenausgleichsgesetz erschien aber nicht richtig, weil systematisch zum Teil andere Wege beschritten werden müssen und weil auch das Lastenausgleichsgesetz dadurch zu sehr verzögert worden wäre. Der Ausschuß für den Lastenausgleich hat zur Beratung dieses Gesetzes einen Unterausschuß „Altsparerentschädigung" gebildet, dem auch der Vorsitzende des Ausschusses „Geld und Kredit" angehörte. Der Unterausschuß hat seine Beratungen sofort nach Inkrafttreten des Lastenausgleichsgesetzes aufgenommen und in 18 Sitzungen einen Entwurf fertiggestellt, den sich der Ausschuß für den Lastenausgleich in allen wesentlichen Fragen in seiner Sitzung vom 17. April 1953 zu eigen ge- macht hat. In der dritten Sitzung des Unterausschusses hat der Bundesfinanzminister die Stellungnahme der Bundesregierung zum Altsparergesetz bekanntgegeben. Die Bundesregierung hat erklärt, daß sie eine beschleunigte gesetzliche Regelung für geboten halte und von einer formellen Regierungsvorlage zu dieser Frage nur deswegen absehe, weil nur auf dem Wege der Weiterbehandlung des Initiativantrags unter laufender Mitarbeit der Ressorts eine Beschleunigung erreicht werden könne. 2. Nach Auffassung des Ausschusses kann das Altsparerproblem nicht auf dem Wege einer nachträglichen Korrektur der Währungsreform gelöst werden. Dem stehen währungspolitische Bedenken entgegen. Schon das Umstellungsgesetz (§ 29) ist davon ausgegangen, daß die Beseitigung von Härten der Währungsreform Aufgabe des Lastenausgleichs sei. Umgekehrt fließen auch die Erträge aus den Währungsgewinnabgaben dem Ausgleichsfonds zu. Dementsprechend ist in § 365 LAG ausdrücklich der Erlaß eines besonderen Altsparergesetzes bis 31. März 1953 vorgesehen worden. Wegen der Schwierigkeiten und des Umfangs der Materie konnte zu dem erwähnten Termin der Entwurf zwar dem Hauptausschuß für den Lastenausgleich vorgelegt werden, die Vorlage an das Plenum des Bundestages verzögerte sich jedoch um einige Wochen. Die Leistungen nach dem Altsparergesetz sind Ausgleichsleistungen, d. h. Entschädigungsleistungen, im Rahmen des Lastenausgleichs. Hieraus ergab sich eine Reihe von Folgerungen. Bei der Gestaltung des Gesetzes mußten Gesichtspunkte der sozialen Förderung der Geschädigten im Vordergrund stehen, während der zweifellos ebenfalls bedeutsame Gesichtspunkt der Förderung des (Dr. Atzenroth) Kapitalmarkts nur beschränkt berücksichtigt werden konnte. Entsprechend den allgemeinen Lastenausgleichsgrundsätzen mußte die Berücksichtigung juristischer Personen unterbleiben. Im übrigen können Altsparer, die wegen Alters oder Erwerbsunfähigkeit in besonderer Notlage sind, neben den Leistungen aus dem Altsparergesetz auch Unterhaltshilfe nach dem Lastenausgleichsgesetz beanspruchen. Der Ausschuß hat sich bemüht, die Leistungen, die nach dem Altsparergesetz als Ausgleichsleistungen an die geschädigten Altsparer gegeben werden, nach Höhe und Zeitpunkt mit den Leistungen abzustimmen, die aus dem Ausgleichsfonds an Vertriebene und Sachgeschädigte gegeben werden. Eine mechanische Gleichbehandlung war allerdings wegen der vielfachen Besonderheiten, die im Bereich der Währungsumstellung zu beachten sind, ausgeschlossen. 3. § 365 des Lastenausgleichsgesetzes spricht nicht davon, daß für die Entschädigung der Altsparer „die Mittel", sondern nur davon, daß „Mittel" bereitgestellt werden sollen; die Frage, ob alle zur Durchführung dieses Gesetzes erforderlichen Mittel dem Ausgleichsfonds entnommen werden sollen, sollte damit weiterer Prüfung vorbehalten bleiben. Der Entwurf geht davon aus, daß aus dem Ausgleichsfonds nur die Entschädigung für den Bereich derjenigen Altsparanlagen bestritten werden kann, denen im Grundsatz Währungsgewinne gegenüberstehen, welche vom Ausgleichsfonds über die Hypothekengewinnabgabe oder Kreditgewinnabgabe in Anspruch genommen werden können. Auch die Bundesregierung hat in ihrer Stellungnahme zum Ausdruck gebracht, daß die Regelung der Verpflichtungen der öffentlichen Hand Aufgabe der allgemeinen Haushalte sei. Sie hat hierfür die Vorlage eines besonderen Gesetzes angekündigt. 4. Der Ausschuß hat sich eingehend mit den Vorschlägen beschäftigt, in die Altsparerentschädigung auch eine Regelung der besonderen Probleme der Festkontenstreichung und der Anrechnung der Kopfquoten einzubeziehen. Er ist zu dem Ergebnis gekommen, daß eine derartige, alle Anlagekonten betreffende Maßnahme den Rahmen eines Altsparergesetzes sprengen würde, und daß es auch nicht Aufgabe des Ausgleichsfonds sein kann, zum Ausgleich dieser besonderen Regelungen im Rahmen der Währungsreform Mittel bereitzustellen. Er hat es allerdings für richtig gehalten, daß bei der Berechnung der Entschädigung die Festkontenstreichung von 3,5 Prozent der Sparguthaben mit ausgeglichen werden soll. Dabei wird der Verbrauch von Ansprüchen durch Anrechnung der Kopfquote unberücksichtigt gelassen. 5. Der Ausschuß mußte bei der Beratung des Entwurfs davon ausgehen, daß es sich bei dieser Regelung um eine außerordentlich große Zahl von Einzelfällen handelt. Die Zahl der berücksichtigten Altsparanlagen liegt — trotz der in § 5 vorgesehenen Bagatellgrenze — nahe bei 30 Millionen. Unter diesen Umständen mußte versucht werden, die Regelung auf alle Fälle so einfach zu gestalten, daß zwischen dem Nutzen für die Geschädigten und dem Verwaltungsaufwand ein angemessenes Verhältnis erhalten blieb. Dieser Notwendigkeit zuliebe mußten manche Härten in Kauf genommen und manche Vereinfachungen zugelassen werden. 6. Bei der Berechnung, welche Kosten sich insgesamt für den Ausgleichsfonds aus dem vorliegenden Gesetz ergeben werden, ist der Ausschuß von folgenden Schätzungen des Bundesfinanzministeriums ausgegangen: (Dr. Atzenroth) Zahlenangaben zum Altsparergesetz (in Milliarden RM bzw. DM) am Sparanlagen Auf natürliche Person. entf. Teil Entschädigung 20.6. 48 insgesamt davon Berlin u. verlagerte Institute Altsparanlagen v. H. Satz Betrag v. H. Betrag am (geschätzt) Satz 1.1.40 (RM) (RM) (RM) (RM) (DM) 1. Spareinlagen im Bundesgebiet a) Öffentl. Sparkass. 47,7 - 7,8 b) Raiffeisenkassen . 11,3 - 2,2 c) Private Banken . 4,1 - 0,8 d) Volksbanken 4,5 - 0,9 e) Post 3,1 - 0,1 fast 70,7 - 11,8 100 v. H. 11,8 13,5 v. H. 1,59 in Berlin : . a) Umgestellte Uraltkonten 2,0 2,0 0,50 b) Nach UEG umzustellen 1,0 1,0 0,25 fast 3,0 3,0 0,75 100 v. H. 0,75 .15 v. H. 0,11 2. Pfandbriefe . 7,0 1,811 3. Kommunalobligation. 1,38 0,456 4. Institute besond. Art : Umschuldungsver- band dt. Gemeinden 1,276 1,276 . Dt.Landesrentenbank 0,313 0,313 Dt. Girozentrale 0,364 0,364 Dt. Rentenbank 0,094 0,094 Dt. Rentenbank - Kreditanstalt . 0,153 0,153 9,1 50 v. H. 4,55 10 v. H. 0,45 Dt. Industriebank . . 0,329 0,329 Kleinere Institute . . 0,129 0,129 2,658 2,658 5. Industrieobligationen 3,0 0,648 0,75 55 v. H. 0,4 10 v. H. 0,04 6. Lebensversicherungen 8,3 +) 5,1 fast 100 v. H. 5,1 10 v. H. 0,51 7. Bausparguthaben . . 0,78 0,012 0,14 fast 100 v. H. 0,14 10 v. H. 0,01 8. Privathypotheken 3,1 0,500 3,1 fast 100 v. H. 3,1 10 v. H. 0,31 99,918 9,085 30,74 - 25,84I - 3,02 +) nicht ausscheidbar Hierzu kommen die Mehraufwendungen beim Währungsausgleich für Sparguthaben Vertriebener und die Kosten der vorgesehenen Verzinsung, so daß die gesamte Belastung auf 5 Milliarden DM zu schätzen ist. Ein Betrag in der hiernach in Frage kommenden Größenordnung ist schon seinerzeit bei der Berechnung der Einnahmen und Ausgaben des Ausgleichsfonds nach dem Lastenausgleichsgesetz auf der Ausgabenseite vorgesehen worden. Doch mußte der Ausschuß berücksichtigen, daß der Ausgleichsfonds gerade in den nächsten Jahren noch Aufgaben zur Eingliederung der Vertriebenen und Sachgeschädigten von ganz besonderer Dringlichkeit zu lösen hat und jedenfalls eine Summe von mehreren Millarden DM nicht kurzfristig in voller Höhe bereitstellen kann. Der Entwurf mußte daher vorsehen, daß die Leistungen erst im Verlauf eines längeren Zeitraums freigegeben werden. Der Ausschuß war sich bewußt, daß eine solche Regelung den Wert der Leistungen für die Altsparer mindert. Er mußte - aber berücksichtigen, daß auch den Vertriebenen und Sachgeschädigten zugemutet wird, längere Zeit auf die ihnen zustehenden Entschädigungsleistungen zu warten. Nach den ihm gegebenen Erklärungen kann der Ausschuß außerdem erwarten, daß schon in näherer Zukunft von den in die Durchführung des Gesetzes eingeschalteten Instituten auch eigene liquide Mittel zur vorzeitigen Freigabe von Entschädigungsguthaben eingesetzt werden. (Dr. Atzenroth) 7. Die Altsparerentschädigung kann begrifflich nur solche Verluste ausgleichen, welche durch die Währungsreform im Bundesgebiet oder in Berlin (West) eingetreten sind. Sie hat daher keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Sparanlagen Vertriebener, die ja im allgemeinen der Umstellungsregelung überhaupt nicht unterlegen haben. Der Ausschuß war sich aber im klaren, daß die Vertriebenen Anspruch darauf haben, daß die Grundsätze des Altsparergesetzes sinngemäß auf die ihnen nach dem Lastenausgleichsgesetz oder dem Gesetz über einen Währungsausgleich für Sparguthaben Vertriebener zustehenden Leistungen übertragen werden müssen. Diesem Erfordernis trägt der Fünfte Abschnitt des Entwurfs im Wege der Änderung des Lastenausgleichsgesetzes und des Gesetzes über einen Währungsausgleich für Sparguthaben Vertriebener Rechnung. B: Im einzelnen Zu § 1: § 1 soll nicht unmittelbares Recht setzen, sondern programmatisch die Grundgedanken des Gesetzes übersichtlich zusammenfassen. Dies geschieht in kürzester Form in Absatz 1. Absatz 2 stellt klar, daß das Gesetz mittelbar — im Wege der Änderung des Lastenausgleichsgesetzes und des Gesetzes über einen Währungsausgleich für Sparguthaben Vertriebener - auch Rückwirkungen im Hinblick auf die Sparanlagen Vertriebener hat. Absatz 3 bestätigt, daß eine Entschädigung für Gläubigerverluste aus Reichsmarkansprüchen gegen die öffentliche Hand, soweit sie im Altsparergesetz nicht vorgesehen ist, nicht etwa vom Gesetzgeber abgelehnt wird, sondern daß diese Frage besonderer. Gesetzgebung außerhalb des Lastenausgleichs vorbehalten bleiben soll — d. h. zu Lasten nicht des Ausgleichsfonds, sondern eventl. der allgemeinen Haushalte —. Zu § 2: Das Gesetz konnte nicht die Aufgabe haben, die Währungsreform in bestimmten Bereichen ganz oder teilweise rückgängig zu machen, sondern nur die, besondere Härten der Währungsreform zu beseitigen. Dieser Fall soll in Betracht kommen, wenn der durch die Währungsreform betroffene Geldanspruch eine Sparanlage darstellte, also eine Geldanlage in einer Form, die üblicherweise Zwecken der dauernden Vermögensanlage oder der Versorgung gedient hat, nicht aber insbesondere Zwecken des Zahlungsverkehrs. Ferner wird vorausgesetzt, daß die Sparanlage schon am 1. Januar 1940 bestanden hat. Es war zwar keineswegs so, daß bis zu diesem Tag alle Sparanlagen in „gutem" Geld, später aber alle Sparanlagen in „schlechtem" Geld gemacht worden wären. Vielmehr hat sich die durch die Wirtschafts- und insbesondere Rüstungsmaßnahmen des Dritten Reichs veranlaßte verschleierte Inflation in fortlaufender Steigerung vollzogen. Die Berücksichtigung von Sonderumständen hätte aber das Gesetz verfahrensmäßig undurchführbar gemacht. Es mußte daher von einem einheitlichen Zeitpunkt ausgegangen werden. Dabei war zu berücksichtigen, daß die Vermehrung des Zahlungsmittelumlaufs sich bis zum 1. Januar 1940 in verhältnismäßig engen Grenzen gehalten hat, dann aber außerordentlich stark war; die Geldguthaben bei Kreditinstituten haben sich von 1940 bis 1945 im Durchschnitt auf das Fünf- bis Sechsfache erhöht. Das Gesetz mußte den Begriff der Sparanlage im Wege der Einzelaufzählung bestimmen, weil sich sonst Zweifel in zahllosen Einzelfällen ergeben hätten. Es berücksichtigt vier große Gruppen, nämlich a) Spareinlagen einschließlich der Bausparguthaben (Nrn. 1 und 2), b) Schuldverschreibungen (Nrn. 3 und 4), e) Sparansprüche aus Lebensversicherungsverträgen (Nr. 5), d) Privathypotheken (Nr. 6). Bei der Festlegung des Begriffs „Spareinlagen" hat der Ausschuß nach eingehender Beratung an der Bindung an das Gesetz über das Kreditwesen festgehalten, obwohl ihm Einzelfälle vorgetragen worden sind, in denen die Nichtberücksichtigung eine gewisse Härte darstellt. Zur Vermeidung von Zweifeln erschien es richtig, diejenigen Schuldverschreibungen, deren Begriff nicht durch gesetzliche Regelung völlig eindeutig abgegrenzt ist, in zwei Anlagen zum Gesetz im einzelnen aufzuzählen. Zu § 3: Zum Begriff einer Altsparanlage gehört, daß die Sparanlage zwischen dem 1. Januar 1940 und dem Zeitpunkt der Einführung der Deutschen Mark in dieser Höhe durchgehalten worden ist. Das uneingeschränkte Festhalten an diesem Grundsatz hätte aber zu nicht vertretbaren Härten geführt. § 3 stellt daher klar, daß in gewissen Fällen ein Wechsel in der Person des Gläubigers oder ein Wechsel in der Person des Schuldners der Altsparanlage die Eigenschaft des Anspruchs als Altsparanlage nicht ausschließen soll. Auf der Gläubigerseite ist der wichtigste Fall derjenige des Erbfalls, also des Erwerbs von Todes wegen; daneben sind aber weitere Fälle des Erwerbs anerkannt, der sich insbesondere im Familienverband aus anderen als geschäftlichen Gründen vollzogen hat. Zu § 4: § 4 regelt die Frage, wer sich als „Entschädigungsberechtigter" auf Gläubigerverluste aus Alt-sparanlagen berufen kann; hierbei behandelt Absatz 1 den Grundsatz, während sich die folgenden Absätze mit Sonderfragen befassen. Es war davon auszugehen, daß die Entschädigungsberechtigung im Grundsatz demjenigen zustehen muß, der den Schaden erlitten hat, der also im Zeitpunkt der Einführung der Deutschen Mark Gläubiger der Altsparanlage war, ohne Rücksicht auf das spätere Schicksal der Altsparanlage. Der Ausschuß hielt es insbesondere für mit den Grundsätzen des Lastenausgleichs nicht vereinbar, den Vorschlägen zu folgen, die im Bereich der Schuldverschreibungen eine uneingeschränkte Bindung des Entschädigungsanspruchs an das Stück, also ggf. die Begünstigung auch des Erwerbers einer Schuldverschreibung nach dem Währungsstichtag, befürworteten. Der Ausschuß hat nicht verkannt, daß sich für solche Vorschläge Gründe aus der Rechtsnatur des Inhaberpapiers und auch aus Gesichtspunkten der Verwaltungsvereinfachung anführen lassen. Er kam aber fast einheitlich zu dem Ergebnis, daß die überwiegenden Gründe dazu zwingen, den Entschädigungsanspruch dem Geschädigten zu gewähren und nicht dem etwaigen nachträglichen Erwerber. (Dr. Atzenroth) Allgemeinen Grundsätzen des Lastenausgleichs (vgl. insbesondere § 229 Abs. 2 LAG) entspricht es auch, daß entschädigungsberechtigt nur eine natürliche Person sein soll, also keine juristische Person und (nach Absatz 4) in der Regel auch kein Kaufmann und keine kaufmännische Gesellschaft im Sinne des Handelsrechts. Der Entschädigungsanspruch entsteht erst mit Inkrafttreten des Altsparergesetzes. In diesem Zeitpunkt wird der Gläubiger bei Einführung der Deutschen Mark, also der unmittelbar Geschädigte, nicht selten bereits verstorben sein. Nur in diesem besonderen Fall sieht der Entwurf die Möglichkeit vor, daß ein anderer als der unmittelbar Geschädigte, nämlich der Erbe, entschädigungsberechtigt ist. Auf Grund von Erfahrungen, die bereits bei der Durchführung des Gesetzes über einen Währungsausgleich für Sparguthaben Vertriebener und des Lastenausgleichsgesetzes gemacht worden sind, erschien es richtig, Angehörigen von Kriegsgefangenen, Internierten und Vermißten die Möglichkeit zu geben, den Entschädigungsanspruch für den Abwesenden geltend zu machen. Ergänzend schafft § 18 Abs. 6 auch die Möglichkeit, daß diese Personen in der Regel auch über die Entschädigungsgutschrift verfügen können. Der Ausschuß hat sich dem insbesondere von der Bank deutscher Länder vertretenen Standpunkt angeschlossen, daß es aus währungspolitischen Gründen erforderlich und auch der Grundregelung des Lastenausgleichs entsprechend sei, die Entschädigungsberechtigung so lange „ruhend" zu gestalten, als der Gläubiger aus der Altsparanlage den ständigen Aufenthalt nicht im Bundesgebiet oder in Berlin (West), also insbesondere in der sowjetischen Besatzungszone oder im Ausland hat. Die endgültige Regelung soll aber durch ein besonderes Gesetz erfolgen. Der Grundsatz der Nichtberücksichtigung juristischer Personen würde in denjenigen Fällen zu Härten führen, in denen juristische Personen Altsparanlagen ausschließlich zu dem Zweck der Versorgung oder Unterstützung natürlicher Personen begründet haben. Deswegen stellt Absatz 5 Versorgungskassen, die den Leistungsempfängern keinen Rechtsanspruch gewähren und deshalb bei der Währungsreform keine Ausgleichsforderungen erhalten haben, den natürlichen Personen gleich, während Absatz 6 die Möglichkeit schafft, daß durch Rechtsverordnung entsprechende Bestimmungen für sogenannte „Sozialfonds" getroffen werden. Zu § 5: Das Altsparergesetz unterscheidet zwischen dem grundsätzlichen öffentlich-rechtlichen Anspruch gegen den Ausgleichsfonds auf Entschädigung, der in § 5 geregelt ist, und dem in Erfüllung dieses Anspruchs gewährten schuldrechtlichen „Anspruch aus der Entschädigungsgutschrift", der sich nach § 18 bestimmt. Was die materielle Gestaltung (Höhe des Anspruchs, Verzinsung usw.) anlangt, entsprechen sich beide Ansprüche. Was die Höhe des Entschädigungsanspruchs anlangt, hat der Ausschuß verschiedene Möglichkeiten geprüft. Er mußte dabei davon ausgehen, daß dieser Höhe Grenzen durch die finanziellen Möglichkeiten des Ausgleichsfonds gezogen sind. Eine Angleichung der Entschädigungsregelung etwa an die Grundsätze der Hauptentschädigung nach dem LAG oder auch die Einführung eines Entschädigungshöchstbetrags ebenso wie eine Berücksichtigung der jeweiligen Vermögensverhältnisse des Altsparers erschienen dem Ausschuß undurchführbar, weil damit das Verfahren zu sehr kompliziert und die Möglichkeit der Einschaltung der Geldinstitute in das Verfahren in Frage gestellt worden wäre; auch hätten sich durch die Einführung eines Höchstbetrages in der in Frage kommenden Größenordnung keine finanziell ins Gewicht fallenden Einsparungen ergeben. Nach Prüfung der beiden Möglichkeiten, entweder den Entschädigungssatz im Verhältnis zur Altsparanlage für alle Sparanlagen einheitlich zu gestalten oder aber alle Spareinlagen grundsätzlich unter Berücksichtigung der Umstellungsgesetze auf einen einheitlichen Betrag „aufzufüllen", hat sich der Ausschuß für den letzteren Weg entschlossen. Es erschien ihm richtig, die Streichung der Festkonten, die jedenfalls im Hinblick auf die Altsparanlagen nicht mit geldpolitischen Gesichtspunkten begründet werden konnten, bei Altanlagen auszugleichen; der Ausgleich erstreckt sich auf die Berliner Uraltkonten, die in Abweichung von der Regelung für das Bundesgebiet nur im Verhältnis 100 : 5 umgestellt worden sind. Die Verzinsung des Entschädigungsanspruchs entspricht der Verzinsung des Hauptentschädigungsanspruchs nach § 251 LAG und auch dem für einen erheblichen Teil der Altsparanlagen geltenden Zinssatz. Der Ausschuß hielt es für richtig, daß diese Verzinsung, die zunächst im Grundsatz buchmäßig erfolgt, rückwirkend ab 1. Januar 1953 gewährt wird, weil die Altsparer ohnedies schon einen Zinsenausfall für mehrere Jahre erleiden; eine rückwirkende Verzinsung v o m Währungsstichtag a n erschien allerdings weder finanziell noch verfahrensmäßig vertretbar. Nach eingehenden Beratungen kam der Ausschuß zu dem Ergebnis, daß eine Festlegung der „Bagatellgrenze" bei 50 Reichsmark im Grundsatz angemessen ist; (für Spareinlagen gilt allerdings nach § 7 Abs. 3 eine Sonderregelung). Bei kleineren Beträgen wären die Verwaltungskosten im Vergleich zur Leistung an den Altsparer, die dann weniger als 5 DM beträgt, so hoch geworden, daß eine Entschädigungsleistung nicht mehr sinnvoll erschienen wäre. Zu § 6: Da die Entschädigung nach dem Altsparergesetz nicht eine Nachumstellung, sondern eine neue und besondere zusätzliche Leistung aus dem Ausgleichsfonds darstellt, erschien es richtig, den Entschädigungsanspruch nicht Rechten und Verfügungsbeschränkungen an der Altsparanlage (insbesondere Pfandrechten und Zurückbehaltungsrechten) zu unterwerfen. Ebenso entspricht es den tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnissen, insoweit sicherungshalber oder treuhandweise übereignete Ansprüche nicht dem Treunehmer, sondern dem Treugeber zuzurechnen. Zu § 7: Für alle besonderen Formen der Sparanlage gelten zunächst grundsätzlich die Vorschriften des Ersten, allgemeinen Abschnitts. Daneben aber erwies es sich als notwendig, für die einzelnen For- (Dr. Atzenroth) men der Sparanlage noch mit Rücksicht auf die jeweils geltenden Besonderheiten zusätzliche Vorschriften vorzusehen. Bei Spareinlagen würde der Grundsatz, daß die Sparanlage seit dem 1. Januar 1940 durchgehalten worden sein muß, zunächst dazu zwingen, die Spareinlage in ihrem fortlaufenden Bestand zu verfolgen und der Entschädigung den niedrigsten Stand während des Gesamtzeitraums vom 1. Januar 1940 bis zum Währungsstichtag zugrunde zu legen. Dies erschien aber angesichts der laufenden Veränderungen des Standes der Spareinlagen verwaltungsmäßig zu kompliziert. Der Ausschuß hielt es für ausreichend, daß der Stand der Spareinlage zum Anfangs- und zum Endpunkt des erwähnten Zeitraumes ermittelt und verglichen wird. Durch die Anrechnung der Kopf- und Geschäftsbeträge ist es zu einer Umwandlung der Spareinlagen in vielen Fällen nicht gekommen, weil der Gegenwert vorweg als Kopf- oder Geschäftsbetrag in bar ausgezahlt worden war. Dies darf aber nicht dazu führen, daß dem Altsparer insoweit auch die Altsparerentschädigung entzogen würde. Insbesondere in stark kriegszerstörten Gebieten ist ein erheblicher Teil der Kontounterlagen der Geldinstitute verloren gegangen. Um Härten für die Altsparer, die auch die Sparbücher nicht mehr vorzulegen vermögen, auszuschließen, sieht das Gesetz vor, daß in diesen besonderen Fällen ein fiktiver Betrag der Altsparanlage zugrunde gelegt wird. Anlage 3 geht von der Annahme aus, daß sich das einzelne Sparkonto etwa in demselben Umfang erhöht hat wie das Gesamtvolumen der Spareinlagen im Bundesgebiet. Nach eingehender Prüfung hat der Ausschuß trotz mancher Bedenken sich dafür entschieden, die „Bagatellgrenze" für Spareinlagen niedriger festzusetzen als für die Sparanlagen im übrigen. Dafür war maßgebend, daß der Verwaltungsaufwand für die Feststellung des Altsparguthabens bei Spareinlagen erheblich geringer ist als bei Sparanlagen im übrigen, insbesondere hei Ansprüchen aus Lebensversicherungsverträgen, für die allein sonst die Frage der Bagatellgrenze praktische Bedeutung hat. Die Vorschrift entspricht den besonderen Wünschen der Kreditinstitute, die Spareinlagen verwalten; allerdings soll nach § 23 Abs. 3 bei Altspareinlagen, die unterhalb der allgemeinen Bagatellgrenze liegen, das Institut einen Unkostenbeitrag nicht erhalten. Zu § 8: Auf Bausparguthaben finden im wesentlichen die allgemeinen Vorschriften des Ersten Abschnitts Anwendung. Eine Verweisung auf § 7 Abs. 1 war nicht notwendig und auch nicht angebracht, weil dem Wesen des Bausparvertrags nach die Bausparguthaben sich fortlaufend erhöhen und insoweit auch kontomäßig leicht zu verfolgen sind. Die Übernahme der Grundsätze des § 7 Abs. 1 hätte hier nur die nicht beabsichtigte Wirkung gehabt, daß bei Ablauf eines Bausparvertrages und späterem Abschluß eines neuen Bausparvertrages bei demselben Institut der Anspruch aus dem zweiten Vertrag als Altsparanspruch anerkannt worden wäre. Zu § 9: Bei Schuldverschreibungen mußte der Entwurf darauf Rücksicht nehmen, daß die Rechtsverhältnisse hinsichtlich der Schuldverschreibungen bereits im Wertpapierbereinigungsverfahren oder schon vorher im Verfahren bei Ausstellung der Lieferbarkeitsbescheinigungen überprüft worden sind. Es war dringend geboten, in jeder, mit den Grundsätzen der Altsparerregelung vereinbarten Weise darauf hinzuwirken, daß die hierbei geleisteten Vorarbeiten auch im Altsparergesetz verwertet werden können. Absatz 2 stellt ausdrücklich klar, daß die Altsparerentschädigung nur aus einer Schuldverschreibung gewährt werden kann, hinsichtlich deren der ordnungsmäßige Besitz auf einen im Wertpapierbereinigungsgesetz vorgesehenen oder anerkannten Weg festgestellt worden ist. Nach dem 1. Januar 1940 sind in erheblichem Umfang neue Schuldverschreibungen zu dem Zweck ausgegeben worden, im Wege des Umtausches alte Schuldverschreibungen insbesondere im Zusammenhang mit der Herabsetzung des Zinssatzes abzulösen. Durch einen solchen Umtausch soll die Eigenschaft der Schuldverschreibung als Altsparanlage nicht ausgeschlossen werden. Darüber hinaus ist zur Vereinfachung des Verfahrens vorgesehen, daß für solche Emissionen, die ausschließlich oder überwiegend für Umtauschzwecke verwandt worden sind, eine Umtauschvermutung zugunsten des Altsparers gelten soll. Das Verfahren bei der Wertpapierbereinigung und bei der Ausstellung der Lieferbarkeitsbescheinigungen hat grundsätzlich die Eigentumsrechte am Wertpapier bis auf den 1. Januar 1945 zurückverfolgt. Der Einzelnachweis, daß das Wertpapier dem Altsparer schon am 1. Januar 1940 zugestanden hat, würde dagegen in der Regel mit kaum zumutbaren Schwierigkeiten verbunden sein. Andererseits hat während des Krieges hinsichtlich der in Frage kommenden Schuldverschreibungen (Pfandbriefe und Kommunalschuldverschreibungen) ein Besitzwechsel nur in einem sehr geringen Umfange stattgefunden. Unter diesen Umständen hielt es der Ausschuß für vertretbar und auch für geboten, zugunsten des Altsparers eine Vermutung aufzustellen, daß ein solcher Besitzwechsel während des Krieges nicht stattgefunden hat, — mit anderen Worten, daß die Schuldverschreibung am 1. Januar 1940 demselben Gläubiger zugestanden hat wie am 1. Januar 1945. Im Verfahren der Ausstellung der Lieferbarkeitsbescheinigungen ist es nicht in allen Fällen zu einer Zurückverfolgung der Eigentumsrechte bis auf den 1. Januar 1945 gekommen, da auch ein offensichtlich rechtmäßiger Erwerb zwischen dem 1. Januar 1945 und dem Währungsstichtag die Grundlage für die Ausstellung bilden konnte. Außerdem ist dann, wenn die Lieferbarkeitsbescheinigung sich auf ein am Schalter vorgelegtes Stück (im Gegensatz zum Depotstück) bezieht, heute nicht mehr in allen Fällen die Nachprüfung der damals vorgelegten Unterlagen möglich. Hier hielt es der Ausschuß im Interesse der Verfahrensvereinfachung für vertretbar, eine Vermutung nach Absatz 4 aufzustellen. Doch soll in diesen Fällen die Nachprüfungspflicht der Institute weiter gehen als im Falle des Absatzes 3; alle Umstände, aus denen sich Zweifel an der Verfügungsberechtigung des Gläubigers am 1. Januar 1945 ergeben, sollen die Anwendbarkeit der Vermutung ausschließen. Zu § 10: Die materielle Regelung des Gesetzes soll bei Altsparanlagen in der Form von Industrieobligationen und verwandten Schuldverschreibungen die- (Dr. Atzenroth) selbe sein wie bei Pfandbriefen und verwandten Schuldverschreibungen. Trotzdem sind beide Fälle im Gesetz gesondert geregelt worden, weil damit zu rechnen ist, daß sich bei der verfahrensmäßigen en Durchführung des Gesetzes das Bedürfnis einer unterschiedlichen Behandlung beider Fälle ergeben wird. Zu § 11: Die auf Grund eines Lebensversicherungsvertrages einbezahlten Prämien dienen zum Teil der Abdeckung des Risikos, zum Teil stellen sie echte Spareinlagen dar. Die Höhe der Altsparanlage ergibt sich aus der Höhe der Prämienreserve am 1. Januar 1940, die nach versicherungsmathematischen Grundsätzen zu errechnen ist. Die genaue Ermittlung dieses Betrages würde aber einen außerordentlich und nicht vertretbaren Verwaltungsaufwand erfordern. Das Gesetz bestimmt daher, daß die Höhe der Altsparanlage auf Grund der in Anlage 4 enthaltenen Tabelle zu ermitteln ist, deren Anwendung ein sehr einfaches Verfahren ermöglicht und zu Werten führt, die von den genauen versicherungsmathematischen Werten nur geringfügig abweichen. Aus Billigkeitsgründen berücksichtigt das Gesetz auch Guthaben und Verträge, die vom Arbeitgeber für seine Arbeitnehmer abgeschlossen worden sind, allerdings nur in denjenigen Fällen, in denen der Anspruch aus dem Vertrag unmittelbar dem einzelnen Arbeitnehmer zugute kam und deswegen auch die Prämien grundsätzlich der Lohnsteuer unterlagen. Zu § 12: Bei Privathypotheken und ähnlichen grundpfandrechtlich gesicherten Ansprüchen mußte zunächst, da hier die Frage des schuldrechtlichen Anspruchs und des dinglichen Sicherungsanspruchs je besonders geprüft werden muß, klargestellt werden, wann die Sparanlage als Altsparanlage anerkannt wird. Hinsichtlich des dinglichen Rechts entsprach es der Billigkeit, auf den Zeitpunkt der Antragstellung beim Grundbuchamt, nicht auf den Zeitpunkt der Eintragung des Grundpfandrechts abzustellen. Es entsprach weiter der Billigkeit, in diesen Fällen eine Altsparanlage auch dann anzuerkennen, wenn zwischen dem 1. Januar 1940 und dem Währungsstichtag der Schuldner aus der Sparanlage — im Regelfall im Zusammenhang mit dem Übergang des Eigentums am haftenden Grundstück — gewechselt hat. Zu § 13: In den 81/2 Jahren zwischen dem 1. Januar 1940 und dem Währungsstichtag haben die Sparer vielfach eine Sparanlage in eine andere um g e wandelt (Beispiel: Übertragung eines Sparkontos auf ein anderes Geldinstitut, Abhebung einer Spareinlage und kurzfristige Neueinzahlung bei einem anderen Geldinstitut, Anlage der ausbezahlten Versicherungssumme aus einem Lebensversicherungsvertrag auf Sparkonto, Ankauf von Schuldverschreibungen aus einem Sparkonto). Es war unmöglich, alle Fälle dieser Art im Gesetz aufzuzählen. Andererseits entspricht es der Billigkeit, solche Fälle nach Möglichkeit zu berücksichtigen; doch ist im Interesse der Durchführbarkeit des Gesetzes eine genaue Einzelregelung erforderlich. Die Regelung der Frage im Rahmen der durch das Gesetz gezogenen Grundsätze ist daher einer Rechtsverordnung vorbehalten worden. Dabei wurde aus Billigkeitsgründen auch die Berücksichtigung solcher Fälle vorgesehen, in denen die durch die Umstellung betroffene Sparanlage nicht aus einer Sparanlage, sondern aus der Veräußerung sonstiger Vermögenswerte hervorgegangen ist. Als solche sonstigen Vermögenswerte sollen Einheiten des Grundvermögens, des land- und forstwirtschaftlichen Vermögens oder des Betriebsvermögens in Betracht kommen, ferner Entschädigungszahlungen nach der Kriegssachschädenverordnung in einer Höhe, die nach § 8 Abs. 2 Nr. 4 des Feststellungsgesetzes die Feststellung und damit die Entschädigung nach dem Lastenausgleichsgesetz ausschließt, endlich Devisenwerte der Auslandsdeutschen, die im Zusammenhang mit den Kriegsereignissen nach Deutschland zurückgekehrt sind. Die Anerkennung derartiger Fälle soll sich auf Härtefälle beschränken, also nicht Fälle der Vermögensumwandlung aus kaufmännischen oder sonst spekulativen Gesichtspunkten einbeziehen. Zu § 14: Die Verfahrensregelung des Entwurfs schließt sich grundsätzlich der Verfahrensregelung des Lastenausgleichsgesetzes an. Jedoch sind, ähnlich wie bei dem Gesetz über einen Währungsausgleich für Sparguthaben Vertriebener, den Ausgleichsbehörden verfahrensmäßig Geldinstitute derart vorgeschaltet, daß ein Tätigwerden der Ausgleichsbehörden nur in schwierigen oder streitigen Fällen erforderlich wird. Die Verfahrensregelung im einzelnen ist, vor allem im Hinblick auf die unterschiedlichen Verhältnisse bei den einzelnen Geldinstituten, in verhältnismäßig weitgehendem Umfang der Regelung durch Rechtsverordnung überlassen worden. Grundsätzlich ist nach Absatz 1 in das Verfahren dasjenige Institut eingeschaltet, bei dem die RMSpareinlage bestanden hat. Bei diesem Institut sind im Regelfalle die Unterlagen für den Entschädigungsanspruch ohnedies vorhanden. Bei Inhaberpapieren allerdings hat diese Unterlagen nicht das Emissionsinstitut, sondern dasjenige Kreditinstitut, welches den Anspruch im Wertpapierbereinigungsverfahren oder aus Anlaß der Ausstellung der Lieferbarkeitsbescheinigung geprüft hat. In solchen Fällen ist aus Gründen der Zweckmäßigkeit nicht das Schuldnerinstitut (Emissionsinstitut), sondern das als Anmeldestelle tätig gewordene Institut als zuständig erklärt worden. Die Regelung des Lastenausgleichs geht im allgemeinen von dem Grundsatz aus, daß eine Entschädigung nur auf Antrag gewährt wird (vgl. § 234 LAG). Nach eingehender Prüfung ist der Ausschuß zu dem Ergebnis gekommen, daß dieser Grundsatz bei der Altsparerregelung nur die Ausnahme bleiben soll. In einer sehr großen Zahl von Fällen werden a 11e für die Altsparerentschädigung wesentlichen Tatsachen aus den beim Institut vorliegenden Unterlagen eindeutig hervorgehen. In solchen Fällen wäre ein erheblicher Verwaltungsaufwand und eine erhebliche Verzögerung der Bearbeitung unnötig in Kauf genommen worden, wenn ein formeller Antrag gefordert worden wäre. Das Institut soll in solchen Fällen berechtigt sein, den Entschädigungsanspruch auch ohne Antrag anzuerkennen. Es erschien richtig, für den Entschädigungsantrag eine Frist vorzusehen, damit innerhalb absehbarer Zeit ein Gesamtüberblick über die entstehenden Verpflichtungen des Ausgleichsfonds gewonnen (Dr. Atzenroth) werden kann. Jedoch sollen die Anträge nicht sofort gestellt werden, damit die Institute nach Inkrafttreten des Gesetzes zunächst die aus ihren Unterlagen eindeutig sich ergebenden Ansprüche anerkennen können. Dies wird für die einzelnen Institutsgruppen wohl einen verschieden langen Zeitraum in Anspruch nehmen. Dann soll die Möglichkeit der Antragstellung eröffnet werden. Der Antragsteller soll grundsätzlich eine Frist von einem Jahr zur Verfügung haben. Wegen der Unterschiede bei den verschiedenen Institutsgruppen soll der Zeitpunkt, von dem ab jeweils die Antragsfrist zu laufen beginnt, nach näherer Prüfung durch Rechtsverordnung bestimmt werden. Zu § 15: Das Gesetz über einen Währungsausgleich für Sparguthaben Vertriebener hatte zwei verschiedene Fälle hinsichtlich der zu erteilenden Bescheide vorgesehen, nämlich den Fall, daß das Institut einen Bescheid erteilt, gegen den die Beteiligten die Entscheidung der Ausgleichsbehörde anrufen könne und den Fall, daß das Institut die Angelegenheit unmittelbar zur Entscheidung an die Ausgleichsbehörde abgibt (vgl. § 9 Abs. 3 WAG). Bei Durchführung des Altsparergesetzes wird sich vielfach ergeben, daß es sich um sog. ,,glatte" Fälle handelt, in denen der Entschädigungsanspruch zweifelsfrei besteht. Das Altsparergesetz folgt daher zwar im Grundsatz der Regelung des WAG, sieht aber auch den dritten Fall eines endgültigen Bescheides durch das Institut vor. Eine Gefährdung der Interessen des Ausgleichsfonds hieraus ist nicht zu befürchten, da die Institute bei Durchführung des Gesetzes überwacht werden (vgl. § 21) und bei vorsätzlicher oder grober Fahrlässigkeit bei Erteilung des Bescheides eine Verpflichtung des Ausgleichsfonds aus Deckungsforderungen nicht besteht (vgl. § 19 Abs. 2). § 15 regelt dementsprechend mit den Absätzen 1 bis 3 die drei Fälle des endgültigen, des von der Ausgleichsbehörde nachzuprüfenden und des unmittelbar von der Ausgleichsbehörde zu erlassenden Bescheides. Absätze 4 bis 7 regeln im einzelnen Fragen technischer Art. Zu § 16: Soweit es nach § 15 zu einem Verfahren vor den Ausgleichsbehörden kommt, konnten die Vorschriften des Lastenausgleichsgesetzes über das rechtsförmliche Verfahren als entsprechend anwendbar erklärt werden. Damit ist auch sichergestellt, daß der Altsparer stets die Möglichkeit hat, die Frage seines Rechtsanspruchs in letzter Instanz durch die Verwaltungsgerichte und das Bundesverwaltungsgericht prüfen zu lassen. Zu § 17: Die Verfahrensregelung des Gesetzes beschränkt sich auf die Festlegung der Grundsätze. Hinsichtlich der Einzelheiten werden zahlreiche zusätzliche Vorschriften angebracht sein. Es erschien richtig, diese Einzelheiten des Verfahrens einer Rechtsverordnung zu überlassen. Der Regelung durch Rechtsverordnung bedürfen nur solche Vorschriften, die auch gegenüber den Verwaltungsgerichten und gegenüber den einzelnen Bürgern Verbindlichkeit haben müssen. Regelungen organisatorischer Art, die nur im Innenverhältnis der Geldinstitute und der Behörden Bedeutung haben, kann auch der Präsident des Bundesausgleichsamts (§ 21 Abs. 1) treffen. Zu § 18: Zur Vereinfachung des Verfahrens, vor allem aber auch im Interesse der Geschädigten erschien es richtig, den Geschädigten nicht nur die in § 5 geregelten öffentlich-rechtlichen Ansprüche gegen den Ausgleichsfonds, sondern in Erfüllung dieses Anspruchs zusätzlich schuldrechtliche Ansprüche gegen das Schuldnerinstitut zu geben. Hierdurch wird die Tatsache, daß die umgestellte Altsparanlage Ausgangspunkt für die Entschädigung ist, für den Altsparer deutlicher gemacht. Es wird sich in manchen Fällen, insbesondere bei Schuldverschreibungen, die Möglichkeit ergeben, die Altsparanlage und den Entschädigungsanspruch für den Geschädigten derart zu koppeln, daß beide Ansprüche als eine Einheit erscheinen. Es wird endlich der Anreiz geschaffen, daß die Institute verfügbare liquide Mittel zur vorzeitigen Freigabe der Entschädigungsguthaben einsetzen. Der schuldrechtliche Anspruch, den der Entwurf als „Anspruch aus der Entschädigungsgutschrift" bezeichnet, soll sich in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle gegen dasjenige Institut richten, das Schuldner aus der Altsparanlage war. Dieser Grundsatz erschien lediglich in denjenigen Fällen undurchführbar oder unzweckmäßig, in denen der Schuldner kein Kreditinstitut oder Versicherungsunternehmen ist, also bei Privathypotheken und Industrieobligationen. Hier soll Schuldner ein Kreditinstitut sein, das der Aufgabe der Verwaltung der Guthaben gewachsen ist. Als geeignet erschien im Fall der Industrieobligationen dasjenige Institut, das im Wertpapierbereinigungsverfahren für den Schuldner aus der Altsparanlage als Prüfstelle bestimmt worden ist, im Fall der Privathypotheken dasjenige Institut, das mit der Verwaltung der in Frage kommenden Hypothekengewinnabgabe beauftragt ist oder mit der Verwaltung der Umstellungsgrundschuld beauftragt war. Die Grundsätze der Verzinsung der Entschädigungsgutschrift müssen denen der Verzinsung des Entschädigungsanspruches nach § 5 entsprechen. Dies ist durch Absatz 3 sichergestellt. Wann die Ansprüche aus den Entschädigungsgutschriften freigegeben werden können, hängt von den finanziellen Möglichkeiten des Ausgleichsfonds ab. Es war — wie auch bei der Hauptentschädigung nach dem Lastenausgleichsgesetz — unmöglich, im Gesetz selbst einen festen Termin für die Freigabe zu bestimmen. Doch bestimmt § 323 Abs. 6 des Lastenausgleichsgesetzes in der durch § 28 Nr. 6 dieses Gesetzes geänderten Fassung, welche Beträge der Ausgleichsfonds jeweils mindestens zum Zwecke der Freigabe der Entschädigungsgutschriften bereitzustellen hat. Den Instituten, die Schuldner aus den Entschädigungsgutschriften sind, bleibt eine Freigabe vor Einlösung der Deckungsforderungen selbstverständlich unbenommen. Der Ausschuß war sich darüber einig, daß die ersten Freigaben von Ansprüchen zugunsten der Sparer erfolgen müssen, die auf Grund ihres Lebensalters den dringendsten Anspruch besitzen. Die gesetzlichen Vorschriften über die Entschädigungsgutschriften bedürfen noch im einzelnen der Ergänzung durch Rechtsverordnung. Dabei wird insbesondere zu regeln sein, wie die Entschädigungsgutschrift schuldrechtlich zu werten ist, ob der Anspruch beispielsweise als Anspruch aus einem Konto oder als Anspruch aus einer Schuld- (Dr. Atzenroth) verschreibung zu gestalten ist. Ferner wird Näheres über die Form der Freigabe im einzelnen und über den Übergang der Verbindlichkeit aus der Entschädigungsgutschrift zu bestimmen sein. Insbesondere bei Spareinlagen und bei Ansprüchen aus Lebensversicherungsverträgen werden voraussichtlich die überwiegenden Gründe für die Gestaltung der Entschädigungsgutschrift in Form eines Guthabens sprechen, das meist nicht auf einen runden Betrag lauten wird; es wird sich hier in der Mehrzahl der Fälle um kleine Entschädigungsbeträge handeln. In diesen Fällen wäre eine laufende Auszahlung der Zinsen unzweckmäßig. Das Gesetz geht daher von dem Regelfall aus, daß die Zinsen der Entschädigungsgutschrift zuwachsen und mit dem Hauptbetrag ausbezahlt werden. Wenn es dagegen ermöglicht werden kann, dem Entschädigungsberechtigten eine Schuldverschreibung zu erteilen, die auf eine rund Summe lautet und als Inhaberpapier veräußert werden kann, würden insoweit wohl die überwiegenden Gründe für die laufende Auszahlung der Zinsen sprechen. Auch diese Frage soll nach weiterer Prüfung im einzelnen durch Rechtsverordnung geregelt werden. Zu § 19: Da die Institute, die Schuldner aus den Entschädigungsgutschriften sind, für den Ausgleichsfonds Verpflichtungen übernehmen, muß der Ausgleichsfonds ihnen insoweit die erforderliche Dekkung verschaffen. Die Regelung der Deckungsforderungen entspricht im Grundsatz der schon durch das Gesetz über einen Währungsausgleich für Sparguthaben Vertriebener eingeführten Regelung. Aus währungspolitischen Gründen sind die Deckungsforderungen grundsätzlich abweichend von den nach den Währungsgesetzen den Geldinstituten und Versicherungsunternehmen zuzuleitenden Ausgleichsforderungen geregelt. Das Gesetz enthält keine Vorschriften über eine Rediskontierung oder Lombardierung der Deckungsforderungen. Vielmehr sind die Deckungsforderungen zunächst im Grundsatz nur buchmäßige Gegenposten zu den nach dem Gesetz entstehenden Verpflichtungen der Institute aus Entschädigungsgutschriften; sie müssen in dem Augenblick vom Ausgleichsfonds in bar eingelöst werden, in dem durch das Fälligwerden der Entschädigungsgutschrift eine Verpflichtung des Instituts zur Barauszahlung des Anspruchs aus der Entschädigungsgutschrift entsteht. Zur Deckung der laufenden Kosten, die den Instituten aus der Verwaltung der Entschädigungsgutschriften entstehen, sind die Deckungsforderungen um 1/2 v. H. höher zu verzinsen als die Entschädigungsgutschriften. Dies soll nicht für das Kalenderjahr 1953 gelten, weil in diesem Jahr Kosten aus der Gutschriftsverwaltung nur in sehr beschränktem Umfange entstehen werden, insoweit aber eine angemessene Abgeltung schon durch den Unkostenbeitrag nach § 23 Abs. 2 erreicht wird. Absatz 2 stellt sicher, daß bei grobfahrlässig oder vorsätzlich zu Unrecht erteilten Bescheiden eine Verpflichtung des Ausgleichsfonds nicht entsteht. Auch hinsichtlich der Deckungsforderungen werden nähere Einzelheiten durch Rechtsverordnung festzulegen sein. In dieser Rechtsverordnung können, soweit sich dies als erforderlich erweisen würde, auch Vorschriften über die bilanzrechtliche Handhabung der aus der Durchführung des Altsparergesetzes bei den Instituten entstehenden Aktiv- und Passivposten getroffen werden. Zu § 20: Es mußte sichergestellt werden, daß der Entschädigungsberechtigte nicht daraus einen Schaden erleidet, daß das Institut, gegen das ihm erfüllungshalber ein schuldrechtlicher Anspruch zugeteilt worden ist, später zur Erfüllung dieses Anspruchs außerstande ist. Andererseits mußte der Ausgleichsfonds dagegen geschützt werden, daß über Deckungsforderungen, die ausschließlich zum Zwecke der Deckung der Verpflichtungen der Institute aus Entschädigungsgutschriften bestimmt sind, anderweitig verfügt wird. § 20 trifft die erforderlichen Grundsatzvorschriften in Absatz 1. Er enthält in den Absätzen 2 bis 4 Einzelvorschriften für die Fälle des Konkurses, des Vergleichsverfahrens und der Liquidation. Eine Sonderregelung mußte für die Fälle vorgesehen werden, in denen über den Anspruch aus der Entschädigungsgutschrift Schuldverschreibungen ausgegeben werden, für die nach gesetzlicher Vorschrift eine besondere Deckung gehalten werden muß, wie dies insbesondere für Pfandbriefe und Rentenbriefe gilt. Hier wäre es unzweckmäßig gewesen und hätte auch eine etwaige Koppelung des Entschädigungsanspruches und des Stammanspruches bei Ausgabe neuer Schuldverschreibungen unmöglich gemacht, wenn hinsichtlich der Entschädigungsgutschriften von einer besonderen Deckungsmasse ausgegangen werden müßte. In diesem besonderen Falle sollen daher nach Absatz 5 die allgemeinen gesetzlichen Vorschriften über die Deckung auch gelten für die Ansprüche aus Schuldverschreibungen, die durch das Altsparergesetz begründet werden. Dies setzt voraus, daß die Deckungsforderungen durch das Gesetz als geeignete Deckungsmittel bezeichnet werden. Der Ausschuß hat trotz gewisser Bedenken eine derartige Vorschrift als vertretbar und notwendig betrachtet, zumal bereits anläßlich der Währungsreform auch die Ausgleichsforderungen als Deckungsmittel anerkannt worden waren. Zu § 21: Die Geldinstitute handeln in Durchführung des Altsparergesetzes zwar nicht in allen Fällen als Behörden, wohl aber in Durchführung obrigkeitlicher Aufgaben. Ihre angemessene Überwachung bei Durchführung dieser Aufgaben war sicherzustellen. Gleichzeitig war festzulegen, daß der Präsident des Bundesausgleichamtes nicht nur den Ausgleichsbehörden, sondern auch den Geldinstituten die erforderlichen Weisungen erteilen kann. Die hierbei etwa zu beachtende Form bestimmt sich nach §§ 319 und ggf. 320, 321 LAG. Während der Absatz 1 Prüfung im Einzelfall ermöglicht, stellt Absatz 2 die Überprüfung aller Institute im Wege der Prüfung des Jahresabschlusses sicher. Auch hier soll das Nähere durch den Präsidenten des Bundesausgleichsamtes, jedoch im Benehmen mit den zuständigen Aufsichtsbehörden, bestimmt werden. Zu § 22: Die Frage, inwieweit der Entschädigungsberechtigte Gebühren oder Kosten zu übernehmen hat, ist nach den Grundsätzen des Lastenausgleichsgesetzes geregelt. Im Verfahren vor den Instituten soll jedoch, abgesehen vom Sonderfall des § 23 Abs. 5, eine Verpflichtung des Entschädigungsberechtigten zur Übernahme von Gebühren oder Kosten stets ausgeschlossen sein. (Dr. Atzenroth) Zu § 23: Die Frage, wer die Kosten der Ausgleichsbehörden zu tragen hat, ist durch § 351 LAG derart geregelt, daß grundsätzlich Bund, Länder sowie Stadt- und Landkreise die bei ihnen entstehenden Kosten tragen, der Bund aber den Ländern sowie den Stadt- und Landkreisen — in pauschalierter Form — 50 v. H. der entstehenden Kosten erstattet. Diese Regelung war zu übernehmen, zumal eine Ausscheidung der beschränkten aus Anlaß des Altsparergesetzes entstehenden Kosten der Ausgleichsbehörden ohnedies nicht möglich gewesen wäre. Es entsprach der Billigkeit, den Instituten, die bei Durchführung des Gesetzes obrigkeitliche Aufgaben wahrnehmen, diesen Beitrag zu den entstehenden Kosten zu gewähren; der Beitrag ist nach allgemeinen Grundsätzen des Lastenausgleichs vom allgemeinen Haushalt zu tragen. Auch die Institute haben von Anfang an ihr besonderes Interesse an einer Altsparerregelung bekundet. Es wäre unter diesen Umständen nicht angebracht und im übrigen auch technisch nicht möglich gewesen, die jeweils entstehenden Kosten in ihrer genauen Höhe voll zu erstatten. Das Gesetz wählt daher, ähnlich wie das WAG (§ 4 Abs. 2) die Regelung des pauschalen Unkostenbeitrags. Dieser Beitrag ist im Hinblick auf die erheblichen Unterschiede der durchschnittlich entstehenden Kosten einerseits nach der Form der Sparanlage, andererseits nach „glatten" und „nicht glatten" Fällen abgestuft. Die in Absatz 2 vorgesehenen Sätze erscheinen bei Abwägung aller Umstände und bei Berücksichtigung auch der Lage des Bundeshaushalts dem Ausschuß angemessen. Zugunsten der Spareinlagen wurde auf besonderen Wunsch der in Frage kommenden Kreditinstitute die Bagatellgrenze insoweit durch § 7 Abs. 3 von 50 RM auf 20 RM herabgesetzt. In diesen Fällen ist das Verhältnis zwischen Verwaltungsaufwand und Entschädigungsgutschrift besonders ungünstig. Es bestand Übereinstimmung, daß insoweit ein Unkostenbeitrag nicht angebracht ist. Die Höhe der den Instituten entstehenden Prüfungskosten wird von der näheren Gestaltung der Richtlinien abhängen, die der Präsident des Bundesausgleichsamts nach § 21 Abs. 2 zu erlassen hat. Diese besonderen Kosten sind, als noch nicht hinreichend schätzbar, nicht in die Pauschgebühr einbezogen, sondern nach Absatz 4 einer besonderen Regelung vorbehalten worden. Soweit in Erfüllung der Entschädigungsansprüche Schuldverschreibungen ausgegeben werden, werden die Gläubiger voraussichtlich insofern eine gewisse Vergünstigung erfahren, als bei diesen Schuldverschreibungen eine alsbaldige Barauszahlung der Zinsen und eine Veräußerung der Stücke in Frage kommen kann. Andererseits entstehen gerade im Bereich der Schuldverschreibungen erhöhte Verwaltungsaufwendungen deswegen, weil im allgemeinen zwei Institute in die Durchführung des Gesetzes eingeschaltet sind: Die Prüfung des Antrags und die Bearbeitung des Bescheides obliegt der Anmeldestelle (§ 14 Abs. 3), Schuldner aus der Entschädigungsgutschrift wird dagegen die Prüfstelle (§ 18 Abs. 1 Satz 3), der aus der Verbuchung der Verbindlichkeiten, der Beteiligung am Verfahren und dem erforderlichen Schriftwechsel Kosten entstehen. Der Unkostenbeitrag nach Absatz 2 kommt nur der Anmeldestelle zugute. Es erschien richtig, auch der Prüfstelle eine Unkostenabgeltung zu gewähren, deren Übernahme billigerweise dem Entschädigungsberechtigten zugemutet werden kann. Zu § 24: Der Entwurf mußte dem allgemeinen Grundsatz des Rückerstattungsrechts Rechnung tragen, daß Entziehungen im Sinne der Rückerstattungsgesetze als zu Unrecht erfolgt und als rückwirkend rückgängig gemacht angesehen werden. Er mußte dabei auch berücksichtigen, daß die Frage, ob ein Rückerstattungsfall überhaupt vorliegt, in zahlreichen Fällen noch streitig sein wird. Zu § 25: Die Vorschrift dient dem Schutze des Ausgleichsfonds. Sie entspricht im Grundsatz dem § 360 LAG. Zu § 26: In die Durchführung des Gesetzes sind in erheblichem Umfang Institute eingeschaltet, die nicht behördlichen Charakter haben und für die daher auch nicht unmittelbar die Vorschriften des Strafgesetzbuches über Verbrechen und Vergehen im Amte (§§ 33 ff.) gelten. Deshalb sollen die Vorschriften der Verordnung über Bestechung oder Geheimnisverrat nichtbeamteter Personen mit der Maßgabe Anwendung finden, daß durch Rechtsverordnung die für ihre Anwendbarkeit erforderlichen ergänzenden Bestimmungen getroffen werden. Zu § 27: Für Berlin (West) gilt eine besondere Währungsgesetzgebung. Auch ist noch mit dem Erlaß weiterer Gesetze (Umstellungsergänzungsgesetz, Altbankengesetz) zu rechnen. Die für Berlin schon geltenden und noch zu erwartenden besonderen Vorschriften werden gewisse Abweichungen von der Regelung des Altsparergesetzes im einzelnen erforderlich machen. Dies soll durch Rechtsverordnung angeordnet werden können. Dabei soll — vorbehaltlich näherer Prüfung — auch die Möglichkeit bestehen, von der Vorschrift des § 7 Abs. 2 abzuweichen, wonach der Nachweis der Altsparanlage jedenfalls dem Grunde nach geführt werden muß. Da in Berlin zahlreiche Institute, die Schuldner aus Altsparanlagen sind, weiterhin eine laufende Geschäftstätigkeit nicht ausüben, soll insoweit auch die Möglichkeit bestehen, die Angemessenheit des in § 23 Abs. 2 vorgesehenen Unkostenbeitrags zu prüfen. Zu §§ 28 und 29 (Fünfter Abschnitt) siehe Bericht des Abgeordneten Wackerzapp (Seite 12). Zu § 36: Die aufgehobene Vorschrift betrifft die Schattenquote. Es kann als nunmehr endgültig feststehend betrachtet werden, daß von den entsprechenden Ermächtigungen des Umstellungsgesetzes nicht Gebrauch gemacht wird. Es erschien daher richtig, sie zur Beseitigung von Unklarheiten aufzuheben. Die Vorschrift bedarf auf Grund des revidierten Besatzungsstatuts der Zustimmung der Alliierten Hohen Kommission. Zu § 31: Da das Altsparergesetz durch die Ausgleichsbehörden durchgeführt wird, bedarf es nach Artikel 120 a des Grundgesetzes der Zustimmung des Bundesrates. Die Vorschrift des Absatzes 1 dient im (Dr. Atzenroth) Hinblick auf Artikel 80 Abs. 2 des Grundgesetzes nur der Klarstellung. Die Vorschriften über die Freigabe der Entschädigungsgutschriften im einzelnen werden später wohl zweckmäßig der näheren Regelung durch den Präsidenten des Bundesausgleichsamts mit Zustimmung des Kontrollausschusses überlassen. Diese Möglichkeit besteht auch nach Artikel 80 Abs. 1 des Grundgesetzes, wenn die Übertragbarkeit der Ermächtigung im Gesetz ausdrücklich vorgesehen wird. Zu § 32: Das Gesetz soll gleichmäßig im Bundesgebiet und in Berlin (West) gelten. Zu § 33: Zur Vereinfachung der Durchführung des Gesetzes war es geboten, das Gesetz mit einem Vierteljahresersten wirksam werden zu lassen. Die Verzinsung der Entschädigungsansprüche und der Ansprüche aus der Entschädigungsgutschrift schon mit Wirkung vom 1. Januar 1953 an wird hierdurch nicht berührt. Bonn, den 4. Mai 1953 Dr. Atzenroth Berichterstatter Bericht des Abgeordneten Wackerzapp (Fünfter Abschnitt) I. Der § 1 des Lastenausgleichsgesetzes bezeichnet als Ziel des Lastenausgleichs „die Abgeltung von Schäden und Verlusten, die sich infolge der Vertreibungen und Zerstörungen der Kriegs- und Nachkriegszeit ergeben haben, sowie die Milderung von Härten, die infolge der Neuordnung des Geldwesens im Geltungsbereich des Grundgesetzes einschließlich Berlin (West) eingetreten sind." Die Milderung von Härten der Währungsreform, wofür der Altsparergesetzentwurf Vorschläge bringt, ist also eine ausgesprochene Pflichtaufgabe des Lastenausgleichs, dessen Ausgleichsfonds nach § 365 hierfür Mittel in angemessenem Umfang zur Verfügung zu stellen hat. Nach § 15 des Lastenausgleichsgesetzes gilt bei den dort aufgeführten Gruppen von Sparanlagen als Sparerschaden die Minderung des Nennbetrages, die dadurch eingetreten ist, daß die Sparanlagen im Zuge der Währungsreform im Verhältnis 10 zu 1 oder in einem ungünstigeren Verhältnis oder überhaupt nicht auf Deutsche Mark umgestellt worden sind. Sparerschäden, die nicht infolge der Währungsreform, sondern dadurch eingetreten sind, daß die Schuldner der in den Vertreibungsgebieten begründeten Sparanlagen durch die Gewaltmaßnahmen der Besatzungsmächte leistungsunfähig geworden sind, gelten nach den §§ 12 und 14 des Lastenausgleichsgesetzes als Vertreibungs- bzw. als Ostschäden. Sie werden nach dem Feststellungsgesetz festgestellt und gemäß den §§ 243 ff. des Lastenausgleichsgesetzes entschädigt. Eine Ausnahme gilt jedoch zugunsten Vertriebener für ihre Spareinlagen im Sinne des § 22 des Gesetzes über das Kreditwesen vom 25. September 1939 und für Postspareinlagen. Diese Einlagen sind durch das Gesetz über einen „Währungsausgleich für Sparguthaben Vertriebener" vom 27. März 1952 (Neufassung vom 14. August 1952) mit 6,5 % ihres Reichsmarknennbetrages am Tage der Vertreibung entschädigt worden. Nunmehr sollen sie, soweit sie die im Altsparergesetz vorgeschriebenen Voraussetzungen für die Anerkennung als „Altsparanlage" erfüllen, ebenfalls in den Genuß der auf 20 % des Reichsmarknennbetrages festgesetzten Entschädigung kommen. Zu diesem Zweck wird der § 3 Abs. 1 des Währungsausgleichsgesetzes in der Weise ergänzt, daß bei ,,Altsparguthaben" die Entschädigung nicht 6,5 %, sondern 20 % des am 1. Januar 1940 bestandenen Reichsmarkbetrages ausmacht. Für den Fall, daß der Vertriebene den am 1. Januar 1940 vorhandenen Bestand seines Guthabens nicht nachweisen kann, gelten kraft Gesetzes 20 % des am Vertreibungstage vorhandenen Reichsmarkguthabens als „Altsparerguthaben" und erhalten hierauf eine zusätzliche Entschädigung von 13,5 %. Diese Regelung ergab sich aus der Notwendigkeit, der seit 1940 eingetretenen Geldentwertung in angemessener Weise Rechnung zu tragen. Sollte das am 1. Januar 1940 vorhandene und nachgewiesene „Altsparguthaben" nicht auf Reichsmark gelautet haben, sondern etwa auf Zloty oder tschechische Kronen, dann wird derjenige Betrag als „Altsparguthaben" anerkannt, der sich bei der ersten Umstellung auf Reichsmark ergeben hat. Weil die Altsparerentschädigung für die Vertriebenen im Rahmen des Währungsausgleichsgesetzes durch Aufstockung der bisher gewährten Entschädigung von 6,5 % auf 20 % vorgenommen wird, ergeben sich gewisse Besonderheiten gegenüber dem System des Altsparergesetzes. Durch eine Ergänzung des § 9 Abs. 2 des Währungsausgleichsgesetzes wird betimmt, daß ein mit 6,5 % erteilter Entschädigungsbescheid auf 20 % aufzustocken ist, soweit die Voraussetzungen des „Altsparguthabens" gegeben sind. Da die zusätzliche Entschädigung also nur eine Erweiterung des ursprünglichen Entschädigungssatzes darstellt, kommen die Vorschriften des Altsparergesetzes über den Rechtscharakter der Entschädigungsgutschrift (§ 18) sowie über die Deckungsforderungen, Haftung, Überwachung, Verzinsung, Gebühren und Verwaltungskosten für die zusätzliche Entschädigung der Vertriebenen nicht in Betracht. Hierfür gelten vielmehr die entsprechenden Bestimmungen des Gesetzes über den Währungsausgleich für Sparguthaben Vertriebener, das in § 11 Abs. 4 der Bundesregierung die Befugnis verleiht, durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, die Grundsätze für die Freigabe der Ausgleichsguthaben festzusetzen. Durch eine Ergänzung dieser Bestimmung soll die Bundesregierung nunmehr ermächtigt werden, diese Befugnis auf den Präsidenten des Bundesausgleichsamts zu übertragen. Die Finanzierung der zusätzlichen Ostsparerentschädigung erfolgt nicht nach den in § 28 Ziff. 6 des Altsparergesetzes festgelegten Richtlinien, sondern nach § 323 Abs. 5 des Lastenausgleichsgesetzes. Nach § 3 Abs. 2 des Währungsausgleichsgesetzes für Vertriebene wird die Entschädigung von 6,5 % nur (WackerzaPP) gewährt, wenn das verlorene Reichsmarksparguthaben den Betrag von 50 RM übersteigt. Nachdem nunmehr das Altsparergesetz in § 7 Abs. 3 die zusätzliche Entschädigung auf 20 % schon bei Altspareinlagen von mindestens 20 RM zuläßt, entsprach es der Billigkeit, den Vertriebenenguthaben die gleichen Möglichkeiten zu eröffnen. Zu diesem Zwecke soll der § 3 Abs. 2 des Währungsausgleichsgesetzes dahin geändert werden, daß bereits Sparguthaben von mindestens 20 RM entschädigungsberechtigt sein sollen und damit, falls sie die Voraussetzungen einer Altsparanlage erfüllen, mit 20 % entschädigt werden. II. Die Erhöhung der Ostaltsparguthaben von 6,5 % auf 20 % muß auf alle diejenigen Bestimmungen des Lastenausgleichsgesetzes und des Gesetzes über den Währungsausgleich Vertriebener Rückwirkungen äußern, die auf dem bisherigen Entschädigungssatz von 6,5 % aufgebaut waren. Die hierfür erforderlichen Gesetzesänderungen sind in § 28 und § 29 des Altsparergesetzes getroffen worden. Aus der Erhöhung der übrigen „heimischen" Sparanlagen (Pfandbriefe, Obligationen, Lebensversicherungen, Privathypotheken) ergeben sich jedoch noch weitere Konsequenzen im System des Lastenausgleichs. Allerdings nicht für die Aufbringungsseite, weil das durch die Altsparerentschädigung neu entstehende Vermögen an dem nach § 21 des Lastenausgleichsgesetzes für die Vermögensabgabe maßgebenden Stichtag vom 21. Juni 1948 noch nicht vorhanden war. Dagegen wird dieses Vermögen in Zukunft für die Heranziehung zur allgemeinen Vermögensteuer in Frage kommen. Um so einschneidender können dagegen die Auswirkungen für die „empfangende" Seite sein, nämlich dann, wenn der mit 20 % entschädigte Altsparer gleichzeitig zum Kreise der nach dem Lastenausgleichsgesetz Entschädigungsberechtigten gehört. In diesen Fällen entsteht für die Vertriebenen ein Vorteil dadurch, daß sie ihre verlorenen Geldansprüche, die sie bisher im allgemeinen nur mit 10 %o des Reichsmarkbetrages in die Verlustliste aufnehmen durften, nunmehr, wenn es sich um Altsparanlagen handelt, mit 20 % ansetzen können. Kann der am 1. Januar 1940 vorhandene Bestand nicht nachgewiesen werden, so wird die Altsparanlage für diesen Tag nach dem Bestande am Vertreibungstage mit einem Abschlag berechnet, der für die einzelnen Gruppen von Sparanlagen je nach dem Grade der für sie errechneten Geldentwertung in verschiedener Höhe angenommen worden ist, und zwar für Spareinlagen mit 20 %, für Pfandbriefe und sonstige Wertpapiere mit 80 %, für Industrieobligationen mit 50 %, für Ansprüche aus Lebensversicherungen mit 60 % und für Privathypotheken mit 100 %. Bei dieser Gelegenheit wurde im Ausschuß auf die sich aus der Struktur des Lastenausgleichsgesetzes für die Vertriebenen ergebende Unbilligkeit hingewiesen, daß ihre zur Entschädigung angemeldeten Geldforderungen einer doppelten Abwertung unterworfen werden. Sie dürfen zunächst nach § 245 Ziff. 3 nur mit dem währungsmäßigen Umstellungsbetrag in Ansatz gebracht werden; von diesem „dezimierten" Betrag wird sodann die Entschädigung nach dem stark degressiv gestalteten und mit weitgespannten Schadensgruppen ausgestatteten Tarif des § 246 berechnet, wodurch insbesondere bei hohen Summen große Härten eintreten können. Trotz Anerkenung dieses Nachteiles war jedoch der Ausschuß in seiner Mehrheit der Meinung, daß es sich hier um ein grundsätzliches Problem des allgemeinen Lastenausgleichs handele, das nicht in einem Spezialgesetz, wie im Altsparergesetz, nebenbei gelöst werden könne. Dies sei vielmehr nur durch eine entsprechende Novelle zum Lastenausgleichsgesetz möglich. Als Folge der Altsparerentschädigung können sich Rückwirkungen für solche Vertriebene, Kriegssachgeschädigte und Währungsgeschädigte ergeben, die Empfänger von Ausgleichsleistungen, insbesondere von Kriegsschadensrente, sind. Dies ist z. B. dann der Fall, wenn das Vermögen, das bisher der Gewährung und Berechnung von Ausgleichsleistungen zugrunde gelegt worden war, durch die Altsparerentschädigung eine Erhöhung erfährt. Vielleicht wird nunmehr die nach § 268 des Lastenausgleichsgesetzes maßgebliche Vermögensgrenze von 5000,— DM überschritten oder es entstehen Zinseinkünfte, die nach den §§ 267 und 279 bei der Gewährung von Unterhaltshilfe und Entschädigungsrente anzurechnen sind. Es erschien dem Ausschuß jedoch nicht notwendig, wegen solcher Möglichkeiten besondere Bestimmungen zu treffen, weil die Empfänger von Unterhaltshilfe und Entschädigungsrente ohnedies nach den §§ 288 bis 290 verpflichtet sind, vom Eintritt maßgeblicher Änderungen ihrer Lebensverhältnisse Meldung zu erstatten. Dazu kommt, daß die Entschädigung sich in der Mehrzahl der Fälle in so bescheidenem Rahmen halten und ihr Vollzug sich. über einen so langen Zeitraum erstrecken wird, daß sie auf die Gestaltung der wirtschaftlichen Lage des Begünstigten keinen nachhaltigen Einfluß haben wird. Zur Behebung von Zweifeln erschien es jedoch zweckmäßig, durch § 28 Ziff. 5 des Altsparergesetzes dem § 266 Abs. 3 des Lastenausgleichsgesetzes einen Satz anzufügen, daß für Zwecke der Entschädigungsrente ein erlittener Sparerschaden nicht als Schadenbetrag angesetzt werden kann, so daß er nur als Grundlage für einen eventuellen Anspruch auf Unterhaltshilfe zu dienen vermag. III. Bei den bisher behandelten Materien handelt es sich im wesentlichen um das technische Problem, wie man die Vergünstigungen des Altsparergesetzes auch den Vertriebenen zugute kommen lassen könne. Weil aber die zur Finanzierung der allgemeinen Altsparerentschädigung notwendigen Mittel aus dem Lastenausgleichsfonds zur Verfügung zu stellen sind, ist der Ausschuß in eine eingehende Prüfung der Frage eingetreten, ob die vom Altsparergesetz getroffene Regelung mit den Grundgedanken vereinbar ist, die das Entschädigungssystem des allgemeinen Lastenausgleichs bestimmen,, und ob etwaige Abweichungen vertreten werden können. Dem Lastenausgleichsgesetz liegt, wie sich als Folgerung aus § 249 ergibt, das allerdings nicht bis zur letzten Konsequenz durchgeführte Prinzip zugrunde, daß niemand einen Entschädigungsanspruch geltend machen kann, der aus der Not des Krieges mehr als die Hälfte seines ursprünglichen Vermögens retten konnte. Die Entschädigung nach dem Lastenausgleichsgesetz wird überdies weitgehend durch soziale Erwägungen bestimmt. Das Ausmaß der Entschädigung richtet sich nicht proportional nach der Höhe des erlittenen Vermögensverlustes. Ein stark degressiv gestalteter Tarif übt vielmehr eine mindernde Wirkung aus. Dazu (Wackerzapp) kommt, daß der Zeitpunkt der Auszahlung einer Hauptentschädigung nicht übersehbar ist. Er wird weitgehend durch das Erfordernis der sozialen Dringlichkeit beeinflußt und ist dadurch dem Verwaltungsermessen überlassen. Es ergibt sich aber aus der Natur der Dinge, daß eine Entschädigung für den Verlust von Sparguthaben, Wertpapieren, Versicherungen und Hypotheken nur dann einen Sinn hat, wenn dem Begünstigten ein zahlenmäßig fixierter Betrag in der Form eines Rechtsanspruchs zugebilligt wird, der mit festen Zinsen und mit übersehbaren Auszahlungschancen ausgestattet ist. Nur dann stellt der Entschädigungsanspruch für ihn einen wirtschaftlichen Wert dar, den er unmittelbar oder mittelbar zu seinen Gunsten ausnutzen kann. Dazu kommt, daß der technische Vollzug der zusätzlichen Entschädigung angesichts des ungeheuren Umfangs des Interessentenkreises nur durch Einschaltung der für die einzelnen Gruppen von Sparanlagen zuständigen Institute erfolgen kann. Diese aber können nur zu technischen Arbeiten herangezogen werden, ohne daß es möglich wäre, sie zusätzlich auch noch mit der Wahrung sozialer Gesichtspunkte zu betrauen. Die Frage, ob die Entschädigung für den Verlust von Altsparanlagen vielleicht auch Berechtigten zugute kommt, die mehr als die Hälfte ihres Vermögens über die Kriegsnöte zu retten vermochten, kann nur beantwortet werden, wenn man die einem Berechtigten bei allen für ihn in Betracht kommenden Instituten zustehenden Entschädigungsansprüche zusammenrechnet und mit dem verlorenen sowie mit dem erhalten gebliebenen Vermögen in Beziehung setzt. Es leuchtet ein, daß schon die Zusammenfassung der verschiedenen Arten von Entschädigungsansprüchen bei einer Mehrzahl von Instituten eine schwer zu bewältigende Verwaltungsarbeit erfor-dern würde. Der außerdem noch notwendige Vermögensvergleich hätte weitere Schwierigkeiten zur Folge. Dazu kommt, daß die weitaus überwiegende Zahl der Entschädigungsfälle, insbesondere im Sektor der Sparkassen und Lebensversicherungen, sich um die Bagatellgrenze bewegt, so daß die kleinen finanziellen Vorteile überhaupt nicht zu Buche schlagen und darum unbedenklich ignoriert werden können. Dagegen könnte das Problem im Bereich der Großlebensversicherung, der Wertpapiere und der Privathypotheken Gewicht erhalten. Es wurde daher der Vorschlag zur Beratung gestellt, ob es möglich wäre, Höchstbeträge in der Weise festzusetzen, daß jedes einzelne Institut verpflichtet sein soll, die Altsparerentschädigung, sofern sie einen bestimmten Höchstbetrag überschreitet, an eine amtliche Stelle zu melden, die ihrerseits an eine Evidenzzentrale weiterberichtet, um bei ihr die Gesamtheit der dem Berechtigten zustehenden Entschädigungsansprüche zusammenzufassen. Alsdann hätte sich die Aufgabe ergeben, diese Ansprüche im Einklang mit dem Entschädigungstarif des Lastenausgleichsgesetzes degressiv abzugelten und bei Vermögen, die trotz des Krieges die Hälfte ihres Bestandes erhalten konnten, gänzlich zu streichen. Die eingehende, unter Anhörung von Sachverständigen vorgenommene Beratung ließ jedoch erkennen, daß die Durchführung solcher Aufgaben ein derartiges Übermaß von unbefriedigender Verwaltungsarbeit erfordern würde, daß kein angemessenes Verhältnis mehr zu dem erstrebten Effekt bestehen würde. Das Altsparergesetz erfaßt etwa 20 bis 25 Millionen Menschen. Nur bei einem verschwindenden Bruchteil wird die Entschädigung Summen ergeben, die objektiv und subjektiv von Belang sein können. Der Ausschuß war daher in seiner Mehrheit der Meinung, daß unter diesen Umständen die Entschädigung der Altsparanlagen nach rein quotalen Gesichtspunkten verantwortet werden könne. IV. Nach § 365 des Lastenausgleichsgesetzes sollen für die Altsparerentschädigung Mittel zur Verfügung gestellt werden. Über Ausmaß und Modalitäten sind nähere Bestimmungen nicht getroffen worden. Nachdem aber das Altsparergesetz den Begünstigten festumrissene Ansprüche nach Kapital und Zinsen zugebilligt hat, ist es erforderlich, in ihm auch Bestimmungen über die Erfüllung dieser Verpflichtungen zu treffen. Diesem Zwecke soll der neue Abs. 6 zu § 323 dienen, wie er in § 28 Ziff. 6 des Altsparergesetzes formuliert ist. Um die Tragweite dieser Regelung zu erkennen, muß kurz auf die Finanzlage des Ausgleichsfonds und auf das Volumen der aus der Altspareraufwertung sich ergebenden Ansprüche eingegangen werden. Die Altsparanlagen am 1. Januar 1940 der natürlichen Personen im Bundesgebiet werden für die öffentlichen Sparkassen mit 7,8 Mrd., die Raiffeisenbanken mit 2,2 Mrd., die privaten Banken mit 0,8 Mrd., die Volksbanken mit 0,9 Mrd. und die Post mit 0,1 Mrd., insgesamt mit 11,80 Mrd. angenommen, deren zusätzliche Aufstockung um 13,5 % einen Betrag von 1,593 Mrd. erfordern würde. Die auf 5 % umgestellten Berliner Uraltkonten erfordern die zusätzliche Erhöhung des Altsparbestandes vom 1. Januar 1940 (0,54 Mrd.) um 15 % (0,081 Mrd.), während die noch nicht umgestellten Altsparguthaben (0,27 Mrd.) für die 20 % Entschädigung 0,054 Mrd. benötigen würden. Nimmt man die mit 13,5 % aufzustockenden Altsparguthaben der Ostsparer mit 1 Mrd. an, so würden hierfür 0,135 Mrd. erforderlich sein. Hiernach wären im Sektor der Sparguthaben für die Entschädigung der Altsparanlagen auf 20 % ihres Reichsmarknennbetrages insgesamt 1,863 Mrd. erforderlich. Die zusätzliche Aufwertung an Altsparanlagen in Pfandbriefen, Kommunalobligationen, Industrieobligationen, Lebensversicherungen, Bausparguthaben und Privathypotheken wird etwa 1,32 Milliarden erfordern, so daß die Altspareraufwertung insgesamt einen Betrag von rund 3,2 Milliarden ausmachen würde. Nach § 18 Abs. 3 werden diese Kapitalforderungen mit Wirkung vom 1. Januar 1953 ab mit 4 % verzinst. Nach § 19 Abs. 1 hat der Ausgleichsfonds diejenigen Institute, bei denen die vorbezeichneten Kapitalforderungen zur Begründung gelangen, in entsprechender Höhe mit Deckungsforderungen auszustatten, die vom 1. Januar 1953 an mit 4 %, vom 1. Januar 1954 bis zum 31. Dezember 1957 mit 4l/2 % unter Ausschluß von Zinseszinsen zu verzinsen sind. Die 41/2%ige Verzinsung der Deckungsforderungen im Betrage von rund 3,2 Mrd. erfordert jährlich 144 Millionen DM. Nach § 28 Ziff. 6 soll zur Schonung des Ausgleichsfonds in den schwierigen Anlaufsjahren 1954 bis 1957 nur diese Verzinsung in Frage kommen, während eine Tilgung der Deckungsforderungen und damit die systematische Auszahlung der Entschädigungsguthaben erst vom Kalenderjahr 1958 ab vorgesehen ist. Von diesem Jahre ab muß der Ausgleichsfonds jährlich mindestens 200 Millionen zur Verfügung stellen, von denen ein jährlich absinkender Anteil für die (Wackerzapp) Verzinsung und ein jährlich steigender Betrag für die Tilgung zu verwenden wäre. Hiernach würde die volle Tilgung des für die Deckungsforderungen aufgewendeten Betrags von 3,2 Mrd. einen Zeitraum von rund 25 Jahren in Anspruch nehmen. Hieraus ergibt sich, daß die aus der Altsparerentschädigung aufkommenden Ansprüche eine sehr langfristige Kapitalanlage darstellen. Im Interesse der Altsparer wäre es daher dringend zu wünschen, wenn die für sie jeweils zuständigen Institute Mittel und Wege finden würden, die Ansprüche schon vorzeitig zu befriedigen oder, wenn die Finanzlage des Ausgleichsfonds es erlauben sollte, ohne Schädigung seiner sonstigen Aufgaben, höhere Mittel als die vorbezeichneten Mindestbeträge für die jährliche Tilgung ab 1958 zur Verfügung zu stellen. Die Gesamtbelastung des Ausgleichsfonds aus der Entschädigung der Altsparanlagen würde sich demnach zusammensetzen aus dem Kapitalbetrag der Altsparanlagen mit 3,2 Mrd. und den Zinsen für die den Instituten in derselben Höhe zu gewährenden Deckungsforderungen. Der Zinsfuß beträgt ab 1. Januar 1953 4 % und vom 1. Januar 1954 bis zum 31. Dezember 1957 41/2 %. Da die Verzinsung der Entschädigungsgutschriften unabhängig vom arbeitsmäßig bedingten Tage der Gutschrift rückwirkend vom 1. Januar 1953 zu laufen beginnt, muß also der Ausgleichsfonds bereits im Jahre 1953 das volle Deckungskapital von 3,2 Mrd. gegenüber den Instituten mit 4 % verzinsen, was einen Aufwand von 128 Mill. erfordert. Ab 1. Januar 1954 erhöht sich der Zinsfuß auf 41/2 %, so daß der jährliche Zinsaufwand 144 Mill. beträgt. Da bis zum Jahre 1957, also für vier Jahre, keine Tilgung vorgesehen ist, entsteht für diesen Zeitraum ein Zinsaufwand von insgesamt 576 Mill. DM. In den vom 1. Januar 1958 ab vorgesehenen Annuitäten von 200 Mill. befindet sich im ersten Jahre ein Tilgungsbetrag von 56 Mill., der eine von Jahr zu Jahr wachsende, der Minderung des Zinsanteils entsprechende Steigerung erfährt. Wenn die Amortisation in 25 Jahren erledigt ist, dann wären hierfür in dem Zeitraum von 1958 bis 1983 für Zinsen und Tilgung 5 Mrd. aufgewendet worden, wozu noch die Zinsen für das Jahr 1953 mit 128 Mill. und für die vier Jahre 1954 bis 1957 mit 576 Mill. hinzutreten, so daß sich ein Gesamtbetrag von 5,704 Mrd. DM ergibt. Der Ausschuß hat eingehend die Frage geprüft, ob ein Aufwand von 5,7 Mrd. für die Altsparerentschädigung im richtigen Verhältnis steht zu den Leistungen, die der Lastenausgleichsfonds zur Erfüllung der übrigen ihm im System des Lastenausgleichs obliegenden Aufgaben zu erbringen hat. In dem Schriftlichen Bericht des Lastenausgleichsausschusses zum Entwurf eines Gesetzes über den Lastenausgleich (zu Drucksache Nr. 3300) wird auf Seite 7 für den Lastenausgleichsfonds ein Gesamtaufkommen von 60 Mrd. erwartet. Die Gesamtausgaben werden, einschließlich eines für die Altsparerentschädigung vorgesehenen Betrages von 5 Mrd., auf 54 Mrd. veranschlagt. Der oben errechnete Gesamtaufwand für die Altsparerentschädigung in Höhe von 5,7 Mrd. einschließlich Zinsen würde also etwa 10 % des Gesamtaufkommens bedeuten. An der Altsparerentschädigung werden schätzungsweise 25 Mill. Menschen beteiligt sein, so daß die Kopfquote der Entschädigung durchschnittlich etwa 240 DM ausmachen würde. Außer den „reinen" Währungsgeschädigten kommen in den Genuß der Entschädigung in erheblicher Anzahl auch die Vertriebenen und Kriegssachgeschädigten. Sie erhalten diese Beträge zusätzlich zu den sonstigen Leistungen, die ihnen nach dem Lastenausgleichsgesetz zustehen. Der Ausschuß ist unter sorgfältiger Abwägung aller in Betracht kommenden Umstände in seiner Mehrheit zu der Überzeugung gekommen, daß die von ihm vorgeschlagene Altsparerentschädigung mit den vom Lastenausgleichsgesetz verfolgten Zielen und Zwecken nicht in Widerspruch steht, sondern eine angemessene Erfüllung des vom Gesetzgeber in § 365 des Lastenausgleichsgesetzes erteilten Auftrags darstellt. Bonn, den 30. April 1953 Wackerzapp Berichterstatter Namentliche Abstimmung in der zweiten Beratung über § 2 sowie Einleitung und Überschrift des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 (Nr. 2260 der Drucksachen) Name Abstimmung Name Abstimmung CDU/CSU Dr. Adenauer — Dr. Henle beurlaubt Albers Nein Hilbert Nein Arndgen Nein Höfler Nein Dr. Bartram (Schleswig- Holstein) Ja Hohl Ja Hoogen entschuld. Bauereisen Nein Hoppe enthalten Bauknecht Nein Dr. Horlacher entschuld. Dr. Baur (Württemberg). entschuld. Horn Nein Bausch Nein Huth Nein Becker (Pirmasens). Nein Dr. Jaeger (Bayern) Nein Blank (Dortmund) — Junglas entschuld. Frau Brauksiepe Nein Kahn Nein Dr. von Brentano entschuld. Kaiser - Brese Ja Karpf Nein Frau Dr. Brökelschen Nein Dr. Kather Ja Dr. Brönner Nein Kemmer Nein Brookmann Nein Kemper Nein Dr. Bucerius Nein Kern Ja Frau Dietz Nein Kiesinger entschuld. Donhauser Nein Dr. Kleindinst Nein Dr. Dresbach entschuld. Dr. Köhler Nein Eckstein Ja Dr. Kopf entschuld. Dr. Edert entschuld. Kühling Nein Dr. Ehlers Nein Kuntscher Ja Ehren Nein Kunze enthalten Eplée entschuld. Dr. Laforet Nein Dr. Erhard — Dr. Dr. h. c. Lehr Nein Etzenbach entschuld. Leibfried Ja Even Nein Lenz entschuld. Feldmann Nein Leonhard Nein Dr. Fink Nein Lücke Nein Dr. Frey entschuld. Majonica Nein Fuchs Nein Massoth — Dr. Freiherr von Fürsten- berg Nein Mayer (Rheinland-Pfalz) Nein Mehs Nein Fürst Fugger von Glött Nein Mensing entschuld. Funk Nein Morgenthaler Nein Gengler Nein Muckermann Nein Gerns entschuld. Mühlenberg Nein Dr. Gerstenmaier entschuld. Dr. Dr. Müller (Bonn) . entschuld. Gibbert entschuld. Müller-Hermann enthalten Giencke Ja Naegel Nein Dr. Glasmeyer Nein Neber Nein Glüsing Ja Nellen Nein Gockeln entschuld. Neuburger enthalten Dr. Götz Nein Nickl Nein Frau Dr. Gröwel Nein Frau Niggemeyer Nein Günther enthalten Dr. Niklas — Hagge Nein Dr. Oesterle Nein Dr. Handschumacher . enthalten Oetzel enthalten Frau Heiler Nein Dr. Orth Nein Heix Nein Pelster entschuld. Name Abstimmung Name Abstimmung Pfender Nein Brünen Ja Dr. Pferdmenges .. Nein Cramer Ja Frau Dr. Probst . Nein Dannebom Ja Dr. Pünder beurlaubt Diel Ja Raestrup Nein Frau Döhring Ja Rahn Nein Eichler Ja Frau Dr. Rehling entschuld. Ekstrand Ja Frau Rösch . Nein Erler entschuld. Rümmele Nein Faller Ja Sabel beurlaubt Franke Ja Schäffer Nein Freidhof Ja Scharnberg enthalten Freitag Ja Dr. Schatz Nein Geritzmann Ja Schill Nein Gleisner Ja Schmitt (Mainz) Nein Görlinger Ja Schmitz enthalten Graf Ja Schmücker Nein Dr. Greve beurlaubt Dr. Schröder (Düsseldorf) Nein Dr. Gülich Ja Schüttler Nein Happe Ja Schütz Nein Heiland Ja Schuler enthalten Hennig Ja Schulze-Pellengahr . Nein Henßler krank Dr. Semler entschuld. Herrmann Ja Dr. Serres Nein Hoecker Ja Siebel . enthalten Höhne Ja Dr. Solleder Nein Frau Dr. Hubert Ja Spies Nein Imig - Graf von Spreti Nein Jacobi Ja Stauch Nein Jacobs Ja Frau Dr. Steinbiß . Nein Jahn Ja Storch Kalbfell erstschuld. Strauß Nein Kalbitzer entschuld. Struve. Ja Frau Keilhack Ja Stücklen Nein Keuning Ja Dr. Vogel Nein Kinat Ja Wacker Nein Frau Kipp-Kaule Ja Wackerzapp enthalten Dr. Koch Ja Dr. Wahl enthalten Frau Korspeter Ja Frau Dr. Weber (Essen) entschuld. Frau Krahnstöver entschuld. Dr. Weber (Koblenz) Nein Dr. Kreyssig Ja Dr. Weiß . Nein Kriedemann Ja Winkelheide Nein Wittmann Nein Kurlbaum Ja Dr. Wuermeling . entschuld. Lange Ja Lausen entschuld. SPD Frau Lockmann Ja Ludwig Ja Frau Albertz Ja Dr. Luetkens Ja Frau Albrecht Ja Maier (Freiburg) Ja Altmaier entschuld. Marx Ja Frau Ansorge Ja Matzner Ja Dr. Arndt Ja Meitmann Ja Arnholz Ja Mellies Ja Dr. Baade Ja Dr. Menzel Ja Dr. Bärsch Ja Merten Ja Baur (Augsburg) Ja Mertins Ja Bazille. Ja Meyer (Hagen) Ja Behrisch Ja Meyer (Bremen) Ja Bergmann . Ja Frau Meyer-Laule Ja Dr. Bergstraeßer Ja Mißmahl Ja Berlin Ja Dr. Mommer. Ja Bettgenhäuser Ja Moosdorf Ja Bielig Ja Dr. Mücke Ja Birkelbach beurlaubt Müller (Hessen) Ja Blachstein Ja Müller (Worms) Ja Dr. Bleiß Ja Frau Nadig Ja Böhm Ja Dr. Nölting beurlaubt Dr. Brill Ja Nowack (Harburg) Ja Bromme Ja Odenthal Ja Name Abstimmung Name Abstimmung Ohlig Ja Kühn Ja Ollenhauer Ja Dr. Leuze Ja Paul (Württemberg) Ja Dr. Luchtenberg Ja Peters Ja Margulies Ja Pohle Ja Mauk Ja Dr. Preller Ja Dr. Mende Ja Priebe Ja Dr. Miessner Ja Reitzner Ja Neumayer Ja Richter (Frankfurt) entschuld. Dr. Dr. Nöll von der Nahmer entschuld. Ritzel Ja Onnen Ja Ruhnke Ja Dr. Pfleiderer Ja Runge Ja Dr. Preiß Ja Sander Ja Dr. Preusker Ja Sassnick Ja Rademacher Ja Frau Schanzenbach Ja Rath Ja Dr. Schmid (Tübingen) entschuld. Revenstorff Ja Dr. Schmidt (Niedersachsen) Ja Dr. Schäfer Ja Dr. Schöne Ja Dr. Schneider Ja Schoettle Ja Stahl Ja Segitz Ja Stegner Ja Seuffert Ja Dr. Trischler — Stech Ja de Vries Ja Steinhörster Ja Dr. Wellhausen Ja Stierle Ja Wirths Ja Striebeck Ja Frau Strobel beurlaubt DP Temmen Ja Tenhagen Ja Ahrens entschuld. Troppenz Ja Eickhoff Ja Dr. Veit entschuld. Ewers Ja Wagner entschuld. Farke Nein Wehner Ja Dr. Fricke Ja Wehr Ja Hellwege — Weinhold Ja Jaffé Ja Welke Ja Frau Kalinke Ja Weltner Ja Kuhlemann Ja Dr. Wenzel Ja Dr. Leuchtgens Nein Winter Ja Löfflad enthalten Wönner entschuld. Matthes Nein Zühlke Ja Dr. von Merkatz entschuld. Dr. Mühlenfeld entschuld. Schuster Nein FDP Dr. Seebohm — Tobaben Ja Dr. Atzenroth Ja Walter Ja Dr. Becker (Hersfeld) krank Wittenburg — Dr. Blank (Oberhausen) Ja Dr. Zawadil Ja Blücher — Dannemann Ja FU Dr. Dehler Ja Dirscherl entschuld. Freiherr von Aretin Nein Eberhard Ja Dr. Bertram (Soest) beurlaubt Euler Ja Dr. Besold Nein Fassbender Ja Clausen Nein Dr. Friedrich Ja Dr. Decker Nein Frühwald Ja Determann Nein Funcke entschuld. Eichner Nein Gaul Ja Hoffmann (Lindlar) Nein Dr. von Golitschek Ja Lampl entschuld. Grundmann Ja Maerkl. — Dr. Hammer Ja Mayerhofer Nein Dr. Hasemann Ja Dr. Meitinger Nein Dr. Hoffmann (Lübeck) Ja Pannenbecker Nein Dr. Hoffmann (Schönau) Ja Parzinger Nein Frau Hütter Ja Dr. Reismann entschuld. Frau Dr. Ilk Ja Ribbeheger Nein Jaeger (Essen) Ja Volkholz Nein Juncker beurlaubt Wartner Nein Dr. Kneipp Ja Willenberg entschuld. Name Abstimmung Name Abstimmung KPD Loritz entschuld. Reindl Nein Agatz Nein Fisch Nein Fraktionslos Gundelach Nein Frau Arnold Ja Harig entschuld. Aumer krank Kohl (Stuttgart) Nein Bahlburg Nein Müller (Frankfurt) . Nein Frau Bieganowski Nein Niebergall Nein Bodensteiner enthalten Niebes Nein Dr. Etzel (Bamberg) Nein Paul (Düsseldorf) Nein Freudenberg Ja Reimann entschuld. Fröhlich Ja Renner Nein Frommhold Ja Rische entschuld. Frau Jaeger (Hannover) . Ja Frau Strohbach entschuld. Dr. Keller entschuld. Frau Thiele entschuld. Müller (Hannover) — Dr. Ott Ja Gruppe WAV Schmidt (Bayern) Nein Ja von Thadden Goetzendorff entschuld. Tichi krank Hedler enthalten Wallner entschuld. Langer — Frau Wessel Ja Zusammenstellung der Abstimmung Abstimmung Abgegebene Stimmen 319 Davon: Ja 183 Nein 120 Stimmenthaltung 16 Zusammen wie oben 319 Berliner Abgeordnete Name Abstimmung Name Abstimmung CDU/CSU Neumann Ja Dr. Friedensburg beurlaubt Dr. Schellenberg Ja Dr. Krone Nein Frau Schroeder (Berlin) beurlaubt Lemmer entschuld. Schröter (Berlin) Ja Frau Dr. Maxsein Nein Frau Wolff Ja Dr. Tillmanns enthalten FDP SPD Dr. Henn Ja Brandt Ja Hübner Ja Dr. Königswarter krank Frau Dr. Mulert Ja Löbe Ja Dr. Reif Ja Neubauer Ja Dr. Will Ja Zusammenstellung der Abstimmung der Berliner Abgeordneten Abstimmung Abgegebene Stimmen 15 Davon : Ja 12 Nein 2 Stimmenthaltung 1 Zusammen wie oben 15
Gesamtes Protokol
Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0126400000
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 264. Sitzung des Deutschen Bundestags. Ich bitte um Bekanntgabe der Namen der entschuldigten Abgeordneten.

Julie Rösch (CDU):
Rede ID: ID0126400100
Es suchen für längere Zeit um Urlaub nach Frau Abgeordnete Schroeder (Berlin) und Abgeordneter Ahrens für zwei Wochen wegen dienstlicher Inanspruchnahme.
Entschuldigt fehlen die Abgeordneten Ollenhauer, Dr. Kopf, Funcke, Eplée, Frau Thiele, Lampl, Richter (Frankfurt), Dr. Keller, Dr. Veit, D. Dr. Gerstenmaier und Dr. von Merkatz.


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0126400200
Meine Damen und Herren! Ich bin gebeten worden, bekanntzugeben, daß die für 10 Uhr anberaumte kurze Sitzung des Ausschusses für Fragen der Presse, des Rundfunks und des Films um 11 Uhr in Zimmer 02 im Südflügel stattfindet.
Ich habe dem Herrn Abgeordneten Rümmele, der heute seinen 63. Geburtstag feiert, herzliche Glückwünsche auszusprechen.

(Beifall.)

Auf Grund einer interfraktionellen Vereinbarung soll der Punkt 6, also das Altsparergesetz, vor dem Punkt 5 erledigt werden.
Ich schlage Ihnen vor, meine Damen und Herren, mit Rücksicht darauf, daß wir erst um 10 Uhr angefangen haben, heute auf eine Mittagspause zu verzichten und durchzutagen.

(Zustimmung.)

Weiterhin schlage ich Ihnen vor, da wir bei der Abstimmung über Punkt 5 der Tagesordnung „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes" die Frage klären müssen, ob eine Zweidrittelmehrheit des Bundestags erreicht wird, vorzusehen, daß die Abstimmung über diesen Punkt um 16 Uhr stattfindet, in der Hoffnung, daß die Beratung bis dahin beendet ist, damit die Abgeordneten und die Ausschüsse sich darauf einrichten und wir zu einem bestimmten Zeitpunkt diese Abstimmung vornehmen können. Für den Fall, daß die Verhandlungen länger dauern, schlage ich vor, daß wir uns über einen späteren Termin der Abstimmung noch verständigen.
Ich rufe auf Punkt 1:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für gesamtdeutsche Fragen (8. Ausschuß) über den Antrag der Fraktion der SPD zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betreffend Zwangsmaßnahmen gegen den Bauernstand in der sowjetischen Besatzungszone (Nrn. 4303, 3956 der Drucksachen, Umdruck Nr. 764).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Gerns. Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen.

Heinrich Gerns (CDU):
Rede ID: ID0126400300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen hat sich während der Monate März und April in mehreren Sitzungen mit dem ihm zur Beratung überwiesenen Antrag der Fraktion der SPD zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU — Nr. 3956 der Drucksachen, Umdruck Nr. 764 — betreffend Zwangsmaßnahmen gegen den Bauernstand in der sowjetischen Besatzungszone befaßt.
Der Antrag verlangte von der Bundesregierung eine gründliche Unterrichtung der Ausschüsse für gesamtdeutsche Fragen und für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten über
a) Ausmaß und Folgen der in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands gegen die bäuerliche Bevölkerung eingeleiteten Zwangsmaßnahmen;
b) die Möglichkeiten, durch Hilfsaktionen ode: durch Lieferung von Lebensmitteln im Rahmen von Interzonen-Handelsabkommen den besonders hart betroffenen Bevölkerungsschichten der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands beizustehen;
c) die Hilfe, die den geflüchteten Bauern und ihren Angehörigen durch Ansiedlung oder auf andere Weise gewährt wird.
Der Ausschuß legt hiermit — nach Übereinkunft mit dem an der Ausschußüberweisung mitbeteiligten Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten —, dem Beschluß des Plenums folgend, einen Schriftlichen Bericht *) über seine Ermittlungen und Feststellungen vor. Ich darf mich deshalb auf einige wenige Punkte beschränken, die ich für zwingend notwendig erachte. um die Wichtigkeit des Problems in Kürze herauszustellen.
I. Die Kollektivierung der Landwirtschaft in der sowjetisch besetzten Zone und die Verfolgung der bisher selbständigen Bauern: Allein von Oktober vorigen Jahres bis Anfang April dieses Jahres haben 9363 Bauern mit ihren Familien Hof und Heimat verlassen. Da, wo in vielen Fällen vierhundert Jahre und mehr Bauerngeneration auf Bauerngeneration auf angestammtem Hof und Boden ein Element der Ruhe und Beständigkeit im Ablauf der Jahrhunderte wurden, hat die Massenflucht vor dem Terror der Bauernverfolgung eingesetzt.

(Zurufe von der KPD.)

Der Auftakt zur Offensive der sowjetzonalen Machthaber gegen das Bauerntum vollzog sich im Juni vorigen Jahres auf der 2. Parteikonferenz der SED durch die Beschlüsse über den „Aufbau des Sozialismus auf dem Lande". Im Zeichen des Klassenkampfes wurde den Großbauern — und darunter hatte sich von diesem Zeitpunkt ab jeder selbständige Landwirt zu rechnen, dessen Besitz mehr als 20 ha umfaßt — das Recht der bäuerlichen Existenz abgesprochen. Damit war die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft in ihr entscheidendes Stadium getreten. Der Kampf wird hierbei von den sowjetzonalen Machthabern mit den erprobten Methoden wirtschaftlicher und finanzieller Zwangsmaßnahmen geführt. Sodann verweise ich auf die Tarifordnung der Maschinen-TraktorenStationen (MTS), in der das nächste Mittel gefunden wurde, um die „Rentabilität der Großbetriebe" ins Schwanken zu bringen: Man führte eine Staffelung der Leihgebühren und der Kosten für Arbeitsleistungen der MTS ein, durch die der Großbauer — sprich: 20 ha große Besitz — Tarife zudiktiert erhält, die durchschnittlich um das Fünf- bis Siebenfache höher als die Sätze der Produktionsgenossenschaften im allgemeinen liegen. Ich verweise auf die Schwierigkeit des Erwerbs der alltäglichen Bedarfsartikel, die nur der „werktätige Bauer" auf Bezugschein erhalten kann. Ein weiteres unausweichliches Problem entsteht, wenn auf einem Großbetrieb die Arbeitskräfte fehlen, die nötig sind, wenn der Betrieb auch nur eine geringe Chance haben soll, die auferlegte Norm zu erfüllen. Der Zugang über die behördliche Arbeitsvermittlung zum öffentlichen Arbeitsmarkt ist dem Betriebsinhaber versagt. Schließlich ist auch die Besteuerung dieses Regimes mit überhöhten, völlig einseitigen Belastungen zum Kampfmittel der Vernichtung des selbständigen Bauerntums geworden.
Mit ziemlicher Sicherheit müssen die sowjetzonalen Erfassungsbehörden damit rechnen, daß als erste Auswirkung der neuen KollektivierungsKampagne für das Jahr 1953 ein Produktionsfehlbetrag von 500 000 bis 600 000 t Brotgetreide,
*) Siehe Anlage 1 Seite 12921


(Gerns)

1 025 000 t Kartoffeln und 60 000 t Lebendvieh eintreten wird. Dennoch wird über all diese Krisenerscheinungen hinweg der Aufbau der Produktionsgenossenschaften forciert. Die Zahl der Landarbeiter und Kleinbauern unter den Flüchtlingen aus der sowjetischen Besatzungszone — vom Bauernverband Berlin gemeldet — wird allein für die Zeit von Oktober 1952 bis Februar 1953 mit 4100 angegeben.
II. Der Zusammenbruch der Versorgung. Obwohl schon im Herbst 1952 den zuständigen Behörden der SBZ klar sein mußte, daß durch den überstürzten Drusch des noch feuchten Getreides ein Großteil der Getreideernte für den menschlichen Genuß unbrauchbar gemacht wurde, die Kartoffel- und Rübenernte außerdem schwer unter dem früh einsetzenden Frost gelitten hatte und die Brennstoffzuteilung für die betriebsfähigen Schlepper der MTS nicht hinreichte, die Herbstbestellung und die Winterfurche in vollem Maße durchzuführen, wurde in der Öffentlichkeit stereotyp behauptet. daß von einer Krisenlage auf dem Ernährungssektor in keiner Weise gesprochen werden könne.
Ein Überblick über die Versorgung mit den wichtigsten Grundnahrungsmitteln in der sowjetisch besetzten Zone ergibt gegenwärtig etwa folgendes Bild. Die Fettversorgung stützt sich fast ausschließlich auf Margarine. Butter reicht nur zur Kartenvollversorgung für Kinder, Schwerarbeiter und einige andere bevorzugte Schichten. Schon bisher erhielt die Bevölkerung stets nur ein Sechstel der zugeteilten Fettmenge in Butter.

(Hört! Hört! in der Mitte.)

In der ersten Jahreshälfte 1952 schien wenigstens das Margarineangebot in der SBZ noch ausreichend zu sein. Wie sehr die Bevölkerung darauf angewiesen war, zeigte, daß die HO-Läden für solche Margarine minderwertiger Qualität bei einem Preis von 8 DM pro Kilogramm Absatz fanden. Im zweiten Halbjahr 1952 fielen aber die Ölsaatimporte aus Bulgarien und Rumänien in Höhe von rund 39 000 t aus. Dadurch ist für die kommenden Monate die Markenbelieferung mit Margarine stark in Frage gestellt.
Bei der Versorgung mit Kartoffeln ergibt sich folgende Bilanz. Einem wahrscheinlichen Gesamtbedarf am Ende des ersten Quartals 1953 in Höhe von etwa 375 000 t steht bis zum Ende des dritten Quartals, also bis zum Anschluß an die neue Ernte, nachstehender Bedarf gegenüber: Bevölkerungsbedarf 800 000 t, reduzierter Industriebedarf 200 000 t, Sonderbedarf Sowjet-Armee 400 000 t, insgesamt 1,4 Millionen t. Vorhandener Bestand: 375 000 t, tatsächlicher Fehlbedarf: 1 025 000 t. Der neu ernannte Minister für Handel und Versorgung, Bach, mußte Ende Februar offiziell zugeben, daß die Kartoffelbestände im Monat April zu Ende gehen würden.
Der im „Volkswirtschaftsplan 1952 der DDR" aufgestellte Ernährungsplan hatte — sicherlich bereits in Anrechnung der durch die geplanten Umstellungen zu erwartenden Produktionsminderungen — im Jahre 1952 ein Getreideaufkommen von 3 350 000 t vorgesehen. Das tatsächlich erreichte Aufkommen lag um 470 000 t tiefer. Nun mull man sich darüber hinaus darauf gefaßt machen. daß im Jahre 1953 — bei einem Gesamtplan von 2 900 000 t — ein Brotgetreideausfall von mindestens 500 000 bis 600 000 t bevorsteht.
Das im Volkswirtschaftsplan vorgesehene Aufkommen an Fleisch wird im ersten Quartal 1953 wesentlich unter der mit 980 000 t festgesetzten Planziffer liegen, obwohl im Januar 1953 das Fleischablieferungssoll um 30 % erhöht worden ist. Mit der Kurzschlußlogik des autoritären Systems gab das Ministerpräsidium der Sowjetzone Mitte Februar darüber hinaus Weisung, daß gleichzeitig mit diesen überhöhten Forderungen die Eintreibung restlicher Rückstände von 1951 und 1952 mit insgesamt 26 000 t abgeschlossen wird.
Als Folge der langanhaltenden Trockenheit im Jahre 1952 wurden in der Gemüseerzeugung in der SBZ an Stelle der geplanten 900 000 t nur 485 000 t aufgebracht.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0126400400
Herr Abgeordneter Gerns, darf ich einen Augenblick unterbrechen. Sie dürfen unterstellen, daß das Haus den Bericht gelesen hat. Es scheint mir der Zweck der schriftlichen Berichte zu sein, daß hier nur Ergänzungen und Erläuterungen gegeben werden und nicht der Bericht im Wortlaut verlesen wird.

(Abg. Renner: Das macht er doch nur zur Hetze! Stören Sie ihn doch nicht!)


Heinrich Gerns (CDU):
Rede ID: ID0126400500
Ich darf dann kurz darauf verweisen, daß in Ziffer IV die Möglichkeiten zu Hilfsaktionen und zum Beistand für die besonders hart betroffenen Bevölkerungsschichten der sowjetisch besetzten Zone angegeben sind. Ich darf Sie bitten, gerade dieser Ziffer besondere Aufmerksamkeit zu schenken.
In Ziffer V wird die Betreuung der in die Bundesrepublik geflüchteten bäuerlichen Bevölkerung aus der sowjetisch besetzten Zone behandelt. Hierbei kommt es mir darauf an, daß die Frage der Landarbeiterwohnungen eine besondere Beachtung findet. Die Frage sollte zugunsten derjenigen, die heute noch berufsfremd tätig sind und in Landarbeiterwohnungen, sogenannten Werkswohnungen, untergebracht sind, dadurch einer Lösung zugeführt werden, daß der Betrag von etwa 180 Millionen DM mit für die Errichtung von Wohnungen und Werkswohnungen auf dem Lande verwendet wird.

(Abg. Renner: Ich denke, ihr wollt sie zu Bauern machen!)

Die Landvolkhochschulen haben eine besondere Notwendigkeit erkannt, solche bäuerlichen Kräfte zu erfassen und sie sofort dem Arbeitsprozeß in der Westzone zuzuführen.
Der Antrag des Ausschusses lautet: Der Bundestag wolle beschließen, dem Bericht im ganzen zuzustimmen. Namens des Ausschusses bitte ich Sie, diesen Antrag anzunehmen.

(Beifall.)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0126400600
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Ich eröffne die Aussprache im Rahmen der Ihnen vom Ältestenrat vorgeschlagenen Redezeit von 40 Minuten.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen.

(Abg. Renner: Jetzt kommt der Sachverständige!)


Jakob Kaiser (CDU):
Rede ID: ID0126400700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vorweg möchte ich film die Bundesregierung sagen,


(Bundesminister Kaiser)

daß sie den Bericht des Ausschusses für gesamtdeutsche Fragen über die Zwangsmaßnahmen gegen den Bauernstand in der sowjetischen Besatzungszone dankbar begrüßt. Die Bundesregierung kann nur wünschen, daß die gesamte Öffentlichkeit diesem Bericht die gebührende Beachtung schenkt. Ich brauche nicht zu erwähnen, daß die in Frage kommenden Ministerien für die beiden Ausschüsse alle verfügbaren Unterlagen bereitgestellt haben.

(Abg. Renner: Das haben wir auch ohne weiteres angenommen!)

Die Bundesregierung hat die Entwicklung der Landwirtschaft in der sowjetischen Besatzungszone mit steter Aufmerksamkeit und mit wachsender Sorge verfolgt. Sie hat den Gang der Entwicklung vorausgesehen. Sie war sich darüber klar, daß es um die Vernichtung des selbständigen Bauernstandes in der Zone geht. Sie war sich über die Folgen klar, die dieser Vernichtungskampf gegen das selbständige Bauerntum für die gesamte Bevölkerung der Sowjetzone haben müßte. Die Krise, die wir kommen sahen, ist da. Die Bevölkerung in Stadt und Land leidet akute Not. Mehr als 11/2 Millionen Menschen sind mit Wirkung vom 1. Mai bereits die Lebensmittelkarten entzogen worden. Sie sollen nunmehr ihren Bedarf in den HO-Läden zu erhöhten Preisen decken. Aber wer die Verhältnisse in der Zone kennt, der weiß, die HO-Läden sind an Lebensmitteln ebenso arm wie die übrigen Läden in der Zone.
Die Bundesregierung ist sich ihrer Verantwortung für die Bevölkerung Mitteldeutschlands bewußt; die Bundesregierung steht ja nun einmal für Gesamtdeutschland. Aber wir müssen die Frage aufwerfen: Wie kann geholfen werden? Der Bericht stellt fest, daß mindestens 13 Millionen in der Sowjetzone auf Hilfe und Unterstützung von außen angewiesen sind. Der Aufwand für eine einigermaßen ausreichende Hilfsaktion wird zunächst mit 461/2 Millionen DM errechnet.
Es ist keine Frage, meine Damen und Herren, daß die Bundesrepublik auch das noch schaffen müßte, wenn eine solche Hilfsaktion verwirklichbar ist. Denn das ist unsere Frage: Wie könnte in der Bundesrepublik auch nur einer ruhig schlafen, wenn er um die Notwendigkeit und die Möglichkeit der Hilfe für Millionen hungernder Deutscher weiß, und ich bin sicher, daß auch der vielbedrängte Finanzminister Schäffer noch Rat zu schaffen wüßte.
Die Bundesregierung jedenfalls wird prüfen, ob die Machthaber der Gegenseite der Hilfe von unserer Seite überhaupt Raum zu geben bereit sind, sei es auf dem Wege der Ausweitung des Interzonenhandels,

(Abg. Renner: Oder der Kerzenaktion!) sei es auf dem Wege von Warenkrediten,


(Abg. Renner: Durch Kerzenaktion!)

— lassen Sie doch Ihre dummen Bemerkungen!
— oder sei es auf dem Wege einer unmittelbaren Hilfsaktion.

(Abg. Renner: Heraus mit Sprengstoffmaterial!)

— Sie würden besser schweigen und sich schämen über die Zustände, die drüben sind!)

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien und bei der SPD. — Anhaltende Zurufe von der KPD.)

Ich wiederhole: oder sei es geradeswegs auf dem Wege einer Hilfsaktion großen Ausmaßes für die notleidende Bevölkerung.
Die Bundesregierung versichert dem Hohen Hause, daß sie jedenfalls alle Möglichkeiten der Hilfe prüft. Wir können dabei um unserer notleidenden Landsleute willen nur wünschen, daß die sowjetzonalen Behörden solchen Hilfsmaßnahmen keine Schwierigkeiten in den Weg legen. Es wäre im übrigen eine große Gelegenheit für die sowjetische Besatzungsmacht, in ihrem Einflußbereich erkennen zu lassen, daß auch für sie die Gesetze der Menschlichkeit selbstverständliche Verpflichtung sind.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Vorschläge, wie sie in dem Bericht des Ausschusses für gesamtdeutsche Fragen gemacht werden, in Westberlin Lager an Kartoffeln und Brot für die Ostberliner und die Bewohner der Zone zu errichten, haben sicherlich • einen guten Sinn. Aber sie können nur einem sehr begrenzten Kreis Hilfe bringen.
Auf jeden Fall aber muß die in der Geborgenheit der Bundesrepublik lebende Bevölkerung jede Möglichkeit der individuellen Hilfe durch Paketsendungen zu nützen suchen. Dabei darf es keine Rolle spielen, ob diese oder jene Sendung, ob dieses oder jenes Päckchen sein Ziel nicht erreicht.

(Abg. Renner: Oder Sprengmaterial enthält!)

— Ja, wir wissen ja Bescheid, wie die Päckchen der Reihe nach „sichergestellt" worden sind. So heißt es da drüben. Für jedes nichtbestätigte Päckchen sollten wir zwei neue senden, und auch die in- und ausländischen Hilfs- und Wohlfahrtsorganisationen sollten sich durch enttäuschende Erfahrungen in ihrem Helferwillen nicht entmutigen lassen. Wir sind der Auffassung, daß schließlich doch die Menschlichkeit siegen muß.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Renner: Sie sind der richtige Vertreter der Menschlichkeit!)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0126400800
Wird das Wort weiter gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Besprechung.
Meine Damen und Herren, ich komme zur Abstimmung. Sie haben den Antrag des Ausschusses für gesamtdeutsche Fragen in der Drucksache Nr. 4303 zur Kenntnis genommen. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünschen, sich von ihren Plätzen zu erheben. — Ich stelle fest, daß dieser Antrag gegen die Stimmen der kommunistischen Gruppe

(Zuruf von der Mitte: Pfui!)

einstimmig angenommen worden ist.
Ich rufe auf den Punkt 2 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über öffentliche Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsordnungsgesetz) (Nr. 1102 der Drucksachen);
Mündlicher Bericht des Ausschusses zum Schutze der Verfassung (5. Ausschuß) (Nr. 4291 der Drucksachen).

(Erste Beratung: 83. Sitzung.)

Berichterstatter ist an Stelle des Herrn Abgeordneten Hoogen Herr Abgeordneter Mehs. Bitte schön!


Matthias Joseph Mehs (CDU):
Rede ID: ID0126400900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das vorliegende Versammlungsordnungsgesetz oder kurz gesagt Versammlungsgesetz, wie es nach dem letzten Entwurf des 5. Ausschusses heißt, hat eine wechselvolle Vorgeschichte. Die Regierungsvorlage vom 26. Juni 1950, Drucksache Nr. 1102, wurde in der ersten Lesung in der 83. Sitzung vom 12. September 1950 dem Ausschuß zum Schutze der Verfassung unter Mitbeteiligung des Ausschusses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung überwiesen. Beide Ausschüsse haben sich damals in zahlreichen Beratungen mit der Vorlage befaßt. Die Beratungen wurden am 5. Juli 1951 abgeschlossen.
Die zweite und dritte Beratung des Entwurfs im Plenum war zunächst für die 172. Sitzung vom 7. November 1951 und dann für die 176. Sitzung vom 22. November 1951 vorgesehen. In beiden Fällen wurde der Punkt von der Tagesordnung abgesetzt, im ersteren Falle auf Wunsch der Fraktion der SPD, im zweiten Falle auf Grund einer interfraktionellen Vereinbarung. In der 220. Sitzung vom 26. Juni 1952 konnte endlich wenigstens der Mündliche Bericht des Ausschusses zum Schutze der Verfassung, Drucksache Nr. 2759, durch Herrn Dr. Becker erstattet werden. Indem ich auf seine Ausführungen verweise, kann ich es mir ersparen, auf die damals vorgebrachten Einzelheiten noch einmal einzugehen. Entsprechend einer interfraktionellen Absprache wurde in der 220. Sitzung jedoch nur dieser Bericht erstattet und im übrigen die Aussprache über den Bericht vertagt, die dann auf der Tagesordnung der 226. Sitzung vom 18. Juli 1952 stand. Da aber inzwischen weitgehende Änderungsanträge, einmal der Gruppe der KPD vom 26. Juni 1952 und 25. Februar 1953, Umdrucke Nrn. 586 und '761, ferner der Fraktion der DP vom 10. Juli 1952, Umdruck Nr. 603, und der Fraktion der SPD vom 16. Juli 1952, Umdruck Nr. 621, eingereicht worden waren, wurde der Entwurf auf einstimmige Empfehlung des Ältestenrates an den Ausschuß zum Schutze der Verfassung zurückverwiesen, um die eingegangenen Änderungsanträge so zu verarbeiten, daß der ganze Gesetzentwurf einheitlich beraten werden könne.
Der Ausschuß befaßte sich zunächst in der Sitzung vom 18. September 1952 erneut mit der Vorlage und mit den Änderungsanträgen. Eine Beratung des Änderungsantrags der Fraktion der DP, Umdruck Nr. 603, konnte in dieser Sitzung nicht erfolgen, da kein Vertreter der Fraktion der DP anwesend war, der Ausschuß aber dem Vertreter der antragstellenden Partei Gelegenheit zur Begründung des Änderungsantrages geben wollte. Der Änderungsantrag der Fraktion der SPD, Umdruck Nr. 621, wurde in dieser Sitzung durch den Vorsitzenden erläutert und begründet. Die Ausschußmitglieder der übrigen Fraktionen wurden gebeten, bis zur nächsten Sitzung ihre Stellungnahme dazu bekanntzugeben. Der Änderungsantrag der Gruppe der KPD, der darauf abzielte, die §§ 3 a, 4 Abs. 1, 7 Abs. 2, 12 Nr. 3, 15, 16, 17, 24, 26, 26 a, 28 Nr. 1, 3 und 4 sowie 30 a zu streichen, wurde einstimmig abgelehnt. Auf Vorschlag der Vertretung der Stadt Berlin wurde § 30 a entsprechend der üblichen Berlin-Klausel neu gefaßt.
Mit Rücksicht darauf, daß die Fraktion der DP auch in der Sitzung vom 5. Februar 1953 wiederum nicht vertreten war, beschloß der Ausschuß, über den Änderungsantrag der Fraktion der DP, Umdruck Nr. 603, zur Tagesordnung überzugehen, da aus der Nichtanwesenheit eines Vertreters der
Fraktion der DP geschlosesn werden müsse, daß die Fraktion an der Beratung ihres Änderungsantrages nicht mehr interessiert sei. Der Änderungsantrag der Fraktion der SPD, Umdruck Nr. 621, zu § 7 der damaligen Ausschußfassung wurde abgelehnt. Dagegen wurde in die Ausschußfassung des § 7 aufgenommen, daß die Ordner ausschließlich durch weiße Armbinden kenntlich zu machen sind.
Auf Empfehlung des Vertreters des Bundesministeriums des Innern wurde in § 16, der Bestimmungen über den befriedeten Bannkreis der Gesetzgebungsorgane des Bundes und der Länder enthält, das Bundesverfassungsgericht aufgenommen, nachdem der Ausschuß in früheren Sitzungen die in den Regierungsentwurf aufgenommenen übrigen Gerichte herausgenommen hatte. Der Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Einfügung eines neuen § 21 a wurde angenommen. Der Ausschuß hielt es jedoch für zweckmäßig, diese Bestimmung unter Abschnitt I Allgemeines als § 2 b aufzunehmen. Auf Vorschlag des Bundesministeriums der Justiz wurde zu § 23 die in der Gegenüberstellung enthaltene Neufassung beschlossen. Die Notwendigkeit der vorgeschlagenen Änderung ergab sich daraus, daß der tätliche Angriff als die schwerere Form des Delikts nicht straflos bleiben kann. Dieselbe Unrechtsbewertung hat der Gesetzgeber auch in § 113 des Strafgesetzbuchs vorgenommen, so daß kein Grund ersichtlich war, warum im Versammlungsgesetz andere Grundsätze gelten sollten.
Zu den §§ 24, 25, 26, 26 a und 28 wurden ebenfalls vom Bundesministerium der Justiz Neufassungen vorgeschlagen, und zwar wurde in § 24 Abs. 1 der Begriff „Werbung" für eine verbotene Veranstaltung durch den Begriff des „Aufforderns" ersetzt, weil hierdurch eine klarere Begriffsbestimmung erzielt wird und gleichzeitig einem Antrag der Fraktion der SPD, Umdruck Nr. 621, Rechnung getragen werden konnte. Außerdem wurde die Mindeststrafe von einem Monat Gefängnis auf Gefängnisstrafe schlechthin zurückgeführt. Diese Änderung war im Hinblick auf § 26 a notwendig, da es nicht denkbar ist, daß derjenige, der zu einer verbotenen Veranstaltung auffordert, unter schwerere Strafandrohung gestellt wird als derjenige, der diese Veranstaltung durchführt.
Die Neufassung des § 24 Abs. 2 bringt ohne sachliche Änderungen nur eine Klarstellung. Da die nach § 24 Abs. 1 strafbare Handlung nur vorsätzlich begangen werden kann, kommt Fahrlässigkeit nur bei Unkenntnis des Verbots einer Veranstaltung in Betracht. Die Neufassung des § 25 wurde wegen der Ergänzung des § 7 notwendig. Nach § 7 müssen die Ordner ehrenamtlich, volljährig, unbewaffnet und durch eine Armbinde gekennzeichnet sein. Außerdem dürfen sie nur in angemessener Zahl eingesetzt werden, wobei die Zahl von der Polizei eingeschränkt werden kann. Durch eine Bezugnahme auf § 7, wie sie ursprünglich vom Ausschuß vorgesehen war, wären also alle Verstöße gegen die einzelnen in § 7 enthaltenen Erfordernisse als Vergehen strafbar gewesen, obwohl einem Teil von ihnen kein krimineller Gehalt zukommt. Es war daher notwendig, der vom Justizministerium vorgeschlagenen Fassung, wie sie heute vorliegt, zuzustimmen.
In der in Drucksache Nr. 2759 enthaltenen Ausschußfassung des § 26 mußte Nr. 1 gestrichen werden, da der Einsetzung von Ordnern ohne polizeiliche Genehmigung an sich noch kein so schwerwiegender Unrechtsgehalt zukommt, daß eine Vergehensstrafdrohung gerechtfertigt wäre. § 26 Nr. 2


(Mehs)

1 konnte gestrichen werden, weil der Inhalt nunmehr in § 25 enthalten ist. Die Nrn. 3 und 4 wurden aus sprachlichen Gründen klarer gefaßt und jetzt als Nrn. 1 und 2 in die Neufassung aufgenommen. Aus den gleichen Gründen wie zu § 24 Abs. 2 war § 26 a Abs. 2 neu zu fassen. In § 28 blieben die Nrn. 1 bis 4 unverändert. Die bisherige Vorschrift des § 25 Abs. 2, die systematisch richtiger in § 28 gehört, wurde als Nr. 5 dort aufgenommen. Ebenso wurden die bisherigen Vorschriften des § 25 Abs. 1 und des § 26 Nrn. 1 und 2, soweit sie aus Gründen der Unrechtsbewertung nicht als Vergehen ausgestaltet werden können, sinngemäß als Nr. 6 in § 28 aufgenommen. Der Änderungsantrag der SPD, Umdruck Nr. 621, wurde gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt. § 30 a erhielt die allgemein übliche Fassung der Berlin-Klausel.
Die nunmehr beschlossene Ausschußfassung wurde dem Hause in der Fassung des Mündlichen Berichts, Drucksache Nr. 4079, zur zweiten und dritten Lesung vorgelegt; jedoch wurde die Beratung auf Antrag des Herrn Abgeordneten Ewers wieder von der Tagesordnung abgesetzt mit der Bitte an den Ausschuß, doch noch den Änderungsantrag der Fraktion der DP zu beraten. Ich habe mich daher jetzt noch mit dem Ergebnis der dadurch notwendig gewordenen erneuten Ausschußberatung, das Ihnen im neuesten mündlichen Bericht, Drucksache Nr. 4291, vorliegt, im Vergleich zu dem Mündlichen Bericht Drucksache Nr. 4079 zu befassen.
§ 1 wurde neu gefaßt und enthält in Abs. 1 die Bestimmung, daß grundsätzlich jedermann das Recht hat, öffentliche Versammlungen und Aufzüge zu veranstalten und an solchen Veranstaltungen teilzunehmen. Abs. 2 umreißt den Personenkreis und die Vereinigungen, die sich auf das Recht aus Abs. 1 nicht berufen können. Durch diese Fassung des Abs. 2 wurden die §§ 2 a und 2 b in der Fassung der Drucksache Nr. 4079 gegenstandslos; sie wurden daher gestrichen.
Die Neufassung des § 2 Abs. 1 verpflichtet den Veranstalter einer öffentlichen Versammlung oder eines Aufzugs, in der Einladung seinen Namen anzugeben. Abs. 2 soll in jedem Fall die ordnungsmäßige Durchführung der Veranstaltung ermöglichen und vor allem verhindern, daß die Durchführung der Veranstaltungen demokratischer Parteien durch rechts- oder linksradikale Elemente unmöglich gemacht wird. Ursprünglich sollte sich die Unterlassung nur auf gröbliche Störungen beziehen. Da aber Störungen, die die ordnungsgemäße Durchführung einer Versammlung verhindern sollen, ohnehin immer gröblicher Natur sind, hat der Ausschuß das Wort „gröbliche" als überflüssig weggelassen. Bei Beibehaltung dieses Wortes hätte außerdem der Eindruck entstehen können, als ob einfache Störungen erlaubt seien. Der Ausschuß war sich darüber einig, daß beispielsweise einfache Zwischenrufe keine Störungen sind. Abs. 3 entspricht sinngemäß der Fassung des § 2 der Regierungsvorlage und der Ausschußfassung in Drucksache Nr. 4079.

(Vizepräsident Dr. Schäfer übernimmt den Vorsitz.)

Die Streichung des § 3 der Regierungsvorlage, also des Verbots des Uniformtragens, wurde beibehalten, nicht weil man das Uniformtragen ausdrücklich gestatten wollte, sondern weil, wie Herr Kollege Dr. Becker in der 220. Sitzung schon ausgeführt hat, die Möglichkeiten der Umgehung eines solchen Verbots zu groß sind.

(Abg. Dr. Bergstraeßer und Abg. Dr. Menzel: Sehr richtig!)

Entsprechend der Neufassung des § 1 erhielt § 3 a den in der vorliegenden Drucksache enthaltenen Wortlaut. In § 6 Satz 3 wurde das Wort „auflösen" durch das Wort „schließen" ersetzt. Diese Änderung war erforderlich, weil bei Auflösung einer Versammlung die Teilnehmer sich sofort zu entfernen haben, während sie bei Schließung im Raum verbleiben können. Aus systematischen Gründen wurden § 9 Abs. 1 der Fassung der Drucksache Nr. 4079 — das ist § 13 Abs. 1 der Regierungsvorlage — als Abs. 2 in § 8 und § 9 Abs. 2 —das ist § 13 Abs. 2 der Regierungsvorlage — als Abs. 2 in § 12 aufgenommen. Dadurch entfällt der bisherige § 9.
§ 12 regelt alle Fälle, in denen die Polizei unter Angabe des Grundes eine Versammlung auflösen k a n n. Es erübrigt sich, auf die aufgeführten vier Fälle näher einzugehen. Es sei nur darauf verwiesen, daß die Polizei in den Fällen der Nrn. 2 bis 4 nur auflösen kann, wenn andere polizeiliche Maßnahmen, insbesondere eine Unterbrechung der Versammlung, nicht ausreichen.
Nr. 1 des § 12 erhielt den Wortlaut des § 3 a Nr. 1, da es sich als notwendig erwies, Verbots- und Auflösungsgründe einander anzupassen.
Im § 18 wurden gegenüber der früheren Fassung infolge der Aufteilung des früheren § 9 die §§ 8 Abs. 2 und 12 Abs. 2 angezogen.
In § 20 Abs. 3 wurde das Wort „aufgelöst" durch das Wort „beendet" ersetzt. Hierfür waren die gleichen Gründe wie für die Änderung in § 6 maßgebend.
Nachdem der Ausschuß zunächst glaubte, daß es zweckmäßiger sei, die in § 22 der Regierungsvorlage enthaltene Vorschrift im Zweiten Strafrechtsänderungsgesetz oder im Strafrechtsbereinigungsgesetz zu regeln, entschied er sich schließlich doch dazu, die Regierungsvorlage mit dem Zusatz wiederaufzunehmen, daß n e b en der angedrohten Gefängnisstrafe auf Geldstrafe erkannt werden kann.
In § 26 Nr. 1 — Drucksache Nr. 4079 — wurden die Worte „in anderer Weise" durch die Worte „wesentlich anders" ersetzt.
In § 26 a Abs. 1 Nr. 1 mußten wegen der in § 12 Abs. 1 vorgesehenen Unterbrechungsmöglichkeit zwischen die Worte „Auflösung" und „durch" die Worte „oder Unterbrechung" eingefügt werden.
In § 27 und § 28 wurde vor „Geldstrafe" das Wort „mit" eingefügt.
Um eine Überschneidung mit § 23 zu vermeiden, vor allem aber auch um zu vermeiden, daß die Widerstandsleistung einmal als Vergehen — vergleiche § 23 — und ein anderes Mal als Übertretung geahndet wird, mußte § 28 Nr. 2 mit dem Ihnen in Drucksache Nr. 4291 vorliegenden Wortlaut neu gefaßt werden. Abs. 1 a des § 28 nach der Drucksache Nr. 4079 wurde gestrichen.
§ 30 enthält die Aufzählung. der Vorschriften, die mit Inkrafttreten dieses Gesetzes aufgehoben werden.
Schließlich wird § 31 der Regierungsvorlage wiederaufgenommen mit der Bestimmung, daß


(Mehs)

dieses Gesetz 14 Tage nach seiner Verkündung in Kraft tritt.
Der ursprüngliche Entwurf hat nahezu drei Jahre gebraucht, bis er in zweiter und dritter Lesung beraten werden kann. Wenn das Gesetz überhaupt einen Sinn haben soll, dann muß es vor dem bevorstehenden Wahlkampf zum Bundestag verabschiedet werden. Der 5. Ausschuß läßt Sie daher bitten, dem Gestzentwurf in der vorliegenden Fassung zuzustimmen.

(Bravo! in der Mitte.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126401000
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.

Dr. Robert Lehr (CDU):
Rede ID: ID0126401100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf, der Ihnen heute vorliegt, hat drei Jahre gebraucht — er geht auf den Sommer 1950 zurück —, ehe er Ihnen heute zur endgültigen Verabschiedung vorgelegt werden konnte. Aber er hat das Gute, daß die eingehenden und gründlichen Beratungen im Verfassungsschutzausschuß zu einer einstimmigen Verabschiedung im Ausschuß geführt haben, also auch mit den Stimmen der Opposition, und daß der Entwurf in diesen drei Jahren auf das sorgfältigste durchgefeilt und, wie ich dem Hohen Hause ohne weiteres zugebe, auch in manchen Teilen verbessert worden ist.
Ich habe in den drei Jahren schon des öfteren Gelegenheit genommen, zu Ihnen von der Dringlichkeit eines Versammlungsordnungsgesetzes zu sprechen. Denn auf keinem Rechtsgebiet ist die Rechtslage so verworren und so vielgestaltig gewesen wie ausgerechnet auf diesem Gebiet, und es gehört nun einmal zur Gestaltung eines geordneten demokratischen Rechtslebens sowie eines staatlichen und politischen Lebens, daß über das Versammlungs- und Vereinsrecht klare, das ganze Rechts- und Staatsgebiet umfassende Vorschriften bestehen. Meine Sorge hat sich eben darauf gegründet, daß uns die ungeheure Zersplitterung wesentlich benachteiligen würde, und die Sorge wurde um so dringlicher, je näher der Wahltermin herankam.
Sie wissen, daß das alte Reichsgesetz über das Vereinsrecht aus dem Jahre 1908 die Grundlage auf diesem Rechtsgebiet bildet, also ein Gesetz, das schließlich mit einigen Abstrichen das ehrwürdige Alter von einem halben Jahrhundert erreichte und in einem Zeitraum bestanden hat, in dem sich die wichtigsten staatlichen Veränderungen vollzogen haben: vom kaiserlichen Deutschland über die Weimarer Republik und über die Diktatur der Nazis bis in unsere heutige Bundesrepublik. Sie wissen, daß in diesen Zeiträumen das Vereinsgesetz von 1908 in einzelnen Teilen wiederholt grundlegend umgestaltet worden ist. Ich verweise nur auf das Gesetz vom 26. Juni 1916 und das Gesetz vom 19. April 1917 — diese Änderungen fielen noch in die Zeit des ersten Weltkriegs —. Ich verweise ferner auf das Gesetz vom 19. Dezember 1932, in die Zeit also, die unmittelbar der „Machtergreifung" durch die Nazis voranging. Mit diesem Gesetz wurde der innere Frieden zu erhalten versucht. Schließlich verweise ich auf die gesetzliche Änderung vom 14. Februar 1933, unmittelbar nach der „Machtergreifung". Dieses Gesetz trug den verheißungsvollen Namen „Zum Schutze des deutschen
Volkes." Der Rechtszustand wurde infolgedessen so undurchsichtig, daß es selbst der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte nicht gelungen ist, Klarheit darüber zu schaffen, was nun im einzelnen geltendes Recht ist.
Nur zwei der Gesichtspunkte, die der Herr Berichterstatter erschöpfend und ausführlich vor Ihnen vorgetragen hat, möchte ich hier herausstellen. Die Regelung dieser beiden Punkte erforderte bei der Beratung besondere Mühe. Wie ich glaube, ist eine im großen und ganzen gute Regelung gefunden worden. Art. 8 des Grundgesetzes sieht vor, daß Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge durch Gesetz beschränkt werden können. Das bedeutet also, daß derartige Veranstaltungen einer Anmeldepflicht unterworfen werden können. Gerade über die Handhabung dieser Bestimmungen waren wesentliche Meinungsverschiedenheiten zu verzeichnen. Die einen bejahten die Anmeldepflicht in solchen Fällen, die anderen verneinten sie. Es war die Frage, welches Recht nun eigentlich fortgalt.
Noch bedenklicher war die Verschiedenheit der Auffassungen bezüglich der Handhabung des Verbots von Versammlungen in geschlossenen Räumen. In einigen Ländern bediente man sich der sogenannten polizeilichen Generalklausel, die ich einmal so zitieren möchte, wie sie im Preußischen Allgemeinen Landrecht mustergültig gefaßt war, daß es nämlich das Amt der Polizei ist, „die öffentliche Ruhe, Sicherheit una Ordnung aufrechtzuerhalten und von der Allgemeinbeit und dem einzelnen drohende Gefahren abzuwenden". Das ist in großen Zügen die polizeiliche Generalklausel, wie sie allgemein in deutschen Landen verstanden worden ist. Sie soll nun heute nicht mehr so allgemein gelten.
Alle Schwierigkeiten werden beseitigt, wenn der Bundestag die in jahrelangen Bemühungen erarbeitete Vorlage annimmt. Diese Beratungen sind — und ich darf das dankend anerkennen — unter einer ungemein fleißigen und intensiven Mitarbeit aller Fraktionen durchgeführt worden und tatsächlich außerordentlich fruchtbar gewesen und haben auf diesem Gebiet völlige Klarheit geschaffen. Ich begrüße es vor allem, daß der jetzt vorliegende Entwurf die Rechtsbeziehungen zwischen dem Veranstalter, dem Leiter und dem Teilnehmer einer Versammlung klar und viel eingehender, als das früher der Fall war, gegeneinander abgegrenzt hat. Bei den Befugnissen, die dem Leiter einer Versammlung zu geben sind, mußte das richtige Maß gefunden werden. Einerseits mußte es ihm ermöglicht werden, eine ordnungsgemäße Durchführung sicherzustellen, andererseits mußte aber sorglich verhindert werden, daß er unter Zuhilfenahme seiner Ordnungsbefugnisse so weit gehen konnte, daß dadurch ein verfassungswidriger Mißbrauch Platz greift. Ich glaube, daß den Mitgliedern des Verfassungsrechtsausschusses dieses Abwägen geglückt ist und daß sie billigerweise beiden Erfordernissen genügend Rechnung getragen haben.
Ich möchte diese Zustimmung auch auf die Strafbestimmungen ausdehnen, die gegenüber dem Regierungsentwurf vereinfacht und verkürzt worden sind. Für den Ausschuß handelte es sich im wesentlichen darum, den Mißbrauch verfassungsmäßiger Versammlungsfreiheit durch undemokratische Veranstalter, undemokratische Leiter und undemokratische Teilnehmer zu verhindern.


(Bundesinnenminister Dr. Dr. h. c. Lehr)

Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir, daß ich Ihre Aufmerksamkeit durch eine besondere Bemerkung in Anspruch nehme. Das Ministerium des Innern ist nun einmal gezwungen, eine Reihe von Gesetzentwürfen vorzulegen, die in das Recht des einzelnen eingreifen. Das Grundgesetz sieht solche Möglichkeiten durchaus vor. Bei allem Respekt vor der Persönlichkeit und den persönlichen Freiheiten, die es ausdrücklich vorsieht und in den verschiedensten Bestimmungen deutlich zum Ausdruck bringt, stellt es ebenso deutlich den Grundsatz auf, daß es eine schrankenlose Freiheit nicht gibt.

(Sehr richtig! in der Mitte.) Es gibt keine Freiheit ohne Bindungen.


(Erneute Zustimmung in der Mitte.)

Deshalb sind solche Gesetze, wie dieses, notwendig, um den Mißbrauch demokratischer Freiheiten zu verhindern. Je großzügiger das Grundgesetz die persönlichen Rechte handhabt, um so mehr muß aufgepaßt werden, daß diese Freiheiten nicht mißbraucht werden. Wir haben das schon einmal erlebt. Das ist auch der Grundgedanke, der den Beratungen des Verfassungsrechtsausschusses zugrunde gelegen hat und den ich auch für den Regierungsentwurf in Anspruch nehme.
Die Rechte der Polizei, eine Versammlung oder einen Aufzug zu verbieten oder aufzulösen, sind im Entwurf abschließend geregelt. Ein Verbot oder eine Auflösung auf Grund anderer Rechtsvorschriften soll damit nach diesem Gesetz ausgeschlossen sein. Nun haben Sie also einheitliches, übersichtliches Recht geschaffen. Es kann insbesondere nicht mehr mit der polizeilichen Generalklausel, wie ich sie Ihnen eben vortrug, vorgegangen werden. Die einzige Ausnahme betrifft Aufzüge und Versammlungen unter freiem Himmel. Hier ist ein § 15 mit neuem Wortlaut geschaffen worden, der in großen Zügen der Generalklausel entspricht und in diesem Falle auch bitter nötig ist.
Ich komme noch einen Augenblick auf die Versammlungen in geschlossenen Räumen zu sprechen. Hier ist die Verbotsmöglichkeit gegenüber dem bisherigen Rechtszustand wesentlich eingeschränkt worden. Sie wissen aus der Praxis, daß namentlich bei Versammlungen in geschlossenen Räumen die Möglichkeit gewalttätiger und aufrührerischer Unternehmungen besteht. Hier bestimmt das Gesetz klar, daß solche Verbote, wie sie früher bei diesem Tatbestand erlassen werden konnten, nicht mehr von der Polizei erlassen werden können, wenn die Gefahr nicht vom Veranstalter und von den Teilnehmern, sondern von dritter Seite droht. Ich gebe zu, daß das für die Polizei, für die Exekutive in Zukunft eine wesentliche Erschwerung ist. Ich habe aber meine Mitarbeiter, die in den Ausschuß entsandt worden sind, angewiesen, unsere Bedenken in diesen Fällen zurückzustellen, damit das Gesetz endlich in Kraft treten kann.
Eine weitere Einschränkung liegt darin, daß in Zukunft schwere Verstöße gegen die Strafgesetze nur noch zu einer Auflösung der Versammlung, aber nicht mehr zu einem präventiven Verbot führen können. Auch das ist — vom Standpunkt der Exekutive aus gesehen — eine gewisse Erschwerung. Ich stelle auch diese Bedenken der Exekutive zurück, um das Zustandekommen des Gesetzes zu fördern.
Ich komme noch zu den Voraussetzungen für die Auflösung von Versammlungen in geschlossenen
Räumen. Diese Voraussetzungen sind in § 12 des Gesetzes abschließend aufgezählt. Auch sie bedeuten gegenüber dem bisherigen Rechtszustand eine Einengung. Kriminelle Tatbestände, die zu einer Auflösung führen können, sind jetzt in Nr. 4 des § 12 auf schwere Delikte beschränkt. Auf diese Bedenken habe ich wiederholt hingewiesen und möchte sie auch heute noch einmal betonen, damit nicht dem Innenministerium der Vorwurf gemacht werden kann, das Hohe Haus auf diese Gefahrenpunkte nicht aufmerksam gemacht zu haben.
Zum Schluß möchte ich noch einige Worte sagen. Ich darf darauf hinweisen, daß schon das Vereinsgesetz von 1908 nach allgemeinem Urteil einen durchaus liberalen Charakter trug. Dieser ist auch in dem Ihnen gegenwärtig vorliegenden Gesetzentwurf durchaus vorhanden. Die Rechte polizeilicher Exekutive sind auf das unerläßliche Maß eingeschränkt. Die Ordnung in den Versammlungen obliegt dem Veranstalter bzw. dem von ihm beauftragten Leiter, der sich dazu seiner Organe bedienen kann. Die Vorschriften, die die Rechte und Pflichten des Veranstalters oder Leiters und der Teilnehmer abgrenzen, dienen lediglich dazu, einem geordneten Verlauf der Versammlung den Weg zu bahnen. Ich darf hier auf die Begründung, die schon von meinem Vorgänger im Sommer 1950 gegeben wurde, verweisen. Wir wollten die Spielregeln, die das Verhalten der Versammlungsteilnehmer und die Handhabung der Versammlungsleitung bestimmen sollen, gesetzlich festlegen. Das ist geschehen. Wir wollten auf diese Weise — und das ist die hohe Aufgabe des Gesetzes — einer drohenden Verrohung der politischen Sitten mit gesetzlichen Mitteln und klaren gesetzlichen Handhaben entgegentreten. Möge — das ist mein Wunsch — der Entwurf, um dessen Annahme ich Sie bitte, diese Erwartungen erfüllen und damit auch die Absichten verwirklichen, die alle Mitarbeiter an diesem Entwurf im Ausschuß zum Schutze der Verfassung gehegt haben.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126401200
Wir treten in die Einzelberatung ein. Ich rufe auf § 1. Dazu liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck Nr. 899 Ziffer 1 vor. Wird das Wort dazu gewünscht? — Das Wort hat Herr Abgeordneter Fisch.

Walter Fisch (KPD):
Rede ID: ID0126401300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn es gestattet ist, möchte ich gleichzeitig die Änderungsanträge zu § 1 und zu § 3 a begründen.
Meine Damen und Herren! In diesem § 1 kommt die ganze dreijährige wechselvolle Geschichte zum Ausdruck, die der Gesetzentwurf hinter sich hat. In diesem § 1 zeigt sich aber auch ein Weiteres; dieses Kernstück des Gesetzes zeigt nämlich, in welcher Weise sich die Mitwirkung der SPD-Führung an der Schaffung von Ausnahmegesetzen zum Schutze des Adenauer-Regimes und damit ihre Mitwirkung an der Faschisierung des Staatsapparates vollzieht.

(Lachen.)

Mir scheint, die sozialdemokratische Fraktion- und Parteiführung wollte mit ihrem Verhalten bei diesem Gesetz ein weiteres Mal einen Beweis dafür erbringen, wie sehr sie sich selbst für koalitionsfähig hält für die Zeit nach der Bundestagswahl.

(Lachen bei der SPD und Zurufe: Quatsch!)



(Fisch)

Es wurde schon gesagt, daß die jetzt vorliegende Fassung des § 1 im Ausschuß einstimmig angenommen wurde. Es ist zum näheren Verständnis dieser Sache erforderlich, einiges aus der Geschichte dieses Gesetzes in Erinnerung zu rufen. Der ursprüngliche Entwurf wurde vorgelegt am 26. Juni 1950. Damals konnte man meinen, es handle sich um ein Gesetz zum Schutze von Versammlungen vor Störungen. Dem entsprach auch die damalige Fassung des § 1, der lautete:
Wer an einer öffentlichen Versammlung oder an einem Aufzug teilnimmt, hat sich so zu verhalten, daß die öffentliche Ordnung und Sicherheit nicht beeinträchtigt werden.
Jetzt, meine Damen und Herren, hat dieser Paragraph eine vollkommen andere Fassung. Jetzt, in der neuen Fassung, kommt die Aufgabe des Gesetzes zum Ausdruck, Verbote von Versammlungen zu legalisieren, Verbote, wie sie von jedem Polizeigehirn erdacht und unter beliebigem Vorwand ausgesprochen werden können.
Der erste Vorstoß zur Änderung des ursprünglichen Gesetzentwurfs erfolgte seitens des Ministeriums Lehr am 24. Februar 1951. Es ist interessant festzustellen, warum gerade zu jenem Zeitpunkt die Bundesregierung eine Verschärfung dieses Gesetzes für erforderlich hielt. Das war gerade ein halbes Jahr, nachdem die Bundesregierung ihr erstes geheimes Memorandum an die Adresse von New York richtete, in dem ein westdeutscher Truppenbeitrag für die westliche Aufrüstung angeboten wurde. Das war zwei Monate, nachdem auf dem Petersberg die militärischen Geheimverhandlungen begonnen hatten, und das war zudem genau drei Wochen nach dem Angebot der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik an die Bundesrepublik, alle bestehenden Meinungsverschiedenheiten, die einer friedlichen Verständigung

(Glocke des Präsidenten.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126401400
Herr Abgeordneter, ich darf darauf aufmerksam machen, daß hier § 1 des Versammlungsordnungsgesetzes zur Debatte steht, aber nicht der Gesamtbereich der Innen- und Außenpolitik.

Walter Fisch (KPD):
Rede ID: ID0126401500
Herr Präsident, ich habe mir erlaubt, die Geschichte des § 1 hier darzulegen, weil sie zum Verständnis der jetzigen Fassung erforderlich ist. Ich sagte darum, daß der Zeitpunkt für die Vorlage der verschärften Fassung nicht zufällig gewählt war: gerade drei Wochen, nachdem dieser konstruktive Vorschlag der Deutschen Volkskammer zur friedlichen Bereinigung aller bestehenden Meinungsverschiedenheiten zwischen Ost und West veröffentlicht worden war. Zu diesem Zeitpunkt hielt es die Bundesregierung für notwendig, der Polizei eine Generalvollmacht zu erteilen, alles zu verbieten, was sich ihrer Politik der Störung aller Verständigungs- und Einigungsbestrebungen entgegenstellte. Damals verlangte das Innenministerium eine solche Fassung, daß die Abhaltung einer Versammlung verboten werden könne, wenn Tatsachen vorliegen, die — wie es heißt — „mit Sicherheit erwarten lassen, daß der Veranstalter die Versammlung dazu mißbrauchen wird, die Strafgesetze zu verletzen, die verfassungsmäßige Ordnung anzugreifen oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung zu verstoßen". Die Bundesregierung und Dr. Lehr persönlich wollten also die Vollmacht für Verbote lediglich auf „Vermutungen" und „Erwartungen" irgendwelcher subalterner Polizeibeamter stützen. Es ist klar: damit, daß eine solche Entscheidung in das Ermessen eines jeden Polizisten gestellt werden sollte, damit, daß jeder selbst darüber entscheiden konnte, was nun eigentlich die „verfassungsmäßige Ordnung" der Bundesrepublik ist und was angeblich gegen diese verstoße, sollte das Prinzip der unbeschränkten Willkür legalisiert werden. Niemand sollte sich mehr an allgemeingültige Prinzipien, an gesetzliche Bestimmungen gebunden fühlen. Kein Beweis sollte erforderlich sein, um die polizeilichen „Vermutungen" oder „Erwartungen" über einen eventuellen Mißbrauch der Versammlungsfreiheit zu erhärten. Niemand sollte eine Bestrafung befürchten müssen darum, weil er Maßnahmen reiner polizeistaatlicher Willkür verhängte. Keine Rechtsmittel sollten dagegen möglich sein.
Ich möchte festhalten, meine Damen und Herren, daß zu diesem Zeitpunkt, als Herr Dr. Lehr die verschärfte Fassung vorlegte, im Februar 1951, die sozialdemokratische Vertretung diese Fassung gebilligt hat, daß sie überhaupt bis dahin die Abfassung des Gesetzes entschieden gefördert hat. Vielleicht betrachtet es Herr Professor Bergstraeßer als eine besondere Ehrung, wenn man ihm bescheinigt, daß seine Mitarbeit am Zustandekommen dieser verschärften Formulierungen ganz besonders erheblich ist. Er wird sich darum besonders geehrt fühlen, wenn man ihn daran erinnert, weil er ja auch sonst — nicht wahr, Herr Professor Bergstraeßer - als ein sehr fleißiger Hilfsbeamter des Herrn Dr. Lehr gearbeitet hat

(Abg. Schoettle: Das ist eine ausgesprochene Lausbuberei!)

— Sie wissen ja gar nicht, was los ist —,

(Abg. Schoettle: Eine ausgesprochene Lausbuberei ist das!)

nicht zuletzt, als es darum ging, dem Innenministerium ein Gutachten über die Verfassungswidrigkeit bestimmter Parteien zu liefern. Herr Professor Bergstraeßer wird das ja wohl nicht abstreiten wollen.
Zwei ganze Jahre hat die sozialdemokratische Fraktion diese verschärften Formulierungen vollinhaltlich gebilligt, bis dann im Februar dieses Jahres plötzlich Bedenken auftauchten. Mit Recht hat im Februar 1953 die sozialdemokratische Fraktion befürchtet, diese verschärften Fassungen könnten sich auch einmal gegen sie selber richten. Ja, wenn das offiziell verkündete Prinzip der schrankenlosen Willkür sich allein gegen die Kommunisten richtete, dann hätte man nichts weiter dagegen gehabt; aber so bestand der Verdacht, daß man selber Opfer dieser Bestimmungen werden könnte. Darum gab in der Sitzung des Ausschusses zum Schutze der Verfassung am 5. Februar 1953 der Sprecher der sozialdemokratischen Fraktion die Erklärung ab, die SPD wolle das Gesetz nunmehr ablehnen, politische Versammlungen seien in der letzten Zeit ohne wesentliche Störungen verlaufen. Die SPD setze Vertrauen in die Tätigkeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz, das in ausreichendem Maße gegen verfassungsfeindliche Elemente vorgehe. Die SPD halte darum das Versammlungsordnungsgesetz für überflüssig und werde, falls es zur Abstimmung komme, dagegen stimmen. — Ich glaube, Herr Kollege Maier, daß ich Sie richtig zitiert habe. Das war, wie gesagt, am 5. Februar 1953.


(Fisch)

Schon damals aber stand fest, daß diese Erklärung der sozialdemokratischen Parteiführung offensichtlich nicht die Haltung der gesamten Sozialdemokratischen Partei zum Ausdruck bringt. Denn genau drei Wochen zuvor, am 15. Januar 1953, haben die Innenminister der Länder einstimmig, also auch mit den Stimmen der sozialdemokratischen Innenminister von sechs Bundesländern, vom Bundesinnenministerium verlangt, daß der Entwurf des Versammlungsordnungsgesetzes in der vorliegenden Form so schnell wie möglich zur Verabschiedung gelange. Sie haben also entgegen der Erklärung des Kollegen Maier in der Ausschußsitzung die vorliegende Fassung ausdrücklich und vollinhaltlich gebilligt. Das war, wie gesagt, am 15. Januar 1953.
Heute nun marschiert man mit einem gemeinsamen Text auf, mit einem Text, in dem die Form gegenüber der alten Fassung zwar etwas gemildert ist, bei dem aber der Inhalt im wesentlichen gleichgeblieben ist. Man könnte sich nur fragen, was wohl und wer wohl diese Wandlung durch höhere Fügung veranlaßt hat. Man kommt, wenn man dieser Frage nachgeht, doch zu der Annahme, das bindende Element zwischen diesen beiden Gruppen, den Regierungsvertretern und den Vertretern der sozialdemokratischen Fraktion, war wohl die Erkenntnis, daß man in allen Grundfragen der Politik der Bundesrepublik gemeinsam zu operieren habe, so wie man die amerikanische Orientierung der Bundesrepublik und die Notwendigkeit eines westdeutschen Wehrbeitrags für die Atlantikpakt-Armee gemeinsam vertritt.

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126401600
Herr Abgeordneter, ich muß Sie nochmals zur Sache rufen; denn Sie gehen weit über den Gegenstand der Verhandlung hinaus. Es geht immer noch um § 1 dieser Vorlage und nicht um allgemeine politische Überlegungen.

Walter Fisch (KPD):
Rede ID: ID0126401700
Ich wollte sagen, genau so ist man in diesen Grundfragen des inneren Regimes zu einer Übereinstimmung gelangt.
Ich möchte zur Geschichte der Ziffer 1 darauf hinweisen, daß die Vorlage für die verschärfte Fassung von einem sozialdemokratischen Landesinnenminister, nämlich von Herrn Minister Hoegner in Bayern stammt. Herr Minister Hoegner erließ schon im Februar 1951 eine Verordnung des bayerischen Innenministeriums, in der es heißt, daß „öffentliche Kundgebungen von Organisationen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten und die deshalb in der vorläufigen Liste der Bundesregierung vom 19. September 1950 aufgeführt sind, sowie öffentliche Kundgebungen aller Organisationen gleicher Zielsetzung und ihrer Ersatzorganisationen zu verhindern" sind. Dieser Text ist doch wohl noch weitergehend als die verschärfte, von der Bundesregierung und von Herrn Lehr persönlich gewünschte Fassung des heute vorliegenden Versammlungsordnungsgesetzes. Damals gab ein prominentes Mitglied Ihrer Fraktion, meine Damen und Herren von der SPD, nämlich der heutige Vorsitzende des Ausschusses zum Schutze der Verfassung, zu, daß diese Verordnung Ihres Parteifreundes Hoegner in Bayern offensichtlich mit dem Grundgesetz in Widerspruch steht. Die Mitglieder des Ausschusses zum Schutze der Verfassung erhielten diesen Text im Februar 1951 zur Kenntnisnahme zugestellt. Damals bestand noch die Absicht, sich mit dieser mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbarenden Verordnung zu befassen. Inzwischen hat man das aber zu den Akten gelegt.
Ich kann also mit gutem Recht sagen, daß sozusagen der intellektuelle Urheber der Bestimmungen, die die schrankenlose Willkür bei der Auflösung von Versammlungen legalisieren, sozialdemokratisches Mitglied einer Landesregierung ist.
Nun wird von dem Berichterstatter gesagt, die jetzige Fassung des § 1 habe allgemeinen Einwendungen Rechnung getragen; und ausgerechnet der Herr Innenminister Dr. Lehr verwendet das Wort „liberal", um die neue Fassung zu kennzeichnen. Nun gut, wir hätten mit dem § 1 in der jetzigen Fassung beinahe einverstanden sein können, wenn es in Abs. 2 bei der Ziffer 1 geblieben wäre, wenn also gestützt auf das Grundgesetz festgestellt worden wäre, von dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit darf derjenige keinen Gebrauch machen, dem dieses Recht auf Grund eines individuellen Spruches des Bundesverfassungsgerichts entzogen worden ist, so wie es in Art. 18 des Grundgesetzes vorgesehen ist. Aber mit den Ziffern 2, 3 und 4 wird der Gedanke der Ziffer 1, die die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts für den Entzug des Grundrechtes vorsieht, praktisch unwirksam gemacht. Diese Ziffer 1 ist in der Praxis lediglich zur Dekoration da, sie ist dazu da, den Charakter der Willkür, der in den folgenden Ziffern zum Ausdruck kommt, zu verwischen und zu tarnen.
In Ziffer 2 wird gesagt, daß derjenige keine Versammlung durchführen dürfe, der die Ziele einer nach Art. 21 des Grundgesetzes für verfassungswidrig erklärten Partei fördern wolle. Nehmen wir einmal an, Sie hätten damit die Kommunistische Partei gemeint, und Ihren Wünschen entsprechend würde es so kommen, daß die Kommunistische Partei als verfassungswidrig erklärt würde. Ich sage Ihnen, Ihre Wünsche sind noch lange nicht erfüllt. Aber nehmen wir einmal an, Ihre Wünsche wären erfüllt: wer soll denn dann darüber bestimmen, ob der eine oder andere, ob die eine oder andere Organisation die Ziele einer verbotenen Partei fördern will, indem er oder sie eine Versammlung einberuft? Da haben Sie doch die Allmacht der Polizei! Wo gibt es in diesem Gesetzentwurf Vorschriften, die die Polizei binden? Wo gibt es irgendwelche Einspruchs- und Revisionsmöglichkeiten? Sie sind nicht vorgesehen. Sie haben lediglich bestimmt, daß ein jedes Verwaltungsorgan von sich aus entscheiden kann, auf wen die Vorschrift des § 1 Abs. 2 zutreffen soll.
Danach soll also jeder als Kommunist gekennzeichnet und an der Abhaltung einer öffentlichen Versammlung gehindert werden, der sich für die friedliche Wiedervereinigung Deutschlands, für einen Friedensvertrag, für den baldigen Abzug der Besatzungsmächte

(Abg. Dr. Jaeger: Zur Sache!)

und gegen das Besatzungsregime überhaupt einsetzt.

(Abg. Dr. Jaeger: Zur Sache!)

Ich glaube, Sie sollten wissen, daß wir bei unserem Verlangen nach dem Abzug aller Besatzungsmächte keinerlei Einschränkung machen.

(Zurufe des Abg. Dr. Jaeger und von der Mitte: Zur Sache!)



(Fisch)

In Ziffer 2 des § 1 wird sogar die Teilnahme an einer Versammlung für diejenigen verboten, von denen der Polizist annimmt, sie wollten die Ziele einer verbotenen Organisation fördern. Auch hier ist es interessant, festzuhalten, daß der Gedanke eines Verbots der Teilnahme an einer von jemand ganz anderem einberufenen Versammlung von der sozialdemokratischen Fraktion stammt, und zwar aus ihrem Änderungsantrag vom 16. Juli 1952 auf Umdruck Nr. 621. Es soll also künftighin — auch wieder unter der Voraussetzung, daß das Bundesverfassungsgericht ein Ihren Wünschen genehmes Urteil fällen sollte — einem jedem Bürger verwehrt werden, an einer öffentlichen Versammlung einer anderen Partei teilzunehmen, falls der Ortspolizist entscheidet, daß er mit den Kommunisten Kontakt habe und insgeheim ihre Auffassungen teile.

(Abg. Lücke: Hellseher!)

In Ziffer 4 des § 1 wird erklärt, daß zur Einberufung einer Versammlung eine Vereinigung nicht berechtigt sei, die nach Art. 9 Abs. 2 des Grundgesetzes verboten sei. Hier wird in der Tat das ganze System der willkürlichen Verbote, wie es in der vorletzten Fassung enthalten war, durch die Hintertür wieder eingeführt. Art. 9 Abs. 2 lautet:
Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.
Wer soll also in diesem Falle, im Falle der Einberufung einer Versammlung, feststellen, ob es sich um eine Organisation handelt, die auf diese Weise in Art. 9 charakterisiert ist? Welche Verwaltungsbehörde soll von sich aus befugt sein, darüber ein abschließendes und bindendes Urteil abzugeben? Es wird darauf hinauskommen, daß jede Verwaltungsbehörde, vom Polizisten der Ortsgemeinde bis zu diesem Bundesminister des Innern hinauf, von sich aus willkürlich feststellen kann, auf welche Organisation diese Kennzeichnung zutrifft.
Was soll das überhaupt heißen: eine Organisation, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richtet? Was ist nach Ihrer Meinung denn die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik? Etwa der eigens zum Zwecke der willkürlichen Anwendung geschaffene Katalog von Verfassungsgrundsätzen im „Blitzgesetz", im § 88 des Strafrechtsänderungsgesetzes, aus dem wissentlich gerade die Grundrechte des Grundgesetzes als Bestandteile der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik ausgeschaltet worden sind? Oder ist die verfassungsmäßige Ordnung etwa gleichzusetzen mit dieser Regierungskoalition und ihrer Politik? Ist die verfassungsmäßige Ordnung gleichzusetzen mit der Politik der westlichen Hilfsverträge?
Meine Damen und Herren, Sie wissen doch, Sie sollten es wenigstens wissen, daß man zu Zeiten des Parlamentarischen Rates den Gedanken der Schaffung einer Verfassung ausdrücklich abgelehnt hat, weil man der Auffassung war, eine Verfassung sei ein Dokument, das sich auf die freie Selbstbestimmung des ganzen Volkes zu stützen habe. Sie wußten damals, 1948/49, daß diese Voraussetzungen nicht zutrafen. Darum haben Sie damals selber das Wort „Verfassung" abgelehnt und das Wort „Grundgesetz" für dieses Dokument gewählt, für
ein Dokument, das, wie es im Parlamentarischen Rat hieß, lediglich eine provisorische Ordnung für eine Art Staatsfragment schaffen sollte, für ein Staatsgebilde, das nichts anderes ist als eine „Modalität der Fremdherrschaft".

(Abg. Dr. Jaeger: Unerhört!)

Nun, „Modalität der Fremdherrschaft" ist der Zustand, in dem wir leben, und zwar nach Ihren eigenen Formulierungen. Das hat nicht einmal ein Kommunist gesagt!
Wenn wir also unter einer Art Fremdherrschaft leben, soll diese Fremdherrschaft etwa unantastbar sein? Wir sagen ganz offen, daß wir diese Fremdherrschaft nicht nur antasten wollen, sondern daß wir sie zu beseitigen und zu ersetzen wünschen durch ein geeintes Deutschland, das sich selbst regiert, das unabhängig und wirklich frei ist.
In diese Fassung des Versammlungsgesetzes ist die amerikanische Konstruktion hineingearbeitet, nach der die Bundesrepublik kein Provisorium mehr sein soll, sondern der einzige existierende deutsche Staat.

(Abg. Dr. Jaeger: Zur Sache!)

— Jawohl, Herr Jaeger, das gehört zur Sache! Ich will es Ihnen genau sagen: in die Ziffer 4 des Abs. 2 des § 1 des Versammlungsordnungsgesetzes ist diese amerikanische Konstruktion hineingearbeitet, es sei Hochverrat, an der Überwindung des gegenwärtigen unwürdigen Zustandes der Spaltung und der nationalen Versklavung zu arbeiten;

(Zurufe von der SPD)

es sei Hochverrat, die Verständigung der Deutschen in Ost und West auf friedlichem Wege herbeizuführen!
In dem zitierten Art. 9 des Grundgesetzes heißt es, es sollten diejenigen Vereinigungen verboten sein, die sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung richteten. Und in der vorliegenden Fassung des Gesetzes wird gesagt, Vereinigungen, die diesem Ziel nachgehen, sollten nicht das Recht zur Abhaltung einer Versammlung haben. Ja, wer ist denn damit gemeint, mit Vereinigungen, die sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten? Meinen Sie vielleicht die Adenauer-Regierung, die nicht nur die Spaltung Deutschlands, sondern die Spaltung Europas und der ganzen Welt — —

(Glocke des Präsidenten.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126401800
Herr Abgeordneter Fisch, ich habe Sie jetzt mehrfach ermahnt, zur Sache zu sprechen und nicht in allgemeine politische Ausführungen abzuschweifen. Sie haben wiederholt dagegengehandelt. Ich entziehe Ihnen das Wort.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Rufe von der KPD: Hört! Hört! — Abg. Müller [Frankfurt]: Das gehörte zur Sache! — Gegenrufe von der Mitte: Nein!)

Das Wort hat Herr Abgeordneter Ewers.

(Abg. Paul [Düsseldorf]: Diktatur des Präsidenten!)

— Wer hat diesen Zwischenruf gemacht?

(Abg. Paul [Düsseldorf]: Ich habe den gemacht!)



(Vizepräsident Dr. Schäfer)

— Herr Abgeordneter, ich rufe Sie zur Ordnung.

(Abg. Niebergall: Aber es stimmt doch!) — Wer hat gesagt: „es stimmt doch"?


(Abg. Niebergall: Ich!)

— Ich rufe Sie zur Ordnung.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Ewers.

Hans Ewers (DP):
Rede ID: ID0126401900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist nicht meine Gepflogenheit, auf allgemeine Tiraden der Kommunisten einzugehen.

(Zuruf von der KPD: Weil Sie es gar nicht können!)

Aber wenn hier von der Entstehungsgeschichte dieser Vorlage auf Grund der Ausschußanträge gesprochen wird und dazu etwas erzählt wird, was in irgendeinem Märchenbuch entstanden sein mag,

(erneuter Zuruf von der KPD)

dann muß man kurz einmal die Tatsachen feststellen.
Aus dem Bericht des Berichterstatters sollte auch Ihnen, Herr Fisch, bekannt sein, daß die Änderung der §§ 1 und 3 a insbesondere auf Grund von Anträgen, die die Deutsche Partei gestellt hatte, herbeigeführt worden ist. Alles, was Sie über den gegenwärtigen Wortlaut erzählen oder zum besten geben,

(Abg. Dr. Jaeger [Bayern]: Sehr gut!)

hat mit den realen Tatsachen überhaupt nichts zu tun.
Die Anträge der Deutschen Partei haben in das Gesetz den Begriff des „Veranstalters" hereingebracht. Belehrt durch schmerzliche Erfahrungen der letzten zwei Jahre, nachdem in gewissen Ländern Versammlungen unserer Partei mit Rücksicht auf jene Generalklausel des alten Preußischen Landrechts, die Herr Minister Dr. Lehr richtig und erschöpfend zitiert hat, einfach verboten worden sind, wollten wir zunächst einmal wissen, wer eigentlich öffentliche Versammlungen und Aufzüge veranstalten kann. Deswegen beginnt § 1 jetzt logischerweise damit, daß jedermann derartiges „veranstalten" kann, es sei denn, daß bestimmte Ausnahmetatbestände des Grundgesetzes vorliegen. Es hat keinen Zweck, hier über die Weisheit oder die Schlechtigkeit des Grundgesetzes auch nur ein Wort zu verlieren. Wir sind — Herr Fisch, Sie ebenso wie ich — an das Grundgesetz gebunden und haben seine Auswirkungen hier zu beachten.
Was in diesem Zusammenhang Art. 9 anlangt, so ersehen Sie aus § 3 a Ziffer 1, daß ein Verbot nicht von einem Polizisten, sondern nur von der nach Landesrecht zuständigen obersten Behörde festgestellt sein darf, so daß nicht jedermann plötzlich behaupten kann, das und das sei verboten. Diese ganzen Bestimmungen — §§ 1 und 3 a gehören engstens zusammen — besagen, daß die Polizei, wenn nicht einer der konkret genannten Fälle der Ziffern 1 bis 4 des § 3 a vorliegt, keine Versammlung irgendeiner Partei präventiv verbieten kann, mit der einzigen Ausnahme, daß die Polizei durch Spitzel oder auf Grund irgendwelcher sonstiger Ermittlungen ihr bekanntgewordener Tatsachen feststellen könnte, daß der Veranstalter den unfriedlichen Verlauf der Versammlung anstrebte. Wenn das Material feststeht, kann sie erklären: Wir wissen, daß Sie, Herr Fisch meinetwegen, keine
Versammlung abhalten, sondern hier nur Unfrieden stiften wollen.

(Abg. Fisch: Ach nee!)

Das muß als Tatsache der Polizei in vor dem Gericht beweisbarer Weise festgestellt sein. Erst dann kann präventiv etwas verboten werden. Die Tatbestände der Ziffern 1 bis 3 kann die Polizei, bevor die Versammlung beginnt, ohne weiteres feststellen, z. B. das Hereinlassen bewaffneter Personen in die Versammlung, ohne daß eingeschritten wird. Wir haben den Hauptwert darauf gelegt, daß, wie auch der Herr Minister sehr klar ausgeführt hat, keinerlei Ermessensspielraum mit Vermutungen irgendeine Rolle spielen darf; denn wir wissen, daß die Länder verschieden regiert sind und die Polizeiminister aller Länder nun einmal schlecht aus ihrer parteipolitischen Haut herausschlüpfen können, so daß das, was in einem Land für wahrscheinlich gehalten wird, in einem anderen Land für ganz und gar unwahrscheinlich gehalten wird. Wir haben es hier aber mit einem Bundesgesetz zu tun, das in allen Ländern gleiches Recht schaffen will, und so können wir im politischen Raum keinen Spielraum für Vermutungen lassen. Das ist der neue Sinn, der auf Grund der von der DP gestellten Anträge in das Gesetz, in die §§ 1 und 3 a hineingekommen ist. Ich muß dem Ausschuß dankbar sein, daß er dem Gesetz abweichend von unserer ursprünglichen Fassung in der Tat eine sehr schlüssige und klare Gesamtform gegeben hat, in der unsere Anträge untergegangen sind. Jetzt haben wir die Fassung, die mit demjenigen anfängt und denjenigen zuerst erwähnt, der bei jeder Versammlung in geschlossenem Raum und unter freiem Himmel gar nicht wegzudenken ist, nämlich die Person oder die Organisation, die diese Veranstaltung ins Leben ruft: der Veranstalter. Das erste Verbum ist jetzt „veranstalten". Darin liegt nach meiner Überzeugung die wesentliche Verbesserung gegenüber allen früheren Vorlagen, auf die man sich in sehr eingehender, sehr sachlicher — Herr Fisch! — Arbeit geeinigt hat.
Wir demokratischen Parteien sind uns darüber einig, daß wir hier ja alle im selben Boot sitzen, und was heute dem passiert, kann morgen dem passieren. Wir wollen gleiches Recht für alle, auch für Sie, Herr Fisch.

(Lachen bei der KPD.)

Wir wollen uns alle diesem Recht stellen und können es meines Erachtens mit gutem Gewissen, wenn sich die neuen Rechtssätze dieser Vorlage, wie ich stark hoffe, noch rechtzeitig vor Beginn des Wahlkampfes dieses Sommers bis in die letzten Kreisverbände aller Parteien herumsprechen. Ich möchte als bescheidener Mitarbeiter an dieser Gesetzesvorlage allen Parteien den dringenden Rat geben, diese Vorlage, sowie sie veröffentlicht ist, bis zum letzten Ortsstützpunkt ihren Leuten bekanntzugeben, damit man sich an die meines Erachtens sehr leicht zu handhabenden Bestimmungen dieses Gesetzes überall im Wahlkampf gewöhnt und keine Gegenpartei es nötig hat, etwa einen Versammlungsleiter aus einem Dorf zu belehren, was für Funktionen er eigentlich hat und was er nicht darf.
Ich glaube, das Gesetz hat jetzt auch eine populäre Fassung gefunden, so daß jeder, auch der einfachste Mann, mit seinen Worten einen greifbaren Sinn verbindet. Ich muß meine Genugtuung zum Ausdruck bringen, daß es jetzt dank der Mitarbeit


(Ewers)

aller — aller! — Parteien im Ausschuß in den letzten Wochen gelungen ist, eine so gute Vorlage auszuarbeiten, die sich meines Erachtens vor der Öffentlichkeit wird sehen lassen können.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126402000
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung, zunächst über den Änderungsantrag Umdruck Nr. 899 Ziffer 1. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt.
Wir kommen nun zu § 1 in der Fassung der Vorlage. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen gegen wenige Stimmen angenommen.
Ich rufe auf § 2. — Dazu liegen weder Wortmeldungen noch Änderungsanträge vor.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die § 2 in der Fassung der Ausschußvorlage zustimmen, die Hand zu heben. — Gegenprobe! —Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
§ 3 entfällt.
§ 3 a mit dem Änderungsantrag Umdruck Nr. 899 Ziffer 2. — Herr Abgeordneter Fisch!

(Abg. Dr. Jaeger [Bayern] : Hat ja schon gesprochen! — Weitere Zurufe.)


Walter Fisch (KPD):
Rede ID: ID0126402100
Meine Damen und Herren! Ich möchte zu § 3 a nur noch auf eine Sache hinweisen. Dort heißt es ausdrücklich:
Die Abhaltung einer Versammlung kann . . . verboten werden, wenn
1. der Veranstalter unter die Vorschriften des § 1 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 fällt und im Falle der Nr. 4 das Verbot durch die zuständige Verwaltungsbehörde festgestellt worden ist, . . .
Also die Frage, ob eine Organisation unter den
Art. 9 des Grundgesetzes fällt, d. h. also ob sie zu
charakterisieren ist als eine Organisation, die sich
gegen die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik richtet, soll in die Kompetenz der Verwaltungsbehörde gestellt sein. Und Herr Kollege
Ewers war der Meinung, das sei ein ganz besonderes Maß von Rechtsschutz. Wir Kommunisten
können diese Auffassung nicht teilen. Wir haben
da üble Erfahrungen mit der Art und Weise gemacht, wie Kataloge von Organisationen zusammengestellt werden, die angeblich gegen die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik gerichtet sind. Es gibt die verschiedensten Kataloge.
Herr Minister Hoegner fing in Bayern mit dem Katalog von 65 Organisationen an. Wenn Herr Dr.
Lehr gelegentlich vor dem Kyffhäuserbund oder
vor schlagenden Verbänden eine forsche Rede hält,

(Lachen in der Mitte)

dann kommt er auf 150, auf 180, neuerdings sogar auf 200 Organisationen, die nach seiner Meinung unter diese Rubrik der verfassungsfeindlichen Organisationen zu stellen sind.

(Zuruf von der Mitte: Das hängt nur von Ihnen ab!)

Herr Dr. Lehr hat seine Geheimnisse noch nicht
enthüllt. Er hat uns noch nicht die Freude gemacht,
seine Liste der 200 gefährlichen Organisationen kennenzulernen. Wie mag es also mit der Echtheit dieser Liste bestellt sein,

(Sehr gut! bei der KPD)

wie mag es mit der Begründung für diese Anschuldigung bestellt sein, wenn der Chef des Polizeiregimes der Bundesrepublik nicht einmal wagt, die Namen dieser Organisationen zu veröffentlichen? Wahrscheinlich würden unter diese verbotenen

(Abg. Dr. Jaeger [Bayern]: Zur Sache!)

und „verfassungsfeindlichen" Organisationen, die unter § 3 a fallen sollen, Herr Kollege Jaeger, auch solche Organisationen fallen wie die Interessengemeinschaft der REME-Arbeiter in Hannover, 1500 Menschen, die sich zusammengetan haben, um ihre Interessen zu wahren, nachdem ihr Betrieb stillgelegt worden ist, eine Organisation, die vom niedersächsischen Innenminister auch als verfassungsfeindlich bezeichnet und der die Abhaltung einer Versammlung unter Berufung auf Art. 9 des Grundgesetzes untersagt worden ist.

(Abg. Ewers: Zur Sache!)

Ich möchte in diesem Zusammenhang der Proskriptionslisten doch den alten Bekannten in Rechtsfragen, den Herrn Justizminister Dr. Dehler, einmal mehr zitieren. Als im Parlamentarischen Rat

(Zuruf von der Mitte: Brauchen wir doch gar nicht zu hören!)

die Frage des Schutzes der Grundrechte vor polizeistaatlicher Willkür erörtert wurde, da war es —heute kann man sagen: seltsamerweise - der damalige FDP-Abgeordnete Dr. Thomas Dehler, der sich für eine gerichtliche Garantie für den Schutz der Grundrechte aussprach. Herr Dehler war es, der sich besonders für die Formulierung in Art. 18 des Grundgesetzes einsetzte, nach dem die Verwirkung von Grundrechten und das Ausmaß dieser Verwirkung nur durch das Bundesverfassungsgericht und sonst niemanden ausgesprochen werden können. Ohne die Beachtung dieses Grundsatzes, so sagte der damalige Abgeordnete Dehler, sei ein jeder vogelfrei, und der Rest des Schutzartikels für die Grundrechte gehöre dann in den Polizeistaat. Herr Dehler war es, der damals hervorhob, ohne einen solchen verfassungsgerichtlichen Schutz seien die ganzen Grundrechte überhaupt wertlos, da sie dann jederzeit durch polizeiliche Maßnahmen außer Kraft gesetzt werden könnten.
Und genau das, meine Damen und Herren, was der Abgeordnete Dehler vor vier Jahren — genau gesagt: am 19. Januar 1949 — voraussagte, ist jetzt unter seiner eigenen Mithilfe zur Wirklichkeit geworden. Das Gesetz, an dessen heutiger Fassung er als Minister maßgeblich mitgewirkt hat, ist die offizielle Verkündung des Prinzips polizeistaatlicher Willkür. Darum sind wir für die Streichung des § 3 a.

(Beifall bei der KPD. — Abg. Kunze: Interessiert nicht, ob Sie dagegen sind!)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126402200
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung zu § 3 a. Ich bitte diejenigen, die dem Änderungsantrag auf Umdruck Nr. 899 Ziffer 2 zustimmen, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt.


(Vizepräsident Dr. Schäfer)

Ich bitte diejenigen, die § 3 a in der Fassung der Vorlage zustimmen, die Hand zu heben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe auf § 4. Auch da liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck Nr. 899 Ziffer 3 vor. Das Wort hat Herr Abgeordneter Fisch.

(Abg. Dr. Jaeger [Bayern]: Ist das Soll noch nicht erfüllt? — Weiterer Zuruf von der Mitte: Hennecke-Fisch!)


Walter Fisch (KPD):
Rede ID: ID0126402300
Herr Kollege Jaeger, Sie haben mit dafür gestimmt, daß ich aus dem Ausschuß zum Schutze der Verfassung hinauskomplimentiert worden bin; also müssen Sie sich gefallen lassen, daß ich meine Ausführungen, die Sie im Ausschuß verhindert haben, hier vor dem gesamten Plenum darlege. Ihre Schuld!

(Sehr gut! bei der KPD. — Abg. Dr. Jaeger [Bayern]: Sie wollten also die Verfassung schützen? Sehr interessant!)

— Die Verfassung? Das Grundgesetz, das Sie täglich mit Füßen treten, jawohl!

(Lachen in der Mitte.)

Meine Damen und Herren! Auch in dem § 4, in dem ganz allgemein Personen das Recht zur Teilnahme an einer öffentlichen Versammlung verweigert werden soll, finden wir die engste Anlehnung an die alte Nazitradition. Gestatten Sie, daß ich hier eine kleine Episode aus den Verhandlungen des Ausschusses zum Schutze der Verfassung wiedergebe, aus der Zeit, in der er noch nicht geheim tagte. Ich wies damals bei der Behandlung des § 4 darauf hin, daß es bei den Nazis üblich war, auf ihre Plakate den Satz zu schreiben: „Juden und Hunde haben keinen Zutritt". Ich habe darauf hingewiesen, daß offensichtlich mit dem § 4 diese schändliche Tradition der Nationalsozialisten wieder aufgegriffen werden soll.

(Sehr gut! bei der KPD.)

Ich habe darauf hingewiesen, daß dann wohl künftighin die Partei des Herrn Euler oder des Herrn von Merkatz auch schwarz-weiß-rote Plakate heraushängen wird, auf denen steht: „Kommunisten und Hunde haben keinen Zutritt". Das würde ganz zu Ihrem Jargon passen, Herr Kollege Euler.

(Abg. Majonica: Das wäre eine Beleidigung der Hunde! — Weitere lebhafte Zurufe rechts.)

Als ich das gesagt hatte, erhob sich ein Vertreter der Regierungskoalition und sagte folgendes: „Bisher war ich auch gegen diesen § 4; aber nach dem, was Kollege Fisch jetzt dargelegt hat, muß ich mit Begeisterung dafür sein".

(Hört! Hört! bei der KPD.)

Dieser Mann heißt Schmücker und ist Mitglied der Fraktion der CDU, der Fraktion der AdenauerPartei.

(Zurufe von der KPD.)

Meine Damen und Herren, Sie sagen doch immer, Sie seien Demokraten, und Sie sagen immer: Demokratie — das heiße Diskussion; und nun machen Sie auf einmal einen Artikel zum Schutz gegen unliebsame Diskussionsredner, gegen Zwischenrufer, gegen Fragesteller. Sie müssen ja sehr besorgt sein um die Ruhe in den kommenden Wahlversammlungen, die Sie abhalten,

(Sehr gut! bei der KPD)

daß Sie sich einen solchen gesetzlichen Patentschutz gegen den Zutritt aller eventuellen Kritiker an der Politik der Bundesregierung verschaffen müssen.
Kein Geringerer als der Herr Bundeskanzler und Parteivorsitzende der CDU selbst hat vor einiger Zeit in einer Rede erklärt, alle diejenigen, die nicht seiner Meinung seien, seien Dummköpfe und Verräter. Mir scheint, daß diese staatsmännische Weisheit des Herrn Bundeskanzlers auf diese Weise gesetzlich verankert werden soll. Alle diejenigen, die der Herr Bundeskanzler als Dummköpfe und Verräter zu bezeichnen beliebt, sollen das Grundrecht der Versammlungsfreiheit verlieren; sie sollen vom Besuche öffentlicher Versammlungen ausgeschlossen werden. Das ist der Sinn des § 4. Ich beglückwünsche Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, daß Sie es fertigbringen, einen solchen Paragraphen in ein sogenanntes demokratisches Gesetz hineinzubringen!

(Beifall bei der KPD. — Abg. Euler: Gehirnkranke Phantasien!)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126402400
Keine weiteren Wortmeldungen.
Wir kommen zur Abstimmung über Ziffer 3 des Änderungsantrags Umdruck Nr. 899. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Gegenprobe! — Gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt. Dann bitte ich diejenigen, die dem § 4 in der Fassung der Vorlage zustimmen, die Hand zu heben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Die §§ 5 und 6 darf ich wohl zusammen aufrufen, weil zu beiden keine Wortmeldungen und keine Änderungsanträge vorliegen. Ich bitte diejenigen, die den Paragraphen zustimmen, die Hand zu heben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe § 7 auf. Dazu liegt ein Änderungsantrag der KPD auf Umdruck Nr. 899 Ziffer 4 vor. Wortmeldungen? — Das Wort hat Herr Abgeordneter Fisch.

Walter Fisch (KPD):
Rede ID: ID0126402500
Meine Damen und Herren! In § 7 Abs. 2 heißt es:
Der Leiter
— einer Versammlung —
ist verpflichtet, die Zahl der von ihm bestellten Ordner der Polizei auf Anfordern mitzuteilen. Die Polizei kann die Zahl der Ordner angemessen beschränken.
Ja, der Herr Innenminister lacht sich bei dieser Sache den Bauch voll;

(Heiterkeit)

er weiß genau, was er damit erreichen will.
Was soll damit bezweckt werden? Wer gelegentlich in Versammlungen herumkommt, der weiß, daß in den letzten Jahren auch eine bestimmte Tradition aus der Kampfzeit der „tausend Jahre" wiederbelebt worden ist, nämlich in Omnibussen Störkolonnen bis zur Stärke von 3- oder 400 Mann auffahren zu lassen, um mißliebige Redner am Sprechen zu hindern.

(Abg. Dr. Jaeger [Bayern]: Macht ihr das jetzt? — Abg. Kemmer: Das ist doch kommunistische Praxis! — Zuruf des Abg. Majonica und weitere Zurufe von der Mitte.)



(Fisch)

— Wenn Sie, Herr Majonica, für jeden einzelnen Omnibus, der von Ihren Freunden zu Störungen in Rollen gesetzt worden ist, eine Mark an Ihren Kollegen Lehr zu zahlen hätten, was meinen Sie, was der Mittel hätte, um seinen Grenzschutz zu vervielfachen.

(Schallende Heiterkeit.)

Wir haben doch alle erlebt, wie der „Volkszorn" organisiert wurde, wie sogenannte Flüchtlinge und sogenannte BDJ'ler aus Sammellagern mit Geldern herbeigefahren wurden, die aus den Kassen des Herrn Kaiser stammen. Wir haben doch alle erlebt, wie diese Störkolonnen, die mit öffentlichen Geldern herbeigeschafft worden sind, dann mit der Polizei zusammenwirkten.

(Zurufe von der Mitte und rechts.)

Herr Lehr sieht das alles schon für den Wahlkampf kommen. Er möchte gern, daß die Polizei die Zahl der Ordner in kommunistischen Versammlungen — wie er sagt: „angemessen" — beschränken kann, damit einem solchen Überfallkommando von 150 Braunhemden ohne Uniform vielleicht nur zwei Ordner entgegenstehen und damit dann die Polizei den willkommenen Anlaß hat, die Versammlung aufzulösen, weil, wie es weiter im Gesetz heißt, „zu befürchten ist, daß Gewalttätigkeiten usw. vorkommen". Das alles ist sehr schön und voraussehend eingefädelt.
Wir müssen uns gegen eine solche Bestimmung aussprechen, nach der der Polizei das Recht der Einschränkung des Ordnerdienstes zugebilligt werden soll. Die Veranstalter haben nicht nur das Recht, ihre Versammlung einzuberufen und durchzuführen, wie sie wollen, sondern auch das Recht, sie so zu schützen, wie sie es für notwendig halten.

(Sehr richtig! bei der KPD. — Zuruf von der Mitte: Das würde euch so gefallen!)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126402600
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Änderungsantrag Umdruck Nr. 899 Ziffer 4 zustimmen, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen abgelehnt.

(Abg. Renner: Das sind die christlichen Demokraten!)

Damit darf ich § 7 als in der Fassung der Vorlage angenommen ansehen.
§ 7 a, — § 8, — § 9 entfällt, — § 10 entfällt, —§ 11. — Zu diesen Paragraphen liegen weder Änderungsanträge noch Wortmeldungen vor. Wir können darüber gleich abstimmen. Ich bitte diejenigen, die diese Paragraphen anzunehmen wünschen, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe § 12 auf. Dazu liegt auf Umdruck Nr. 899 Ziffer 5 ein Änderungsantrag der KPD vor. Wortmeldungen? — Herr Abgeordneter Fisch!

Walter Fisch (KPD):
Rede ID: ID0126402700
Meine Damen und Herren! In § 12 heißt es unter Nr. 4, daß eine Versammlung aufgelöst werden könne, wenn „durch den Verlauf der Versammlung gegen Strafgesetze verstoßen wird, die ein Verbrechen oder von Amts wegen zu verfolgendes Vergehen zum Gegenstand haben ...". Ich muß dazu die Frage stellen: Wer soll denn nun beurteilen, was an den Ausführungen des Redners gegen die Strafgesetze verstößt?

(Abg. Renner: Der Gendarm!)

Geht es wieder so wie in den von Herrn Dr. Lehr so gerühmten Wilhelminischen Zeiten, daß der Polizist zum Zeichen seiner Staatsautorität den Helm aufsetzt und dann die Versammlung namens der Staatsautorität des Herrn Dr. Lehr für geschlossen erklärt, weil nach dem Urteil seines weitreichenden Verstandes in der Rede gegen ein Strafgesetz verstoßen wird?! Welche Strafgesetze meinen Sie denn, meine Damen und Herren? Sprechen Sie sich doch etwas deutlicher aus, damit die Öffentlichkeit weiß, was Sie mit diesem Gesetz beabsichtigen! Offensichtlich denken Sie vor allem an das sogenannte Blitzgesetz, an das Strafrechtsänderungsgesetz von 1951, für dessen verfassungswidrigen Charakter nicht bloß die Kommunisten, sondern auch Angehörige Ihrer Parteien genügend Beweise erbracht haben. Sie wissen, daß nach diesem Gesetz jeder mit Gefängnis oder in schwereren Fällen mit Zuchthaus bestraft wird, der sich gegen die Besatzungswillkür ausspricht, jeder, der sich gegen die fünfzigjährige Knechtschaft des Generalvertrages erklärt, jeder, der sich gegen die Bereitstellung junger Deutscher für die amerikanische Fremdenlegion richtet, und jeder, der sich für die friedliche Verständigung der Deutschen in Ost und West einsetzt.

(Glocke des Präsidenten.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126402800
Herr Abgeordneter Fisch, Sie begeben sich wieder sehr in die Gefahr, vom Thema abzukommen. Ersparen Sie mir doch die dann immer wieder notwendig werdenden Maßnahmen.

Walter Fisch (KPD):
Rede ID: ID0126402900
Herr Präsident: Ich fühle mich verpflichtet, dem Hohen Hause Aufklärung darüber zu geben,

(Lachen in der Mitte und rechts)

was bei der Anwendung dieses Gesetzes wahrscheinlich als ein Verstoß gegen bestehende Strafgesetze angesehen wird.

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126403000
Wir haben die zweite Beratung. Da gibt es keine Generaldebatte, sondern da wird der Gegenstand paragraphenweise behandelt. Das ist natürlich eine bestimmte Einengung der Aussprache. Da können Sie nun nicht allgemeine Aufklärungen geben. Das widerspräche der Regelung in der Geschäftsordnung.

Walter Fisch (KPD):
Rede ID: ID0126403100
Meine Damen und Herren, ich möchte mich dann in diesem Falle auf ein prominentes Mitglied der sozialdemokratischen Fraktion berufen, das vor kurzem mitgeteilt hat, was in dieser Phase der Entwicklung vom Bundesjustizministerium bereits als Hochverrat bzw. als Staatsgefährdung angesehen wird. Um diese Delikte handelt es sich doch wohl; sie hat man in § 12 des Versammlungsordnungsgesetzes im Auge. Von dieser Seite wurde mir mitgeteilt, daß der Vertreter des Bundesjustizministeriums in einer Ausschußsitzung erklärt hat: Jede Beleidigung der Bundesregierung, jede Verunglimpfung eines ihrer Mitglieder muß, soweit sie von Kommunisten begangen wird, künftig als Staatsgefährdung oder sogar als Hochverrat angesehen werden,

(Hört! Hört! bei der KPD)



(Fisch)

weil jede Beleidigung von einem Kommunisten in der Absicht geschieht, die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik zu gefährden.
Sie sehen also, meine Damen und Herren, daß meine Befürchtungen eine sehr reale Grundlage haben und sich auf sehr konkrete Pläne des Bundesjustizministeriums stützen.

(Abg. Majonica: Ein schlechtes Gewissen!)

Dafür, daß heute schon nach diesem Grundsatz verfahren, ja sogar darüber hinausgegangen wird, möchte ich einige Beispiele bringen. Am 30. Januar 1953 wurde in Duisburg-Düssern eine öffentliche Lektion der Kommunistischen Partei verboten, die mit dem Thema einberufen war: „Der Weg zur nationalen Wiedervereinigung Deutschlands". Die Begründung des Verbots lautete: Dieses Thema verstößt gegen Bestimmungen des Strafgesetzbuchs.

(Hört! Hört! bei der KPD.)

Vergleichen Sie dazu § 12 Abs. 1 Ziffer 4 des vorliegenden Gesetzentwurfs.
Oder: am 20. Februar 1953 sollte in DuisburgMeiderich eine parteiinterne Kreiskonferenz stattfinden mit dem Thema „Das dritte Parteilehrjahr hilft uns im Kampf zur nationalen Wiedervereinigung Deutschlands". Auch diese interne Parteiveranstaltung wurde verboten mit der Begründung, daß auf der Konferenz das Programm der nationalen Wiedervereinigung Deutschlands der KPD behandelt werden solle; dieses Programm aber verstoße seinem Inhalt nach gegen die Bestimmungen des Strafgesetzbuchs, insbesondere die §§ 81, 96, 97, 185 und 187 a.
Ich könnte Ihnen dieser Art Beispiele noch eine ganze Menge aufführen, etwa eine Versammlung in Salzgitter-Lebenstedt am 18. März dieses Jahres, in der der niedersächsische Landtagsabgeordnete Landwehr sprechen sollte, — einige Stunden vor Beginn der Versammlung verboten mit der gleichen Begründung!
Oder das Verbot, gleichfalls in Duisburg, einer öffentlichen Versammlung, in der die widerrechtliche Verhaftung des Abgeordneten Angenfort zur Sprache kommen sollte. Der Oberstadtdirektor von Duisburg, Unterschrift Klimpel, verbot diese Versammlung, die für den 23. April 1953 einberufen war, mit Schreiben vom 18. April mit folgender Begründung:
Da mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, daß Frau Angenfort, die Frau des inhaftierten Landtagsabgeordneten, und andere Redner die Verhaftung des Abgeordneten Angenfort durch Beamte des Kriminalpolizeiamts als rechtswidrig hinstellen werden, ....
Weil also — hören Sie gut zu, meine Damen und Herren — „zu befürchten ist", daß die Frau eines widerrechtlich inhaftierten Landtagsabgeordneten den Beamten erklären würde: die Verhaftung ist rechtswidrig und verfassungswidrig, darum wurde diese Versammlung von vornherein verboten.

(Abg. Majonica: Darf Frau Linse auch sprechen, Herr Fisch?)

Wie Sie sehen, haben wir also Veranlassung, uns gegen diese Formulierung, wie sie hier vorgesehen ist, mit aller Entschiedenheit zu wenden.

(Abg. Majonica: Darf Frau Linse auch sprechen!)

Wir haben die Praxis, daß schon allein die Erwähnung des Parteiprogramms der KPD als ein Grund zum Verbot einer Versammlung mißbraucht wird. Ja, hier in dieser Fassung klingt das alles sehr schön; ja „gesetzlich" sogar — in Gänsefüßchen — klingt das alles. In Wirklichkeit aber soll durch diese Bestimmungen der polizeistaatlichen Willkür Tür und Tor geöffnet werden. Aber nur nach einer Seite hin soll diese Willkür ausgeübt werden: nach links hin. Daß sie nicht nach rechts ausgeübt wird, ja daß nach rechts hin alle faschistischen Verbände und Organisationen vollständige Freiheit genießen und selbst dann unterstützt werden, wenn sie zu Verstößen gegen die Strafgesetze auffordern, daß diese Organisationen darauf abzielen, Terror zu organisieren und offiziell zu proklamieren, das stört die Organe des Herrn Lehr nicht. Seine Organe und die Organe der Landesinnenminister schützen solche provokatorischen Aufmärsche wie den der SS in Verden — —

(Glocke des Präsidenten.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126403200
Herr Abgeordneter Fisch, ich muß Sie auffordern, zur Sache zu sprechen. Sie kommen wieder weit ab vom Thema. Ich rufe Sie also zur Sache.

Walter Fisch (KPD):
Rede ID: ID0126403300
Ich habe dem nichts hinzuzufügen

(Heiterkeit)

als eine Erinnerung an das Jahr 1898. Damals hat
einer Ihrer Vorbilder, Herr Dr. Lehr, der damalige
preußische Minister von der Recken, auch ein — —

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126403400
Herr Abgeordneter Fisch, ich rufe Sie zum zweiten Mal zur Sache und mache Sie auf die geschäftsordnungsmäßigen Folgen aufmerksam.

Walter Fisch (KPD):
Rede ID: ID0126403500
Herr Präsident, ich habe mir erlaubt, eine Parallele zu dieser Bestimmung zu zitieren.

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126403600
Ja, mit Parallelen aus der Weltgeschichte können Sie jede Abschweifung von der Sache begründen. Sie können doch nicht erwarten, daß das Haus auf solche Torheiten hereinfällt. Also ich bitte Sie, zu § 12 und zur Begründung Ihres Antrags zu sprechen.

Walter Fisch (KPD):
Rede ID: ID0126403700
Ich habe meinen Antrag begründet. Wenn es mir nicht gestattet ist, das Vorbild des Herrn Dr. Lehr aus der Zeit der Bismarckschen Reaktion zu zitieren, dann habe ich jetzt nichts mehr zu sagen.

(Beifall bei der KPD. — Lachen in der Mitte und rechts. — Abg. Renner: Gut, daß da oben ein Gendarm sitzt!)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126403800
Herr Abgeordneter Renner, ich rufe Sie zur Ordnung.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung.

(Zuruf.)

— Zur Abstimmung wollen Sie das Wort? (Abg. Ewers: Zur Geschäftsordnung!)

— Nach Erledigung dieses Paragraphen! — Wir haben abzustimmen über den Änderungsantrag Umdruck Nr. 899 Ziffer 5. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Gegenprobe! — Gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt.


(Vizepräsident Dr. Schäfer)

Ich bitte diejenigen, die dem § 12 in der Fassung der Vorlage zustimmen, die Hand zu heben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Ewers.

Hans Ewers (DP):
Rede ID: ID0126403900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Da zu befürchten steht, daß Herr Fisch bei der Begründung der weiteren — ich glaube 7 oder 8 — Streichungsanträge seiner Gruppe wiederum den Drang verspüren wird, uns über irgend etwas aufzuklären oder sonst zu beschimpfen, rege ich an, die Geschäftsordnung nunmehr genau anzuwenden, und verlese den § 41, soweit er hier Anwendung zu finden hat:
Ist ein Redner dreimal in derselben Rede zur Sache ... gerufen und beim zweiten Male auf die Folgen eines dritten ... rufes hingewiesen worden, so muß ihm der Präsident das Wort entziehen.
Das haben wir beim ersten Male glorreich erlebt.
Der Redner kann in der gleichen Sache das Wort nicht wieder erhalten.
Die gleiche Sache ist der heutige Tagesordnungspunkt 2.

(Widerspruch und Lachen bei der KPD.) — Na, was soll es denn sonst sein?


(Weitere lebhafte Zurufe von der KPD.)

Wollen Sie aus jedem Wort der Vorlage eine Extrasache machen? Es ist kein Zweifel darüber möglich, daß wir beim Tagesordnungspunkt 2, bei der „Sache" sind und daß Herr Fisch nach der Geschäftsordnung das Wort nicht wieder erhalten kann. Er muß einen Fraktionskollegen vorschicken; aber selbst kann er nicht mehr reden.

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126404000
Meine Damen und Herren, es handelt sich hier um eine Auslegungsfrage. Man kann natürlich so eng auslegen, daß man sagt: Wenn bei einem einzelnen Abschnitt oder Paragraphen des Gesetzes eine Wortentziehung wegen Abgehens von der Sache ausgesprochen ist, fällt die Diskussionsmöglichkeit, die Möglichkeit der Beteiligung an der Aussprache zum ganzen Gesetz weg. Ich glaube nicht, daß das die Absicht des Geschäftsordnungsausschusses und die des Hauses gewesen ist. Wenn es der Fall sein sollte, dann bitte ich Sie, das durch einen entsprechenden Beschluß klären zu lassen. Ich halte mich aber von mir aus nicht für befugt, eine solche Verengung der Geschäftsordnung durchzuführen.
Herr Abgeordneter Schoettle.

Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0126404100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist zwar angesichts der Art, in der Herr Fisch operiert hat, nicht leicht, in dieser Sache Stellung zu nehmen, und ich möchte nicht, daß das, was ich jetzt sage, als eine „Hilfestellung" für Herrn Fisch und seine Freunde ausgelegt wird. Ich bin aber der festen Überzeugung, daß eine Interpretation, wie sie Herr Kollege E w er s dem § 41 der Geschäftsordnung gegeben hat, nicht möglich ist. Man kann nicht als „die Sache" ein Gesetz von dem Umfang bezeichnen, wie es heute hier zur Beratung steht. „Die Sache" — das sind die Anträge zu den einzelnen Paragraphen, und da bin ich der Meinung, kann die Geschäftsordnung so angewandt werden.
Wir sollten — obwohl das ein hoffnungsloses Beginnen ist — von den Mitgliedern der kommunistischen Gruppe wenigstens erwarten, daß sie die Geduld des Hauses bei dieser Gelegenheit nicht allzu sehr strapazieren und daß sie den Widerspruch zwischen ihrer eigenen Praxis und ihren Reden hier nicht allzu deutlich in die Erscheinung treten lassen.

(Lebhafter Beifall.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126404200
Zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Renner.

Heinz Renner (KPD):
Rede ID: ID0126404300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Auslegung, die der Herr Kollege Ewers soeben dem einschlägigen § 41 der Geschäftsordnung gegeben hat, ist erfreulicherweise von dem Herrn amtierenden Präsidenten wie auch von dem Herrn Schoettle bereits zurückgewiesen worden. Ich habe nicht vor, dem Herrn Schoettle zu unterstellen, daß er uns Hilfsstellung leisten will,

(Abg. Schoettle: Gott sei Dank!)

wiewohl sogar dem Herrn Schoettle in einigen Monaten, aber bestimmt in einigen Jahren schon aufgehen wird, daß es gut gewesen wäre, diese Hilfsstellung zu leisten.

(Glocke des Präsidenten.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126404400
Herr Abgeordneter Renner, Sie haben sich zur Geschäftsordnung gemeldet, aber nicht zu einer Aussprache mit Herrn Schoettle.

Heinz Renner (KPD):
Rede ID: ID0126404500
Schön! Ich habe nur noch einen Satz zu sagen, Herr Präsident, einen Satz, der sich, verzeihen Sie, gegen Ihre bisherige Behandlung der Redefreiheit richtet. Bisher ist bei der zweiten Beratung eines Gesetzes noch keinem einzigen Redner untersagt worden, den Inhalt seines Begehrens durch Zitate aus der Praxis der Anwendung der betreffenden Vorschrift zu unterstützen und zu beweisen und aufzuzeigen — auch das hat man noch niemandem verwehrt —, welche Schlußfolgerungen, welche Nutzanwendungen die Organe der Polizei bzw. der Justiz aus diesen Bestimmungen zu ziehen in der Lage sind. Mehr hat der Kollege Fisch nicht getan.

(Glocke des Präsidenten.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126404600
Herr Kollege Renner, Sie haben sich zur Geschäftsordnung gemeldet. Dieser Gegenstand ist nunmehr erörtert. Jetzt gehen Sie auf Dinge ein, die im Augenblick gar nicht zur Erörterung stehen. Wenn Sie etwas gegen die Geschäftsführung des amtierenden Präsidenten haben, dann machen Sie von den Möglichkeiten des Einspruchs Gebrauch, die durch die Geschäftsordnung gegeben sind. Ich lasse eine Debatte über meine Geschäftsführung hier nicht zu.

(Zustimmung in der Mitte.)


Heinz Renner (KPD):
Rede ID: ID0126404700
Ich bin ja schon fertig. Was ich sagen wollte, ist gesagt.

(Lachen und Zurufe von der Mitte.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126404800
Meine Damen und Herren, damit ist die Geschäftsordnungsaussprache geschlossen.
Ich rufe § 14 auf. Dazu liegen Änderungsanträge und Wortmeldungen nicht vor. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. —


(Vizepräsident Dr. Schäfer)

Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
§ 15. Dazu Änderungsantrag Umdruck Nr. 899 Ziffer 6. Zur Begründung hat der Abgeordnete Fisch das Wort.

Walter Fisch (KPD):
Rede ID: ID0126404900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Begründung des Gesetzentwurfs hat der Minister des Innern, Herr Dr. Lehr, erklärt, man habe in der vorliegenden Fassung des Gesetzes auf die Anwendung von Generalklauseln verzichtet. Ich muß jedoch feststellen, daß in § 15 eine solche Generalklausel enthalten ist, die von vorn bis hinten verfassungswidrig ist. In § 15 wird in bezug auf öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge erklärt, daß die zuständige Behörde die Durchführung davon abhängig machen kann, daß bestimmte Auflagen eingehalten werden. Falls diese Auflagen nicht eingehalten werden, kann die Versammlung also verboten werden. Es wird jedoch nicht gesagt, welcherlei Auflagen die Polizeibehörde dem Veranstalter machen kann. Ich möchte nur nebenbei darauf hinweisen, daß auch in dem Gesetz des sozialdemokratischen Innenministers Hoegner in Bayern, das unter dem Namen „Gesetz zur Sicherung des politischen Friedens in Bayern" läuft, eine derartige Bestimmung bereits vorgesehen ist, und zwar in seinem § 7. Auch dort wird von „Auflagen" gesprochen, die die Verwaltungsbehörden erteilen können und von deren Einhaltung sie die Genehmigung der Versammlung abhängig machen.
Es ist klar, daß man solche Auflagen nicht generell gesetzlich sanktionieren kann, ohne genau zu sagen, welcher Art diese Einschränkungen des Grundrechtes der Versammlungsfreiheit sein sollen. In Art. 19 des Grundgesetzes heißt es ausdrücklich:
Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten.
Das Versammlungsordnungsgesetz schränkt das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 des Grundgesetzes erheblich ein. Nach Art. 19 des Grundgesetzes aber darf eine solche Einschränkung überhaupt nur erfolgen, wenn sie mit einem bestimmten Gesetz, und zwar allgemein und nicht je nach der Lage eines Einzelfalles, vorgenommen wird. Aus diesem Grunde ist die vorliegende Fassung des § 15 mit dem Grundgesetz unvereinbar.
Die Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz ergibt sich weiter aus Art. 79 des Grundgesetzes, wo es heißt:
Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.
Nach den von mir zitierten beiden Bestimmungen des Grundgesetzes ist es also unzulässig, allgemeine Richtlinien für die Einschränkung oder die Aufhebung eines Grundrechtes zu erlassen. Darum würde eine solche Bestimmung wie in § 15 zumindest die Zustimmung von zwei Dritteln dieses Hauses erfordern. Ich möchte die sozialdemokratische Fraktion in diesem Zusammenhang an ihre Verantwortung erinnern und ihr sagen, daß sie es in der Hand hat, mit ihrem Nein die Durchführung von Maßnahmen nach diesem verfassungswidrigen § 15 zu verhindern. Zeigen Sie nun, wie ernst es Ihnen um Ihre Opposition und um Ihre Sorge um die Aufrechterhaltung der verfassungsmäßigen Ordnung ist.

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126405000
Keine weiteren Wortmeldungen. Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag auf Umdruck Nr. 899 Ziffer 6. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt.
Ich bitte dann diejenigen, die dem § 15 in der Fassung der Vorlage zustimmen, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe § 16 mit dem Änderungsantrag auf Umdruck Nr. 899 Ziffer 7 auf. Das Wort hat Herr Abgeordneter Fisch.

(Abg. Dr. Jaeger [Bayern]: Hennecke!)


Walter Fisch (KPD):
Rede ID: ID0126405100
Ein bißchen phantasiereicher dürften Ihre Zwischenrufe doch sein, Herr Majonica!

(Abg. Majonica: Ich war es gar nicht!)

Meine Damen und Herren! Der § 16 enthält die Bestimmung über die Errichtung von Bannkreisen um die gesetzgebenden Organe des Bundes und der Länder sowie um das Bundesverfassungsgericht. Auch das hört sich sehr einfach und sehr harmlos an. Aber ich möchte Sie in diesem Zusammenhang an gewisse Vorkommnisse im Umkreise dieses Hauses am 19. März dieses Jahres bei der dritten Lesung der Kriegsverträge von Bonn und Paris erinnern. Sie haben damals die Bestimmung dieses Gesetzes schon weitgehend vorweggenommen, ja, Sie haben sie in einer Form erweitert, daß man nur sagen kann, Sie wollten sich die Meinung des Volkes mit allen Mitteln fernhalten, Sie wollten die Politik des Bundeskanzlers auf Ihre Art „schützen", wenn Sie dazu auch fünf Polizisten pro Abgeordneten, Wasserkanonen, spanische Reiter, Stacheldraht und derartiges mehr aufbieten mußten. Wir wenden uns gegen den § 16, weil er dazu bestimmt ist, die Abgeordneten des Volkes von ihren Wählern fernzuhalten, die Parlamente vom Volke zu isolieren und sie damit einer volksfeindlichen Politik noch gefügiger zu machen. Darum lehnen wir diesen § 16 ab.

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126405200
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Bergstraeßer.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0126405300
Meine Damen und Herren! Ich werde dem Beispiel langredender Vorgänger nicht folgen und nur kurz sagen, was wir wollen. Wir glauben, daß es richtig ist, diesen Paragraphen anders zu fassen. Unser Antrag lautet:
Die befriedeten Bannkreise für die Gesetzgebungsorgane des Bundes und für das Bundesverfassungsgericht werden durch Bundesgesetz, die befriedeten Bannkreise für die Gesetzgebungsorgane der Länder durch Landesgesetze bestimmt.
Wir möchten also nicht, daß sie durch Verordnung bestimmt werden. Uns leitet dabei vor allen Dingen der Gedanke, daß es richtig ist, derartige Dinge fest und nicht so leicht änderbar zu regeln. Das gibt eine gewisse Stabilität, und das scheint uns besser zu sein als nur eine Verordnung, die von wechselnden Regierungen geändert werden könnte.


(Dr. Bergstraeßer)

In dem § 16 ist insofern eine Ungeschicklichkeit, als Abs. 2 eigentlich Abs. 3 im logischen Aufbau sein müßte und Abs. 3 Abs. 2. Wir möchten Abs. 3 so gefaßt haben, daß die ganze Angelegenheit durch Bannmeilen-Gesetze des Bundes und der Länder geregelt wird.
Ich wiederhole: Wir halten es für richtiger, derartige Dinge gesetzlich, d. h. in fester Form, als durch Verordnungen, d. h. in einer loseren Form, zu regeln.

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126405400
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Jaeger.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0126405500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bannmeilen sind notwendig, um die verfassungsmäßigen Organe, das Parlament und die Gerichte, zu schützen, insonderheit vor dem Druck der Straße. Denn die Demokratie wird durch das Parlament und durch die verfassungsmäßig organisierten Gerichte vertreten und nicht durch das, was meistens von nichtdemokratischer Seite organisiert wird. Wir lehnen den Antrag der Kommunistischen Partei ab.
Der Antrag der Sozialdemokratischen Partei scheint uns ein sachgemäßer Weg zu sein, dieses Problem zu regeln. Wir stimmen dem um so mehr zu, als auf diese Weise auch die einzelnen Länder die Möglichkeit haben, diejenigen gesetzlichen Regelungen zu treffen, die ihnen zweckmäßig erscheinen.

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126405600
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Dann ist die Aussprache geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung, zunächst über den Antrag der KPD Umdruck Nr. 899 Ziffer 7. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Gegenprobe. — Gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt.
Der Antrag der SPD auf Umdruck Nr. 900 Ziffer 1: Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Gegenprobe. — Enthaltungen? — Gegen einige Enthaltungen mit überwiegender Mehrheit angenommen.
Dann der Umdruck Nr. 900 Ziffer 2, ebenfalls Antrag der SPD: Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Das ist zweifellos die überwiegende Mehrheit, also angenommen.
Dann bitte ich diejenigen, die dem § 16 mit den soeben beschlossenen Änderungen zustimmen, die Hand zu heben. — Das ist die Mehrheit. Angenommen.
Ich rufe auf § 17 — der Antrag dazu auf Umdruck Nr. 898 ist zurückgezogen —, §§ 18, — 20, — 21. — Zu diesen aufgerufenen Paragraphen liegen weder Änderungsanträge noch Wortmeldungen vor. Wir können also sofort darüber abstimmen. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Jetzt § 22 mit einem Änderungsantrag auf Umdruck Nr. 900 Ziffer 3. Zur Begründung hat das Wort Herr Abgeordneter Meitmann.

Karl Meitmann (SPD):
Rede ID: ID0126405700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens meiner Fraktion beantrage ich, den § 22 wie folgt zu ändern: Die Worte „oder
grobe Störungen verursacht" werden gestrichen, und nach den Worten „mit Gefängnis" werden die Worte „oder mit Geldstrafe" eingefügt.
Ich kann mich bei der Begründung des Antrags kurz fassen. Es ist offensichtlich, daß rechtlich wirklich grobe Störungen vorliegen können, ohne daß, wie bei böswilligen Störungen, eine harte Strafe verwirkt ist; mit anderen Worten, daß es sich um Fälle handeln kann, die nicht dieser Beurteilung unterliegen. Beispiel: Ein Betrunkener kommt in eine öffentliche Versammlung. Jeder, der im Versammlungsleben erfahren ist, kennt solche Fälle, wie sie durch diese Strafvorschriften geregelt werden sollen. Er hat damit zweifellos die Voraussetzung dieser Bestimmung erfüllt, er hat die Absicht, zu stören, und er stört auch gröblich. Aber niemand von uns — und ich glaube, auch niemand im Ausschuß hat diese Meinung bestritten — wünscht in einem solchen Fall einen Zwang zu Gefängnisstrafe. Darum beantragen wir, die Auslegung des Begriffs „grobe Störungen" in solchen Fällen in das Ermessen der richterlichen Gewalt zu stellen. Dann fällt selbstverständlich der letzte Satz: „Daneben kann auf Geldstrafe erkannt werden". Die Einfügung der Worte „oder mit Geldstrafe" bezweckt also, die Fälle, in denen auch wir eine ernsthafte Bestrafung wünschen — und das ist nach den geltenden Gesetzen mit der allgemeinen Formulierung „wird mit Gefängnis bestraft" sogar bis zu fünf Jahren Gefängnis möglich —, von den Bagatellfällen zu trennen, in denen kein böser Wille und nicht die Absicht zu einer bewußten Störung vorliegt. In diesem letzteren Falle soll lediglich auf Geldstrafe erkannt werden können.
Ich bitte Sie, diesen Antrag anzunehmen.

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126405800
Das Wort hat Herr Abgeordneter Euler.

August-Martin Euler (DP):
Rede ID: ID0126405900
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine politischen Freunde bedauern, daß sie sich den Änderungsanträgen der sozialdemokratischen Fraktion zu § 22 dieses Gesetzes nicht anschließen können. Es ist notwendig, den Ablauf von Versammlungen gegen Störer sicherzustellen, die eine Versammlung von vornherein nur zu dem Zweck aufsuchen, durch Gewalttätigkeiten, durch Androhung von Gewalttätigkeiten oder aber durch grobe Störungen dahin zu wirken, daß der ordnungsmäßige Ablauf der Versammlung verhindert, die Versammlung gesprengt wird. Wir wissen doch alle, daß gerade die Störabsichten organisierter Trupps, die nur kommen, um Versammlungen zu schmeißen, die Ursache für den gewalttätigen Verlauf von Versammlungen sind.
Wenn man zu einer guten Versammlungspraxis kommen will, einer Versammlungspraxis, die echte Diskussion ermöglicht, muß man dafür Sorge tragen, daß in der neuen Demokratie Terroristen dieser Art von vornherein keine Chance haben. Wer weiß, wie außerordentlich empfindlich unser Versammlungsleben noch ist, wer weiß, wie gerade in diesen Jahren die Gefahr droht, daß frühere Mißstände wiederkehren, die in den 20er Jahren so sehr dazu beigetragen haben, die Demokratie im Bewußtsein breitester Bevölkerungsschichten zu diskreditieren, wird einsehen, daß es richtiger ist, Terroristen, die auf grobe Weise stören wollen, in empfindliche Strafe zu nehmen, als die Demokratie wieder die Leidtragende einer solchen Praxis werden zu lassen. Wir halten es für unerläßlich, daß Männer, die in der Absicht, Versammlungen, zu


(Euler)

sprengen, Gewalttätigkeiten vornehmen oder androhen oder grobe Störungen — nicht irgendwelche Störungen untergeordneter Natur — zum Zwecke der Versammlungssprengung vornehmen, mit Gefängnis und nicht mit Geldstrafe bestraft werden. Aus diesen Ausführungen ergibt sich, daß wir auch den anderen Änderungsvorschlägen der Sozialdemokratie zu § 22 widersprechen, und wir bitten, sie abzulehnen.

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126406000
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jaeger.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0126406100
Meine Damen und Herren! Nach den Ausführungen des Herrn Kollegen Euler kann ich mich kurz fassen. Ich wollte auch darauf hinweisen, daß hier der Begriff der g r ob en Störung vorliegt. Nach den Erfahrungen, die wir in einer ja noch nicht sehr lange zurückliegenden Vergangenheit gemacht haben, scheint uns alles, was nur möglich ist, notwendig zu sein, um einen geordneten Ablauf des politischen Lebens zu ermöglichen. Wir wenden uns deshalb auch dagegen, daß hier die Worte „grobe Störungen" gestrichen werden. Eine andere Frage ist. ob man das richterliche Ermessen, das an sich schon sehr groß ist, da es von einem Tag bis zu fünf Jahren Gefängnis reicht, nicht noch dadurch erweitern kann, daß man auch die Geldstrafe einbezieht. Gegen diesen Antrag der sozialdemokratischen Fraktion würden wir uns nicht unbedingt wenden.

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126406200
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Menzel.

Dr. Walter Menzel (SPD):
Rede ID: ID0126406300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es kann natürlich gar kein Zweifel bestehen, daß ein ordnungsmäßiger Ablauf nicht verbotener Versammlungen und Aufzüge garantiert werden muß. Aber diejenigen Fälle, die meine beiden Herren Vorredner angeführt haben, werden auch dann erfaßt, wenn die Worte „oder grobe Störungen verursacht" gestrichen werden sollten; denn das Sprengen von Versammlungen setzt Gewalttätigkeiten, zumindest die Androhung von Terrormaßnahmen und Gewalttätigkeiten voraus. Grobe Störungen sind nach der ständigen Rechtsprechung und nach den Erfahrungen in unserm politischen und Versammlungsleben unter anderem solche Störungen, die in massierten Zwischenrufen oder im Absingen bestimmter politischer oppositioneller Lieder bestehen. Auch das wollen wir nicht straflos lassen; aber wir wollen nicht, daß jemand, der das im politischen Leben tut, ohne Ausweichmöglichkeiten in die Geldstrafe mit Gefängnis bis zu fünf Jahren bestraft werden kann. Wir laufen Gefahr, daß eine unter Umständen dem politischen Leben fremd gegenüberstehende Rechtsprechung diese Vorschrift nicht richtig anwendet. Denken Sie auch daran, daß alle diese Paragraphen der Polizei das Recht geben, Versammlungen frühzeitig aufzulösen, weil es zu erheblichen Störungen und strafbaren Handlungen kommt. In Verbindung mit dem Streichungsantrag haben wir zu § 28, der nicht weniger als sechs Straftatbestände umfaßt, beantragt, daß unter Ziffer 2 von einer gröblichen Störung gesprochen werden soll. Eine Haftstrafe, die bis zu sechs Wochen dauern kann und in der Praxis doch eine Gefängnisstrafe bedeutet, oder eine Geldstrafe reicht durchaus aus. Wir fürchten, wenn es bei dieser Bestimmung bleibt,
eine zu starke Einengung der politischen Freiheiten.

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126406400
Das Wort hat Herr Abgeordneter Euler.

August-Martin Euler (DP):
Rede ID: ID0126406500
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben gerade in neuerer Zeit feststellen können, daß sich eine gewisse Praxis der Störungen einbürgert, die nicht darin besteht, daß man gewalttätig vorgeht, sondern daß man beispielsweise erklärt: „Hier ist Singstunde!" Eine Gruppe von Zuhörern erklärt, sie werde sich für längere Zeit damit vergnügen, Lieder abzusingen. Daß in einem solchen Falle die Störabsicht eine ganz entschiedene ist, daß es sich dabei um eine Provokation handelt, die schlimmer nicht vorgestellt werden kann, daß gerade dadurch Gewalttätigkeiten herbeigeführt werden können, unterliegt keinem Zweifel. Denn schließlich bleibt für die Mehrheit, die nicht gestört sein will, gar nichts anderes übrig, als zur Selbsthilfe zu schreiten, wenn sich die Polizei passiv verhält. Das ist doch eine außerordentlich betrübliche Perspektive, die gesehen werden mull. Die Absicht der Leute, die sich mit der Erklärung „hier ist Singstunde" in einer Versammlung äußerst störend aufführen, ist doch von vornherein die allerbedenklichste. Sie ist eben darauf gerichtet, die Versammlung überhaupt zum Erliegen zu bringen, auch wenn man nur eine Minderheit darstellt, aber eine Minderheit „handfester Kerle", die zu verstehen gibt, daß sie nur der Gewalt weicht. Daß es sich dabei nicht nur um eine undemokratische Ordnungswidrigkeit handelt, sondern um eine ganz bösartige Absicht, die, wenn sie auf diese Weise in Erscheinung tritt, entsprechend bestraft werden muß, darüber sollte doch zwischen Frauen und Männern nicht diskutiert werden, denen daran gelegen ist, unser Versammlungsleben vor Entartungen zu bewahren, wie sie in den zwanziger Jahren zur alltäglichen Erscheinung geworden waren.

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126406600
Das Wort hat Herr Abgeordneter Ewers.

Hans Ewers (DP):
Rede ID: ID0126406700
Ich darf zunächst darauf hinweisen, daß der § 22 in der Vorlage außer dem letzten Satz
— „Daneben kann auf Geldstrafe erkannt werden"
— dem geltenden Strafrecht entspricht. Er wird nur aus dem Strafrechtsgesetz, wo er damals eingefügt war, in dieses Spezialgesetz übernommen, da ohne ihn die sedes materiae, d. h. die eigentliche Grundbestimmung hier fehlen würde und daher wesentlichen Versammlungsteilnehmern und -lei-tern unbekannt bliebe. Also auf Grund der Kodifikation des gesamten Versammlungsrechts ist hier eine Übertragung geltenden Rechts vorgenommen.
Ich weiß nun nicht, ob nach den Erfahrungen der letzten 4, 5 Jahre irgendein Anlaß besteht, insofern das geltende Strafrecht, ich kann nicht sagen: zu mindern, sondern geradezu zu verwässern. Wenn das Komplott, nämlich die gemeinsame Absicht, eine Versammlung nicht steigen zu lassen und zu diesem Zweck, wie mein Vorredner, Herr Euler, mit Recht gesagt hat, durch Lärm die Reden unmöglich zu machen, wenn dieses Komplott, das bei den Gegnern eine leidenschaftliche Erbitterung hervorrufen und dann dazu führen wird — wie es tatsächlich in einer Reihe von Fällen vorgekommen ist —, daß die Versammlung vereitelt wird, also eine Parallele, ein Spezialfall des Landfriedensbruchs, nicht anders als nur mit Freiheitsstrafe ge-


(Ewers)

ahndet wird, so bekommen wir in unserem Rechtsleben eine Strafrechtsskala, die durch nichts zu erklären ist. Bedenken wollen Sie gütigst, daß nach dem Geldstrafengesetz der Richter, wenn er auf unter drei Monaten Gefängnis erkennen will, diese Strafe nur als verwirkt zu erklären braucht und statt dessen effektiv Geldstrafe festsetzen kann. Es besteht also die Möglichkeit, daß ein Täter, dessen Vergehen vom Gericht für gering gehalten wird, auch schon nach dem heute geltenden Strafrecht mit einer Geldstrafe davonkommen kann. Aber ausdrücklich zur Wahl zu stellen, ob diese Komplottabsicht, die ja im Gegensatz zu § 28, der nur Übertretungen einzelner Personen umfaßt, Tatbestandsmerkmal ist, auch mit einer Geldstrafe geahndet werden kann, ist mit Rücksicht darauf, daß die Täter, und zwar die ausführenden Täter — nicht die veranlassenden Täter hinter den Kulissen —, meistens mittellos sind, ein vollkommenes Vorbeigehen an einer richtigen Strafrechtspolitik. Ich möchte daher auch die Freunde von der CDU bitten, diesem Antrag auf keinen Fall zuzustimmen. Denn — ich sage Ihnen ganz offen — wenn Sie das tun, dann werden Sie die beiden Säulen dieser Strafrechtsbestimmungen, die §§ 22 und 26 a — und auch dazu liegt ein entsprechender Antrag der SPD vor — vollkommen von ihrem Piedestal herunterstoßen.
Es muß sich in das Bewußtsein aller Versammlungsteilnehmer und aller Staatsbürger, die das Gebot der Duldsamkeit nicht für leeres Stroh halten, einprägen, daß man einer entehrenden Strafe entgegensieht, wenn man wegen eines solchen Vergehens gefaßt wird. Die Schwierigkeit liegt darin, die Leute zu fassen. Denn das Absingen irgendeines Kampfliedes geschieht zu 150 Personen. Daß man diese alle namentlich feststellt, ist ausgeschlossen. Vielmehr wird man höchstens zwei, drei als Exempel herausgreifen können. Aber dieser Paragraph, in diesem Gesetz verankert, hat meines Erachtens in erster Linie den Abschreckungscharakter. Jeder muß sich darüber klar sein: Du bekommst eine entehrende Strafe, und der Richter kann nicht davon absehen. Für dieses Absichtsdelikt gibt es nur eine Freiheitsstrafe.
Ich bitte die Damen und Herren, diese SPD-Anträge, weil sie eine Verschlechterung und eine durch nichts begründete Änderung des geltenden Rechtszustandes bedeuten und außerdem die Grundsatzparagraphen des Gesetzes, soweit es sich um Strafrecht handelt, antasten, abzulehnen.

(Beifall bei der DP.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126406800
Das Wort hat Herr Abgeordneter Meitmann.

Karl Meitmann (SPD):
Rede ID: ID0126406900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen der beiden letzten Vorredner könnten den Eindruck erwecken, als ob die sozialdemokratische Fraktion die in diesen Paragraphen vorgesehenen schweren Bestrafungen — ich sagte schon: nach dem geltenden Strafrecht bis zu fünf Jahren Gefängnis — für die hier gedachten oder konstruierten Fälle nicht wünsche. Das ist nicht unsere Meinung. Das ist auch im Ausschuß ausdrücklich von uns zur Kenntnis gebracht worden. Aber Sie kommen doch nicht darum herum, Herr Kollege Euler und Herr Kollege Ewers, daß Sie bei Einführung dieser Zwangsvorschrift unter allen Umständen, wenn der rechtlich objektive Tatbestand einer gröblichen Störung vorliegt, Gefängnis verhängen müssen. In dem von mir nun konstruierten Beispiel — und ich wiederhole es — wollen Sie doch nicht — das haben Sie im Ausschuß gesagt — die Gefängnisstrafe des Mannes, der, wie wir das alle wissen, durch Zufall in eine derartige Versammlung gerät und dort — richterlich beurteilt — objektiv stört, in das Ermessen des Richters setzen. Sie wollen doch nicht, daß dieser Mann, wenn er dem Richter aus anderen Gründen nicht paßt, unter Umständen mit monatelangem oder vielleicht sogar bis zu fünfjährigem Gefängnis bestraft wird.
Wir wollen dasselbe wie Sie für diese von Ihnen gedachten Fälle. Und bitte, im § 23, der dem hier diskutierten folgt, wird dieser Tatbestand ja auch unter Strafe gestellt. In Wirklichkeit spielen sich die Dinge doch so ab, daß der Versammlungsleiter eingreift, wenn hier eine, wie Sie es nennen, Gesangvereinskolonne die Versammlung stören will. Dazu geben wir ihm mit diesem Gesetz die Möglichkeit. Er wird mit seinen Ordnern eingreifen, wenn das nicht aufhört, und wenn sie seinen Anordnungen nicht folgen, dann haben die Leute ein Jahr Gefängnis verwirkt. Ich meine, ein Jahr Gefängnis für diese Dinge — wenn nicht nach anderen Gesetzen schwerere Strafen verwirkt sind, und das ist möglich — würde wohl auch zureichen.
Wir sind also in der Sache gar nicht im Gegensatz. Wir wollen nur nicht, daß der Richter gezwungen wird, den zufälligen Verletzer dieser Versammlungsordnung unter allen Umständen mit Gefängnis zu bestrafen. Das haben auch Sie im Ausschuß zum Ausdruck gebracht.

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126407000
Das Wort hat Herr Abgeordneter Fisch.

Walter Fisch (KPD):
Rede ID: ID0126407100
Meine Damen und Herren! Das Anliegen der Regierungskoalition konnte nicht besser charakterisiert werden als dadurch, daß als ihr Sprecher in dieser Angelegenheit ausgerechnet der Abgeordnete Euler vorgeschickt wurde.

(Sehr gut! bei der KPD.)

Herr Euler, Sie haben ja einige Erfahrungen in Sachen „demokratischen" Versammlungsschutzes.

(Abg. Euler: Wir haben noch nie Versammlungen gestört!)

Sie haben diese Erfahrungen ja aus dem besonders engen und intimen Verhältnis zu der Organisation des BdJ.

(Sehr richtig! bei der KPD.)

Sie wissen ja schließlich aus eigener Erfahrung, als erklärter Schirmherr dieser faschistischen Terrororganisation ganz genau, wie man es macht, mit Gummiknüppeln, Schlagringen, Hirschfängern usw. in großen Rudeln in Versammlungen von Linksparteien hineinzugehen, um sie auffliegen zu lassen. Wenn Sie dann hierherkommen und sagen: Man muß die Schärfe der Strafbestimmungen aufrechterhalten, dann ist doch klar, was Sie wollen: Sie wollen die volle Ermessensfreiheit des Richters gewahrt wissen in der Weise, daß einer Ihrer Freunde, wenn er mit dem Revolver oder mit dem Totschläger gefaßt wird, mit einem Tag Gefängnis davonkommt, andererseits aber ein Angehöriger der Linksparteien mit Gefängnis bis zu fünf Jahren bestraft werden kann. Das ist Ihr Wunsch, und darum möchten Sie die volle Ermessensfreiheit der Richter in diesem Rahmen erhalten haben.
Ich meine, Herr Euler hätte seiner Regierungsfront einen besseren Dienst getan, wenn er ge-


(Fisch)

schwiegen hätte. So hat er gesprochen, und ich glaube, das ganze Haus müßte wissen,

(Abg. Dr. Jaeger [Bayern]: Sie hätten auch Ihren Freunden einen besseren Dienst getan, wenn Sie geschwiegen hätten!)

daß das Grund genug ist, um den Standpunkt der Koalition abzulehnen.
Allgemein möchte ich zu den ganzen Strafvorschriften sagen: Wir lehnen die Strafvorschriften insgesamt ab, weil wir das Gesetz ablehnen.

(Sehr gut! bei der KPD. — Abg. Dr. Jaeger [Bayern]: Fürchterlich! Lebhafte Zurufe von der FDP.)

— Schreien Sie doch nicht so laut! Sie beide kommen doch aus liessen; Sie müßten doch eigentlich die hessische Verfassung kennen. Sie, Herr Euler, haben zwar mit Heldenmut dagegen gestimmt; aber soviel ich weiß, haben Sie noch nicht behauptet, daß Sie sie mißachten. In dieser hessischen Verfassung, die Sie kennen müßten, gibt es den Art. 147, an den auch Sie sich gebunden halten müßten und in dem es heißt: Widerstand gegen verfassungswidrig ausgeübte Gewalt ist jedermanns Recht und Pflicht.

(Sehr gut! bei der KPD.)

Dieses Gesetz hier ist verfassungswidrig ausgeübte Gewalt, bzw. jene, die nach diesem Gesetz handeln, brechen die Verfassung

(Zuruf rechts: Das ist Ihre Behauptung!)

Infolgedessen handelt ein jeder, der sich gegen diese Bestimmungen wendet, zu Recht. Er schützt die Verfassung, und darum verdient er die Unterstützung und nicht Bestrafung. Aus diesem Grunde lehnen wir alle Strafvorschriften insgesamt ab. Sollte die Mehrheit des Hauses anderer Auffassung sein, dann werden wir dem Änderungsantrag der SPD-Fraktion zu § 22 zustimmen.

(Abg. Euler: Ein witziger Fisch!)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126407200
Noch weitere Wortmeldungen? — Meine Damen und Herren, darf ich im Interesse unserer Verhandlungen doch einmal bitten, die Debatte nicht so auszuweiten. Ich habe den Eindruck, daß wir in eine Wiederholung eintreten.

(Sehr gut!)

Wollen Sie doch das Wort? - Dann bitte!

Matthias Joseph Mehs (CDU):
Rede ID: ID0126407300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß sagen, daß der Antrag der SPD im Grunde genommen eine Lücke ausfüllt, die dieser Paragraph hat. Wenn Sie ihn einmal genau durchlesen, werden Sie finden, daß in § 22 die leichteren Fälle überhaupt nicht berücksichtigt sind. Insofern ist es natürlich logisch, wenn in dem Antrag der SPD gefordert wird, „oder grobe Störungen" zu streichen. Nun habe ich aber trotzdem Verständnis dafür, daß es sich im vorliegenden Fall doch im wesentlichen um grobe Störungen handelt und daß diese groben Störungen — schon als Abschreckungsmittel — mit Gefängnis, und zwar n u r mit Gefängnis bestraft werden. Es fehlt also nach meiner Ansicht in diesem Paragraphen ein, sagen wir einmal, zweiter Absatz, der lauten könnte: „Geringere Störungen werden mit Geldstrafe bestraft".

(Abg. Meitmann: „oder mit Geldstrafe" ist ja unsere Formulierung!)

— Bei Ihrem Antrag, Herr Meitmann, besteht die Gefahr, daß bei groben Störungen auch mit Geldstrafe geahndet wird. Mir scheint, das müßte doch unter allen Umständen vermieden werden.

(Abg. Dr. Bergstraeßer: Was ist eine grobe Störung?)

— Darüber ein Urteil abzugeben, muß man wohl dem Richter überlassen.
Nach meiner Vorstellung fehlt hier die Strafe für geringere Störungen. Sie müßte noch hineingearbeitet werden. Das könnte durch einen zweiten Absatz geschehen, der etwa lautet: „Geringere Störungen werden mit Geldstrafe bestraft".

(Zuruf rechts: Nein!)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126407400
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Schneider.

Dr. Ludwig Schneider (CDU):
Rede ID: ID0126407500
Ich hatte mir eigentlich vorgenommen, dazu nicht mehr zu sprechen. Die Diskussion scheint mir jetzt aber doch etwas abzugleiten.
Ich bedauere sehr, daß die SPD heute diesen Änderungsantrag gestellt hat. Sie wissen, wie wir uns im Ausschuß alle miteinander bemüht haben, eine Grundlage zu erarbeiten, der wir alle zustimmen könnten. Ich gebe zu, daß von Ihrer Seite damals schon bezüglich der Formulierung „grobe Störungen" Bedenken geäußert wurden. Sie sagten, man könne nicht von vornherein leicht abgrenzen, was eine grobe Störung sei und wie sie sich von einem oder mehreren Zwischenrufen unterscheide. Sie hatten Bedenken, daß diese grobe Störung als objektives Tatbestandsmerkmal genügen sollte, um den Richter unausweichlich zu verpflichten, auf Gefängnisstrafe zu erkennen. Wir hatten auch damals schon erörtert, daß nach geltendem Recht über § 27 b StGB in einem solchen Falle dann an Stelle einer an sich verwirkten Gefängnistrafe - sagen wir von zwei oder drei Tagen; denn der Rahmen geht ja von einem Tag bis zu fünf Jahren — auf 20 DM Geldstrafe je nach dem Falle erkannt werden könnte. Weil wir das damals alles so besprochen hatten, habe ich gedacht, es bliebe dabei. Deshalb bin ich eigentlich etwas erstaunt, daß Sie jetzt diese Tatbestandsmerkmale der „groben Störung" entfernen wollen.

(Abg. Dr. Menzel: Wir wollen verlagern!)

- Sie wollen es verniedlichen. Nachher bleibt nichts mehr übrig als eine Übertretung, die im Normalfall nur mit einer kleinen Geldstrafe geahndet wird. Das ist eben die Gefahr. Ich begreife das nicht ganz, meine Herren von der SPD. Wir wollen den Anfängen wehren.

(Sehr richitg! in der Mitte.)

Das ist das Entscheidende. Dazu sind wir alle verpflichtet. Wenn hier — das darf man ja nicht vergessen — der Vorsatz, sogar noch stärker, die Absicht hinzukommen muß, grob zu stören, dann ist
das, wenn das zur Norm wird, schon ein sehr bedenklicher politischer Tatbestand. Aber ich will das
nicht mehr weiter erörtern. Ich unterstelle jetzt
einmal theoretisch, Ihrem Antrag wird stattgegeben, die grobe Störung als objektives Tatbestandsmerkmal des § 22 wird gestrichen. Dann bleibt
doch, Herr Kollege Menzel, als einziges objektives
Tatbestandsmerkmal noch übrig, daß jemand in der
Absicht, nicht verbotene Versammlungen oder Aufzüge zu verhindern oder zu sprengen oder sonst
ihre Durchführung zu vereiteln, Gewalttätigkeiten
verübt oder androht. Hier wollen Sie dann auch


(Dr. Schneider)

noch die Strafvorschrift verwässert sehen, indem Sie sagen: „Wird mit Gefängnis oder mit Geldstrafe bestraft". Das können Sie aber doch nicht wollen. Diese Tatbestände sind objektiv so schwer, daß sie, wie ich als Jurist behaupte, noch über den Rahmen des schweren Landfriedensbruchs hinausgehen. Zum Landfriedensbruch genügt es, daß sich eine Menge zufällig zusammenrottet, um Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen zu begehen. Der § 22 setzt aber voraus, daß sich diese Menge vorsätzlich und verabredungsgemäß zu dem einzigen Zweck zusammenrottet, Versammlungen dadurch zu sprengen, daß sie Gewalttätigkeiten begeht oder androht. Das ist ein derartig schwerer strafrechtlicher und auch staatspolitisch erheblicher Tatbestand, daß ich der Meinung bin, wenn Sie die grobe Störung gestrichen haben wollen — ich unterstelle das einmal theoretisch —, dann können Sie, wenn Sie die Dinge richtig betrachten, unter gar keinen Umständen Ihren weiteren Antrag aufrechterhalten, „mit Gefängnis o der Geldstrafe zu bestrafen". Dann wäre die einzige Konsequenz, daß es bei dem Strafrahmen des § 22, wie ihn der Ausschuß erarbeitet hat, bleiben sollte und müßte.

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126407600
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bergstraeßer.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0126407700
Meine Damen und Herren! Unser Antrag auf Streichung der „groben Störung" beruht einfach darauf, daß die Auslegung, was eine grobe Störung ist, sehr schwierig ist. Deswegen besteht die Gefahr, daß eine grobe Störung angenommen wird, wo gar keine vorhanden ist, sie also unterstellt wird, oder daß die sogenannte grobe Störung nur einer emotionalen Situation in einem bestimmten Augenblick entspringt.

(Abg. Dr. Jaeger [Bayern] : Dann fehlt es an der Absicht!)

— Sie meinen, dann fehle es an der Absicht. Wer bestimmt das? Wie wird es ausgelegt? Wir haben ja bestimmte Erfahrungen aus der Vergangenheit, Herr Kollege Jaeger.

(Abg. Dr. Hasemann: Wir haben aber auch andere Erfahrungen!)

— Ja, wo es so ausgelegt wurde, daß es immer bestimmte traf, andere nicht!

(Sehr gut! links.)

Das ist bei dieser Sache für uns das Allerwesentlichste. Deswegen wollen wir in diesen Dingen vorsichtig sein. Es tut mir leid, wenn andere diese Erfahrungen nicht haben; aber wir haben sie eben. Deswegen haben wir allen Grund, unseren Antrag zu stellen.

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126407800
Das Wort hat der Abgeordnete Ewers.

Hans Ewers (DP):
Rede ID: ID0126407900
Ich sehe mich leider genötigt, Herrn Mehs auf seine Ausführungen in einem für ihn hoffentlich aufklärenden Sinn zu antworten. Der § 22 behandelt ein qualifiziertes Vergehen. Er hat als entscheidendes Tatbestandsmerkmal die „Absicht". Diese ist mehr als der Vorsatz, sie ist der Plan: der Täter hat den Erfolg als Ziel im Auge und tut etwas, was ihn strafbar macht. Eine Absicht allein ist in einem Rechtsstaat niemals eine strafbare Handlung. Wir bestrafen ja nicht Gesinnungen oder Pläne, sondern Straftaten.

(Hört! Hört! und Lachen bei der KPD.)

Die erste Voraussetzung für die Erfüllung des Straftatbestandes von § 22 ist also, daß einer in einer bestimmten Absicht handelt. Daß diese Absicht von allen Mitgliedern des Hauses -- außer der KPD natürlich — verdammt wird, darüber sind wir uns einig. Ich meine die Absicht, im Wahlkampf keine Aussprache mehr zuzulassen. Wenn sich die Absicht durchsetzt, Versammlungen zu sprengen, ihre Durchführung zu verhindern oder sie überhaupt zu vereiteln, haben wir keinen Wahlkampf mehr, sondern den Bürgerkrieg. Ich nehme also an, daß diese Absicht von allen Beteiligten, ich möchte sagen: von Mehs bis Menzel, gleicherweise hier im Hause verdammt wird. Jetzt geht es aber los! Was muß in dieser Absicht geschehen sein? Lieber Herr Mehs, wenn in dieser Absicht eine ganz harmlose Störung, z. B. so ein Pfiff,

(Heiterkeit)

erfolgt, ist das keine strafbare Handlung und interessiert keinen Menschen. Und wenn einer in dieser Absicht einen Zwischenruf macht: „Sie haben unrecht!", ist das auch keine strafbare Handlung. Es gehören gröbere Mittel dazu, um wegen der Absieht die Strafbarkeit der Handlung zu begründen.
Um den Begriff der „groben Störung" dreht sich nun der Antrag der SPD. Herr Professor Bergstraeßer hat Angst vor den Gerichten. Das ist das alte SPD-Mißtrauen gegen die Gerichte, das wir Älteren ja schon aus der Zeit vor 1914 kennen und das bei den älteren Herrschaften der SPD leider unausrottbar ist. Ich glaube, bei den jüngeren Leuten wird es nicht mehr bestehen, weil den Gerichten heute im allgemeinen ja auch genügend Richter der SPD angehören.

(Zurufe von der SPD.)

Dieses Mißtrauen aus der ältesten Frühzeit der SPD sollte einmal aufhören!

(Zuruf des Abg. Dr. Bergstraeßer und weitere Zurufe von der SPD.)

— Herr Bergstraeßer, das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale stellt in der Tat das Gericht fest. Sie werden vielleicht auch wissen, daß die Gerichte heute weitgehend mit Laien besetzt sind. Fünf Berufsrichter bei der Strafkammer haben wir nicht mehr, sondern es sind nur noch drei Richter und zwei Schöffen. Beim Amtsgericht sind es von vornherein zwei Schöffen und ein Richter, ein Richter politisch unbekannter Gesinnung, die politische Gesinnung der Schöffen ist meistens bekannt; das betone ich ausdrücklich. Also das Mißtrauen gegen die Gerichte ist fehl am Ort und ist ein altes Residuum, ich möchte sagen, aus der Kampfzeit der SPD.

(Präsident Dr. Ehlers übernimmt wieder den Vorsitz.)

Der Richter stellt also den Tatbestand fest. Und was soll er feststellen? Gewalttätigkeit — das ist klar. Drohung mit Gewalttätigkeiten — das ist auch klar. Und nun kommt der Begriff der „groben Störung".

(Abg. Renner: Die Absicht!)

— Die „Absicht" ist erledigt. Sie müssen aufpassen, Herr Renner! Sie passen nicht gut auf! Schlechter Schüler!

(Heiterkeit.)

Jetzt kommt das Moment der groben Störung. „Grobe Störung" ist zweifellos ein dehnbarer Begriff. Hier ist vom Berichterstatter ausdrücklich aufgeführt: Zwischenrufe sind keine grobe Störung.


(Ewers)

Darüber sind wir uns einig. Zwischenrufe können sogar belebend wirken. Aber daß z. B. das planmäßige, in der Absicht der Sprengung vorgenommene Absingen von Liedern oder das Anstimmen von Löwengebrüll eine grobe Störung ist, darüber dürfte sich in der deutschen Justiz sehr bald eine allgemeine Meinung herausbilden. Dazu brauchen wir keine höchstrichterlichen Entscheidungen; das ist klar. Zwischen diesem Gröhlen oder dem Liedersingen und dem leisen Pfiff gibt es gewisse Gradunterschiede, und hier liegt die Entscheidungsbefugnis in der Hand des Richters.
Ich kann nun vorher nicht sagen, wie die Rechtsprechung das Wort „grobe Störung" in diesem Zusammenhang auslegen wird.

(Abg. Renner: Wir können das aber sagen!) Ich darf Ihnen dazu aber eines sagen. Da die Absicht der Sprengung gegeben sein soll und in dieser Absicht etwas geschehen soll, muß die Störung eben schon dazu angetan sein, eine Versammlung zu sprengen. Ohne diese Voraussetzung wird die Absicht ja nicht betätigt. Also im Sinne des Zieles des Täters werden die Anforderungen an die „Grobheit" der Störung schon vom Gericht ziemlich hoch zu bemessen sein. Es wird immer gefragt werden: War denn diese Störung überhaupt geeignet, die Versammlung zu vereiteln? War sie es nicht, dann war sie in diesem Sinne gar nicht „grob". Also deshalb, glaube ich, kann man sich über die Rechtsprechung hinsichtlich dieser ja nicht neuen Bestimmung, wie ich immer wieder betone, beruhigen.

Ich habe zum Strafmaß das Nötige schon gesagt. Ich möchte nur noch Herrn Mehs abschließend sagen: Die einfache Störung — allerdings nicht die erste Störung - ist strafbar nach § 28 Ziffer 2, wo ausdrücklich von ,,grober" Störung nicht die Rede ist. Dort ist die Voraussetzung, daß einer trotz wiederholter Ermahnung des Leiters diese dummen Störungen fortsetzt; es handelt sich also nicht um eine Absicht, sondern lediglich nur etwa um provozierenden Randalismus. Das sind doch ganz andere Tatbestände: Deshalb verlangt § 28 nur die einfache Störung, die nicht schon beim ersten Mal, sondern erst nach wiederholter Ermahnung strafbar wird.
Ganz anders ist der sehr ernste und von meinem Herrn Vorredner Dr. Schneider richtig als Landfriedensbruch gekennzeichnete Straftatbestand der Versammlungssprengung in § 22. Ich kann nur noch einmal sagen: Es wäre ein Mißgeschick, wenn wir bei solcher Absicht und einer solchen Grobheit der Störung, wie ich es dargelegt habe, in diesem Falle eine Geldstrafe von vielleicht 150 DM als Strafandrohung ins Auge fassen wollten. Das kommt meines Erachtens unter gar keinen Umständen in Betracht, wenn das Gericht die Tatbestandsmerkmale des § 22 für bewiesen hält. Und daß das gerecht und sachlich geschieht, das Vertrauen müssen wir zu unserer demokratischen Justiz haben.

(Beifall rechts.)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0126408000
Meine Damen und Herren, keine weiteren Wortmeldungen. Ich schließe die Besprechung zu § 22.
Ich komme zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck Nr. 900 Ziffer 3, und zwar darf ich vorschlagen, daß nach a,
und c getrennt abgestimmt wird.
Zunächst Antrag Ziffer 3 a auf Streichung der Worte „oder grobe Störungen verursacht". Ich bitte lie Damen und Herren, die für diesen Streichungsantrag sind, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über Umdruck Nr. 900 Ziffer 3 b, Einfügung der Worte „oder mit Geldstrafe". Ich bitte die Damen und Herren, die für diesen Antrag sind, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ziffer 3 c, Streichung des Satzes 2.

(Zuruf: Erübrigt sich!)

Nachdem der Antrag Ziffer 3 b abgelehnt ist, erübrigt sich dieser Antrag; ich darf ihn als erledigt ansehen.
Ich bitte die Damen und Herren, die für § 22 in der Ausschußfassung sind, eine Hand zu erheben.
— Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen?
— Das erste war die Mehrheit; § 22 ist angenommen.
Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen vor
— wir hatten das vorhin vorgesehen —, daß wir von 1 bis 2 Uhr zwar in den Beratungen fortfahren, aber Abstimmungen nicht vornehmen, sondern die Abstimmungen bis 2 Uhr zurückzustellen. Ist Ihnen das recht?

(Zustimmung.)

— Ich möchte damit nicht veranlassen, daß Sie uns alle bei den Beratungen im Stich lassen; das war nicht der Zweck dieser Mitteilung.

(Heiterkeit.)

Ich rufe § 23 auf. — Keine Wortmeldungen. Ich schließe die Besprechung.
Ich rufe auf § 24, Änderungsantrag Umdruck Nr. 899 Ziffer 8 auf Streichung. Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht; keine weiteren Wortmeldungen. Ich schließe die Besprechung zu § 24.
Ich komme zu § 25, Änderungsantrag Umdruck Nr. 900 Ziffer 4. — Herr Abgeordneter Professor Brill.

Dr. Hermann Louis Brill (SPD):
Rede ID: ID0126408100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine politischen Freunde wünschen die Aufmerksamkeit des Hohen Hauses auf den Zusammenhang der Strafbestimmungen in den §§ 25 bis 27 zu lenken. Ich bitte deshalb, Herr Präsident, über diese Paragraphen im Zusammenhang sprechen, d. h. die Änderungsanträge, die meine Fraktion auf Umdruck Nr. 900 unter den Ziffern 4 bis 6 gestellt hat, zusammen begründen zu dürfen.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0126408200
Ich bitte darum!

Dr. Hermann Louis Brill (SPD):
Rede ID: ID0126408300
Meine Damen und Herren, die genannten Paragraphen lassen sich in zwei Gruppen zusammenfassen. Die erste Gruppe bilden die §§ 25 und 27, die zweite die §§ 26 und 26 a. Die §§ 25 und 27 enthalten Strafandrohungen für diejenigen, die eine nicht verbotene Versammlung mit Waffen besuchen. Der § 25 richtet sich gegen den Leiter, der bewaffnete Ordner in eine öffentliche Versammlung einführt, § 27 gegen den einzelnen Versammlungsteilnehmer, der bewaffnet in einer nicht verbotenen Versammlung erscheint. Während der Leiter, der also, sagen wir einmal, mit einer ganzen Kompanie bewaffneter Ordner erscheint, dafür nur mit Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft werden soll, kann nach § 27 der einzelne, der bewaffnet an einer Versammlung teilnimmt, mit Gefängnis — das heißt, wie hier schon öfters erwähnt,


(Dr. Brill)

bis zu fünf Jahren - belegt werden. Das scheint uns ein grober Widerspruch zu sein.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Unserer Überzeugung nach könnte man den Versammlungsleiter, der eine ganze bewaffnete Ordnerorganisation in die Versammlung bringt, bedeutend härter bestrafen als den einzelnen, der vielleicht in einer Verwirrung der Sinne handelt.
Wir schlagen deshalb eine Änderung des § 27 vor und wollen für beide Tatbestände denselben Strafrahmen haben. Unter keinen Umständen aber, meine Damen und Herren, sollte es zugelassen sein, daß Personen — mögen sie nun Leiter, Veranstalter oder Teilnehmer sein —, die bewaffnet in eine nicht verbotene Versammlung kommen, mit einer Geldstrafe abgefunden werden können. Nach unserem Dafürhalten ist das bewaffnete Erscheinen in einer Versammlung die stärkste Drohung gegen den inneren Frieden und eine entehrende Gefängnisstrafe unter allen Umständen geboten. Stellt man sich vor, daß diejenigen, die das Auftreten von bewaffneten Ordnern in großer Zahl — § 25 — ermöglichen, auch zu gleicher Zeit den Betrag der vermutlichen Geldstrafe zur Verfügung stellen,

(Sehr richtig! links)

so ist der ganze § 25 ad absurdum geführt. Unsere Anträge unter Ziffer 4 und unter Ziffer 6 des Umdrucks Nr. 900 wollen diese Regelung verbessern. Ich erbitte dazu Ihre Zustimmung.
Wesentlich anders liegen die Dinge bei den §§ 26 und 26 a. Während die Rechtsbrecher nach § 25 und § 27 höchstwahrscheinlich — oder hoffentlich! - nur in kleiner Zahl vorhanden sein werden, ist der Adressat der §§ 26 und 26 a eine sehr große, nach Tausenden zählende Personengruppe, die als Leiter und Veranstalter tätig sind. Alle Parteien dieses Hauses haben nach unserem Dafürhalten Anlaß, diesen Gesichtspunkt in erster Linie in Rücksicht zu ziehen.
Ich muß, Herr Präsident, unseren Änderungsantrag unter Ziffer 4 um einen Änderungsantrag Ziffer 4 a ergänzen, den ich nach der Begründung dem Präsidium überreichen werde. Wenn die Auflagen nach § 15 Abs. 1, die der Herr Abgeordnete Fisch schon kritisiert hat und die in unbestimmter Zahl mit einem Inhalt, den wir nicht kennen, gemacht werden können und die nicht der Schriftform bedürfen, den Veranstaltern und Leitern in einer aufgeregten Zeit mitgeteilt und von ihnen mißverstanden oder überhaupt nicht erfaßt und demzufolge nicht erfüllt werden, und wenn dann der Leiter einer öffentlichen Versammlung bei Nichtbeachtung solcher unklaren Auflagen mit Gefängnis bis zu einem Jahr bestraft werden kann, so geht das nach unserem Dafürhalten zu weit. Wir halten hier eine Strafandrohung von sechs Monaten Gefängnis für ausreichend und möchten, obgleich es sich in § 26 a um gröbere Verstöße handelt, denselben Strafrahmen von sechs Monaten Gefängnis und die Androhung einer Geldstrafe haben.
Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, bezüglich der Führung von Waffen im Hinblick auf das gemeinsame Interesse an der Erhaltung des inneren Friedens und an dem Schutz etlicher Tausender von Versammlungsleitern unseren Anträgen zuzustimmen.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0126408400
Das Wort hat der Abgeordnete Euler.

August-Martin Euler (DP):
Rede ID: ID0126408500
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Namens meiner politischen Freunde möchte ich sagen, daß wir zwei Änderungsanträgen der Sozialdemokratie zustimmen werden. Das sind die Anträge, die eine Verschärfung des Strafmaßes vorsehen, die Anträge zu den §§ 25 und 27. Wir sind der Auffassung, daß ein Leiter einer öffentlichen Versammlung oder eines Aufzuges, der bewaffnete Ordner verwendet, mit Gefängnis bestraft werden muß, daß also in diesem Fall nicht die Alternative zwischen Gefängnisstrafe und Geldstrafe bestehen kann. Es ist zweifellos eine außerordentliche Gefährdung unseres demokratischen Lebens, wenn sich Leiter von öffentlichen Versammlungen oder Aufzügen dazu hergeben, bewaffnete Ordner einzusetzen. Diesem Antrag der Sozialdemokratie werden wir also zustimmen.
Das gleiche gilt von dem Antrag zu § 27. Es kann nicht angehen, daß man es als ein sehr leichtes und harmloses Delikt ansieht, wenn bei öffentlichen Versammlungen oder Aufzügen Teilnehmer Waffen bei sich führen, ohne zum Erscheinen mit Waffen behördlich ermächtigt zu sein. Es bedeutet eine außerordentliche Gefährdung unserer Versammlungspraxis, wenn Versammlungsteilnehmer bewaffnet erscheinen, ohne hierzu aus ganz besonderen Gründen befugt zu sein. Wir begrüßen auch diesen Änderungsantrag.
Hingegen bedauern wir, den drei anderen Änderungsanträgen nicht folgen zu können. Wir sind der Auffassung, daß gerade Vereinigungen, die der Demokratie feindlich gegenüberstehen, damit beginnen, daß sie um die Genehmigung für Versammlungen und Aufzüge nachsuchen und dann, um eben Unruhe zu stiften, von den vorgesehenen und mit den polizeilichen Organen abgesprochenen Plänen Abstand nehmen, daß sie also entgegen vorher gegebenen Versprechen eine solche Veränderung im Ablauf der Versammlung oder des öffentlichen Umzugs vornehmen, daß daraus sehr leicht Störungen erwachsen können. Wir sind der Auffassung, daß gerade die Veranstalter oder Leiter von öffentlichen Versammlungen und noch mehr von öffentlichen Umzügen eine gesteigerte Verantwortung zu tragen haben, deren sie sich bewußt sein müssen. Im allgemeinen werden ja bei Versammlungen überhaupt keine Auflagen gemacht. Lediglich bei öffentlichen Umzügen werden hinsichtlich des einzuhaltenden Weges in einer Stadt oder Landschaft Auflagen gemacht. Es dürfte doch wohl klar sein, daß nicht die Möglichkeit geschaffen werden darf, dann leichten Herzens von den Auflagen abzugehen.
Wir können also in diesen Fällen nicht einsehen, daß es richtig ist, die strafrechtlichen Vorschriften abzuschwächen. Wir stimmen jedoch ausdrücklich der Verschärfung der strafrechtlichen Vorschriften in den Fällen zu, wo das Tragen von Waffen oder die Zulassung von bewaffneten Personen zu einer Gefährdung der Versammlung führen kann.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0126408600
Ich hatte § 25 aufgerufen. Es ist bereits zu den §§ 26, 26 a und 27 gesprochen worden. Diese Paragraphen sind also auch aufgerufen. Dazu liegen Änderungsanträge der kommunistischen Gruppe vor. Sollen sie ausdrücklich begründet werden? - Nein.
Herr Abgeordneter Ewers wünscht das Wort. Aber nicht zur Begründung der kommunistischen Anträge.

(Abg. Ewers: Nein!)



Hans Ewers (DP):
Rede ID: ID0126408700
Die Anträge der SPD haben dankenswerterweise auf einen geradezu unmöglichen Widerspruch zwischen den §§ 25 und 27 hingewiesen. Ich möchte eigentlich die Bitte an die SPD richten, daß sie gleichzeitig beantragt, den § 27 als Abs. 2 von § 25 zu führen. Die Dinge gehören zusammen. In beiden Fällen ist vom Waffentragen die Rede. Einmal verwendet der Leiter bewaffnete Ordner, zum anderen führt ein Teilnehmer Waffen bei sich. Ich könnte mir vorstellen, daß man für den Leiter Gefängnis ohne Begrenzung auf ein Jahr und für den Versammlungsteilnehmer bis zu einem Jahr androht, wie die SPD es will, jedenfalls nicht umgekehrt, wie es, offenbar durch ein Versehen, in der Vorlage heißt.
Was die anderen Anträge anlangt, so bitte ich den Herrn Kollegen Euler, folgendes zu erwägen. Es handelt sich dabei in erster Linie um Ordnungsvorschriften. Aber die Frage ist die, ob hier nicht Vorsatz und Fahrlässigkeit gleich bestraft werden. Ich sage ganz offen, wenn hier sowohl Vorsatz wie Fahrlässigkeit bestraft werden sollen, halte ich den Gedanken, in beiden Fällen, sowohl in § 26 als auch in § 26 a, auch eine Geldstrafe anzudrohen, für begreiflich.

(Abg. Euler: Die Strafe steht schon im § 26 drin!)

— In § 26 a steht's nicht drin; da soll es erst durch den Antrag eingefügt werden; die Frage ist, ob in Abs. 1 nicht auch eine Fahrlässigkeit in Frage kommt, während in Abs. 2 nur die Unkenntnis des Verbots als Fahrlässigkeit behandelt ist, wofür ausschließlich Geldstrafe angedroht ist. Aber der Täter kann das Verbot zwar kennen, es aber falsch ausgelegt haben; oder er kann sich in den Straßenzügen für den Umzug geirrt haben; was alles vorkommen kann, was theoretisch möglich ist, ist nicht zu übersehen. Auch bei einem solchen entschuldbaren Irrtum über den Inhalt des dem Täter bekannten Verbots müßte der Richter nach der Vorlage immer auf Gefängnisstrafe erkennen.
Ich bekenne, daß die Ausführungen des SPD-Redners auf mich ihren Eindruck nicht verfehlt haben, und ich bedauere, daß in diesen Strafrechtsbestimmungen doch noch einige Unebenheiten stehengeblieben sind, die man bei den vielen Änderungen dieses Gesetzentwurfs im Ausschuß vielleicht nicht ganz klarziehen konnte. Ich muß jedenfalls sagen: ich bin nicht in der Lage. zu erklären, daß die SPD-Anträge von irgendwelcher parteipolitischen Einseitigkeit getragen wären. Ich halte sie vielmehr für eine nicht unerwünschte, in den §§ 25 und 27 absolut notwendige Verbesserung der Vorlage.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0126408800
Herr Abgeordneter Brill.

Dr. Hermann Louis Brill (SPD):
Rede ID: ID0126408900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wegen des Zusammenhangs des Gedankenganges könnte man der Anregung des Herrn Kollegen Ewers, § 27 zum Abs. 2 von § 25 zu machen, zustimmen; aber systematisch wäre es nicht gut. Denn die §§ 25, 26 und 26 a handeln von Leitern und Veranstaltern. § 27 bezieht sich, wenn's auch nicht drinsteht, nur auf die Teilnehmer. Ich glaube, es liegt noch ein zweiter systematischer Unterschied vor. Das Waffentragen nach § 25 geschieht immer durch eine Ordnerorganisation, während das Waffentragen nach § 27 eine rein individuelle Handlung ist. Es könnte also auch ein Schwachsinniger, der betrunken ist, plötzlich mit dem Hackmesser in die Versammlung gehen; dann wäre er nach
§ 27 zu bestrafen. Aus systematischen Gründen bitte ich also, zu überlegen, ob der Anregung Folge geleistet werden sollte. Ich glaube, so wie unser Antrag ist, ist die Einfügung der Änderung systematisch besser.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0126409000
Also ein Antrag ist von Herrn Kollegen Ewers nicht gestellt worden; er hat nur eine Anregung gegeben. Keine weiteren Wortmeldungen.
Ich rufe dann auf § 28, Antrag der SPD Umdruck Nr. 900 Ziffer 7. Bitte schön, Herr Abgeordneter Meitmann.

Karl Meitmann (SPD):
Rede ID: ID0126409100
Meine Damen und Herren! Nach der freundlichen Bemerkung des Herrn Kollegen Ewers über den vorweg erledigten Antrag habe ich die Hoffnung, daß das Haus dem § 28 in der von uns beantragten Fassung zustimmt. Ich darf hier, wenn auch vor schlecht besetztem Hause, einmal sagen, was die sozialdemokratischen Vertreter im Ausschuß als Maxime und dominierendes Prinzip bei ihrer Mitarbeit geleitet hat.
Wir hatten schon unseren Initiativgesetzentwurf als Versammlungsschutzgesetz bezeichnet und damit wie auch bei den Beratungen im Ausschuß zum Ausdruck gebracht, daß uns an einem echten demokratischen Leben in der Öffentlichkeit liegt, im Konnex der Abgeordneten als der höchsten Vertrauensmänner der Bevölkerung über die im Grundgesetz als institutionell wichtig anerkannten politischen Parteien. Uns schwebt vor, auf diese Weise dafür zu sorgen, daß das demokratische Geschehen von unten auf in der Aussprache zwischen den Vertretern der politischen Parteien, der Vertrauensleute der Bevölkerung in den Parlamenten, und dem Wähler lebendig bleibt und nicht erstickt wird; nicht erstickt durch die Gewalt und den bösen Willen anderer, die lieber mit Instrumenten statt mit Argumenten in die Versammlungen gehen, aber auch nicht durch vielleicht subjektiv gutgemeinte Maßnahmen der Exekutive. Darum dieser Antrag, den anzunehmen nach allem, was vorher diskutiert worden ist, eigentlich selbstverständlich sein müßte. Es gibt sicher im Norden wie im Süden und vielleicht auch in anderen Teilen unserer Bundesrepublik Leute, die in einer von ihnen selber veranstalteten Versammlung schon einen Zwischenruf, vielleicht sogar einen treffenden Zwischenruf aus der Versammlung heraus für eine Störung halten. Es ist sicher nicht der Sinn der Demokratie und einer echten Aussprache in Versammlungen, wenn es als Störung empfunden wird, daß ein gutwilliger Teilnehmer der Versammlung in Abweichung von einer Meinungsäußerung des jeweilgen Redners einen treffenden Zwischenruf macht und, wenn er ein gewitzter Mensch ist, vielleicht auch einen zweiten und einen dritten, und dies den Unwillen der Veranstalter, ja vielleicht sogar einen Eingriff der Exekutive hervorruft. Wir wollen also, daß um der Entwicklung des demokratischen Lebens und um des Konnexes der Bevölkerung mit den Vertretern der politischen Parteien willen hier nicht mehr geschieht als notwendig.
Deshalb, meine Damen und Herren von der Koalition. meine ich, Sie könnten gerade in Analogie zu dem, was wir im Parlament doch alle zu tun uns bemühen, nämlich eine echte, von Argumenten getragene Aussprache zu führen, diesem Antrag zustimmen. Es darf nicht so sein, daß irgendein besonders empfindsamer Versammlungs-


(Meitmann)

leiter oder Veranstalter schon die tropfenweise Willensäußerung eines Versammlungsteilnehmers als Störung empfindet und bei kleinlicher Auslegung eines solchen Vorfalls vor Gericht die doch nicht unbeachtliche Strafe, nämlich entweder Haftstrafe oder 150 DM Geldstrafe, fällig wird. Das wollen Sie doch, wie ich hoffe, alle nicht.
Darum bitte ich Sie im Auftrage meiner Fraktion nochmals: stimmen Sie auch dieser Änderung zu, nicht damit eine grobe Störung unbestraft bleibt — das wollen auch wir nicht —, sondern damit die lebendige demokratische Entwicklung, die Aussprache der Bevölkerung mit ihren Vertrauensleuten, nicht erstickt wird.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0126409200
Soll der weitere Änderungsantrag der Gruppe der KPD begründet werden? — Das ist nicht der Fall.
Herr Abgeordneter Euler bitte!

August-Martin Euler (DP):
Rede ID: ID0126409300
Meine sehr geehrten Damen und Herren! In diesem Falle kann ich Herrn Kollegen Meitmann nicht beipflichten, denn die Ziffer 2 des § 28 droht ja nicht Strafe an für den Fall, daß eine Versammlung oder ein Aufzug gestört worden ist. Vielmehr ist doch gesagt, was alles vorangegangen sein muß: wiederholte Zurechtweisung durch den Leiter oder einen Ordner, und trotz dieser wiederholten Zurechtweisungen muß der Zurechtgewiesene fortgefahren haben, den Ablauf einer öffentlichen Versammlung oder eines Aufzugs zu stören, ehe er sich strafbar macht. Durch diese Voraussetzungen ist der Tatbestand doch so eingeengt, daß die Gefahr, der Sie mit Recht begegnen wollen, ausgeschlossen ist.
Auch uns liegt nichts daran, Zwischenrufe zu verhindern. Nach meiner Versammlungspraxis kann ich sagen, daß einzelne Zwischenrufe vom Versammlungsleiter durchweg überhaupt nicht beachtet werden. Es bleibt dem Redner überlassen, in lebendiger Antwort sofort darauf einzugehen, und jedem Redner, der an der politischen Debatte Spaß hat, ist es eine Freude, Zwischenrufe sofort aufzunehmen. Aber von einfachen Zwischenrufen, die als belebend, anregend oder witzig empfunden werden, müssen doch Störungen übler Art unterschieden werden. In diesem Falle muß also die Störung schon so erheblich sein, daß — was bei einfachen Zwischenrufen niemals der Fall sein wird — der Versammlungsleiter schon mehrfach Zurechtweisungen erteilt hat, es muß dann auf diese mehrfachen Zurechtweisungen durch den Leiter oder einen Ordner planmäßig fortgefahren worden sein, den Ablauf zu stören. Herr Kollege Meitmann, wenn Sie diesen Gedankenzusammenhang auf sich wirken lassen, dann, glaube ich, werden Sie mir zugeben: der Tatbestand ist so eingeengt, daß er nicht noch durch den Zusatz des Wortes gröblich —„gröblich zu stören" — weiterer Einengung bedürfte. Ganz abgesehen davon handelt es sich hier ja nicht um ein schweres Delikt, sondern um eine Übertretung, die nur mit Haft oder mit Geldstrafe bis zu 150 DM bestraft wird.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0126409400
Das Wort hat Herr Abgeordneter Ewers.

Hans Ewers (DP):
Rede ID: ID0126409500
Auch ich bedauere, in diesem Fall dem SPD-Antrag widersprechen zu müssen, und zwar in erster Linie aus rechtssystematischen Gründen. In § 22 ist der Begriff der groben Störung stehengeblieben. Sie wollen nun das Wort grob hier
nochmals verwenden, allerdings in der Diminutivform „gröblich", wobei ich nicht genau weiß, ob gröblich wesentlich weniger ist als grob.

(Heiterkeit.)

Das ist eine etwas schwierige Frage, und man müßte wohl einige Oberlehrer heranziehen, um das zu definieren.

(Abg. Dr. Jaeger [Bayern]: Sehr gut!)

Ich möchte sogar warnen, nachdem wir uns darüber klargeworden sind, daß der Begriff der groben
Störung in § 22 mit einer einfachen Beeinträchtigung der friedlichen Ordnung des Hauses nichts zu
tun hat, sondern mit der Absicht der Sprengung in
irgendeinem inneren Zusammenhang steht, hier die
Form „gröblich" anzuwenden, die leicht dazu führen könnte, das Wort „grab" in § 22 zu verwässern.
Ich bin an sich nach den Darlegungen des Herrn Kollegen Euler der Meinung, daß der Text des § 28 Ziffer 2 völlig klar ist. Ich gebe zu, daß es schöner wäre, wenn vor „zu stören" noch etwas über die Form der Störung gesagt werden könnte, und bitte die SPD, zu erwägen, ob sie ihren Antrag nicht dahin umändern kann, daß sie das Wort ,beharrlich" einführt. Dann ist es nämlich klar, daß man nach den früher gerügten Störungsakten nach der zweiten Rüge nicht in der gleichen Weise fortfahren darf. Es muß sich also immer um eine empfindliche Beeinträchtigung der guten Stimmung der Versammlung handeln. Deswegen, meine ich, sollten Sie statt „gröblich" „beharrlich" sagen, womit ja auch über die Intensität der Störung noch etwas Zusätzliches gesagt ist. Wenn Sie beantragten „beharrlich" zu sagen, würde das ganze Haus, glaube ich, mit Ihnen übereinstimmen, während das Wort „gröblich" nach Verabschiedung des § 22 rechtssystematisch erhebliche Bedenken hervorrufen muß.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0126409600
Keine weiteren Wortmeldungen; ich schließe die Besprechung zu § 28.
Ich rufe auf Abschnitt V, § 30 und § 30 a. Hierzu liegt der Änderungsantrag Umdruck Nr. 899 Ziffer 12 vor. — Er soll auch nicht besonders begründet werden. Ich rufe weiter auf § 31, Einleitung und Überschrift. — Keine Wortmeldungen. Damit ist die zweite Beratung beendet. Ich stelle fest, daß wir die Abstimmungen in einer halben Stunde etwa vornehmen werden.
Ich schlage Ihnen vor, mit Rücksicht auf die Tatsache, daß eine ganze Reihe von Mitgliedern des Hauses zu der Tagung der Beratenden Versammlung des Europarats nach Straßburg fahren müssen, die Punkte 4 und 5 auszuwechseln und zunächst den als Punkt 5 vorgesehenen Gegenstand in Angriff zu nehmen:
Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Linderung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 (Nr. 2260 der Drucksachen);
Schriftlicher Bericht *) des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen (il. Ausschuß)


(Nrn. 4300, zu 4300 der Drucksachen). (Erste Beratung: 152. Sitzung.)

Wir hatten ja vorgesehen, die Abstimmung darüber um 16 Uhr stattfinden zu lassen.
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Wacker. Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen.
') Siehe Anlage 2 Seite 12930


Oskar Wacker (CDU):
Rede ID: ID0126409700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst obliegt mir die Aufgabe, darauf aufmerksam zu machen, daß sowohl der Titel wie die Präambel der Drucksache Nr. 2260 nicht den üblichen Erfordernissen entsprechen. Der Titel müßte lauten: „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Art. 108 des Grundgesetzes". Die Präambel müßte lauten: „Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrats unter Einhaltung der Vorschrift des Art. 79 Abs. 2 des Grundgesetzes das folgende Gesetz beschlossen".
Zur Berichterstattung darf ich ganz kurz auf den Sachverständigenbericht*) eingehen und einiges Wichtige dabei hervorheben. Herr Geheimrat Dr. Carl gab in seinem Bericht einen Überblick über die historische Entwicklung seit 1900, die zu Beginn der Weimarer Republik zur Schaffung einer Reichsfinanzverwaltung geführt hat. Er leitete aus den Erkenntnissen der Vergangenheit die Notwendigkeit der Einführung der Bundesfinanzverwaltung ab.
Herr D r. Jacobsen hat in seiner Darstellung untersucht, inwieweit die gegenwärtige Organisation geeignet ist, die Prinzipien der steuerlichen Gerechtigkeit und der Gleichmäßigkeit zu verwirklichen und die Verwaltung der Steuern rationell durchzuführen. Nachdem er zu dem Ergebnis gekommen ist, daß die gegenwärtige Organisation die Forderung nach Gerechtigkeit und rationeller Verwaltung nicht erfüllt, geht er auf weitere zu erwartende positive Auswirkungen einer Bundesfinanzverwaltung ein. Dabei gibt er das zu erwartende Mehraufkommen an Steuern und die zu erwartende Ersparnis an Verwaltungskosten mit mindestens einer Milliarde DM an. Dieser Tatbestand spricht nach der Meinung Dr. Jacobsens für die Notwendigkeit, eine Bundesfinanzverwaltung einzuführen.
Herr Oberfinanzpräsident a. D. Ellinger geht in seinen Ausführungen besonders auf den Standpunkt der Beamten ein. Seiner Meinung nach sind fast 100 % aller Beamten für die Wiedereinführung einer zentralen Finanzverwaltung. Auch er zeigt an Beispielen die Nachteile des derzeitigen Systems auf.
Herr Staatssekretär D r. Ringelmann widerlegt insbesondere die Vergleichbarkeit der Voraussetzungen, die Erzberger bzw. seine Ministerialbeamten zur Einführung der Reichsfinanzverwaltung veranlaßt haben, zu den heutigen politischen Verhältnissen. Er geht insbesondere aber auf die Aufgabengebiete ein, die den Ländern auf Grund der verfassungsrechtlichen föderalistischen Grundlagen übertragen worden sind. Er nennt insbesondere die Einführung der Kriegsopferversorgung und die Komplexe sonstiger Versorgungsaufgaben. Weiter nennt er die Flüchtlingsversorgung, die Festsetzung der Versorgungsrenten des Personenkreises nach Art. 131 GG. Ferner verweist er noch auf die Fülle der Aufgaben auf den vermögensrechtlichen Gebieten.
Zu den Ausführungen der übrigen Sachverständigen darf ich auf den Wortlaut der Anlage zum Schriftlichen Bericht — zu Drucksache Nr. 4300 - Verweisen.
Das ist im großen und ganzen das, was zu dem Sachverständigenbericht gesagt werden muß. Der Ausschuß hat mich gebeten, die Annahme des Antrages zu empfehlen.
*) Siehe Anlage A zu Anlage 2 Seite 12932

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0126409800
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Wir kommen dann zur zweiten Beratung des Gesetzentwurfs. Ich rufe auf § 1, — § 2, — Einleitung und Überschrift. — Keine Wortmeldungen. Ich schließe die Einzelbesprechung der zweiten Beratung.
Meine Damen und Herren, ich mache Ihnen den Vorschlag, da wir vorgesehen haben. die Abstimmungen um 16 Uhr stattfinden zu lassen, und in diesem Falle ja die Feststellung einer verfassungsändernden Mehrheit erforderlich ist, daß wir in einer weiträumigen Auslegung der Geschäftsordnung auch die Abstimmung zur zweiten Beratung um 16 Uhr stattfinden lassen, aber dennoch die allgemeine Besprechung der dritten Beratung in Angriff nehmen. Hat das Haus dagegen Bedenken?
— Das ist nicht der Fall.
Dann rufe ich, ohne daß die Abstimmung der zweiten Beratung stattgefunden hat, zur
dritten Beratung
auf, und zwar zur allgemeinen Besprechung. Der Ältestenrat hat Ihnen eine Redezeit von 120 Minuten vorgeschlagen. — Das Haus ist damit einverstanden.
Ich bitte um Wortmeldungen.

(Abg. Dr. Gülich: Zur Geschäftsordnung!)

— Zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Gülich!

Dr. Wilhelm Gülich (SPD):
Rede ID: ID0126409900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß man ein so wichtiges Gesetz, zu dessen Annahme eine verfassungändernde Mehrheit gehört, nicht vor leeren Bänken beraten kann. Denn im Augenblick sind die meisten Kollegen im Restaurant. Ich finde, es ist eigentlich keinem von uns zuzumuten,

(Abg. Schoettle: Wir sollten uns ihnen anschließen!)

über diese wichtige Angelegenheit jetzt zu beraten. Ich möchte deshalb an den Herrn Präsidenten die Frage richten, ob es nicht möglich ist, daß jetzt spätere Punkte der Tagesordnung, die leichter zu erledigen sind, vorgezogen werden.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0126410000
Also mit Vergnügen, Herr Abgeordneter Gülich. Ich mache dem Hause den Vorschlag, auch diese dritte Beratung um etwa eine halbe Stunde zu vertagen, bis wir die Abstimmung zu dem Punkt 2 — —

(Zuruf von der Mitte: Machen wir doch gleich alle Mittagspause!)

— Ja, Herr Abgeordneter, ich habe mich den Wünschen des Hauses und den Vereinbarungen der Fraktionen gefügt, weil ich sie für zutreffend halte. Wenn Sie eine andere Meinung haben, müßten Sie das in Ihrer Fraktion zunächst einmal vorbringen.
Ich darf also zunächst den Punkt 3 der Tagesordnung aufrufen:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Erbschaftsteuergesetzes (Nr. 4268 der Drucksachen).
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, diesen Gesetzentwurf ohne Aussprache und ohne Begründung in der ersten Beratung zu behandeln. Ich schlage Ihnen vor, diesen Gesetzentwurf dem Ausschuß für


(Präsident Dr. Ehlers)

Finanz- und Steuerfragen zu überweisen. — Diese Überweisung ist erfolgt. Damit ist der Punkt 3 der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe zunächst auf den Punkt 8 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Vierten Gesetzes über die Übernahme von Sicherheitsleistungen und Gewährleistungen im Ausfuhrgeschäft (Nr. 4169 der Drucksachen) ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Außenhandelsfragen (14. Ausschuß) (Nr. 4280 der Drucksachen).

(Erste Beratung: 258. Sitzung.)

Ich sehe den Herrn Abgeordneten Kuhlemann nicht. Wenn die Fraktion der Deutschen Partei — die ich auch nicht sehe — die Möglichkeit hätte, den Herrn Abgeordneten Kuhlemann zu benachrichtigen, wäre das sehr nett. Versuchen Sie das mal bitte im Restaurant.
Meine Damen und Herren, dann rufe ich den Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Verwaltung des ERP-Sondervermögens (Nr. 4283 der Drucksachen).
Die Regierung verweist bei diesem Gesetzentwurf Drucksache Nr. 4283 auf die schriftliche Begründung, die Ihnen vorliegt. Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, auf eine allgemeine Aussprache in der ersten Beratung zu verzichten. — Das Haus ist damit einverstanden.
Ich schlage Ihnen vor, diesen Gesetzentwurf dem Ausschuß für ERP-Fragen zu überweisen. Auch dem Haushaltsausschuß, Herr Abgeordneter Schoettle, oder nicht? — Wenn es erforderlich ist, wird der Haushaltsausschuß die Überweisung noch erbitten. Zunächst also Überweisung an den ERPAusschuß. — Die Überweisung ist erfolgt.
Ich rufe weiter auf den Punkt 10 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur vorläufigen Durchführung von wirtschaftlichen Verträgen mit ausländischen Staaten (Nr. 4289 der Drucksachen).
Auch hier verweist die Regierung auf die gedruckt vorliegende Begründung. Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, auf eine Aussprache zu verzichten. — Das Haus ist damit einverstanden.
Ich schlage Ihnen vor, diesen Gesetzentwurf dem Ausschuß für Außenhandelsfragen zu überweisen. — Das Haus ist damit einverstanden. Die Überweisung ist erfolgt.
Meine Damen und Herren, ich rufe dann den Punkt 11 der Tagesordnung auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität (3. Ausschuß) betreffend Genehmigung zur Haft zwecks Erzwingung der Ableistung des Offenbarungseides gegen den Abgeordneten Langer gemäß Schreiben des Rechtsanwalts Dr. Lungershausen, Bad Ganders-heim, vom 14. Februar 1953 (Nr. 4258 der Drucksachen).
Sie erinnern sich, daß in der letzten Woche auf die Zusicherung, daß der Betrag gezahlt werden würde, die Behandlung dieser Angelegenheit zurückgestellt worden ist. Inzwischen ist ein Beleg darüber eingegangen, daß ein wesentlicher Betrag
der Schuldsumme gezahlt ist. Der antragstellende Rechtsanwalt Dr. Lungershausen, Bad Ganders-heim, hat sich auf Rückfrage damit einverstanden erklärt, daß diese Angelegenheit zunächst noch zurückgestellt wird. Das Haus wird das zur Kenntnis nehmen und ist damit einverstanden. Damit ist der Punkt 11 der Tagesordnung ebenfalls erledigt.
Darf ich fragen, wie es mit der Beratung des Punktes 7 der Tagesordnung ist:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Brookmann, Wehner, Dr. Henn, Walter, Freiherr von Aretin und Genossen betreffend Sofort- und Sondermaßnahmen im Zonengrenzgebiet (Nr. 4276 der Drucksachen).
Im Augenblick ist niemand von den Antragstellern hier. — Meine Damen und Herren, ich mache Ihnen den Vorschlag — zur Erleichterung der Abwicklung der Tagesordnung —, daß wir die Sitzung bis 14 Uhr unterbrechen. — Sie sind damit einverstanden.

(Unterbrechung der Sitzung: 13 Uhr 46 Minuten.)

Die Sitzung wird um 14 Uhr 4 Minuten wieder aufgenommen.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0126410100
Meine Damen und Herren! Wir fahren nach der Unterbrechung der Sitzung fort. Ich schlage Ihnen vor, daß wir die zurückgestellten Abstimmungen über das Versammlungsordnungsgesetz mit den Abstimmungen über das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes in Art. 108 verbinden und jetzt, wie vorgesehen, in die
allgemeine Aussprache der dritten Beratung
über das Gesetz zur Änderung des Artikels
108 des Grundgesetzes
eintreten. Für die Aussprache ist eine Redezeit von 120 Minuten vorgesehen.

(Widerspruch rechts.)

— Ja, meine Damen und Herren, der Ältestenrat schlägt Ihnen das vor. Ich unterstelle, daß Sie damit einverstanden sind. Es ist ja niemand gezwungen, die Redezeit auszunützen. Sie haben es in der Hand, die Zeit abzukürzen. — Das Wort hat Herr Abgeordneter Geheimrat Laforet.

Dr. Wilhelm Laforet (CSU):
Rede ID: ID0126410200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind uns darüber einig, daß die Finanzgesetze einheitlich durchgeführt werden müssen. Das ist aber mit den Mitteln der geltenden Vorschriften durchaus möglich. Alle Finanzbehörden, einerlei in welchem Land, sind nicht nur an die Gesetze, sondern auch an die Ausführungsverordnungen wie an die allgemeinen Verwaltungsvorschriften des Bundesfinanzministeriums gebunden. Das gilt nicht nur für die Veranlagung der Steuern; das gilt auch für die steuerlichen Vergünstigungen, insbesondere für Steuernachlaß und Steuerstundung. Soweit die Steuern dem Bunde zufließen, werden nach Art. 108 Abs. 4 die Landesfinanzbehörden im Auftrage des Bundes tätig, und der Begriff der Auftragsverwaltung ist vom Grundgesetz ganz klar als weisungsgebundene Verwaltung herausgearbeitet. Die Landesfinanzbehörden sind an die Weisungen der Bundesfinanzverwaltung gebunden, und wenn wirklich erhebliche Verfehlungen einzelner Landesfinanzbehörden gegenüber den Weisungen der Bundesfinanzverwaltung vorliegen, die sich nicht übersehen lassen, so ist nicht einzusehen, warum der Bundesfinanzminister


(Dr. Laforet)

nicht von der ihm im Grundgesetz gegebenen Möglichkeit Gebrauch macht, die ordnungsmäßige Verwaltung durch besondere Bevollmächtigte überwachen zu lassen, die ja nach dem Grundgesetz befugt sind, den mittleren und unteren Behörden allgemein und im Einzelfall Weisungen zu erteilen.
Man hat darauf hingewiesen, daß die heutige Regelung der Erledigung beamtenrechtliche Schwierigkeiten mit sich bringe, weil bei den Finanzbehörden besondere Aufgaben des Bundes und der Länder vereinigt seien. Das ist auch bei der allgemeinen Verwaltung der Fall, das wird auch bei der im Antrag vorgesehenen grundsätzlichen Änderung möglich sein, wenn die Behörden der Bundesfinanzverwaltung Steuern der Länder verwalten. Solche beamtenrechtlichen Schwierigkeiten sind zu überwinden; sie sind nie ganz zu vermeiden, aber sie sind kein Hindernis für eine organisatorische Gestaltung.
In den Verhandlungen ist weiter geltend gemacht worden, daß der Übergang von der Länderfinanzverwaltung auf die Bundesverwaltung einen ganz außerordentlichen Gewinn für die Bundeskasse mit sich bringe. Bei dieser Mehrung wird man ja wohl an Ersparnisse in der Verwaltung wie auch an Mehrung im Aufkommen gedacht haben. Aber was aufs höchste überraschen muß, ist, daß der Mehraufwand mit der ungeheuren Summe von einer Milliarde geschätzt worden ist und dafür nicht der geringste rechnerische Nachweis, kein irgendwie brauchbarer Anhaltspunkt gegeben worden ist.

(Abg. Dr. Jaeger [Bayern]: Sehr richtig! — Abg. Dr. Menzel: Oh doch, das wird sich gleich zeigen!)

Was geschehen ist, sind allgemeine Schätzungen, und solche Schätzungen, noch dazu in einer solchen Höhe, sind eine unglaubliche Ungeheuerlichkeit,

(Abg. Dr. Jaeger [Bayern]: Wahltaktik!)

die den Wert solcher Gutachten auch nach der sonstigen Richtung sehr vermindert, wenn nicht völlig aufhebt.
Es ist nicht anzunehmen, meine Damen und Herren, daß der Übergang der Verwaltung von den Ländern auf den Bund im äußeren Vollzugsdienst eine nennenswerte Zahl von Kräften einsparen wird. Auch in den Länderverwaltungen werden sachkundige Finanzkräfte unerläßlich sein und, wenn auch in geringerer Zahl, bleiben müssen. Es unterliegt aber keinem Zweifel, daß die Länder, wenn ihnen die Finanzverwaltung genommen wird, nicht nur zur Verwaltung ihrer landesgesetzlichen Steuern, sondern auch zur Erfüllung der Aufgaben der allgemeinen Landesverwaltung, die im Rahmen des Finanzwesens erledigt werden müssen, eine eigene Finanzverwaltung brauchen. Es handelt sich um das Kassenwesen der allgemeinen Verwaltung einschließlich der Regelung der Beamtenbesoldung und der Beamtenversorgung, vor allem um die Verwaltung und die rechtliche Vertretung des Vermögens der Länder, insbesondere ihrer Liegenschaften, wobei die Interessen durchaus nicht mit denen des Bundes gleich zu sein brauchen. Die Übertragung der Verwaltung der auf Landesgesetzen beruhenden Steuern an die Bundesfinanzbehörden hilft da nicht. Die Länder bedürfen einer eigenen Finanzverwaltung, und die Kosten dieser Länderfinanzverwaltung treten neben die Kosten der Bundesfinanzverwaltung. Alles führt wahrscheinlich dazu, daß die einheitliche Bundesfinanzverwaltung die Gesamtkosten der Finanzverwaltung eher erhöhen als vermindern wird.
Es ist verlockend — das ist ja auch in der Zeit Erzbergers das Blendende gewesen —, eine einheitliche straffe Zusammenfassung der Verwaltung, vor allem auch auf diesem entscheidend wichtigen Gebiet der Finanzen, als erstrebenswertes Ziel anzusehen. Auch in den Kreisen der CDU hat dieser Gedanke Wurzeln geschlagen. Herr Kollege Dresbach, der diese Anschauung vertritt — wenn er sie auch heute im Plenum nicht vertreten kann —, hat jedoch ausdrücklich erklärt, daß er den Antrag für die Gegenwart ablehnt und die Regelung der zusammenfassenden Steuerreform überlassen will.
Gegenüber dieser Auffassung habe ich jedoch als Vertreter meiner näheren Freunde der CSU folgende grundsätzliche Ausführungen zu machen. Der Antrag bringt keine Änderung in der grundsätzlichen Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung allgemein. Eine grundsätzliche Änderung im Sinne des Art. 79 Abs. 3 des Grundgesetzes liegt nicht vor. Der Antrag ist nicht schlechthin unzulässig, aber er bringt eine entscheidende Änderung der Grundlagen des gesamten Finanzwesens und damit eine wesentliche Änderung des Gesamtgefüges des Bundes. Es sind nicht nur Fragen der Zweckmäßigkeit der Gestaltung, sondern es sind grundsätzliche Fragen der Staatsauffassung — Föderalismus oder Einheitsstaat —, die hier im letzten die Einstellung des einzelnen zu diesen Fragen bestimmen.
Der Antrag nimmt den Ländern die Verwaltungshoheit auf einem lebenswichtigen Gebiete. Geschieht dies, dann geht ein wesentlicher Teil der Staatsgewalt von den Ländern auf den Bund über.

(Abg. Dr. Wellhausen: Furchtbar! Entsetzlich!)

Das Gefüge des Bundesstaates, das nach dem Grundgesetz in den Ländern seinen Schwerpunkt hat, wird völlig geändert. Wer — das habe ich bereits früher ausgeführt — den Ländern die Verwaltungshoheit nimmt, beschneidet damit in entscheidendem Maße ihre Staatlichkeit oder hebt sie sogar auf. Deshalb ist das Begehren des Antrags mit dem Bau des Grundgesetzes, das auf den Gliedstaaten gegründet ist, nicht vereinbar. Meine näheren politischen Freunde werden daher den Antrag schlechthin ablehnen, da er mit den föderalistischen Grundlagen des Grundgesetzes unvereinbar ist.

(Beifall bei der CSU und der BP.)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0126410300
Das Wort hat der Abgeordnete Gülich.

Dr. Wilhelm Gülich (SPD):
Rede ID: ID0126410400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der verehrte Herr Kollege Geheimrat Laforet hat soeben mit großem Aufwand die Behauptung, daß durch Verwirklichung dieses Gesetzentwurfs rund 1 Milliarde DM in unserer Finanzverwaltung erspart würden, als eine Ungeheuerlichkeit bezeichnet. Diese Summe haben sich die Befürworter des Gesetzes ja nicht aus den Fingern gesogen. Vielmehr haben im Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen darüber eingehende Beratungen stattgefunden. Wir haben die besten Finanzsachverständigen dazu gehört; die Finanzsachverständigen sind eben zu diesem Ergebnis gekommen nach Berechnungen da, wo man rechnen kann, verehrter Herr Geheimrat, nach Schätzungen da, wo man schätzen kann. Das Mittel der Schätzung ist in der Volkswirtschaft und in der Finanzwirtschaft ein seit Jahren geübtes Mittel, zu dem


(Dr. Gülich)

Methoden entwickelt sind, die nicht aus der Luft gegriffen sind.

(Abg. Dr. Laforet: Die Grundlagen der Schätzung sind nicht gegeben!)

— Doch, die Grundlagen der Schätzung sind gegeben. Sie, Herr Kollege, haben ja auch nicht im einzelnen den Beweis dafür geführt, daß diese Auffassung nicht richtig ist. Ich glaube aber auch, daß wir Beweise im einzelnen vor dem Plenum des Bundestages nicht führen können, daß wir hier nur aus den Verhandlungen im Ausschuß das Fazit ziehen können.
Der Ihnen vorgelegte Schriftliche Bericht des Finanzausschusses trägt zwar eine schöne runde Nummer, die Nr. 4300; er ist jedoch keine ebenso schöne runde Sache. Er beschränkt sich vielmehr im wesentlichen darauf, darzulegen, was der Herr Bundesfinanzminister in den Ausschußberatungen gesagt hat. Es ist uns durchaus wichtig, seine Meinung zu hören, aber in dem gesetzgebenden Parlament kommt es zunächst einmal darauf an, daß die Auffassung des Ausschusses vertreten und im Bericht' dargelegt wird, womit ich unserem wackeren Kollegen mit der Kritik an seinem Bericht keineswegs zu nahe treten will.
Ich möchte jetzt den Versuch machen, die Ausführungen der Sachverständigen, die wir im Ausschuß gehört haben, im Extrakt darzustellen, und zwar tue ich das in der Form, daß ich im Stile eines Brieftelegramms systematisch Thesen zusammenstelle. Zunächst nenne ich die Argumente für eine einheitliche Bundesfinanzverwaltung und dann die Argumente dagegen.
Die Argumente, die dafür vorgebracht worden sind, sind:
1. unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten: Einheitliche Wirtschaftspolitik in einem einheitlichen Wirtschaftsgebiet erfordert auch einheitliche Finanz- und Steuerpolitik. Nur das Bundesfinanzministerium kann in Zusammenarbeit mit dem Bundeswirtschaftsministerium seine finanzpolitischen Maßnahmen auf volkswirtschaftliche Erfordernisse abstimmen. Die Länderfinanzministerien können — auch objektiv betrachtet — keinen vollständigen Gesamtüberblick haben; ganz abgesehen davon, daß ihre Motive häufig aus ihrer spezifischen Länderhaushaltspolitik resultieren.
2. unter staatsrechtlichen Gesichtspunkten: Die einheitliche Finanzverwaltung verhindert das Auseinanderleben der Länder im föderalistischen Staat und hat wesentlichen Anteil an der Koordinierung unter uneinheitlich ausgestatteten Ländern. Die Eigenständigkeit und das Eigenleben der Länder brauchen davon nicht berührt zu werden. Auch der föderalistische Staat, also der Bundesstaat, in dem wir leben, kann sich zur Durchführung seiner Finanzverwaltung sogar eines straffen Zentralismus bedienen.

(Abg. Dr. Decker: Theorie!)

— Werden wir sehen.
3. unter finanzwirtschaftlichen Gesichtspunkten: Der Finanzausgleich erfordert als Grundlage eine einheitliche Finanzverwaltung, die es ermöglicht, die finanzwirtschaftlichen Tatbestände in allen Ländern einheitlich und gleichmäßig zu erfassen, und die gleichzeitig sicherstellt, daß nicht aus länderegoistischen Gründen dem Finanzausgleich öffentliche Mittel verlorengehen, etwa durch Gewährung von Steuernachlaß, weil die finanzstarken Länder diese Mittel ja sonst in den horizontalen
Finanzausgleich stecken müssen oder weil die finanzschwachen Länder doch diese oder jene Ausgabe machen oder vorschützen oder in Angriff nehmen wollen, um mehr zu erhalten. Das ganze System verleitet doch zu einer unmoralischen Finanzpolitik bei den Ländern. Es wäre sehr verlockend — gerade weil die bayerischen Kollegen so siegessicher lächelnd dasitzen —, Beispiele aus der Praxis der Finanzminister der Länder zu bringen.

(Zuruf rechts: Beispiel Hamburg!)

— Beispiel Hamburg. Ja, meinetwegen. Ich kann auch aus Hamburg Beispiele bringen. Aber ich will das jetzt nicht tun und will mich auch mit den Länderfinanzministern nicht verfeinden.

(Zuruf rechts: Aha! — Abg. Schoettle: Sie könnten auch Beispiele aus NordrheinWestfalen bringen!)

Die Sicherung der übergebietlichen Ausgleichsfunktion des Bundeshaushalts ist eine der Voraussetzungen, um die Unausgeglichenheit der Wirtschafts- und Sozialstruktur des Bundes zu mildern. Sie ist nur zu erreichen durch einheitliche Gestaltung der Ausgleichsfunktion auf der Ausgaben- und der Einnahmenseite, die wiederum durch eine einheitliche Finanzverwaltung bedingt ist.
Was ich Ihnen hier in Form von Thesen vortrage — ich wiederhole es —, sind Exzerpte, systematisch geordnete Exzerpte aus den Vernehmungen der Sachverständigen.
4. unter verwaltungsmäßigen Gesichtspunkten. Da ist zunächst der Kontakt zwischen Gesetzgebung und Verwaltung. Eine einheitliche Finanzverwaltung verbessert die Gesetzgebung durch ständige unmittelbare und daher objektivere Information aus der Praxis und durch direkten Verkehr der Mittel- und Unterinstanzen mit der Finanzverwaltung bei der Vorbereitung von Gesetzen und Verordnungen. Die Wirklichkeitsnähe wird nur dann erreicht, wenn der Sachbearbeiter die praktische Bewährung bestehender Normen durch Kenntnis des Materials beurteilen kann. Nach der gegenwärtigen Verfassung kann das Material nur auf indirektem Wege, über die Länder bzw. über den Bundesrat, nutzbar gemacht werden. Es geht also durch das Filter der Länder. Und wie groß der Länderegoismus ist, haben wir ja an zahlreichen Beispielen erlebt und oft genug auch in diesem Hause erörtert. Erst auf der Grundlage der einheitlichen Reichsfinanzverwaltung Erzbergerscher Prägung war z. B. die Reichsabgabenordnung möglich.
Die einheitliche Finanzverwaltung bringt dann eine Erhöhung der Leistungskraft des Verwaltungsapparates. Die Gleichmäßigkeit in der Verwaltung wird zur Zeit — das darf man nicht übersehen — bis zu einem gewissen Grade noch durch die Tradition aus der früheren Reichsfinanzverwaltung gewährleistet. Mit dem Ausscheiden der erfahrenen Kräfte wird das Auseinanderfallen der Finanz- und Steuerverwaltung ein weit bedrohlicheres Maß annehmen; die Ansätze dazu sehen wir ja sehr deutlich.
Ich spreche dann über die Vermeidung von Doppel- und Mehrfacharbeit. Beim jetzigen Rechtszustand ist der Bund auf die Regelung der grundsätzlichen Fragen beschränkt. Die zur Durchführung der Verwaltung erforderlichen Anweisungen werden im wesentlichen von den einzelnen Ländern herausgegeben. Das bedeutet, daß jedes einzelne


(Dr. Gülich)

Land die gleiche Arbeit für seinen Bereich leistet, dazu noch mit Abweichungen. Aus der Ländererlaßpraxis resultiert erhebliche Mehrarbeit für übergebietlich tätige Betriebsprüfer und Fahndungsbeamte mit ungünstigen Auswirkungen auf Unternehmungen, die ihre Betriebe in mehreren Ländern haben. Stundungs-, Erlaß- und Vollstreckungsfälle müssen für verschiedene Steuerarten in einem Arbeitsgang bearbeitet werden können. Bisher sind verschiedene Steuerreferate zuständig, deren jedes für eine bestimmte Steuerart in Funktion treten muß, z. B. bei Aufstellung von Ratenzahlungsplänen bei Zusammentreffen von Umsatz- und Einkommensteuer, also einer Bundessteuer und einer Landessteuer. Diese Doppelarbeit resultiert aus der organisatorisch unmöglichen Konstruktion der Umsatzsteuerverwaltung. Das Umsatzsteuerreferat ist der Landesabteilung für Besitz- und Verkehrssteuern zugeteilt, aber nicht ihr, sondern unmittelbar dem Oberfinanzpräsidenten unterstellt.
Noch einige Thesen zur Rationalisierung in der Verwaltung. Eine große Verwaltung, wie es die einheitliche Bundesfinanzverwaltung wäre, ist besonders geeignet für die Verbesserung des Apparats durch Anwendung moderner Büro- und Verwaltungstechnik, die den Apparat billiger, einfacher und leichter übersehbar macht. Jetzt sind Rationalisierungsmaßnahmen dem Zufall und der Initiative des einen oder des anderen Oberfinanzpräsidenten überlassen. Rationalisierungsmaßnahmen sind aber besonders dringlich im Hinblick auf die Überlastung der Finanzämter, aber auch der übrigen Finanzverwaltung, die durch neu hinzutretende Aufgaben — man denke an die Durchführung des Lastenausgleichsgesetzes — verschärft wird. Die Finanzverwaltung und die Finanzämter können ohne eine erhebliche Ausweitung des Personalbestandes gegenwärtig überhaupt nicht funktionieren.
Die Ausbildung der Beamtenschaft ist nur in der einheitlichen Finanzverwaltung unter einheitlichen Gesichtspunkten möglich und bietet nur hier die Möglichkeit zum Austausch, der- in jedem Beamtenkörper wichtig ist. Das Fehlen dieser Austauschmöglichkeiten hat in der Finanzverwaltung vor 1919 zu einer gefährlichen Überalterung in den einzelnen Ländern geführt. Die jetzige Bundesfinanzschule in Siegburg bildet nur höhere Finanzbeamte aus, während wir für die Ausbildung des mittleren und gehobeneren Finanzbeamten keine Bundesschule haben.
5. Gesichtspunkt der steuerlichen Gleichmäßigkeit und Gerechtigkeit. Steuerlich gleichmäßige und gerechte Belastung der Steuerpflichtigen in allen Ländern unabhängig von deren finanzieller Leistungskraft läßt sich bei dem gegenwärtigen Rechtszustand nicht in befriedigendem Ausmaß erreichen. Je nach der Finanzkraft und Steuerkraft eines Landes, nach seiner Sozialstruktur, nach seinen Länderinteressen werden im einzelnen verschiedene Maßstäbe angelegt und verschiedene Möglichkeiten der Gesetzesauslegung praktiziert. Mit der Vereinheitlichung der Gesetzgebung allein ist Einheitlichkeit nicht zu erreichen, wenn sie durch Erlasse und Richtlinien der Länder und durch die Handhabung des materiellen Steuerrechts durchbrochen werden kann. Das Verfahren der Steuerveranlagung darf nicht nur materiell, sondern muß auch zeitlich gleichmäßig gehandhabt werden. Die Maßstäbe der Bewertung des Anlagevermögens, der Festsetzung der Abschreibungsgrundsätze dürfen nicht von Land zu Land schwanken, wenn der Grundsatz gleichmäßiger und gerechter Besteuerung erfüllt sein soll. Dasselbe gilt für die Konzessionen, die einzelne Länder in bezug auf Sonderabschreibungen machen.
Es ist eigentlich bedauerlich, daß in dem Schriftlichen Bericht, der dem Hause vorgelegt worden ist, die Ausführungen der Sachverständigen nicht wörtlich abgedruckt worden sind. Wir haben ja die Sachverständigenvernehmungen durch Parlamentsstenographen im einzelnen festgehalten; denn der Wert der Ausführungen der Sachverständigen lag in den einzelnen Beispielen.

(Abg. Wacker: Sie sind wörtlich abgedruckt! — Abg. Dr. Wellhausen: Sie liegen dem Hause vor; sie sind inzwischen verteilt!)

— Sie sind inzwischen verteilt, aber sie sind nicht vollständig.

(Abg. Dr. Wellhausen: Doch!)

- Nein. Denken Sie, Herr Wellhausen, an die Ausführungen des früheren Oberfinanzpräsidenten Carl, die da ganz kurz zusammengefaßt worden sind, während Herr Carl im Ausschuß ja gerade Ausführungen über das Entstehen der Erzbergerschen Reichsfinanzverwaltung gemacht hat, die beispielhaft gewesen sind und uns gezeigt haben, wie notwendig damals die Reform gewesen ist. Damit hat er uns auch in Parallele gezeigt, wie notwendig sie heute ist. Die Ausführlichkeit, in der das im Ausschuß vorgetragen ist, ist in dem gedruckten Protokoll leider nicht vorhanden.
Was nun die eben von mir genannte Frage der Bewertung des Anlagevermögens, der Festsetzung der Abschreibungsgrundsätze und der Pauschalabreden in bezug auf Sonderabschreibungen und Steuerbegünstigungen betrifft, so ist ja auf Grund unserer eingehenden Behandlung im Ausschuß durch die Erlasse des Herrn Bundesfinanzministers die Praxis ein wenig gemildert worden. Die Mißstände sind aber tatsächlich noch nicht beseitigt. Wer praktische Erfahrungen in der Länderfinanzverwaltung hat, der hat wahrhaftig im Laufe der letzten Jahre genug erlebt, wie einzelne Länder anderen Ländern durch Gewährung von Pauschalabreden einfach die Betriebe wegziehen.

(Abg. Dr. Laforet: Eingreifen!)

Ich könnte Ihnen Beispiele aus Schleswig-Holstein nennen, die wirklich erschütternd sind und die nur wegen dieser Konstruktion der Länder mit ihrer ganz unterschiedlichen Wirtschaftsstruktur und ihrem unterschiedlichen Steueraufkommen pro Kopf der Bevölkerung möglich gewesen sind.

(Erneuter Zuruf des Abg. Dr. Laforet.)

— Das sind Sachen, verehrter Herr Kollege Laforet, die sich einfach nicht aus der Welt schaffen lassen.

(Abg. Dr. Laforet: Aber sie sind zu ändern!)

— Sie sind nur durch das Vorhaben, zu dem ich jetzt rede, zu ändern. Sie sind nicht zu ändern durch noch so schöne Erlasse des Herrn Bundesfinanzministers,

(Abg. Dr. Laforet: Eingreifen!) weil die Praxis schlechterdings anders ist.

Dazu kommt das unterschiedliche Vorgehen in der Beurteilung von Aufwendungen als Betriebsausgaben, in bezug auf Ordnungsmäßigkeit der Buchführung, in der Handhabung der Buch- und


(Dr. Gülich)

Betriebsprüfung, des Fahndungswesens, der Strafbemessung bei Steuervergehen und -zuwiderhandlungen, des Beitreibungs- und Vollstreckungswesens, der Erlaß- und Stundungspraxis sowie der Gewährung von steuerlichen Erleichterungen.
Es kommt zu vollkommen unterschiedlicher Ausschöpfung der Steuerreserven und zu volkswirtschaftlich unerwünschter Standortwahl, weil die Steuern als Kostenelement bei allen Überlegungen der Unternehmungen natürlich eine Rolle spielen. Abhilfe ist nur dadurch möglich, daß die mittleren und unteren Instanzen unmittelbar dem Bund unterstellt werden und auf diese Weise einheitliche Maßstäbe angewendet werden können.
Zu den aus ihrer unterschiedlichen Grundeinstellung resultierenden widerstrebenden Tendenzen der Länder kommt die oft auch objektiv schwierige Entscheidung durch die Länder. Beispiel: Fahndungsfälle, die Nachbarländer betreffen, in denen vielleicht sogar mehr Steuern und Strafzuschläge der Kasse eines anderen Landes zufließen.
Auf die durch den Dualismus in der Finanzverwaltung zurückgehende ungleichmäßige und ungenügende Ausschöpfung steuerlicher Reserven ist zum Teil die unzureichende Ergiebigkeit der bestehenden Steuern zurückzuführen, die deren Erhöhung oder sogar die Einführung weiterer Steuern notwendig erscheinen läßt. Das ist ein ganz entscheidender Punkt bei unseren Überlegungen.
Aus Vereinfachung und Rationalisierung des Finanzverwaltungsapparates, Reduzierung der Steuerabteilungen der Länder auf einen Bruchteil ihres jetzigen Umfanges, Abbau der mit dem föderalistischen System eingeführten zusätzlichen Verwaltungseinrichtungen und restloser Ausschöpfung aller steuerlichen Reserven bei Schaffung einer einheitlichen Finanzverwaltung errechnen die Sachverständigen nach sorgfältigen Ermittlungen und Schätzungen ein Mehraufkommen von einer Milliarde DM im Jahr. Nimmt man die Gesamtfinanzmasse des Bundes und der Länder mit 33 bis 35 Milliarden DM an, dann ergibt sich eine Änderung um 3 %. Das ist immerhin ein Prozentsatz, der durchaus auch schon rein überlegungsmäßig im Bereich des Möglichen liegt.
Nun war es interessant, daß es sehr schwierig war, einen Sachverständigen zu finden, der gegen die einheitliche Bundesfinanzverwaltung spräche. Schließlich haben wir ihn dann ja gefunden. Die Argumente, die dieser Sachverständige, der Herr Staatssekretär Dr. Ringelmann, vorgetragen hat, waren die folgenden.
1. Nachdem das Grundgesetz Art. 30 und 83 die Verwaltungszuständigkeit für die Durchführung der Gesetze den Ländern überträgt, sollte nicht durch eine spätere Bestimmung den Ländern die Zuständigkeit zur Verwaltung und Ausführung der vom Bund beschlossenen Steuergesetze genommen werden.
2. Die Frage, wem die Verwaltung zusteht, spiele keine Rolle mehr, seitdem Verwaltungsrichtlinien, „die alles bis ins einzelne regeln", wie er sagte, bestünden.
3. Organisatorische Änderungen seien nicht mehr erforderlich, da das Zweite Gesetz über die Finanzverwaltung vom 15. Mai 1952 die Mitwirkung des Bundes bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer und die Überwachung der Landessteuerverwaltung durch den Bund vorsehe und diese in die Betriebsprüfung einschalte. — Aber wie ist das
realisierbar, wie läßt sich der Umfang dieser Mitwirkung überhaupt mitbestimmen? In welchem Ausmaß soll der Bund bei der Betriebsprüfung mitwirken?
4. Die Länder würden sich unter einer einheitlichen Finanzverwaltung über ungenügende Wahrnehmung bestimmter Landesaufgaben zu beklagen haben, z. B. in der Liegenschafts- und sonstigen Vermögensverwaltung und in den Versorgungsangelegenheiten.

(Sehr richtig! rechts.)

Die Liegenschafts- und Vermögensverwaltung sprach ja auch Herr Kollege Laforet an. Aber hier sehe ich überhaupt keine Differenzmöglichkeiten, wenn die Länder dem Bund geben, was des Bundes ist.
Solange dieser unselige Streit über die Bundes- und Landesvermögen noch nicht ausgestanden ist und solange einzelne Länder noch immer die Artikel 134 und 135 des Grundgesetzes falsch auslegen — so, wie sie sie interpretieren — und solange die Länder nicht einsehen, daß früheres Reichsvermögen Bundesvermögen sein muß, nur so lange kann es zu solchen Konflikten kommen.
5. Herr Ringelmann sagte, die Umwandlung der Länderfinanzverwaltungen in eine Bundesfinanzverwaltung würde die Zentralisierung weiterer Verwaltungsaufgaben zur Folge haben,
6., man befürchte eine Aufblähung der zentralen Verwaltung und Erschwerungen und Mehrkosten durch die Notwendigkeit von Verhandlungen in den Ländern, um das Material an der Quelle kennenzulernen, und
7., in einer einheitlichen Finanzverwaltung würde das Spezialistentum für einzelne Gesetze gezüchtet. Dazu ist zu sagen: Nein, man braucht das Spezialistentum ja nicht zu züchten; man kann ja durch Versetzung der Beamten in andere Ressorts dafür sorgen, daß sie die gleichmäßige Ausbildung bekommen, die sie haben sollten.
8. Schließlich das durchschlagendste Argument, das wir nun seit Jahrzehnten immer von all denen hören, die sich einer Neuerung widersetzen: Der Zeitpunkt für die Umwandlung der Finanzverwaltung sei noch nicht gekommen.
Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen sorgfältig die Argumente des Herrn Staatssekretärs Dr. Ringelmann vorgetragen. Keines der Mitglieder des Finanzausschusses, das die Vorgänge kennt, wird bezweifeln, daß ich sowohl die Argumente, die für die einheitliche Bundesfinanzverwaltung, als auch die Argumente, die dagegen vorgebracht worden sind, richtig und objektiv dargestellt habe. Aber diese Argumente, die dagegen sprechen — sind denn das eigentlich Gegenargumente? Sie sind doch eigentlich der Ausdruck einer bestimmten politischen Einstellung. Ich möchte sagen, sie sind der Ausdruck, wie man es früher nannte, der bayerischen Belange. Nun habe ich selbst im Finanzausschuß einmal gesagt - und davon bin ich auch überzeugt —: Bayern ist tatsächlich ein Staat, und in den Bayern lebt ein echtes Staatsgefühl,

(Abg. Dr. Meitinger: Richtig!)

und dieses echte Staatsgefühl, welches in den Bayern lebt, haben wir zu respektieren. Ich wäre der letzte, der es nicht respektiert.

(Sehr gut! rechts.)

Aber das spezifisch Bayerische braucht sich doch
nicht in der Errichtung einer bayerischen Landes-


(Dr. Gülich)

hauptkasse auszudrücken, sondern das spezifisch Bayerische soll sich doch ausdrücken im kulturellen Leben, in dem ganzen volkhaften Leben der Bayern, im landschaftlichen Sondergeist, wie er durch die Jahrhunderte entwickelt worden ist. Das alles wollen wir respektieren. Aber ich sehe nicht ein, daß wir im Finanzpolitischen, in der Finanzverfassung und der Finanzverwaltung den Bayern besondere Konzessionen machen sollen, nachdem ihnen doch schon im Grundgesetz die schöne Konzession mit der Biersteuer gemacht worden ist. Nachdem gute zwei Drittel des gesamten Biersteueraufkommens in der Bundesrepublik ja ohnehin schon nach Bayern gehen, also über 200 Millionen DM jährlich, leisten wir alle doch unseren Beitrag schon dazu, um das, worauf die Bayern einen besonderen Anspruch haben, hier auch zum Ausdruck kommen zu lassen.

(Abg. Schoettle: Von der Seite habe ich meinen Bierkonsum noch nicht betrachtet!)

— Ja, das muß man aber tun. Man muß den Bierkonsum von dieser Seite betrachten. Ich habe in Schleswig-Holstein gesagt: Nun trinkt bloß kein bayerisches Bier mehr! Denn wenn ihr schleswigholsteinisches Bier trinkt, dann wird ohne Erhöhung des Bierkonsums das Biersteueraufkommen von 3 Millionen DM im Jahre bequem auf 6 Millionen DM steigen, was bei einem so kleinen und armen Land wie Schleswig-Holstein natürlich etwas ausmachen würde. — Aber ich will nicht ins Plaudern kommen.
Eine geteilte Finanzverwaltung ist einfach nicht zweckmäßig, und wir können uns die Aufrechterhaltung des gegenwärtigen Zustands nicht erlauben.
Wir sind der Meinung, daß wir, anstatt Kredite aufzunehmen, um unseren Verpflichtungen nachzukommen, zunächst alle Möglichkeiten der Haushaltsverbesserung ausnutzen sollten, die uns gegeben sind, und diese Möglichkeit sollen und müssen wir ausschöpfen. Wir wollen niemandem wehe tun, indem wir dieses anstreben; denn schließlich ist ja eine Milliarde doch ein Haufen Geld.
Nun ist also mit dieser Organisation der Finanzwirtschaft das Problem der territorialen Gliederung des Bundesgebiets eng gekoppelt. Eine übersichtliche Finanzwirtschaft läßt sich auf wirtschaftlich ausgeglichenen Gebieten, die aus ihrer Struktur heraus in der Lage sind, die ihnen zukommenden Aufgaben zu erfüllen, leichter aufbauen. Jetzt stehen wir vor der Situation, daß besonders leistungsstarken Ländern mit großzügiger Steuerpolitik, starker Vermögensbildung und angemessener Vermögensverwendung besonders leistungsschwache Länder mit starker steuerlicher Anspannung, unwirtschaftlicher Verschuldung und unzureichender Rücklagenbildung gegenüberstehen. Schleswig-Holstein z. B. hat nach dem Fortfall der zonalen Finanzbehörden immer wieder dicht vor dem finanziellen Zusammenbruch gestanden, oder, wenn man mit Popitz unter Finanzpolitik nicht Vorkehrungen für ein paar Tage, sondern für einen längeren Zeitraum verstehen will, dann kann man sagen, daß Schleswig-Holstein in einer ständigen Finanzkatastrophe gestanden hat, die ihren Ausdruck fand in leeren Kassen und der Unmöglichkeit, ohne immer neue Verschuldung dringende soziale Leistungen zu erfüllen. In der Schaffung wirtschaftlich ausgewogener Länder liegt also eine wichtige Aufgabe für die Finanzpolitik als Kernstück staatlicher Verwaltungspolitik und als Ausgangspunkt für die Ordnung der Zusammenhänge, die ohne Beachtung der finanziellen Auswirkungen nicht vorgenommen werden kann.
Popitz sagte: Alle Verwaltungstätigkeit endet bei den Finanzen. Ich selber, der ich lange genug diese Probleme praktisch erlebt habe, verstehe eigentlich kaum, warum wir darüber noch so lange reden, warum die zentrale Bundesfinanzverwaltung nicht von selbst kommt. Ich bin überzeugt, sie kommt. Wenn wir es heute nicht schaffen, schaffen wir es in sechs Monaten oder in einem Jahr; aber sie kommt. Daran ist gar nichts zu machen.
Nach dem ersten Weltkrieg, den Deutschland verlor, erkannte der damalige Finanzminister Erzberger das Gebot der Stunde. Die „Verreichlichung der Finanzen", wie man es damals ausdrückte, durchzuführen, war natürlich keine Kleinigkeit; denn die in dynastischen Vorstellungen großgewordenen Menschen der damaligen Zeit waren für das Neue keineswegs aufgeschlossen genug. Aber Erzberger, der ein kluger und überlegener Politiker war — wenn doch im heutigen Zentrum auch noch so ein Erzberger säße; dann hätten wir es heute mit der Sache auch wesentlich leichter! —,

(Beifall bei der SPD)

erkannte, daß Finanzpolitik das Kernstück eines wesentlichen Teiles aller Politik überhaupt ist. Erzberger hat es geschafft, und diese Reichsfinanzverwaltung ist ja auch im „Dritten Reich" nicht angetastet worden. Auch die Alliierten erkannten gerade in ihr die stärkste Klammer des Zusammenhalts, und deshalb legten sie die Hand daran. Die Zerschlagung der Reichsfinanzverwaltung war eines der Mittel, mit denen die Alliierten Deutschland aufsplittern wollten, um es zu einer einheitlichen Aktion unfähig zu machen. Gleichzeitig hofften die Alliierten auf die deutsche Zwietracht, und, wie sich gezeigt hat, nicht ganz mit Unrecht. Man bildete unter Militärverwaltungs-Gesichtspunkten elf Länder, die ganz verschieden ausgestattet waren. Wir haben durch Jahre hindurch erlebt, daß das steuerstärkste Land ein fünfmal so hohes Steueraufkommen pro Kopf der Bevölkerung als das steuerschwächste Land hatte. Als wir hier schon einmal darüber sprachen, sagte der Herr Minister Schäffer: „Um Gottes willen, Sie wollen doch nicht nivellieren." Nein. Wenn die Länder in sich einigermaßen ausgeglichen wären, dann wäre auch der Finanzausgleich das, was er seinem W sen nach sein soll: ein Spitzenausgleich. Aber bei der gegenwärtigen Ausstattung der Länder ist ein wirklicher Finanzausgleich überhaupt nicht möglich. Durch diese Verschiedenartigkeiten werden alle die Probleme heraufbeschworen, die sich in ungleichmäßiger Steuerveranlagung, in ungleichmäßiger Fahndung, ungleichmäßiger Stundungs-
und Erlaßpraxis ausdrücken, von den groben Mitteln der Pauschalabreden, die ich vorhin angedeutet habe, ganz zu schweigen.
Dazu kommt nun die Verstärkung der Verschiedenartigkeiten durch die unterschiedliche Verwendung der Mittel. In den reichen Ländern haben wir unangemessene Aufwendungen, während die armen Länder ohne neue Verschuldung nicht einmal die Möglichkeit haben, dringende soziale Ausgaben zu leisten. Ich fordere seit mehreren Jahren die Analyse der Länderhaushalte, um zu vergleichbaren Maßstäben zu kommen. Wir sind ja auf diesem Wege heute schon ein Stück weiter. Aber was haben wir denn alles in den Jahren erlebt. Was hat z. B. ein einzelnes Land aus Landesmitteln ge-


(Dr. Gülich)

baut, während das Nachbarland zu nichts in der Lage war. Ich erinnere mich, daß einmal bei einer Konferenz in Unkel — ich glaube, es war 1949 — beim Mittagessen zwei „reiche" und zwei „arme" Finanzminister zusammen an einem Tisch saßen. Die beiden „armen" unterhielten sich zusammen und die beiden „reichen" ebenfalls. Ich hörte, wie einer der „reichen" sagte: „Da habe ich erst einmal 60 Millionen DM in den Straßenbau geknallt." „Aha", sagte ich, „geknallt, haben Sie gesagt, Herr Kollege? Ich habe es gehört, Herr Kollege. Geknallt! Ich wollte nur darauf aufmerksam machen." In solchen Ausdrücken wurde darüber gesprochen, und so ist tatsächlich in diesem armen Nachkriegsdeutschland mit den Länderfinanzen verfahren worden.
Wir sind der Meinung, daß wir uns das einfach nicht weiter leisten können. Was die Alliierten zur Schwächung der deutschen Volkskraft begonnen haben, das setzen nun völlig unbewußt und völlig gutgläubig — aber im Effekt ist es dasselbe — die Föderalisten in ihrem falsch verstandenen Föderalismus fort. In den Kreisen der Alliierten hat man längst eingesehen, daß man Fehler gemacht hat. Ich erinnere mich, daß, als 1946 die Länder völlig ad hoc geschaffen wurden, in einem Leitartikel der ,, Times" ein kluger englischer Journalist schrieb, daß diesem „ringing of the bells" — dem Läuten der Glocken — sehr bald ein „wringing of the hands" — ein Ringen der Hände — über diesen Unverstand, den die Alliierten in Deutschland begangen hätten, folgen würde. Ich bin der Meinung, je länger die partikularistischen Tendenzen der Finanzpolitik fortgesetzt werden - verehrter Herr Kollege Laforet, es tut mir wirklich leid, Sie schütteln besorgt den Kopf, Sie hätten gewünscht, daß ich lieber „föderalistische" Tendenzen gesagt hätte; aber ich muß wirklich sagen, ich halte das nicht für föderalistische, sondern für partikularistische Tendenzen —, um so schwerer wird die Ausführung, nachdem sich die wohlhabenden Länder an ihre Wohlhabenheit gewöhnt haben, um so schwerer werden sie davon abkommen, um so größer werden die Spannungen zwischen den Ländern, die im Effekt zu sozialen Spannungen führen. Denn die armen Länder sind ja gleichzeitig auch die Grenzländer nach der Ostzone. Das ärmste Land — Schleswig-Holstein — liegt jenseits der Elbe; das zweitärmste ist Niedersachsen. Wir haben also doch wirklich auch diese Probleme zu bedenken.
Ich möchte zum Schluß noch ein paar freundliche Worte an meinen Kollegen Abgeordneten aus dem bayerischen Wahlkreis Passau richten. Er hat hier mal ausgeführt, wie es so zugeht, wenn er nach Passau kommt. Er hat erklärt, daß man da auch einmal ein Wort zuviel sagen könnte. Ich kann mir also gut vorstellen, daß er dann, wenn er in Passau unter seinen Freunden sitzt, nicht so gern von den Schwierigkeiten in Bonn, von den Verhandlungen in Paris und von seinen Auseinandersetzungen mit der Opposition oder mit seinen politischen Freunden, oder was weiß ich, redet, sondern sich lieber dem freundlichen Gespräch hingibt. Ich denke mir also, daß es ihm dort gar nicht darauf ankommt, seinen Freunden klarzumachen, daß der Bundesfinanzminister eigentlich für eine einheitliche Bundesfinanzverwaltung sein müßte, oder daß es ihm schwer fällt, ihnen begreiflich zu machen, daß die Bundesfinanzverwaltung gar keinen Schaden für die Bayern bedeuten, sondern im ganzen nur Nutzen bringen kann. Man kann das gut verstehen.
Dem Abgeordneten Schäffer wollen wir das bayerische Herz natürlich nicht nehmen. Der Bundesfinanzminister hat aber kein bayerisches Herz zu haben, sondern ein Bundesherz und vor allem einen Bundesverstand.

(Heiterkeit.)

Ich bin fest davon überzeugt, daß er den auch hat.

(Abg. Dr. Wellhausen: Daß er ein reines Herz hat, ist viel wichtiger!)

—Ein reines Herz wollen wir ihm auch konzedieren, Herr Wellhausen. Er sitzt hier und betrachtet sich den ganzen Saal und — davon bin ich auch überzeugt — hofft im stillen doch, daß für diesen Gesetzentwurf, den die FDP dankenswerterweise eingebracht hat und der die volle Unterstützung der SPD findet, eine Mehrheit zustandekommt.
Unser Kollege Dr. Hermann Schäfer, der Vizepräsident des Deutschen Bundestages, hat einmal, wie ich in den Zeitungen gelesen habe, in Hamburg gesagt: Wenn das deutsche Volk befragt würde, würden sich 95 % für die bundeseinheitliche Finanzverwaltung entscheiden.

(Zuruf rechts: Da hat er sich geirrt! — Heiterkeit.)

Bei Anhörung der Sachverständigen hat einer der Oberfinanzpräsidenten gesagt, daß er vor den oberen Finanzbeamten aus allen Ländern über die Frage der Bundesfinanzverwaltung gesprochen und es dabei ein „bundeseinheitliches Getrampel" gegeben habe, an dem sich sogar die bayerischen Finanzbeamten beteiligt hätten. Wir wollen hier beim Bundestag nicht mit einem „bundeseinheitlichen Getrampel" und auch nicht gerade mit einer Mehrheit von 95 0/o rechnen, wie sie der Kollege Schäfer im Falle einer Entscheidung durch das deutsche Volk erwarten zu können glaubte — und ich meine, er hat mit dieser Annahme gar nicht so unrecht —, sondern wir wollen bescheiden sein und hoffen, daß wir im Deutschen Bundestag immerhin doch 67 0,/e für den Gesetzentwurf zusammenbringen.

(Beifall bei der SPD und FDP.)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0126410500
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wellhausen.

Dr. Hans Wellhausen (FDP):
Rede ID: ID0126410600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zumal nach dem zitierten Ausspruch meines Freundes Schäfer hieße es nach meiner Auffassung und der meiner Fraktion geradezu Eulen nach Athen oder Spargel in der Maienzeit nach Bonn tragen, wenn man noch viele Argumente für unseren Antrag vorbringen wollte.

(Lachen und Zurufe von der KPD. — Zuruf des Abg. Renner.)

- Ich hatte nun gerade auf Sie gehofft, Herr Renner; aber jetzt reden Sie wieder dazwischen.

(Heiterkeit.)

Ist es da nicht verwunderlich, daß der Antrag der FDP schon ganze zwei Jahre, davon eine nicht allzu kurze Zeit in dem Ausschuß unseres so sehr geschätzten Kollegen Geheimrat Laforet zugebracht hat, ehe er dieses Hohe Haus beschäftigt? Er hat von seinem Interesse und, wie ich hinzufügen darf, auch von seiner Delikatesse inzwischen nichts verloren. Der Umstand, daß sich recht bedeutende Sachverständige nicht nur in ihrer Grundtendenz, sondern auch in ihren Einzelargumenten eindeutig und völlig übereinstimmend für den Antrag ausge-


(Dr. Wellhausen)

sprochen haben, wiegt schwer und ist, wie ich aus eigener Erfahrung, sagen wir bei der Frage des Branntweins oder der der Mineralölsteuer bezeugen kann, im Finanzausschuß keineswegs üblich.
In einem Punkt muß ich unseren Freund — in diesem Falle Freund — Professor Gülich ein wenig korrigieren: Ich begrüße, daß es möglich war, die Gutachten doch in allen wesentlichen Argumenten zur Kenntnis aller Mitglieder dieses Hohen Hauses zu bringen. Wenn wir — ich spreche vom Finanzausschuß, ohne als Berichterstatter aufzutreten — wie Diogenes, und ich hoffe, der Vergleich ist höflich genug, mit der Laterne herumgelaufen sind, um einen Sachverständigen — wir wollten bloß einen, wir sind bescheidene Leute — zu finden, der anderer Meinung sei, so ist das auch eine einzigartige Erscheinung, um so mehr, als wir ihn schließlich nämlich nicht gefunden haben.

(Abg. Dr. Gülich: Sehr richtig!)

Denn der stärkste Mann kann wohl nicht behaupten, daß der hochverehrte Bundesratsbevollmächtigte Bayerns, der mir in vielen Jahren vertraut gewordene Staatssekretär Ringelmann, ein in jeder Hinsicht klassischer Sachverständiger ist.

(Abg. Dr. Menzel: Sehr gut!)

Ein nicht klassischer Sachverständiger ist ganz etwas anderes wie ein angreifbarer Sachverständiger. Denn diese Bemerkung „klassisch" hat weder mit seiner Sachkunde, noch mit der Objektivität, um die er sich zweifellos heiß bemüht hat, etwas zu tun; sondern diese Bemerkung von mir ist eine Folgerung, die sich aus den Funktionen des Sachverständigen, deren er sich ja nun beim besten Willen nicht entäußern konnte, ausgerechnet um hier Sachverständiger zu sein, ohne weiteres ergibt.
Wenn der Herr Bundesfinanzminister bei dem fühlbaren Wohlwollen — entschuldigen Sie, daß ich an Ihr Gefühl appelliere, lieber Herr Schäffer — für den Antrag sich im Ausschuß darauf zurückgezogen hat, daß er meinte, es genüge, im Verwaltungswege etwas zu tun und auf der Linie fortzuschreiten, die durch das zweite Gesetz über die Finanzverwaltung und mehrere Durchführungsverordnungen dazu beschritten ist, so muß ich in diesem Zusammenhang einen beachtlichen Sachverständigen — Sie können es alles nachlesen; deshalb nenne ich keine Namen — hier zitieren, der gemeint hat, diese Gesetzgebung, die ich eben zitiert habe, und diese Durchführungsverordnungen seien ein Dokument der Verlegenheit,

(Abg. Euler: Sehr wahr!)

wie es für eine finanzpolitische Entwicklung — so hat er weiter gesagt — ernster nicht gedacht werden kann. Ich möchte ihm für meine Freunde vollkommen zustimmen.
Wir sollten also auf diesem bescheidenen und auch etwas billigem Wege nicht fortschreiten und nicht glauben, damit den Stein der Weisen irgendwann oder irgendwo finden zu können; das um so weniger, als wir ja, wenn wir auf diesem Wege der Verordnungen zu dem Gesetz über die Finanzverwaltung fortschreiten, leicht in Konflikt mit dem Grundgesetz kommen könnten und dann unserer Übung und vielleicht auch unserer schlechten Gewohnheit gemäß uns in Karlsruhe wiedersehen würden. Diese Gefahr bitte ich nicht zu unterschätzen.
In Einsicht dieser Gefahr hat man sich sodann im Finanzausschuß mit einer anderen Variante oder
einem anderen Kompromiß beschäftigt, und es war unser Freund Pelster — der leider heute nicht im Saale ist —, der vorschlug, über die freiwillige Auftragsverwaltung von Steuern durch Bundesfinanzbehörden die Dinge zu fördern. Ein reizvoller Gedanke ganz zweifellos, der aber auch eine Änderung des Grundgesetzes bedingen würde. Das Reizvolle, meine Damen und Herren, wird Ihnen ohne weiteres geradezu ins Gesicht springen, wenn ich Ihnen sage, daß in der Weimarer Zeit die Länder Hamburg, Bremen und Bayern, ein gerade mir besonders sympathisches Triumvirat — also ich unterstreiche: Bayern! — die Verwaltung ihrer Ländersteuern — ihrer Ländersteuern! — dem Reich übertragen haben.

(Abg. Euler: Sehr richtig!)

Ich will nicht elegisch werden; aber wie weit sind wir doch von derartigen Erkenntnissen noch entfernt, trotz vierjährigen heißen Bemühens in diesem Hause!
Wir haben infolgedessen über diesen Hilfsantrag Pelster, den ich keineswegs hier madig machen möchte — ich meine nicht Herrn Pelster, sondern seinen Antrag — nicht abgestimmt, weil ja im Schriftlichen Bericht — den ich unterschrieben habe, aber nicht in all und jedem Punkte billige — festgehalten ist, wie groß die Mehrheit ist, die dem Urantrag, nämlich dem unsrigen — Drucksache Nr. 2260 — zugestimmt hat. Wenn man im Leben — ein wenig reizt diese Materie zur Philosophie — oder in der Gesetzgebung einen Schritt tun kann, und zwar einen Schritt nach vorn, dann soll man ihn ganz tun und sich nicht mit einer Krücke begnügen; wir müssen ja ohnehin schon hinreichend auf Krücken in diesem Erdenleben herumlaufen.
Ich will, meine Damen und Herren, ich wiederhole es, davon absehen, die Argumente dafür — dawider gibt es nämlich nur sogenannte hochpolitische Momente, Herr Geheimrat Laforet; sachliche Argumente dawider gibt es überhaupt nicht, ich habe noch keines gehört, ich stelle anheim, mich zu bereichern — aufzuzählen. Aber ich will doch nicht unterlassen — natürlich ohne jeden Nebengedanken und jede Ausschmückung -, darauf hinzuweisen, daß es ausschließlich dem Willen der Alliierten zuzuschreiben ist, daß der Parlamentarische Rat nicht zu einer Bundesfinanzverwaltung gekommen ist; ausschließlich dem Veto der Alliierten. Ich könnte mir denken, daß das diesem oder jenem einen Eindruck macht. Ich wiederhole: ohne jeden Nebengedanken!
Ich schlage Ihnen vor, meine Damen und Herren, daß wir uns ein Herz fassen und daß diejenigen, die dazu nicht bereit sind, sich einmal überlegen, über ihren eigenen Schatten zu springen. Das tut nämlich manchmal ganz gut, und es ist in der Weltgeschichte schon sehr viel dabei herausgekommen, auch in Dingen, die nun allerdings sehr viel wichtiger und wesentlicher sind als die, von denen wir hier reden. Sollten wir das — und jetzt wende ich mich an unseren Finanzminister — nicht besonders in einer Angelegenheit tun, die uns Hunderte von Millionen zweifelsfrei einbringt? Man ist nämlich über das Plus, das herauskommt, in keiner Weise verschiedener Meinung, sondern nur über die Höhe. Unserem Bundesfinanzminister kommt es doch beim Minus auf jede 100 Millionen an, — ich fordere ihn auf, es im Plus auf eine Milliarde oder etwas weniger wirklich ankommen zu lassen!

(Beifall bei der FDP und der SPD.)



Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0126410700
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Besold.

Dr. Anton Besold (CSU):
Rede ID: ID0126410800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich als Sprecher der Föderalistischen Union — Bayernpartei-Zentrum — in den wenigen Minuten, die mir zur Verfügung stehen, einige grundsätzliche Gedanken zu dieser Gesetzesvorlage sagen. Letzten Endes ist diese Gesetzesvorlage nur einer von mehreren Keilen, die auf den föderalistischen Grundgehalt des Grundgesetzes angesetzt werden, um einen Weg für einen zentralistischen Einheitsstaat zu ebnen.
Wir glauben auch nicht, daß die hier zu entscheidende Frage letzten Endes eine Sachverständigenfrage sein kann, da ein Staat mehr als ein kaufmännisches Unternehmen ist.

(Abg. Euler: Das wissen wir!)

Ich glaube, unsere Generation hat wie kaum je eine Generation das Glück — oder Unglück —, die Geschichte nicht im Buch studieren zu müssen; sie erlebt sie und nimmt sie auch augenfällig wahr. Das müßte eigentlich Grund genug sein, nicht neuerdings Fehler zu machen. Der totale Zusammenbruch hat uns wirklich in brutalstem Anschauungsunterricht gelehrt, daß die leben- und kraftspendenden Wurzeln eines Staatsgebildes nicht in einem technisch und organisatorisch gefundenen Zentralpunkt liegen, sondern in der kleinsten und untersten Zelle, der Gemeinde und in den Ländern, die die historisch und organisch gewachsenen Fundamente größerer, erst zusammengefaßter Staatsformen sind. Wir müssen uns doch ehrlich darüber klar sein, daß nach diesem Zusammenbruch aus den Gemeinden und den Ländern zuerst und nur dadurch der Wiederaufbau und die Zusammenführung zur westdeutschen Bundesrepublik möglich geworden sind und daß von hier aus auch ein Ordnungsprinzip ausgegangen ist.

(Zustimmung bei der FU.)

Herr Kollege Gülich hat gesagt, wir Bayern hätten ein besonderes Staatsgefühl gehabt. Nicht nur ein Staatsgefühl! Wir wollen auch ein Staat sein! In unserer Verfassung ist schließlich mehrmals verankert, daß Bayern ein Volksstaat, ein Freistaat, ein Sozialstaat und ein Kulturstaat ist. Zum Begriff und zum Kern eines Staates gehört aber auch die Finanzhoheit, sonst bleibt nur eine kernlose und ausgehöhlte Schale, die beim leisesten Druck zusammenbricht.
Meine Damen und Herren, seien Sie doch ehrlich! Wenn Ihnen die Bestimmungen unseres Grundgesetzes in der Praktizierung unangenehm werden, dann suchen Sie in einer mehr oder weniger bedenklichen Form die Verfassung irgendwie nach Ihrem Sinn auszulegen, anstatt den föderalistischen Grundgehalt der Verfassung wirklich zu praktizieren.

(Abg. Dr. Wellhausen: Ihr habt die Verfassung ja abgelehnt, Herr Besold!)

— Sie haben sie jedenfalls angenommen, Herr Kollege Wellhausen! Wenn wir hier schon von der Erhaltung des föderalistischen Grundgehaltes sprechen, Herr Kollege Wellhausen: Sie haben ja in diesem Hause bereits — vielleicht auf einem anderen Gebiet, es ist aber in diesem Zusammenhang sehr interessant — große Worte davon gesprochen, wie nützlich und wie notwendig es sei, den Staat Baden aus dem historischen Staatenbild der westdeutschen Bundesrepublik — um das Wort zu gebrauchen — „auszuradieren", und haben in kalter Sachlichkeit, in kalter zentralistischer Sachlichkeit ein künstliches Gebilde geschaffen,

(Abg. Hilbert: Sehr richtig!)

während jetzt dort ein verfälschter Volkswille Deutschland in seiner größten Entscheidung in die größten Gefahren bringt.

(Beifall bei der CSU und der FU.)

Aus diesen Fehlern müßten Sie eigentlich lernen, ob Föderalismus nicht mehr ist als nur rein nüchterne, kaufmännische Erwägungen. Auch die vorliegende Entscheidung läuft Gefahr, schiefzugehen, und die richtige Erkenntnis ist in Gefahr, nicht entwickelt werden zu können, weil unsere Zeit und unsere politischen Methoden gewissenlos geworden sind, weil mit geschichtlich Gewordenem und fest umrissenen Begriffen bedenkenlos Mißbrauch getrieben wird.

(Abg. Dr. Gülich: Wer tut das?)

— Herr Kollege Gülich, ich bin als Föderalist offen genug, die Fehler einzusehen, die gerade in den letzten Jahren des Staatsaufbaus gemacht worden sind, indem die föderalistische Staatsauffassung beim Finanzausgleich zum erbärmlichen Schacherobjekt benützt worden ist, aber vielleicht von solchen Staaten, die weniger föderalistisch sein, als den Föderalismus nur zu solchen Dingen benützen wollen.

(Abg. Dr. Gülich: Das liegt doch in der Struktur der föderalistischen Bundesrepublik!)

Auch hat man in der föderalistischen Staatsauffassung einen Schutz bei staatlicher Steuersäumigkeit gesucht und die föderalistische Staatsauffassung vielleicht auch dazu mißbraucht. Ich weiß nicht, ob bei einer rein zentralen Staatsführung — das haben wir doch erlebt — nicht weit größere verderbliche Folgen eintreten können.

(Sehr richtig! bei der CSU und bei der FU.)

Diese Zustände, die wir selber zugeben und die Sie ja auch gegeißelt haben, können nicht durch Verfassungsänderungen oder durch einen Systemwechsel gebessert werden. Das ist nach unserer Ansicht allein eine Sache der inneren Haltung der politisch Verantwortlichen.

(Abg. Dr. Gülich: Sie brauchen die Krücke der Verfassung!)

Im zentralistischen Staat werden, wenn die Änderung in der inneren Haltung nicht erfolgt, noch viel unheimlichere Auswüchse eintreten.
Der finanzpolitische Effekt, den Sie erreichen wollen, kann also mit einer Verfassungsänderung nicht erreicht werden. Wir müssen uns gerade bei solch großen Entscheidungen, die eine Verfassungsänderung bedeuten, selber erkennen. Mißerfolg und politische Unsicherheit beruhen darauf, daß man in der Mentalität des zwanzigsten Jahrhunderts vor festen Begriffen und Grundsätzen sowie historischen Wirklichkeiten keine Achtung mehr hat. Ich habe schon gesagt, wie man den Begriff des Föderalismus mißbraucht, um dem echten und wahren Gehalt des Föderalismus zu schaden. Auch andere Begriffe hat unser Jahrhundert mißbraucht. Dadurch ist das Mißtrauen des Volkes bis heute erhalten worden. Denken Sie an die Begriffe von „Freiheit" und „Recht" im nationalsozialistischen Staat.

(Abg. Dr. Wellhausen: Hat das etwas damit zu tun?)



(Dr. Besold)

— Das hat sehr wohl etwas damit zu tun. Ich sage, daß die Begriffe verfälscht worden sind. Oder glauben Sie, daß der Stacheldraht der Nazis das Rechtsempfinden des Volkes mehr oder weniger berührt hat als der Stacheldraht um die Entnazifizierungsmethoden? Man redet von „Demokratie", von einer Staatsform, in der das Volk herrschen soll. Schiebt man nicht die höchste politische Verantwortung hier dem Gerichtshof zu? Ich rede davon, daß wir nicht mehr wahr und echt sind, sondern die Begriffe mißbrauchen. Man scheut auch nicht davor zurück, den Rechtsweg zu mißbrauchen, um den politischen Machtkampf vorwärtszutragen. Man schreckt auch — wie in der Südweststaatfrage — davor nicht zurück, den echten Volks- und Mehrheitswillen in der Entscheidung um Sein oder Nichtsein durch kalt ausgeklügelte Wahlgeometrie zu unterdrücken.
Kurz zusammengefaßt: Wir müssen wahr und echt bleiben. Nur so werden wir uns die innere Festigkeit erhalten, die Fundamente des Staates zu schützen, zu achten und damit den Glauben des Volkes an unser aufrichtiges politisches Wollen zu bewahren. Das Grundgesetz ist im Kern und in der Grundlage föderalistisch. Noch ist die erste Parlamentsperiode nicht vorbei, und Sie rütteln an diesem Grundelement mit steigender Heftigkeit. Ich denke nur an die Angriffe von links auf den Kulturföderalismus.

(Abg. Dr. Wellhausen: Wir reden von Steuern!) Ich denke an die bedenklichen Methoden der Aushöhlung der Polizeihoheit. Ich denke an Ihre noch bedenklicheren Methoden bei der Neugliederung. Ich denke an dieses hier vorliegende Gesetz. Sie wollen eine verstärkte zentrale Bundesfinanzverwaltung, um letzten Endes auch die Ländersteuern hinfällig zu machen und eines Tages nur noch Bundessteuern hier verwalten zu können.


(Sehr gut! bei der FU.)

Föderalistische Staatsauffassung, meine Damen und Herren — das gebe ich Ihnen zu —, erfordert freilich höchste Staatsklugheit und Staatskunst. Zentralistische Staatsauffassung erfordert nur Befehlsgehirne,

(Lachen bei der SPD)

und von denen wollen wir in Zukunft nichts mehr wissen.

(Sehr richtig! bei der FU.)

Die Schwierigkeit der Finanzpolitik wird nicht durch Verfassungsänderungen verringert. Ändern Sie die politischen Methoden und die politische Haltung.
Ich darf noch an eines in dieser Stunde erinnern: Durch die Berufung auf die Unantastbarkeit der Verfassung haben Sie zum mindesten in der ersten Lesung der Gesetzesvorlage über die Wiedereinführung der Todesstrafe den Mörder geschützt. Haben Sie auch soviel Gewissen, die Staatshoheit der Länder zu schützen!

(Beifall bei der FU und bei der CSU.)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0126410900
Das Wort hat der Abgeordnete Jaffé.

Robert Jaffe (DP):
Rede ID: ID0126411000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser Kollege Dr. Besold hat soeben sehr große und gewichtige Worte gefunden.

(Zuruf von der SPD: Bombastische Worte!)

Ich möchte danach eigentlich fast bezweifeln, ob,
wenn ich ihm folge, das Land Bayern überhaupt
noch zum Gesamtverband der Bundesrepublik gehören soll.

(Zuruf von der FU: Oho! Warum denn?)

Das kann doch eigentlich nicht der Sinn der Dinge sein, und es scheint mir völlig abwegig, bei der Frage der Bundesfinanzverwaltung in dieser Form den Teufel an die Wand zu malen. So kann man die Dinge doch auch vom extrem föderalistischen Standpunkt aus wirklich nicht sehen. Es handelt sich doch um eine ganz nüchterne Frage.

(Abg. Dr. Besold: Ich stelle mich doch nur auf den Boden des Grundgesetzes!)

Der das Finanzwesen regelnde Abschnitt X des Grundgesetzes und insbesondere die beiden Artikel 107 und 108 versuchen, die angesichts der föderalistischen Struktur der Bundesrepublik politisch wie technisch gewiß nicht einfache Frage der Verteilung der Steuern, soweit sie der konkurrierenden Gesetzgebung unterliegen, sowie der Verwaltung der Steuern überhaupt möglichst sinnvoll zu regeln. Wie schwer es für den Gesetzgeber bei der Verteilung der Steuern war, hier Sorge zu tragen, daß der Bund und die Länder zu ihrem Recht kämen, dessen war er sich bei der Schaffung des Art. 107 durchaus bewußt und hat eben deshalb eine endgültige Regelung von der Erfahrung einiger Jahre abhängig gemacht. Hier muß man bedauern, daß der endgültige Beschluß erst in zwei Jahren, statt, wie vorgesehen, zum 31. Dezember 1952, erfolgen soll. Im ganzen scheint es mir jedoch durchaus sinnvoll, bei dieser Frage die praktische Erfahrung für die Entscheidung heranzuziehen.
Art. 108 sieht diese Regelung nicht vor. Er regelt, ohne den Vorbehalt, wie ihn Art. 107 kennt, die Frage der Verwaltung endgültig und, wie mir scheint, nicht glücklich. Auch meinen Freunden und mir als Föderalisten — auch wir sind Föderalisten, meine Herren aus Bayern, aber ohne Überspitzung! —

(Abg. Dr. Besold: Dann ist das Grundgesetz eine Überspitzung!)

scheint das Bestreben, die Länder in ihrer Verwaltungstätigkeit nicht stärker zu beschränken, als es im Interesse des Bundes unbedingt erforderlich ist, unserer politischen Auffassung durchaus zu entsprechen. Einige meiner Freunde sehen sich dabei nicht in der Lage, einer Änderung des Art. 108 zuzustimmen. Einige wenige, meine Herren aus Bayern!

(Abg. Dr. Decker: Das sind die echten Föderalisten!)

Aber die Erfahrungen der Zeit seit Inkrafttreten des Grundgesetzes haben gezeigt, daß es Gebiete geben kann, auf denen praktischen Vorteilen der Vorrang eingeräumt werden muß.

(Abg. Dr. Wellhausen: Sehr gut!)

Und hier handelt es sich, wie ich nochmals betonen möchte, um praktische Fragen. Die Frage der Steuerverwaltung ist weniger ein politisches als ein technisches Problem.

(Abg. Dr. Wellhausen: Sehr richtig!)

Weil es das ist, sollten wir ganz nüchtern, sine ira et studio, prüfen, ob der vorliegende Gesetzentwurf praktische Vorteile zu bringen geeignet ist. Das muß man, glaube ich, nach Lage der Dinge und nach den Erfahrungen der letzten Jahre, die ich besonders heranziehen möchte, durchaus bejahen. Gerade die Beratungen, die wir gestern


(Jaffe)

über die kleine Steuerreform gepflogen haben und heute fortsetzen, geben uns ganz besonderen Anlaß, einer Änderung des Art. 108 näherzutreten. Wenn uns auf der einen Seite ein. Abbau der anerkanntermaßen untragbar gewordenen Steuerbelastung dringend nötig erscheint und andererseits die Sorge um das Aufkommen der Mittel angesichts des gestiegenen und weiter steigenden Finanzbedarfs der öffentlichen Hand im Bundeshaushalt und in den Länderhaushalten zu außergewöhnlichen Methoden der Abgleichung zwingt, dann haben wir auch die Pflicht, überall da, wo Ersparnisse möglich zu sein scheinen, entsprechende Regelungen zu treffen. Es kann doch nicht bestritten werden, daß durch den Übergang der Verwaltung der Steuern auf den Bund — es handelt sich in erster Linie um die Einkommen- und Körperschaftsteuer — erhebliche Verwaltungskosten, insbesondere Personalkosten, gespart werden könnten. Hier wird ein großes Maß Doppelarbeit geleistet, die wir uns einfach nicht leisten können.
Über diese Ersparnisse hinaus, die man — ich muß das dabei betonen — nicht überschätzen sollte, wird aber — das ist für die finanzielle Seite entscheidend — ein sehr erhebliches Mehraufkommen die Folge sein. Herr Professor Gülich und andere Herren haben das bereits betont. Die Höhe dieses Mehraufkommens kann natürlich nicht mit Sicherheit geschätzt werden, dürfte sich aber ohne Zweifel — darüber sind sich alle Fachleute einig — in der Größenordnung von vielen hundert Millionen bewegen. Dem Nutzeffekt der einheitlichen Verwaltung durch den Bund, der gleichmäßigen Handhabung der Veranlagung, der Erhebung und der Nachprüfung würde eine zunehmende Steigerung des Aufkommens folgen. Die berechtigten Klagen
der Steuerpflichtigen über die ungleichen Methoden in den einzelnen Ländern würden endlich aufhören. Es dürfte auch im Interesse der Länder selbst liegen, wenn z. B. der Zustand beseitigt würde, daß die armen Länder — auch das ist schon gesagt worden — ihre Steuern rigoroser eintreiben und eintreiben müssen, da sie auf sie besonders angewiesen sind, mehr als die reichen Länder, die sich bei ihrem hohen Aufkommen vielleicht etwas mehr Großzügigkeit leisten können. Zudem geben sie sowieso an die armen Länder aus ihrem Überfluß soviel ab, daß sie an einer Steigerung des Aufkommens nicht so interessiert sind wie diese. Das ist meiner Ansicht nach ein Partikularismus, der nicht länger andauern sollte.
Weitere Vorteile, meine Damen und Herren, der zweckmäßige und rationelle Einsatz der Beamten und die größere Schlagkraft z. B. auf dem Gebiet der Betriebsprüfung und der Steuerfahndung, liegen doch auf der Hand. Der direkte Verkehr des Bundesfinanzministers mit den Mittelbehörden der Finanzverwaltung würde Doppelarbeit und Leerlauf vermeiden. Spezialisten, die heute an vielen Stellen sitzen und infolgedessen erhebliche Parallelarbeit leisten, würden eingespart werden. Manche Dienstreisen — das liegt uns ja immer so am Herzen — würden eingespart werden können. Auch die in den einzelnen Ländern sowie im Bund nicht immer gleichmäßige Besoldung und Eingruppierung der Beamten derselben Verwaltung, nämlich der Finanzverwaltung, würde verschwinden. Daß die überwiegende Mehrheit — ich muß besonders darauf hinweisen — der Beamten selbst, vielleicht mit Ausnahme der Ministerialbürokratie der Länder, diese Regelung eindeutig wünscht und sie als im Interesse der Sache liegend begrüßen
würde, ist eine anerkannte Tatsache. Bei der Zollverwaltung haben sich die Vorteile des Übergangs auf die bundeseigene Verwaltung bereits durchaus gezeigt. Ich darf betonen, daß die finanziellen Ersparnisse allein für uns nicht maßgebend sind, daß aber die organisatorischen und praktischen Vorteile, vor allen Dingen die Herstellung der Steuergleichheit im ganzen Bundesgebiet, für uns entscheidend sind.
Wir wollen keine Reichsfinanzverwaltung im vollen Erzbergerschen Sinne, bei der die Länder in allzu starkem Maße Kostgänger des Reiches waren. Die Länderrechte sollen in dieser Form nicht angetastet werden. Wir wollen aber eine rationelle Verwaltung und eine sparsame Verwaltung. Wir wollen ein möglichst gleichmäßiges, gutes regionales Aufkommen der Steuern, und wir wollen vor allem auch, daß der Steuerzahler in jedem unserer Länder in gleicher Weise zu seinem Recht kommt.
Ich betone, daß wir Föderalisten sind und Föderalisten bleiben. Wir stellen jedoch unsere föderalistischen Bedenken zurück und befürworten aus diesen praktischen Gründen und den Gründen einer sparsamen Verwaltung die Bundesfinanzverwaltung. Wir stimmen daher dem Antrag des Ausschusses zu.

(Beifall rechts und bei Abgeordneten der SPD.)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0126411100
Das Wort hat der Abgeordnete Renner.

Heinz Renner (KPD):
Rede ID: ID0126411200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was steckt nach Auffassung der Kommunisten hinter diesem Antrag der FDP und hinter der Stellungnahme der Bejaher des Gedankens, der hinter diesem Antrag steht?

(Abg. Dr. Wellhausen: „Die Aufrüstung"!)

— Richtig! Sie nehmen mir das Wort aus dem Mund. Um klarzustellen, daß ich auch in diesem Falle mit Ihnen, Herr Kollege Wellhausen, nicht in einem Bett liege, und um hier ein bißchen auf das geradezu glühende Bekenntnis des Sprechers der SPD zum Gedanken der Zentralisierung der Finanzverwaltung in der Hand dieses Ministers einzugehen,

(Lachen in der Mitte und bei der SPD)

habe ich Veranlassung, folgendes zu sagen. Angeblich handelt es sich um ein technisches Problem. Der Herr Minister, Herr Schäffer, hat — nachzulesen in der Drucksache, die uns vorgelegt worden ist — gesagt, es handle sich um ein Politikum. Er ist einen Schritt weiter gegangen und hat gesagt: Vom Bund aus gesehen muß man die Einheitlichkeit in der Steuererhebung und in der Steuerverwaltung als wünschenswert ansprechen; die Höhe der Verwaltungskosten ist dagegen zweitrangig. Amtliches Material! Daß der Herr Schäffer sich hier nicht hundertprozentig zu dem Hintergedanken bekennt, der in diesem Antrag versteckt ist,

(Zuruf: Welcher ist denn das?)

erklärt sich aus seiner in dem Fall gespaltenen Seele.

(Heiterkeit.)

Herr Schäffer ist nämlich nicht nur der Finanzminister Adenauers und seiner Politik, Herr Wellhausen, sondern er ist nebenbei auch Bayer und muß den bayerischen Belangen in puncto födera-


(Renner)

listischer Grundhaltung Rechnung tragen. Sonst ist er in Bayern unten durch.

(Heiterkeit.)

Seine bayerischen Landsleute und die Minister Bayerns lehnen das Gesetz und seinen Gedanken sehr heftig ab. Das ist Ihnen allen bekannt. Zu den vielen Seiten des Herrn Schäffer kommen also heute mal wieder zwei neue Seiten, die an sich an ihm aber nichts ändern.

(Lachen und Zurufe in der Mitte und rechts.)

Was ist los? Am deutlichsten hat uns außer dem Zwischenruf des Herrn Kollegen Wellhausen der Sprecher der SPD verraten, worum es geht. Ist das nicht ein eigenartiger Zustand? Nachdem wir in den Ländern und in den Gemeinden zu Recht immer mehr Klagen gerade auch der Sozialdemokraten hören, daß die Länder und die Gemeinden immer mehr zu Kostgängern des Bundes herabgewürdigt werden, ist es wirklich eigenartig, daß sich ein Sprecher der SPD hier hinstellt und sagt: Zur Steigerung des finanzpolitischen Effekts — sinngemäß! —, zur Stärkung der Bundesfinanzen müssen wir zu einer Zentralisierung der Bundesfinanzverwaltung kommen.

(Zuruf von der SPD.)

— Richtig, das haben Sie ja gesagt: zur Stärkung der Bundesfinanzen. Daß Sie gelegentlich die Verwendung der Mittel durch den Bundesfinanzminister kritisieren, hat man heute nicht gemerkt.

(Zuruf des Abg. Dr. Gülich.)

Es geht Ihnen um die Wurst, es geht Ihnen darum
— wie es der eine Sprecher aus der ganz rechten Ecke dahinten genannt hat —, mehr „Schlagkraft in die Eintreibung" zu bringen. Also dem Bund mehr Gelder in die Hand zu geben, darum geht es Ihnen; und da fragen Sie einen Dreck danach. ob das ein CDU-, ein Adenauer-Mann oder einer von Ihnen ist, der die Gelder verwendet.

(Zuruf von der Mitte: Nein, das machen wir hier im Bundestag!)

— Sie sollten doch wissen, daß es der Finanzminister ist, der über die Verwendung der Gelder entscheidet.

(Abg. Dr. Wellhausen: Dann müßte er schon ein Hehler und Stehler sein!)

— Ich darf ja nicht im Zusammenhang mit einem Bundesfinanzminister von Hehler und Stehler sprechen, Herr Wellhausen; da bekäme ich doch wieder einen Ordnungsruf. Aber ich darf vielleicht sagen, ohne einen Ordnungsruf zu riskieren, daß mir der Vergleich ganz sympathisch ist.

(Heiterkeit.)

Aber kommen wir auf den Kern der Sache zurück! Was hier beabsichtigt ist, das geht darauf hinaus, die Länder und mit ihnen die Gemeinden noch viel mehr, als das bisher schon beklagenswerterweise der Fall ist,

(Abg. Dr. Gülich: Nicht die Gemeinden!)

zu Kostgängern des Bundes herabzuwürdigen. Es geht im Effekt darum, dem Bundesfinanzminister die Gelder in die Hand zu spielen, die alleinige Macht in die Hand zu spielen, die Steuergroschen, die Milliarden, die heute schon für die Wiederaufrüstung verplempert werden, restlos in seine Verfügungsgewalt zu geben. Von dem Gesichtspunkt aus gesehen ist es ein Politikum.
Wenn ich die Wandlungen in dieser Frage innerhalb der Fraktionen, die im Parlamentarischen
Rat diesem Artikel des Grundgesetzes nach tagelangen Diskussionen um den Inhalt ihre Zustimmung gegeben haben, einmal an meinem Auge vorübergehen lasse und die damalige Stellungnahme mit der heutigen Haltung vergleiche, dann kann ich sagen: Welch eine Wendung auch in der Grundhaltung der damaligen Bejaher des Artikels zu der heutigen Politik, welch eine Wendung durch Dulles Fügung!

(Heiterkeit.)

Sie brauchen heute einen Bundesfinanzminister, der über die Gelder, die aus den Bürgern herausgepreßt werden, frei verfügen kann, um seinen Krieg zu finanzieren. Darum verlangen Sie die zentrale Bundesfinanzverwaltung, und darum lehnen wir sie ab!

(Beifall bei der KPD.)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0126411300
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die allgemeine Besprechung der dritten Beratung.
Wir hatten uns vorgenommen, die Abstimmung um 16 Uhr stattfinden zu lassen. Ich schlage Ihnen vor, daß wir zunächst zum Punkt 2 der Tagesordnung,
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über öffentliche Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsordnungsgesetz) (Nrn. 1102, 4291 der Drucksachen, Änderungsanträge Umdrucke Nrn. 898, 899, 900),
zurückkehren und die noch nicht erledigten Abstimmungen über die letzten Paragraphen vornehmen. Wir waren bis zum § 23 gekommen.
Zu § 24 steht die Abstimmung über den Änderungsantrag der kommunistischen Gruppe, Umdruck Nr. 899 Ziffer 8, auf Streichung des § 24 noch aus. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag der kommunistischen Gruppe zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Dieser Antrag ist gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt.
Ich bitte die Damen und Herren, die § 24 im Wortlaut des Ausschußberichts zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Zu § 25 ist die Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD auf Streichung der Worte „oder mit Geldstrafe", Umdruck Nr. 900 Ziffer 4, nachzuholen. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; ist angenommen.
Ich bitte die Damen und Herren, die § 25 unter Berücksichtigung der eben beschlossenen Änderung zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die überwiegende Mehrheit; ist angenommen.
Zu § 26 liegt vor der Streichungsantrag der kommunistischen Gruppe auf Umdruck Nr. 899 Ziffer 9. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Dieser Antrag ist gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt.
Weiterhin liegt zu § 26 ein Antrag der Fraktion der SPD vor — er ist mir handschriftlich übergeben worden —, im § 26 die Worte „Gefängnis bis zu einem Jahr oder Geldstrafe" zu ersetzen durch „Gefängnis bis zu sechs Monaten oder Geldstrafe". Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Än-


(Präsident Dr. Ehlers)

derungsantrag der Fraktion der SPD zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; ist angenommen.

(Abg. Dr. Jaeger [Bayern]: 26 a ist es, der geändert worden ist!)

— 26, Herr Kollege Jaeger! Ich fürchte, daß ein Irrtum vorlag. Ich hatte § 26 aufgerufen und einen handschriftlichen Antrag der Abgeordneten Dr. Brill und Fraktion verlesen.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem § 26 unter Berücksichtigung dieser Änderung zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; ist angenommen.
Zu § 26 a Streichungsantrag der kommunistischen Gruppe auf Umdruck Nr. 899 Ziffer 10. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Streichungsantrag zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Dieser Antrag ist gegen die inzwischen zustande gekommenen fünf Stimmen der kommunistischen Gruppe abgelehnt.
Weiter liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck Nr. 900 Ziffer 5 betreffend § 26 a vor. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
Ich bitte die Damen und Herren, die § 26 a in der so geänderten Fassung zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die überwiegende Mehrheit; ist angenommen.
Zu § 27 Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck Nr. 900 Ziffer 6. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die überwiegende Mehrheit; ist angenommen.
Ich bitte die Damen und Herren, die § 27 in der so geänderten Fassung zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; ist angenommen.
Zu § 28 Antrag der kommunistischen Gruppe auf Streichung der Ziffern 1, 3 und 4 im Abs. 1, Umdruck Nr. 899 Ziffer 11. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Dieser Antrag ist gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag der Fraktion der SPD auf Umdruck Nr. 900 Ziffer 7 — —

(Zuruf rechts: Ist erledigt! — Gegenruf von der Mitte: Ist nicht erledigt!)

— Der ist keineswegs erledigt. Es geht um die Ersetzung des Wortes „gröblich". Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Änderungsantrag der Fraktion der SPD zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; dieser Antrag ist abgelehnt.
Ich bitte die Damen und Herren, die § 28 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei Enthaltungen mit Mehrheit angenommen.
Ich bitte die Damen und Herren, die § 30 zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Zu § 30 a Streichungsantrag der kommunistischen Gruppe auf Umdruck Nr. 899 Ziffer 12. Ich
bitte die Damen und Herren, die diesem Streichungsantrag zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Dieser Antrag ist gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt.
Ich bitte die Damen und Herren, die § 30 a zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe auf § 31, Einleitung und Überschrift. Ich bitte die Damen und Herren, die § 31, der Einleitung und der Überschrift zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen gegen wenige Stimmen angenommen.
Damit ist die zweite Beratung beendet.
Meine Damen und Herren, darf ich fragen, ob das Haus gewillt ist, jetzt die Abstimmung über die Verfassungsänderung vorzunehmen, oder wollen wir bis 16 Uhr warten, wie es vereinbart war?

(Zurufe: Ja!)

— Dann schlage ich Ihnen vor, daß wir die allgemeine Besprechung in der dritten Beratung des Entwurfs des Versammlungsordnungsgesetzes beginnen. Der Ältestenrat hat Ihnen dazu eine Redezeit von 60 Minuten vorgeschlagen. Wünscht jemand das Wort? — Herr Abgeordneter Maier, bitte!

Friedrich Maier (SPD):
Rede ID: ID0126411400
Namens meiner Fraktion habe ich folgendes zu erklären: Die sozialdemokratische Fraktion vertritt den Standpunkt, daß die politische Tätigkeit in der Demokratie durch möglichst wenig Vorschriften eingeengt werden soll, solange sich die Parteien ehrlich zur parlamentarischen Demokratie bekennen. Von diesem Gesichtspunkt aus hat sie auch zu dem vorliegenden Gesetzentwurf Stellung genommen.
Wir verkennen nicht eine gewisse Notwendigkeit, die verschiedenen Vorschriften auf dem Gebiete des Versammlungsrechts durch ein Bundesgesetz abzulösen. Der vorliegende Entwurf geht aber über das notwendige Maß hinaus. Der Leiter der Versammlung ist im Entwurf erheblich überfordert. Er wird bei einem unruhigen Verlauf der Versammlung den gestellten Anforderungen einfach nicht gerecht werden können und sich deshalb in einem solchen Fall stets strafbar machen. Es ist z. B. für den Leiter unmöglich, in jedem einzelnen Fall dafür die Verantwortung zu übernehmen, daß die Ordner volljährig sind, es sei denn, daß er sich von jedem, soweit er ihn nicht persönlich kennt, die Geburtsurkunde vorlegen läßt. Ebenso wird er oft nicht in der Lage sein, zu beurteilen, ob Vorgänge in der Versammlung den Strafgesetzen zuwiderlaufen. Er würde in einem solchen Fall oft in Konflikt mit dem Polizeibeamten geraten, der dann die Versammlung auflöst. Ebenso kann man ihm wohl kaum zumuten, sich selbst zu bescheinigen, daß er sich bei einem öffentlichen Aufzug nicht durchsetzen kann und aus diesem Grunde den Aufzug für aufgelöst zu erklären hat.
Unsere Bedenken gegen den Entwurf werden noch verstärkt durch die Fassung, die der § 22 im Ausschuß und nunmehr auch in der zweiten Lesung erhalten hat. Sind doch die in § 22 enthaltenen Strafbestimmungen geeignet, die freie Meinungsäußerung in starkem Maße einzuschränken.
Die sozialdemokratische Fraktion ist der Auffassung, daß sich — von einzelnen Ausnahmen abgesehen — in der bisherigen Versammlungstätig-


(Maier [Freiburg])

keit keine Erscheinungen gezeigt haben, die den Erlaß eines solchen Gesetzes rechtfertigen.

(Zuruf von der FDP: Na, na!)

Sie wird deshalb bei der Schlußabstimmung dem vorliegenden Gesetzentwurf ihre Zustimmung nicht geben.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0126411500
Das Wort hat der Abgeordnete Freiherr von Aretin.

Freiherr Anton von Aretin (FU):
Rede ID: ID0126411600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion hat sich bei den zahlreichen Änderungsanträgen und Streichungsanträgen des heutigen Vormittags nicht beteiligt. Ich bin jedoch verpflichtet, darauf hinzuweisen, daß nach unserer Auffassung das Versammlungordnungsgesetz nur als Ausführungsgesetz zu den Artikeln 8 und 9 des Bonner Grundgesetzes gesehen werden kann, also ausschließlich unter dem Blickwinkel der Versammlungsfreiheit und der Einschränkungen der übertriebenen Versammlungsfreiheit bzw. deren Mißbrauchs.
Das Gesetz als solches ist unerfreulich. Es ist ein ausgesprochenes Armutszeugnis für unsere Zeit und leider damit auch für unsere eigenen Wähler. Die papierenen Vorschriften, die man hier getroffen hat, würden im Zweifelsfall nie genügen, um eine wirkliche Gewalt, um einen Drang zum Unrecht, um eine beginnende Revolution einzuengen. Es ist hier der Schatten des Dritten Reiches heraufbeschworen worden. Man muß sich aber auch darüber im klaren sein, daß das Gesetz doch ein sehr schwacher Versuch wäre, den gefährlichen Anfängen zu wehren. Hier vielleicht ein Hinweis. Das Aufkommen des Dritten Reiches ist mehr durch die Aushöhlung der Polizeihoheit der Länder durch das damalige Reich begünstigt worden als durch den Mangel an papierenen Vorschriften. Das denjenigen ins Stammbuch, die auch heute wieder eine Bundespolizei wünschen.
Des weiteren hat uns die Streichung der Bestimmungen über das Verbot des Uniformtragens mißfallen. Das ist in sich unlogisch. Wenn schon das Barometer so auf „Sturm" steht, daß man ein Gesetz zum Schutze der Versammlungsfreiheit braucht, dann ist es kein Zeichen von besonderer Überlegung, wenn man es gleichzeitig freigibt, daß Uniformen getragen werden. Abgesehen davon ist zu sagen, daß eine Gemeinschaft, die die Uniform nötig hat, um die Gemeinschaft zu beweisen, schon allein deshalb faul ist, weil sie die Uniform trägt. Wir haben die Hoffnung, daß den Auswüchsen dieser Uniformfreiheit durch die Länder gesteuert wird.
Ich darf abschließend folgendes sagen. Das Gesetz freut uns nicht und wohl keinen in diesem Hause. Wir in Bayern hätten es wahrscheinlich nicht nötig gehabt.

(Heiterkeit und Zurufe.)

— Ich bleibe dabei, auch wenn Sie die Feststellung freut: Wir in Bayern hätten es nicht nötig gehabt.

(Zuruf des Abg. Renner.)

— Es könnte höchstens Scherben geben, wenn Sie, Herr Renner, zu uns kommen.
Wir hätten dieses Gesetz nicht nötig gehabt. Wenn die Mehrheit dieses Hohen Hauses und die Bundesregierung glauben, daß dieses Gesetz erforderlich ist, dann wollen wir nicht beiseite stehen. dann wollen wir ihr dieses Gesetz geben.

(Lachen bei der KPD. — Abg. Renner: Also doch ein gehorsamer Bayer! — Weiterer Zuruf von der KPD: Das kommende Dritte Reich!)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0126411700
Das Wort hat Herr Abgeordneter Jaeger.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0126411800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Trotz des lebhaften Widerspruchs, der in diesem Augenblick erschallt, habe ich den Eindruck, den ich auch aus verschiedenen Gesprächen bestätigt bekam, daß das Barometer bei diesem Gesetz in diesem Hohen Hause ein wenig auf „lustlos" steht. Das ist wohl auch nicht verwunderlich, denn die langen Beratungen im Ausschuß und die wiederholten Beratungen hier im Plenum haben dieses Thema für uns nun schon bald zu einem leidigen gemacht.
Gerade die Rücküberweisungen, die vom Plenum immer wieder an den Ausschuß erfolgt sind, haben nun das Bestreben erkennen lassen, die Sache endlich zum Abschluß zu bringen. Vielleicht sind die Beratungen deswegen so langwierig gewesen, weil bei diesem Gesetz jeder der anwesenden 400 Damen und Herren als Fachmann angesprochen werden kann; denn auf dem Gebiet, Versammlungen abzuhalten und darin zu reden, kennen wir uns alle miteinander aus. Es erscheint mir nun wirklich zweckmäßig, die Dinge zu einem Ende zu bringen, — nicht jedoch, weil die Zeichen auf „Sturm" stehen; jedenfalls glaube ich, daß sie in der deutschen Innenpolitik trotz der heftigen sachlichen Auseinandersetzungen, die uns in diesem Wahlkampf bevorstehen, nicht wieder in dem Sinne auf „Sturm" stehen, wie sie einmal in der Vergangenheit standen.
Aber man weiß nicht, was in ferner Zukunft einmal passiert. Deshalb ist es besser, die Demokratie zu sichern und vorbeugend dafür zu sorgen, daß es keine Scherben gibt, als nachträglich etwa die Scherben zu flicken. Wenn die Herren der Sozialdemokratischen Partei meinen, man brauche dieses Gesetz nicht, die Situation sei nicht so gefährlich, dann können Sie sich ja einmal bei Ihrem Parteifreund, dem Herrn bayerischen Staatsminister Dr. Hoegner erkundigen, weshalb er eigentlich das Gesetz zur Sicherung des Staates im dortigen Landtag eingebracht hat. Sie könnten dann vielleicht sehen, daß er in dem Lande, von dem Herr Kollege von Aretin gesagt hat, daß es dieses Gesetz nicht nötig habe, offenbar noch viel schärfere Maßnahmen für notwendig hält. Ich persönlich halte sie nicht für notwendig.
Ich darf im übrigen bemerken, daß bereits Vorschriften für Versammlungen bestehen; sie sind nur örtlich und landesrechtlich zersplittert und zum Teil etwas veraltet. Aus diesem Grunde mag es zweckmäßig erscheinen, einheitliches Recht zu schaffen, um die Diskussion zu schützen und die Saalschlacht zu vermeiden. Daß in diesem Gesetz die Stellung des Leiters der Versammlung in besonderem Maße gestärkt wird, scheint uns richtig und im Sinne der Wahrung des Hausrechtes zu liegen. Das ist auch deshalb zu vertreten, weil schließlich jede Partei zum Versammlungsleiter nicht gerade ihren unfähigsten, sondern ihren jeweils fähigsten erreichbaren Mann wählen wird.


(Dr. Jaeger [Bayern])

Bezüglich des Uniformverbots möchte ich folgendes sagen: Meine politischen Freunde vertreten durchaus die Meinung, daß das Uniformtragen nicht erwünscht ist. Wir haben gegen den Ausschußbeschluß, das Uniformverbot hier nicht auszusprechen, nur deswegen keine Bedenken erhoben, weil dieses Verbot rechtssystematisch nicht hierher, sondern in das Strafrechtsänderungsgesetz gehört und kein bisher bestehender Rechtszustand aufgehoben wird. Es besteht ja kein bundeseinheitliches Uniformverbot, also ein Verbot, das auf Bundesrecht gegründet wäre. Es könnte höchstens aus alliiertem Recht abgeleitet werden. Außerdem haben die Länder die Möglichkeit, bis zu einem Strafrechtsänderungsgesetz die von ihnen für notwendig gehaltenen Maßnahmen zu treffen.
Nachdem so lange und intensive Beratungen über den Gesetzentwurf stattgefunden haben, halten wir es für zweckmäßig, ihm unsere Zustimmung zu geben.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0126411900
Das Wort hat der Abgeordnete Euler.

August-Martin Euler (DP):
Rede ID: ID0126412000
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Stellungnahme, die die sozialdemokratische Fraktion zur dritten Lesung verkünden ließ, ist nicht nur nach dem heutigen Verlauf der zweiten Lesung, in der die meisten sozialdemokratischen Änderungsanträge angenommen wurden, sondern auch nach dem Gang der Ausschußberatungen überraschend. Der Ausschuß hat in sehr sorgfältiger Arbeit den Text zustande gebracht, der Ihnen heute vorliegt und der auch die ausdrückliche Zustimmung der sozialdemokratischen Vertreter im Ausschuß fand. Das geschah nicht zufällig, sondern weil im Ausschuß die problematischen Teile des früheren Entwurfs so umgearbeitet werden konnten, daß sie den allseitig empfundenen Bedürfnissen entsprachen.
Die Sozialdemokratie hob zur Begründung ihrer Stellungnahme in der dritten Lesung darauf ab, daß die politische Tätigkeit möglichst wenig durch Vorschriften eingeengt werden sollte. Dem pflichten wir grundsätzlich bei, müssen aber andererseits feststellen, daß auch Sie, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, mit uns Vorschriften für erforderlich halten, um zu verhindern, daß unser Versammlungsleben unter dem Einfluß von Gruppen wieder entartet, die Feinde der Demokratie sind und deren Bestreben nur darauf gerichtet ist, die Demokratie zu untergraben. Insofern dürfen diese Gruppen als gemeinsame Feinde aller, die die Demokratie bejahen, bezeichnet werden.

(Zuruf von der KPD: Das müssen Sie sagen!)

Das scheint mir der springende Punkt bei diesem Gesetz zu sein. Es bringt für eines der wichtigsten demokratischen Grundrechte die abschließende Regelung. Es legt die Wahrnehmung und Ausübung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit in einem Sinne fest, der von allen Demokraten bejaht werden muß, nämlich demjenigen die Freiheit zu gewährleisten, der sie bejaht und für sie eintritt, aber nicht demjenigen, der sie benutzen will, um sie direkt oder indirekt wieder abzuschaffen. Toleranz der Toleranz, Intoleranz der Intoleranz! Das ist die Lehre, die aus den Jahren des Kampfes des Nationalsozialismus gegen die Demokratie zu ziehen ist.
Diese Konsequenzen zieht das Gesetz auf eine Weise, daß man nicht sagen kann, es hätte zuviel
Vorschriften geschaffen und es hätte Vorschriften geschaffen, die den Staat auf eine der Demokratie abträgliche Weise mit Ordnungsmaßnahmen beladen. Ich will hier nicht die Frage aufwerfen, ob das Versammlungsschutzgesetz des Innenministers Hoegner in Bayern weniger Vorschriften umfaßt und weniger einschneidende Bestimmungen. Aber dieses Gesetz des Innenministers Hoegner in Bayern wird ja wohl von der Sozialdemokratie nicht abgelehnt.
Was den zweiten Punkt der sozialdemokratischen Begründung anbelangt, so kann wohl nicht bestritten werden, daß gerade die Ausschußarbeit dazu geführt hat, die Rechte des Versammlungsleiters derart auszugestalten, daß man in Zukunft Leiter einer Versammlung sein kann, ohne eine Spezialausbildung für diesen Zweck durchlaufen zu haben. Es war ganz zweifellos der schwere Fehler des früheren Entwurfs, daß man befürchten mußte, man könnte überhaupt keine Versammlungsleiter mehr bekommen, es sei denn, man hätte sie erst einmal in einem längeren Lehrgang auf die Anforderungen des Gesetzes hin geschult. Gerade diese Gefahr ist beseitigt, und es waren auch Ihre Damen und Herren im Ausschuß, die das anerkannt haben. Die Stellung des Leiters der Versammlung ist durch dieses Gesetz jetzt derart gestärkt und er ist derart freigestellt von juristischen Voraussetzungen, mit denen er früher belastet werden sollte, daß man keinerlei Bedenken mehr zu haben braucht.
Was allerdings den § 22 anbelangt, auf den Sie im übrigen noch in Ihrer Stellungnahme besonders abgehoben haben, so haben wir vorhin ausführlich, wenn auch vor einem kleinen Zuhörerkreis darüber diskutiert, und ich glaube, gerade das, was vorhin in der Debatte von beiden Seiten geltend gemacht wurde, sollte doch zu der allgemeinen Einsicht geführt haben, daß der § 22 in der unveränderten Ausschußfassung dem Gesetz erhalten bleiben mußte.
Meine Freunde werden dem Gesetz zustimmen, weil es in einer auf verhältnismäßig wenige Bestimmungen beschränkten, knappen Fassung die Gewähr gibt, soweit das überhaupt mit gesetzlichen Mitteln zu erreichen ist, daß wir einer einwandfreien Entwicklung unseres demokratischen Versammlungslebens entgegensehen dürfen.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0126412100
Meine Damen und Herren! inzwischen ist es 16 Uhr geworden. Ich glaube, es entspricht unserer Vereinbarung, daß wir jetzt die Abstimmung über das Gesetz zur Änderung des Art. 108 des Grundgesetzes vornehmen, Ich bitte also, daß wir die allgemeine Besprechung des Versammlungsordnungsgesetzes einen Augenblick unterbrechen und zu Punkt 5 der Tagesordnung zurückkehren:
Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 (Nr. 2260 der Drucksachen).
Wir haben zunächst die Abstimmung der zweiten Beratung durchzuführen, wobei kein Zweifel darüber besteht, daß auch für die Abstimmung der zweiten Beratung die verfassungändernde Mehrheit erforderlich ist. Um festzustellen, ob die verfassungändernde Mehrheit erreicht ist, schlage ich Ihnen vor, daß ich zunächst den § 1 aufrufe, der den sachlichen Inhalt des Gesetzes darstellt, und


(Präsident Dr. Ehlers)

daß die Abstimmung im Wege des Hammelsprungs vorgenommen wird. Ich bitte die Damen und Herren, den Saal zu verlassen und im Wege des Hammelsprungs über § 1 des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes — des Art. 108 des Grundgesetzes — abzustimmen.
Ich bitte, den Saal möglichst schnell zu räumen.

(Die Abgeordneten verlassen den Saal.)

Ich bitte, mit der Auszählung zu beginnen.

(Wiedereintritt und Zählung.)

Ich bitte, die Türen zu schließen. — Die Abstimmung ist geschlossen.
Ich gebe das Ergebnis der Abstimmung bekannt. Für den § 1 des Gesetzes haben gestimmt 195 Abgeordnete, dagegen 104 Abgeordnete bei 15 Enthaltungen. Die Mehrheit, die in Art. 79 des Grundgesetzes für Gesetze vorgesehen ist, durch die das Grundgesetz geändert werden soll, ist nicht erreicht. Ich darf annehmen, daß sich damit eine Abstimmung über § 2, Einleitung und Überschrift dieses Gesetzes erübrigt. Damit entfällt die Abstimmung in der dritten Beratung des Gesetzes.

(Beifall bei der CSU, BP und einigen Abgeordneten der DP und der CDU. Vereinzelte Pfui-Rufe bei der SPD. — Unruhe.)

Meine Damen und Herren, wir kommen zu Punkt 2 der Tagesordnung zurück:

(Versammlungsordnungsgesetz Ich komme zur Abstimmung. — Meine Damen und Herren, ich bitte, wenigstens bei der Abstimmung zum Zentralismus zurückzukehren. — Ich bitte um Entschuldigung, die Rednerliste der dritten Beratung war noch nicht erschöpft. Zunächst hat noch das Wort der Abgeordnete Ewers. Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob ich mich zum Worte gemeldet hätte, wenn nicht ein Redner aus dem mir so lieben und vertrauten Lande Bayern — ausgerechnet aus Bayern — erklärt hätte, dieses Gesetz sei überflüssig. Meines Wissens hat das Land Bayern den Vorzug, den Bierseidel als Waffe erfunden zu haben. Das spielt wohl auch bei dem Versammlungsordnungsgesetz eine gewisse Rolle. Dieses Gesetz ist nicht überflüssig; sondern eine zwingende Notwendigkeit besteht zu seinem Erlaß, weil es selbstverständlich in den Versammlungen der verschiedensten Parteien und Gruppen so etwas wie eine Geschäftsordnung geben muß. Allein mit dem Hausrecht läßt sich kein demokratischer Parlamentarismus durchführen. Irgend etwas muß bestimmt sein, was der, der eine Versammlung einberuft, auch mindestens innehalten muß, damit es eine demokratische Versammlung wird. Dieses Gesetz ist also in seinem nicht-strafrechtlichen Teil nichts anderes als eine Geschäftsordnung. Wir begrüßen dieses Gesetz, weil es weitestgehend, ich möchte beinahe sagen, total des polizeilichen Charakters entkleidet ist, den die ursprüngliche Regierungsvorlage aus dem Jahre 1950 in einer Weise hatte, die geradezu peinlich berührte. Dieses Gesetz ist kein Polizeigesetz, sondern ein demokratisches Ordnungsgesetz und damit als Ergänzung des Grundgesetzes zwingend notwendig. Zur Frage des praktischen Anlasses! Auch wenn kein praktischer Anlaß gegeben wäre, wären solche Ordnungsbestimmungen zumindest dringend erwünscht. Aber zu leugnen, daß der Anlaß praktisch gegeben, ja geradezu erzwungen ist, das heißt denn doch, den sozialdemokratischen Schnabel in den Sand stecken. Unsere Partei hat nicht nur in Berlin, sondern auch in Hessen und in Nordrhein-Westfalen von sozialdemokratischer Seite gesteuerte Sprengkommandos in den Versammlungen mit dem Erfolge erlebt, daß die Versammlungen teilweise nicht stattfinden konnten. Es besteht kein Zweifel daran, daß diese Sprengungen gesteuert waren; und gar kein Zweifel kann darüber sein, daß die Unternehmer dieser Sprengveranstaltungen und die ausführenden Organe, soweit man sie fassen kann, sich eines mit Gefängnis zu bestrafenden Vergehens schuldig gemacht hätten, wenn dieses Gesetz in der heute vorliegenden Form schon damals gegolten hätte. Wir vertrauen darauf, daß schon die Existenz dieses Gesetzes genügt, der Wiederholung solcher peinlicher Vorkommnisse vorzubeugen. Wir sind mit dem Gesetz gerade — wie Herr Kollege Jaeger mit Recht sagte — wegen seiner knappen, volkstümlichen Form sehr einverstanden und bitten das Hohe Haus, der Vorlage mit möglichst großer Mehrheit zuzustimmen. Das Wort hat der Abgeordnete Fisch. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die kommunistische Fraktion lehnt das vorliegende Versammlungsordnungsgesetz ab. Dieses Gesetz ist in Wirklichkeit ein Gesetz zur Aufhebung der Versammlungsfreiheit. Seine Verabschiedung durch den Bundestag bedeutet ein weiteres Glied in der Kette von Verfassungsbrüchen, einen weiteren Schritt auf dem Wege zur Faschisierung, den das Bonner Regime ohne Rücksicht auf die demokratischen Rechte des Volkes und auf die Grundrechte der Persönlichkeit beschritten hat. Es ist kein Zufall, daß die Verabschiedung dieses Gesetzes, nachdem man sich für seine Fertigstellung drei Jahre Zeit gelassen hat, gerade im jetzigen Zeitpunkt erfolgt. Wir stehen vor Wahlen zu einem neuen Bundestag. Die Bundesregierung und die hinter ihr stehenden ausländischen Kräfte wollen um jeden Preis verhindern, daß diese Wahlen wirklich freie Wahlen werden. Sie wollen verhindern, daß im kommenden Wahlkampf das Programm der KPD zur nationalen Wiedervereinigung Deutschlands vor den Massen des Volkes propagiert wird. Sie wollen verhindern, daß das Volk verstehen lernt, daß es nur einen Weg zur Einheit, zur Unabhängigkeit und zum Frieden gibt, den Weg über den Sturz des Adenauer-Regimes und die Bildung einer Regierung der nationalen Wiedervereinigung. (Zuruf von der FDP: Ihr werdet euch täuschen!)


(Anhaltende Unruhe.)


(Heiterkeit.)

Hans Ewers (DP):
Rede ID: ID0126412200
Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0126412300
Walter Fisch (KPD):
Rede ID: ID0126412400
Aber es gibt einen weiteren Grund, weshalb gerade jetzt auf die Verabschiedung dieses faschistischen Ausnahmegesetzes gedrängt wird. Wer eine Politik der Gewalt propagiert, wer den Krieg vorbereitet und eine hemmungslose Aufrüstung betreibt,

(Zuruf von der FDP: Das machen Sie doch alles!)



(Fisch)

wer gegen den Willen des Volkes regiert, der braucht die Anwendung der Gewalt auch im Innern des Landes. Das war bei Hitler so,

(Zuruf von der FDP: Das ist in Mitteldeutschland so!)

und das ist jetzt bei Herrn Adenauer so. Eine Politik der Provokation nach außen und der Versuch, Friedhofsruhe nach innen herzustellen, das sind zwei Seiten ein und derselben Sache.
Es sind amerikanische Wünsche, die sich für eine Gleichschaltung der öffentlichen Meinung im Sinne der Verträge von Bonn und Paris aussprechen. Es sind amerikanische Wünsche, die jede Kritik an der Politik des herrschenden Regimes, gleich von wem sie erhoben werden, als kommunistisch, als staatsgefährdend, als Bedrohung der verfassungsmäßigen Ordnung unterdrücken wollen. Es sind amerikanische Wünsche, die hier in diesem Bonner Staat eine für ihre Politik verläßliche Position zu errichten streben, mit deren Hilfe es ihnen möglich sein soll, die westeuropäischen Völker, ja sogar die Regierungen Westeuropas unter Druck zu setzen. Darum soll öffentlich nur noch ausgesprochen werden, was Herr Dulles und Herr Adenauer wünschen. Darum soll das gesamte politische Leben so reglementiert werden, daß von demokratischen Rechten und Freiheiten nichts übrigbleibt.

(Abg. Dr. Hasemann: Sie sind ja geisteskrank!)

Wo haben Sie Ihre sogenannte freiheitliche Tradition gelassen, meine Damen und Herren, die Sie sich Demokraten nennen? Woher wollen Sie den Mut nehmen, noch von einer rechtsstaatlichen Ordnung zu sprechen, wenn Sie nur jenen das Recht der freien Meinungsäußerung zubilligen, die sich zur Walstreet und zu ihrem westdeutschen Adenauer-Regime bekennen? Was bleibt von Ihrer ganzen „freiheitlichen demokratischen Grundordnung" übrig, wenn die Wirklichkeit so ist, daß jede echte Opposition mit dem Polizeiknüppel niedergeschlagen wird? Woher wollen Sie den Mut nehmen, noch zu behaupten, Sie seien für die Wiederherstellung eines geeinten Deutschlands, wenn Sie all denen das Wort verbieten wollen, die für die friedliche Wiedervereinigung unseres Vaterlands eintreten, die sich für Verständigung statt Hetzpropaganda, für Verhandlungen statt Provokationen einsetzen?
Der Sprecher der sozialdemokratischen Fraktion hat erklärt, seine Fraktion werde dem Gesetz ihre Zustimmung nicht geben. Trotzdem muß man sagen, daß Vertreter der sozialdemokratischen Fraktion am Zustandekommen dieses unwürdigen Polizeigesetzes wesentlich mitgewirkt haben. Sie haben damit den Herren Lehr und Dehler eine entscheidende Hilfestellung geleistet. Sie handelten damit genau so wie manche der sozialdemokratischen Führer im Jahre 1933, die noch im Anblick der heraufsteigenden faschistischen Machtergreifung ihre Hauptkraft zur Verleumdung und zur Bekämpfung der Kommunisten einsetzten, Bekanntlich hat diese Politik der Selbstentmannung den damaligen sozialdemokratischen Führern nichts geholfen. Nach den Kommunisten wurden auch sie zu Opfern des Terrorregimes.

(Sehr gut! bei der KPD.)

Einige von Ihnen, meine Damen und Herren von der sozialdemokratischen Fraktion, wollen offensichtlich aus der Geschichte nichts lernen, weil sie sich auf Gedeih und Verderb mit der amerikanischen Politik des Adenauer-Systems verbunden
haben. Heute haben Sie erklärt, einem solchen Gesetz Ihre Zustimmung nicht geben zu wollen. Nun wollen wir hoffen, daß aus dieser Stellungnahme auch Konsequenzen gezogen werden.
Der Gang der Geschichte kann mit kleinlichen Polizeischikanen nicht aufgehalten werden.

(Sehr richtig! bei der KPD.)

Sie, meine Damen und Herren, glauben, man könnte den Willen des Volkes, die Einheit des deutschen Staates auf dem friedlichen Wege der Verständigung wiederherzustellen, beiseite schieben oder mit lächerlichen Verbotsmaßnahmen einschränken. Versprechen Sie sich wirklich einen Erfolg von solchen Methoden? Wollen Sie nicht zur Kenntnis nehmen, wie es anderen vor Ihnen erging, die es auf ähnliche Weise versuchten?

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0126412500
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Walter Fisch (KPD):
Rede ID: ID0126412600
Ich bin sofort fertig. — Wohl gelang es einem Metternich und einem Bismarck vorübergehend, mit Paragraphen und Gefängnissen den Vormarsch der freiheitlichen Ideen zu verlangsamen. Aber um so umfassender war am Ende der Triumph der Unterdrückten, der Sieg der Verleumdeten und Verfolgten, und so wird es auch diesmal sein. Das Volk wird die demokratischen Rechte, die Sie ihm zu nehmen trachten, verteidigen und sie zu wahren wissen.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0126412700
Das Wo -t hat der Herr Abgeordnete von Thadden.
von Thadden (Fraktionslos) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben bestimmt schon viele krause Reden der Vertreter der KPD hier gehört, aber selten eine wie die eben gehaltene. Das Ganze, was Herr Fisch mit so beredten Worten vortrug, war doch nichts anderes als ein Schwanengesang bzw. ein Trauergesang darüber, daß nach Erlaß dieses Gesetzes damit Schluß ist, daß die KPD, aber auch zusammen mit anderen, in Ermangelung gefüllter eigener Säle zu politisch Andersdenkenden geht, um deren Versammlungen zu sprengen.

(Abg. Renner: Sie haben doch schon einmal als Schwan abgesungen, bei Hitler!)

— Herr Renner, ich habe Ihren Zwischenruf leider nicht mitgekriegt.

(Zuruf von der Mitte: Ist auch nicht wichtig! — Abg. Renner: Sie haben doch schon einmal als Schwan abgesungen, bei Hitler! — Weiterer Zuruf von der KPD: In welcher Welt leben Sie denn!)

— Herr Renner, ich dachte, Sie haben auf eine Versammlung angespielt, die ich vor einigen Jahren einmal hatte und in der auch Ihre Freunde in sehr beträchtlicher Zahl vertreten waren, um dann eine gloriose Saalschlacht zu inszenieren.

(Abg. Renner: Ach, Sie Ärmster!)

Es ist gut, Herr Renner, daß derartigen Dingen nun mit diesem Gesetz ein Ende gemacht wird.
Wenn man diesen Ausschußbericht mit der ursprünglichen Regierungsvorlage vergleicht, kann man nur sagen, daß das Gesetz durch die Beratungen im Ausschuß ganz außerordentlich gewonnen hat. Damit ist nunmehr und für alle Zukunft gewährleistet, daß Versammlungen auch hier in Deutschland so durchgeführt werden können, wie es in anderen Ländern immer der Fall war.


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0126412800
Keine weiteren Wortmeldungen. — Ich schließe die allgemeine Aussprache der dritten Beratung. Eine Einzelberatung entfällt, da Änderungsanträge zur dritten Beratung nicht gestellt sind.
Ich komme zur Schlußabstimmung über den Entwurf eines Gesetzes über öffentliche Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsordnungsgesetz). Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Gesetzentwurf in seiner Gesamtheit in der Schlußabstimmung zuzustimmen wünschen, sich von ihren Plätzen zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? —

(Abg. Dr. Laforet: Es war nicht geläutet!)

Meine Damen und Herren, der Sitzungsvorstand
ist sich nicht völlig einig. Ich bitte, diese Abstimmung im Wege des Hammelsprungs vorzunehmen.

(Die Abgeordneten verlassen den Saal.)

Ich bitte, die Abstimmung nach Möglichkeit zu beschleunigen.
Ich bitte, mit der Auszählung zu beginnen.

(Wiedereintritt und Zählung.)

Ich bitte, die Abstimmung zu schließen. —
Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis der Abstimmung bekannt. Für den Gesetzentwurf haben in der Schlußabstimmung 174 Abgeordnete gestimmt; dagegen haben 130 Abgeordnete gestimmt; 2 Enthaltungen. Das Versammlungsgesetz ist in der Schlußabstimmung angenommen.
Zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Dr. Menzel das Wort.

Dr. Walter Menzel (SPD):
Rede ID: ID0126412900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Präsident hat die zweite Lesung des Gesetzentwurfs zur Änderung des Grundgesetzes nach der Abstimmung über § 1 als beendet angesehen. Wir haben Bedenken gegen dieses Verfahren; denn es würde bedeuten, daß bei einem verfassungändernden Gesetz in der zweiten Lesung zu jedem seiner Paragraphen — auch der Überschrift — jeweils die für ein verfassungänderndes Gesetz erforderliche Mehrheit festgestellt werden müßte. Ich bitte, daß diese Frage entweder im Ältestenrat oder im Geschäftsordnungsausschuß noch einmal nachgeprüft wird. Damit keine endgültige Festlegung geschieht, melden wir unsern Vorbehalt an.

(Abg. Dr. Wellhausen: Ich bitte ums Wort!)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0126413000
Meine Damen und Herren! Darf ich zunächst als der unmittelbar Betroffene dazu etwas sagen. Nach Art. 79 des Grundgesetzes kann das Grundgesetz durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates. Es bedarf also das Gesetz, d. h. nach meiner Auffassung die Gesamtheit des Gesetzes, einer Zweidrittelmehrheit. Die Zweidrittelmehrheit ist nicht erreicht worden. Es hätte mir geschäftsordnungsmäßig obgelegen, über sämtliche Paragraphen, Einleitung und Überschrift dieses Gesetzentwurfs einzeln abstimmen zu lassen. Ich habe mich nach der Abstimmung über § 1, in der die Zweidrittelmehrheit nicht erreicht wurde, vergewissert, daß das Haus eine Abstimmung über § 2, Einleitung und Überschrift nach diesem Ergebnis nicht mehr für sinnvoll hielt. Ich bin selbstverständlich bereit, diese Abstimmung über § 2, Einleitung und Überschrift nachzuholen, wenn das Haus das wünscht. Ich vertrete den Standpunkt, daß das Verfahren geschäftsordnungsmäßig war und daß die Bestimmung des § 84 Abs. 3 der Geschäftsordnung:
Sind in der zweiten Beratung alle Teile eines
Gesetzentwurfs abgelehnt worden, so unterbleibt jede weitere Beratung und Abstimmung,
in diesem Falle zutrifft.

(Zuruf von der FDP: „Alle Teile"! — Abg. Dr. Wellhausen: Ich bitte ums Wort! — Weitere Zurufe.)

— Herr Abgeordneter Wellhausen!

Dr. Hans Wellhausen (FDP):
Rede ID: ID0126413100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion schließt sich der Auffassung der SPD an. Sie steht auf dem Standpunkt, daß für das Zustandekommen des Gesetzes mit verfassungsmäßiger Mehrheit nur die Schlußabstimmung in der dritten Lesung maßgebend ist.

(Sehr richtig! bei der SPD.)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0126413200
Ich muß weiterhin sagen, daß dafür irgendein Anhalt weder im Grundgesetz noch in der Geschäftsordnung gegeben ist.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Schröder zur Geschäftsordnung.

Dr. Gerhard Schröder (CDU):
Rede ID: ID0126413300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte für meine Fraktion ausdrücklich erklären, daß wir der Auffassung des Herrn Präsidenten zustimmen. Wenn das Hohe Haus irgendwelche Bedenken hinsichtlich der Behandlung in der zweiten Beratung haben sollte, würde ich vorschlagen, die Abstimmung über den Rest sofort vorzunehmen. Wir möchten keineswegs aus dieser Sache eine unglückselige Verschleppung werden lassen. Wir sind hier alle zusammen und sind durchaus in der Lage, dann die Sache gleich definitiv zu Ende zu bringen.

(Beifall in der Mitte.)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0126413400
Meine Damen und Herren! Ich habe mich vorhin vergewissert, daß das Haus mit dem Verfahren, über § 2, Einleitung und Überschrift nicht abzustimmen, einverstanden war. Es hat sich inzwischen herausgestellt, das nach Prüfung das Haus diese Auffassung nicht insgesamt vertritt. Ich muß Ihnen daher vorschlagen, zu dem Punkt 5 der Tagesordnung zurückzukehren:
Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 (Nr. 2260 der Drucksachen);
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen (11. Ausschuß) (Nrn. 4300, zu 4300 der Drucksachen).
Wir setzen die Abstimmung der zweiten Beratung fort. Ich rufe zur Abstimmung auf § 2, — Einleitung und Überschrift und bitte Sie, eine Abstimmung darüber vorzunehmen.

(Zurufe von der FDP und der SPD. — Abg. Dr. Arndt: Zur Geschäftsordnung!)

— Zur Geschäftsordnung? Ich stelle anheim, nicht
eine lange Geschäftsordnungsdebatte zu führen. Es
gibt nur die Möglichkeit, daß wir die Abstimmung


(Präsident Dr. Ehlers)

so, wie es in der Geschäftsordnung vorgesehen ist, formell durchführen.

(Abg. Dr. Wellhausen: Wir beantragen namentliche Abstimmung! — Zurufe von der SPD. — Große Unruhe.)

— Für die Abstimmung über § 2, Einleitung und Überschrift wird von der FDP namentliche Abstimmung beantragt.

(Zurufe: Unterstützung?)

— Von der FDP; der Antrag ist hinreichend unterstützt.

(Abg. Dr. Schröder [Düsseldorf]: Ich bezweifle, daß das ausreichend unterstützt ist, wenn nur die FDP es beantragt! Das sind 49 Abgeordnete!)

Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Arndt!

Dr. Adolf Arndt (SPD):
Rede ID: ID0126413500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn in einem gesetzgeberischen Verfahren grundsätzliche Zweifel auftauchen, so ist nach unserer Geschäftsordnung diese grundsätzliche Frage zunächst vom Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität zu beraten.

(Widerspruch in der Mitte.)

Das scheint uns erforderlich; denn wir sind der
Auffassung, daß diese Frage nicht so einfach liegt,

(Zuruf von der Mitte: Sehr einfach!)

wie hier zunächst angenommen worden ist.
Das Prinzip, jede einzelne Abstimmung müßte mit Zweidrittelmehrheit durchgeführt werden, läßt sich ja in der Praxis gar nicht durchführen. Nehmen Sie an, es wird ein Antrag gestellt, eine Bestimmung zu streichen, oder es stehen sich zwei Anträge gegenüber, ein Ausschußantrag und ein Änderungsantrag. Wenn alle diese Anträge, um angenommen zu werden oder um nicht abgelehnt zu sein, eine Zweidrittelmehrheit haben müßten, käme letzten Endes gar nichts heraus.

(Zustimmung bei der FDP.)

Es ist nicht möglich, das Verfahren so durchzuführen, daß jeder einzelne Paragraph bei der Einzelabstimmung eine Zweidrittelmehrheit haben muß,

(Sehr richtig! bei der FDP)

sondern dieses Erfordernis besteht nur für die Schlußabstimmung.

(Lebhafte Zustimmung bei der FDP.)

Sie können sich z. B. — wir kommen vielleicht einmal in einem späteren Bundestag in diese Lage — vorstellen, daß in ein Ergänzungsgesetz zum Grundgesetz in einer komplizierten Frage 15 oder 16 Bestimmungen aufzunehmen sind. Die Weimarer Verfassung hatte bekanntlich 17 Bestimmungen zur Wehrfrage. Dann ist es durchaus nicht gesagt, daß, wenn zwei oder drei dieser Bestimmungen in der Einzelabstimmung nur die einfache Mehrheit bekommen haben, über sie in der Schlußabstimmung nicht mit abzustimmen ist und daß sie dann vielleicht in der Schlußabstimmung en bloc nicht auch die Zweidrittelmehrheit mit finden.
Also die Frage ist mindestens sehr viel schwieriger, als sie hier im Augenblick erschienen ist. Sie bedarf daher der Prüfung, und wir sind durchaus der Auffassung, daß es angesichts der Ungeklärtheit dieser schwierigen Rechtsfrage und dieses Präzedenzfalls für alle künftigen Grundgesetzänderungen nicht zweckmäßig ist, die Abstimmung zu überstürzen.
Die SPD-Fraktion ist daher mit einer Aussetzung der Behandlung dieses Gesetzes einverstanden, und ich stelle hiermit ausdrücklich zur Geschäftsordnung den Antrag, die Beratung abzubrechen und auszusetzen.

(Abg. Dr. Schröder [Düsseldorf]: Wir waren bereits in der Abstimmung!)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0126413600
Meine Damen und Herren, ich war in die Abstimmung eingetreten. Es war namentliche Abstimmung beantragt.
Ich stehe durchaus auf dem Standpunkt, daß es sich bei der Klärung der Frage, ob alle Paragraphen eines verfassungändernden Gesetzes der verfassungändernden Mehrheit bedürfen, um eine grundsätzliche, über den Einzelfall hinausgehende Auslegung einer Vorschrift der Geschäftsordnung handelt, und habe gar keine Bedenken, daß der Bundestag — das ist nach § 129 der Geschäftsordnung vorgesehen — diese Frage nach Prüfung durch den Geschäftsordnungsausschuß entscheidet. Aber ich sehe mich nicht imstande, eine in Gang befindliche Abstimmung abzubrechen. Denn es müssen ja die Voraussetzungen für die Prüfung, ob die dritte Beratung stattfinden muß oder nicht, erst dadurch geschaffen werden, daß festgestellt wird, ob diese verfassungändernde Mehrheit, wenn sie erforderlich ist, für alle Teile des Gesetzes erreicht ist.

(Abg. Dr. Laforet: Jawohl!)

Darum präjudiziert die Abstimmung über § 2, Einleitung und Überschrift nichts. Die Frage, ob die dritte Beratung stattzufinden hat, kann später geklärt werden. Ich würde mich persönlich auf den Standpunkt stellen, Herr Abgeordneter Arndt, daß, wenn in der zweiten Beratung die verfassungändernde Mehrheit bei keinem Paragraphen erreicht ist, sich eine dritte Beratung erübrigt. Diese Frage kann aber vom Geschäftsordnungsausschuß und vom Bundestag nachträglich entschieden werden. Wir sind uns im Ergebnis also einig.
Ich glaube, Herr Kollege Schröder, Ihre Anzweifelung bedarf keiner Erörterung, da der Antrag für eine Fraktion gestellt ist, die über 50 Mitglieder hat.

(Abg. Dr. Schröder [Düsseldorf] : 49! — — Wird unterstützt. Also würden wir über § 2, Einleitung und Überschrift des Gesetzes betreffend Art. 108 des Grundgesetzes im Wege der namentlichen Abstimmung abstimmen. Ich bitte die Schriftführer, die Stimmkarten einzusammeln. Meine Damen und Herren, sind noch Abgeordnete vorhanden, die ihre Stimme abzugeben wünschen? — Ich bitte, mit der Auszählung zu beginnen. Ich schließe die Abstimmung, wenn sämtliche Abgeordneten ihre Stimme abgegeben haben. Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen vor, daß wir in der Erledigung der Tagesordnung fortfahren. Nach den getroffenen Vereinbarungen rufe ich zunächst Punkt 6 der Tagesordnung auf: Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion des Zentrums eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Entschädigung von Verlusten der Altsparer Schriftlicher Bericht des Ausschusses für den Lastenausgleich zu 4282 der Drucksachen; Umdrucke Nrn. 903, 905, 906)


(Zuruf vor der SPD: Wird unterstützt!)


(Einsammeln der Stimmkarten.)


(Präsident Dr. Ehlers)


(Erste Beratung: 120. Sitzung.)

Es liegt Ihnen vor der Schriftliche Bericht der Herren Abgeordneten Dr. Atzenroth und Wackerzapp. Darf ich unterstellen, daß eine mündliche Berichterstattung nicht erfolgt?

(Zuruf.)

— Dann erteile ich Herrn Abgeordneten Dr. Atzenroth das Wort. Meine Damen und Herren, ich bitte aber dann grundsätzlich, die mündliche Berichterstattung auf die Ergänzung zu beschränken.

Dr. Karl Atzenroth (FDP):
Rede ID: ID0126413700
Meine Damen und Herren! Die außerordentliche Bedeutung des Ihnen in der Drucksache Nr. 4282 vorliegenden Gesetzes über die Entschädigung von Verlusten der Altsparer ergibt sich daraus, daß etwa 30 Millionen Konten in Frage kommen und daß fast 20 Millionen Menschen irgendwie von diesem Gesetz betroffen werden. In dem Schriftlichen Bericht*) habe ich versucht, eine eingehende Begründung zu den Vorschlägen zu geben, die der Ausschuß fast immer einstimmig gemacht hat. Da Ihnen dieser Bericht aber erst heute morgen, also sehr verspätet, vorgelegt werden konnte, muß ich einige Fragen dieses Gesetzes noch einmal erläutern.

(Vizepräsident Dr. Schäfer übernimmt den Vorsitz.)

Den ersten Anstoß bildete die Bestimmung in den Umstellungsgesetzen, daß für die durch die Geldreform entstehenden Verluste eine Entschädigung zu gewähren ist. Die Regierungserklärung im Jahre 1949 übernahm diese Verpflichtung, und schließlich lagen dem Ausschuß für den Lastenausgleich die beiden Initiativanträge der Bayernpartei Drucksache Nr. 84 vom 7. Oktober 1949 und des Zentrums Drucksache Nr. 1784 vom 2. Januar 1951 vor.
Der Ausschuß für den Lastenausgleich beschäftigte sich mit dem Problem und entschied sich dafür, die Entschädigung der Währungsverluste zunächst zurückzustellen, um die Fertigstellung des eigentlichen Lastenausgleichsgesetzes nicht zu verzögern. Er begnügte sich damit, in den § 365 des Gesetzes die Bestimmung aufzunehmen, daß Mittel aus dem Lastenausgleichsfonds für eine Entschädigung von Altsparerverlusten bereitgestellt werden sollten.
Nach der Verabschiedung des Lastenausgleichsgesetzes konnte dann der besonders eingesetzte Unterausschuß seine Arbeit aufnehmen. Er hat in 18 Sitzungen bis Ende März den vorliegenden Entwurf erarbeitet. Zunächst mußten die Grundsatzfragen entschieden werden. Nur um eine Altsparerentschädigung sollte es sich handeln, nicht um eine Änderung der Währungsreform, aber auch nicht um eine Entschädigung für Sparerverluste oder für Verluste an Girokonten. Darüber bestand Einigkeit. Das sogenannte Kopfquotenunrecht konnte hier auf diesem Teilgebiet nicht behandelt werden. Ferner sollten durch dieses Gesetz nur solche Altspareranlagen berücksichtigt werden, bei denen aus den Schuldverhältnissen irgendwie Leistungen in den Ausgleichsfonds — in erster Linie durch die Währungsgewinnabgabe — fließen.
*) Siehe Anlage 3 Seite 12961
Wegen der Anleihen der öffentlichen Hand war sich der Ausschuß darüber klar, daß hier die Mittel für eine Entschädigung aus einer anderen Quelle genommen werden müßten. Der Herr Bundesfinanzminister hat vor dem Unterausschuß die Erklärung abgegeben, daß er eine entsprechende Gesetzesvorlage einbringen werde. Dabei waren sich die Ausschußmitglieder darüber einig, daß die Regelung auch für diesen anderen Sparerkreis ähnlich gestaltet werden müsse wie für die vom Altsparergesetz Betroffenen.
Es blieben die in der Gesetzesvorlage enthaltenen 6 Gruppen von Sparanlagen übrig. Ich möchte zu den Spareinlagen noch darauf hinweisen, daß dem Ausschuß mindestens noch ein Fall vorgetragen worden ist, in dem gewisse Geldanlagen tatsächlich den Charakter einer Sparanlage zu haben scheinen. Wir mußten uns aber an den § 22 des Gesetzes über das Kreditwesen halten, um zu vermeiden, daß immer neue Berufungen auf andere Fälle an uns herangetragen werden.
Ein Übergang von einer Sparanlage in eine andere während der Karenzzeit soll die Entschädigung nicht ausschließen. Da diese Materie aber zu kompliziert ist, glaubte der Ausschuß, die Festlegung von Einzelheiten einer von der Bundesregierung zu erlassenden Rechtsverordnung übertragen zu sollen.
Der Ausschuß hat die Vertreter der verschiedenen Verbände mehrfach und eingehend gehört. Von diesen Organisationen waren verschiedene Vorschläge gemacht worden. Zunächst einmal wurde gefordert, daß die verschiedenen Anlagearten verschieden behandelt werden sollten, je nach dem Grade der angeblichen Sicherheit, die der Anlage zugrunde gelegen hat. Das wurde vom Ausschuß abgelehnt.

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126413800
Darf ich einen Augenblick unterbrechen. Ich möchte die formelle Feststellung treffen, daß die soeben abgehaltene namentliche Abstimmung über § 2 sowie Einleitung und Überschrift des Gesetzentwurfs zur Änderung des Grundgesetzes nun beendet ist. Die Abstimmung war noch nicht als beendet erklärt worden.
Ich bitte, in Ihrer Berichterstattung fortzufahren.

Dr. Karl Atzenroth (FDP):
Rede ID: ID0126413900
Man entschloß sich vielmehr zu einer gleichmäßigen Behandlung aller Sparanlagen. In einem späteren Stadium der Verhandlungen wurde allerdings eine Ausnahme zugunsten der Spareinlagen gemacht, nämlich die Entschädigung in Höhe von 13,5 % statt 10 %. Es ist merkwürdig, daß gerade diese Gruppe, die somit am besten weggekommen ist, jetzt als einzige ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck bringt.
Ein weiterer Vorschlag der Pfandbriefanstalten, die Entschädigung — man nannte es fälschlicherweise Aufwertung — am Stück vorzunehmen, also nicht an den Besitz am Währungsstichtag zu binden, mußte ebenfalls abgelehnt werden.
So ist dann eine generelle Entschädigung von 10% beschlossen worden mit Ausnahme der Spareinlagen, bei denen der Satz 13,5 % beträgt, und mit Ausnahme von Berlin, wo ja zunächst nur eine Aufwertung von 5 % vorgenommen wurde. Hier ist ein Entschädigungssatz von 15 % beschlossen worden. In allen Fällen sollen also Aufwertung plus Entschädigung 20 % des Reichsmarkbetrages ausmachen.


(Dr. Atzenroth)

Aus dem Charakter der Sparanlage ergab sich der Beschluß, die juristischen Personen nicht mit einzubeziehen. Da die Mittel in den Lastenausgleichsfonds nur in sehr langen Zeiträumen fließen, mußte eine entsprechende Bestimmung für die Auszahlung der Entschädigungsgutschriften vorgesehen werden. Dabei sollen in erster Linie die alten Menschen berücksichtigt werden. Außerdem hofft der Ausschuß, daß die Kreditinstitute ihre Zusagen recht bald realisieren werden und im Rahmen der verfügbaren Mittel eine Vorfinanzierung vornehmen.
Eine sehr wichtige Frage war die des Verfahrens. Bei einer Millionenzahl von zu bearbeitenden Fällen hätte ein riesiger Verwaltungsapparat aufgezogen werden müssen, wenn man eine behördliche Regelung gewählt hätte. Der Ausschuß entschloß sich, die Institute einzuschalten, bei denen die Unterlagen zum größten Teil vorhanden sind. Er hofft, damit ein verhältnismäßig einfaches Verfahren gefunden zu haben. Die Kreditinstitute sollen auf Grund ihrer Akten die Entschädigungsgutschriften errechnen, feststellen und den Sparer davon in Kenntnis setzen. Es wird angenommen, daß auf diese Weise etwa 80 % aller Fälle ihre Regelung finden, ohne daß der Sparer einen Antrag zu stellen oder Formulare auszufüllen braucht. Für die verbleibenden Fälle, in denen einzelne Sparer Ansprüche erhoben haben, aber nicht zum Zuge gekommen sind, wird nach Abwicklung der ersten Feststellung eine genügende Frist zur Einreichung begründeter Anträge gegeben werden. Es liegt also im Interesse einer schnellen und glatten Abwicklung, wenn ich hier in aller Öffentlichkeit die Bitte ausspreche, man möge in den nächsten Monaten von Rückfragen bei den Instituten Abstand nehmen. Die Frist für die Einreichung von Anträgen wird rechtzeitig und allgemein bekanntgemacht werden.
Der beschrittene Weg erfordert ein Minimum an Kosten. Die behördlichen Stellen werden nur bei Streitfällen eingeschaltet.
Der Dritte und der Vierte Abschnitt des Gesetzes enthalten die weiteren technischen Vorschriften. Ich verweise dazu auf meinen Schriftlichen Bericht.
Ich darf noch eine Bemerkung machen. Die Einbeziehung von Berlin bereitete besondere Schwierigkeiten, da dort zum Teil andere Verhältnisse in bezug auf die Termine und die Höhe der Umstellung bestehen. Die Einzelheiten sind im Schriftlichen Bericht erläutert.
Schließlich möchte ich noch auf § 4 hinweisen, in dem eine besondere gesetzliche Regelung für die Personen getroffen ist, die ihren ständigen Aufenthalt nicht im Geltungsbereich des Gesetzes haben.
Ich wiederhole, daß die Beschlüsse in den Ausschüssen fast immer einstimmig gefaßt worden sind, und bitte daher das Hohe Haus, auch seinerseits dem Gesetzentwurf zuzustimmen.

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126414000
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Das Wort zur weiteren Berichterstattung hat der Abgeordnete Wackerzapp.

Oskar Wackerzapp (CDU):
Rede ID: ID0126414100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe Ihnen einen ergänzenden Bericht, und zwar über den Fünften Abschnitt des Altsparergesetzes zu erstatten, der betitelt ist: Änderung von Lastenausgleichsgesetzen. Hierbei geht es um das Problem, inwieweit die Vergünstigungen, die das Altsparergesetz den heimischen Sparern eröffnet, auch den Vertriebenen für ihre verlorenen Altsparanlagen zugute kommen können. Die rechtliche Situation ist hier unterschiedlich; denn die Verluste der Heimatvertriebenen an ihren Sparanlagen sind ja nicht durch die Währungsreform, sondern durch die Gewaltmaßnahmen der Besatzungsmächte verursacht worden und finden ihre Abgeltung in dem System und nach den Methoden und in dem Umfang, wie sie das Lastenausgleichsgesetz bestimmt.
Trotzdem mußte versucht werden, die Vergünstigungen des Altsparergesetzes, soweit als möglich, auch den Vertriebenen zukommen zu lassen. Dazu bot sich als Anhaltspunkt das Gesetz über den Währungsausgleich für die Sparguthaben Vertriebener, das im vorigen Jahre angenommen wurde. In diesem Gesetz ist der Entschädigungssatz auf 6,5 % festgestellt worden, um die heimatvertriebenen Sparer den Einheimischen wirtschaftlich gleichzustellen. Dieser sechsprozentige Entschädigungssatz soll bei „Altsparguthaben" nunmehr auf 20 % angehoben werden, so daß die vertriebenen Sparer im Effekt den einheimischen gleichkommen werden. Bei dieser Gelegenheit ist eine weitere Vorschrift des Währungsausgleichsgesetzes für Vertriebene zu ihren Gunsten geändert worden, indem nämlich die Grenze, von der ab eine Entschädigung verlangt werden kann und die bisher auf 50 RM festgesetzt war, nunmehr auf 20 RM heruntergesetzt wird. so daß auch noch nachträglich für diese Kleinstsparkonten eine Entschädigung beantragt werden kann.
Nun erhebt sich die Frage: Wie soll aber der Vertriebene den Charakter des Altsparguthabens nachweisen? Wie soll er, der vielfach alle Unterlagen verloren hat, beweisen können, daß sein Sparguthaben bereits am 1. Januar 1940 bestanden hat? Kann er es, so ist es gut. Kann er es nicht, so tritt zu seinen Gunsten eine gesetzliche Vermutung ein, daß nämlich 20 % des am Vertreibungstage ihm zustehenden Reichsmarkguthabens als Altsparerguthaben fingiert werden, und darauf bezieht sich dann die 13,5%ige Aufwertung.
Nun entstand ein weiteres Problem insofern, als die Aufwertung der übrigen Formen von Altsparanlagen bei den Vertriebenen nicht unmittelbar in derselben Weise vollzogen werden konnte, wie dies zugunsten der heimischen Altsparanlagen vorgesehen ist. So kommt es, daß z. B. die Sparanlagen, die die Heimatvertriebenen in schlesischen oder ostpreußischen Pfandbriefen oder in dort belegenen Privathypotheken oder Industrieobligationen getätigt hatten, nur indirekt zum Zuge kommen. Während nämlich bisher diese verlorenen Sparanlagen der Vertriebenen bei der Feststellung ihrer Schäden nur mit 10 % ihres Nennwertes eingesetzt werden durften, können sie nunmehr mit 20 % eingesetzt werden, wenn es sich um Altsparanlagen handelt. Wegen der Einzelheiten bitte ich, auf meinen Bericht verweisen zu dürfen. Es muß festgestellt werden — das ist auch im Ausschuß betont worden —, daß hier zuungunsten der Vertriebenen eine Härte vorliegt, und man sollte sich bemühen, sie irgendwie auszugleichen.
Der Ausschuß hat sich dann noch mit einer sehr schwierigen Frage befaßt, ob nämlich die Art und Weise, wie die zusätzliche Altsparerentschädigung vorgenommen worden ist, dem tragenden Grund-


(Wackerzapp)

gedanken des Lastenausgleichs entspricht oder nicht. Diese Erwägung war deswegen von besonderem Belang, weil ja die Finanzierung der Altspareraufwertung aus den Mitteln des Lastenausgleichsstocks zu erfolgen hat.
Nach eingehender Prüfung ist der Ausschuß zu dem Ihnen vorliegenden Ergebnis gekommen —ich bitte, die Einzelheiten eventuell im Bericht nachzulesen*) —, und zwar trotz mancher Bedenken, die insbesondere daher resultieren, daß das Grundprinzip des Lastenausgleichs — daß nur derjenige überhaupt einen Entschädigungsanspruch haben soll, der mehr als die Hälfte seines Vorkriegsvermögens verloren hat — hier bei der Altspareraufwertung nicht zur Geltung kommen kann. Das erklärt sich überwiegend aus technischen Gründen. Es ist schon gesagt worden, daß das Altsparerproblem ein Massenproblem ist, daß es 25 Millionen Menschen ergreift und daß es infolgedessen verwaltungsmäßig unmöglich wäre, hier diese subtilen Untersuchungen anzustellen, die ich eben angedeutet und in meinem Schriftlichen Bericht näher ausgeführt habe.
Es bleibt nur übrig, Ihnen noch darüber Rechenschaft zu geben, ob die Mittel, die der Lastenausgleichsfonds für die Altspareraufwertung zur Verfügung stellt, im richtigen Verhältnis stehen zu den übrigen Aufgaben, die der Lastenausgleichsfonds zu leisten hat, insbesondere zugunsten der Vertriebenen und der Kriegssachgeschädigten. Die Altspareraufwertung wird summa summarum etwas über fünf Milliarden DM im Laufe der Jahre in Anspruch nehmen. Für die gesamte Laufzeit des Lastenausgleichsgesetzes erwarten wir an Einnahmen in den Lastenausgleichsstock etwa 60 Milliarden. Es werden also nicht ganz 10 % des Aufkommens für den Zweck der Altspareraufwertung verwendet, und wir sind der Meinung, daß dieser Betrag für diesen Zweck, der einer so großen Zahl von Volksgenossen zugute kommt, verantwortet werden kann.
Der Ausschuß empfiehlt Ihnen daher, auch dem Fünften Abschnitt des Altsparergesetzes in der vom Ausschuß vorgelegten Form zuzustimmen.

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126414200
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Wir treten in die zweite Beratung ein. Ich werde etwas summarisch die Paragraphen aufrufen, damit wir mit der Abstimmung schneller vorankommen, weil hier bisher keinerlei Änderungsanträge eingegangen sind. Ich rufe auf §§ 1 bis 11 und bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe auf §§ 12 bis 23 und bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Zweifellos die Mehrheit; angenommen.
Ich rufe auf §§ 24 bis 33, Einleitung und Überschrift und bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Damit ist die zweite Beratung beendet. Ich rufe auf zur
dritten Beratung
und eröffne die allgemeine Aussprache im Rahmen *) Siehe Anlage 3 Seite 12971.
einer Redezeit von 40 Minuten. Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Bleiß.

(Abg. Kunze: Ich hatte mich eher gemeldet!)

— Entschuldigen Sie, das ist hier von dem Herrn Schriftführer nicht verzeichnet worden.
Darf ich einen Augenblick unterbrechen, meine Damen und Herren. Ich habe noch das vorläufige Ergebnis*) der namentlichen Abstimmung von vorhin über § 2, Einleitung und Überschrift des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekanntzugeben. Mit Ja haben gestimmt 183 Abgeordnete, mit Nein 120, der Stimme enthalten haben sich 16 Abgeordnete.
Von den Berliner Abgeordneten haben gestimmt mit Ja 12, mit Nein 2, enthalten 1.
Damit hat also der Gesetzentwurf in der zweiten Beratung die notwendige verfassungändernde Mehrheit nicht bekommen.
Ich bitte Sie, jetzt das Wort zu nehmen.

Dr. Paul Bleiß (SPD):
Rede ID: ID0126414300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Entwurf eines Gesetzes über die Regelung von Härten der Währungsreform entspricht nicht ganz unseren Vorstellungen von einer gerechten Verteilung der Lasten des verlorenen Krieges. Er entspricht nicht unseren Vorstellungen, weil auch durch dieses Gesetz die unterschiedliche Behandlung von Geldvermögen und von Sachbesitz nicht beseitigt wird. Viele berechtigte Wünsche und Hoffnungen von Millionen von Kleinsparern bleiben weiterhin unerfüllt.
Aber wir wissen auch, daß dieser Übelstand nicht in dem vorliegenden Altsparergesetz zu suchen, sondern in der Unzulänglichkeit des Lastenausgleichsgesetzes begründet ist. Infolge dieser Unzulänglichkeit der gesamten Lastenausgleichsgesetzgebung stehen für die Entschädigungszahlungen im Altsparerverfahren nur etwa 3 Milliarden DM zur Verfügung. Hieraus ergibt sich, wenn man die Altsparkonten, bezogen auf den 1. Januar 1940, mit 31 Milliarden Reichsmark annimmt, im Durchschnitt nur eine Quote von etwa 10 %. Das ist der enge, der viel zu enge Rahmen, in den sich die Altsparerregelung einpassen muß. In diesem Rahmen nun waren die Ansprüche aufeinander abzustellen und einander anzugleichen. Das ist geschehen nach dem Grundsatz der Gleichheit der Behandlung aller Altspareranlagen. Auf den 1. Januar 1940 bezogen, beträgt für alle Sparanlagen die Entschädigung einschließlich des Umstellungsbetrages 20 v. H.
Wichtiger aber war für uns die Frage, wann gezahlt wird, in welchem Zeitpunkt die geschrumpften Sparkonten fällig werden. Hier befriedigt uns die Lösung des Altsparergesetzes keineswegs. Denn wie auch der Herr Berichterstatter schon erwähnte, sollen nach dem Gesetzentwurf die Entschädigungsguthaben zunächst blockiert und in einem Zeitraum von 20 Jahren allmählich freigegeben werden.
Wenn dieser Tatbestand unverändert bestehen geblieben wäre, hätten wir das Gesetz ablehnen müssen. Wenn wir jetzt trotzdem zustimmen, dann aus dem Grunde, daß die Sparkassenverbände sich ausdrücklich bereiterklärt haben, in Fällen der Bedürftigkeit die Guthaben vorzeitig freizustellen,
*) Vgl das endgültige Ergebnis Seite 12978.


(Dr. Bleiß)

so daß sich besonders für die älteren Sparer die Möglichkeit ergeben wird, über ihre Guthaben zu verfügen. Wir erwarten, meine Damen und Herren —das möchte ich auch an dieser Stelle noch einmal besonders betonen —, daß die Sparkassenverbände auch künftig zu ihren vor dem Altsparerausschuß abgegebenen Erklärungen stehen und daß sie die Blockierung der Konten so bald wie möglich aufheben. Wir erwarten darüber hinaus von der Bundesregierung, daß auch sie alles tut, um die Freigabe der Guthaben zu beschleunigen.
Von besonderer Bedeutung war für uns die Behandlung der kleinen Altsparkonten mit Beträgen zwischen 20 und 50 RM. Ursprünglich sollten, wie es in der Berichterstattung angeklungen ist, sämtliche Sparanlagen unter 50 RM unberücksichtigt bleiben. Wir waren der Meinung, daß es noch Hunderttausende von Menschen gibt, für die kleine Aufwertungsbeträge von 5 bis 10 DM erhebliche Geldbeträge bedeuten und erheblich zur Erleichterung ihrer finanziellen Situation beitragen. Diesen Menschen wollten wir auch mit dem vorliegenden Gesetzentwurf helfen. Wir können mit Befriedigung feststellen, daß die von uns gewünschte Regelung in das Gesetz aufgenommen worden ist.
Als letztes schließlich haben wir uns in den Ausschußverhandlungen für die Förderung des Kommunalkredits eingesetzt. Wir haben verlangt, daß den Kommunalpapieren die gleiche Behandlung wie anderen hypothekarisch gesicherten Wertpapieren zuteil wird. Hinsichtlich der Kommunalobligationen ist die Gleichstellung in dem voliegenden Gesetzentwurf erfolgt. Soweit es sich um die Stadtanleihen handelt, soll deren gleichartige Behandlung durch die Annahme der dem Hohen Hause vorliegenden interfraktionellen Entschließung sichergestellt werden.
Damit waren praktisch vier Voraussetzungen, von denen wir die Annahme des Gesetzes abhängig gemacht haben, erfüllt. Wir stimmen dem Gesetz trotz seines — und das möchte ich hier offen erklären — im großen und ganzen unbefriedigenden Inhalts zu, weil wir glauben, daß das einer Millionenzahl von Sparern zugefügte bittere Unrecht mit diesem Gesetz teilweise und etwas gemildert wird.
Ich möchte Ihnen aber nicht verhehlen, daß innerhalb meiner Fraktion erhebliche Bedenken dagegen geltend gemacht worden sind, daß in dem vorliegenden Gesetz denjenigen Sparern, die nach dem 1. Januar 1940 gespart haben, keine Entschädigung gewährt werden soll. Diese Menschen haben unter erschwerenden Umständen Einschränkungen auf sich genommen und Geld zurückgelegt, um für Notfälle vorzusorgen.
Meine Freunde sind daher der Meinung, daß dieses Problem unbedingt im Zusammenhang mit dem von der Bundesregierung vorbereiteten Gesetz über die Aufwertung öffentlicher Anleihen gelöst werden muß. Soweit sich in einem solchen neuen Entwurf Verbesserungen hinsichtlich der Fälligkeit und der Höhe der Entschädigung ergeben, müssen diese automatisch für die Geldsparer zur Anwendung kommen, denn wir wollen auf alle Fälle verhüten, daß der Geldsparer schlechter gestellt wird als der Besitzer von Reichs- und Staatsanleihen.
Zur Bekräftigung dieser Forderung haben wir dem Hohen Hause eine Entschließung vorgelegt, die folgenden Wortlaut hat:
Da das Altsparergesetz nur eine Entschädigung solcher Sparanlagen vorsieht, die am 1. Januar 1940 bestanden haben, ergeben sich besondere Härten für alle Sparer, die bis zur Währungsreform bewußten Konsumverzicht geleistet haben, um für Notfälle vorzusorgen. Die Bundesregierung wird deshalb ersucht, die bestehenden Härten im Rahmen des in Vorbereitung befindlichen Gesetzes über die Aufwertung öffentlicher Anleihen zu berücksichtigen.
Im Auftrage meiner Freunde bitte ich Sie, dieser Entschließung Ihre Zustimmung zu geben.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126414400
Herr Abgeordneter Kunze!

Johannes Kunze (CDU):
Rede ID: ID0126414500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der fünften Sitzung des Deutschen Bundestags am 20. September 1949 hat der Herr Bundeskanzler in der Regierungserklärung im Zusammenhang mit dem Wiederaufbau unserer Wirtschaft von der Notwendigkeit einer verstärkten Kapitalbildung gesprochen und dabei die Wiedergewinnung des Vertrauens der Sparer als einen wichtigen Programmpunkt und als eine Aufgabe der Bundesregierung und dieses Hohen Hauses erwähnt. Infolgedessen legen wir jetzt in Erfüllung der Zusage der Bundesregierung dem Hause mit Drucksache Nr. 4282 das Gesetz über die Altsparerregelung vor. Wir sind uns — da stimme ich dem Kollegen Bleiß völlig zu — alle miteinander bewußt gewesen, daß es in einem solchen Gesetz unmöglich ist, Härten zu vermeiden, alles sofort richtig und ausreichend zu lösen. Wir haben in der Verantwortung, die wir miteinander tragen, bewußt die Ihnen heute vorgelegte Fassung auf Grund des einstimmigen Beschlusses des Ausschusses erarbeitet.
Herr Kollege Bleiß hat das in der Entschließung der sozialdemokratischen Fraktion behandelte Problem des Sparens durch Konsumverzicht nach dem 1. Januar 1940 angesprochen. Wir haben uns gerade unter seiner Führung in den Ausschußberatungen Klarheit darüber verschafft, daß wir nicht in der Lage sind, das Problem in diesem Gesetz zu lösen. Es hätten sich zu viel Ungerechtigkeiten ergeben, wenn man den in der Masse als einfache Soldaten draußen kämpfenden Leuten, die keine Möglichkeit hatten zu sparen, keinen Anspruch gegeben hätte und wenn man denjenigen, die in der Heimat bleiben und arbeiten konnten und die genau so wie alle anderen, die nicht sparen konnten, de facto zum Konsumverzicht gezwungen waren, etwas gegeben hätte. Ich stimme aber dem Herrn Kollegen Bleiß durchaus zu, daß das eine offene Frage ist, die wir zu gegebener Stunde in aller Ruhe miteinander werden beraten können und beraten müssen.
Ich mache weiter darauf aufmerksam, daß es hier ebenso wie beim Lastenausgleichsgesetz unmöglich ist, bereits eine Lex perfecta vorzulegen. Wir werden zweifelsohne, wenn wir an die Durchführung dieses Gesetzes — für 20 bis 25 Millionen Menschen — herankommen, noch eine Reihe von Härten finden. Wir wissen jetzt schon, daß hier und da Härten vorhanden sind. Ich darf nur folgendes Beispiel nennen. Wir haben in verschiedenen Gegenden Oldenburgs die Einrichtung gehabt, daß Geldinstitute Depositeneinlagen entgegengenommen und Depositenbücher ausgestellt haben. Wir haben die Frage der Berücksichtigung solcher De-


(Kunze)

positeneinlagen eingehend geprüft. Wir sind aber zu dem Ergebnis gekommen, daß man aus zwingenden Gründen des Gesetzes davon ausgehen muß, ob die Geldeinlagen formell den Charakter von Spareinlagen haben. Wir würden nämlich, wenn wir einer solchen Forderung nachgegeben hätten, sofort vor einer uferlosen Zahl ähnlicher oder Bleichgelagerter Fälle gestanden haben. Wir wären dann auf die Ebene der Prüfung der Depositen gekommen und hätten mit Sicherheit nicht an irgendeinem Punkt haltmachen können. Zum Schluß wären wir zu den gesamten Giralgeldern von 126 Milliarden Mark, die bei der Währungsreform sichtbar wurden, gekommen. So hätten sich Unmöglichkeiten ergeben. Infolgedessen haben wir uns gemeinsam und, ich betone, in wirklich echter gemeinsamer Verantwortung für eine tragbare, auch finanziell tragbare Lösung dieser Frage entschlossen und Ihnen diesen Gesetzentwurf vorgelegt.
Lassen Sie mich persönlich noch kurz folgendes sagen, während mein Kollege Wackerzapp noch einige Spezialprobleme ansprechen wird. Wir sind davon ausgegangen, daß es sich um ein Gesetz im Rahmen des Lastenausgleichs handelt. Das ging nach der Konzeption des Lastenausgleichs nur so, daß wir gemäß § 365 des Lastenausgleichsgesetzes, der uns verpflichtet, Mittel zur Verfügung zu stellen, den Grundsatz vertreten haben: wo aus bestimmten Gruppen von Werten keine Einnahmen in den Lastenausgleichsfonds geflossen sind — also bei der ganzen Frage der Anleihen des ehemaligen Deutschen Reiches, der ehemaligen preußischen Anleihen, der Provinzial- und Landschaftsanleihen —, können wir hier nicht zum Zuge kommen. Aber wir haben die verbindliche Erklärung der Bundesregierung, daß diese Frage durch ein Gesetz gelöst wird und daß die Mittel, die für die Durchführung dieses Gesetzes erforderlich sind, aus anderen Mitteln als dem Lastenausgleich, nämlich aus Mitteln des Bundes oder der Länder zur Verfügung gestellt werden. Ich erwähne das, damit nicht Enttäuschung im Lande entsteht, sondern damit die Menschen draußen sehen, sie sind auch mit diesem Teil nicht vergessen. Aber in der Konzeption des Lastenausgleichs hatten wir keinen Raum, das zu lösen.
Ich möchte mich mit diesen ganz kurzen Erklärungen begnügen. Ich freue mich, daß es gelungen ist, dieses große, wichtige Stück des Lastenausgleichs in Einmütigkeit beraten und einstimmig verabschiedet zu haben. Es ist gut, daß wir das getan haben, und ich hoffe, daß das Hohe Haus ebenso einstimmig zu den Vorschlägen des Ausschusses ja zu sagen bereit ist.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126414600
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Besold.

Dr. Anton Besold (CSU):
Rede ID: ID0126414700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie, daß ich im Auftrag der Föderalistischen Union (Bayernpartei-Zentrum) zu dieser Gesetzesvorlage folgendes vortrage: Bei der Regierungserklärung hatte der Herr Bundeskanzler erklärt, daß dieses Problem eine staatspolitische Forderung ersten Ranges ist. Auch wir haben bereits zu Beginn der Legislaturperiode dieses Parlaments aus der Erkenntnis, daß es einer Forderung der Gerechtigkeit entspricht, die Schäden der Altsparer wiedergutzumachen, aber auch eine finanz-
und wirtschaftspolitische Notwendigkeit und ein soziales und psychologisches Problem ist, sehr frühzeitig dieses Problem im Bundestag aufgegriffen.
So hat die Bayernpartei bereits am 7. Oktober 1949 in Drucksache Nr. 84 einen Aufwertungsantrag gestellt. In einer Interpellation der Bayernpartei und des Zentrums vom Juli 1950 wurde das Problem in diesem Hause nochmals aufgerollt, und der Initiativantrag des Zentrums vom 2. Januar 1951 — Drucksache Nr. 1874 — hat dann die Beratung dieses Gesetzes ausgelöst.
Sinn und Ziel der Altsparerregelung war ursprünglich, eine echte Aufwertung durchzuführen, um das verlorene Sparkapital zu ersetzen und neues für den Wiederaufbau zu beschaffen, weiter den Sparern das Gefühl zu nehmen, daß sie um ihre Ersparnisse betrogen worden sind. Ich zitiere hier eine Ausdrucksweise des Herrn Bundesfinanzministers. Das Schreiben des Herrn Bundesfinanzministers vom 28. Juni 1950 läßt zum erstenmal erkennen, daß eine Regelung des Altsparerproblems im Wege der Währungsgesetzgebung — Geldnachreform — aus Gründen, die in den Besatzungsverhältnissen liegen, nicht durchgeführt werden kann, sondern im Rahmen des Lastenausgleichs eine Altsparerregelung erfolgen muß.
Nun ist aber die Altsparerregelung für uns zuvörderst ein Problem der Aufwertung, also ein rechtsstaatliches, wirtschafts- und finanzpolitisches Problem. Wir haben uns seinerzeit klar dagegen gewandt, daß das Altsparerproblem zu einem Teilproblem des Lastenausgleichs gemacht wird, weil es seinem innersten Wesen widerspricht. Wir konnten diese Regelung über den Lastenausgleich aber nicht aufhalten. Darum befriedigt uns im Grunde die vorliegende Lösung nicht; denn dadurch kann das durch die Währungsgesetzgebung verletzte Rechtsempfinden nicht geheilt werden. Auch ist der finanz- und wirtschaftspolitische Erfolg schon durch die zeitliche Behandlung verlorengegangen.
Wir haben jedoch, nachdem nun einmal der Gang der Dinge festgelegt war, bei der Beratung des Lastenausgleichsgesetzes noch den bestmöglichen Erfolg herbeizuführen versucht, indem wir in der einschlägigen Beratung des Lastenausgleichsgesetzes in zweiter Lesung den Antrag eingebracht haben, eine Verpflichtung zur Regelung der Altsparerentschädigung bis zum 31. März 1953 zu begründen; einen Antrag, der dann in dritter Lesung mit Hilfe der Regierungskoalition auch angenommen worden ist.
Wir müssen ehrlich sein und klar zu erkennen geben, daß der vorliegende Gesetzentwurf seinem Hauptinhalt nach ein Sozialgesetz ist und von diesem Gesichtspunkt aus zu betrachten und zu würdigen ist. Wir konnten nicht das Maß der Währungsschäden als solcher und rechtliche Differenzierungen der Einzelansprüche usw. abwägen, weil dem Gesetzgeber im Rahmen des Lastenausgleichs nur eine bestimmte Geldmasse zur Verfügung stand. Die Ansprüche aller durch die Währungsgesetzgebung Geschädigten konnten also bei dieser Art der Altsparerregelung nur aus einem kleinen Topf befriedigt werden.
Trotz dieses Sachverhalts stellen wir mit Genugtuung fest, daß wenigstens durch diese beschränkte Regelung, die ja doch auf die unglücklichen Kriegsereignisse und den Zusammenbruch unserer Geld-und Volkswirtschaft zurückzuführen ist, der ehrlichste, bescheidenste aber auch staatserhaltendste Teil unseres Volkes, die vielen Millionen Sparer, die ja zum zweiten Mal in einer Generation ihre sauer verdienten Spargroschen verloren haben, eine teilweise Entschädigung und nachträgliche


(Dr. Besold)

Hilfe erhält; haben doch gerade die Altsparer in Zeiten, in denen sie ihr Erspartes in verbesserte Lebenshaltung oder in den Luxus hätten lenken können, durch Entsagung dessen ihr Erspartes zur eigenen finanziellen Sicherheit und zur Hebung der Kreditwirtschaft bereitgestellt.
Es ist uns eine Genugtuung, daß die Föderalistische Union zu diesem Gesetz initiativ beitragen konnte. Wir stimmen dem Gesetzentwurf und den vorgelegten Entschließungen zu.

(Beifall bei der FU und bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126414800
Das Wort hat Herr Abgeordneter Farke.

Ernst August Farke (DP):
Rede ID: ID0126414900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Lösung des Altsparerproblems war für die Deutsche Partei nach der Währungsreform eines der wichtigsten Probleme. Eine Voraussetzung für ihre Beteiligung an der Bundesregierung im Jahre 1949 war darum die gesetzliche Regelung der Aufwertung der Altkapitalien. Ohne diese Aufwertung konnte das Gefühl für rechtsstaatliches Denken, für Vertragstreue und Ehrlichkeit nicht wieder geweckt werden, konnte das geschwundene Vertrauen in langfristige Kapitalanlagen und in Spareinlagen nicht wieder hergestellt werden, konnte ein neu aufzubauender Staat nicht von Bestand sein.
Nach den Bestimmungen des Umstellungsgesetzes vom 27. Juni 1948 sollten aber durch die Geldreform entstehende Verluste innerhalb einer Lastenausgleichsgesetzgebung ausgeglichen werden. Das setzte eine umfassende Lastenausgleichsgesetzgebung voraus. Erst mit dieser, oder wie es geschehen ist, unmittelbar nach dieser konnte eine Altsparerregelung erfolgen. Wenn nun in dem vorliegenden Gesetzentwurf noch keine abschließende und voll befriedigende Altsparerregelung getroffen werden konnte, die Forderungen der juristischen Personen, die Forderungen gegenüber der öffentlichen Hand, die volle Aufwertung der Spareinlagen nach dem 1. Januar 1940 unberücksichtigt bleiben mußten, die Vertriebenensparerregelung unbefriedigend wurde, so ist doch wenigstens eine Milderung von Härten durch die Währungsreform entstandener Verluste erfolgt, soweit das im Augenblick möglich war.
Die Fraktion der Deutschen Partei stimmt dem Gesetzentwurf zu und stellt mit Genugtuung fest, daß es noch gegen Schluß der Legislaturperiode gelungen ist, wenigstens diese Regelung Gesetz werden zu lassen. Es ist für sie selbstverständlich, daß die in § 1 zugesagte besondere Regelung außerhalb des Lastenausgleichs so bald wie möglich in Angriff genommen werden muß, um die noch nicht berücksichtigten Währungsverluste auszugleichen.

(Beifall bei der DP.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126415000
Das Wort hat Herr Abgeordneter Wackerzapp.

Oskar Wackerzapp (CDU):
Rede ID: ID0126415100
Meine verehrten Damen und Herren! Die Herren Vorredner haben schon darauf hingewiesen, daß das Altsparergesetz zwar vielen Gutes bringt, aber auch sehr viele nicht in der Weise berücksichtigt, wie man es gern gesehen hätte. Herr Kollege Bleiß hat mit Recht darauf hingewiesen, daß die große Zahl derjenigen Sparer, die seit 1940 erst zu sparen begonnen haben, sich subjektiv bestimmt auch als echte Sparer empfunden haben; denn sie haben ja in der
Tat einen Konsumverzicht geleistet. Wenn sie nun im Rahmen dieses Gesetzes nicht berücksichtigt werden konnten, so ist das im wesentlichen auf die beengte Finanzlage zurückzuführen, die uns nicht gestattete, auch diesen großen Kreis von Anwärtern zu befriedigen. Wir waren der Meinung, daß die beschränkten Mittel so angelegt werden sollten, daß sie insbesondere auch den alten Leuten eine Hilfe bringen, die wirklich zu Buche schlägt, und ich glaube, daß gerade die alten Leute es sind, die überwiegend die Besitzer der entschädigungsfähigen Altsparanlagen sein werden. Diese erhalten also durch die einheitliche zusätzliche Entschädigung von 20 % immerhin eine ganz wesentliche Hilfe.
Es ist weiter darauf hinzuweisen — das ist ein schwerwiegendes Bedenken —, daß bei dieser Art der Regelung, wie sie das Altsparergesetz vorgesehen hat, ein Unrecht nur unvollkommen wiedergutgemacht wird, das den Kontensparern durch die sogenannte Kopfgeldanrechnung bei der Währungsumstellung zugefügt worden ist. Man vergißt ja sehr schnell, und man erinnert sich kaum mehr, daß einzig und allein bei den Kontensparern für die 60 DM, die sie bei der Währungsumstellung bekamen, 540 RM in Anrechnung gebracht wurden. Uns wird immer wieder der Fall eines Industriearbeiters vorgehalten, der bei einer städtischen Sparkasse durch langjähriges fleißiges Sparen ein Sparguthaben von etwa 4000 RM angesammelt hatte. Der Mann hat eine große Familie, Frau und sechs Kinder, und nun kam für acht Personen der Abzug der Kopfquote mit der Wirkung, daß dieses Sparguthaben von 4000 RM vollkommen ausgelöscht wurde. Dieses Unrecht ist eigentlich ganz unbegreiflich; denn wenn dieser selbe Arbeiter, statt bei der Sparkasse zu sparen, sein Geld in Pfandbriefen angelegt hätte, dann hätte er eine Aufwertung von 10 % bekommen, also 400 DM erhalten. Dieses Unrecht, das sehr stark empfunden wird, kann im Zuge der Altspareraufwertung in beschränktem Umfange ausgeglichen werden. Aber im ganzen handelt es sich doch um ein Anliegen, das uns ernstlich bedrückt.
Ich darf schließlich noch darauf hinweisen, daß vom Standpunkt der Vertriebenen — es ist im Bericht schon durchgeklungen — eine besondere Unbilligkeit darin erblickt wird, daß ihre Sparanlagen zunächst einmal währungsmäßig abgewertet werden und sie dann erst mit diesem abgewerteten Betrag in den Genuß der tarifmäßigen Entschädigung bei der Hauptentschädigung gelangen. Dadurch findet sozusagen eine doppelte Dezimierung statt, die auch durch die Vergünstigungen, die das Altsparergesetz bringt, nur sehr unvollkommen korrigiert wird. Deswegen liegt Ihnen — ich darf vielleicht gleich vorgreifen — eine Entschließung vor, die folgendermaßen lautet:
Der Bundestag wolle beschließen:
Wie im Ausschußbericht zum Ausdruck gekommen ist, hat die Frage der zusätzlichen Entschädigung der Sparanlagen der Vertriebenen im Gesetz nicht befriedigend gelöst werden können, weil nach Ansicht der Mehrheit des Ausschusses dazu eine grundsätzliche Änderung des Lastenausgleichsgesetzes durch eine besondere Novelle notwendig ist.
Der Deutsche Bundestag erwartet, daß die Bundesregierung unverzüglich den Entwurf eines solchen Änderungsgesetzes vorlegt.


(Wackerzapp)

Wir sind nämlich der Meinung, daß es sich hier um eine so erhebliche Frage der Billigkeit handelt. daß auch die Regierung sich dafür noch einmal interessieren sollte, wobei wir uns natürlich durchaus die Möglichkeit vorbehalten, eventuell initiativ auf diesem Gebiet vorzugehen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126415200
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit ist die allgemeine Aussprache zur dritten Beratung geschlossen. Änderungsanträge sind nicht eingegangen.
Ich rufe auf §§ 1 bis 33, — Einleitung und Überschrift. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Dann bitte ich diejenigen, die dem Gesetz in der Schlußabstimmung zustimmen, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das Gesetz ist damit in dritter Beratung verabschiedet.
Es liegen dann noch drei Entschließungen vor, Umdruck Nrn. 903, 905 und 906.

(Abg. Kunze: Ich bitte ums Wort zur Entschließung Umdruck Nr. 903!)

— Wir sind jetzt in der Abstimmung.

(Abg. Kunze: Ich muß doch die Entschließung erst vortragen!)

— An sich werden Entschließungen in der dritten Beratung begründet. — Das Wort hat Herr Abgeordneter Kunze.

Johannes Kunze (CDU):
Rede ID: ID0126415300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nur namens sämtlicher Fraktionen des Hauses die Entschließung Umdruck Nr. 903 vorzutragen. Sie lautet:
Der Bundestag wolle beschließen:
Das Gesetz zur Milderung von Härten der Währungsreform (Altsparergesetz) sieht die Entschädigung für Verluste im Zusammenhang mit der Neuordnung des Geldwesens aus Kommunalschuldverschreibungen, nicht aber an verbrieften Verpflichtungen von Gemeinden und Gemeindeverbänden vor. Eine einheitliche Entschädigung aller Berechtigten, deren Altsparerkapital bei Gemeinden und Gemeindeverbänden angelegt worden ist, ist erforderlich. Die Bundesregierung wird deshalb ersucht, dafür Vorsorge zu treffen, daß im Rahmen der nach § 1 Abs. 3 des Altsparergesetzes vorgesehenen Gesetzgebung eine Entschädigung der Gläubiger von Altsparanlagen, die in verbrieften Verpflichtungen von Gemeinden und Gemeindeverbänden bestehen, nach den Grundsätzen des Altsparergesetzes geregelt wird.
Ich habe die Ehre, Sie namens aller Fraktionen des Hauses zu bitten, dieser Entschließung zuzustimmen.

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126415400
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Dann kommen wir zur Abstimmung über die drei vorliegenden Entschließungen, zunächst über die auf Umdruck Nr. 903. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Dann Entschließung der Fraktion der SPD, Umdruck Nr. 905. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Entschließung der Abgeordneten Dr. Kather, Wackerzapp, Dr. von Golitschek, Kunze und Genossen, Umdruck Nr. 906. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Damit sind auch die Entschließungen verabschiedet, und Punkt 6 der Tagesordnung ist erledigt.
Ich rufe auf Punkt 4:
Dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften und zur Sicherung der Haushaltsführung. (Nrn. 4092, 4294 der Drucksachen; Umdrucke Nrn. 896, 897, 902, 904).

(Erste Beratung: 253. Sitzung; zweite Beratung: 263. Sitzung.)

Für die allgemeine Aussprache zur dritten Beratung schlägt der Ältestenrat eine Gesamtredezeit von 120 Minuten vor. Ich nehme die Zustimmung des Hauses dazu an.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Seuffert.

Walter Seuffert (SPD):
Rede ID: ID0126415500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man in rascher Folge einige Steuerdebatten hinter sich zu bringen hat und wenn es sich dabei immer wieder um dieselben grundsätzlichen Fragen handeln muß, über die wir mit Ihnen in den sämtlichen vier Jahren dieses Bundestages gestritten haben, so liegt die Gefahr von Wiederholungen nahe. Ich werde versuchen, diese Wiederholungen Ihnen und mir zu ersparen und nur einige zusammenfassende Gedanken zum Abschluß der Beratung dieses Gesetzentwurfs vorzutragen.
Die Steuervorlage der Regierung bietet einige Vorteile, und der Ausschußbericht ist besser als die Regierungsvorlage. Wir begrüßen die Tendenz, die als Notmaßnahmen oder auch nicht Notmaßnahmen eingeführten Vergünstigungen, die zu einem sehr komplizierten und sehr einseitigen System geworden waren, abzubauen. Für den Abbau dieser Vergünstigungen sind Fristen gesetzt worden. Wir möchten diese Fristen im Augenblick nicht diskutieren. In einigen Fällen sind sie begrüßenswert und vielleicht sogar noch zu lang, in anderen Fällen, insbesondere wenn es sich um die Fristen für diejenigen Steuermaßnahmen handelt, die zur Finanzierung des Wohnungsbaues bisher sehr viel beigetragen haben, wird man die Fristen noch nicht als endgültig betrachten können, solange nicht bis zum Ablauf dieser Zeit entsprechende andere Maßnahmen zur Lösung dieser Probleme gefunden worden sind.
Der Versuch des Bundesfinanzministeriums, einen Teil des Steuerausfalls durch verstärkte Ehebesteuerung bei mitverdienenden Ehefrauen einzubringen, ist bisher gescheitert. Ob er endgültig scheitert, wird erst nach dem Abschluß dieser Debatte zu sagen sein. Ich möchte deswegen diesem Punkt im Augenblick keine weiteren Betrachtungen widmen.
Die Gesichtspunkte, die seitens der Regierung und ihrer Befürworter für diese Steuervorlage in dieser Form, für diese lineare Steuersenkung immer wieder angeführt worden sind, sind die angeblich übermäßige Steuerbelastung und die an-


(Seuffert)

geblich erhoffte Wirtschaftsbelebung. Nun, was die Steuerbelastung anlangt, so wird dieses Wort im Munde der Mehrheit dieses Hauses immer bezogen auf die angeblich hohe Belastung höherer Einkommen. Ich habe Ihnen bereits in der ersten Lesung einige Zahlen vorgetragen, die aus dem Jahre 1949 stammen, wo die Steuern teilweise noch höher waren als heute, und die ergeben, daß auch die hohen und allerhöchsten Einkommen im Schnitt jedenfalls rund 50 % und nicht mehr bezahlen, eine Feststellung, die nebenbei, was wir Ihnen auch schon im Jahre 1951 vorgehalten haben, auch in dem sehr ausführlichen und sehr lesenswerten Sonneplan enthalten ist, also von unparteiischer, dritter, sachverständiger Seite auch getroffen worden ist. Aber den Sonneplan, meine Damen und Herren von der Mehrheit, mögen Sie ja auch nicht so gern.
Wenn w i r nun von Steuerbelastung sprechen, sprechen wir von der Belastung der kleinen und mittleren und der Durchschnittseinkommen. Wir haben Sie immer wieder darauf hingewiesen, wie erheblich die Vorbelastung dieser Einkommen durch die übermäßige Belastung mit indirekten Steuern ist. Um diesen Gesichtspunkt noch einmal klar vor Augen zu führen, möchte ich Ihnen doch noch eine Rechnung vorführen. Nehmen Sie ein Jahreseinkommen von 2 400 DM oder von 200 DM monatlich — das ist ein schlechtes Jahreseinkommen, aber immerhin ein Einkommen, mit dem eine ganze Reihe unserer Arbeiterfamilien zufrieden seid müssen — und nehmen Sie die steuerliche Normalfamilie eines Verheirateten mit einem Kind. Sie mögen vielleicht sehr stolz darauf sein, daß dieses Einkommen nach Ihrer Steuertabelle jetzt nur noch mit einer Einkommensteuer von 15 DM im Jahr belegt werden soll oder daß, wenn es sich um einen Bruttolohn und um die Lohnsteuertabelle handelt, überhaupt keine Lohnsteuer abgezogen wird. Aber nehmen Sie einmal an, daß diese dreiköptige Familie es — ich will immer Zahlen nehmen, die sehr vorsichtig gegriffen sind und die diese Berechnungen nicht erschüttern können — immerhin noch tertigbrächte, vielleicht 20 DM irgendwie zu ersparen und nur 180 DM im Monat für die drei Köpte zu verbrauchen. Das ist eine ziemlich gewagte Annahme. Aber sicherlich nicht gewagt ist die Annahme, daß diese 180 DM — notwendiger Verbrauch der Familie — mit 40 % an indirekten Steuern und Umsatzsteuer belastet sind. Wenn Sie bedenken, daß jede umsatzsteuerbelastete Leistung und Ware im Einzelhandelspreis durschnittlich mit 15 % allein durch die Umsatzsteuer belastet ist, wenn Sie bedenken, daß sich bereits im Jahre 1951 die Umsatzsteuerbelastung pro Kopf der Bevölkerung auf rund 150 DM jährlich belief, so daß diese dreiköpfige Familie nach dem theoretischen Durchschnitt eine Umsatzsteuerbelastung, die weit über ihr Einkommen hinausging, zu tragen hätte — was eben der Ausdruck dafür ist, daß ihr Verbrauch weit unter dem Normalverbrauch liegt —, wenn Sie bedenken, daß in diesen Berechnungen keine Zölle, keine Zuckersteuer, keine Salzsteuer oder Zündholzsteuer, keine sonstigen indirekten Steuern — Tabaksteuer usw. — enthalten sind, wenn Sie bedenken, daß auch in den Mieten eine erhebliche Grundsteuerbelastung steckt — schon Popitz hat in seinem großen Gutachten ausgerechnet, daß die Mieter viel mehr Grundsteuer zahlen als sämtliche Grundbesitzer einschließlich der Landwirte zusammen —, so werden Sie sicher zugeben müssen, daß eine 40 %ige Belastung hier nicht zu hoch angesetzt ist. Auf 180 DM Verbrauch im Monat bezahlt
also diese Familie monatlich 72 DM oder jährlich 864 DM Steuern — ohne die Einkommensteuer, ohne die Lohnsteuer —, und das sind rund 37 %, zusammen mit etwa 15 DM Einkommensteuer gerechnet. Dabei bekommt diese Familie eine Kinderermäßigung von sage und schreibe 66 DM im Jahr, und bei der Lohnsteuer bekommt sie überhaupt keine. Für das zweite und dritte Kind bekommt sie von vornherein keinerlei Kinderermäßigung und keinerlei Staatszuschüsse. Das ist die Lage, und das ist die Steuerbelastung einer derartigen Familie.
Wenn Sie unterstellen, daß bei einem guten Durchschnittseinkommen von 6000 DM — also 500 DM im Monat — vielleicht 420 DM für den Familienverbrauch ausgegeben werden, so heißt dieselbe Rechnung, das bereits aus den Verbrauchsteuern auf einem solchen Einkommen 2016 DM im Jahr oder 33 % als Steuer lasten.
Nun, meine Damen und Herren, sehen Sie einmal in der Steuertabelle nach, jeweils unter Einrechnung der Verbrauchsteuerbelastung des natürlich absinkenden Anteils des Verbrauchs an dem Einkommen. Nehmen Sie ruhig an, daß jemand, der sechsmal mehr verdient, dreimal mehr verbraucht oder daß jemand, der zehnmal mehr verdient, fünfmal mehr verbraucht — er wird es nicht verbrauchen; denn er kann es nicht verbrauchen, und er soll es auch nicht verbrauchen —, aber nehmen Sie selbst unter Berücksichtigung dieser Dinge einmal die Tabellen vor und suchen Sie nach, bei welcher Einkommenshöhe derartige Steuerbelastungen denn eigentlich überhaupt wieder erreicht werden. Diese Steuerbelastungen sind die, die wir im Auge haben, wenn wir von übermäßiger Steuerbelastung sprechen.
Dabei möchte ich eines sagen: Diese Durchschnittseinkommen und vor allem ihre Verbrauchskraft, ihre Verbrauchsfähigkeit müssen gehoben werden. Das ist unsere Ansicht. Sie sind in der Form, wie wir sie jetzt bei der Berechnung zugrunde legen mußten, absolut unzureichend, und zwar sowohl für die Betreffenden als auch als Grundlage der Volkswirtschaft.
Es sind im Lauf der Debatte eine Reihe von Steuervergleichen gebracht worden. Vor allen Dingen hat der Herr Bundesfinanzminister in seiner Haushaltsrede Steuervergleiche mit fremden Ländern gebracht. Eine gewisse Seite hat sich bei diesem Steuerstreit vor allen Dingen auf einige Zahlen aus der schwedischen Steuertabelle gestürzt und daraus gewisse Folgerungen zu ziehen versucht. Aber bereits die Zahlen des Herrn Bundesfinanzministers ergeben, daß die schwedische Besteuerung bei einem Durchschnittseinkommen von 5000 DM niedriger ist als die deutsche Besteuerung. Der Herr Kollege Bausch hat daraus mit wesentlich größerem Mangel an Sachkenntnis als der Herr Bundesfinanzminister in Presseveröffentlichungen Folgerungen zu ziehen versucht derart, daß er sagte, in Schweden mache man unter einem sozialistischen Steuersystem die Reichen reicher und die Armen ärmer. Er hat die gebührende Antwort darauf in der Öffentlichkeit bereits bekommen. Er hat nämlich gänzlich übersehen, daß für die 32 DM monatlich, die seine Beispielsfamilie in Schweden an Steuern zahlt, sie 1160 DM Kindervergütung und außerdem noch die Volkspension, die Alterspension, die in Schweden eingeführt ist, gratis dazu bekommt. Derartige Vergleiche sollten wir j eden-falls aus der Diskussion lassen.


(Seuffert)

Weil wir da , wo ich es eben aufgezeigt habe, die übermäßige Steuerbelastung sehen, fordern wir Steuersenkungen von unten her. Man möge uns doch nicht sagen, daß das ein ungewöhnlicher Vorschlag sei. Im Gegenteil, mir scheint das das Übliche und Normale zu sein. Meines Wissens sind in diesem Jahr in zwei europäischen Ländern nachhaltige Steuersenkungen vorgenommen worden. In dem eben schon erwähnten Schweden ist die Steuersenkung durch eine kräftige Erhöhung der Freibeträge — dort Ortsabzüge genannt — vorgenommen worden. In England hat eine konservative Regierung vor einigen Wochen eine Steuersenkung vorgenommen. Ich weiß, sie ist dort kritisiert worden. Aber ich bin in der Lage, sie unserer Bundesregierung immerhin noch als Vorbild vorzuhalten; denn bei dieser Steuersenkung, bei der gleichzeitig die Verbrauchssteuer, die Umsatzsteuer — die purchase tax — sehr energisch gesenkt wurde, hat man der untersten Einkommenstufe 1/6 des Einkommens an Steuern nachgelassen, der nächsten Stufe 1/11, der nächsten Stufe 1/15 und der nächsten Stufe nur noch 1/19, — immer 1/20 des Einkommens. Wenn wir demgegenüber unsere Steuersenkung betrachten, so stellen wir fest, daß dort eine Steuersenkung so vorgenommen wird: ein Durchschnittseinkommen von 5000 DM bekommt eine Steuersenkung von 105 DM oder 2 % des Einkommens — immer die normale Steuerklasse III, 1 —; ein Jahreseinkommen von 100 000 DM bekommt eine Steuersenkung von genau 9957 DM oder 10 % des Einkommens. Bei uns wird also genau umgekehrt verfahren.
Ich möchte noch einmal auf die zweite Seite der Betrachtungsweise, die wirtschaftliche Belebung, zurückkommen. Immerhin müssen wir daran erinnern, daß der Herr Bundesfinanzminister eine Steuersenkung schon einmal in ein Haushaltsdefizit hinein vorgenommen hat. Die Einkommensteuersenkung wurde damals in genau derselben Art und Weise vorgenommen, wie er es heute tut. Auch damals hat er uns erklärt, diese Steuerausfälle würden in Kürze durch die zu erwartende Wirtschaftsbelebung wieder wettgemacht werden, und er würde darüber hinaus sogar das Defizit decken und seinen Haushalt ausgleichen können. Das war im .Januar 1950. Ein halbes Jahr darauf trat in der Tat eine kräftige Wirtschaftsbelebung ein, denn zu diesem Zeitpunkt begann der Koreakonflikt. Wir sahen eine Weltrüstungskonjunktur beginnen. Die Preise, Löhne und die Steuern sind gestiegen. Trotzdem ist aber das Defizit nicht verschwunden. Das Defizit von 1951 schleppen wir ja heute noch mit. Trotz dieser tatsächlich — aber aus anderen Gründen — eingetretenen Wirtschaftsbelebung hat der Herr Bundesfinanzminister eineinhalb Jahre nach diesen Versprechungen auf dem Rücken der breiten Massen die Umsatzsteuer um 1300 Millionen DM und auch die Körperschaftsteuer erhöhen müssen; er hat den § 10 a, der tatsächlich für kleinere Gewerbetreibende eine wichtige und heilsame Angelegenheit war, streichen müssen. Das waren die „Ergebnisse" der damaligen Versprechen. Wir fürchten sehr, daß die heutigen Erwartungen hinsichtlich einer Wirtschaftsbelebung, in einer viel unsichereren Konjunkturlage, als sie damals vorhanden war, ähnlich katastrophal ausgehen.
Sei dem, wie ihm wolle! Auf jeden Fall ist es für uns nicht Kriterium der Wirtschaftsbelebung und auch nicht ausschlaggebend für das Schicksal und den Zustand der deutschen Wirtschaft, welche Dispositionsfreiheit, welche disponiblen Einkommen
die Bezieher der 15 000 höchsten Einkommen in der Bundesrepublik haben. Ich sagte es neulich schon, daß wir entsprechend unseren Auffassungen von Wirtschaftspolitik mit dem Ziel der Vollbeschäftigung das gehobene Durchschnittseinkommen als die einzig mögliche Grundlage, den einzig möglichen Maßstab der Gesundheit einer Volkswirtschaft betrachten. Wir sehen nicht auf den Standard einer Spitzenschicht mit hohen Einkommen, sondern uns kann es wirklich nur auf den Lebensstandard des ganzen Volkes ankommen. Ich weiß nicht, was diejenigen, die gerade in der letzten Zeit so oft das Wort Mittelstand oder mittelständlerisch im Munde führen, veranlassen könnte, einer Steuerpolitik zuzustimmen, die dem, was für den Durchschnittsbürger — das ist denn doch wohl der Angehörige des Mittelstandes —richtig, angemessen und heilsam wäre, derart diametral entgegengesetzt ist. Das Durchschnittseinkommen ist heute freilich zu 85 % Arbeitnehmereinkommen. Deswegen scheint uns nur ein gehobenes, ein sicheres, spar- und kaufkräftiges Durchschnittseinkommen den notwendigen Schutz der Arbeitskraft als des wichtigsten Faktors unserer Volkswirtschaft zu verbürgen.
Meine Damen und Herren von der Mehrheit, wir werden uns über diese Steuerpolitik und über diese Steuervorlage nicht verständigen können. Daß das nicht möglich ist, ist — ich muß das feststellen — sicherlich Schuld der Bundesregierung, die es nicht nur versäumt hat, sich in den vier Jahren der Arbeit dieses Bundestages mit den konkreten und wohlbegründeten Vorschlägen der Opposition irgendwie auseinanderzusetzen, sondern es auch für richtig gehalten hat, Steuervorlagen vor der Wahl zu bringen, die mit Rücksicht auf diesen Zeitpunkt gar nichts anderes sein können als Stimmungsmache für Wahlen, Steuervorlagen von denen jedermann, der etwas von der Situation, von der Arbeit hier im Bundestag versteht, von vornherein sagen muß: es ist unmöglich, in einem derartigen Zeitpunkt und unter solchen Vorzeichen darüber zu einer Verständigung zwischen Regierung und Opposition zu kommen. Außerdem hat die Bundesregierung ihre Steuersenkung an eine Bedingung geknüpft, von der sie nicht abgehen will, daß nämlich die Länder dem Bund 40 % ihrer Steuereinnahmen zubilligen. Die Erfüllung dieser Bedingung erscheint mehr als zweifelhaft. Was zu dieser Frage zu sagen ist, wird mein Freund Professor Gülich vortragen.
Weil die unserer Ansicht nach notwendigsten wirtschaftlichen Grundlagen einer Steuersenkung nicht gegeben sind, weil die unmäßige Steuerbelastung des Durchschnittseinkommens bestehen bleibt, weil man es weiterhin konsequent ablehnt, die einzig richtige und notwendige Steuersenkung, nämlich die von unten her, vorzunehmen, müssen wir die Vorlage ablehnen.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126415600
Das Wort hat Herr Abgeordneter Meitinger.

Dr. Franz Xaver Meitinger (FU):
Rede ID: ID0126415700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Föderalistische Union (BP-Z) begrüßt die Senkung der Steuertarife um 15 %, wie sie im Ausschußantrag vorgesehen ist. Da bekanntlich die Bundesrepublik das höchstbesteuerte Land der westlichen Welt ist, ist diese Senkung der Steuertarife im Wege einer kleinen Steuerreform als Vorwegnahme der alsbald zu erwartenden großen Steuerreform unbedingt notwendig.


(Dr. Meitinger)

Trotz dieser grundsätzlichen Bejahung müssen wir aber feststellen, daß in diesem Gesetz wesentliche Forderungen unserer Fraktion nicht erfüllt sind. In dem Ausschußantrag hat man die Steuerfreigrenze von 750 DM nur auf 800 DM erhöht, während wir mit unserem Initiativantrag Drucksache Nr. 3830 eine Erhöhung auf 1500 DM fordern. Wir wollen, daß die Steuerfreigrenze mehr den heutigen Lebenshaltungskosten angepaßt wird. Daß bei einer Steuerfreigrenze von nur 800 DM dem nicht Rechnung getragen wird, ergibt sich daraus, daß ein Jahreseinkommen von 1500 DM heute unter der Grenze des Existenzminimums liegt. Mit der Schaffung einer Steuerfreigrenze von 1500 DM wird den kleineren und mittleren Einkommen eine gewisse Entlastung erteilt, die wir für gerechtfertigt und notwendig halten.
Hinsichtlich der Besteuerung der Ehegatten stehen wir nach wie vor auf dem Standpunkt, daß die Ehegatten bei der Besteuerung getrennt zu veranlagen sind. Eine gemeinsame Veranlagung der Ehegatten verstößt gegen den Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes. In unserem Initiativantrag Drucksache Nr. 3105 vom 14. Februar 1952 haben wir dies bereits dadurch zum Ausdruck gebracht, daß wir die Streichung des § 26 des Ehegesetzes beantragt haben. Da der Ausschußantrag hierzu keine Stellungnahme enthält, bedeutet dies, daß es bei der bisherigen Gesetzesregelung sein Bewenden hat. Wir sind der Ansicht, daß diese Frage der Regelung durch die große Steuerreform vorbehalten ist.
Wir widersprechen dem im Zweiten Teil des Gesetzes behandelten Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern in den Rechnungsjahren 1953/54, der vorsieht, daß der Bund 40 v. H. der Einnahmen aus der Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, die den Ländern in dieser Zeit zufließen, in Anspruch nimmt. Insbesondere widersetzen wir uns bei Übersteigen der Einnahmen der Länder aus Einkommen- und Körperschaftsteuer im Gesamtbetrag von 10 900 Millionen DM einer 80%igen Inanspruchnahme für den Gesamtbetrag von 950 Millionen DM und darüber hinaus in Höhe von 40 % durch den Bund. Hierin sehen wir eine weitere Aushöhlung der Steuerkraft der Länder, die wir als Föderalisten nicht in Kauf nehmen können. Aus grundsätzlichen Erwägungen müssen wir uns einer solchen Schwächung der Finanzkraft der Länder entgegenstellen. Die Folge wird sein, daß die Länder die Schlüsselzuweisungen an die Gemeinden dementsprechend mindern werden, wodurch die Gemeinden Gefahr laufen, daß sie ihren erhöhten Aufgaben nicht mehr gerecht werden können oder andererseits ihre Umlagen ins Untragbare erhöhen müssen.
Trotz dieser Mängel, die das Gesetz aufweist, werden wir ihm im ganzen die Zustimmung geben müssen, damit die 15%ige Steuertarifsenkung alsbald Gesetz werden kann. Da das Gesetz nur auf zwei Jahre befristet ist und der Wissenschaftliche Beirat des Bundesfinanzministeriums sein Gutachten über die große Steuerreform dem Finanzminister bereits übergeben hat, stimmen wir der Gesetzesvorlage unter der Bedingung zu, daß bei den Punkten, deren Regelung bisher nicht unseren Forderungen entspricht, in der großen Steuerreform unser Wollen berücksichtigt wird, nämlich erstens keine Schaffung neuer Steuerquellen für den Bund auf Kosten der Länder durch Inanspruchnahme von 40 % bzw. 80 % der Einkommensteuer
und Körperschaftsteuer durch den Bund, zweitens Erhöhung der Steuerfreigrenze auf 1500 DM, drittens getrennte Besteuerungsveranlagung der Ehegatten.

(Beifall bei der FU.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126415800
Das Wort hat Herr Abgeordneter Walter.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0126415900
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Nur einige Worte zu den Übergangsregelungen zu § 7 d des Einkommensteuergesetzes. Um sicher zu sein, daß alle Schiffsneubauten, die bis zum Inkrafttreten des Gesetzes in Auftrag gegeben wurden, nach den Grundsätzen des alten Rechtszustandes zu Ende geführt werden können, und um eine rückwirkende Gültigkeit des Gesetzes auszuschalten, bitte ich um Annahme folgenden Entschließungsantrags:
Der Bundestag wolle beschließen:
Die Bundesregierung ist gehalten, bei der Übergangsregelung zu § 7 d Einkommensteuergesetz sicherzustellen, daß jedes Schiffsbauvorhaben, das unter dem alten Rechtszustand begonnen wurde, nach den Grundsätzen des alten Rechtszustandes zu Ende geführt werden kann. Dementsprechend sind die auf Grund des Gesetzes zu erlassenden Rechtsverordnungen und Ausführungsvorschriften zu gestalten.
Ich bitte um Annahme dieser Entschließung.

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126416000
Das Wort hat Frau Abgeordnete Kalinke.

Margot Kalinke (CDU):
Rede ID: ID0126416100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei den Ausschußberatungen hat der Vertreter der Deutschen Partei maßgeblich an der kleinen Steuerreform mitgearbeitet. Wir wissen, daß die immer höher gewordenen Anforderungen an die Finanzkraft der öffentlichen Hand die Belastung des Steuerzahlers, und zwar des in selbständiger wie des in unselbständiger Beschäftigung stehenden, ein untragbares Maß erreichen ließen. Wir haben daher den Regierungsentwurf eines Steuersenkungsgesetzes, zu dem wir den Anstoß durch den bekannten Initiativantrag mit gegeben haben, sehr lebhaft begrüßt und, wie ich schon sagte, auch an ihm mitgearbeitet. Wir halten dabei die Methode der gleichmäßigen Senkung des Einkommensteuertarifs für die gerechteste. Der Notwendigkeit, gewisse Steuererleichterungen einzuschränken oder abzubauen, haben sich auch meine Freunde nicht verschließen können, und wir hoffen, daß tragbare Übergangslösungen für eine befristete Zeit gefunden sind.
Daß bei dieser kleinen Steuerreform eine voll wirksame allgemeine Senkung der Steuerlasten noch nicht erreicht werden konnte und viele Wünsche offen bleiben, liegt sicherlich trotz der auch von uns ausgedrückten und noch nicht erfüllten Wünsche und Forderungen an vielen natürlichen Grenzen, die hinsichtlich des Steuerausfalls durch die Lage der öffentlichen Haushalte zwangsläufig gezogen sind. Wir hoffen, daß der Steuerzahler dafür Verständnis haben wird. Wenn meine Freunde diesem Gesetz zustimmen werden, so tun sie das, obwohl wir viele Wünsche nicht erfüllt bekommen haben und obwohl besonders auf dem sozialpolitischen Sektor der Steuerpolitik Wünsche, die wir mit Anträgen der Fraktion der Deutschen Partei angemeldet haben, bei dieser Steuerreform leider noch nicht berücksichtigt worden sind. Wir


(Frau Kalinke)

fordern, daß nach dieser allgemeinen Steuersenkung bei der großen Steuerreform unsere Anregungen zu einer familienfreundlicheren Steuerpolitik endlich ihre Berücksichtigung finden.

(Bravo rechts.)

Die Fraktion der Deutschen Partei weiß, daß die heutige Steuertabelle den Familienstand und die Familiengründung nicht genügend berücksichtigt. Wir erwarten daher, daß durch die Neugestaltung der Steuergruppen II und III kinderreiche Familien, aber auch die große Zahl der älteren Männer und Frauen, die die Last zweier Kriege und der Nachkriegszeit getragen haben, fühlbarer als bisher bevorzugt und Ledige und Kinderlose mit anerkannten Unterhaltsverpflichtungen sowie die vielen Halbfamilien individueller und gerechter berücksichtigt werden. Die Steuerreform soll die Wirtschaftskraft stärken, den Willen zu Mehrarbeit und zum Mehrverdienen nicht wie bisher lähmen, sondern vielmehr fördern und auch allen jungen Menschen eine echte Chance zur Familienbildung, allen Steuerzahlern eine Möglichkeit zur Eigentumsbildung geben. Wir sehen trotz aller augenblicklichen Bestrebungen und Pläne zur Behebung der Familiennot keinen besseren Weg für gerechte Lösungen als den einer wahrhaft sozial wirkenden Steuerreform.
Die Fraktion der Deutschen Partei bedauert, daß diese Reform nicht schon früher begonnen werden konnte. Die jetzige Lösung hinsichtlich der Steuerveranlagung von Eheleuten betrachten auch wir nicht als endgültig und hoffen, daß durch eine effektvollere und wahrhaft soziale Reform vollkommenere Lösungen vorbereitet werden, die der ungeheuren Arbeitsleistung der deutschen Frauen gerecht werden, die in allen Schichten und Ständen in Stadt und Land durch ihren Einsatz zum wirtschaftlichen Aufstieg maßgeblich beigetragen haben.

(Beifall bei der DP.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126416200
Das Wort hat Herr Abgeordneter Renner.

Heinz Renner (KPD):
Rede ID: ID0126416300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Aussprache über die Gesetzesvorlage, die uns hier unter der Vorgabe präsentiert wird, sie laufe auf eine allgemeine Steuersenkung von 15 % hinaus, hat bereits so viel Beweise dafür erbracht, daß diese Behauptung irrig, daß sie abwegig ist, daß ich die wenigen Minuten, die mir in der dritten Beratung zur Verfügung stehen, nicht mehr dazu auszunutzen brauche, diese Tatsache noch einmal zu unterstreichen.
Ich möchte aber auf einige Dinge eingehen, die sich hier gestern abgespielt haben. Wir haben gestern aus dem Munde des Herrn Finanzministers erfahren, daß derer nannte das ein beliebtes „Kabarett-Thema" — Skandal um die Werbungskosten der Veranlagungspflichtigen übertrieben sei und daß er durch die neue Fassung des Gesetzes wesentlich eingeschränkt werden solle. Angesichts des Widerstandes, den diese minimale Änderung — die wirkungslos bleiben wird; davon sind wir überzeugt - bereits in den berufenen Kreisen der Unternehmer gefunden hat, kann man meines Erachtens, ohne auf ernstlichen Widerstand zu stoßen, behaupten, daß der Skandal mit dieser Umformulierung nicht aus der Welt geschafft werden kann.
Etwas anderes! Wir haben gestern gefordert, daß zwangsläufig — ich betone: zwangsläufig — als erhöhte Werbungskosten für Lohn- und Gehaltsempfänger folgende Ausgaben anerkannt werden sollten, die in § 9 Nr. 4 durch Hinzufügung dieses Satzes aufzuführen wären:
hierzu gehören auch die Anschaffung und der Unterhalt von Fahrrädern und HilfsmotorFahrrädern, die nicht der Kraftfahrzeugsteuer unterliegen.
Zu meinem Bedauern ist dieser Antrag auch von der sozialdemokratischen Fraktion abgelehnt worden. Es war mir ein Bedürfnis, das hier nur einmal herauszustellen.

(Abg. Schoettle: Sie haben öfters solche Bedürfnisse, Herr Renner!)

— Es ist nur traurig, daß Sie Veranlassung geben, solche Tatsachen hier herauszustellen. Das ist das, was ich bedaure, Herr Schoettle. Nicht die Tatsache allein an sich, sondern daß Sie den Anlaß dazu geben, das ist das Beklagenswerte.
Offen ist auch nach wir vor trotz des heute eingereichten Antrags der Koalition die Frage der Veranlagung von Ehegatten —

(Abg. Dr. Miessner: Nicht der Koalition!)

— Ja, entschuldigen Sie, mit einer Ausnahme diesmal! Ich denke aber, der Herr Minister wird Sie im Endeffekt doch überfahren, wie immer.

(Abg. Dr. Miessner: Warten Sie einmal ab, Herr Renner!)

— Bei Ihnen sind alle Möglichkeiten offen; aber noch immer hat sich der stärkere Arm Adenauers Ihnen gegenüber durchgesetzt. Ihre „Opposition" ist nichts wert, weil sie jeder Grundsätzlichkeit entbehrt.
Nun zum Hauptthema, der Erhöhung des Bundesanteils an dem Aufkommen der Einkommen- und Körperschaftsteuer auf 40 %. Ich will auf einige Dinge eingehen, die gestern nicht ausgesprochen worden sind, und die gemachten Versuche behandeln, diesen Tatbestand abzuschwächen. Daß es hier um einen Betrag geht, der über 5 Milliarden DM ausmacht, ist gestern bereits herausgestellt worden. Der Herr Bundesfinanzminister sagt als Begründung für die Notwendigkeit der Erhöhung des Bundesanteils von 37 auf 40 %: Der Bund übernimmt dafür die Lasten aus der Steuersenkung. Der Herr Bundesfinanzminister spielt also auch mit der Behauptung, daß effektiv eine Steuersenkung eintrete. Derselbe Finanzminister, der das in Aussicht stellt, stellt sich aber hierhin und sagt, das Endergebnis an Steuereinnahmen wird so sein, daß die Einnahmen trotzdem in die Höhe gehen. Diesen Widerspruch kann mir kein vernünftiger Mensch erklären.
Zweitens sagt der Herr Bundesfinanzminister, daß der Zustrom von Flüchtlingen die Notwendigkeit ergebe, den Bundesanteil zu erhöhen. Um die Sache schmackhaft zu machen, verpflichtet er sich andererseits wieder, an finanzschwache Länder zur Deckung bestimmter Landesaufgaben, und zwar zur Finanzierung von Schulbauten, 200 Millionen DM zurückzuzahlen. Gestern ist gesagt worden, die Länder haben darauf verzichtet. Heute habe ich erfahren, daß die Länder ganz selbstverständlich darauf verzichten konnten und mußten, weil sie noch immer daran festhalten, daß nur 37 % des Aufkommens an Einkommen- und Körperschaftsteuer an den Bund abgeführt werden sollen.
Der Bundesrat lehnt nach wie vor — so wird uns berichtet, so steht es in allen Zeitungen —


(Renner)

die geforderte Erhöhung auf 40 % ab; er ist aber bereit, die 37 % zu konzedieren. Auch die sozialdemokratischen Minister im Bundesrat sind bereit, diese 37 % zu konzedieren. Sie schlucken das auch, obwohl noch im vorvorigen Jahr anläßlich der Erhöhung des Bundesanteils von 27 auf 37 % der Herr Finanzminister Kubel von Niedersachsen in einem Artikel im „Neuen Vorwärts" ganz heftig gegen die damals durchgesetzte Erhöhung protestiert und sie als „Wehrfinanzierung auf Kosten der Länder" angesprochen hat. Als ich gestern herausstellte, daß das auch heute der Zweck dieser neuerlichen Erhöhung ist, sagte man mir: das ist nicht wahr, die sozialen Lasten und all das, was an Verpflichtungen für den Wohnungsbau auf uns zugekommen ist, bedingen das. Vor einem Jahr war der Herr Finanzminister noch ehrlicher. Als es damals um die 37 % ging, hat er gesagt: Der im wesentlichen aus Steuermitteln zu deckende Finanzbedarf des Bundes wird im Rechnungsjahr 1952 entscheidend durch die Höhe des von der Bundesrepublik Deutschland zu leistenden Verteidigungsbeitrages bestimmt; die Höhe des Beitrages ist zur Zeit noch nicht bekannt.
Heute ist die Höhe bekannt. Heute wissen wir, daß der Herr Bundesfinanzminister im Augenblick bereits die Zahlung von, alles in allem genommen, 14 Milliarden DM übernommen hat. Wie sich das auf die Länder und weiter auf die Gemeinden auswirken wird, ist gestern aufgezeigt worden. Daß in den Gemeinden wie in den Ländern heute die Mittel nicht mehr zur Finanzierung der notwendigsten kommunalen Aufgaben vorhanden sind, das weiß jedes Kind in der Gemeinde. Daß die Gemeinden z. B. nicht in der Lage sind, die Wohlfahrtsrichtsätze zu erhöhen, mit der Vorgabe, sie hätten schon im vorigen Jahr auf Grund der Erhöhung des Bundesanteils einen erheblichen Teil der Finanzzuweisungen des Landes verloren, ist doch eine Tatsache, die nicht aus der Welt zu schaffen ist. Es ist tatsächlich nachweisbar, daß z. B. die Stadt Essen im letzten Etatsjahr 1 Million DM an Finanzzuweisungen des Landes verloren hat.
Heute morgen hat der Herr Minister Kaiser mit einer Träne im Auge von den armen notleidenden Menschen drüben in der DDR gesprochen und hat gesagt, wir Kommunisten sollten uns schämen wegen dieser Zustände.

(Sehr richtig!)

Vor mir liegt ein Auszug aus den „Frankfurter Heften"; die liest doch hoffentlich der Herr Minister auch. Oder hat er dazu keine Zeit infolge der vielen Arbeit, die ihm die Organisation der Hetze verschafft? Aus diesen „Frankfurter Heften", die ja nicht kommunistisch infiltriert sind, erfahren wir, daß 15,5 Millionen in Westdeutschland heute darben.
Ich bin der Meinung, d i e Politiker sollten sich schämen, die den Ländern und Gemeinden die Mittel zur Durchführung ihrer kommunalen Aufgaben nehmen, die Menschen, die dafür sorgen, daß in der Kommune keine Sozialpolitik, keine Wohlfahrtspflege, kein Schulhausneubau betrieben werden kann, daß die Straßen nicht mehr ausgebessert werden können, daß die Gebühren für Gas, Wasser, Strom usw. ständig erhöht werden. Diese AdenauerPolitiker sollten sich wegen der Politik, die hier in Bonn gemacht wird, vor den kleinen Bürgern in ihrer Gemeinde schämen.
Ich komme zum Schluß. Wir lehnen diesen Gesetzentwurf ab. Wir lehnen ihn ab, weil wir davon überzeugt sind, daß die Maßnahmen, die damit angestrebt werden, nichts anderes bezwecken, als mehr Mittel für die Finanzierung der Wiederaufrüstung

(Zuruf rechts: Na also!)

und für die Finanzierung der Kriegsvorbereitung zu schaffen. Weil wir das verhindern wollen, weil wir Ihnen die Möglichkeit, unser Volk in einen neuen verderblichen Krieg hineinzuziehen, weil wir Ihre Politik der Spaltung und des Krieges zerschlagen wollen, darum lehnen wir auch alle Ihre Bestrebungen ab, die Finanzierung sicherzustellen. Das ist der Grund, warum wir nein sagen. Wir sagen nein, weil wir nein zu der Politik Adenauers, der Politik des Krieges und des Unterganges unseres Volkes sagen.

(Abg. Huth: Das glauben Sie persönlich ja selber nicht, was Sie gesagt haben, Renner! — Abg. Renner: Tragischer Widerspruch, daß Sie gelegentlich den frommen Christen machen, gleichzeitig aber die volksverderbliche Adenauer-Politik unterstützen!)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126416400
Das Wort hat Herr Abgeordneter Gülich.

Dr. Wilhelm Gülich (SPD):
Rede ID: ID0126416500
Ich möchte nur einige Anmerkungen zu dem Teil des Gesetzes machen, dessen Titel im Zweiten Teil „zur Sicherung der Haushaltsführung" heißt. Wie das Defizit im Haushalt beseitigt werden soll, ist in diesem Gesetz nicht gesagt worden. Dieser zweite Teil heißt interessanterweise „Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern in den Rechnungsjahren 1953 und 1954". Das ist merkwürdig, weil die sogenannte kleine Steuerreform j a hier im Bundestag gelegentlich der Einbringung des Haushalts 1953 angekündigt war und gleichzeitig mit dem Haushalt die Drucksache Nr. 4006, das „Gesetz über die Inanspruchnahme eines Teils der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer durch den Bund" im Hause eingebracht wurde. Dieser Gesetzentwurf, der nach dem Bericht des Ausschusses nun für erledigt erklärt werden soll, sah die Inanspruchnahme von 44 % der Einkommen- und der Körperschaftsteuer, die ja Landessteuern sind, durch den Bund vor. Infolge der Einnahmeausfälle, die mit der kleinen Steuerreform verbunden sind, hat der Herr Bundesfinanzminister den von ihm gewünschten Anteil auf 40 % reduziert.
In Wirklichkeit handelt es sich nur insofern um einen Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, als infolge des Anwachsens der Aufgaben des Bundes auch seine Ausgaben steigen und zur Deckung kein anderer Weg übrigblieb als die Inanspruchnahme eines Teils der Einkommen- und der Körperschaftsteuer.
Wir haben vorhin bei der Frage des Gesetzes zur Änderung des Art. 108 ja besprochen, daß wir mit vielen hundert Millionen — einer runden Milliarde — Mehraufkommen rechnen, und ich kann nur nochmals meinem Bedauern darüber Ausdruck geben, daß nicht alle Möglichkeiten erschöpft werden, bevor man neue Steuermittel von den Ländern in Anspruch nimmt und damit deren Finanzkraft schwächt. Die Tendenz ist ganz klar. Der Bund muß in zunehmendem Maße Gesamtaufgaben übernehmen und wird infolgedessen in seiner Finanzkraft gestärkt werden müssen. Von einem vertikalen Fi-


(Dr. Gülich)

nanzausgleich nach Art. 106 Abs. 3 ist ja bisher in Wirklichkeit keine Rede gewesen. Vielmehr hat der Bund nur einseitig einen Teil, und zwar jetzt einen sehr beträchtlichen Teil von 37 %, der Einkommen- und Körperschaftssteuer in Anspruch genommen und bisher nicht das getan, was er nach Art. 106 Abs. 3 tun sollte, nämlich dafür den Ländern insbesondere für Schul-, Wohlfahrts- und Gesundheitszwecke Mittel zuzuweisen. Erst mit dem vorliegenden Gesetzentwurf gewährt der Bund den Ländern Zuschüsse von 200 Millionen DM je für das Rechnungsjahr 1953 und 1954. Alle Länder sollten also jetzt für Schulzwecke etwas bekommen, und zwar prozentual nach der Zahl ihrer Schulkinder.
Durch diese gestaffelte Überweisung von 200 Millionen DM sollte erreicht werden, daß die Inanspruchnahme der Einkommen- und Körperschaftssteuer nicht, wie bisher, schematisch 37 % betrug, sondern je nach der Finanzkraft der Länder tatsächlich unterschiedlich war. Wenn ich sage „Finanzkraft der Länder", so ist das nicht richtig, denn mit „Finanzkraft" wird nicht der großen Unterschiedlichkeit Ausdruck gegeben. Immerhin wäre nach diesem Gesetzentwurf Hamburg als finanzstärkstes Land mit 39,48 % in Anspruch genommen worden, Schleswig-Holstein als finanzschwächstes Land mit 35,55 %, und im Bundesdurchschnitt wären es 38,15 %.
Der Bundestagsausschuß für Finanz- und Steuerfragen empfiehlt nun heute, den Abschnitt II des Zweiten Teils zu streichen, also den Ländern diese 200 Millionen DM nicht zu überweisen. Er befindet sich damit in einer merkwürdig seltenen Übereinstimmung mit den Finanzministern der Länder und mit dem Bundesfinanzminister. Das hat für die Länder natürlich eine Erhöhung im horizontalen Finanzausgleich zur Folge, der j a auch noch zur Verabschiedung ansteht; das Gesetz nach Art. 106 Abs. 4 des Grundgesetzes wird zur Zeit im Ausschuß beraten. Der Bundesrat hat bereits beschlossen, die Ausgleichsmasse des Länderfinanzausgleichs so zu erhöhen, daß Schleswig-Holstein 20 Millionen DM mehr erhält, als es bisher erhalten sollte. Es war ja jetzt schon für SchleswigHolstein ein Sonderbonus von 10 Millionen DM vorgesehen. Niedersachsen hat dieser Regelung nicht zugestimmt, und zwar wird es ihr deshalb nicht zugestimmt haben, weil es selbst neue Forderungen stellen wird. Im übrigen ist es nicht schwer, zu prophezeien, daß noch weitere Länder mit Ausgleichswünschen kommen werden, wie sich ja schon bei der Abstimmung über den Sonderbonus für Schleswig-Holstein eine bemerkenswerte Front der reichen Länder mit Schleswig-Holstein gezeigt hat.
Interessanterweise hat nun der Bundestagsausschuß für Finanz- und Steuerfragen dem Hause jetzt empfohlen, die Inanspruchnahme auf 40 0/o zu erhöhen. Nach Wegfall der 200 Millionen DM dürften es ja nur noch 38,15 % sein. Der Herr Bundesfinanzminister ist natürlich einfallsreich genug, die Gelegenheit zu benutzen und zu sagen: bitte, gebt mir jetzt die vollen 40 %!, und das wird begründet mit den höheren Ausgaben des Bundes für Sowjetzonenflüchtlinge, für Besoldungsänderung usw. Falls nun der Bundestag einen entsprechenden Entschluß faßt, ist die Annahme des Gesetzes im Bundesrat gefährdet. Dann entsteht eine interessante und bemerkenswerte politische Situation. Ich nehme an, daß der Herr Bundesfinanzminister sagen wird: Die Länder können doch um dieser
1,85 % willen nicht die sogenannte kleine Besoldungsreform, über die schon seit Monaten so viel gesprochen wird, scheitern lassen! Ich glaube, daß er in dieser Spekulation damit rechnet, daß der Bundesrat diesem Gesetz unter diesem gewissen Druck zustimmen wird. Nun, das ist Sache des Bundesrates. Aber die Verzögerung des Inkrafttretens des Gesetzes ist natürlich möglich.
Ich möchte noch eine letzte Bemerkung machen, die mir nicht unwichtig erscheint. Bei den Ländern entsteht ja durch die sogenannte kleine Steuerreform ein erheblicher Steuerausfall, der kassenmäßig zunächst durch den Bund gedeckt wird. Nun rechnet der Bund mit einer Belebung der Wirtschaft und damit auch mit einer Erhöhung des Landessteueraufkommens. Nach dem Beschluß des Finanzausschusses ist vorgesehen, daß, wenn das gesamte Ländersteueraufkommen an Einkommen- und Körperschaftsteuer 10 900 000 000 DM übersteigt, der Bund in beiden Rechnungsjahren 1953 und 1954 von den Mehreinnahmen bis zum Gesamtbetrag von je 950 000 000 DM 80 % in Anspruch nimmt, so daß bei einem Mehraufkommen von 950 000 000 DM 760 000 000 DM an den Bund und 190 000 000 DM an die Länder gehen würden. Hier sieht man die ganze Fragwürdigkeit dieses Systems. Die Länder haben auf diese Weise an dem Mehraufkommen ein relativ geringes Interesse; denn die Länder werden ja auch von Menschen regiert, die ihre Vor- und Nachteile abwägen, und wenn diese Menschen sogar Finanzminister sind, dann kann man sich denken, was sie sich dabei ausrechnen werden. Man kann sich also denken, daß sie zu finanzpolitischen und wirtschaftspolitischen Maßnahmen greifen, um das vom Bund her gesehen dringend notwendige Mehraufkommen nicht zustande kommen zu lassen. Das wäre zwar von den Ländern nicht staatspolitisch gedacht, aber wir haben in den letzten Jahren schon mancherlei von der Länderfinanzpolitik erlebt. Ganz ernsthaft ist ja zu sagen, daß die Länder auch echte Länderaufgaben haben und daß ihre Landesmittel ohnehin zu knapp sind. Diese Ländersteuern, an deren Mehraufkommen der Bund mit 80 % beteiligt wird, werden ja auch von Landesbehörden verwaltet.
Man sieht, darin steckt also eine ganze Fülle von Problemen, die wiederum nur die Unzulänglichkeit unserer Finanzverfassung darlegen und zeigen, wie dringend reformbedürftig unsere gesamte Finanzverfassung ist. Ich habe vor einiger Zeit einmal gesagt, daß man einen Anteil von 37 % honorigerweise kaum noch als Anteil bezeichnen könnte. Wieviel mehr ist das von dem Anteil von 80 % zu sagen, den der Bund von dem Mehraufkommen in Anspruch nehmen wird. Damit wäre ich mitten in der Diskussion um die Finanzverfassung, die wir heute behandelt haben und bei der die Befürworter leider eine Niederlage erlitten haben. Aber eines ist dabei doch interessant, und das möchte ich noch aussprechen: Wie fromm und wie treu auch das föderalistische Herz des Herrn Bundesfinanzministers in seinem bayerischen Busen schlagen möge,

(Heiterkeit)

man sieht, auch dieser Bundesfinanzminister mag anpacken, was er will, es läuft immer auf die Stärkung der Bundesgewalt hinaus.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126416600
Das Wort hat Herr Abgeordneter Neuburger.


August Neuburger (CDU):
Rede ID: ID0126416700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie haben von den bisherigen Sprechern teils Zustimmung, teils Ablehnung gehört. Die Stellungnahme meiner Parteifreunde zu diesem Gesetzentwurf ist positiv. Wir haben das bereits gestern in der zweiten Lesung zum Ausdruck gebracht.
Wir sprechen von diesem Gesetzentwurf als der kleinen Steuerreform, d. h. auch bei meinen Parteifreunden mußten noch viele und teilweise berechtigte steuerliche Wünsche zurückgestellt werden. Es wäre also falsch, anzunehmen, daß mit dieser kleinen Steuerreform auch unser Steuerprogramm bereits seine gesetzliche Fundierung gefunden hätte. Wir können aber auch auf dem Gebiet der Steuer nur Schritt für Schritt vorwärtsgehen, und diese kleine Steuerreform bedeutet einen Schritt zur Wiederherstellung eines gesunden Steuersystems.
Das Kernstück dieses Entwurfs bildet die Tarifsenkung. Wir bejahen sie, und zwar gerade in der Weise, wie sie vorgenommen worden ist. Denn sie enthält wesentliche Bestandteile des Grundsatzes, den Herr Kollege Seuffert ausgesprochen hat, daß man nämlich die Steuersenkung auch von unten her vornehmen müsse. Wir haben die Freigrenze sowohl für den einzelnen Steuerpflichtigen als auch für die Ehefrau und für die Kinder vom dritten Kind an erhöht. Es kann doch nicht bestritten werden, daß dies eine Steuersenkung von unten her ist. Ebensowenig kann bestritten werden, daß diese Erhöhungen der Freigrenzen von unten her sich im Hinblick auf die Progression sehr stark auswirken.
Es wird soviel vom Existenzminimum geredet. Mit diesem Wort kann man so schön Propaganda machen.

(Zuruf von der SPD: Allerdings!)

Aber bis zur Stunde habe ich noch niemanden gehört, der einmal beschrieben hätte, worum es sich denn bei diesem Exisenzminimum handelt,

(Zuruf von der SPD: Fragen Sie mal Herrn Erhard!)

wo zahlenmäßig dieses Existenzminimum liegt.

(Abg. Renner: Eure Wohlfahrtsrichtsätze, die nennt Ihr „Existenzminimum"! — Weitere Zurufe links.)

Wir haben doch alle die Jahre 1940 bis 1945, 46, 47, 49, 50, 52 erlebt und eine kleine Schulung mitgemacht darüber, was der Mensch braucht, womit er existieren kann. Wir haben also doch alle eine Schule des Existenzminimums mitgemacht, und wir wissen, wie labil dieser Begriff ist. Wenn hier immer betont wird, „von 1500 Mark ab", so frage ich: Wie steht es denn damit? Bis zu 1736 DM braucht der einzelne keine Steuern bezahlen! So sind doch die Dinge! 1736 DM kann einer verdienen, und dann braucht er immer noch keinen Pfennig Steuer zu bezahlen!

(Zuruf von der SPD: Einkommensteuer! — Abg. Seuffert: Sie wissen doch, was ein Freibetrag ist! Der gilt auch für denjenigen mit 5000 Mark Einkommen!)

— Nein, es handelt sich hier nicht um die Freibeträge. Wenn Sie draußen sagen, Sie wollen einen Freibetrag von 1500 DM, da meint jeder, bis zu 1500 DM könne er verdienen, ohne daß er Steuern zu zahlen brauche. Ich sage: er kann mehr als 1500 DM verdienen, er kann als Arbeitnehmer
1736 DM verdienen und braucht keine Steuer zu bezahlen. Wenn er mehr als 1736 DM verdient, muß er 2 DM Steuern bezahlen; 2 DM im Jahr sind die erste Steuerstufe. Ich möchte den einzelnen einmal fragen, was er für seinen Kegelklub bezahlt, was er bezahlt, wenn er sonntags auf den Fußballplatz geht.

(Lebhafte Zurufe von der SPD.)

Ich halte es im Sinne einer echten Staatsverantwortung nicht für angängig, daß der einzelne dem Staat zwar sagt: Du mußt für mein Leben sorgen, du mußt für mich sorgen, wenn ich nichts mehr verdiene, daß er aber, wenn es an die direkten Leistungen an den Staat geht, sagt: Ich bin frei.
Für Verheiratete liegt die gleiche Grenze bei 2537 DM.

(Abg. Renner: Das ist doch Ohrenschwindel!)

Und auch darüber beginnt es erst mit 2 DM. Bei Verheirateten mit einem Kind liegt die Grenze bei 3136 DM. Alles, was darunter liegt, ist steuerfrei. So ist doch die Wirklichkeit, und das sind die Zahlen, die die Leute draußen wissen wollen; sie wollen nicht wissen, wie sich die Dinge im einzelnen zusammensetzen. Bei Verheirateten mit drei Kindern liegt die Steuergrenze bei 4586 DM, also praktisch bei 390 DM brutto im Monat.
Wir sind daher der Auffassung, daß wir den Grundsatz der Steuersenkung von unten her so weit wie möglich und so weit, wie das im Interesse des Staates zu verantworten ist, verwirklicht haben. Wenn unsere Wirtschaftskraft weiter steigt und wir die Möglichkeit haben, unsere Ausgaben zu senken, dann sind wir auch bereit, eine weitere Steuersenkung eintreten zu lassen. Dies ist ja nicht die erste, die wir durchführen. Es ist bereits die zweite, von den kleinen Vergünstigungen in der Zwischenzeit ganz abgesehen. Die Steuer wird — um noch einmal die Prozente zu sagen — um rund 15 % gesenkt. Bei Monatseinkommen von 300 DM beträgt in der Steuerklasse eines Verheirateten mit einem Kind die Steuerermäßigung 55 %, d. h. die bisherige Steuer wird praktisch um die Hälfte ermäßigt. Wenn das keine Steuersenkung von unten her ist, was soll es dann sein?
Noch ein anderes Beispiel. Von dem gesamten Steuerausfall, den der Bundesfinanzminister errechnet hat, kommen den Einkommen unter 8000 DM rund 50 % zugute. Das sind rund 650 Millionen DM.
Ein Wort zur Ehebesteuerung. Sie sehen, daß die Fraktion der Deutschen Partei und meine Parteifreunde den Ihnen als Umdruck Nr. 902 vorliegenden Antrag eingebracht haben. Ich will hier nicht das ganze Thema der Haushaltbesteuerung bzw. der getrennten Besteuerung ansprechen. Wir haben ja genug davon gehört. Ich will hier nur sagen, daß dieser Antrag im wesentlichen den Vorschlag wiedergibt, den der Bundesrat gemacht hat. Niemand in diesem Hause kann ja bestreiten, daß die derzeitige Regelung eigentlich das Äußerste an Steuerungleichheit und Steuerungerechtigkeit darstellt. Auch in der Stellungnahme des Deutschen Gewerkschaftsbundes ist dies mit aller Deutlichkeit ausgesprochen.
Ich gebe zu, daß der Vorschlag, den die Regierung gemacht hat, nicht eine geeignete Grundlage für eine soziale und familiengerechte Lösung dieses Problems war. Denn eine solche Lösung kann nur so erfolgen, wie es auch vorhin von Frau Kalinke


(Neuburger)

aufgezeigt wurde: wir müssen zu einem Steuertarif kommen, der im Falle der Verheiratung eben nicht zu einer größeren Steuerlast führt. Wann wir dazu kommen, ist noch offen; hoffentlich im Rahmen der großen Steuerreform. Jetzt gilt es, nur die gröbste Ungerechtigkeit auf diesem Sektor abzustellen, und die besteht darin, daß bei dieser getrennten Versteuerung beide Ehegatten den Vorzug der Familienermäßigung genießen.
Der Bundesrat hat gesagt: Wenn schon getrennte Versteuerung, dann soll der eine Ehegatte als Familienoberhaupt besteuert und der andere Ehegatte nach Steuerklasse I behandelt werden. Dieser Grundsatz ist in dem Antrag, der Ihnen vorliegt, niedergelegt. Und noch eine zusätzliche Begünstigung ist darin enthalten: Wenn der andere Ehegatte aus irgendwelchen Gründen nicht mehr als 600 DM verdient — er hat vielleicht ein selbständiges Geschäft, hat zufällig in dem Jahr Verluste und verdient nicht ganz 600 DM —, dann soll die Ehefrau nicht nach Steuerklasse I besteuert werden, sondern sie kann in Steuerklasse II bzw. III verbleiben, also die bisherigen Vorteile der Familienermäßigung erhalten. Das ist der Sinn dieser Klausel: „Sofern andere Einkommen der Ehegatten 600 Deutsche Mark jährlich nicht übersteigen".
Es soll dann noch eine kleine textliche Veränderung vorgenommen werden, die aber den Inhalt des Gesetzes nicht ändert. In dem Abs. 2 soll es heißen:
Statt dessen werden auf Antrag der Ehegatten diese mit den bezeichneten anderen Einkünften nach Steuerklasse I besteuert.
Ich darf den Antrag mit dieser veränderten Fassung, die, wie gesagt. nur eine redaktionelle Änderung darstellt, dem Herrn Präsidenten überreichen.
Ich möchte Sie wirklich bitten, meine sehr verehrten Damen und Herren, diesem Antrag Ihre Zustimmung zu geben. Ich glaube, daß Sie sich nichts dabei vergeben, wenn Sie sich für diese Korrektur einsetzen. Der Grundsatz der getrennten Besteuerung, der bisher gegolten hat und der von vielen so angefochten und von vielen verteidigt wurde — man kann beides sagen, wenn ich so die Korrespondenz betrachte, die bei mir einging —, wird dadurch nicht berührt, aber die einseitige und auch von niemand verstandene doppelte Bevorzugung sollten wir wenigstens im Zuge dieser kleinen Steuerreform beseitigen. Ich möchte daher wirklich an Sie alle den Appell richten, diesem Antrag zuzustimmen.
Abschließend noch ein Wort zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Seuffert. Er sagte, daß es bei der Steuerpolitik im wesentlichen darauf ankomme, das Durchschnittseinkommen entsprechend zu berücksichtigen. Oder es komme darauf an, wie er sich außerdem noch ausdrückte, daß die Steuerpolitik dafür sorge, daß der Lebensstandard des ganzen Volkes zumindest nicht nach unten gedrängt, sondern möglichst gehoben werde. Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir treiben Steuerpolitik und sind für beinahe 4 Jahre Steuerpolitik verantwortlich. Wir haben wiederholt schon zum Ausdruck gebracht, daß diese Steuerpolitik heute nicht als Fiskalpolitik betrieben werden kann, sondern daß diese Steuerpolitik wesentlicher Bestandteil unserer Wirtschaftspolitik ist. Und nun frage ich: Haben wir mit dieser unserer Steuerpolitik unter dem Gesichtspunkt des Ausrichtens auf das Durchschnittseinkommen, des Ausrichtens auf den Lebensstandard unseres Volkes seit dem Jahre 1949 unsern Lebensstandard nach unten gewirtschaftet oder nach oben?

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der SPD.)

Wir können sie nicht ins Paradies heben, und auch die Bäume des Lebensstandards wachsen nicht in den Himmel,

(erneute Zurufe von der SPD)

aber eines steht doch fest und kann auch von Ihnen nicht bestritten werden: daß wir durch diese Steuerpolitik den Lebensstandard wesentlich positiv für die Allgemeinheit beeinflußt haben.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Sie sprachen davon, der Finanzminister habe in das Defizit hinein Steuern gesenkt, das wäre falsch gewesen. Sie vergessen ganz, daß der Finanzminister im Jahre 1950 einen Etat von 15 Milliarden DM hier zu vertreten hatte, während er heute einen Etat von 25 Milliarden DM zu vertreten hat. Der Etat ist aber nicht durch seine Schuld so hoch, sondern weil wir hier im Hause Bewilligungen vorgenommen haben.

(Sehr richtig! in der Mitte. — Zuruf links: Wieder 10 Milliarden DM für Rüstungen!)

Das muß man sich doch einmal vorstellen.
Ich darf damit zum Schluß kommen. Ich beurteile unsere Steuerpolitik — ob sie gut oder schlecht ist — danach, wie sie der Aufgabe gerecht wird, die Ausgaben zu decken. Wir haben seit Jahren die Ausgaben um mehrere Milliarden gesteigert. Die Steuerpolitik konnte bisher die Einnahmeseite einigermaßen in Ordnung halten. Wir konnten das, obwohl wir im Jahre 1950 die Steuer gesenkt haben und obwohl wir jetzt wiederum eine Steuersenkung vornehmen. Das, was wir getan haben, spricht für sich.

(Zuruf von der SPD: Umsatzsteuererhöhung!)

— Die Umsatzsteuererhöhung hat sich nicht auf die Preise ausgewirkt.

(Lachen und Widerspruch bei der SPD und KPD.)

Wer das Gegenteil behauptet, der kann den Preisindex nicht lesen.

(Abg. Seuffert: Wie wäre es ohne die Umsatzsteuererhöhung?)

Auf alle Fälle, und damit lassen Sie mich schließen:

(Abg. Renner: Halten Sie eine CDU-Versammlung ab?)

unsere Steuerpolitik hat gewährleistet, daß wir die steigenden Ausgaben, für die in erster Linie die Bewilligungsfreudigkeit dieses Hauses verantwortlich ist,

(Sehr gut! in der Mitte)

bisher decken konnten. Trotz dieser Steigerung in den Ausgaben haben wir jetzt zum zweitenmal eine Steuersenkung vorgenommen. Auch diese Steuersenkung wird zur Gesundung unserer Wirtschaft und zur Hebung des Lebensstandards beitragen. Sie wird ein Beitrag zum sozialen Fortschritt unseres Volkes sein.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Renner: Die 200 Divisionen, das ist euer sozialer Fortschritt!)



Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126416800
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Wellhausen.

Dr. Hans Wellhausen (FDP):
Rede ID: ID0126416900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will nur wenige Sätze reden und jede Polemik nach aller Möglichkeit in dieser Angelegnheit, in der es sich um Mark und Pfennig handelt, vermeiden.
Es ist mir aufgefallen, daß der Kollege Seuffert gesagt hat, der Gesetzentwurf sei aus dem Ausschuß besser herausgekommen, als er in den Ausschuß gegangen sei. Das ist meines Erachtens richtig. Der Ausschuß hat sich in der Tat sehr große Mühe gegeben. Ich habe mir erlaubt, das gestern — allerdings etwas abgestellt auf die Mehrheit des Ausschusses — als Berichterstatter hier darzulegen.
Ich stehe auch unter dem Eindruck, daß bei dem einzelnen Volksgenossen

(Zuruf von der KPD: Heil Hitler!)

die Freude an der Steuersenkung eine viel größere sein wird, als das nach den Worten der SPD hier erscheint.

(Abg. Euler: Sehr richtig! — Abg. Seuffert: Das ist ja der Zweck der Sache!)

Ich könnte mir vorstellen, es geht hier so ähnlich wie mit der Marktwirtschaft,

(Sehr gut! rechts)

von der im Augenblick niemand mehr spricht, die niemand mehr angreift. Herr Erhard merkt von Ihrer Existenz (nach links gewendet) überhaupt nichts mehr. Das muß Ihnen doch auch schon aufgefallen sein.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich halte es für richtig, statt mit vielen Zahlen und Prozenten zu arbeiten, dieses natürliche Empfinden des einzelnen Volksgenossen hier einmal ganz offen herauszustellen.

(Sehr gut! rechts.)

Dieser Volksgenosse arbeitet nämlich nicht mit den Tabellen von 1925 und 1939; er arbeitet vielleicht mit dem Kontrollratsgesetz und erklärt dann, Gott lob, es ist viel viel besser geworden.

(Sehr richtig! rechts.)

Ich gehe nicht weiter auf diese Dinge ein. Meine Freunde freuen sich — —

(Zuruf links: Das kann ich mir denken!)

— Lassen Sie mich wenigstens den Satz zu Ende reden; hinterher können Sie ja einen ganzen Satz sprechen. Es ist immer gefährlich, einen Satz zu unterbrechen. — Meine Freunde freuen sich, daß es in der Frage der Begünstigungen, die vom Herrn Bundesfinanzminister ja zum Mittelpunkt des ganzen Gesetzes gemacht worden sind, gelungen ist, eine ganze Reihe von verständigen und — vielleicht ausnahmsweise — auch verständlichen Erleichterungen zu schaffen. Ich glaube auch, daß das Anliegen des Kollegen Walter durch unsere Beschlüsse schon überholt ist.
Meine Freunde haben aber einen Anstand an der Geschichte, nämlich den, daß dieses Gesetz zu spät kommt. Diese Steuerreform hätte bei der Haushalts- und Liquiditätslage des Bundes nach unserer Auffassung früher in Kraft treten können. Über dieser Reform lag ein sehr geheimnisvolles Dunkel, und das ist für meine etwas beschränkten Verhältnisse — ich meine die Gehirnverhältnisse —

(Heiterkeit. — Abg. Renner: Das andere hätte ja auch niemand geglaubt!)

auch heute noch nicht ganz aufgeklärt. — Herr Renner, schweigen Sie nur, Sie haben für heute Ihr Soll längst überschritten.

(Erneute Heiterkeit.)

Ich meine, jeder Mensch hat ein gewisses Soll an Pilsener Bier und an Zwischenrufen. Ich hoffe, Sie haben das erste auch erfüllt;

(Zuruf des Abg. Renner)

dann bleiben Sie uns nämlich nicht mehr so lange erhalten.
Meine Damen und Herren, der Bundesfinanzminister — er läßt sich nicht gern in die Karten gucken; das tut kein Finanzminister, aber es ist auch sonst keiner da —

(Heiterkeit)

hätte ohne weiteres erreichen können, daß dieses Gesetz am 1. Januar dieses Jahres in Kraft trat. Wir halten es für einen Fehler, daß das nicht geschah. Meine alte These, die der Bundesfinanzminister genau kennt, ist die, daß ihn erst der Koalitionsantrag Drucksache Nr. 3838 in Bewegung gesetzt und vielleicht etwas aus seiner bayerischen Gemütlichkeit aufgescheucht hat.

(Heiterkeit.)

Wir sind der Meinung, daß das Bessere der Feind des Guten ist. Und dies, was uns vorliegt, ist das Gute, zwar nicht absolut im Sinne der Bibel. Um Gottes willen, wie könnte das ein Steuergesetz auch nur auf hunderttausend Stunden sein!

(Zurufe von der Mitte.)

— Herr Kunze, entschuldigen Sie, daß ich überhaupt so weit gegangen bin.

(Erneute Heiterkeit.)

Ich meine das Bessere und das Gute in relativem Sinne. Wir stimmen also deswegen diesem Gesetz zu.
In der nicht einfachen Angelegenheit der Ehegattenbesteuerung

(Abg. Neuburger: Dann müssen Sie diesen Grundsatz auch gelten lassen!)

wird mein Kollege Miessner noch einige Worte sagen.
Zu dem Zweiten Teil des Gesetzes möchte ich ebenfalls ausdrücklich unsere Zustimmung bekunden.
Ich muß Ihnen, Herr Renner, auch einmal etwas sagen. Es ist ja nicht richtig, daß Sie immer bloß mir etwas erzählen. Ich komme nämlich auf die Investitionspolitik der Länder zu sprechen, deren Aufwendungen von Jahr zu Jahr größer geworden sind, aber bei weitem nicht für Aufrüstung, wie Sie ahnungsloser Engel meinen.

(Zuruf von der Mitte: Er ist aber kein Engel!)

— Sie sind eben doch von gewissen Komplexen befangen! Soll ich ihn nicht mal neutral nehmen?

(Erneute Zurufe von der Mitte.)

Engel sind für mich neutrale Wesen. Herr Horn, wissen Sie das nicht auch?

(Heiterkeit und Zurufe.)

— Sie sind ja wahrscheinlich keiner; aber wir wollen das hier nicht weiter untersuchen.

(Abg. Renner: Kommen Sie zurück auf mich!)

Also, meine Damen und Herren, kommen Sie zurück zur Einkommensteuer! Wir sind also bereit, dem Gesetzentwurf in der Fassung, die er in der zweiten Lesung erhalten hat, zuzustimmen.


(Dr. Wellhausen)

Seien Sie mir nun aber nicht böse, wenn ich ein wenig Wasser in den Wein schütten muß, den ich Ihnen bisher habe reichen dürfen.

(Abg. Dr. Schröder [Düsseldorf]:: Na, mit „Wein" sind Sie ziemlich anspruchsvoll! — Zuruf von der SPD: Es war ein schlechter Wein!)

— Ihnen würde er vielleicht nicht bekommen; Sie brauchen ihn ja auch gar nicht zu trinken!
Meine Damen und Herren! Nehmen Sie es mir nicht übel, wenn ich gleich heute für meine Fraktion hier in allem Ernst erkläre, daß wir die Folgerungen aus einer Abstimmung des heutigen Tages ziehen werden. Wir werden nämlich mit größerer Skepsis als bisher an Steuern oder sonstige Anforderungen des Herrn Bundesfinanzministers herangehen,

(Lebhafte Rufe von der SPD: Hört! Hört! und Sehr gut!)

nachdem dieses Haus nicht mit der nötigen Mehrheit den Beschluß gefaßt hat, von Einsparungen Gebrauch zu machen, die ihm im ganzen geradezu auf dem Tablett durch die Bundesfinanzverwaltung angeboten worden sind,

(Beifall bei der FDP und SPD)

nachdem dieses Haus nicht mit der nötigen Mehrheit den Mut aufgebracht hat, hier über den Schatten zu springen, wie ich vorhin sagte, meine verehrten Herren von der Bayernpartei! Ich hätte an Stelle des Herrn Bundesfinanzministers einige hundert Millionen — denn es besteht kein Streit darüber, daß es soviel sind — angenommen, wenn sie mir angeboten worden wären.

(Lebhafter Beifall bei der FDP und SPD. — Abg. Renner: Ich warte immer noch auf Ihre Belehrungen!)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126417000
Das Wort hat der Herr Bundesfinanzminister.

Fritz Schäffer (CSU):
Rede ID: ID0126417100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur zwei Sätze! Es ist ganz selbstverständlich und jedermann, der die Verhältnisse in Deutschland kennt, bewußt: Wenn der Bundestag heute den Antrag auf Änderung des Grundgesetzes mit Zweidrittelmehrheit angenommen hätte, wäre dieser Antrag doch nicht Gesetz geworden, weil mit einer Zustimmung des Bundesrats nie zu rechnen gewesen wäre.

(Widerspruch und Zurufe von der SPD. — Abg. Seuffert: Sie wollen wohl Schwarzer Peter spielen!)

Wir hätten politisch einen Streit und Konflikt gehabt und keinen Erfolg und keine Finanzeinsparung.

(Beifall bei der CDU/CSU und BP. — Abg. Mellies: Das ist das zweite Mal, daß wir eine solche Entschuldigung vom Bundesfinanzminister hören! — Abg. Renner: Sonst ist er gar nicht so friedlich!)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126417200
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Wellhausen.

Dr. Hans Wellhausen (FDP):
Rede ID: ID0126417300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stehe auf dem Standpunkt. wenn Sie wollen: auf dem biblischen Standpunkt, daß man ein gutes Werk nicht deswegen unterlassen soll, weil man fürchtet, daß ein anderer dieses gute Werk nicht tut!

(Beifall bei der FDP und SPD. — Abg. Kunze: Eine schlechte Theologie! — Abg. Schmücker: Das geht völlig an der Sache vorbei! — Anhaltende Wechselrufe zwischen den Fraktionen.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126417400
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Gülich.

Dr. Wilhelm Gülich (SPD):
Rede ID: ID0126417500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur an Herrn Kollegen Neuburger ein ganz freundschaftliches Wort richten. Ich kann ja auch Preis- und Lohnindices und Lebenshaltungskostenindices lesen, aber ich muß dazu sagen: Der Fehler, der hier immer gemacht wird und mit dem der Bundeswirtschaftsminister angefangen hat, ist der, die Lebenshaltung nur in der großen statistischen Zahl zu sehen und nicht zu bedenken, wie die Lebenshaltungskosten sich auf die einzelnen sozialen Schichten verteilen und wie sie sich regional aufgliedern.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

Das ist ein ganz ernsthaftes Problem. Man darf nicht so verallgemeinern, wie Sie, Herr Neuburger, das getan haben. Niemand von uns leugnet, daß die Lebenshaltung in den letzten Jahren für einen Teil des Volkes erheblich verbessert worden ist,

(Abg. Neuburger: Für das ganze Volk!)

Aber Sie wollen bitte auch zur Kenntnis nehmen, daß sie für große Teile des Volkes verschlechtert worden ist.

(Sehr wahr! bei der SPD! — Abg. Neuburger: Das ist nicht wahr!)

— Herr Neuburger, ich lade Sie freundlichst ein, einmal zu mir in den Kreis Herzogtum Lauenburg zu kommen und zu sehen, welche Armut in diesen Notstandsgebieten um Geesthacht, Lauenburg, Schwarzenbek und Ratzeburg herrscht, und ich bitte Sie, mit mir in eine Apotheke oder irgendeinen Laden zu gehen; da können Sie feststellen, was dort für Umsätze gemacht werden. Wenn die Hälfte der Bevölkerung in einer solchen Stadt erwerbslos ist und überhaupt keine großen Erwerbsmöglichkeiten bestehen, dann treten solche Zustände ein, daß man von wirklichen Notstandsgebieten sprechen muß. Diese Notstandsgebiete — ich habe es heute schon einmal angedeutet — liegen gerade entlang der Zonengrenze.

(Abg. Dr. Schröder [Düsseldorf]: Das ist aber doch ein ganz separates Problem!)

— Nein, Herr Schröder, das ist eben kein separates Problem!

(Abg. Dr. Schröder [Düsseldorf]: Das ist ein separat zu behandelndes Problem!)

— Nein. Deswegen habe ich ja nur die paar Sätze gesagt. Ich glaube, daß durch solche Verallgemeinerungen, wie sie Herr Neuburger hier unter dem Beifall der Mehrheit des Hauses gemacht hat, draußen ein falsches Bild entsteht.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

Auf die Notstandsgebiete — und das gilt fast für ganz Schleswig-Holstein — treffen Ihre Feststellungen nicht zu; deswegen mußte ich Ihnen widersprechen.
Im übrigen, Herr Wellhausen: daß Herr Erhard von unserer Existenz gar nichts mehr weiß, ist eine Übertreibung, die Ihnen nicht gut zu Gesicht steht. Glauben Sie: wir sind eine nicht wegzudiskutie-


(Dr. Gülich)

rende Existenz, und er wird noch mehr von uns erfahren.

(Sehr gut! bei der SPD. — Abg. Kunze: Daß Sie seine Politik nachmachen wollen, wird er erfahren!)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126417600
Damit, meine Damen und Herren, ist die Rednerliste erschöpft; wir sind am Ende der allgemeinen Aussprache zur dritten Beratung. Wir kommen zur Einzelberatung. Ich rufe lediglich die Artikel auf, zu denen Änderungsanträge vorliegen. Zu Art. 1 liegen Änderungsanträge auf den Umdrucken Nr. 904, Nr. 897 und Nr. 902 vor. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Bitte schön, Frau Abgeordnete Lockmann.

Gertrud Lockmann (SPD):
Rede ID: ID0126417700
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Zum Umdruck Nr. 902 muß ich sagen, daß wir gehofft hatten, daß die Diskussion über die Haushaltsbesteuerung heute an uns vorübergehen würde und daß wir uns mit der Frage nicht mehr zu beschäftigen brauchten. Der Finanz- und Steuerausschuß war der Meinung, daß es gut wäre, wenn der Herr Minister die Vorlage überhaupt zurückgezogen hätte, und wir haben eigentlich im Ausschuß den Wunsch ausgesprochen, dieses Kind in den Schoß des Ministers zurückzulegen,

(große Heiterkeit)

da es krank an allen Gliedern ist.

(Abg. Kunze: Gleichberechtigung umgekehrt! — Zuruf von der CDU: Es lebe die Gleichberechtigung!)

Sie werden mir doch zugeben, daß selbst 1 der Vorschlag des Bundesrats keine Lösung bringt und es doch nicht klug ist, in die nun schon bestehende Unordnung in der völlig unsystematischen Haushaltsbesteuerung noch neue Argumente hineinzutragen, um noch neue Unordnung zu schaffen.
Ich muß mich wundern, daß der Kollege Dresbach in einer sehr netten kleinen Schrift nach einer größeren Systematik in der Steuergesetzgebung gerufen hat, und man auf solche Rufe so wenig zu hören bereit ist. Darüber hinaus waren die Darlegungen im Bulletin so spitzenreich, daß man auf den Gedanken kommen konnte, daß man eine sehr schwache Sache vertrat. Außerdem waren die Darlegungen im Bulletin gar nicht lückenlos.
Man sollte weiter bedenken, daß die Gleichberechtigung der Frau doch vor der Tür steht. Es kann sich doch nur noch um eine kurze Zeit handeln, bis wir auch die steuerliche Gleichberechtigung der Frau bekommen, mit der wir alle diese Probleme zu lösen verpflichtet sind, um dann in einer großen Steuerreform ein großes Aufwaschen zu machen und nicht immer an all diesen Dingen herumzuflicken.
Der Minister hatte 120 Millionen DM als Mehreinnahme bei der gemeinsamen Veranlagung vorausgesetzt. Nach dem Bundesratsvorschlag handelt es sich nur noch um 80 Millionen DM. Ich muß schon sagen, Herr Minister: es lohnt sich doch gar nicht, um 80 Millionen DM willen einen solchen Protest auszulösen, der sich, wie Sie freilich im Bulletin sagen, mehr für die gemeinsame Veranlagung ausgesprochen hat. Sie sagen im Bulletin: Am Anfang waren es fast ausschließlich Kontra-Stimmen — weil sich ja bei einem Gesetzentwurf im allgemeinen derjenige rührt, der einen Nachteil befürchtet, während der andere, der einen Vorteil erhält, das als eine Selbstverständlichkeit hinnimmt —, und zum Schluß haben sich dann überwiegend die Pro-Stimmen gemeldet. Ich muß Ihnen entgegenhalten, Herr Minister: unter all den vielen Zuschriften, die mir zugegangen sind, sind nur zwei Stimmen, die in etwa befürwortend für die Haushaltsbesteuerung eingetreten sind. Außerdem sollte man deshalb darauf verzichten, weil doch aus der gemeinsamen Veranlagung — auch unter Berücksichtigung Ihres Vorschlages — eine echte Steuererhöhung entsteht, und diese sollte man in diesem Augenblick nicht durchführen.
Ich möchte noch einmal auf den Antrag der Drucksache Nr. 3838 eingehen, in der Sie (zu den Regierungsparteien) so schön und wirklich so vorbildlich beantragt haben, die getrennte Veranlagung nicht nur im Falle der mitverdienenden Ehefrau, sondern auch im Falle des mitverdienenden Ehemannes einzuführen. Ich möchte ausdrücklich auf diesen mitverdienenden Ehemann hinweisen, weil auch dadurch in steuerlicher Hinsicht ein völlig schiefes Bild entsteht. Wir sehen uns aus diesem Grunde leider nicht in der Lage, diesem schönen Antrag zuzustimmen.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126417800
Das Wort hat der Herr Bundesfinanzminister.

Fritz Schäffer (CSU):
Rede ID: ID0126417900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wird von der Gleichberechtigung von Mann und Frau gesprochen. Physiologisch ist sie leider noch nicht so weit fortgeschritten, daß ich in der Lage wäre, Kinder zu gebären

(große Heiterkeit)

oder gar Kinder in meinen Schoß zurückzunehmen.
Ich möchte nur eines feststellen, Frau Kollegin. Sie haben erklärt, unter den Zuschriften seien nur zwei, die sich für die Haushaltsbesteuerung ausgesprochen hätten. Ich nehme an, daß Sie die Denkschrift des Deutschen Gewerkschaftsbundes erhalten haben — das ist dann eine von diesen Zuschriften.

(Zuruf von der SPD: Seit wann so gewerkschaftsfreundlich?)

Diese Denkschrift des Deutschen Gewerkschaftsbundes hält es für ungerecht und für auf die Dauer unmöglich, daß ein Unterschied gemacht wird zwischen der Ehefrau des Bauern, der Ehefrau des Einzelhändlers, der Ehefrau des Handwerkers, der Ehefrau eines freiberuflich Schaffenden einerseits — die neben ihrer hausfraulichen Tätigkeit bei ihrem Manne mithilft und keinerlei Steuerbegünstigung hat — und auf der anderen Seite ausgerechnet der Stenotypistin, die eine Steuerbegünstigung erhält.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der SPD: Nun sagen Sie bloß, das haben Sie aus der Denkschrift!)

Nach dem Antrag ist es so, daß die Stenotypistin, wenn sie heiratet, sich in der gleichen Steuerklasse befindet, in der sie als Unverheiratete gewesen ist, nämlich in der Steuerklasse I. Ich weiß also nicht, was mit Fug und Recht gegen diesen Antrag vorgebracht werden könnte.
Deutscher Bundestag — 261. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1953 12911

(Bundesfinanzminister Schiffer)

Sehr verehrte Frau Kollegin, der Satz: Auf 80 Millionen DM kommt es nicht an, ist leicht gesprochen. Ihre Parteifreunde reden davon, daß der Bundesanteil von 3 % mehr, der für das einzelne Land viel weniger ausmacht, die Gemeinden in ihrer Existenz bedrohe. Und Sie werfen hier 80 und 120 Millionen DM mit einer Redewendung weg.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126418000
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Miessner.

Dr. Herwart Miessner (FDP):
Rede ID: ID0126418100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der Freien Demokratischen Partei hat die Frage der Ehesteuer sehr nüchtern betrachtet und beide Seiten der vielen Eingaben, die auch der FDP zugegangen sind, eingehend erörtert. Es ist richtig, daß unser Steuersystem grundsätzlich von der gemeinsamen Veranlagung ausgeht. Für die unselbständig mitverdienende Ehefrau ist davon in unserem derzeitig geltenden Steuerrecht insofern eine Ausnahme gemacht, als nur diese Gruppe von Steuerpflichtigen den Vorzug der getrennten Veranlagung genießt, nicht aber andere Gruppen, wie z. B. die freien Berufe, also die Ärztin, die Hebamme und die Rechtsanwältin, oder wie z. B. die im Betrieb des Mannes mitarbeitenden Ehefrauen, also z. B. die Bauersfrau, die Geschäftsfrau oder die Gastwirtsfrau. Ich gebe zu, daß die gegenwärtige Lage, wenn man sie ernsthaft und grundsätzlich betrachtet, unbefriedigend ist und auf die Dauer nicht bestehen bleiben kann. Man kann sich nun aber endlos darüber streiten, ob es gerechter ist, den jetzt nicht begünstigten Gruppen die Vergünstigung auch zu geben, oder ob es gerechter ist, der unselbständig mitverdienenden Ehefrau die jetzt bestehende Vergünstigung zu nehmen und auf diese Weise die Gleichheit in der Besteuerung zu schaffen. Das ist die Frage nach dem Prinzip der Gerechtigkeit. Für den Steuerpflichtigen ist es auf jeden Fall günstiger, eine Begünstigung, die einer Gruppe gewährt wird, auch den anderen Gruppen zu gewähren, also das Prinzip der getrennten Veranlagung, das sich hier für einen Teil der Steuerpflichtigen durchgesetzt hat, früher oder später auf alle Steuerpflichtigen auszudehnen.
Die Meinung der FDP geht dahin, daß man allgemein zur getrennten Veranlagung nach Art des amerikanischen Splitting-Systems kommen sollte. Meine Fraktion sieht darin eine der wichtigsten Aufgaben der kommenden großen Steuerreform. Wir müßten es daher als einen Rückschritt empfinden, wenn die schon für einen Teil der Steuerpflichtigen eingeführte getrennte Veranlagung in irgendeiner Weise angetastet würde. Ich möchte nicht verhehlen, daß die FDP am liebsten schon jetzt ganz allgemein die getrennte Veranlagung für alle beantragt hätte. Die FDP hat sich jedoch hier den fiskalischen Bedenken des Bundesfinanzministers gebeugt. Zwar würde die Ausdehnung der getrennten Veranlagung nach Art des Splitting-Systems auf alle Steuerpflichtigen dem Grundsatz der Gerechtigkeit am meisten entsprechen, sie würde aber einen Steuerausfall von mehreren hundert Millionen DM bedeuten, der zur Zeit nicht tragbar erscheint. Schließlich haben wir es im Augenblick ja auch nur mit einer kleinen und nicht schon mit der großen Steuerreform zu tun.
Ich möchte noch erwähnen, daß die FDP von Anfang an gegen den Vorschlag der Regierung Stellung genommen hat und nicht bereit war, die getrennte Veranlagung für einen Teil der Bevölkerung aufzuheben. Die FDP kann sich auch nicht mit dem jetzigen Antrag der CDU und DP befreunden, da hierdurch mit der willkürlichen Grenze von 600 DM monatlich wieder eine neue Ungerechtigkeit in das Steuerrecht eingeführt würde.

(Abg. Dr. Wellhausen: Sehr richtig! — Abg. Neuburger: Das ist doch nicht richtig!)

Wir sind überhaupt der Auffassung und haben das immer zum Ausdruck gebracht, daß dieses Problem gar kein Thema für die kleine Steuerreform war und daß eine so wichtige und grundlegende Sache nur in der großen Steuerreform behandelt werden sollte. Die FDP ist daher für die Beibehaltung des jetzigen Zustandes und wird den Antrag von CDU und DP ablehnen.

(Beifall bei der FDP.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126418200
Das Wort hat Herr Abgeordneter Seuffert.

Walter Seuffert (SPD):
Rede ID: ID0126418300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Herrn Bundesfinanzminister ist folgendes zu erwidern. Es wird nicht bestritten, daß an diesem Punkt der Gesetzgebung gewisse Unstimmigkeiten vorhanden sind, und wir sind der Meinung des Ausschusses, daß im Wege einer wirklichen Steuerreform diese Unstimmigkeiten diskutiert werden sollten. Aber überall da, wo der Herr Bundesfinanzminister bei Leuten, die ihn interessieren, irgendeine Unstimmigkeit oder Ungerechtigkeit entdeckt hat, war er bisher verhältnismäßig rasch mit Steuerermäßigungen zur Hand.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Warum soll ausgerechnet an diesem Punkt eine angebliche Unstimmigkeit durch Steuererhöhung — zum erstenmal seit der Währungsreform — beseitigt werden?

(Sehr gut! bei der SPD.)

Was die 80 Millionen DM anlangt, so haben wir schon oft erlebt, daß es dem Herrn Bundesfinanzminister auf 20, auf 10, auf 30 Millionen DM usw. sehr hart ankam, z. B. beim Zigarettenpapier. Beim Zigarettenpapier ist wegen der 11 Millionen DM auch fast die ganze Bundesfinanzwirtschaft zusammengestürzt. Aber auch bei Renten und bei anderen Dingen, bei der Kaffee- und Teesteuer erleben wir es so. Wir haben es auf der anderen Seite erlebt, daß er mit 200, 300 und vielen Hundert Millionen für Dinge, die ihn eben mehr interessierten, außerordentlich rasch bei der Hand war. Das kommt auf die Beurteilung und die Interessenlage an.

(Beifall bei der SPD. — Zuruf von der Mitte: Für Sie vielleicht! — Abg. Dr. Handschumacher: Ich bitte ums Wort!)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126418400
Noch zu den Anträgen?

(Abg. Dr. Handschumacher: Zu 897!)

— Zu Umdruck Nr. 897, bitte!

Dr. Johannes Handschumacher (CDU):
Rede ID: ID0126418500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie wissen, daß im Einkommensteuergesetz unter § 7 b Vergünstigungen für Abschreibungen beim Wohnungsbau vorgesehen sind. Enthält ein Haus 80 % Wohnraum und dient es zu 20 % sonstigen Zwecken, so können in


(Dr. Handschumacher)

den ersten zwei Jahren je 10 % der Baukosten und in den nächsten zehn Jahren je 3 % abgeschrieben werden. Diese Bestimmungen des Einkommensteuergesetzes haben insofern sehr segensreich gewirkt, als sie ein großer Anreiz für den Wohnungsbau, insbesondere den privaten, waren. Diese Bestimmungen haben sich aber nicht ausgewirkt und konnten nicht zum Zuge kommen, wenn in den Häusern Geschäftsräume eingebaut werden sollten. Dann stieg eben der geschäftliche Teil über 20 %, während der Wohnteil sich verringerte. Insbesondere bei dem Wiederaufbau unserer zerstörten Städte ist das sehr hemmend gewesen. Gerade in unseren zerstörten Städten, in den Nebenstraßen usw., wo gewerbliche Räume mit eingebaut werden sollten, hat man nicht aufbauen können, weil der Satz von 80 % für Wohnraum nicht erreicht wurde. Infolgedessen konnte man die Abschreibung nach § 7 b nicht vornehmen. Darauf ist es im wesentlichen zurückzuführen, dach unsere zerstörten Städte nicht in dem erwünschten Maße aufgebaut worden sind.
Aus diesen Gründen hat sich der Finanz- und Steuerausschuß entschieden, daß man statt 80 nur 70 % Wohnraum verlangen sollte, um diesen Häusern mit gewerblichen Räumen ebenfalls diese Abschreibungsmöglichkeit zugute kommen zu lassen. Bei dieser Berechnung ist ein kleiner Fehler unterlaufen. Es ist nicht möglich, diese Abschreibungen schon bei 70 % in Anspruch zu nehmen; denn wenn die Abschreibungsmöglichkeit zum Zuge kommen soll, muß mindestens drei- bis viergeschossig gebaut werden. Insbesondere in den Klein-und Mittelstädten ist aber eine zwei-, höchstens dreigeschossige Bebauung vorgeschrieben. Wenn man darunterbleibt, namentlich in den Kleinstädten, ist eben die Abschreibung noch nicht möglich. Wohl wird das bei einer dreigeschossigen Bebauung möglich sein, wenn wir den Satz von 70 auf 662/30/0 heruntersetzen. Der Ausschuß hat sich diesen Gründen nicht verschlossen; nur die Prozentzahl muß sich ändern, und zwar statt 70 % 662/3 % Wohnraum.
Gegen diese Änderung kann wohl auch von seiten des Herrn Finanzministers nichts eingewendet werden; denn es wird für ihn keinen Ausfall bedeuten. Ich weiß, daß sich Kreise, die dem Herrn Finanzminister nahestehen, mit einer Schätzung des Ausfalles befaßt haben. Aber ich glaube, daß man Schätzungen hier überhaupt nicht anstellen kann. Wenn man sie anstellt, muß man berücksichtigen, daß hier ein ganz wesentlicher Anreiz zum Bauen gegeben wird und daß die öffentliche Hand daraus in Form von Steuern wieder Nutzen zieht.
Aus all diesen Gründen bitte ich namens der Unterzeichner dieses Antrags, dem Antrag zuzustimmen.

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126418600
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.

Fritz Schäffer (CSU):
Rede ID: ID0126418700
Ganz kurz, meine Damen und Herren! Ich bitte, den Antrag abzulehnen. Die Steuerbegünstigungen sollen den Wohnungsbau fördern. Es war schon eine Ausnahme, daß man für Grenzfälle zunächst den Satz von 80 % eingesetzt hatte und damit an die Grenze dessen kam, was steuerrechtlich „gemischt genutztes Grundstück" heißt. Daß man im Ausschuß auf 70 % heruntergegangen ist, also schon über diese Grenze hinaus, ist an sich bereits bedenklich. Der Satz von 662/3 % aber würde dazu führen, daß diese Steuerbegünstigung vielleicht nicht mehr in erster Linie dem Wohnungsbau zugute käme, sondern daß sehr viele Leute zwar gewerbliche Räume und dann auch den ersten und zweiten Stock darauf bauten, das Schwergewicht aber auf gewerblichen Räumen läge. Das kann nicht der Sinn des Gesetzes sein.

(Abg. Dr. Handschumacher: Ich bitte ums Wort!)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126418800
Das Wort hat Herr Abgeordneter Handschumacher.

Dr. Johannes Handschumacher (CDU):
Rede ID: ID0126418900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe dem Herrn Finanzminister vor mehreren Jahren einmal gesagt, daß ich Seiner Majestät alleruntertänigste Opposition bin, und ich möchte das hier wiederholen, damit er mir meine Worte nicht falsch auslegt.
Meine Damen und Herren, in der Tat handelt es sich darum, den Wohnungsbau zu fördern, und ich persönlich habe einen ganz anderen Antrag im Finanz- und Steuerausschuß gestellt, nämlich nur den Wohnungsbau zu berücksichtigen. Der Finanz- und Steuerausschuß steht aber auf dem Standpunkt, daß man die alte Vorschrift des Einkommensteuergesetzes in ihrer Struktur beibehalten und statt der 80 %, die im Steuergesetz vorgesehen sind, nur 70 % einsetzen solle. Ich bin jedoch der Meinung, daß der Steuerausschuß, der diese Gründe an sich gelten läßt, nicht richtig gerechnet hat. Wir kommen in der Tat in den kleinen und mittleren Städten mit 70 % nicht zurecht, sondern müssen, weil wir in diesen Städten die zwei- und dreigeschossige Bauweise haben, unter allen Umständen 662/3 % haben. Also das dient dem Wohnungsbau, Herr Minister!

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126419000
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung über die Änderungsanträge zu Art. 1, zunächst den Antrag auf Umdruck Nr. 897. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen.
Nunmehr stimmen wir ab über den Antrag Umdruck Nr. 902 Ziffer 1. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es besteht keine Übereinstimmung über das Ergebnis. Wir müssen Hammelsprung stattfinden lassen. Ich darf bitten, den Saal schnell zu räumen.

(Die Abgeordneten verlassen den Saal.) Ich bitte mit der Auszählung zu beginnen.


(Wiedereintritt und Zählung.)

Ich bitte um Beschleunigung. — Die Auszählung ist beendet. Ich bitte die Türen zu schließen.
Das Ergebnis der Abstimmung: Mit Ja haben gestimmt 114, mit Nein 141 Abgeordnete, Enthaltungen keine. Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Antrag Umdruck Nr. 904 Ziffer 1. Ich bitte diejenigen, die diesem Änderungsantrag zustimmen, die Hand zu heben. — Das ist zweifellos die Mehrheit; damit ist der Änderungsantrag angenommen.
Ferner gehört dazu der Antrag Umdruck Nr. 902 Ziffer 2. Ich bitte diejenigen, die diesem Änderungsantrag zustimmen, die Hand zu heben.

(Abg. Neuburger: Der ist doch erledigt!)



(Vizepräsident Dr. Schäfer)

— Also ist erledigt und bedarf mit Einverständnis
der Antragsteller keiner Abstimmung mehr. Damit wären die Änderungsanträge zu Art. 1 erledigt.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Art. 1 mit der soeben beschlossenen Änderung zustimmen, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe auf Art. 4 mit dem Änderungsantrag auf Umdruck Nr. 904 Ziffer 2. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Änderungsantrag auf Umdruck Nr. 904 Ziffer 2 zustimmen, die Hand zu heben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Dann bitte ich diejenigen, die dem Art. 4 mit der soeben beschlossenen Änderung zustimmen, die Hand zu heben. - Das ist die Mehrheit; angenommen.
Es sind keine weiteren Artikel mehr Gegenstand eines Änderungsantrags. Wir kommen daher zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz in seiner soeben beschlossenen Fassung der dritten Beratung zustimmen, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit. Das Gesetz ist in dritter Beratung verabschiedet.
Wir haben dann noch über die Anträge des Ausschusses unter den Ziffern 2 und 3 Beschluß zu fassen. Ich glaube, über diese beiden Ziffern kann man wohl gleichzeitig beschließen. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Dann liegt noch vor die Entschließung der DP, die von Herrn Abgeordneten Walter hier vorgetragen worden ist. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Meine Damen und Herren, die Abstimmung ist durch Mangel an Beteiligung ein bißchen ungenau gewesen. Ich möchte doch bitten, ein etwas klareres Ergebnis zu ermöglichen. Es handelt sich um die Entschließung der DP. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. —

(Abg. Renner: Gestern haben Sie es mit Mehrheit abgelehnt!)

Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letztere ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt. Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe nun auf den Punkt 7 der Tagesordnung:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Brookmann, Wehner, Dr. Henn, Walter, Freiherr von Aretin und Genossen betreffend Sofort- und Sondermaßnahmen im Zonengrenzgebiet (Nr. 4276 der Drucksachen).
Der Ältestenrat schlägt für die Begründung 10 und für die Aussprache 40 Minuten vor. Wer wünscht das Wort zur Begründung? — Bitte schön!

Walter Brookmann (CDU):
Rede ID: ID0126419100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit Rücksicht auf die vorgeschrittene Zeit werde ich mich in der Begründung sehr kurz fassen. In leider sehr seltener, aber um so erfreulicherer Einmütigkeit haben sich zahlreiche Abgeordnete dieses Hohen Hauses bis auf die Abgeordneten der radikalen Flügelgruppen
auf der äußersten Rechten und Linken zu einem Antrag zusammengefunden, der sich mit den Sofort- und Sondermaßnahmen im Zonengrenzgebiet beschäftigt. In diesem Antrag wird die Bundesregierung ersucht, über die bisher durchgeführten, aber noch nicht ausreichenden Hilfsmaßnahmen zur Beseitigung der durch die sowjetzonalen Grenzsperren von Ende Mai 1952 entstandenen Schäden im Zonengrenzgebiet hinaus — —(Unruhe. — Glocke des Präsidenten.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126419200
Meine Damen und und Herren, die Unruhe ist so groß, daß es nicht möglich ist, den Redner zu verstehen. Darf ich Sie bitten, Ihre Unterhaltung etwas nach auswärts zu verlegen. Ich bitte fortzufahren.

Walter Brookmann (CDU):
Rede ID: ID0126419300
— die Notlage dieser Gebiete dadurch fühlbar zu erleichtern, daß im Benehmen mit den Länderregierungen die eingeleitete Hilfsaktion fortgesetzt und die bisher vorliegenden Vorschläge baldigst genehmigt und verwirklicht werden.
Was ist bisher seitens der Bundesregierung zur Beseitigung der akut eingetretenen Schäden geschehen? Das Bundeskabinett hat durch Beschluß vom 4. und 8. Juli des vorigen Jahres 6 Millionen DM für die Aufrechterhaltung der Elektrizitätsversorgung in den Zonengrenzgebieten aus Mitteln, die dem Bundesminister für den Marshallplan zur Verfügung standen, bereitgestellt. Außerdem sind darüber hinaus einmal weitere 6 Millionen DM zur Verfügung gestellt worden — wenn dieser Betrag auch nur ratenweise in die betreffenden Gebiete hineinfloß —, dann noch einmal 3 Millionen DM. Das sind also insgesamt 15 Millionen DM.
Ich darf noch folgendes bemerken: Die Initiative zu diesem Antrag ist aus der Sorge um die Not geboren, die im Zonengrenzgebiet durch die rigorosen Sperrmaßnahmen der sowjetzonalen Behörden an der Zonengrenze und um Berlin entstanden ist. Es ist in der Tat schon ein teuflisches Regime in der Sowjetzone,

(Zuruf von der KPD: Hu!)

das sich im Rahmen des kalten Krieges die neue Nuance der rücksichtslosen Sperrung Ende Mai des vorigen Jahres ersann. Wenn man die Tiraden über Frieden, Freiheit und Wiedervereinigung, die kommunistische Abgeordnete dieses Hauses von dieser Stelle aus loslassen, leider anhören muß, dann kann man nur erschüttert sein, wenn man weiß, welche Zustände in der Sowjetzone selbst bestehen und welche Zustände im Zonengrenzgebiet durch diese rücksichtslosen Sperrmaßnahmen geschaffen worden sind.

(Zuruf von der KPD: Woher weißt du? — Abg. Niebergall: Entsetzlich! — Abg. Renner: Ihr seid dafür verantwortlich!)

Mit dankenswerter Schnelligkeit hat im vorigen Jahr die Bundesregierung reagiert, indem sie sofort die Mittel zur Verfügung gestellt hat, die zur Beseitigung der eingetretenen akuten Schäden notwendig waren. Es sei an dieser Stelle folgendes gesagt. Diese Mittel sind in gar keiner Weise ausreichend. Sie stehen in einem beklagenswerten Mißverhältnis zu dem Betrag, der für die Beseitigung der akuten Schäden zur Verfügung gestellt werden müßte. Ich will und muß ein Wort der Anerkennung gegenüber den Bemühungen des Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen sagen. Es ist erwiesen, daß sich dieses Ministerium


(Brookmann)

sehr viel Mühe gegeben hat, im Kabinett gemeinsam mit den Bundesministerien für Wirtschaft, für Verkehr und für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten die Wege aufzuzeigen, die eingeschlagen werden müssen — was heute noch um so notwendiger ist als damals —, um die Schäden, die akut entstanden waren, zu beseitigen. Es muß aber andererseits auch gesagt werden, daß die Zurverfügungstellung der notwendigen Mittel mit Ende des vorigen Jahres jäh abgebrochen wurde. Die Gründe sind bekanntgeworden. Es ist der Herr Bundesfinanzminister gewesen, der der Meinung war, daß gemeinsam mit den Ländern über die Frage der bereitzustellenden Mittel verhandelt werden müsse. Ich bin der letzte, der dem Herrn Bundesfinanzminister aus seiner bisherigen Haltung in dieser Frage einen schweren Vorwurf machen will. Ich bin aber der Meinung, daß es gut wäre, wenn er zuweilen in der Bewilligung von Mitteln für diese Zwecke etwas großzügiger verführe und vielleicht aus rein fiskalischen Gründen dann und wann weniger Schwierigkeiten bereitete. Ich bin der letzte, der dem Herrn Bundesfinanzminister den Respekt vor seiner Finanzpolitik versagen will. Ich darf aber hier von dieser Stelle aus den Wunsch aussprechen, daß in Zukunft gerade in bezug auf diese Zonengrenzgebiete der Länder Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hessen und Bayern gemeinsam mit den Ländern Maßnahmen überlegt und dann auch realisiert werden, wenn es sich darum handelt, diese akuten Schwierigkeiten zu überwinden. Die Hilfsmaßnahmen dienen unmittelbar und ausschließlich der Wiederherstellung zerschnittener Verkehrsverbindungen oder unterbrochener Versorgungsleitungen, wie z. B. Elektrizitäts- oder Wasserleitungen, auf die im öffentlichen Interesse nicht verzichtet werden kann, sowie der Erhaltung der Existenz von Wirtschaftsbetrieben, die volkswirtschaftlich, insbesondere aber arbeitsmarktpolitisch als unentbehrlich angesehen werden müssen. Wenn den im Grenzgebiet liegenden Betrieben nicht durch Wiederherstellung ausreichender Verkehrsverbindungen, Ausgleich der Frachtenmehrkosten, durch Sicherstellung der notwendigen Versorgungsleitungen und durch Ausstattung mit Umlaufskapital zur Anpassung an die veränderten Verhältnisse sowie durch Abgeltung der erlittenen Vermögensverluste in angemessenem Umfange geholfen wird, werden sie auf notwendige technische Vorbedingungen verzichten müssen und nicht mehr aufholbare Verluste erleiden, so daß sie über kurz oder lang zum Erliegen kommen oder aber gezwungen sein werden, in Gegenden mit günstigeren Standortbedingungen abzuwandern.
Dabei muß auf eines hingewiesen werden. Es muß berücksichtigt werden, daß diesen Betrieben, von denen ich eben sprach, oft verlockende Angebote aus anderen Ländern der Bundesrepublik gemacht werden. Daß aus politischen Gründen eine Abwanderung von Betrieben aus diesen ohnehin von der Gefahr wirtschaftlicher Verödung bedrohten Grenzgebieten unbedingt verhindert werden muß, dürfte außer allem Zweifel sein.
Nachdem am Ende vorigen Jahres die Verhandlungen über die Vergabe von Mitteln für die Beseitigung der entstandenen Schäden abgebrochen worden sind, interessiert es uns, die Antragsteller, zu erfahren, wieweit die Verhandlungen des Herrn Bundesfinanzministers mit den Ländern mit dem Ziele der Beteiligung der Länder an der Aufbringung der Mittel für die Entschädigung fortgeschritten sind.
Ich möchte zum Schluß folgendes sagen. Die Antragsteller fordern von der Bundesregierung die Wiederaufnahme der eingeleiteten Maßnahmen, die Beachtung der vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen gemachten Vorschläge. Sie scheinen uns nützlich und sehr gut zu sein. Wir verlangen weiter die Fortsetzung der Soforthilfsaktion.
Ganz zum Schluß noch eine Bemerkung, die meiner Meinung nach in diesem Zusammenhang gemacht werden muß. Vor etwa drei Stunden hat an dieser Stelle wieder einmal der Abgeordnete Fisch gesprochen. Er hat wieder auf uns eine seiner berühmten Tiraden losgelassen und von der Wiedervereinigung, der Freiheit und dem Frieden gesprochen. Es ist für dieses Hohe Haus nahezu unerträglich, diese Tiraden über sich ergehen lassen zu müssen. Aber nach der Geschäftsordnung sind wir ohnmächtig, uns dagegen zu wehren. Herr Fisch und seine Genossen sind mitschuldig daran, daß wir uns über die Notstände, die im Zonengrenzgebiet entstanden sind, unterhalten müssen.

(Zuruf von der Mitte: Alleinschuldig!)

Seine Freunde in der Sowjetzone und auch die Kommunisten in der Bundesrepublik sind mitverantwortlich für das Elend, das durch den Terror, die Drangsalierung und die Knechtung der sowjetzonalen Bevölkerung entstanden ist; sie sind mitverantwortlich für die wirtschaftlichen Notstände im Zonengrenzgebiet. Ich glaube, der nächste Deutsche Bundestag sollte sich überlegen, ob er sich nicht über die Geschäftsordnung dagegen wehren kann, daß er von kommunistischer Seite durch Frechheiten, Provokationen und unerhörte Unverfrorenheiten vergewaltigt wird; diese sollten in einem solchen Hause einfach unmöglich sein.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der KPD.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0126419400
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Henn.

Dr. Hans Henn (FDP):
Rede ID: ID0126419500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, zu dem Antrag Drucksache Nr. 4276 einige allgemeine Bemerkungen zu machen. Der Antrag, der die Fortsetzung der Sofort- und Sondermaßnahmen im Zonengrenzgebiet verlangt, ist vor allem eine nachdrückliche Zurückweisung der etwa vorhandenen Zumutung, daß die Opfer, die infolge des Zusammenbruchs von 1945 und des seitdem in Gang befindlichen Kalten Krieges gefordert werden, von den Bevölkerungsschichten und den Gebieten, die mehr oder weniger zufällig und vor allen Dingen geographisch bedingt besonders stark betroffen sind, allein getragen werden. Wie es als eine Verpflichtung des gesamten deutschen Volkes empfunden werden muß und wird, z. B. den Heimatvertriebenen und den Sowjetzonenflüchtlingen zu helfen, wie es als eine selbstverständliche Verpflichtung anerkannt ist, die ehemalige Reichshauptstadt über die schweren Jahre der Zwischenlösung hinwegzubringen, so ist es auch eine nationalpolitische Verpflichtung, für das Zonengrenzgebiet in Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hessen und Bayern die erforderlichen Hilfsmaßnahmen durchzuführen und die seit der verschärften Grenzsperre, seit dem 26. Mai 1952 besonders dringlich gewordenen und bereits eingeleiteten Sofortmaßnahmen fortzusetzen.
Wir haben außerordentlich bedauert, daß die bis ins einzelne ausgearbeiteten Vorschläge zur Beseitigung der akuten Schäden im Zonengrenzgebiet


(Dr. Henn)

nur teilweise realisiert worden sind. Wir sind der Meinung, daß weder der Bund noch die Länder allein verpflichtet und in der Lage sind, die erforderlichen finanziellen Mittel bereitzustellen. Es wird eine enge Zusammenarbeit und eine gegenseitige Abstimmung über die finanziellen Möglichkeiten erforderlich sein. Wir sind allerdings der Meinung, daß auch weiterhin etwas geschehen muß und den betroffenen Bezirken und Bevölkerungskreisen mit Ankündigungen nicht geholfen ist. Bund und Länder, Länder und Bund müssen hier gemeinsam helfen.
Dabei geht es unserer Ansicht nach allerdings auch nicht an, daß im Zuge der Sofort- und Hilfsmaßnahmen Mängel, die seit langem bestehen, als akute Schäden infolge der verschärften Zonengrenzsperre bezeichnet werden und ihre vordringliche Beseitigung gefordert wird. Noch deutlicher sind übrigens gleichgeartete Bemühungen, soweit es darum geht, ein strukturelles Zonengrenzprogramm aufzustellen. Wir sind aber der Auffassung, daß tatsächlich akute Schäden noch in größerem Umfang vorhanden sind, die beseitigt werden müssen, und daß bestimmte strukturelle Mängel bestehen, die durch strukturell wirksame Maßnahmen, durch ein Zonengrenzprogramm auf lange Sicht behoben werden müssen. Das Erkennen dieser Notwendigkeit durch die Regierungen des Bundes und der Länder sollte nicht durch übereifrige Anträge, die aus den betroffenen Gebieten und Bevölkerungskreisen gestellt werden, behindert werden.
Der Antrag Drucksache Nr. 4276 will die Bundesregierung und die Länderregierungen veranlassen, in erster Linie die Beseitigung der akuten Schäden fortzusetzen. Wir haben darüber hinaus im Gesamtdeutschen Ausschuß und seinem Unterausschuß „Zonengrenzgebiet" eine Reihe von .Vorschlägen vorbereitet, die dem Hohen Hause in den nächsten Wochen vorgelegt werden.

(Alterspräsident Löbe übernimmt den Vorsitz.)

Mit ihnen wollen wir versuchen, dem ganzen Problem des Zonengrenzgebietes und seiner Notlage, die sich in einzelnen seiner Teile, und zwar gerade in den wirtschaftlich besonders bedeutsamen bedrohlich verschärft hat, grundsätzlich beizukommen und vom Strukturellen her eine Änderung der Situation herbeizuführen. Es wird dabei zu prüfen sein, inwieweit finanzielle Mittel, die für akute Schäden angefordert waren, besser und zweckmäßiger für Maßnahmen mit strukturellen Auswirkungen Verwendung finden.
Im Sinne des Antrags richte ich auch im Namen meiner Fraktion an die Bundesregierung das Ersuchen, im Benehmen mit den Länderregierungen zunächst einmal die für das Zonengrenzgebiet eingeleitete Soforthilfeaktion fortzusetzen, und bitte das Hohe Haus, entsprechend zu beschließen.

(Beifall bei der FDP.)


Paul Löbe (SPD):
Rede ID: ID0126419600
Das Wort hat der Abgeordnete Behrisch.

Arno Behrisch (SPD):
Rede ID: ID0126419700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 18. Juni des vorigen Jahres hat sich das Hohe Haus mit den sowjetischen Sperrund Evakuierungsmaßnahmen zu befassen gehabt. Damals ist hier beschlossen worden, die Bundesregierung möge feststellen, auf welchen Betrag sich die Schäden insgesamt belaufen. Es hat dann eine Zusammenarbeit zwischen einem interministeriellen
Ausschuß des Bundes und einem Ausschuß der Länder stattgefunden, und das Ergebnis war, daß die Länder am Eisernen Vorhang Gesamtschäden von 106 Millionen DM ermittelt haben.

(Präsident Dr. Ehlers übernimmt wieder den Vorsitz.)

In einer Kabinettsvorlage vom 21. November 1952 ist nun von der Bundesregierung festgestellt worden, was von den von den Ländern ermittelten 106 Millionen DM an Schäden von der Bundesregierung anerkannt werden würde. In der Begründung der Regierungsvorlage hieß es:
Der Arbeitskreis Ostzonengrenzgebiet der Bundesrepublik der Länder Bayern, Hessen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein hat in einer Denkschrift vom 26. August 1952 die in den Grenzgebieten durch die sowjetzonale Grenzsperre vom 26. Mai 1952 entstandenen Schäden auf 106 Millionen DM beziffert. Nach eingehender Prüfung haben die beteiligten Bundesressorts hiervon ca. 70,4 Millionen DM als Bedarf für notwendige Hilfsmaßnahmen zur Behebung der akuten Notstände auf dem Gebiet der Wirtschaft, der Landwirtschaft und des Verkehrs anerkannt, woraus zu ersehen sein mag, daß bei der Prüfung der von den Ländern angemeldeten Maßnahmen sehr strenge Maßstäbe angelegt worden sind.
Nun, es sind strenge Maßstäbe angelegt worden, und heute müssen wir feststellen, daß von diesen 106 Millionen DM Schäden, die von der Bundesregierung auf 70 Millionen DM zusammengebügelt worden sind, 26 Millionen DM in der Luft hängen, daß also von den Beträgen, die selbst von dem interministeriellen Ausschuß als unbedingt voll vergütbar anerkannt worden sind, 26 Millionen DM bis heute nicht ausgezahlt worden sind.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Ich will hier nicht sagen, um welche Maßnahmen es sich im einzelnen handelt, weil alle Abgeordneten aus den Grenzkreisen sehr wohl wissen, welch wichtige Dinge es sind. Aber abgesehen von den Sofortmaßnahmen gibt es j a an der Zonengrenze die sogenannte strukturelle Not, die seit 1945 datiert.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Wenn hier beanstandet worden ist, daß aus den Grenzkreisen zu viele Anträge hierher kämen, so muß ich erklären: diese Anträge würden hier nicht einlaufen, wenn die Bundesregierung etwas regsamer wäre, wenn sie ihren eigenen Worten die Taten folgen ließe!

(Sehr gut! bei der SPD.)

Ich darf daran erinnern, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister Er har d im März vor dem Arbeitgeberverband in Coburg gesprochen

(Abg. Marx: Dort spricht er am liebsten!)

und dort erklärt hat, daß den Vorpostengebieten an der Zonengrenze mehr und umfassend geholfen werden muß. Er hat im März vor der Industrie-
und Handelskammer in Bayreuth erklärt, daß die industrielle Abwanderung aus den Zonengrenzgebieten auf keinen Fall weitergehen dürfe; er hat erklärt, er wolle seinen ganzen Einfluß aufbieten, gewisse strukturelle Krisen am Eisernen Vorhang organisch zu überwinden, und er fügte hinzu: Pläne hierfür liegen vor.
Ich frage: Wo sind die Pläne, und warum rückt die Bundesregierung nicht mit diesen Plänen heraus?


(Behrisch)

Ich darf hierzu bemerken, daß wir für die Situation am Eisernen Vorhang so unverdächtige Zeugen haben wie die Industrie- und Handelskammern. Aus dem letzten Bericht der Industrie- und Handelskammer Bayreuth geht hervor — ich zitiere wörtlich —, daß, während sich die Industrieumsätze im Bund im Jahre 1952 gegenüber 1951 um 8 % und in Bayern um 6,5 % erhöht haben, sie in den Zonengrenzgebieten Bayerns um 10 % gesunken sind.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Die Beschäftigtenzahl, die im Monatsmittel in der Bundesrepublik um 3,5 % zugenommen hatte, war in den Zonengrenzgebieten Bayerns um 5,5 % gesunken.
Nun, meine Damen und Herren, was will ich damit sagen? Ich will damit sagen, daß seit unserer Debatte vom vorigen Jahr nahezu ein Jahr verflossen ist. Wenn bei künftigen olympischen Disziplinen der Schneckenlauf eingeführt werden sollte, wüßten wir, daß wir die Vertreter der Bundesregierung sehr wohl zu dieser Diziplin schicken könnten.
Es mag sein, daß es sich bei den Grenzproblemen um vertrackte Probleme handelt. Aber, meine Damen und Herren, eine Kette ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied. Was für einen Sinn hat es denn, daß Sie über Sicherheit sprechen, wenn Sie sich nicht vor Augen halten, daß man das Programm der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Aufrüstung an der Zone als einen Programmpunkt und als einen Sicherheitspunkt Nr. 1 mit in Rechnung stellen muß? Was reden Sie von der Wiedervereinigung, wenn das öffentliche, wirtschaftliche, kulturelle Leben an der Zonengrenze von Lübeck bis Hof und weiter bis nach Passau einer beispiellosen Verödung anheimfällt! Meine Damen und Herren, verschiedene Dinge mögen sich heute noch nicht auswirken, sie liegen aber bereits in der Luft. Ich darf Ihnen sagen, daß alle großen Industriewerke Oberfrankens, sowohl Textil- als Porzellanindustrie, längst ihre Zweigwerke am Rhein und anderwärts errichtet haben,

(Abg. Renner: Und jenseits!)

und daß es nur eine Frage der Zeit ist, wann sie
sich von einem Bein auf das andere stellen werden.
Ich will damit sagen: Es ist uns nicht gedient, wenn das Soforthilfeprogramm jetzt im Gestrüpp der Kompetenzstreitigkeiten zwischen dem Finanzminister und den Ländern versunken ist. Der Herr Finanzminister soll erklärt haben, er wisse z. B. nicht — oder er will es nicht wahr haben —, daß diese Schäden Sache der Bundesregierung seien. Fest steht, daß hier am 18. Juni vorigen Jahres diese Schäden zum mindesten von der Bundesregierung moralisch anerkannt worden sind, das heißt, in ihrer Wiedergutmachung und in ihrer Rückerstattung. Wenn der Herr Bundeskanzler — ich zitiere jetzt die Zeitung „Die Welt" — am 19. März 1953 vor dem Deutschen Landkreistag erklärt hat, 40 Millionen DM stünden zur Sanierung der Zonengrenzkreise bereit, so freut uns das; wir merken nur nichts davon.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

Der Herr Bundeskanzler hat seiner Auslassung vor dem Deutschen Landkreistag etwas Interessantes hinzugefügt. Er hat gesagt, alle Hilfsmaßnahmen der Bundesregierung dürften jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Not an der
Zonengrenze nicht ohne Mitarbeit der freien Wirtschaft beseitigt werden könne. Nun, da sind wir mit dem Kanzler völlig einig. Ich habe am 18. Juni hier wörtlich gesagt, daß dem an der Zonengrenze vorhandenen Unternehmergeist Luft unter die Flügel geschaffen werden muß durch die Schaffung von Dauerarbeitsplätzen und neuen Arbeitsmöglichkeiten, und Kollege Wehner hat wörtlich gesagt: „Wir müssen konstruktiv etwas tun, damit sich in diesen Gebieten unternehmerischer Geist entwickeln kann."
Wir sind für die Initiative an der Zonengrenze, auch die Initiative der einzelnen. Aber wie soll denn der einzelne an der Zonengrenze Initiative entwickeln, wenn die Bundesregierung sie nicht hat? Ja, schlimmer noch! Das für den Entschluß nötige Vertrauen, an der Zonengrenze, in der Gefahrenzone zu bleiben, kann sich ja gar nicht entwickeln, wenn die Bundesregierung in ihren EVGGesprächen selber dauernd den Teufel an die Wand malt und die Dinge so darstellt, als wenn die Zonengrenze sozusagen in der Feuerlinie von morgen gelegen wäre. Die Bundesregierung unterwühlt selber das Vertrauen und schafft die psychologischen Voraussetzungen für die Abwanderung der Industrien aus dem Zonengrenzgebiet.

(Beifall bei der SPD. — Widerspruch bei den Regierungsparteien.)

Wenn die Bundesregierung für diese Dinge nur einen Bruchteil der Energie, des Einfallsreichtums und des Spürsinns aufbrächte, die sie bei der Behandlung der EVG-Verträge gezeigt hat, dann würde es an der Zonengrenze ohne Zweifel besser aussehen.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Ich darf zum Schluß folgendes bemerken. Entweder haben wir das Bewußtsein von der organischen Einheit unseres Vaterlandes oder wir haben es nicht. Haben wir es, dann müssen wir wissen, daß die kritischen Gebiete am Eisernen Vorhang für unser Sein oder Nichtsein von entscheidender Bedeutung sind. Dann müßten wir wissen, daß es an der Zonengrenze ein Politikum ersten Ranges gibt, das nicht nur von haushaltsmäßigen Gesichtspunkten betrachtet werden darf. Ich darf als Sprecher aus dem Lande, das die längste Grenze am Eisernen Vorhang hat — Sie wissen, daß er bis Passau hinuntergeht —, meiner Verwunderung darüber Ausdruck geben, daß eine Bundesregierung, .in der sechs Bayern sitzen, noch nicht begriffen hat, was die Stunde am Eisernen Vorhang geschlagen hat. Ich möchte doch der Bundesregierung ernsthaft zu bedenken geben, sie möge nicht erst dann aufwachen, wenn das Donnerwort „zu spät" erst erklungen ist.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0126419800
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Brökelschen.

Dr. Else Brökelschen (CDU):
Rede ID: ID0126419900
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich bedaure, daß Herr Kollege Behrisch in seinen Ausführungen über die Zonengrenzgebiete stark polemisch geworden ist.

(Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

Wir haben uns bis jetzt in dem Unterausschuß
„Zonengrenzgebiet" in absoluter Einmütigkeit bemüht, den Schwierigkeiten im Zonengrenzgebiet ent-


(Frau Dr. Brökelschen)

gegenzutreten und einheitliche Vorschläge zu machen, wie man ihrer Herr werden könnte.

(Zurufe von der SPD.)

Herr Behrisch weiß genau, daß die Dinge schwieriger sind, als auch wir sie uns ursprünglich vorgestellt hatten. Auch Herrn Behrisch ist es bislang nicht geglückt, den Stein der Weisen in dieser Frage zu finden. Wir haben am Freitag — auch das weiß Herr Kollege Behrisch — eine Sitzung des Unterausschusses, in der die Schlußformulierungen über ein Strukturprogramm für das Zonengrenzgebiet gefunden werden sollen. Die strukturellen Fragen werden also zur Sprache kommen. Ich weiß deswegen nicht, warum Herr Kollege Behrisch heute, nachdem wir uns in den monatelangen Besprechungen immer bemüht haben, die akuten Schäden und die strukturelle Situation im Grenzgebiet auseinanderzuhalten, diese beiden Dinge nun vollkommen durcheinanderwirft.

(Sehr richtig! in der Mitte. — Zuruf: Wahlpropaganda!)

In dem Antrag, den wir eingereicht haben und bei dem wir die akuten Notstände ins Auge gefaßt haben, verlangen wir, daß die Maßnahmen, die angelaufen sind, weiter fortgeführt werden. Die strukturellen Maßnahmen sind in unserem Antrag überhaupt nicht angesprochen.
Lassen Sie mich deswegen ein ernstes Wort sagen. Wir haben bis jetzt in allen Fragen des Zonengrenzgebiets über die Fraktionen hinweg eine einheitliche Haltung eingenommen. Ich würde es unendlich bedauern, wenn im Hinblick auf gewisse Dinge, die vor uns stehen, diese Einheit in die Brüche ginge und wir auch in diese Fragen Agitation hineintrügen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der SPD.)

Nun noch ein paar Bemerkungen zur Sache. Es ist nicht so, daß die Bundesregierung nichts getan hat. Das möchte ich hier in aller Deutlichkeit feststellen. Herr Kollege Brookmann hat darauf hingewiesen, daß bis jetzt 241 Millionen DM von der Bundesregierung, also auch vom Herrn Bundesfinanzminister, für die Notstände, die sich aus den Sperrzonenmaßnahmen der Sowjetzone entwickelt haben, bereitgestellt worden sind.

(Hört! Hört! in der Mitte.)

Die Schwierigkeit liegt darin, daß der Herr Bundesfinanzminister die ganzen Probleme des Zonengrenzgebietes im Zusammenhang mit den Millionen Kosten gesehen haben will, die uns durch den Flüchtlingsstrom erwachsen sind. Wir haben allerdings die Besorgnis, daß über diesen Riesenkosten für die Flüchtlingsunterbringung die akuten Notstände des Zonengrenzgebietes zu kurz kommen. Um hier Klarheit zu schaffen, haben wir den Antrag eingebracht. Der Zweck des Antrages ist der, zu verhindern, daß die weiteren Millionen, die für das Grenzgebiet notwendig sind, in den allgemeinen Flüchtlingsmitteln untergehen.
Ich stimme all dem zu, was vor allen Dingen Herr Kollege Henn gesagt hat. In dem Unterausschuß hat niemals auch nur eine Meinungsverschiedenheit darüber bestanden, daß wir alles tun müssen, um in dem Zonengrenzgebiet die akuten Notstände zu beheben, daß es unbedingt notwendig ist, den Betrieben, die durch die Zonensperrmaßnamen vom vorigen Sommer nun noch schwerer betroffen sind, zu helfen. Wir haben doch die gan-
zen 1200 km der Grenze abgefahren und haben uns die einzelnen Dinge genau angesehen. Ich möchte an dieser Stelle einmal sagen, welchen Mut und welche Opferbereitschaft wir bei Bauernbetrieben angetroffen haben, die jetzt durchschnitten sind, oder bei kleinen Gewerbebetrieben, wo der hintere Teil des Hauses plötzlich zur Zone gehört. Wir wissen von allen diesen Schwierigkeiten. Wir sind der Meinung, daß, nachdem die großen Summen für die volkswirtschaftlich notwendigen Aufgaben, Energieversorgung, Wasserversorgung, Straßenbau, verwendet worden sind, jetzt etwas getan werden muß, damit die Hilfe für den Einzelnen spürbar wird. Wir wollen mit anderen Worten durch unseren Antrag eine weite Streuung von Mitteln über das ganze Zonengebiet möglich machen. Das halten wir auch politisch für notwendig. Denn die ganzen Maßnahmen für das Zonengrenzgebiet sind nicht allein wirtschaftspolitische oder arbeitsmarktpolitische, sondern auch eminent politische Maßnahmen. Wir dürfen nicht vergessen, daß gerade das Zonengrenzgebiet den Gefahren der kommunistischen Infiltration am nächsten ist, und daß wir es aus unserer gesamtdeutschen Verpflichtung heraus nicht verantworten können, wenn sich hier weithin Hoffnungslosigkeit oder Unzufriedenheit ausbreiten sollte.

(Abg. Behrisch: Na also! Das ist genau das, was ich gesagt habe!)

Wir sind darüber hinaus der Meinung, daß es mit wirtschaftlichen Maßnahmen allein nicht getan ist. Ich möchte das unterstreichen, was hierzu schon gesagt worden ist. Der Kampf gegen den Osten wird nicht nur durch eine gute Wirtschafts- oder Sozialpolitik, sondern vor allen Dingen auch durch die kulturelle Überlegenheit gewonnen. Deswegen sind wir der Meinung, daß die Kompetenzstreitigkeiten zwischen Land und Bund, die Frage der Kulturautonomie der Länder und alle diese Fragen ruhen sollten, wenn es sich darum handelt, den Schwimmhallen, den Schulen, den Lehrlingsheimen, den Jugendherbergen, die zu Propagandazwecken jenseits der Zonengrenze errichtet werden, hier das Entsprechende entgegenzusetzen.

(Aha!-Rufe und Lachen bei der KPD.)

— Herr Renner, ich freue mich, daß Sie durch Ihr Lachen zugeben, daß diese ganzen Einrichtungen lediglich Propagandadinge sind, während es wahrscheinlich einige 100 km hinter dem Eisernen Vorhang anders aussieht.

(Abg. Renner: Warum macht ihr denn nicht dieselbe Propaganda? Baut doch auch Jugendheime statt Kasernen!)

Ich gehe in diesem Augenblick auf das Kulturelle vor allen Dingen deshalb ein, weil in den allerletzten Wochen in der SBZ eine neue schwere Auseinandersetzung durch den Kampf gegen die Kirchen begonnen hat. Die Klage, die Bischof Dibelius gegen die FDJ angestrengt hat,

(Abg. Dr. Menzel: Ausgerechnet Dibelius, der Hitler 1933 in der Garnisonkirche gefeiert hat!)

ist ein ernstes Zeichen dafür, daß wir unter Umständen noch in ganz schwere Entwicklungen hineinkommen können. Wenn sich die katholischen Bischöfe in der sowjetischen Zone in der Verteidigung der christlichen Glaubensgüter und des christlichen Gewissens mit der evangelischen Kirche solidarisch erklärt haben, so scheint mir doch, daß hier begriffen wird, worum es letzten


(Frau Dr. Brökelschen)

Endes geht. Was wir in den Maßnahmen gegen die Junge Gemeinde und evangelische Geistliche erkennen können, ist der Stoß in die Mitte der letzten geistig-seelischen Existenz, nachdem heute morgen in diesem Hohen Hause die Tragödie der Bauernentwicklung zur Sprache gekommen ist.
Weil wir in dieser schweren geistigen Situation stehen, müssen wir alles tun, um drüben den Glauben an das, was hier im Westen höchstes Gut ist, zu stärken und zu erhalten. Deswegen ist es notwendig, bei uns mit Schulen, mit kulturellen Einrichtungen aller Art den Menschen im Zonengrenzgebiet das Gefühl der Verlassenheit zu nehmen und vor allen Dingen die Möglichkeit zu schaffen, daß man von drüben sieht, was diesseits der Zonengrenze, im Gebiet der Bundesrepublik, auf kulturellem Gebiet getan wird.
So schließt sich für das Zonengrenzgebiet das Kulturelle, das Wirtschaftliche, das Arbeitsmarktpolitische, letzen Endes alles zu einem großen politischen Problem zusammen. Weil wir das sehen, möchten wir, daß der Bundesfinanzminister nicht nur Bundesfinanzminister, sondern auch Politiker ist und daß er Widerstände, die bei ihm als Ressortminister vorhanden sind, überwinden möchte, um den Notwendigkeiten gerecht zu werden, die zu erkennen eben von ihm auch als Politiker gefordert werden.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0126420000
Das Wort hat Herr Abgeordneter Renner.

Heinz Renner (KPD):
Rede ID: ID0126420100
Mit Hetz' fang an, mit Hetz' hör auf, das ist der beste Lebenslauf, so könnte man heute über diesen Tag schreiben.

(Sehr gut! bei der KPD und Heiterkeit.)

So haben Sie heute morgen um 10 angefangen, so wollen Sie heute abend enden.

(Abg. Brookmann: Ja, weil es notwendig ist!)

An den Sperrmaßnahmen jenseits der Grenze sind natürlich „wir vom Westen", soweit wir nicht Kommunisten sind, vollkommen unbeteiligt,

(Abg. Kahn: Unschuldig!)

vollkommen unschuldig.

(Heiterkeit.)

Vom Westen her gesehen sind dafür nur die Kommunisten verantwortlich. Das war der Ton Ihrer Hetzrede. Ihrer Hetzreden!

(Zuruf von der Mitte: Sie halten gar keine!)

Kein Mensch fragt sich hier einmal nüchtern, warum diese Sperrmaßnahmen getroffen werden. Kein Mensch fragt danach. Aber alles wird zum Gegenstand einer Hetze gemacht, und letztlich sind es die Kommunisten, auf die Sie Ihre eigene Verantwortlichkeit abladen. Früher hat man gesagt: Cherchez les lampistes, sucht die Lampisten oder die Radfahrer. Heute geht's genau so.
Herr Brookmann, so primitiv und so dumm, wie Sie es heute gemacht haben, können nur Sie sich das erlauben.

(Abg. Brookmann: Herzlichen Dank! Danke sehr!)

Aber wenn man die Reden, die hier heute gehalten worden sind, nebeneinanderstellt, dann wurde ja der Widerspruch so sichtbar, daß sogar die Frau Brökelschen sich veranlaßt gesehen hat, diesen Widerspruch zu regulieren.
Um was geht es denn? Es geht um 106 Millionen DM. Das ist der ganze, von ihnen errechnete Effekt dieser Schäden, die angeblich entstanden sind. Und davon sind 26 Millionen noch nicht von der Bundesregierung abgedeckt worden. Das ist das Objekt. Und nun hat die Diskussion ergeben, der Streit geht darum: Sollen damit auch die „alten Mängel" abgegolten werden, die strukturellen Mängel, oder soll das Geld nur zur Beseitigung der „akuten Schäden" verwendet werden.

(Abg. Frau Dr. Brökelschen: Sehen Sie unseren Antrag, Herr Renner!)

Das ist der Gegenstand Ihrer Auseinandersetzung, Ihres Streites.
Dabei passieren Ihnen solche peinlichen Geschichten, daß von Ihnen selber die Beweise für die Notzustände geliefert werden, die, von Ihnen verursacht, in diesem Grenzgebiet nicht seit gestern, nicht seit Mai vorigen Jahres, sondern seit 1945 bestehen und die sich im ständigen Ausmaß vermehren.

(Abg. Brookmann: Den Quatsch glauben Sie ja selbst nicht!)

Ich wollte nicht zu dem Antrag reden, weil in dem Antrag gar nichts Konkretes steht. Das ist ein Antrag, wie wir tausende kennen und die nur Anlaß geben sollen, zu reden, zu hetzen.

(Abg. Brookmann: Sie wollen den Inhalt nicht verstehen! — Zuruf von der Mitte: Warum reden denn Sie, Herr Renner?)

— Ich rede, um mich zu wehren gegen die Verlogenheit Ihrer demagogischen Methoden.

(Glocke des Präsidenten.)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0126420200
Herr Abgeordneter Renner, wir haben hier noch einige Formen parlamentarischer Übung. Ausdrücke wie „demagogische Methoden", „Verlogenheit"

(Abg. Renner versucht weiterzureden)

— entschuldigen Sie, i c h rede im Augenblick — sind in diesem Hause nicht üblich. Ich rufe Sie zur Ordnung.

Heinz Renner (KPD):
Rede ID: ID0126420300
Wenn Sie darauf immer Wert legten, müßten Sie sich das heutige Protokoll mal ansehen, um festzustellen, was hier unter dem Begriff „demokratischer Anstand" geboten wird.
Aber lassen Sie mich etwas zitieren, damit ich zu Ende kommen kann. Ich will Ihre Geduld wirklich nicht ungebührlich in Anspruch nehmen. Kennen Sie die „Nordbayerische Zeitung"? Ist das ein kommunistisches Organ? Da lese ich:
Die ersten Auswirkungen des ratifizierten EVG-Vertrages machen sich bei uns in Bayern jetzt schon bemerkbar. Ehemalige Truppenunterkünfte bzw. ehemaliges Wehrmachtsgelände werden überprüft, inwieweit sie sich für die neu aufzustellenden Truppenverbände zur Verwendung eignen werden.
Und da steht:
Meistens sind aber in den in Frage kommenden Baulichkeiten nach 1945 Flüchtlingsbetriebe eingerichtet worden, um deren weitere Existenz die Betroffenen zu bangen beginnen.
Und dann wird gesagt, was für Flüchtlingsbetriebe das sind, und festgestellt, daß diese Flüchtlingsbetriebe den Kasernen, die Sie bauen, weichen müssen.

(Zuruf von der Mitte: Nennen Sie es doch mal von da drüben!)



(Renner)

Heute ist von anderer Seite über die Flucht der industriellen Betriebe aus den Grenzgebieten dort gesprochen worden. Vor zwei Jahren haben wir uns hier einmal aus demselben Anlaß über die Tatsache unterhalten, daß das Land Bayern diesen Grenzgemeinden keine Darlehen zur Errichtung von Schulen und Krankenhäusern mehr gibt. Das sind doch Dinge, die hier sogar von Ihrer Seite aus kritisiert worden sind.

(Abg. Dr. Hasemann: Das ist doch die Wirkung! Das ist doch Quatsch, was Sie da reden! Gehen Sie doch auf die Ursachen ein!)

— Ja, für die Folgen einer Politik, die Sie treiben, dürfen Sie nicht uns Kommunisten verantwortlich machen! Das ist verbrecherischer, leichtfertiger Unfug!

(Zuruf rechts: Sie müssen von den Ursachen, nicht von den Folgen reden!)

Sie reden so sehr von dem Bemühen nach „Einheit". Heute morgen hat erst wieder der Herr Minister Kaiser gesagt, man müsse zur Milderung dieser Notstände den Interzonenhandel ankurbeln. Dieses Lied ist heute morgen gesungen worden, bei dem ersten Thema, das wir behandelt haben. Und die Praxis? Ich frage Sie: Haben Sie zur Kenntnis genommen, was von der so pompös angekündigten Aktion „Vulkan" übriggeblieben ist? Wissen Sie, daß von den 39 erlassenen Haftbefehlen heute nur noch ganze 8 aufrechterhalten sind?

(Sehr gut! bei der KPD.) Wissen Sie das?


(Lebhafte Zurufe. — Unruhe.)

Wenn Sie diese Dinge wissen — und Sie müssen sie ja wissen, da es sogar in Ihren Zeitungen steht —,

(Abg. Frau Dr. Brökelschen: Zum Thema!)

dann, bitte, prüfen Sie Ihre eigene Politik und prüfen Sie, inwieweit Ihre eigene Politik verantwortlich ist auch für die Not in den Grenzgebieten! Wenn Sie dann ehrlich an die Dinge herangehen, mit der bei Ihnen, Herr Brookmann, doch vorauszusetzenden christlichen Ehrlichkeit, - —

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0126420400
Ihre Redezeit ist abgelaufen, Herr Abgeordneter Renner.

Heinz Renner (KPD):
Rede ID: ID0126420500
— — dann müßten Sie doch zu der Erkenntnis kommen: Schlagen wir an unsere eigene Brust!

(Zuruf von der Mitte: Richtig!)

Wir sind durch die Politik der Spaltung und der Wiederaufrüstung die Schuldigen an dem Elend unseres Volkes, wir sind die Schuldigen auch an dem Elend des Volkes in den Grenzgebieten!

(Beifall bei der KPD. — Abg. Dr. Hasemann: Geben auch Sie die Verhafteten frei, dann ist alles in Ordnung!)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0126420600
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Besprechung. Ein Antrag auf Ausschußüberweisung ist nicht gestellt.
Ich nehme an, daß Sie dann mit der sofortigen Abstimmung über den Antrag einverstanden sind.

(Abg. Renner: Sie wollten ja nur Hetze machen!)

Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag Drucksache Nr. 4276 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. —

(Abg. Renner: Was ist denn das für ein Antrag? — Heiterkeit.)

Ich stelle fest, daß dieser Antrag gegen die Stimmen der kommunistischen Gruppe angenommen worden ist.

(Abg. Renner: Er hat nur keine Folgen, keine Auswirkung! — Abg. Blachstein: Schneller schlafen, Genosse!)

Ich rufe auf Punkt 8 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Vierten Gesetzes über die Übernahme von Sicherheitsleistungen und Gewährleistungen im Ausfuhrgeschäft (Nr. 4169 der Drucksachen);
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Außenhandelsfragen (14. Ausschuß) (Nr. 4280 der Drucksachen).

(Erste Beratung: 258. Sitzung.)

Den Mündlichen Bericht des Ausschusses erstattet an Stelle des Herrn Abgeordneten Kuhlemann Herr Abgeordneter Serres. Bitte schön!

Dr. Günther Serres (CDU):
Rede ID: ID0126420700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Hohen Hause ist mit Drucksache Nr. 4169 der Entwurf eines Vierten Gesetzes über die Übernahme von Sicherheitsleistungen und Gewährleistungen im Ausfuhrgeschäft zugeleitet worden. Der Regierungsentwurf sieht die Erhöhung des Burgschafts- und Garantierahmens auf einen Betrag von insgesamt 3500 Millionen DM vor. Die Vorlage ist dem Ausschuß für Außenhandelsfragen zur Beratung zugeleitet worden. Der Außenhandelsausschuß hat die Garantiesumme auf insgesamt 4 Milliarden DM erhöht.
Außerdem hat der Ausschuß in § 1 a entsprechend dem Vorschlag des Bundesrates die Berlin-Klausel eingefügt. Inzwischen hat die Fraktion der SPD dem Hause auf Umdruck Nr. 901 eine neue Formulierung des § 1 a vorgelegt. Diese Formulierung sieht vor, die Berlin-Klausel auch in das Dritte Gesetz über die Übernahme von Sicherheitsleistungen und Gewährleistungen im Ausfuhrgeschäft einzufügen. Durch ein technisches Versehen war bei dem Dritten Gesetz übersehen worden, die Berlin-Klausel einzufügen. Eine erneute Fühlungnahme unter den Mitgliedern des Außenhandelsausschusses hat ergeben, daß dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD zugestimmt wird.
Ich habe daher die Ehre, Sie namens des Ausschusses zu bitten, dem Ausschußantrag gemäß Drucksache Nr. 4280 unter Berücksichtigung des Antrags Umdruck Nr. 901 Ihre Zustimmung zu geben.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0126420800
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, auf eine Aussprache in der Dritten Beratung zu verzichten.


(Präsident Dr. Ehlers)

Ich rufe zur zweiten Beratung auf § 1, - § 1 a, und zwar in der Fassung des SPD-Antrags Umdruck Nr. 901, — Einleitung und Überschrift. — Ich bitte die Damen und Herren, die den aufgerufenen Paragraphen, Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die überwiegende Mehrheit; angenommen.
Ich rufe auf zur
dritten Beratung.
Allgemeine Aussprache entfällt, Einzelberatung ebenfalls.
Ich komme zur Schlußabstimmung über das Vierte Gesetz über die Übernahme von Sicherheitsleistungen und Gewährleistungen im Ausfuhrgeschäft. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Gesetz in seiner Gesamtheit zuzustimmen wünschen, sich zu erheben. — Das Gesetz ist in der Schlußabstimmung mit überwiegender Mehrheit angenommen.
Ich habe bekanntzugeben, daß die 32. Sitzung des Ausschusses für Fragen der europäischen Sicherheit in dieser Woche ausfällt.
Damit sind wir am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste, die 265. Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag, den 12. Mai, 13.30 Uhr, und schließe die 264. Sitzung.