Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 250. Sitzung des Deutschen Bundestages und verzichte darauf, anläßlich der Erreichung von einem viertel Tausend Sitzungen besondere Ausführungen zu machen.
Ich bitte den Herrn Schriftführer, die Namen der entschuldigten Abgeordneten bekanntzugeben.
Abgeordneter Freidhof sucht wegen Krankheit für zwei Wochen um Urlaub nach.
Der Präsident hat für zwei Tage Urlaub erteilt den Abgeordneten Graf von Spreti, Dirscherl, Dr. Baur , Nickl, Dr. Kopf, Henßler, Morgenthaler, Dr. Becker (Hersfeld), Dr. von Merkatz, Dr. Vogel, Dr. Freiherr von Fürstenberg, Kalbfell, Dr. Solleder, Mertins, Gengler, Kemper, Pelster, Frau Dr. Steinbiß, Hilbert, Dr. Will, Freitag und Lausen.
Entschuldigt fehlen die Abgeordneten Dr. Henle, Sander, Dr. Veit, Dr. Semler, Lenz, Junglas, Frau Kipp-Kaule, Dr. Dresbach, Loritz, Wirths, Dr. Miessner, Gockeln, Dr. Preller, Reimann, Frau Thiele, Agatz und Paul .
Meine Damen und Herren, ich unterstelle, daß Sie mit der Erteilung des Urlaubs für Herrn Abgeordneten Freidhof über eine Woche hinaus einverstanden sind. Im übrigen hoffe ich, daß die Grippewelle bald vorbeigeht, so daß sich das Haus der Öffentlichkeit wieder in etwas gefüllterem Zustand darbietet. Ich wünsche allen erkrankten Abgeordneten gute Besserung.
Die Fraktion der Deutschen Partei hat mir unter dem 11. Februar 1953 mitgeteilt, daß das Hospitantenverhältnis mit Herrn Abgeordneten Frommhold im beiderseitigen Einverständnis mit sofortiger Wirkung gelöst sei.
Nachdem wir zwei Wochen sitzungsfrei gehabt haben, sind, wieder einige bemerkenswerte Geburtstage zu verzeichnen. Ich gratuliere nachträglich Herrn Bundesminister Kaiser zu seinem 65. Geburtstag am 8. Februar,
Herrn Abgeordneten Freudenberg zum 61. am 9. Februar,
Herrn Abgeordneten Geritzmann zum 60. am 9. Februar,
Herrn Abgeordneten Hoppe zum 64. am 12. Februar,
Herrn Abgeordneten Nickl zum 67. am 15. Februar,
Herrn Abgeordneten Dr. Bergstraeßer zum 70. am 23. Februar
und dem heute nicht anwesenden Herrn Abgeordneten Kemper zum 65. Geburtstag am heutigen Tage.
Ich darf die Presse darauf hinweisen, daß wir hier nur aus Zeitmangel darauf verzichten, auch die Geburtstage unter vierzig besonders zu erwähnen. Es wäre das eigentlich gerecht, um nicht den Eindruck einer völligen Überalterung des Bundestages sichtbar werden zu lassen.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung ins Stenographische Protokoll aufgenommen:
Der Bundesrat hat in seinen Sitzungen am 4. und 20. Februar 1953 nachfolgenden Gesetzen zugestimmt bzw. beschlossen, einen Antrag gemäß Art. '77 Abs. 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen:
Gesetz zur Wiederherstellung der Gesetzeseinheit auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechts;
Gesetz zur Änderung des Art. 107 des Grundgesetzes;
Gesetz zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes;
Gesetz über die Bundesanstalt für Flugsicherung;
Gesetz über die am 26. "August 1952 in Bonn unterzeichneten drei Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die deutschen Vermögenswerte in der Schweiz, über die Regelung der Forderungen der Schweizerischen Eidgenossenschaft gegen das ehemalige Deutsche Reich und zum deutschen Lastenausgleich;
Gesetz über die Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Fürsorge für Hilfsbedürftige nebst Schlußprotokoll;
Zweites Strafrechtsänderungsgesetz;
Gesetz über den Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über die Festsetzung einer Betriebsgrenze für ostwärts der deutschniederländischen Landesgrenze liegende Steinkohlenfelder vom 18. Januar 1952;
Gesetz über die Verlängerung der Geltungsdauer des Gesetzes zur Erleichterung der Annahme an Kindes Statt;
Gesetz über den Erlaß von Rechtsverordnungen auf dem Gebiet der Neuordnung des Geldwesens und über die Neufestsetzung des Nennkapitals von Geldinstituten in der Rechtsform von Kapitalgesellschaften;
Wohnraumbewirtschaftungsgesetz;
Gesetz zur Änderung und Ergänzung der Polizeiverordnung über den Verkehr mit giftigen Pflanzenschutzmitteln.
Der Herr Bundesminister für Wirtschaft hat unter dem 19. Februar 1953 die Kleine Anfrage Nr. 316 der Fraktion der SPD betreffend Umstellung der Berliner Uraltkonten — Drucksache Nr. 4014 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 4096 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 5. Februar 1953 die Kleine Anfrage Nr. 317 der Fraktion der SPD betreffend Gebühren für Urkunden — Drucksache Nr. 4015 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 4071 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister des Innern hat unter dem 12. Februar 1953 die Kleine Anfrage Nr. 318 der Fraktion der SPD betreffend Ausweis und Vergünstigungswesen für Körperbeschädigte — Drucksache Nr. 4039 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 4078 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen hat unter dem 13. Februar 1953 die Kleine Anfrage Nr. 319 der Fraktion der SPD betreffend Entlassung verheirateter Postbeamtinnen — Drucksache Nr. 4041 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 4086 vervielfältigt.
Der Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amts hat unter dem 11. Februar 1953 die Kleine Anfrage Nr. 320 der Fraktion der FDP betreffend Deutsche Auslandsschulen in Spanien — Drucksache Nr. 4043 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 4077 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat unter dem 13. Februar 1953 die Kleine Anfrage Nr. 321 der Abg. Dr. Frey und Genossen betreffend Abwicklung der Zwangholzeinschläge durch die Besatzungsmächte — Drucksache Nr. 4050 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 4088 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister für Arbeit hat unter dem 10. Februar 1953 auf Grund des Beschlusses des Deutschen Bundestages in seiner 155. Sitzung seinen 10. Bericht über die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes vorgelegt, der als Drucksache Nr. 4091 vervielfältigt wird.
Zur heutigen Tagesordnung wünscht das Wort Herr Abgeordneter Ewers.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens meiner Fraktion muß ich zu meinem großen Bedauern bitten, Punkt 4 der Tagesordnung noch einmal abzusetzen. Ich bekenne meine Fraktion schuldig, durch zweimaliges Fehlen im Ausschuß für Verfassungsschutz die Behandlung ihrer Anträge dort unter ihrer eigenen Mitwirkung nicht ermöglicht zu haben. Es liegt meiner Fraktion und gewissen anderen Freunden aus der
Koalition so sehr daran, diese Anträge wenigstens sachlich vorzubesprechen, daß ich bitten muß, die Behandlung heute noch einmal abzusetzen, damit der Ausschuß für Verfassungsschutz Gelegenheit hat, wenn ich bitten darf, möglichst unter Ladung meiner Person als Antragsteller und Vertreter meiner Fraktion noch einmal kurz die Sache durchzusprechen; denn im Plenum selbst sollten nach Möglichkeit keine divergierenden Anträge gestellt werden. Nach dem Wunsche meiner Fraktion sollte die Vorlage noch im Laufe des März verabschiedet werden. Ich habe namens meiner Fraktion den Herrn Ausschußvorsitzenden zu bitten, diese Sitzung so rasch wie möglich einzuberufen.
Meine Damen und Herren, Sie haben den Antrag gehört. Ich darf annehmen, daß die Fraktionen damit einverstanden sind. — Das ist der Fall. Also ist der Punkt — –
— Sie sind dagegen, Herr Abgeordneter Renner?
Damit ist der Punkt 4 der Tagesordnung heute abgesetzt.
Ich weise darauf hin, daß im Ältestenrat Einmütigkeit darüber bestand, die Sitzung auch heute nur bis 9 Uhr fortzusetzen, wobei allerdings unterstellt wurde, daß heute oder spätestens morgen das Bundesvertriebenengesetz verabschiedet werden sollte.
Ich beginne mit dem Punkt 1:
Fragestunde , und zwar um 13.39 Uhr.
Zur Frage 1 hat das Wort Herr Abgeordneter Dr. Friedensburg.
Dr. Friedensburg , Anfragender:
Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung zu ergreifen, um dem Übelstande zu begegnen, der darin liegt, daß von der Schifffahrt in Küstennähe Öl und Ölrückstände abgelassen werden, diese auch aus Gebieten außerhalb der Dreimeilenzone an die Küsten gelangen und dort zum Schaden der Wassertierwelt und zur Belästigung der Badegäste Wasser und Strand der Seebäder verunreinigen? Ist die Bundesregierung insbesondere bereit, auf dem Wege internationaler Abkommen eine Regelung herbeizuführen, die die Verunreinigung bewohnter Küsten durch angeschwemmtes Öl, Ölrückstände usw. in Zukunft ausschaltet?
Der Herr Bundesminister für Verkehr!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die zunehmende Ölverschmutzung der Küstengewässer und Küsten ist zweifellos eine arge Belästigung aller Beteiligten und erfordert energisch und rasch einsetzende Abwehrmaßnahmen. Auf den deutschen Binnen- und Seeschiffahrtsstraßen ist durch Verordnungen das sogenannte Lenzen oder Abfließenlassen von Öl und ölhaltigen Rückständen verboten. Es gibt zur Zeit aber keine Rechtsgrundlage, diese Verunreinigungen außerhalb der Hoheitsgewässer zu verhindern.
Die Bundesregierung strebt daher ein internationales Übereinkommen zur Bekämpfung der Ölverschmutzung an. Sie ist zunächst an die britische Regierung herangetreten, die zur Zeit durch ein besonderes Komitee, Oil-Pollution-Committee, die Auswirkungen der Ölverschmutzung auf die stark betroffenen englischen Küsten und Küstengewässer untersuchen läßt, und wir erwarten, daß wir nach Abschluß dieser Untersuchungen dann zu ei nem gemeinsamen Übereinkommen kommen werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter?
Dr. Friedensburg , Anfragender: Ist der Herr Bundesminister bereit, das Haus über die weitere Entwicklung der Angelegenheit auf dem laufenden zu halten?
Dazu bin ich sehr gern bereit.
Damit ist dieser Punkt erledigt.
Zur Frage 2 Herr Abgeordneter Dr. Wuermeling, ebenfalls an den Herrn Bundesminister für Verkehr!
Dr. Wuermeling , Anfragender:
Ist dem Herrn Bundesminister für Verkehr bekannt, daß die Haftpflichtrentenbezieher der Deutschen Bundesbahn bis heute noch keinerlei Teuerungszuschläge auf die alten Vorkriegsrenten erhalten?
Ist der Herr Bundesminister bereit, auf die Deutsche Bundesbahn mit dem Ziel einzuwirken, solche Teuerungszuschläge in angemessener Höhe zu gewähren, ohne daß die einzelnen Rentenempfänger dieserhalb Prozesse führen müssen?
Der Herr Bundesminister für Verkehr!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Deutsche Bundesbahn leistet nach dem Stande vom 31. Dezember 1952 insgesamt 1 818 Haftpflichtrenten, davon 417 aus der Zeit vor dem Zusammenbruch. Von diesen 417 Renten aus der Zeit vor 1945 sind 218 auf Antrag der Beteiligten erhöht worden. In 9 Fällen wurde der Antrag abgelehnt. Nur ein einziger Fall ist Gegenstand eines Rechtsstreites gewesen. In den restlichen 190 Fällen haben die Geschädigten bisher keinerlei Anträge auf Rentenerhöhung gestellt. Eine gesetzliche Verpflichtung, die Haftpflichtrenten allgemein zu erhöhen, besteht nicht. Eine solche Pflicht kann auch nicht allein die Deutsche Bundesbahn treffen, da sie nicht alleinige Leistungsverpflichtete aus Haftpflichtfällen ist. In gleicher Weise müßten dann alle aus gesetzlicher Haftpflicht — Reichshaftpflichtgesetz, Straßenverkehrsgesetz, Bürgerliches Gesetzbuch usw. — in Anspruch zu nehmenden Leistungsverpflichteten erfaßt werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Wuermeling!
Dr. Wuermeling , Anfragender: Darf ich die Zusatzfrage stellen, ob der Herr Minister bereit ist, etwa noch weiter eingehende Anträge auf entsprechende Teuerungszuschläge wohlwollend zu prüfen?
Selbstverständlich werden diese Anträge geprüft. Aber die Prüfung obliegt in erster Linie der Deutschen Bundesbahn in ihrer eigenen Zuständigkeit.
Zur Frage 3 Herr Abgeordneter Renner!
— Herr Abgeordneter Renner, der Beifall galt nicht Ihnen. Also beginnen Sie bitte!
Renner , Anfragender: Ich habe ihn auch gar nicht auf mich bezogen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
,,... nachdem Meincke glaubhaft gemacht hatte ...", folgendes:
Welcher Art waren die Unterlagen, mittels derer der unter Verdacht des Betrugs verhaftete „Doktor" Hermann Meincke, Inhaber der inzwischen unter Verlust des Geschäftskapitals in Konkurs geratenen Hartmetall-Kommanditgesellschaft zur Herstellung künstlicher Diamanten dem Herrn Bundeswirtschaftsminister „glaubhaft" gemacht hat, daß er — Meincke — sich mit der Herstellung künstlicher Diamanten beschäftige?
Der Herr Bundesminister für Wirtschaft!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es lag in der Natur der Sache, daß Meincke seine Erfindungspläne zunächst nur mündlich vortrug. Eine fachliche Prüfung der damit in Zusammenhang stehenden schwierigen chemisch-physikalischen Fragen war und ist im Bundeswirtschaftsministerium nicht möglich. Im Hinblick auf diese Sachlage habe ich alsbald und fortlaufend immer wieder auf Vorlage von Gutachten anerkannter Sachverständiger gedrängt. Meincke war übrigens in Fachkreisen als Fachmann für Härtungsfragen anerkannt.
Renner , Anfragender: Entschuldigen Sie, Herr Minister, in der schriftlichen Antwort an die SPD-Fraktion — —
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter! Bitte keinen Diskussionsbeitrag!
Renner , Anfragender: Da heißt es doch, er habe „glaubhaft gemacht". Daraus muß man doch wohl schließen, daß er, bevor Sie seine Unterstützung ins Auge gefaßt haben, Ihnen diese Unterlagen vorgelegt hat. Sonst könnte es doch nicht heißen: ,,. . . nachdem er glaubhaft gemacht hatte ...".
Er hat zu dem Zeitpunkt, wo er mir den Gedanken vorgetragen hat, noch keine wissenschaftlichen Gutachten vorweisen können, sondern hat nur seine Pläne entwickelt. Ich habe vom ersten Tage an immer wieder und in der Zwischen-
zeit mindestens zehn- bis zwölfmal die Vorlage wissenschaftlicher Gutachten anerkannter Institute gefordert.
Renner , Anfragender. Darf ich mir noch eine Frage erlauben?
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Renner!
Renner , Anfragender: Herr Minister, dann ist es also dem Mann sehr leicht gewesen, bei Ihnen den Eindruck von Glaubwürdigkeit zu machen.
Aber ich frage etwas anderes: Hat nur der Herr Meincke Ihnen diese Pläne entwickelt, oder stehen hinter dem Herrn Meincke auch noch Personen, die, um nur in der Himmelsrichtung zu sprechen, östlich von Bonn irgendwo, um es genauer zu präzisieren: in West-Berlin ihren Sitz haben?
Welche Personen hinter Meincke stehen, ist mir nicht bekannt. Ich habe mich um die Interna der Gesellschaft auch nie bekümmert.
Renner , Anfragender: Schade, Schade!
Damit ist die Frage 3 erledigt.
Zur Frage 4 Herr Abgeordneter Renner!
Renner , Anfragender: Herr Minister, bleiben Sie bitte noch ein bißchen hier.
In Ihrem Schreiben an die SPD steht, daß der Herr Meincke von mehreren Seiten aus bedroht worden sei. Daraufhin frage ich Sie:
Wer waren die Personen bzw. Stellen, die den Meincke bedroht haben, um die Herstellung künstlicher Diamanten zu verhindern?
Bitte, Herr Minister!
Meincke legte, von Zeugen unterstützt, im mündlichen Vortrag glaubhaft dar, daß er die konkrete Befürchtung hege, von interessierten ausländischen Stellen bedroht zu sein. Ich bin leider nicht in der Lage, darüber mehr zu sagen.
Renner , Anfragender: Ausländische Stellen?
Darf ich mir eine zweite Frage erlauben?
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Renner!
Renner , Anfragender: Ist Ost-Berlin etwa auch schon eine ausländische Stelle?
Nein, von Ost-Berlin war nie die Rede.
Renner , Anfragender: Dann bin ich beruhigt.
Ich hätte nämlich dann noch eine Frage, ob einer der Herren, die Ihnen das glaubhaft gemacht haben, nicht einen Namen hat, der irgendwie etwas mit Hülsenfrüchten zu tun hat. Was haben wir da: Erbsen, Bohnen, Linsen?
— Ja, Linse!
Das ist mir zu mystisch; da müssen Sie schon deutlicher werden.
Renner , Anfragender: Wir werden deutlicher werden! Verlassen Sie sich darauf.
Zur Frage 5 Herr Abgeordneter Renner.
Renner , Anfragender: Nein, ich habe noch eine Frage, Herr Minister. Hat der Herr Meincke diese seine „Bedrohung" auch dem Herrn Lehr, dem Herrn Polizeiminister, glaubhaft gemacht, oder ist der polizeiliche Schutz, den Herr Lehr zugegebenermaßen dem Herrn Meincke zugestanden hat, auf Veranlassung des Herrn Wirtschaftsministers gestellt worden?
Nein. Soviel mir bekannt ist, hat Herr Meincke auch beim Innenministerium in dieser Sache vorgesprochen. Ich kann darüber aber nichts Bestimmtes sagen.
Jetzt haben Sie keine weiteren Fragen mehr, Herr Abgeordneter. — Die nächste Frage — Nr. 5 — möchten Sie für Herrn Abgeordneten Paul stellen.
Renner , Anfragender: War das an Meincke gerichtete Schreiben des Herrn Bundesministers, von dem auch hier in der schriftlichen Antwort die Rede ist, vom 29. Oktober 1951 nicht geeignet — so frage ich —, private Geldgeber zur Finanzierung des Schwindelunternehmens anzuregen?
Ich habe mit meinem Schreiben an die Geschäftsführung der HAMAK vom 29. Oktober 1951 lediglich erklärt, daß ich wegen der Bedeutung der in Aussicht genommenen Produktion für die Devisenlage Westdeutschlands bei einer erfolgreichen Lösung des Problems an einem schnellen Aufbau der hierzu erforderlichen Werke interessiert sei. Es unterlag also der subjektiven Würdigung, welche Schlüsse aus einem solchen Brief zu ziehen sind. Im übrigen war dieser Brief nicht dazu bestimmt, daß ihn die Geschäftsführung der HAMAK für andere Zwecke verwertete.
Außerdem war die Kapitalausstattung der HAMAK zu jenem Zeitpunkt — d. h. also vor dem 29. Oktober 1951 — bereits beendet.
Renner , Anfragender: Darf ich mir eine Zusatzfrage erlauben?
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Renner!
Renner , Anfragender: Herr Minister, ich habe Ihnen nicht unterstellt, daß Sie diesen Brief geschrieben haben, um dem Herrn Meincke das zu
ermöglichen, was er damit betrieben hat. Aber ich darf wohl annehmen, daß Ihnen in der Zwischenzeit mindestens einige Fälle bekanntgeworden sind, die beweisen, daß Herr Meincke mittels dieses Briefes an eine Reihe von Privatpersonen herangetreten ist und daß auf Grund dieses Briefes diese Privatpersonen dem Meincke dann auch Geld in einer beträchtlichen Höhe zur Verfügung gestellt haben.
Nein, mir ist das nicht bekannt. Im Gegenteil, mir ist umgekehrt bekannt, daß nach dem 29. Oktober 1951 die HAMAK kein Geld mehr erhalten hat, so daß der Brief auch nicht dahin wirken konnte.
Renner , Anfragender: Darf ich mir erlauben, die nächste Frage zu stellen?
Meine Damen und Herren, ich will es heute zulassen. Aber mir scheint es eine Umgehung unseres Beschlusses zu sein, daß ein Abgeordneter nur drei Fragen zu stellen hat, wenn er darüber hinaus Fragen unter einem anderen Namen stellt, sie aber dann doch selber vorträgt. Ich bitte, das künftig freundlichst in Betracht zu ziehen.
Renner , Anfragender: Herr Präsident, verzeihen Sie, der Herr Abgeordnete Paul ist doch entschuldigt.
Ich wollte mir nur den Hinweis gestatten, Herr Abgeordneter. Bitte fahren Sie fort.
Renner , Anfragender: Ich habe es sowieso verstanden. Ich darf mir noch zwei Fragen erlauben: Hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft an der festlichen Gründungsveranstaltung des „Unternehmens" Meincke teilgenommen?
Wie in der Beantwortung der Kleinen Anfrage vom 12. Dezember 1952 bereits ausgeführt wurde, habe ich den Versuchsraum der HAMAK nur ein einziges Mal betreten. Die Geschäftsräume der HAMAK habe ich niemals aufgesucht. An einer Gründungsveranstaltung habe ich nicht teilgenommen.
Renner , Anfragender: Und dann die letzte Frage, Herr Minister:
Ist in der Gesellschafts-Urkunde der HAMAK festgelegt, daß der erste künstlich hergestellte „echte" Diamant den Namen Erhard erhalten solle?
Ich nehme an, daß mit der Gesellschafts-
Urkunde der HAMAK das Protokoll der Gründungsverhandlung dieser Gesellschaft gemeint ist. Dieses Protokoll ist mir nicht bekannt, da ich mich mit dem privatwirtschaftlichen Aufbau der HA-MAK niemals beschäftigt habe.
Renner , Anfragender: Danke schön!
Damit ist die Frage erledigt. Zur Frage 8 Herr Abgeordneter Volkholz.
Volkholz , Anfragender:
Wann legt die Bundesregierung ein Gesetz über Grundstücksverkehr vor gemäß dem Antrag der Fraktion der FDP - Nr. 127 der Drucksachen - vom 21. Oktober 1949 und dem Beschluß des Deutschen Bundestages - Nr. 1991 der Drucksachen - in seiner 126. Sitzung am 14. März 1951?
Der Herr Bundesminister der Justiz!
Es bestand bei Bundesregierung und Bundestag bei der Beschlußfassung vom 14. März 1951 Einverständnis dahin, daß eine einheitliche gesetzliche Regelung zur Beseitigung entbehrlicher oder Vereinfachung unentbehrlicher Vorschriften im Grundstücksverkehr nicht möglich ist, daß sie vielmehr, weil sehr viele Rechtsgebiete dadurch berührt werden, von Fall zu Fall durchgeführt werden soll. Entsprechend dem Beschluß ist diese Vereinfachung schon in einer Reihe von gesetzlichen Vorschriften erfolgt. Zunächst einmal ist im Landpachtgesetz die Genehmigungspflicht für den Abschluß und die Änderung von Landpachtverträgen beseitigt worden; unter Einschränkung der prüfungsbedürftigen Geschäfte ist ein Beanstandungsverfahren eingeführt worden. Auf dem Gebiete des Fideikommiß- und Stiftungsrechts ist eine Reihe von Vorschriften gefallen und damit die Genehmigungspflicht eingeschränkt worden. In dem Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts sind die Erwerbsbeschränkungen für inländische juristische Personen beseitigt worden. Dann sind durch die Verordnung Nr. 75/52 die Preisvorschriften für den Verkehr mit bebauten Grundstücken beseitigt worden; es ist lediglich noch eine Unbedenklichkeitsbescheinigung der Preisbehörde für unbebaute Grundstücke im Falle der Veräußerung erforderlich. Weitere Maßnahmen sind in Vorbereitung, insbesondere die Ablösung des Kontrollratsgesetzes Nr. 45. Auch das Wohnungssiedlungsgesetz und die Aufbaugesetze der Länder sollen durch ein Bundesbaugesetz abgelöst werden. Die Vorarbeiten für diese Gesetze sind schon sehr weit gediehen. Weitere Erleichterungen sind in Aussicht genommen. Neue Beschränkungen im Grundstücksverkehr sind seit 1951 nicht mehr eingeführt worden.
Eine Zusatzfrage?
Volkholz , Anfragender: Ist eine baldige Beseitigung der Preisbindungen im Grundstücksverkehr möglich?
Das steht in keinem Zusammenhang mit dieser Frage und fällt auch nicht unter meine Kompetenz.
Zur Frage 9 Herr Abgeordneter Dr. Arndt.
Dr. Arndt , Anfragender:
Erkennt die Bundesregierung an, daß sich das Deutsche Reich rechtsverbindlich zur Erstausstattung der Gemeinden Sontra, Nentershausen, Rockensüss und Solz im hessischen Landkreis Rotenburg a. d. Fulda unmittelbar verpflichtete und daß diese Verpflichtungen für die mit dem Deutschen Reich identische Bundesrepublik Deutschland fortbestehen?
Herr Staatssekretär, wollen Sie die Fragen einzeln beantworten, oder soll ich alle zusammen vorbringen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Am besten alle Fragen zusammen.
Dr. Arndt , Anfragender:
Erkennt die Bundesregierung an, daß diese Gemeinden nach dem Preußischen Ansiedlungsgesetz von 1904 infolge der Errichtung der Kurhessischen Kupferschiefer-Bergbau GmbH. bei Sontra einen Rechtsanspruch auf die kommunale Erstaustattung gegen die jetzt bundeseigene Kurhessische Kupferschiefer-Bergbau GmbH. in Sontra besitzen?
Wird der Bund der Kurhessischen Kupferschiefer-Bergbau GmbH. die erforderlichen Beträge mit der Auflage zur Verfügung stellen, sie zwecks Erstausstattung an die anspruchsberechtigten Gemeinden weiterzuleiten?
In welcher Gesamthöhe und welchen einzelnen Jahresraten werden diese Beträge aus dem Bundeshaushalt gezahlt werden?
Wann ist mit der ersten Zahlung zu rechnen?
Der Staatssekretär des Bundesfinanzministeriums!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter! Ob sich das Deutsche Reich zur Gewährung einer Erstausstattung an die Gemeinden Sontra, Nentershausen, Cornberg und Solz verpflichtet hatte, konnte bisher nicht geklärt werden, da das Aktenmaterial darüber weitgehend durch Kriegseinwirkung vernichtet worden ist. Unabhängig von dem Ergebnis der hierzu noch zu treffenden Feststellungen können aber Ansprüche der Gemeinden gegen die Bundesrepublik erst geltend gemacht werden, sobald die in Art. 134 Abs. 4 des Grundgesetzes vorgesehene gesetzliche Regelung der Reichsverbindlichkeiten getroffen ist.
Man wird aber — das betrifft nun den zweiten Absatz Ihrer Frage — davon ausgehen können, daß die Gemeinden auf Grund des preußischen Ansiedlungsgesetzes vom Jahre 1904 einen Rechtsanspruch auf Gewährung einer kommunalen Erstausstattung gegen die im Eigentum des Bundes befindliche Kurhessische Kupferschieferbergbau GmbH. in Sontra besitzen. Die Ermittlungen, in welcher Höhe diese Ansprüche begründet sind, sind noch nicht abgeschlossen. Dabei wird zu berücksichtigen sein, daß bereits das vormalige Reich und das Land Hessen für die Erstellung kommunaler Einrichtungen den Gemeinden erhebliche Beträge zur Verfügung gestellt haben.
Die GmbH. wird den Gemeinden die erforderlichen Beträge wahrscheinlich nur dann zur Verfügung stellen können, wenn die ihr bereits bisher vom Bund gewährten laufenden Subventionen entsprechend erhöht werden. Diese Subventionen betragen bereits zur Zeit rund 8 bis 9 Millionen DM im Jahr. Eine Erhöhung dieser Subventionen wird bei der Lage des Bundeshaushalts nur dann in Erwägung gezogen werden können, wenn sich das Land Hessen bereit erklärt, einen erheblichen Teil des Zuschusses für die Aufrechterhaltung des Kupferbergbaus in Sontra zu übernehmen. Diese Forderung erscheint insbesondere auch deshalb berechtigt, weil das Land Hessen für den Fall einer Stilllegung des Kupferbergbaus in Sontra einen erheblichen unmittelbaren und mittelbaren Schaden tragen müßte. Der Kupferbergbau wird in Sontra nicht aus wirtschaftlichen, sondern aus sozialpolitischen Gründen zur Zeit mit diesen ganz erheblichen Millionenbeträgen von Subventionen aufrechterhalten. Die Verhandlungen mit der hessischen Landesregierung über eine Beteiligung an den Subventionen schweben, sind aber noch nicht abgeschlossen.
Eine Zusatzfrage?
Dr. Arndt , Anfragender: Ja. — Herr Staatssekretär, darf ich Ihre Antwort so verstehen, daß die GmbH. also nur dann in den Stand gesetzt werden soll, den Rechtsanspruch zu erfüllen, wenn unabhängig davon die Subventionen erhöht werden? Das hat ja miteinander gar nichts zu tun.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, aus wirtschaftlichen Gründen würden wir das Werk längst stillgelegt haben, wenn nicht diese schwerwiegenden sozialpolitischen Folgen eintreten könnten. Die Subventionen sind außerordentlich hoch. Wir hoffen, daß sich das Land Hessen daran beteiligt. In diesem Rahmen werden wir dann versuchen, auch das Werk zur Leistung der kommunalen Erstausstattung in den Stand zu setzen; denn ohne die Subventionen, also aus Eigenem, kann das Werk der Verpflichtung zur kommunalen Erstausstattung nicht entsprechen.
Dr. Arndt , Anfragender: Noch eine Zusatzfrage, um es ganz klarzustellen. Herr Staatssekretär, sind denn die Rechtsansprüche auf Erstausstattung nicht unabhängig davon, ob das Werk stillgelegt wird? Würden sie nicht sogar fortbestehen, selbst wenn das Werk stillgelegt würde?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter! Die Rechtsansprüche richten sich in dem Umfange, in dem wir uns hier darüber unterhalten, gegen die GmbH. Wenn das Werk stillgelegt wird, wird die GmbH. zwar rechtlich verpflichtet sein, aber faktisch nicht in der Lage sein, den Rechtsansprüchen nachzukommen. Also ergibt sich die Frage, inwieweit sie vom Eigentümer und vom Land faktisch in den Stand gesetzt wird, diesen Rechtsansprüchen zu genügen.
Dr. Arndt , Anfragender: Eine letzte Frage, Herr Staatssekretär! Wären Sie dann also unter Umständen bereit, eine bundeseigene GmbH. in Konkurs gehen zu lassen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, das ist eine allgemeine Frage. Ich glaube aber, wenn der Bund oder eine andere öffentliche Körperschaft sich entschlossen hat, eine Gesellschaft nicht in Form eines Regiebetriebs, sondern in der kaufmännischen Form des Aktien- oder GmbH-Rechts zu betreiben, daß dann allerdings die Möglichkeit des Konkurses unter Umständen nicht ausgeschlossen sein kann.
Dr. Arndt , Anfragender: Danke!
Zur Frage 10 Herr Abgeordneter Dr. Keller.
Dr. Keller , Anfragender:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß nach einer Mitteilung des Beauftragten des Inter-
nationalen Roten Kreuzes in Genf, Herrn Ehrenfeld, die vereinbarte Umsiedlung von 5300 Deutschen aus Jugoslawien nach Deutschland nicht durchgeführt werden kann, weil die deutsche diplomatische Vertretung in Belgrad das den Umständen nach unmögliche persönliche Erscheinen aller in Frage kommenden Antragsteller aus dem ganzen Bereiche Jugoslawiens bei der deutschen Botschaft in Belgrad verlangt?
Ist der Bundesregierung weiter bekannt, daß als Grund für dieses die Umsiedlung illusorisch machende Verfahren angegeben wird, daß die Versendung der entsprechenden Formulare an die Antragsteller nicht möglich sei, weil der deutschen Botschaft nur eine Sekretärin zur Verfügung steht?
Welche Schritte gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um diesem Zustand abzuhelfen?
Der Herr Stellvertreter des Bundeskanzlers!
Blücher, Stellvertreter des Bundeskanzlers: Das Auswärtige Amt hat der Botschaft in Belgrad durch Erlaß vom 19. April 1952 eine Liste von ca. 5500 Volksdeutschen, die aus Jugoslawien umgesiedelt werden sollen, übersandt. Im Laufe des Jahres 1952 erhielten darauf 3478 Personen Einreisesichtvermerke in die Bundesrepublik. Im Januar 1953 wurden Sichtvermerke an weitere 1027 Volksdeutsche erteilt. Rund 1000 Sichtvermerke konnten nicht erteilt werden. Anhand von Postrückläufen wurde festgestellt, daß ein großer Teil der Adressaten bereits über das frühere Durchgangslager Triest oder durch die bis zum 1. 10. 1952 mit der Wahrnehmung der Interessen der deutschen Staatsangehörigen betraute Visa Section der Britischen Botschaft in Belgrad in das Bundesgebiet eingereist ist. Die Erledigung von Anträgen erfolgt bei der Botschaft in Belgrad kurzfristig binnen 10 Minuten. Etwa 20 % des Gesamtumfangs der Paß- und Sichtvermerksangelegenheiten werden auf schriftlichem Wege erledigt. Etwa 80 % des Gesamtumfanges der Paß- und Sichtvermerksangelegenheiten werden bei persönlichem Erscheinen der Antragsteller sofort bearbeitet. Dieser Prozentsatz ist daraus zu erklären, daß Umsiedler aus Jugoslawien ohnehin meistens über Belgrad nach der Bundesrepublik einreisen und es daher vorziehen, persönlich bei der Botschaft zu erscheinen, ohne den Postweg zu benutzen.
Aus der aufgezeichneten Art der Erledigung der Paß- und Sichtvermerksangelegenheiten ergibt sich, daß die Arbeiten kurzfristig erledigt wurden. Dies war allerdings nur dadurch möglich, daß laufend Überstunden geleistet wurden.
Keine weitere Frage.
Zur Frage 11 Herr Abgeordneter Müller-Hermann.
Müller-Hermann , Anfragender:
Glaubt der Herr Bundesminister der Finanzen, daß es in absehbarer Zeit möglich sein wird, unabhängig von den jetzt laufenden Unterstützungsmaßnahmen für den Wiederaufbau der deutschen Handelsflotte, auch langfristige Darlehen für den Bau von Passagierschiffen — insbesondere für die Wiedereinrichtung einer volkswirtschaftlich bedeutsamen deutschen Nordatlantik-Route — zur Verfügung zu stellen?
Herr Staatssekretär des Bundesfinanzministeriums.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter! Die verfügbaren Haushaltsmittel für den Wiederaufbau der. deutschen Handelsflotte werden mindestens noch in den Rechnungsjahren 1953 und 1954 für die Durchführung der laufenden Schiffbauprogramme der Bundesregierung benötigt. Bundesmittel für den Bau von Passagierschiffen können daher in absehbarer Zeit nicht bereitgestellt werden. Der Neubau international wettbewerbsfähiger reiner Passagierschiffe verursacht ungewöhnlich hohe Kosten, die weder vom Bund noch von den finanziell stark angespannten Reedereien aufgebracht werden könnten. Bisher ist keine Reederei mit derartigen Plänen hervorgetreten oder hat sich auch nur bereit gezeigt, die außerordentlich hohen Risiken des Betriebs eigener Passagierschiffe zu übernehmen. Es ist deshalb mit dem Verlangen der Reedereien zu rechnen, von dem Risiko des Betriebes solcher Fahrgastschiffe entlastet zu werden.
Der Wettbewerb auf der Nordatlantik-Route ist ganz besonders hart und wird weiter dadurch verschärft, daß der Luftverkehr durch Einführung der Touristenklasse auch solche Reisende an sich gezogen hat, die bisher die Überfahrt mit Schiffen machten. Erfahrungen aus dem Betrieb der deutschen Nordatlantik-Routen, die in eine Zeit ohne nennenswerten überseeischen Luftverkehr zurückgehen, müssen es als zweifelhaft erscheinen lassen, ob ein rentabler Betrieb dieser Route mit deutschen Schiffen möglich sein würde.
Keine Zusatzfrage. Zur Frage 12 Herr Abgeordneter Niebergall.
Niebergall , Anfragender:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um zu verhindern, daß wertvolles Acker-, Wiesen-, Wald- und Weinberggelände in Mühlhofen und Ingenheim , in Undenheim (Rheinhessen), Rimschweiler (Kreis Zweibrücken) und Moselsürsch (Rheinland-Pfalz) für militärische Zwecke beschlagnahmt und dadurch die Existenz von Hunderten von Familien gefährdet wird?
Der Herr Staatssekretär im Bundesfinanzministerium.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, es handelt sich um vier Gruppen von Fällen:
1. Gelände in Mühlhofen und Ingenheim . Im April 1951 wurde von der französischen Besatzungsmacht ein Übungsgelände von etwa 250 Hektar bei Ingenheim/Mühlhofen für die in Bergzabern stationierten motorisierten Truppen angefordert. Da durch die Inanspruchnahme dieses Geländes eine erhebliche Anzahl bäuerlicher Betriebe in ihrer Existenz bedroht wurden, haben sowohl die Bundesregierung als auch die Landesregierung von Rheinland-Pfalz nachdrücklichst gegen die Inanspruchnahme dieses Geländes protestiert. Trotz dieser Proteste wurde ein Gelände bei Ingenheim/Mühlhofen in der Größe von etwa 240 Hektar von der französischen Besatzungsmacht im Mai vorigen Jahres requiriert.
Nach der Grundstücksrequisition haben die Bundesregierung und die Landesregierung wiederholt die Aufhebung der Beschlagnahme gefordert. Daraufhin haben sich die französischen Besatzungsdienststellen damit einverstanden erklärt, von dieser Fläche etwa. 40 bis 50 Hektar freizugeben. Es gelang jedoch nicht, die von den französischen Besatzungsdienststellen ab 1. Januar 1953 angeordnete militärische Benutzung des Geländes zu verhindern.
Am 9. Februar 1953 hat eine deutsche Delegation, bestehend aus Abgeordneten des Bundestags und des Landtages von Rheinland-Pfalz, Vertretern der Landesregierung, der Bürgermeister und Bauern, Gelegenheit gehabt, dem Herrn Französischen Hohen Kommissar den Ernst der Lage der betroffenen Gemeinden und Bauern vorzutragen. Der Herr Hohe Kommissar hat zugesichert, sich für eine Verlegung der in Bergzabern stationierten motorisierten Truppen zu verwenden. Die im Austausch in Bergzabern neu zu stationierenden Truppeneinheiten sollen dann den ehemaligen deutschen Truppenübungsplatz in Bergzabern in Anspruch nehmen. Eine endgültige Entscheidung in dieser Sache ist noch nicht ergangen.
2. Gelände in Undenheim . Von der amerikanischen Besatzungsmacht war zur Unterbringung eines Versorgungslagers ein etwa 40 Hektar großes Gelände in Dexheim (Kreis Mainz) angefordert. Da es sich bei diesem Gelände um wertvollen landwirtschaftlichen Grund und Boden handelte, hat die Landesregierung die Bereitstellung des Geländes abgelehnt. Als Ersatzgelände wurde ein Grundstück bei Undenheim ausfindig gemacht, bei dem sich die Schäden in tragbaren Grenzen halten werden.
3. Gelände in Rimschweiler . Bei Rimschweiler ist im Jahre 1951 ein Militärflugplatz angelegt worden. Aus flugtechnischen Gründen hat es sich nun als notwendig erwiesen, die bisherigen Grenzen des Flugplatzes zu begradigen. Im Zuge dieser Maßnahme wurde jedoch von alliierter Seite mehr Gelände freigegeben als neu in Anspruch genommen. Soweit bei der Inanspruchnahme von neuen Grundstücken Härten für die Betroffenen entstehen, bemühen sich die zuständigen alliierten und deutschen Stellen um eine Lösung.
4. Gelände in Moselsürsch . Die alliierten Dienststellen beabsichtigen, in der Nähe von Koblenz bei Moselsürsch einen neuen Militärflugplatz anzulegen. Nach Bekanntwerden der alliierten Planung haben die Bundesregierung und die Landesregierung nachdrücklichst gegen die Inanspruchnahme dieses wertvollen landwirtschaftlichen Geländes protestiert. Wenn auch von seiten der Besatzungsmacht inzwischen Bodenuntersuchungen vorgenommen wurden, so ist jedoch eine endgültige Entscheidung in dieser Angelegenheit bisher nicht erfolgt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Niebergall?
Niebergall , Anfragender: Herr Staatssekretär, wie kommt es, daß sich die Franzosen darauf berufen, daß das Büro Blank seine Zustimmung in den Fällen Ingenheim, Mühlhofen und Moselsürsch gegeben hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, diese Frage kann ich Ihnen hier im Augenblick nicht beantworten. Ich muß dann bei der Dienststelle Blank zurückfragen.
Zu Frage 13 Herr Abgeordneter von Thadden.
von Thadden , Anfragender:
Welche Schritte hat die Bundesregierung bei der britischen Hohen Kommission unternommen, um den am 15. Januar 1953 verhafteten sieben Deutschen das Recht zu verschaffen, mit ihren Anwälten in Verbindung zu treten, ein Recht, das normalerweise jedem Straßenräuber zusteht?
Der Herr Stellvertreter des Bundeskanzlers.
Blücher, Stellvertreter des Bundeskanzlers: Bisher haben die Anwälte der Verhafteten die Bundesregierung noch nicht um Unterstützung ihrer Bemühungen gebeten, ihre Klienten aufsuchen zu können. Die Bundesregierung hat deshalb Grund zu der Annahme, daß die Anwälte es vorgezogen haben, andere Wege zu beschreiten, um die Sprecherlaubnis mit den Inhaftierten zu erwirken.
Eine Zusatzfrage, Herr von Thadden?
von Thadden , Anfragender: Ist der Bundesregierung die Begründung bekannt, mit der der Vertreter des britischen Hochkommissars das in den Gesetzen 14 und 16 und der Verordnung 68 festgelegte Recht der Konsultierung des Anwalts aufgehoben hat?
Blücher, Stellvertreter des Bundeskanzlers: Ich stelle fest — ich glaube wenigstens, zu der Feststellung berechtigt zu sein, Herr Präsident —, daß das eine im sachlichen Gehalt weit über die hier zunächst gestellte Frage hinausgehende Frage ist.
von Thadden , Anfragender: Ich fragte ja auch nur, Herr Minister, ob Ihnen die Begründung bekannt sei.
Blücher, Stellvertreter des Bundeskanzlers: Ich habe geglaubt, diese Frage würde keine Fortsetzung der von Ihnen hier gestellten Frage bedeuten.
von Thadden , Anfragender: Sie kommt aber als Vorstufe zu der mir zustehenden letzten Zusatzfrage: Herr Minister, wäre es nicht möglich gewesen, daß die Bundesregierung von sich aus, ohne daß die Anwälte darum extra hätten bitten müssen, in dieser Angelegenheit Schritte bei der Hochkommission unternommen hätte?
Blücher, Stellvertreter des Bundeskanzlers: Ich glaube, daß diese Frage Ihnen zur gegebenen Zeit bei der Auseinandersetzung schon beantwortet werden wird, stelle aber auch hier nicht die konsequente Erfüllung des Gedankens dieser Fragestunde, diesmal in bezug auf den Zusammenhang zwischen Hauptfrage und Zusatzfragen, fest.
Sie haben keine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter von Thadden?
von Thadden , Anfragender: Herr Minister, darf ich dann aus der Beantwortung meiner Frage zu 1 die Schlußfolgerung ziehen, daß die Regierung also in dieser Sache nichts getan hat?
Blücher, Stellvertreter des Bundeskanzlers: Ich habe eine eindeutig klare Antwort gegeben, und wenn die Anwälte sich an uns gewendet hätten oder sich an uns wenden würden, dann würde die Bundesregierung mit der gebotenen Sorgfalt die Bitte der Anwälte überlegen und je nach der Sachlage ihre Entscheidung treffen.
Zu Frage 14 Herr Abgeordneter Niebergall.
Niebergall , Anfragender:
Ist dem Herrn Bundeskanzler bekannt, daß in verschiedenen Eisenbahnausbesserungswerken eine Anwerbung von deutschen technischen Eisenbahnfachkräften für die südafrikanischen Eisenbahnen betrieben wird und daß diese Anwerbung im Einverständnis mit der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung erfolgt, wobei Signalschlosser und Starkstromelektriker und technische Zeichner mit Fachschulausbildung (Höchstalter bis 35 Jahre) verlangt werden?
Billigt der Herr Bundeskanzler diese Anwerbung deutscher Fachkräfte?
Der Herr Bundesminister für Verkehr!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die südafrikanischen Eisenbahnen suchen zur Zeit etwa 100 bis höchstens 150 Handwerker und Techniker. Sie haben deshalb verschiedene deutsche Stellen, u. a. auch die Deutsche Bundesbahn, gebeten, die Angebote dem in Frage kommenden Personenkreis zugängig zu machen. Diese Angebote sind geprüft und verhältnismäßig günstig. Sie sehen einen Fünf-jahresvertrag vor, wobei die Reisekosten auch für Familienangehörige übernommen werden.
Ich habe keine Bedenken dagegen, daß bei dieser beschränkten Zahl die Deutsche Bundesbahn der Bitte der südafrikanischen Eisenbahnen entsprochen hat. Jungen deutschen Fachkräften sollte man die Gelegenheit nicht vorenthalten, ihre Kenntnisse und Fähigkeiten im Ausland zu verwerten. Außerdem dienen ja deutsche Arbeiter im Ausland am besten der Völkerverständigung. Grundsätzlich möchte ich aber betonen, daß einer allgemeinen Auswanderung in ungeregelter Form weder die Bundesbahn noch ich die Zustimmung geben würden.
Keine Zusatzfrage. Zu Frage 15 Herr Abgeordneter Eplée. Eplée , Anfragender:
Trifft es zu, daß das Gericht der Stadt Drammen in Norwegen entschieden hat, daß der berüchtigte Tscheche Frantisek Kroupa nicht an Deutschland ausgeliefert wird, weil u. a. das dem Gericht zur Verfügung gestellte Material gegen Kroupa „nicht ausreichend" gewesen sei?
Beabsichtigt die Bundesregierung, das verwendete belastende Material zu veröffentlichen?
Entsprechen die Meldungen der Zeitung „Arbeiderbladet" den Tatsachen, die besagen, daß die Bundesregierung gegen das Urteil von Drammen eine Berufung nicht einlegen werde?
Der Herr Bundesminister der Justiz!
Es ist richtig, daß das norwegische Gericht durch eine Entscheidung vom 7. Februar das deutsche Auslieferungsbegehren gegenüber Kroupa abgelehnt hat. Die Gründe des Urteils sind mir noch nicht bekannt. Inzwischen hat die Bundesregierung am 18. Februar unter Vorlage weiteren, auch mittlerweile neu festgestellten, Materials ihr Begehren auf Inhaftnahme des Kroupa und auf Auslieferung wiederholt. Dieses Verfahren schwebt. Ich möchte anregen, daß wir im Hinblick auf dieses Verfahren weitere Erörterungen zunächst zurückstellen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter?
Eplée , Anfragender: Ist der Herr Bundesminister der Justiz bereit, nach Abschluß des laufenden Verfahrens die mich interessierenden Fragen zu beantworten?
— Danke schön!
Zu Frage 16 an Stelle des Herrn Abgeordneten Dr. Miessner Herr Abgeordneter Kühn.
Kühn , Anfragender:
Wie hoch waren die tatsächlichen Ausgaben für die Versorgung der unter das Gesetz nach Art. 131 GG fallenden Personen in den ersten neun Monaten dieses Haushaltsjahres, getrennt nach den einzelnen Vierteljahren April bis Juni, Juli bis September und Oktober bis Dezember 1952?
Wie hoch schätzt die Bundesregierung die Ausgaben für das letzte Vierteljahr des laufenden Haushaltsjahres, also für die Monate Januar bis März 1953?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter! Die tatsächlichen Ausgaben für die Versorgung der unter das Gesetz nach Art. 131 des Grundgesetzes fallenden Personen haben betragen von April bis Juni 1952 199 133 782 Mark und 29 Pfennig, von Juli bis September 1952 204 251 007 Mark und 23 Pfennig, von Oktober bis Dezember 1952 249 395 452 Mark und 23 Pfennig, zusammen von April bis Dezember 1952 652 780 241 Mark und 75 Pfennig.
Für die Monate Januar bis März 1953 werden die Ausgaben auf 192 Millionen geschätzt, der Haushaltsansatz ist 826 Millionen. Da die Mittel zur Zahlung des halben Monatsgehalts und der Weihnachtsunterstützung im Haushalt 1952 nicht veranschlagt waren, mußte zunächst mit einer Überschreitung des Haushaltsansatzes in Höhe von etwa 50 Millionen DM gerechnet werden. Wir möchten aber jetzt annehmen, daß die Überschreitung etwa 19 Millionen DM betragen wird.
Keine Zusatzfrage? — Zur Frage 17 Herr Abgeordneter Niebergall. Niebergall , Anfragender:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß den deutschen Besitzern von wertvollem Acker-, Wiesen, Wald- und Weinbaugelände im Grenzgebiet Elsaß-Lothringen bisher kein Pfennig für die Schäden der entgangenen Nutzung ihres Besitzes gezahlt wurde?
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um den davon betroffenen deutschen Besitzern ihren Schaden zu vergüten und ihnen endlich zu ihrem Recht zu verhelfen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, es steht zunächst noch keineswegs fest, welche Grundstücke den deutschen Bauern an der Grenze endgültig entzogen werden. Die Frage der Entschädigung kann erst in dem in Vorbereitung befindlichen Gesetz über die Entschädigung der gesamten deutschen Auslandsverluste geregelt werden. Es - ist nicht möglich, einen einzelnen kleinen Teil aus dem gesamten großen Komplex der Auslandsverluste vorweg zu regeln. Wir sind nach dem sogenannten Deutschlandvertrag gehalten, eine Entschädigung aller deutschen Eigentümer für im Auslande verlorenes deutsches Vermögen vorzusehen. In dem Rahmen wird auch diese Einzelfrage geregelt werden.
Niebergall , Anfragender: Eine Zusatzfrage!
Eine Zusatzfrage, bitte!
Niebergall , Anfragender: Ist der Bundesregierung bekannt, daß dieses Land nichts mit dem Auslandsvermögen der NSDAP zu tun hat, sondern aus sehr, sehr alter Zeit herzoglich oder auch kurfürstlich verbrieftes Land der Bauern ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich habe überhaupt nicht vom Auslandsvermögen der NSDAP gesprochen, sondern von den Verlusten, die eine sehr große Menge von Deutschen in irgendeiner Form an ihrem im Ausland befindlichen Vermögen erlitten haben. Ob dieses Vermögen herzoglich oder kurfürstlich verbrieft worden ist, scheint mir dabei keine Rolle zu spielen.
Zu Frage 18 Herr Abgeordneter Ritzel!
Ritzel , Anfragender: Ich frage die Bundesregierung:
Wann wird die Bundesregierung ihre Absicht in die Tat umsetzen, an Stelle der üblichen Grenzkarten im kleinen Grenzverkehr die Pässe der Bundesrepublik und der Schweiz als Ausweis im kleinen Grenzverkehr zuzulassen?
Ich frage weiter:
Welche Gebühren sollen aus diesem Anlaß deutscherseits von dem Grenzgänger erhoben werden?
Der Herr Bundesminister des Innern!
Dr. Dr. h. c. Lehr; Bundesminister des Innern: Herr Abgeordneter, die Anfrage beruht offenbar auf einem Mißverständnis. Die Bundesregierung hat zu keiner Zeit beabsichtigt, an Stelle der üblichen Grenzkarten die Reisepässe der Bundesrepublik und der Schweiz als alleinigen Ausweis für den kleinen Grenzverkehr zu betrachten. Auf Grund des Übereinkommens zwischen der Bundesrepublik und der Schweiz über den Grenzübertritt von Personen im sogenannten kleinen Grenzverkehr, datiert vom 25. Januar vorigen Jahres — ein Abkommen, das am 20. Dezember des vergangenen Jahres in Kraft getreten ist —, gelten der deutsche und der schweizerische Reisepaß neben der Grenzkarte als Ausweis für den kleinen Grenzverkehr. Voraussetzung ist, daß der Reisepaß ebenso wie die Grenzkarte selber mit dem Anerkennungsvermerk der zuständigen Behörde versehen ist. Das ist auf deutscher Seite der zuständige Landrat. Der Anerkennungsvermerk wird nur für solche Personen ausgestellt, die ihren Wohnsitz oder ihren Aufenthalt mindestens sechs Monate in der Grenzzone haben. Für die Ausstellung des deutschen Passes wird eine Gebühr von drei Mark erhoben. Für den Anerkennungsvermerk wird keine Gebühr erhoben. Der Anerkennungsvermerk wird in beiden Staaten gebührenfrei erteilt. Die Festsetzung der Gebühr für die Ausstellung von Grenzkarten ist auf Grund des § 3 der Paßgebührenverordnung vom 28. Juni 1932 den Landesregierungen mit der Maßgabe überlassen, daß die Gebühr drei Mark nicht übersteigen darf.
Gestatten Sie mir, noch eine Bemerkung hinzuzufügen, die vielleicht das Mißverständnis aufzuklären geeignet ist. Dem Vernehmen nach sollen bei der Ausstellung einer sogenannten Haushaltskarte Schwierigkeiten aufgetreten sein. Eine Haushaltskarte dient der Überwachung im kleinen Grenzverkehr für Waren, die zur zollfreien Einfuhr im Grenzverkehr zugelassen sind. Hierbei handelt es sich um zollrechtliche Fragen, die von der Zulassung der Reisepässe für den kleinen Grenzverkehr unabhängig sind.
Ritzel , Anfragender: Eine Zusatzfrage!
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ritzel!
Ritzel , Anfragender: Darf ich das so verstehen, Herr Minister, daß die Benutzung des Reisepasses unter den geschilderten Voraussetzungen zum kleinen Grenzverkehr berechtigt, ohne daß eine Grenzkarte mitbenutzt werden muß?
Ja!
Ritzel , Anfragender: Das ist klar?
Ja!
Ritzel , Anfragender: Danke sehr!
Zur Frage 19 Herr Abgeordneter Kohl.
Kohl , (KPD), Anfragender:
Ist die Bundesregierung bereit, die Bundesvermögensverwaltung als Nachfolger des Reichsfiskus anzuweisen, von den Kaufverträgen, die mit den Bauern der Gemeinden
Raderach, Eilingen, Efrizweiler, Klufter und Friedrichshafen im Jahre 1943 unter Druck getätigt und von denen Wälder, Felder und Wiesen in den genannten Gemeinden zur Errichtung einer Versuchsanstalt für V 2-Waffen betroffen worden sind, in Anerkennung des in Art. 9 dieser Kaufverträge vorbehaltenen Rechtes auf Wiederkauf durch die Verkäufer oder Besitznachfolger zurückzutreten, und zwar ohne weitere Zahlung, da die Bauern bereits seit Jahren die Kaufsumme zurückgezahlt haben?
Ist die Bundesregierung bereit, auf Kosten des Bundes die Wiederherstellung des Feld-und Waldgebietes in seinen ursprünglichen Zustand zu übernehmen und die durch die Sprengungen der französischen Besatzungsmacht im Jahre 1945 entstandenen Schäden zu ersetzen?
Ist der Bundesregierung bekannt, ob auf diesem Gelände neue militärische Anlagen geplant sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu Abs. 1 der Anfrage: Das Deutsche Reich — Reichsfiskus Heer — hat in den Jahren 1942 bis 1944 zur Errichtung eines V 2-Werkes in den in der Anfrage aufgeführten Gemeinden ein Gelände in der Gesamtgröße von rund 146 ha angekauft. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die Kaufverträge damals nicht unter Ausübung eines mit rechtsstaatlichem Denken nicht zu vereinbarenden Zwanges geschlossen worden sind. Es handelte sich damals um eine Landbeschaffung für Zwecke der Wehrmacht, die in der Form notarieller Kaufverträge bewirkt worden ist. Nach den der Bundesregierung vorliegenden Unterlagen ist die Anlage, mit Ausnahme einiger Grundstücke, von der französischen Besatzungsmacht noch in die sogenannte Kategorie „A" eingestuft. Die französische Besatzungsmacht hat einen endgültigen und offiziellen Freigabebescheid noch nicht erteilt. Schon aus diesem Grunde ist die Bundesregierung nicht in der Lage, die Voraussetzungen zur Ausübung des Wiederkaufsrechts, das den Verkäufern in Ziffer 9 der Kaufverträge vorbehalten worden ist, als erfüllt anzusehen. Angesichts dieses Tatbestandes kann im gegenwärtigen Augenblick zu der Frage der Zahlungsweise für den Fall eines Wiederkaufes nicht Stellung genommen werden.
Zu Abs. 2 der Anfrage: Im Falle eines Wiederverkaufes dieses Grundstückes an die früheren Eigentümer würden die in der Zwischenzeit eingetretenen Wertminderungen bei der Ermittlung des Wiederkaufspreises ihre Berücksichtigung zu finden haben. Solange der Bedarf an diesem Gelände seitens der französischen Besatzungsmacht oder des Bundes fortbesteht, erübrigt es sich jedoch, die Frage der Übernahme der Kosten für die Wiederherstellung des früheren Zustandes und für den Ersatz der seit 1945 entstandenen Schäden zu erörtern.
Zu Abs. 3 der Anfrage: Der Bundesregierung ist zur Zeit nicht bekannt, ob auf diesem Gelände neue militärische Anlagen geplant sind.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kohl?
Kohl (KPD), Anfragender: Herr Staatssekretär, ich frage Sie: Ist die Bundesregierung bereit, mit den zuständigen französischen
Stellen Verhandlungen aufzunehmen, um die Freigabe dieses Geländes zu erreichen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja.
Kohl (KPD), Anfragender: Danke.
Zur Frage 20 Herr Abgeordneter Dr. Schellenberg!
Dr. Schellenberg , Anfragender:
Warum hat die Bundesregierung in den zwei Jahren seit Erlaß des Bundesversorgungsgesetzes noch keine Verwaltungsvorschriften zur Klärung des Begriffes Mehraufwendungen nach § 90 des Bundesversorgungsgesetzes erlassen, und warum sind bisher nur unzulängliche Vorschüsse auf diese Mehraufwendungen gezahlt worden?
Der Herr Bundesminister für Arbeit, bitte!
Verwaltungsvorschriften zum § 90 des Bundesversorgungsgesetzes konnten noch nicht erlassen werden, weil über die Vorschläge, die in meinem Ministerium zur Aufstellung dieser Verwaltungsvorschriften ausgearbeitet wurden, noch Verhandlungen mit den beteiligten Dienststellen im Gange sind. Zudem sollen demnächst in einem Gesetz zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes u. a. auch Meinungsverschiedenheiten ausgeglichen werden, die zwischen den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherungen und der Versorgungsverwaltung über Vorleistungen auf die Erstattung nach § 90 des Bundesversorgungsgesetzes aufgetreten sind. Erst nach Abschluß dieser Verhandlungen über die Vorschläge meines Ministeriums kann die endgültige Höhe der Erstattung nach § 90 des Bundesversorgungsgesetzes festgelegt werden. Etwaige Minder- oder Mehrbeträge an Abschlagzahlungen auf die Erstattungen werden dann ausgeglichen werden. Bisher hat der Bund rund eine Milliarde D-Mark von den Rentenversicherungsrenten an Kriegsopfer getragen. Ob das eine zu geringe Summe ist, wird sich in der nächsten Zeit ja herausstellen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Schellenberg.
Dr. Schellenberg , Anfragender: Eine Zusatzfrage: Warum ist im laufenden Etatsjahr an Vorschüssen nur ein Betrag gezahlt worden, der noch nicht die Hälfte des Ansatzes im Etat ausmacht, obwohl das laufende Etatsjahr in etwa einem Monat abläuft?
Diese Frage kann ich heute vollständig nicht beantworten. Es kommt ja darauf an, welche Rechtsansprüche von den Versicherungsträgern gestellt werden und inwieweit diese Ansprüche nunmehr auch von der andern Seite anerkannt werden können. Da handelt es sich eben tatsächlich um eine sehr unglückliche Formulierung des Gesetzes, die sowohl der einen wie der andern Seite die Möglichkeit gibt, das Gesetz nach ihrer Meinung auszulegen. Wir geben uns die größte Mühe, in der Novelle zum Gesetz diese Dinge ganz klar festzulegen, und nach dieser Regelung hoffen wir, all das auch für die Vergangenheit erledigen zu können.
Dr. Schellenberg , Anfragender: Ich habe noch eine Zusatzfrage.
Bitte sehr!
Dr. Schellenberg , Anfragender: Wann etwa kann mit der Vorlage dieser Novelle gerechnet werden, Herr Minister?
Die Novelle zum Bundesversorgungsgesetz ist bereits mit dem ständigen Ausschuß in meinem Ministerium behandelt worden, und auch die Verhandlungen mit dem Bundesfinanzministerium sind zu einem gewissen Abschluß gebracht worden. Ich rechne also damit, daß die endgültige Vorlage so frühzeitig erfolgt, daß die Novelle bestimmt noch von diesem Bundestag verabschiedet werden kann.
Zu Frage 21 Herr Abgeordneter Dr. Schellenberg!
Dr. Schellenberg , Anfragender:
Zu wieviel Verletzten-Renten unter 50 v. H. werden Zulagen nach dem Unfallversicherungsrenten-Zulagegesetz gezahlt, und wie hoch waren die Aufwendungen hierfür im Jahre 1952?
Bitte, Herr Bundesminister!
Nach § 2 des Gesetzes über Zulagen und Mindestleistungen in der gesetzlichem Unfallversicherung vom 29. April 1952 wird Unfallverletzten, deren Erwerbsfähigkeit um weniger als 50 v. H. gemindert ist, auf Antrag eine Zulage gewährt, wenn und soweit der Gesamtbetrag ihres Erwerbseinkommens zwei Drittel des der Rente zugrunde liegenden Jahresarbeitsverdienstes nicht erreicht. Schon bei der Beratung dieses Gesetzes wurde darauf hingewiesen, daß die Zahl der Unfallverletzten, deren Erwerbseinkommen unter der im Gesetz genannten Grenze liegt, verhältnismäßig klein sei. Die Mehrzahl der Angehörigen dieser Gruppe der Unfallverletzten steht in Arbeit. Der Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften hat eine Zählung durchgeführt. Deren Ergebnisse liegen noch nicht vollständig vor. 34 von den 36 vorhandenen gewerblichen Berufsgenossenschaften berichten, daß bei ihnen rund 230 000 verletzte Rentner mit einer Beschädigung unter 50 % vorhanden sind. Rund 27 000 von diesen haben Anträge gestellt und bekommen eine zusätzliche Rentenzulage. Hierfür sind im Jahre 1952 insgesamt 3,7 Millionen DM verwandt worden. Zahlenergebnisse für die Bereiche der landwirtschaftlichen Unfallversicherung und der Eigenunfallversicherung liegen nicht vor. Sie sind deshalb in den von mir genannten Zahlen nicht enthalten.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schellenberg?
Dr. Schellenberg , Anfragender: Würde sich dann der Gesamtaufwand auf 4 bis 5 Millionen DM stellen, Herr Minister?
Noch nicht einmal.
Dr. Schellenberg , Anfragender: Das würde, wenn ich richtig verstanden habe, praktisch bedeuten, daß die Zulage für diese Renten im Durchschnitt noch nicht 2 °/o des Aufwandes für diese Teilrenten ausmachen. Ich habe die Frage, Herr Minister: wie läßt sich das mit dem Zahlenmaterial vereinbaren, das das Bundesarbeitsministerium bei Beratung des Gesetzes vorgelegt hat, nach dem mit einem Aufwand für diese Renten von 29 Millionen DM gerechnet wurde. War also der Voranschlag um das Fünf- oder Sechsfache überhöht?
Das ist sehr einfach. Ich habe Ihnen gesagt, bei diesen 34 Berufsgenossenschaften beläuft sich die Zahl der Rentner mit einer Beschädigung unter 50 % auf etwa 230 000. Wir waren auch der Meinung, daß ein größerer Prozentsatz, als er sich jetzt herausgestellt hat, durch Unfallverletzung zu einer wesentlichen Minderung des Arbeitslohns gekommen sei. Es hat sich aber gezeigt, daß dieser Kreis, der durch die Unfallverletzung tatsächlich eine wesentliche Minderung seines Arbeitseinkommens erlitten hat, nur gut 10 % der gesamten Unfallrentner mit einer Verletzung unter 50 % ausmacht. Das ist eine Feststellung, über die ich mich nur sehr freue. Ich freue mich noch mehr darüber, daß wir so weit unter dem Voranschlag geblieben sind.
Dr. Schellenberg , Anfragender: Die Opposition, Herr Minister, hat Ihnen das schon bei Beratung des Gesetzes gesagt.
Herr Abgeordneter Schellenberg, ich bitte, nur Fragen zu stellen.
Meine Damen und Herren, die für die Fragestunde vorgesehene Zeit ist abgelaufen. Ich frage: wünscht das Haus die Fragen zu Ende zu führen?
— Nach § 111 der Geschäftsordnung ist eine Stunde eines Sitzungstages für die Fragestunde vorgesehen. Ich muß also bitten, wenn widersprochen wird, die Fragen für die nächste Fragestunde gegebenenfalls zu wiederholen, wenn die schriftliche Beantwortung durch die Bundesregierung Ihnen nicht genügt.
Ich komme zum Punkt 2 der Tagesordnung: Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betreffend Zwangsmaßnahmen gegen den Bauernstand in der sowjetitischen Besatzungszone .
Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Begründungszeit von 15 Minuten und, falls eine Aussprache gewünscht wird, eine Aussprachezeit von 90 Minuten vor.
Zur Begründung der Großen Anfrage Herr Abgeordneter Hohl.
Hohl , Anfragender: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Großen Anfrage meiner Fraktion, die Ihnen unter Drucksache Nr. 3956 vorliegt, wird ein Problem angesprochen, das mit zu den tragischsten unserer Zeit gehört. Unter den Tausenden von Flüchtlingen aus der Sowjetzone, die jede Woche, ja jeden Tag zu uns in den Westen kommen, befindet sich seit langem ein immer stärker werdender Prozentsatz von Bauern — bis jetzt über 16 000 —, die Haus und Hof, Acker und Vieh, alles im Stich lassen, um wenigstens noch ihre persönliche Freiheit als letztes Gut in die Westzonen herüberzuretten. Es ist ein besonderes Zeichen für die Verhältnisse in einem Land, wenn die Bauern flüchten gehen. Der Bauer, der wie niemand sonst mit seinem Hof, mit seinem Grund und Boden, den er in Generationen erarbeitet und erhalten hat, verwurzelt ist, der
nicht allein durch materielle Dinge an seinen Hof gebunden ist, sondern der auch Bindung aus Generationen an seine Scholle spürt, er geht nicht leichtfertig von der Scholle fort, sondern wählt die Flucht nur als letzten Ausweg aus der unerhörten Zwangslage, in die ihn ein eigentumsfeindliches System gebracht hat, um die persönliche Freiheit und das nackte Leben noch zu retten. Die Verhältnisse in der Sowjetzone, die ihm den Boden unter den Füßen entziehen, zwingen ihn dazu.
Es fing mit der Bodenreform an und hört über den Weg der sogenannten Reorganisation des landwirtschaftlichen Organisationswesens jetzt mit der Einführung der Produktionsgenossenschaften, der Schaffung des Kollektivs in der Landwirtschaft auf. Als 1949 die Bodenreform begann und bei der Ansiedlung von Neubauern rund 57 % Nichtlandwirte — Bewerber, die sich meldeten, weil es etwas zu verteilen gab — angesetzt wurden, ahnte man noch nicht, daß dies der gewollte Weg zum Versagen der Privatwirtschaft im bäuerlichen Sektor war, getreu dem Wort des früheren Landwirtschaftsministers der Sowjetzone, des Kommunisten Hoernle, der einmal im internen Kreise erklärt hat:
Die Bodenreform bedeutet natürlich keinen Fortschritt im eigentlichen Sinne. Denn wenn der Bauer von der Pferdeanspannung zur Kuhanspannung kommt, dann ist das kein Fortschritt, sondern ein Rückschritt. Doch dieser Schritt zurück ist mit Rücksicht auf die Mentalität des deutschen Bauern zur Erreichung des Endzieles, der Kollektivwirtschaft, notwendig geworden.
Als diese unwirtschaftliche Siedlung zwangsläufig ihre wirtschaftlichen Folgen im bäuerlichen Sektor zeitigte, glaubte man durch die Schaffung von Produktionsgenossenschaften die Landwirtschaft rentabler gestalten zu können, wobei aber der Gedanke der Überführung der landwirtschaftlichen Betriebe in das Gemeineigentum der vorherrschende war. Da nun in den Satzungen dieser Produktionsgenossenschaften festgelegt ist, daß Betriebe über 20 ha Größe, die „Großbauern", wie man sie in der Sowjetzone nennt, nicht aufgenommen werden dürfen — man nennt sie in den Satzungen in einem Atemzug mit den Schiebern und dergleichen —, sind diese Betriebe, rund 48 000 an der Zahl, in eine unhaltbare Lage gekommen. Während die Produktionsgenossenschaften mit und in allem begünstigt werden, ist der Bauer mit über 20 ha nicht mehr in der Lage, seinen Betrieb rentabel aufrechtzuerhalten. Er bekommt keine Arbeitskräfte mehr. Bauernzeitungen nehmen keine Inserate dieser Art von ihm auf. Sie können Maschinen vom Pflug aufwärts nicht mehr kaufen, sondern sind nur auf die Maschinenausleihstationen angewiesen, die aber neuerdings strengstens gehalten sind, in erster Linie die Produktionsgenossenschaften zu bedienen. Da sie hierzu noch nicht einmal in der Lage sind, ist der Bauernbetrieb über 20 ha vollkommen auf sich allein gestellt.
Aber auch die Tarifgebühren der MAS zeigen, wie bewußt man die Rentabilität aller Betriebe über 20 ha zerstören will. So betragen z. B. die Gebühren für Pflügen bei einem Mitglied einer Produktionsgenossenschaft pro ha 15 Ostmark, während sie bei einem Betrieb über 20 ha Größe auf 58,50 Ostmark zu stehen kommen, beim Drillen betragen die Gebühren 5 Ostmark für die Mitglieder der Produktionsgenossenschaft, 22 Ostmark für den Betrieb über 20 ha; beim Rübenroden 13 Ostmark zu 73 Ostmark, beim Kartoffelroden 16 Ostmark zu 75 Ostmark. Dieses Verhältnis findet man bei allen Arbeiten, die von der MAS ausgeführt werden.
Aber nicht allein, daß man diese Betriebe über 20 ha so hoch mit Produktionskosten belastet — hinzu kommen noch höhere Preise für Düngemittel, dann steuerliche Belastungen usw., die die Produktionsgenossenschaft nicht hat, weil sie begünstigt wird —, auch die Ablieferungsnorm ist so gestaffelt, daß jeder Betrieb über 20 ha im Vergleich zu dem Betrieb von 2 bis 5 ha ein Mehrfaches pro ha abzuliefern hat. Dazu ein Beispiel. Betriebe von 2 bis 5 ha haben an Getreide 5,5 dz pro ha zu liefern, während der Betrieb über 20 ha 18,7 dz pro ha zu liefern hat; Kartoffeln bei Betrieben von 2 bis 5 ha 41 dz, bei Betrieben über 20 ha 104,7 dz; Schlachtvieh 81 kg je ha bis 5 ha und 119,9 kg pro ha über 20 ha; bei Milch 372 kg pro Hektar gegenüber 437 kg pro Hektar, wobei noch erwähnt werden muß, daß bei der Abgabe dieser Erzeugnisse von Schlachtvieh und Milch die Ablieferung nicht auf die Stückzahl oder überhaupt auf das Vorhandensein von Vieh abgestellt ist, sondern alles ist auf den Hektar abgestellt, ganz egal, ob die Viehgattung da ist oder nicht. Dazu sind die Preise für die abzuliefernden Produkte so niedrig, daß der Bauer beim besten Willen eine Rentabilität nicht mehr herauswirtschaften kann.
Die Getreidepreise betragen in der Sowjetzone 9,80 bis 11 Ostmark je Zentner. Wer das Verhältnis Ostmark zu Westmark kennt, der weiß, daß der westdeutsche Bauer die doppelte Summe in DMark für einen Zentner in den Westzonen bekommt, und der kann ermessen, was es heißt, daß der Bauer in der Ostzone einen derart niedrigen Preis für das Getreide bekommt, wogegen z. B. ein leerer Getreidesack in der Ostzone 8,80 bis 10 Ostmark kostet, gleich einem Zentner Getreide! Wenn ein Leihsack beim Dreschen abhanden kommt, was in der Ostzone öfters vorkommen soll, dann werden jedem Bauern bei seiner Abrechnung 25 Ostmark abgezogen. Schweine über 3 Doppelzentner werden in der Ablieferung mit 1,48 Ostmark je kg bezahlt, unter 2 Zentner je kg 1 bis 1,20 Ostmark; Eier je Stück 8 bis 10 Ostpfennige, Milch je Liter — je nach der Gebietslage — 11 bis 18 Ostpfennige, Kartoffeln je Zentner 3,10 Ostmark. Ich habe vor mir eine Nummer einer Bauernzeitung aus der sowjetisch besetzten Zone liegen, in der sich ein Bauer darüber beschwert, daß er für 51 gelieferte Zentner Kartoffeln ganze 81 Mark ausgezahlt erhalten hat, wogegen Saatkartoffeln je Zentner 8 bis 10 Ostmark kosten.
Die Bedarfsartikel, wie Arbeitsschuhe auf Bezugsscheine, die aber nur die werktätigen Landwirte erhalten — selbständige Landwirte, insbesondere alle mit Betrieben über 20 ha, erhalten überhaupt keinen Bezugsschein —, kosten aus Schweinsleder mit Gummisohle 23 Ostmark. Lederarbeitsschuhe, wie wir sie kennen, die aber nur im HO-Laden zu bekommen sind und die der Bauer mit über 20 ha überhaupt iur kaufen kann, kosten 70 bis 90 Ostmark, was einem Getreidepreis von 8 bis 9 Zentnern Getreide entspricht. Ein guter Anzug im HO-Laden kostet 260 bis 300 Ostmark. Demgegenüber sind die freien Spitzen in der Ablieferung im Preise bedeutend höher: jedoch ist es einem Bauern mit über 20 ha
bei der Höhe seines Ablieferungssolls noch nicht einmal möglich, dieses zu erfüllen, geschweige denn freie Spitzen zu erreichen. Dreschen war in der gesamten Zone infolge Strommangels nur nachmittags und nachts möglich, aber auch nur mit besonderen Dreschkarten, die deshalb ausgegeben wurden, um hier die nötige Kontrolle zu besitzen.
Der Bauer in der Ostzone wird von morgens früh bis spät abends, vom Frühjahr bis zum Winter mit Bewirtschaftungsparolen und Aufrufen, mit Gesetzesparagraphen und Zwangsandrohungen, die sich fast mit jeder Arbeit befassen, so traktiert, daß er sich überhaupt nicht mehr zurechtfindet. Wenn er mit seiner Ablieferung im Rückstand bleibt — und das sind die meisten heute —, hat er größte Strafen zu gewärtigen. Allein im letzten Herbst wurden von der Regierung der Ostzone 15 Minister und Staatssekretäre zur Kontrolle auf das Land geschickt, um die Ablieferung zu überwachen. Da als erste Maßnahme bei Nichterfüllung des Solls die Entziehung der Hausschlachtung erfolgt, sind viele Betriebe jahrelang nicht in der Lage, auf eigenem Hofe Hausschlachtungen durchzuführen. Es ist interessant, wie gerade Beschwerden aus Bauernkreisen in der eigenen Presse der sowjetisch besetzten Zone auf diese Mängel hinweisen. Ich habe vor mir das „Bauernecho" vom 9. November 1952 liegen. Man beschwert sich darüber, daß die Kreisverwaltung Wolmirstedt eine Verordnung herausgegeben hat, in der alle Bürgermeister des Kreises darauf hingewiesen werden, daß die Aushändigung des Schlachtscheins von der Ablieferung sämtlicher vertragsgebundener Produkte abhängig ist. Es heißt dann wörtlich:
Wer also noch kein Heu, Stroh, Tierhaare oder Federn abgeliefert hat, muß auf den Schlachtschein verzichten, auch wenn er sein Soll an Fleisch usw. bei weitem überliefert hat.
Sie sehen, wie ein derartiges System den Bauern in allen seinen Handlungen einengt, wenn es nur irgendwie geht. Wie die Bestrafungen aussehen und mit welcher Begründung sie erfolgen, zeigt die Verhandlung gegen den Bauern Otto Klein vor der Strafkammer des Kreisgerichtes Neu-Brandenburg. Es heißt dort wörtlich:
Klein führte an, daß er seinen Verpflichtungen an tierischen Produkten nicht nachkommen konnte, da er für sein Vieh kein Futter hatte. Mit dieser seiner Handlungsweise verstieß Klein bewußt gegen die Verordnungen und Gesetze der Deutschen Demokratischen Republik. Die Strafkammer des Kreisgerichtes verurteilte daher den Angeklagten zu einer Zuchthausstrafe von drei Jahren sowie Einzug des Vermögens.
Mir ist ein anderes Urteil bekannt, wonach ein Bauer zu fünf Jahren Zuchthaus, der Sohn zu drei Jahren Zuchthaus und die Frau zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt wurden, letztere mit der Begründung, daß sie das Vergehen ihres Mannes nicht verhindert habe.
Diese Maßnahmen in der Sowjetzone gegenüber dem selbständigen Bauernstand haben dazu geführt, daß zur Zeit ungefähr 200 000 ha brach liegen, daß Tausende von Neubauernstellen wieder verlassen worden sind, weil es den Besitzern nicht mehr möglich war, länger auf ihrer Scholle auszuhalten.
Diese Verhältnisse haben natürlich in ihrer Folge einen großen Einfluß auf die Ernährungslage in der Ostzone gehabt. Wir wissen, daß es dort fast alles, mit Ausnahme von Brot und Kartoffeln, auf Karten gibt. Die Ernährungslage ist so schlecht geworden, daß selbst Freibankfleisch und Pferdefleisch auf Sonderausweise abgegeben werden. Ein Gebiet, das sich früher restlos selbst ernährt hat, ist durch diese Zustände heute zum Zuschußgebiet geworden. Früher haben diese sowjetisch besetzten Gebiete an Brotgetreide rund 56,5 %, an Kartoffeln 59,4 % und an Zuckerrüben 67,5 % der Ernte des gesamten Altreiches erzeugt. Laut einer Notiz des „Bauernecho" vom 13. Februar trafen allein in der ersten Februar-Dekade in Frankfurt an der Oder 1693 Waggons Getreide, 21 Waggons Hülsenfrüchte und 6 Waggons Butter und aus Polen 23 Waggons Schweine und 3 Waggons Fleischkonserven ein. Das wirft ein Schlaglicht auf die wahren Verhältnisse in der Landwirtschaft der Sowjetzone.
Aber, meine Damen und Herren, man versucht nicht allein auf wirtschaftlichem Gebiet den selbständigen Bauernstand restlos zu beseitigen, auch in kultureller Hinsicht werden jetzt alle Hebel angesetzt, um „sozialistisches Kulturgut" in unsere Dörfer zu tragen. Zu diesem Zweck schließen die Produktionsgenossenschaften sogenannte Freundschaftsverträge mit Vereinigungen, Belegschaften von Betrieben und dergleichen ab, wobei sich die Produktionsgenossenschaften verpflichten, hundertprozentig ihr Soll zu erfüllen, während der Partner aus der Stadt die „Kulturarbeit" auf ,dem Dorf übernimmt. Der Schriftsteller Kurt Bartel schreibt gelegentlich einer Einladung, eine Produktionsgenossenschaft zu besuchen, an einen Kollegen u. a.:
Dein Brief erreicht mich auf der Produktionsgenossenschaft Walter Ulbricht in Marxleben.
Daran siehst Du, daß sich schon Schriftsteller
auf dem Lande befinden, um das große Umpflügen mit zu erleben; denn auch aus den
Hirnen muß alles Unkraut ausgerottet werden,
und die Gedanken können wie der Weizen nur
auf einem weiten, grenzenlosen Feld gedeihen.
Meine Damen und Herren! Damit wird eine jahrhundertealte Bauernkultur bedroht und ausgerottet, genau so wie man Grund und Boden in wirtschaftlicher Hinsicht, den selbständigen Bauernstand und das Eigentum bedroht. Man versucht, den Bauern in kultureller und wirtschaftlicher Beziehung von seiner Scholle zu lösen, ihn zu entwurzeln und in die allgemeine Vermassung, in das Denken und Leben im sozialistisch-kollektivistischen Sinne einzubeziehen.
Angesichts dieser Entwicklung und Zustände in der sowjetischen Besatzungszone fragen wir die Bundesregierung:
1. Ist die Bundesregierung bereit, Auskunft zu geben:
a) mit welchem Ziel und mit welchen Methoden die Vernichtung des Bauernstandes in der sowjetischen Besatzungszone betrieben wird?
b) wieweit durch Maßnahmen gegen die bäuerlichen Betriebe in der sowjetischen Besatzungszone die Menschenrechte und die Gesetze der Menschlichkeit verletzt werden?
c) ob und inwieweit die Versorgung der deutschen Bevölkerung in der sowjetischen Besatzungszone durch die Liquidierung von bäuerlichen Betrieben gefährdet wird?
2. Ist die Bundesregierung bereit, wegen dieser Maßnahmen in der sowjetisch-besetzten Zone bei den westalliierten Besatzungsmächten vorstellig zu werden?
Wir stellen diese Anfrage aus der großen Sorge um die Ernährungslage unserer 18 Millionen Brüder und Schwestern in der sowjetisch besetzten Zone.
— Meine Damen und Herren von der kommunistischen Gruppe,
Sie sollten, wenn Sie noch einen Funken von Mitgefühl und eine Spur von Empfinden für Recht und Gerechtigkeit besitzen, bei der Behandlung dieses Punktes beschämt diesen Saal verlassen.
Wir stellen diese Anfrage auch deshalb, weil wir in diesen Verhältnissen eine große Gefahr für die Wiedervereinigung unseres durch den Eisernen Vorhang getrennten deutschen Vaterlandes sehen.
Zur Beantwortung der Großen Anfrage hat das Wort der Herr Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu der Großen Anfrage der CDU/CSU betreffend die Zwangsmaßnahmen gegen den Bauernstand in der sowjetischen Besatzungszone, denen mit der wachsenden Bedrückung unserer Landsleute hinder dem Eisernen Vorhang insgesamt die volle Aufmerksamkeit der Bundesregierung gehört, habe ich namens der Bundesregierung folgendes zu erklären.
Ziel der Vernichtung des Bauernstandes in der sowjetischen Besatzungszone ist die Kollektivierung der Landwirtschaft, d. h. die Auflösung der selbständigen Bauernwirtschaften und deren Überführung in Kollektivbetriebe nach sowjetischem Muster. In den vergangenen Jahren wurde dieses Ziel immer wieder abgeleugnet. Aber im Juli 1952 wurde es auf der zweiten Parteikonferenz der SED offiziell bekanntgegeben.
Der Beginn der Kollektivierung der Landwirtschaft greift zurück bis in die Jahre 1945/46.
— Ich habe damit gerechnet, daß ein solcher Zuruf kommt. Ich bin in der Tat damals in der Sowjetzone und in Berlin dabei gewesen, und ich habe die Tragik der Geschehnisse unmittelbar miterlebt. Aber Sie, meine Herren, scheinen über das, was sich damals drüben begeben hat, nicht genügend unterrichtet zu sein, und ich würde Sie bitten, bei Ihrem nächsten Kommen nach Berlin sich sowohl in Pankow wie in Karlshorst — meinetwegen bei Wilhelm Pieck oder, wenn Sie nach Moskau kommen sollten, bei Marschall Schukow, wenn er noch dort sein sollte,
und bei Marschall Sokolowsky — über die Auseinandersetzungen zu erkundigen, die damals zwischen uns und Ihren Freunden und den sowjetischen Machthabern über die Zone
geführt worden sind.
— Wir können ja nachher weiter darüber sprechen. — Ich wiederhole: Der Beginn der Kollektivierung der Landwirtschaft greift zurück bis in die Jahre 1945/46. Damals vollzog sich unter dem Kennwort Bodenreform ein grundlegender Strukturwandel in der Landwirtschaft. Alle Betriebe über 100 Hektar wurden entschädigungslos enteignet. Durch die Aufteilung des enteigneten Bodens an zum Teil berufsfremde und landwirtschaftlich nicht genügend geschulte Siedler wurden kleine Bauernwirtschaften geschaffen; sie wurden bewußt lebensunfähig gemacht, um die Ausgangsbasis für eine spätere Kollektivierung zu haben. In den folgenden Jahren verließen dann auch zahlreiche Neubauern und Siedler ihre Stellen, da sie ihnen einfach keine Existenz boten. Die unbewirtschafteten Ländereien, die sogenannten herrenlosen Flächen, überschritten im Herbst 1952 bereits mehr als 200 000 Hektar.
Um die Entwicklung der Landwirtschaft in eine für die beabsichtigte Kollektivierung gewünschte Richtung zu lenken, wurde ferner die totale Zwangswirtschaft nach sowjetischem Muster eingeführt. Es wurden für jeden Bauern verbindliche Anbau- und Viehhaltepläne aufgestellt. Jedem Bauern wurden termingebundene Zwangsablieferungen auferlegt, wobei sich das Ablieferungssoll je Flächeninhalt mit der Größe des Hofes steigert. In Sachsen mußte z. B. 1952 ein Hof von 5 bis 10 Hektar 9,5 Doppelzentner Getreide je Hektar abliefern, ein Hof von 20 bis 35 Hektar 18 Doppelzentner Getreide je Hektar, ein Hof von über 50 Hektar sogar 21 Doppelzentner Getreide.
Ebenso wie die Planwirtschaft geht auch die Preis- und Steuerpolitik auf die Vernichtung der selbständigen bäuerlichen Wirtschaften aus. Nach sowjetischem Vorbild wurde das System der doppelten Preise eingeführt. Für das Ablieferungssoll erhält der Bauer den sogenannten Erfassungspreis. Der Erfassungspreis ist so niedrig, daß kaum ein Betrieb damit existieren kann. Was der Bauer über sein Ablieferungssoll hinaus herauswirtschaftet, kann er als sogenannte freie Spitzen zu relativ hohen Preisen verkaufen. Das aber ist nichts anderes als graue Theorie; denn die wenigsten Bauern können auch nur ihr Ablieferungssoll erfüllen. Erreicht der Bauer dieses Soll nicht, so wird er zum Saboteur und zum Wirtschaftsverbrecher erklärt.
Dem gleichen Schicksal ist der Bauer ausgesetzt, wenn er auf Grund oft nachträglich festgestellter angeblicher Steuerschulden aus zurückliegenden Jahren eine überhöhte Steuerstrafe nicht bezahlen kann.
Die größeren Höfe werden zudem dadurch geschwächt, daß ihnen ihre Arbeitskräfte systematisch entzogen werden. Durch Rekrutierung zur Volkspolizei und zur Industrie
— wahrscheinlich auch, nur nach der anderen
Seite! —, durch zwangsweise Belegung von Landarbeiterwohnungen wird ein Mangel an Arbeits-
kraften herbeigeführt. Die Zuweisung neuer Arbeitskräfte wird unterbunden. Dadurch wird es dem Bauern einfach unmöglich gemacht, seine Felder ordnungsgemäß zu bestellen und die Ernte einzubringen. Damit rückt der Bauer wiederum in die Kategorie der „Saboteure und Wirtschaftsverbrecher". In zahlreichen Fällen werden dann — und das besonders in der jüngeren Zeit —Treuhänder eingesetzt. Der Besitzer wird vom Hof verwiesen, oder er darf nur noch als Landarbeiter auf seinem eigenen Hof tätig sein. Aber auch dann ist er vor Ausweisung aus seinem engeren Heimatbezirk nicht sicher.
Hinzukommt, daß mit allen Mitteln in Versammlungen, in der Presse und im Rundfunk gegen die Bauern Stimmung gemacht wird. Mit Terrorurteilen wegen angeblicher staatsfeindlicher „Terrorakte", wegen angeblicher großbäuerlicher, kapitalistischer Gesinnung wird der Druck auf den Bauernstand verschärft.
Aber auch gegen die Bauern unter 20 Hektar wird von den Kommunisten ein einfach erbitterter Kampf geführt. Man sucht sie nach und nach in die kommunistischen Produktionsgenossenschaften hineinzupressen. Dabei bleibt der eingebrachte Boden der Genossenschaftsmitglieder zwar formell ihr Eigentum, jedoch werden die Ländereien zu einer einheitlichen Bodenfläche zusammengelegt. Feldraine und Grenzsteine werden beseitigt, und damit fallen die letzten Schranken, die überhaupt noch ein Privateigentum erkennen lassen. Der freie Bauer in der Sowjetzone wird zum Arbeiter im Kollektiv. Er wird in sogenannte Produktionsbrigaden — wie die großen Worte heißen — eingereiht. Diese Produktionsbrigaden arbeiten unter der Leitung von Brigadieren nach festgesetzten Leistungsnormen und Bewertungssätzen.
Die eingeleitete Kollektivierung führt eine umwälzende Veränderung sowohl des Wirtschafts- als auch des Sozialgefüges in der Landwirtschaft herbei. Der Bauernstand in Mitteldeutschland ist im höchsten Maße bedroht.
Um Ihnen, meine Damen und Herren, das Los der Bauern in der Sowjetzone möglichst lebendig zu veranschaulichen, darf ich Ihnen Teile aus dem Schreiben eines Bauern wiedergeben, das mich dieser Tage erreichte. Dieser Bauer berichtet folgendes:
Ich bewirtschaftete einen Hof von 56 Hektar. Davon waren 30 Hektar unter dem Pflug, 20 Hektar Wald und 6 Hektar Futterfläche. Ich bewirtschaftete den Hof im allgemeinen nur mit Hilfe meiner Frau. Während der Ernte beschäftigte ich bis 1951 4 bis 6 Hilfskräfte aus dem Dorf. In den letzten zwei bis drei Jahren half meine jetzt 15jährige Tochter mit. Bis zum Jahre 1951 war es mir gelungen, die Anbau- und die Ablieferungspläne voll zu erfüllen, was allerdings nur durch unermüdlich harte Arbeit möglich gewesen ist, da die Saatgut- und die Düngemittelzuteilungen stets ungenügend waren und in der Regel viel zu spät eintrafen.
Nicht zu überwindenden Schwierigkeiten sah ich mich im Jahre 1952 gegenüber. Der mir aufgezwungene Anbauplan für 1952 nahm überhaupt keine Rücksicht auf eine geordnete Fruchtwechselwirtschaft, so daß von vornherein klar war, daß Mindererträge erzielt werden mußten. Ich habe den Anbauplan trotzdem erfüllt und bin bei Getreide und Ölfrüchten dem Ablieferungssoll voll nachgekommen. Danach blieb aber kaum etwas übrig für den
Eigenbedarf des Hofes und für die Ernährung der Familie. Der Anbauplan verlangte die Verringerung der Futterfläche zugunsten des Feldfruchtanbaues. Gleichzeitig aber wurde mir durch den Viehwirtschaftsplan auferlegt, 16 Rinder und 40 Schweine — eine größere Zahl als im Vorjahr — zu halten. Dazu fehlte mir jede Futtergrundlage, ja ich hatte noch nicht einmal Stallraum, um den Zuwachs unterzubringen. Für Stallneubauten hatte ich dabei weder Geld noch bekam ich Kredit. Im übrigen waren nirgends Baustoffe aufzutreiben.
Ich konnte dem Viehhaltungsplan also mangels Futter und mangels Stallraum beim besten Willen nicht nachkommen. Im Jahre 1952 konnte ich demzufolge weder das Milchsoll noch das Eier- und Fleischsoll erfüllen. Mitte November 1952 war die Lage für mich und für meine Wirtschaft wie folgt:
Milch Soll: 14 000 1, Ist: 6 000 1,
Eier Soll: 4 200 Stück, Ist: 2 000 Stück,
Fleisch Soll: 70 Zentner, Ist: 25 Zentner.
Nach Ablieferung der vorgenannten Erzeugnisse hatte ich für die Ernährung meiner Familie nichts zur Verfügung. Es war mir nicht gestattet, zu schlachten. Fleischkarten erhielt ich für mich und meine Familie nicht zugeteilt. Trotz schwerster Arbeit bei einem Arbeitstag vom frühesten Morgen bis in die Nacht hinein hatten wir für uns weder Fleisch noch Fett, noch Eier und Milch. Unsere Hauptmahlzeiten bestanden aus Kartoffeln und Quark. Manchmal, und wirklich manchmal nur, konnten wir etwas 01 und einige Heringe im HO-Laden des Ortes einkaufen.
Obwohl ich mangels Futter beim Fleisch- und Milchablieferungssoll im Rückstand war, zwang man mich, beträchtliche Mengen Heu und Stroh abzuliefern, was meine Lage noch weiter verschlimmerte. Gänzlich unhaltbar wurde für mich die Situation, nachdem es mir nicht möglich gewesen war, für die Ernte 1952 Hilfskräfte zu bekommen. Die sonst verfügbaren Saisonarbeitskräfte waren im Laufe des Jahres in der Industrie und in der Bauwirt-wirtschaft der näheren Umgebung als ständige Arbeitskräfte tätig geworden. So stand ich vor der unmöglich zu bewältigenden Aufgabe, allein mit meiner Frau und meiner 15jährigen Tochter 40 Morgen Kartoffeln und 10 Morgen Rüben ernten zu sollen.
Da ich bis zum 15. Oktober sämtliches Getreide dreschen und abliefern mußte, konnte ich erst nach diesem Zeitpunkt mit der Hackfruchternte beginnen. Bereits Anfang November jedoch brach der Frost herein, so daß die gesamte Kartoffel- und Rübenernte im Boden stecken blieb. Obwohl dem Bürgermeister des Dorfes dies alles bekannt war, erhielt ich von ihm am 16. Oktober die schriftliche Aufforderung, den Rückstand von rund 1000 Doppelzentner Kartoffeln innerhalb der nächsten drei Tage abzuliefern, was für mich bedeutete, zu ernten, zu verlesen und zum Bahnhof zu transportieren. Da ich das ohne Hilfskräfte selbstverständlich nicht bewältigen konnte, wurde ich von der SED als Saboteur beschimpft und gebrandmarkt. Wenige Tage später wurde ich aufgefordert, die Rückstände bei der Fleisch-, Milch- und Eierablieferung innerhalb von 14 Tagen abzudecken.
Außerdem sollte ich mich schriftlich verpflichten, den unerfüllbaren Viehhaltungsplan bis Ende 1952 voll zu erfüllen. Bei Nichteinhaltung wurden mir 1000 Mark Geldstrafe oder 5 Monate Gefängnis angedroht. Ich verfügte zu diesem Zeitpunkt bei der Bäuerlichen Handelsgenossenschaft und bei der Sparkasse über keinerlei Guthaben. Im ganzen Jahr 1952 hatte ich für meine Familie und mich an Bargeld praktisch nur das Eiergeld von 10 Pfennig je Stück, also rund 200 Mark zur Verfügung. Es war mir also gänzlich unmöglich, etwa durch Ankauf in der HO die Fehlmengen von Fleisch, Eiern, Milch usw. aufzubringen. Ich sah auch keinerlei Möglichkeit, die noch im Boden verbliebenen Kartoffeln und Rüben zu ernten, und war auch völlig außerstande, den unmöglichen Viehhaltungsplan zu erfüllen.
Damit drohte mir schwere Bestrafung wegen Sabotage und Wirtschaftsvergehens und obendrein Beschlagnahme meines Anwesens. Da man mir nach Lage der Dinge das Anwesen ohnehin genommen hätte — ich galt ja als Großbauer —, entzog ich mich der bevorstehenden Verhaftung und Aburteilung mit meiner Familie durch die Flucht.
Soweit, meine Damen und Herren — und das ist beispielhaft für viele —, einer der Bauern.
Zu Frage b erklärt die Bundesregierung: Die gegen den Bauernstand in der Sowjetzone angewandten Maßnahmen verstoßen gegen die in der allgemeinen Deklaration der Menschenrechte der Vereinten Nationen verankerten Grundsätze. Schon in der Praämbel dieser Deklaration haben sich die Mitglieder der Vereinten Nationen verpflichtet, eine Welt zu verwirklichen, in der die Menschen frei von Angst und Not leben können. Sie haben sich dazu verpflichtet, den sozialen Aufstieg der Menschen zu fördern und ihnen bessere Lebensbedingungen zu schaffen. In Art. 3 der Deklaration der Vereinten Nationen wird jedermann das Recht auf Leben, auf Freiheit und Sicherheit seiner Person zugesprochen. Nach Art. 5 darf niemand unmenschlichen und erniedrigenden Strafen unterworfen werden. Art. 9 verbietet willkürliche Verhaftung oder Ausweisung. Art. 12 untersagt willkürliche Einmischung in das Privat- und Familienleben des Menschen und die Schädigung seiner Ehre und seines guten Rufes. Die Art. 17 und 22 erkennen jedem Menschen das Recht auf Eigentum und auf soziale Sicherheit zu.
Meine Damen und Herren! Alle diese Artikel werden von den Behörden in der sowjetischen Besatzungszone gegenüber den Bauern, aber auch gegenüber allen anderen Gruppen und Ständen täglich und stündlich in brutalster Weise verletzt. Und das geschieht, obwohl diese Deklaration durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen mit Zweidrittelmehrheit angenommen wurde und daher auch für die Sowjetunion als Besatzungsmacht verbindlich ist.
Die weitere in der Großen Anfrage gestellte Frage, ob die Versorgung der deutschen Bevölkerung in der sowjetischen Besatzungszone durch die Liquidierung von bäuerlichen Betrieben gefährdet wird, muß man bejahen. Die Versorgung der Bevölkerung in der Sowjetzone ist seit etwa einem halben Jahr besonders schlecht. Der Hunger geht in der Sowjetzone um! Jede weitere Beeinträchtigung des Bauernstandes muß die Situation noch weiter verschlechtern. Schon die Herbstbestellung 1952 hat unter dem Kampf gegen die Bauern erheblich gelitten. Große Teile der Hackfruchternte blieben in der Erde, und es ist sicher, daß die Frühjahrsbestellung nicht ordnungsgemäß durchgeführt werden kann.
Der Flüchtlingsstrom der letzten Monate, der stärker als früher Bauern nach Westberlin und in das Bundesgebiet führt, spricht eine beredte Sprache. Allein zwischen dem 1. Januar und dem 13. Februar 1953 flüchteten 2507 Besitzer von Bauernwirtschaften aus der Zone.
Die Bundesregierung hat — und damit komme ich abschließend zu der unter Ziffer 2 der Anfrage gestellten Frage — Schritte unternommen, um die Aufmerksamkeit der' Besatzungsmächte und der Weltöffentlichkeit auf die Not des Bauernstandes in der sowjetischen Besatzungszone zu lenken. Die drei Westmächte wurden gebeten, nachdrückliche Schritte zunächst bei der sowjetischen Besatzungsmacht zu unternehmen. Bereits jetzt hat die Weltöffentlichkeit von den Zuständen in der sowjetischen Besatzungszone und von dem ständig steigenden Flüchtlingsstrom in starkem Maße Kenntnis genommen. Allein am letzten Wochenende meldeten sich in Berlin über 3500 Flüchtlinge, und gestern waren es 2500. Von vielen Ländern wurde bereits Hilfe angeboten und Hilfe geleistet. Die Bundesregierung ist dankbar für diese Solidarität. Wir appellieren .aber an die Welt, sich bewußt zu sein und bewußt zu bleiben, daß es nur eine wirksame Hilfe sowohl für die Flüchtlinge wie für die in der Zone Ausharrenden gibt: das ist die Wiedervereinigung unseres Landes.
Meine Damen und Herren, Sie haben die Beantwortung der Großen Anfrage gehört. Wird eine Aussprache gewünscht? — Die Aussprache wird von einer hinreichenden Zahl von Abgeordneten gewünscht; sie findet im Rahmen der vereinbarten Redezeit von 90 Minuten statt.
Wer wünscht das Wort zu nehmen? — Herr Abgeordneter Dr. Preiß!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer wie ich als, ich glaube, der einzige Abgeordnete des Hohen Hauses das Terrorsystem der Ostzone bereits im Sommer 1945 und bis zum Ende -1945 auskosten durfte und sich bis jetzt sieben Jahre lang wegen seiner öffentlichen Tätigkeit täglich in bangster Sorge um seine nahen und nächsten Angehörigen befand, der ist — das wird wohl jeder in diesem Hause verstehen — vielleicht sehr leicht geneigt, zu diesem heute zur Erörterung stehenden Thema mit größter Leidenschaftlichkeit zu sprechen. Aber der Ernst, der mit diesem Thema verbunden ist, der Ernst nicht nur für die Bauern, die es dort drüben betrifft, sondern auch für uns in Westdeutschland, die wir der tagtäglich schwerer werdenden sozialen Verpflichtungen fast nicht mehr Herr zu werden wissen — und ich danke es dem Herrn Minister, daß er am Schluß mit einem solchen Nachdruck gesagt hat, dieses Problem habe seinen tiefen Ernst für die gesamte westliche Welt —, dieser Ernst würde eine solche Leidenschaftlichkeit nicht erlauben. Ich will es deshalb vermeiden — obwohl ich noch viele Ergänzungen zu den bis jetzt dargelegten Einzelerscheinungen und Symptomen bringen könnte —, diese Fragen noch zu erweitern.
Es will mir aber scheinen, daß es notwendig ist, auf die draußen in unserem Volk so oft gestellte
Frage, wie es denn möglich ist, daß deutsche Menschen gegen ihre deutschen Mitmenschen derart terroristische Maßnahmen bis zur Vertreibung von Haus und Hof, bis zur Zerreißung zahlreicher Familien, bis zu Inhaftierungen und schandbaren Verurteilungen zu 12, 15 Jahren Zuchthaus und noch mehr ergreifen könnten, eine Antwort zu geben. Wie kann das sein, wie läßt sich so etwas erklären? Sie alle, die Sie j a dauernd draußen in der Öffentlichkeit stehen oder gar die Lager einmal besuchen, werden diese Frage immer wieder gestellt bekommen. Hier erklärt sich auch die ungeheure Unterschiedlichkeit der Anteilnahme der Öffentlichkeit gegenüber dem schon jahrelang andauernden Flüchtlingsstrom, nicht, weil uns etwa die mitteldeutschen vertriebenen Menschen irgendwie näher stünden oder uns etwas anderes bedeuteten als diejenigen aus den Ostprovinzen. Aber jene wurden in dem Augenblick unseres Zusammenbruchs von den Siegermächten, also von fremden Mächten, aus ihrer Heimat vertrieben. Hier ist das völlig Neue eingetreten, daß es deutsche Menschen sind, die sich zu diesen Maßnahmen hergegeben haben.
Die Frage, wie das möglich ist, verdient meines Erachtens am heutigen Tage eine Untersuchung und Beantwortung. Denn von heute auf morgen lassen sich Menschen, etwa nur im Dienste ausländischer Besatzungsmächte, nicht für so etwas gewinnen, wenn sie nicht jahrelang und, ich möchte vielleicht sagen, jahrzehntelang psychologisch und ideologisch auf solche Handlungen und Maßnahmen vorbereitet worden sind. Da kann ich nun nicht umhin, zu dem ganzen Problem Agrarsozialismus oder Agrarrevolutionen auf den Urheber alles dessen, was in dieser Richtung erfolgt ist, zurückzugehen, nämlich auf Herrn Karl Marx.
— Ich weiß, das ist Ihnen nicht sehr angenehm. Aber ich werde Sie vor diesen Betrachtungen nicht verschonen können. Er hat sich schon damals in Anlehnung an seine Ideologie von dem Automatismus der evolutionsmäßigen Hinlenkung zu großkapitalistischen Unternehmungsformen, an seine Konzentrations- und Akkumulationstheorien vom Kapital in gleicher Weise gegenüber der Landwirtschaft ausgedrückt. Er hat schon damals gesagt: Die Kleinbauernwirtschaften und auch die mittleren Bauernwirtschaften sind nur eine notwendige Durchgangsstation. Wörtlich fährt er fort:
Sie muß vernichtet werden. Sie wird vernichtet. Ihre Vernichtung, die Umwandlung der individuellen und zersplitterten Produktionsmittel in gesellschaftlich konzentrierte, daher des zwerghaften Eigentums vieler in das massenhafte Eigentum weniger, daher die Enteignung der großen Volksmasse von Grund und Boden und Lebensmitteln und Arbeitsinstrumenten, diese furchtbare und schwierige Enteignung der Volksmasse bildet die Vorgeschichte des Kapitals.
Er hatte natürlich an vieles zu denken und hatte auch für diesen Sektor einen besonderen Interpreten, Herrn Kautsky.
Ich glaube schon, daß man diese Dinge hier mit erwähnen und sich vor allen Dingen den bedeutsamen Einschnitt klar vergegenwärtigen muß, der hier entsteht; denn auch der Agrartheoretiker der sozialistischen Frühzeit, Herr Kautsky, hatte Verständnis und Beobachtungsgabe genug, um festzustellen, daß es mit dem Aufsaugungsprozeß unzähliger mittel- und kleinbäuerlicher Existenzen, die fest mit ihrem Boden verwurzelt sind, so einfach nicht steht. Er hat schon damals erkannt, daß das vielleicht überhaupt nicht gehen werde, und hat aus dieser Beobachtung die sehr bedeutsame Konsequenz gezogen, daß schließlich doch einzig und allein „das siegreiche Proletariat die Initiative zur genossenschaftlichen Produktion ergreifen und die Bedingungen schaffen kann, welche es den Handwerkern und Bauern nicht bloß ideell, sondern auch tatsächlich möglich machen, zu genossenschaftlicher Großproduktion überzugehen."
Hier an dieser Stelle liegt auch bereits der Einschnitt, indem aus den eigenen Reihen heraus die sogenannten Revisionisten aufgetreten sind. Aber Herr Kautsky hat mit seiner Überleitung von der Evolutions- zur Revolutionstheorie den Ausgangspunkt für Leninismus und Stalinismus geliefert.
Da ist gar kein Zweifel und keine Ausrede möglich. Es war dann für Herrn Stalin allerdings sehr einfach, zu erklären: Die sozialistische Stadt muß das Dorf führen, indem sie im Dorf Kollektiv- und Sowjetwirtschaften schafft und .fördert und das Dorf auf neue, auf sozialistische Art umgestaltet. Nun hat man das aber nicht mit einem Schlage im Augenblick der Machtergreifung vollzogen; denn das wäre wahrscheinlich, wie man selber zugibt, sehr unklug gewesen. Man war zunächst für eine Zeitlang noch auf die Ausnutzung der Kräfte angewiesen. Genau dasselbe hat sich in den letzten sieben Jahren in Mitteldeutschland zugetragen. 1929, als in Sowjetrußland erst der große Schlag gegen die selbständigen Bauern geführt wurde, sagte Herr Stalin wörtlich:
Konnten wir etwa vor fünf oder noch vor drei Jahren eine solche Offensive gegen das Kulakentum führen? Nein, das konnten wir nicht; wir hätten zumindest keinen Erfolg gehabt. Aber jetzt, nachdem wir uns die Stützpunkte und die sozialistischen Kollektivs geschaffen haben, können wir erfolgversprechend dem Endziel nähertreten.
Ist es da wohl noch schwierig, auf die Frage, wie es möglich gewesen ist, daß sich dort so viele Menschen für die Durchführung der Terrormaßnahmen
gegen deutsche Menschen bereit gefunden haben, eine Antwort zu finden? Braucht man sich da noch zu wundern, wenn das jahrzehntelang ideologisch und auch politisch vorbereitet worden ist? Nun, in der sozialistischen Gruppe, wie sie heute unsere Sozialdemokratie vertritt, hat es schon um die Jahrhundertwende heftige Auseinandersetzungen zwischen der evolutionistischen oder der revolutionären Richtung gegeben. Die Revisionisten haben sich erst nach dem ersten Weltkrieg durchsetzen können. Ich habe Ihnen vorhin j a schon gesagt, daß Sie sich unnötigerweise aufregen, wenn ich auch Ihre früheren Anschauungen hier beschwören muß: Nach dem ersten Weltkrieg sind Sie eindeutig von diesem Standpunkt der alleinigen Vorzüge der großökonomischen Agrarkultur und ihrer revolutionären Herbeiführung abgekommen, und Ihr Programm von 1927 hat sich eindeutig zur Bedeutung der Klein- und Mittelbetriebe. bekannt; Sie haben lediglich noch den kapitalistischen Großwirtschaften Ihren Kampf angesagt. Meine Damen und Herren, diese Ausführungen glaubte ich heute bei diesen Dingen unbedingt machen zu müssen, weil es uns bitterernst sein muß um die Frage, wie heute die politischen Positionen und Kräfte stehen. Denn Sie werden nicht bestreiten, daß, wenn auch nicht unter den Agrarpolitikern, so doch auf anderen Gebieten viele von Ihnen in Wort und Schrift und auch in ihrem tatsächlichen Verhalten in der Öffentlichkeit heute noch eine sehr bedenkliche ideologische Anlehnung an die Freunde von da ganz links an den Tag legen.
Deshalb, meine Damen und Herren, wundern Sie sich doch nicht, wenn die Mehrheit in diesem Hause und auch die weitaus überwiegende Mehrheit des Volkes draußen, die nicht nur auf die Erhaltung von Eigentum und Eigenständigkeit großen Wert legt, sondern auch deren Mehrung als besonderen Programmpunkt hat, einig sind zumindest in der Abwehr solcher möglichen Gefahr! Auch wenn es die meisten von Ihnen heute nicht wollen und nicht wünschen: wir wissen nicht, was, an die Macht gekommen, die Radikalen unter Ihnen mit uns und Ihnen nachher anstellen werden.
Wehret den Anfängen! Das sollte heute Parole sein.
Das Wort hat der Abgegeordnete Kriedemann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gestehe, daß ich einigermaßen erschüttert bin über die Art und Weise, mit der hier eben versucht worden ist, an einem Problem, das in der Form des Antrags in seiner sachlichen Bedeutung gewürdigt war, ein sehr, sehr mäßiges parteipolitisches Süppchen zu kochen.
Herr Dr. Preiß, es braucht Ihnen gar nicht persönlich irgendwie peinlich zu sein, wenn Sie mit den Formulierungen von Karl Marx nicht mitkommen; daran haben sich schon zu allen Zeiten ganz andere Leute versucht. Das „Dritte Reich" hat in den „Schulungsbriefen" alles mögliche getan, um da „Aufklärung" zu schaffen. Viele haben es trotzdem nicht gelernt, und mancher hat es bis heute noch nicht begriffen, trotz der Dinge, die er am
eigenen Leibe erfahren hat, der Dinge, auf die Sie sich eben berufen haben.
Wir regen uns gar nicht über Sie auf; Sie haben da unser volles Mitgefühl.
Die Sozialdemokraten können sich darauf berufen, daß sie schon zu einer Zeit vor der kommunistischen Auffassung von der Bodenreform gewarnt haben, als eine ganze Menge Leute, die Ihnen näherstehen als mir, noch geglaubt haben, es handle sich da um etwas Neues, Positives. Wir haben uns irgendwelchen Illusionen nie hingegeben und haben von Anfang an auf die Gefahr aufmerksam gemacht, gerade weil wir uns zur Bodenreform bekennen. Herr Preiß, wenn die Sozialdemokraten in dieser Frage auch nur einen Augenblick gewackelt hätten, wenn es innerhalb der Sozialdemokratischen Partei das in Wirklichkeit gegeben hätte, was Sie eben hier als eine ideologische Annäherung oder Anlehnung an das, was Sie „die Freunde von links" nennen, heraufbeschworen haben, dann säßen Sie hier heute nicht, dann regierte heute hier wie in der Ostzone die SED.
Und wenn Ihnen das nicht zu schwer fallen sollte, dann denken Sie ein bißchen freundlich an die Männer, die damals schon den Mut zur Entscheidung gehabt haben. Damals konnten Sie noch nicht darin mitmachen, und eine ganze Menge Leute saß damals noch in den Mauselöchern, die heute so tun wie die Gänse auf dem Kapitol, was das Schnattern angeht.
Es ist eine sehr üble Angelegenheit, hier so zu tun, als stünde wieder einmal das heilige Eigentum im Vordergrund und alle, die etwa die Bodenreform wollten, wären dagegen. Wir Sozialdemokraten bekennen uns hier und auch in der Bundesrepublik zu der Bodenreform, die von alters her, solange über Bodenreform überhaupt von vernünftigen Menschen geredet wird, als eine Maßnahme zugunsten der Bauern gedacht ist, als eine Maßnahme zur Korrektur der Entwicklung, die landläufig mit dem Wort „Bauernlegen" bezeichnet wird. Sie können in allen verbindlichen Äußerungen der Sozialdemokratischen Partei nachlesen, daß auch die sozialdemokratische Agrarpolitik Bodenreform betreibt mit dem einzigen Ziel, die Zahl und die wirtschaftliche Situation der bäuerlichen Wirtschaften zu stärken.
— Jawohl, es hat jedermann in diesem Hause genau verstanden, wozu Sie gesprochen haben!
Wenn sich jetzt in der Ostzone zu unser aller Entsetzen der Vorgang vollendet, der dort unter der Überschrift „Bodenreform" nach kommunistischem Muster begonnen hat, dann sollte sich jeder sorgfältig davor hüten, hieraus nun irgendwelche falschen Schlußfolgerungen zu ziehen. Das werden insbesondere diejenigen nicht verstehen, die als Opfer dieser verhängnisvollen Entwicklung Hilfe von uns erwarten
und die wir wohl hoffentlich nicht mit irgendwelchen platonischen Liebeserklärungen abspeisen, sondern denen wir hoffentlich auch dann noch wirksam helfen wollen, wenn es sich dabei zugege-
benermaßen um Dinge handelt, die nicht sehr bequem sind.
Wenn wir nicht bereit sind, auch noch so berechtigte eigene Ansprüche hinter der Notwendigkeit zurücktreten zu lassen, denen zu helfen, die ohne unsere Hilfe — und von niemand anderem können sie Hilfe erwarten als von uns — einfach nicht am Leben bleiben können, dann hat es gar keinen Sinn, daß hier so weit hergeholte theoretische Auseinandersetzungen geführt werden.
Es ist für jeden modernen Sozialisten völlig klar, daß es auch innerhalb des Sozialismus, auch in seinen wissenschaftlichen Grundlagen, nicht irgendwelche ewig geltende Rezepte gibt. Es haben sich noch andere Leute als die sozialistischen Theoretiker eine Weile auf den Standpunkt gestellt, daß sich auch in der Landwirtschaft der gleiche Entwicklungsprozeß durchsetzen würde, der sich weithin im Bereich der industriellen Wirtschaft durchgesetzt hat, d. h. daß die Kleinbetriebe zugunsten der Großbetriebe verschwinden würden. Nicht nur die sozialdemokratischen Theoretiker jener längst vergangenen Zeit, sondern eben auch alle anderen, die auf diesem Standpunkt gestanden haben, haben sich da revidieren müssen. Nun darin etwa einen Bruch zu sehen, da eine Einsicht konstatieren zu wollen, wo es sich um etwas ganz anderes handelt, das ist eine Art von Präzeptorenmanier, die wir uns insbesondere gern von Ihnen, Herr Kollege Preiß, sparen würden, weil wir nämlich zu den ganzen Dingen sehr viel wirksamere Beiträge geleistet haben.
Meine Damen und Herren, die sozialdemokratische Fraktion hat sich bemüht, den Dingen etwas zu Leibe zu rücken. Wir haben Ihnen einen Antrag vorgelegt, den mein Kollege Wehner Ihnen noch eben begründen wird. Ich hoffe, daß wir uns dann einig sein werden in all den Maßnahmen, die ergriffen werden können und deretwegen wir niemand anders zu fragen brauchen als unseren eigenen ehrlichen Willen zur wirklich tätigen Hilfe. Wir haben j a dazu beim nächsten Punkt der Tagesordnung eine ausgezeichnete Gelegenheit. Auf Wiedersehen beim Flüchtlingsgesetz!
Das Wort hat Frau Abgeordnete Strohbach.
Meine Herren und Damen! Die vorliegende Große Anfrage der CDU/ CSU-Fraktion ist ein neuer Versuch, durch die bereits obligatorisch gewordene Hetze gegen den Osten e i n m a l von den eigenen dringenden Aufgaben hier in Westdeutschland abzulenken
und damit zugleich die hysterische Haßpropaganda gegen die DDR noch mehr zu steigern.
Woher nehmen ausgerechnet Sie das Recht, so zu tun,
als ob Sie irgend jemand in der Deutschen Demokratischen Republik helfen müßten oder etwa helfen wollten?
Wenn Sie irgendwo helfen wollen,
dann schlagen wir Ihnen vor: helfen Sie den Bauern hier in Westdeutschland!
Bundesernährungsminister Dr. Niklas hat vor einigen Monaten in einer Rede in Bad Kreuznach erklärt, daß der grausamen freien Marktwirtschaft im Westen Deutschlands rund 7- bis 800 000 bäuerliche Kleinst- und Kleinbetriebe zum Opfer fallen würden.
Ich habe niemals gehört, daß sich die CDU mit dieser ungeheuerlichen Feststellung beschäftigt und Maßnahmen vorgeschlagen hätte, wie diesen 7- bis 800 000 Kleinbauern ihre bäuerliche Existenz gesichert werden kann. Seit Beginn der Wiederaufrüstungsmaßnahmen sind in Westdeutschland rund eine halbe Million Hektar Bauernland zum Zwecke der Anlage von militärischen Einrichtungen beschlagnahmt worden.
Wollen Sie etwa behaupten, daß das eine Hilfe für unsere Bauern gewesen sei? Dazu kommt, daß die Steuerlast, die 1930 noch 6 Reichsmark pro Hektar landwirtschaftlich genutzter Fläche betrug, auf die ungeheuerliche Höhe von 114,5 DM pro Hektar gestiegen ist; und dazu kommt außerdem, daß sich die übersteigerten Einfuhren, die sich z. B. beim Obst seit 1951 bis Ende 1952 um das annähernd Dreifache erhöht haben, für die Kleinbauernwirtschaften geradezu katastrophal auswirken und unweigerlich zur Vernichtung zahlloser Bauernwirtschaften führen müssen.
Alles das sind Probleme, die in Westdeutschland gelöst werden müssen, wenn man von Hilfe für die Bauern sprechen will. Aber diese Probleme dürfen Sie gar nicht anpacken, weil sie alle in engstem Zusammenhang mit den amerikanischen Kriegsvorbereitungen in Westdeutschland stehen,
weil sie im Grunde alle Folgen dieser Politik sind. Dazu gehört auch der Lärm, den Sie um die sogenannten Flüchtlinge aus der Deutschen Demokratischen Republik machen.
Ich habe mir in der vergangenen Woche in mehreren Lagern in Westdeutschland selbst ein Bild von der Wirklichkeit auf diesem Gebiet gemacht. Was mir hier entgegentrat, ist eine einzige schreiende Anklage gegen die verantwortungslose Wühlarbeit, die durch die Beauftragten der verschiedenen Ostbüros des Kaiser-Ministeriums und der verschiedensten deutschen und ausländischen Geheimdienste unter der Bevölkerung der Deutschen Demokratischen Republik betrieben wird,
wie mir sehr deutlich von offizieller Stelle bestätigt wurde. Was ich in den verschiedenen Lagern festgestellt habe, beweist mir, daß die Zahlen, die in diesem Zusammenhang in der Öffentlichkeit genannt werden, einfach nicht wahr sind. Wenn in einem der größten Lager in Westdeutschland an einem Tage rund 50 Personen ankommen - davon ein Drittel Kinder —, dann kommt man niemals auf die Zahlen, die in der Öffentlichkeit genannt werden.
Ich habe bei dieser Gelegenheit auch nachgeprüft, was beispielsweise die Bauern als Grund für ihre sogenannte Flucht angeben. Es war in den allermeisten Fällen die Behauptung, sie hätten ihr Ablieferungssoll nicht erfüllen können, deshalb hätten sie Schwierigkeiten zu befürchten gehabt, und dann haben sie Haus und Hof im Stich gelassen und sind abgehauen, zu einem großen Teil übrigens bezeichnenderweise unter Zurücklassung ihrer Familien in der Deutschen Demokratischen Republik.
Und jetzt sitzen sie hier in Westdeutschland in Lagern unter Umständen, die erbarmungswürdig sind, leben von Wohlfahrtsunterstützung und werden schon nach kurzer Zeit durch die rauhe Wirklichkeit darüber aufgeklärt, daß sie gröblich mißbraucht und belogen worden sind.
Herr Minister Kaiser, auch ich habe aus der Deutschen Demokratischen Republik Briefe bekommen;
ich möchte Ihnen aus einem dieser Briefe ebenfalls sagen, was mir von dort mitgeteilt wurde, und zwar hat mir eine Bäuerin geschrieben, sie habe vor einem Jahr den Hof eines sogenannten Flüchtlings übernommen. Sein seitheriger Besitzer habe ihn völlig heruntergewirtschaftet, weil er alle Maßnahmen der Regierung offenkundig bewußt ignoriert habe. Sie habe in der kurzen Zeit, die sie nun den Hof betreue, unter Inanspruchnahme aller Hilfe, die von der Regierung den Bauern gegeben werde, den Hof wieder hochgearbeitet und sogar schon im vergangenen Jahr über ihr Soll hinaus Waren für den freien Markt verkaufen können.
Diese Bäuerin rechnet jetzt schon aus, welche Summe sie für die Instandsetzung des Hofes verwenden wird, wenn die Ernte 1953 eingebracht sein wird.
Das ist die Wirklichkeit, und daß sie es ist, beweist mir die Tatsache, daß man ausgerechnet im Flüchtlingslager Gießen versucht hat, mich dort von der eigenen Augenscheinnahme abzuhalten und offenkundig auf höhere Anweisung alle Angaben über das, was sich dort im Lager abspielt, abgelehnt hat.
— Herr Minister Kaiser hat ja auch nicht angegeben, wie der Bauer heißt, den er nannte. Ich kann ihnen aber gern sagen, wie die Bäuerin heißt. In diesem Rahmen halte ich das aber nicht für notwendig.
Die Bauern drüben brauchen Ihre fragwürdige Hilfe nicht, die sie geradewegs in die westdeutschen Elendslager führt, und sie brauchen erst recht nicht die Einmischung der Westmächte.
Sie haben übrigens eine ganze Menge Dinge erzählt, die niemals wahr sein können, und haben sich fortgesetzt widersprochen.
Das möchte ich nur feststellen.
3,3 Milliarden Kredit hat die Regierung der DDR schon an Bauern gegeben, damit sie ihre Bauernwirtschaften ausbauen können. Die Maschinenausleihstationen werden immer mehr ausgebaut. Damit haben die Bauern die Möglichkeit, ihre Arbeit durch Einsatz von Maschinen bedeutend zu intensivieren und gleichzeitig zu erleichtern. In Tausenden von Zirkeln studieren die Bauern und lernen immer neue Methoden zur Steigerung der Erzeugung und zur Erleichterung ihrer Arbeit.
Es ist eine unbestreitbare Tatsache, daß die landwirtschaftliche Erzeugung in der DDR laufend steigt.
Wenn Sie aber den Bauern drüben noch zusätzliche Unterstützung geben wollen, dann kann diese nur darin bestehen,
daß Sie Ihre Wühlmäuse von drüben zurückholen
und die Bauern ungestört arbeiten lassen. Sie
dürfen überzeugt sein, daß sie dann mit ihren
Problemen sehr rasch und sehr gut fertig werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Wehner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist im Grunde genommen unglaublich, daß eine Vertreterin der Kommunistischen Partei hier über das Flüchtlingselend in belehrenden Worten zu sprechen wagt.
Es muß einen aus verschiedenen Gründen nachdenklich stimmen, daß sie sich noch darauf beruft, sie sei in Flüchtlingslagern gewesen. Das ist wohl nicht der richtige Besuch für Flüchtlingslager. Doch das nur nebenbei.
— Wenn sie sich zu erkennen gegeben hätte, wäre das wohl anzunehmen.
Aber andererseits muß ich doch sagen: Es ist fast grotesk, daß die Tragödie, die in der Anfrage und in der Beantwortung durch den Bundesminister Kaiser in Umrissen angedeutet worden ist, schließlich in der Debatte zu nichts anderem ausgenützt wird als zu einer Art von Wahlrede gegen die Sozialdemokratische Partei. Mein Freund Kriedemann ist darauf schon eingegangen.
Lassen Sie mich zu den Fragen, die sich aus der Antwort des Herrn Ministers ergeben, einige Bemerkungen machen. Was hier angegeben wurde, beleuchtet bewußt nur einen Teilausschnitt der menschlichen und nationalen Tragödie, die sich in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands abspielt, die aber uns alle angeht. Es geht nicht länger, daß wir von Betroffenen reden und uns nicht selbst darunter verstehen. Wir sind in jeder Beziehung mit davon betroffen.
Durch diese besondere Beleuchtung — ich glaube,
da habe ich auch die Anfragenden richtig verstanden — dessen, was der bäuerlichen Bevölkerung zugefügt wird, soll das, was den anderen Schichten geschieht, die zur Zeit unter diesem furchtbaren Druck stehen und zum Teil nach dem Westen ausweichen, nicht verkleinert werden.
Nachdem hier mit falschen Zahlen operiert worden ist, möchte ich eine Zahl, die ich soeben von einem Berliner Kollegen bekommen habe und die amtlich nachgeprüft ist, hier noch einmal zur Feststellung der Größenordnungen, um die es geht, ins Gedächtnis rufen. Vom 1. Januar dieses Jahres bis zum 21. Februar dieses Jahres sind beim ärztlichen Dienst in Berlin 51 374 Personen als Flüchtlinge zugegangen.
Ich glaube, man muß diese Zahl sehen angesichts der Ungeheuerlichkeit, mit der hier von der KPD einfach geleugnet wird, daß es so etwas gibt. Wir wissen wohl, wie es z. B. um die Jugend aller Bevölkerungsschichten der sowjetisch besetzten Zone steht, die zum Arbeitsdienst oder zur sogenannten Volkspolizei gedrängt und gepreßt wird und von der ein immer größerer Teil keine andere Möglichkeit als die Flucht sieht. Der Prozentsatz der jungen Leute unter den Flüchtlingen ist gewaltig angestiegen.
Wir wissen wohl auch, wie es um die Eltern und Lehrer steht, die den geradezu unerträglichen Zwang, der heute in der Erziehung auf die Kinder ausgeübt wird, nicht mehr ertragen können und auszuweichen versuchen. Wir wissen um die Angehörigen der gewerblichen Mittelschichten und um die Arbeiter verschiedener Kategorien, die bisher noch versucht haben, sich zu halten, aber nun unter dem Druck der Normen und unter dem Druck der Antreiberei zu Übersoll-Leistungen und im Klima politischer Bespitzelung es nicht mehr länger aushalten und fliehen wollen.
Was hier zur Debatte steht, sind die Wirkungen ganz kalt berechneter Maßnahmen, die seit dem Sommer des vergangenen Jahres, seit den Beschlüssen einer Konferenz der SED, einem Höhepunkt zustreben. In einem Monat dieses Jahres sind mehr Bauern nach dem Westen geflohen als in einem der letzten drei Jahre. Die Bauern gehören bestimmt nicht zu denen, die ihr Eigentum leicht aufgeben. Ich sehe ihn noch vor mir, einen aus einer ganzen Gruppe geflüchteter tüchtiger Bauern, der auf die Frage eines Ministers, ob man es nicht doch noch hätte versuchen können, sich am Boden festzuklammern, die Antwort gegeben hat: „Herr Minister, mein Hof war 400 Jahre im Besitz derselben Familie, sie glauben 'doch nicht. daß ich gegangen wäre, wenn mir ein anderer Weg als der ins Zuchthaus geblieben wäre!"
Vor diese furchtbare Alternative werden heute Menschen gestellt, die beileibe nicht versucht haben, sich um sogenannte Politik zu kümmern. Sie versuchten einfach, ihr ehrliches Leben_ zu leben und mit ihren Händen zu arbeiten.
Man sagt nun, sie sollten in Produktionsgenossenschaften hineingehen. Genossenschaften sind' allerdings etwas anderes, als was man dort mit diesem Namen zu bezeichnen wagt. Die Produktionsgenossenschaften sind ganz einfach Zwangskollektive. Wer über 20 ha hat, fällt sowieso aus der Reihe derer, die hinein können; der wird eben
gepeinigt. Wer unter 20 Hektar hat, ist aber auch nicht sicher. Das Landwirtschaftsministerium hat, glaube ich, eine Schätzung ausgegeben. Ich darf mich an die Minimalzahl halten. Allein in der Kategorie derjenigen, die über 20 Hektar besitzen, sind 45 000 Familien von der Gefahr bedroht, daß ihnen die Gurgel zugedrückt wird. Sie werden von vier verschiedenen' Seiten angegriffen, einmal von der Soll-Seite, indem man ihnen vorwirft, sie hätten ihre Verpflichtungen nicht erfüllt, die man Jahr für Jahr vergrößert hat, so daß sie sie nicht erfüllen konnten. Man greift sie zum andern von der Kreditseite an, indem man selbst solchen Höfen, die noch nachweisbar Außenstände haben, Kredit verweigert oder entzieht. Man greift sie ferner von der Steuerseite an und murkst sie wirtschaftlich ab. Man greift sie viertens vom Landarbeiterschutz her an. Das ist eine besondere Heuchelei. Mit Landarbeiterschutz hat das nichts zu tun; denn bestraft und enteignet wird schließlich auch der, der seinen Landarbeitern mehr Lohn zahlen möchte, wie wir kürzlich bei Untersuchungen in Berlin festgestellt haben. Er darf nicht mehr zahlen, als er bisher gezahlt hat.
Das Ziel dieser Maßnahmen ist in jedem Fall: diese bäuerlichen Bevölkerungsteile sollen weg von dem Hof, sollen weg aus der Kategorie der Bauern und sollen in ein graues Heer von Zwangsarbeitern hineingepfercht werden. Zu dem Ziele gehört auch, sie zu ;,Kriminellen" zu machen, sie dann auch noch beschimpfen zu lassen als wären es Kriminelle.
Meine Damen und Herren! Auf deutschem Boden vollzieht sich eine Parallele zu Zwangsmaßnahmen, wie man sie Mitte der dreißiger Jahre in Sowjetrußland selbst erlebt hat, damals und wohl auch jetzt ohne Rücksicht auf die Störung der Ernährungsgrundlage, ohne Rücksicht auf das Schicksal der betroffenen Menschen. Das ist, wenn man es genau überlegt — und man muß es sich genau überlegen — in den Auswirkungen auf große Bevölkerungsschichten und auf unser ganzes Volk so furchtbar, daß wir alle uns gründlichst damit befassen müssen. Ich begrüße es, daß man, der Herr Minister hier gesagt hat, auf die Besatzungsmächte eingewirkt hat mit dem Ziel, mit der vierten Besatzungsmacht in dieser Frage zu sprechen. Ich hoffe weiter, daß es mit allem Nachdruck geschieht. Angesichts dieser Tragödie muß auf der Ebene der Politik, durch Drängen auf die Besatzungsmächte der Versuch gemacht werden, der Bevölkerung der Zone dieses Elend und dieses Unglück zu ersparen. Wenn es eine Chance dazu gibt, sollten wir hören: unter welchen Bedingungen. Wenn es keine Chance dazu gibt, können wir jedenfalls allen, die es angeht, sagen, daß wir nicht einfach mit dem billigen und falschen Trost hineingeschliddert sind, das werde vorübergehen wie so manche andere Sache auch. Wenn das Schicksal für diesen Teil Deutschlands unabwendbar ist, ergeben sich nicht allein für die unmittelbar betroffenen Menschen, sondern auch für uns hier, für das ganze Volk und für den ganzen Westen eine Reihe kompliziertester Probleme. Vor allem die landwirtschaftlich Tätigen wissen genau, was es heißt, einen solchen Dammbruch damit aufzufangen, daß man den Menschen eine ihnen und ihrem Können gemäße Arbeit und Unterkunft gibt.
Meine Damen und Herren! Alle Anzeichen sprechen dafür, daß wir es in der sowjetisch besetzten Zone mit einer Entwicklung in der Richtung der sogenannten Volksdemokratie zu tun
haben. Die Besatzungsmacht schafft dort durch ihre Handlanger unwiderrufliche Tatsachen, und sie schafft sie in einem wahren Hetztempo. So gut gemeint und so verständlich demgegenüber die Mahnung an die Menschen drüben ist, auszuhalten, so wenig kann man gegen einen Dammbruch und die hereinbrechende Flut mit Eimern oder mit Ermahnungen ankämpfen. Wir alle haben zusammen, glaube ich — von einem Häuflein Leute, die dafür kein Verständnis haben, abgesehen —, die Sorge, daß uns nicht eines Tages unter heuchlerischer Berufung darauf, dieses Gebiet sei entdeutscht, die wahren Schuldigen noch dazu mit der Behauptung quälen werden, das sei nur noch geographisch ein Begriff, das Gebiet habe einmal zu Deutschland gehört. Diese Sorge haben wir alle zusammen. Aber der Dammbruch ist auch da! Wenn die Menschen von- dort weggehen — und gerade die bäuerliche Bevölkerung geht doch, weil sie das Gefühl hat, so wie es alle Kreatur hat, entschuldigen Sie das Wort, wenn sie eine furchtbare Gefahr fühlt und schon im Nacken sitzen hat — und wenn sie von Panik erfaßt sind, dann kann man nicht mehr darüber diskutieren, wieweit die Furcht graduell berechtigt sei oder nicht. Wir müssen uns mit diesen Ereignissen auseinandersetzen und ihnen konfrontieren.
Wir können ja der Bevölkerung der sowjetischen Besatzungszone nicht den kleinen Vorteil nehmen, den sie gegenüber der Bevölkerung der Ukraine oder Rumäniens oder Polens 'dadurch hat, daß sie eher als diese, nämlich schon v o r der Vollstreckung, erfährt, was ihr droht. Das ist der einzige Vorteil, den diese Menschen haben, weil Berlin und die Zone eben nicht so dicht sind wie diese schon fertiggemachten Volksdemokratien. Wir können und müssen 'deshalb verstehen, wenn sie versuchen, sich in Sicherheit zu bringen.
Wir sollten ernsthaft, ohne daß einer dem anderen etwas anhängen will, ein Ende zu machen versuchen mit dem hier so oft — nicht hier im Hause, aber in diesem Teil Deutschlands — dahergeredeten Vorurteil, bei den Flüchtlingen handle es sich um den „Schwemmsand", um die, die nicht arbeiten wollten oder nicht arbeiten könnten. Ja, man hat in den letzten Tagen — ich habe es gestern mit Entsetzen gelesen — sogar davon gesprochen, es sei ein hoher Prozentsatz Asoziale unter ihnen — etwas, was übrigens von Pankow und von denen, die hier im Auftrage Pankows sprechen, bewußt geschürt wird! Es kommt also zu der Last, die den Menschen auferlegt wird, auch noch die Diffamierung, die sie weiß Gott nicht verdienen.
Und, meine Damen und Herren, wir können in Klammern hinzufügen: zu einem Zeitpunkt, da Pankow sich bemüßigt fühlt, die Leute zurückzurufen, und eine Rückrufpropaganda für den „Schwemmsand" macht, für jene, die sie „asozial" genannt haben. Ich will mich darüber nicht weiter verbreiten. Es ist nur bezeichnend für die Zweckbedingtheit der Propaganda von jener Seite.
Zum Schluß will ich einen Antrag begründen, mit dem wir versuchen, den Anfang, den das Haus hier mit der Erörterung dieser Interpellation gemacht hat, durch eine sachliche und leidenschaftslose, aber durch eine der Größe und dem Umfang des Problems entsprechende Gründlichkeit weiter auszubauen. Wir bitten Sie, dem Antrag zuzustimmen:
1. Die Bundesregierung wird ersucht, dem Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen und dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Bericht zu erstatten
a) über Ausmaß und Folgen der in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands gegen die bäuerliche Bevölkerung eingeleiteten Zwangsmaßnahmen;
b) über die Möglichkeiten, durch Hilfsaktionen oder durch Lieferung von Lebensmitteln im Rahmen von Interzonen-Handelsabkommen den besonders hart betroffenen Bevölkerungsschichten der sowjetisch besetzten Zone Deutschland angesichts der akuten Versorgungsschwierigkeiten beizustehen;
c) über die Hilfe, die den geflüchteten Bauern und ihren Angehörigen durch Ansiedlung oder auf andere Weise gewährt wird.
2. Die genannten Ausschüsse werden vom Bundestag beauftragt, dem Plenum so bald wie möglich schriftlich Bericht zu erstatten.
Meine Damen und Herren! Wir möchten mit diesem Antrag dazu beitragen, daß wir alle dieser grausamen, heute einmal angeleuchteten Wirklichkeit ins Auge sehen und, soweit das geht, gemeinsam zu verhindern suchen, daß auch noch die von Haus und Hof Verdrängten bei nicht sachgemäßer Behandlung des Problems und der Menschen ein Faktor in der Rechnung des bolschewistischen Regimes werden. So schwer es wird, meine Damen und Herren, aber das soll unser Leitgedanke sein: Wir müssen unter allen Umständen menschlich und so handeln, daß wir es vor den unmittelbar Betroffenen und vor unserem ganzen Volke verantworten können.
Im übrigen: Hilfe von außen — auf die wir bei der Lösung dieses Problems im großen wohl angewiesen sind — werden wir — auch das sollten wir uns mit allem Ernst sagen — nur dann und nur in dem Maße bekommen, in dem wir selbst das Äußerste an Hilfsbereitschaft einsetzen und in Bewegung bringen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Brookmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir alle sind immer wieder erschüttert über die Skrupellosigkeit, über die Gefühlsroheit und über den Zynismus, den uns einige oder alle Vertreter der sogenannten kommunistischen Gruppe hier zeigen. Was wir heute aus dem Munde der Frau Strohbach gehört haben, ist so unerhört und widerspricht den Tatsachen in einer derartigen Weise, daß vor aller Öffentlichkeit einmal festgestellt werden muß — Gott sei Dank ist das in erheblichem Umfange bereits geschehen —, was sich seit Monaten und Jahren in der sowjetischen Besatzungszone abspielt, vor allen Dingen in den letzten Monaten abgespielt hat; und die Entwicklung wird zweifellos über die bäuerlichen Betriebe hinweg weiterrollen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bildung der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften — es sind übrigens schon weit über 1000 - ist nicht der erste Schritt auf dem Wege der totalen Kollektivierung der Landwirtschaft in
der sowjetischen Besatzungszone. Das, was man am grünen Tisch schon seit Jahren im Hinblick auf das Ablieferungssoll ausgetüftelt hat, ist ein System, von dem man von Anfang an wußte, daß es von den bäuerlichen Betrieben nicht erfüllt werden konnte. Wenn vom 1. April vorigen Jahres bis einschließlich 21. Februar dieses Jahres allein 19 800 Bauern die Sowjetzone verlassen haben, um in die Bundesrepublik hineinzukommen, so muß das doch seinen Grund gehabt haben. Ich möchte die kommunistischen Vertreter einmal fragen, warum denn wohl diese Menschen nach dem Westen flüchten. Festgestellt werden kann doch wohl eines: daß bis zum heutigen Tage trotz der verlogenen sowjetischen Propaganda und der ihrer sowjetzonalen Satelliten kein einziger Bauer von hier etwa in die Ostzone abgewandert ist.
Wie alle Flüchtlinge aus der sowjetischen Besatzungszone stehen gerade auch diese Bauern vor der einen Frage: wollen sie wegen Sabotage angeklagt werden, wollen sie, wenn sie ihr Ablieferungssoll nicht erfüllt haben, in die Zuchthäuser und Konzentrationslager wandern, oder wollen sie die Freiheit wählen?
Wie gesagt, es sind bis vor wenigen Tagen annähernd 20 000 gewesen, die seit dem 1. April des vorigen Jahres hierher gekommen sind. Nichts kennzeichnet wohl mehr die Verlogenheit jenes Terrorsystems als die Tatsache, daß man seit Jahren den Versuch unternommen hat, die eigentlichen Absichten der totalen Kollektivierung der Landwirtschaft zu tarnen. In welcher Weise man vorn ersten Tage an bis zur tatsächlichen Einführung der Kollektivierung das Vorhaben der radikalen Änderung der Agrarstruktur in der Sowjetzone tarnte und jede Kollektivierungsabsicht leugnete, verdient hier einmal festgehalten zu werden. Ich erinnere an den Art. 1 der Verordnung über die Bodenreform vom September 1945, wo es beispielsweise heißt:
Der Grundbesitz soll sich in unserer deutschen
Heimat auf feste, gesunde und produktive
Bauernwirtschaften stützen, die Privateigentum ihrer Besitzer sind.
Und der damalige Vorsitzende der Sozialistischen Einheitspartei, Herr Pieck, verkündete im Sommer 1946:
Die SED setzt sich für die unbedingte Sicherung des bäuerlichen Privateigentums ein. Wir wollen dem Bauern die volle Selbständigkeit seiner Wirtschaft garantieren. Aus dieser Tatsache allein ergibt sich schon die Unsinnigkeit von der angeblich beabsichtigten Kollektivierung. Die Kollektivwirtschaften
— so sagt er weiter —
in der Sowjetunion entstanden auf Grund besonderer Bedingungen. Sie stellen eine besondere Form des Aufbaues der sowjetischen Landwirtschaft dar, die nicht auf Deutschland übertragen werden kann, weil hier andere Bedingungen vorliegen.
Das noch 1946! Und 1950 verkündete Herr Grotewohl in der Volkskammer:
Es muß als vollständig unbegründet bezeichnet werden, daß die Regierung der DDR Maßnahmen zur Kollektivierung ergreifen will. Das entspricht keineswegs den Absichten der Regierung.
Und schließlich bestritt auch Herr Ulbricht auf dem dritten Parteitag der SED jede Kollektivierungsabsicht, indem er sagte:
Die angloamerikanischen Militärgouverneure und die Bonner Schreiberlinge
— das ist so der Jargon jener sauberen Herren auf der äußersten Linken —
versuchen, ihre Unfähigkeit dadurch zu verschleiern, daß sie den Bauern Westdeutschlands einzureden versuchen, aus der DDR drohe ihnen die Kollektivierung. In Wirklichkeit
— so sagte Herr Ulbricht weiter —
zeigt der Inhalt des Fünfjahresplans, daß wir
unter Beibehaltung der bisherigen Landwirtschaftspolitik zu einer bedeutenden Steigerung
der Erträgnisse kommen und kommen müssen.
Welcher Hohn, meine Damen und Herren! Im
Herzen Deutschlands liegt heute eine Fläche von
über 200 000 Hektar brach neben zahlreichen Hundertausenden von Hektar jenseits der Oder-Neiße-
Linie in dem von den Polen verwalteten Gebiet der früheren ostdeutschen Provinzen. Und dann der Rückgang der landwirtschaftlichen Produktion auf Grund jener Experimente und die sehr schwierig gewordene Ernährungslage in der sogenannten DDR!
Es ist sicherlich eine gute Sache, daß hier in Westdeutschland einmal in aller Öffentlichkeit über diese Dinge gesprochen wird. Ich stimme meinem Herrn Vorredner zu: Das Problem, das immer stärker auf uns zukommt, betrifft nicht nur die Bauern in Westdeutschland, sondern in der Tat uns alle. Denn auch uns droht dieses Schicksal, wenn wir nicht von uns aus die Kraft finden, diesem ungeheuerlichen Geschehen in dem abgetrennten Teil unseres Vaterlandes eines Tages ein Ende zu setzen. Es ist doch so, daß die Bauern in der sowjetischen Besatzungszone auf uns hier im Westen schauen. Wir sollten nichts unüberlegt lassen an Möglichkeiten, allen denen zu helfen, die zu uns herüberkommen, soweit ihnen im Rahmen der vertretbaren Möglichkeiten geholfen werden kann.
Ich habe den Wunsch, daß federführend das Ministerium für gesamtdeutsche Fragen gemeinsam mit dem Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten die Beratungen über die uns heute betreffende brennende Frage fortsetzt: Was kann auf deutscher Seite in enger Zusammenarbeit mit allen bäuerlichen Verbänden geschehen, um die erste Not aller Menschen zu lindern, die in die Bundesrepublik einströmen, weil sie die Knechtschaft dort nicht länger ertragen können, weil sie genau so frei sein wollen wie wir. Sie alle, die zu uns kommen, wollen doch das gleiche wie wir: sie wollen den Frieden, und sie wollen auch die Freiheit.
Die Bauern hier im Westen — das möchte ich abschließend sagen — können nur dann freie Bauern bleiben, wenn die Bauern in der Sowjetzone es wieder geworden sind. Das sollten wir alle uns merken und von uns aus nichts unversucht lassen, um die Bevölkerung in der Bundesrepublik darüber aufzuklären, welch ungeheuerliche, unheimliche Gefahr seit Jahren vom Osten, von der sowjetischen Besatzungszone her auf uns zudrängt. Wir müssen gewappnet sein, um dieser Gefahr eines Tages auch Herr zu werden.
Meine Fraktion hat sich gestern in einer Sitzung mit dieser Frage beschäftigt. Sie ist zu dem Beschluß gekommen, daß es unter keinen Umständen mit der Debatte, die wir heute führen, abgetan sein kann, sondern daß wir weiter über die Dinge unterrichtet werden müssen, vor allem darüber, was seitens der Bundesregierung zur Linderung der Not und zur Unterbringung jener Menschen, die hierher fliehen, geschehen kann. Unser Fraktionsbeschluß deckt sich also vollinhaltlich mit dem Antrag der Fraktion der SPD. Wir werden daher diesem Antrag zustimmen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Dann schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD Umdruck Nr. 764. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! —
Ich rufe auf Punkt 3 der Tagesordnung:
a) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (Nrn. 2872, 3902 der Drucksachen);
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Heimatvertriebene (Nr. 4080 der Drucksachen, Umdrucke Nrn. 756, 759, 760, 762, 763, 769);
;
b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Frey, Merten, Frühwald und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der landwirtschaftlichen Siedlung ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für
Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
(Nr. 4087 der Drucksachen);
;
c) Zweite und dritte Beratung des von den
Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, DP/ DPB, FU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Einkommensteuergesetzes (Nr. 3806 der Drucksachen);
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen (Nr. 3910 der Drucksachen, Änderungsantrag Umdruck Nr. 725);
;
d) Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Heimatvertriebene über den Antrag der Fraktion der Deutschen Partei betreffend Fahrpreisermäßigung für „Flüchtlinge B" (Nrn. 3915, 1112 der Drucksachen).
Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen vor, daß wir in der zweiten Lesung die verschiedenen Gesetzentwürfe des Punktes 3 der Tagesordnung einzeln hintereinander erledigen, daß wir aber in der dritten Lesung bei der allgemeinen Aussprache alle vier Punkte, also a, b, c und d, gemeinsam behandeln. Ist das Haus einverstanden, daß wir so verfahren?
Dann rufe ich auf zur zweiten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge .
Das Wort hat in zweiter Beratung Herr Minister Dr. Lukaschek.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich erst bei der zweiten Lesung das Gesetz mit einigen grundlegenden einführenden Worten einbringe, so liegt das daran,
daß vor der ersten Lesung des Gesetzes das Präsidium dieses Hohen Hauses mich bat, wegen der späten Abendstunde auf die Einführung zu verzichten, das Gesetz ohne Aussprache in die Ausschüsse gehen zu lassen und erst zu Beginn der zweiten Lesung das Wort zu nehmen.
Seit jenem Abend ist über ein Jahr vergangen. Das Gesetz ist in elf Ausschüssen des Bundestages und in neun Ausschüssen des Bundesrates beraten worden. Es ist daran mit außerordentlicher Sorgfalt gearbeitet worden. Manchmal ist beanstandet worden, daß es erst zwei Jahre nach dem Beginn der Arbeit der Bundesregierung dem Bundestag zugegangen ist, während es doch begrifflich als das Grundgesetz der Vertriebenen am Anfang der Tätigkeit eines Vertriebenenministers hätte stehen sollen. Dazu ist folgendes zu sagen. Wenn sich das Bundesvertriebenengesetz lediglich auf die Begriffsbestimmung der Heimatvertriebenen und der Flüchtlinge beschränkt hätte, dann läge das Gesetz seit dem Beginn des Jahres 1950 vor. Es wäre dann aber für die Vertriebenen im höchsten Maße enttäuschend gewesen. Im übrigen wäre auch ein derart eng begrenztes Gesetz in wesentlichen Teilen durch die Entwicklung des Zustroms aus der Sowjetzone inzwischen überholt worden.
Wenn Sie nur das Inhaltsverzeichnis für das Gesetz durchsehen, so bemerken Sie, daß es in alle Lebensbeziehungen der Vertriebenen zu Recht und Wirtschaft eingreift. Das läßt schon erkennen, welche Fülle von Verhandlungen mit den verschiedenen Ressorts der Bundesregierung, den Wirtschafts- und Standesorganisationen der Bundesrepublik, den Organisationen der Vertriebenen und vielen Sachverständigen notwendig war.
Gelegentliche Zurufe aus dem Hohen Hause haben mir gezeigt, daß man die Nöte dieser Arbeit mitempfand. Ich habe sie nicht abgelehnt, sondern angenommen, weil ich eben in dem „Bettelmann" nicht einen verachteten Menschen, sondern den Mahner an das soziale Gewissen der Besitzenden sehe.
Das Vertriebenengesetz, wie es in der Regierungsvorlage enthalten ist, ist das Ergebnis einer
mühsamen, langen Arbeit, deren Ziel es war, bei allen in Frage kommenen Stellen die Bereitschaft zu einer umfassenden Regelung der Rechte zu schaffen, die die Gemeinschaft des deutschen Volkes in der Bundesrepublik bereit ist den Vertriebenen zuzugestehen. Ihre echte Aufnahme in, die Gemeinschaft des deutschen Volkes ist ja das eigentliche Ziel unserer Arbeit.
Die Aufgabe, die als Vertriebenenproblem vor uns lag, war ohne Beispiel. Es mußten vorsichtig und doch schnell die Grundlinien entwickelt werden, auf denen die Lösung des Problems vorwärtsgetrieben werden konnte. Diese Grundlinien oder Leitlinien ergaben sich aus den grundsätzlichen Bedürfnissen der vertriebenen und heimatlosen Menschen. Es war notwendig, die ganz ungleichmäßige Verteilung der Vertriebenen über die Länder des Bundesgebiets auszugleichen. In der amerikanischen und der britischen Zone waren vor allem die Länder an der östlichen Zonengrenze überlastet, in der französischen Zone war nur ein ganz geringfügiger Teil der Vertriebenen untergekommen. Um das nahezu hoffnungslose Schicksal der Vertriebenen in den stark überbelegten Ländern zu bessern, war es notwendig, eine Umsiedlung von Land zu Land vorzubereiten und durchzuführen.
Da die Wohnungen in den Städten zerstört, auf dem Lande größtenteils aber erhalten geblieben waren, saßen die Vertriebenen zunächst in ihrer Masse auf dem Lande. Das bedeutete, daß sie keine Arbeit finden konnten. Es mußten also für sie Wohnungen in der Nähe der möglichen Arbeitsplätze geschaffen werden. Ihre Verteilung im Lande, ihre Häufung in den Gebieten mit struktureller Arbeitslosigkeit hatte dazu geführt, daß die Arbeitslosigkeit geradezu das charakteristische Schicksal der Vertriebenen war. Ihr Anteil an der Zahl der Arbeitslosen betrug fast 40 °/o, während sie nur mit 16 % an der Bevölkerungszahl beteiligt waren. Besonders schwerwiegend war, daß ihr Anteil an den Arbeitslosen in der Gruppe der dauernd Arbeitslosen am größten war. Es mußten also Arbeitsplätze geschaffen werden. Eine Sonderstellung nahmen dabei die vertriebenen Bauern ein. Die Aufgabe, sie wieder mit Land zu versorgen, war besonders dringlich und eilig, weil die Gefahr bestand, daß dieses für das Volksganze so wichtige bäuerliche Element als solches dadurch verlorenging, daß es durch Überalterung arbeitsunfähig wurde oder durch Abwanderung in andere Berufe der bäuerlichen Arbeit verlorenging.
Für alle vertriebenen selbständigen Unternehmer in Industrie, Handel und Handwerk war es notwendig, neue Kapitalgrundlagen zu schaffen. Hier lag das besonders schwierige Problem vor, in einer Kreditwirtschaft, die völlig auf den Realkredit abgestellt war, einen echten Personalkredit zu schaffen, da Sachwerte den Vertriebenen in aller Regel nicht zur Verfügung stehen. Es war notwendig, für alle sozial betreuten Vertriebenen die Anerkennung ihrer sozialen Bezüge zu sichern.
Das gleiche galt für den großen Kreis der vertriebenen Beamten und Angestellten. Endlich war die große umfassende Aufgabe zu lösen, wie man die Vertriebenen durch Leistungen derjenigen, denen der Krieg und die Kriegsfolgen ihren Besitz gelassen hatten, wenigstens zu einem Teil entschädigen könnte.
Für alle diese Aufgaben sind Leistungen entwickelt und ist die Entwicklung in Gang gebracht worden. Immer wieder sind alle diese Planungen von inländischen und ausländischen Sachverständigen überprüft worden. Auch die ernsteste und eindringlichste Überprüfung, die jemals stattgefunden hat, die Überprüfung durch die von dem Amerikaner Sonne geführte Sonne-Kommission, hat die grundsätzlichen Linien für die Lösung des Problems bestätigt und anerkannt und keine anderen neuen Vorschläge entwickelt.
Ein Überblick über das bis heute Erreichte zeigt nun folgendes Bild: Im Jahre 1949 wurde die Aufgabe der Umsiedlung durch dieses Hohe Haus festgestellt, daß 900 000 Menschen von Land zu Land umzusiedeln seien. Praktisch bedeutete das die Umsiedlung aus den drei Ländern Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern in die anderen Länder der Bundesrepublik. Dabei war es eine wesentliche Frage, inwieweit es gelingen würde, über die mechanische Umsiedlung von Land zu Land hinaus die Umsiedlung so zu organisieren, daß dadurch, grundsätzlich gesprochen, arbeitslose Vertriebene aus Massenlägern in Wohnungen an einen Dauerarbeitsplatz gebracht wurden. Bis heute sind durch dieses Hohe Haus bzw. die Bundesregierung im Einvernehmen mit dem Bundesrat die finanziellen Unterlagen für die Umsiedlung von 750 000 Vertriebenen geschaffen worden. Die Finanzierung der noch verbleibenden 150 000 bis zur Erreichung des Ziels der 900 000 wird, davon bin ich überzeugt, in diesen Tagen erreicht werden. Die nächste Aufgabe wird sein, die Fristen für die tatsächliche Fertigstellung der Wohnungen so weit wie nur möglich abzukürzen, damit die tatsächliche Umsiedlung der Finanzierung so schnell wie möglich nachfolgt. Bis heute sind fast 500 000 Vertriebene tatsächlich umgesiedelt worden.
Wichtiger als diese nackte Zahl ist jedoch die Tatsache, daß es nicht bei der mechanischen Umsiedlung geblieben ist, sondern daß mit geringen Ausnahmen alle Umsiedler durch die Umsiedlung zu Arbeit und Wohnung gekommen sind, daß also die mechanische Umsiedlung zu einer qualifizierten Umsiedlung und Eingliederung geführt hat. Eine tiefe Befriedigung bedeutete für alle Beteiligten das Ergebnis einer repräsentativen Erhebung im Lande Nordrhein-Westfalen, dem Hauptaufnahmeland. Dort sind in sechs Stadt- und Landkreisen über 15 000 Umsiedler daraufhin überprüft worden, wie sich ihre Verhältnisse verändert haben. Als die wichtigsten Ergebnisse dieser Überprüfung hebe ich hervor, daß vor der Umsiedlung über 50 % arbeitslos waren, einige Zeit nach der Umsiedlung nur noch 4 % . Nur der fünfte Teil von den Beschäftigten hat noch den Wunsch nach einem Berufswechsel geäußert. Vor der Umsiedlung lebten 50 % der Haushalte in Wohnungen, die nur aus einem Raum bestanden; nach der Umsiedlung waren es nur noch 1,9 % der Haushalte. 84 % aller Umsiedlerhaushalte erklärten bei der Befragung, daß ihre Umsiedlungswünsche erfüllt seien. 15 % fanden ihre Wünsche noch nicht vollständig erfüllt, und nur 1 % war mit der Umsiedlung unzufrieden. Diese Verbesserung der Lage meinte ich, wenn ich davon sprach, daß es gelungen ist, die mechanische Umsiedlung zu einer qualifizierten Umsiedlung und Eingliederung zu erweitern.
In der großen Leistung des sozialen Wohnungsbaus der Bundesrepublik ist der Tatbestand enthalten, daß seit 1949 rund 350 000 Wohnungen für Vertriebene geschaffen worden sind. Es sind also rund 1,4 Millionen Vertriebene dadurch zu abgeschlossenen, selbständigen Wohnungen gekommen.
Für die Aufgabe, den Anteil der Vertriebenen an den Arbeitslosen zu senken, sind vor allem das sogenannte Schwerpunktprogramm des Jahres 1950 und die Aktion der Soforthilfe, jetzt der Lastenausgleichsbehörden, für die Arbeitsplatzbeschaffung eingesetzt worden. Der Anteil der Vertriebenen ist dadurch von fast 40 % auf rund 29 % gesenkt worden. Besonders wichtig erscheint mir dabei, daß auch an der zur Zeit aus konjunkturellen Gründen gestiegenen Zahl der Arbeitslosen der Anteil der Vertriebenen nicht etwa gestiegen, sondern bei 29 % verblieben ist.
Von den fast 300 000 Landwirten, die unter den Vertriebenen waren, kommen wegen des natürlichen Vorgangs der Überalterung und wegen der teilweisen Abwanderung in andere Berufe nicht mehr alle für die Arbeit in der Landwirtschaft in Frage. Es sind mit den Maßnahmen des Flüchtlingssiedlungsgesetzes, durch andere behördliche Maßnahmen und durch private Entscheidungen, wie z. B. Einheiraten, bisher etwa 41 000 Familien wieder in bäuerliche Arbeit gekommen.
Die Beschaffung von Krediten für wirtschaftlich selbständig arbeitende Vertriebene hat ihren ersten großen Erfolg dadurch erzielt, daß nennenswerte Mittel des Marshallplans zur Verfügung gestellt und für Vertriebene zweckgebunden werden konnten. Spätere Maßnahmen wie das Arbeitsbeschaffungsprogramm, die. Existenzaufbauhilfe, die Aktion für Dauerarbeitsplätze haben insgesamt einen Betrag von rund 470 Millionen DM als Kredite an vertriebene Unternehmer aufgebracht. Die Vertriebenenbank, jetzt Lastenausgleichsbank, hat mit sehr großem Erfolg und ohne überdurchschnittliche Verluste den Kreditbedarf der vertriebenen Unternehmer wenigstens zum Teil decken können. Allerdings ist der Anteil der wirtschaftlich Selbständigen unter den Vertriebenen heute noch lange nicht wieder so hoch, wie er vor der Vertreibung war.
Der Anspruch der Vertriebenen auf Sozialbetreuung ist heute im großen und ganzen durchgesetzt. Auch für die vertriebenen Beamten und Ruhegehaltsempfänger ist eine Regelung erreicht worden, die die größte Not behoben hat, und unter den freien Berufen liegt die Zahl derjenigen, die wieder in ihren Beruf gekommen sind, bei rund neun Zehnteln, zum Teil höher.
Zur Frage des Lastenausgleichs kann ich mich darauf beschränken, mich auf das im vorigen Jahr verabschiedete Gesetz zu beziehen. Es erfüllt bei weitem nicht alle berechtigten Erwartungen der Vertriebenen, sondern stellt in der derzeitigen Lage der Wirtschaft der Bundesrepublik einen Kompromiß dar.
Zusammenfassend kann ich feststellen, daß alle Eingliederungsmaßnahmen in Gang gesetzt sind und zum Teil beachtliche Erfolge erzielt haben. Für eine eingehende Unterrichtung habe ich den Mitgliedern dieses Hohen Hauses vor wenigen Tagen einen Bericht übey die Arbeit der Jahre 1949 bis 952 überreichen lassen. Allerdings darf dieser Überblick über das bisher Erreichte nicht darüber hinwegtäuschen, daß noch unendlich vieles erreicht werden muß, ehe man davon wird sprechen können, daß wirklich eine Eingliederung der Vertriebenen in das soziale und wirtschaftliche Leben der Bundesrepublik erreicht ist.
Niemand kann erwarten, daß die Menschen, die noch in echter Not sind, durch solche Feststellungen befriedigt werden. Soweit man überhaupt Schätzungen darüber anstellen kann, ist heute etwa ein Viertel der Vertriebenen ausreichend wieder in Verhältnisse gebracht worden, die ihrer Lebenslage in der verlorenen Heimat entsprechen. Der größte Teil, etwa die Hälfte oder mehr, ist zwar vor der unmittelbarsten Not geschützt, hat auch wieder die Möglichkeit zur Arbeit erhalten, ist jedoch berufsfremd oder in einer Stellung im Beruf tätig, die der früheren Stellung nicht entspricht. Etwa ein weiteres Viertel lebt noch heute in der echten und unmittelbaren Not, die durch Arbeitslosigkeit und Notunterkunft charakterisiert wird. Auf das Ganze gesehen ist es aber bisher gelungen, eine unwiderrufliche Verschärfung der Lage der Vertriebenen zu vermeiden.
Ich möchte ganz besonders unterstreichen, daß das neben anderem auch der vorbildlichen Haltung der Vertriebenen selbst zu verdanken ist. Nur ihre tiefe Einsicht in die Not, unter der unser Volk heute steht, hat es ihnen möglich gemacht, eine staatspolitisch so positive Entscheidung zu treffen, wie sie in der Charta der Vertriebenen niedergelegt ist, in diesem Bekenntnis zum Verzicht auf Rache und Vergeltung, zu einem in Frieden und in gegenseitiger Achtung geeinten Europa und zur Verpflichtung zur Arbeit und Leistung. Aus dieser tief empfundenen Bindung an die Gesamtverantwortung des deutschen Volkes heraus wird man auch die Äußerung verstehen müssen, die kürzlich ein hervorragender Sprecher der Vertriebenen tat, als er die Leistungen des Bundes und der Länder für die deutschen Vertriebenen als etwas geradezu Ungeheures charakterisierte.
Diese Leistungen des deutschen Volkes müssen gesehen und herausgestellt werden. Denn wenn wir dorthin kommen, wo unsere eigenen Kräfte ihre Grenze finden, ohne daß die Aufgabe gelöst ist, und wir infolgedessen die Hilfe derjenigen erbitten müssen, die mit uns und dem deutschen Volke daran lebenswichtig interessiert sind, daß hier in der Mitte des Kontinents ein gesundes und sozial befriedetes deutsches Volk arbeitet, dann müssen wir sagen können: wir haben bereits so viel an Lasten getragen, wie wir zu tragen gerade noch fähig sind.
In den Gesprächen mit dem Auslande über diese Frage erweist sich immer wieder die Notwendigkeit, durch den täuschenden äußeren Anschein auf gewissen Gebieten des deutschen Lebens hindurch zum Kern der wirtschaftlichen und sozialen Tatbestände hindurchzustoßen. Es ist immer wieder notwendig, darzulegen, daß der öffentlich gezeigte Wohlstand sich auf eine dünne Schicht unseres deutschen Volkes beschränkt und daß dahinter die sehr große Not, vor allem der Heimatvertriebenen, steht. Man muß daher zu dem Entschluß kommen, einmal in einer Richtzahl auszudrücken, welche Belastung das deutsche Volk allein durch das Problem der Heimatvertriebenen zu tragen hat. Dazu gehören auch alle indirekt erzwungenen Aufwendungen, nicht nur der Barackenbau, sondern auch der Bau von neuen Schulen, Erweiterung der öffentlichen Versorgungseinrichtungen, die Ausdehnung der Stellenpläne in der Schul- und Sozialverwaltung, auch bei den Verkehrsverwaltungen usw.
Die Belastung, die das deutsche Volk durch das Problem der Vertriebenen und Flüchtlinge zu tragen hatte, habe ich neuerdings in der Ziffer von 28 Milliarden DM auszudrücken versucht. Diese Ziffer enthält wohlgemerkt die Belastungen der
deutschen Allgemeinheit durch die Vertriebenen und Flüchtlinge, nicht etwa die Leistungen, die diese unmittelbar empfangen haben. Zu diesen Belastungen gehört jede Aufwendung, die durch die Steigerung der Bevölkerungsdichte durch die Vertriebenen notwendig geworden ist. Im einzelnen sind in dieser Schätzung die direkten und indirekten Leistungen des Bundes, der Länder, der Gemeinden und des Soforthilfefonds in den Jahren 1945 bis 1952 enthalten. In den ersten drei Jahren handelte es sich um Reichsmark-, in den letzten vier Jahren um D-Mark-Beträge. Sie sind in den einzelnen Jahren von 2,8 Milliarden im Jahre 1949 auf 4,2 Milliarden im Jahre 1952 gestiegen. In dem geschätzten Betrage ist ferner der Fehlbetrag enthalten, der sich für den anteiligen Gemeinschaftsbedarf der Vertriebenen aus ihrer verminderten Steuerleistung ergibt. Er betrug nach den veröffentlichten Berechnungen des Bundesfinanzministeriums in den drei Jahren 1949 bis 1951 rund 6,2 Milliarden DM. Endlich sind die Leistungen der karitativen Verbände in den Jahren 1945 bis 1952 mit einer Milliarde DM und die Nachbarschaftshilfe der Bevölkerung in den gleichen Jahren mit 1,5 Milliarden DM eingesetzt.
Wenn man die letzten beiden Beträge nennt, dann muß man mit ihnen einen aus tiefstem Herzen kommenden Dank aussprechen, Dank an die Organisation der freiwilligen Wohlfahrtspflege und Dank an die unendliche Zahl anonymer Helfer unter der einheimischen Bevölkerung, deren freiwillige Hilfe entscheidend dazu beigetragen hat, daß wir die Zeit der schwersten Not schlecht und recht überstanden haben. Ich möchte diesen Dank weiter aussprechen diesem Hohen Hause, das so oft in seltener Einmütigkeit bereit war zu helfen, den
Ländern des Bundes, in deren Händen die Durchführung unserer gesetzgeberischen Maßnahmen lag, den Hohen Kommissaren der Besatzungsmächte, insbesondere den Herren, deren spezieller Aufgabenkreis das Vertriebenenproblem umfaßte, den Kirchen, die im Inland und im Ausland um Verständnis und Hilfe geworben haben. Wer möchte nicht des Heiligen Vaters ebenso dankbar gedenken wie des Weltkirchenrates! Auch an meine Mitarbeiter möchte ich ein Wort des Dankes richten für ihre unermüdliche selbstlose Arbeit unter schwierigsten Verhältnissen.
Ich wiederhole, der Betrag von 28 Milliarden nennt die Belastung der Bevölkerung der Bundesrepublik durch das Vertriebenenproblem. Er wird sogar durch die Leistungen für die heimatlosen Ausländer noch erhöht. Er ist jedoch weit entfernt davon, zu zeigen, welche Beträge den Vertriebenen etwa unmittelbar zugeflossen sind. Es ist eine kaum faßbare Demagogie, wenn diese Feststellung, die im Interesse des deutschen Volkes einmal getroffen werden muß, dahin kommentiert wird, die Vertriebenen hätten also nunmehr so viel empfangen, daß ihre berechtigten Forderungen befriedigt seien.
Das vorliegende Gesetz definiert den Personenkreis, regelt einige organisatorische Fragen, trifft eine Fülle von Regelungen für die Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge, regelt eine Reihe von besonderen Rechtsverhältnissen und gibt Richtlinien für Kulturgut und Forschung. Ich will an dieser Stelle nicht auf Einzelheiten des Gesetzes eingehen. Es erscheint mir jedoch zweckmäßig, auf einige besondere wesentliche Grundsätze und Gesichtspunkte, die bei der Gestaltung des Gesetzes maßgebend waren, hier hinzuweisen.
Die besonderen Maßnahmen, die für Vertriebene und Flüchtlinge vorgesehen sind — und das gilt nicht nur für das vorliegende Gesetz, sondern auch für die bisher getroffenen Regelungen —, werden oft mit der Behauptung angegriffen, daß es sich hierbei um die Einräumung von Sonderrechten für eine bestimmte Gruppe von Staatsbürgern handle, die nach dem Grundsatz des Art. 3 des Grundgesetzes nicht gerechtfertigt sei. Darüber hinaus fühlen sich auch andere Geschädigtengruppen gegenüber den Vertriebenen und Flüchtlingen vernachlässigt. Es wird damit argumentiert, daß nicht nur aus Rechtsgründen, sondern auch aus politischen Gründen die Einräumung einer unterschiedlichen Rechtsstellung Klüfte zwischen Einheimischen und Vertriebenen neu aufreißen würde, anstatt sie zu schließen.
Dieser Kritik gegenüber muß sachlich folgendes festgestellt werden. Während die Einheimischen, auch die einheimischen Geschädigten, nach Art und Umfang in sehr unterschiedlicher Weise vom Krieg und seinen Folgen betroffen sind, jedenfalls aber nicht ihre Lebens- und Rechtsbeziehungen zu ihrer Heimat verloren haben, muß man bei den Vertriebenen fast durchweg von einer wirtschaftlichen General- und Totalexekution sprechen. Darüber hinaus fehlt den Vertriebenen und Flüchtlingen die Möglichkeit, ihre alten Rechts- und Geschäftsbeziehungen, soweit diese mit der Heimat bestanden, wiederaufzunehmen. Das bedeutet außerordentlich viel. Wenn die Gleichstellung aller Geschädigten gefordert wird, so ist diese Forderung berechtigt, wenn sie nach dem Gesichtspunkt erfolgt, daß gleiche Tatbestände der Schädigung auch gleich behandelt werden müssen. Es geht aber nicht an, die besonderen Verhältnisse, die bei den Vertriebenen und Flüchtlingen vorliegen, hier zugunsten , einer allgemeinen Gleichmacherei zu ihrem Schaden außer acht zu lassen. Auf der anderen Seite entspricht es aber nicht dem Grundsatz der Gleichbehandlung der deutschen Staatsbürger, wenn für die Vertriebenen und Flüchtlinge eine Sonderstellung über einen Zeitpunkt hinaus und in einem Umfang aufrechterhalten wird, in dem die zwingenden Erfordernisse, die zu ihrer Einräumung geführt haben, nicht mehr vorliegen.
Von dieser Auffassung geht auch das vorliegende Gesetz aus, indem es folgende zwei Grundsätze zu ihrer Verwirklichung aufstellt.
Erstens: Sonderrechte und Vergünstigungen, die Vertriebenen und Flüchtlingen durch dieses und andere Gesetze — mit Ausnahme des Lastenausgleichsgesetzes und des Gesetzes zu Artikel 131 des Grundgesetzes — eingeräumt werden, können im Einzelfall dann entzogen werden, wenn die Eingliederung des Vertriebenen in das wirtschaftliche und soziale Leben der neuen Umgebung in einem seinen früheren Verhältnissen entsprechenden Maße erfolgt ist. Diese Vorschrift ermöglicht es, daß die für Vertriebene und Flüchtlinge vorgesehenen Hilfen konzentriert werden können auf diejenigen, die dieser Hilfen noch bedürfen. Sie darf selbstverständlich nicht kleinlich gehandhabt werden. Insbesondere darf sie sich nicht zu einer Strafe für denjenigen auswirken, der durch eigene Initiative ohne Hilfe des Staates seine wirtschaftliche und soziale Stellung selbst gefestigt hat.
Zweitens: Überall, wo eine bevorzugte Berücksichtigung von Vertriebenen und Flüchtlingen vorgesehen ist, soll diese nur so lange gelten, bis die sogenannte Parität mit den Einheimischen erreicht ist. Unter Parität ist das Verhältnis in einem be-
stimmten Berufs- oder Wirtschaftszweig innerhalb eines Landes zu verstehen, das dem Verhältnis entsprechen soll, in dem die Gesamtzahl der Bevölkerung zur Gesamtzahl der Vertriebenen in diesem Lande steht. Wenn z. B. in einem Lande der Anteil der vertriebenen Apotheker an der Gesamtzahl der Apotheker des Landes dem Anteil der Vertriebenen an der Gesamtbevölkerung entspricht, so sind von diesem Zeitpunkt an die vergebenden Stellen in der Auswahl der Bewerber von den Auflagen dieses Gesetzes frei.
Eine wichtige Regelung trifft das Bundesvertriebenengesetz nunmehr auch für die Rechtsstellung der Sowjetzonenflüchtlinge. Das Bundesvertriebenengesetz geht grundsätzlich von der Gleichstellung der Vertriebenen und der Sowjetzonenflüchtlinge aus. Nur da, wo eine unterschiedliche Regelung zwingend geboten war, ist von diesem Grundsatz abgegangen. Damit entspricht es einer berechtigten Forderung der Deutschen, die durch die Maßnahmen der sowjetzonalen Machthaber in der Sowjetzone ihre Heimat verloren haben. Es kann kein Zweifel sein, daß das Einströmen immer neuer Flüchtlinge die für die Eingliederung der Vertriebenen getroffenen Maßnahmen gefährdet. Beträchtliche Mittel müssen nunmehr für deren notdürftige Unterbringung und Versorgung bereitgestellt werden. Die Bundesregierung ist bestrebt, trotz dieses neuen Notstandes an dem Eingliederungsprogramm für die Vertriebenen unter allen Umständen festzuhalten. Dies gilt sowohl für die Umsiedlung als auch für andere wirtschaftliche Maßnahmen. In diesem Zusammenhang muß von dieser Stelle aus eine Feststellung getroffen werden: Für diese Fluchtbewegung aus dem sowjetischen Besatzungsgebiet kann weder Hitler noch das deutsche Volk verantwortlich gemacht werden. Diese Deutschen aus der sowjetischen Besatzungszone sind Opfer einer Politik, die in der Verantwortung der Großmächte liegt. Sie sind Opfer des Kalten Krieges. Die Fluchtbewegung aus der sowjetischen Besatzungszone ist ein eindeutiges politisches Votum des deutschen Volkes für den freiheitlichen Westen.
Es kann daher erwartet werden — und es sind auch durchaus Anzeichen dafür vorhanden —, daß die Bereitwilligkeit der freien Welt wächst, die Bundesrepublik bei der Lösung dieses außerordentlich schweren Problems nicht allein zu lassen. Die Hilfe der freien Welt ist erforderlich; sie würde nicht nur um der Deutschen willen oder um der Flüchtlinge willen zu erfolgen brauchen, sondern diese Hilfe liegt im Interesse der Stärkung Europas und und der gesamten freien Welt.
Das Ausland hat die gesamte Entwicklung der Probleme der Vertriebenen und Flüchtlinge mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Wir dürfen heute feststellen, daß sich im Lauf der letzten vier Jahre eine entscheidende Wandlung vollzogen hat. Noch Anfang des Jahres 1949 sah ein prominenter Vertreter der Alliierten das Vertriebenenproblem als eine interne deutsche Angelegenheit an. Heute ist man sich darüber klar, daß die Lösung des Problems nicht nur Deutschland, sondern Westeuropa angeht, darüber hinaus die ganze freie Welt. Ich will in diesem Zusammenhang nicht einige entlegene, sondern Äußerungen sehr bedeutsamer Organe der öffentlichen Meinung anführen. Am 30. Januar 1953 schrieb der „Christian Science Monitor":
Wie Westdeutschland allein mit diesem neuen Flüchtlingsproblem fertig werden kann, ist schwer vorauszusagen.
Die Bonner Regierung hat sehr viel für die Unterbringung und Wiedereingliederung getan. Nur das Tempo war bisher zu langsam. An dem seitherigen Fortschritt gemessen würde es allein 15 Jahre dauern, um alle landlosen Bauern in der Bundesrepublik anzusiedeln. In der Zwischenzeit nehmen die Zahlen durch die anhaltende Flucht vor der Kollektivierung dauernd zu.
Das Problem wird als ein Problem angesehen, das jetzt nur auf internationaler Ebene geregelt werden kann.
Das Blatt der englischen Regierung, „Daily Telegraph and Morning Post", schrieb am 23. Dezember 1952:
Kein Lob kann hoch genug sein für die Art und Weise, in der Westdeutschland diese Belastung in Angriff genommen hat. Die meisten anderen Länder wären wirtschaftlich unter dieser Last zusammengebrochen; aber irgendwie wurden sie ernährt, bekleidet und untergebracht, und in den meisten Fällen wurde für sie auch Arbeit gefunden.
Das gleiche Blatt schrieb in seinem Leitartikel vom 9. August 1952 unter Bezug auf die Regelung der deutschen\\Auslandsschulden:
Die Bundesrepublik hat den Status eines ehrenhaften Schuldners wiedererhalten. Das ist für sie von größter Bedeutung, da sie dringendst neue Auslandsmittel benötigt, insbesondere um es ihr zu gestatten, die Eingliederung der ungeheuren Masse von Flüchtlingen aus dem Osten zu finanzieren, einige 9 Millionen.
Ich hoffe, daß nun die Zeit dafür reif geworden ist, aus diesen vorbereitenden Erkenntnissen zu nachhaltigen Maßnahmen zu kommen, die uns die schnellere Lösung der Aufgabe möglich machen. Wir werden um so schneller zu diesem Erfolg kommen, je mehr es sichtbar wird, daß die eine, die wichtigste Aufgabe gelöst wurde, nämlich das deutsche Volk nicht in zwei Gruppen auseinanderfallen zu lassen, die sich gegenseitig befehden und damit eine echte Gemeinschaft unmöglich machen, je mehr man vielmehr sieht, daß an der Lösung dieses Problems eine echte Schicksalsgemeinschaft und eine echte neue staatliche Gemeinschaft sich entwickeln. Wo Ansätze zu einem trennenden Graben zwischen den Vertriebenen und den Einheimischen sich zeigen, müssen sie mit aller Anstrengung wieder beseitigt werden wie die drohenden Zusammenbrüche eines Deiches gegenüber der Sturmflut.
Wir Vertriebenen wissen, daß das Wohl des Ganzen auch unser Interesse ist. Eine leistungsfähige und sehr erfolgreiche deutsche Wirtschaft wird der beste Partner für uns sein. Das ist den Vertriebenen kein Lippenbekenntnis. Die Lohnsteuerstatistik weist nach, daß die Vertriebenen in der Hauptsache diejenigen Arbeitsplätze im Produktionsprozeß besetzt haben, die nicht beliebt und am wenigsten ertragreich sind. Der Niveauunterschied zwischen dem wirtschaftlichen Ertrag der Arbeit bei Einheimischen und Vertriebenen beträgt schätzungsweise 30 %. Das ist ein Opfer, das die Arbeitswilligkeit der Vertriebenen zugunsten der deutschen Gesamtentwicklung gebracht hat. Ich meine, daß dieser Wille zur Arbeit der
vom Schicksal am schwersten geschlagenen Menschen die Gemeinschaft des deutschen Volkes dazu verpflichtet, alles, aber auch alles zu tun, um einem so spontanen Arbeitswillen alle Möglichkeiten in der deutschen Wirtschaft zu eröffnen und alle sozialen Sicherheiten zu bieten, die das Ganze zu bieten überhaupt in der Lage ist. Etwas robust möchte ich hier sagen: das Gesetz will aus Fürsorgeempfängern und Arbeitslosen Steuerzahler machen.
Aus diesem Grunde bitte ich dieses Hohe Haus darum, die in der Vorlage des Bundesvertriebenengesetzes vorgeschlagenen Maßnahmen und begründeten Rechte bereitwillig zum Gesetz zu erheben, Alles, was bisher im Rahmen unserer gemeinsamen Aufgabe geschah, gibt uns die Gewähr, daß das, was in diesem Gesetz gegeben wird, von hohem Nutzen für die Gesamtheit unseres Volkes sein wird.
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Dr. Kather. Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen.
Herr .Präsident! Meine Damen und Herren! Ich halte es nicht für zweckmäßig, das, was in dem Schriftlichen Bericht*) niedergelegt ist, hier noch einmal vorzutragen. Ich kann mich um so kürzer fassen, als mein Herr Vorredner so liebenswürdig war, die „Generalberichterstattung" im wesentlichen vorwegzunehmen. Ich möchte nur einige Ergänzungen anbringen und einige grundsätzliche Fragen herausstellen.
Das Gesetz ist dringend und schon seit langem von denen, die es angeht, erwartet worden. Es sind über drei Jahre vergangen. Eines davon — eigentlich etwas über ein Jahr — liegt es im Parlament; das ist für ein sehr wichtiges und grundlegendes Gesetz nicht zu viel, aber zu viel für diejenigen, die auf seine Segnungen warten. Deshalb möchte ich etwas zum Zeitablauf sagen. Im ersten halben Jahr war unsere Arbeit durch die gleichlaufende Arbeit am Lastenausgleichsgesetz stark behindert; dann kamen die Ferien, und schließlich kommt hinzu, daß der Gesetzentwurf in insgesamt elf Ausschüssen beraten wurde. Sie wissen, daß er vor Weihnachten noch einmal zurückverwiesen wurde.
Wir haben nun dem Hohen Hause eine völlige Neufassung vorgelegt. Das mußten wir tun, weil der Regierungsentwurf grundlegend umgestaltet wurde. Ich nenne insbesondere den Teil Landwirtschaft, wo wir eine völlige Neukodifizierung des Flüchtlingssiedlungsgesetzes vorgenommen haben. Ich nenne die Steuervergünstigungen, die grundlegend umgearbeitet und in einem besonderen Gesetz untergebracht worden sind. Als einen der wichtigsten Punkte nenne ich schließlich die Schuldenbereinigung, die wir ebenfalls auf eine ganz neue Basis gestellt haben.
Bei der materiellen Ausgestaltung des Gesetzes war sich der Ausschuß der einmaligen Bedeutung der gestellten Aufgabe und damit auch der großen Verantwortung bewußt.
Zehn Millionen Menschen, von denen der weitaus größte Teil noch einzugliedern ist, wie wir eben gehört haben, werden von diesem Gesetz betroffen. Das Vertriebenenproblem bringt die große Bewährungsprobe für das deutsche Volk. Großes ist geleistet worden — das wollen und müssen wir anerkennen —, aber mehr noch ist in Zukunft zu leisten.
*) Vgl. Anlage Seiten 12004, 12019C.
Ich darf mir gestatten, mit einem Satz auf das, was der Herr Bundesvertriebenenminister hier vorgetragen hat, einzugehen. Ich kann es nicht für glücklich und gerechtfertigt ansehen, daß die Zahl von 28 Milliarden verwendet wird. Wenn darin die 6 Milliarden sind, die unsere Leute im Verhältnis zu anderen weniger an Steuern zahlen, dann ist damit aber auch alles gesagt, dann kann man uns nicht das, was dafür gegeben worden ist, noch einmal anrechnen. Ich weise darauf hin, daß das Finanzministerium im vergangenen Jahr von dieser Zahl ausgegangen ist. Die effektiven Leistungen auf Bundesebene sind noch geringer.
Angesichts der beispiellosen Situation, vor der wir und die Betroffenen stehen, mußten bei diesem Gesetz auch ungewöhnliche Maßstäbe angelegt werden. Es war z. B., um nur eins herauszugreifen, unmöglich, bei der Flüchtlingssiedlung wie bisher ganz von dem Prinzip der Freiwilligkeit auszugehen.
Mit großem Nachdruck und tiefem Ernst möchte ich namens des Ausschusses darauf hinweisen, daß wir die durch Maß und Vernunft gezogenen Grenzen nicht überschritten haben. Das deutsche Volk und die Welt blicken heute auf uns. Das Maß der Hilfsbereitschaft der Welt wird entscheidend beeinflußt werden von dem Umfang an Hilfsbereitschaft, den wir heute hier unter Beweis stellen.
Es soll auch niemand übersehen, daß die Vertriebenen nicht nur nehmen; sie geben auch. Sie haben ihren großen Anteil an dem Wiederaufbau der Bundesrepublik und werden ihn auch in Zukunft haben, und sie haben einen Anspruch auf hohe Anerkennung für die Geduld und Disziplin, in der sie ihr hartes Geschick so viele Jahre ertragen haben. Von diesen Erwägungen hat sich der Ausschuß leiten lassen, und ich habe in seinem Namen die Bitte an das Hohe Haus zu richten, das gleiche zu tun.
Aus dem Ersten Abschnitt ist hervorzuheben, daß wir damit eine einheitliche Formulierung des Vertriebenenbegriffs bekommen. Neu geschaffen ist der Begriff des Heimatvertriebenen und abgestellt auf den Wohnsitz am 31. Dezember 1937 oder einen Wohnsitz schon vorher. Es werden dadurch in diesem Gesetz keine Sonderrechte begründet. Der einzige materielle Unterschied ist im Lastenausgleichsgesetz verankert, in dem sogenannten Heimatzuschlag.
Auch der Begriff des Sowjetzonenflüchtlings ist neu formuliert worden. Angesichts der Debatte, die wir heute schon gehabt haben, brauche ich nicht auf die überragende Bedeutung hinzuweisen, die gerade diese Seite des Problems in den letzten Monaten gewonnen hat. Es ist hier eine Bedrohung festzustellen, die letzten Endes dahin führen kann, daß all unser Mühen, all unser Sorgen und alle unsere Maßnahmen vergeblich sind. Bei dieser Beratung wird Gelegenheit gegeben sein zu beweisen, daß die guten Worte, die hier gefallen sind, auch zu praktischen Konsequenzen führen.
Es ist eine Ausweitung des Begriffs vorgenommen worden. Während wir bisher von der Gefährdung von Leib und Leben und der persönlichen Freiheit ausgegangen waren, haben wir die Entscheidung nunmehr auf den Begriff der besonderen Zwangslage abgestellt. Ein strengerer Maßstab ist in § 4 für alle diejenigen angelegt, die schon zum Zeitpunkt des Zusammenbruchs hier waren und nicht zurückgekehrt sind. Diese Entscheidung des
Ausschusses ist eine der wenigen, die nur mit Mehrheit gefaßt wurden; wir werden in der zweiten Lesung noch darüber zu reden haben. Wichtig ist, daß das Gesetz in allen Leistungen, die es gewährt, die Sowjetzonenflüchtlinge den Vertriebenen völlig gleichstellt.
Der Ausschuß war auch einmütig der Ansicht, daß es unbedingt notwendig ist, eine Koordinierung der Begriffe mit dem Lastenausgleichsgesetz vorzunehmen. Wir haben aber davon abgesehen, es ni unsere Fassung des Gesetzes aufzunehmen, weil wir der Überzeugung waren, daß letzten Endes doch der Lastenausgleichsausschuß hier federführend sein muß und wir ihn nicht überfahren sollten. Es war ein interfraktioneller Antrag in Aussicht genommen und ist ja auch ein Antrag eingereicht worden, so daß ich auch über diesen Punkt nichts mehr zu sagen habe.
Aus dem Zweiten Abschnitt ist die Schaffung von Beiräten auf Bundes- und Landesebene zu erwähnen. Auch hier handelt es sich um eine Mehrheitsentscheidung. Die Organisationen in der überwiegenden Zahl waren gegen die Bildung eines solchen Beirats und ebenso eine Minderheit des Ausschusses. Man war der Meinung, daß genügend Sachverständige im Ministerium, im Parlamentarischen Ausschuß und in den Organisationen zur Verfügung stehen und daß, wenn wirklich einmal eine wichtige Frage besonderer Art auftaucht — ich erinnere z. B. an den Lastenausgleich —, dann doch ein besonderes Gremium von Sachverständigen notwendig ist. Aber insoweit sind, glaube ich, Anträge nicht gestellt und auch nicht zu erwarten.
Aus dem Siebten Abschnitt, für den ich ebenfalls die Berichterstattung habe, sind Besonderheiten nicht zu erwähnen.
Zu den Abschnitten III bis VI werden meine Mitberichterstatter Stellung nehmen.
Ich habe also nunmehr die Aufgabe, Sie namens des Ausschusses zu bitten,
1. dem Gesetz in der vorliegenden Fassung Ihre Zustimmung zu geben,
2. folgenden Entschließungen zuzustimmen:
a) Die Bundesregierung wird ersucht, die Frage zu prüfen, ob die Bewohner der von der Oder und der Neiße geteilten Gemeinden in einer künftigen Rechtsverordnung den Vertriebenen im Sinne des § 1 Abs. 1 dieses Gesetzes gleichgestellt werden können.
b) Den Bundesländern wird empfohlen, von der Erhebung der Grunderwerbsteuer abzusehen, soweit Vertriebene oder Sowjetzonenflüchtlinge zum Ersatz des durch die Vertreibung oder die Flucht verlorenen Grundeigentums solches wiedererwerben. Entsprechendes gilt, wenn Vertriebene oder Sowjetzonenflüchtlinge Grundeigentum zum Zwecke ihrer Existenzgründung erwerben.
Drittens habe ich Sie zu bitten, den Antrag der Abgeordneten Goetzendorff und Genossen betreffend Flüchtlingsgesetz—Nr. 114 der Drucksachen —durch die Beschlußfassung zu 1 für erledigt zu erklären.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wir stehen nun vor der Frage, ob wir die drei Herren Mitberichterstatter, die ja jeder, wie der Herr Hauptberichterstatter, zu einem bestimmten Abschnitt ihren Bericht erstatten sollen, gleich ihren Bericht erstatten lassen oder erst dann, wenn die betreffenden Abschnitte aufgerufen werden. Ich glaube, es ist wohl das beste, wir lassen sie gleich berichten.
Dann erteile ich das Wort dem Herrn Abgeordneten Dr. Zawadil.
Dr. Zawadil , Mitberichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Aus Gründen der Zeitersparnis bitte ich das Hohe Haus, in Anbetracht der Ausführungen des Herrn Ministers und des Hauptberichterstatters Herrn Dr. Kather meinen Schriftlichen Bericht*) zur Kenntnis zu nehmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter und erteile das Wort zur weiteren Berichterstattung dem Herrn Abgeordneten Merten.
Merten , Mitberichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ganz so kurz wie mein Herr Vorredner kann ich es nicht machen. Im Schriftlichen Bericht**), der Ihnen vorliegt, sind einige grundsätzliche Fragen, die sich mit der Eingliederung der Vertriebenen in die Landwirtschaft befassen, nicht ausgeführt worden. Ich möchte das hier ergänzend hinzufügen.
Der Ausschuß war in bezug auf die Eingliederung der Vertriebenen in die Landwirtschaft in einer besonderen Lage, weil auf diesem Gebiet schon gesetzliche Regelungen bestanden und er sich infolgedessen mit den Erfahrungen befassen konnte, die in den letzten Jahren mit den schon bestehenden Gesetzen gemacht worden sind, insbesondere mit dem Flüchtlingssiedlungsgesetz vom 10. August 1949: Gerade die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen dieses Gesetzes mußten maßgebend sein für die Ergänzungen und Erweiterungen, die nunmehr als ein Titel des vorliegenden Gesetzes ihren Niederschlag gefunden haben.
Das Flüchtlingssiedlungsgesetz wurde bekanntlich als eines der letzten Gesetze noch vom Wirtschaftsrat des Vereinigten Wirtschaftsgebietes erlassen und dann auch in der französischen Besatzungszone übernommen. Es ist ein Teil der Soforthilfe und wurde gerade in der zweiten Phase der Soforthilfe Gesetz, als die Unterhaltshilfe geregelt wurde und Maßnahmen in Angriff genommen wurden, die zum Aufbau einer Dauerexistenz von Vertriebenen führen sollten. Die Förderungsmaßnahmen des Flüchtlingssiedlungsgesetzes konnten aber nicht erreichen, daß alle vertriebenen Landwirte in der neuen Heimat Fuß faßten, und sie sollten dies wohl auch gar nicht. Dieses Gesetz sollte die Eingliederung lediglich fördern, sollte sie beschleunigen und unterstützen. Die eigentliche Eingliederung vollzog sich in der Landwirtschaft ebenso wie in den anderen Berufen doch wohl meist aus der Initiative der Heimatvertriebenen selbst, die die Möglichkeiten einer neuen Existenz gesucht und auch gefunden haben. Das Gesetz hatte ihnen dabei lediglich eine ausreichende Starthilfe zu geben.
Der Ausschuß hatte sich nun mit der Frage zu befassen, ob diese Starthilfe ausreichend bemessen war und ob die durch dieses Gesetz ermöglichten Existenzgrundlagen für die Dauer als tragfähig angesehen werden konnten. Er hatte ferner zu prüfen, welche Erfahrungen mit den einzelnen Bestimmungen des Flüchtlingssiedlungsgesetzes und mit
*) Vgl. Anlage Seite 12008A. **) Vgl. Anlage Seite 12009B.
seiner Durchführung gesammelt worden waren. Der Ausschuß wurde in seiner Arbeit — das muß auch erwähnt werden — ausgezeichnet unterstützt durch die Vertreter der beteiligten Bundesministerien, insbesondere durch das Bundesministerium für Ernahrung, Landwirtschaft und Forsten, durch die Bundesministerien für Vertriebene, der Justiz und der Finanzen. Daneben standen dem Ausschuß die ausgezeichneten Berichte der Wissenschaft und der Praxis zur Verfügung. Er hat auch durch zwei Besichtigungsreisen in Nord- und Süddeutschland versucht, durch eigenen Augenschein ein Bild von der Sache zu gewinnen. Wir konnten feststellen, daß es zwar gelungen ist, einer großen Zahl von Vertriebenen eine Existenz in der Landwirtschaft zu geben, daß aber die bisherigen Bestimmungen eine vollkommene Lösung dieses Problems nicht bringen konnten. Die Zahlen der Eingegliederten und die der dafür notwendigen Mittel bitte ich Sie dem Schriftlichen Bericht entnehmen zu wollen.
Es konnte auch gar nicht der Charakter dieses Gesetzes sein, eine hundertprozentige Lösung dieser Frage zu bringen. Zunächst einmal sollten die heimatvertriebenen Bauern den einheimischen Bauern in bezug auf ihre Kreditfähigkeit gleichgestellt werden, damit sie gleichberechtigte Partner auf dem Grundstücksmarkt werden konnten; denn der einheimische Bauer hat da einen ganz anderen Start, als ihn der Vertriebene haben kann. Es sollten weiter Anreize für die einheimischen Bauern, insbesondere die einheimischen Grundbesitzer gegeben werden, Land an die Vertriebenen zu verpachten und ihnen wüste und auslaufende Höfe zu überlassen.
Es war charakteristisch für das vergangene Gesetz, daß es auf der Freiwilligkeit aufbaute. Es hat niemand genötigt, Land abzugeben; es hat lediglich einen Anreiz dazu gegeben. Wir haben aber gesehen, daß man damit nicht auskommen kann, um den überwiegenden Teil der vertriebenen Bauern wieder zu Land und Hof zu bringen. Auch in der Regierungsvorlage zu dem vorliegenden Gesetz, in der eine Änderung des Flüchtlingssiedlungsgesetzes vorgeschlagen war, schien diese Frage nicht ausreichend gelöst zu sein.
Nun ist aber gerade die Eingliederung des vertriebenen Landvolks eine Aufgabe besonderer politischer und sozialer Bedeutung. Es gilt, die auch in der vertriebenen Bauernschaft vorhandenen — ich möchte sagen, noch vorhandenen — wertvollen Kräfte der deutschen Landwirtschaft zu erhalten und sie für die Gesamtheit fruchtbar zu machen. Die erzwungene Abwanderung der Bauern in fremde Berufe hat Ausmaße angenommen, die den verantwortlichen Politiker mit großer Sorge erfüllen müssen, weil sie gerade in einem Augenblick erfolgt, in dem auch große Teile der einheimischen Landbevölkerung durch die Landflucht dem Bauerntum verlorengehen. Zunehmendes Alter und jahrelange Arbeitslosigkeit unter primitivsten Verhältnissen haben die Spannkraft eines Teils der alten Generation erheblich geschwächt und den Willen zur Gründung einer neuen Existenz in der Landwirtschaft erschüttert. Die junge Generation ist bereits zu einem großen Teil in die Städte abgewandert und wächst ohne Kenntnis der landwirtschaftlichen Arbeit auf.
Dieser erschreckende Substanzverlust des Bauerntums muß aufgehalten werden. Es galt, auch durch dieses Gesetz zu versuchen, hier Einhalt zu gebieten, daneben den Gesichtspunkt zu berücksichtigen, daß eine weitere Steigerung der Agrarproduktion bei der Einfuhrabhängigkeit auf diesem Gebiet dringend geboten erscheint. Diese Steigerung der Produktion kann zwar auf der einen Seite duch die Verbesserung der Wirtschaftsmethoden erreicht werden und ist auch erreicht worden. Sie erfordert jedoch auf der anderen Seite die Heranziehung aller verfügbaren brachliegenden Kräfte und die Kultivierung der Landflachen, die brachliegen und der erfolgreichen Bebauung zugeführt werden können.
Das vorliegende Gesetz will erreichen, daß innerhalb der nächsten fünf Jahre ungefähr hunderttausend vertriebene Bauern eingegliedert werden und für diesen Zweck die notwendigen Geldmittel und auch das notwendige Land zur Verfügung stehen. Auf der Grundlage dieses Gesetzes werden dann die verantwortlichen Behörden auch die erforderliche umfassende Planung durchführen können, die der Ausführung des Gesetzes vorauszugehen hat. Nach der Zeit von fünf Jahren dürfte eine Hilfe für die vertriebenen Bauern ins Leere stoßen und keinen Sinn mehr haben, weil sie dann voraussichtlich dem Bauertum verlorengegangen sein werden, während in den vergangenen Jahren und auch in der Zukunft ein großer Teil dieser Vertriebenen mit öffentlichen Mitteln erhalten werden mußte bzw. erhalten werden muß, Mitteln, die ihnen lediglich das Existenzminimum sichern, ohne daß mit diesem Gelde ein produktiver Zweck erreicht wird. Diese öffentlichen Gelder erschienen dem Ausschuß wesentlich besser angewandt, wenn sie, statt allein konsumtiv verbraucht zu werden, dem produktiven Zweck der Existenzgründung zugeführt werden und damit den geförderten, in diesem Falle also den vertriebenen Bauern davon befreien, in aller Zukunft noch öffentliche Mittel zur Erhaltung seiner Existenz in Anspruch nehmen zu müssen.
Bei Durchsicht des Gesetzes wird man feststellen, daß umfassende Sondermaßnahmen insbesondere für die Landwirtschaft getroffen worden sind, in einem weitaus größeren Maße als für die anderen Berufe. Diese Notwendigkeit ergibt sich aus der Tatsache, daß unter den Vertriebenen kein Berufsstand in der Eingliederung so zurückgeblieben_ ist wie der der Landwirte. Gerade sie sind am allerwenigsten in der Lage, sich anderen Berufen zuzuwenden und sich eine neue Existenz zu schaffen, weil ihre beruflichen Kenntnisse eben spezialisiert sind. Aus diesem Grunde ist auch das soziale Abgleiten der vertriebenen Bauern besonders erschreckend. Ihr Anteil an der Arbeitslosigkeit ist wesentlich höher als in anderen Berufen, desgleichen ihr Anteil bei der Beschäftigung in Aushilfsberufen.
Neben den Schwierigkeiten der materiellen Lage der vertriebenen Bauern stehen noch die besonders großen psychologischen Schwierigkeiten; denn die gewaltsame Trennung von der Heimat bedeutet für sie darüber hinaus noch die Trennung von ihrem Acker, von ihrem Hof und von ihren Tieren, die für den Bauern einen Teil seines Wesens ausmachen. Auf diesen Umstand haben insbesondere die Kirchen hingewiesen, die dankenswerterweise auch an diesem Gesetz mitgearbeitet haben.
Der Ausschuß hat zahlreiche Eingaben der vertriebenen und der einheimischen Bauernorganisationen erhalten. Er hat alle diese Eingaben mit großem Ernst geprüft, war sich aber bewußt, daß er sich nicht zum Sprecher der einer oder der ande-
ren Interessentengruppe machen darf und daß in diesem Zusammenhang Opfer von beiden Seiten gebracht werden müssen. Auf seiten der vertriebenen Bauern mußten einige durchaus berechtigte Wünsche unerfüllt bleiben. Von seiten der einheimischen Bauern mußten gewisse Einschränkungen und Opfer zugunsten ihrer vertriebenen Berufskollegen erwartet werden. Nach anfänglichen Schwierigkeiten, die bekannt sind, konnte schließlich auf beiden Seiten eine erfreuliche Verständnisbereitschaft festgestellt werden, eine Verständnisbereitschaft, von der der Ausschuß hofft, daß sie sich auch auf die Angehörigen beider Gruppen im Parlament erstreckt und ihre Auswirkungen in entsprechenden Anträgen findet.
Abschließend darf ich Sie hinsichtlich der Einzelbestimmungen des Gesetzes auf den Schriftlichen Bericht verweisen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter und erteile das Wort dem letzten Berichterstatter, Herrn Abgeordneten Dr. Mücke.
Dr. Mücke , Mitberichterstatter: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf unter Bezugnahme auf meinen schriftlichen Bericht*) auf einige Gesichtspunkte hinweisen, die für Ihre Beschlußfassung und für die Auslegung derjenigen Bestimmungen des Bundesvertriebenengesetzes, über die ich zu berichten habe, von besonderer Bedeutung sind.
Der Ihnen vorliegende Entwurf geht bei den vorgesehenen speziellen Maßnahmen zur Eingliederung von der Zielsetzung aus, die leider immer noch in erheblichem Maße brachliegende oder berufsfremd eingesetzte Leistungskraft der Vertriebenen und Flüchtlinge möglichst wirksam und umfassend im Rahmen der Gesamtwirtschaft zur Geltung zu bringen. Die Eingliederungsbestimmungen sollen der Erfüllung berechtigter Ausgleichsansprüche hinsichtlich der verlorenen Existenz dienen, aber nicht im Sinne einer restlosen Restauration der Vergangenheit, sondern nach dem Prinzip der Wirtschaftlichkeit mit dem Ziel, daß sich das gesamte Arbeitspotential, das der Einheimischen und der Vertriebenen, so betätigen kann, daß eine größtmögliche Wirkung erzielt wird.
Von diesen Grundüberlegungen geht der Ihnen vorliegende Entwurf hinsichtlich der. für die Eingliederung vorgesehenen Maßnahmen im wesentlichen aus, die auch nun endlich den unter den gegebenen Verhältnissen bisher bestehenden Partikularismus der Maßnahmen zu einer sinnvollen, auf das notwendige Ganze gerichteten Zusammenarbeit aller an der Durchführung Beteiligten führen sollen.
Nun einige ergänzende Hinweise zu bestimmten Einzelvorschriften. § 69, der die Zulassung zur Kassenpraxis behandelt, sieht für die Aufenthaltnahme im Geltungsbereich des Grundgesetzes den in § 10 Abs. 1 genannten Stichtag vor. Das ist der 31. Dezember 1952. Die Festlegung dieses Stichtags in § 69 Abs. 1 hat die Wirkung, daß Ärzte, Zahnärzte oder Dentisten, die nach diesem Stichtag im Geltungsbereich des Grundgesetzes ihren ständigen Aufenthalt nehmen — gleichgültig, ob sie Vertriebene oder alteingesessene Sowjetzonenbewohner sind, auch wenn sie vor dem 4. September 1939 zur Kassenpraxis zugelassen waren —, lediglich unter die Vorschrift des Abs. 5 des § 69 fallen. Das bedeutet, daß auf sie der allgemeine
*) Vgl. Anlage Seite 12013A. Eingliederungsgrundsatz des Vertriebenengesetzes hinsichtlich der bevorzugten Zulassung Anwendung findet, bis das Verhältnis erreicht ist, in dem die Zahl der Vertriebenen und der Sowjetzonenflüchtlinge zur Gesamtzahl der Bevölkerung des jeweiligen Landes steht.
§ 71, der sich mit der Frage der Kredite, Zinsverbilligungen, Bürgschaften und Teilhaberschaften befaßt, sieht außerordentlich wichtige Maßnahmen zur Existenzgründung und Existenzsicherung selbständig erwerbstätiger Vertriebener und Flüchtlinge vor, während § 78, der Bestimmungen zur Schaffung von zusätzlichen Dauerarbeitsplätzen für die Vertriebenen und die Sowjetzonenflüchtlinge enthält, der Existenzgründung und Existenzsicherung unselbständig Erwerbstätiger zu dienen hat. Beide Bestimmungen sind für eine wirksame Eingliederung von weittragender Bedeutung. Wenn auch hier nicht — wie es beispielsweise bei dem § 46 hinsichtlich der landwirtschaftlichen Siedlung der Fall ist — für die Durchführung der vorgesehenen Maßnahmen die Bereitstellung bestimmter Mittel vorgesehen ist, weil hier die Höhe der notwendigen Mittel nicht ohne weiteres vorausgesehen werden kann, so bedeutet das Bestehen dieser Vorschriften für die Bundesregierung die zwingende Pflicht, die zur Durchführung der hier vorgesehenen Maßnahmen notwendigen Mittel jährlich aus Haushaltsmitteln bereitzustellen. Wenn beispielsweise das Gesetz über den Lastenausgleich ebenfalls Bestimmungen über die Schaffung von Dauerarbeitsplätzen enthält, so bedeutet die Durchführung dieser Bestimmungen des Lastenausgleichsgesetzes gegenüber der Durchführung des § 68 des Vertriebenengesetzes eine zusätzliche Eingliederungsmaßnahme.
Hinsichtlich der für die Vertriebenen und Sowjetzonenflüchtlinge sehr bedeutsamen Einzelvorschriften über die Schuldenregelung, zu der im Schriftlichen Bericht bereits eingehend Stellung genommen wurde, beschränke ich mich auf eine Feststellung: Der „Ausschuß zonenmäßig getrennter Betriebe" hat in einem an den Bundestag gerichteten Schreiben vom 14. Januar 1953 Einwände dahingehend erhoben, daß entgegen dem Prinzip der Gleichstellung der Sowjetzonenflüchtlinge gegenüber den Heimatvertriebenen die Schuldenregelung des Bundesvertriebenengesetzes zu einer Schlechterstellung der in der Sowjetzone enteigneten Unternehmer führe. Tatsächlich sind juristische Personen und Handelsgesellschaften, die ihren Sitz in der Sowjetzone hatten und sich nunmehr im Geltungsbereich des Grundgesetzes befinden, gemäß § 87 Abs. 2 in die für die Sowjetzonenflüchtlinge vorgesehene Regelung nicht aufgenommen. Das liegt daran, daß durch das Bundesvertriebenengesetz gesellschaftliche Rechtsverhältnisse, welche unter dem Gesichtspunkt des Verlassens der Sowjetzone in bezug auf die vorgesehene Schuldenregelung nicht erfaßt werden konnten, durch das Vertriebenengesetz nicht geregelt werden können. Die Gleichstellung der Sowjetzonenflüchtlinge mit den Vertriebenen beruht im Vertriebenengesetz auf einem in der Person des einzelnen Flüchtlings liegenden und von ihm nachzuweisenden vertreibungsähnlichen Tatbestand, währen bei den Vertriebenen der allgemeine Vertreibungstatbestand zugrunde gelegt wird. Der sich aus dem Gesetz ergebende Grund iur aie Nichthereinnahme von juristischen Personen und Handelsgesellschaften aus der Sowjetzone in die Schuldenregelung des Vertriebenengesetzes ist also
lediglich ein gesetzestechnischer. Hierdurch ist eine anderweitige gesetzliche Regelung für juristische Personen und Handelsgesellschaften aus der Sowjetzone für den Fall, daß eine Notwendigkeit hierfür besteht, keinesfalls ausgeschlossen.
Schließlich darf ich zu § 95, der Maßnahmen zur Pflege des Kulturgutes der Vertriebenen und Flüchtlinge und zur Förderung der Wissenschaft und Forschung im Zusammenhang mit der Vertreibung vorsieht, folgendes sagen. Auch hier ist nichts Besonderes über die Bereitstellung der notwendigen Mittel gesagt. Für diesen § 95 gilt das gleiche, was ich bereits zu den §§ 71 und 78 gesagt habe. Die Vorschriften des § 95 sind in der Problematik der Dinge um die Vertriebenen und Flüchtlinge von größter Bedeutung. Sie sollen vor allem dazu dienen, das Kulturgut der Vertreibungsgebiete in dem Bewußtsein der Heimatvertriebenen und des gesamten deutschen Volkes zu erhalten und die Wissenschaft und Forschung bei der Erfüllung der Aufgaben, die sich aus der Vertreibung und der Eingliederung ergeben, zu fördern. Hier ist mit wenigen Worten eine große entscheidende gesamtdeutsche Aufgabe festgelegt, der nicht etwa irgendwelche nationalistischen oder irredentistischen Überlegungen zugrunde liegen, sondern das naturgegebene und unbestreitbare Recht eines jeden Menschen auf seine und seiner Väter Heimat. Der Ausschuß für Heimatvertriebene ist hier von der Auffassung ausgegangen, daß sich die Zuständigkeit des Bundes für diese Aufgabe allgemein aus der Bestimmung des Art. 74 Ziffer 6 des Grundgesetzes ergibt. Der Bund wird bei der Durchführung dieser Aufgabe sinnvoll mit den Ländern zusammenzuarbeiten haben. Es ist als gutes Vorzeichen für diese Zusammenarbeit zu werten, daß die Vorschrift des § 95 auf der Initiative des Bundesrates beruht.
Der Ausschuß für Heimatvertriebene hat sich bei seinen Beratungen über den § 95 insbesondere wiederholt auch mit der Frage der wissenschaftlichen Forschung und Lehre im Zusammenhang mit der Vertreibung gelegentlich von Vorschlägen, die in dieser Richtung an ihn herangetragen wurden, befaßt. Da es sich hier um die Frage der Durchführung des Vertriebenengesetzes handelt, hat er keine besondere Regelung treffen können. Es sei aber in diesem Zusammenhang hervorgehoben, daß von den 16 im Verband der Landsmannschaften zusammengeschlossenen Landsmannschaften,-die ja die berufenen Träger der Pflege des heimatlichen Kulturgutes sind, 15 Landsmannschaften sich dafür ausgesprochen haben, die wissenschaftliche Forschung und Lehre mit Schwerpunkt an einer hierfür besonders geeigneten deutschen Hochschule zu konzentrieren. Es wird Aufgabe der Bundesregierung sein, hier in Zusammenhang mit der Durchführung des § 95 die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, insbesondere die für die Durchführung der in § 95 vorgesehenen Maßnahmen erforderlichen Mittel jährlich in angemessener Höhe bereitzustellen.
Es wäre interessant, noch auf eine Reihe von Zahlenbeispielen hinzuweisen, aus denen sich der augenblickliche Stand der Eingliederung und die Notwendigkeiten hinsichtlich der Eingliederung ergeben. Ich darf in diesem Zusammenhang auf das Ihnen erst in diesen Tagen zugeleitete Büchlein hinweisen, das einen Bericht des Herrn Bundesministers für Vertriebene, betitelt „Vertriebene, Flüchtlinge, Kriegsgefangene, heimatlose Ausländer 1949 bis 1952", enthält. Daraus sind sehr interessante Zahlen über den augenblicklichen Stand der Eingliederung zu ersehen. Alle authentischen Erhebungen ergeben, daß noch sehr vieles zu tun ist, daß es sich aber lohnt, etwas zu tun, weil diejenigen, denen man von Staats wegen zu helfen hat, nicht als Desperados hierhergekommen sind, sondern es wert sind, daß man ihnen hilft. Denken wir daran, daß seit 1945 Millionen Menschen ein persönlich unverschuldetes Schicksal mit Ruhe und Geduld ertragen haben und noch ertragen in dem Bewußtsein, daß sie sich selbst trotz besten Willens nicht helfen können und auf unser aller Hilfe angewiesen sind! Es geht um Millionen tief getroffener Menschen. Wirksame Maßnahmen zur Lösung des so schwerwiegenden Problems der deutschen Flüchtlinge und Vertriebenen, das uns alle vor große Aufgaben und Opfer stellt, kann man nur mit einem kühlen Verstand und zugleich mit einem warmen Herzen beschließen und durchführen. Ich möchte meinen Bericht abschließen, indem ich Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren, namens des Ausschusses für Heimatvertriebene bitte, seine Vorschläge in diesem Sinne zu prüfen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Wir können nunmehr in die zweite Beratung eintreten. Hier liegt ein Änderungsantrag der Deutschen Partei auf Einfügung einer Präambel vor. Ich schlage vor, daß man hierüber am Schluß, vor der Abstimmung über Einleitung und Überschrift, abstimmt.
Ich beginne mit § 1. Hierzu ist ein Änderungsantrag der kommunistischen Gruppe Umdruck Nr. 760 Ziffern 1 und 2 gestellt.
Das Wort hat der Abgeordnete Kohl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetz, das den Titel „Bundesvertriebenengesetz" trägt, ist der Begriff „Vertriebener" in ein Stadium getreten, zu dem man einiges sagen muß. Der Begriff an sich ist noch nicht alt. Er wurde im Jahre 1949 durch die Bundesregierung geprägt, und die Koalitionsparteien wie auch die sozialdemokratische Parteiführung haben ihn aufgenommen. Bis zum Jahre 1949 waren in allen Behörden die Bezeichnungen „Flüchtling" und „Ausgewiesener" gebräuchlich. Auch heute bezeichnet man die Lager, in denen diese bedauernswerten Menschen untergebracht sind, als „Flüchtlingslager". Die unteren Einheiten der Flüchtlingsorganisationen gebrauchen ebenfalls noch diese Bezeichnung, und die Flüchtlinge selbst nennen sich Flüchtlinge. Warum nun diese Änderung des Begriffs? Mit der Bezeichnung „Vertriebener" oder „Heimatvertriebener" soll der Revanchegedanke geweckt werden, sollen die Revisionsbestrebungen psychologisch untermauert werden. Heute, wo Regierung und Regierungsparteien im Zuge der amerikanischen Kriegsvorbereitungspolitik offen ihre Revisionsbestrebungen aussprechen dürfen, braucht man auch für diese Opfer des verbrecherischen Hitler-Krieges eine dem Chauvinismus dienende Bezeichnung. Daher diese Umstellung. Regierung und Regierungsparteien benutzen das Elend dieser Millionenmassen, um das Volk für die imperialistischen Kriegsziele aufnahmebereit zu machen. Statt diesen Millionen zu helfen, sich seßhaft zu machen, läßt man sie, um
ein altes Bild zu gebrauchen, auf dem Koffer sitzen.
Was haben denn eigentlich die Flüchtlinge von dieser Bezeichnung zu erwarten? Untersuchen Sie doch einmal, was die 71/2 Millionen Menschen trotz der Rede des Herrn Bundesministers Lukaschek bisher von dieser Mehrheit des Bundestages und der Bundesregierung erfahren haben! Als im Jahre 1945/46 die Flüchtlinge und Ausgewiesenen durch Umsiedlung, Flucht oder Ausweisung nach Westdeutschland einrückten, fehlten für diese Menschen im Gegensatz zu dem Gebiet der damaligen Sowjetzone jede wirkliche Fürsorge und Bereitschaft, sie wirtschaftlich, kulturell und politisch einzugliedern. Sehr schnell erkannten diese Menschen, daß sie zur Selbsthilfe greifen mußten, und sie haben sich in Organisationen, die als Flüchtlingsorganisationen bezeichnet wurden, zusammengetan, um durch die Kraft dieser Organisationen ihre wirtschaftliche, politische und kulturelle Einbürgerung in Westdeutschland zu erreichen. Diese Organisationen hießen bezeichnenderweise so lange Flüchtlingsorganisationen, bis die Bundesregierung und die angloamerikanischen Besatzungsmächte in diesen Organisationen eine Möglichkeit sahen, unter Ausnutzung der Not der Menschen und ihres Heimatgefühls psychologisch ihren Kreuzzug nach dem Osten vorzubereiten. Von diesem Zeitpunkt an, nämlich im Jahre 1949, als von der Bundesregierung und den Koalitionsparteien willfährige Führer an die Spitze dieser Organisation gestellt wurden, wurde der Begriff „Vertriebener" in die Massen hineingetragen. Gleichzeitig organisierte man mit Mitteln des Vertriebenenministeriums und zum Teil auch des Kaiser-Ministeriums sogenannte Flüchtlingstreffen, auf denen man jedoch nicht etwa zur Beratung stellte, wie man den Flüchtlingen und Ausgewiesenen aus Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot heraushelfen könne.
Zu dem andern Teil des § 1! Wir haben dazu eine völlig neue Fassung beantragt. Sie sprechen in der vorliegenden Fassung von „unter fremder Verwaltung stehenden deutschen Gebieten" und versuchen, damit einen politischen Tatbestand zu konstruieren, der mit den in Potsdam vereinbarten Abmachungen, die die Unterschriften Stalins, Trumans und Attlees tragen, in Widerspruch steht. Denn das Potsdamer Abkommen sieht ausdrücklich die wirtschaftliche Eingliederung vor. Aber erinnern wir uns an die Debatte bei der zweiten Lesung des Generalvertrags! Dort wurde von unserem Redner, dem Abgeordneten Reimann, festgestellt, daß die Amerikaner zwar hier die Propaganda für die Rückgewinnung der alten Gebiete unterstützen, es aber auf der andern Seite dem Sender „Freies Europa" zugestehen, die Oder-Neiße-Grenze als endgültige Grenze zu bezeichnen. Darin liegt eine politische Demagogie und Doppelzüngigkeit, die eindeutig beweist, daß mit diesen Formulierungen die ausgesiedelten Flüchtlinge für die amerikanische Politik gewonnen werden sollen. Es bedarf doch wirklich keines allzu großen Beweises; ein Blick in die Vergangenheit zeigt, wie die westlichen Staatsmänner zu dieser Frage 1945, 1946 und zum Teil noch 1947 standen.
— Darauf möchte ich Ihnen keine Antwort geben.
Wir haben unsere Meinung zu dieser Frage sehr offen festgelegt, und ich glaube, daß wir trotz Ihres
Lärms auf dem Boden des Potsdamer Abkommens stehen.
Ich darf daran erinnern, daß es kein geringerer als Churchill gewesen ist, der nach den Memoiren des ehemaligen polnischen Ministerpräsidenten Mikolaiczyk wirklich keine Skrupel hatte, diese Ausweisung vorzunehmen. Churchill sagte damals nach den Memoiren von Mikolaiczyk:
Wir werden dafür sorgen, daß Sie dafür durch Gebiete in Ostdeutschland, in Ostpreußen und Schlesien, entschädigt werden. Sie werden einen schönen Zugang zum Meer erhalten, einen guten Hafen und unschätzbare Mineralien.
Sie wollen doch nicht etwa behaupten, daß die westlichen Staatsmänner nicht gewußt haben, was sie in Potsdam unterschrieben haben? Die Potsdamer Beschlüsse waren längst vorbereitet, und am 2. Februar 1944, also 17 Monate vor der Potsdamer Konferenz, schrieb der englische Unterstaatssekretär des Foreign Office, Mr. Cadogan:
Die britische Regierung ist der Ansicht, daß
Polen das Recht haben müsse, sein Gebiet bis
zur Oder-Neiße einschließlich des Stettiner
Hafens auszudehnen.
Diese Auslassungen ließen sich noch vermehren durch eine Formulierung, die Winston Churchill am 27. Februar 1944 gebracht hat. Ich will mir ersparen, sie hier vorzutragen. Aber auf die Wiedergabe einer Erklärung möchte ich nicht verzichten, und zwar ist das die Erklärung Trumans nach der Rückkehr von der Potsdamer Konferenz am 9. August 1945, als er im amerikanischen Sender über diese Konferenz berichtete und über die Grenzziehung und Aussiedlung folgendes sagte:
Das Territorium, das Polen verwalten soll, wird Polen befähigen, seine Bevölkerung besser zu erhalten. Es wird Polen mit einer kürzeren und leichter zu verteidigenden Grenze mit Deutschland versehen. Von Polen besiedelt, wird es eine einheitliche Nation.
Allerdings mag diese Erinnerung im Zeichen der Uralstürmerei der Herren Staatssekretäre Hallstein und Lenz unangenehm sein.
Aber noch eine andere Frage spielt im Zusammenhang mit der Behandlung des § 1 eine Rolle, nämlich Ihre Bescheidenheit, den Kreis so eng zu gestalten, daß wirklich nicht all die erfaßt werden, die nach unserer Meinung erfaßt werden müssen. Der von Ihnen aufgestellte Katalog weist außerordentliche Lücken auf. Wir haben deshalb in unserem Antrag eine Ergänzung dieser Lücken vorgenommen, indem wir unter Ziffer 3 sagen:
nach Abschluß der allgemeinen Aussiedlungsmaßnahmen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten, aus Danzig, Estland, Lettland,
Litauen, aus der Sowjetunion, aus Polen, aus
der Tschechoslowakei, aus Ungarn, Rumänien,
Bulgarien, Jugoslawien, Albanien, ferner aus
Italien, Österreich, Frankreich, aus dem Saar-
gebiet, aus Luxemburg, Belgien, Holland,
Dänemark, Spanien, England und Übersee ausgewiesen wurde und diese Länder verlassen
hat,....
Wir sind der Ansicht, daß auch diese mit in den Rahmen dieses Gesetzes einbezogen werden müssen. Verkennen Sie doch nicht: 1945/46 wurden die Aussiedlungen auf Grund der Potsdamer Beschlüsse durchgeführt. Die Potsdamer Beschlüsse beziehen sich auf die deutsche Bevölkerung oder
Bestandteile derselben, die in Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn zurückgehalten worden sind und nach Deutschland übergeführt werden müssen. Unter Berufung auf diese Beschlüsse wurden aus Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn 5 Millionen Deutsche ausgesiedelt.
Gleichzeitig mit den Umsiedlungen auf Grund des Potsdamer Abkommens fanden aber nach 1945 noch andere Aussiedlungen statt. Ohne Zustimmung durch die Potsdamer Konferenz oder eine andere internationale Instanz wurden aus Ländern, die nicht jenseits, sondern diesseits des Eisernen Vorhangs liegen, aus Ländern, an deren Regierungen keine Kommunisten teilnehmen, aus Österreich, Jugoslawien, Italien, Frankreich, Luxemburg, Holland, Dänemark, Spanien und aus den überseeischen Gebieten mindestens 2 Millionen Deutsche ausgesiedelt. Allein die Verbände der Westvertriebenen betreuen 850 000 Personen, die aus den westlichen Ländern nach 1945 ausgewiesen wurden. Aus dem von einer christlich-sozialdemokratischen Regierung beherrschten Österreich wurden 360 000 Deutsche ausgewiesen, und Tito, der besondere Freund des Westens, wies über 400 000 Deutsche aus.
— Ein gewaltiger Irrtum!
— Doch!
Ich glaube, daß die Zahlen, die mit dem § 1 zusammenhängen, einmal zusammengefaßt werden müssen: Rückführungen durch die NSDAP bis 1939 1 Million — um ein richtiges Bild zu bekommen —, Evakuierungen durch die Hitlerregierung 1944 bis 1945 3,5 Millionen, Aussiedlung auf Grund der Potsdamer Beschlüsse 5 Millionen und Aussiedlung ohne internationale Beschlüsse 2 Millionen; Gesamtzahl der Flüchtlinge 11,5 Millionen.
Ich glaube, meine Damen und Herren, wenn Sie hier ein Gesetz verabschieden, daß in § 1 so unzulänglich ist, dann ist es Pflicht, im Interesse der historischen Wahrheit auch diese Zahlen festzustellen. Sie können der historischen und geschichtlichen Wahrheit dienen, wenn Sie unserem Antrag zustimmen.
Wird hierzu das Wort gewünscht? — Das Wort hat der Abgeordnete Ehren.
Ganz kurz zu den Ausführungen meines Vorredners. Der Redner meint, daß die Alliierten den Ausweisungen zugestimmt hätten. Das war damals der Fall. Aber ich glaube, wir müssen doch auch zugeben, daß die Alliierten zum mindesten heute eine andere Auffassung haben. Da stehen wir auf dem Standpunkt,
daß nach dem Bibelwort im Himmel über einen Sünder der Buße tut, mehr Freude ist als über einen Gerechten, der der Buße nicht bedarf. Aber im übrigen, meine Herren von der KPD, möchte ich Ihnen im Namen der Ostvertriebenen folgendes sagen: Uns interessiert gar nicht so sehr, was die Alliierten zu dieser Frage sagen; uns interessiert viel mehr die Stellungnahme deutscher Bundestagsabgeordneter, und die Stellungnahme, die Sie in der Frage der Ostvertriebenen einzunehmen be-
lieben, die kann ich nur als eine Unverschämtheit gegenüber den Ostvertriebenen betrachten.
Weitere Wortmeldungen? — Dann lasse ich über diesen Antrag abstimmen. Wer für die Annahme der Ziffern 1 und 2 des Änderungsantrags Umdruck Nr. 760 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt.
Wer für § 1 in der Auschußfassung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen die Stimmen der kommunistischen Gruppe angenommen.
Ich rufe § 2 auf. Auch hier ist ein Änderungsantrag der kommunistischen Gruppe angekündigt, Umdruck Nr. '760 Ziffer 3. Das Wort hat der Abgeordnete Kohl.
Meine Damen und Herren, in § 2 beantragen wir ebenfalls eine grundsätzliche Änderung. In dem vorliegenden Entwurf dieses Gesetzes machen Sie den Versuch, einen Vertriebenenstand auf ewige Zeiten zu schaffen. Sie verweigern dabei die Zuerkennung der deutschen Staatsangehörigkeit für all die Flüchtlinge und Ausgewiesenen, die vor ihrer Flucht oder Aussiedlung die deutsche Staatsangehörigkeit nicht besessen haben. Entsinnen Sie sich bitte der Debatten, die im Zusammenhang mit unserem Antrag am 1. Juni 1950 im Bundestag stattgefunden haben; denn auch damals haben wir einen Antrag vorgelegt, der die Zuerkennung der Staatsbürgerschaft für die Flüchtlinge und Ausgewiesenen, die aus den Gebieten stammen, die vor 1938 nicht zum Reich gehört haben, vorsah. Es war damals der Herr Bundesminister Lukaschek, der im Auftrag der Bundesregierung gegen den Antrag sprach, und zwar mit der sehr zweideutigen Formulierung, daß mit der Zuerkennung der Staatsangehörigkeit der Verzicht auf die 'alte Heimat ausgesprochen würde. Darin lag bereits ein politisches Bekenntnis; aber im Zusammenhang mit dem vorliegenden Gesetz beantragen wir bewußt neuerlich die Zuerkennung der deutschen Staatsangehörigkeit für diesen Personenkreis. Wir sehen uns zu diesem Antrag veranlaßt, weil trotz gerichtlicher Entscheidungen immer noch staatliche und öffentliche Behörden und Dienststellen an dem Begriff der Staatenlosigkeit für diesen Teil der Flüchtlinge und Ausgewiesenen, die vor ihrer Flucht oder Ausweisung die deutsche Staatsbürgerschaft nicht besessen haben, festhalten. Wir beantragen- diese Änderung im Einklang mit der Forderung dieser Menschen, die für die Zugehörigkeit zur deutschen Nation die höchsten Opfer gebracht haben.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich lasse abstimmen. Wer für diesen Änderungsantrag Umdruck Nr. 760 Ziffer 3 ist, den bitte ich, die Hand zu heben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt.
Ich lasse über § 2 in der Ausschußfassung abstimmen. Wer für die Annahme ist, den bitte ich,
I die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen die Stimmen der kommunistischen Gruppe angenommen.
§ 3. Auch hier ist ein Änderungsantrag der kommunistischen Gruppe angekündigt, und zwar Ziffer 4 des Umdrucks Nr. 760. Das Wort zur Begründung hat Herr Abgeordneter Müller.
Meine Damen und Herren! Es scheint mir -notwendig zu sein, bei der Begründung unseres Streichungsantrags zu § 3 — und ich denke, Herr Präsident, Sie sind damit einverstanden, daß ich damit auch gleichzeitig unseren Antrag auf Streichung von § 4 einbeziehe — etwas näher auf die Zusammenhänge einzugehen, die bei der Frage der sogenannten Ostzonenflüchtlinge bestehen. Wir haben beim vorhergehenden Tagesordnungspunkt schon ein gewisses Präludium zu dieser Frage der sogenannten Ostzonenflüchtlinge vernommen. Ich könnte mir vorstellen, daß bei meinen Ausführungen vielleicht der eine oder der andere, dem sachliche Argumente gegenüber dem, was ich auszuführen habe, fehlen, dazu verleitet wird, diese Argumente durch die Lautstärke der Zwischenrufe oder durch sonstige Bemerkungen zu ersetzen.
Meine Damen und Herren, der Herr Minister Dr. Lukaschek hat in einer Berliner Rede auch Bemerkungen über die Ursachen des sogenannten Ostzonenflüchtlingsproblems gemacht. Er hat in diesem Zusammenhang als Gründe dafür, daß sich die Menschen aus der Deutschen Demokratischen Republik nach dem Westen abgesetzt haben, Kolportierung und Verbreitung von Gerüchten angegeben; andere wiederum fühlten sich bedroht, ohne bedroht zu sein. Eine andere Kategorie hat er damit angesprochen, daß ihnen ein besseres Leben in Westdeutschland versprochen worden sei oder sie es erwarten. Er sprach auch hinsichtlich der Zusammensetzung dieser sogenannten Ostzonenflüchtlinge von einem großen Prozentsatz asozialer und krimineller Elemente. Als eine weitere Kategorie bezeichnete er die, die sich einer drohenden Bestrafung entziehen wollten. In seinen heutigen Ausführungen hat der Herr Minister als einen weiteren Grund den Kalten Krieg angegeben.
Es ist bekannt, daß wir Kommunisten die Politik des Herrn Bundesministers mit aller Schärfe bekämpfen. Wenn er aber doch zumindest den Versuch machte, in einer etwas sachlichen Form auf bestimmte Motive einzugehen, die mit diesem sogenannten Ostzonenflüchtlingsproblem zusammenhängen, dann möchte ich an die Kollegen der sozialdemokratischen Fraktion im Zusammenhang mit den Ausführungen eines der Redner dieser Fraktion zu dem vorhergehenden Punkt der Tagesordnung die Frage richten, was denn eigentlich die Motive für das aggressive Auftreten des Abgeordneten Wehner sind. Ich denke, daß sich die Kollegen der sozialdemokratischen Fraktion doch wohl darüber im klaren sein müßten, was es bedeutet, wenn ein Mann, der nicht wegen politischer Differenzen, sondern wegen schwerwiegenden ehrenrührigen Verhaltens aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen worden ist,
immer wieder den Versuch machen muß, durch eine solche aggressive Art und Weise des Auftretens gegen die Kommunisten zu zeigen, wer er ist.
Ich denke, wir sollten eine sachliche Form der Auseinandersetzung mit sachlichen Argumenten wählen und nicht diese Form.
Herr Abgeordneter Müller, bekennen Sie sich zu dem Vorwurf, daß der Abgeordnete Wehner eines ehrenrührigen Verhaltens schuldig ist?
Aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen wurde, habe ich gesagt.
Ich frage Sie, ob Sie sich zu diesem Vorwurf bekennen.
Ich habe gesagt, daß er wegen ehrenrührigen Verhaltens aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen worden sei.
Bekennen Sie sich selbst nicht zu diesem Vorwurf?
Doch, selbstverständlich!
Dann erteile ich Ihnen einen Ordnungsruf.
Ich sage also, es kommt darauf an, daß gerade wegen der großen Bedeutung dieser Frage von allen Seiten der Versuch gemacht werden muß, einen sachlichen Ton in die Auseinandersetzung hineinzubringen und nicht so zu verfahren, wie es bei dem vorhergehenden Punkt geschehen ist.
Der Herr Minister hat also auf die Zusammensetzung der sogenannten Ostzonenflüchtlinge
und auf die Hintergründe und Ursachen des Problems hingewiesen. Er hat bereits zwei Kategorien angesprochen. Ich möchte die eine als die der Irregeführten und Verleiteten, die andere als die der Kriminellen bezeichnen. Dazu kommt eine dritte Kategorie. Das sind jene, die entscheidende Schuld an diesen Zuständen tragen. Ich meine damit die Agenten, Hetzgruppen und Propagandazentralen in der Bundesrepublik, die ihren verlängerten Arm nach dem Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik haben. Ich werde darauf noch im einzelnen zu sprechen kommen.
Meine Damen und Herren, ich hatte bereits im Januar Gelegenheit, die Zeitung „Die Welt" zu zitieren. Diese ist auf Grund eigener Untersuchungen in West-Berlin zu gewissen Feststellungen gekommen. Ihr Ergebnis möchte ich dahin zusammenfassen, daß sich auf Grund der Propaganda insbesondere des Hetzsenders RIAS-Berlin,
der den Menschen goldene Berge, Freiheit, Demokratie und Recht im Westen verspricht, manche haben verleiten lassen, aus dem Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik zu gehen. Die gleiche Zeitung stellt fest, daß diese Menschen dann, als sie nach West-Berlin oder Westdeutschland kamen, erleben mußten, wie es mit diesen
Versprechungen von RIAS-Berlin in Wirklichkeit bestellt ist, daß sich ihrer die Verzweiflung bemächtigte. Das ist ein Resultat dieser Hetze. Herr Minister, ich könnte Ihnen die Frage stellen: Wann wird denn endlich einmal gegenüber diesen Leuten von RIAS-Berlin zugepackt werden, die mit ihrer Hetze die Menschen irreführen, die ihnen sogar Anleitungen zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit geben? Wann werden diese Leute verhaftet und unter Anklage und vor Gericht gestellt?
Das ist also eines der Resultate dieser Propagandaarbeit von RIAS-Berlin, der zu seinem Teil dazu beiträgt, die Menschen irrezuführen und zu verleiten, daß sie sich nach dem Westen absetzen.
Bei dem vorhergegangenen Tagesordnungspunkt, bei dem von den sogenannten Flüchtlingsbauern gesprochen worden ist, haben wir ein großes Geschrei gehört. Meine Damen und Herren, es ist auf dem Gebiete der Deutschen Demokratischen Republik noch niemand deswegen verfolgt oder bestraft worden, weil er etwa sein Ablieferungs-Soll nicht erfüllt hat.
Wenn allerdings ein solcher Bauer, der sich aus der Deutschen Demokratischen Republik abgesetzt hat, dazu angeleitet worden ist, wie er nach den mir gewordenen Mitteilungen im Nordwestdeutschen Rundfunk erklärt hat, den Boden nicht zu bestellen und das Vieh verkommen zu lassen, dürfen Sie sich nicht wundern, daß da zugegriffen wird.
– Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen ja gleich bei der Einleitung gesagt: Ihre „Argumente" gegen meine Argumente!
Der Herr Minister hat auch von kriminellen und, wie er es formuliert hat, asozialen Elementen gesprochen. Ich brauche auf die in diesem Hause von mir bereits zweimal vorgetragenen Tatsachen aus den Lagern nicht mehr einzugehen. Sie, die Bundesregierung und die Länderregierungen, sind über die Zusammensetzung dieser Art von sogenannten Ostzonenflüchtlingen informiert. Ich möchte aber auf eine dritte Kategorie zu sprechen kommen, und ich glaube, hier liegt eine der entscheidenden Fragen, warum es überhaupt ein solches Problem gibt. Mein Freund Kohl hat bereits die politische Seite dieser Frage beleuchtet. Man braucht diese Hetze, und man organisiert die Abwanderung aus den Gebieten der Deutschen Demokratischen Republik.
Man braucht sie im Zusammenhang mit der Gesamtkonzeption der Politik der Bundesregierung und ihrer amerikanischen Kompagnons.
Hier, meine Damen und Herren, sind Stellen tätig, die ich an Hand von Dokumenten kurz beleuchten möchte, die Ihnen vielleicht bekannt sind. Der „Industriekurier" — –
— Ich weiß, daß die Argumente bei Ihnen nicht durchschlagen, Herr Kollege! Das ist mir absolut verständlich.
Der „Industriekurier" hat im Zusammenhang mit
den bekannten Märchen über einen angeblichen
östlichen Antisemitismus die Tätigkeit von Agenten bestätigt, und er schreibt in diesem Leitartikel: Man muß sich darüber klar sein, daß die dauernden Parteiausschlüsse im Westen und Verhaftungen im Osten Deutschlands nicht nur einer eingebildeten Hysterie entsprechen. Es sind tatsächlich Agenten am Werk, die den Kommunismus in dieser Stunde seiner Herrschaft an den Westen verraten, vielleicht sogar versuchen zu verkaufen.
Und um den Begriff des Agenten zu erläutern, schreibt der „Industriekurier":
Im Westen versteht man darunter geheim arbeitende Saboteure, die zum großen Teil aus finanziellen Motiven der Sache Abbruch tun, der sie sich äußerlich verbunden haben.
Und er stellt schließlich fest:
Die Bundesrepublik kennt sehr viele derartige amtliche, private und von großen politischen Organisationen unterhaltene Informationsdienste.
Meine Damen und Herren! Hier bestätigt also ein maßgebendes Organ der deutschen Wirtschaft das Vorhandensein und die Tätigkeit solcher Agentenzentralen.
Wenn ich in diesem Zusammenhang ergänze, daß die „Deutsche Zeitung und Wirtschaftszeitung" vom 6. September 1952 unter der Überschrift „Im Kampf gegen das SED-Regime — Bilanz des Widerstandes, der von den Westberliner Zentralen aus gesteuert wird" feststellt, daß es sicherlich mehr als 15 Institutionen in 'West-Berlin gibt, die sich dem Widerstand gegen die Deutsche Demokratische Republik verschrieben haben — solche Agentenorganisationen wie den „Untersuchungsausschuß freiheitlicher Juristen", die berüchtigte Verbrechergruppe, die sich „Kampfgruppe gegen die Unmenschlichkeit" nennt,
oder jene Ostbüros der CDU, der SPD und der
FDP, die alle ein und dieselbe Aufgabe haben —,
wenn in diesem Zusammenhang dieselbe Zeitung
— also die „Deutsche Zeitung und Wirtschaftszeitung" vom 6. September — schreibt:
Es ist bekannt, daß ausländische Nachrichtendienste versuchen, die Kontakte zwischen der Bevölkerung der Ostzone und den Westberliner Stellen für ihre Zwecke, d. h. auch für Zwecke der militärischen Spionage, auszunutzen;
— ja, meine Damen und Herren, dann dürfen Sie sich nicht wundern, daß gegen diese Agentenzentralen und ihre Beauftragten zugepackt wird, und wir freuen uns, daß energisch zugepackt wird.
Wir sind der Meinung,
daß die §§ 3 und 4 dieses Gesetzes unannehmbar für jeden anständigen Deutschen sein müßten.
Wir haben feststellen müssen, wie diese Gruppen arbeiten. Namen wie Tillich usw. sind Symbol für deren Tätigkeit, und ich denke, meine Damen und Herren, daß die Tätigkeit dieser Organisationen in der Linie der Organisierung der Hetze, der Verwirrung, der Sabotage dazu führt und geführt hat, daß es zu einem solchen Problem von Ostzonenflüchtlingen überhaupt gekommen ist.
Der Sonderbevollmächtigte der Bonner Regierung, Dr. Nahm, mußte in einer Pressekonferenz zugeben, unter denjenigen, die sich verleiten ließen, ihren Arbeitsplatz und ihre Wohnungen in der DDR zu verlassen, habe eine starke Ernüchterung um sich gegriffen, als sie die wahren Verhältnisse in Westdeutschland sahen. Sie hätten die westdeutschen Zustände falsch eingeschätzt.
Nach Mitteilung der niedersächsischen Zollbehörden hat die Zuwanderung von Menschen aus der DDR nach Niedersachsen gegenwärtig ihren Tiefstand erreicht.
Demgegenüber sind aber im Januar allein in Niedersachsen 136 Menschen gezählt worden, die nach der Deutschen Demokratischen Republik gegangen sind.
Lachen Sie nicht zu früh, meine Damen und Herren!
Ich glaube, vor allem Sie aus der Regierungskoalition
hätten vielleicht Veranlassung,
einmal dem Organ des Herrn Bundeskanzlers, dem „Rheinischen Merkur", die Frage vorzulegen, ob er nicht bereit ist, genau wie im vergangenen Jahr eine Aufstellung darüber zu veröffentlichen, wieviel Facharbeitskräfte aus Westdeutschland nach der Deutschen Demokratischen Republik gegangen sind.
dann dürfen Sie davon keine Notiz nehmen, denn das zerstört Ihr Konzept der Hetze und der Propaganda.
Aber vielleicht lassen wir einen anderen über Ihr Zahlenspiel etwas sagen. Vielleicht erinnern Sie sich dessen, was Staatssekretär Dr. Schreiber sagte.
Herr Abgeordneter Müller, es kommt noch eine dritte Lesung und eine allgemeine Aussprache dazu. Was Sie jetzt tun, paßt nicht in eine Aussprache zweiter Lesung. Sprechen Sie zu §§ 3 und 4 und damit zur Sache!
Herr Staatssekretär Dr. Schreiber hat in der 246. Sitzung, also am 22. Januar dieses Jahres, hier im Plenum ausgeführt, „daß die gemeinsame Feststellung über die Zahl dieser Illegalen wesentlich unter den Zahlen liegen wird, die man bisher in dieser Debatte benutzt hat". Ich glaube, das ist eine schallende Ohrfeige, und wenn wir die effektiven, objektiven Zahlen einmal bekommen werden, dann wird sich erweisen, daß die ganze Art und Weise dieser Propaganda nur dem einen Zweck dient: der Hetze gegen die Deutsche Demokratische Republik, gegen den Osten, um die Menschen reif zu machen für das, was von hier aus geplant wird.
Ich denke, in diesem Zusammenhang noch eine Bemerkung machen zu müssen. Wenn ein namhafter bzw. ein maßgebender Vertreter eines Aufnahmelagers auf die Frage, wie er denn eigentlich feststellen könne, aus welchen Gründen sich dieser oder jener aus der Deutschen Demokratischen Republik abgesetzt hat, die Erklärung abgibt, daß sie mit Hilfe der ausländischen Geheimdienste, der Ostbüros und ihrer Leute an Ort und Stelle die Nachprüfung vornehmen können, dann spricht diese Tatsache, glaube ich, für sich, nämlich dafür, daß man die Abwanderung aus der Deutschen Demokratischen Republik nach dem Westen organisiert.
Wir verlangen die Streichung der §§ 3 und 4. Wir sind der Meinung, die ganze Frage kann einer Lösung entgegengeführt werden, indem einmal endlich mit der Hetze aufgehört wird,
die Tätigkeit der Agentenzentralen unterbunden
wird und gegen Rias-Berlin mit aller Entschiedenheit und Konsequenz vorgegangen wird. Vor allen
Dingen aber wird das ganze Problem gelöst werden,
wenn wir endlich zur deutschen Einheit kommen.
Das Wort hat der Abgeordnete Mellies.
Meine Damen und Herren! Damit das, was hier von der kommunistischen Seite gesagt wird, auch die richtige Wertung erfährt, möchte ich nur folgendes feststellen. Erstens: Es ist selbstverständlich, daß diejenigen, die damit rechnen müssen, daß ihnen eines Tages, ohne daß ein Grund dafür vorhanden ist, auch der Strick um den Hals gelegt wird, von dieser Stelle aus all das sagen müssen, was ihnen vom Osten her befohlen wird.
Ich will damit sagen — damit Sie es ganz genau
wissen, verehrte Kollegen von der kommunistischen
Gruppe —, daß das meiste von dem, was Sie hier
sagen, auch von Ihnen wider besseres Wissen und Gewissen gesagt wird.
(Vizepräsident Dr. Schäfer übernimmt den
Vorsitz.)
Zweitens: Es ist selbstverständlich, daß diejenigen, die genötigt sind, Verbrechen über Verbrechen zu verteidigen, von dieser Stelle aus in die Welt hinausschreien müssen, daß auch andere Verbrechen begehen.
Drittens möchte ich noch sagen, daß über Ehrenhaftigkeit und Unehrenhaftigkeit, über ehrenhaftes und unehrenhaftes Verhalten überhaupt nur jemand reden kann, der noch Sinn für sittliche Begriffe und menschliche Werte besitzt.
Da dieser Sinn bei der Kommunistischen Partei entweder restlos verlorengegangen ist oder da Sie diesen nicht mehr haben dürfen, sind Sie gezwungen, über das ehrenhafte oder unehrenhafte Verhalten anderer hier zu reden. Wie es zu werten ist, das wissen wir alle. Jedenfalls hat kein Kommunist das Recht, von dieser Stelle aus über das ehrenhafte oder unehrenhafte Verhalten eines anderen Mitglieds dieses Hauses zu reden.
Meine Damen und Herren! Es ist der Debatte nicht förderlich, wenn allzu laute Privatgespräche stattfinden.
Die Rednerliste zu § 3 ist erschöpft. Wir können nun zur Abstimmung kommen. Es liegt ein Änderungsantrag der KPD auf Umdruck Nr. 760 Ziffer 4 vor. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Der Antrag ist gegen wenige Stimmen abgelehnt.
Ich bitte dann diejenigen, die § 3 in der Fassung der Vorlage zustimmen, die Hand zu heben. — Gegenprobe! — Gegen wenige Stimmen angenommen.
Ich rufe nun § 4 auf. Dazu liegen zwei Änderungsanträge vor, der Antrag Dr. Kather Umdruck Nr. 765 und ein Antrag der KPD Umdruck Nr. 760 Ziffer 5. Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Kather.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie ich schon bei meinem Bericht sagte, haben wir in § 3, den wir soeben verabschiedet haben, den Flüchtlingsbegriff erweitert. Während bisher zwischen denjenigen, die nach 1945 aus der Sowjetzone fliehen mußten, und denjenigen, die vorher hier waren und nicht zurückkehrten, ein Unterschied nicht bestand, hat der Ausschuß bekanntlich mit Stimmenmehrheit jetzt einen solchen Unterschied geschaffen. Nach der uns vorliegenden Fassung des § 4 hat man darin den alten Begriff „Gefahr für Leib und Leben und für die persönliche Freiheit" belassen.
Es ist meiner Ansicht nach immer mißlich, bei einer Gruppe eine unterschiedliche Behandlung einzuführen. Man sollte das nicht ohne zwingende Gründe tun, und ich vermag solche Gründe hier nicht anzuerkennen. Die Tatsache, daß die eine
Gruppe aus Flüchtlingen und die andere aus Nichtrückkehrern besteht, rechtfertigt eine unterschiedliche Behandlung nicht. Denselben Unterschied haben wir auch bei den Vertriebenen. Bei den Vertriebenen ist eine große Gruppe geflohen, die andere ist vertrieben oder ausgewiesen worden. Da machen wir keinen Unterschied. Das Kriterium ist aber bei beiden dasselbe, nämlich, daß sie nicht zurückkehren können.
Ich glaube, die Damen und Herren, die eine andere Auffassung haben, übersehen immer, daß auch bei den Nichtrückkehrern eine Prüfung erfolgen muß und festgestellt werden muß, daß sie damals nicht zurückkehren konnten. Wenn wir aber diesen Unterschied behielten, könnte in Zukunft praktisch folgendes passieren. Die Kommission stellt bei einem Nichtrückkehrer fest, daß er sich, wenn er zurückkehrte, zwar einer besonderen Zwangslage aussetzen würde, aber keiner Gefahr für Leib und Leben und für die persönliche Freiheit. Dann müßte er zurückkehren, könnte dann aber auf der Hinterhand umdrehen, wieder hierherkommen und hätte dann das Recht, hier als Flüchtling anerkannt zu werden; denn dann steht ihm ja der Begriff der besonderen Zwangslage auf Grund des § 3 zur Seite. Das ist meiner Ansicht nach unmöglich. Ich möchte sogar so weit gehen, daß ich es für zweifelhaft halte, ob diese unterschiedliche Behandlung mit der Verfassung vereinbar ist.
Aber wenn das nun schon allgemein Geltung hat, so trifft es in verstärktem Maße zu, wenn man auf einen Tatbestand zurückgehen muß, der zeitlich acht Jahre zurückliegt. Man wird mir vielleicht entgegenhalten, es sei sehr schwierig und problematisch, heute noch festzustellen, daß der Mann damals wirklich in eine besondere Zwangslage gekommen wäre. Darauf möchte ich erwidern: es ist auch sehr problematisch, heute, nach acht Jahren, festzustellen, daß jemand, wenn er zurückgegangen wäre, sich einer Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt hätte. Wir wollen uns doch auch keine falschen Vorstellungen über den praktischen Nutzeffekt machen, den eine solche Prüfung nach acht Jahren haben muß. Deshalb bin ich der Auffassung, daß es richtiger wäre, beide Begriffe und die Voraussetzungen für beide Gruppen gleichzuziehen, also auch der anderen Gruppe den Begriff der besonderen Zwangslage zuzubilligen. Ich befinde mich in Übereinstimmung auch mit den Regierungsvertretern, wenn ich sage, daß kein großer Nutzeffekt dabei herauskommen wird, daß es nicht viel Unterschied machen wird. Da es sich aber immerhin um eine Gruppe von etwa 7- bis 800 000 Menschen handelt, nicht, die betroffen werden — so viel sind es ja nicht, denn die meisten haben ja schon Fuß gefaßt —, die sich aber mit ihren Schicksalsgenossen betroffen fühlen würden, sollte man das ohne Not nicht machen.
Ich bitte deshalb, den Änderungsantrag anzunehmen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Bielig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesamtdeutsche Ausschuß, der, das betone ich ausdrücklich, einstimmig den Beschluß gefaßt hat, die Fassung der Regierungsvorlage insofern zu ändern, als er einen neuen § 4 einzufügen für richtig hielt, ist von der Voraussetzung ausgegangen, daß wir es bei den Sowjetzonenflüchtlingen mit einer Gruppe von Menschen zu
tun haben, denen nicht nur unser politisches Augenmerk zu gelten hat, sondern die ein ganz fest umrissener politischer Begriff sind. Herr Kollege Dr. Kather, es kommt uns keineswegs darauf an, eine Abstufung in irgendeiner wertmäßigen Beziehung vorzunehmen, sondern es ist uns darauf angekommen, den Begriff des Sowjetzonenflüchtlings ganz klar und eindeutig zu umreißen.
Ich glaube, wenn der Gesamtdeutsche Ausschuß diesen Beschluß einstimmig gefaßt hat, so geht daraus hervor, daß dieser Ausschuß, der sich mit all den Fragen, die mit der Sowjetzone zusammenhängen, kraft seiner Aufgabe ganz besonders befaßt, dafür auch seine Gründe gehabt hat. Diese Gründe sind ausgesprochen politischer Natur, das möchte ich in diesem Zusammenhang wiederholen. Ich möchte ausdrücklich feststellen, daß meine Fraktion den Antrag, den der Herr Kollege Dr. Kather soeben begründet hat, ablehnt. Wir sind der Meinung, daß die Formulierung in dem § 4, wie er uns in der Ausschußfassung vorliegt, in dem es im letzten Halbsatz heißt: „ohne sich offensichtlich einer vor ihm nicht zu vertretenden und unmittelbaren Gefahr für Leib und Leben oder die persönliche Freiheit auszusetzen", den Tatbestand eindeutig umreißt. Was die Personengruppe anlangt, die davon betroffen wird, so gebe ich Herrn Kollegen Dr. Kather völlig recht, es wird sehr schwer, es wird sogar unmöglich sein, in jedem einzelnen Fall die Voraussetzungen zu prüfen. Es ist aber notwendig, daß diese Prüfung durchgeführt wird, weil nur so eine reinliche Scheidung dieser beiden Flüchtlingsgruppen, eine Differenzierung durchgeführt werden kann.
Was die Heimkehrer betrifft, so möchte ich ausdrücklich betonen — ohne daß auf diesen Paragraphen zurückgegriffen zu werden braucht —, daß sie selbstverständlich als eine Personengruppe anzusehen sind, für die die in § 4 festgelegte Gefahr für Leib und Leben von vornherein gegeben ist.
Ich bitte deshalb, den Änderungsantrag abzulehnen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache zu § 4 ist damit geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung zunächst über den Antrag des Abgeordneten Dr. Kather Umdruck Nr. 765. Ich bitte diejenigen, die dafür sind, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Die Gegenstimmen waren in der Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen dann zur Abstimmung über den Antrag der KPD Umdruck Nr. 760 Ziffer 5. Ich bitte diejenigen, die dafür sind, die Hand zu heben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen die Stimmen der KPD abgelehnt.
Wir stimmen nun über § 4 in der Fassung der Vorlage ab. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen wenige Stimmen angenommen.
Ich rufe nun § 5 auf. Dazu liegen keine Änderungsanträge und keine Wortmeldungen vor. Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die § 5 in der Fassung der Vorlage zustimmen, die Hand zu heben. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
Ich rufe § 6 auf. Dazu liegen ein Änderungsantrag de Vries Umdruck Nr. 767 und ein Änderungsantrag der KPD Umdruck Nr. 760 Ziffer 6 vor. Keine Wortmeldungen? — Das Wort hat Herr Abgeordneter de Vries.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da der Paragraph, zu dem Herr Kollege Dr. Trischler und ich einen Änderungsantrag gestellt haben, im allgemeinen wenig besprochen worden ist, darf ich mir erlauben, ihn vorzulesen. Der Paragraph lautet in der Fassung des Vertriebenenausschusses folgendermaßen:
Deutscher Volkszugehöriger im Sinne dieses Gesetzes ist, wer sich in seiner Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat, sofern dieses Bekenntnis durch bestimmte Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur bestätigt wird.
Der Änderungsvorschlag von Herrn Dr. Trischler und mir lautet:
In § 6 wird der Nachsatz, beginnend mit den Worten „sofern ...", gestrichen und durch folgenden Satz ersetzt:
Die Vertreibung ist als Beweis für das erfolgte Bekenntnis zum deutschen Volkstum in der Heimat anzusehen.
Herr Dr. Trischler und ich sind bei diesem Antrag von folgenden Überlegungen ausgegangen. Die Bestimmung der Volkszugehörigkeit ist eine der schwierigsten Fragen des ganzen Nationalitätenproblems. Ich könnte Ihnen eine ganze Reihe von wissenschaftlichen Untersuchungen oder von praktischen Versuchen der Gesetzgebung vieler Staaten, insbesondere während der Zeit zwischen dem ersten und dem zweiten Weltkrieg, anführen, um Ihnen zu zeigen, wie um diese Frage gerungen worden ist. Dieses Gesetz macht nun den Versuch, neben dem Bekenntnis, das ja völlig klar ist, noch sogenannte objektive Merkmale einzuführen. Ich darf mich einen Augenblick mit diesen sogenannten objektiven Merkmalen befassen. Als erstes objektives Merkmal ist die Abstammung genannt. Ich habe heute mit dem Herrn Kollegen Schütz über diese Frage gesprochen. Er hat mir erzählt, daß in einem Kabinett, wenn ich nicht irre, des alten Österreichs drei deutsche und drei tschechische Minister saßen und daß die drei tschechischen Minister deutsche Namen und die drei deutschen Minister tschechische Namen trugen. Ich glaube, daraus ersieht man schon, daß die Abstammung im Sinne der Volkszugehörigkeit oft gar keine Bedeutung haben kann.
Als zweites objektives Merkmal ist die Sprache genannt. Ich stamme aus einem vielsprachigen Land. Ich darf sagen, daß ich neben meiner Muttersprache zwei Sprachen fast ebenso gut wie diese beherrsche. Bitte, entscheiden Sie nun nach der Sprache, welchem Volkstum ich angehöre.
Schließlich ist die Kultur als objektives Merkmal genannt. Die Kultur ist ein so komplexer und umfassender Begriff, daß es, glaube ich, völlig unmöglich ist, ihn in eine Gesetzgebung im Sinne eines konkret faßbaren Maßstabes als Beweis für die Volkszugehörigkeit einzuführen.
Deswegen werden die sogenannten objektiven Merkmale nur dazu führen, die Situation im Hinblick auf die Volkszugehörigkeit zu komplizieren. Einen Staat, der böswillig ist, ist die Möglichkeit gegeben, gerade durch die sogenannten objektiven
Merkmale die Volkszugehörigkeit bestimmter Personen in Frage zu stellen. Sie wissen, daß meine Volksgruppe, die deutsch-baltische, im Jahre 1939 umgesiedelt worden ist. Damals haben wir mit Ihren Freunden aus dem Osten einen schweren Kampf um jeden Menschen führen müssen, der unter bolschewistischem Druck das Land verlassen wollte. Dabei hat sich gezeigt, daß die sogenannten objektiven Merkmale sehr oft benutzt wurden, um zu verhindern, daß die deutsche Volkszugehörigkeit eines Menschen anerkannt wurde.
Ich möchte daher vorschlagen, daß das Hohe Haus die Fassung, die wir beantragt haben, annimmt. Ich darf dabei auf folgendes hinweisen. Herr Minister Lukaschek hat heute in seinen Ausführungen die Charta der Heimatvertriebenen erwähnt. Wir danken ihm dafür. Wir wissen aber ebensogut, daß diese Charta der Heimatvertriebenen noch zuwenig bekannt ist und leider auch mancherorts nicht richtig verstanden worden ist. Wir wissen, daß der von uns bekanntgegebene Verzicht auf Rache und Vergeltung mancherorts nur als taktisches Mittel angesehen worden ist. Da ich selbst maßgebend an der Schöpfung dieser Charta beteiligt gewesen bin — der erste Entwurf zu dieser Charta, der später nicht wesentlich verändert worden ist, stammt aus meiner Feder —, so darf ich mir erlauben, hierzu folgendes zu sagen. Dieser Verzicht auf Rache und Vergeltung, den wir ausgesprochen haben, ist kein taktisches Mittel, um vorubergehend irgendwo politische Vorteile zu erlangen, sondern entspricht unserer Grundhaltung. Wir stehen heute dazu, wir werden morgen und in Zukunft dazu stehen, auch dann, wenn es unter angespannten politischen Verhältnissen vielleicht einmal nicht ganz leicht sein wird, diesen Verzicht auf Rache und Vergeltung durch Taten unter Beweis zu stellen. Ich glaube, wir Heimatvertriebenen haben durch die Schopfung der Charta gezeigt, daß wir versucht haben, einen Stein zum. Neubau Europas zu schaffen.
Wenn nun in diesem Gesetz die Volkszugehörigkeit durch eine Fassung, die wir vorgeschlagen haben, de facto als ein unveräußerliches Menschenrecht einer freien Persönlichkeit anerkannt wird, dann glaube ich, daß wir alle — das Hohe Haus und damit die Bundesrepublik, und wir können in diesem Falle wohl sagen, Deutschland — eindeutig erklärt haben, daß die Zugehörigkeit zum Volkstum dem freien Entschluß eines jeden Menschen entspringen muß. Wenn wir das tun, dann können wir sicher sein, daß in der Entwicklung im Osten diese für die Zukunft Europas und des Ostens überaus wichtige Frage im freiheitlichen Sinne gelöst werden wird.
Das Wort hat der Herr Bundesvertriebenenminister.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich möchte bitten, diesen Antrag zurückzuziehen. Ich darf eine gewisse Historie für mich in Anspruch nehmen, daß die Fassung des § 6, die wir übernommen haben, die Literaturfassung ist. Ich kenne diesen Streit. Ich darf Ihnen aber folgende Erklärung abgeben. Die Tendenz Ihres Antrags wird von der Bundesregierung absolut geteilt, und ich erkläre, daß, wenn jemand vertrieben ist, dann die Vermutung dafür spricht, daß er als Heimatvertriebener anerkannt wird. Ich will jedoch die Dinge jetzt mal übertreiben. Denken Sie einmal an einen
Mann wie Kroupa. Wenn der nun plötzlich vertrieben wird, dann können wir ihm doch nicht das Recht zugestehen, daß er wegen der Vertreibung absolut als Heimatvertriebener anerkannt wird.
— Ja, wissen Sie, ich heiße Lukaschek und habe einen polnischen Namen. Also das sind schwierige Momente. Ich glaube, wenn ich Ihnen diese Erklärung über die Vermutung abgebe, dann können Sie den Antrag zurückziehen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter de Vries.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen von Herrn Minister Lukaschek kann ich persönlich sehr wohl verstehen, denn für eine Behörde ist es natürlich einfacher, dann zu handeln, wenn ganz bestimmte faßbare Merkmale vorliegen. Ich danke ihm für die Erklärung, daß die Tendenz meiner Ausführungen, wenn ich so sagen darf, mit der Absicht der Bundesregierung übereinstimmt. Der Antrag, den ich mit Herrn Dr. Trischler gestellt habe, bezweckt viel weniger, diesen Paragraphen des Gesetzes etwa deshalb zu ändern, weil wir Schädigungen für die Heimatvertriebenen befürchten, sondern ist vielmehr aus der Erwägung heraus eingebracht worden, daß die deutsche Gesetzgebung beispielhaft für die Zukunft vielleicht auch anderer Staaten werden soll.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Dann ist die Aussprache geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung, zunächst über den Änderungsantrag de Vries, Umdruck Nr. 767. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letztere ist zweifellos die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Nun stimmen wir ab über den Antrag der Gruppe der KPD, Umdruck Nr. 760 Ziffer 6. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Gegenprobe! — Das letztere ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich bitte nunmehr diejenigen, die dem § 6 in der Fassung der Ausschußvorlage zustimmen, die Hand zu heben. — Das ist die Mehrheit; damit ist der § 6 angenommen.
Ich rufe auf den § 7. Dazu liegt ein Änderungsantrag der KPD vor, Umdruck Nr. 760 Ziffer 7.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Kohl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben zu § 7 den Antrag auf Streichung gestellt, und zwar aus sehr sachlichen und nüchternen Erwägungen heraus. Es ist anzunehmen, daß dieser Gesetzentwurf nicht ohne Mitwirkung oder wenigstens entscheidende Beeinflussung der sogenannten Flüchtlingsorganisationen entstanden ist und daß auch die Zustimmung der amerikanischen Besatzungsmacht zu einer solchen Gesetzgebung von vornherein vorliegt. Wir sind aber der Meinung, daß die Fassung, so wie sie jetzt vom Ausschuß vorgesehen ist, eine Verewigung der Flüchtlingseigenschaft durch Hintertüren verfolgt. Es liegt deshalb nicht im Interesse der Flüchtlinge und Ausgewiesenen, daß auch nach ihrer Eingliede-
rung eine Trennung von der gesamten deutschen Bevölkerung aufrechterhalten bleibt. Das wird de facto mit der Ausschußfassung erreicht.
Ich möchte dabei noch auf eine sehr entscheidende Tatsache hinweisen. In der Begründung zu diesem Gesetzentwurf ist ein politisch weittragender Satz enthalten, der schon mehr als bedenklich ist, nämlich, daß mit der Verabschiedung dieses Gesetzes zugleich der Abschluß der Flüchtlingsgesetzgebung vollzogen sein soll. Sie wollen also mit der Verewigung des Flüchtlingsstandes eine fertige Tatsache schaffen, weil Sie glauben, daß es Ihnen dann gelingt, diese Menschen — wie ich bereits vorhin sagte — auf dem Koffer sitzen zu lassen und für Ihre politische Hetze gebrauchen zu können. Wir beantragen deshalb Streichung des § 7.
Da keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, ist die Aussprache geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung, zunächst über den Änderungsantrag der KPD, Umdruck Nr. 760 Ziffer 7. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letztere ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich bitte dann diejenigen, die § 7 in der Fassung der Ausschußvorlage zustimmen, die Hand zu heben. — Das ist zweifellos die Mehrheit; damit ist der Paragraph angenommen.
Ich rufe auf § 8 mit dem Änderungsantrag der KPD, Umdruck Nr. 760 Ziffer 8. Das Wort ist nicht gewünscht. Die Aussprache ist geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung, zunächst über den Änderungsantrag. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Gegenprobe! — Das letztere ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich bitte diejenigen, die § 8 in der Fassung der Ausschußvorlage zustimmen, die Hand zu heben. — Das ist die Mehrheit; § 8 ist angenommen.
Ich rufe auf § 9. Dazu liegen Änderungsanträge und Wortmeldungen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — § 9 ist angenommen.
Dann rufe ich auf § 10 mit dem Änderungsantrag der Föderalistischen Union, Umdruck Nr. 766 Ziffer 1.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Reismann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! § 10 Abs. 2 Ziffer 1 trifft nach unserer Auffassung einen Kreis von Personen, die nach dem Sinn und dem Zweck dieses Gesetzes nicht mehr betreut zu werden brauchen. Der Zweck dieses Gesetzes ist doch, in einer akuten Not Hilfe zu gewähren, und das im weitesten Sinne. Wenn man aber den Paragraphen so, wie er hier steht, akzeptierte, würde die Folge davon sein, daß auch noch nach zehn, fünfzehn, zwanzig Jahren geborene Kinder der jetzigen Ostzonenflüchtlinge darunter fallen, obwohl ihre Eltern längst eingegliedert sind. Das geht nach unserer Auffassung zu weit. Es geht insbesondere auch deswegen zu weit, weil wir unseren eigenen Mitbürgern, den einheimischen Geschädigten, solche Vergünstigungen auch nicht gewähren. Auch die Kinder der durch den Krieg um ihr Besitztum Gebrachten, die Kinder der Fliegergeschädigten, die Kinder der Spätheimkehrer, alle diese sind ebenfalls in ihrer Entwicklungsmöglichkeit gewaltig zurückgeworfen. Trotzdem gibt man auch diesen nicht die Möglichkeit, in den Stand der Eltern einzurücken, den diese bei Kriegsende gehabt haben. Wir sind deswegen der Ansicht, daß hier der Bogen überspannt ist, und bitten, Ziffer 1 des Abs. 2 zu streichen.
Den Geschädigten, den Vertriebenen und ihren Kindern, die bei der Vertreibung vorhanden waren — und, soweit sie minderjährig sind und ihrer Pflege und Betreuung unterstehen, auch noch wenn sie erwachsen sind und auf eigenen Füßen stehen —, wird also die ihnen geschuldete Hilfe zuteil.
Darüber hinaus müssen wir aber bedenken, daß wir hier einen Fonds zu verwalten haben, der den Geschädigten aller Kategorien zugute kommt. Was wir dem einen zuviel geben, nehmen wir dem anderen. Denn unsere Leistungsfähigkeit und unsere Möglichkeit zu helfen sind beschränkt. Das haben wir sehr oft den einheimischen Geschädigten entgegengehalten. Und hier für sage und schreibe — wörtlich zu nehmen — ungeborene Kinder zu sorgen, wenn wir für die Eltern sorgen, auch für die Zeit, wo die Eltern längst eingegliedert sein werden, das geht nach unserem Dafürhalten zu weit. Wir bitten deswegen, unserem Streichungsantrag zuzustimmen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Kather.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte, diesen Änderungsantrag abzulehnen. Die Kinder erhalten die Betreuung dann nicht, wenn die Eltern sie erhalten. Sie haben also ein selbständiges Recht nur, wenn die Eltern wegsterben. Für diesen Fall müssen wir ja für die Kinder irgendwie vorsorgen, die nachträglich geboren werden. Durch die Vorschrift des § 13, der vorsieht, daß eine Beendigung der Inanspruchnahme von Rechten und Vergünstigungen dann eintritt, wenn die Eingliederung erfolgt ist, ist von vornherein einer uferlosen Ausdehnung dieser Bestimmung entgegengetreten. Das Bedenken, das die Antragsteller gehabt haben, ist also nicht gerechtfertigt.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Vertriebene.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Dr. Kather hat mit Recht auf § 13 hingewiesen. Es ist aber noch ein viel wichtigerer Grund. Dieselbe Bestimmung steht im Wortlaut im Lastenausgleichsgesetz in § 230, und wir können uns hier nicht in eine Divergenz zum Lastenausgleichsgesetz bringen. Die Bedenken sind tatsächlich nicht gerechtfertigt.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Dann ist die Aussprache geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über § 10. Wir stimmen zuerst ab über den Änderungsantrag der Föderalistischen Union auf Umdruck Nr. 766 Ziffer 1. Ich bitte diejenigen, die dafür sind, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letztere ist die überwiegende Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich bitte nunmehr diejenigen, die dem § 10 in der Fassung der Ausschußvorlage zustimmen, die Hand zu heben. — Das ist die große Mehrheit; damit ist § 10 angenommen.
Ich rufe auf § 11. Dazu liegen weder Wortmeldungen noch Änderungsanträge vor. Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem § 11 in der Fassung der Ausschußvorlage zustimmen, die Hand zu heben. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
§ 12. Keine Wortmeldungen, keine Änderungsanträge. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe auf § 13. Dazu liegen Änderungsanträge der Föderalistischen Union auf Umdruck Nr. 766 Ziffern 2 und 3 und der Abgeordneten Dr. Dr. Nöll von der Nahmer, Dr. Hoffmann und Genossen auf Umdruck Nr. 759 Ziffer 1 vor. Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Dr. Nöll von der Nahmer .
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren! Es handelt sich bei unserem Änderungsantrag um eine grundsätzliche Frage. Wir haben nämlich die Sorge, daß § 13 in seiner jetzigen Fassung im Ergebnis dazu führen kann, daß der Heimatvertriebene schlechter gestellt würde als etwa der Kriegssachgeschädigte oder der Spätheimkehrer.
Man macht sich die Problematik am besten an einem praktischen Beispiel klar. Nehmen Sie an, ein Obersteuerinspektor aus Königsberg ist hier wieder als Obersteuerinspektor oder sogar vielleicht inzwischen auf Grund einer Beförderung in einer höheren Gruppe eingestellt worden. Der Mann hat hier wieder eine Wohnung; seine Familie ist hier. Ja, meine Damen und Herren, ist der Mann in diesem Fall dann nicht „eingegliedert"? Mir hat, wenn ich ihn recht verstanden habe, einer der Herren Kommentatoren zu diesem Gesetz — die Ministerialkommentare werden ja immer schon sehr zeitig ausgearbeitet — vorhin zugegeben, in diesem Fall müsse man wohl annehmen, daß dieser Obersteuerinspektor „eingegliedert" sei. Dann würde das aber zweifellos zu der Konsequenz führen können, daß diesem Obersteuerinspektor die Rechte aus § 33 a des Einkommensteuergesetzes genommen würden. Auf Grund der Bestimmung des § 19 dieses Gesetzes würde in seinen Flüchtlingsausweis A eingetragen werden, daß er nun eingegliedert sei, und für diesen Fall schreibt der § 13 in der jetzigen Fassung vor, daß er dann als Heimatvertriebener keine besonderen Rechte mehr hat.
Der Sinn der Bestimmung ist durchaus zu billigen. Wir wollen nicht, daß sich der Heimatvertriebene ewig als Heimatvertriebener fühlt. Wenn er also wieder so gestellt ist — wie er z. B. auch nach dem Lastenausgleichsgesetz gestellt sein soll —, daß er etwa eine eigene Wohnungseinrichtung hat usw., dann liegt kein Grund vor, weshalb er immer weiter unter dem besonderen Rubrum des Heimatvertriebenen leben soll. Aber ich halte es für ausgeschlossen, daß sich etwa der Heimatvertriebenenausschuß ausgerechnet auf den Standpunkt stellen wollte, daß Rechte, wie sie sich etwa aus § 33 a des Einkommensteuergesetzes ergeben, dem Heimatvertriebenen nun einfach genommen werden, auch wenn er noch keineswegs wieder etwa eine vollständige Wohnungseinrichtung erwerben konnte. Zweifelhaft scheint mir eine Interpretation, wie sie mir auch von einem Ministerialbeamten gegeben wurde; er würde den Begriff „eingegliedert" einschränkend so interpretieren, daß der Mann erst dann „eingegliedert" wäre, wenn er in meinem Beispiel wieder eine vollständige Wohnungseinrichtung hätte.
Gerade § 33 a . des Einkommensteuergesetzes, über den in den nächsten Wochen noch manches gesagt werden muß, ist von großem Wert, weil die Heimatvertriebenen jetzt erst anfangen, etwas zu verdienen und jetzt erst dazu kommen, sich mit Hilfe des § 33 a des Einkommensteuergesetzes wieder eigene Möbel anzuschaffen. Denn bis die Hausratentschädigung ausgezahlt sein wird, das wird sehr lange dauern, das wissen wir alle. Der Obersteuerinspektor in unserem Beispiel wird sehr spät zu einer Hausratentschädigung kommen.
Wir halten es deswegen für besser, damit kein Zweifel entstehen kann und Sinn und Zweck des § 13 nachher nicht strittig werden — Gesetze sollen klar und deutlich sein —, daß wir hinter „Rechte und Vergünstigungen als Vertriebener oder Sowjetzonenflüchtling" die Worte hinzufügen „nach diesem Gesetz". Dann ist ganz klar, was damit gemeint ist, und es kann dann kein weiterer Streit darüber entstehen. Deswegen bitten wir Sie, diesen Antrag anzunehmen.
— Nein, es ist leider nicht gesagt, Herr Kollege, das stimmt nicht!
Deswegen sind wir der Ansicht, daß hier eine Klarstellung erfolgen muß.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Reismann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! § 13 gibt der Föderalistischen Union Veranlassung, auf andere Gesichtspunkte hinzuweisen. § 13 Abs. 2 sieht die Möglichkeit vor, daß nach einer erfolgten Eingliederung die Vergünstigungen nach diesem Gesetz aufhören sollen, und es leuchtet auch ein, daß sie mal aufhören müssen, wenn die Eingliederung erfolgt ist.
Aber es handelt sich um eine sehr große Zahl von Betroffenen. Bei einer so großen Zahl ist es unvermeidlich, daß Mißbräuche vorkommen. Wir müssen also mit der Gefahr eines solchen Mißbrauchs rechnen. Ich muß zur Ehre der Vertriebenen, zur Ehre aller Kategorien, auch der Geschädigten, sagen: es ist eigentlich erstaunlich, wie wenig Mißbrauch bisher bekanntgeworden ist. Aber mit der Möglichkeit muß man rechnen.
§ 13 läßt hier in zwei Punkten zu wünschen übrig. Er stellt einmal fest, „die für die Inanspruchnahme von Rechten und Vergünstigungen zuständigen Stellen sind berechtigt, die Beendigung der Inanspruchnahme zu beantragen"; aber sie sind nicht dazu verpflichtet. Diesem Mangel muß abgeholfen werden. Man muß hier für die Verpflichtung der zuständigen Behörde konstituieren, wenn sie den Tatbestand der Überflüssigkeit dieser Unterstützungen feststellt, dann auch den Antrag zu stellen. Deswegen setzen wir in Abs. 3 did Worte „und verpflichtet" hinzu.
In Abs. 2 sollten die Worte „oder die Möglichkeit zumutbarer Eingliederung binnen angemessener Zeit schuldhaft nicht wahrnimmt" hinzugefügt werden; denn es ist mit der Möglichkeit zu rechnen, daß bestimmte Leute die ihnen gebotene Möglichkeit einfach nicht wahrnehmen wollen, obgleich sie
sie wahrnehmen können. Nicht nur, wenn die Eingliederung erfolgt ist, sondern auch dann, wenn sie wider Treu und Glauben vereitelt wird, müssen die Vergünstigungen aus diesem Gesetz aufhören. Dieser Fall ist auch denkbar, und es ist erstaunlich, daß er nicht schon häufiger vorgekommen ist; aber man muß ihn vorsehen, damit man nicht von vornherein eine Lücke im Gesetz schafft, durch die Elemente, die keine Unterstützung verdienen, durchschlüpfen können. Deswegen wünschen wir, daß er berücksichtigt werde. Es kann bei einer so großen Zahl keinem Zweifel unterliegen, daß es asoziale Elemente gibt, die die günstige Gelegenheit, sich weiter unterstützen zu lassen, dazu ausnutzen, sich nicht weiter um die Arbeit zu kümmern, oder sie sogar ablehnen. Und wenn es auch sehr wenige sind, man schafft die Gefahr, daß die Zahl größer wird, wenn man diese Möglichkeit offenläßt. Diese Gefahrenquelle wollen wir dadurch verstopfen, daß wir in § 13 Abs. 2 die Ergänzung vornehmen und in Abs. 3 die Worte „und verpflichtet" hinzufügen.
Ich bitte Sie deswegen, dem Antrag zuzustimmen. Wenn hier Mißbrauch getrieben wird, dann geschieht das nicht nur zum Nachteil der Steuerzahler, sondern auch zum Nachteil der Geschädigten selbst; sie selber haben deswegen auch ein großes Interesse daran, einen solchen Antrag zu unterstützen.
Unsere Änderungsvorschläge zu § 13 erscheinen uns um so wichtiger, als eben unser Vorschlag zu § 10 Abs. 2 Satz 1 keinen Erfolg gehabt hat. Wenn man den Absatz gestrichen hätte, wäre eine Möglichkeit des Mißbrauchs von vornherein fortgefallen. So ist aber zumindest die Möglichkeit des Mißbrauchs gegeben.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Keller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß in dem § 13 doch einiges steckt, weil er wider Erwarten eine Debatte ausgelöst hat.
Zunächst möchte ich sagen, daß ich mit den Ausführungen des Kollegen Reismann nicht konform gehen kann. Sie konnten mich nicht überzeugen, sie waren mir nicht logisch genug. Zuerst lobte er die soziale und verantwortungsfreudige Haltung der Vertriebenen oder Geschädigten; aber dann meinte er, es müsse hier doch eine Bestimmung verankert werden. Das würde die Dinge doch verzerren, wenn man, wie er meinte, etwas, was nach seinen eigenen Worten gar nicht vorhanden ist, als erwähnens- und berücksichtigenswert im Gesetz erscheinen ließe. Ich halte das für abwegig.
Wir haben aber ein anderes Bedenken zu § 13. In der jetzigen Fassung heißt es: Rechte und Vergünstigungen können nicht mehr in Anspruch genommen werden, wenn die Eingliederung in das wirtschaftliche und soziale Leben in einem nach den früheren wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen „zumutbaren" Maße erreicht ist. Ich glaube, dieses kleine Wort „zumutbaren" geht an die Grundlagen dieses Gesetzes, für das zunächst eine Präambel nocht nicht gefunden worden ist. Eine Präambel zu diesem Gesetz wird ja etwas über seine Ziele sagen müssen. Diese Ziele sind soweit gespannt, wie die Aufgabe, die vor uns liegt, und diese Aufgabe wird, wie wir wissen, nicht in kurzer Zeit zu bewältigen sein. Ich darf an die tiefgreifenden und ernsten Ausführungen erinnern, die von dem Herrn Bundesminister für Vertriebene und Herrn Dr. Kather als Generalberichterstatter in dieser Frage gemacht worden sind. Die Eingliederung der Vertriebenen ist eine sehr ernste, verantwortungsvolle, staatspolitische Aufgabe. Wir wissen, daß wir nur beschränkte Möglichkeiten haben und daß man nicht ohne weiteres und auch nicht in absehbarer Zeit jedem seine frühere soziale Stellung wiedergeben kann. Aber entsprechend dem Geist des Gesetzes müßte es das Ziel sein, die soziale Struktur der deutschen Heimatvertriebenen aus dem Osten wiederherzustellen. Wenn man sich dieses Ziel setzt, kann man sich, glaube ich, nicht mit dem Wort „zumutbar" abfinden. Man kann auch nicht eine Gleichheit fordern; diese wird praktisch nicht möglich sein. Man sollte aber das Wort „entsprechend" wählen und sagen, daß dann, wenn die wirtschaftliche und soziale Stellung des Vertriebenen nach der Wiedereingliederung seiner einstigen in der ehemaligen Struktur des Volkskörpers entspricht, die Ziele des Gesetzes insoweit erreicht sind und Vergünstigungen nicht mehr in Anspruch genommen werden können.
Es ist hier angeklungen, daß der Begriff des Vertriebenen nicht verewigt werden solle. Das kann sich doch wohl nur auf die materielle Seite beziehen. Das Immaterielle, das mit dem Wort Heimat zusammenhängt, kann man nicht in Paragraphen fassen und ohnehin nicht kompensieren. Deswegen sagt auch der § 19 — und man müßte ihn ändern, wenn man sich nicht zu dem darin steckenden Grundsatz bekennen wollte —, daß auch nach Beendigung der Inanspruchnahme von Rechten und Vergünstigungen der Ausweis, der die Heimatvertriebeneneigenschaft statuiert, im Besitz des Inhabers bleiben soll. Ich nehme nicht an, daß dieser Paragraph geändert wird.
Ich würde Sie also dringend bitten, der Fassung den Vorzug zu geben, nach der die Eingliederung erst dann als vollzogen erachtet wird, wenn eine „entsprechende" strukturelle Stellung erreicht ist.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir schließen daher die Aussprache und kommen zur Abstimmung.
Da sich die Änderungsanträge auf verschiedene Absätze beziehen, müssen wir absatzweise abstimmen, zunächst also über Absatz 1. Dazu liegt der Änderungsantrag vor, der soeben von Herrn Dr. Keller begründet und Ihnen vorgetragen worden ist; er ist noch nicht umgedruckt. Meine Damen und Herren, ich bitte diejenigen, die dem Änderungsantrag Dr. Keller zustimmen, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letzte ist die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Dann liegt der Änderungsantrag Dr. Dr. Nöll von der Nahmer auf Umdruck Nr. 759 Ziffer 1 vor. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Meine Damen und Herren, das ist nicht ganz klar feststellbar. Wir müssen uns leider einer Auszählung unterziehen. Ich darf bitten, den Saal so schnell wie möglich zu räumen.
— Nein, das Bild ist durch eine Wiederholung nicht zu bekommen. Die Gemengelage ist zu stark. Um es klarzustellen, bitte ich um Auszählung. Ich bitte die Herren Schriftführer, ihre Plätze zu be-
ziehen. — Darf ich bitten, die Räumung zu beschleunigen!
Ich bitte, mit der Auszählung zu beginnen.
Ich bitte um Beschleunigung; in wenigen Sekunden wird die Abstimmung geschlossen. —
Die Abstimmung ist beendet. Ich bitte, die Türen zu schließen.
Meine Damen und Herren! Darf ich bitten, die Sitzplätze für den vorgesehenen Zweck zu verwenden!
Das Ergebnis der Abstimmung: Mit Ja haben gestimmt 178, mit Nein 128 Abgeordnete. Der Antrag Dr. Dr. Nöll von der Nahmer, Umdruck Nr. 759 Ziffer 1, ist angenommen.
Wir kommen jetzt zum Änderungsantrag der Föderalistischen Union zu Abs. 2. Ich bitte diejenigen, die diesem Änderungsantrag — es ist Umdruck_ Nr. 766, Ziffer 2 — zustimmen, die Hand zu heben. — Meine Damen und Herren, ich bitte nochmals, die Plätze einzunehmen; ich bin sonst wirklich nicht in der Lage, die Abstimmung zu übersehen. — Ich bitte also diejenigen, die dem Änderungsantrag zustimmen, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letztere ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Zu Abs. 3 liegt ebenfalls ein Änderungsantrag der Föderalistischen Union auf Umdruck Nr. 766, Ziffer 3, vor. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letztere ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich bitte nunmehr diejenigen, die dem § 13 mit der zu Abs. 1 beschlossenen Änderung zustimmen, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; angenommen.
Ich rufe § 14 auf. Dazu liegen der Änderungsantrag der Föderalistischen Union auf Umdruck Nr. 766, Ziffer 4, und der Änderungsantrag der KPD auf Umdruck Nr. 760, Ziffer 9, vor. Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Reismann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Föderalistische Union bittet, den § 14 ersatzlos zu streichen. Es geht grundsätzlich eigentlich nicht an, in Gesetzen Regierungsermächtigungen auszusprechen, die so weit gehen wie hier, wo ganz neue Personenkreise, von denen heute mit keinem Wort die Rede ist, eingefügt werden können. Es ist keineswegs gesagt, daß es sich bloß um die Ausdehnung auf kleine Kreise von 500, 600 oder 1000 Personen handelte. Es können ganz neue Kategorien geschaffen werden, ohne daß das Parlament darauf Einfluß nehmen kann. Die Entziehung jeder Kontrolle des Parlaments über so weitgehende Maßnahmen können wir nicht billigen. Sollten sich Tatbestände ergeben, die vom Gesetz nicht erfaßt werden, muß das Parlament eben eingeschaltet werden. Wir können uns nicht dazu verstehen, auf diese Art und Weise die Hand zu einer solchen Ohnmächtigmachung des Parlaments gegenüber der Regierung zu geben.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Meine Damen und Herren, es handelt sich in beiden Fällen um Anträge auf Streichung. Ich glaube, wir können das in einem Abstimmungsgang erledigen.
Ich bitte also diejenigen, die den Änderungsanträgen zustimmen, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letzte ist die große Mehrheit; damit sind die Anträge abgelehnt.
Ich bitte nunmehr diejenigen, die § 14 in der Fassung der Vorlage zustimmen, die Hand zu heben. — Das ist die Mehrheit; es ist damit so beschlossen.
Ich rufe auf § 15. Dazu liegen weder Änderungsanträge noch Wortmeldungen vor. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
Bei § 16 ist es ebenso; auch da keine Wortmeldungen und Änderungsanträge. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
§ 17, keine Wortmeldungen und keine Änderungsanträge.
— Das geht in der zweiten Beratung nicht. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Das ist die Mehrheit; angenommen!
§ 18, keine Wortmeldungen, keine Änderungsanträge. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Mehrheit! Angenommen.
§ 19, keine Wortmeldungen, keine Änderungsanträge. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Das ist die Mehrheit; angenommen!
§ 20, keine Wortmeldungen, keine Änderungsanträge. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Wir kommen nun zu § 21, dazu Änderungsantrag der KPD auf Umdruck Nr. 760 Ziffer 10. Keine Wortmeldungen. Die Aussprache ist geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung, zunächst über den Antrag der KPD. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Gegenprobe! — Das letzte ist die Mehrheit; der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Ich bitte diejenigen, die dem § 21 in der Fassung der Vorlage zustimmen, die Hand zu heben. — Das ist die Mehrheit; angenommen!
Nunmehr § 22 mit Änderungsantrag der KPD auf Umdruck Nr. 760 Ziffer 11. Das Wort hat Herr Abgeordneter Kohl. Es wird gleichzeitig die Änderungsanträge der KPD zu den §§ 22 bis 25 begründen.
Meine Damen und Herren! Wir haben auch dazu Änderungsanträge gestellt. Sie wollen eine Änderung in bezug auf die Beiräte bei den Behörden bezwecken. Bei der Debatte über den Lastenausgleich spielte die Frage der entscheidenden Mitbestimmung der Flüchtlinge und Ausgewiesenen bereits eine große Rolle. Man hat damals diese Mitbestimmung in der von uns verlangten Form abgelehnt. In dem zweiten Titel, Beiräte, ist nach meiner Auffassung durch die §§ 22, 23, 24 und 25 wiederum das Übergewicht der
Bürokratie sichergestellt und der Einfluß der Ausgewiesenen und Flüchtlinge in keiner Form verankert.
Wir sind der Auffassung, daß in diesen Gremien das Übergewicht der Flüchtlinge, die über ihr Schicksal selbst entscheiden sollen, erhärtet werden muß.
In § 25, meine Damen und Herren, haben Sie eine Formulierung gewählt, die Ihnen einige Schwierigkeiten bereiten könnte.
Wenn Sie in den §§ 23 und 24 den Beirat festlegen, aber in § 25 die Festlegung und die Amtsdauer des Beirates den einzelnen Ländern überlassen, dann schaffen Sie logischerweise einen gewissen Dualismus, der von den Flüchtlingen und Ausgewiesenen in keiner Weise verstanden werden kann.
Wir sind also der Meinung, daß die Zusammensetzung der Beiräte sowohl beim Bundesvertriebenenministerium wie bei den einzelnen Ländern bis herunter in die Kreise 'im Wege der Urwahlen durch den in Frage kommenden Personenkreis zu erfolgen hat; denn das Mitbestimmungsrecht ist eines der wichtigsten Rechte. Meine Damen und Herren, ich habe absolutes Verständnis für Ihre Sorgen, denn Sie haben in der Frage der Mitbestimmung schon einiges getan. Die Mitbestimmung ist für Sie ein rotes Tuch. Wir werden die Frage der Mitbestimmung bei jeder Gelegenheit in den Vordergrund der politischen Diskussion stellen.
Keine weiteren Wortmeldungen? — Damit ist die Aussprache geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung zunächst über den Änderungsantrag der KPD zu § 22. Ich bitte diejenigen, die diesem Änderungsantrag zustimmen wollen, die Hand zu heben. — Gegenprobe! — Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich bitte dann diejenigen, die § 22 in der Fassung der Vorlage zustimmen wollen, die Hand zu heben. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
Zu § 23 liegt der Änderungsantrag der KPD vor, der soeben mitbegründet warden ist. Ich bitte diejenigen, die diesem Antrag zustimmen wollen, die Hand zu heben. — Gegenprobe! – Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich bitte dann diejenigen, die § 23 in der Fassung der Vorlage zustimmen wollen, die Hand zu heben. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
§ 24! Ebenfalls Änderungsantrag der KPD. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, die Hand zu heben. — Gegenprobe! — Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich bitte diejenigen, die § 24 in der Fassung der Vorlage annehmen wollen, die Hand zu heben. —Das ist die Mehrheit; § 24 ist in der Fassung der Vorlage angenommen.
§ 25! Ebenfalls Änderungsantrag der KPD. Ich bitte diejenigen, die diesem Änderungsantrag zustimmen wollen, die Hand zu heben. — Gegenprobe! — Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich bitte nun diejenigen, die § 25 in der Fassung der Vorlage zustimmen wollen, die Hand zu heben. — Das ist die Mehrheit; § 25 ist angenommen.
Meine Damen und Herren, wir kommen nun zum Dritten Abschnitt, Erster Titel. Das sind die §§ 26 bis 34. Dazu liegen Änderungsanträge nicht vor, vermutlich auch keine Wortmeldungen. — Ich glaube, dann können wir wohl über diesen Titel, also die §§ 26 bis 34, im ganzen abstimmen. Ich bitte diejenigen, die den aufgerufenen Paragraphen in der Fassung der Vorlage zustimmen wollen, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Die §§ 26 bis 34 sind gegen wenige Stimmen angenommen.
Wir kommen nun zu § 35. Dazu liegen vor ein Änderungsantrag des Abgeordneten Dr. Müller auf Umdruck Nr. 763 Ziffer 1 und ein Änderungsantrag der KPD auf Umdruck Nr. 760 Ziffer 15.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Müller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Freunde und ich haben zu diesem Paragraphen einen Änderungsantrag gestellt, weil wir der Auffassung sind, daß man in einem Gesetz ganz klar ausdrücken muß, um was es sich handelt und welcher Personenkreis genau erfaßt werden soll. In dem Entwurf, der aus dem Ausschuß gekommen ist, heißt es: „Vertriebene und Sowjetzonenflüchtlinge, die aus der Landwirtschaft stammen . . .". Das ist ein sehr weitgehender Begriff und gesetzestechnisch meines Erachtens sogar ein Gummibegriff, weil man darunter alles mögliche fassen kann. Wir sind aber auch der Auffassung, daß, wer in die Landwirtschaft als selbständiger Unternehmer oder als Arbeiter einziehen und vor allem gesiedelt werden will, auch die Befähigung mitbringen muß, die ihm dort gestellte Aufgabe zu erfüllen.
Wir haben uns deshalb erlaubt, in unserem Antrag zwei Absätze für § 35 vorzuschlagen. Nach Abs. 1 sollen Vertriebene und Sowjetzonenflüchtlinge, die vor ihrer Vertreibung in der Landwirtschaft tätig waren, durch Bodenreformgesetzgebung oder andere Siedlungsmöglichkeiten hier wieder angesetzt werden. Das gilt gleichermaßen für bisher landwirtschaftlich Selbständige wie für Landarbeiter.
Zweitens: Mit den Ostvertriebenen sind eine Menge Menschen herübergekommen, die zwar aus der Landwirtschaft stammen, aber nie in der Landwirtschaft gearbeitet oder in ihr irgend etwas gelernt haben, die zum Teil auch in andere Berufe gegangen sind und den Wunsch haben, wieder in die Landwirtschaft zu kommen. Denen kann man aber nicht ohne weiteres einen Betrieb überantworten. Da machen wir den Vorschlag, daß Vertriebene und Sowjetzonenflüchtlinge, die vorher nicht in der Landwirtschaft tätig waren, ohne weiteres mit angesetzt werden können, wenn sie nach ihrer Vertreibung überwiegend in der Landwirtschaft tätig gewesen sind.
Mir ist noch heute nachmittag das Bedenken entgegengehalten worden: Da ist jemand jetzt seit einer Reihe von Jahren vertrieben, hat irgend etwas anderes gemacht, hat etwa sieben Jahre nicht mehr in der Landwirtschaft gearbeitet. Der muß also nun noch einmal sieben Jahre in die Landwirtschaft gehen! Meine Damen und Herren, so etwas Blödsinniges und Unvernünftiges verlangt kein Mensch. Wenn er seine landwirtschaftliche Lehre drei Jahre durchmacht und eine landwirtschaftliche Fachschule, die alte sogenannte Winterschule oder die Landwirtschaftsschule, wie sie jetzt heißt, besucht, dann hat er die Befähigung, selb-
ständig tätig zu sein, und es ist selbstverständlich, daß diese Leute auch die Vergünstigungen dieses Gesetzes genießen sollen.
Wir bitten Sie, unserem Antrag, der die Dinge ganz klar herausarbeitet, zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kather.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte, den Änderungsantrag abzulehnen. Das gerechtfertigte Anliegen der Antragsteller, zu verhindern, daß ungeeignete Elemente in die Siedlung kommen, ist auch durch die Fassung des Ausschusses gewährleistet. Ich mache darauf aufmerksam, daß § 36 Ziffer 1 lautet:
Der Erwerber oder Pächter muß die zur ordnungsmäßigen Bewirtschaftung der Stelle erforderliche Eignung besitzen.
Welcher Unterschied besteht denn eigentlich zwischen dem Antrag, der hier gestellt wurde, und der Fassung des Ausschusses? Der Unterschied ist der, daß bei unserer Fassung die Personen, die aus der Landwirtschaft stammen, mit eingeschlossen sind. Es geht dabei in der Hauptsache um die Söhne der Bauern, die aus dem Osten gekommen sind. Es geht dabei' um die Söhne, die bei der Vertreibung noch zu jung waren, noch in die Schule gingen, so daß man nicht feststellen kann, ob sie schon in der Landwirtschaft tätig waren. Diese Söhne haben sich infolge der Notlage, in der sie waren, in großem Umfang anderen Berufen zuwenden müssen. Auf sie trifft also das Tatbestandsmerkmal, nach der Vertreibung in der Landwirtschaft tätig gewesen zu sein, nicht zu. Aber gerade die Söhne von Familien, die die Landwirtschaft seit Jahrhunderten betrieben haben, haben das echte Anliegen, wieder in die Landwirtschaft zurückzugehen. Das wollen wir ihnen nicht erschweren.
Ich möchte auch aus psychologischen Gründen bitten, uns doch nicht zuzumuten, diesen Paragraphen in einer Fassung zu verabschieden, von der unsere Bauern vielleicht sagen: Ihr habt ja unsere Söhne ausschließen lassen! Ein großes praktisches Gewicht kommt der Sache nicht zu. Heute ist bei internen Besprechungen, die wir gehabt haben, gesagt worden: Es sind zehnmal soviel Bewerber da, wie wir Stellen haben.
Wenn das richtig ist, dann wird sich die Auslese in der Weise vollziehen, daß zunächst die Leute, die selber noch als Bauern tätig waren, an die Reihe kommen und erst in späterer Zeit eventuell ihre Söhne.
Ich bitte also, die Fassung des Ausschusses bestehen zu lassen, die den Bedenken des Ernährungsausschusses — denn er ist es ja im wesentlichen, der sich hier zu Wort gemeldet hat — durchaus Rechnung trägt.
Das Wort hat der Abgeordnete Kohl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben bei der Behandlung des § 35 andere Sorgen als der Herr Kollege Dr. Kather und der Herr Kollege Dr. Müller. Wir stellen die Frage, inwieweit militärisch benutztes Gelände für diese Zwecke nutzbar gemacht werden kann. Sie können doch nicht leugnen, daß man nach 1945 und 1946 zum Teil ernsthaft daran gegangen ist, ehemalige Truppenübungsplätze der Nazi-Wehrmacht für die Ansiedlung der Ausgewiesenen und Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen. Allerdings haben im Zuge der Änderung der Politik in Westdeutschland und im Zuge der Kriegsvorbereitungspolitik der Amerikaner die Menschen, die dort angesiedelt worden sind und die gerade aus Flüchtlingen und Ausgewiesenen bestanden, nun zum zweiten Mal ihr Hab und Gut verloren, all das, was sie in den Jahren nach dem Kriege aufzubauen versucht haben. Es ist doch wirklich etwas stark, wenn Sie den Flüchtlingen und Ausgewiesenen versprechen wollen, daß sie seßhaft gemacht werden. Sie wissen doch genau so gut wie ich, daß Ackerboden in Westdeutschland heute ein Engpaß ist. Sie wissen genau so gut wie wir, daß in Westdeutschland ein Truppenübungsplatz, eine Kaserne und ein Flugplatz nach dem anderen entsteht. Gehen Sie doch nach Rheinland-Pfalz und sehen Sie sich dort die Verhältnisse an; gehen Sie nach Bayern! Wir vertreten auch heute noch dieselbe Auffassung wie damals, daß das von der Nazi-Wehrmacht benutzte Gelände für Zwecke der Seßhaftmachung der Ausgewiesenen und Flüchtlinge bereitgestellt werden muß. Wir scheuen uns auch nicht, zu fordern, daß das von den amerikanischen, französischen und englischen Besatzungstruppen benutzte Gelände für denselben Zweck wieder zur Verfügung gestellt werden muß. Wir sind der Auffassung, je schneller die Besatzungstruppen verschwinden, desto besser ist es für das deutsche Volk und auch für die Seßhaftmachung der Bauern.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Horlacher.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auf den Abänderungsantrag der KPD gehe ich nicht ein; denn ich möchte nicht zu denjenigen gehören, die die Scheinheiligkeit noch besonders unterstreichen. Da drüben ist die Lage so, daß die Bauern nicht einmal mehr ihres Lebens sicher sind. Darüber brauchen wir gar nicht zu reden. Wenn die Herren dort militärisches Gelände in Anspruch nehmen, fragen sie gar niemand in der Ostzone drüben. Das wird einfach radikal gemacht und durchgeführt.
Nun zu § 35. Herr Kollege Kather, wir sind ja innerlich Freunde; das hat sich oft in diesem Hause bewiesen. Wir wollen nicht gegeneinander reden, wenn es nicht notwendig ist. In diesem Falle ist es wirklich nicht notwendig. Ich möchte
Sie bitten, hier die Fassung des Antrages Dr. Dr. Müller usw. anzunehmen. Diese Fassung ist wirklich die bessere.
Sie müssen den § 35 in Zusammenhang mit dem § 36 Abs. 1 nehmen, da kommen Sie auf den richtigen Weg.
Der Antrag Umdruck Nr. 763 zerlegt die Dinge in zwei Teile und macht sie vollständig klar. Das sind einmal die echten Vertriebenen und Flüchtlinge selber, die vor der Vertreibung in der Landwirtschaft tätig waren. Was heißt: „vor der Vertreibung in der Landwirtschaft tätig waren"? Da haben Sie auch alle Möglichkeiten schon drin. Auch die früher mitarbeitenden Kinder sind da dabei, wenn sie ein gewisses Lebensalter, z. B. 12, 13, 14 Jahre erreicht haben oder noch ein bißchen älter sind, eine gewisse Schulbildung haben. Im Zusammenhang damit kommt dann der § 36 Abs. 1 zur Anwendung. Da wird die Sache hier geprüft. Infolgedessen ist dieser Bestandteil absolut gesichert.
Zweitens hängt der § 35 dann die Sachen für diejenigen an, die nach der Vertreibung — und jetzt geben Sie Obacht; hier ist auch noch eine gewisse Auslegungsmöglichkeit vorhanden — überwiegend in der Landwirtschaft tätig waren. Das heißt, nach der Vertreibung können diejenigen der Flüchtlinge, die Kinder von Flüchtlingen, die eine besondere Vorliebe für die Landwirtschaft haben — und solche Fälle kenne ich auch aus meiner eigenen Erfahrung —, den § 35 Abs. 2 in Anspruch nehmen; sie müssen nur nach der Vertreibung eine entsprechende Anzahl von Jahren in der Landwirtschaft tätig gewesen sein. Da meine ich, daß man das Ganze im Zusammenhang sehen muß. Man muß zu § .35 in seiner jetzigen Gliederung den § 36 Abs. 1 dazunehmen; denn einer, der nicht die entsprechende Eignung besitzt, kommt ja überhaupt nicht in Frage, und das ist die Schranke, die hier gesetzt ist. Sie werden zugeben müssen, daß die Fassung des § 35 diesmal die bessere ist. Warum sollen wir uns über Dinge streiten, die nicht notwendig sind? Ich bitte daher, dem Antrag Müller in diesem Fall die Zustimmung zu erteilen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Merten.
Meine Damen und Herren! Herr Horlacher hat darauf aufmerksam gemacht, daß nach § 36 Ziffer 1 die Eignung für den landwirtschaftlichen Beruf die Voraussetzung ist, daß jemand die Vergünstigungen dieses Gesetzes in Anspruch nehmen kann. Ich verstehe aber nicht, wenn er dann ausdrücklich erklärt, daß er in § 35 von vornherein eine Personengruppe auch dann ausschließen will, wenn sie geeignet ist. Das ist nämlich die logische Folge dessen, was Sie, Herr Kollege Horlacher, hier gesagt haben. Sie wollen erst eine Personengruppe ohne Rücksicht darauf ausschließen, ob sie geeignet ist oder nicht, und dann sagen Sie bei dem Rest: die sollen drankommen, wenn sie geeignet sind. Das ist weder logisch noch richtig. Praktisch ist die Sache doch die: Sie schließen eine bestimmte Personengruppe von vornherein grundsätzlich von allen Vergünstigungen dieses Gesetzes aus ohne Rücksicht darauf, ob die Betreffenden geeignet sind, in der Landwirtschaft eingesetzt zu werden.
— Die Gruppe derjenigen, die aus der Landwirtschaft stammen, ohne infolge ihres Alters Gelegenheit gehabt zu haben, in der Landwirtschaft tätig zu sein, oder nach der Vertreibung wegen der Lage des Aufnahmeortes keine Gelegenheit gehabt haben in der Landwirtschaft tätig zu sein. Das sind also diejenigen, die noch als Minderjährige oder fast Minderjährige zum Arbeitsdienst oder zur Wehrmacht eingezogen worden sind, in Kriegsgefangenschaft gewesen sind und nun nach ihrer Heimkehr nicht mehr hereinkönnen, es sei denn, Sie dehnen den Begriff „Tätigkeit in der Landwirtschaft" auch auf die Kinder aus, die auf den Bauernhöfen gewesen sind. Ich weiß, daß die Kinder selbstverständlich mitarbeiten; aber aus dem Gesetz geht das nicht ohne weiteres hervor. Es ist ihnen auch nicht zuzumuten, daß sie, wie Herr Kollege Dr. Müller sagte, nun noch einmal drei Jahre in die Lehre gehen und die Fachschule besuchen sollen; denn sie sind inzwischen älter geworden und haben gar keine Möglichkeit und gar keine Mittel dazu, noch einmal umzulernen. Ich stehe auf dem Standpunkt, wir sollten froh sein
um jeden, der bereit ist, in die Landwirtschaft zu gehen und den Beruf seiner Väter zu ergreifen, auch dann, wenn er zwischenzeitlich ohne sein eigenes Verschulden keine Gelegenheit hatte, in der Landwirtschaft tätig zu sein.
Ich bitte daher, eben weil in § 36 Ziffer 1 die Garantie gegeben ist, daß nur Geeignete die Vergünstigungen dieses Gesetzes erhalten können, diesen vollkommen überflüssigen Antrag, der den Personenkreis grundsätzlich einengt, abzulehnen und es bei der Ausschußvorlage zu belassen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Müller.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Herrn Kollegen Merten zwingen doch zu einer Antwort. Er sagt, daß eine gewisse Personengruppe vollständig davon ausgeschlossen wird, in die Landwirtschaft zu gehen, und zwar nennt er die Kinder der Vertriebenen, die zwar aus der Landwirtschaft stammen und andere Berufe ergriffen haben, aber nie in der Landwirtschaft tätig gewesen sind. Was wir verlangen, ist, daß diese Menschen, die nicht in der Landwirtschaft tätig geworden sind, auch eine entsprechende Ausbildung erhalten, damit sie einen Betrieb mit Erfolg führen können. Die Landwirtschaft ist eben kein Handwerk, das man ausüben kann wie irgendeine Spielerei,
sondern gerade in der heutigen Zeit muß sie gründlich erlernt sein.
Wenn ich sage: nach drei Jahren mit einem Schulbesuch, dann ist das als eine Lehrzeit für einen selbständigen Wirt sehr wenig. Ich kann es nur dann konzedieren, wenn ich weiß, daß dieser Mensch aus dem Elternhaus viel landwirtschaftliches Erbgut mitbekommen hat. Aber wenn Sie selber sagen, er muß nach § 36 nachweisen, daß er eine ordentliche Bewirtschaftung durchführen kann, dann muß ich fragen: Wie kann denn einer, wenn er auf diesem Gebiete nichts gelernt hat, diesen Beweis führen? Sie müssen ihn doch erst einmal zwingen, in die Lehre zu gehen, damit er dann diesen Beruf ergreifen kann. Deshalb ist unser Vorschlag auch nach der' sozialen Seite hin für diejenigen, die gewisser Umstände wegen nicht sofort in die Landwirtschaft kommen können, der richtige; denn wir bewahren den Betreffenden vor dem Untergang im Betrieb, in den er geraten muß infolge der Unkenntnis, mit der er hatte selbständig werden wollen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Frey.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, hier sind wir an einem Punkt angelangt, der auch einmal einen Hinweis auf die heute von uns, den Einheimischen, verlangte Ausbildung erfordert. Wir kämpfen seit geraumer Zeit dafür, daß sogar der väterliche Betrieb von einem Einheimischen nur dann übernommen werden kann, wenn der Übernehmer nachweist, daß er eine ordentliche Lehrzeit durchgemacht hat, ja, neuerdings sogar, daß er sich einen Meistertitel erarbeitet hat. Ich bin der Meinung — wie das jetzt Herr Dr. Müller ausgeführt hat —, man kann dann nicht ohne weiteres hier
eine Gruppe junger Menschen einreihen und ihnen unter Umständen einen Betrieb geben, wenn wir auf der anderen Seite diese Qualifikation von unseren jungen Leuten hier verlangen. Wir müssen in beiden Fällen das gleiche Recht anwenden. Deswegen bitte ich, dem entsprechenden Änderungsvorschlag zu § 35 zuzustimmen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Kather.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In einem Punkt war ich nicht derselben Auffassung, die Herr Kollege Merten hier vorgetragen hat. Herr Kollege Merten hat gesagt — aber ich glaube nicht, daß er selber dieser Äußerung ein besonderes Gewicht beigemessen hat —, man könne einem solch jungen Menschen nicht zumuten, daß er noch drei Jahre in die Lehre gehe. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß die Eignung auf irgendeine Weise erworben werden muß. Wenn es sich um einen jungen Menschen handelt, der vor der Vertreibung zu jung war, um sich die erforderlichen Kenntnisse in der Landwirtschaft zu erwerben, und auch hinterher keine Gelegenheit dazu hatte, dann muß er sich diese Kenntnisse auf irgendeine Weise erwerben und muß meinetwegen auch zwei oder drei Jahre in die Lehre gehen. Das ist gerade das, was ich auch mit unserer Fassung erstrebe.
Aber nun, meine Damen und Herren, kommt die Kehrseite, die Ihnen wahrscheinlich nicht so gut gefallen wird. Nach Ihrer Formulierung wird der Mann, wenn er vorher nicht in der Landwirtschaft tätig gewesen ist, geprüft: Bist du nach der Vertreibung überwiegend in der Landwirtschaft tätig gewesen? Dann wird man ihm sagen: Du bist ausgeschlossen, denn du hast sieben Jahre in der Schlosserei gearbeitet und bist bestenfalls zwei Jahre in der Landwirtschaft tätig. Das ist die Gefahr, der wir unsere Bauernsöhne nicht aussetzen wollen. Und, meine Damen und Herren, Ihre Formulierung gibt gar keine Gewähr dafür, daß nachher von Instanzen, die von uns unabhängig sind, diese Bestimmung so gehandhabt wird. Aber nach unserer Formulierung werden diese Söhne unserer Bauern zugelassen, nur verlangt man von ihnen die Eignung. Die zuständige Stelle kann sagen: Ich verlange, daß du zwei oder drei Jahre lernst, bevor du überhaupt in Betracht kommst.
Deshalb bin ich der Meinung, daß die Ausschußfassung die weit bessere ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Horlacher.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Kather hätte vollständig recht, wenn die Prüfung auf einen Hieb stattfände. Aber die Siedlung geht ja fortlaufend weiter, und wenn sich einer am heutigen Tage beispielsweise entschließt, in der Landwirtschaft das Nötige zu lernen, um hier später zu einer Siedlungsstelle zu kommen, kann er die Vergünstigung nach dem Gesetz — denn das entscheidet sich ja nicht von heute auf morgen — genau so gut nach drei Jahren in Anspruch nehmen. Wenn er sich nach der Vertreibung fortgebildet -und die nötige Eignung gewonnen hat, dann ist die Sache vollständig in Ordnung. Deswegen besteht hier gar kein wesentlicher Unterschied gegenüber der Auffassung, die von uns und dem Kollegen Müller vertreten worden ist.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Merten.
Meine Damen und Herren! Ich muß leider meinem Kollegen Dr. Horlacher wieder widersprechen.
Wo steht denn in dem Antrag, den Herr Dr. Müller unterschrieben hat, etwas davon, daß diejenigen, die aus der Landwirtschaft stammen, dann, wenn sie eine bestimmte Ausbildung hinter sich gebracht haben, die Vergünstigungen des Gesetzes in Anspruch nehmen können? Da steht doch klipp und klar — wenn ich richtig lesen kann — „wenn sie nach der Vertreibung überwiegend in der Landwirtschaft tätig waren". Ist eine siebenjährige Tätigkeit in einem fremden Beruf und eine dreijährige Ausbildung auf einem Lehrgut denn eine "überwiegende Tätigkeit in der Landwirtschaft"? Das ist doch kaum anzunehmen. Im übrigen ist es auch sehr fraglich, ob diese Ausbildung ihn dann wirklich im Sinne des § 36 Ziffer 1 geeignet macht, wenn er nicht aus der Landwirtschaft stammt. Ich kenne viele Diplomlandwirte, Herr Dr. Horlacher, bei denen es, wenn sie heute auf ein Gut gesetzt würden und es bewirtschaften sollten, ein großes Unglück gäbe, also obwohl sie sechs Semester studiert, ein Diplom erworben und alles mögliche andere gemacht haben. Das ist auch keine hundertprozentige Gewähr für diese Dinge.
Wenn Sie, Herr Dr. Frey, so tun, als ob auch für Einheimische derartige Vorschriften bestünden, so wissen Sie doch ganz genau, daß diese Vorschriften für Einheimische nicht bestehen.
Ein Bauernsohn, der heute seinen Hof erbt, der setzt sich drauf und betreibt Landwirtschaft genau wie sein Vater, da kräht kein Hahn nach einer Prüfung. Sie möchten das gerne, und auch ich möchte das gerne; es ist aber noch nicht so weit, und da können wir selbstverständlich diesen strengeren Maßstab auch nicht bei den Vertriebenen anlegen.
Es bleibt dabei, Sie schließen grundsätzlich eine Gruppe von Personen aus, auch wenn sie hinterher noch versuchen, die Ausbildungsvorschriften zu erfüllen. Auch dann werden sie den Erfordernissen des von Ihnen vorgeschlagenen § 35 Abs. 2 nicht gerecht werden können. Das Erfordernis „überwiegend" wird nicht erfüllt werden können — es ist schon zeitlich gar nicht möglich —, und auf diese Art und Weise wird eine Personengruppe, die der Landwirtschaft zugehört, von vornherein von den Vergünstigungen dieses Gesetzes ausgenommen.
Damit liegen keine Wortmeldungen mehr vor. Die Aussprache ist geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst über den Änderungsantrag. Dr. Dr. Müller auf Umdruck Nr. 763 Ziffer 1. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Ja, meine Damen und Herren, es bleibt uns nichts erspart. Wir müssen also wieder einmal auszählen. Darf ich um möglichste Beschleunigung des Räumungsvorgangs bitten.
Ich bitte mit der Auszählung zu beginnen.
Darf ich bitten, die Abstimmung zu beschleunigen. — In wenigen Sekunden wird die Abstimmung eingestellt.
Die Abstimmung ist beendet. Ich bitte, die Türen zu schließen.
Meine Damen und Herren, das Ergebnis der Abstimmung: mit Ja haben gestimmt 138, mit Nein 142, enthalten haben sich zwei Abgeordnete. Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Antrag der KPD auf Umdruck Nr. 760 Ziffer 15. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Gegenprobe! — Letzteres ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich bitte nunmehr diejenigen, die dem § 35 in der Fassung der Vorlage zustimmen, die Hand zu heben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; § 35 ist angenommen.
Ich rufe § 36 auf mit der Berichtigung auf Umdruck Nr. 756; dazu ein Änderungsantrag der Föderalistischen Union Umdruck Nr. 766 Ziffer 5.
Das Wort hat der Abgeordnete Lampl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der § 36 Abs. 3 sieht für die Eingliederung eines Vertriebenen in die Landwirtschaft einen Einheitswert bis zu 60 000 bzw. 80 000,— DM vor. Dieser Einheitswert erscheint uns in dieser Höhe für einen Eingliederungsfall nicht vertretbar, weil es unseres Erachtens darauf ankommt, möglichst viele einzugliedern. Er ist auch im Interesse der Einzugliedernden selbst nicht vertretbar. Meines Erachtens genügt für den Einzelfall ein Einheitswert bis zu 40 000,— DM ohne weiteres. 40 000,— DM Einheitswert bedeuten z. B. in Bayern bei einem Durchschnittsatz von 1000 DM je Hektar, daß es sich um einen Betrieb von 40 ha handelt. Bei besseren Böden werden es weniger Hektar sein, bei schlechteren Böden mehr. Auf jeden Fall handelt es sich um eine Fläche, die mit Sicherheit die Existenz eines Familienbetriebes zu verbürgen vermag.
Wir haben deshalb den Änderungsantrag auf Umdruck Nr. 766 Ziffer 5 gestellt, in § 36 Abs. 3 an Stelle von 60 000,— bzw. 80 000,— DM bis zu 40 000,— DM Einheitswert vorzusehen. Diese Herabsetzung ist um so mehr gerechtfertigt als der gleiche Absatz noch Ausnahmen bezüglich einer notwendigen Erhöhung des Einheitmertsatzes zuläßt. Ich darf um Annahme unseres Änderungsantrages bitten.
Das Wort hat der Abgeordnete Merten.
Meine Damen und Herren! Ich bitte, den Antrag der Fraktion der Föderalistischen Union abzulehnen, und zwar aus folgenden Gründen. Es handelt sich bei der Eingliederung der Vertriebenen oft um geschlossene Höfe. Insbesondere ist das der Fall bei den auslaufenden Höfen, dann bei den Einheiratsfällen und auch in vielen anderen Fällen, in denen geschlossene Betriebe verpachtet oder veräußert werden. Wenn man da die Grenze zu niedrig setzt, fällt ein großer Teil der Betriebe, und zwar gerade die wirtschaftlichsten, aus den Vergünstigungen des Gesetzes heraus. Wir wollen nicht den Fehler machen, der früher schon bei der Siedlung gemacht worden ist, von vornherein unwirtschaftliche Betriebe zu schaffen und die Leute zu zwingen, gerade in der Anfangszeit so zu arbeiten, daß sie binnen kürzester Zeit dann mit ihrer Kunst am Ende sind, sondern wir wollen die Betriebe von vornherein so aufbauen, daß ihre Wirtschaftlichkeit und ihre Rentabilität auch für die Dauer gesichert ist. Aus diesem Grunde halte ich es nicht für zweckmäßig, die Grenze zu niedrig zu setzen. Sie ist bei 40 000 DM zweifellos zu niedrig. Das bisherige Recht hat schon eine wesentlich höhere Grenze gekannt. Auch die Ausnahmefälle müssen erhalten bleiben, weil gerade bei der Übernahme geschlossener Betriebe das Gesetz den Behörden, die es durchführen, soviel Elastizität geben muß, daß in Ausnahmefällen einmal über diese Grenze herausgegangen werden kann.
— Sie haben doch in Ihrem Antrag ausdrücklich stehen: „60 000 Deutsche Mark, im Ausnahmefall 80 000 Deutsche Mark"; diesen Ausnahmefall wollen Sie doch gestrichen haben?
— Die folgende Bestimmung über die Ausnahme wollen Sie erhalten haben? Dann kann von 40 000 DM aufwärts jeder Fall ein Ausnahmefall sein. Dann bin ich doch schon dafür, um der Behörde die Arbeit zu ersparen, am laufenden Band Ausnahmefälle zu konstruieren, daß man es bei der jetzigen Regelung beläßt. Ihr Antrag hätte nur einen Sinn, wenn es keinen Ausnahmefall mehr gäbe. Mit einer derartig niedrigen Grenze wird doch die Umgehung des Gesetzes geradezu herausgefordert. Es ist ja dann eine Kleinigkeit, durch bestimmte Absprachen die Bestimmung zu umgehen und das gewünschte Ziel zu erreichen. Wir haben darin unsere Erfahrungen gesammelt. Bei Annahme dieses Antrags würde die Eingliederung in sehr vielen Fällen erschwert, in manchen Fällen unmöglich gemacht. Aus diesem Grunde bitte ich, den Antrag abzulehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Glasmeyer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zu der Festsetzung der Grenze von 40 000, 60 000 oder 80 000 DM etwas sagen. Selbstverständlich kann in einem Gelände mit gutem Boden ein Erbe von 60 Morgen einen Einheitswert von 60 000 DM haben. Wenn wir aber durchaus passablen Sandboden mit einem Einheitswert von 500 DM je ha, wie es ihn im Emsland und im Münsterland überall gibt, zugrunde legten, wäre es durchaus möglich, daß Höfe von 1000 Morgen hier in Frage kämen. Darum haben wir im Landwirtschaftlichen Ausschuß bei der Beratung dieses Gesetzes gesagt, man solle 60 000 DM festsetzen, um nicht allzu hoch zu kommen. Sie müssen doch auch bedenken, daß z. B. im Bodenreformgesetz die 400-Morgen-Grenze bestimmt ist. Allerdings gibt es dort auch die 130 000-DM-Grenze. Aber Erben bis zu 1000 Morgen einzubeziehen, scheint mir doch zu weit zu gehen. Ich bitte das zu beachten.
Keine weiteren Wortmeldungen? — Die Aussprache ist geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Föderalistischen Union Umdruck Nr. 766 Ziffer 5. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die
Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. Das letzte war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich bitte diejenigen, die dem § '36 in der Fassung der Vorlage mit der Berichtigung, die auf Umdruck Nr. 756 enthalten ist, zustimmen, die Hand zu heben. -- Das ist die Mehrheit; angenommen!
Ich rufe § 37 auf. Dazu liegt der Änderungsantrag Dr. Dr. Müller Umdruck Nr. 763 unter Ziffer 2 vor. — Zur Begründung und auch zur Aussprache ist das Wort nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Änderungsantrag zustimmen, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? – Es besteht beim Präsidium keine Übereinstimmung darüber, welches die Mehrheit war. Meine Damen und Herren, wir müssen das Auszählen wiederholen.
— Meine Damen und Herren, wenn die Abstimmung nicht erkennbar ein eindeutiges Ergebnis gehabt hat, können an diesem Sachverhalt sechs Wiederholungen nichts ändern. Also ich bitte, die Auszählung vorzunehmen.
Die Auszählung beginnt. —(Wiedereintritt und Zählung. — Präsident
Dr. Ehlers übernimmt wieder den
Vorsitz.)
Ich bitte, die Abstimmung zu beenden und die Türen zu schließen.
Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis der Abstimmung bekannt: Mit Ja haben gestimmt 133, mit Nein 135 bei zwei Enthaltungen. Der Antrag ist abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über § 37 in der Ausschußfassung. Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit. § 37 ist angenommen.
§ 38! Änderungsantrag Abgeordneter Dr. Dr. Müller auf Umdruck Nr. 763, Ziffer 3.
Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie, Ihre Plätze einzunehmen. Es ist sonst völlig unmöglich zu sehen, wie die Abstimmungen ausfallen. – Zur Begründung des Antrags Herr Abgeordneter Struve.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über den Weg der Neusiedlung sind die Möglichkeiten der Eingliederung sehr viel bescheidener und kleiner gewesen als über den Weg der Pacht von auslaufenden oder wüsten Höfen. Das hängt damit zusammen, daß die Bodenreformgesetzgebung im Bundesgebiet länderweise geregelt ist. Wir können feststellen, daß in einzelnen Ländern über den Weg der Neusiedlung so gut wie überhaupt keine Vertriebenen angesetzt worden sind, während in anderen Ländern Erfolge zu verzeichnen sind. Besonders hinweisen möchte ich auf die Tatsache, daß über den Weg der Neusiedlung, über den Weg der Aufteilung von Gütern zur Zeit nur der Privatbesitz angegriffen worden ist und zur Aufteilung kam. Es stimmt sehr bedenklich, daß sowohl Gemeinden und Kreise als auch Kirchen und Länder bisher kaum von dieser Möglichkeit der Eingliederung Gebrauch gemacht haben.
Ich stamme aus dem Lande Schleswig-Holstein und muß darauf hinweisen, daß dort u. a. 30 000 ha Land von den Privatbesitzern zur Verfügung gestellt worden sind. Mit Sorge stellen wir fest, daß das erste Nachbarland Hamburg von den eigenen Staatsgütern noch nichts zur Verfügung gestellt hat.
Wir sind auch enttäuscht darüber, daß im Gegensatz zu meinem Heimatland, wo die Domänen, also der Staatsbesitz, den Vertriebenen zur Verfügung gestellt sind, in Niedersachsen trotz aller Hinweise auf diesem Gebiet noch nichts geschehen ist.
Ich glaube, die Frage ist berechtigt, ob in diesen Ländern nur von der Not der Vertriebenen und von der Not der vorwärts- und aufwärtsstrebenden Landwirtschaft geredet werden soll oder ob hier gewisse Tendenzen etwa in der Richtung verfolgt werden, daß man nur Interesse hat, den Privatbesitz zugrunde zu richten,
während bei den Gütern, die den Ländern und dem Staat gehören, alles beim alten bleibt.
Nun ist im Vertriebenengesetz der Vorschlag gemacht, hier Einfluß zu nehmen. Dieser Einfluß kommt von einer bedenklichen Seite, nämlich vom Gelde her. Wenn man in dieser Beziehung etwas Erfolgreiches machen will, müßte man nach unserer Auffassung eine einheitliche Bodengesetzgebung im Bunde schaffen.
Aber diese Maßnahmen, vom Gelde her nun besonderen Anreiz zu geben, werden in den betroffenen Ländern zu Spannungen führen, die im Augenblick unübersehbar sind.
Woher kommen diese Spannungen? Es wird so oft und mit Recht davon geredet, daß die Möglichkeiten, in unserer Bundesrepublik vertriebene Bauern auf dem Lande anzusiedeln, in gar keinem Verhältnis zu der Anzahl derer stehen, die hier schon auf eine Existenz warten. Ich möchte besonders darauf hinweisen, daß wir es hier nicht etwa nur mit der Ansetzung von selbständigen Bauern zu tun haben, sondern vornehmlich geht es auch um die Möglichkeit, den Landarbeiter seßhaft zu machen.
Die bisherige Gesetzgebung gibt über das Flüchtlingssiedlungsgesetz dem vertriebenen Landarbeiter die Möglichkeit, über den Kredit von 14 000 DM wieder ein eigenes Heim als Landarbeiter zu erwerben. Leider ist den einheimischen Arbeitern diese Möglichkeit nicht gegeben.
Ich frage: Wo ist hier Gerechtigkeit?
Eine weitere Gruppe muß unseren Betrachtungen zugrunde gelegt werden, nämlich die Pächter, die Tagelöhner, die zu den Ärmsten gehören. In jahrzehnte-, ja jahrhundertelanger Entwicklung hat sich gezeigt, wie sehr die Seßhaftmachung selbständiger Existenzen auf dem Lande immer von dem Arbeitslohn abhängig war, den der -einzelne mit seiner Hände Arbeit verdiente. Wir fragen: Wenn es bei der Fassung des § 38 bleibt, was soll aus dem einheimischen vorwärtsstrebenden Tagelöhner, was
aus dem Pächter werden? 58 % aller in der Landwirtschaft selbständig Wirtschaftenden — das sind über 1,1 Millionen Betriebe, — haben entweder Pachtbetriebe oder Teilpachtbetriebe. Wollen und können wir es verantworten, hier eine Konkurrenz mit Bundesmitteln einzuleiten, den einen mit 20 000 DM Beihilfe und zinslosen Darlehen auszustatten und den anderen lediglich damit zu trösten, daß vielleicht später auch mal die Zeit für ihn kommen wird?
Es gibt darüber hinaus viele Bauern ohne Land. Wie viele treue Mitarbeiter — und ich möchte hier auch diejenigen einschließen, die eine bessere Schulvorbildung haben und im Augenblick als Inspektor, Verwalter oder Vogt tätig sind — verfügen nicht über irgendwelche Kapitalien, weil die Eltern entweder bei der Post oder Bahn oder Angestellte und Beamte sind! Sollen auch diese Gruppen ausgeschaltet werden, wenn wir von Aufstiegsmöglichkeiten auf dem Lande reden? Wie ist es mit jenen, die, vor allen Dingen hier im Westen unserer westdeutschen Bundesrepublik, im Augenblick Heimat und Hof aufgeben müssen, weil ihr Gelände für Flugplätze oder andere Zwecke benötigt wird? Sollen sie nicht gleichberechtigt sein?
Und was wird aus den sogenannten zweiten und dritten Söhnen? Es ist hier manchmal, nicht zuletzt in den Ausschüssen, die Rede davon gewesen, diesen stünden ja Bauern gegenüber, die Höfe aufgegeben hätten, Zu solchen Einwänden ist folgendes festzustellen. Wir haben zahlreiche Familien, deren zweite und dritte Söhne inzwischen Frau und Kinder haben, die mit auf den Höfen arbeiten und denen zur Zeit nicht einmal die Möglichkeit gegeben ist, ein eigenes Landarbeiterhaus zu errichten. Wollen wir diese ausschließen? Ist das Hohe Haus überhaupt darüber unterrichtet, daß vor allen Dingen in diesen Familien ein Lebensstandard herrscht, der nach unserem Dafürhalten mit dem eines gehobenen Arbeiters nicht mehr zu vergleichen ist? '
Wir sind der Meinung, daß man das Schicksal dieser Menschen nicht mit 20- und 40 000-Mark-Darlehen in Konkurrenz setzen darf, sondern daß man beiden Seiten helfen und dienen muß. Wenn wir bezüglich der Neusiedlung, die ja doch bestenfalis nur ein Zehntel der Gesamtsiedlung ausmacht, in unserem Antrag von einer 50 %igen Beteiligung sprechen, so sollen damit natürlich nicht 50 % der gesamten Eingliederungsmöglichkeiten gemeint sein. Man mag die Zahlen studieren, aber man wird zu dem Ergebnis kommen, daß wir bei diesen 50 % nur von etwa 9 bis 10 % der Möglichkeiten reden. Die Frage ist ja nicht so zu stellen, ob wir Heimatvertriebene da ansetzen können, wo im Augenblick eine Menschenleere ist, sondern wir müssen darauf hinweisen, daß dort, wo man einen zusätzlich hinbringen will, schon einer steht, ja, daß dort schon mehr stehen. Dabei möchte ich betonen, daß es falsch wäre, Tendenzen nach finanziellen Beihilfen auszulösen mit dem Ergebnis, daß ein treuer Sohn der Heimat Platz machen muß für einen Vertriebenen. Damit würden wir das Unglück nur verschieben, aber nicht beseitigen.
Unsere Zeit, in der von Technisierung und Rationalisierung die Rede ist, und unsere ganze Wirtschaftspolitik, all das drängt doch zu größeren Betrieben. Eigentlich müßten wir also, wenn wir wirtschaftlichen Motiven folgten, Betriebe zusammenlegen. Wir sind weit davon entfernt, in einer Zeit, in der es um Menschenschicksale geht, dies zu fordern. Aber auf den Zug der Zeit müssen wir aufmerksam machen. In den letzten Jahren sind nicht weniger als 300 000 Menschen vom Land weggezogen. Mehr als 1 1/2 Millionen Arbeitsplätze sind in der gewerblichen Wirtschaft im städtischen Bereich neu entstanden. Hier liegt ein unlösbares Problem vor uns. Wir sehen, daß heimatvertriebene Menschen vom Lande zu Landmenschen in unserer Bundesrepublik stoßen, die schon von sich aus nicht mehr Lohn und Brot finden und deshalb anderen Berufen nachgehen müssen. Wir mögen diese Entwicklung alle miteinander bedauern, aber die Tatsache als solche ist bittere Wahrheit.
Wir sind deshalb der Meinung, daß über diesen Zweig der Neusiedlung hinaus, bei dem das anfallende Land im Wege der Länder-Bodenreformgesetzgebung beschafft wird — wodurch auch in kommenden Jahren die Entwicklung in den einzelnen Ländern sehr verschieden sein muß —, für beide Teile, für die Verbliebenen als auch für die Vertriebenen, was die Zahl anlangt, gleiche Chancen geschaffen werden müssen. Vom Geld her ist allerdings leider zugunsten des Einheimischen in diesem Gesetz kein Ansatzpunkt.
Wir vom Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten haben deshalb einen Initiativgesetzentwurf, getragen von allen Mitgliedern des Ausschusses, zugleich mit eingereicht. Es steht unter Punkt 3 b mit auf der Tagesordnung, und wir meinen, daß man diese beiden Gesetze der deutschen Öffentlichkeit nur gemeinsam übergeben kann und soll.
Ich bin der Meinung, es geht hier nicht darum, Rechte der Einheimischen und Vertriebenen gegeneinander abzuwägen.
Bei der Entscheidung kommt es darauf an, eine Antwort auf die Frage zu suchen, ob wir hier für beide Gruppen auf dem Lande, wo die Arbeitsmöglichkeiten, die Verdienstmöglichkeiten und damit die Lebensmöglichkeiten der Familien so stark eingeschränkt sind, den gleichen Start vertreten wollen. Der Ernährungsausschuß schlägt Ihnen vor, die in unserem Ausschuß erarbeitete Grundlage zum Beschluß zu machen.
Wenn hier von Rechten und Pflichten vielleicht die Rede ist — und mögen diese Rechte und Pflichten auch im Augenblick im einzelnen schwer zu definieren sein —, über eines -kann es keinen Zweifel geben: auf dem Lande vollzieht sich, wie es der Journalist Fried im „Sonntagsblatt" von Lilje genannt hat, „eine Revolution unseres Jahrhunderts". Wir treten in diesem Augenblick nicht nur für geschriebene, sondern auch für ungeschriebene Gesetze ein, die unser deutsches Bauerntum jahrhundertelang bestimmt haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Gülich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen, die Herr Kollege Struve hier soeben über Schleswig-Holstein gemacht hat, veranlassen mich, ein paar Worte zu Schleswig-Holstein zu sagen. Sie, die Schleswig-
Holsteiner, wissen ja, daß ich die schleswig-holsteinische Bodenreformgesetzgebung im Landtag sehr weitgehend bearbeitet habe und daß ich auch jahrelang Vorsitzender des Beirats für die Bodenreform gewesen bin. Ich will Ihnen ein paar Zahlen über Schleswig-Holstein sagen, die die Angaben von Herrn Struve in das rechte Licht rücken.
Wir haben in Schleswig-Holstein knapp 450 Grundeigentümer zwischen 100 und 200 ha.
Die interessieren deswegen nicht, weil ihre Durchschnittsgröße bei 115 ha liegt. Die wenigen Güter von 160, 170, 180 ha liegen auf den schlechten Böden der Geest und haben einen so niedrigen Einheitswert, daß sie, von der Wertgrenze aus gesehen, nicht unter unser schleswig-holsteinisches Bodenreformgesetz fallen. Jetzt aber wird es interessant: wir haben 200 Großgrundeigentümer in Schleswig-Holstein, die zusammen knapp 150 000 ha besaßen.
Von diesen 200 Großgrundeigentümern sind 50 sogenannte Mehrfachbesitzer, die zusammen 95 000 ha besaßen. Diese 50 Großgrundeigentümer, die Mehrfachbesitzer sind, haben also durchschnittlich knapp 2 000 ha.
Ich habe in das „Gesetz über Landabgabe und Enteignung" hineinbekommen, daß bevorzugt der Mehrfachbesitz in Anspruch genommen werden sollte. Schleswig-Holstein — jedenfalls sechs Landkreise — ist in seiner Agrarstruktur, habe ich einmal gesagt, ein agrarhistorisches Museum. Was man dort sieht, kann man in anderen Teilen Europas nicht mehr sehen. Es ist notwendig, daß dieser private Großgrundbesitz zur Siedlung herangezogen wird, dies um so mehr, als der einzelne Großgrundeigentümer aus dieser Gruppe der 50 Mehrfachbesitzer keineswegs immer über modern geführte Betriebe verfügt. Ich habe Großgrundbetriebe von 450 ha gesehen, in denen im Jahre 1949 noch kein gepflasterter Hof und noch keine Jauchegrube vorhanden waren.
Daß solche nicht gut geführten Betriebe — auf guten Böden, wohlgemerkt — der Besiedlung zugeführt werden, scheint mir ein Gebot dêr Stunde zu sein.
Nach Erlaß des schleswig-holsteinischen „Gesetzes über Landabgabe und Enteignung" — vor diesem kam das „Gesetz zur Einleitung der Agrarreform" vom 2. Dezember 1947 — waren wir damals im Jahre 1949 schon so weit, daß die Großgrundbesitzer sich mit allen Mitteln gesträubt haben.
Ich habe ja einen großen Teil der Verhandlungen geführt. Es ist keineswegs so — Herr Kollege. Struve, das wissen Sie auch —, daß diese 30 000 ha so mit einer großen Geste aus lauter Freundlichkeit und Güte gegeben worden sind. Diese 30 000 ha sind vielmehr unter der Regierung Diekmann, der ich auch angehört habe, unter dem Druck des Unvermeidbaren gegeben worden. Ich stelle fest, daß nach dieser Abgabe von 30 000 ha seit dem Jahre 1949 kein Hektar mehr abgegeben worden ist. Mit dem Abgang der Regierung Diekmann im September 1950 und der Installierung der Regierung Dr. Bartram — Herr Kollege Dr. Bartram
sitzt jetzt unter uns — hörte jede Landbeschaffung aus dem privaten Großgrundbesitz auf.
— Herr Struve, es ist besser, wenn wir uns darüber im einzelnen hier nicht unterhalten; denn dann werden die Dinge, die Sie hier vorgetragen haben, für Sie noch ein bißchen ungünstiger. Ich möchte hier bloß festhalten, daß seit dem Jahre 1949 kein Land mehr freiwillig abgegeben, kein Land enteignet und kein Land in Anspruch genommen worden ist, sondern daß das Land, das dann abgegeben worden ist, zu sehr hohen Preisen angekauft werden mußte.
— Selbstverständlich ist es bezahlt. — Ich bin also der Meinung, daß in Schleswig-Holstein nach wie vor Großgrundbesitzerland im Interesse der Vertriebenen zur Verfügung gestellt werden muß und zur Verfügung gestellt werden kann, ohne daß irgendeinem damit weh getan wird. Der Gedanke, den ich damals in die Gesetzgebung eingeführt habe, war der: Zunächst sollen alle Großgrundbesitzer einen Hof behalten, ganz ohne Rücksicht auf die Größe. Das sollte nun aber auch durchgeführt werden, und das wird seit Jahren nicht mehr durchgeführt.
— Der Staat hat in Schleswig-Holstein nur einen äußerst geringfügigen Domänenbesitz. Die einzige öffentliche Hand, die in Schleswig-Holstein über Großgrundbesitz verfügt, ist im wesentlichen der Kreis Herzogtum Lauenburg, der über acht Kreisdomänen verfügt. Ich kann Ihnen verraten, daß ich mich als damaliger Landrat des Kreises Herzogtum Lauenburg mit den beiden Domänenpächtern, deren Pacht auslief, geeinigt hatte und daß diese beiden Domänen mit dem 30. Juni 1949 aufgesiedelt werden sollten. Die Pächter sollten Resthöfe bekommen und waren damit einverstanden. Nach meinem Rücktritt vom Amte des Landrats des Kreises Herzogtum Lauenburg im Herbst 1948 hörte diese Siedlungstätigkeit, die ich eingeleitet hatte, auf. Daß in § 14 des Gesetzes zur Einleitung der Agrarreform die Siedlungspflicht der Gebietskörperschaften verankert ist, wissen Sie ja auch, Herr Struve. Auch dieser Gedanke ist durch mich in dieses Gesetz hereingekommen.
Nun noch ein Wort zu der Frage, was aus den Pächtern und den Landarbeitern werden soll. Diese Frage hören wir ja immer, und wer die Siedlungsliteratur durch die Jahrzehnte hindurch kennt, der weiß, daß das eines der alten Argumente ist. Wir müssen aber solche Argumente nicht theoretisch und statistisch prüfen, sondern wir müssen sehen, wie die Wirklichkeit aussieht. Nun wissen wir alle, daß der Stand der Pächter in der Landwirtschaft besonders qualifiziert ist, und es ist noch keinem Pächter in Schleswig-Holstein etwas geschehen. Ich kann Ihnen sagen, daß in den vier neuen Dörfern, die im Kreise Lauenburg errichtet worden sind, auch nicht ein einziger Landarbeiter seine Stelle verloren hat. Ich weiß aus dem Kopf, daß 70 % der neuen Bauernstellen durch Vertriebene und 30 % durch Einheimische eingenommen worden sind.
— Ja, das ist sehr gut und entspricht unserer
Flüchtlingssituation in Schleswig-Holstein. Wir können uns nicht schematisch auf die Hälfte festlegen, sondern müssen von den Gegebenheiten ausgehen, die wir vorfinden.
In einem Lande, das fast ebenso viele Flüchtlinge wie Einheimische hatte, mußten wir so handeln. Wir konnten nicht anders handeln, und wir können, nachdem die Umsiedlung nicht geklappt hat, auch in Zukunft noch nicht so verfahren, wie Herr Struve sich das vorstellt. Diese Neusiedler unter den Vertriebenen sind j a sämtlich oder ganz überwiegend frühere Bauern, die ein paar Jahre in Schleswig-Holstein als Landarbeiter gearbeitet hatten, die klimatischen und die Wirtschaftsverhältnisse kennengelernt hatten und nun auf diese Weise sehr gut als Vollbauern in die Siedlung eingeführt werden konnten.
Zu den zweiten und dritten Söhnen noch ein Wort. Dieses Problem ist ja in Wirklichkeit, Herr Struve, leider auch nicht so, wie Sie sagen.
Sie als Präsident des schleswig-holsteinischen Bauernverbandes kennen doch auch die Struktur der schleswig-holsteinischen Bauern. Sie wissen doch genau so gut wie ich, daß Gott sei es geklagt — soundso viele zweite und dritte Söhne gefallen sind. Wir haben uns ja auch darüber unterhalten, daß wir Hunderte oder Tausende von schleswig-holsteinischen Bauernfamilien haben, in denen der einzige Sohn gefallen ist. Deshalb haben wir vor- zwei Jahren beim Erbschaftsteuergesetz dafür gesorgt, daß eben wegen der gefallenen ersten Söhne die nachfolgenden Schwiegersöhne oder Vettern so behandelt werden, als ob sie Söhne wären. Da haben wir darüber verhandelt, und ich habe gesagt: schön, ich bin bereit, soweit zu gehen, daß wir auch den schleswig-holsteinischen Großbauern einbeziehen.
Was Kollege Struve hier vorgetragen hat, sind Argumente, die wir aus der Siedlungsliteratur seit Jahrzehnten kennen. Es sind Argumente, die grundsätzlich gegen die Siedlung sind. Wir haben uns aber in dieser Zeit nicht mit Doktrinen von früher abzugeben, sondern wir haben in dieser Zeit das Gebot der Stunde zu erfüllen,
und das Gebot der Stunde heißt, den heimatvertriebenen Bauern den Anteil an Land zu geben,
den wir ihnen geben können und geben müssen.
Das Wort hat der Abgeordnete Trischler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es handelt sich um die Neusiedlung. Wir müssen vorweg feststellen, daß man bisher auf dem Gebiet der Bodenreformgesetzgebung und ihrer Durchführung in den Ländern nicht schnell genug vorwärtsgegangen ist. Es sind Stockungen eingetreten, die eine Verzögerung bewirkt haben. Die Ergebnisse der letzten Jahre sind nicht sehr ermutigend. Gleichzeitig wollen wir feststellen, daß überhaupt bei der Eingliederung heimatvertriebener Landwirte bisher zu wenig geschehen ist. Wir haben bisher vielleicht gerade 10 % derjenigen eingegliedert, die als ehemals selbständige Landwirte darauf warten.
Nun behandeln wir gegenwärtig das Bundesvertriebenengesetz. Die Ausführungen des Herrn Struve scheinen mir deshalb nicht ganz zum Thema zu gehören. Die Aufgabe des Bundesvertriebenengesetzes in diesem Abschnitt ist es, die Frage der Eingliederung von Heimatvertriebenen in der Landwirtschaft zu regeln. Indirekt berührt das natürlich auch das Problem der Siedlung für Einheimische. Aber wir können das Problem der Siedlung für Einheimische nicht in diesem Gesetz regeln. Es gibt unter uns Heimatvertriebenen keinen, der das verhindern möchte. Wir haben gar nichts dagegen, daß mit anderen Gesetzen und mit Geldmitteln auch die Ansiedlung von Einheimischen entsprechend gefördert wird.
Was ist nun der Unterschied zwischen den beiden Fassungen des § 38, der Fassung des Ausschusses und der Fassung, die die Abgeordneten Müller und Genossen beantragen? Müller und Genossen setzen sich für ein starres Prinzip ein und wollen das zahlenmäßige Verhältnis von 50 zu 50 gesichert haben. Wir sagen, es ist vielleicht gar nicht möglich oder auch gar nicht nötig, sich so starr festzulegen. Man kann nicht in allen Gegenden nach diesem Schlüssel vorgehen. Es ist ohne weiteres möglich, daß in der einen Gegend mal die Einheimischen mehr bekommen können, in der anderen Gegend die Heimatvertriebenen. Es kann sogar sein, daß auf der einen oder auf der anderen Seite nicht einmal genügend Bewerber vorhanden sind. Wenn wir also von keiner starren Zahl ausgehen, sondern uns mit der allgemeinen Formulierung begnügen, daß der Heimatvertriebene in dem Umfang zu berücksichtigen ist, der seiner besonderen Notlage entspricht, so ist ja damit gar nicht gesagt, daß wir im Gegensatz zu den einheimischen Bauern mehr als die Hälfte kriegen müssen. Wir haben das Vertrauen, daß das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, das Bundesvertriebenenministerium und die Länderregierungen — es muß ja im Einvernehmen mit den Länderregierungen geschehen — im Einzelfall die zweckmäßige Lösung finden werden.
Könnten Sie sich etwa nicht vorstellen, daß wir Bedenken gegen unsere eigene Fassung äußern? Denn es liegt in dieser Fassung noch keine Garantie, daß wir entsprechend der wirklichen Notlage usw. — zahlenmäßig kann man es gar nicht ausdrücken — zum Zuge kommen können.
Also ich glaube, eher könnte man von unserer Seite Bedenken haben. Wir haben keine Bedenken. Wir schenken diesen drei Stellen das Vertrauen. Sie selbst, Sie haben zu Ihrem eigenen Ministerium und zu Ihren eigenen Landesregierungen nicht das Vertrauen, das sie im Einzelfall entsprechend den Möglichkeiten und der Notlage die Entscheidung treffen.
— Ja, leider haben auch wir unsere Erfahrungen! Darum geht es eben. Darf ich mal ein einfaches Rechenexempel machen? Wenn die einheimische Landwirtschaft wirklich von sich aus alles unternommen hätte — in einzelnen Gemeinden ist tatsächlich viel geschehen —, wenn sich jede Gemeinde im Laufe der letzten Jahre zur Aufgabe gestellt hätte, zwei, drei Bauernhöfe von sich aus in ihrem Bereich unterzubringen, dann brauchten
wir uns heute mit diesem Gesetz gar nicht zu befassen. Dann wäre das Problem längst gelöst. Aber das ist nicht geschehen. Tatsache ist, daß wir bis jetzt nur 10 % eingegliedert haben. Wir wissen, daß es in diesem Tempo nicht weitergehen kann. Es zu beschleunigen, ist Sinn dieses Gesetzes. Ist denn dies ganze Gesetz so schrecklich? Wir sind uns darüber im klaren, daß die nächsten fünf Jahre entscheidend sind. Ist es denn eine so große Katastrophe, wenn man während der fünf Jahre sogar einmal die Einheimischen etwas zurückstehen läßt? Nachher werden wir sowieso gemeinsam weitermarschieren. Es werden sehr wenige Menschen da sein, die angesiedelt werden wollen. Nach fünf Jahren werden soundso viele Bauern überhaupt keinen Wert mehr auf eine Ansiedlung legen.
Ich glaube also, die Heimatvertriebenen können mit Recht erwarten, daß auf diesem wirklich außerordentlich wichtigen Gebiet mehr geschieht. Denn das ist das schwierigste Problem bei der Eingliederung der Heimatvertriebenen überhaupt:
Unter den Heimatvertriebenen ist der Anteil der bäuerlichen Bevölkerung leider sehr hoch. Ein Vergleich mit den anderen Berufsgruppen läßt erkennen, daß auf diesem Gebiet bisher das wenigste erreicht worden ist. Es ist notwendig und richtig, daß wir hier mehr tun. Wenn wir diesen drei Stellen das Vertrauen schenken und wirklich die Überzeugung haben können, daß sie im Einzelfall nach den örtlich, kreismäßig, landesmäßig gegebenen Verhältnissen gemeinsam die richtige Entscheidung treffen werden, dann können wir erwarten, daß die einheimische Landwirtschaft dasselbe tun wird.
Darum bitten wir Sie: nehmen Sie die Fassung, wie sie uns vorliegt, an und lehnen Sie den Änderungsantrag ab!
Meine Damen und Herren. im Interesse der Förderung unserer Beratungen empfehle ich Ihnen, daß wir nun nicht in eine Einzelbesprechung der schleswig-holsteinischen Siedlungspolitik verfallen.
Die hat unmittelbar mit dem hier zu erörternden Thema nichts zu tun. — Das Wort hat der Abgeordnete Dannemann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ganz abgesehen davon, daß die vorliegende Formulierung des Entwurfs, nach der bei Vergabe von Neusiedlerstellen die Vertriebenen in einem Umfang zu berücksichtigen sind, der der besonderen Notlage entspricht, nicht glücklich und klar ist, wie Sie eben auch aus den Ausführungen meines Vorredners entnommen haben, sind wir der Meinung, daß es bei aller Würdigung des Vorrechts der Vertriebenen nicht vertretbar ist, den Einheimischen in Zukunft jegliche Siedlungsmöglichkeit zu nehmen.
Bereits das Flüchtlingssiedlungsgesetz sah eine einseitige Bevorzugung der Vertriebenen vor und gab den nachgeborenen Bauernsöhnen, den Heuerleuten und hiesigen Landarbeitern kaum noch die Möglichkeit, eine Pachtung, geschweige denn eine Siedlung zu bekommen, da die finanziellen Vorzüge sowohl für die Vertriebenen als auch für die Verpächter so einseitig waren, daß aus rein finanziellen Erwägungen die Einheimischen einfach nicht zum Zuge kommen konnten.
Nunmehr soll nach diesem Gesetz sogar noch wesentlich weitergegangen werden.
In Anbetracht der Tatsache, daß bereits in den letzten vier Jahren nicht weniger als 800 000 Menschen vom Lande abgewandert, vom Lande weggelaufen sind, ist es nicht zu verstehen, daß nunmehr dem Nachwuchs jegliche Möglichkeit einer Existenzgründung genommen werden soll.
Es ist wahrhaftig keine übertriebene Forderung, wenn nach dem Antrage Dr. Müller und Genossen verlangt wird, lediglich bei der Vergebung von Neusiedlerstellen die Einheimischen gleichberechtigt zu behandeln.
Meine Damen und Herren, das Vertriebenenproblem lösen wir nicht dadurch, daß wir aus Vertriebenen Einheimische und zugleich aus Einheimischen Vertriebene machen.
Ich bin daher der Meinung, daß hier eine entscheidende Frage vorliegt, und behalte mir vor, in der dritten Lesung namentliche Abstimmung über diesen Paragraphen zu beantragen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bartram.
Dr. Bartram (CDU): Meine Damen und Herren! Ich will Ihrer Aufforderung, Herr Präsident, gerne Folge leisten und nicht eine schleswig-holsteinische Debatte fortsetzen; aber ich muß etwas richtigstellen, Herr Dr. Gülich. Ich verkenne nicht die Verdienste meines Vorgängers, Herrn Diekmann, in der Frage der Landbeschaffung in den Verhandlungen, die er mit den Großgütern gehabt hat und die erfolgreich gewesen sind; aber ich muß eines dazu sagen, daß die Freiwilligkeit das ausschlaggebende gewesen ist, und ich muß es den schleswig-holsteinischen Großgrundbesitzern hoch anrechnen, daß sie das zur Verfügung gestellt haben und von sich aus zur Verfügung gestellt haben.
Damals, Herr Dr. Gülich, ist von diesen 30 000 ha noch nichts abgewickelt gewesen. Durch Ihre Ausführungen hat es den Anschein erweckt, als ob diese 30 000 ha bereits umgesiedelt waren.
— Lassen Sie mich doch ausreden, Herr Dr. Gülich! Diese 30 000 ha sind erst im letzten Jahr ausgelaufen, und Schleswig-Holstein hat dann weiteres Land zur Verfügung gestellt, und ich glaube ganz bestimmt, daß, wenn die anderen Länder und insbesondere auch z. B. Hamburg von sich aus so viel Entgegenkommen bewiesen hätten wie Schleswig-Holstein mit seiner Politik, es dann im ganzen bedeutend besser wäre.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kather.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß dies eine der unerquicklichsten Debatten ist, die wir überhaupt im Bundestag bisher geführt haben.
Wenn wir uns an die Worte erinnern, die heute bei Punkt 2 der Tagesordnung gesprochen worden sind, wo es um die Sowjetzonenbauern ging, und wenn wir uns dann ins Gedächtnis zurückrufen, was wir eben gehört haben, so ist eine große Divergenz festzustellen.
Ich hätte es nicht für möglich gehalten, daß man sich hierhinstellt und gewissermaßen den Ruf nach Gerechtigkeit für die Einheimischen schon bloß deshalb erhebt, weil vielleicht für Landarbeiter irgendwo Wohnungen gebaut worden sind mit den Mitteln, die notwendig sind, während wir aber doch nicht übersehen wollen, daß noch Hunderttausende im Lager sind.
Was wird hier gefordert? Es wird hier gefordert, daß das anfallende Land für die Neusiedlung zu je 50 °/o zwischen Vertriebenen und Einheimischen aufgeteilt wird. Es ist nicht so, wie Herr Struve sagte, daß das nur ein Zehntel der Maßnahmen sei, die wir vorschlagen und durchführen müßten. Das Verhältnis zwischen dieser Neusiedlung und der nach dem Flüchtlingssiedlungsgesetz wird sich in der kommenden Zeit ganz gewaltig verschieben, und deshalb ist diese Frage von einer außergewöhnlichen Bedeutung. Wenn man den Ruf erhebt: „Gleiche Chancen für Vertriebene und Einheimische", so kann man doch diesen Ruf nur erheben, wenn man von gleichen Voraussetzungen ausgeht. Wenn es nun einmal eine leider nicht zu bestreitende Tatsache ist, daß von unseren 300 000 Bauern nur 10 % so oder so wieder untergebracht sind und 90 % noch nicht, und wenn man auf der andern Seite ebensowenig leugnen kann, daß die einheimische Bauernschaft ihre Höfe erhalten hat — wenn auch ihre Lage in mancher Hinsicht schwierig sein mag —, so geht schon daraus hervor, daß hier von gleichen Voraussetzungen, gleichen Umständen und Gleichziehen bei der Verteilung des Siedlungslandes gar nicht gesprochen werden kann.
Es ist noch ein weiteres sehr sachliches Argument bei den Beratungen, die wir in internen Kreisen in den letzten Tagen gehabt haben, vorgebracht worden. Es ist auch heute schon zum Ausdruck gekommen, daß in den letzten Monaten Bauern aus der Sowjetzone in großer Zahl in das Bundesgebiet eingeströmt sind. Es ist die Zahl von 16 000 genannt worden. Diese Bauern haben wir im Gesetz hier drin. Wenn man uns auch gesagt hat: Ja, wenn da noch hunderttausend kommen, die können wir auch nicht unterbringen, dann ändert das nichts an der Tatsache, daß hier alle anerkannten Sowjetzonenflüchtlinge, auch wenn sie heute und morgen erst kommen, drin sind. Sie würden alle auf unseren Anteil gehen, und unser Anteil würde jeden Tag schmäler werden. Schon deswegen ist die hier vorgeschlagene Regelung absolut unmöglich.
Herr Struve, Sie haben hier auf die Landarbeiter, auf die Pächter und auf sonstige hingewiesen. Aber in dem einzigen Antrag, der konkret bei § 65 vorliegt, ist nur an die zweiten Söhne gedacht. Solange unsere Väter nichts haben und unsere ersten und zweiten Söhne nichts haben, können wir uns mit diesem Gedanken nicht befreunden.
Ich möchte doch ganz kurz darauf zu sprechen kommen, wie ein anderes Volk dieses Problem gelöst hat. Sie werden mir natürlich — Herr Kunze wird sogar schon nervös —
wieder entgegenhalten: in Finnland ist das ganz anders. Gut, meine Damen und Herren, es mag in Finnland manches anders sein. Aber es war auch dort ein großes Problem, und es ist radikal gelöst worden. Als wir dort waren, hat man die 400 000 Vertriebenen schon eingegliedert gehabt. Sie waren doch fast alle Landwirte, und kein Mensch hat daran gedacht, bei dieser Gelegenheit das nachzuholen, was man in Jahrzehnten und Jahrhunderten versäumt hat.
Das Wort hat der Abgeordnete Müller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Herrn Dr. Trischler zwingen mich doch, noch einige Feststellungen sachlicher Art hier zu machen. Herr Trischler hat erklärt, daß in den Ländern mit der Bodenreform zuwenig geschehen sei. Die Länder haben sich — wenigstens hier Nordrhein-Westfalen, in dessen Landtag ich seinerzeit als Vorsitzender des Ausschusses das Bodenreformgesetz mitgestaltet habe — nach besten Kräften bemüht, die Siedlung voranzutreiben. Aber letzten Endes gehört zur Durchführung der Siedlung Geld. Der Bund existierte noch nicht, und das Land hat es allein machen müssen und hat allerlei geschaffen. Wenn man sich in der Bundesrepublik umsieht, dann darf man feststellen, daß auf dem Gebiete der Neusiedlung im Rahmen der Bodenreform allerlei geschehen ist. Das könnte man feststellen, wenn man sich einmal eingehend mit diesem Zahlenmaterial beschäftigte.
Nun weist der Herr Trischler darauf hin, daß der Bundesminister für Ernährung, die einzelnen Landwirtschaftsminister und die Minister für Flüchtlingswesen in den einzelnen Ländern feststellen sollten, in welchem Umfange Vertriebene an der Neusiedlung beteiligt werden. Er meint, bemerken zu müssen, wenn wir das ablehnten, dann bewiesen wir damit, daß wir weder zu den Bundesministern noch zu den Regierungen in unserem eigenen Lande Vertrauen hätten. Meine Damen und Herren, unsere Stellungnahme hat mit Vertrauen zu diesen Regierungen gar nichts zu tun,
sondern es geht darum, daß hier in Fragen, die für eine ganze Menge von Menschen lebenswichtig sind,
Regierungen und Minister nach ihrem Ermessen entscheiden.
Ich glaube, wir alle sollten uns in der Erteilung derartiger Ermessensvollmachten so weit als möglich Beschränkungen auferlegen und die Regelung, wenn wir sie zu treffen haben, in einem Gesetz vornehmen, damit jeder Staatsbürger weiß, woran er ist, was sein Recht ist, und daß die Minister wissen, was ihre Pflicht ist.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Herr Trischler hat gefragt, warum man nicht dafür gesorgt habe, daß in jedem einzelnen Dorf zwei bis drei Bauernhöfe eingerichtet worden sind. Nun, so ist es ja auch nicht, daß man sich wie mit Spiel-
zeugschachteln kleine Bauernhöfe aufbauen kann. Zur Beurteilung der Gesamtsituation muß man sich doch einmal die soziale Gliederung unseres Bauerntums in der Bundesrepublik vor Augen halten. Wir haben 544 000 landwirtschaftliche Betriebe von 2 bis 5 ha und 655 000 von 5 bis 20 ha. Das sind über 60 % der landwirtschaftlichen Betriebe in der Bundesrepublik. Sie bewirtschaften auch über 60 % des Grund und Bodens. Wir haben 125 000 Betriebe von 20 bis 100 ha. Das sind 6,3 % der landwirtschaftlichen Betriebe, und sie bewirtschaften 30,2 % des Bodens. In der ganzen Bundesrepublik haben wir 3000 Betriebe mit über 100 ha. Diese werden schon durch die Bodenreform in den einzelnen Ländern auf 100 ha heruntergebracht.
— Nun, Herr Dr. Schmidt, wenn Sie die landwirtschaftliche Betriebsstatistik nicht kennen und nicht anerkennen, können Sie mir leid tun.
Bei der Beurteilung muß man nun einmal von der amtlichen Statistik ausgehen. Mit Redensarten kann man die Statistik nicht aus der Welt schaffen.
An diesen Zahlen, meine Damen und Herren, sieht man, wie eng der Raum ist.
Es gibt ganze Dörfer, wo man irgendwelche Neubauernbetriebe gar nicht herausschneiden kann, weil die Betriebe das erforderliche Land nicht zusammenbrächten.
Wenn nun hier in diesem Einzelfall gewünscht wird, daß die einheimische Landwirtschaft zu 50 % an der Neusiedlung beteiligt wird, so erscheint mir das nicht als ein unbilliges Verlangen, weil wir ja auch dafür sorgen müssen, daß unsere Landarbeiter, die vorankommen wollen, und auch die nachgeborenen Bauernsöhne die Möglichkeit sehen, eine selbständige Existenz zu gründen.
Nun ein Wort zu den Ausführungen von Herrn Kather , der immer dabei ist, uns Finnland als Musterbeispiel vorzuführen. Er hat gesagt, in Finnland habe man über 400 000 Menschen angesetzt. Meine Herren, das sind die Karelier, die aus dem an Rußland abgetretenen Karelien nach Finnland hineingeströmt sind. Von Sachkennern ist mir gestern mitgeteilt worden, wie sich die Dinge dort abgespielt haben. Die 400 000 oder 450 000 Karelier — sie entsprechen etwa 80 000 bis 100 000 Familien — sind dorfweise angesiedelt worden. Die Regierung hat das Land gerodet und hat, da die Holzpreise infolge der Korea-Krise in der Welt sehr hoch standen, einen hundertprozentigen Wertzoll erheben können. Mit diesem Geld hat man die Siedlungen finanziert. Die Karelier hat man in Blockhäuser gesetzt, und sie haben selber das Land gerodet, das ihnen zur Verfügung gestellt worden ist. Sie hatten auch ihr gesamtes Inventar aus Karelien mitgebracht, so daß sie nicht mehr damit ausgestattet zu werden brauchten.
Ich glaube, Herr Dr. Kather, wenn man uns diese Dinge als Beispiel vorführen will, muß man auch betonen, daß sie unter ganz anderen und günstigeren Verhältnissen exerziert worden sind, als wir sie leider haben.
Dann, meine Damen und Herren, habe ich noch den Antrag zu stellen, daß über diesen Antrag, den ich eingebracht habe und der im übrigen ein Beschluß des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ist, namentlich abgestimmt wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Tobaben.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben in den ersten Paragraphen dieses Abschnitts beschlossen, daß für dieses Gesetz nicht nur die Vertriebenen berücksichtigt werden sollen, die drüben einen Bauernhof oder eine Pachtwirtschaft verloren haben, sondern alle diejenigen, die irgendwie aus der Landwirtschaft stammen oder nachher in der Landwirtschaft beschäftigt waren.
Wir haben damit für die Beurteilung auch der anderen Paragraphen und insbesondere des § 38 eine ganz eigene Grundlage geschaffen, die wir nicht verlassen können und dürfen, wenn wir nicht in der Tat zweierlei Recht schaffen wollen. Ich könnte es durchaus verstehen, wenn hier gefordert würde, daß in der Bevorzugung der Bewerber der Vertriebene gegenüber dem Einheimischen berücksichtigt werden solle, wenn es sich nur um den Kreis handeln würde, der einen Betrieb im Osten verloren hat. Das ist aber nicht der Fall, und gerade auch die Vertreter dieser Vorlage haben das abgelehnt. Ich habe auch gar nichts dagegen, wenn tüchtige Landarbeiter oder deren Söhne bei der Siedlung hier im Westen berücksichtigt werden. Ich bin mit Herrn Merten der Auffassung: wir sollen alle wertvollen Kräfte, die sich eben halten lassen, auf dem Lande zu halten versuchen. Aber der hier im Westen geborene Landarbeiter oder sein zweiter und dritter Sohn muß darum nicht schlechter sein, weil er hier im Westen gewohnt hat, als wenn er aus dem Osten kommt. Hier dürfen wir meines Erachtens unter gar keinen Umständen zweierlei Recht schaffen.
Nun ist hier an dieser Stelle erklärt worden: Um die Dinge zu überwachen, hat ja immer noch der Minister in den Ländern und der Minister im Bund sowie eventuell auch die Bürokratie eine gewisse Handhabe.
Meine Damen und Herren, ich bin der Meinung, daß wir, um einen Mißbrauch später zu verhindern und gar nicht die Möglichkeit dazu erst aufkommen zu lassen, uns im Gesetz eindeutig und klar ausdrücken sollten. Wir können es uns gerade bei diesem Gesetz, wenn man uns draußen verstehen soll, nicht leisten,
zweierlei Recht zu schaffen. Den Vertriebenen ist ein nie verjährbares Unrecht geschehen; dieses kann man aber nicht durch die Schaffung eines neuen Unrechts wieder ausgleichen. Dann kann man es höchstens weitertragen und immer neue Wunden aufreißen. Das darf aber nicht die Absicht dieses Gesetzes sein.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Merten. — Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen vor, daß wir Herrn Abgeordneten Merten noch hören, dann den Herrn Bundesvertriebenenminister und die Abstimmung morgen mittag vornehmen. Ich unterstelle, daß der Antrag auf namentliche Abstimmung hinreichend unterstützt wird. Ist das der Fall?
— Er ist hinreichend unterstützt. — Herr Merten, bitte! — Oder wollen Sie erst, Herr Minister? — Also bitte, Herr Bundesminister Lukaschek.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich noch einige Worte sagen! In § 44 der alten Regierungsvorlage steht drin, daß die Vertriebenen bevorzugt berücksichtigt werden sollen. Ich bitte, das nicht zu vergessen. Ich bitte, auch folgendes zu berücksichtigen: Nach meiner Überzeugung ist es technisch gar nicht möglich, eine Hälftung in das Gesetz hineinzuschreiben,
weil das zu einem Scheitern führen muß. Denn gerade wenn Herr Struve vorhin sagte, man könne die eine Hälfte, die Geld hat, nicht mit Geld löhnen, ohne die andere sofort zu benachteiligen, weil sie kein Geld hat, so heißt das: Es kann nur eine Hälfte überhaupt siedeln, und die andere Hälfte kann nicht siedeln, und dann wird das Unglück größer.
Ich glaube, meine Damen und Herren, etwas Vertrauen können Sie zu drei Ministern auch haben, die doch im Kabinett sitzen!
Die Dinge stehen uns doch als ganz schweres Memento täglich vor den Augen. Ich glaube, der von Ihnen vorgeschlagene Weg ist technisch falsch, auch aus sachlichen Gesichtspunkten. Es kommt doch dazu, daß die Vertriebenen unter gar keinen Umständen mehr als die Hälfte bekommen.
Herr Abgeordneter Merten!
Ich bitte um Entschuldigung, daß ich wieder das letzte Wort haben will. Aber die Diskussion hat die Geschichte vollkommen verschoben. Es sieht jetzt so aus, als ob diejenigen, die für die Ausschußvorlage stimmen, damit gegen die einheimischen Landarbeiter und gegen die einheimischen Bauern stimmen.
Lassen Sie sich von mir sagen: Davon ist nicht ein einziges Wort wahr; davon kann gar keine Rede sein.
Im Gegenteil, durch Ihren Antrag tritt eine glatte Schädigung der einheimischen Siedlungsbewerber ein, in den Fällen nämlich, in denen mehr als die Hälfte der Siedlungsbewerber Einheimische sind. Dann darf nach dem Gesetz nur die Hälfte berücksichtigt werden, und die anderen gehen leer aus, während es nach der Ausschußvorlage sehr wohl
möglich wäre, in flüchtlingsarmen Ländern mehr als die Hälfte zu berücksichtigen.
Wenn Sie, wie das wiederholt geschehen ist, die Landarbeiter erwähnt haben, meine Herren, so wünschte ich, Sie hätten Ihr Herz für die einheimischen Landarbeiter auch schon bei anderen Gelegenheiten entdeckt als ausgerechnet hier.
— Herr Struve, Sie sind kein Landarbeiter, und ich bin kein Landarbeiter;
aber wir kennen sie beide und wissen auch, was los ist.
— Herr Kollege, ich bin ja nicht der Landwirtschaftsminister von Niedersachsen. Sie müssen sich an die zuständige Stelle wenden.
Es geht nicht darum, daß, wie Herr Struve hier sehr deutlich gesagt hat, „der treue Sohn der Heimat dem Vertriebenen Platz machen muß".
Herr Struve, wir wollen, daß die einheimischen Siedlungsbewerber zum Zuge kommen, wir wollen, daß die Vertriebenen als Siedlungsbewerber zum Zuge kommen, und wir wissen beide, Sie und ich, daß man das nicht nach einem Schema machen kann. Aus diesem Grunde steht ja das Gesetz zur Förderung der Siedlung unter demselben Punkt der Tagesordnung, und in § 3 dieses Gesetzes steht klipp und klar, daß alle, die nicht unter dieses Gesetz fallen, nach dem anderen Gesetz berücksichtigt werden sollen. Wit machen hier kein allgemeines Siedlungsgesetz, und es ist vollkommen ausgeschlossen, in diesem Gesetz die Frage der Einheimischensiedlung regeln zu wollen; das gehört in ein anderes Gesetz.
Glauben Sie mir, daß der Vertriebene ein genau so treuer Sohn seiner Heimat ist wie der Einheimische, der auf seinem — —
Meine Damen und Herren, es ist unmöglich, bei der Diskussion dieses Gesetzes Rechte gegeneinander aufrechnen zu wollen;
es gilt im Rahmen dieses Gesetzes die Lösung zu finden, die der Gesamtheit des Volkes dient.
Aus diesem Grunde haben wir das Wort „bevorzugt" aus dem § 38, das in der Regierungsvorlage enthalten war, gestrichen. Wir wollen keine Bevorzugung, weder des einen noch des anderen. Aber wir müssen der besonderen Notlage der Vertriebenen, die nicht bestritten werden kann, dadurch Rechnung tragen, daß wir je nach den Ländern den Anteil der Vertriebenen an der Neusiedlung festlegen. Ich bitte Sie deswegen, damit wir nicht den Charakter des ganzen Gesetzes gefährden und Dinge hineinbringen, die nun einmal nicht hineingehören, sondern die davon unabhängig besonders geregelt werden müssen, diesem Änderungsantrag Ihre Zustimmung zu versagen und der Ausschußvorlage zuzustimmen.
Meine Damen und Herren, entsprechend der Vereinbarung im Ältestenrat breche ich die Beratung
zu diesem Punkt der Tagesordnung ab.
Es ist eine interfraktionelle Vereinbarung zustande gekommen, daß der Punkt 5 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung der Geltungsdauer und zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiete der gewerblichen Wirtschaft ,
ohne Begründung und ohne Aussprache an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik überwiesen werden soll. – Ich unterstelle, daß Sie damit einverstanden sind. Diese Überweisung ist erfolgt.
Meine Damen und Herren, wir fahren in der Beratung des Punktes 3 morgen um 13 Uhr 30 fort. Ich bin gebeten worden, mit Rücksicht auf die Tatsache, daß eine größere Zahl von Abgeordneten morgen erst um 15 Uhr hier sein könne, die Abstimmung über die verschiedenen Anträge, die dann zur Beratung stehen werden, erst um 15 Uhr vorzunehmen. Ich nehme an, daß Sie damit einverstanden sind.
Ich berufe die 251. Sitzung auf morgen, 13 Uhr 30, und schließe die 250. Sitzung.