Gesamtes Protokol
Ich eröffne die 258. Sitzung des Deutschen Bundestags und bitte um die Bekanntgabe der Namen der entschuldigten Abgeordneten.
Müller , Schriftführer: Für vier Wochen ab 25. März sucht um Urlaub nach Abgeordneter Dr. Gerstenmaier wegen dienstlicher Inanspruchnahme.
Entschuldigt fehlen die Abgeordneten Gibbert, Hilbert, Dr. Solleder, Kriedemann, Ahrens, Odenthal, Kalbitzer, Kalbfell, Dannemann, Niebergall, Dr. Frey, Dr. Friedensburg, Dr. Bertram , Dr. Henle, Jaffé und Margulies.
Meine Damen und Herren, ich unterstelle, daß das Haus mit der Genehmigung des Urlaubs über eine Woche hinaus für Herrn Abgeordneten Dr. Gerstenmaier einverstanden ist. - Das ist der Fall.
Im Ältestenrat ist eine Vereinbarung darüber erzielt worden, daß auf die Tagesordnung gesetzt werden soll die
Darf ich unterstellen, daß das Haus damit einverstanden ist? — Herr Abgeordneter Sabel!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich widerspreche unter Bezugnahme auf § 85 der Geschäftsordnung der dritten Beratung.
Meine Damen und Herren, Sie haben gehört, daß Herr Abgeordneter Sabel unter Bezugnahme auf § 85 der Geschäftsordnung der Beratung widersprochen hat. Die Drucksache, die die in der zweiten Beratung gefaßten Beschlüsse zusammenfaßt, ist verteilt worden. Der zweite Tag ist noch nicht erreicht. Die Kürzung von Fristen ist nach § 93 der Geschäftsordnung nur möglich, wenn nicht 10 anwesende Mitglieder widersprechen. Bisher hat Herr Abgeordneter Sabel widersprochen. — Dieser Widerspruch wird nunmehr von mehr als 10 Abgeordneten erhoben. Ich bedaure, meine Damen und Herren, unter diesen Umständen den Punkt nicht auf die Tagesordnung setzen zu können. Ich unterstelle das Einverständnis des Hauses, daß ich ihn als ersten Punkt auf die Tagesordnung der ersten Sitzung nach der Osterpause setze, was hiermit geschieht.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten über den Antrag der Fraktion ,der FU (BP-Z) betreffend Deutsche Kriegsgefangene und Zivilinternierte (Nrn. 4163, 3807 der Drucksachen).
Bevor wir in die Beratung eintreten, darf ich einen Augenblick unterbrechen für einen Geschäftsordnungsantrag des Herrn Abgeordneten Professor Nöll von der Nahmer zur Tagesordnung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren! Im Einverständnis mit den Kollegen von der CDU und SPD darf ich bitten, daß wir hinter Punkt 10 der Tagesordnung als 10a die erste Beratung der Drucksache Nr. 4190 — eines von unserer Fraktion eingebrachten Gesetzentwurfs zur Änderung des § 44 Abs. 2 der Gewerbeordnung — einfügen. Auch die Regierungsvorlage in der Drucksache Nr. 4170 — die Dinge haben sich überschnitten — sieht eine Änderung des § 44 vor. Die beiden Gesetzentwürfe gehören inhaltlich zusammen. Es empfiehlt sich deshalb, den Regierungsentwurf und unsern Antrag ohne Aussprache gemeinsam an den Ausschuß zu überweisen. Ich erbitte Ihr Einverständnis.
Es handelt sich um einen Antrag auf Erweiterung der Tagesordnung. Um keine geschäftsordnungsmäßige Pflicht zu versäumen, frage ich, ob widersprochen wird. — Das ist nicht der Fall; also ist dieser Punkt unter 10 b auf die Tagesordnung gesetzt.
Wir können jetzt in die Beratung zu Punkt 1 der Tagesordnung, die
Beratung des Schriftlichen Berichts betreffend deutsche Kriegsgefangene und Zivilinternierte
eintreten. Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Wehner. Darf ich ihn bitten, in Ergänzung des Schriftlichen Berichts das Wort zu nehmen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der Föderalistischen Union, der dem Bericht des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten zugrunde liegt — er liegt Ihnen schriftlich vor —, erstrebt eine beschleunigte Behandlung und Lösung des Problems der deutschen Kriegsgefangenen und deutschen Zivilinternierten durch die Vollversammlung der Vereinten Nationen. In dem Ihnen vorliegenden Schriftlichen Bericht *) hat der Ausschuß für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten in gedrängter Form dargelegt, was bisher im Rahmen der Vereinten Nationen für die Lösung des Problems der deutschen Kriegsgefangenen geschehen ist. Hier soll der Schriftliche Bericht nicht mündlich wiederholt werden; ich muß Sie aber bitten, Ihre Aufmerksamkeit doch auf einige Punkte zu lenken, die ich Ihnen zu diesem Bericht sagen muß. Außerdem möchte ich Ihnen einige notwendige Erläuterungen geben und nicht zuletzt die Bitte an Sie richten, diesem Bericht auch nach der Beschlußfassung des Bundestags über den Antrag des Ausschusses Ihr Interesse zu schenken, damit die Bemühungen um eine so weit wie möglich gehende Lösung des Problems der Kriegsgefangenen und verschleppten Zivilpersonen durch sachgemäße Vorschläge aus dem Bundestag weiter gefördert werden können.
Der Bundestag hat es j a von Anfang an als eines seiner Hauptanliegen angesehen, dazu beizutragen, daß die noch in fremden Ländern oder im Gewahrsam fremder Mächte zurückgehaltenen Gefangenen und verschleppten Zivilpersonen endlich in Freiheit heimkehren können. Seitdem die Vereinten Nationen im Jahre 1950 den Versuch einer Lösung des Kriegsgefangenenproblems in Angriff genommen haben, hat der Bundestag sowohl durch einige Beschlüsse des Plenums als auch durch die laufende Behandlung aller einschlägigen Fragen im Ausschuß für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten und in dessen Unterausschuß für Kriegsgefangenenfragen ständig und unmittelbar auf die Bemühungen der zuständigen Stellen der Bundesregierung Einfluß genommen. In dieser Hinsicht ist — und ich glaube, das muß hier erwähnt werden — eine laufende fruchtbare Zusammenarbeit der in Frage kommenden Regierungsstellen und des zuständigen Bundestagsausschusses zustande gekommen.
Dies war und dies bleibt um so notwendiger, als es sich herausgestellt hat, daß das Kriegsgefangenenproblem überhaupt und dementsprechend auch die Behandlung des Kriegsgefangenenproblems im Rahmen der Vereinten Nationen mit der Länge der seit dem Abschluß der militärischen Kriegshandlungen vergangenen Zeit leider nicht einfacher, sondern eher noch komplizierter geworden ist.
Es war zweifellos ein bedeutender Fortschritt, daß sich die Vereinten Nationen überhaupt im Herbst 1950 infolge der Initiative der Regierungen der Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritanniens und Australiens entschlossen haben, das Problem der Kriegsgefangenen und darunter auch der deutschen Kriegsgefangenen aufzugreifen und einer Lösung zuzuführen.
*) Siehe Anlage 1 Seite 12560
Die Entschließung „Maßnahmen für die friedliche Lösung des Kriegsgefangenenproblems", die am 14. Dezember 1950 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen angenommen worden ist, ist ein Dokument, das ein sehr wertvoller Beitrag zur Lösung des Kriegsgefangenenproblems sein könnte,
wenn alle Mitglieder der Vereinten Nationen sich bemühen wollten, die Verpflichtungen zu erfüllen, die dieser Beschluß enthält. Es ist von Bedeutung, daß diese Entschließung — darauf muß ich Sie ausdrücklich aufmerksam machen — Bezug nimmt
a) auf die anerkannten Maßstäbe internationalen Verhaltens auch für die Behandlung der deutschen Kriegsgefangenen,
b) auf die Genfer Konvention von 1949 für den Schutz der Kriegsgefangenen, auch der deutschen Kriegsgefangenen, und
c) auf ausdrückliche Abkommen zwischen den alliierten Mächten bezüglich der Kriegsgefangenen und besonders auch der deutschen Kriegsgefangenen.
Die Entschließung betont, daß die Gefangenen entsprechend diesen eben angeführten Tatbeständen entweder längst in die Heimat hätten entlassen oder daß über ihr Verbleiben hätte Auskunft gegeben werden müssen. Der Text der Entschließung, der im Schriftlichen Bericht ausführlich auszugsweise und unter wortgetreuer Wiedergabe der entscheidenden Abschnitte zitiert ist, stellt ein brauchbares Instrument zur Inangriffnahme der Lösung wenigstens eines Teiles der für uns so schmerzlichen Kriegsgefangenenprobleme dar.
Wieviel — so muß man fragen — wäre gewonnen, wenn wenigstens der Nachweis über das Schicksal der noch nicht heimgekehrten Kriegsgefangenen und über den Verbleib der Verschollenen erbracht würde?
Wir müssen leider feststellen, daß mehr als zwei Jahre nach der Annahme dieser Entschließung durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen nur Bruchstücke erreicht worden sind.
Die Vertreter der Sowjetunion und der Ostblockstaaten haben sich von Anfang an gegen die Aufnahme der Frage durch die Vereinten Nationen gewehrt.
Herr Abgeordneter Wehner, darf ich einen Augenblick unterbrechen. — Meine Damen und Herren, darf ich Ihnen nicht empfehlen, wenigstens bei dies e m Thema die Unterhaltung einen Augenblick einzustellen.
Die Arbeit des damals auf der Grundlage dieser Entschließung eingesetzten Ad-hoc-Ausschusses für das Kriegsgefangenenproblem ist durch diese Weigerung der Sowjetregierung, mitzuarbeiten, sehr erschwert worden. Hier kann und darf aber auch nicht verschwiegen werden, daß andere in Frage kommende Staaten noch keineswegs die von ihnen selbst übernommenen Verpflichtungen erfüllt haben. Ich muß Sie in diesem Zusammenhang auf die entsprechende Stelle des Berichts aufmerksam machen
Sie werden auf Seite 3*) die knappen, trockenen Feststellungen darüber finden, was, gemessen an dem, was die Resolution erlaubt und sogar gebietet, trotz der Bemühungen der Kommission bisher noch nicht erreicht worden ist. Z. B. die Übergabe von Verzeichnissen mit den Namen von Kriegsgefangenen, die von einem Gewahrsamsstaat an einen andern ausgeliefert oder überstellt worden sind, ist noch nicht durchgeführt. Darüber besteht noch kein Übereinkommen.
Ferner sind die Angaben über den Kreis der Kriegsgefangenen, die nach ihrer Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft im bisherigen Gewahrsamsland in ein Dienstverhältnis, z. B. der Fremdenlegion oder in zivile Dienstverhältnisse, eingetreten sind, noch nicht übergeben.
Drittens. Versuche, das Problem der verurteilten Kriegsgefangenen und ihrer Behandlung in den nicht zum Ostblock gehörenden Gewahrsamsstaaten im Hinblick auf eine mögliche positive Auswirkung auf die Behandlung der Verurteilten in den Ostblockstaaten zu lösen, sind bisher in kaum nennenswerter Weise zu verzeichnen.
Schließlich sind konkrete Richtlinien zur Erfüllung des Punktes 4 — den Sie im Schriftlichen Bericht finden und auf den ich Sie aufmerksam machen möchte —, der die Suche nach allen Vermißten und, soweit das im menschlichen Vermögen liegt, Auskunft über das Schicksal aller Verschollenen fordert, bisher nicht ausgearbeitet worden.
Meine Damen und Herren! Selbst wenn Zweifel darüber bestehen sollten oder könnten, daß die Sowjetregierung und die Ostblockländer dem Beispiel der übrigen Welt zur wirklichen Bereinigung der Kriegsgefangenenfrage folgen, sollte doch aus Gründen der Menschlichkeit überhaupt jeder Staat von sich aus und in seinem Rahmen dazu beitragen, dieses Problem zu seinem Teil mit lösen zu helfen.
Der von den Vereinten Nationen gebildete Adhoc-Ausschuß hat die Vertreter der Bundesrepublik zu seinen Tagungen geladen und hat ihnen in großzügiger Weise Gelegenheit gegeben, die von der Bundesregierung ausgearbeiteten Unterlagen zu unterbreiten, die dazu erforderlichen Erklärungen abzugeben und alle dazu gehörenden Fragen zu stellen. Eine Reihe von Einzelfragen, und zwar — das muß ich hier betonen — wesentlichen Einzelfragen, sind so positiv behandelt worden, daß man von einer Aufklärung auf Teilgebieten sprechen kann. Auch darüber sagt Ihnen der Schriftliche Bericht einzelnes, und ich möchte Sie sehr bitten, diesem Teil Ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden.
Meine Damen und Herren, wenn Sie die in dem Schriftlichen Bericht enthaltenen Zahlen, die sich aus den der Kommission vorgelegten deutschen dokumentarischen Unterlagen ergeben, mit den Zahlen der in einer gewissen Frist Heimgekehrten — auch diese Zahlen finden Sie in dem Schriftlichen Bericht — vergleichen, so zeigt Ihnen das, wie klaffend die Wunde immer noch ist. Das könnte als ein deprimierendes Ergebnis bezeichnet werden. Aber wir dürfen nicht resignieren, nicht
*) Vgl. Seite 12562B
nur wegen der Gefangenen, nicht nur wegen ihrer Angehörigen, nicht nur wegen unseres Volkes, sondern auch wegen der Hoffnung auf den endlichen Sieg der Menschlichkeit. Selbst wenn dem von den Vereinten Nationen eingesetzten Ad-hocAusschuß Grenzen gesetzt sind, selbst wenn die Vereinten Nationen selbst auf Grund ihrer inneren Lage außerstande sein sollten, das Problem der Kriegsgefangenen im ganzen zu lösen, so sollte doch — und diesem Anliegen gibt dieser Bericht mit seinen Schlußfolgerungen Ausdruck — die Entschließung der Vereinten Nationen, die ein Instrument zur Lösung wenigstens eines wichtigen Teils der Kriegsgefangenenfrage ist, nicht zu den Akten gelegt werden. Man muß an ihr festhalten, und man müßte darüber hinaus zu weiteren Schritten vielleicht auch noch auf anderen Ebenen übergehen.
Mit dem Dank an die Mitglieder und Mitarbeiter des von den Vereinten Nationen gebildeten Ad-hoc-Ausschusses sollte von uns aus die Bitte verbunden werden, zu helfen, daß die Vereinten Nationen in jedem Fall weiter im Rahmen des ihnen Möglichen so entschieden, wie es denkbar ist, an der Lösung des Kriegsgefangenenproblems und damit auch des deutschen Kriegsgefangenenproblems arbeiten und wirken. — Bisher habe ich nur vom Kriegsgefangenenproblem gesprochen.
Der Antrag der Föderalistischen Union nennt auch das Problem der verschleppten Zivilpersonen. Ich muß Ihnen hier mitteilen, daß schon beim Zustandekommen der Entschließung der Vereinten Nationen, von der in dem Bericht die Rede ist, von den Vertretern der Bundesrepublik bei verschiedenen Delegationen der Vereinten Nationen das Problem der verschleppten und zum Teil internierten Zivilpersonen zur Sprache gebracht worden ist. Beim gegenwärtigen Stand der Dinge und angesichts der Entwicklung, die die Kriegsgefangenenfrage im Rahmen der Vereinten Nationen genommen hat, ist es — so ist anzunehmen — offenbar noch nicht angebracht, das Problem der zivilverschleppten Personen als einen neuen Komplex mit einem Anliegen vor die Vereinten Nationen zu bringen. Aber die Kommission hat sich — und das geht aus den Unterlagen hervor, über die auch dieser Schriftliche Bericht aussagt - mit dem Zivilgefangenen- und Zivilverschlepptenproblem befaßt, soweit es mit dem der Kriegsgefangenen in Berührung steht — und es steht ja sehr eng mit ihm in Berührung.
Wenn es darauf ankäme, lediglich die Tatsache anzuprangern, daß etwa 750 000 Deutsche aus den polnisch und sowjetisch besetzten deutschen Ostgebieten nach der Sowjetunion und anderen Ostblockländern verschleppt worden sind, so müßte das anter Hinweis auf die einwandfreien Unterlagen natürlich geschehen. Aber es geht ja hier darum, den Prozeß der Heimführung und auch den Prozeß der Betreuung bis zur Heimführung dieser unglücklichen Mitmenschen zu fördern. Dazu ist — das werden Sie verstehen — vor allen Dingen eine ganze Reihe von keineswegs stets öffentlich zu behandelnden Fragen zu lösen. Unser Anliegen ist, die Regierung möge auf diesem Gebiet so aktiv wie möglich sein.
Ich möchte Sie besonders auf den kurzen Abschnitt hinweisen, den Sie auf Seite 3*) unter Buchstabe über die Ermittlungen hinsichtlich *) Vgl. Seite 12561D
der aus den deutschen Ostgebieten verschleppten Zivilpersonen finden. Hier geht es um Möglichkeiten des Austauschs z. B. von Kindern, die durch ihre Eltern hier und auf der anderen Seite gesucht werden. Hier geht es um die Möglichkeiten, die guten Dienste dritter Regierungen oder internationaler Organisationen zu erbitten und in Anspruch zu nehmen, und um eine ganze Reihe anderer in diesem Rahmen liegender Möglichkeiten.
Ich habe Ihnen also im Namen des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten vorzuschlagen:
Die Bundesregierung wird ersucht,
1. bei den Vereinten Nationen darauf hinzuwirken, daß die dem Ad-hoc-Ausschuß durch die Entschließung vom Dezember 1950 übertragenen Aufgaben einem permanenten Organ der Vereinten Nationen übertragen werden, falls der Ad-hoc-Ausschuß sich außerstande sehen sollte, wie bisher weiter zu amtieren;
2. bei den Vereinten Nationen darauf hinzuwirken, daß dieses permanente Organ beauftragt werden möge
a) mit der Vervollständigung des Nachweises der Schicksale der Kriegsgefangenen und ehemaligen Kriegsgefangenen, die noch nicht heimgekehrt sind ;
b) mit der Fühlungnahme mit Regierungen und internationalen Organisationen zur Heimführung der Kriegsgefangenen und zur Erleichterung ihrer Betreuung ;
3. Bemühungen anzustellen, um die guten Dienste von Regierungen, Behörden und internationalen Organisationen für Verhandlungen und für Hilfe in Einzel- oder Gruppenfällen in Anspruch nehmen und nutzbar machen zu können;
4. auf geeignete Weise die Behandlung des Problems der aus den deutschen Ostgebieten verschleppten Zivilpersonen sowohl durch Organe der Vereinten Nationen als auch durch Vermittlung von anderen Regierungen oder internationalen Organisationen zu fördern.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Das Wort hat der Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amts.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bericht und Antrag des Auswärtigen Ausschusses und ebenso die Erläuterungen, die soeben der Herr Berichterstatter dazu gegeben hat, stimmen in allem mit der Auffassung der Bundesregierung überein. Ich darf es daher unterlassen zu Einzelheiten Stellung zu nehmen. Es liegt mir jedoch daran, das folgende namens der Bundesregierung zu erklären.
Die Bundesregierung hat es dankbar begrüßt, daß die Generalversammlung der Vereinten Nationen auf Antrag der Vereinigten Staaten, Großbritanniens und Australiens im Herbst 1950 die . Frage der noch nicht zurückgekehrten Kriegs-
gefangenen erörtert und am 14. Dezember 1950 eine Entschließung über Maßnahmen zur friedlichen Lösung des Kriegsgefangenenproblems angenommen hat. Durch diese Entschließung ist bekanntlich der Ad-hoc-Ausschuß für Kriegsgefangene eingesetzt worden, der — ich zitiere — „die Kriegsgefangenenfrage rein menschlich und zu für alle betroffenen Regierungen annehmbaren Bedingungen regeln soll".
Die Bundesregierung hat es weiter begrüßt, daß ihr Gelegenheit gegeben worden ist, auf zwei Tagungen dieses Ausschusses durch ihre Vertreter umfangreiches Material über die noch nicht heimgekehrten deutschen Gefangenen vorzulegen. Es konnte kaum erwartet werden, daß diese Tagungen bereits so tiefgreifende Wirkungen zeitigen würden, wie es in Anbetracht dieses menschlich so tragischen Problems und in Würdigung der hingebenden Tätigkeit der Mitglieder des Ausschusses erwünscht gewesen wäre. Jedoch kann wohl gesagt werden, daß zumindest wertvolle Teilergebnisse verzeichnet werden konnten. Ich möchte hier etwa nur an die Übermittlung von Namenslisten verstorbener Kriegsgefangener aus zehn Ländern an den Ad-hoc-Ausschuß und ihre Weiterleitung an die Bundesregierung erinnern.
Die Bundesregierung ist sich der besonderen Schwierigkeiten bewußt, die der Ad-hoc-Ausschuß bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu überwinden hat. Sie ist aber auch überzeugt, daß es für die Gefangenen und zurückgehaltenen Verschleppten ebenso wie für ihre wartenden Angehörigen in der Heimat von kaum zu überschätzendem Wert sein muß, zu wissen. daß die Vereinten Nationen ein Gremium beauftragt haben, alles nur Mögliche zu tun, um Gewißheit über das Schicksal der Verschollenen zu schaffen und die noch zurückgehaltenen Kriegsgefangenen in die Heimat zurückzuführen.
Schließlich möchte die Bundesregierung der Überzeugung Ausdruck geben, daß das Interesse, das die Lösung der Gefangenenfrage in der Entschließung der Vereinten Nationen vom 14. Dezember 1950 und in der Einsetzung des Ad-hoc-Ausschusses gefunden hat, letztlich seine Wirkungen nicht verfehlen wird. Die Bundesregierung verbindet mit ihrem Dank gegenüber dieser Haltung der großen Mehrheit der Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen das Bewußtsein, ihren besonderen Dank den Persönlichkeiten schuldig zu sein, die sich in selbstloser Hingabe als Mitglieder des Adhoc-Ausschusses für die Erfüllung der ihnen von der Generalversammlung der Vereinten Nationen gesetzten schweren Aufgabe zur Verfügung gestellt haben. Ich hoffe, daß das erschütternde Los der Gefangenen und ihrer Familien, von denen die Gefangenen nun vielfach bereits über ein Jahrzehnt getrennt sind, Anlaß sein wird, daß die Mitglieder des Ad-hoc-Ausschusses auch weiterhin mit dem ganzen Gewicht ihrer Persönlichkeit bereit und bemüht sein werden, das Schicksal der Gefangenen zu wenden oder wenigstens zu erleichtern. Die Bundesregierung gibt der Hoffnung Ausdruck, daß die Vereinten Nationen, ihren Prinzipien getreu, die übernommene Aufgabe. die eine große. allgemeine, menschliche Bedeutung hat, weiter zu Ende führen werden.
Meine Damen und Herren, ich frage, ob nach diesem Bericht und nach dieser Erklärung des Herrn Staatssekretärs eine Aussprache gewünscht wird. .
— Das ist offenbar nicht der Fall. —
— Meine Damen und Herren, ich frage, ob das Haus eine Aussprache wünscht.
— Ich lasse abstimme, Herr Abgeordneter Renner. Wer ist dafür, daß eine Aussprache stattfindet?
- Die Damen und Herren mit Ausnahme der
Gruppe der KPD, so unterstelle ich, wünschen das nicht. Es findet also keine Aussprache statt.
— Herr Abgeordneter Renner, zur Abstimmung werden nach der Geschäftsordnung keine Erklärungen abgegeben. Bei nicht namentlichen Abstimmungen besteht die Möglichkeit, schriftliche Erklärungen zwecks Aufnahme in das Protokoll abzugeben.
— Ich nicht, Herr Abgeordneter Renner!
Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Gegenprobe! —
Enthaltungen? — Der Antrag des Ausschusses ist gegen die Stimmen der kommunistischen Gruppe angenommen.
— Herr Abgeordneter Renner, ich rufe Sie wegen des Ausdrucks „Hetze", mit dem Sie einen Beschluß des Deutschen Bundestages belegen, zur Ordnung!
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
a) Mündliche Berichterstattung des Ausschusses für Petitionen gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 der Geschäftsordnung;
b) Beratung der Übersicht Nr. 64 über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages betreffend Petitionen .
Zur Berichterstattung hat der Herr Abgeordnete Sassnick das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die nach § 113 Abs. 1 der Geschäftsordnung dem Petitionsausschuß auf-
erlegte Verpflichtung, vierteljährlich einen mündlichen Bericht über seine Tätigkeit zu erstatten, dient dazu, einer Verkümmerung des in Art. 17 des Grundgesetzes niedergelegten Grundrechtes vorzubeugen. Der Sinn dieser Bestimmung liegt auch darin, das Plenum über das allgemeine staats-, wirtschafts-, sozial- und kulturpolitische Stimmungsbild zu unterrichten, wie es sich aus einer vierteljährlichen Generalübersicht über die Petitionen herauslesen läßt.
Bevor ich im Namen des Petitionsausschusses über seine bisherige Arbeit berichte, möchte ich Sie über einige Probleme unterrichten, die sich bei der Behandlung der Petitionen in der Praxis ergeben haben.
Mehrfach wurde im Ausschuß die Frage erörtert, ob Petitionen auch dann behandelt werden sollten, wenn sie nicht von dem Petenten selber, sondern von einem Rechtsanwalt oder einer anderen dritten Person in des Petenten Auftrag angefertigt und eingereicht werden. Diejenigen, die sich für eine Nichtbehandlung derartiger Eingaben einsetzten, vertraten die Auffassung, es sei zweckmäßig, das Recht des Petenten zu schmälern.
Gegen diese Ansicht haben wir Bedenken, und zwar nicht nur aus psychologischen und rein menschlichen, sondern auch aus rein formalen und juristischen Gründen. Nach den geltenden Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist jeder Bürger und jede Bürgerin dieses Landes berechtigt, sich bei der Abgabe einer Willenserklärung durch Bevollmächtigte vertreten zu lassen. Das Grundgesetz enthält keinerlei Einschränkungen dieses Grundsatzes. Es muß daher jedem Staatsbürger unbenommen bleiben, sich bei Petitionen an die Volksvertretung eines Vertreters zu bedienen. Der Ausschluß eines Vertreters könnte sich nämlich dahin auswirken, daß ungewandte und rechtsunkundige Staatsbürger benachteiligt werden. Außerdem würde man durch den formalen Ausschluß eines Vertreters niemals verhindern können, daß der einzelne Staatsbürger seine Petition durch einen geeigneten Vertreter bearbeiten läßt und sie selber unterzeichnet. Diese anonyme 'Tätigkeit eines Vertreters ist aber nicht erstrebenswert. Wir sind daher der Auffassung, daß kein Anlaß besteht, eine von einem Rechtsanwalt oder einem sonstigen Vertreter dem Bundestag vorgelegte Petition nicht zu behandeln.
Eine weitere Frage war die — und das ist eine sehr wichtige Sache —, ob der Inhalt einer Petition zum Anlaß einer strafrechtlichen Verfolgung werden kann. Grundsätzlich ist das Petitionsrecht hinsichtlich des Gegenstandes nicht beschränkt. Art. 17 des Grundgesetzes selbst sieht keine Einengungsmöglichkeit vor; doch versteht es sich von selbst, daß inhaltliche Schranken für das Petitionsrecht aus der Beachtung der allgemeinen Gesetze erfolgen. Hier ist vor allem an die Strafgesetze zu denken. Nach der herrschenden Auffassung werden strafbare Handlungen wie Beleidigungen und Erpressungen nicht dadurch straflos, daß sie in Ausübung des Petitionsrechts vorgebracht werden.
Aus diesem Grunde hat der Petitionsausschuß in mehreren Fällen Petitionen, die grobe Beleidigungen oder auch nazistisches Gedankengut enthalten, dem Bundesjustizministerium mit der Bitte um Einleitung eines Strafverfahrens übermittelt. Bei einem kürzlich behandelten Fall — nun passen Sie gut auf! — war es so, daß der Petent die Einsetzung einer Kommission zur Untersuchung der
Vorgänge im Lager Belsen beantragte und auch eine Untersuchung gegen den Herrn Bundespräsidenten forderte, weil dieser dort einen Kranz für die vergasten und verbrannten Opfer niedergelegt hat.
Mit zynischer Grausamkeit rechnete der Petent in seiner Eingabe aus, daß alle Angaben des Herrn Bundeskanzlers, die er hier von dieser Stelle gemacht hat, unwahr seien und daß .die vorhandenen Verbrennungsanlagen in Belsen gar nicht ausgereicht hätten, um 350 000 Menschen zu vernichten. Wir waren im Ausschuß einmütig der Auffassung, daß eine solche gemeine Gesinnung gesühnt werden muß, und haben daher die Petition dem Bundesjustizministerium zugeleitet, damit dieses prüfe, ob die Einleitung eines Strafverfahrens gegeben ist.
Aus der Ihnen heute bei Ihren Akten vorliegenden statistischen Ubersicht bitte ich zu entnehmen, daß bis zum 25. Februar 1953 22 500 vom Petitionsausschuß registrierte Petitionen eingegangen sind. Da der Bericht vor etwa vier Wochen von der Tagesordnung abgesetzt wurde, hat sich inzwischen die Gesamtzahl auf rund 23 500 erhöht. Von den genannten 22 500 Petitionen konnten inzwischen 89 % erledigt werden. Das bedeutet gegenüber dem letzten Bericht, den Kollege Dr. von Golitschek gegeben hat, eine Zunahme der erledigten Eingaben um fast 10 %. Ein Beweis für die intensive Arbeit, die geleistet wurde.
Das Schwergewicht der Arbeit lag hierbei naturgemäß beim Petitionsausschuß mit 11 379 Eingaben, das sind 50,59 %, während auf die Fachausschüsse folgende Anteile entfallen: Ausschuß für Beamtenrecht 1517 Eingaben, 6,74 %; Ausschuß für Sozialpolitik 797 Eingaben, 3,56 %; Ausschuß für den Lastenausgleich 693 Eingaben, 3,08 %; Ausschuß für Kriegsopfer- und Kriegsgefangenenfragen 577 Eingaben, 2,56 %; Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht 527 Eingaben, 2,34 %; Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen 449 Eingaben, 2 %; Haushaltsausschuß 393 Eingaben, 1,25 %.
Der Rest verteilt sich auf die übrigen 28 Ausschüsse. Insgesamt wurden 36 Fachausschüssen 7393 Eingaben — das sind 32,85 % — überwiesen. Hiervon sind 5519 — das sind 74 % — erledigt. Dem stehen für den Petitionsausschuß 11 379 Eingaben — das sind 50,59 % — und hiervon 11 181 erledigte Eingaben — das sind 98 % — gegenüber. Es gibt da also fast keinen Rest.
Wegen ihrer äußeren Form und wegen ihres Inhalts waren 247 Petitionen — das sind 1,9 % unbehandelbar, und 3481 Eingaben — das sind 15,47 % — mußten zuständigkeitshalber an andere Behörden abgegeben werden. Hierbei handelte es sich um Eingaben, für die der Bund nicht zuständig ist, so z. B. in allen Mietstreitigkeiten.
Aus der Fülle dieser Eingaben verdient vielleicht hervorgehoben zu werden, daß sich in letzter Zeit Anfragen über eine Rückkehr aus den unter polnischer Verwaltung stehenden Gebieten gehäuft haben. Da die Bundesregierung keine diplomatischen Beziehungen zu der polnischen Regierung unterhält, ist es leider nicht möglich, auf deren Entscheidungen von deutscher oder internationaler Seite Einfluß zu nehmen. Aussiedlungstransporte wurden von polnischer Seite im vergangenen Jahr nur für die Sowjetzone abgefertigt.
Es blieb daher in diesen Fällen nichts anderes übrig, als die Petenten zu veranlassen, eine Registrierung beim Deutschen Roten Kreuz in Hamburg-Altona zu bewirken, um damit die Voraussetzung für eine Berücksichtigung zu schaffen, wenn Aussiedlungstransporte für das Bundesgebiet von polnischer Seite wieder abgefertigt werden sollten.
Viele Petitionen enthalten die Anfrage, wann die Revisionsinstanz in der Sozialgerichtsbarkeit endlich geschaffen werde. Bisher ist die Verabschiedung dieser Angelegenheit immer wieder verschoben worden.
Ebenso warten zahlreiche Sowjetzonenflüchtlinge auf den Erlaß einer Rechtsverordnung zu § 301 des Lastenausgleichsgesetzes, nach dem aus dem Härtefonds Zahlungen an Sowjetzonenflüchtlinge geleistet werden können.
Neben Kritik und Beschwerden finden zahlreiche Petenten auch anerkennende Worte des Dankes sowohl an den Ausschuß als auch an den Deutschen Bundestag.
Ein weiterer Fall verdient ebenfalls Erwähnung. Ein Petent beantragte ein Rede- und Schreibverbot für den General Ramke. Die Eingabe ging vom Petitionsausschuß an das Bundesinnenministerium mit der Bitte um Prüfung und Bericht. Von dort kam die Antwort, daß das Verhalten Ramckes nicht ausreiche, so einschneidende Grundrechte zu entziehen, daß man aber erwäge, ihm die ihm nach dem Gesetz zu Art. 131 des Grundgesetzes zustehenden Versorgungsbezüge zu entziehen,
Der Ausschuß hat in einmütigem Beschluß diese Eingabe nicht ad acta gelegt, sondern beim Innenministerium erneut angefragt, wie weit diese Erwägungen gediehen seien.
Bei der Prüfung des wesentlichsten Inhalts der Eingaben, die im Petitionsausschuß behandelt werden, zeigte sich, daß sich 9,9 % mit Altersversorgung und Rentenwesen befaßten, 9,8 % mit Beamtenansprüchen, 9,8 % mit Beschwerden über Entscheidungen der Verwaltung und mit Verfahrensbeschleunigungen, 8,9 % mit Soforthilfeansprüchen aus dem Lastenausgleichgesetz und 8,6 % mit Unterstützungs- und Kreditgesuchen. Es folgen Wiedereinstellungsgesuche, Wünsche auf Behebung der persönlichen sozialen Notlage, Ansprüche aus dem Bundesversorgungsgesetz, der Reichsversicherungsordnung und andere Dinge mehr.
Abschließend möchte ich feststellen, daß sich aus der Formulierung des Art. 17 des Grundgesetzes ergibt, daß der Petent „sich an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung" wenden kann, daß es mithin durchaus zulässig ist, unmittelbar bei der Volksvertretung zu petitionieren, ohne den Instanzenzug eingehalten zu haben. Es empfiehlt sich vielleicht aus Zweckmäßigkeitsgründen, vor der Anrufung des Parlaments erst alle behördlichen Instanzen mit der Sache zu befassen. Man kann jedoch nicht die Möglichkeit des Petitionierens bei der Volksvertretung von der Einhaltung des Instanzenzuges und des Instanzenweges abhängig machen.
Eine andere Auffassung würde jeder Rechtsgrundlage entbehren und würde dem Wortlaut des Art. 17 des Grundgesetzes Gewalt antun. Das Parlament muß jedenfalls fordern, daß das Petitionsrecht als eines der wichtigsten Grundrechte des Staatsbürgers und der Staatsbürgerin erhalten bleibt und ausgebaut wird. Denn in sehr vielen Fällen können Petitionen eine wertvolle Unterstützung der Legislative bei der Ausübung ihres Kontrollrechts gegenüber der Exekutive sein. Und darauf sollte es dem Parlament immer ankommen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Meine Damen und Herren, vielleicht darf ich diese Gelegenheit benutzen, um einmal darauf hinzuweisen, daß der Petitionsausschuß der Ausschuß ist, bei dem es nicht einmal mehr und einmal weniger, sondern ständig viel Arbeit gibt; und ich glaube, es ist notwendig, bei dieser Gelegenheit den Kollegen, die sich dieser nun nicht gerade Ruhm und Dank im Übermaß bringenden Arbeit diese lange Zeit schon unterziehen, ausdrücklich einmal den Dank des Hauses auszusprechen.
Ich komme zur Abstimmung über die Übersicht Nr. 64 Umdruck Nr. 831. Ich bitte die Damen und Herren, die den von den Ausschüssen des Deutschen Bundestags gestellten Anträgen bezüglich der Petitionen zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Das ist einstimmig genehmigt. Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Strafgesetzbuches .
Im Ältestenrat ist eine Verständigung darüber erzielt worden, daß auf eine Begründung und Aussprache zu diesem Gesetzentwurf in der ersten Beratung verzichtet werden soll. Ich schlage Ihnen vor, den Gesetzentwurf dem Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht zu überweisen. — Das Haus ist damit einverstanden. Die Überweisung ist erfolgt.
Ich rufe den Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP, DP, FU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Artikels 117 des Grundgesetzes (Nr. 4200 der Drucksachen).
Zur Begründung des Gesetzentwurfs hat Herr Abgeordneter Dr. Weber das Wort.
Dr. Weber (CDU), Antragsteller: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes lautet: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt". Diese Bestimmung schafft unmittelbar geltendes Recht. Sie stellt nicht nur einen Grundsatz auf, dessen Erfüllung etwa Aufgabe des Gesetzgebers wäre, im Gegensatz zu der Regelung, wie sie in Art. 109 der Weimarer Verfassung vorgesehen war. Soweit ich sehe, ist es unbestritten, daß diese Regelung bereits
geltendes Recht ist. Das geht auch ganz eindeutig aus den Verhandlungen des Parlamentarischen Rates hervor. So hat man abweichende Vorschläge, die dahin gingen, daß der Grundsatz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt" durch die Gesetzgebung zu verwirklichen sei, abgelehnt. Man hat auch einen Vorschlag abgelehnt, der dahin ging, daß die Gesetzgebung später erst das Außerkrafttreten der entgegenstehenden Vorschriften zu bestimmen habe. Wir werden also davon ausgehen müssen — und das ist auch die allgemeine Auffassung —, daß der Art. 3 Abs. 2 bereits geltendes Hecht ist. Andererseits war man sich aber auch bereits im Parlamentarischen Rat darüber im klaren, daß durch diese Bestimmung weite Gebiete des geltenden Rechts — des privaten und öffentlichen Rechts — verfassungswidrig würden und daß es deshalb notwendig sei, zunächst eine Anpassung des entgegenstehenden Rechts an diese Bestimmung vorzunehmen. Der Parlamentarische Rat war sich also der Verantwortung bewußt, die er damit übernahm, daß er diese Bestimmung bereits als geltendes Recht einführte. So hat er den Art. 117 eingefügt, dessen Abs. 1 lautet:
Das dem Artikel 3 Absatz 2 entgegenstehende Recht bleibt bis zu seiner Anpassung an diese Bestimmung des Grundgesetzes in Kraft, jedoch nicht länger als bis zum 31. März 1953.
Im Parlamentarischen Rat fanden bereits lebhafte Debatten darüber statt, welchen Termin man wählen sollte. Es herrschte Einigkeit darüber, daß eine Anpassung vorher erfolgen sollte, daß also das entgegenstehende Recht zunächst verlängert werden müßte. Es gab Stimmen, die meinten, es genügte schon ein Zeitraum bis zum 31. März 1951. Jedoch setzte sich die Meinung durch, daß das Gesetz so umfassende Änderungen erfordere, daß man für die Lösung dieser gesetzgeberischen Aufgabe Zeit haben müsse. Ein Abgeordneter des Parlamentarischen Rates, Herr Kollege Dr. Becker, hat zwar damals schon ausgeführt, daß die Aufgabe, die hier dem Gesetzgeber gestellt sei, wahrscheinlich auch nicht bis zum 31. März 1953 in vollem Umfange erfüllt werden könnte. Er verlangte, daß diese seine Äußerung ausdrücklich ins Protokoll aufgenommen werde. Er hat damit recht gehabt; er hat nämlich die Schwierigkeiten, vor denen wir jetzt stehen, bereits damals vorausgesehen.
Ich sagte: es handelt sich um ein schwieriges Rechtsgebiet. Das Bundesjustizministerium, dem die Aufgabe oblag, einen Gesetzentwurf über die Anpassung des dem Art. 3 Abs. 2 entgegenstehenden Rechts — insbesondere des bürgerlichen Rechts — an diese Bestimmung vorzulegen, hat sich bereits — das muß man zugeben — frühzeitig an die Arbeit gemacht. Im Jahre 1950 wurde eine Referentin eingesetzt, die sich dieser Aufgabe besonders widmete. Sie hat drei Denkschriften vorgelegt, die in der öffentlichen Diskussion behandelt werden konnten. Es wurde dann bereits im Jahre 1951 eine besondere Arbeitsgruppe eingesetzt, die den Gesetzentwurf zum ursprünglich vorgesehenen Termin — April 1952 — so ungefähr fertiggestellt hatte. Die Abschlußarbeiten verzögerten sich allerdings bis in den Mai hinein. Im Mai kam der Gesetzentwurf ins Kabinett. Dort traten die ersten Schwierigkeiten auf. Es ging — wie bekannt — über mehrere Kabinettssitzungen hinweg, bis man sich über den Gesetzentwurf geeinigt hatte, so daß er erst im Herbst vom Bundesrat behandelt werden konnte.
Der Bundestag, dem er dann zugeleitet wurde, hat sich in seiner Sitzung vom 27. November 1952 in erster Lesung mit dem Entwurf in eingehender Aussprache befaßt. Es war damals von seiten der sozialdemokratischen Fraktion vorgeschlagen worden, für die Behandlung des Gesetzentwurfs einen Sonderausschuß einzusetzen. Die Mehrheit hat das abgelehnt. Man hat sich aber, um die Arbeiten zu fördern, entschlossen, einen Unterausschuß des Rechtsausschusses einzusetzen. Am 13. Dezember — die Daten scheinen mir einigermaßen von Bedeutung zu sein — hat der Vorsitzende des Rechtsausschusses die Fraktionen um Benennung von Mitgliedern für diesen Unterausschuß gebeten. Die Fraktionen haben — bedingt durch die Weihnachtspause — in der Zeit vom 8. Januar bis zum 24. Januar geantwortet. Die letzte Antwort ging am 24. Januar von der sozialdemokratischen Fraktion ein. Darauf habe ich, da ich als Vorsitzender des Unterausschusses gewählt worden war, am 30. Januar zur konstituierenden Sitzung am 5. Februar eingeladen. Wir wurden uns bereits damals dahin einig, daß der Gesetzentwurf unmöglich in seiner Gesamtheit behandelt werden könne; er hatte nämlich ursprünglich das Eheschließungs-
und Ehescheidungsrecht, die ganz gewiß mit dem Problem der Gleichstellung von Mann und Frau in Zusammenhang stehen, eingeschlossen. Wir waren uns darüber im klaren, daß wir uns, wenn wir überhaupt fertig werden wollten, auf die Bestimmungen, die die Gleichstellung als solche behandeln, beschränken müßten.
Das Bundesjustizministerium hat uns auch hierfür einen Arbeitsentwurf zur Verfügung gestellt. Der Ausschuß hat sich, darf ich wohl sagen, in ununterbrochener Arbeit unter Ausnutzung jeder freien Minute darum bemüht, die ihm gestellte Aufgabe zu lösen. Er hat von vornherein auf eine Generaldebatte verzichtet. Es hat sich hinterher herausgestellt, daß das nicht richtig war. Ein solches Gesetz, das so tief in das allgemeine bürgerliche Recht eingreift wie dieses, das solche Verzahnungen mit anderen Rechtsgebieten in anderen Büchern des Bürgerlichen Gesetzbuches aufweist, kann nicht davon losgelöst betrachtet werden. Wenn man hier etwas herausnimmt, weiß man nicht, was für Unheil in anderen Teilen angerichtet wird. Infolgedessen muß man sich nach meiner Meinung zunächst in einer Generaldebatte Klarheit über Sinn und Zweck des ganzen Gesetzes verschaffen. Im Interesse der Arbeitsbeschleunigung hatten wir davon abgesehen, sind aber auf unüberwindliche Schwierigkeiten gestoßen.
Es trat dann die Frage auf, ob man nicht eine Teillösung vornehmen könne, etwa für das Kapitel „Wirkungen der Ehe" oder das Kapitel über den Güterstand. Wir kamen aber zu der Überzeugung, daß das nicht möglich sei. Schließlich kamen wohl alle Mitglieder des Unterausschusses über alle Fraktionen hinweg gemeinsam zu der Überzeugung, daß es nicht möglich sei, das Gesetz bis zum 31. März fertigzustellen. Am BGB hat man 50 Jahre lang gearbeitet; 20 Jahre lang haben Kommissionen darüber beraten. So viel an Tagen stand dem Ausschuß nicht zur Verfügung, wie an Jahren bei Schaffung des BGB benötigt wurde.
Eine Verschiebung für alle die Gleichberechtigung betreffenden Gebiete soll nach dem Ihnen vorliegenden Gesetzentwurf nicht eintreten. Der Rechtsausschuß hat geprüft, ob eine Verlängerung der in Art. 117 vorgesehenen Frist auf allen in Frage kommenden Rechtsgebieten notwendig sei.
Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, daß eine Verlängerung auf den Gebieten des Arbeits- und Beamtenrechts nicht notwendig ist. Das Arbeitsrecht ist schon so weit angeglichen, und das Beamtenrecht steht unmittelbar vor der Verabschiedung. Wir glauben, daß wir auf diesen Gebieten den Dingen ihren Lauf lassen können.
Dagegen scheint es uns unumgänglich notwendig, auf den Gebieten des bürgerlichen Rechts und des Staatsangehörigkeitsrechts eine Verlängerung vorzunehmen. Richter, Anwälte und Verwaltungen sind sonst vor unlösbare Aufgaben gestellt. Ich will die Dinge hier nicht dramatisieren und nicht von Zusammenbruch und Chaos reden; aber wir können auch nicht die Augen vor der Wirklichkeit verschließen. Gewiß wird die Rechtsprechung mit dem einen oder anderen Problem fertig werden können; aber es wird auch da Monate, sogar Jahre dauern, bis durch die Rechtsprechung der oberen Gerichte die Rechtseinheit hergestellt werden kann. Viele Fragen, z. B. Unterhaltsprozesse, kommen ja überhaupt nicht vor . das obere Bundesgericht, vor den Bundesgerichtshof, sondern werden in letzter Instanz von den Landgerichten entschieden. Infolgedessen ist dabei eine einheitliche Rechtsprechung gar nicht zu erzielen. Viele Probleme sind aber einfach unlösbar. Im Hinblick auf die Kürze der mir zur Verfügung stehenden Zeit kann ich nur kurz einige Probleme nennen: Wohnsitz der Ehefrau —§ 10 —, der ehelichen Kinder — § 8 —, Namensrecht, Personenstandsrecht, Schlüsselgewalt, Unterhaltspflicht der Ehegatten untereinander, Wertung der Arbeit der Frau im Haushalt, Unterhaltspflicht den Kindern gegenüber, „Haftet der Mann noch vor der Frau?", gesetzliche Vertretung der Kinder, Güterrecht, „Welche Wirkung hat die Gleichberechtigung auf die Gütergemeinschaft?". — alles das sind Fragen, die die Rechtsprechung meines Erachtens gar nicht lösen kann. Die Dinge sind ja auch in der Presse eingehend erörtert worden. Der Deutsche Anwaltverein hat es, wie ich gestern hörte, für notwendig gehalten, einen besonderen Referenten zu beauftragen, der all die Probleme, die auftreten können, zusammenstellt, um die Anwälte möglichst vor Haftpflichtschäden zu bewahren.
Angesichts dieser Sachlage darf sich der Bundestag nicht der Verantwortung entziehen, die der Parlamentarische Rat auf sich genommen hat. Er darf dabei auch ein gutes Gewissen haben und auf die große Arbeit hinweisen, die er in den vergangenen dreieinhalb Jahren geleistet hat. Hunderte von Gesetzen sind verabschiedet, Hunderte von Anträgen hier behandelt worden. Der Parlamentarische Rat hat nicht voraussehen können, daß eine solche Fülle von Arbeit an den Bundestag herantreten und ihn belasten würde und daß bereits so entscheidende Schritte auf dem Wege zur Einigung Europas getan würden.
Die Arbeit am Familienrechtsgesetz soll auch im alten Bundestag weitergeführt werden. Ich bin dafür — und habe das auch im Unterausschuß erklärt —, daß der Ausschuß weiterarbeitet. Aber auch dem neuen Bundestag muß ausreichende Zeit zur Verfügung stehen. Ich habe vorhin schon betont, daß Teillösungen nicht möglich sind Das Gesetz muß im ganzen gesehen werden, und deshalb kann nicht etwa ein Teil vorweg verabschiedet werden. Es geht auch nicht an, eine Notlösung zu machen. Diese Dinge bedürfen einer sorgfältigen und ausgereiften Behandlung. Es ist nicht unsere Absicht, zu verzögern, aber andererseits darf auch gerade diese Sache nicht überstürzt werden. Wir müssen uns Zeit für die Anpassung lassen, und auch der neue Bundestag wird diese Zeit benötigen.
Deshalb schlagen wir Ihnen vor, dem Art. 117 Abs. 1 des Grundgesetzes folgenden zweiten Satz anzufügen:
Die dem Artikel 3 Absatz 2 entgegenstehenden Vorschriften des Staatsangehörigkeitsrechts und des bürgerlichen Rechts einschließlich des Verfahrensrechts treten spätestens mit Ablauf des 31. März 1955 außer Kraft.
Das soll nicht heißen, daß es so lange dauern soll oder muß; sondern es ist, wie ich betont habe, die Absicht der Koalition, die Schaffung und Verabschiedung dieses Gesetzes, das die Anpassung des Rechts an Art. 3 Abs. 2 zur Folge haben soll, so gut es geht, weiter zu fördern. Wenn die Anpassung erfolgt ist, tritt ja nach Art. 117 des Grundgesetzes das entgegenstehende Recht ohne weiteres außer Kraft.
Ich habe die Ehre, Sie zu bitten, den Antrag, obwohl er im Rechtsausschuß an sich schon erörtert worden ist, nun nochmals zur Behandlung an den Rechtsausschuß zu überweisen. Es scheint mir angebracht, daß ein verfassungänderndes Gesetz nicht in einer Sitzung in erster, zweiter und dritter Beratung verabschiedet wird, sondern daß es auch im Ausschuß eine sorgfältige Prüfung erfährt.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Laforet.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Parlamentarische Rat hat meiner Ansicht nach mit Recht den Standpunkt vertreten, daß es untragbar wäre, den Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes, wenn er auch sofort wirkendes Recht setzt, sich sofort auswirken zu lassen, und in Art. 117 verfügt, daß die bestehenden Gesetze nach dem neuen Verfassungsgrundsatz neu zu fassen sind.
Wie der Herr Referent in seinem umfassenden, so außerordentlich klaren und gründlichen Bericht Ihnen dargelegt hat, wird geltend gemacht, daß es Gebiete gebe, in denen schon jetzt die Einschränkung des Art. 117 entfallen kann, so im Arbeitsrecht, auch im Beamtenrecht. Es wird jedoch auch hier zum Teil höchstrichterlicher Entscheidung bedürfen. Aber auf dem Gebiete des Familienrechts müssen, wenn nicht völlige Unsicherheit und Verwirrung eintreten soll, die bisherigen Bestimmungen in Wirksamkeit bleiben, bis der Gesetzgeber seine Neuregelung getroffen hat. Das gleiche gilt für die Fragen des Staatsangehörigkeitsrechts, da deren Beantwortung von der grundsätzlichen Entscheidung des Familienrechts abhängt.
Es ist unrichtig, zu glauben, daß die Rechtsprechung der höchsten Gerichte — wenn sie auch bedeutsame Entscheidungen in den letzten Jahren auf dem Gebiet des Familienrechts gegeben hat — diese Fragen lösen könne. Hier kann nur der Gesetzgeber helfen; und das ist auch bei aller Begrenzung des Stoffes bis 1. April völlig unmöglich. Der Gesetzgeber wird den Art. 3 des Grundgesetzes, der die Gleichberechtigung ausspricht, zu Art. 6 des Grundgesetzes über die Ehe und Familie in einen befriedigenden Einklang
bringen müssen — eine der schwierigsten Fragen, die uns hier beschieden sind. Streit ist unvermeidbar über den Wohnsitz der Frau, den Familiennamen der Frau, die Schlüsselgewalt der Frau, die Wertung des Anteils der Frau im Haushalt. Der Streit muß entschieden werden in allen Fragen des ehelichen Güterrechts. Wie die Arbeit im Unterausschuß auch den Fernerstehenden gezeigt hat, hängen alle Rechtsverhältnisse hier durch das ganze BGB so eng zusammen, daß jede Entscheidung auf andere Umstände sich auswirkt. Gewiß wird in manchen Fällen der Bundesgerichtshof durch eine Entscheidung helfen können. Aber auf vielen Gebieten, so vor allem auf dem Gebiete des Unterhalts, werden entgegengesetzte Entscheidungen der unteren Gerichte ergehen, ohne daß es möglich ist, auf Grund der Entscheidung der höchsten Instanz, des Bundesgerichtshofs, zu einer Klärung zu kommen. Dazu tritt, daß nach der in Zeitungen mitgeteilten Anschauung des Bundesverfassungsgerichts die Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes nach Art. 100 sich nur auf die Gesetze bezieht, die nach dem Grundgesetz erlassen worden sind, also der Art. 100 nicht angewandt werden kann z. B. auf das Bürgerliche Gesetzbuch.
Meine Damen und Herren, es sind höchst empfindliche, ins Leben einschneidende Rechtsverhältnisse, die hier in Frage stehen. Wir können die Verantwortung nicht übernehmen, daß die Rechtsverhältnisse den Zufälligkeiten einer widersprechenden Rechtsprechung, ja der völligen Rechtsunsicherheit ausgeliefert werden, und deshalb aus rein sachlichen Erwägungen — es dreht sich ja hier nicht um eine politische Frage — unsere Bitte, dem Antrag der Parteien zustimmen zu wollen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Nadig.
Meine Herren und Damen! Bei Einbringung des Entwurfs eines Gesetzes über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts, des Familienrechtsgesetzes, hat der Bundesminister der Justiz, Herr Dr. Dehler, in der 239. Sitzung des Bundestages am 27. November 1952 erklärt, wie ich mit freundlicher Genehmigung des Herrn Präsidenten aus dem Stenographischen Bericht, Seite 11055, zitieren darf:
Es scheint mir untragbar zu sein, und ich halte es auch für unmöglich, daß wir mit dem Gedanken spielen, diese Frist des 1. April 1953 hinauszuschieben.
Was damals dem Herrn Bundesminister der Justiz unmöglich und untragbar erschien, soll jetzt gleichwohl durch eine Änderung des Grundgesetzes unternommen werden.
Wir Sozialdemokraten haben vom ersten Tage der Bundestagsarbeit an auf die Wichtigkeit und Dringlichkeit dieser Regelung hingewiesen. Das Grundgesetz hat im Art. 117 Abs. 1 bestimmt, daß einer Gleichberechtigung von Mann und Frau im Sinne des Art. 3 Abs. 2 entgegenstehendes Recht nicht länger als bis zum 31. März 1953 in Kraft bleibe. Diese Vorschrift bedeutet keineswegs, daß im Grundgesetz dem Bundestag nur eine Ermächtigung erteilt und bis zum 31. März 1953 eine Frist gesetzt sei;
das Grundgesetz hat vielmehr selbst bereits die Regelung getroffen, daß mit dem 31. März 1953 alle Gesetze, soweit sie mit der zwingenden Grundrechtsvorschrift der Gleichberechtigung von Mann und Frau unvereinbar sind, außer Kraft treten. Also ist es der feierlich im Grundgesetz bekundete Wille der Verfassung, daß von diesem Tage an die Gleichberechtigung Rechtskraft erhält. Diesem Gebot des Grundgesetzes können wir uns nicht dadurch entziehen, daß wir das Grundgesetz ändern und so tun, als ob es in unserm Belieben stehe, die Frist nach unseren eigenen Wünschen zu gestalten.
Bereits in seiner ersten für die Opposition abgegebenen Erklärung hat der Bundestagsabgeordnete Dr. Kurt Schumacher in der 6. Sitzung des Bundestags am 21. September 1949 die stärkste Gegnerschaft für den Fall angekündigt, daß eine Revision des Bonner Grundgesetzes durch Schaffung von Vorgängen unternommen werden sollte.
Als ein solcher Vorgang kommt hier in Betracht, daß die gesetzgebende Körperschaft den feierlich verkündeten Willen des Verfassungsgebers unbeachtet läßt und einfach durch ein Unterlassen zu einer Verfassungsänderung zwingen will, angeblich um ein Rechtschaos zu verhüten.
Wir haben rechtzeitig gewarnt.
Mit freundlicher Genehmigung des Herrn Präsidenten will ich noch etwas aus der Rede des Herrn 'Dr. Schumacher zitieren. Wörtlich hat er damals, wie im Protokoll, Seite 32, verzeichnet steht, erklärt:
Wir haben auch ein grundsätzliches Anerkenntnis der Gleichheit von Mann und Frau vor dem Gesetz, wie das Bonner Grundgesetz es gebracht hat, vermißt. Aus dieser These nämlich resultiert für . die Regierung eine große Menge von Aufgaben, und wir hätten gerne gewußt, wie die Verwirklichung dieser Aufgaben sich in den Augen der Regierung darstellt.
Diese Worte wurden am 21. September 1949 gesprochen.
Seitdem sind 42 Monate verstrichen. Was sich drohend darin ankündigte, daß der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung diese Aufgaben überhaupt nicht erwähnte, hat sich jetzt in der Gefahr verdichtet, daß sich dieser Bundestag der ihm von der Verfassung gestellten Aufgabe entziehen will.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir halten einen solchen Gedanken für unmöglich und untragbar.
Man soll uns doch nicht einwenden, daß die Zeit nicht gereicht hätte. Die Bundesregierung wußte, vor welchen Aufgaben sie stand. Sie hat in den
verflossenen drei Jahren dem Bundestag zahlreiche Gesetze vorgelegt, die zum Teil erheblich umfangreicher und schwieriger waren als das Familienrechtsgesetz. Es waren teilweise Gesetze, mit denen völliges Neuland betreten wurde. Ich erinnere an das Lastenausgleichsgesetz. Was anderen Ministerien möglich war, nämlich die vordringliche gesetzgeberische Arbeit so rechtzeitig abzuschließen, daß eine Verabschiedung der Vorlage im Bundestag stattfinden konnte, hätte auch dem Justizministerium gelingen müssen.
Das Bundesjustizministerium hatte keine wichtigere, aber auch keine dringlichere Aufgabe zu erfüllen als die rechtzeitige Vorlage des Familienrechtsgesetzes. Statt dessen hat das Bundesjustizministerium eine Fülle anderer Gesetzentwürfe eingebracht, die sicherlich, wie etwa die Bundesrechtsanwaltsordnung, auch von großer Bedeutung sind, sich aber doch an Wichtigkeit und Eilbedürftigkeit in keiner Weise mit dem Familienrechtsgesetz messen können.
Der Bundesminister der Justiz kann sich auch nicht, wie er es getan hat, darauf berufen, daß er sein Ministerium aus dem Nichts geschaffen habe. Als der Bundesminister der Justiz sein Amt antrat, fand er die voll ausgebauten, gut eingerichteten Justizverwaltungen der Länder vor, auf die er sich stützen konnte. Außerdem bestanden im Zentraljustizamt für die britische Zone in Hamburg und im Rechtsamt der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes in Frankfurt bereits Organisationen, die ein gutes Fundament für den Aufbau der Bundesjustizverwaltung abgaben. Tatsächlich waren ja auch die jetzt im Bundesjustizministerium leitenden Beamten bereits in jenen Organisationen tätig.
Der Termin des 1. April 1953 stand von vornherein fest. Bei Aufnahme seiner Tätigkeit im September 1949 wußte daher der Bundesjustizminister, daß er die Vorlage für ein Familienrechtsgesetz spätestens bis zum Schluß des Jahres 1951 dem Parlament zuleiten mußte, damit der Bundestag für diese gesetzgeberische Arbeit ein gutes Jahr Zeit hatte.
Nichts hätte im Wege gestanden, die zuständige Abteilung des Bundesjustizministeriums mindestens vorübergehend für diese Aufgabe personell so stark und so gut zu besetzen, daß die Aufgabe termingerecht hätte gelöst werden können. Den Ausführungen des Herrn Berichterstatters haben wir entnommen, daß diese Stelle mit einer einzigen Fachkraft besetzt war. Das war natürlich vollkommen unzureichend.
Die Vorlage ging nicht bereits gegen Ende des Jahres 1951 den gesetzgebenden Körperschaften zu, sondern sie wurde im Sommer 1951 erst dem Kabinett vorgelegt. Die Bundesregierung hat sich zur Beratung dieser Vorlage mehr Zeit genommen, als sie später dem Parlament lassen wollte.
Auf außerparlamentarische Einwirkung hin hat die
Bundesregierung dem Herrn Bundesjustizminister
den von ihm vorgelegten Entwurf zurückgegeben.
Diese Vorgänge im Schoße der Bundesregierung
haben eine ungerechtfertigte Verzögerung bewirkt,
für die man jetzt nicht das Parlament verantwortlich machen kann.
Erst am 27. November 1952 kam es zur ersten Lesung des Familienrechtsgesetzentwurfs im Bundestag. Seit jenem Zeitpunkt aber ist kostbare Zeit versäumt worden. Meine Fraktion hat damals gefordert, daß für das Familienrechtsgesetz ein besonderer Ausschuß gebildet werden sollte, damit dieser sich unverzüglich an die Arbeit begebe und sich durch keine andere Aufgabe gestört sehe. Der Bundesminister der Justiz selbst war es, der diesem Antrag widersprach und die Überweisung an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht forderte.
Wir alle wissen, wie überlastet gerade der Rechtsausschuß ist und wie unmöglich es ist, durch ihn eine große Sache zur schnellen Erledigung zu bringen.
Die Mehrheit dieses Hohen Hauses hat unseren Antrag auf Einsetzung eines besonderen Ausschusses abgelehnt und damit die Verantwortung dafür übernommen, daß durch die Überweisung an den Rechtsausschuß erneute Verzögerungen eintraten.
Und wenn man uns sagt, wir hätten für den Unterausschuß zuletzt die Mitglieder benannt, so glaube ich, daß wir aus den ganzen Schwierigkeiten herausgekommen wären, wenn Sie unserem Antrag auf Einsetzung eines Sonderausschusses zugestimmt hätten.
Obgleich die Überweisung der Vorlage an den Rechtsausschuß am 27. November 1952 vorgenommen wurde, trat der vom Rechtsausschuß zur Beratung des Familienrechts gebildete Unterausschuß erst zwei Monate später,
erstmals am 5. Februar 1953 zusammen. Der Unterausschuß des Rechtsausschusses hat vom 5. bis 24. Februar dieses Jahres gearbeitet. Niemand bestreitet, daß seine Arbeit nicht gewissenhaft und intensiv gewesen wäre. Aber drei Wochen konnten selbstverständlich nicht ausreichen, um diese Arbeit zu bewältigen, nachdem sich die Bundesregierung fast drei Jahre Zeit gelassen hatte.
In der 242. Sitzung des Rechtsausschusses am 6. März hat mein Parteifreund Dr. Arndt nachdrücklich beantragt, der Rechtsausschuß möge sofort alle übrigen Arbeiten zurückstellen, um sich unverzüglich mit der ganzen Kraft lediglich dem Familienrechtsgesetz zuzuwenden. Dieser Antrag ist ebenfalls bedauerlicherweise gegen unsere Stimmen abgelehnt worden.
Gewiß haben wir alle uns seit Februar der Einsicht nicht mehr verschließen können, daß es selbst beim besten Willen und bei Anspannung aller Kräfte leider nicht mehr möglich sein werde, diese Vorlage so rechtzeitig zu verabschieden, daß sie termingerecht zum 1. April 1953 in Kraft treten könne. Aber es ist doch ein grundlegender Unterschied, ob man die gesetzliche Regelung der Gleichberechtigung von Mann und Frau vertagt oder ob
man die Arbeiten, wie es möglich gewesen wäre — und ich möchte sagen: auch noch möglich ist —, so ohne Aufschub durchführt, daß ein ungeregelter Zustand auf nur wenige Wochen oder Monate beschränkt wird.
Bekanntlich war der Herr Bundesjustizminister noch am 27. November 1952 der Meinung, es müsse dem Bundestag möglich sein, in der damals zur Verfügung stehenden Frist von nur vier Monaten seinen Aufgaben rechtzeitig nachzukommen. Ab Februar oder selbst noch vom 6. März an, als mein Parteifreund Dr. Arndt beantragte, im Rechtsausschuß alle übrigen Vorlagen hinter das Familienrechtsgesetz zurückzustellen, standen dem Bundestag bis zum voraussichtlichen Abschluß seiner Tätigkeit Ende Juni nochmals weitere vier Monate zur Verfügung. Im Ernst wird man uns also nicht entgegenhalten können, daß es nicht mehr möglich wäre, dieses Gesetz noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden. Wir verschließen uns nicht der Erkenntnis, daß der nunmehr vom 1. April ab eintretende Rechtszustand unbefriedigend ist und die Rechtsprechung vor Schwierigkeiten stellt. Es ist aber falsch, von einem eintretenden Chaos, ja, von einer Katastrophe auf dem Gebiete des Familienrechts zu sprechen.
Es entsteht am 31. März auch kein Vakuum; das Grundgesetz gilt als unmittelbar anwendbares Recht. Die umfangreichen Auseinandersetzungen über diesen ganzen Fragenkomplex, die in den letzten Jahren im Parlament und in juristischen Fachkreisen geführt wurden, werden gewisse Anhaltspunkte sein.
Wir Frauen sind mißtrauisch geworden und fragen: Was verbirgt sich hinter dieser Schwarzmalerei?
Etwa die Sorge, daß man die Gleichberechtigung später, wenn sie erst einmal geltendes Recht war, nicht mehr rückgängig machen könnte? — Die bisherige Behandlung des Art. 3 rechtfertigt dieses Mißtrauen durchaus.
Verlieren können die Ehefrauen kaum etwas; denn
schlechter, als ihre Stellung zur Zeit nach dem
Bürgerlichen Gesetzbuch ist, kann sie nicht werden.
Übersehen wir doch auch nicht, daß über 90 % der Ehen in keiner Weise von den gesetzlichen Regelungen berührt werden. In ihnen regelt sich das Leben ohne Paragraphen.
Wenn aber die uns obliegende Aufgabe von uns mit dem Ernst erfüllt wird, den sie erfordert, dann könnte es uns noch gelingen, den Übergangszustand auf eine so kurze Frist zu beschränken, daß daraus keine nachhaltigen Erschütterungen der Rechtssicherheit zu erwarten sind.
Die sozialdemokratische Fraktion fordert daher, daß die Arbeiten des Rechtsausschusses am Familienrechtsgesetz sofort wieder aufgenommen und mit größter Intensität fortgeführt werden. Wir halten es für geboten, daß an Stelle des einen Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht ab sofort nebeneinander zwei Rechtsausschüsse gebildet werden, von denen sich der eine mit dem Familienrechtsgesetz und der andere gleichzeitig mit dem Wiedergutmachungsgesetz zu beschäftigen haben. Diese beiden gesetzgeberischen Aufgaben sind allen anderen gegenüber die vordringlichsten.
Wir werden daher einer Änderung des Grundgesetzes nicht zustimmen. Wir sehen keine Notwendigkeit dazu, weil die Bearbeitung des Familienrechtsgesetzes noch in diesem Bundestage durchgeführt werden kann und auch durchgeführt werden muß; aber wir haben auch ernstlichen Grund zu der Befürchtung, daß die beantragte Änderung des Grundgesetzes eine Vertagung dieser gesetzgeberischen Aufgabe auf den Sankt-NimmerleinsTag bedeutet.
In aller Offenheit sehe ich mich zu der Erklärung gezwungen: Eine Reihe von gewichtigen Tatsachen warnen uns davor, noch darauf zu vertrauen, daß im Falle einer Fristverlängerung die gesetzgeberische Lösung des Programms der Gleichberechtigung von Mann und Frau wirklich ernstlich in Angriff genommen wird. Ich will Ihnen einige solcher Tatsachen nennen. Erstens: In ihrer Regierungserklärung vom 20. September 1949 hat die gegenwärtige Bundesregierung dieses Problem mit Stillschweigen übergangen.
Zweitens: Die gegenwärtige Bundesregierung hat den Kräften aus dem vorparlamentarischen Raum mehr Zeit zur Verfügung gelassen, als sie dem Bundestag, der doch der Gesetzgeber ist, für diese Aufgabe ließ.
Drittens: Der Bundesminister des Innern hat die Öffentlichkeit zwar mit Entwürfen für ein Pressegesetz und ein Rundfunkgesetz ständig beunruhigt; aber bis zur Stunde hat er keinen Gesetzentwurf vorgelegt, der hinsichtlich der Staatsangehörigkeit die Gleichberechtigung von Mann und Frau regelt. Für diese Unterlassung gibt es keine Erklärung, geschweige denn eine Entschuldigung. Sie beweist eklatant, wie wenig der gegenwärtigen Bundesregierung eine Regelung der Gleichberechtigung am Herzen liegt.
Mit Bedauern haben wir beobachten müssen, daß in diesem Bundestag Worte und Taten keineswegs übereinstimmen.
Als am 27. September 1951 die Bundesregierung ihre Bereitschaft zur Wiedergutmachung gegenüber dem Staat Israel erklärte, haben alle Fraktionen mit großen Worten zugestimmt; aber als es darum ging, das Abkommen mit Israel zu ratifizieren, hat die Bundesregierung aus ihren drei Fraktionen
insgesamt nur 106 Stimmen aufgebracht, also weniger als die 125 Stimmen der Sozialdemokratie,
ohne die man ja die Ratifizierung des Gesetzes nicht hätte vornehmen können. Nicht weniger als 100 Abgeordnete der Regierungskoalition haben dem Abkommen ihre Stimme versagt.
— O ja! Es hat damit etwas zu tun, inwieweit man das, was man sagt, auch erfüllt.
Sie müssen daher verstehen, daß wir Sie nicht nach Ihren Versprechungen, sondern nach Ihrem Verhalten beurteilen,
auch in den Fragen der Gleichberechtigung.
Nichts hätte im Wege gestanden, daß die gegenwärtige Bundesregierung im öffentlichen Dienst bereits dem Gebot der Gleichberechtigung Folge geleistet hätte. Statt dessen hat unter Berufung auf formales Recht der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen bis zum letzten Tag durch Entlassungen verheirateter Frauen dem Grundsatz der Gleichberechtigung zuwidergehandelt.
Jedermann weiß, daß zwischen den Partnern der Regierungskoalition tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten weltanschaulicher Art über die Frage der Gleichberechtigung von Mann und Frau bestehen. In den weltanschaulichen Meinungsverschiedenheiten der Regierungskoalition liegt ein entscheidender Grund dafür, weshalb die Lösung der Aufgabe nicht so vorangetrieben worden ist, wie es verfassungsrechtlich nach dem Grundgesetz geboten war.
Wir wehren uns auch deshalb dagegen, weil bereits in den bisherigen Beratungen eindeutig erkennbar geworden ist, daß starke Kräfte eine echte Gleichberechtigung nicht wollen. Mit aller Klarheit müssen wir dem Versuch widersprechen, nunmehr die Ansicht zu vertreten, man habe sich im Parlamentarischen Rat nur darüber geeinigt, in dieser Frage uneinig zu sein. An der Entscheidung, wie sie im Grundgesetz niedergelegt worden ist, kann nicht gedeutelt werden. Sie ist für die völlige Gleichberechtigung von Mann und Frau gefallen. Unter diesen Umständen soll durch eine Fristverlängerung die Außerkraftsetzung dieser Bestimmung des Grundgesetzes auf eine nicht absehbare Zeit erreicht werden. Dazu bieten wir nicht die Hand. Wir werden dem Gesetzentwurf nicht zustimmen.
Gleichzeitig haben wir einen Antrag vorgelegt, der die Bildung eines Sonderausschusses für das Familienrecht vorsieht. Ich bitte Sie, sich diesem Antrag anzuschließen und dadurch, daß ein Familienrechtsausschuß gebildet wird, die Möglichkeit zu schaffen, den Art. 3 des Grundgesetzes zu verwirklichen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Thiele. •
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Der Versuch der Adenauer-Regierung, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Änderung des Art. 117 des Grundgesetzes ihren Verfassungsbruch zu legalisieren, ist ein weiterer Beweis dafür, daß diese Regierung Adenauer und die ihr hörige Mehrheit dieses Hauses das Grundgesetz als einen Fetzen Papier betrachtet,
aber auch ein Beweis dafür, daß sie sich über die Meinung des Volkes rücksichtslos hinwegsetzt. Frauenorganisationen und -verbände, Frauenvereinigungen der verschiedensten Art haben dem Parlament die Forderungen der Frauen nach Gleichberechtigung in Eingaben und in persönlichen Aussprachen überreicht.
Heute ist es klar, warum die Bundesregierung ihren Gesetzentwurf über die rechtliche Gleichstellung von Mann und Frau im Familienrecht erst so spät, Ende 1952, vorgelegt hat. Von vornherein war ihre Politik darauf ausgerichtet, die Gleichberechtigung der Frau zu verhindern und die ihr aus dem Grundgesetz auferlegte Verpflichtung, bis zum 31. März 1953 alle der Gleichberechtigung der Frau entgegenstehenden oder sie einengenden Bestimmungen und Gesetze zu ändern, in ihrer Erfüllung zu verzögern und zu sabotieren. Der ganze unsoziale und reaktionäre Charakter des Adenauer-Regimes, dieser Regierung ist in der Stellung zur Frau in der Gesellschaft ersichtlich. Die Frauen müssen aus dieser Haltung der Abgeordneten, der Regierung und auch der Frauen dieses Parlaments in der heutigen Abstimmung erkennen, welchen wahren Charakter und welche wahre Meinung diese Regierung und die Abgeordneten gegenüber den Frauen haben.
Die kommunistischen Vertreter haben bereits bei der Schaffung des Grundgesetzes im Parlamentarischen Rat gefordert, daß alle dem Art. 3 entgegenstehenden oder ihn einengenden Bestimmungen oder sonstige Gesetze mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes aufgehoben werden. Gleichzeitig haben die kommunistischen Vertreter gefordert, daß ein Artikel aufgenommen wird, der vorsieht, daß gleicher Lohn für gleiche Arbeit gezahlt wird, ein wesentliches Element der Gleichberechtigung der Frau. Die Verfasser des Grundgesetzes jedoch, die Adenauer-Koalition und die SPD, haben diesen Antrag abgelehnt und durch einen besonderen Artikel 117 festgelegt, daß alle Gesetze, die die ungleiche Stellung der Frau vorsehen, noch bis zum 31. März 1953 in Kraft bleiben können. Das hat die Adenauer-Regierung durch ihr ganzes Manöver bis heute weidlich ausgenutzt. Die sozialdemokratische Fraktion trägt somit auch die Verantwortung dafür, daß die Frau trotz des Art. 3 des Grundgesetzes weiterhin als ein Mensch zweiter Klasse behandelt werden kann und daß es nicht möglich war, bereits bei der Schaffung des Grundgesetzes die Verpflichtung für die sofortige Änderung aller entgegenstehenden Bestimmungen festzulegen. Das ist heute allen klar.
Der im November 1952 vorgelegte Entwurf über die Änderung des Familienrechts wurde bewußt so spät eingebracht, daß er heute angeblich nicht mehr verabschiedet werden kann. Vor allem aber ist dieser Entwurf auf die Empörung des größten Toils der Frauen gestoßen, weil er in wesentlichen Punkten eine Aufrechterhaltung der unterschiedlichen Stellung der Frau vor dem Gesetz vorsieht. Aber selbst diesen Entwurf will man nun nicht mehr zur Verabschiedung bringen. Ich stelle namens der kommunistischen Fraktion
dazu fest: Erstens. Die Bundesregierung sabotiert
das Grundgesetz, weil sie keine Gleichberechtigung der Frau will. Zweitens. Ihr eigener Entwurf über die Gleichstellung der Frau im Familienrecht wird von ihr nunmehr auch nicht mehr verfochten, weil sie selbst geringfügige Verbesserungen nicht will.
Drittens. Die Bundesregierung beweist damit erneut, daß sie weder Achtung vor der Verfassung noch vor dem Recht und der Würde der Frau hat. Viertens. Nach Art. 117 des Grundgesetzes ist Art. 3 für die Gesetzgebung und Regierung bindendes Recht.
— Herr Abgeordneter, Sie beweisen durch Ihre Zwischenrufe nur, daß Ihnen die heutige Diskussion sehr unangenehm ist,
weil Sie wissen, daß die Frauen mit Ihrer Auffassung nicht übereinstimmen.
Damit also sind ab 1. April 1953 alle Gesetze und Bestimmungen, die Art. 3 entgegenstehen oder einengen, aufgehoben. Das bedeutet, daß ab 1. April 1953 jede Frau die Gleichberechtigung in Anspruch nehmen kann.
Allerdings möchte ich den Frauen von dieser Stelle aus sagen: der Kampf um das ihnen zustehende Recht,
der Kampf um die Gleichberechtigung wird nur dann erfolgreich sein, wenn die Organisationen, Verbände und Vereinigungen, wenn die Frauen in den Betrieben und in den sonstigen Organisationen diesen Kampf gemeinsam führen. Das ist eine Lehre aus dem jahrhundertelangen Kampf der Frauen um die Gleichberechtigung.
Aber noch ein Letztes. Der Kampf um die Gleichberechtigung ist nicht ein Kampf der Frauen gegen die Männer,
sondern er ist der Kampf aller fortschrittlichen Menschen gegen ein System, das die Unterdrückung und die Ausbeutung der Frau will, und in diesem Falle gegen das Adenauer-Regime.
Wir lehnen darum diesen Gesetzentwurf ab und sind der Meinung, daß mit ihm neuerdings die Verfassung gebrochen und ein weiterer Schritt auf dem Wege des Staatsstreichs gegangen werden soll.
Meine Damen und Herren, fahren wir in der Debatte fort. Verfassungsbruch und ähnliche Dinge sind im Augenblick offenbar parlamentarische Ausdrücke geworden. Ich habe sie nicht gerügt.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Heiler.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Mit den Ausführungen meiner Vorrednerin F r a u Thiele mich auseinanderzusetzen würde ich erst dann für richtig und berechtigt halten, wenn sie selber das Grundgesetz so respektierte, daß ich sähe: man achtet in ihrer Gruppe und bei den Leuten, die dieser die Aufträge geben, die Menschenrechte. Das steht für mich vor allem. Vorher habe ich keine Veranlassung, mich mit Ihnen auseinanderzusetzen.
Ich darf dem, was ich zu sagen habe, voranschicken, daß es nicht nur für uns Abgeordnete, die wir an diesem Gesetz mitgearbeitet haben, sondern — ich weiß es genau — für viele Abgeordnete dieses Hauses eine Enttäuschung ist, daß wir den gesetzten Termin nicht einhalten können und darum eine Fristverlängerung für die Gesetze, die die Gleichberechtigung der Frau im Ehe- und Familienrecht sowie im Staatsangehörigkeitsrecht betreffen, beantragen müssen. Das ist eine Enttäuschung auch für viele Frauen draußen im Lande. Aber, meine Damen und Herren, das sollte doch noch kein Anlaß sein, bestimmte Gruppen der Gesetzgebungskörperschaften mit derartigen Vorwürfen zu bedenken, wie das jetzt geschehen ist. Wer die Materie kennt und wer weiß, wie sehr hier Einzelfragen ineinanderhängen und daß die ganze Sache nicht durch Lösung eines bestimmten Problemkomplexes auseinandergebrochen werden darf, der weiß auch ganz genau, daß die Materie zu schwierig ist, als daß man hier rasche und leichtfertige Arbeit tun könnte. Diese Fragen der Gleichberechtigung von Mann und Frau sind ja nicht erst vor diesen unseren Bundestag gestellt worden. Damit hat sich auch schon der Weimarer Reichstag in vielen Debatten befaßt, und damals haben Frauen Ihrer Partei genau so gut wie Frauen von anderen Parteien mitgearbeitet, und man ist trotz vieler Beratungen nicht zu einer Entscheidung gekommen.
Von der Vorlage, die uns das Justizministerium gemacht und die Herr Minister Dehler am 27. November hier begründet hat, haben wahrscheinlich Herr Minister Dehler und seine Mitarbeiter geglaubt, sie wäre nach der gründlichen Vorarbeit für den Bundestag so ungefähr annahmereif. Daß wir dagegen die Verantwortung auf uns nehmen müssen, diese Dinge nun auch noch selbst durchzuarbeiten, war für uns eine Selbstverständlichkeit. Es ergab sich, daß für die Vertreter aller Parteien die vorgelegte Fassung des Gesetzes noch eine Reihe von Wünschen offenließ und wir noch eine ganze Reihe Fragen zu stellen und zu beantworten hatten, ehe wir etwa zu diesem oder jenem Paragraphen unsere Zustimmung geben konnten. Wir gestalten darum die Frist, die gesetzt ist, nicht nach unseren Wünschen, sondern nach den Notwendigkeiten, die uns die Beratung dieses Gesetzes auferlegt.
Es ist ja auch nicht so, als ob im Bundesjustizministerium — wie Frau Nadig gesagt hat — eine einzige Fachkraft all die Jahre hindurch an diesem Gesetz gearbeitet hätte. Zu Beginn gewiß, da hat Frau Dr. Hagemeyer allein daran gearbeitet. Aber es war ja auch nicht anders möglich, nachdem 1949 erst das Justizministerium aufgebaut werden mußte; und die Tatsache muß berücksichtigt wer-
den, daß zu Beginn der Legislaturperiode die Ministerien und eben auch das Justizministerium nicht so besetzt waren, daß gleich genügend Fachkräfte zur Verfügung standen.
Darum meine ich, man sollte hier nicht mit Vorwürfen kommen, wo man Tatsachen anerkennen muß, wo man auch Gegebenheiten und Verhältnisse, die 1949 bei der. Abfassung des Grundgesetzes noch nicht vorauszusehen waren, einfach mit berücksichtigen und sich den Tatsachen beugen muß. Sich den Tatsachen beugen heißt Realpolitik machen, und das müssen wir hier tun. Den Tatsachen sich beugen heißt aber auch, daß diese Sache nicht in einem so raschen Zug verhandelt werden kann, daß wir etwa gar, wie das der Vorschlag der SPD vorsieht, bis zum Mai 1953 — d. h. also ab heute, die Osterpause abgerechnet, in etwa 5 bis 6 Wochen — einen Bericht vorlegen können. Das scheint mir eine völlige Unmöglichkeit zu sein.
Wir brauchen für ein solches Gesetz wie dieses, das kein Flickwerk sein soll, sondern als ein Ganzes aufgefaßt werden muß und bei dem alle Verästelungen und Verflechtungen berücksichtigt werden müssen, einmal wieder den langen Atem, den man in früheren Zeiten für Gesetzgebungswerke gehabt hat, den langen Atem, den wir uns in der Zeit des „Dritten Reiches" mit seinen raschen Gesetzgebungen so ganz und gar abgewöhnt haben. Wir müssen den langen Atem wieder haben, wie man ihn vor dem ersten Weltkrieg gehabt hat. Erst dann können wir erwarten, daß wir bei derart schwierigen Gesetzen wirklich eine gute Arbeit leisten.
— Das ist egal; die Postkutsche hat nichts mit dem Verstand der Menschen zu tun.
Die Enttäuschung, die wir haben, darf sich nicht so auswirken, daß wir nun der Rechtszersplitterung und der Rechtsunsicherheit Tür und Tor öffnen. Ich dramatisiere auch nicht, ich spreche auch nicht von Chaos; aber ich weiß ganz genau, daß es eine Überforderung unserer Amtsgerichte und Landgerichte ist, wenn sie jetzt rechtsschöpferisch tätig werden sollen und womöglich einheitliches Recht von Flensburg bis Friedrichshafen schaffen sollen. All die landschaftlichen Verschiedenheiten werden sehr große Unterschiede bringen, und sie werden derartige Anforderungen an die Richter stellen, daß sie einfach nicht zu bewältigen sind. Ich glaube, meine Damen und Herren, Sie brechen sich weiß Gott keine Zacke aus der Krone, wenn Sie unserm Gesetzesvorschlag die Zustimmung geben.
Ich mache darauf aufmerksam, daß es nicht zulässig ist, daß auf den Tribünen und bei den Zuhörern Beifalls- oder Mißfallenskundgebungen stattfinden.
Das Wort hat der Abgeordnete Ewers.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es würde für mich eine außerordentlich reizvolle Aufgabe sein, der verehrten Kollegin Na d i g in allen ihren Argumenten mit einem gewissen Esprit und einer gewissen Schärfe entgegenzutreten; aber angesichts der parlamentarischen Redezeiten und der Kleinheit meiner Fraktion muß ich mir diese reizvolle Aufgabe leider verkneifen.
Ich muß mich auf einige sehr kurze, deshalb auch sehr kompakte und nicht sehr differenzierte Bemerkungen allgemeiner Art beschränken.
In erster Linie: Wir alle hier im Saale sind in gleicher Weise bestrebt, nach unserm Grundgesetz zu leben;
denn ohne das Grundgesetz hätten wir kein Leben. Wir wollen aber deshalb die Weisheit und die Güte des Grundgesetzgebers nicht übertreiben, und wir wollen nicht annehmen, daß er, wenn er den Satz hinschreibt „Mann und Frau sind gleichberechtigt",
oder wenn er annimmt, ein Ausführungsgesetz dazu könne man in vier Jahren so schaffen, daß es dann geradezu wie aus einem Guß und herrlich geraten sei, mit diesen Anordnungen der Weisheit letzten Schluß verkündet habe. Deswegen bitte ich das Hohe Haus, sich diese — ich möchte sagen — knieende Verehrung vor dem hohen Herrn Grundgesetzgeber nach und nach abzugewöhnen, zumal wir ja selbst auch schon in einem Greisenalter von fast vier Jahren sind.
Zweitens. Die Ehe — es handelt sich um die Gleichberechtigung in der Ehe — ist eine sehr zwiegesichtige Einrichtung. Sie gehört dem Reich der Naturwissenschaften, der Biologie, ebenso wie den Geisteswissenschaften, dem Recht, an.
Auf dem Gebiet der Naturwissenschaften hieße der Satz: alle Männer und Frauen sind gleich. Daß dieser Satz falsch ist, wissen wir. Aber wenn Sie diese These auf dem biologischen Gebiet nicht aufstellen können, so ergibt sich die Frage, wie es darum auf dem geisteswissenschaftlichen Gebiet bestellt ist. Dort entsteht in der Gleichberechtigung in der Ehe das Problem. Denn die Ehe besteht ja gerade von der Nichtgleichheit der Ehegatten; sonst müßten sich ja auch zwei Frauen heiraten können.
Mit Rücksicht auf diese Verschiedenheit, die die Ehe voraussetzt, ist der lapidare Satz, hochverehrte Frau Nadig, „Männer und Frauen sind gleichberechtigt", in der Ehe überhaupt nicht von einem Amtsrichter, einem Landrichter, einem Oberlandesgerichtsrat, ja selbst nicht einmal in Karlsruhe in anwendbares Recht umzuwandeln.
Es ist das ein unlösbares Problem, das erst der Gesetzgeber mit Mark, Knochen und Blut füllen muß.
Erst dann kann der Richter Recht sprechen. Unter dem Leitsatz „sind gleichberechtigt" gibt es keine Rechtsprechung, sondern nur eine Rechtsausfüllung. Das aber ist nicht Aufgabe des Richters; dazu ist er nicht geschult, denn er ist ja Rechtswissenschaftler. Wir haben hier zwar einige Kollegen, die Juristen sind; aber die große Fülle unserer Kollegen sind eben doch keine Rechtswissenschaftler. Sie sind Gesetzgeber, die dem Richter, dem Rechtsgelehrten das Recht setzen sollen. Deswegen ist es keineswegs eine Übertreibung, sondern eher eine Untertreibung, wenn man sagt: auf diesem Teilgebiet wird eine Katastrophe, ein Chaos eintreten. Ich gehe viel weiter und sage: es wird ein Vakuum eintreten, ein luftleerer, rechtsleerer Raum.
Darüber müssen Sie sich klar sein. Diese Tatsache bedeutet für den ganzen Bundestag eine Schuld und ein ungeheueres Risiko für die Demokratie. Der Gesetzgeber hat hier nämlich seine Pflicht, ein Vakuum zu verhindern, versäumt; darüber müssen wir uns klar sein. Es ist fraglich, ob die gegenseitige Beschuldigung, an wem das nun läge, nützlich ist. — Ob es ein wirklicher Vorwurf ist, daß der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung nach den Koalitionsbesprechungen 1949 als erstes nicht verkündet hat: „Ihr werdet alle gleichberechtigt sein" — darüber hat man in den Koalitionsgesprächen, wie ich Ihnen verraten kann, kein Wort gewechselt —, das ist denn doch eine Frage.
Sie müssen sich darüber klar sein: es gibt Richter meiner politischen Richtung und Ihrer politischen Richtung. Die Behauptung, daß auch in der Ehe die Gleichheit im Recht eine Selbstverständlichkeit sei, ist nur von Politikern und Rechtsbeflissenen Ihrer Richtung auf Grund Ihrer allgemeinen Anschauung aufgestellt.
Die Richter meiner Richtung werden, wie ich fürchte, als Rechtsbeflissene sagen: Ich erkenne keine Gleichberechtigung i n der Ehe an.
Ein Sonderausschuß kann überhaupt nicht in Betracht kommen. Das Familienrecht ist Teil eines sehr wohl abgewogenen komplizierten Rechtssystems, und Gott schütze uns vor den Spezialisten, die uns plötzlich da hineinfunken und alles ruinieren.
Das läßt sich von dem allgemeinen System gar nicht trennen.
Wir werden auch innerhalb der Frist dieser Gesetzesvorlage — darin hat meine verehrte Vorrednerin völlig recht — ein ideales neues Eherecht nicht schaffen können. Dazu würden wir auch innerhalb von zwei Jahren viel zu hastig arbeiten. Aber es gibt eine dritte Lösung. Es ist unzweifelhaft, daß eine Reihe von Bestimmungen des geltenden Eherechts, insbesondere das Güterrecht und das Unterhaltsrecht in der Ehe, nicht nur dem Gleichheitssatz, nein, jeder modernen Rechtsauffassung widersprechen. Wir sollten für diejenigen Dinge, die wir unter allen Umständen regeln können — das ist, wie soll ich sagen? — die „Befehlsgewalt" in der Ehe,
das ist das Recht der Kindererziehung -, zunächst
einmal eine Übergangsregelung treffen, die anders
ist, als es im BGB heute geregelt ist. Dem Güterrecht schließlich sollten wir eines der bekannten Systeme, sei es die Errungenschaftsgemeinschaft, sei es die Gütertrennung, als Übergangslösung zugrunde legen.
Ohne solchen Übergang bricht ein Stillstand der Rechtspflege aus. Bis zum 1. April schaf fen wir es keineswegs mehr. Wenn sich aber der Bundestag in seiner Gesamtheit Mühe gäbe, nicht etwa das Problem der Regierungsvorlage zu lösen und einen neuen Güterstand zu erfinden, sondern ein bekanntes, wesentlich modernes Gebilde, meinetwegen eben die Gütertrennung, als Übergangsregelung einzuführen, hätten wir wenigstens das Vakuum nicht. Ich weiß allerdings genau, daß in diesem Parlament — wie übrigens in denen aller Länder — ein Appell an die Vernunft bei politischen Meinungsverschiedenheiten unmöglich ist; er hat gar keinen Sinn.
Das ist aber eine bedauerliche Tatsache. Es wird uns, es wird der demokratischen Staatseinrichtung des Parlaments — wir mögen ganz links oder ganz rechts stehen — ein Vorwurf daraus gemacht werden, wenn wir durch Akte unserer Gesetzgebung ein Justizvakuum — als Juristen nennen wir das Justitium, Stillstand der Rechtspflege — schaffen würden. Das sollten wir in allerletzter Sekunde vermeiden.
Das Wort hat der Herr Bundesjustizminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Niemand kann unglücklicher über die Lage sein, in die wir mit dem Familienrechtsgesetz gekommen sind, als ich. Es ist müßig, über Schuld zu sprechen. Frau Nadig glaubt, daß das Bundesjustizministerium nicht das Erforderliche getan habe; sie meint, es habe kein wichtigeres und dringlicheres Gesetz für mein Ressort gegeben. So liegen die Dinge natürlich nicht. Es gab auf jeden Fall dringendere Gesetze:
das Gesetz über die Vereinheitlichung der Gerichtsverfassung, Vereinheitlichung der Strafprozeßordnung, der Zivilprozeßordnung, Strafrechtsänderungsgesetze, Bundesverfassungsgerichtsgesetz,
Patentgesetzgebung und vieles andere. Nun, entscheidend ist die Frage — und diese liegt mir doch auf dem Herzen, auch um mein Ministerium, meine Mitarbeiter zu schützen —: Haben wir nicht das Erforderliche getan? — Wir haben einen Fehler gemacht: wir haben zu viel getan und haben es zu gründlich gemacht. Das können Sie mir vorwerfen; aber daß ich nicht das Erforderliche getan habe, das können Sie nicht behaupten.
Ich habe die erste deutsche Richterin an die Aufgabe gesetzt. Es gab keine bessere Kraft als Frau Dr. Hagemeyer, die erste Frau, die jemals auf einem deutschen Richterstuhl saß.
Es ist ja nicht wahr, Frau Nadig, wenn Sie meinen, es sei irgend etwas dagewesen. Es waren die Verhandlungen des Parlamentarischen Rates da; sonst war kein Material vorhanden.
Mir ging es darum, dieses wichtige Gesetz mit seiner doch tief reichenden Wirkung, mit seiner Tendenz, am Ende eine Gesellschaftsordnung umzugestalten, die seit Jahrhunderten oder Jahrtausenden bestanden hat, gründlich vorzubereiten.
Das konnte nicht in den Beratungszimmern meines Ministeriums, sondern mußte in einer starken Auseinandersetzung mit allen beteiligten Kreisen geschehen. Das wollte ich erreichen. Deswegen gab ich Frau Dr. Hagemeyer die Aufgabe, das gesamte Material zu sichten und zu sammeln, auch im Wege der Rechtsvergleichung alle Probleme aufzuzeigen. Das ist in drei ganz ausführlichen Denkschriften erfolgt. Diese sind sofort, nachdem sie fertiggestellt waren, an alle Beteiligten hinausgegangen, an die Frauenverbände, an die Kirchen, an die Landesregierungen.
Dabei darf ich einmal feststellen, daß die Reaktion nur sehr gering war und daß das nicht geglückt ist, was ich mir als Ziel gesetzt hatte, nämlich eine echte Aussprache über die Problematik des Gesetzes zu erreichen. Das ist nicht meine Schuld gewesen und nicht mein Fehler. Ich habe die Voraussetzungen dafür gegeben, und manche, die später sehr laut ihre Stimme erhoben haben, haben damals geschwiegen. Das gilt nicht Ihnen; es gilt anderen. Das darf ich wohl ruhig sagen.
Nun ist bei Justizgesetzen etwas Merkwürdiges festzustellen. Wir haben im Jahre 1951 begonnen, den Entwurf rein ministeriell vorzubereiten, haben sehr gründlich gearbeitet und haben auch verhältnismäßig sehr rasche Arbeit geleistet. Aber bei Justizgesetzen — das darf ich einmal als Geheimnis meiner Erfahrung aus meiner Ressortarbeit sagen — fühlen sich alle Beteiligten klüger als sonst. Sonst respektiert man das Wissen eines Ressorts; bei Justizgesetzen aber ist jeder gescheiter als das Justizressort. Also große Schwierigkeiten auf allen Ebenen — Schwierigkeiten auf der Ressortebene und Schwierigkeiten im Kabinett —; sie sind ja freimütig in der Begründung des Entwurfs niedergelegt. In der Begründung des Entwurfs ist meine von der Mehrheit des Kabinetts abweichende Meinung zum Ausdruck gebracht worden — auch ein ganz exzeptioneller Vorgang. Aber Sie ersehen daraus vielleicht, wie groß die Schwierigkeiten waren.
Nun muß ich sagen: es lag auch wirklich ein Verhängnis über allem. Ich war im April 1952 mit meinem Entwurf fertig. Noch einmal zusätzliche Ressortschwierigkeiten, als der Entwurf schon zu Ende gebracht war, ,und dann erst Ende Mai die Möglichkeit der Vorlage an das Kabinett selbst und dort — es ist schon ein Leidensweg — verabschiedet am 15. Juli 1952! Dann kamen die Ferien.
Frau Nadig hat Andeutungen gemacht, als ob da höhere Kräfte am Werke gewesen wären. Ich weiß es nicht; vielleicht ist sie besser unterrichtet als ich. Auf jeden Fall wurde der im April fertiggestellte Entwurf, nachdem der Bundesrat am 26. September und die Bundesregierung zu den
Vorschlägen des Bundesrats im Oktober Stellung
genommen hatte, am 23. Oktober dem Bundestag
zugeleitet und erst Ende November hier in diesem
Hause behandelt. Ich habe mit Gott und der Welt
fortgesetzt persönlich telefoniert und alles Mögliche getan, um eine Beschleunigung zu erreichen.
Also ich muß für mich sprechen, um nicht am Ende -- mehr kann man nicht tun, als ich getan habe —, meine Arbeit und ihren Wert hier heruntersetzen zu lassen. So ist der Verlauf der Dinge gewesen.
Wenn man mir den Vorwurf macht, Frau Nadig, der Bundesregierung habe die Gleichberechtigung wenig am Herzen gelegen — von der linken Seite ist dieser Vorwurf bis zum Vorwurf der Sabotage gesteigert worden —, so ist das wohl nicht begründet.
Daß die Problematik dieses Gesetzes eine schwierige und eine tiefreichende ist, das ist uns doch bewußt; und daß hier, besonders wenn die Dinge spruchreif werden, Bedenken hochkommen und ernste grundsätzliche Auseinandersetzungen erforderlich sind, das ist auch selbstverständlich.
Nach meiner Meinung wäre es möglich gewesen, auch in der knappen Zeit von November bis jetzt hier im Hause zu Entscheidungen zu kommen. Was Frau Nadig aus meinen Ausführungen vom 27. November hier wiedergegeben hat, das halte ich an sich aufrecht. Wenn man damals nicht mit dem Gedanken der Hinauszögerung gespielt hätte, sondern ans Werk gegangen wäre, dann könnte man fristgerecht entscheiden.
— Zunächst stelle ich fest, daß mich und meine Mitarbeiter eine Schuld nicht trifft. Wie ist aber die Lage im Augenblick? Ich sehe keinen anderen Ausweg, als die Frist des Art. 117 Abs. 1 zu verlängern. Die Dinge sind von meinen Vorrednern hinreichend gekennzeichnet worden. Man kann es den deutschen Richtern nicht zumuten, in ein so völlig ungeregeltes gesetzliches Stadium zu kommen.
Meine Damen und Herren! Ich glaube, man darf diese Frage jetzt nicht irgendwie zum Gegenstand einer politischen Auseinandersetzung machen. Wenn eine Frage wirklich verständig gelöst werden muß, dann diese. Ob eine Verlängerung um zwei Jahre erforderlich ist — ich weiß es nicht, und ich möchte es auch nicht meinen, nach dem Material, das zur Entscheidung vorliegt. Ich glaube, man könnte diese Frist verkürzen. Aber so, wie die Dinge liegen, ist eine Hinausschiebung der Frist im Interesse des Rechts, auch im Interesse der deutschen Justiz, nach meiner Überzeugung unumgänglich.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Ehlers.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zu dieser Frage nur deshalb in den verbleibenden acht Minuten noch einige Worte sagen, weil ich mich an der Arbeit des Un-
terausschusses, der sich mit dieser Frage befaßte, beteiligt habe und mich bemüht habe, einen unmittelbaren, aber auch objektiven Eindruck von den Aufgaben, aber auch den Schwierigkeiten der Arbeit dieses Ausschusses zu bekommen. Darum würde ich meinen, daß es zweckmäßig sei, diese Frage ohne Polemik — ohne falsche Polemik — zu entscheiden und ohne daß anderen an dieser Frage und an der Lösung dieser Frage notwendig Beteiligten Motive unterschoben werden, die sie zu keinem Augenblick gehabt haben.
Das gilt insbesondere für die immer wiederholte Behauptung, als ob die Bundesregierung, das Justizministerium oder die Koalition diese Verzögerung wollten oder inszeniert hätten, um der Durchführung der Gleichberechtigung zu entgehen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es hat sich auch heute wieder gezeigt und hat sich in den Auseinandersetzungen des Unterausschusses gezeigt, daß über die Art und Weise, wie man diese Gleichberechtigung durchführt, und über die Anerkennung der sittlichen Normen, die nun einmal über dieser Welt und über unserem Leben stehen, bei dieser Frage sehr verschiedene Meinungen bestehen.
Aber daß wir nicht beabsichtigen, den in Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes festgelegten Grundsatz in irgendeiner Weise zu tangieren, darüber hat es nie einen Zweifel gegeben. Schließlich ist ja dieser Artikel des Grundgesetzes nicht in einer Kampfabstimmung von Frauenrechtlerinnen gegen andere zustande gekommen, sondern es ist so, daß er mit 19 Stimmen bei 2 Enthaltungen angenommen worden ist, also gerade auch von den Kollegen und Kolleginnen, die nun heute diesen Antrag hier mit stellen, getragen worden ist und weiter getragen wird.
Herr Kollege Ritzel, wir wollen nicht wieder in eine persönliche Auseinandersetzung eintreten. Sie schütteln den Kopf; aber es ist nun einmal so, da es protokollarisch feststeht und man ja die Protokolle des Parlamentarischen Rates und seines Hauptausschusses lesen kann.
Das zweite: Nachdem der Justizminister darauf hingewiesen hat, wie die Dinge in der Vorbereitung gelaufen sind, möchte ich den Vorwurf, als ob in dieser Richtung etwas verzögert worden wäre — und absichtlich verzögert worden wäre —, ausdrücklich zurückweisen.
Ich habe im Ausschuß bereits darauf aufmerksam gemacht, daß es einen Gesetzesvorschlag des Rechtspolitischen Ausschusses der Sozialdemokratischen Partei gibt, der ausweislich des Berichts, der allen Abgeordneten zugegangen ist, im Jahre 1950 etwa gleichzeitig mit dem Justizministerium seine Arbeit aufgenommen und der seinen Gesetzesvorschlag, der vielleicht nicht einmal so viel Material vorher zusammengebracht hat, wie das Justizministerium das tun mußte, im August 1952 der Öffentlichkeit vorgelegt hat, also eben zur gleichen Zeit, in der das Bundesjustizministerium seinen Gesetzentwurf dem Kabinett vorlegte. Es scheint sich also auch dort um Fragen gehandelt zu haben, die man eben nicht übers Knie brechen kann und die selbst dann, wenn man aus einer einheitlicheren Beurteilung dieser Fragen kommt, zu sehr erheblichen Schwierigkeiten und Problemen Anlaß geben.
Ich mache darauf aufmerksam, meine Damen und Herren, daß etwa die Behandlung der Fragen des Güterrechts im Deutschen Reichstag von 1896, der zweifellos nicht unter solchem Zeitdruck stand wie wir, in erster bis dritter Lesung die Zeit vom Februar bis zum Juli 1896 in Anspruch genommen hat und daß dem monate-, jahre-, ja jahrzehntelange Vorbereitungen vorangegangen sind.
Die Behauptung also, daß das absichtlich verzögert worden sei, ist eine Behauptung, die mit den Tatsachen nicht in Übereinstimmung gebracht werden kann.
Wir wollen also nicht durch Unterlassen, wie Frau Nadig es ausgedrückt hat, irgend jemand zu einer Verfassungsänderung zwingen. Ich würde dankbar sein, wenn es gelingen könnte, diese Frage aus diesen Diskussionsbereichen herauszubringen. Es scheint allerdings schwer möglich zu sein, nachdem uns im Unterausschuß von einem der Herren der Opposition entgegengehalten worden ist: Wenn Sie uns solchen Wahlgesetzentwurf vorlegen, können Sie nicht erwarten, daß wir in dieser Frage der Koalition zu Hilfe kommen.
Meine Damen und Herren, wir erwarten nicht,
daß irgend jemand der Koalition zu Hilfe kommt;
wir erwarten aber, daß jeder Abgeordnete des Deutschen Bundestages sich darüber klar ist, daß er die Verantwortung mit dafür trägt, daß nicht ein Rechtsvakuum und weithin eine Rechtskatastrophe eintritt, die nicht der Koalition, sondern dem deutschen Volke zum Unheil gereicht.
Natürlich muß das, wie Sie sagen, Herr Kollege Wagner, Schuld der Koalition sein! Man wünscht der Öffentlichkeit zu sagen: Die Koalition trägt die Schuld, daß die Gleichberechtigung nicht durchgeführt worden ist.
Ich habe es selbst erlebt, um wieder einmal die Presse zu zitieren. Als ich mir gestattete, zu sagen, es würde eine rechtliche Katastrophe eintreten, wenn am 1. April dieses Vakuum entstände, war in einer Zeitung, die uns jedenfalls nicht nahesteht, zu lesen: „Ehlers sagt: Wenn Gleichberechtigung durchgeführt wird, Katastrophe".
.
Meine Damen und Herren, das ist eben die Verdrehung, gegen die wir uns wehren. Wir meinen, daß wir die Verantwortung dafür tragen, daß nicht in zahllosen deutschen Gerichten eine Überforderung eintritt, die diese Gerichte weder zeitlich noch sachlich ertragen können,
und daß nicht dadurch eine Rechtsunsicherheit eintritt, die dazu führt, daß in diesen Fragen, die in die persönlichsten Bereiche hineinführen, etwas entsteht, was dem einzelnen nicht zum Heil gedeiht und was im übrigen den Frauen, die um die Gleichberechtigung ringen, wie Sie es darstellen, keineswegs förderlich ist; ganz im Gegenteil!
Wir müssen also sagen, daß es offensichtlich zweckmäßig wäre, eine Verlängerung der Frist vorzunehmen, um die sachlich notwendige, gründliche, überlegte, aber auch in einer sachlichen Atmosphäre stattfindende Beratung zu fördern. Meine Damen und Herren, wir stehen ja nicht ganz allein in dieser Frage. Wir haben von mancherlei Stellen, übrigens nicht nur Stellen, die die Interessen der Männer, sondern gerade der Frauen vertreten, weil es Frauenverbände sind, den Hinweis darauf bekommen, daß sie die Verlängerung der hier gesetzten Frist für unausweichlich halten. Ich habe die gleiche Ansicht — man mag das für gewichtig oder nicht gewichtig halten — von der Eherechtskommission der Evangelischen Kirche in Deutschland gehört, die in ihrer Verantwortung den gleichen Standpunkt vertritt, wie er von Organisationen der katholischen Kirche eingenommen ist.
— Es hat sich ja schon gezeigt, sehr verehrte Frau Kollegin Wolff, daß in der Frage der Gleichberechtigung offensichtlich auch unter den Frauen sehr viele Unterschiede bestehen,
und gerade darum ist ja die Arbeit der Unterkommission so schwierig, weil wir eben nicht nur eine normalisierte Meinung, sondern sehr verschiedene, an der gewissensmäßigen Überzeugung ausgerichtete Meinungen haben.
Herr Kollege Greve hatte die Freundlichkeit, darauf hinzuweisen, daß wir nicht mehr in der Postkutsche fahren. Herr Kollege Greve, meine Auffassung ist, daß die Gesetzgebung zu der Zeit, als wir in der Postkutsche fuhren, wesentlich überlegter, wesentlich ruhiger und wesentlich richtiger war als zu dem Zeitpunkt, da wir einen Mercedes 300 benutzen,
und darum bin ich für die Postkutsche.
Meine Damen und Herren! Die Rednerliste ist erschöpft und die Aussprache geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung. Es liegen zwei Anträge vor, einmal der Gesetzesvorschlag zu Ziffer 3 — dazu ist Überweisung an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht beantragt
— und weiter der Antrag der Fraktion der SPD wegen der Bildung eines Familienrechtsausschusses. Welcher weitergeht, ist nicht ganz leicht zu entscheiden.
Das eine schließt nämlich das andere auch nicht ganz aus. Ich lasse aber zuerst abstimmen über den Antrag der Fraktion der SPD, weil der einen abändernden Charakter hat.
— Gut, es ist ein Überweisungsantrag dazu gestellt. Dann stimmen wir zunächst über diesen Überweisungsantrag ab.
Ich bitte also diejenigen, die den Antrag der SPD Drucksache Nr. 4220 an den Ausschuß, natürlich den für Rechtswesen und Verfassungsrecht, überweisen wollen, die Hand zu heben. --
Ich bitte um die Gegenprobe. — Meine Damen und Herren, es besteht keine Übereinstimmung.
Wir müssen Auszahlung durch Hammelsprung vornehmen.
— Meine Damen und Herren, es wird gesagt, es bestehe über den Gegenstand der Abstimmung keine Klarheit. Ich habe deutlich gesagt: Es ist beantragt die Überweisung des Antrags der Fraktion der SPD Drucksache Nr. 4220 an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht.
— Das war beantragt, und darüber muß ich abstimmen lassen. Hier aus dem Hause kam der Antrag.
— Jawohl, er ist gekommen! Ich habe ihn deutlich gehört. Sie müssen mir schon glauben, daß auch ich weiß, was hier geschieht.
Also, es wird über die Dinge abgestimmt, die zur Abstimmung stehen.
Meine Damen und Herren, ich bitte, den Saal zu räumen und auszuzählen. Wer für die Überweisung ist, geht durch die Ja-Tür.
— Ich habe mit Ihnen hier keine Diskussion zu führen.
Meine Damen und Herren, ich bitte, den Saal zu räumen, damit die Auszählung beginnen kann. Ich bitte, mit der Auszählung zu beginnen.
Die Abstimmung ist beendet. Ich bitte, die Türen zu schließen. —
Meine Damen und Herren, das Ergebnis der Abstimmung: Mit Ja haben gestimmt 171, mit Nein 121 Mitglieder. Enthalten haben sich drei Mitglieder. Damit ist der Antrag angenommen.
- Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht, habe ich gesagt.
Wir kommen dann zu dem Überweisungsantrag bezüglich der Drucksache Nr. 4200. Da ist ebenfalls der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht vorgeschlagen. Ich glaube, da darf ich wohl die Zustimmung des Hauses annehmen.
— Abstimmen? — Also: Wer für die Überweisung an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht ist, den bitte ich, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit. Die Überweisung ist erfolgt.
Ich rufe nun auf Punkt 5 der Tagesordnung: Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die innerdeutsche Rechts- und Amtshilfe in Strafsachen ; Mündlicher Bericht des Aus' schusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht (23. Ausschuß) (Nr. 4185 der Drucksachen).
Das Wort zur Berichterstattung hat Herr Abgeordneter Dr. Weber.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit der Drucksache Nr. 4185 legt Ihnen der Rechtsausschuß das Ergebnis seiner Beratungen über den Entwurf eines Gesetzes über die innerdeutsche Rechts- und Amtshilfe in Strafsachen Drucksache Nr. 3820 vor, eines Gesetzentwurfs, dem besondere rechtspolitische und politische Bedeutung zukommt. Der Ausschuß stand bei der Beratung dieses Gegenstandes vor der schwierigen Frage, ob der Grundgedanke des Gesetzes überhaupt noch bejaht werden könne, nachdem das ostzonale Rechtswesen in den letzten Monaten eine weitere Entwicklung zu einer erschreckenden Abkehr von dem Gedanken der Rechtsstaatlichkeit durchgemacht hat. Gerade diese Frage war es, die eine Verzögerung in der Ausschußbehandlung herbeigeführt und es notwendig gemacht hat, daß sich die Fraktionen zwischendurch über diese grundsätzliche Frage unterhielten und zu ihr Stellung nahmen. Nachdem die Fraktionen die Angelegenheit besprochen hatten. hat sich der Rechtsausschuß einstimmig auf den Standpunkt gestellt, daß auf dem Gebiete des materiellen Rechts vorerst noch eine der letzten Klammern gegeben sei, die dem Gedanken der Einheit Deutschlands einen sinnfälligen Ausdruck gebe, und daß man diese Klammer, die gerade in der Gewährung von Rechts- und Amtshilfe ihre besondere Wirkung zeige, nicht ohne zwingende Not aufgeben solle. Der Regierungsentwurf hat aber in den sehr eingehenden Beratungen des Ausschusses wesentliche Änderungen in grundsätzlichen Bestimmungen erfahren. Diese Änderungen sind durch das bereits erwähnte weitere Abrücken von Rechtsstaatlichkeit und Menschlichkeit in der ostzonalen Gesetzgebung und Rechtsprechung bedingt.
Das Gesetz über Rechts- und Amtshilfe hat in erster Linie den Charakter eines Schutzgesetzes.
Das bedeutet: Durch dieses Gesetz soll verhindert werden, daß Bestrebungen gefördert oder unterstützt werden, bei deren Durchführung die Grundsätze der Gerechtigkeit und Menschlichkeit verletzt werden.
Der Gesetzgeber will nicht Unrecht,
das außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes begangen wird, ungesühnt lassen, Herr Kollege Renner, oder ihm mit einem Abbruch der Rechtsbeziehungen begegnen,
sondern im einzelnen die materiellen und verfahrensmäßigen Voraussetzungen dafür schaffen, um der Willkür das Recht entgegenzustellen. Damit trägt das Gesetz auch dem Rechtsempfinden sowohl der Bevölkerung der Bundesrepublik als auch der Bevölkerung der sowjetischen Besatzungszone Rechnung. Es würde hüben und drüben nicht verstanden werden, wenn etwa schwere Verbrechen wie Mord, Raub und dergleichen nur wegen der bestehenden Zonengrenze ungesühnt blieben. Außerdem muß vermieden werden, daß ein Gefälle in der Kriminalität zwischen der Ostzone und der Bundesrepublik entsteht und die Bundesrepublik zur Zufluchtstätte für Verbrecher aus der sowjetischen Zone wird.
Der Grundsatz, daß sich kein deutsches Gericht und keine deutsche Behörde bereit finden dürfen, Amtshilfe für die Durchführung eines Willküroder Unrechtsaktes zu leisten, ist nicht neu und ist auch schon praktisch gehandhabt worden. Nur ermangelte es noch einer gesetzlichen Regelung und einer rechtsstaatlichen Garantie einer richterlichen Nachprüfbarkeit der im Verwaltungsverfahren gefällten Entscheidung. Bis jetzt hat sich das Rechts- und Amtshilteverfahren im Verwaltungswege abgespielt. Es sind auch schon die Generalstaatsanwalte eingeschaltet gewesen, die nach eingehender Prüfung von Fall zu Fall über die Zulässigkeit der Rechts- und Amtshilfe entschieden haben. Diese verwaltungsmäßige Regelung konnte jedoch in einem Rechtsstaate schlechthin nicht genügen und um so weniger aufrechterhalten werden, seit der Verfall der Rechtsstaatlichkeit in der Sowjetzone stärker zunimmt. Ein gewisser Höhepunkt ist hierin durch die sogenannte sowjetzonale Justizreform eingetreten, durch die die grundlegenden Strafjustizgesetze, die auch bisher noch in der Ostzone formell in Geltung waren, umgestoßen und die Angleichung der sowjetzonalen Justiz an das Rechtssystem der Sowjetunion nahezu vollzogen worden ist.
Die besonders schwerwiegenden Eingriffe durch die neue Gesetzgebung — das müssen Sie zur Beurteilung der Sachlage wissen — sind folgende. Das neue Gerichtsverfassungsgesetz beseitigt praktisch die unabhängige Rechtspflege. Der Richter wird nur auf Zeit — drei bis fünf Jahre — gewählt. Er ist jederzeit absetzbar, wenn er sich nicht vorbehaltlos für die Ziele der sogenannten DDR einsetzt. Nach dem Gesetz über die Staatsanwaltschaft steht es in deren Ermessen, die Zuständigkeit des Gerichts zu bestimmen. Es entscheidet nicht mehr die Art des begangenen Verbrechens
oder Vergehens. Während dem Angeklagten das
Rechtsmittel der Revision genommen ist, kann der Generalstaatsanwalt rechtskräftige Urteile, die also schon Rechtskraft erlangt haben, durch das oberste Gericht, durch einen sogenannten Kassationsantrag — eine Nichtigkeitsbeschwerde, wie wir sie in dem vergangenen System auch in unserem Recht gekannt haben — aufheben lassen. In der neuen Strafprozeßordnung wird die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme aufgegeben. Verneh-
mungsprotokolle der Volkspolizei, des Staatssicherheitsdienstes und der Kontrollkommission sind vollgültige Beweismittel. Schon ihre einfache Verlesung in der Hauptverhandlung kann die Grundlage zu einer Verurteilung abgeben. Das Gericht kann auf das Erscheinen eines Zeugen in der Hauptverhandlung schon „wegen des damit verbundenen Zeitverlustes" verzichten. Wohin das kommende Strafgesetzbuch der Sowjetzone führen wird, zeichnet sich bereits jetzt in zahlreichen Terrorurteilen ab und spiegelt sich in dem bereits verkündeten Gesetz zum Schutze von Volkseigentum vom 2. Oktober 1952 wider. Die Schwere einer Tat und die Höhe der Strafe richten sich nach der „Gesellschaftsgefährlichkeit" der Tat. Die Abschreckungs- oder richtiger: Terrortendenz des zukünftigen Strafrechts zeigt sich in der Strafandrohung: Freiheitsstrafen bis zu 25 Jahren in Verbindung mit Vermögenseinziehung. Die Unterscheidung zwischen Zuchthaus und Gefängnis fällt weg. In der Begründung zu dem Ihnen vorliegenden Gesetz hat die Bundesregierung zutreffend darauf hingewiesen, daß die Rechtspflege als Mittel benutzt wird, um die Gegner der Ideologie des Kommunismus zu bekämpfen und zu vernichten.
Dieser Unrechtssituation gegenüber soll nun den Betroffenen mit diesem Gesetz die rechtsstaatliche Garantie gegeben werden, daß sie einer willkürlichen Verfolgung nicht ausgesetzt werden. Der Betroffene hat nunmehr die Möglichkeit, gegen die Entscheidung des Generalstaatsanwalts, die ja bis jetzt schon im Verwaltungsverfahren erging, die Entscheidung des Gerichts anzurufen. Wird die Rechts- und Amtshilfe verneint und versagt, so ergibt sich daraus aber die Konsequenz, daß unsere Strafverfolgungsbehörden und Gerichte selber die Ahndung zu übernehmen haben.
Deshalb ermöglicht das Gesetz die Einleitung eines Verfahrens in der Bundesrepublik, wenn das Verfahren im sowjetischen Besatzungsgebiet oder das dort ergangene Urteil keine genügende Grundlage für eine Vollstreckung bzw. eine Überstellung zum Zwecke der Strafverfolgung oder Vollstreckung bildet.
Im einzelnen habe ich zu dem Gang der Beratungen über diesen Gesetzentwurf folgendes auszuführen. Während der § 1 der Regierungsvorlage noch davon ausging, daß die Rechts- und Amtshilfe grundsätzlich zu leisten ist, glaubten wir im Hinblick auf die vorhin geschilderten Umstände diesen Grundsatz nicht mehr aufstellen zu können. Vielmehr ist jetzt bestimmt, daß die Rechts- und Amtshilfe nur unter den in § 2 im einzelnen bezeichneten Voraussetzungen zu leisten ist. Diese Voraussetzungen sind in § 2 Abs. 1 Ziffern 1 bis 3 im einzelnen festgelegt, wobei hervorzuheben ist, daß jede dieser Voraussetzungen vorliegen muß, wenn dem Ersuchen stattgegeben wird, daß also schon das Nichtvorliegen einer Voraussetzung dazu führen muß, dem Ersuchen auf Rechts- und Amtshilfe nicht stattzugeben.
Die bedingte Überstellung und Zulieferung, die das Gesetz ursprünglich in den Absätzen 3 und 4 des § 2 sowohl für den Beschuldigten wie auch für einen in Haft befindlichen Zeugen vorsah, nämlich Überstellung mit der Auflage, daß lediglich die Hauptverhandlung gegen ihn durchgeführt werden kann bzw. der Zeuge nur zu dieser Hauptverhandlung überstellt wird, ist vom Ausschuß gestrichen worden. Wir hielten das nicht mehr für vertretbar, insbesondere nachdem sichergestellt ist, wie ich betont habe — darauf wird gleich noch näher einzugehen sein —, daß eine Strafverfolgung auch im Gebiet der Bundesrepublik stattfindet, also derjenige, der sich vergangen hat, nicht etwa straflos bleibt.
Die nunmehr vom Rechtsausschuß vorgeschlagene Fassung des § 2 fand vor allen Dingen auch die Zustimmung der Berliner Kollegen, die bekanntlich auf dem hier behandelten Gebiet besondere Erfahrungen sammeln konnten. In Berlin besteht ja bereits auch ein ähnliches Gesetz.
Der § 3, der das Verfahren der Genehmigung behandelt, ist unverändert geblieben. Nach wie vor entscheidet in allen Fällen über die Gewährung der Rechts- und Amtshilfe der Generalstaatsanwalt.
Der § 4, der das Verfahren regelt, hat eine Änderung in den Absätzen 1 und 3 erfahren. In Abs. 1 zunächst insofern, als wir bestimmt haben, daß vor Erteilung der Genehmigung der Betroffene immer und nicht etwa, wie es im Entwurf hieß, „soweit möglich" zu hören ist, wenn es sich um seine Zulieferung oder Zuführung oder um die Vollstreckung einer Strafe, Maßregel der Sicherung und Besserung, Nebenstrafe oder sonstige Folge einer Verurteilung handelt. Besondere Vorsorge war unseres Erachtens für den Fall zu treffen, daß jemand in Erfüllung eines eingegangenen Rechts- und Amtshilfeersuchens verhaftet werden soll. In solch einem Fall ist es natürlich nicht möglich, ihn vorher zu hören und ihm dadurch Gelegenheit zu geben zu entweichen. Wir glauben aber in dem Abs. 3 nunmehr eine Regelung gefunden zu haben, die rechtsstaatlichen Anforderungen entspricht. Hier ist bestimmt worden, daß er sofort nach der Verhaftung gehört werden muß und daß dann der Generalstaatsanwalt über die Fortdauer der Haft zu entscheiden hat. Gegen diese Entscheidung steht dem Betroffenen in allen Fällen die Anrufung des Gerichts zu.
Auch in Abs. 4 ist eine wesentliche Änderung insofern vorgenommen worden, als das Akteneinsichtsrecht des Verteidigers erweitert worden ist und ihm im Rahmen des § 147 unserer Strafprozeßordnung zusteht, wenn der Betroffene Beschuldigter ist.
Die §§ 5 und 6 sind nicht wesentlich geändert worden. Es kann hier auf die Begründung der Regierungsvorlage verwiesen werden.
Der § 7 hat insofern eine Änderung erfahren, als das Recht des Vorsitzenden des Gerichts, Ermittlungen anzustellen und Beweiserhebungen vornehmen zu lassen, auf dringende Fälle beschränkt worden ist. Der Vorsitzende kann also nicht in jedem Fall derartige Anordnungen treffen, sondern in der Regel, wenn nicht besondere — dringende — Umstände eine andere Handhabung erfordern, soll das Gericht die Entscheidung treffen. Eine ganz wesentliche Bestimmung ist insoweit eingefügt worden, als der Betroffene, der zugeliefert werden soll, auf seinen Antrag in mündlicher Verhandlung vor dem Gericht gehört werden muß; also in diesem Falle nicht mehr fakultative, sondern obligatorische mündliche Verhandlung.
§§ 8 und 9, die die Entscheidung des Gerichts und die Wiederaufnahme des Verfahrens behandeln, sind unverändert geblieben.
Die §§ 10 und 11 gehen von dem Grundgedanken aus, daß es nicht angeht — was ich bereits mehrfach betont habe —, von der Verfolgung einer strafbaren Handlung nur deshalb abzusehen, weil etwa dem Täter im Gebiet der ersuchenden Stelle neben einer an sich berechtigten Verurteilung noch andere Maßnahmen drohen, die rechtsstaatlichen Grundsätzen widersprechen. Den Täter straffrei ausgehen zu lassen, würde im Ergebnis die Durchsetzung von Unrecht bedeuten, dem andererseits mit diesem Gesetz gerade begegnet werden soll.
Die §§ 12 und 13 sind unverändert übernommen worden.
Zu § 11 habe ich noch anzufügen, daß in Abs. 3 die sogenannte reformatio in peius aufrechterhalten worden ist. Der Betroffene, gegen den ein neues Verfahren durchgeführt wird, darf also nicht höher bestraft, auch nicht mit einer schärferen Strafart belegt werden, als es in dem früheren Urteil der Fall gewesen ist. Eine Strafverbüßung außerhalb des Geltungsbereichs des Gesetzes ist anzurechnen.
Zu besonderer Erörterung hat der § 13 Veranlassung gegeben, in dem das Problem der Eintragung einer von einem ostzonalen Gericht verhängten Strafe in das Strafregister behandelt wird. Im Ausschuß sind Fälle vorgetragen worden, daß z. B. Verurteilungen wegen sogenannter Wirtschaftsvergehen zu 15 Jahren Zuchthaus, wenn der Betroffene im Gebiet der Bundesrepublik geboren war, dem hiesigen Strafregister mitgeteilt und unbesehen in das Strafregister eingetragen worden sind.
Dem muß unter allen Umständen vorgebeugt werden. Deswegen hat der Ausschuß eine erhebliche Erweiterung der Bestimmung des ursprünglichen § 13 für notwendig gehalten, die Sie in den §§ 13 a und 13 b finden. Wir wollen mit dem § 13 a insbesondere erreichen, daß die in der sowjetischen Besatzungszone durch ein Gericht verhängte Verurteilung von vornherein nicht in das Strafregister eingetragen werden kann, wenn sie den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit widerspricht. Darüber hinaus hat auch jeder Verurteilte nach § 13 b ein selbständiges Antragsrecht auf Herbeiführung einer Entscheidung zunächst des Generalstaatsanwalts, evtl. auch des Gerichts, wenn eine Strafe verhängt worden ist, die den Gedanken der Rechtsstaatlichkeit widerspricht. Wegen der Einzelheiten darf ich Sie auf die Vorlage verweisen.
Zu § 16 ist noch zu bemerken: diese Bestimmung ist besonders bedeutsam für die Betroffenen, deren Strafregister außerhalb der Bundesrepublik geführt wird. Da eine Einflußnahme auf diese Strafregister nicht möglich ist, müssen gewisse Hilfsmaßnahmen getroffen werden, durch die den vorerwähnten Personen der gleiche Schutz eingeräumt werden kann wie den Personen, deren Strafregister im Bundesgebiet geführt. wird. Deshalb wird hier der Bundesregierung eine streng umrissene Ermächtigung gegeben.
§ 18 hat einen neuen Abs. 2 erhalten, da die Fassung der Regierungsvorlage eine Überschneidung der Fristen zur Folge haben konnte bzw. die Fälle nicht getroffen wurden, in denen die Entscheidung vor Inkrafttreten des Gesetzes ergangen war.
Der § 19 bringt die Berlin-Klausel in der erweiterten Form. Im Hinblick auf die Bedeutung und die Wichtigkeit dieses Gesetzes glaubte der Ausschuß, auch vorsehen zu müssen und Ihnen vorschlagen zu sollen, daß das Gesetz am Tage nach seiner Verkündung in Kraft tritt.
Redaktionell habe ich noch zu bemerken, daß das Bundesjustizministerium — ich schließe mich dieser Bitte an - in § 13 a eine Umstellung, eine Berichtigung sprachlicher Art vorgenommen haben möchte. Der Abs. 1 soll nunmehr im Eingang wie folgt lauten:
Geht eine Strafnachricht über einen durch ein deutsches Gericht außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes Verurteilten bei einer Strafregisterbehörde ein, .. .
Herr Präsident, ich darf Ihnen diesen Änderungswunsch rein redaktioneller Art überreichen.
Namens des Ausschusses habe ich die Ehre, Sie zu bitten, dem Entwurf eines Gesetzes über die innerdeutsche Rechts- und Amtshilfe in der aus der Drucksache Nr. 4185 ersichtlichen Fassung zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wir treten in die zweite Beratung ein. Ich rufe auf § 1. - Keine Wortmeldungen.
§ 2. Wortmeldungen?
— Dann stimmen wir zunächst über § 1 ab. Wer für die Annahme von § 1 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! — Enthaltungen?
— Angenommen.
Zu § 2 hat das Wort der Abgeordnete Fisch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beantrage, den § 2 zu streichen, weil er das entscheidende Stück des ganzen Gesetzentwurfs darstellt. Eigentlich müßte man ja beantragen, die §§ 1 bis 19 zu streichen; aber ich glaube, es genügt auch mit diesem einen Hinweis.
Ich möchte zur Begründung meines Antrags folgendes sagen. Bis vor kurzem wurde stets die Behauptung aufgestellt, von seiten der Deutschen Demokratischen Republik werde ständig die Rechtseinheit Deutschlands gebrochen. Ich glaube, daß wir in dem vorliegenden Gesetz einmal den notorischen Beweis dafür vor uns liegen haben, von wem der systematische Bruch der deutschen Rechtseinheit ausgeht. Sehen Sie doch nach in Ihrer eigenen Begründung zu dem vorliegenden Gesetzentwurf, die das Datum des 28. Oktober 1952 trägt! In Ihrer Begründung sagen Sie:
Zwar sind bisher auch im sowjetischen Besatzungsgebiet das Bürgerliche Gesetzbuch, das Strafgesetzbuch, die Zivilprozeßordnung und die Strafprozeßordnung mit nur geringen Abweichungen in Kraft geblieben, ...
Das heißt also, Sie sagen selbst, daß es wesentliche Änderungen des Strafgesetzbuchs und anderer grundsätzlicher Rechtsdokumente in der Deutschen Demokratischen Republik bis dahin noch nicht gegeben hat. Aber Sie machen nun ein solches Gesetz, wonach zweierlei Recht in Deutschland gelten soll, und wonach Sie ein weiteres Mal, wie schon einige Male zuvor, das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik formell zum Ausland er-
klären. Sie haben gar keinen Grund, Sieh zu beschweren, Herr Kollege Dr. Weber, daß drüben jenseits der Zonengrenze gewisse Gesetze in Kraft gesetzt worden sind, die Ihnen nicht behagen. Ich glaube, wenn wir die Gegenrechnung aufstellten, hätten wir sehr viel mehr Grund, uns über die Gesetzgebung dieses Hauses zu beschweren. Ich möchte Sie beispielsweise an das Datum erinnern, an dem hier das Strafrechtsänderungsgesetz Nr. 1 verabschiedet worden ist. Das war meiner Erinnerung nach der 9. Juli 1951, also ein Zeitpunkt, als drüben das Gerichtsverfassungsgesetz, die Strafprozeßordnung usw. noch vollkommen in der alten Form in Gültigkeit gewesen sind. Sie haben hier grundlegend neue Strafgesetze geschaffen; neu allerdings nur im relativen Sinne, d. h. neu in bezug auf die Situation 1945, aber nicht neu in bezug auf die Gesetzgebung der Nazizeit. Sie haben Strafgesetze neu geschaffen, die dem Inhalt und manchmal sogar auch dem Wortlaut nach mit entsprechenden Gesetzen der Nazizeit genau übereinstimmen.
Sie haben ein faschistisches Gesinnungsstrafrecht geschaffen, Sie haben Sondergerichte geschaffen, und Sie haben — entgegen einem Beschluß des Bundestags — die Einrichtung von politischen Sondergerichten nicht nur bis zum heutigen Tage aufrechterhalten, sondern Sie haben ein regelrechtes System politischer Sondergerichte geschaffen, in denen wegen angeblichen Hochverrats oder wegen angeblicher Vorbereitung zum Hochverrat Menschen abgeurteilt werden, die nichts anderes getan haben, als entsprechend dem Sinn und Buchstaben des Grundgesetzes für die friedliche Wiedervereinigung Deutschlands und für den Frieden einzutreten.
Das sind Ihre Rechtsschöpfungen. Sie haben also nicht die geringste Ursache, sich darüber zu beschweren, daß von anderer Seite her die Rechtseinheit Deutschlands gebrochen worden sei.
Sie verfolgen mit diesem Gesetzentwurf allerdings eine klar erkennbare Absicht. Diese besteht darin, die Verbrecher zu schützen, die von fremden Spionageorganisationen oder auch vom Ministerium Kaiser in das Gebiet der DDR geschickt werden, dort Unruhe und Sabotage stiften und das Pech haben, erwischt zu werden. Diese Leute möchten Sie schützen. Sie möchten sie nicht der strafenden Justiz der Deutschen Demokratischen Republik ausgeliefert haben. Sie wollen also dem kalten Krieg, der von den Amerikanern diktiert ist und dem Sie sich willig angeschlossen haben, auch auf dem Gebiete des Rechtswesens Rechnung tragen. Das ist der ganze Sinn Ihrer Vorlage.
Sie können nicht gut verlangen, daß Leute, die die Wiederherstellung der Rechtseinheit in Deutschland ernsthaft wünschen, einem solchen Gesetzentwurf die Zustimmung geben. Aber Sie können sich auch nicht gut den Vorwand zu eigen machen, daß es sich hier bei diesem Gesetz um den Schutz von „rechtsstaatlichen Grundsätzen" handele. Sie haben rechtsstaatliche Grundsätze längst preisgegeben. Sie haben durch die Praxis Ihrer Gesetzgebung und durch die Praxis der Bundesregierung längst bewiesen, daß für Sie das Grundgesetz und insbesondere die Grundrechte nicht mehr sind als ein Stück wertloses Papier. Sie sind also die letzten, die sich auf rechtsstaatliche Grundsätze berufen können.
Darum lehnen wir das vorliegende Gesetz ab. Aus diesem Grunde mein Antrag, den § 2 des vorliegenden Gesetzes zu streichen und nach ihm alle weiteren Paragraphen bis einschließlich § 19.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich glaube, daß der Antrag, den Paragraphen zu streichen, nicht zur Abstimmung zu stellen ist. Wenn § 2 zur Abstimmung gestellt wird und sich dafür eine Mehrheit findet, ist der Streichungsantrag gegenstandslos geworden. Wer für die Annahme des § 2 ist, bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! —§ 2 ist angenommen.
§§3,-4,-5,-6,-7,-8,-9,-10,-11, — 12, — 13. — Bei § 13 a soll eine redaktionelle Änderung stattfinden. Es soll künftig heißen:
Geht eine Strafnachricht über einen durch ein deutsches Gericht außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes Verurteilten bei der Strafregisterbehörde ein, . . .
§§ 13 b, — 14, — 15, — 16, — 17, — 18, — 19, — 20, — Einleitung und Überschrift. — Wer für die Annahme dieser Paragraphen ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Gegen einige Stimmen angenommen! Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Ich eröffne die allgemeine Aussprache.—Keine Wortmeldung. Die allgemeine Aussprache ist geschlossen. Ich rufe auf: §§ 1 bis 20, — Einleitung und Überschrift. — Wer für die Annahme dieser Bestimmungen ist, möge die Hand erheben. – Gegenprobe! — Gegen einige Stimmen angenommen!
Wer für die Annahme des Gesetzes im ganzen ist, den bitte ich, sich von seinem Sitz zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? Gegen die Stimmen der kommunistischen Gruppe ist dieses Gesetz beschlossen.
Ich rufe Ziffer 6 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des Entwurfs eines Vierten Gesetzes über die Übernahme von Sicherheitsleistungen und Gewährleistungen im Ausfuhrgeschäft .
Hierzu schlägt Ihnen der Ältestenrat vor, sich mit der Verweisung auf die gedruckte Begründung des Regierungsentwurfs zu begnügen und auf eine Aussprache zu verzichten. — Das Haus ist damit einverstanden. Der Entwurf ist wohl dem Ausschuß für Außenhandelsfragen zu überweisen. — Weitere Anträge werden nicht gestellt. Dann ist der Entwurf dem Ausschuß für Außenhandelsfragen überwiesen.
Ich rufe Ziffer 7 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Zweite Berichtigungs- und Änderungsprotokoll vom 8. November 1952 zu den Zollzugeständnislisten des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (Nr. 4159 der Drucksachen).
Auch hier schlägt Ihnen der Ältestenrat vor, sich mit der gedruckten Begründung begnügen zu wollen und auf eine Aussprache zu verzichten. — Das Haus ist damit einverstanden. Auch dieser Entwurf wäre an den Ausschuß für Außenhandelsfragen zu überweisen. — Kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Ziffer 8 auf:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den deutsch-chilenischen Briefwechsel vom 6. September 1952 betreffend die zollfreie Einfuhr von 50 000 t Chile-Salpeter in der Zeit vom 1. Juli 1952 bis 30. Juni 1953 .
Der Ältestenrat schlägt Ihnen auch hier vor, sich mit der gedruckten Begründung begnügen zu wollen und auf eine Aussprache zu verzichten. — Das Haus ist damit einverstanden. Der Entwurf wäre ebenfalls an den Ausschuß für Außenhandelsfragen zu überweisen.
— Ist das Haus damit einverstanden, daß er zusätzlich dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten überwiesen wird?
— Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Ziffer 10 auf:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung der Titel II, III, IV und X der
Gewerbeordnung . Auch hier schlägt Ihnen der Ältestenrat vor, sich mit der gedruckten Begründung der Regierungsvorlage begnügen zu wollen, auf eine Aussprache zu verzichten und die sofortige Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik, an den Ausschuß für Verkehrswesen und den Ausschuß für Sozialpolitik zu beschließen, wobei wohl der Ausschuß für Wirtschaftspolitik federführend sein müßte.
— Das Haus ist damit einverstanden. Dann ist so beschlossen.
Auf die Tagesordnung ist noch die
Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Dr. Nöll von der Nahmer, Eberhard und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung
gesetzt worden. Sie finden diesen Punkt also nicht in der gedruckten Tagesordnung. Auch hier muß wohl an die drei vorhin genannten Ausschüsse überwiesen werden. — Das Haus verzichtet offensichtlich auf Begründung und Durchführung einer ersten Beratung und beschließt die Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik, den Ausschuß für Verkehrswesen und den Ausschuß für Sozialpolitik mit Federführung beim Ausschuß für Wirtschaftspolitik. — Es ist so beschlossen.
Es ist die Frage, ob nicht rasch die Punkte aufgerufen werden sollten, hei denen keine Aussprache zu erwarten ist.
— Ja, gerade Punkt 14 meine ich:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Statistik für Bundeszwecke (Nr. 4168 der Drucksachen).
Auch hier schlägt Ihnen der Ältestenrat vor, auf
eine mündliche Begründung und auf eine Aussprache zu verzichten und den Entwurf an drei Ausschüsse zu überweisen, nämlich an den Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung — federführend —, an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik und an den Ausschuß für Kommunalpolitik. — Das Haus ist einverstanden. Damit ist auch Punkt 14 erledigt.
Dann rufe ich Punkt 11 der Tagesordnung auf: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP und DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Handwerksordnung ;
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik (Nm. 4172, zu 4172 der Drucksachen).
Das Wort zur Berichterstattung hat der Abgeordnete Lange.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Berichterstattung über diesen Punkt der Tagesordnung kann ich im wesentlichen auf den Schriftlichen Bericht*) verweisen, der Ihnen zu Drucksache Nr. 4172 noch zugegangen ist. Trotzdem scheint es bei diesem Gesetz, dem ja eine ganz besondere Bedeutung beigemessen wird — das war auch die Auffassung des Ausschusses für Wirtschaftspolitik und seiner Unterkommission Handwerksordnung —, gerechtfertigt, noch einige ergänzende Bemerkungen zu machen.
Wenn man sowohl die Arbeit der Unterkommission als auch des Ausschusses für Wirtschaftspolitik würdigen will, muß man sich vergegenwärtigen, daß die erste Beratung der Drucksache Nr. 1428 am 26. Oktober 1950 stattgefunden hat.
Daß wir erst heute, am 26. März 1953, in der zweiten Beratung und, wie die Tagesordnung sagt, möglicherweise auch in der dritten Beratung den Gesetzentwurf in der Vorlage des Ausschusses behandeln können, beweist im Grunde genommen, welche Schwierigkeiten in diesem Zusammenhang zu überwinden waren. Es handelt sich um eine Materie, die durchaus nicht so einfach gewesen ist, wenn sie auch nur einen begrenzten Bereich unserer gewerblichen Wirtschaft, nämlich das Handwerk, umfaßt. Die Gründe, die hierzu Veranlassung gegeben haben, gehen zu einem wesentlichen Teil aus dem Schriftlichen Bericht hervor; ich brauche jetzt nicht mehr darauf einzugehen.
Man muß in diesem Zusammenhang noch einmal fragen, was für die Initianten des Gesetzentwurfs auf Drucksache Nr. 1428 überhaupt der Grund für eine solche bundeseinheitliche Regelung auf dem Sektor Handwerk gewesen ist. Wir wissen, daß nach 1945 auf diesem Gebiete in den drei Zonen eine absolute Rechtszersplitterung eingetreten ist und daß sogar in der amerikanischen Zone durch eine Verordnung der Amerikaner, der die deutschen verantwortlichen Stellen durchaus nicht zugestimmt haben, die Gewerbfreiheit in vollem Umfange, also
absolut, eingeführt wurde. In der britischen Zone ist auf Grund der Aufbauverordnung vom Jahre 1946 eine Regelung gefunden worden, die im wesentlichen den Zustand von vor 1933 wiederherstellt, mit einiger Modifikation hinsichtlich der Rechtsstellung der Innungen und der Kreishandwerkerschaft. In der französischen Zone ist eine
*) Siehe Anlage 2 Seite 12563
noch stärkere Angleichung an die Situation vor 1933 erfolgt, allerdings auch wiederum mit einer noch stärkeren Stellung der Innungen, die den Charakter der Pflichtinnung gehabt haben, was in der britischen Zone nicht der Fall gewesen ist.
In diesem Zusammenhang ist für den Ausschuß ebenso wie für die Antragsteller und für die Fraktionen des Hauses noch die Frage aufgetaucht: Ist es zu verantworten, auf diesem Gebiete eine Rechtseinheit wiederherzustellen? Diese Frage ist schon in der ersten Lesung im Oktober 1950 bejaht worden. Im wesentlichen war man sich damals darüber klar, daß man im Interesse einer gesicherten Berufsausbildung und damit auch einer entsprechenden Leistungsfähigkeit unserer gewerblichen Wirtschaft, für die ja das Handwerk im wesentlichen den Nachwuchs mit ausbildet — die Zahlen sind damals genannt worden, ich brauche sie heute nicht zu wiederholen, sie würden uns nur die Zeit wegnehmen —, wegen der wirtschaftlichen und der volkswirtschaftlichen Bedeutung des Handwerks am Befähigungsnachweis festhalten wollte. Man war dieser Auffassung einheitlich durch die Fraktionen dieses Hauses, wie damals von den Sprechern der Fraktionen zum Ausdruck gebracht worden ist.
Die andere Frage, die sich schon in der ersten Lesung gestellt hat und die im wesentlichen die Beratungen der Unterkommission und bis zu einem gewissen Grade auch die Beratungen des Wirtschaftspolitischen Ausschusses getragen hat, war die der sogenannten Selbstverwaltung im Handwerk — obwohl der Begriff der Selbstverwaltung im Gesetz nicht im besonderen geprägt ist — und der Rechtsstellung der Organisationen des Handwerks schlechthin. Man hatte also im Grunde genommen in dem Initiativgesetzentwurf schon zwei Grundzüge, den der Sicherung des Befähigungsnachweises und den der Regelung der Organisationsverhältnisse, so daß praktisch ein entscheidender Teil dieses Gesetzes als Organisationsgesetz für das Handwerk zu bezeichnen ist.
Nun ist — darüber war man sich sowohl in der Unterkommission als auch im Wirtschaftsausschuß klar — dieses Gesetz, wie es Ihnen heute als Vorschlag des Wirtschaftspolitischen Ausschusses in der Drucksache Nr. 4172 vorliegt, nicht als ein Schutzgesetz für das Handwerk gedacht; das sollte, glaube ich, mit aller Deutlichkeit ausgesprochen werden. Es ist nicht durch irgendwelche organisatorische Manipulationen die Wirtschaftlichkeit irgendwelcher Betriebe, in diesem Falle handwerklicher Betriebe, gewährleistet. Die Wirtschaftlichkeit der Betriebe hängt von wesentlich anderen Maßnahmen ab, die einmal in der Person des Betriebsinhabers begründet sein mögen, die zum anderen aber auch in den Erkenntnissen der allgemeinen Volkswirtschaft und Betriebswirtschaft zu suchen sind, die man in entsprechendem Umfange — dafür sind wesentlich die Organisationen des Handwerks da — den einzelnen Handwerksbetrieben zugänglich machen sollte, um ihnen die Möglichkeit zu geben, diese Erkenntnisse und Erfahrungen auszuwerten.
Darüber hinaus allerdings sind — das ist nicht ausdrücklich im Ausschuß beraten worden, aber das darf ich vielleicht in diesem Zusammenhang noch einmal erwähnen — eine Reihe von Maßnahmen erforderlich, die außerhalb des Organisationsgebietes liegen, d. h. handwerkspolitische Maßnahmen, wirtschaftspolitische Maßnahmen, die insbesondere den handwerklichen Sektor unserer Wirtschaft berücksichtigen.
Für die Unterkommission und far den Ausschuß für Wirtschaftspolitik ergab sich die Frage, ob man, wenn man die eben von mir angedeuteten Grundsätze als für die Gesetzgebung würdig erachtete, ein Gesetz machen kann, das im wesentlichen auch den Vorstellungen der beteiligten Selbständigen und Unselbständigen im Handwerk entspricht. Da war in erster Linie die Frage die: Wieweit ist die Handwerksordnung als Berufsgesetz, wenn wir das so einmal wollen, mit der Verfassung, mit unserem Grundgesetz zu vereinbaren? Ich sage das noch einmal in meinen mündlichen Bemerkungen, um auf die Wichtigkeit dieser Überlegung hinzuweisen. Im übrigen darf ich aber auf die Grundsätze verweisen, die Sie im Schriftlichen Bericht auf Seite 2 unter der Ziffer 3 „Handwerksordnung und Grundgesetz" finden. Die Unterkommission sowohl als auch der Wirtschaftspolitische Ausschuß sind sich darüber klar gewesen, daß mit diesen Formulierungen, die, wie gesagt, im Schriftlichen Bericht festgehalten sind, die Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes gewahrt ist, der Art. 12 des Grundgesetzes nicht tangiert wird, darüber hinaus aber auch Art. 9 und, was entscheidend ist, Art. 19 hinsichtlich des Vorgehens des öffentlichen Interesses vor dem Interesse des einzelnen nicht tangiert werden.
Damit war für die Unterkommission der Weg frei, um an die Beratung des Gesetzentwurfs im einzelnen zu gehen. Wie Sie aus dem Antrag des Ausschusses für Wirtschaftspolitik ersehen, haben neben dem Initiativgesetzentwurf der Regierungskoalition noch einige andere Anträge, und zwar die Drucksachen Nrn. 94, 1017 und 1016, vorgelegen, die auch ganz bestimmte Vorstellungen auf dem Gebiete des Handwerks und der handwerklichen Organisation und Ordnung entwickelt wissen wollten. In diesem Zusammenhange taucht die Frage auf, ob das, was sich ursprünglich ein Gesetz über die Handwerksordnung genannt hat — wenn es überhaupt den Anspruch auf Ordnung des Handwerks erheben wollte, also auf dem Gebiete der Handwerksorganisation, der Berufsausbildung und der Wirtschaft —, auch tatsächlich umfassend gewesen ist. Eine weitere Überlegung war die, daß durch eine Fülle von Verweisungen, die schon im Initiativgesetzentwurf gegeben waren, das Gesetz nicht gerade vereinfacht wurde.
Auf Grund dieser Überlegungen sind die Unterkommission und in Übereinstimmung mit ihr der Wirtschaftspolitische Ausschuß zu der Überzeugung gekommen, daß es richtig ist, alle die Bestimmungen, die sich mit der Berufsausbildung befassen, weil ja die Berufsausbildung, die Lehrzeit und die Gesellentätigkeit bis zur Erbringung des Befähigungsnachweises in Gestalt der Meisterprüfung, der ordentliche Berufsgang ist, also all die Bestimmungen, die für das Handwerk von Interesse sind, aus der Gewerbeordnung herauszunehmen und in das Gesetz zur Ordnung des Handwerks einzubauen. Ich möchte in diesem Zusammenhang feststellen, daß die Unterkommission und der Ausschuß für Wirtschaftspolitik im gegenwärtigen Zeitpunkt bewußt nicht über das Maß der in der Gewerbeordnung festgelegten Bestimmungen hinausgegangen sind, weil gerade aus den Auseinandersetzungen, die sich in der Unterkommission immer wieder ergeben haben, sichtbar geworden ist, daß man mit den aus der Gewerbeordnung zu übernehmenden Vorschriften nicht insgesamt der Berufsausbildung Jugendlicher in der Wirtschaft gerecht werden kann. Aus diesen Gedankengängen heraus
wurde die Überlegung geboren, daß wir so bald wie möglich auch im Rahmen der Bundesgesetzgebung zu einem umfassenden Berufsausbildungsgesetz kommen sollten, das die Berufsausbildung für die gesamte Wirtschaft einheitlich regelt. Diese Überlegung hat dazu geführt, hier, sagen wir, ein paar Pflock zurückzustecken und uns mit dem zu begnügen, was die Gewerbeordnung uns im Augenblick bietet. Sollte in diesem Zusammenhang sowohl an der Arbeit der Unterkommission als auch des Wirtschaftspolitischen Ausschusses Kritik geübt werden, so möge man diese Überlegungen berücksichtigen.
Im Gegensatz zu der Ordnung, die der Gesetzentwurf auf Drucksache Nr. 1428 in seinen einzelnen Abschnitten hat, geht der Entwurf, den der Ausschuß vorlegt, von der Berechtigung zum selbständigen Betrieb eines Handwerks und der Frage der Handwerksrolle aus, d. h. von der gesamten Ausübung des Handwerks; dann folgt zunächst die Berufsausbildung, anschließend die Organisation des Handwerks. Dies ist die Gliederung des vorliegenden Entwurfs.
Nun darf ich Sie vielleicht bitten, noch einmal zu der Frage der Verfassungsmäßigkeit hinsichtlich des bis zur Stunde in der britischen Zone geltenden Gewerbeverzeichnisses zurückzuschalten. Im Zusammenhang mit diesen Überlegungen ist die Frage aufgetaucht, ob, wenn entsprechend den Grundsätzen 1 bis 4, die im Schriftlichen Bericht unter Ziffer 3 zu ersehen sind, der Gesetzgeber die Berechtigung für eine solche Gesetzgebungsarbeit anerkennt, für den Gesetzgeber im Interesse -er Wahrung der grundgesetzlichen Bestimmungen nicht auch die Notwendigkeit bestand, von sich aus festzustellen, welche Gewerbe als Handwerk ausgeübt werden können. Diese Frage ist sowohl in der Unterkommission als auch im Wirtschaftsausschuß bejaht worden. Man hat es also abgelehnt, diese Dinge künftighin der Verwaltung zu überlassen. Man ist sich darüber klar, daß die Entwicklung, die neue Berufe schaffen oder alte Berufe zum Absterben bringen kann, nicht so schnell vor sich geht, daß nun von heute auf morgen durch eine Verwaltungsanordnung irgendwelche Änderungen der Positivliste erfolgen müßten, sondern daß das durchaus auf dem Weg der Ergänzung dieses Gesetzes, also durch eine Novelle, möglich ist. Neben der Frage der Verfassungsmäßigkeit hat uns letztlich auch diese Überlegung dazu gebracht, zu sagen: der Gesetzgeber hat die Verpflichtung, auch die Anlage zu diesem Gesetz, die Positivliste, von sich aus zu bestimmen. Wenn man sich in diesem Zusammenhang die Grundsätze, die zur Erstellung der Positivliste geführt haben — auch dann immer wieder der Gesichtspunkt des öffentlichen Interesses in den Vordergrund gestellt —, vor Augen hält, kann man natürlich fragen, ob in jeder einzelnen Ziffer die Positivliste für jeden einzelnen befriedigend ist. Daß solche Gesetze so oder so irgendwelche Mängel, schon allein wegen der Grenzfälle, aufweisen werden, ist eine ganz natürliche Sache. Darüber waren sich der Ausschuß und auch die Unterkommission im klaren.
In diesem Zusammenhang ist vielleicht noch einmal darauf hinzuweisen, daß wir bei der Positivliste von den heute gültigen Berufsbildern, die für die Ausbildung in den einzelnen Berufen maßgebend sind, ausgegangen sind und auch davon, daß diese Berufsbilder bei der Aufstellung der einzelnen Merkmale der Ausbildung in den einzelnen Lehrjahren die Berechtigung geben, eine drei- oder — wie auch im Gesetz gesagt — höchstens vierjährige Lehrzeit und über die Lehre hinaus eine Weiterentwicklung im Beruf im Sinne der Weiterbildung während der Gesellenzeit vorzusehen. Man muß sich aber darüber klar sein — und das gilt namentlich im Zusammenhang mit der Positivliste —, daß natürlich nicht irgendwelche Merkmale der Betriebsgröße ausschlaggebend sein können — das gilt auch für die Rechtsprechung —, sondern daß man hinsichtlich der Bestimmung, ob ein Gewerbe handwerklich ausgeübt werden kann, ob ein bestimmter Betrieb als Handwerksbetrieb anzusprechen ist oder nicht, die gewerbeüblichen Merkmale berücksichtigen muß. Man sollte nicht davon ausgehen — das möchte ich noch einmal mit allem Nachdruck sagen —, daß Kleingewerbebetriebe, die es zweifellos gibt und die äußerlich, durch ihre Größe vielleicht eine gewisse Ähnlichkeit mit Handwerksbetrieben haben, notwendigerweise Handwerksbetriebe sind. Sie können keine Handwerksbetriebe sein, wenn im Prinzip ihre Fertigung oder ihre Arbeitsweise eine industrielle ist. In der Positivliste wäre ein solches Beispiel bei den Wäscherei- und Plättereibetrieben und den heute im Vergleich dazu weitverbreiteten sogenannten Mietwaschküchen, Schnellwaschküchen, Waschsalons und was immer Sie in diesem Zusammenhang meinen zu sehen. Es gibt aber zweifellos, davon bin ich überzeugt, eine Reihe anderer Kleingewerbebetriebe — darüber war sich auch die Unterkommission klar —, die nicht notwendigerweise das Merkmal des Handwerksbetriebs tragen. Insoweit scheint es notwendig und richtig zu sein, künftighin dir. Dinge nach diesen gesetzlichen Bestimmungen sorgfältig zu prüfen.
In diesem Zusammenhang ist es erforderlich, noch auf einige Dinge einzugehen, die im Bericht schon enthalten sind und die mit der Selbstverwaltung im eigentlichen Sinne des Wortes, so wie sie sich im Ausschuß durch die Gestaltung der Kammer ergeben hat, zusammenhängen. Die Selbstverwaltungsorgane, das heißt die Handwerkskammern, die sich aus einem Drittel Gehilfen- oder Gesellenvertretern und zwei Dritteln Selbständigen zusammensetzen, sind für die im Handwerk insgesamt beschäftigten Selbständigen und Unselbständigen nach den im Gesetz festgelegten Grundsätzen tätig.
Nun ist im Ausschuß eine Überlegung erfolgt — die nicht in der Form zum Beschluß erhoben worden ist, das ist auch nicht im Bericht zum Ausdruck gebracht —, es ist von einer Seite im Ausschuß gesagt worden, daß es wünschenswert sei, auch dem Teil der Handwerksmeister, die als Alleinmeister ohne fremde Arbeitskraft tätig sind — wenn wir hier den Lehrling ausschalten, der ja seine Vertretung nicht in der Kammer findet —, bei der Vertretung in der Kammer eine entsprechende Berücksichtigung zuzugestehen. Man ist im Ausschuß durchaus der Auffassung gewesen, daß das möglich ist, zwar nicht auf gesetzlicher Basis; aber durch die berufliche Gliederung der Kammer und durch die entsprechende Gliederung der Berufsvertretung in der Kammer könnten die Handwerke, die im wesentlichen aus Einmannbetrieben bestehen, mitberücksichtigt werden, so daß sich also, wie auch im Bericht angedeutet, unter Umständen ein entsprechendes Verhältnis ergeben kann.
Weiterhin ist die Besetzung der Organe in der Kammer entsprechend der Aufteilung ihrer Vollversammlung im Gesetz festgelegt worden, wobei das Gesetz ausdrücklich sagt, daß einer der Stell-
vertreter des Präsidenten der Kammer ein Geselle sein muß. Auch hier könnte unter Umständen der Eindruck entstehen, wenn man den Bericht durchliest, daß der Ausschuß den Beschluß gefaßt hat, der erste Stellvertreter — wenn wir überhaupt von einem ersten und zweiten sprechen wollen — müsse unbedingt ein Geselle sein. Das ist in der Form festgehalten worden, daß man im Interesse der Beteiligung des Gesellen in der Gestaltung des Präsidiums diesem Gesichtspunkt in irgendeiner Weise Rechnung tragen möge.
Damit ist im wesentlichen dargelegt, was als Ergänzung zu dem Schriftlichen Bericht noch gesagt werden mußte. Man könnte natürlich noch eine Reihe von Ausführungen über die wirtschaftliche Bedeutung des Handwerks und die sich daraus ergebende Rechtfertigung dieser Gesetzgebung machen. Ich glaube, das sollten wir uns in diesem Zusammenhang ersparen. Auf einen Punkt möchte ich noch hinweisen; das darf ich, glaube ich, mit guter Berechtigung tun.
Bei der Frage der Ausnahmen, d. h. der Ausnahmebewilligung, wobei der Regelfall immer die Meisterprüfung ist, die für die selbständige Führung eines Betriebs nach § 1 dieses Gesetzes die entscheidende Voraussetzung ist, haben wir uns, wie schon in der ersten Beratung zum Ausdruck gebracht, sehr konkrete Vorstellungen darüber gemacht, welche Gruppen im einzelnen berücksichtigt werden sollen. Um uns nicht der Gefahr auszusetzen, einen unvollständigen Katalog zu machen, sind die Gruppen, die bei der Ausnahmebewilligung besonders berücksichtigt werden sollen, nur im Bericht genannt, aber mit der Maßgabe, daß die die Ausnahmebewilligung erteilende Stelle — die Ausnahmebewilligung beruht nach den gesetzlichen Bestimmungen auf einem Rechtsanspruch — sie entsprechend würdigt und berücksichtigt. Zu diesen Gruppen — und weil sie mir so besonders entscheidend erscheinen, möchte ich sie in der mündlichen Besprechung erwähnen — gehören die Heimatvertriebenen, die im übrigen ihre staatsbürgerliche Gleichstellung durch das Vertriebenengesetz erfahren haben, die Sowjetzonen-Flüchtlinge, die Spätheimkehrer, die politisch, rassisch und religiös Verfolgten des NS-Regimes und die Gruppe derer, die als Unselbständige im Handwerk oder in der Industrie in entsprechend verantwortlichen Stellungen tätig gewesen sind. Ebenso gehören hierher diejenigen, die einen anderen Ausbildungsgang als Lehrzeit, Gesellenprüfung, Gesellenzeit hinter sich gebracht haben, und zwar durch den Besuch von Technischen Hochschulen, anerkannten höheren technischen Lehranstalten oder anerkannten Fachschulen oder höheren Fachschulen. In diesen Gruppen sind die Heimatvertriebenen genannt, und es sind — ob berechtigt oder unberechtigt, will ich in diesem Zusammenhang nicht untersuchen — auch während der Verhandlungen im Ausschuß Wünsche laut geworden, die eine besondere Berücksichtigung der Heimatvertriebenen in den Organen des Handwerks sicherstellen wollten. Der Ausschuß hat sich dazu in der Erwägung, daß die Heimatvertriebenen, wenn ihre Verwurzelung und Eingliederung erfolgt ist, durch die Gleichstellung mit den Einheimischen auch ohne weiteres das Recht der Vertretung in den Organen der Selbstverwaltung haben, nicht bereit finden können.
Da jedoch seitens der Heimatvertriebenen solche Befürchtungen ausgesprochen worden sind, darf man hier, glaube ich, ohne die Kompetenz als
Berichterstatter zu überschreiten, an die Organe, die dafür im Rahmen der handwerklichen Organisationen einschließlich der handwerklichen Selbstverwaltung zuständig sind, den Wunsch und auch die Bitte richten, zu verhindern, daß die Heimatvertriebenen durch mögliche psychologisch falsche Behandlung durch die Einheimischen bei den Vertreterwahlen zu den Vollversammlungen in eine Abwehrstellung getrieben werden. Dies ist, vom Sektor des Handwerks einmal ganz abgesehen, auch im allgemeinen einer entsprechenden Eingliederung in den Volkskörper nicht zuträglich. So haben also auch in diesem Zusammenhang die Organisationen und Organe des Handwerks, so wie sie nach diesem Gesetz geschaffen werden sollen, weitgehende Verantwortung mit zu übernehmen.
Ich darf Sie namens des Ausschusses bitten, den Gesetzentwurf, der im übrigen nicht in allen Teilen hundertprozentige Zustimmung gefunden hat, wie auch aus dem Bericht zu ersehen ist, in der Ihnen vorliegenden Fassung anzunehmen. Dabei möchte ich noch einmal nachdrücklich betonen, daß es hier darauf ankam, durch entsprechende Bestimmungen die Berufsausbildung im Interesse der Leistungsfähigkeit einmal des Handwerks, zum andern aber auch unserer übrigen Wirtschaft, deren qualifizierte Facharbeiter zu einem wesentlichen Teil im Handwerk ausgebildet werden, bis zum Befähigungsnachweis sicherzustellen. Darüber hinaus kam es darauf an, die Organisationen und die Selbstverwaltung des Handwerks bundeseinheitlich gesetzlich zu regeln, um, wie in diesem Hause übereinstimmend festgestellt worden ist, von dem unbefriedigenden Zustand der Rechtszerplitterung abzukommen.
Weiterhin darf ich Sie bitten, dem unter Ziffer 2 gemachten Vorschlag zuzustimmen, die Anträge auf Drucksachen Nrn. 94, 1016 und 1017 für erledigt zu erklären, wobei ich für die Drucksache Nr. 1016 eine Einschränkung machen möchte. Das ist eine redaktionelle Angelegenheit. Nach „Nr. 1016 der Drucksachen" soll eingefügt werden: „in den Nrn. 1 a) und 2", weil der Antrag Drucksache Nr. 1016 gleichzeitig noch einen Stoff behandelt, der nicht in der Handwerksordnung geregelt worden ist und auch nicht geregelt werden konnte, nämlich das Ersuchen, Rechtsgrundsätze für die Untersagung eines Gewerbebetriebes in dem Gesetz aufzustellen. Dieser Punkt ist also noch offen, und wir sollten ihn aus redaktionellen Gründen nicht für erledigt erklären.
Ferner wird beantragt, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären.
Damit glaube ich meine Aufgabe als Berichterstatter erfüllt zu haben. Ich kann das Hohe Haus nur bitten, über die Arbeit sowohl der Unterkommission, als auch des wirtschaftspolitischen Ausschusses jetzt sein Urteil zu fällen.
Dabei möchte ich als, sagen wir, höflicher Berichterstatter nicht unerwähnt lassen, daß, obwohl es sich um einen Initiativentwurf handelt, der aus der Mitte des Hauses gekommen ist, auch die Vertreter der einzelnen Ministerien an diesem Gesetz ihr gerüttelt Maß Arbeit mit geleistet haben,
und zwar im wesentlichen diejenigen, die im Referat Handwerk, jetzt Unterabteilung Handwerk, des Wirtschaftsministeriums tätig sind, darüber hinaus aber auch die Herren des Justizministeriums und des Arbeitsministeriums.
Ich bitte Sie noch einmal, entsprechend dem Ausschußantrag verfahren zu wollen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ehe ich weiter das Wort gebe, möchte ich darauf hinweisen, daß wir in der zweiten Beratung keine allgemeine Aussprache führen, sondern die Darlegung der allgemeinen Grundsätze strikt auf die Generalaussprache zur dritten Lesung beschränken sollten.
Das Wort hat Herr Staatssekretär Westrick.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor der zweiten Beratung des vorliegenden Gesetzentwurfs zur Ordnung des Handwerks möchte ich nur kurz grundsätzlich erklären, daß die Bundesregierung seit geraumer Zeit die Ungleichheit im Handwerksrecht innerhalb der verschiedenen Besatzungszonen mit ernster Sorge beobachtet und verfolgt hat. Sie begrüßt daher den vorliegenden Gesetzentwurf, bei dessen Ausarbeitung — wie der Herr Berichterstatter soeben dankenswerterweise erwähnt hat — die . Vertreter der Bundesregierung intensiv mitgewirkt haben.
Der Entwurf setzt — und das ist einer der Kernpunkte des Gesetzes — für die Ausübung des Handwerks den Nachweis der Befähigung voraus und gewährleistet damit, und zwar unter Ausschluß zünftlerischer Auswüchse, den Wettbewerb unter echten Könnern. Damit ist nach Meinung der Bundesregierung sowohl dem Handwerk, aber auch der Gesamtwirtschaft und damit nicht zuletzt den Verbrauchern am besten gedient.
Wir treten in die Einzelberatung ein.
Ich rufe § i auf. Hierzu ist ein Änderungsantrag
— zu Anlage A, auf die § 1 Bezug nimmt — auf Umdruck Nr. 853 Ziffer 1 angekündigt. Auf eine besondere Begründung wird wohl verzichtet?
— Ich bitte um Entschuldigung; Änderungsanträge werden normalerweise doch zur zweiten Lesung gestellt.
— Sie wollen ihn erst zur dritten Lesung stellen. Ich verstehe nicht ganz die Ratio und die Strategie dieser Absicht.
1. — Keine Wortmeldungen. §§ 2, — 3, — 4, —5, -6, -7, -8, -9, — 10,— 11,— 12,-13,-
14, -15, -16, -17,— 18,— 19, -20, -21, -
22, — 23, — 24, — 25. — Wer für die bisher verlesenen Paragraphen ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Zu § 26 ist ein Änderungsantrag auf Umdruck Nr. 850 Ziffer 1 angekündigt. Das Wort hat der Abgeordnete Lange.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der sozialdemokratischen Fraktion beantrage ich, in § 26 den Satz 2 zu streichen. Sosehr bei § 26 Satz 2 die Überlegung für den Ausschuß eine Rolle gespielt haben mag, daß die Abwerbung von Lehrlingen verhindert werden soll, so sehr ist aber auch zu betonen, daß im Grunde genommen keine Gleichberechtigung zwischen den Beteiligten, die den Lehrvertrag abgeschlossen haben, besteht, da der Lehrherr, der den Bestimmungen des § 26 Satz 2 zuwiderhandelt, nach § 111 nur wegen einer Ordnungswidrigkeit belangt wird. Die Verweisung des Lehrlings auf neun Monate bedeutet praktisch eine Verrufserklärung, also eine Bestrafung des Lehrlings, die sich viel härter für ihn auswirkt als das, was dem Arbeitgeber geschieht, der einen Lehrling entgegen § 26 Satz 2 beschäftigt.
Wenn man sagt: der Erziehungsberechtigte — also Vater, Mutter oder Eltern — unterzeichnet neben dem Lehrling den Lehrvertrag und sollte sich der Tragweite solcher Verträge und Vereinbarungen bewußt sein, so muß man berücksichtigen, daß, wenn sich ein Elternteil oder ein Erziehungsberechtigter dieser seiner Verantwortung nicht bewußt ist, der Leidtragende nach wie vor der junge Mensch bleibt. Es gibt psychologische Gründe, Unwägbarkeiten, einen Lehrvertrag aufzulösen unter Umständen, die vielleicht nicht notwendigerweise gesetzlich gedeckt sind. Auf Grund der Bestimmung des § 26 Satz 2 wäre der junge Mensch dann gezwungen, in einen Beruf zu gehen, der ihm nicht liegt, obwohl er nur aus einem bestimmten Betrieb heraus möchte, weil er dort vielleicht mit den Leuten nicht auskommt. Dieser Lehrling wäre durchaus imstande, seine Lehre im selben Beruf in einem anderen Betrieb in befriedigender Form zu Ende zu führen.
Um zu verhindern, daß der Lehrling als der im Grunde genommen schwächste Teil hier das Opfer einer gesetzlichen Bestimmung wird, die nicht im Interesse der Förderung unserer Jugend liegt, beantragt die sozialdemokratische Fraktion, den Satz 2 des § 26 zu streichen. Ich bitte, unserem Antrag aus den genannten Erwägungen zuzustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmücker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf zunächst erläutern, weshalb wir unsere Anträge gerade für die dritte Lesung vorgemerkt haben. Wir wollten unterbinden, daß die Antragsteller von ganz links, die auf Umdruck Nr. 854 eine umfangreiche Liste vorgelegt haben, am Ende in der Lage sind, die dritte Lesung zu verhindern.
Nun zu den Ausführungen des Kollegen Lange! In § 26 wird festgelegt, daß ein Lehrling, wenn er in einen anderen Beruf hinüberwechseln will, das nach einer Frist von vier Wochen tun kann. Sollte er aber dieses Hinüberwechseln dazu mißbrauchen, nur die Lehrstelle aufzugeben und dann im gleichen Beruf irgendwo anders wieder anzufangen, so scheint es uns geboten, hier eine gewisse Frist zu setzen. Die frühere Frist betrug zwölf Monate; sie ist jetzt auf neun Monate herabgesetzt. Ich darf erklären, daß wir, wenn es dem Zustandekommen einer größeren Mehrheit — die für dieses Gesetz zu wünschen wäre — dient, bereit sind, in der dritten Lesung auf sechs Monate zurückzugehen. Ich möchte Sie aber bitten, den vorliegenden Änderungsantrag aus den von mir erwähnten Gründen abzulehnen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Dann stimmen wir ab über den Änderungsantrag auf Umdruck Nr. 850 Ziffer 1 auf Streichung des zweiten Satzes des § 26. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich lasse nunmehr abstimmen über die §§ 26, —27, — 28, — 29 — in der Ausschußfassung. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle die Annahme fest.
Auf Umdruck Nr. 850 Ziffer 2 ist ein Antrag angekündigt, der die Einfügung eines § 29 a bezweckt. Zur Begründung der Abgeordnete Lange.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben im § 29 die Möglichkeit, das Mißverhältnis der Zahl der in einem Betrieb Beschäftigten zu Art und Umfang dieses Betriebes irgendwie zu regulieren, wenn durch dieses Mißverhältnis die Ausbildung des Lehrlings oder der Lehrlinge gefährdet erscheint. Das ist eine Sache, die wir akzeptiert haben und die unwidersprochen bleibt. Es erscheint darüber hinaus aber aus einer Reihe von volkswirtschaftlichen Überlegungen und auch aus Überlegungen, die durchaus das Interesse des einzelnen Auszubildenden berühren, wünschenswert und notwendig, die oberste Landesbehörde in den Stand zu versetzen, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, durch die für die einzelnen Handwerker eine volkswirtschaftlich gerechtfertigte und im Interesse der Lehrlinge liegende umfassende Berufsausbildung gesichert wird. Man sollte dabei daran denken, die jungen Leute durch entsprechende Berufsberatung auf Grund arbeitsmarktpolitischer Beobachtungen so aufzuklären, daß nicht in das eine oder andere auch heute schon anerkanntermaßen nicht mehr zukunftsträchtige Handwerk übermäßig Lehrlinge hineinkommen, weil sonst die Gefahr besteht, daß hier junge Menschen nach der Ausbildung kein Unterkommen in ihrem erlernten Beruf finden und in dem Zusammenhang — da eine Berufsausbildung von der betrieblichen Seite her auch eine Investitionsfrage ist — volkswirtschaftlich nutzlos Mittel vertan werden. Um das zu verhindern, soll — ohne daß wir in diesem Zusammenhang aber an eine Kontingentierung oder an einen Numerus clausus denken — die oberste Landesbehörde nach diesem unserem Vorschlag in den Stand versetzt werden, die für die Erreichung dieses Zweckes geeignet erscheinenden Maßnahmen ohne Tangierung des Grundgesetzes zu ergreifen.
Es bestand — das darf ich in diesem Zusammenhang sagen — im Ausschuß die übereinstimmende Auffassung, daß eine solche gesetzliche Bestimmung wünschenswert wäre. Die Überlegungen gingen einfach dahin, wie weit sie Art. 12 des Grundgesetzes tangieren könne. Die sozialdemokratische Fraktion glaubt Ihnen diese Formulierung vorschlagen zu können, ohne Gefahr zu laufen, irgendwie den Grundsatz, daß die Handwerksordnung mit dem Grundgesetz vereinbar sein muß, zu verletzen.
Ich bitte Sie also auch hier, unserem Antrage, der an sich, soweit ich unterrichtet bin, auch einem Ihrer Wünsche entspricht, zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Stücklen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Prinzip sind wir mit der Auffassung des Kollegen Lange einverstanden. Aber wir haben im Wirtschaftspolitischen Ausschuß diesen Paragraphen — damals 31 — eingehend besprochen, und von seiten des Justizministeriums wurden ernsthafte Bedenken erhoben, die dahin gingen, daß wir durch die Einschränkung der Berufswahl den Art. 12 des Grundgesetzes verletzen würden und das Gesetz damit verfassungswidrig würde. Da wir wissen, daß unsere Gesetze — das hat die letzte Zeit besonders gezeigt — karlsruhesicher sein müssen, sehen wir uns leider gezwungen, zu empfehlen, den § 29 a abzulehnen. Ich bin gern bereit, mich zwischen der zweiten und dritten Lesung mit dem Herrn Kollegen Lange als Vertreter der SPD noch einmal auseinanderzusetzen.
Wir könnten uns überlegen, ob nicht eine Formulierung wie z. B. folgende gebracht werden kann:
Die oberste Landesbehörde kann im Interesse
einer ordnungsgemäßen Ausbildung des Nachwuchses Lehrlingshöchstzahlen für einzelne
Handwerke durch Rechtsverordnung festsetzen.
Die Formulierung des § 29 a in Umdruck Nr. 850
Ziffer 2 ist unter gar keinen Umständen tragbar.
Keine weiteren Wortmeldungen? — Das Wort hat der Abgeordnete Lange.
Meine Damen und Herren! Zuvor eine kurze Bemerkung. In der Formulierung, die Herr Abgeordneter Stücklen jetzt gebracht hat, erscheint wieder der Begriff „Lehrlingshöchstzahl", und der erscheint mir nach all den Überlegungen, die wir angestellt haben, unter keinen Umständen akzeptabel, so daß das also keine Basis der Verständigung wäre. Ich bitte zu überlegen, ob wir nicht zwischen der zweiten und dritten Lesung zu einer Formulierung kommen können, ohne den Begriff „Lehrlingshöchstzahlen" zu verwenden.
Keine weiteren Wortmeldungen. — Wir kommen zur Abstimmung. Wer für die Annahme des Ergänzungsantrags Umdruck Nr. 850 Ziffer 2 auf Einfügung eines § 29 a ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Letzteres ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe §§ 30 bis 42 auf. Der nächste Änderungsantrag ist erst bei § 43 angekündigt. — Wer für die Annahme dieser Bestimmungen ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Zu § 43 ist in Ziffer 3 des Umdrucks Nr. 850 ein Änderungsantrag angekündigt. Das Wort dazu hat der Abgeordnete Lange.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie — so darf ich vermuten — die Damen und Herren des Hohen Hauses aus dem Bericht ersehen haben, ist über die Zusammensetzung des Meisterprüfungsausschusses sowohl in der Unterkommission als auch im Wirtschaftsausschuß keine Einigung erzielt worden. Es kommt der sozialdemokratischen Fraktion darauf an, den Meisterprüfungsausschnß weiter oder stärker zu neutralisieren, als das nach ihrer Meinung in der gegenwärtigen Fassung geschehen ist.
Aus diesem Grunde schlagen wir vor, daß der Vorsitzende des Meisterprüfungsausschusses — das
gilt für den Abs. 2 — als Vertreter des öffentlichen Interesses im Meisterprüfungsausschuß die Rechte und Pflichten der höheren Verwaltungsbehörde wahrnimmt.
Weiter schlagen wir vor, an diesen Vorsitzenden die Eigenschaften des Beisitzers zu binden, der in § 43 Abs. 5 genannt ist, der also für die Abnahme der Prüfung in der wirtschaftlichen Betriebsführung sowie in den kaufmännischen und allgemeintheoretischen Kenntnissen besonders sachkundig sein soll. Wir glauben, wenn darüber hinaus die beiden Meisterbeisitzer als Vertreter der selbständigen Gewerbetreibenden und zwei sogenannte Meistergesellen als Beisitzer der Unselbständigen im Ausschuß mitwirken, daß damit die entsprechende Neutralisierung dieses von der höheren Verwaltungsbehörde auf Vorschlag der Handwerkskammer zu errichtenden Meisterprüfungsausschusses gegeben ist.
Uns liegt daran, von dem Ausschuß den Verdacht zu nehmen — der leider in der Öffentlichkeit in einer Reihe von Fällen immer wieder aufgetaucht ist —, daß er mit der Abnahme der Prüfung —Befähigungsnachweis — so etwas Ähnliches wie eine versteckte Bedürfnisprüfung verbinden wolle. Der Vorschlag, den Sie unter Ziffer 3 unseres Antrages vorliegen haben, sollte dazu dienen, dieses Argument restlos zu beseitigen und den Ausschuß stärker zu neutralisieren. Dabei würde dann der Abs. 2 zu ändern sein, und ebenso würden nach Abs. 4 statt eines Beisitzers künftighin zwei Beisitzer tätig sein. Es heißt in unserem Antrag: „Zwei Beisitzer sollen Gesellen sein .". Abs. 5 würde dann wegfallen und Abs. 6 würde unverändert Abs. 5.
Auch hier bitte ich um Zustimmung.
Das Wort hat der Abgeordnete Günther.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bitte im Namen meiner Freunde, diesen Antrag abzulehnen, und zwar aus folgenden Gründen. Derjenige, der nicht eingeweiht ist, wird sich sagen: es ist kein allzugroßer Unterschied. Ich glaube, daß zwischen beiden Fassungen in der Gesinnung der Unterschied auch nicht allzugroß ist. Aber es machen sich zum großen Teil technische Schwierigkeiten breit. Die Meisterprüfungskommissionen in der Form, in der sie im Augenblick wirken, sind 50 Jahre alt und haben sehr gut gewirkt. Dadurch haben sie draußen überall ein sehr gutes Ansehen. Nachdem nun die Diskussion um den großen Befähigungsnachweis entfacht war, kamen gewisse Kreise, die sagten, es bestünde die Gefahr, daß die Meister in den Meisterprüfungskommissionen unter sich wären. Dadurch könnten sie unter Umständen das Selbständigmachen einengen. Um dieser Gefahr zu begegnen, haben meine Freunde und ich in der Handwerksorganisation den Grundsatz bejaht, daß man diese Ausschüsse so weit wie möglich neutralisieren sollte. Zu diesem Grundsatz haben wir schon damals absolut ein Ja gesagt, als wir in Frankfurt bei dem Gesetz über die Gewerbezulassung, das allerdings von den Alliierten nicht genehmigt wurde, einen Gesellenbeisitzer mit Meisterprüfung in die Meisterprüfungskommission hineinbeordern wollten. Das Gesetz ist leider damals nicht zustande gekommen.
Heute stehen wir auf dem Standpunkt, daß ein Gesellenbeisitzer mit dabei sein soll. Wir haben —
und da spreche ich aus der Erfahrung des Kammerbereiches, in dem ich die Ehre habe, Vorsitzender zu sein — schon bei einer Reihe von Berufen und bei einer Reihe von Prüfungskommissionen Gesellenbeisitzer wirken und sind mit diesen auch sehr gut gefahren. Aber wir haben — und jetzt kommt die technische Seite und die schwierige Seite — die Feststellung machen müssen, daß in einer ganzen Reihe von Berufen überhaupt kein Gesellenbeisitzer aufzutreiben ist, der die Meisterprüfung hat, weil erfahrungsgemäß sehr viele Gesellen — vor allem in den schwachen Berufen —, wenn sie einmal die Meisterprüfung haben, sich sofort selbständig machen. Dadurch sind dann keine Gesellenbeisitzer vorhanden.
In den größeren Berufen, in denen tatsächlich einige vorhanden sind, spielt ein anderes Problem eine Rolle. Nicht jeder, der ein tüchtiger Fachmann ist und vielleicht sogar seine Prüfung „mit Auszeichnung" oder „Sehr gut" bestanden hat, ist in der Lage, Prüfungsmeister zu sein. Nach den Erfahrungen, die die Handwerkskammern im Laufe von 50 Jahren gesammelt haben, kann man sagen, daß bestimmte Prüfungsmeister sich eine gewisse Erfahrung aneignen und daß es Jahre dauert, bis man hier die richtigen Leute herausfindet, die die besten Meisterprüfer abgeben.
Bei den Gesellen ist das Problem wesentlich schwerer. Sie können ihre Prüfungstermine nicht immer wahrnehmen, weil erfahrungsgemäß der Gesellenbeisitzer, der schon die Meisterprüfung hat, aber noch in einem Betrieb in abhängiger Stellung tätig ist, sich nicht immer so freimachen kann wie der Meister, der in seinem eigenen Betrieb disponieren kann. Wir stehen auf dem Standpunkt, daß wir dadurch, daß auf der einen Seite ein Gesellenbeisitzer dabei ist und auf der andern Seite einer mitwirkt, der nicht selbständig ist, der beispielsweise die kaufmännische Prüfung abnimmt, und dadurch, daß auch der Vorsitzende nicht immer ein Handwerksmeister zu sein braucht, das Prinzip schon weitgehend durchbrochen haben. Wir haben z. B. im Baugewerbe, beim Zimmergewerbe und bei den Schornsteinfegern einen Oberbaurat, der Beamter der Stadt Köln ist, der in der Meisterprüfungskommission seit Jahren den Vorsitz innehat. Ich halte es auch für richtig, daß in dieser Weise weiterhin gearbeitet wird.
Ich würde Ihnen also empfehlen, diesen Änderungsantrag abzulehnen. Wir kommen zu dieser Auffassung weniger aus Meinungsverschiedenheiten in der Gesinnung, als vielmehr dadurch, daß diese Regelung in der Praxis wirklich nicht durchführbar ist, weil wir in den meisten Berufen den zweiten Gesellen gar nicht auftreiben können. Auf der andern Seite ist es doch auch so, daß man gar nicht absolut von einer parteimäßigen Einstellung meinetwegen von Arbeitgebern oder von Arbeitnehmern reden kann. Es kommt darauf an, daß Prüfungsmeister in die Prüfungsausschüsse geschickt werden, die wirklich die Gewähr bieten, daß dem Prüfling absolut Recht und Gerechtigkeit angedeihen lassen und seine Leistungen entsprechend zensieren.
Ich möchte das Hohe Haus bitten, den vorgelegten Antrag abzulehnen und der Ausschußfassung die Zustimmung zu geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Nöll von der Nahmer.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren! Zweifellos handelt es sich bei § 43 um eine sehr wesentliche Bestimmung des Gesetzes. Wenn wir uns aus wohlerwogenen Gründen einmütig grundsätzlich für den großen Befähigungsnachweis aussprechen, gehen wir selbstverständlich von der Voraussetzung aus, daß die Prüfungskommissionen absolut zuverlässig arbeiten. Ich glaube, die immer wieder geäußerte Befürchtung, daß die Prüfungskommissionen nicht objektiv urteilten, ist doch wohl nicht berechtigt. Man braucht deshalb wohl auch keine Furcht zu haben, daß die Bestimmungen des § 43, wie sie uns jetzt vorliegen, nicht ausreichen würden. Die obere Verwaltungsbehörde beruft doch schließlich die Mitglieder, die von den Handwerkskammern vorgeschlagen werden. Wenn in die Prüfungskommissionen Persönlichkeiten kommen, die ihr hohes und verantwortungsvolles Amt, wie es jeder Prüfungskommission übertragen ist, nicht objektiv ausüben, sind sie fehl am Platz. Dann wird man durch eine Ergänzung in personeller Beziehung für die nötige Ordnung sorgen können.
Ich kann dem Herrn Kollegen Lange und dem uns vorgelegten Änderungsantrag bezüglich des Abs. 2 von § 43 nicht ganz zustimmen; denn es heißt im Änderungsantrag, daß der Vorsitzende „als Vertreter des öffentlichen Interesses" im Meisterprüfungsausschuß die Rechte der Verwaltungsbehörde wahrnimmt. Wir müssen uns doch wohl auf den Standpunkt stellen, daß jedes Mitglied einer Prüfungskommission, ganz gleichgültig, ob es bei der Meisterprüfung, bei einem Abiturientenexamen oder einem akademischen Examen tätig wird, im öffentlichen Interesse tätig wird. Es ist eben ein öffentliches Amt, das hier ausgeübt wird. Insofern können meine Freunde die dem Änderungsantrag zugrunde liegende Auffassung nicht teilen.
Der Wunsch nach weitgehender Neutralisierung des Vorsitzenden ist schon erwähnt worden. Aber gerade diese Frage, die ich für sehr wichtig halte, scheint mir in dem Kompromißvorschlag des § 43 in der Ausschußfassung eigentlich zweckmäßig gelöst. Es heißt in Absatz 2 — der keine einmütige Billigung in Handwerkskreisen gefunden hat, aber er ist nun einmal vom Ausschuß beschlossen worden! —, daß der Vorsitzende nicht Handwerker zu sein braucht; dann heißt es sogar weiter:
er soll dem Handwerk, für welches der Meisterprüfungsausschuß errichtet ist, nicht angehören.
Danach besteht durchaus die Möglichkeit, daß die obere Verwaltungsbehörde entsprechend den Wünschen der Kollegen von der SPD dem Mitglied der Prüfungskommission, das in Absatz 5 der Ausschußvorlage erwähnt wird, den Vorsitz überträgt und es speziell die betriebswirtschaftliche Prüfung zu übernehmen hat. Meines Wissens geschieht das auch schon bisher gelegentlich.
Wenn ich die Änderungswünsche objektiv prüfe und mit der Vorlage des Ausschusses vergleiche, erscheinen mir die bestehenden Differenzen so gering, daß meine Freunde keine Veranlassung sehen, von dem Ausschußvorschlag abzuweichen. Auch wir sind daher der Ansicht, daß wir den § 43 in der Ausschußvorlage annehmen sollten.
Keine weiteren Wortmeldungen? — Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer für die Annahme des Änderungsantrags Umdruck Nr. 850 Ziffer 3 ist, den bitte ich
um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das letzte war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich lasse nunmehr abstimmen über die §§ 43 bis 48 einschließlich. Wer für die Annahme dieser Bestimmungen ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Zu § 49 ist ein Änderungsantrag auf Umdruck Nr. 850 Ziffer 4 angekündigt. Das Wort hat Herr Abgeordneter Lange.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte, mir zunächst eine Bemerkung als Berichterstatter zu gestatten. Herr Kollege Nöll von der Nahmer hat hier wieder den Begriff des großen Befähigungsnachweises hineingebracht. — Moment, nicht abwinken, Herr Stücklen! Wir sind uns ausdrücklich darüber klargeworden, daß wir den einen ungeteilten Befähigungsnachweis, der praktisch den kleinen und den großen Befähigungsnachweis umfaßt, verankern wollen, so daß also künftighin nur von d e m Befähigungsnachweis die Rede zu sein braucht.
— Vielleicht gewöhnt man sich auch einmal wieder einen neuen Sprachgebrauch an.
Nun zu § 49; aber auch noch einmal als Berichterstatter, um das Haus davor zu bewahren, daß zu gegebener Zeit irgendwelche Spaßvögel mit dem Hause ihren Scherz treiben. Ich würde empfehlen — das scheint mir redaktionell notwendig zu sein —, in § 49 Abs. 1 Ziffer 3 zu sagen:
entsprechend den Vorschriften der Handwerkskammer die Lehrlingsausbildung zu regeln
und zu überwachen sowie für die technische
und gewerbliche Ausbildung und sittliche Erziehung der Lehrlinge zu sorgen.
Diese Änderung gilt gleichzeitig für § 62 Abs. 2 Ziffer 2. Damit ist diese Unschönheit aus dem Wege geräumt.
Nun darf ich mich als Sprecher meiner Fraktion zu dem von uns gestellten Antrag äußern. Wir sind der Meinung, daß, wenn es in Ziffer 3 des § 49 Abs. 1 heißt:
Insbesondere hat sie
entsprechend den Vorschriften der Handwerkskammer die Lehrlingsausbildung zu regeln und zu überwachen,
das, was in dem Nachsatz enthalten ist, gedeckt
wird. Aus diesem Grunde beantragen wir, den
Nachsatz von dem Worte „sowie" ab zu streichen.
Darüber hinaus könnte es, soweit es sich um die sittliche Erziehung handelt, wenn wir an solche Lehrlinge denken, die nicht in den Familienverband des Lehrherrn aufgenommen sind, unter Umständen Meinungsverschiedenheiten mit den Erziehungsberechtigten hinsichtlich der Erziehungsgrundsätze geben. Um diesen Schwierigkeiten aus dem Wege zu gehen — als zusätzliches Argument —, empfehlen wir ebenfalls, den Nachsatz von „sowie" ab zu streichen.
Ich bitte, sich diese Erwägungen zu eigen zu machen und unserem Antrage zuzustimmen.
Keine Wortmeldungen? — Herr Abgeordneter Becker.
Meine Damen und Herren! Wir bitten, dem Änderungsantrag nicht
stattzugeben. Ich glaube, daß die Verfasser dieses Paragraphen sich doch etwas gedacht haben.
— Ja, das möchte ich schon glauben. Diejenigen, die etwas mit dem Organisationsleben des Handwerks vertraut sind, wissen schon, daß die Handwerker nicht so sehr erbaut sind, in einem Gesetz lediglich als — sagen wir einmal — Befehlsempfänger oder als Weisungsempfänger zu gelten wie in diesem Falle. Denn die Handwerker haben nun einmal die Meinung, daß die Innungen das Herz der handwerklichen Organisation sind und daß sich auf den Innungen alles Weitere aufzubauen hat. Daß wir selbstverständlich mit den Handwerkskammern und den Kreisinnungsverbänden auf das engste zusammenarbeiten, braucht hier nicht erwähnt zu werden. Die Handwerkskammern wollen das ja gar nicht anders; sie wollen ja hier mit uns zusammenarbeiten. Nach meiner Ansicht sind auch die Innungen mit den einzelnen Betrieben naturgemäß viel enger verbunden und können deshalb eher etwas ab- oder zugeben als andere. Ich möchte meinen, daß gerade diese Formulierungen für den Lehrling und für seine Ausbildung außerordentlich wichtig sind. Denn das Lehrverhältnis ist nach unserer Auffassung nun einmal ein Ausbildungs- und Erziehungsverhältnis.
— Ja, gut; ich weiß, daß hier unsere Meinungen auseinandergehen. Viele von Ihnen sagen: „nur ein Arbeitsverhältnis"; darin unterscheiden wir uns von Ihnen. Wenn hier ein Erziehungsverhältnis verankert ist, dann dürfte darin, glaube ich, auch die sittliche Erziehung ihren Platz haben.
Ich meine, auf diesem Gebiet wird, allgemein gesehen, eher zuwenig als zuviel getan. Ich möchte weiter meinen, daß das, was Kollege Lange hier anklingen ließ, daß Lehrherren und Eltern oder sonstige Erziehungsberechtigte hinsichtlich der Erziehungsmethoden in Widerspruch geraten könnten, nicht unbedingt eintreten muß.
Deshalb sollten wir die vorliegende Fassung belassen. Ich bitte, den Änderungsantrag der SPD abzulehnen.
Weitere Wortmeldungen liegen offenbar nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung. Wer für den Antrag Umdruck Nr. 850 Ziffer 4 ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Letzteres war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe zur Abstimmung auf die §§ 49 bis 61. Dazu liegen keine Änderungsanträge vor. Wer für die Annahme dieser Bestimmungen ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Das erste war die Mehrheit; diese Paragraphen sind angenommen.
Zu § 62 liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck Nr. 850 Ziffer 5 vor. Herr Abgeordneter Lange, begründen Sie diesen Antrag?
— Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie haben aus der bisher abgelaufenen Abstimmung erkannt, daß auch von meiner Fraktion dem § 48 die Zustimmung gegeben worden ist, der lautet:
Die Handwerksinnung ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Sie wird mit Genehmigung der Satzung rechtsfähig.
Nun verbindet sich mit der Handwerksinnung und der ihr übergeordneten Organisation, nämlich dem sogenannten Landesinnungsverband, die Frage der Tariffähigkeit. Wir waren — das geht aus dem Ausschußbericht hervor — der Meinung, im Zusammenhang mit der Tariffähigkeit der Innungen und damit der Sicherung eines Tarifvertragskontrahenten nach dem Tarifvertragsgesetz gegenüber den Gewerkschaften erhebliche Bedenken gegen die Rechtsnatur der Innung als öffentlich-rechtliche Körperschaft anmelden zu müssen. Durch die Abstimmung haben Sie gesehen, daß man diese Bedenken, die noch nicht restlos ausgeräumt sind, jedenfalls zurückgestellt hat. Damit hat sich aber gleichzeitig bei der sozialdemokratischen Fraktion die Vorstellung verbunden — das ging auch durch die Diskussion in der Unterkommission und im wirtschaftspolitischen Ausschuß —, daß es dann notwendig ist, da man ja im besonderen seitens der Innungen, der Handwerksorganisation, von den Handwerkskammern als den eigentlichen Selbstverwaltungsorganen abgesehen, besonderen Wert darauf legte, das Berufsausbildungs- und Prüfungswesen kraft eigenen Rechtes, zwar nach den Vorschriften der Handwerkskammer, zu erledigen, den Gesellen breiteren Raum bei den Innungen zu geben. Nun, dazu sollte und wollte man dann den Gesellenausschuß, so wie er sich heute aus der Gewerbeordnung — § 95 und folgende — darstellt, in das Gesetz hineinbringen. Das ist soweit geschehen.
Aber nach der Meinung der sozialdemokratischen Fraktion reicht das für die Mitwirkung oder Beteiligung des Gesellenausschusses nicht aus. Aus diesem Grunde haben wir die auf Umdruck Nr. 850 vorliegende Fassung vorgeschlagen, wobei wir davon ausgegangen sind, daß die Beteiligung des Gesellenausschusses die Überlegung rechtfertigt, daß all das, was geeignet ist, die Wirtschaftskraft des Handwerks und damit eben auch seiner Betriebe insgesamt zu stärken, damit gleichzeitig zu einer erhöhten Sicherung der Arbeitsplätze beizutragen, mittelbar und unmittelbar auch die Gesellen angeht. Will man, was einige Sprecher der Koalition schon sehr deutlich zum Ausdruck gebracht haben, ein gutes Verhältnis zwischen Meistern und Gesellen herstellen und will man darüber hinaus auch die Gesellen als den unselbständigen Teil im Handwerk stärker am Gesamtgeschehen des Handwerks, vor allem soweit es das wirtschaftspolitische Geschehen angeht, interessieren, dann soll man hier den Beweis dafür erbringen; denn hier haben Sie die Möglichkeit, das zu tun, ohne die Tariffähigkeit der Innung und der Landesinnungsverbände zu gefährden. Die ureigensten Interessen der Selbständigen werden nämlich durch die Bestimmung des § 62 Abs. 2 in der von uns vorgeschlagenen Fassung nicht beeinträchtigt. Es liegt also an Ihnen, hier zu beweisen, daß es ihnen seitens der Selbständigen nicht nur auf die unbestrittene Führung im Handwerk im — das unterstelle ich jetzt einmal — guten patriarchalischen Sinn ankommt, so wie das von Ihren Sprechern zu einem Teil schon gesagt worden ist — nicht heute, sondern in der ersten Lesung und in der Handwerksdebatte des vergangenen Jahres —, daß Sie aber diesen Ihren Willen dadurch realisieren, daß Sie tatsächlich, ohne das Betriebsverfassungsgesetz zu tangieren, hier eine stärkere
Verankerung des Gesellenausschusses und damit eine stärkere Beteiligung der Gesellen am wirtschaftlichen Geschehen im Handwerk, soweit es die gesamten Angehörigen des Handwerks angeht, vorsehen. Insoweit also darf ich wiederum — ich wage das schon kaum noch zu tun — die Bitte aussprechen, sich diese Erwägungen zu eigen zu machen und Ihren guten Willen in bezug auf eine gute Zusammenarbeit zwischen Meistern und Gesellen durch die Annahme der von uns vorgeschlagenen Formulierung zu beweisen.
Das Wort hat der Abgeordnete Mensing.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Herr Kollege Lange hat eben im Namen seiner Fraktion einen Änderungsantrag gestellt. Ich glaube, daß dieser Antrag ein Kernproblem für seine Fraktion darstellt, und ich gehe wohl nicht fehl in der Annahme, daß die Anträge der SPD durch das Exposé der Gewerkschaften ausgelöst wurden.
Würden wir dem Antrag der SPD stattgeben, würde das bedeuten, das wir im Handwerk nicht zu einer Beruhigung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern beitragen würden. Ein derartiger Antrag wäre geeignet, das bisherige gute Verhältnis zwischen den Meistern und den Gesellen zu stören.
— Darauf komme ich!
Es wird verlangt, daß die Gesellen bei sämtlichen Innungsaufgaben mitzuwirken haben. Damit würde der Gesellenausschuß in großem Umfang für Innungsaufgaben zuständig werden, die allein Aufgaben der Innungsmitglieder, also der selbständigen Handwerker sind.
Hierbei würde es sich z. B. um folgende Aufgaben handeln: Förderung des Genossenschaftswesens im Handwerk,
u. a. Bildung von Genossenschaften, Erstattung von Gutachten, Auskünfte an Behörden in allgemeinen Angelegenheiten des von der Innung vertretenen Handwerks und Unterstützung der sonstigen handwerklichen Organisationen;
aber darauf läuft es doch schließlich hinaus, Herr Lange. Sie sagen nämlich, Sie wollen die Wirtschaftskraft des Handwerks durch Einschaltung des Gesellenausschusses wesentlich fördern.
— Verehrter Herr Lange, Sie wissen genau so gut wie ich, daß es sich hier um Klein- und Mittelbetriebe handelt. Wenn wir Ihren Antrag annehmen würden, würde sich folgendes ergeben. Die Arbeitnehmer würden sich in die wirtschaftliche Führung einmischen.
— Herr Renner, Sie erhalten heute von mir noch eine Medizin verabfolgt.
Ich nehme nachher noch einmal das Wort.
Wie denken Sie sich das, Herr Lange, wenn ein selbständiger Handwerksmeister, der für seinen Betrieb die Verantwortung in wirtschaftlicher Beziehung allein trägt, z. B. für die Aufrechterhaltung seines Betriebs einen Personalkredit nötig hat? Diesen Kredit bekommt bekanntlich nur die Persönlichkeit des Unternehmers und nicht etwa die Person des Arbeitnehmers in einem solchen Kleinbetrieb. Vergessen Sie bitte auch nicht, daß doch einzig und allein der Meister das Risiko trägt! Sie würden weiter verlangen, daß der Gesellenausschuß bei der Beratung über Vergebung öffentlicher Lieferungen und Leistungen eingeschaltet wird. Alle diese Innungsaufgaben waren und sind Aufgaben des selbständigen Handwerkers. Würde der Gesellenausschuß bei der Erfüllung dieser Aufgaben Einfluß nehmen, so würde dies bedeuten, daß die Gesellen auf Angelegenheiten des selbständigen Handwerkers Einfluß nähmen.
Weiter ist zu berücksichtigen, daß die Tariffähigkeit einer Innung nur gewährleistet ist, wenn nach arbeitsrechtlichen Maßstäben die sogenannte Reinheit des Arbeitgeberverbandes vorhanden ist. Diese Reinheit geht aber in demselben Augenblick verloren, in dem die Gesellen auf die Angelegenheiten der selbständigen Handwerker, d. h. der Arbeitgeber im Handwerk, Einfluß nehmen. Die Tariffähigkeit der Innung muß jedoch unter allen Umständen gesichert sein, sonst würde es notwendig werden, neben den Innungen besondere Arbeitgeberorganisationen des Handwerks zu bilden. Wir vom Handwerk und, ich nehme an, auch die Opposition, können kein Interesse daran haben, daß wir zwangsläufig wieder zur Bildung der Handwerkerbündebewegung kommen. Das würde unnütz viel Geld kosten. Diese besonderen Kosten können bei Annahme des vorliegenden Gesetzentwurfs ohne weiteres eingespart werden.
Die Fassung des § 62 des Antrags Drucksache Nr. 1428 gibt in dem vorgesehenen Abs. 2 eine weitgehende, Mitwirkung des Gesellenausschusses bei Innungsaufgaben, aber nur so weit, als sich der Gesellenausschuß nicht mit solchen Aufgaben befaßt, die allein Aufgaben der selbständigen Handwerker bleiben müssen. Auf diese Weise ermöglicht die vorliegende Fassung des § 62 Abs. 2, daß trotz der weitgehenden Mitwirkung des Gesellenausschusses an den Innungsaufgaben die Tariffähigkeit der Innung in keiner Weise gestört wird.
Ich betrachte es als eine Selbstverständlichkeit, daß die Gesellenausschüsse darüber hinaus an den Aufnahme- und Freisprechungsfeiern der Lehrlinge teilnehmen, sich an gemeinsamen Besichtigungsfahrten der Lehrlinge, an Ausstellungen und Wettbewerben, an der Auszeichnung von besonders guten Leistungen, an der Errichtung von Innungslehrwerkstätten usw. beteiligen.
Ich nehme an, verehrter Herr Kollege Lange, daß Sie mit Ihrer Fraktion Ihre Zustimmung zu diesem Gesetz auch dann geben werden, wenn wir diesen Paragraphen ablehnen. Denn ich nehme an, daß Ihr Antrag doch weniger aus Ihrer innersten Überzeugung entsprungen ist, sondern mehr aus rein taktischen Erwägungen.
— Deshalb, weil ich Herrn Lange als Mitarbeiter in dem Unterausschuß Handwerk
als einen hervorragenden Mann kennengelernt habe, der den handwerklichen Angelegenheiten sehr viel Verständnis entgegengebracht hat.
Die Meister des Handwerks haben in der Vergangenheit und Gegenwart — das möchte ich besonders betonen — ihre soziale Aufgabe ihren Mitarbeitern gegenüber erfüllt. Wenn Sie eben dies bezweifelten, so möchte ich an ein Erlebnis aus der letzten Vergangenheit erinnern, das bezeichnend für das Verhältnis zwischen Meister, Geselle und Lehrling ist. Vor einem halben Jahr habe ich meinen Lehrmeister beerdigt — wir alle haben eine harte Lehre bei ihm durchgemacht —, und ich stellte fest, daß bei der Trauerfeier unseres Lehrmeisters auch nicht ein einziger von den noch lebenden Lehrlingen, die er einmal ausbildete, gefehlt hat. Das ist ein Beweis des guten Verhältnisses
zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber im Handwerk, das viel innerlicher ist, als es der Außenstehende erkennt.
Zu diesem Problem möchte ich Ihnen noch sagen: Das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Handwerk ist zum Teil sehr familiär, ganz besonders in den Klein- und Mittelbetrieben, weil die gemeinsame Arbeit, das gemeinsame Schaffen in derselben Werkstatt an derselben Arbeit eine innere Bindung erzeugt, die diese Menschen miteinander auf Gedeih und Verderb zusammengehen läßt, im Gegensatz zur Industrie, wo in den Großbetrieben der Arbeitgeber die einzelnen Mitglieder seiner Belegschaft meistens niemals kennenlernt.
Der entscheidende Grund für unsere Ablehnung, Herr Lange, ist der: Wir haben das Betriebsverfassungsgesetz.
In diesem ist alles geregelt. Würden wir Ihrer Forderung nachgeben, so würden wir weit über das Betriebsverfassungsgesetz hinausgehen, womit den selbständigen Meistern im Handwerk ein schlechter Dienst erwiesen würde. Schließlich geht es für uns um die Grundsatzentscheidung, ob sich das berufsständische oder das klassenkämpferische Element durchsetzt.
— Ich habe es nicht nötig, Herr Renner — soweit kennen Sie mich —, mir etwas aufschreiben zu lassen.
Ich werde Ihnen nachher im Laufe der Debatte noch einige interessante Zahlen Zahlen zur Kenntnis bringen.
Ich werde noch klarstellen, wie Ihre vorgetäuschte Mittelstands- und Handwerkerfreundlichkeit, Herr Renner, aussieht. — Ich möchte die Opposition bitten — auch wenn wir ihren Antrag ablehnen -,
dem deutschen Handwerk die Freude zu bereiten,
dem Gesetz trotzdem ihre Zustimmung zu geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Nöll von der Nahmer.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren! Meine Freunde halten es gerade für eine Stärke dieses Entwurfs, daß dem Gesellenausschuß eine weitgehende Mitwirkung innerhalb der Innungen vorbehalten worden ist; denn der Geselle von heute soll ja der Meister von morgen sein. Es besteht alles Interesse daran, daß schon der junge Geselle zu einer aktiven Mitarbeit innerhalb seiner Innung angehalten wird und Freude an dieser Mitarbeit gewinnt. Wir haben uns deshalb auch den Änderungsantrag, den die Kollegen von der Sozialdemokratischen Partei hier eingebracht haben, sehr eingehend überlegt; aber wir haben den Eindruck, daß dieser Antrag nicht unbedingt im Interesse der Gesellen selbst liegt. Wir sind — das ist kein Geheimnis! — keine Freunde eines ausgedehnten wirtschaftlichen Mitbestimmungsrechts. Auch von Herrn Kollegen Mensing ist eben darauf hingewiesen worden, daß bei einer kritischen Prüfung der einzelnen Bestimmungen des § 49, bei denen nach dem Änderungsantrag eine unmittelbare Mitwirkung auch des Gesellenausschusses gewünscht wird, doch eine ganze Reihe von Aufgaben darunter fällt, die ausschließlich die Meister selbst als Betriebsinhaber angehen. Ich erwähne etwa die Ziffer 7 des § 49, die Fragen des Genossenschaftswesens. Wir stoßen uns insbesondere auch an der Ausdehnung der Mitwirkung des Gesellenausschusses bei der Erstattung von Gutachten und Auskünften über Angelegenheiten des betreffenden Handwerks. Hier soll ja gerade der Meister mit meisterlichem Können und als Gutachter herangezogen werden.
Aber abgesehen von diesen weitgehend in der Sphäre des Politischen liegenden Gründen gegen diesen Änderungsantrag, haben die Arbeitsrechtler meiner Fraktion das entscheidende Bedenken geäußert, daß bei einer Annahme des Änderungsantrages die Tariffähigkeit der Innungen gefährdet sei. Das ist eine Konsequenz, die wir keinesfalls auf uns nehmen können und wollen, weil wir damit ja den Aufbau des Gesetzes und der Innungen insbesondere gefährden würden. Aus diesem Grunde kann sich die Fraktion der FDP dem Änderungs-antrage nicht anschließen und bittet um Annahme der Ausschußfassung.
Das Wort hat der Abgeordnete Lange. •
Meine Damen und Herren! Wünschenswert wäre es ja gewesen, wenn solche Anregungen, wie sie Kollege Nöll von der Nahmer jetzt hier im Plenum gibt, auch schon im Ausschuß oder in der Unterkommission von Ihrer Seite gegeben worden wären; aber leider war dem ja nicht so.
Das, was hier im § 62 Abs. 2 gesagt wird, ist zweifellos eine Frage der überbetrieblichen Mitbe-
stimmung oder Mitwirkung. Das ist eine ganz klare Sache. All die Dinge, die Kollege Mensing hier vorgetragen hat, gehen glatt an dem vorbei, was in unserer Fassung vorgeschlagen wird.
Was Sie im Zusammenhang mit der Nr. 9 des Abs. 1 zum Ausdruck gebracht haben, ist vollkommen gegenstandslos, da Nr. 9 nämlich durch unsere Fassung von § 62 Abs. 2 gar nicht berührt wird. Ebenso haben wir auch Nr. 3 aus Abs. 2 und im übrigen den ganzen Abs. 3, der ja entscheidend die aus dem Tarifvertragsgesetz erwachsenden Aufgaben eines tariffähigen Kontrahenten zu den Gewerkschaften zu regeln hat, herausgelassen. Hierdurch werden also in keinem Fall Aufgaben, die sich aus dem Tarifvertragsgesetz, aber auch auf keinen Fall Aufgaben, die sich aus dem Betriebsverfassungsgesetz ergeben, tangiert.
Zweifellos besteht nur die eine Frage: wie weit will man — da wir uns auf der Kammerebene in diesem Zusammenhang weitgehend einig geworden sind — die Gesellen an den Aufgaben beteiligen, die, ohne in die „Hoheitssphäre", wenn ich einmal so sagen darf, des einzelnen Betriebes einzugreifen, eine Stärkung der Wirtschaftskraft des gesamten Handwerks durch die Vermittlung entsprechender betriebswirtschaftlicher, volkswirtschaftlicher oder auch kaufmännischer Erkenntnisse an die Einzelbetriebe ermöglichen? Damit wird keine Einzelmaßnahme für den Einzelbetrieb getroffen, sondern eine allgemeine Maßnahme für das Handwerk und für die Handwerksbetriebe schlechthin. Damit, verehrte Herren Vorredner, gehen Ihre Argumente an den Begründungen zu § 62 Abs. 2 vorbei.
Hier geht es nur um die Frage: wie weit sind Sie tatsächlich bereit — da auch Sie, wie Sie immer sagen, der Auffassung sind, daß das Recht des Handwerkers ebenfalls nach neuzeitlichen oder der Gegenwart entsprechenden Gesichtspunkten geordnet werden soll —, diesen neuzeitlichen Gesichtspunkten Rechnung zu tragen, die ja mehr und mehr die Arbeitskraft in den Mittelpunkt des Geschehens stellen wollen. Nicht nur der Meister hat seine Arbeitskraft in den Betrieb gesteckt, sondern entscheidend, und zwar hundertprozentig, die abhängig Tätigen. Diese haben also ein begründetes Interesse daran, auf diesem Wege der abgeschwächten Form der Selbstverwaltung, die sich ja auch praktisch in dem Gesellenausschuß ausdrückt, die überbetriebliche Mitbestimmung und Mitwirkung zu erhalten und an der Gestaltung auch ihrer Lebens- und Existenzbedingungen entsprechenden Anteil zu haben.
Ferner sind hier auch Kreditfragen — die gar nicht hiervon betroffen werden — nicht angerührt worden, und ebenso nicht das Genossenschaftswesen als Organisation, sondern nur ideell. Es geschieht auch nichts, was die Verantwortlichkeit des Unternehmers hinsichtlich der Direktionsgewalt in seinem Betriebe irgendwie schmälert.
Die Argumente, die Sie gegen uns vorgebracht haben, stechen also überhaupt nicht. Vielmehr muß für mich der Eindruck entstehen, daß man hier alte, liebgewordene Vorstellungen konservieren will, die nicht mehr ganz in die Zeit passen, die man revidieren sollte, um zu einer zeitgemäßen Zusammenarbeit aller in der Wirtschaft und in diesem Zusammenhang: aller im Handwerk Tätigen zu kommen. Insoweit ist § 62 — nachdem wir schon einmal die Innung als Körperschaft des öffentlichen
Rechtes anerkannt haben— ein wesentlicher Punkt. Ich mache deshalb noch einmal den Versuch, Sie zu bitten, diesen unseren Erwägungen, die mit Ihren Versicherungen übereinstimmen, zu entsprechen.
Keine weiteren Wortmeldungen.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer für die Annahme des Änderungsantrags Umdruck Nr. 850 Ziffer 5 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Das letztere ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe zur Abstimmung die §§ 62 bis 69 auf. Wer für die Annahme dieser Bestimmungen ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen einige Stimmen angenommen.
Zu § 70 ist ein Änderungsantrag der kommunistischen Gruppe auf Umdruck Nr. 854 Ziffer 1 angekündigt. Das Wort hat der Abgeordnete Paul.
Meine Damen und Herren! Wir haben den Änderungsanträgen der sozialdemokratischen Fraktion zugestimmt. Aber wir sind der Meinung, daß über diese Änderungsanträge hinaus eine Reihe von Paragraphen gestrichen bzw. geändert werden müssen.
In § 70 der Gesetzesvorlage soll den Handwerkskammern das Recht eingeräumt werden, Handwerksinnungen aufzulösen, und zwar nach Ziffer 1, wenn sie durch einen gesetzwidrigen Beschluß der Mitgliederversammlung oder durch gesetzwidriges Verhalten des Vorstandes das Gemeinwohl gefährden. Die Frage ist: Wann ist das Gemeinwohl durch einen Beschluß der Mitgliederversammlung einer Innung gefährdet? Wer entscheidet darüber? Das ist einzig und allein eine Ermessensfrage der Handwerkskammer, die nach Anhörung des Landesinnungsverbandes entscheidet. Aber Mitgliederbeschlüsse stehen höher als Anweisungen von Handwerkskammern, die letzten Endes von den Mitgliedern der Innungen zu wählen sind. Diese Ziffer gefährdet die Rechte der Mitglieder der Innungen und die Innungen selbst.
In Ziffer 2 wird weiter gesagt, sie können aufgelöst werden, wenn sie andere als die gesetzlich oder satzungsmäßig zulässigen Zwecke verfolgen. Man könnte einwenden, daß Innungen möglicherweise Zwecke verfolgen, die der Konkurrenz der Berufskollegen Abbruch tun, oder sonst dem Handwerk wirtschaftlich oder ideell Schaden zufügen. Aber man könnte diese Ziffer 2 auch anwenden gegen Innungen, die sich z. B. gegen die unsoziale Steuerpolitik der Bundesregierung wenden;
gegen Beschlüsse von Mitgliederversammlungen der Innungen, die sich für die Aufhebung der Wirtschafts- und Handelsdiktate des amerikanischen Hochkommissars in der Frage des Ostwesthandels aussprechen;
oder gegen Mitgliederversammlungen, die sich gegen die Kriegsverträge, die von den Koalitionsparteien in den letzten Tagen ratifiziert wurden, aussprechen, und sich zugleich für den freien Handel mit den Völkern des Ostens,
für die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands als der einzigen Grundlage der Sicherung eines friedlichen Lebens und der Existenz der Handwerker erklären.
Wir sind der Meinung, daß man aus grundsätzlichen Erwägungen — weil dieser Paragraph tief in die Rechte der Mitglieder der Innungen eingreift — den Handwerkskammern nicht solche Vollmachten und diktatorische Rechte zubilligen kann.
Ich handle wohl im Einvernehmen mit dem Herrn Präsidenten, wenn ich gleichzeitig mit der Streichung des § 70 auch den Antrag auf Streichung des § 72 begründe. Über das Vermögen der Innungen können nur die Mitglieder der Innungen selbst befinden und gar kein anderer. Das gehört zu den Selbstverwaltungsaufgaben der Innungen. Im Interesse der Wahrung der Rechte der Handwerker, die sich in den Innungen zusammengeschlossen haben, beantragen wir neben der Streichung des § 70 auch die Streichung des § 72.
Wollen Sie nicht gleich auch zu § 74 sprechen?
Paul (Düsseldorf : Der Herr Präsident wünscht, daß ich auch gleich zu § 74 etwas sage. In § 74 wird die wichtige Frage angesprochen: Wer gibt dem Landesinnungsverband die Satzung? Hier wird ausdrücklich gesagt, daß die Satzungen und ihre Änderung der Genehmigung der obersten Landesbehörde bedürfen. Das ergibt sich nach Ihrer Meinung aus der Tatsache, daß diese Körperschaften Körperschaften des öffentlichen Rechts sind.
Wir sind aber der Meinung, daß die Landesinnungsverbände, die Handwerkskammern sowie die Innungen sich selbst ihre eigenen Satzungen frei geben müssen, ohne daß sie der Zustimmung der obersten Landesbehörde bedürfen. Deswegen haben wir beantragt, diesen Satz in § 74 zu streichen und an Stelle dessen zu beschließen, daß die Landesinnungsverbände sich ihre Satzungen selbst geben.
Wollen Sie gleich weiter begründen?
Ich kann auch zu § 81 sprechen.
In § 81 wird die Vertretung der Innungen in den Kreishandwerkerschaften geregelt. Es heißt dort im letzten Teil, daß den größeren Innungen zwei Zusatzstimmen zuerkannt werden können. Es heißt aber dann weiter, daß diese Stimmen einer Handwerksinnung nur einheitlich abgegeben werden können. Wir sind der Meinung, daß man das nicht gesetzlich regulieren sollte. Vielmehr sollte man den Vertretern dieser Innungen eine Regelung durch Absprachen und Aussprachen untereinander zubilligen. Man sollte also nicht versuchen, hier einen Zwang dahin auszuüben, daß die gewährten Zusatzstimmen auf einen einheitlichen Standpunkt festzulegen sind. Wenn einmal ein Vertreter einer Handwerksinnung eine von den übrigen zwei Stimmen abweichende Meinung hat, dann sollte ihm auch
Gelegenheit gegeben werden, das in einer eventuellen Abstimmung zum Ausdruck zu bringen. Man sollte es also vermeiden, in diesem Paragraphen festzulegen, daß der Abstimmende mit der Zusatzstimme unbedingt Beschlüssen oder Anträgen zustimmen muß, die gegen sein Gewissen oder seine Meinung sind. Deswegen haben wir vorgeschlagen, diesen letzten Halbsatz zu streichen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor? — Dann kommen wir zur Abstimmung. Ich lasse zunächst über die vier Änderungsanträge abstimmen, die gestellt worden sind, und zwar über jeden einzeln. Wer für den Antrag auf Umdruck Nr. 854 Ziffer 1 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Letzteres ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wer für den Antrag auf Umdruck Nr. 854 Ziffer 2 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Das ist ganz offensichtlich die Minderheit.
Umdruck Nr. 854 Ziffer 3. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ist auch die Minderheit.
Umdruck Nr. 854 Ziffer 4. Auch hier bitte ich um ein Handzeichen. — Auch das ist die Minderheit. Diese vier Anträge sind abgelehnt.
Ich lasse nunmehr abstimmen über die §§ 70 bis 81. Wer für die Annahme dieser Bestimmungen in der Ausschußfassung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen?
— Gegen einige Stimmen angenommen.
Ich rufe auf § 82. Auch hier ist ein Änderungsantrag der kommunistischen Gruppe angekündigt
— Umdruck Nr. 854 Ziffer 5 —, den Abs. 2 des § 82 zu streichen. Das Wort hat der Abgeordnete Paul.
Meine Damen und Herren! Ich habe bereits erklärt, daß man weder über das Vermögen der Innungen noch über das der Kreishandwerkerschaften verfügen kann, sondern daß darüber lediglich die Vertreter in den Kreishandwerkerschaften zu befinden haben. Diese allein sind befugt, zu bestimmen, was mit dem Vermögen nach der Auflösung einer solchen Kreishandwerkerschaft geschehen soll. Aus diesem Grunde haben wir vorgeschlagen, daß der Absatz 2 des § 82 gestrichen wird.
Zum § 86. Jetzt eben hat die Regierungskoalition das Mitwirkungs- bzw. Mitbestimmungsrecht der Gesellen in einer Reihe von wirtschaftlichen und arbeitsrechtlichen Fragen abgelehnt. In § 86 wird festgelegt, daß ein Drittel der gewählten Mitglieder der Handwerkskammer Gesellen sein müssen. Tatsache ist aber, daß im Handwerk nach den Mitteilungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes 3,5 Millionen Menschen beschäftigt sind. Darunter befinden sich 1,6 Millionen Gesellen und rund 500 000 Lehrlinge. Das sind zusammen 2,1 Millionen Arbeiter, die in einem Arbeits- oder in einem arbeitsähnlichen Verhältnis stehen. Es ist einfach untragbar, daß man den Gesellen bei der Vertretung in dien Handwerkskammern im Gegensatz zu dieser Zusammensetzung der Beschäftigten im Handwerk einfach nur ein Drittel zubilligen will. Wir haben deshalb vorzuschlagen, daß das geändert wird. Wir befinden uns in diesem Punkt auch in Übereinstimmung mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund und mit den Gesellen aus dem Handwerk, indem wir beantragen, daß die Hälfte der Vertreter in den Handwerkskammern Gesellen sein sollen.
Wünschen Sie, daß ich weiterspreche, Herr Präsident?
Bitte, sprechen Sie doch gleich zu allen Bestimmungen, die die Handwerkskammer betreffen.
In § 92 wird festgelegt, daß als Gesellen in die Handwerkskammer nur solche Gesellen gewählt werden können, die das 25. Lebensjahr vollendet haben. Wir sind der Meinung, daß ein Geselle aber bereits im wahrsten Sinne des Wortes und im Sinne des Handwerks als Geselle anzusprechen ist, wenn er die Lehrzeit hinter sich hat. Wir vertreten diese Ansicht, damit auch jüngere Handwerksgesellen in diese Körperschaft aufrücken können. Auch aus grundsätzlichen Erwägungen heraus beantragen wir, an Stelle der Wählbarkeit mit 25 Lebensjahren zu beschließen, daß das 21. vollendete Lebensjahr genügen soll, um als Gesellenmitglied in eine Handwerkskammer gewählt zu werden.
Eine weitere Frage ist die Wahl der Handwerkskammer auf 5 Jahre nach § 96. 5 Jahre sind in der heutigen Zeit eine sehr lange Frist. Deshalb haben wir vorgeschlagen, an Stelle der 5 Jahre 2 Jahre zu setzen. Alle 2 Jahre soll also die Wahl der Handwerkskammer erfolgen, weil damit auch alle Möglichkeiten gegeben sind, die Handwerkskammer immer mit neuen, frischen dem Handwerk und den Gesellen des Handwerks dienenden Kräften aufzufüllen. Auch in diesem Fall ersuchen wir um die Zustimmung zu unserem Antrag.
In § 97 wird eine Reihe von wichtigen Fragen
angesprochen. Der Abs. 1 des § 97 enthält eine
ganze Reihe von Unklarheiten. Es heißt da: Mitglieder der Handwerkskammer haben aus dem Amte auszuscheiden, wenn sie durch Krankheit oder Gebrechen verhindert sind, das Amt ordnungsmäßig zu führen, oder wenn Tatsachen eintreten, die ihre Wählbarkeit ausschließen.
Hier ist zweifellos nicht nur an kriminelle Vergehen dieses oder jenes Mitglieds einer Handwerkskammer gedacht, sondern diese Formulierung birgt die Gefahr in sich, daß ein Handwerksvertreter in der Handwerkskammer seine Funktion verlieren kann, weil man ihm aus irgendwelchen politischen Gründen — oder weil er eine Oppositionsstellung zu dem herrschenden Adenauer-System einnimmt — seine Wählbarkeit aberkennt, um ihn damit gleichzeitig aus den Handwerkskammern auszuschließen.
Des weiteren sind wir der Meinung, daß der Abs. 3 des § 97 gestrichen werden sollte. Man kann unter keinen Umständen, wenn sich ein Mitglied weigert, gemäß dieser Festlegungen aus der Handwerkskammer auszuscheiden, der Landesbehörde das Recht zubilligen, dieses Mitglied zum Rücktritt zu zwingen.
Ich werde gleichzeitig den § 98 mitbehandeln. Auch hier haben wir es wieder mit der Satzung zu tun. Ich habe bereits unseren Standpunkt dargelegt, wonach auch die Handwerkskammer sich ihre Satzung selbst geben soll.
Der § 102 befaßt sich wieder mit der Besetzung der Vollversammlung. Auch hier sind wir der Meinung, daß die Hälfte der Mitglieder der Vollversammlung bzw. der Vorstände Gesellen sein sollten.
In § 107 kommt der Pferdefuß heraus. Die hier gefundene Form der öffentlich-rechtlichen Körperschaft hat Ähnlichkeit mit einer Zwangsinnung. Sämtliche Handwerker sollen gezwungen werden, ihre Beiträge zu zahlen, indem die Gemeinden diese Beiträge zu den Handwerkskammern eintreiben. Wir sind der Meinung, daß man gegen jede Zwangsinnung auftreten sollte. Der Beitrag zu einer Innung muß eine freiwillige Angelegenheit der Handwerker sein. Die Einziehung der Beiträge ist dann eben eine Sache der Handwerkerorganisation als Selbstverwaltungskörperschaft. Es ist unmöglich, daß man hier unter Umständen den Gerichtsvollzieher zur Eintreibung des Beitrags gegen die Handwerker aufbietet. Es heißt hier ganz deutlich, daß die Gemeinden diese Beiträge einzuziehen und beizutreiben haben. Wir sind der Meinung, daß dieser Paragraph untragbar ist und daß man ihn streichen sollte.
Wollen Sie auch gleich Ziffer 16 begründen? Denn die Anlage B ist ja durch § 88 einbezogen.
Es wurde festgelegt, daß 100 Wahlberechtigte unterzeichnen sollen. Wir sind der Meinung, daß 20 Unterschriften zur Einreichung eines Wahlvorschlages genügen müssen. Auch die kleinen Handwerksbetriebe müssen zum Zuge kommen, und Minderheitsgruppen, die nicht in jedem Fall mit der Mehrheit einverstanden sind, sollten die Möglichkeit haben, ihre Wahlvorschläge einzureichen. Deshalb schlagen wir vor, zu sagen, daß 20 Unterschriften zur Einreichung eines Wahlvorschlags genügen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Dann lasse ich über die Änderungsanträge abstimmen. Ziffer 5! — Wer dafür ist, bitte ich, die Hand zu erheben. — Das ist die Minderheit; abgelehnt. Ziffer 6! — Ebenfalls die Minderheit; abgelehnt. Ziffer 7! — Ebenfalls die Minderheit. Ziffer 8! — Die Minderheit! Ziffer 9! — Das ist die Minderheit. Ziffer 10! — Minderheit! Ziffer 11! — Minderheit! Ziffer 12! — Das ist die Minderheit. Ziffer 13! — Das ist die Minderheit. Ziffer 14! — Das ist die Minderheit. Ziffer 15! — Das ist die Minderheit. Ziffer 16! — Auch das ist die Minderheit.
Wir stimmen nunmehr über die §§ 82 bis 109 ab, wobei ich darauf aufmerksam mache, daß von § 88 auf die Anlage B Bezug genommen wird. Mit der Abstimmung über § 88 wird also gleichzeitig über die Anlage B abgestimmt, so daß nach dieser Abstimmung zu Anlage B keine Anträge in zweiter Lesung mehr zulässig sind. Das Haus stimmt wohl meiner Auslegung zu.
Wer für die Annahme dieser Paragraphen ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen die Stimmen der kommunistischen Gruppe angenommen.
Ich rufe § 110 auf. Hier ist ein Änderungsantrag auf Umdruck Nr. 850 unter Ziffer 6 angekündigt.
Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Lange.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir wollen mit der Änderung des § 110 erreichen, daß dem Lehrling als dem an sich schwächsten Teil im Handwerk ein größerer Schutz gewährt wird und Vergehen gegen die zum Schutze des Lehrlings getroffenen Bestimmungen, Vergehen gegen die dem Lehrherrn gegenüber dem
ihm anvertrauten Lehrling auferlegten Pflichten und Verstöße, die ein Lehrherr dadurch begeht, daß er den Lehrvertrag nicht ordnungsgemäß abschließt, als strafwürdige Vergehen erklärt und mit Geldstrafe geahndet werden. Deshalb sollen diese Bestimmungen in den § 110 kommen. Demzufolge würde — und hiermit darf ich auch unseren Antrag zu § 111 begründen — der Abs. 2 in § 111 verschwinden; der bisherige Abs. 3 würde nunmehr Abs. 2.
Uns liegt auf jeden Fall daran, daß dem Lehrling der besondere Schutz gewährleistet und der Mißbrauch, der hier unter Umständen getrieben wird, nicht als Ordnungswidrigkeit geahndet wird. Soweit es sich um die Bestimmungen über das Halten und Anleiten von Lehrlingen handelt, anerkennt man bereits, daß ein Verstoß dagegen ein strafwürdiges Vergehen ist. Man sollte konsequenterweise sämtliche Verstöße gegen die gesetzlichen Bestimmungen, die den Schutz der Lehrlinge betreffen, mit Geldstrafe ahnden.
Ich bitte Sie, unserem Antrag zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Oetzel.
Meine Damen und Herren! Es tut mir leid, daß ich auch in diesem Punkt dem Herrn Abgeordneten Lange widersprechen muß. Die Strafbestimmungen eines Gesetzes sind vom Gesetzgeber schließlich zur Sicherung der ordnungsmäßigen Erfüllung der gesetzlichen Pflichten eingebaut. Gesetzesverstöße können natürlich von größerer oder geringerer Bedeutung sein. Dementsprechend muß auch die Bestrafung mehr oder minder schwer sein. Deshalb sieht die Ausschußfassung die Trennung in strafbare Handlungen in § 110 und in ordnungswidrige Handlungen in § 111 vor. Meine Freunde und ich waren an sich der Meinung, daß dem, was in § 111 in Ziffer 1 im Falle eines Verstoßes als Ordnungswidrigkeit geahndet wird, wenn nämlich entgegen der Vorschrift des § 1 ein Handwerk als stehendes Gewerbe selbständig betrieben wird, ein solch fundamentaler Satz unserer Handwerksordnung zugrunde liegt, daß wir diese Bestimmung gern in § 110 gehabt hätten. Wir haben trotzdem keinen Änderungsantrag gestellt, weil wir davon überzeugt sind, daß der dagegen Verstoßende infolge seiner Bestrafung — auf die Höhe der Strafe kommt es dabei noch nicht einmal so sehr an — eine Eintragung ins Strafregister bekommt. Das ist immerhin diskriminierend und für ihn natürlich erschwerend, so daß die Strafe in keinem Verhältnis zum Vergehen steht.
Wieviel mehr trifft dieser Umstand aber hier auf den Satz zu, den die Antragsteller einfügen wollen, nämlich den Lehrherrn zu bestrafen, wenn er einige formale Dinge nicht in Ordnung hat. Stellen Sie sich einmal vor: zu den gesetzlichen Pflichten eines Lehrherrn gehört auch, den Lehrling zum Schulbesuch anzuhalten und zu überwachen, daß er die Schule besucht. Wie leicht kann da ein Lehrherr irgendeinem Betrug oder einer Täuschung dieses Jungen zum Opfer fallen! Dafür soll dann der Lehrherr bestraft werden. Oder ein kleiner Handwerksmeister vergißt oder versäumt die Frist, einen Lehrvertrag einzureichen; ja, er versäumt sogar schließlich einmal die Anmeldung eines Lehrverhältnisses, das er mit seinem eigenen Sohn eingegangen ist. Dann muß er nach diesem Ihrem Antrag bestraft werden!
Es gab früher und gibt heute und wird auch in Zukunft Lehrlinge geben, die infolge ihrer Faulheit, ihrer Bockbeinigkeit oder Boshaftigkeit den Meister oftmals so reizen, daß dem plötzlich der Kragen platzt und — verzeihen Sie, vielleicht haut er ihm einmal eine herunter!
Das soll er nicht, und das wollen wir auch nicht, und das Gesetz verbietet es auch. Aber trotzdem, meine Damen und Herren: sind in diesem Augenblick die Dinge, die ich hier aufgezählt habe, ein Verbrechen, das strafrechtlich verfolgt werden, muß?
Oder ist das ein Vergehen? — Ich weiß, daß das nicht das rechte Erziehungsmittel ist. Ich habe nur einmal angedeutet, daß so etwas vorkommen kann. Es wird aber dann doch lediglich ein Verstoß sein können, den man als Ordnungswidrigkeit ahnden kann, wenn die Eltern nicht damit einverstanden sind.
Ich bitte also, aus diesem Grunde auch diesen Antrag abzulehnen.
Keine weiteren Wortmeldungen? — Dann kommen wir zur Abstimmung. Ich lasse zunächst abstimmen über den Antrag Umdruck Nr. 850 Ziffer 6. Wer für den Antrag ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich lasse abstimmen über den Antrag Umdruck Nr. 850 Ziffer 7. Wer dafür ist, den bitte ich, eine Hand zu erheben.
— Nein, Sie haben doch den Antrag gestellt!
- Gewiß, aber ich lasse jetzt darüber abstimmen. Wer für den Antrag ist, den bitte ich, eine Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich lasse nunmehr abstimmen über die §§ 110 bis 123 einschließlich in der Ausschußfassung. Wer für die Annahme dieser Bestimmungen ist, den bitte ich, eine Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen einige Stimmen angenommen.
§ 124. Ihr Antrag Umdruck Nr. 853 Ziffer 2 soll erst zur dritten Beratung gestellt werden. Zur zweiten Beratung liegt der Änderungsantrag Umdruck Nr. 850 Ziffer 8 vor. Zur Begründung dieses Antrages erteile ich dem Abgeordneten Lange das Wort.
Meine Damen und Herren! Wir haben hier eine Ergänzung zur Berlin-Klausel. Durch die bisherige Annahme des Gesetzentwurfs mit der Innung als einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft und der dadurch gesicherten Bestimmung des § 49 Abs. 5 ergibt sich für Berlin eine kritische Situation, die auch bei einem anderen Gesetz, und zwar beim Postverwaltungsgesetz, schon einmal eine Rolle gespielt hat. Dort war man übereinstimmend der Auffassung, aus guten Gründen auf die Tangierung der Berliner Bestimmungen in diesem Zusammenhang zu verzichten. Ich glaube, nicht mit Unrecht der Hoffnung Ausdruck geben zu können, daß auch in diesem Fall das Haus die
gleiche Haltung einnehmen wird. Es kommt nämlich darauf an, nicht ohne Not politische Unruhe im Berliner Raum zu schaffen. Das würde geschehen, wenn wir die Bestimmungen des Gesetzes vollgültig, soweit es sich um § 49 Abs. 5 — Innungskrankenkassen — handelt, zur Anwendung brächten.
Darüber hinaus ist ein zweites Problem für Berlin aufgetaucht, und zwar das des Berliner Gesetzes zur Regelung der Berufsausbildung sowie der Arbeitsverhältnisse Jugendlicher vom 4. Januar 1951. Wie aus dem Bericht hervorgeht, hat sich die Unterkommission sowohl wie der Ausschuß für Wirtschaftspolitik bewußt der Weiterbildung der Bestimmungen der Gewerbeordnung über die Berufsausbildung enthalten, um diese Dinge uneingeschränkt einem künftigen Berufsausbildungsgesetz vorzubehalten. Da aber Berlin eine die gesamte gewerbliche Wirtschaft umfassende Berufsausbildung gesetzlich geregelt hat, erscheint es uns zweckmäßig, auch für diesen Sektor das Gesetz, soweit es eben den Bestimmungen des Berliner Berufsausbildungsgesetzes zuwiderläuft, zu suspendieren bis zu dem Zeitpunkt, zu dem ein BundesBerufsausbildungsgesetz erlassen ist. Wir würden nämlich sonst für Berlin wieder auf den Zustand zurückgehen, den die Berliner durch ihr Gesetz, das ich eben zitiert habe, überwunden haben. Wenn wir also — vielleicht darf ich hier einen Vorschlag zur Güte machen — uns einig wissen in der Anerkennung der Forderung hinsichtlich § 49 Abs. 5, dann würde ich empfehlen — soweit es sich um das Verfahren handelt, da die Berlin-Klausel ja sonst keine materielle Änderung der gesetzlichen Bestimmungen an sich bringt —, über Abs. 2 satzweise abzustimmen, und zwar getrennt über Satz 1, der das Krankenkassenproblem behandelt, und über Satz 2, der das Berufsausbildungsproblem behandelt, wobei nachher unterstellt werden kann, daß der letzte Satz: „§ 121 Abs. 1 findet insoweit keine Anwendung." in jedem Fall darinbleiben muß.
Ich bitte also, in diesem Sinne unserem Antrag zuzustimmen und auch in der Abstimmung entsprechend zu verfahren.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Schuler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Lange! „Es erben sich Gesetz' und Rechte wie eine ew'ge Krankheit fort." Wir haben einander ja schon öfters widersprochen. Der SPD-Antrag hat den Zweck, die in dieser Handwerksordnung geschaffene Berufsausbildung dem Berliner Berufsausbildungsgesetz zu opfern. Das würde bedeuten, daß das Land Berlin, das von sich aus häufig den Wunsch betont hat, in der Gesetzestechnik weitestgehend mit den übrigen Bundesländern gleichgestellt zu werden, eine andere Ordnung für das Handwerk haben würde. Einer der Hauptbeweggründe, die die Regierungskoalition seinerzeit veranlaßt haben, den Initiativgesetzentwurf zur Ordnung des Handwerks einzureichen, war aber der, an die Stelle der Rechtszersplitterung im Handwerk ein einheitliches Recht für alle Besatzungszonen zu setzen. Aus diesem Grunde können wir dem Änderungsantrag der SPD nicht zustimmen. Wir werden in der dritten Lesung einen weiteren Antrag einreichen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung. Es ist der Antrag gestellt worden, über den Änderungsantrag Umdruck Nr. 850 Ziffer 8 in Absätzen abzustimmen. Ich lasse zunächst über Absatz 1 abstimmen, alsdann über Satz 1 des Absatzes 2 und dann über den Rest des Absatzes 2.
Zunächst wird über Absatz 1 abgestimmt. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Letzteres ist die Mehrheit; abgelehnt.
Nunmehr lasse ich über Absatz 2 Satz 1 abstimmen. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Letzteres ist die Mehrheit; das ist abgelehnt.
Nunmehr lasse ich über den Rest der Ziffer 8 abstimmen. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Mehrheit ist gegen den Antrag gewesen; einige Enthaltungen sind zu verzeichnen.
Nunmehr lasse ich abstimmen über § 124, § 125, Einleitung und Überschrift. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen einige Stimmen angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Wir treten ein in die
dritte Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Redezeit auf 90 Minuten zu beschränken.
— Mit 60 Minuten?
— Meine Damen und Herren, wir können so nicht verfahren. Wird ein Antrag gestellt? Ich habe mich dem Ältestenrat zu substituieren, wenn ich Ihnen 90 Minuten vorschlage. Ist das Haus einverstanden?
Ich bitte um das Handzeichen.
Ich bitte um ein Handzeichen, wer mit 90 Minuten einverstanden ist.
— Wenn eine Fraktion widerspricht, dann sollten wir es bei der Verabredung im Ältestenrat belassen. Es bleibt bei 90 Minuten.
Das Wort hat der Abgeordnete Stücklen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir stehen heute in der dritten Lesung des Gesetzes zur Ordnung des Handwerks. Lassen Sie mich deshalb Ihnen noch einmal einen Überblick über die Stellung des Handwerks im Rahmen der Volkswirtschaft geben; denn nur dann, wenn wir uns der großen Bedeutung des Handwerkerstandes in volkswirtschaftlicher, sozialer und staatspolitischer Hinsicht bewußt sind, können wir die Forderungen verstehen, die das Handwerk an eine neue Handwerksordnung
gestellt hat und die wir im Rahmen dieses Gesetzes als durchaus berechtigt werden anerkennen müssen.
Nach Mitteilung des Bundeswirtschaftsministeriums steht das Handwerk mit 8,7 Milliarden D-Mark jährlich nach der Industrie und der Landwirtschaft in dritter Stelle der wertschöpfenden Wirtschaftszweige im Bundesgebiet. In 830 000 Betrieben beschäftigt es rund 3,5 Millionen Menschen; das sind 36 % der 8,9 Millionen in Industrie und Handwerk Tätigen. Die Umsatzbeteiligung beträgt 32 Milliarden D-Mark. Der Exportanteil des Handwerks, der sich nur schätzen läßt, beträgt etwa 150 Millionen D-Mark. Hierbei ist die Tatsache, daß das Handwerk bei vielen Exportgütern als Zulieferant in Erscheinung tritt, nicht berücksichtigt.
Sie ersehen schon aus diesen wenigen Zahlen, welche bedeutende Rolle das Handwerk in der Volkswirtschaft spielt. Dabei ist ein wesentlicher Faktor noch nicht genannt worden: das Handwerk als wichtigster Facharbeiterzubringer für unsere Wirtschaft. Rund 500 000 Lehrlinge — das sind über 70 % aller Lehrlinge in Industrie und Handwerk — werden in Handwerksbetrieben ausgebildet. 170 000 machten in den Jahren 1949 bis 1951 jährlich ihre Gesellenprüfung und blieben entweder im Handwerk oder gingen in die übrige Wirtschaft. Sie helfen also mit, unseren Erzeugnissen in der Welt den Ruf zu geben, den sich deutsche Waren errungen haben und den ich nicht näher zu bezeichnen brauche.
Das Handwerk hat aber auch noch eine andere Aufgabe. Es soll nicht nur Lehrlinge ausbilden, Werte erhalten, Beschädigtes reparieren, sondern auch produzierend tätig sein. Es soll den individuellen Wünschen entsprechend anfertigen und erzeugen. Es soll das herstellen, was die Industrie, die unter ganz anderen Voraussetzungen arbeitet, nicht produziert, weil es ihr wesensfremd ist.
Damit haben wir eine wichtige, ja entscheidende Frage berührt. Es besteht ein im wahrsten Sinne des Wortes wesentlicher Unterschied zwischen der Industrie und dem Handwerk. Dieser Unterschied beruht aber nicht allein auf der Verschiedenartigkeit der Aufgabengebiete, sondern auch auf der geschichtlichen und soziologischen Entwicklung. Das Handwerk kann daher auch nicht ohne weiteres mit der Industrie verglichen werden, und wer das, was für die Industrie gut und zutreffend ist, auch auf das Handwerk übertragen will, begeht einen schweren sachlichen Fehler. Das Handwerk ist nun einmal keine Industrie im Kleinen, sondern etwas Eigenständiges, aus sich heraus Gewachsenes. Diese Eigenständigkeit des Handwerks, die niemand von Ihnen im Ernst in Zweifel ziehen kann, verlangt auch eine eigene Ordnung. Sie verlangt Rücksichtnahme, Respektierung und Förderung, wenn sie nicht verlorengehen soll. Und darüber, daß unser deutsches Handwerk wegen seiner Bedeutung für das gesamte Volk unter allen Umständen erhalten werden muß, sind wir uns wohl alle einig
Lassen Sie mich nach diesen grundsätzlichen Ausführungen nun auf die wichtigsten Punkte der neuen Handwerksordnung eingehen. Diese sind der Befähigungsnachweis, die Meisterprüfung als Regelvoraussetzung zur Ausübung eines selbständigen Handwerksberufes, die Wiederherstellung gesetzlich verankerter Organisationen, die in der Lage sind, ihre berufsständischen und handwerkspolitischen Aufgaben zu erfüllen, und die Festigung der Handwerkskammern unter Berücksichtigung einer fortschrittlichen Entwicklung ihrer Organe.
Daß die Wiedereinführung des Befähigungsnachweises einheitlich für alle Besatzungszonen notwendig war, bedarf wohl keiner weiteren Erläuterung. Keiner von Ihnen wird wohl die Notwendigkeit eines Befähigungsnachweises in Zweifel ziehen, wenn er bedenkt, daß der Befähigungsnachweis gleichzeitig ein Schutz des Verbrauchers ist und auf der andern Seite den Leistungsstandard des Handwerks und damit auch eines Teils der übrigen Volkswirtschaft begründet.
Die zweite Frage, die Frage der Wiederherstellung gesetzlich verankerter Organisationen, wie wir sie in den Innungen und Kreishandwerkerschaften haben, muß aus der geschichtlichen Entwicklung heraus verstanden und beurteilt werden. Hier war es der Wunsch des Handwerks, daß die Innungen die Tariffähigkeit besitzen und zugleich ihre hoheitlichen Aufgaben wahrnehmen können, eine Forderung, die gar nicht so abwegig ist, wie sie auf den ersten Blick erscheint. Es war daher notwendig, die Aufgaben des selbständigen Handwerks und diejenigen des Gesellenausschusses im Gesetz klar abzugrenzen. Sie wissen, daß gerade über diesen Punkt lange Zeit keine Einigkeit erzielt werden konnte und daß es auch heute noch Gegner dieser Regelung gibt.
Deshalb möchte ich noch einmal auf die geschichtliche Entwicklung und die soziologische Struktur des Handwerks hinweisen. Es wäre einfach widersinnig und anorganisch, wollte man im Handwerk Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen aufbauen. Hier herrscht noch der berufsständische Charakter einer großen Einheit von Meister, Geselle und Lehrling. Hier stehen tatsächlich alle drei an einem Arbeitsplatz, einer geht dem andern zur Hand, einer ist des anderen Helfer, und der Geselle von heute ist der Meister von morgen. Bitte, schauen Sie einmal hinaus in das Handwerk, ob der Meister, der Geselle oder der Lehrling nicht die gleichen, von der schweren Arbeit gezeichneten Hände haben und ob es dort wirklich das gibt, was wir gemeinhin unter Arbeitnehmer und Arbeitgeber verstehen. Sie werden es nicht finden, auf jeden Fall nicht im Gros des Handwerks. Daher bitte ich Sie: Erkennen Sie die Verschiedenartigkeit des Handwerks gegenüber der Industrie an, und erhalten Sie die berufsständische Ordnung von Meister, Geselle und Lehrling durch Ihr Ja zu den Innungen als Körperschaften des öffentlichen Rechts!
Als dritter wesentlicher Punkt der neuen Handwerksordnung wäre noch die Stellung der Handwerkskammern als Körperschaften des öffentlichen Rechts zu nennen. Die Handwerkskammern sind im Gegensatz zu den Innungen und den Innungsverbänden nicht mehr fachlich ausgerichtet, sondern sie stellen die Selbstverwaltungskörperschaften des Gesamthandwerks dar. Das zeigt sich nicht nur an dem umfassenden Aufgabengebiet, sondern vor allen Dingen auch in der Zusammensetzung der Organe der Handwerkskammer. Die fortschrittliche Weiterentwicklung kommt dadurch eindeutig zum Ausdruck, daß alle Organe — die Vollversammlung, die Ausschüsse und der Vorstand — in Zukunft mit einem Drittel Gesellen besetzt sein werden.
Ich könnte die Beispiele für die Fortschrittlichkeit dieser neuen Handwerksordnung noch weiter
fortsetzen. Es kam mir aber nur darauf an, Ihnen zu zeigen, daß wir entsprechend der weittragenden Bedeutung dieser Ordnung mit aller Kraft bemüht waren, etwas zu schaffen, was den Erfordernissen des Handwerks entspricht und seiner volkswirtschaftlichen Bedeutung gerecht wird. Wenn in den Ausschußsitzungen auch in der einen oder andern Frage keine vollständige Übereinstimmung erzielt werden konnte, so waren wir uns doch über die große Linie im klaren, die im Interesse unseres Volkes und des Handwerks einzuhalten war.
Eine Bitte habe ich noch zum Schluß meiner Ausführungen an Sie: Geben Sie unserem Handwerk mit diesem Gesetz die Chance, seine aus der Geschichte gewachsenen Aufgaben zu erfüllen, und schenken Sie ihm das Vertrauen, daß es — würdig seiner Tradition — so tätig ist, wie Sie es und wie es das gesamte deutsche Volk von ihm erwarten.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Lange.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie schon aus dem Bericht hervorgeht, ist nicht in allen Fragen im Ausschuß Übereinstimmung erzielt worden, und die Abstimmung eben beweist, daß immerhin noch Meinungsverschiedenheiten vorhanden sind. Ich darf in diesem Zusammenhang sagen: Die Argumentation, mit der unsere Anträge abgelehnt worden sind, macht es uns nicht gerade leicht, unsere Zustimmung zu diesem Gesetz zu geben.
Wir sind — und das hat unser Sprecher schon in der ersten Lesung zum Ausdruck gebracht — durchaus der Auffassung, daß es im Interesse der Ausbildung unseres Nachwuchses, im Interesse auch der Leistungssicherung — und damit decken sich unsere Argumente mit denen der anderen —durchaus erforderlich ist, einen bestimmten Berufsausbildungsgang mit der Meisterprüfung als Abschluß sicherzustellen, aus einer Reihe von Erwägungen, die nicht nur für das Handwerk, sondern für die gesamte gewerbliche Wirtschaft zutreffen, da, wie auch hier schon verschiedentlich festgestellt, rund 70 % der gewerblichen Lehrlinge im Handwerk ausgebildet werden, aber für die jungen Menschen, wenn sie ausgelernt haben, im Handwerk nicht Arbeitsplätze in dem Umfang vorhanden sind, sondern sie in die Industrie abwandern müssen. Darüber hinaus muß dieses Gesetz, das auch eines der — sagen wir — Organisationsgesetze der Wirtschaft ist, in einem bestimmten Umfang die Vorstellungen verwirklichen, die über die Mitwirkung und Mitbestimmung des Arbeitnehmers in der Wirtschaft nicht nur bei uns, sondern in weiten Teilen unseres Volkes bestehen. Insoweit lag uns daran, den Charakter der Selbstverwaltung, der sich in der Organisation der Kammern und in ihrer Zusammensetzung ausdrückt, vollkommen rein zu erhalten.
Wir waren in den Ausschußberatungen durchaus skeptisch gegenüber all dem, was sich mit den Vorstellungen von der Möglichkeit der Organisationsform und der Wirksamkeit der Organisationsformen außerhalb der Kammern, also den Innungen und den Innungsverbänden und den Kreishandwerkerschaften, verbindet. Wir bezweifeln, daß sich das in vollem Umfang realisieren läßt, da — das darf ich vielleicht auch einmal sagen — man den Eindruck gewinnen kann, daß die Vorstellung weit
verbreitet ist: wenn eine Organisation vorhanden ist, die entsprechende Befugnisse hat, dann seien die Sorgen und Nöte, die man so im einzelnen beim Handwerk und beim einzelnen Handwerker haben mag, beseitigt. Das dürfte ein falscher Glaube sein. Es handelt sich einfach darum, daß die Organisation nur dann funktioniert, wenn auch die entsprechenden Leute vorhanden sind, die sie tragen. Wäre der Wille, von dessen Motiven man seitens des Zentralverbandes des deutschen Handwerks und auch seitens der Handwerksvertreter der Koalition hier gesprochen hat, wirklich gegeben und wäre man von dieser Seite wirklich geneigt gewesen, diesen Vorstellungen Rechnung zu tragen, dann wäre es möglich gewesen, zu einer — ich möchte sagen — vollständigen Übereinstimmung zu gelangen. Uns ist jedenfalls die Innung als öffentlich-rechtliche Körperschaft, ohne eine unserem Wunsch entsprechende, von uns als notwendig erkannte Verstärkung des Gesellenausschusses, ein Kriterium, das uns gegenüber der Handwerksordnung äußerst kritisch stimmt. Es wird künftighin an den Beteiligten liegen, d. h. an den Organisationen der Selbständigen, der Meister, aber auf der anderen Seite — das ist auch an die Adresse der Selbständigen gerichtet — auch an den Organisationen der Arbeitnehmer und in dem Zusammenhang der Gewerkschaften, durch Ausschöpfung der im Gesetz gegebenen, unserer Meinung nach ungenügenden Möglichkeiten dieses Gesetz, soweit es eben denkbar ist, zu einem Instrument der wirtschaftlichen Mitbestimmung und wirtschaftlichen Mitwirkung, der echten Selbstverwaltung auf dem Handwerkssektor zu machen.
— Herr Stücklen, es ist ein Irrtum, wenn Sie meinen, wir kommen von dem Industriegedanken nicht ab. In diesem Zusammenhang darf ich sagen: Wir haben das ja gerade dadurch, daß wir der Drittel-Beteiligung der Gesellen unsere Zustimmung gegeben haben, bewiesen.
Im Gegensatz zu der vorhin vom Kollegen Paul vertretenen Auffassung, der DGB fordere die Parität, erwähne ich nebenbei, daß auch der DGB diese Auffassung vertritt, wobei er aber sehr deutlich sagt, daß es ihm für die übrigen zwei Drittel darauf ankommt, die Alleinmeister und die übrigen Handwerksmeister, im Schnitt gesehen, in entsprechender Weise zu berücksichtigen, wie das auch schon in den Erörterungen hier festgestellt worden ist.
Außerdem darf ich für meine Fraktion noch einmal sagen: Wir sind nicht geneigt, dieses Gesetz in irgendeiner Form als Schutzgesetz zu betrachten, sondern es soll das Handwerk nun, nachdem es, wie das in der ersten Lesung im Jahre 1950 hier zum Ausdruck gebracht worden ist, 50 Jahre oder noch mehr Schutzgesetzgebung gegeben hat, jedenfalls von uns aus auf eigene Füße gestellt werden, und es soll seine Dinge im Rahmen der übrigen Wirtschaft so erledigen, daß es nicht mehr weiter auf Staatskrücken gehen muß. Ich glaube, nach 50 Jahren Schutzgesetzgebung darf man auch unter veränderten wirtschaftlichen Umständen durchaus der Meinung sein, daß das Handwerk seine eigenen Belange auch selbständig vertreten kann.
Aber alles andere, was in diesem Zusammenhang zur Mitbestimmung und zu der sogenannten berufsständischen Ordnung auf der einen Seite und zu der klassenkämpferischen Haltung auf der anderen Seite gesagt worden ist, das ist doch irgendwie fehl am Platze; denn Kollege Mensing, wieweit Sie die
Dinge selbst ernst nehmen, weiß ich nicht, wieweit Sie sie nur zur Propagandarede benutzen, weiß ich auch nicht und will ich auch gar nicht weiter untersuchen. Diese Dinge, Kollege Mensing, sind doch allenthalben sattsam diskutiert und ausgestanden. Nun tun Sie doch nicht immer wieder so, als ob die Sozialdemokratie oder die Gewerkschaften den Klassenkampf erfunden hätten, und tun Sie auch nicht so, als ob Sie die Hüter einer irgendwie bestimmt gearteten Ordnung seien.
— Dann haben sich mittlerweile die Dinge gegenüber der Vergangenheit verändert!
Es kommt einfach darauf an: hier ist heute eine Ordnung zu schaffen, die unseren aus der Gegenwart sich ergebenden Notwendigkeiten entspricht. Diese Forderung sehen wir als Sozialdemokraten in diesem Gesetz zur Ordnung des Handwerks noch nicht verwirklicht. In einem — trotz dieser Bedenken kann ich das sagen — begrüßen wir den Gesetzentwurf, und zwar darin, daß er im Bundesgebiet für diesen Sektor insgesamt die Rechtseinheit herstellt.
Wir als sozialdemokratische Fraktion werden aber, obwohl Sie unsere Anträge nicht freundlich behandelt und uns im übrigen mit Ihren Argumentationen Motive unterschoben haben, die nicht den Tatsachen entsprechen, das Gesetz, da wir es auch als den Anfang einer möglichen Entwicklung betrachten, hinsichtlich seiner Wirksamkeit sehr sorgfältig beobachten. Wir behalten uns vor, zu gegebener Zeit die uns geeignet erscheinenden Änderunganträge in diesem Hause oder in dem neuen Parlament zu stellen. Wir haben das schon gemeinsam im Ausschuß und auch im Bericht zum Ausdruck gebracht. Auch die Positivliste wird in diesem Zusammenhang einer laufenden Überprüfung unterworfen werden müssen, damit keine veralteten, absterbenden Berufe in einer Form beibehalten werden, die volkswirtschaftlich nicht gerechtfertigt ist.
Insoweit kann ich also sagen: Die Sozialdemokratie hat gegenüber dem Gesetzentwurf ihre Bedenken. Ihre Bedenken sind nicht dadurch verschwunden, daß Sie in der vorhin gezeigten Form gegen uns argumentiert haben. Wir werden uns aber nicht der Notwendigkeit dieser Gesetzgebung verschließen, werden dem Gesetzentwurf unsere Zustimmung geben,
werden aber, wie gesagt, diese Dinge sorgfältig beobachten.
Wir richten gleichzeitig an alle Beteiligten den dringenden Wunsch, im Sinne und im Geiste einer vernünftigen Ordnung, wie sie uns notwendig erscheint, zusammenzuarbeiten, nicht einer im anderen ausschließlich Vertreter einer ganz bestimmten, von ihm abzulehnenden Ordnung zu sehen. Natürliche Interessengegensätze bestehen sowieso zwischen Meistern und Gesellen.
Sollten Sie in der Weise, wie Sie es häufig tun, fortfahren, dann wird dieses Gesetz nach meiner Überzeugung nicht zum Segen des Handwerks gereichen.
Darüber hinaus darf ich aber auch noch sagen, daß es uns darauf ankommt, hier Voraussetzungen für weitere Organisationsmöglichkeiten auf dem Gebiete der Wirtschaft zu schaffen.
Zum Schluß noch eine Bemerkung. Ich habe vom Fetischglauben gesprochen, vom Organisationsfetisch. Zur Gesundung des Handwerks sind neben diesen organisationspolitischen Maßnahmen wirtschaftspolitische, kreditpolitische Maßnahmen notwendig, die auch entsprechend der Forderung der Sozialdemokratie ihren wesentlichen Ausdruck in der Schaffung und Förderung des Personalkredits finden müssen, um die notwendige und mögliche Rationalisierung auch im kleinen und kleinsten Handwerksbetrieb durchzuführen, um auch dort auf diese Art und Weise zur Stärkung und Sicherung der Existenz der im Handwerk tätigen Selbständigen und Unselbständigen beizutragen.
In diesem Sinne kann ich also namens unserer Fraktion trotz der zum Ausdruck gebrachten Bedenken sagen: Wir stimmen dem Gesetz zu, um dem Handwerk im Augenblick die Rechtseinheit zu geben, und richten an alle am Handwerk Beteiligten noch einmal die vorhin ausgesprochene Bitte, für eine vernünftige Zusammenarbeit auf dem Gebiete der Gestaltung der Wirtschaft im Rahmen der Selbstverwaltungsorgane des Handwerks Sorge zu tragen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Maerkl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Föderalistische Union - Bayernpartei, Zentrum — wird für das Gesetz zur Neuordnung des Handwerks laut Drucksache Nr. 4172 stimmen. Die Verabschiedung dieser Vorlage erscheint uns von weitreichender Bedeutung. Das Gesetz erfüllt vielleicht nicht alle Wünsche des Handwerks; aber welches Gesetz bringt schon die Befriedigung aller Beteiligten? Auch das Betriebsverfassungsgesetz läßt manche Lücke offen. Doch im wesentlichen und großen ganzen gewährleistet die vorliegende Bundeshandwerksordnung dem handwerklichen Berufsstand eine gute Regelung seiner Selbstverwaltung, seines Berufsweges, seines Erziehungs- und Ausbildungswesens. Wenn heute ein Berufsstand mit Recht auf eine segensreiche Tradition und gleichzeitig auf seine Stellung im Wettbewerb der modernen Wirtschaft hinweisen kann, so ist es das Handwerk. Wir glauben, daß die zu beschließende Handwerksordnung der hervorragenden wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Bedeutung des deutschen Handwerks gerecht wird, gerecht wird den Wünschen, die durch seine Vertretung den Mitgliedern dieses Hohen Hauses unterbreitet wurden, und nicht zuletzt auch im wesentlichen den Interessen der mitarbeitenden Handwerksgesellen und -lehrlinge entspricht.
Die Bundeshandwerksordnung unterscheidet sich in erfreulicher Weise von manchen anderen Vorlagen, die hier beschlossen wurden, bei denen dem einen Teil etwas Begehen wird, was dem anderen genommen werden muß. Hier ist es anders. Hier erhält zwar das Handwerk etwas von entscheidender Wichtigkeit; aber niemandem, weder der Allgemeinheit noch einzelnen Gruppen, werden Opfer zugemutet. Darüber hinaus wird das Handwerk durch die Gesetzesvorlage einer Gesundung und weiteren Steigerung der Leistungsfähigkeit zugeführt werden, was letztlich der ganzen Bevölkerung und der gesamten Wirtschaft zugute kommt.
Das Gesetz bringt dem Handwerk die so notwendige bundeseinheitliche Regelung. Die bewährte Selbstverwaltung und die handwerkliche Berufserziehung, Ausbildung und Fortbildung sind gewährleistet und gesichert, und zwar nunmehr auch in der amerikanischen Zone. Der hohe Stand der Leistungsfähigkeit und die stetige Fortentwicklung des Handwerks sind nicht zuletzt der sachgemäßen Förderung der Handwerksbetriebe im Rahmen der Selbstverwaltung und der Heranbildung vorzüglicher Fachkräfte zu danken. Dies wird sicher auch für den Erfolg in der Zukunft bestimmend sein.
Die Berufsausbildung steht im Zeichen des Befähigungsnachweises, der durch das Bestehen der Gesellen- und Meisterprüfung erworben wird und dessen Besitz Voraussetzung für die Eintragung in die Handwerkerrolle ist. Die Meisterprüfung, die Pforte zur Selbständigkeit, muß wieder allen, die sich einem Handwerksberuf zuwenden, verpflichtendes Ziel sein. Die Aufnahme des Befähigungsnachweises in das Gesetz haben Organisationen verschiedenster Art und Richtung bejaht und gefordert, vor allem auch unsere größte und älteste Gesellenbewegung, die deutsche Kolpingsfamilie. Der Befähigungsnachweis ist kein Monopol. Jeder, der die Meisterprüfung bestanden hat, kann sich selbständig machen, wann und wo er will. In einigen Ländern der Bundesrepublik wurde von einer Besatzungsmacht dem Leistungs- wie dem Ausbildungsstreben des Handwerks durch die Zerstörung berufsständischer Grundlagen größter Schaden zugefügt. Wir, die Föderalistische Union — Bayernpartei—Zentrum —, haben deshalb gerne jede mögliche Initiative zur Beseitigung dieser Schäden und zur Erfüllung der berechtigten Forderungen des Handwerks ergriffen und durch Anträge am Zustandekommen der Bundeshandwerksordnung mitgewirkt. Wir sind überzeugt, daß die Verabschiedung des Gesetzes zur Ordnung des Handwerks in allen Ländern der Bundesrepublik, besonders auch in Bayern und den anderen Ländern der amerikanischen Zone, nicht zuletzt beim Handwerk selbst mit großer Genugtuung aufgenommen wird.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Etzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundestag hat gestern, wie die Presse es mit einem Anflug von Pathos ausdrückte, die Magna Charta der Vertriebenen und Flüchtlinge verabschiedet. Er sieht sich heute in der Lage, eine andere Verfassungsurkunde, die des Handwerks, zu beschließen. Damit wird dem Interregnum einer unter der Besatzungsherrschaft entstandenen Rechtsunordnung, Rechtsunsicherheit und Rechtszersplitterung ein Ende gemacht.
Ich glaube, daß der Gesetzentwurf im wesentlichen gelungen ist. Er hat jahrzehntelang bewährte Einrichtungen und Regelungen übernommen oder wiederhergestellt, aber auch den inzwischen gemachten Erfahrungen Raum gegeben und den veränderten Verhältnissen Rechnung getragen. Im großen ganzen atmet er den Geist der Freiheit und der Demokratie, der in sich dreigegliederten Berufsgemeinschaft, der Gleichberechtigung zwischen Selbständigen und Unselbständigen, der Selbstverwaltung und der Selbstverantwortung. Das Gesetz wird das sein, was das Handwerk aus ihm macht. Dieses ist sich wohl bewußt, daß es nicht so sehr aus der berufsständischen Apparatur, als vielmehr aus dem Leistungs- und 'Fortschrittswillen und dem Verantwortungsbewußtsein gegenüber der Gesamtheit erfolgreich bestehen und leben kann. Der Gesetzentwurf vermeidet eine Hypertrophie des Organisatorischen. Hier war die Lehre des Nationalsozialismus heilsam, der die bis ins letzte Glied geschlossene Berufsstandsorganisation vornehmlich zu dem Zwecke geschaffen hat, einen riesigen, auf politischen Anschlag prompt reagierenden Apparat des Befehlsempfangs, der Befehlsausgabe und des Befehlsvollzugs — vor allem für den A-Fall — zur Verfügung zu haben. Ich möchte dem Handwerk wünschen, daß es nicht noch einmal in die Gefahr oder Lage kommt, das Opfer eines solchen politischen Mißbrauchs zu werden.
Der Entwurf bewegt sich in den Vorschriften über die Handwerksinnungen und Handwerkskammern sowie über die Berufsausübung und den Befähigungsnachweis vorsichtig zwischen dem besatzungsrechtlichen Vorbehaltsgebiet der Dekartellisierung und den Artikeln 9 und 12 des Grundgesetzes. Die unbedingte Zwangsinnung und die fakultative Pflichtinnung wurden mit Recht abgelehnt. Über die Zuerkennung des Charakters einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft statt einer solchen des privaten Rechts an Innung und Kreishandwerkerschaft kann man geteilter Meinung sein. Die Vorschrift des § 70 enthält ein mittelbares Zwangselement, das wahrscheinlich hätte entbehrt werden können. Die Bestimmungen über den Befähigungsnachweis stellen ein Gesetz über die Berufsausübung im Sinne des Art. 12 des Grundgesetzes dar. Die Besatzungsmächte dürften keinen Anlaß haben, einen Schritt nach Nr. 2 f des Besatzungsstatuts zu unternehmen. Aber einige Gerichte haben in letzter Zeit den Befähigungsnachweis als mit Art. 12 des Grundgesetzes nicht vereinbar erklärt. Es ist zu hoffen, daß hier nach dem Inkrafttreten des Gesetzes ein Wandel eintritt.
In der Verwirklichung des Grundgedankens der Berufsgemeinschaft ist durch die Einbeziehung der Gesellenschaft in den Aufbau der Handwerkskammern und ihrer Organe ein bedeutender Fortschritt erzielt warden. Der Föderalist begrüßt es, daß in der Frage der Landes- und der Bundesberufsvertretung Enthaltung geübt wurde und daß die Bundesinnungsverbände nur über die Landesinnungsverbände gebildet werden sollen. Das Anliegen der Schaffung der Landes- und der Bundesberufsvertretungen soll den zu bildenden überbetrieblichen Vertretungskörpern aller Berufsstände, also der Einrichtung von Bundeswirtschaftsrat und Landeswirtschaftsrat, vorbehalten bleiben. Die öffentliche Gewalt wird sich bei der Handhabung der Aufsicht, die nur die allgemeine Kontrolle der Gesetzmäßigkeit der Tätigkeit der Handwerkskammer, nicht aber auch Fachaufsicht ist, Selbstbeschränkung auferlegen müssen.
Die wichtige Frage der Rechtsnachfolge ist in § 113 nur hinsichtlich der neuen Körperschaften und der bisherigen Organisationen des Handwerks, nicht auch bezüglich derjenigen aus der Zeit vor dem 8. Mai 1945 behandelt. Darüber wird später im Zusammenhang mit der Ausführung des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für Angehörige des öffentlichen Dienstes, aber auch im Zuge der Be-
ratung der Novelle zum Bundesgesetz nach Art. 131 des Grundgesetzes zu sprechen sein.
Möge sich das Handwerk im neugebauten Hause wohlfühlen; möge es ihm die volle Entfaltung seiner Kräfte erleichtern, und möge das Hohe Haus die Verabschiedung mit der gleichen Einmütigkeit vornehmen, wie es dies jüngst bei dem Gesetz über die Kaufmannseigenschaft von Handwerkern getan hat!
Das Wort hat der Abgeordnete Eickhoff. -
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Entwicklung des Handwerks in den drei Zonen von 1945 bis jetzt sollte 'dieses Gesetz eigentlich von jedem begrüßt werden, weil endlich auf dem Handwerkssektor auf Bundesebene gleiches Recht geschaffen wird. Ich glaube, daß unsere Kollegen aus der amerikanischen Zone besonders erfreut sind, weil bei ihnen der Wirrwarr, der durch die zügellose Gewerbefreiheit entstanden war, nun endlich beendet wird.
Wir in der britischen Zone waren Gott sei Dank infolge der Aufbauverordnung, die vorhin von Herrn Lange schon zitiert wurde, etwas glücklicher dran. Ich muß hier feststellen, daß der Engländer 1946 doch etwas mehr Verständnis als der Amerikaner aufgebracht hat. Es ist damals schon unseren führenden Männern, insbesondere Herrn Präsident Uhlemeyer und Oberbeck, gelungen, dem Engländer klarzumachen, daß die Struktur des deutschen Handwerks eine andere ist als in allen anderen Ländern. Deswegen hat das deutsche Handwerk auch bei uns immer eine Sonderstellung in der Gesamtwirtschaft eingenommen. Diese Sonderstellung hat sich aber das Handwerk selbst erarbeitet, und wenn irgendwelche Gesetze geschaffen worden sind, dann sind sie nicht geschaffen worden, wie Herr Lange vorhin meinte, zum Schutz gegen die Konkurrenz, nein, sie sind nur geschaffen worden, um unserer Verbraucherschaft die Sicherheit zu geben, gut und fachmännisch bedient zu werden.
Das Handwerk hat aber auf der andern Seite auch von jeher Sonderaufgaben zu erfüllen gehabt. Ich erinnere Sie daran, daß vom Handwerk im Augenblick 500 000 Lehrlinge ausgebildet werden, daß die Ausbildung dieser Lehrlinge den Staat nichts kostet, daß vom Handwerk also jährlich 170 000 tüchtige Facharbeiter der deutschen Wirtschaft zur Verfügung gestellt werden. Auch diese haben ihren Teil am Wiederaufbau und am Export beigetragen, und ich glaube, daß wir der Lehrlingsausbildung im Gesetz einen immerhin ziemlich großen Raum gegeben haben.
Wir wollen in diesem Gesetz den sozialen Fortschritt berücksichtigen, weil wir im Sinne des alten Dreiklangs Lehrling, Geselle und Meister in unseren Handwerksbetrieben den sozialen Friedenerhalten wollen. Gerade wir vom Handwerk wollen dem sozialen Fortschritt Tür und Tor aufmachen. Ich hoffe, daß die Aufgaben, die die Gesellenausschüsse jetzt bekommen haben — die allerdings auch mit Pflichten verbunden sind —, von diesen gern wahrgenommen werden. In der Vergangenheit war es oft nicht so. Ich verspreche mir von der Mitwirkung der Gesellenausschüsse immerhin eine Belebung unseres Innungslebens.
Aber, meine Damen und Herren, wenn wir vom Handwerk heute einen Freudentag haben — das kann man offen sagen —, dann sollten wir in diesem Augenblick auch einmal an unsere Kollegen in der Ostzone denken, die diese Freude nicht mit uns teilen können.
-- Nein, das sind keine Märchen. — Diese Kollegen warten jeden Tag auf die persönliche Freiheit, die wir hier jeden Morgen als selbstverständlich hinnehmen.
In vielen Sitzungen haben wir uns mit dieser Vorlage beschäftigt. Ich muß Herrn Kollegen Lange auch das Kompliment machen, daß er im Ausschuß wirklich intensiv mitgearbeitet hat. Wir haben uns zusammengerungen, und wir von meiner Fraktion sind überzeugt, daß wir mit dieser Ordnung etwas Gutes für das Handwerk geschaffen haben. Meine Fraktion stimmt dieser Handwerksordnung freudig zu, und ich hoffe, daß das ganze Haus das gleichfalls tut.
Das Wort hat der Abgeordnete Paul.
— Das werden Sie sich wohl gefallenlassen müssen!
Meine Damen und Herren! Mit Recht hat der Herr Abgeordnete Lange als Berichterstatter des Ausschusses darauf hingewiesen, daß durch diese Handwerksordnung keineswegs eine soziale Sicherheit für las Handwerk gegeben ist. Wenn man heute die Redner der Koalitionsparteien anhörte, dann konnte man feststellen, daß sehr schöne Worte über die Bedeutung des Handwerks und die „große Sorge" gesprochen wurden, die die Koalitionsparteien für das Handwerk an den Tag legen. Aber als im vergangenen Jahr bei der Verabschiedung des Investitionshilfegesetzes die Berücksichtigung der Wünsche und der Interessen des Handwerks zur Debatte stand, da wandten sich die Koalitionsparteien gegen die Berücksichtigung der Interessen und der Forderungen des Handwerks.
Die Politik, die von den Koalitionsparteien und der Regierung betrieben wird, ist eine handwerksfeindliche Politik. Während man Milliardenbeträge für die Remilitarisierung
und die Erhöhung der Besatzungskosten bereitstellt, hat man gleichzeitig für die Forderungen des Handwerks kein Geld. Erst vor wenigen Monaten hat man versucht, Propagandaanträge an den Mann zu bringen. Desgleichen tut man herzlich wenig zur Förderung des Nachwuchses im Handwerk. Oder wollen Sie sagen, daß die 6 oder 10 Millionen DM, die Sie im letzten Haushaltsjahr bereitgestellt haben, eine ausreichende Hilfe für das Handwerk darstellen? Andererseits haben Sie den Großkapitalisten auf Grund der letzten Steuerreform 1 Millarde DM Steuergeschenke gegeben.
Die Politik, die durch die Ratifizierung der Kriegsverträge eingeleitet ist, richtet sich gegen die Existenz des Handwerks, bringt Unsicherheit für das Handwerk und führt zu einem Zustand, den wir vor und während des Hitler-Krieges hatten, als Tausende von Handwerkern ruiniert worden sind.
Durch diese Verträge wurde die Spaltung Deutschlands vertieft. Gehen Sie einmal an die Zonengrenze, dann werden Sie sehen, wie dort auf Grund der Spaltung Deutschlands und auf Grund der Behinderung des Handels mit dem Osten die Handwerksbetriebe zugrunde gehen.
Es wurde auf die „große Bedeutung" des Gesetzes hingewiesen. Der letzte Diskussionsredner erklärte, an diesem Freudentag des westdeutschen Handwerks könnten die Handwerker der Deutschen Demokratischen Republik leider nicht teilnehmen.
Ich mache darauf aufmerksam, daß in der Deutschen Demokratischen Republik schon vor einem Jahr eine Handwerksordnung von der Volkskammer verabschiedet wurde, die dem Handwerk eine wirklich soziale und rechtliche Sicherung gibt. Das ist Ihnen auch bekannt. Genau so wissen Sie, daß die Steuerbegünstigung für das Handwerk in der Deutschen Demokratischen Republik eine wirkliche und große Hilfe für dieses darstellt.
Zum Unterschied davon halsen Sie hier dem Handwerk immer neue Steuern auf.
Dieses Gesetz erfüllt keineswegs die Forderungen des Handwerks, obwohl man hier so schöne Worte gedrechselt hat. Wir sind für den Schutz des Handwerks. Die KPD hat sich schon immer gegen die Versuche der Amerikaner gewandt, das Handwerk durch die Beseitigung des großen Befähigungsnachweises fertigzumachen. Diese Gesetzesvorlage bringt aber keine echte Selbstverwaltung des Handwerks, sondern gibt den obersten Landesbehörden im Gegenteil große Eingriffsmöglichkeiten. Auch die Zwangsbeitreibung der Beiträge durch die Gemeinden steht nicht im Einklang mit der Freiwilligkeit des Beitritts zu einer Innung oder einer Handwerkskammer.
Das Gesetz gewährt auch keine ausreichende Mitbestimmung der Gesellen, weder in den Gesellenausschüssen noch in den Handwerkskammern. Es gibt schließlich auch keine wirtschaftliche und soziale Sicherheit. Wir wenden uns dagegen, daß man mit diesem Gesetz den Handwerkern etwas vortäuscht. Nach unserer Meinung sollte diesem die wirkliche Selbstverwaltung gegeben werden. Wir sind der Ansicht, daß dem Handwerk mit der friedlichen Wiedervereinigung Deutschlands, mit dem freien Handel mit allen Völkern die wirtschaftliche Garantie, die es verlangt, gegeben wird. Weiter meinen wir, daß durch das Mitbestimmungsrecht der Gesellen auf allen Gebieten der handwerklichen Organisationen die Grundlagen dafür geschaffen würden, daß Meister und Gesellen im Interesse des friedlichen Aufbaus Deutschlands zusammenarbeiten könnten.
Da Sie unsere Änderungsanträge wie auch die der SPD abgelehnt haben, werden wir diesem Gesetz unsere Zustimmung nicht geben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Nöll von der Nahmer.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren! Welch ein Unterschied zwischen den Parlamentsdebatten über Handwerkerfragen in der Krisenzeit der 90er Jahre und dem, was wir heute hier sagen und beschließen! Damals eine Art müder Untergangsstimmung, daß das Handwerk angeblich verloren sei, wie die düstere Prophezeiung von Karl Marx mit der Akkumulationstheorie es behauptete! Und heute? Herr Kollege Lange hat ganz recht, wenn er sagte: Was wir heute hier beschließen, ist nicht mehr eine Schutzgesetzgebung, sondern der Charakter dieser Handwerkergesetzgebung hat sich völlig geändert. Es ist das große Organisationsstatut, das wir beschließen und das dem Handwerk einen weiteren Aufstieg sichern soll, nachdem es sich im letzten halben Jahrhundert immer mehr als großes und leistungsfähiges Bollwerk gegen die auf anderen Gebieten immer mehr um sich greifende Vermassung und Mechanisierung unseres ganzen Daseins erwiesen hat. Es ist schon so, meine Damen und Herren:
Handwerk ist Werk der Hand, Beseelt vom Herzen,
Geleitet vom Verstand.
Da ist noch „beseelte" Arbeit! Gerade in den soziologisch-ideellen Momenten liegt eine der wesentlichsten Aufgaben und eine der positivsten Seiten des Handwerks in der Gegenwart.
Meine Damen und Herren! Es sind drei Fragen, die meine Freunde in dem vorliegenden Gesetzentwurf besonders berühren. Das ist zunächst die Frage des Befähigungsnachweises. Immer wieder taucht die Frage auf: Ist der Befähigungsnachweis etwa ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gewerbefreiheit? — Wir Freien Demokraten sind bekanntlich durchaus für eine möglichst freie Wirtschaft. Aber es ist ja nicht so, daß der Befähigungsnachweis gegen diesen Grundsatz verstößt. Jeder wird zur Prüfung zugelassen. Man soll die Prüfungen auf diesem Gebiet ebensowenig wie auf anderen überschätzen. Aber die Meisterprüfung bedeutet vor allem einen Schutz für den kommenden selbständigen Handwerksmeister, einen Schutz davor, daß er wirtschaftlich nicht vorankommt, weil er den betriebswirtschaftlichen Fragen allzuwenig Aufmerksamkeit widmet. Gerade der Zwang für den jungen Gesellen, sich mit den betriebswirtschaftlichen Fragen neben den technischen Aufgaben vertraut zu machen, damit er die Meisterprüfung bestehen kann, scheint uns ein großes Positivum der Meisterprüfung zu sein. Wir begrüßen es auf der andern Seite, daß die Ausschußfassung der §§ 44 und 112 elastisch ist, so daß insbeondere diejenigen, die in der amerikanischen Zone einen selbständigen Handwerksbetrieb aufgebaut haben, diesen Betrieb weiterhin behalten können, auch wenn sie nicht die Voraussetzungen dieser Gesetzgebung erfüllen.
Dann, meine Damen und Herren, zur Innungsfrage. Sie bildet gerade für uns aus RheinlandPfalz ein besonders schwieriges Problem, weil unsere Freunde vom Handwerk enttäuscht darüber sind, daß die Zwangsinnung fortfällt. Das Problem Zwangsinnung — freie Innung ist ja seit Jahrzehnten immer wieder bearbeitet worden. Unendlich viel ist darüber geschrieben worden. Aber hier müssen wir eben unseren Freunden sagen, daß Art. 9 des Grundgesetzes die Zwangsinnung unmöglich macht. Wir teilen auch nicht ganz die Besorgnisse, daß dort, wo bisher Zwangsinnungen
waren und wo wir nun die freie Innung bekommen, das Innungsleben darunter leiden wird. Wir hoffen, daß das gesamte Handwerk doch von der Zweckmäßigkeit und den Vorteilen überzeugt ist, die eine Beteiligung an einem gesunden und blühenden Innungswesen für jeden einzelnen Handwerker bieten.
Und endlich die Frage, die Herr Kollege Lange als Berichterstatter auch schon erwähnt hat: aie heimatvertriebenen Handwerker. Meine Damen und Herren, es wird auch in diesem Hause immer wieder der Fehler gemacht, daß man die Heimatvertriebenen immer nur unter dem Gesichtspunkt der sozialen Belastung betrachtet. Nein, gerade hier hat sich doch in sehr vielen Gebieten unseres Vaterlandes gezeigt, welch große Befruchtung unseres gesamten wirtschaftlichen und kulturellen Lebens die Heimatvertriebenen gebracht haben. Das scheint mir in besonderem Maße für das Handwerk zu gelten.
Unsere sudetendeutschen Schneider haben auf das einheimische Schneiderhandwerk außerordentlich befruchtend gewirkt. Es war immer ein Stolz des Handwerks, insbesondere früher, als der Geselle noch auf die Wanderschaft ging, sich die Erkenntnisse und die Techniken aus anderen Gebieten anzueignen. Diese positive Leistung unserer heimatvertriebenen Handwerker muß hier einmal anerkannt werden. Wir haben deshalb auch in der FDP-Fraktion den Wunsch, daß sich die Organisationen des Handwerks, wie wir sie jetzt in diesem Gesetz statuiert haben, besonders der Pflege der Zusammengehörigkeit mit den unglücklichen vertriebenen Berufsgenossen annehmen möchten, nicht nur aus allgemeinen menschlich-sozialen Gründen, sondern gerade auch im Interesse unseres gesamten einheimischen Handwerks.
Meine Damen und Herren, wir haben hier einmal den erfreulichen Fall, daß uns ein Gesetzgebungswerk vorgelegt ist, dem man nach Ansicht meiner Freunde mit vollem Herzen zustimmen kann. Der Entwurf mag die oder jene Hoffnung nicht erfüllt haben; aber diese kleinen Mängel sind gering gegenüber der Gesamttendenz und den Lösungen, die hier in einer mühsamen, aber gründlichen Ausschußarbeit gefunden wurden.
Die Freie Demokratische Fraktion wird deshalb diesem Gesetzentwurf mit Freuden zustimmen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Mensing.
Meine Damen und Herren! Bevor ich meinem Kollegen Renner die Spritze verabfolge, möchte ich dem Hohen Hause noch zwei interessante Zahlen zur Kenntnis geben.
Nach den amtlichen Ergebnissen der Handwerkszählung vom 30. September 1949 wurden im Bereich der deutschen Bundesrepublik 906 508 Betriebsinhaber gezählt, von denen 476 727, das sind 52,6 %, die Meisterprüfung abgelegt haben.
Schon diese Zahlengegenüberstellung beweist, daß das Handwerk bei der Anwendung der Zulassungsbestimmungen großzügig verfahren ist.
Hinsichtlich der Heimatvertriebenen darf ich Ihnen eine interessante Zahl aus Niedersachsen zur Kenntnis bringen. In den Jahren von 1950 bis 1952 wurden dort 20 037 Betriebe eingetragen; hierunter befanden sich 5256 Betriebe von Heimatvertriebenen. Ich glaube, durch diese Zahlen beweisen wir den Heimatvertriebenen, daß wir absolutes Verständnis für ihre Belange haben.
Und nunmehr, verehrter Herr Renner, darf ich Ihnen folgendes zur Kenntnis bringen.
Es ist geradezu unglaublich, wenn dieses Hohe Haus sich Ihre Tiraden gefallen läßt. Darüber, wie es in Wirklichkeit bei Ihren kommunistischen Freunden in der Sowjetzone aussieht, bringe ich Ihnen folgendes zur Kenntnis. Der Untersuchungsausschuß freiheitlicher Juristen
teilt mit, daß seit dem 1. Januar 1951 in der Sowjetzone 50 361 Handwerksbetriebe eingegangen sind. Die Geschäftsschließungen sind aus einer Meldung des Finanzministeriums an die Sowjetische Kontrollkommission zu entnehmen, die u. a. folgende Betriebe aufführt: 8000 Damenschneidereien, 5000 Herrenschneidereien, 2400 Fleischereien, 5000 Schuhmachereien und 2700 Bäckereien. 25 % der betreffenden Gewerbetreibenden sind Lohnempfänger geworden, 15 % haben eine andere Tätigkeit, 25 % leben von gelegentlichen Schwarzarbeiten, und etwa 20 000 sind erwerbslos und erhalten keine Unterstützung aus öffentlichen Mitteln.
— Diese Zahlen, Herr Renner, bedeuten, daß Ihre kommunistischen Freunde in der Ostzone Totengräber des deutschen Handwerks sind.
— Ich möchte Ihnen, wenn Sie den Bundeskanzler erwähnen, die Worte noch einmal in Erinnerung bringen, die der Bundeskanzler Ihnen einmal bei einer Debatte zurief: „Sie, Herr Renner, mögen auf vielen Gebieten ein guter Renner sein — auf diesem Gebiet sind nur ein ganz kleines Panjepferd!"
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Brentano.
Also das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Brentano! Herr Kollege Renner, Sie haben das Wort nicht mehr; ich kann Ihnen nicht helfen!
Meine Damen und Herren! Die Fraktion der CDU/CSU wird diesem Gesetz zustimmen, und sie wird ihm gern zustimmen, weil sie glaubt, daß wir mit dieser neuen
) Berufsordnung für das deutsche Handwerk einen guten Schritt voran getan haben.
Wir glauben insbesondere, daß dieses Gesetz in einer sehr glücklichen Weise das vereint, was sich von früher her als gut und wertvoll erprobt und bewährt hat, ohne in dem Erprobten allein hängen zu bleiben, sondern auch schon durch die Auflockerung im Organisatorischen und durch den Nachdruck, der auf die fachwissenschaftliche und fachwirtschaftliche Bildung gelegt ist, Wege für eine neue Entwicklung zu zeigen. Ebenso begrüßen wir das Gesetz — und da stimme ich dem zu, was Herr Kollege Lange sagt — ganz besonders, weil wir glauben, daß endlich einmal auf diesem wichtigen Gebiete die Rechtseinheit wiederhergestellt werden muß, die gestört war. Diese' Zerstörung der Rechtseinheit hat tatsächlich — und gerade wir in der amerikanischen Zone wissen das — Ergebnisse gezeitigt, die wir bedauern und von denen wir hoffen, daß sie sich nicht mehr wiederholen werden.
Meine Damen und Herren! Das deutsche Handwerk stellt sowohl wirtschaftspolitisch wie soziologisch einen so starken Anteil am deutschen Volk und an der deutschen Wirtschaft, daß der Anspruch auf eine gute, gerechte und gesunde Ordnung uns berechtigt zu sein scheint. Ich möchte allerdings auch sagen, daß wir durch dieses Gesetz dem deutschen Handwerk vom Parlament aus ein Vertrauen bekunden, von dem ich überzeugt bin, daß es mit der guten Arbeit des deutschen Handwerks auch belohnt werden wird.
Wir haben mit dieser Handwerksordnung einen Schritt getan. Es bleiben noch andere Schritte übrig, um auch auf dem Gebiete der Wirtschaft das Handwerk nicht nur zu rationalisieren, wie gesagt worden ist, sondern um es auch dort zu fördern, wo es förderungswürdig ist, und gleiche Wettbewerbsbedingungen auch für das Handwerk dort zu schaffen, wo vielleicht die Wettbewerbsbedingungen verschoben sind. Meine Damen und Herren, das sind weitere Aufgaben, die dem Gesetzgeber und der Regierung bleiben; und ich möchte gerade die Regierung auch bei der Verabschiedung dieses Gesetzes an diese wichtigen Pflichten erinnern.
Ich wiederhole, daß meine Fraktion diesem Gesetz in seinem ganzen Inhalt gern zustimmen wird.
Meine Damen und Herren, damit kann ich die allgemeine Aussprache der dritten Beratung schließen.
Wir kommen zur Einzelberatung. Änderungsanträge liegen vor zu den §§ 1, 26, 53 und 124, die ich also zur Einzelberatung aufrufe.
Zu § 1 der Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU, FDP, DP, FU, Umdruck Nr. 853 Ziffer 1,
— der nach der allgemeinen Aussprache offenbar keiner Begründung bedarf: Sticker, Stricker, Handschuhmacher und Holzschuhmacher. Es handelt sich in diesem Fall nicht um Bundestagsabgeordnete, sondern um Berufsbezeichnungen.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Änderungsantrag Umdruck Nr. 853 Ziffer 1 zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Ich bitte
um die Gegenprobe. Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen mit Mehrheit angenommen.
Ich komme zur Abstimmung über § 1 in der in dieser Form abgeänderten, Fassung. Ich bitte die Damen und Herren, die § i zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die überwiegende Mehrheit des Hauses; ist angenommen.
Ich komme zu § 26, zu dem, wenn ich recht unterrichtet bin, Herr Abgeordneter Lange einen Änderungsantrag in Aussicht gestellt hat, der mir noch nicht vorliegt, der aber in diesem Augenblick im Anrücken ist. — Sie wollen ihn doch begründen, Herr Abgeordneter Lange? Bitte sehr!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich brauche den Antrag nicht weiter zu begründen, sondern ich habe hier nur noch einmal die Bitte auszusprechen, das Berufsverbot, das praktisch in § 26 Satz 2 auf neun Monate ausgedehnt ist, wenigstens so weit zu mildern, daß man statt der neun Monate sich auf drei Monate verständigt. Ich bitte Sie also, da wir es tatsächlich beim Lehrling mit dem wirtschaftlich schwächsten Teil zu tun haben, der der Leidtragende ist, unserem Änderungsantrag Ihre Zustimmung zu geben.
Der Antrag geht also dahin, daß in § 26 Satz 2 die Zahl neun durch die Zahl drei ersetzt wird. - Es wünscht niemand mehr das Wort dazu.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD, den Herr Abgeordneter Lange vorgetragen hat, zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Das ist die ganz überwiegende Mehrheit. - Das ist sogar einstimmig. Damit ist der § 26 insofern geändert.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem § 26 in der geänderten Form zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
Zu § 53 liegt der Antrag der Abgeordneten Eplée und Genossen Umdruck Nr. 855 vor. Herr Abgeordneter Eplée, bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heimatvertriebenen Handwerker werden die neue Handwerksordnung begrüßen, zumal diese auch mithelfen kann, den Menschen des Mittelstandes zu dienen. Und wo ein gesunder Mittelstand ist, da ist ein gesundes Volksganzes. Auch die heimatvertriebenen Handwerker haben mit ihrem Können und ihren Leistungen den Neuaufbau gefördert und befruchtet und werden das auch in Zukunft tun.
In diesem Zusammenhang muß aber unbedingt auf folgendes hingewiesen werden. Rund 145 000 heimatvertriebene Handwerker haben ihre Existenz verloren, und nur ein Bruchteil von ihnen ist in der Zwischenzeit entsprechend eingegliedert worden. Über 100 000 Menschen stehen heute in berufsfremder, jedenfalls nicht selbständiger Arbeit oder sind ohne Arbeit. Das ist nicht ihre Schuld, sondern es ist das harte Schicksal, das sie getroffen hat. Auf diese Handwerker bezieht sich nun der Änderungsantrag, der Ihnen auf Umdruck Nr. 855 vorliegt, den mit mir zahlreiche Kollegen gestellt haben und den ich begründen darf.
Den selbständigen Handwerksmeistern, die durch Kriegsschäden oder infolge Vertreibung aus ihrer Heimat ihren Betrieb verloren haben und ihren
Beruf noch nicht wieder selbständig ausüben, sollte die Möglichkeit gegeben werden, in irgendeiner Form bei den Innungen mitzumachen. Es ist mir bekannt, daß in einzelnen Ländern durchaus zufriedenstellende Regelungen bestehen. Das ist aber nicht überall der Fall. Nun machen wir heute ein bundeseinheitliches Gesetz, und da sollte unserer Meinung nach eine Bestimmung hineinkommen, die diese große Gruppe von Handwerksmeistern berücksichtigt. Es genügt, glaube ich, nicht, nur einen Appell an alle zu richten, wie es der Herr Berichterstatter und auch Herr Kollege Nöll von der Nahmer getan haben. Wir sollten vielmehr eine Bestimmung aufnehmen, die alle Unklarheiten und alle Mißstimmungen von vornherein ausschließt. Das sollte wohl im Interesse aller liegen und kann und muß der Sache dienen.
Ich bitte Sie daher um Zustimmung zu diesem Antrag, der Ihnen vorliegt.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Nöll von der Nahmer.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist für mich außerordentlich schmerzlich, daß ich, auch im Namen der Kollegen, die an dem Entwurf maßgebend mitgearbeitet haben, leider auf folgendes aufmerksam machen muß. Der Antrag, mit dem wir in der Sache völlig konform gehen, ist tarifrechtlich nicht haltbar. Das ist die Auffassung aller Sachverständigen. Es würde, wenn wir den Antrag so annähmen, die Gefahr bestehen, daß die Innungen ihre Tariffähigkeit verlören. Das will natürlich wohl keiner der Kollegen, die diesen Antrag gestellt haben. Also muß ich leider bitten, diesen Antrag aus diesen Gründen abzulehnen. Es wird zu prüfen sein, inwieweit man in anderer Weise helfen kann.
Es ist versucht worden, die Annahme des Antrags dadurch zu ermöglichen, daß die Innungsmitgliedschaft auf diejenigen heimatvertriebenen Handwerker beschränkt werden sollte, die nicht in einer abhängigen Stellung sind. Aber damit wäre wieder dem Ziele dieses Antrags nicht entsprochen; denn es ist doch eben leider so, daß allzu viele ehemals selbständige Handwerksmeister heute noch in einer abhängigen Stellung tätig sein müssen. Wir können alle nur hoffen, daß durch die Aufbaudarlehen nach dem Lastenausgleichsgesetz diese Handwerker, die heute noch in abhängiger Arbeit stehen, wieder zu selbständigen Handwerksmeistern werden und ihnen damit der Weg in die Innung eröffnet wird. Aber in der vorliegenden Fassung ist der Antrag wohl leider kaum annehmbar.
Das Wort hat der Abgeordnete Eplée.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur ein paar Worte. Herr Kollege Nöll, von der Nahmer sieht sehr schwarz. Wenn Sie diese Änderung annehmen, so, glaube ich, haben Sie noch gar nichts verdorben. Ihnen steht ja die Möglichkeit offen, durch eine Durchführungsbestimmung die Schwierigkeiten auszuschalten, die Sie jetzt geschildert haben. Ich bitte also nach wie vor, hier zum mindesten eine Geste zu machen. Um die Mißstimmung, von der ich gesprochen habe und die immer latent ist, auszuschalten, ist es nötig, diese Änderung anzunehmen.
Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Besprechung.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag der Abgeordneten Eplée und Genossen Umdruck Nr. 855 zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt. Eine weitere Abstimmung über § 53 entfällt, da er nicht verändert ist.
Ich rufe auf § 124; dazu liegt Änderungsantrag der Fraktionen CDU/CSU, FDP, DP, FU Umdruck Nr. 853 Ziffer 2 vor. Es bedarf keiner besonderen Begründung. — Herr Abgeordneter Horn.
Herr Präsident! Meine Damen und _Herren! Ich bedauere persönlich recht lebhaft, daß ich diesem Antrag der Regierungsparteien widersprechen muß. Es handelt sich hier, wie Ihnen aus der Vorlage deutlich wird, bei der Berlin-Klausel um die Herausnahme des § 49 Abs. 5, so daß bezüglich dieses Absatzes, der dem Handwerk die Möglichkeit gäbe, in Berlin Innungskrankenkassen nach dem für das Bundesgebiet geltenden Recht zu errichten, diese Möglichkeit durch die jetzige Änderung der Berlin-Klausel. wieder beseitigt würde, obschon der Ausschuß die Vorlage so dem Hohen Hause unterbreitet hat.
Das ist nicht der erste Vorgang dieser Art. Lassen Sie mich über meine grundsätzliche Einstellung — die, wie ich glaube, nicht allein ich habe, sondern die auch von vielen hier im Hause ohne Frage geteilt wird — kurz folgendes sagen. Das ist an sich bei früherer Gelegenheit schon ausgesprochen worden, muß aber hier wiederholt werden. Es ist die Absicht und wird auch bei allen anderen Gesetzen so gehalten, daß bei irgendwelchen gesetzlichen Maßnahmen das Berliner Recht an das des Bundes angeglichen wird. Seinerzeit, als wir die Novelle zur Selbstverwaltung machten, ist die Anwendung der Berlin-Klausel von der Mehrheit des Hauses mit der Begründung abgelehnt worden, daß man in dieser Frage dem Lande Berlin bis auf weiteres sein bisheriges Recht mit Bezug auf die gesetzliche Krankenversicherung belassen müsse.
Ich vertrete den Standpunkt, daß man dieses Beispiel nicht bei jedem vorkommenden einschlägigen Gesetz wiederholen kann. Schließlich muß auch auf diesem Gebiet einmal mit der Angleichung an das Bundesrecht wirklich ernst gemacht werden. Die angeblichen politischen Schwierigkeiten, die hier zur Begründung ins Feld geführt werden, die in Berlin eintreten würden, wenn der Abs. 5 in der Ausschußvorlage bestehen bliebe, sind nach meiner festen persönlichen Überzeugung in diesem Ausmaß in Wahrheit nicht vorhanden. Wir haben aber als gesetzgebende Körperschaft des Bundes auch keinen Anlaß, mit dieser Begründung — sagen wir es ganz deutlich — den Bestand der Einheitskrankenversicherung in Berlin auf die Dauer zu garantieren.
Aus dieser ganz grundsätzlichen Erwägung, daß wir wirklich einmal mit diesen Dingen ernst machen müssen, werde ich persönlich gegen diesen Antrag der Regierungsparteien stimmen und würde befriedigt sein, wenn sich aus derselben Haltung heraus möglichst viele Damen und Herren dieses Hauses meinem Vorgehen anschlössen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Kalinke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Immer wenn in diesem Hause von der Berlin-Klausel gesprochen wird, wird vergessen, daß es in dem Gespräch zwischen Berlin und dem Westen — bei dem wir so oft gefragt werden: Was wollt ihr denn tun, damit der Gegensatz zwischen Berlin und dem Westen nicht größer wird? — eine einzige Voraussetzung geben muß, daß nämlich in diesem Hause kein Gesetz beschlossen und keine Regelung getroffen wird, die nicht auch gleichermaßen für Berlin gilt. Nur so schaffen wir auch in Wahrheit gleiches Recht für alle Deutschen im Bundesgebiet und in Berlin und hoffentlich recht bald auch für die zu befreienden Menschen in der Ostzone.
Wenn ich mich nun den Ausführungen meines Kollegen Horn anschließe, dann mit der Hoffnung, daß er nicht nur der einzige seiner Fraktion ist und daß wir aus den Erfahrungen der sozialpolitischen Beratungen in diesem Hause doch endlich lernen, daß jene „Drohung mit der Koalitionskrise" in Berlin — auch wenn es Herrn Mellies mal wieder so lächerlich erscheint — immer als Buh-Mann an die Wand geworfen wird, wenn irgendwelche Einzelfragen zur Diskussion stehen, die nicht im Sozialprogramm der SPD enthalten sind.
Meine Herren und Damen! Wenn Sie noch eines überzeugen kann, dann lesen Sie bitte die „Welt der Arbeit" von heute. Da finden Sie einen Aufsatz über die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte von Herrn Lipinski vom DGB, der sich beklagt, daß wir im Bundestag und daß auch die Bundesregierung völlig übersehen hat, daß die versicherten Angestellten des Landes Berlin in das Selbstverwaltungsgesetz nicht einbezogen worden sind. Vollständig übersehen haben aber die Schreiber dieser Auffassung, daß sie sich selber nicht genug tun konnten, gegen die Einbeziehung Berlins in das Selbstverwaltungsgesetz mit denselben Gefahren zu drohen und es seinerzeit abzulehnen. Ich hoffe, Herr Ollenhauer braucht keinen neuen Brief zu schreiben. Nun aber statt: „Armer, lieber Rentner" wie schlecht wird es dem Handwerk gehen: „armer Handwerker. wenn Du in Berlin in eine Innungskrankenkasse gehen mußt . . .!"
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hammer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens einer großen Anzahl meiner Freunde in der FDP muß auch ich erklären, daß wir nicht in der Lage sind, diesem Änderungsantrag der Koalitionsparteien zuzustimmen. Die sogenannten politischen Argumente dafür, nach denen man die Anpassung des sozialen Rechts zwischen Berlin und dem Bund nicht zustande bringen könne, sind nach unserer Ansicht niemals stichhaltig gewesen. Ich bitte Sie deshalb, diesen Antrag abzulehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Arndgen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es tut mir leid, daß ich ein Wort gegen die Ausführungen meines Kollegen Horn, der Frau
Kalinke und auch des Herrn Dr. Hammer sagen muß. Wir haben in der Zeit, als wir das Selbstverwaltungsgesetz für die Sozialversicherung schufen, mit Absicht davon Abstand genommen, die Krankenversicherung in Berlin auseinanderzureißen, und zwar mit Rücksicht auf die besondere Situation, in der sich Berlin befindet. Ich bin daher der Meinung, daß man jetzt nicht stückweise an der Krankenversicherung in Berlin herumdoktern sollte. Wenn einmal der Zeitpunkt gekommen ist, die Krankenversicherung in Berlin in der Form umzumodeln, wie wir es hier im Bund für richtig halten, dann bin ich dabei, daran mitzuarbeiten. Aber ich halte den jetzigen Zeitpunkt nicht für geeignet. Ich bitte daher, dem Antrag der Regierungskoalition zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schröter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den Ausführungen des Herrn Kollegen Arndgen brauche ich mich mit den Argumentationen meiner Voredner nicht mehr zu beschäftigen. Der Kollege Arndgen hat die Frage wieder auf das richtige Maß zurückgeführt. Wir Berliner werden uns auch nicht irremachen lassen, die Entwicklung ganz allmählich mit aller Ruhe und Geduld dahin zu bringen, Frau Kalinke, daß die Rechtsgleichheit so gewahrt wird, wie sie gewahrt werden muß, aber nicht so, daß man ständig mit dem Holzhammer dazwischengeht. Überlassen Sie das bitte durchaus uns.
Der Berliner läßt sich abends am Wannsee durch das Lied der Rohrspatzen nur erfreuen; er läßt sich dadurch nicht aus der Ruhe bringen.
Deshalb lassen wir uns auch durch solche Dinge nicht aus der Ruhe bringen. Es geht nicht nur um politische Dinge, sondern auch um das Anliegen der Berliner Bevölkerung. Wir haben uns lange genug mit diesen Dingen beschäftigt, und der ernste Wille aller Beteiligten war darauf gerichtet, den Herd der Verstimmung so weit wie möglich einzuschränken.
Seit Juli liegt aber eine feste Zusage des Bundesarbeitsministers vor, daß nach völliger Anpassung der Berliner Unfallversicherung und Rentenversicherung die Krankenversicherung Berlin nach Landesrecht geregelt wird, zumal diese Krankenversicherung keinerlei Bundeszuschuß erhalten hat. Ich glaube, Sie wollen und Sie wünschen nicht, daß der Bundesarbeitsminister nachher über das Versprechen, das er hier gegeben hat, erröten muß, weil andere ihn daran hindern, dieses Versprechen einzuhalten. Das ist wohl auch nicht Ihre Absicht; Sie wollen nur noch sozusagen Ihr Vorkaufsrecht auf die Versicherung anmelden.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie nunmehr, darüber hinaus das Maß Ihrer Güte voll zu machen und den Berliner Belangen Rechnung zu tragen. Es handelt sich um nichts Geringeres als darum, daß wir als sozialdemokratische Fraktion, in deren Auftrage ich spreche darüber hinaus auch als Berliner —, Sie bitten, die Hand von unserem Berufsausbildungsgesetz zu lassen.
Dieses Gesetz ist vor mehreren Jahren einmütig von allen Parteien und allen Interessenten zustande gebracht worden. Alle Organisationen sind gehört
worden. Wir sind so weit gekommen, ein gemeinsaures Berufsausbildungsgesetz zu schaffen, das weit über den Rahmen des Handwerks hinausgeht. Wir bitten Sie, uns darin zu unterstützen, daß dieses Berufsausbildungsgesetz in diesem Umfang wirksam bleiben kann. Wir bitten Sie deshalb, der Fassung des § 124 auf Grund des Änderungsantrags Umdruck Nr. 853 als zweiten Absatz die Formulierung aus dem Änderungsantrag der sozialdemokratischen Fraktion zu § 124 — Umdruck Nr. 850 — hinzuzufügen, die folgendermaßen lautet:
Soweit in diesem Gesetz die Berufsausbildung in Betrieben selbständiger Handwerker geregelt ist und soweit in diesem Gesetz auf diese Regelung Bezug genommen ist, gelten diese Bestimmungen in Berlin bis zum Erlaß eines Berufsausbildungsgesetzes durch den Bund in dem Umfange, als ihnen Vorschriften des Berliner Gesetzes zur Regelung der Berufsausbildung sowie der Arbeitsverhältnisse Jugendlicher vom 4. Januar 1951 (VOBl.I S.40) nicht entgegenstehen. § 121 Abs. 1 findet insoweit keine Anwendung.
Ich bitte Sie als Berliner herzlich, diesem Antrag zuzustimmen und so die Möglichkeit zu geben, daß dieses Gemeinschaftswerk vor der Zerstörung bewahrt wird und wir die Dinge weiterentwickeln können, ohne daß wir uns darüber auseinanderzuraufen brauchen. .Es handelt sich hier um ein dringliches Anliegen nicht etwa der sozialdemokratischen Fraktion, sondern des Senats und aller beteiligten Bevölkerungskreise; denn diese sind der Meinung, daß das Gesetz als echtes Gemeinschaftswerk gute Arbeit geleistet hat und in seinen Grundlagen erhalten bleiben sollte.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmücker.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte Sie bitten, nur den Antrag Umdruck Nr. 853 Ziffer 2 anzunehmen und die weiteren Formulierungen, die im Umdruck der sozialdemokratischen Fraktion vorgeschlagen sind, abzulehnen.
Der Herr Vorredner hat gesagt, daß er im Namen der Berliner spreche. Ich will ihm nicht abstreiten, daß er im Namen einiger oder vieler Berliner spricht; aber das Berliner Handwerk hat uns eindeutig gebeten, auf jeden Fall für die Rechtseinheit zu sorgen. Ich möchte Sie bitten, das zu tun, indem Sie unseren Antrag annehmen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Besprechung.
Es liegen zwei Anträge vor, einmal der Antrag Umdruck Nr. 853 Ziffer 2 und der weitere Antrag
— ich habe ihn so verstanden, Herr Abgeordneter
Schröter —, aus der in dem Antrag Umdruck~
Nr. 850 Ziffer 8 vorgeschlagenen Fassung des § 124 Abs. 2 die Sätze von „Soweit" bis „Anwendung" in den § 124 aufzunehmen. Der Antrag ist in der zweiten Beratung bereits einmal in etwas weitergehender Form gestellt gewesen.
— Getrennte Abstimmung; selbstverständlich, denn es handelt sich um zwei getrennte Anträge.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag Umdruck Nr. 853 Ziffer 2. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das zweite ist auf jeden Fall die Minderheit; der Antrag ist mit großer Mehrheit angenommen.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem von Herrn Abgeordneten Schröter gestellten Antrag bezüglich der weiteren Fassung — Hinzufügung in § 124 — zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem § 124 in der abgeänderten Fassung insgesamt zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
Damit sind die Änderungsanträge zu den Paragraphen des Gesetzes erledigt. Die Einzelberatung ist beendet.
Ich komme zur Schlußabstimmung über das Gesetz zur Ordnung des Handwerks . Ich bitte die Damen und Herren, die dem Gesetz in seiner Gesamtheit zuzustimmen wünschen, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das Gesetz ist gegen die Stimmen der kommunistischen Gruppe angenommen.
Ich gehe weiter zur Abstimmung über die Anträge des Ausschusses Drucksache Nr. 4172 Ziffern 2 und 3. Zunächst zu Ziffer 2. Es liegt ein Antrag des Herrn Abgeordneten Dr. Etzel — Umdruck Nr. 852 — vor.
Der Antrag ist nur von Herrn Abgeordneten Dr. Etzel unterschrieben und hat nicht die Unterschrift von 15 Abgeordneten, wie es erforderlich wäre.
— Daß der Antrag von 15 Abgeordneten unterschrieben worden ist?
— Also Sie wollen sagen, daß dieser Antrag sachlich dadurch erledigt ist, daß diese Änderung schon vorgenommen worden ist. Ich bedauere, daß ich das nicht gehört habe. Der Antrag ist also damit erledigt. Das ist eine redaktionelle Änderung, die dem Antrag des Herrn Abgeordneten Etzel entspricht und die in der Berichterstattung klargestellt ist.
Ich bitte die Damen und Herren, die den Anträgen unter Ziffern 2 und 3 — ich darf wohl zusammen abstimmen — der Drucksache Nr. 4172 zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die ganz überwiegende Mehrheit des Hauses; damit ist das angenommen.
Meine Damen und Herren, ich mache Ihnen mit Rücksicht auf die vorgeschrittene Zeit den Vor-
schlag, daß wir lediglich noch die Punkte der Tagesordnung vornehmen und erledigen, die ohne eine längere Aussprachezeit erledigt werden können, habe aber die Auffassung, daß wir von dem Grundsatz, normalerweise bis 9 Uhr zu arbeiten, nicht abgehen sollten.
Ich rufe zunächst auf Punkt 9 der Tagesordnung:
Erste, zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, DP, FU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zolltarifs aus Anlaß der Errichtung des Gemeinsamen Marktes der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Nr. 4188 der Drucksachen).
Herr Abgeordneter Serres will zur Begründung einige Worte sagen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Hohen Hause ist mit Drucksache Nr. 4188 ein Initiativantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, DP und FU zugegangen. Es handelt sich bei diesem Antrag um folgendes. Nach dem Schumanplan soll der gemeinsame Markt für Eisen und Stahl für die sechs Unionsländer der Montanunion am 1. Mai dieses Jahres in Kraft treten. Mit diesem Zeitpunkt werden die Zollsätze innerhalb der Unionsländer zur Aufhebung gelangen. Die Aufhebung muß entsprechend bekanntgemacht werden. Für die Einfuhr aus anderen Ländern als den Unionsländern bleiben die Zollsätze der Unionsländer bestehen, jedoch in verschiedener Höhe, in Höhe der autonomen Zollsätze, wie die einzelnen Länder sie zur Zeit haben.
Dabei ist nun zu berücksichtigen, daß die Bundesrepublik ein verhältnismäßig hohes Zollniveau für Eisen und Stahl hat. Es wird hier eine Anpassung an die niedrigeren Zolltarife vor allen Dingen der Beneluxländer und Frankreichs notwendig. Die Anpassung, wie ich sie hier geschildert habe, müßte durch Rechtsverordnung gemäß § 4 des Zolltarifgesetzes vorgenommen werden. Die Zeit bis zum 1. Mai ist jedoch zu kurz. Das Verfahren nimmt längere Zeit in Anspruch. Es ist daher notwendig, daß der Bundesregierung eine Ermächtigung zum Erlaß einer Rechtsverordnung ohne vorherige Zustimmung des Bundestages gegeben wird. Der Gegenstand dieser Ermächtigung ergibt sich aus dem Entwurf eines Gesetzes gemäß Drucksache Nr. 4188.
Der Ausschuß für Außenhandelsfragen hat sich mit dem Initiativantrag der Fraktionen befaßt und ihm einstimmig seine Billigung gegeben. Ich habe die Ehre, Sie namens der antragstellenden Fraktionen zu bitten, in erster bis dritter Lesung dem Gesetz gemäß Drucksache Nr. 4188 Ihre Zustimmung zu geben.
Meine Damen und Herren, Sie haben die Begründung gehört. Auch wenn das Gesetz dem Ausschuß nicht überwiesen war, hat er sich also bereits damit befaßt.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, auf eine allgemeine Aussprache in der ersten und dritten Beratung zu verzichten. Damit ist die erste Beratung beendet.
Zur
zweiten Beratung
rufe ich auf die §§ 1, — 2, — 3, — Einleitung und
Überschrift. — Keine Wortmeldungen. Ich bitte
die Damen und Herren, die den aufgerufenen Paragraphen, der Einleitung und der Überschrift zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; ist angenommen.
Die allgemeine Aussprache der
dritten Beratung
entfällt, Einzelberatung ebenfalls, da keine Änderungsanträge gestellt sind.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Gesetz zur Änderung des Zolltarifs aus Anlaß der Errichtung des gemeinsamen Marktes der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl in der Gesamtheit zuzustimmen wünschen, sich von ihren Plätzen zu erheben. — Sie lehnen ab?
— Das Gesetz ist gegen die Stimmen der kommunistischen Gruppe angenommen. Damit ist der Punkt 9 der Tagesordnung erledigt.
Ich schlage Ihnen vor, die Punkte 12 und 13 — betreffend knappschaftliche Rentenversicherung und Anrechnung von Renten in der Arbeitslosenfürsorge — mit Rücksicht auf die zu erwartende Aussprache heute nicht mehr zu erledigen. — Sie sind damit einverstanden. Das gleiche gilt für Punkt 15 der Tagesordnung, betreffend Evakuiertengesetz.
Ich rufe Punkt 16 auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten über den Antrag der Fraktion der FU (BP-Z) betreffend Regelung zur Rückgabe der Gebäude und Grundstücke des deutschen Auswärtigen Dienstes im Ausland (Nrn. 4099, 3808 der Drucksachen).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Dr. Vogel. — Ist das Haus bereit, auf eine Berichterstattung zu verzichten? — Herr Abgeordneter Dr. Vogel kommt; wir haben also den Genuß seiner Berichterstattung.
-- Herr Abgeordneter Fisch, man soll mit Namen, die mit Tiernamen übereinstimmen, niemals Mißbrauch treiben.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es handelt sich hier um ein sehr altes Anliegen, das nicht nur dem Auswärtigen Ausschuß schon wiederholt vorlag, sondern auch gleichfalls in Zusammenhang mit den sehr lebhaften Debatten über das deutsche Auslandseigentum auch im Haushaltsausschuß und den anderen Ausschüssen schon zur Beratung gelangt war. Ich darf Sie bei der Behandlung dieser Materie erstens auf den Ihnen bereits bei der Behandlung der Verträge vorliegenden Schriftlichen Bericht zum Bonner Vertrag Drucksache Nr. 3900 verweisen, zweitens auf den sehr ausführlichen und sehr dankenswerten Bericht, den das Auswärtige Amt in der Drucksache Nr. 3969 zur Frage d es diplomatisch-konsularischen Eigentums im Ausland dem Hause zugeleitet hat.
Die Regierung hat in den Verhandlungen des Auswärtigen Ausschusses erklärt, daß die Alliierten untereinander schließlich durch das zwischen ihnen abgeschlossene IARA-Abkommen vom Jahre 1949 gebunden seien und — jetzt komme ich zu einem sehr wichtigen Punkt — daß das Auswärtige Amt nicht berechtigt sei, ohne Genehmigung
der Alliierten Hohen Kommission in dieser Frage überhaupt tätig zu werden.
Die Allierte Hohe Kommission hat in einer Note vom 5. Februar an die Bundesregierung diese ihre Auffassung noch einmal ausdrücklich zur Geltung gebracht. Auch bei der vielleicht dafür als Präzedenzfall heranzuziehenden Frage der Zahlung von 300 000 Dollar an die deutsche Bundesregierung durch die USA zum Erwerb eines deutschen Botschaftsgebäudes in Washington ist ausdrücklich von seiten der Vereinigten Staaten darauf hingewiesen worden, daß deutsche Ansprüche auf Rückgabe deutschen Auslandseigentums davon nicht berührt würden.
Im Ausschuß herrschte Übereinstimmung in folgenden Punkten, daß
I. eine völlige Trennung zwischen der Reparationsfrage und der Frage der Rückgabe des diplomatisch-konsularischen Eigentums notwendig ist, daß
II. die Nichtrückgabe dieses diplomatisch-konsularischen Eigentums eine schwere Verletzung des Völkerrechts darstelle und daß
III. schließlich in dem Friedensvertrag zwischen den alliierten Mächten und Japan Japan dieses sein diplomatisch - konsularisches Eigentum vorbehaltlos zurückerstattet worden sei, während eine ähnliche Geste gegenüber Deutschland bis jetzt noch nicht geschehen sei.
Das sind im wesentlichen die drei Punkte, die in den Ausschußverhandlungen zur Geltung gekommen sind. Der Ausschuß hat Ihnen folgenden Beschluß vorgelegt:
Die Bundesregierung wird ersucht, dem Bundestag zu berichten, welche Schritte sie für die Regelung der Rückgabe der Gebäude und Grundstücke des deutschen Auswärtigen Dienstes unternommen hat und weiter zu unternehmen gedenkt.
Ich empfehle Ihnen im Auftrag des Ausschusses diesen Beschluß zur Annahme.
Das Wort hat der Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amts.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Anfrage und der Antrag des Bundestages und des Auswärtigen Ausschusses zur Frage der Rückgabe der Gebäude und Grundstücke des deutschen auswärtigen Dienstes sind im wesentlichen durch die Denkschrift beantwortet worden, die dem Bundestag als Anlage zu meinem Schreiben an den Herrn Präsidenten dieses Hohen Hauses vom 17. November 1952 übersandt und als Drucksache Nr. 3969 vorgelegt worden ist.
In der Zwischenzeit hat aber die Bundesregierung bei ihren Bemühungen um die Rückgabe der Gebäude und Grundstücke im Ausland weitere Fortschritte erzielen können. In Ergänzung der Denkschrift vom 17. November 1952 darf ich daher von den folgenden wesentlichen Ergebnissen dieser Bemühungen Mitteilung machen:
In Brasilien ist das Gesetz, durch das die Rückgabe des Botschafterwohngebäudes verfügt wird, im Gesetzblatt verkündet worden und damit in Kraft getreten. Die tatsächliche Rückgabe hat zwar
zur Zeit noch nicht stattgefunden. Die brasilianische Regierung ist jedoch gebeten worden, auf eine baldige Zurverfügungstellung hinzuwirken.
In Indonesien sind von den dortigen Behörden das Mobiliar und die Akten des ehemaligen deutschen Generalkonsulats Batavia der Botschaft in Djakarta Anfang des Jahres 1953 übergeben worden. Die japanische Regierung hat sich bereit erklärt, der Bundesregierung als Ersatz für das dem Parlament zum Bau einer Bibliothek zugedachte ehemalige Botschaftsgrundstück ein geeignetes Ersatzgrundstück zur Verfügung zu stellen.
In Mexiko wurde das Inventar der ehemaligen deutschen Gesandtschaft zurückgegeben.
In Peru wurde ebenfalls das Inventar der deutschen Gesandtschaft zurückgegeben. Die Rückerstattung der Archive steht bevor.
Die schwedische Regierung hat gelegentlich von deutsch-schwedischen Besprechungen über die Liquidierung deutschen Eigentums im Januar 1953 zum Ausdruck gebracht, daß sie bereit sei, im Zusammenhang mit der erforderlichen Raumbeschaffung für die Gesandtschaft einen großzügig bemessenen Anteil des Liquidationserlöses freizugeben.
Besondere und dankbare Erwähnung verdient schließlich, daß die türkische Regierung die vier deutschen diplomatisch-konsularischen Gebäude und Grundstücke in Ankara, Therapia, Istambul und Izmir der Bundesregierung unter dem Vorbehalt des Eigentums zur Verfügung gestellt hat.
Mit weiteren Ländern finden augenblicklich Gespräche über eine Rückgabe statt.
Die Rechtsauffassung der Bundesregierung in der vorliegenden Sache ist dem Hohen Hause bekannt. Die Bundesregierung bleibt weiter bemüht, das deutsche diplomatisch-konsularische Eigentum zurückzuerlangen. Die Bundesregierung ist den Regierungen, die ihr bei diesen Bemühungen entgegengekommen sind, zu Dank verpflichte, und gibt der Hoffnung Ausdruck, daß auch mit den übrigen Staaten eine befriedigende Regelung erreicht wird.
Keine weiteren Wortmeldungen.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag des Auswärtigen Ausschusses Drucksache Nr. 4099 zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die überwiegende Mehrheit des Hauses. Dieser Antrag ist angenommen.
Damit, meine Damen und Herren, sind wir am Ende der Tagesordnung. Ich darf die Gelegenheit benutzen, da der Herr Staatssekretär gerade von der Regelung der Dinge in der Türkei gesprochen hat, den Abgeordneten des Bundestags, die noch vor dem Wiederzusammentritt als Delegation des Bundestags der Türkei einen Besuch abstatten, den Wunsch mit auf den Weg zu geben, die Grüße des Bundestags an die Große Türkische Nationalversammlung zu übermitteln.
Ich wünsche Ihnen allen ein gesegnetes Osterfest und eine ruhige Erholungszeit für die kommenden schweren Aufgaben.
Ich berufe die nächste Sitzung auf den 15. April, 13 Uhr 30, und schließe die 258. Sitzung des Deutschen Bundestags.