Protokoll:
12234

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 12

  • date_rangeSitzungsnummer: 234

  • date_rangeDatum: 17. Juni 1994

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 14:29 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 12/234 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 234. Sitzung Bonn, Freitag, den 17. Juni 1994 Inhalt: Erinnerung an die Opfer des Aufstandes vom 17. Juni 1953 in der ehemaligen DDR 20437 A Erweiterung der Tagesordnung 20437 D Begrüßung des Vorsitzenden der Staatsduma der Russischen Föderation, Iwan Petrowitsch Rybkin, und seiner Delegation 20463 C Zusatztagesordnungspunkt 10: Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz zur abschließenden Erfüllung der verbliebenen Aufgaben der Treuhandanstalt (Drucksachen 12/6910, 12/7429, 12/7665, 12/7947) 20438B Zusatztagesordnungspunkt 11: Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung (Drucksachen 12/3803, 12/7303, 12/7667, 12/7948) 20438B Tagesordnungspunkt 19: Beratung des Berichts der EnqueteKommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland" (Drucksache 12/7820) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 12: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Markus Meckel, Angelika Barbe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Arbeitsmöglichkeiten der EnqueteKommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland" zu dem Antrag der Abgeordneten Hartmut Koschyk, Dr. Roswitha Wisniewski, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dirk Hansen, Dr. Jürgen Schmieder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Unterstützung der EnqueteKommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland" (Drucksachen 12/6933, 12/7225, 12/7941) Rainer Eppelmann CDU/CSU 20438 D Markus Meckel SPD 20441 C, 20455B, 20465 A Dirk Hansen F.D.P. 20444B, 20464 B Dr. Wolfgang Ullmann BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 20446 C Dr. Dietmar Keller PDS/Linke Liste 20448 A Gerd Poppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 20450A, 20455 C Hartmut Koschyk CDU/CSU 20452 D Stephan Hilsberg SPD 20455 D Dr. Heiner Geißler CDU/CSU 20457 C Gert Weisskirchen (Wiesloch) SPD 20458 A, 20465 B Gerhard Reddemann CDU/CSU 20458 C Dr. Jürgen Schmieder F.D.P. 20458C Dr. Uwe-Jens Heuer PDS/Linke Liste . 20460 C II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 234. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Juni 1994 Dr. Dorothee Wilms CDU/CSU 20460 D Wolfgang Thierse SPD 20463 D Dr.-Ing. Rainer Jork CDU/CSU 20464 C Udo Haschke (Jena) CDU/CSU 20464 C Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU 20465 D Maria Michalk CDU/CSU 20466C Margot von Renesse SPD 20468B Dr. Hartmut Soell SPD 20469 B Dr. Dorothee Wilms CDU/CSU 20470B Ortwin Lowack fraktionslos 20471 C Dr. Rudolf Karl Krause (Bonese) fraktionslos 20472C Ingeborg Philipp PDS/Linke Liste (Erklärung nach § 31 GO) 20473 C Dr. Uwe-Jens Heuer PDS/Linke Liste (Erklärung nach § 31 GO) 20474 A Angelika Barbe SPD (Erklärung nach § 31 GO) 20475 D Dr. Konrad Elmer SPD (Erklärung nach § 31 GO) 20477 B Tagesordnungspunkt 20: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses Treuhandanstalt a) zu dem Antrag der Abgeordneten HansJoachim Hacker, Iris Gleicke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Herstellung der Rechtseinheit bei grundeigenen Bodenschätzen b) zu dem Antrag der Abgeordneten Rolf Schwanitz, Hans-Joachim Hacker, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Herstellung der Rechtseinheit bei grundeigenen Bodenschätzen II (Drucksachen 12/3969, 12/4621, 12/5745) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 13: Beratung des Antrags der Abgeordneten Rolf Schwanitz, Hans-Joachim Hakker, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Vereinheitlichung des Bergrechts nach der deutschen Einheit (Drucksache 12/7905) Ulrich Petzold CDU/CSU 20477 D Hans-Joachim Hacker SPD 20479 A Paul K. Friedhoff F.D.P. 20481 A Wolfgang Erler (Waldbrunn) CDU/CSU 20482 A Rolf Schwanitz SPD 20483 C Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär BMWi 20485 A Dr. Konrad Elmer SPD 20485 C Tagesordnungspunkt 21: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Kreditwesen und anderer Vorschriften über Kreditinstitute (Drucksachen 12/6957, 12/7985) b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Wertpapierhandel und zur Änderung börsenrechtlicher und wertpapierrechtlicher Vorschriften (Zweites Finanzmarktförderungsgesetz) (Drucksachen 12/6679, 12/7918, 12/7919) c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Hans de With, Hermann Bachmaier, Angelika Barbe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Bekämpfung des Insider-Handels an deutschen Börsen (Drucksachen 12/5437, 12/7918) 20486D Tagesordnungspunkt 26 i: Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes und anderer Gesetze (Drucksachen 12/7686, 12/7910, 12/7981, 12/7982) 20487C Zusatztagesordnungspunkt 14: Beratung des Antrags des Bundesministeriums der Finanzen: Einwilligung gemäß § 65 Abs. 7 der Bundeshaushaltsordnung in die Veräußerung der Lufthansa-Anteile des Bundes (Drucksache 12/7970) 20488A Tagesordnungspunkt 22: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1995 (ERP- Wirtschaftsplangesetz 1995) (Drucksachen 12/7647, 12/7908) 20488A Tagesordnungspunkt 23: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Klaus-Dieter Feige, Gerd Poppe, Ingrid Köppe, weiteren Abgeordneten und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer Grundsicherung im Alter (Drucksachen 12/5285, 12/7733, 12/7750) b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 234. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Juni 1994 III und Sozialordnung zu dem Antrag der Gruppe der PDS/Linke Liste: Vorlage eines Gesetzes über eine soziale Grundsicherung in der Bundesrepublik Deutschland (Drucksachen 12/5044, 12/7733) Dr. Wolfgang Ullmann BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 20488 D Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste 20489B Alfons Müller (Wesseling) CDU/CSU 20491 C Nächste Sitzung 20492 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 20493* A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Gunter Weißberger (SPD) zur Abstimmung über den Entschließungsantrag auf Drucksache 12/7983 zum Bericht der EnqueteKommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland" (Tagesordnungspunkt 19) 20494* B Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Roswitha Wisniewski (CDU/CSU) zum Bericht der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland" (Tagesordnungspunkt 19) 20494* C Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 20 (Beschlußempfehlung zur Herstellung der Rechtseinheit bei grundeigenen Bodenschätzen) Vera Wollenberger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 20495* A Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 21 a—c (a — Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes über das Kreditwesen und anderer Vorschriften über Kreditinstitute, b — Gesetzentwurf über den Wertpapierhandel und zur Änderung börsenrechtlicher und wertpapierrechtlicher Vorschriften, c — Bericht: Bekämpfung des Insider-Handels an deutschen Börsen) Dr. Karl H. Fell CDU/CSU 20496* A Eike Ebert SPD 20496* D Dr. Otto Graf Lambsdorff F.D.P. 20498* C Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste 20499* B Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 22 (Gesetzentwurf über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1995) Dr. Hermann Schwörer CDU/CSU 20500* A Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk SPD 20501* B Jürgen Türk F.D.P. 20502* C Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste 20503* A Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär BMWi 20503* C Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 23 a + b (a — Gesetzentwurf zur Einführung einer Grundsicherung im Alter, b — Antrag: Vorlage eines Gesetzes über eine soziale Grundsicherung in der Bundesrepublik Deutschland) Alfons Müller (Wesseling) CDU/CSU 20504* D Ulrike Mascher SPD 20506* A Dr. Eva Pohl F.D.P. 20507* A Anlage 8 Amtliche Mitteilungen 20507* C Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 234. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Juni 1994 20437 234. Sitzung Bonn, den 17. Juni 1994 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Andres, Gerd SPD 17. 6. 94 Antretter, Robert SPD 17. 6. 94 * Bartsch, Holger SPD 17. 6. 94 Becker-Inglau, Ingrid SPD 17. 6. 94 Berger, Hans SPD 17. 6. 94 Dr. Blank, CDU/CSU 17. 6. 94 Joseph-Theodor Böhm (Melsungen), CDU/CSU 17. 6. 94 * Wilfried Dr. Böhme (Unna), Ulrich SPD 17. 6. 94 Dr. Böhmer, Maria CDU/CSU 17. 6. 94 Dr. Bötsch, Wolfgang CDU/CSU 17. 6. 94 Brähmig, Klaus CDU/CSU 17. 6. 94 Bredehorn, Günther F.D.P. 17. 6. 94 Büchler (Hof), Hans SPD 17. 6. 94 * Dr. Diederich (Berlin), SPD 17. 6. 94 Nils Doss, Hansjürgen CDU/CSU 17. 6. 94 Eimer (Fürth), Norbert F.D.P. 17. 6. 94 Eymer, Anke CDU/CSU 17. 6. 94 Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 17. 6. 94 Fuchs (Köln), Anke SPD 17. 6. 94 Fuchs (Verl), Katrin SPD 17. 6. 94 Fuchtel, Hans-Joachim CDU/CSU 17. 6. 94 Gallus, Georg F.D.P. 17. 6. 94 Dr. Gautier, Fritz SPD 17. 6. 94 Geiger, Michaela CDU/CSU 17. 6. 94 Dr. von Geldern, CDU/CSU 17. 6. 94 Wolfgang Gerster (Mainz), CDU/CSU 17. 6. 94 Johannes Dr. Glotz, Peter SPD 17. 6. 94 Gröbl, Wolfgang CDU/CSU 17. 6. 94 Grünbeck, Josef F.D.P. 17. 6. 94 Hampel, Manfred Eugen SPD 17. 6. 94 Dr. Hauchler, Ingomar SPD 17. 6. 94 Henn, Bernd PDS/Linke 17. 6. 94 Liste Heyenn, Günther SPD 17. 6. 94 Dr. Holtz, Uwe SPD 17. 6. 94 Ibrügger, Lothar SPD 17. 6. 94 Iwersen, Gabriele SPD 17. 6. 94 Jeltsch, Karin CDU/CSU 17. 6. 94 Jungmann (Wittmoldt), SPD 17. 6. 94 Horst Kampeter, Steffen CDU/CSU 17. 6. 94 Kastning, Ernst SPD 17. 6. 94 Klein (Bremen), Günter CDU/CSU 17. 6. 94 Dr. Klejdzinski, SPD 17. 6. 94 Karl-Heinz Körper, Fritz Rudolf SPD 17. 6. 94 Dr. Kohl, Helmut CDU/CSU 17. 6. 94 Kors, Eva-Maria CDU/CSU 17. 6. 94 Koschnick, Hans SPD 17. 6. 94 Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Krause (Börgerende), CDU/CSU 17. 6. 94 Günther Kretkowski, Volkmar SPD 17. 6. 94 Dr. Kübler, Klaus SPD 17. 6. 94 Kuessner, Hinrich SPD 17. 6. 94 Dr.-Ing. Laermann, F.D.P. 17. 6. 94 Karl-Hans Dr. Lippold (Offenbach), CDU/CSU 17. 6. 94 Klaus W. Dr. Lischewski, Manfred CDU/CSU 17. 6. 94 Dr. Luther, Michael CDU/CSU 17. 6. 94 Magin, Theo CDU/CSU 17. 6. 94 Dr. Matterne, Dietmar SPD 17. 6. 94 Dr. Meyer zu Bentrup, CDU/CSU 17. 6. 94 * Reinhard Mischnick, Wolfgang F.D.P. 17. 6. 94 Molnar, Thomas CDU/CSU 17. 6. 94 Dr. Müller, Günther CDU/CSU 17. 6. 94 * Müller (Düsseldorf), SPD 17. 6. 94 Michael Müller (Wadern), CDU/CSU 17. 6. 94 Hans-Werner Nelle, Engelbert CDU/CSU 17. 6. 94 Dr. Neuling, Christina CDU/CSU 17. 6. 94 Niggemeier, Horst SPD 17. 6. 94 Oswald, Eduard CDU/CSU 17. 6. 94 Dr. Otto, Helga SPD 17. 6. 94 Dr. Pfennig, Gero CDU/CSU 17. 6. 94 Purps, Rudolf SPD 17. 6. 94 Rahardt-Vahldieck, CDU/CSU 17. 6. 94 Susanne Dr. Rappe (Hildesheim), SPD 17. 6. 94 Hermann Rauen, Peter Harald CDU/CSU 17. 6. 94 Reichenbach, Klaus CDU/CSU 17. 6. 94 Reschke, Otto SPD 17. 6. 94 Richter (Bremerhaven), F.D.P. 17. 6. 94 Manfred Roitzsch (Quickborn), CDU/CSU 17. 6. 94 Ingrid Schell, Manfred CDU/CSU 17. 6. 94 Schmidt-Zadel, Regina SPD 17. 6. 94 Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 17. 6. 94 Hans Peter Dr. Schmude, Jürgen SPD 17. 6. 94 von Schmude, Michael CDU/CSU 17. 6. 94 Dr. Schnell, Emil SPD 17. 6. 94 Dr. Scholz, Rupert CDU/CSU 17. 6. 94 Frhr. von Schorlemer, CDU/CSU 17. 6. 94 Reinhard Schröter, Karl-Heinz SPD 17. 6. 94 Schulz (Leipzig), Gerhard CDU/CSU 17. 6. 94 Schwarz, Stefan CDU/CSU 17. 6. 94 Seehofer, Horst CDU/CSU 17. 6. 94 Seiler-Albring, Ursula F.D.P. 17. 6. 94 Seiters, Rudolf CDU/CSU 17. 6. 94 Simm, Erika SPD 17. 6. 94 Sorge, Wieland SPD 17. 6. 94 Szwed, Dorothea CDU/CSU 17. 6. 94 Dr. von Teichman, F.D.P. 17. 6. 94 Cornelia Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Voigt (Northeim), CDU/CSU 17. 6. 94 Hans-Peter Vosen, Josef SPD 17. 6. 94 Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 17. 6. 94 Wartenberg (Berlin), SPD 17. 6. 94 Gerd Weis (Stendal), Reinhard SPD 17. 6. 94 Welt, Jochen SPD 17. 6. 94 Dr. Wetzel, Margrit SPD 17. 6. 94 Dr. Wieczorek, Norbert SPD 17. 6. 94 Wieczorek (Duisburg), SPD 17. 6. 94 Helmut Wieczorek-Zeul, SPD 17.6.94 Heidemarie Wimmer (Neuötting), SPD 17. 6. 94 Hermann Wimmer (Neuss), Willy CDU/CSU 17. 6. 94 Wissmann, Matthias CDU/CSU 17. 6. 94 Wohlrabe, Jürgen CDU/CSU 17. 6. 94 Zierer, Benno CDU/CSU 17. 6. 94 * * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage 2 Erklärung nach j 31 GO des Abgeordneten Gunter Weißberger (SPD) zur Abstimmung über den Entschließungsantrag auf Drucksache 12/7983 zum Bericht der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland" (Tagesordnungspunkt 19) Ich habe dem Entschließungsantrag - Drucksache 12/7983 - zugestimmt, bedauere jedoch das Fehlen eines deutlichen Verweises auf den NATO-Doppelbeschluß im Kapitel IV, Deutschlandpolitik und Wiedervereinigung. Ohne Gleichgewichtspolitik, ohne das eindeutige Bekenntnis zur Verteidigungsbereitschaft einerseits und zum Verhandlungsangebot andererseits, ohne den von Helmut Schmidt initiierten Doppelbeschluß ist das sowjetische Einlenken auf weniger aggressive Positionen in den 80er Jahren nicht denkbar. Auch bewirkte diese Politik, neben dem außenpolitischen Druck auf die östlichen Regierungen, eine Verstärkung der innenpolitischen Gegenwehr. Somit standen die Regimes unter einem doppelten Druck, dem sie glücklicherweise auf Dauer nicht standhielten. Der INF-Vertrag, als wesentliche Folge des Doppelbeschlusses, war der erste wirkliche Abrüstungsvertrag zwischen zwei Weltmächten. Die Liberalisierung des Ostblocks fußt auch auf dieser Entwicklung. Den Zusammenhang nicht erwähnt zu finden, halte ich für einen Mangel des Entschließungsantrages. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Roswitha Wisniewski (CDU/CSU) zum Bericht der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland" (Tagesordnungspunkt 19) Dr. Roswitha Wisniewski (CDU/CSU): Die SPD hat erhebliche Bedenken wegen der Aufnahme eines Abschnitts „Haltung der SED zu Juden und jüdischen Gemeinden" in den Bericht der Enquete-Kommission geltend gemacht und dies auch in einem Sondervotum zum Ausdruck gebracht. Obwohl diese Bedenken ernstgenommen werden müssen, wie alles, was bei der Behandlung dieser uns alle bedrückenden Thematik gesagt wird, werde ich dem Bericht zustimmen, und ich möchte dies kurz begründen. In der Darstellung im Bericht geht es nicht um die umfassende Beschreibung der Situation der Juden und jüdischen Gemeinden in der SBZ/DDR. Dies war aus mehreren Gründen nicht möglich. Wir haben uns daher auf eine kurze Skizzierung der SED-Politik gegenüber Juden und jüdischen Gemeinden in einigen politisch besonders wichtigen Aspekten beschränkt. Ein äußerst informativer Beitrag zur Darstellung des Gesamtkomplexes liegt vor in dem ebenso umfassend wie differenziert vorgehenden Bericht „Juden und jüdische Gemeinden", den Professor Dr. Peter Maser für die Enquete-Kommission angefertigt hat. Er wird ebenso wie die anderen Expertisen und Berichte veröffentlicht werden. Dem Vorschlag der SPD, darauf zu verzichten, diese Problematik überhaupt im Bericht anzusprechen, ist die Mehrheit der Enquete-Kommission nicht gefolgt. Denn es ist kennzeichnend für die SED-Diktatur, in welcher Weise sie mit den jüdischen Opfern der nationalsozialistischen Diktatur umgegangen ist. Während die Nationalsozialisten die jüdischen Menschen aus rassistischen Gründen verfolgten und vernichteten, diffamierten die SED-Machthaber viele Überlebende ideologisch als Vertreter des Kapitalismus, verweigerten ihnen deshalb Wiedergutmachung und lösten dadurch zu Beginn der 50er Jahre eine Fluchtwelle aus der DDR aus. Später wurden Juden oft als „Agenten des Staates Israel" verdächtigt, und sie wurden - sofern sie sich nicht integrierten, sondern den Marximus-Leninismus aus religiösen Gründen ablehnten - gesellschaftlich ausgegrenzt. Die Einordnung des Abschnittes über die Haltung der SED zu Juden und jüdischen Gemeinden im Bericht nach der Erörterung des Rechtsextremismus ist sachlich u. a. aus folgenden Gründen gerechtfertigt: Es gab in der DDR ein beträchtliches rechtsextremistisches Potential, in dem auch antisemitische Elemente eine Rolle spielten. Diese antisemitischen Elemente wurden insbesondere durch die aggressive Polemik der SED gegenüber Israel verstärkt. Es gab namentlich in den 50/60er Jahren viele ehemalige Nationalsozialisten in teilweise hohen Funktionen des marxistisch-leninistischen Herrschaftssystems, wie vor kurzem z. B. der „Spiegel" - 9. Mai 1994 - wieder offengelegt hat. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 234. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Juni 1994 20495* Vor diesem Hintergrund also muß die Haltung der SED zu Juden und jüdischen Gemeinden in der SBZ/DDR gesehen werden. Am Schicksal der Juden in der SBZ/DDR wird bestürzend deutlich, daß für manche der Übergang von einer totalitären Ideologie und Diktatur zu einer anderen offenbar ohne große Umdenkungsprozesse vollziehbar war. Damit soll selbstverständlich nicht der nationalsozialistische Judenmord mit der Instrumentalisierung des jüdischen Schicksals und der jüdischen Menschen durch die SED gleichgesetzt werden. Zu polemischer Auseinandersetzung zwischen demokratischen Parteien eignet sich das Schicksal der jüdischen Menschen in den beiden deutschen Diktaturen wahrlich nicht. Diese Feststellung treffe ich auch in meiner Eigenschaft als Vorsitzende des Unterausschusses „Wiedergutmachung". Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 20 (Beschlußempfehlung zur Herstellung der Rechtseinheit bei grundeigenen Bodenschätzen) Vera Wollenberger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der vorliegende SPD-Antrag beschränkt sich nur auf ein Teilgebiet des Bergunrechts in Deutschland. Neben Kies, Kiessanden sind durch die letzte DDR-Regierungen unter fleißiger Beratung durch abgesandte des Bundeswirtschaftsministeriums viele weitere Bodenschätze zu bergfreien Bodenschätzen erklärt worden. Diese nur in den neuen Bundesländern gültige Regelung, abgesegnet durch den Eingigungsvertrag, hat katastrophale ökologische und wirtschaftliche Folgen. Allein im Nordthüringer Raum hängt die Entwicklung dutzender Gemeinden zu Zentren des sanften Tourismus an einem Genehmigungsfaden der Bergbehörden: Sülzhayn — vor dem Krieg zweitwichtigster Übernachtungsort Deutschlands bei Kuraufenthalten — Ihlfeld, Neustadt, Harzungen, Großlohra sind durch geplante Steinbrüche in ihrer Entwicklung direkt gefährdet. Gegen den Willen des Landkreises der betroffenen Gemeinden und den der Bodenbesitzer wurden und werden Genehmigungen zum Aufsuchen bzw. zur Gewinnung von Hartgesteinen, Gips, Anhydrit u. a. Bodenschätzen auf der Grundlage des zweigeteilten Bergrechts erteilt. Welch dramatische Folgen dies hat, zeigt sich darin, daß der Thüringer Umweltminister Sickmann Überlegungen zur Ausrufung von Tabuzonen zum Schutz der Landschaft vor Raubbau an Bodenschätzen als letzten Rettungsanker öffentlich anstellt. So wird in Verantwortung dieser Bundesregierung, die an den Unrechtsvereinbarungen hinsichtlich des Bergrechts im Einigungsvertrag festhält, die Existenz der Mahn- und Gedenkstätte des KZ-Lagers Dora direkt gefährdet. Teile der ehemals größten unterirdischen Waffenfabrik der Welt, in der die berüchtigte V 2 hergestellt wurde, sind dem Abbau zugesprochen. Tag für Tag wird die Erinnerung an die Nazi-Barbarei weggebaggert. Der Zugang zu den Reststollen wird mit dem Verkauf des Bergwerkseigentums Gips, Anhydrit durch die Treuhandanstalt an ein süddeutsches Unternehmen stark eingeschränkt bzw. verhindert. Hier kulminieren die Auswirkungen des Bergrechts zu einer nationalen Schande. Wer die Erinnerung an die Nazi-Verbrecher dem Gewinnstreben der Baustoffindustrie opfert, muß sich dem geschichtlichen Urteil stellen. Dieses Beispiel zeigt exemplarisch, zu welch extremen Auswirkungen die Regelungen des Einigungsvertrages bezüglich Bergrechts führen. Aber Nordthüringen ist keineswegs die einzige betroffene Region. Auch die sächsischen Landschaften sind massiv bedroht. Für die Bergwerkindustrie interessante Lagerstätten sind über ganz Sachsen verteilt. Problemhäufungen gibt es im Raum von Zwickau und Auerbach; Schwerpunkte im Dresdner Raum sind Großenhain und Kamenz, im Leipziger Raum Grimma, Eilenburg und Wurzen. Weit über tausend Anträge auf Gesteinsabbau liegen derzeit beim sächsischen Oberbergamt; Ende 1993 waren es 193 Anträge. Etwa 300 Bewilligungen und Erlaubnisse erteilte das sächsische Wirtschaftsministerium bisher. Hunderte potentieller Abbauflächen hatte die Treuhandanstalt in ihrem Besitz und verkaufte sie in großem Stil. Allein im Landkreis Eilenburg sind 3 200 ha beantragt. Im Landkreis Zwickau sind es etwa 1 000 ha. Die dort bestehenden Steinbrüche produzieren aber jetzt schon je Einwohner und Jahr 16,8 t Granit und Schotter. In den Altbundesländern sind es im Vergleich dazu gerade mal 8 t. Die sächsische Landesregierung nutzt ihre gesetzlichen Spielräume zur Zeit nicht aus, um die bergrechtliche Genehmigungspraxis umwelt- und regionalverträglicher zu gestalten. Sie tut vielmehr das Gegenteil, indem sie etwa die Hälfte aller für den Abbau von Locker- und Festgesteinen — Granit, Kies, Sand usw. — beantragten Flächen als Vorrang- und Vorbehaltsgebiete in den Landesentwicklungsplan aufgenommen hat. Dadurch wird es noch schwerer möglich sein, diese Anträge abzulehnen. Durch das Primat der Rohstoffversorgung wird in der Regel eine Lösung der Konflikte zugunsten des Abbauvorhabens vorweggenommen. So ist eine unheilige Allianz zwischen der CDU-Regierung und den Bergwerksunternehmen entstanden zu Lasten der betroffenen Bürgerinnen und Bürger. Der Antrag der SPD ist ein erster kleiner Schritt zur Herstellung der Gleichbehandlung nach Art. 3 GG und in Richtung Eigentumsschutz gemäß Art. 14. Die thüringische Regierung ist vom Thüringer Landtag beauftragt worden, eine Bundestagsinitiative zur Änderung des Bergrechts in Deutschland zu starten. Es bleibt zu hoffen, daß sich die sächsische Landesregierung dem anschließen wird und daß der Bundestag noch in dieser Legislaturperiode den notwendigen ersten Schritt zur Herstellung der Gleichheit in Ost und West tun wird. 20496* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 234. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Juni 1994 Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 21 a—c (a — Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes über das Kreditwesen und anderer Vorschriften über Kreditinstitute; b — Gesetzentwurf über den Wertpapierhandel und zur Änderung börsenrechtlicher und wertpapierrechtlicher Vorschrift; c — Bericht: Bekämpfung des Insider-Handels an deutschen Börsen) Dr. Karl H. Fell (CDU/CSU): Beide heute zu verabschiedenden Gesetze — das Finanzmarktförderungsgesetz und die KWG-Novelle — dienen der Förderung des Finanzplatzes Deutschland. Wir setzen damit die erfolgreiche Politik für den Finanzplatz Deutschland fort. Wir machen den Finanzplatz fit für den Wettbewerb und die Entwicklung in Europa. Mit dem Finanzmarktförderungsgesetz erreichen wir dieses Ziel zum einen durch das völlig neue Gesetz für den Wertpapierhandel. Damit schaffen wir eine bessere Strukturierung und Kontrolle des Börsengeschehens insgesamt. Schwerpunkt der Gesetzgebungstätigkeit ist dabei, Insider-Geschäfte tunlichst zu verhindern und Verstöße scharf zu ahnden. Wir wollten aber übereinstimmend nicht, daß durch die Form der Ahndung von Verstößen sanierungsfähige Aktiengesellschaften wegen der Verletzung der Publizierungspflicht gefährdet würden, weil wegen denkbarer Schadenersatzansprüche die Sanierung fehlgeschlagen wäre. Wir haben deshalb entschieden, daß es Schadenersatzforderungen gegen die Gesellschaft selbst wegen des Verstoßes gegen die Publizierungspflicht nicht geben soll, dagegen aber erhebliche Bußgelder bis zu 3 Millionen DM im Einzelfall gegen die handelnden Organmitglieder der Gesellschaften persönlich. Unser Ziel ist eben, durch frühe Veröffentlichung Insider-Geschäfte unmöglich zu machen, dem zuwiderhandelnde Personen aber persönlich scharf mit Bußgeldern zu belegen. Durch beide Maßnahmen verbessern wir den Anlegerschutz in Deutschland. Und wir bieten darüber hinaus den Anlegern mit der Einführung der Geldmarktfonds zusätzliche Spielräume, um sich im Finanzmarkt zu bewegen. Wir sind noch ein Stück weitergegangen: Wie schon durch die Einführung der Kleinen Aktiengesellschaft haben wir jetzt auch mit der Novellierung des Gesetzes für die Unternehmensbeteiligungsgesellschaften einen erleichterten Zugang für kleinere Unternehmen zum Kapitalmarkt eröffnet. Risikokapital brauchen auch die kleinen Unternehmen, um sich in dem allgemeinen Prozeß der Umstrukturierung der Wirtschaft in Deutschland behaupten zu können. Insgesamt werden wir den Anforderungen der Richtlinien zum Insider- und Transparenzgebot gerecht. Wir stellen den internationalen Standard auch in Deutschland für das Börsengeschehen bei uns sicher. Mit der 5. KWG-Novelle wird die Großkreditrichtlinie umgesetzt. Wir beschränken uns dabei bewußt auf die Anpassung des deutschen Rechts, soweit dies nach der Richtlinie zwingend geboten ist. Wir hatten die Wettbewerbssituation der deutschen Kreditinstitute zu bedenken und zu berücksichtigen. Deshalb haben wir bei der Eigenkapitalausstattung der Kreditinstitute einerseits hohe Qualitätsanforderungen beibehalten. Wir gehen mit dem § 10a KWG über die Minimalanforderungen der Richtlinie hinaus. Die Qualität des Eigenkapitals der Kreditinstitute in Deutschland bleibt weiterhin auf einem höheren Niveau als bei vergleichbaren Regelungen in den Wettbewerbsländern. Auf der anderen Seite aber haben wir auch mit den Anforderungen im Rahmen des § 10 a KWG der Tatsache Rechnung getragen, daß wir die Forderungen nicht so hoch treiben dürfen, daß daraus Wettbewerbsnachteile entstehen. Ein besonderes Problem stellten die Kredite an die Kreditanstalt für Wiederaufbau dar. Bislang waren sie für die kreditgebenden Banken überhaupt nicht bei der Eigenkapitalbelegung anzurechnen. Diese Kredite wurden mit dem Faktor 0 bewertet. Die Richtlinie zwingt dazu, auch Kredite an die KfW zu gewichten. Die Lösung haben wir einvernehmlich durch eine entsprechende Interpretation der Richtlinie gefunden: Die KfW untersteht zwar nicht der Aufsicht durch das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen, sie ist aber als Kreditnehmerin Bank. Für Kredite an die KfW gelten daher die Grundsätze für die Unter-BankKredite. Bei der Gewichtung der Kredite kommt es dabei auf die Restlaufzeit an. Damit helfen wir übrigens gleichzeitig allen Kreditinstituten, weil insgesamt von den Restlaufzeiten der Kredite ausgegangen wird. Damit haben wir ein weiteres Element der Flexibilisierung und Erleichterung der Eigenkapitaldeckung für alle Kreditinstitute sichergestellt. Schließlich und endlich haben wir uns einvernehmlich für eine Ausweitung der Meldepflicht bei den Millionen-Krediten auf die Risiken aus Terminkontrakten oder anderen abgeleiteten Geschäften verständigt. Dabei kommt es aber für die Meldepflicht nicht auf die Nominalbeträge an, sondern auf den Kreditäquivalenzbetrag. Das ist das Ausfallrisiko, das bei dem einzelnen Termingeschäft für die Bank besteht. Der Risikobetrag wird nach international anerkanntem Verfahren ermittelt; das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen hat dies im Grundsatz I entsprechend umgesetzt. Insgesamt bleibt festzuhalten: Mit beiden Gesetzen stärken wir den Finanzplatz Deutschland. Der Finanzplatz ist gut gerüstet für den Wettbewerb in den vor uns liegenden Jahren. Eines bleibt zum Schluß festzuhalten: Wir haben dem Ausschußsekretariat in den letzten Tagen sehr viel zugemutet. Für das Verständnis und die überaus intensive Mitarbeit, insbesondere von Herrn Dr. Beichelt, möchte ich mich im Namen der CDU/CSU-Fraktion ausdrücklich bedanken. Eike Ebert (SPD): Das uns zur Beratung vorliegende Paket der Finanzmarktgesetze war seit langem überfällig. Es kommt leider mit erheblicher Verspätung. Der Markt der Finanzdienstleistungen ist einer der innovationsfreudigsten und innovationsträchtigsten unserer Wirtschaft. Er ist ein Markt, der sich in stetigem Wandel, in steter Erneuerung und vor allem in stürmischem Wachstum befindet. Er ist internatio- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 234. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Juni 1994 20497* nal vernetzt, und dies durch die intensive Nutzung der technischen Medien in wachsendem Maße. Tag für Tag werden rund um die Uhr riesige Geldmengen um unseren Globus bewegt. Ein solcher Markt eröffnet große Chancen, er bringt aber auch unübersehbare und beachtliche Risiken. Deswegen sind ordnungspolitische Maßnahmen unverzichtbar, in Anbetracht der internationalen Verflechtungen allein national aber nur schwer durchsetzbar. Funktionsfähige Kapitalmärkte sind die Voraussetzung für wirtschaftliches Wachstum und für den Erfolg einer Volkswirtschaft. Sie sind zugleich ein Dienstleistungsbereich, der Arbeitsplätze schafft und sichert. Es ist deshalb zu begrüßen, daß das vorliegende Gesetzgebungswerk mit seinen einzelnen Gesetzen und auch unter Einbeziehung der fünften Novelle des Kreditwesensgesetzes endlich die notwendigen Verbesserungen für die Attraktivität des deutschen Kapitalmarktes, für seine Sicherheit und Funktionsfähigkeit bringt und damit die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes Bundesrepublik steigert. Es ist nicht zu bestreiten, daß der deutsche Kapitalmarkt bisher Defizite gegenüber den internationalen Standards aufwies. Diese werden nunmehr abgebaut und teilweise ganz beseitigt. Das gilt zunächst für die Verbesserung der Börsenaufsicht. Genauso aber für die Wertpapieraufsicht allgemein, die durch die Errichtung des Amtes für den Wertpapierhandel geregelt wird. Hinzu kommen die Vorschriften über die Ad-hocPublizität, die als Folge der Umsetzung der Transparenzrichtlinie in das Gesetzeswerk hineingekommen sind. Dabei halten wir es für richtig, daß im Bereich der Publizitätsvorschriften von einer Kriminalisierung Abstand genommen wurde und lediglich die Verhängung von hohen Bußgeldern vorgesehen ist. Jede andere Verfahrensweise hätte die Durchführung von Unternehmenssanierungen erheblich erschwert und es auch ansonsten häufig unmöglich gemacht, daß Unternehmensleitungen zunächst einmal mit Bordmitteln versuchen, Schieflagen zu regulieren. Wichtig bei dem Gesetzgebungswerk ist vor allem auch die Einführung der notwendigen Strafbewehrung für Verstöße im Rahmen des Insider-Komplexes. Hier war das deutsche Kapitalmarktrecht seit langem nur mit zahnlosen Regelungen ausgestattet, die folgenlos vernachlässigt werden konnten. In den §§ 13 und 14 des Finanzmarktförderungsgesetzes sind die entsprechenden Straftatbestände nunmehr eingeführt worden. Sie sind jedoch in einer Weise definiert, daß bei der konkreten Strafverfolgung erhebliche Schwierigkeiten auftreten werden und auch Bedenken bestehen, inwieweit das Bestimmtheitsgebot des Strafrechts in allen Fällen erfüllt wird. Ich sehe sehr wohl das Problem, daß in Anbetracht der Materie bei manchen Tatbeständen nur auf unbestimmte Rechtsbegriffe abgestellt werden kann. Gleichwohl ist die gefundene Lösung aus meiner Sicht zu schwammig. Hier wird es die Aufgabe von uns allen sein, sorgfältig zu beobachten, wie die Rechtsprechung mit den Regelungen klarkommt und ob sie dauerhaft ausreichen, Mißbräuche zu verhindern. Sollte es hier in der Rechtsanwendung Probleme geben, so müßte möglichst bald eine Nachbesserung erfolgen. Die vorliegenden Gesetze ermöglichen auch neue Produkte am deutschen Markt. Wir begrüßen es ausdrücklich, daß nunmehr deutsche Geldmarktfonds, die auf DM lauten, aufgelegt werden können. Dabei ist darauf hinzuweisen, daß die deutschen Geldmarktfonds ein besseres Standing haben werden als das bisher ausschließlich vertriebene Angebot. Dies hängt damit zusammen, daß für deutsche Geldmarktfonds nur Anlagen bei Banken in Frage kommen, die einer Sicherungseinrichtung angehören. Es ist zu hoffen, daß der deutsche Anleger diese Vorteile erkennt und wahrnimmt. Die jetzige späte, wenn nicht gar zu späte Zulassung der Geldmarktfonds zeigt allerdings auch die Notwendigkeit, auf Entwicklungen der Kapitalmärkte und ihre Produktvielfalt schneller einzugehen. Denn es ist nicht sinnvoll, der deutschen Kreditwirtschaft den Umweg über das Ausland aufzuzwingen, um ihr die gleichen Wettbewerbsmöglichkeiten zu eröffnen, wie sie die externen Mitbewerber für sich in Anspruch nehmen können. Denn dies bedeutet die Verlagerung und das Enstehen von Arbeitsplätzen im Ausland, die auch in der Bundesrepublik geschaffen werden könnten. Darüber hinaus gehen Umsätze und Steuereinnahmen an dritte Staaten — und somit der Bundesrepublik — verloren. Eine weitere Entwicklung der internationalen Finanzmärkte besteht auch darin, daß die Beteiligung der Banken in ihnen rückläufig ist und mehr und mehr Finanzgesellschaften mit ihren Produkten auf den Markt drängen. Es geht also nicht nur darum, den Produktwandel ordnungspolitisch zu begleiten, es geht auch darum, neue Marktteilnehmer zu erfassen und zwischen ihnen und den Kreditinstituten eine Gleichbehandlung sicherzustellen. Bankenaufsicht im traditionellen Sinne reicht deshalb schon lange nicht mehr. Richtigerweise werden durch die vorliegenden Gesetze deshalb erstmals auch Nichtbanken, Finanzdienstleister, Finanzholdings und andere Unternehmen mit bankbezogenen Hilfsdiensten insgesamt der Aufsicht des Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen unterstellt. Die gute und qualitätsvolle Arbeit dieses Amtes hat bisher vermieden, daß es, von wenigen Ausnahmen abgesehen, zu Bankenzusammenbrüchen in der Bundesrepublik gekommen ist. Die Arbeit des Amtes wird auch dazu beitragen, daß der Markt der übrigen Finanzdienstleistungen in der Bundesrepublik transparenter und von der Bonität her gesehen anspruchsvoller gestaltet werden kann. Der Anlegerschutz insgesamt erfährt durch die vorliegende Gesetzgebung eine Verbesserung. Das ist gut und notwendig. Eine wichtige Neuerung in aufsichtlicher Hinsicht ist die Einbeziehung der Finanzderivate in die Meldepflicht gegenüber dem Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen. Diese Erweiterung der Aufsichtsbefugnisse trifft eine Produktgruppe der Finanzmärkte, die in erheblich höherem Maße als andere spekulative Risiken beinhaltet und die einen potentiell gefährli- 20498* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 234. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Juni 1994 chen Mechanismus darstellt. Marktrisiken um den Globus zu transportieren. Besonders bei ihren exotischen Ausprägungen hat Vorsicht an erster Stelle zu stehen. Es ist erfreulich, daß die Bundesrepublik nunmehr mit der Überwachung der Finanzderivate eine Pilotentscheidung trifft, der sicherlich bald auch andere europäische Länder folgen müssen. International ist unstreitig, daß in Anbetracht der gewaltigen Marktrisiken, die in den Märkten der Finanzderivate stecken, Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen geboten sind. Selbst die liberale Schweiz denkt über entsprechende Erfassungsmaßnahmen nach. Es ist deshalb besonders unverständlich, daß sich die Verbände des Kreditgewerbes bis zuletzt dagegen gewehrt haben, ein Überwachungsinstrumentarium zu akzeptieren. Sicherlich ist zuzugeben, daß die erweiterten Meldepflichten zusätzlichen Aufwand für die Banken mit sich bringen. Es ist aber ebenfalls richtig, daß mit diesen Regelungen Neuland betreten wird und es schwierige analytische Anforderungen stellt, das Kreditrisiko eines großen Portfolios von Derivaten zu ermitteln. Insoweit ist die gefundene Regelung sinnvoll, sowohl die Meldung der Nominalbeträge wie des Kreditäquivalenzbetrages zu verlangen. Nur so kann Transparenz in die Märkte gebracht und das Entstehen übergroßer Kreditrisiken verhindert werden. In einem Punkt konnten wir beim Kreditwesengesetz dem Vorschlag der Regierungsparteien nicht folgen. Dieser Punkt betrifft die Auswirkungen des Erwerbs eines Kreditinstituts durch ein anderes auf die Eigenkapitalausstattung der Beteiligten; Stichwort: aktivischer Unterschiedsbetrag. Hier gibt es zwingende Regelungen des umzusetzenden EG-Rechts und entsprechenden Spielraum. Es war bisher immer die Maxime des deutschen Gesetzgebers im Bankenbereich, Spielräume des EG-Rechts nicht voll auszunutzen und lieber unter Inkaufnahme von leichten Wettbewerbsnachteilen für die deutsche Kreditwirtschaft diese solider auszustatten, als es der Standard in dem einen oder anderen EG-Mitgliedsland ist. Auf dieser Entscheidungslinie war im Rahmen der Beratungen im Finanzausschuß ein Kompromiß zwischen Deutscher Bundesbank, dem Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen und den Verbänden des Kreditgewerbes abgesprochen worden. Wie mehrfach in diesem Gesetzgebungsverfahren haben die Kreditinstitute in den Expertengesprächen im Ausschuß hier erneut versucht, die Linie des Kompromisses zugunsten der Kreditwirtschaft zu verschieben. Es ist bedauerlich, daß sich die Regierungsfraktionen dabei erneut zur reinen Interessenvertretung des privaten Bankgewerbes machen lassen. Und dies trotz des entgegengesetzten und eindeutigen Votums von Bundesbank und Bundesaufsichtsamt. Die Vertreter beider Einrichtungen wurden sichtbar in der gestrigen Ausschußsitzung von Vertretern der Regierungsparteien dazu veranlaßt, ihre harte Haltung aufzugeben und eine deutliche Aufweichung der Eigenkapitalzurechnung zu akzeptieren. Es ist in diesem Punkt unverkennbar, daß die unsolide Finanzpolitik der Regierungsparteien im öffentlichen Bereich nun offenbar auch Maßstab für Regelungen außerhalb des öffentlichen Finanzsektors werden soll. Die Sensibilität des Finanzbereichs hätte die Regierungsparteien eigentlich davon abhalten sollen, derartige Experimente zu veranstalten oder zuzulassen. Die Beibehaltung der bisherigen gemeinsamen Linie, sich für solide finanzierte und mit ausreichendem Eigenkapital unterlegte Banken einzusetzen, hätte dazu führen müssen, den ursprünglichen Kompromiß von Deutscher Bundesbank und Bundesaufsichtsamt zu unterstützen. Diesen Stabilitätstest haben die Regierungsparteien nicht bestanden. Dr. Otto Graf Lambsdorff (F.D.P.): Wir beraten das Zweite Finanzmarktförderungsgesetz und eine tiefgreifende Änderung des Kreditwesengesetzes. Es geht um unser Finanzdienstleistungssystem. Für Arbeitnehmer, für Verbraucher, für Wirtschaft und Politik geht es um den Stellenwert und um die Qualität des Finanzplatzes Deutschland. Dieser ist Grundlage für die Finanzierung des wirtschaftlichen Aufschwungs. Er muß in der Lage sein, einen Beitrag zur Schaffung und Sicherung hochqualifizierter Arbeitsplätze zu leisten. Er soll gute Betätigungsmöglichkeiten für im Finanzdienstleistungsbereich aktive Unternehmer bieten. Und er muß ein gutes Umfeld für die Deutsche Mark sein, die eine der wichtigsten Reservewährungen der Welt geworden ist. Dabei heißt unser Motto nicht „laissez faire, laissez aller" . Wir bemühen uns vielmehr um einen guten Ordnungsrahmen. Am Wettlauf um die laxeste Regelung nehmen wir nicht teil. Wir brauchen und wir wollen solides Geschäft. Das allein trägt den Markt auf Dauer. Das allein sichert Arbeitsplätze dauerhaft. Das allein paßt zum Standing der Deutschen Mark. Hierfür ein paar Beispiele: Beim Versicherungsaufsichtsgesetz haben wir uns im Rahmen der Kapitalanlagevorschriften entgegen Wünschen der Branche nicht auf eine Streichung der Konzernklausel eingelassen. Beim Kreditwesensgesetz sind wir bei der Regelung über den aktivischen Unterschiedsbetrag deutlich über dem europarechtlichen Mindeststandard geblieben. Beim Finanzmarktförderungsgesetz haben wir ebenfalls entgegen Wünschen aus der Kreditwirtschaft die untere Schwelle der Mitteilungspflicht für Beteiligungserwerb niedriger angesetzt, als das europarechtlich verlangt wird. Dieses „weniger" bedeutet hier mehr Transparenz. Ein Kernstück des Zweiten Finanzmarktförderungsgesetzes sind die Vorschriften zur Insider-Überwachung beim Wertpapierhandel. Wie notwendig das leider ist, zeigte sich beim Mißbrauch von im Aufsichtsrat gewonnenem Insider-Wissen durch einen Gewerkschaftsvorsitzenden. Seither beginnt der Gewerkschaftskongreß mit dem Lied „Brüder zur Freiheit, zur Börse". Ein gesetzliches Gebot von Insidergeschäften und die Errichtung des Bundesaufsichtsamtes für den Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 234. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Juni 1994 20499* Wertpapierhandel gewährleisten an den deutschen Börsen einen Schutz, der internationalen Standards entspricht. Wertpapieremittenten müssen kursbeeinflussende Tatsachen künftig sofort veröffentlichen. Nur so bietet der Markt Chancengleichheit. Nur auf dieser Grundlage kann er funktionieren. Banken und Wertpapierhäuser werden auf international übliche Wohlverhaltensregeln festgelegt. Zu den Elementen der Wohlverhaltensregeln gehört die Trennung zwischen Eigengeschäft und Kundengeschäft. „Chinese walls" heißt ein neudeutsches Stichwort für solche organisatorischen Vorkehrungen. Zugleich wird das Börsengesetz geändert. Ich will auf die rechtstechnischen Verbesserungen der Marktaufsicht und auf die organisatorischen Verbesserungen der Leitungsstruktur der Börsen und auf die Stärkung ihrer Selbstverwaltung nicht weiter eingehen. Wichtig ist mir die Verbesserung der Möglichkeiten für Makler, durch einen Handelsverbund Kundenwünschen zu entsprechen. Wichtig ist mir auch, daß es in Deutschland künftig Warenterminbörsen geben kann. Wir schaffen den Rahmen dafür. Ob sich das lohnt, muß die Wirtschaft entscheiden. Sie möge das aber bitte auch entscheiden und nicht verschlafen. Das Gesetz über das Kreditwesen ist eine ausgesprochen dornige Materie. Es geht dabei darum, den Kreditinstituten einen Mantel zu schneidern, der es ihnen ermöglicht, den wirtschaftlichen Aufbau in den neuen Bundesländern und den sich allgemein abzeichnenden Aufschwung zu finanzieren. Grundlage kann immer nur eine gute Kapitalausstattung sein. In diesem Zusammenhang gehört auch das D-Markbilanzgesetz, das wir am Mittwoch im Finanzausschuß mitberaten haben. Es gbt darum, die Sparkassen in den neuen Bundesländern vor einem Ausfall von ca. 1,5 Milliarden DM zu bewahren. Die PDS hat dem entsprechenden Antrag nicht zugestimmt. Auch die SPD hat ihm im Ausschuß nicht einstimmig zugestimmt. Das macht wieder deutlich, daß Sozialisten nichts von Geld verstehen. PDS und einige Sozialdemokraten haben sich damit gegen die Interessen der Sparer in den neuen Bundesländern gestellt. Sie haben sich zugleich der Finanzierung des wirtschaftlichen Wiederaufbaus im Osten verweigert. Wer sich derart töricht verhält, kann niemandes Ratgeber in Wirtschafts- und Finanzfragen sein. Er wird es auch im Oktober nicht werden. Ich empfehle im Namen der F.D.P.-Fraktion die Annahme beider Entwürfe. Dr. Barbara Höll (PDS/Linke Liste): Die PDS/Linke Liste begrüßt die Absicht, Insider-Verstöße künftig verstärkt zu verfolgen und bereits im Vorfeld zu unterbinden. Auch die Gründung eines Bundesaufsichtsamts für den Wertpapierhandel ist seit längerer Zeit überfällig, denn vor dem Hintergrund der weltweiten Dimensionen des Wertpapiergeschäfts darf nicht allein auf die Selbstregulierungskräfte der Börsen und die Landesaufsicht gesetzt werden. Wir halten es deshalb für richtig, nun auch die Rechts- und Handelsaufsicht über die Börsen in die Hände einer zentralen Institution zu legen. Insgesamt drängen sich der PDS/Linke Liste bei einer umfassenden Bewertung dieses Gesetzentwurfs jedoch drei wesentliche Kritikpunkte auf, die ich vortragen und im folgenden begründen möchte: Erstens: Die geplante Regelung entspricht nicht dem internationalen Standard. Zweitens: Sie fördert die Konzentration. Und drittens: Sie lenkt das vorhandene Kapital nicht in realwirtschaftliche Prozesse, sondern auf spekulative Finanzmärkte. Eines der „wichtigsten Gesetzesvorhaben für die Wirtschaft" — so der Bundesfinanzminister — wird das selbstgesteckte Ziel, die Anpassung an internationale Standards, verfehlen, denn die Insiderregeln in den USA sind deutlich schärfer gefaßt. Und statt eine einheitliche Börsen- und Marktaufsicht zu schaffen, werden Strukturen und Kompetenzen auf insgesamt vier Bereiche zersplittert. Im Bereich der allgemeinen Verhaltensaufsicht klafft überdies eine große Lücke, auf die bereits der Verband der Auslandsbanken in seiner Stellungnahme hingewiesen hat. Die im Ausland viel diskutierte und kritisierte Interessenkollision innerhalb des deutschen Universalbanksystems zwischen Eigen- und Kundengeschäft oder Kredit-, Eigentümer- und Kontrollfunktion wird mit diesem Gesetzentwurf nicht aufgehoben. Die Macht der Banken bleibt ungeschmälert. Die PDS/Linke Liste begrüßt zwar die Absenkung der Meldeschwelle und der damit verbundenen Veröffentlichungspflicht für Beteiligungen an anderen Unternehmen. Mit der Herabsetzung der Mindestgrenze auf immer noch 5 Prozent der Stimmrechte an einer börsennotierten Gesellschaft wird jedoch die Möglichkeit vertan, sich an der europäischen Spitze zu orientieren. In Großbritannien beträgt die meldepflichtige Mindestgrenze 3 % und in Italien sogar nur 2 %. Leider soll das Transparenzgebot nur für die großen, also die börsennotierten Unternehmen gelten. Aber auch mangelnde Transparenz fördert die Konzentration. Deshalb erwartet die PDS/Linke Liste durch dieses Gesetz eine zusätzliche Unterstützung der im Finanzdienstleistungssektor ohnehin wirkenden Konzentrationsprozesse. Ich fasse zusammen: Das Finanzmarktförderungsgesetz entspricht dem vorhandenen Trend zu spekulativen, nicht mehr realwirtschaftlich wirkenden Kapitalkreisläufen. Es leistet einen Beitrag zur wachsenden Verselbständigung von Teilen der internationalen Finanzsektoren. Staatliche Politik sollte eine solche Autonomie jedoch nicht begünstigen. Statt spekulative Finanzanlagen zu erleichtern — und Derivate sind nichts anderes! — sollte eine Finanzmarktförderung vor allem die Finanzierung arbeitsplatzerhaltender und arbeitsplatzschaffender Investitionen zum Ziel haben. Lediglich soziale und umweltverträgliche Investitionen sollten in den Genuß einer privilegierten Förderung kommen. Das Finanzmarktförderungsgesetz wird auch dieser Aufgabe nicht gerecht, deshalb lehnen wir es ab. Der ganz im Geiste Scharpings gehaltene Antrag der SPD, der seine Existenz dem segensreichen Wirken des Herrn Steinkühler verdankt, ist so inhaltsarm und dünn, daß wir ihm nicht zustimmen können. 20500* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 234. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Juni 1994 Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 22 (Gesetzentwurf über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1995) Dr. Hermann Schwörer (CDU/CSU): 14 Milliarden DM ERP-Kreditvolumen für Investitionen — dasselbe außerordentlich hohe Volumen wie in diesem und im vergangenen Jahr — das sieht auch der ERP-Wirtschaftsplan für 1995 vor. Wir begrüßen das sehr. 10 Milliarden DM gehen davon in die neuen Bundesländer. Das entspricht unserer Absicht, die Instrumente, mit denen wir den Wiederaufbau nach dem Krieg im Westen geschafft haben, massiv auch im Osten einzusetzen und bereitzustellen. Die ERP-Kredite waren die ersten Hilfen, die wir nach dem Fall der Mauer zur Verfügung gestellt haben. Was wir damit in der Zwischenzeit erreicht haben, kann sich sehen lassen: 225 000 ERP-Kredite mit einem Volumen von rund 35 Milliarden DM sind in nur vier Jahren in die neuen Bundesländer vergeben worden. Im Westen haben wir fast 40 Jahre dazu gebraucht, ein so hohes Fördervolumen zu erreichen — und das in einem Wirtschaftsgebiet mit einer viermal größeren Bevölkerung! Das zeigt, wie stark die Anschubwirkung ist, die wir mit diesen Hilfen ausgelöst haben: Investitionen in Höhe von rund 90 Milliarden DM wurden damit angestoßen, 1,5 Millionen Arbeitsplätze zusätzlich geschaffen und weitere 1,3 Millionen Arbeitsplätze gesichert. Zwei Drittel aller Kredite dienen der Existenzgründung, d. h. dem Aufbau mittelständischer Unternehmen. Die geförderten Unternehmen finanzieren ihre Investitionen fast zur Hälfte mit ERP-Krediten. Die ERP-Kredite sind damit wie im Nachkriegsdeutschland eine tragende Säule beim Aufbau mittelständischer Unternehmen. Der Mittelstand ist in Ost wie West bedeutendster Träger der Beschäftigung und der betrieblichen Ausbildung. Seine Flexibilität und Innovationskraft sind heute, wie nach dem Krieg, die großen Trümpfe im Wirtschaftsgeschehen. Ich halte es für unverzichtbar, daß wir auch im Westen nach wie vor den Mittelstand fördern auch mit ERP-Mitteln! Innovation und technischer Fortschritt läßt sich in den Unternehmen nur im Zuge von Investitionen realisieren, und Unternehmensneugründungen und Betriebsübernahmen müssen auch im Westen weiterhin erleichtert werden. Dazu muß der Staat günstige Rahmenbedingungen, gerade auch in der Kapitalbeschaffung gewährleisten. Ich begrüße es außerordentlich, daß die Höchstbeträge für die ERP-Förderung nicht nur im Osten, sondern auch im Westen verdoppelt wurden. Früher gab es nur höchstens 300 000 DM im Westen und i Million DM im Osten. Jetzt kann man auch im Westen 1 Million DM ERP-Kredit erhalten; im Osten sind es sogar 2 Millionen DM. Für wichtig halte ich auch, daß die Umsatzgrenze der geförderten Unternehmen auf 100 Millionen DM verdoppelt wurde — im Osten wie auch im Westen in regionalen Fördergebieten. Dadurch wird es erstmals möglich, auch wachsende und etwas größere Unternehmen des industriellen Mittelstandes mit zinsgünstigen ERP-Krediten zu begleiten. Wir unterstützen im übrigen auch alle Bemühungen, mehr anlagebereites Risikokapital in die neuen Bundesländer zu leiten. Mit Fremdmitteln allein kann man eine Finanzierung nicht aufbauen. Eine ausgewogene Mischung aus Eigen- und Fremdkapital ist unverzichtbar — auch um unvermeidbare Rückschläge in der Unternehmensentwicklung ohne Existenzgefährdung überstehen zu können. Wir begrüßen auch den Bürgschaftsrahmen für Kredite an Angehörige freier Berufe. Dieser Bereich ist für das Funktionieren einer modernen arbeitsteiligen Wirtschaft besonders in den neuen Bundesländern von entscheidender Bedeutung. Lassen Sie mich noch einen Randbereich der ERP-Hilfen ansprechen: Vor zwei Jahren habe ich angeregt, daß das ERP-Sondervermögen die Fortführung des McCloy-Stipendienprogramms übernimmt. Mit diesem so erfolgreichen Programm können wir für 2 Jahre hockqualifizierte Stipendiaten, die ihr Studium hier in Deutschland mit sehr gutem Erfolg abgeschlossen haben, zu einem Aufbaustudium nach Harvard schicken. Die Nachfrage ist riesig, denn die Studiengebühren dort sind so hoch, daß sie kaum jemand selbst finanzieren kann. Das ist auch der Grund, warum nur so wenige deutsche Studenten dort anzutreffen sind. Das ERP-Sondervermögen hat nicht nur die Fortführung des McCloy-Programms übernommen. Es hat sich angesichts der überaus großen Nachfrage auch darum bemüht, weitere Studienmöglichkeiten an anderen renommierten amerikanischen Universitäten mit Stipendien zu ermöglichen. Der Koordinator für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit, Herr Prof. Weidenfeldt, hat sich sehr dafür eingesetzt und seine Kontakte zur Unterstützung angeboten. Die Studienstiftung des Deutschen Volkes gibt sich große Mühe, für die wenigen Plätze, die zur Verfügung stehen, die begabtesten Anwärter auszuwählen. Es ist wichtig, daß sie diese Aufgabe weiterhin wahrnimmt — beim McCloy-Programm, aber auch darüber hinaus bei den ergänzenden Maßnahmen an anderen US-Universitäten. Wir benötigen ein Angebot aus einem Guß, zu den gleichen Standards und als Spezialität ergänzend zu den Massenprogrammen des Studentenaustauschs. Ich begrüße es, daß darüber hinaus auch jungen Menschen aus MOE- und GUS-Staaten die Möglichkeit gegeben wird, bei uns Wirtschafts-, Gesellschafts- und Sozialwissenschaften zu studieren. So können sie sich mit den Grundgedanken und -prinzipien einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung vertraut machen. Es sollten auch technische Fächer einbezogen werden. Wir schaffen dadurch menschliche Kontakte, die für die Begegnung der Völker und den Wirtschaftsaustausch in Europa wichtig sind. Hier hat sich der DAAD, der Deutsche Akademische Austauschdienst, verdienstvoll engagiert. Ein erstes Auswahlverfahren hat im April für Bewerber aus Rußland stattgefunden. Dabei halte ich es für sehr wichtig, daß verstärkt auch Bewerber aus anderen Orten der Russischen Föderation und nicht nur aus Moskau berücksichtigt wurden. Das trägt dazu bei, die deutliche Kluft Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 234. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Juni 1994 20501* zwischen Stadt und Land eher zu überwinden und nicht noch weiter zu vertiefen. Ich habe angeregt und finde dabei auch die Unterstützung von Kollegen aus der SPD-Fraktion, bei den Bewerbern auch die Kinder der russischen Soldaten zu berücksichtigen, die oftmals schon mehrere Jahre in Deutschland gelebt haben und sogar teilweise hier schon mit ihrer Ausbildung und ihrem Studium begonnen haben. Hierüber sind wir mit dem ERP-Sondervermögen im Gespräch. Die guten Wirkungen einer solchen Erweiterung werden dort ebenso gesehen. Ich glaube, für die Realisierung dieses Planes gibt es gute Chancen. Ich bin mit dieser Anregung wie auch mit allen anderen Überlegungen zur weiteren Verbesserung der ERP-Förderung bei den Beamten im BMWi, die mit dem ERP-Sondervermögen befaßt sind, auf große Aufgeschlossenheit gestoßen. Dafür danke ich dem Wirtschaftsministerium. Die ERP-Stipendien in Ergänzung zu den vorhandenen Stipendienprogrammen haben sich bewährt. Sie sollten weiter ausgebaut werden und ab 1996, wenn die Dankesspende an den German Marshall-Fund planmäßig ausläuft, an dessen Stelle treten. Das wäre zugleich Ausdruck unseres Dankes für die Aufbauhilfe nach dem Krieg und würde darüber hinaus die völkerverbindenden Ideen George Marshalls einer in Frieden und Freiheit vereinten Völkergemeinschaft auch zu unseren östlichen Nachbarn weitertragen. Die CDU/CSU-Fraktion unterstützt den vorliegenden Wirtschaftsplan. Die so weiterhin mögliche Förderung kleiner und mittlerer Betriebe wird dazu beitragen, neue Arbeitsplätze zu schaffen und bestehende zu erhalten. Gleichzeitig wird der Wirtschaftsplan ein Mittel zur Schaffung gleicher Lebensverhältnisse in ganz Deutschland sein und über Deutschland hinaus Zeichen der Freundschaft und Zusammenarbeit mit der jungen Generation in West und Ost setzen. Deshalb hoffen wir, das diesesmal die Opposition dem Gesetzentwurf zustimmt. Die CDU/CSU wird dies wie in den vergangenen Jahren tun! Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk (SPD): Meiner Berichtspflicht als Berichterstatterin für das ERP-Wirtschaftsplangesetz 1995 komme ich mit Vergnügen nach, handelt es sich doch um eine jener Gesetzesvorhaben, die in seltener Einmütigkeit die zuständigen Ausschüsse des Deutschen Bundestages passieren. Der mitberatende Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit hat am 26. Mai 1994 einstimmig die Annahme empfohlen, der mitberatende Haushaltsausschuß einvernehmlich am 15. Juni 1994 zugestimmt. Der federführende Wirtschaftsausschuß hat sich am 25. Mai 1994 nach intensiver Beratung und Beschlußempfehlung des Unterausschusses „ERP-Wirtschaftspläne" abschließend mit dem Gesetz befaßt und empfiehlt dem Deutschen Bundestag einstimmig, den Gesetzentwurf anzunehmen. Der ERP-Wirtschaftsplan 1995 sieht die Bereitstellung von Mitteln in Höhe von rund 16,7 Milliarden DM vor. Dadurch wird die Bereitstellung von langlaufenden zins- und konditionsgünstigen ERP-Krediten von knapp 14 Milliarden DM möglich. Rund 10 Milliarden DM stehen dabei für Investitionen in den neuen Bundesländern bereit. Für die alten Bundesländer ist ein Fördervolumen von ca. 4 Milliarden DM vorgesehen. Der Schwerpunkt der Förderung liegt im Bereich der Existenzgründungsförderung von Umweltschutzvorhaben sowie der Förderung der regionalen Wirtschaft. Hierbei sollen auch Investitionen und Existenzgründungen von kleinen und mittleren Unternehmen im Bereich der gewerblichen Wirtschaft gefördert werden. Auch wir, die Opposition, unterstützen die Zielrichtung und die Schwerpunktsetzungen dieses Programms ausdrücklich. Wir haben auch darauf gedrängt, daß die Regierung eine mittelfristige Planung für die ERP-Förderung vorlegt und auch einen Bericht über die Kreditaufnahme und Verschuldung des ERP-Sondervermögens. Denn eines der wichtigsten Ziele in der Wirtschaftsförderung ist Verläßlichkeit, Kontinuität und Berechenbarkeit. Das haben wir durchgesetzt. Wir haben auch keine Einwände gegen eine gewisse „Normalisierung" der Planansätze in den kommenden Jahren, wenn dies dem Bedarf entspricht. Denn die Existenzgründungen in den neuen Bundesländern — die bisher etwa zwei Drittel aller Kreditzusagen ausmachten — werden sich normalisieren, wenn der erhebliche Nachholbedarf abgebaut sein wird. Gerade bei den Existenzgründungen hat die ERP-Förderung Beachtliches geleistet und wichtige Wirtschaftsimpulse in Gang gesetzt auch wenn vieles davon nicht in spektakulären Spatenstichen und beachteten Großinvestitionen in den Zeitungen und Medien sichtbar wird. Die ERP-Kredite sind auch nach Einführung der Eigenkapitalhilfe noch die stärkste Säule in der Existenzgründungsförderung. Sie sind im Durchschnitt mit weit über 40 % an der Finanzierung der Investitionssumme beteiligt. Erfreulich ist auch, daß hiervon nur wenig schiefgegangen ist. Aber: Die Bewährungsprobe vieler Neugründer steht noch bevor, wenn sie in den kommenden Jahren verstärkt in die Tilgungsphase ihrer verschiedenen Darlehen kommen. Aber gemessen an den Erfahrungen im Westen, wo etliche schon sehr rasch nach Eröffnung scheitern, behaupten sich die meisten Gründer im Osten sehr tapfer. Steigend ist auch die Nachfrage nach ERP-Umweltschutzkrediten — auf deren Ausweitung gerade wir Sozialdemokraten gedrängt hatten. Wichtig war und ist, auch diese Ansätze ausreichend zu dotieren — natürlich mit Schwergewicht im Osten. Denn dort liegen noch immer die größten Umweltprobleme. Wir tragen mit, daß das Schwergewicht der ERP-Förderung mit 10 Milliarden DM in den neuen Ländern liegt und liegen muß. Aber: Auch im Westen muß weiterhin und verstärkt gefördert werden. Durch den demographischen Wandel wird der Altersdurchschnitt der Unternehmer und Selbständigen absehbar ansteigen. Wenn nicht mehr Existenz- 20502* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 234. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Juni 1994 gründungen erfolgen, wird sich eine Unternehmerlücke auftun, mit bedenklichen Folgen für die Dynamik der Wirtschaft und der Arbeitsplätze. Wir alle wissen ja, zwei Drittel der Arbeitsplätze werden von kleinen und mittleren Unternehmen geschaffen. Insofern begrüße ich es, daß die Bundesregierung unserem Drängen endlich nachgegeben hat und die Eigenkapitalhilfe im Westen wieder eingeführt hat. Doch wo blieb die Richtlinie hierfür? Zuerst war sie in der Beihilfengenehmigungsbürokratie von Brüssel hängengeblieben. Danach gab es eine weitere kleine Hängepartie zwischen Finanz- und Wirtschaftsministerium über einige Details. Für viele Existenzgründer, die schon lange auf die angekündigte baldige Veröffentlichung der Richtlinie gewartet haben, war das nur schwer erträglich. Erfreulich ist, daß uns nun vorgestern die Mitteilung erreichte, daß alle Probleme in Bonn und Brüssel behoben seien und es nunmehr losgehen könne. Für 1 100 Antragsteller, die nun endlich loslegen können, eine gute, aber doch überfällige Nachricht. In der Verzahnung der Förderprogramme von der ersten Beratung über die weitere Begleitung besonders vieler noch unerfahrener Existenzgründer sehe ich einen großen Nachholbedarf in der Wirtschaftsförderung von Bund und Ländern. Wir rechnen uns auch zu, daß das Bundeswirtschaftsministerium nun endlich teilweise EDV-gestütztes Vorbereitungsmaterial für Gründungsvorgänge bereitstellt. Hier muß weit mehr als bisher getan werden — Geld allein — oder genauer: billigere Kredite allein tun es nicht. Die Anzahl der Förderprogramme ist inzwischen ausreichend — in Teilbereichen vielleicht sogar schon zu hoch —, und auch das Mittelvolumen der Programme ist meist ausreichend. Aber wir sollten die Augen nicht vor der Tatsache verschließen, daß die Probleme vieler Existenzgründer, speziell im Osten, die mit der Führung ihres Unternehmens Schwierigkeiten bekommen, nicht nur im Geld, sondern häufiger in neuen Produkten und im Marketing liegen. Hier müßte es möglich werden, Beratungshilfen nicht nur in der Gründungsphase zu stellen und selbstverständlich aus öffentlichen Förderprogrammen zu bezahlen. Das kann man auf Dauer nicht den Banken überlassen, die bekanntlich eigene Interessen haben und mit der Beratung der vielen kleinen Firmen auch inhaltlich überfordert sind. Insgesamt stimmen wir dem ERP-Wirtschaftsplan 1995 zu. Wir haben uns mit unseren Vorstellungen weitgehend durchgesetzt. Die weitere Entwicklung, vor allem nach dem Jahre 1995, werden wir aufmerksam beobachten. Mit einer gewissen Sorge sehen wir deswegen auch den rasanten Mittelabfall im Jahre 1996 und die Verschuldensstruktur beim ERP-Sondervermögen: 1994 betrug die Nettokreditaufnahme immerhin 53 %, 1995 ist sie auf immer noch beachtliche 41 % herabgesunken. In den folgenden Jahren muß da sicher eine weitere Konsolidierung der Kreditaufnahme erfolgen. Dennoch darf eines nicht sein: daß dieses Gesetz ein mittelstandspolitischer Wahlkampfgag war und nach den Wahlen — über die vertretbare, allmähliche Absenkung der Kreditvergabe wegen des absehbar geringer werdenden Bedarfs im Osten hinaus — nicht mehr genügend Mittel für dieses sehr wirksame Instrument der Wirtschaftsförderung bereitgestellt werden. Seien Sie sicher, wir werden das mit Argusaugen verfolgen! Jürgen Türk (F.D.P.): Auch in diesem Jahr können wir einem ERP-Wirtschaftsplan zustimmen, der mit seinen effizienten Programmen weitere bedeutsame Impulse für die notwendige Umstrukturierung unserer Wirtschaft spendet und zur Umsetzung der Politik der Bundesregierung zur Sicherung des Standortes Deutschland beiträgt. Der Ihnen vorliegende Entwurf sieht ein Kreditvolumen von 14 Milliarden DM vor. Über 70 % hiervon, nämlich 10 Milliarden DM, sind für die neuen Bundesländer bestimmt, 4 Milliarden DM für die alten Bundesländer. Die besondere Berücksichtigung der neuen Länder entspricht dem Anlaß der Bildung dieses Etats, geht doch das ERP-Sondervermögen auf die DM-Beträge zurück, die von Deutschen für amerikanische Lieferungen im Rahmen des MarshallPlans für den Wiederaufbau Westdeutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg an deutsche Stellen geleistet worden sind. Wieder muß eine Wirtschaft aufgebaut werden, nämlich die von Ostdeutschland. Wieder können wir dieses vorzügliche Instrument einsetzen, das das Wirtschaftswunder in den fünfziger Jahren für Westdeutschland einleitete und nun in Ostdeutschland zu dem gleichen Erfolg führen wird. Verteufelten die ehemaligen DDR-Machthaber den Marshall-Plan, so können jetzt dank der deutschen Einheit die Bürger in den neuen Bundesländern — mit leider über vierzigjähriger Verspätung — an der Hilfe der Amerikaner teilhaben. Kapital muß erst erwirtschaftet werden, bevor es bereitgestellt werden kann. Darum sollte bei der Bereitstellung von 14 Milliarden DM ERP-Sondervermögen im Jahre 1995 an den Ursprung des Kapitals und an seinen Geber erinnert werden. 10 Milliarden DM für die neuen Bundesländer: Das bedeutet, daß weiterhin grundsätzlich jede Investition kleiner und mittlerer Unternehmen gefördert werden kann, die zur weiteren Schaffung oder Erhaltung von Arbeitsplätzen führt. Dieser Ansatz ist so wichtig und richtig, da sich das Gelingen des Aufschwungs Ost an der Etablierung des Mittelstandes entscheiden wird. Darum liegt der Schwerpunkt der ERP-Kredite in den neuen Bundesländern im Bereich der Existenzgründungsförderung mit 5,5 Milliarden DM. Zwei andere wichtige Säulen des ERP-Aufbauprogramms liegen in der Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen in schon bestehenden Unternehmen sowie im ERP-Umweltschutzprogramm. Wichtig erscheint mir, daß die Kredit- und Umsatzhöchstgrenzen verdoppelt wurden. Die F.D.P. will Arbeitsplätze Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 234. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Juni 1994 20503* schaffen und nicht nur darüber reden oder plakatieren. Daß uns das langsam aber sicher gelingt, belegt der begonnene Aufschwung. Unter blühenden Landschaften verstehen die Liberalen nicht rauchende Schornsteine, sondern das Investieren in eine Wirtschaft, die zukünftigen Generationen Wohlstand in einer sauberen, lebenswerten Umwelt ermöglicht. Das ERP-Aufbauprogramm dient diesen Zielen. Die F.D.P. stimmt darum dem Entwurf der Bundesregierung zu. Dr. Barbara Höll (PDS/Linke Liste): Die PDS/Linke Liste wird diesem Gesetzentwurf zwar zustimmen, aber nicht vorbehaltlos. Unsere grundsätzliche Kritik gilt jedoch nicht so sehr diesem Gesetzentwurf als vielmehr den allgemeinen Vergaberichtlinien. Die Richtlinien für die Vergabe von Finanzierungshilfen für Investitionen sollten nach Auffassung der PDS/Linke Liste endlich mit dem Ziel verändert werden, daß selbstverwaltete Betriebe, Selbsthilfeprojekte und Belegschaftsinitiativen in den Genuß von Fördermitteln nach dem ERP-Sondervermögen kommen können. Nach den gegenwärtigen Vergaberichtlinien ist deren Förderung nicht möglich. Selbstverwaltete und alternative Klein- und Mittelbetriebe sind aufgrund der Rahmengesetzgebung gegenüber anderen Unternehmensformen generell benachteiligt. Bankkredite und staatliche Finanzierungshilfen stehen ihnen — nicht zuletzt wegen des Kapitalmangels dieser Betriebe — nicht zur Verfügung. Wir hatten bereits am 5. Dezember 1991 bei der Beratung des ERP-Wirtschaftsplanes 1992 in einem Entschließungsantrag die Forderung nach einer Änderung der Vergaberichtlinien erhoben und dabei weder vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN noch von der SPD Unterstützung erfahren. Wir sind mehr denn je davon überzeugt, daß durch eine Änderung der Vergaberichtlinien zumindest Rückbürgschaften als Sicherheiten in das Sondervermögen aufgenommen werden könnten. Finanzhilfen in Form von Zuschüssen und Krediten könnten mit einem Beratungsangebot verbunden werden und so eine optimale Förderung alternativer, selbstbestimmter Klein- und Mittelbetriebe, und zwar vor allem in den neuen Ländern, verwirklicht und gesichert werden. Die PDS/Linke Liste tritt dafür ein, daß Belegschaftsinitiativen, die einen Betrieb in Selbstverwaltung weiterführen wollen, aus dem ERP-Sondervermögen Finanzhilfen, z. B. Darlehen und Bürgschaften gewährt werden. Statt insbesondere in den neuen Bundesländern mit Milliarden DM die Arbeitslosigkeit zu finanzieren, könnte über das ERP-Sondervermögen Geld zum Aufbau eines demokratischen, selbstverwalteten Wirtschaftssektors bereitgestellt werden. Doch wenn man einmal nachschaut, welche Lobbyisten und Politiker bis hin zu berufsmäßigen Kalten Kriegern á la Herbert Czaja in den Verwaltungsräten der Hauptleihinstitute sitzen, die die im ERP-Wirtschaftsplan veranschlagten Mittel vergeben, dann wird klar, warum stets die etablierte Mittelstandslobby bedient wird. Und dann wird noch klarer, warum Modelle demokratischer, selbstbestimmter und selbstverwalteter Produktion keine Chance haben, staatlich gefördert zu werden. Übrigens: Ihre aufopferungsvolle Tätigkeit für die Interessen des Mittelstandes ließen sich Vorstände, frühere Mitglieder des Vorstandes und Verwaltungsräte 1992 mit über 8 Millionen DM vergolden. Sie haben es sich offenbar redlich verdient. Da alle etablierten Parteien in diesen Gremien vertreten sind, sind heute knappe Mehrheiten zu erwarten. Und da wir mehrheitsfähig werden wollen, stimmen wir dem vorliegenden Gesetzentwurf ausnahmsweise zu. Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Die aus den ehemaligen Marshall-Plan-Hilfen hervorgegangenen ERP-Kredite leisten einen wirkungsvollen Beitrag beim Aufbau einer breiten Schicht leistungsfähiger kleiner und mittlerer Unternehmer in Deutschland. Ihre positive Wirkung galt unbestritten schon früher in den alten Bundesländern. Jetzt bewähren sich die Förderinstrumente des ERP-Sondervermögens erneut beim Aufbau eines tragfähigen Mittelstandes in den neuen Bundesländern. Damit unterstützen wir die grundlegende und nachhaltige Umstrukturierung der dortigen Wirtschaft und die zügige Angleichung der wirtschaftlichen Verhältnisse in beiden Teilen Deutschlands. Die Gründung selbständiger Existenzen in den neuen Ländern kommt weiterhin gut voran. Bis heute sind rund 223 000 Anträge mit einem Volumen von rund 35 Milliarden DM an ERP-Mitteln zugesagt worden. Mehr als 168 000 Existenzgründer haben Förderdarlehen erhalten. Wir gehen davon aus, daß damit insgesamt eine Investitionssumme von etwa 93 Milliarden DM mobilisiert wird. Beachtlich ist insbesondere die „Arbeitsplatzbilanz". Neben anderen Maßnahmen hat die ERP-Förderung dazu beigetragen, knapp 1,5 Millionen neue Arbeitsplätze zu schaffen und 1,3 Millionen bestehende zu sichern. Zunehmend haben wir in den letzten Jahren die Förderung des Umweltschutzes entwickelt. Von der ERP-Förderung gehen heute sowohl in den alten als auch in den neuen Ländern wichtige Impulse zur Minderung betrieblicher Umweltbelastungen aus. Mit dem Ihnen vorliegenden Gesetzentwurf für 1995 wollen wir alle bestehenden positiven Entwicklungen festigen. Angesichts der nach wie vor hohen Nachfrage folgt der Wirtschaftsplan deshalb dem Konzept: Kontinuität in der Wirtschaftsförderung auf hohem Niveau mit eindeutigem Schwerpunkt der Förderung im Osten Deutschlands. 70 % der neuen Kreditzusagen können aus den neuen Ländern beansprucht werden. Das sind 10 Milliarden DM zins- und konditionengünstige Darlehensmittel. 4 Milliarden DM sollen den Bedarf in den alten Ländern im kommenden Jahr abdecken. Mit 10 Milliarden DM für die neuen Länder können wir — wie ich meine — viel bewirken. Damit kann weiterhin grundsätzlich jede Investition kleiner und mittlerer privater Unternehmen gefördert werden, die zur Schaffung oder Erhaltung von Arbeitsplätzen führt. Dies gilt sowohl für den gewerblichen Sektor als auch für die freien Berufe, allerdings mit Ausnahme der Heilberufe. 20504* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 234. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Juni 1994 Der Schwerpunkt der ERP-Kredite in den neuen Bundesländern wird erneut im Bereich der Existenzgründungsförderung mit 5,5 Milliarden DM liegen. In einzelnen Wirtschaftszweigen, so bei bestimmten Handwerksberufen, beobachten wir zunehmend zahlenmäßig gewisse und verständliche Sättigungstendenzen. Jedoch gibt es gleichzeitig die verstärkte Entwicklung hin zu einem höheren Finanzierungsbedarf je Gründungsvorhaben. Für die Bundesregierung ist wichtig, daß besonders viele neue kleine Industrieunternehmen dazu beitragen, die neuen Industriestrukturen zu entwickeln, die wir jetzt brauchen. 11 000 Unternehmen werden heute dem industriellen Mittelstand in den neuen Ländern zugerechnet. Davon haben 60 % eine ERP-Förderung erhalten. Die Anzahl der Betriebe ist aber noch bei weitem zu gering. Längerfristig wird deshalb die ERP-Förderung hierauf ein besonderes Augenmerk legen müssen. Nach unseren Erkenntnissen haben sich die bisher geförderten Unternehmen des industriellen Mittelstandes inzwischen meist gut entwickelt. Ihnen gelingt es zunehmend, die regionalen Absatzmärkte zu erschließen oder zurückzugewinnen. Ihre Ertragslage hat sich verbessert, wenn auch bei weitem nicht so deutlich wie in anderen Bereichen des Mittelstandes, wie etwa im Handwerk. Das veranlaßt uns, hier konsequent fortzufahren. Auch im Westen sehen wir nach wie vor wichtige und förderungswürdige Investitionen. Diese berücksichtigen wir durch ein Fördervolumen von 4 Milliarden DM. Es geht dabei um die Förderung von Existenzgründungen, von Umweltschutzinvestitionen sowie von Investitionen als Ergänzung zur Gemeinschaftsaufgabe „Regionale Wirtschaftsförderung". Die ERP-Förderung ist eingepaßt in das Konzept der Bundesregierung zur Sicherung des Standortes Deutschland. Bei der Existenzgründungs- und Innovationsinitiative des Bundes für den Mittelstand, die jetzt zügig umgesetzt wird, ist die ERP-Förderung maßgeblich beteiligt. Seit März dieses Jahres haben wir in den einzelnen ERP-Mittelstands- und Umweltprogrammen die Kredithöchstbeträge in den alten und neuen Ländern verdoppelt. Außerdem haben wir in den Mittelstandsprogrammen, soweit sie regionale Fördergebiete betreffen, den Kreis der antragsberechtigten Unternehmen vergrößert, und zwar durch Verdoppelung des für die Beantragung maßgeblichen Umsatzes auf 100 Millionen DM. Ich will heute bereits deutlich machen, daß die ERP-Hilfen in absehbarer Zeit schrittweise wieder auf eine längerfristig dauerhafte Größenordnung zurückgeführt werden, die ohne Haushaltszuschüsse des Bundes auskommt. Die Finanzplanung des ERP-Sondervermögens sieht deshalb einen gleitenden Übergang bis zum Jahre 1998 vor. Unter Berücksichtigung der zu erwartenden Normalisierung bei Existenzgründungen ist diese Entwicklung auch angemessen. Das vorgesehene Kreditvolumen wird nicht nur 1994 und 1995, sondern auch mittelfristig ausreichen, um die Kreditnachfrage zu befriedigen. Ich empfehle, den Entwurf des ERP-Wirtschaftsplans 1995, wie er Ihnen jetzt vorliegt und von den Ausschüssen gebilligt wurde, zu verabschieden. Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang noch einige Ausführungen zum Thema Eigenkapitalhilfe: Neben der ERP-Wirtschaftsförderung spielt die Eigenkapitalhilfe für kleine und mittlere Unternehmen eine wesentliche Rolle. Die Bundesregierung hat innerhalb des Aktionsprogramms für mehr Wachstum und Beschäftigung beschlossen, die Eigenkapitalhilfe im westlichen Bundesgebiet wieder einzuführen. Ich betone: Dieser Wiedereinführung steht nun nichts mehr im Wege. Ich sehe hier keinen Grund für — wirklich unnötige — Aufgeregtheiten. Die Kommission der Europäischen Union hat uns gewichtige Genehmigungsvorbehalte im Zuge der Beihilfenkontrolle Ende Mai mitgeteilt. Diese mußten in der schon vorbereiteten Vergaberichtlinie für die Eigenkapitalhilfe berücksichtigt werden. Die Bundesressorts haben sich inzwischen dazu abgestimmt und den Bundesrechnungshof haushaltsrechtlich befaßt. Die Vergaberichtlinie ist seit gestern in Kraft. Die Deutsche Ausgleichsbank kann deshalb alle bereits vorliegenden Anträge auf Eigenkapitalhilfe bescheiden, und sie tut dies auch schon. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 23 a und b (a — Gesetzentwurf zur Einführung einer Grundsicherung im Alter b — Antrag: Vorlage eines Gesetzes über eine soziale Grundsicherung in der Bundesrepublik Deutschland) Alfons Müller (Wesseling) (CDU/CSU): Die heute hier zur Entscheidung anstehenden Gesetzentwürfe von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS/Linke Liste zur sozialen Grundsicherung machen erneut deutlich, daß es zwischen uns in Grundsatzfragen unüberbrückbare Gegensätze gibt. Ich will mich angesichts der Kürze der Zeit nicht mit Einzelfragen ihrer Entwürfe beschäftigen — das haben in der ersten Lesung bereits meine Kollegen Wolfgang Meckelburg und Volker Kauder ausführlich getan. Sehr wohl aber möchte ich deutlich sagen, daß Ihre Vorschläge von meiner Fraktion ohne Wenn und Aber abgelehnt werden. Wir stehen damit im Einklang sowohl mit dem Beschluß des federführenden Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung wie auch mit den Beschlüssen aller mitberatenden Ausschüsse. Die Antragsteller haben vielfach gefehlt. Wie ernst nehmen Sie Ihre Anträge? Wir halten nichts von Regelungen, die letztlich dazu führen, das bewährte System der gegliederten sozialen Sicherung zu unterlaufen und auszuhöhlen. Würden Ihre Vorschläge Gesetzeskraft bekommen, dann wäre der Weg in den totalen Versorgungsstaat vorprogrammiert. Das wollen wir nicht, das lehnen wir mit Entschiedenheit ab, und das will auch die übergroße Mehrheit unserer Bürger nicht. Wo kommen wir denn hin, wenn der Staat von vornherein Leistungen in einer Höhe garantiert, die oft dem Nettoeinkommen verdienender Arbeitnehmer nahekommt? Das zerstört doch in ganz gefährli- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 234. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Juni 1994 20505* cher Weise den Leistungswillen in der Bevölkerung. Denn, warum soll jemand noch eigene Vorleistungen erbringen und über Jahre Sozialversicherungsbeiträge zahlen, wenn ihm sowieso eine Grundsicherung von 1 200/1 300 DM zusteht? Dieser Weg kann nicht der richtige sein. Offensichtlich verwechseln Sie Sozialpolitik mit Versorgungspolitik, und das ist es, was uns in ganz erheblichem Maße voneinander unterscheidet. Sozialpolitik muß sich — nach unserem Verständnis — immer an den Prinzipien der Solidarität und der Subsidiarität orientieren und muß vor allem auch bezahlbar sein. Und so sage ich als christlich-sozial geprägter Mann, der lange Jahre Vorsitzender der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung in Deutschland war: Erstens. Eine an den tatsächlichen Bedürfnissen der Menschen orientierte Sozialpolitik setzt immer zuerst eine Wirtschaftspolitik voraus, die den finanziellen Spielraum für entsprechende Sozialleistungen schafft. Das heißt im Klartext: Es kann nur das verteilt werden, was vorher erarbeitet wurde. Alle anderen Wege führen unweigerlich ins Abseits. Deshalb ist das Finanzierungsmodell der PDS ebenso illusorisch wie auch die Vorstellungen von BÜNDNIS 90 unrealistisch sind. Zweitens. Wir müssen uns abgewöhnen zu glauben, für alles und für jedes müsse letztendlich der Staat zuständig sein. Das geht nicht, und das wird wohl auch von der Mehrheit der Bürger so gesehen. Ich habe vergeblich in Ihren Unterlagen die Worte Eigenverantwortung und Eigenvorsorge gesucht. Sie tun den Menschen keinen Gefallen, wenn Sie das Prinzip der Subsidiarität völlig außen vor lassen. Das schwächt in gefährlicher Weise jede Eigeninitiative. Wir brauchen angesichts der derzeitigen schwierigen Lage einen durchgreifenden Bewußtseinswandel, daß ein jeder zuallererst seine eigenen Kräfte zu mobilisieren hat, bevor Leistungen der sozialen Sicherungssysteme in Anspruch genommen werden. Ich weiß — und das geht ja auch aus dem heute hier diskutierten Bericht über die Folgen der SED-Diktatur hervor —, daß das Subsidiaritätsprinzip in der früheren DDR ignoriert wurde. Kein Wunder, daß Gleichmacherei in Ihrem Entwurf dominiert. Ein wichtiges Prinzip der Katholischen Soziallehre aber besagt: „Jedem das Seine" und nicht: ,,Jedem das Gleiche". Auch das ist ein grundlegender Unterschied unserer Politik zu Ihren Vorstellungen. Drittens. Wir haben in den vergangenen vier Jahren deutlich gemacht, daß Solidarität für uns ein wichtiger tragbarer Grundsatz ist. Wie selten zuvor praktizieren wir doch in überzeugender Weise das Bündnis der Starken mit den Schwachen. In Milliardenhöhe haben wir für Millionen Menschen die Renten in den neuen Bundesländern auf ein Niveau angehoben, das niemand dort so schnell und so umfassend für möglich gehalten hätte. Ich halte das für eine großartige Leistung der deutschen Rentenversicherung, die wohl einmalig in der Welt ist. Es ist höchste Zeit, das einmal deutlich auszusprechen. Diese elende Miesmacherei, die lautstark und völlig zu Unrecht betrieben wird, muß endlich ein Ende haben. Wir werden das in den kommenden Wochen und Monaten deutlich und offensiv den Menschen zu sagen haben. Ausgerechnet die PDS macht — ohne selbst ein tragfähiges Konzept zu haben fundamentale Opposition und stachelt die Stimmung gegen diejenigen auf, die tatkräftig helfen, die Folgen einer 40jährigen Mißwirtschaft zu überwinden. Ohne die MilliardenSpritzen aus dem Westen wäre in den neuen Bundesländern der Lebensstandard noch nicht annähernd so weit, wie er inzwischen ist. Polen und Rußland zeigen uns, wie schwierig das ohne umfassende Hilfe von außen ist. Viertens. Die Union hat es nicht nötig, Nachhilfeunterricht von der PDS zu nehmen, wenn es um Fragen der sozialen Ausgestaltung unserer Gesellschaft geht. Bei allen Schwierigkeiten, die uns die strukturell bedingte Arbeitslosigkeit sowie die veränderten Wettbewerbsbedingungen in der Welt auferlegen, wir bleiben bei unserem Kurs. Die Union lehnt jedwede staatlich garantierte Grund- und Mindestrenten wie auch eine soziale Grundsicherung nach den Vorstellungen der PDS ab. Fünftens. Wir bleiben aus Überzeugung bei der Lohn- und Beitragsbezogenheit der Rente. Nur so ist garantiert, daß die Rentner auch in Zukunft eine wirtschaftliche Sicherheit haben und am Fortschritt teilnehmen. Alle Spekulationen um die Sicherheit der Renten, wie sie in regelmäßigen Abständen immer wieder aufflammen, sind falsch und abwegig. Die Renten sind und bleiben sicher! Es ist unverantwortlich, durch gezielte Panikmache die Rentner zu verunsichern. Sechstens. Wir werden auch weiterhin gezielt darum bemüht bleiben, die von uns eingeleitete eigenständige soziale Sicherung der Frauen weiter auszubauen. Die Union war es, die vor einigen Jahren erstmals in der Geschichte der Deutschen Sozialversicherung den in der Familie erbrachten Erziehungsleistungen im Rentenrecht zu einer Anerkennung verholfen hat. Seither haben wir eine Rente für Mütter aufgrund von erbrachten Kindererziehungszeiten. Und wir haben ebenso dafür gesorgt, daß im neuen Pflegeleistungsgesetz die in der Familie erbrachten Pflegeleistungen eine sozialrechtliche Anerkennung finden. In Ihrem Entwurf tun Sie so, als würden die in der Familie erbrachten Erziehungs- und Pflegeleistungen im Sozialrecht überhaupt nicht anerkannt. Das ist nicht nur falsch, sondern auch unseriös. Unsere Entscheidung, Kindererziehungszeiten im Rentenrecht rentenbegründend und rentensteigernd anzuerkennen, ist ein wirklicher Reformschritt. Und damit das gesellschaftspolitisch richtig eingeordnet wird, füge ich hinzu: Jede Frau soll selbst entscheiden, ob sie einer außerhäuslichen Erwerbsarbeit nachgeht oder darauf verzichtet, um ganz für die Kinder dazusein. Wenn sie sich für das letztere entscheidet, dann muß sie auch im Sozialrecht genauso behandelt werden wie die Frau, die bewußt auf Kinder verzichtet, um ungestört einer Erwerbsarbeit nachzugehen. Das haben wir auf den Weg gebracht, und darauf sind wir auch stolz. Siebtens. Sie sehen, meine Damen und Herren, wir haben gute Karten in der Hand wenn es darum geht, im Wettbewerb um soziale Leistungen mit anderen Parteien zu bestehen. 20506* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 234. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Juni 1994 Ich wiederhole daher: Wir lehnen die uns vorliegenden Entwürfe ab. Ulrike Mascher (SPD): Nach 12 Jahren Regierung Kohl müssen wir feststellen: Armut nimmt in der Bundesrepublik zu, immer mehr Menschen müssen in Armut leben. 1992 haben 3 600 000 Menschen von Sozialhilfe gelebt, fast eine Million Kinder müssen unter diesen Lebensbedingungen aufwachsen, und die Zahl alter Menschen, die von Sozialhilfe leben, ist seit vielen Jahren etwa gleichbleibend hoch: fast 600 000. Da bei dieser Gruppe — vor allem bei alten Frauen ohne ausreichendes Einkommen im Alter — die Hemmschwelle vor dem Gang zum Sozialamt besonders hoch ist, gehen alle Experten davon aus, daß etwa eine gleich große Anzahl keine Sozialhilfe beantragt, obwohl sie in ärmlichsten Verhältnissen lebt. Die Bundesregierung verweigert eine ernsthafte Auseinandersetzung über Ursachen und Bekämpfung von Armut und hat alle Bemühungen um eine seriöse Armutsberichterstattung abgewehrt und die bestürzenden Ergebnisse der Armutsberichte der großen Wohlfahrtsverbände, z. B. der Arbeiterwohlfahrt, der Caritas, des DPWV gemeinsam mit dem DGB, durch statistische Tricks zu verniedlichen versucht. Eine ernsthafte Diskussion über Instrumente zur Bekämpfung von Armut ist deshalb überfällig. Grundlage dieser notwendigen Diskussion kann aber nicht ein Konzept sein, wie es die PDS vorlegt: eine Sammlung flächendeckender sozialpolitischer Maximalforderungen mit einem Finanzvolumen von lockeren 155 Milliarden DM jährlich. Die Vorlage solch eines Konzeptes, pompös „Charta über die soziale Grundsicherung in der Bundesrepublik Deutschland" genannt, zeigt für mich deutlich: Hier geht es nicht darum, einen konkreten realisierbaren Vorschlag für eine soziale Grundsicherung im Alter, bei Erwerbsunfähigkeit oder bei Arbeitslosigkeit vorzulegen, sondern die Fata Morgana der blühenden Landschaften, der großen Versprechungen, durch eine PDS-Variante zu bereichern. Die SPD hält solch ein Illusionstheater angesichts der realen Not für unverantwortlich und für unseriös. Wir werden deshalb diesen Gesetzentwurf ablehnen. Die SPD hat in ihrem Sozialpolitischen Grundsatzprogramm von 1988 bereits eine soziale Grundsicherung gefordert. Seither haben wir an diesem Konzept gearbeitet, und es ist Bestandteil unseres Programms, das nächste Woche in Halle beschlossen wird. Die soziale Grundsicherung soll ein Einkommen sichern, das ein menschenwürdiges Leben in unserer Gesellschaft erlaubt, ohne daß Sozialhilfe in Anspruch genommen werden muß. Die soziale Grundsicherung soll in einem ersten Schritt im Alter und bei Berufs- und Erwerbsunfähigkeit unser gewachsenes soziales Sicherungssystem ergänzen und damit auch die gesellschaftliche Ausgrenzung ganzer Bevölkerungsgruppen überwinden. In einem zweiten Schritt soll dann die soziale Grundsicherung bei Arbeitslosigkeit realisiert werden, und auch die Lebenslage von Alleinerziehenden wird einbezogen werden. Die soziale Grundsicherung soll nicht die Sicherung des Lebensstandards im Alter durch die gesetzliche Rentenversicherung ablösen, sie soll nicht die Sozialhilfe als individuelle Hilfe in besonderen Problemlagen ersetzen, sondern sie soll Lebenslagen absichern, in denen Erwerbsarbeit nicht mehr möglich ist oder nicht erreichbar ist und die wie das Alter regelmäßig oder häufig und wie leider die Arbeitslosigkeit mit steigender Tendenz in unserer Gesellschaft vorkommen. Alte Menschen werden dann nicht mehr von einer unzureichenden Rente leben müssen, weil sie aus Scham oder Angst den Gang zum Sozialamt scheuen. Für die SPD ist eine bedarfsorientierte soziale Grundsicherung in dieser konkreten Ausgestaltung ein Projekt, das wir in der nächsten Legislaturperiode realisieren werden, nicht als sozialpolitisches Patentrezept, sondern als gut eingepaßten Baustein in unser System der sozialen Sicherung im Alter, bei Erwerbsunfähigkeit und bei Arbeitslosigkeit. Die soziale Grundsicherung nach dem Konzept der SPD ist als eine Ergänzung in unserem bestehenden sozialen Sicherungssystem angelegt und nicht als Abbruchbirne wie die konservativ-liberalen Modelle einer Grundsicherung. Dabei soll ja das soziale Sicherungssystem der Bundesrepublik auf eine Basissicherung abgemagert werden und alles weitere der privaten Vorsorge überlassen bleiben. Solche Modelle würden die Generation der heute Erwerbstätigen doppelt belasten. Einmal müßten die verfassungsrechtlich geschützten Ansprüche des geltenden Rentenversicherungssystems finanziell abgegolten werden, und gleichzeitig müßte Kapital für die eigene, die private Vorsorge geleistet werden. Dieser finanzielle Kraftakt kann wahrscheinlich von der besserverdienenden Klientel der F.D.P. geleistet werden, die große Mehrheit der Erwerbstätigen wäre damit überfordert. Es gibt keine Alternative zum System der umlagefinanzierten Sozialversicherung, keine Alternative zur solidarischen Absicherung der großen Lebensrisiken. Es gibt für die SPD auch keine Alternative zur Orientierung der sozialen Sicherungssysteme an Erwerbsarbeit. Arbeit ist trotz aller spekulativen Überlegungen vom Ende der Arbeitsgesellschaft Kern und Orientierungspunkt unserer Gesellschaft. Ein soziales Sicherungssystem, daß die feste Verknüpfung zur Erwerbsarbeit aufgibt, bringt nicht ein Mehr an Sicherheit, sondern ein Weniger. Ich sage das, auch wenn ich weiß, daß die Orientierung an Erwerbsarbeit für Frauen nur eine unzureichende eigenständige soziale Sicherung gebracht hat und Armut von Frauen nicht beseitigen konnte. Ein Baustein, um diese Armut zu bekämpfen, ist die bedarfsorientierte soziale Grundsicherung nach dem Vorschlag der SPD, die für solche Lebenslagen soziale Sicherheit bietet, in denen Erwerbstätigkeit nicht zumutbar oder nicht möglich ist, also im Alter, bei Invalidität, hei Arbeitslosigkeit oder bei Alleinerziehung, und ein menschenwürdiges Leben nicht aus der Rente oder der Arbeitslosenhilfe finanziert werden kann. Deshalb will die SPD die behutsame, finanzierbare Ergänzung unserer gewachsenen sozialen Siche- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 234. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Juni 1994 20507* rungssysteme: eine bedarfsorientierte soziale Grundsicherung. Dr. Eva Pohl (F.D.P.): Mit der Forderung nach einer Grundrente, wie sie hier durch den PDS-Antrag und den Gesetzentwurf von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN formuliert ist, schließt sich in dieser Legislaturperiode der Kreis derjenigen Parteien, die in der Einführung einer sozialen Grundsicherung die Lösung aller finanziellen Altersprobleme sehen wollen. Schon im Mai des Jahres 1992 hatten die Sozialdemokraten mittels ähnlichem Antrag die Bundesregierung aufgefordert, eine Grundsicherung im Alter und bei Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit einzuführen. Der linke Schulterschluß zwischen SPD, PDS und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN weiß natürlich nur zu trefflich, daß mit der Forderung nach einer Grundrente, die schön verpackt wird in eine gesamtdeutsche Betroffenheitslitanei, unser über 100 Jahre altes und erfolgreiches, gegliedertes System der sozialen Sicherung frontal angegriffen werden würde. Gerade in den umfangreichen Beratungen zur Rentenreform von 1992 ist doch die Einführung einer sozialen Grundsicherung sorgfältig geprüft und abschließend verworfen worden. Lassen Sie mich noch einmal zwei sehr differenzierte Nachteile einer Grundsicherung zusammenfassen: Erstens: Eine Grundrente, Mindestrente oder wie auch immer diese Grundsicherung im Alter bezeichnet wird, führt zu einer politisch explosiven Vermischung der lohn- und beitragsfinanzierten Rentenversicherung mit Elementen der aus allgemeinen Dekkungsmitteln finanzierten Grundsicherung durch die Sozialhilfe. Die Folge: Der Bürger würde nicht mehr zwischen beitragsfinanziertem und steuerfinanziertem Anteil der Grundsicherung unterscheiden. Wenn aber letztendlich eine angemessene Grundsicherung auch ohne Beitragszahlung erreichbar wäre, lohnte sich die Zahlung von Sozialbeiträgen auch nicht mehr. Die Auswirkungen wären sicher auch für die Kollegen von der Opposition vorstellbar: noch mehr Schwarzarbeit, noch größere Probleme mit der Schattenwirtschaft. Zum zweiten — und das kann ja aus dem vorweg Gesagten impliziert werden — würde die Einführung einer Grundrente zu finanziellen Mehraufwendungen in Milliardenhöhe führen. Hierbei darf im übrigen auch nicht vergessen werden, daß im Hinblick auf das EU-Recht die reale Gefahr eines erheblichen Sozialleistungsexports in andere EU-Länder gegeben wäre. Die Mindestsicherung würde nämlich auch die Ansprüche von ehemaligen Gastarbeitern, die wieder in ihrer Heimat leben, begründen. Nein, meine Damen und Herren, die Maxime muß weiter heißen — und da wiederhole ich mich gerne —: Alterslohn für Lebens-Beitragsleistung. Auch die Beibehaltung dieser klaren gesellschaftspolitischen Losung ist im übrigen ein Beitrag zur Sicherung unseres Wirtschaftsstandortes. Leistung und hier meine ich die Arbeitsleistung eines jeden Arbeitnehmers — muß sich auch in Zukunft lohnen. Apropos Leistung, meine Damen und Herren vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Auch wenn ich weiß, wie schwierig es für Sie ist, als zahlenmäßig kleine Gruppe in Ausschüssen präsent zu sein, es ist aber doch wohl ein Armutszeugnis, wenn Sie im Arbeits- und Sozialausschuß noch nicht einmal anwesend sind, wenn Ihr eigener Gesetzentwurf behandelt wird. Die gesetzliche Rentenversicherung hat sich von ihrem System her in ihrer 100jährigen Geschichte auf das Eindrucksvollste bewährt. Der überwiegende Teil der Bürgerinnen und Bürger aus den neuen Bundesländern ist mehr als froh, die kärgliche DDR-Grundrente hinter sich gelassen zu haben. Dazu steht die F.D.P. ohne Wenn und Aber. Anlage 8 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 669. Sitzung am 20. Mai 1994 beschlossen, zu dem nachstehenden Gesetz gemäß Artikel 76 Abs. 2 des Grundgesetzes Einwendungen nicht zu erheben: Entwurf eines Gesetzes zum Umweltschutzprotokoll vom 4. Oktober 1991 zum Antarktis-Vertrag Der Bundesrat hat in seiner 670. Sitzung am 10. Juni 1994 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen: Gesetz zur Reform des Weinrechts Gesetz zur einkommensteuerlichen Entlastung von Grenzpendlern und anderen beschränkt steuerpflichtigen natürlichen Personen und zur Änderung anderer gesetzlicher Vorschriften (Grenzpendlergesetz) Zweites Gesetz zur Bereinigung von SED-Unrecht (Zweites SED-Unrechtsbereinigungsgesetz — 2. SED-UnBerG) Gesetz über Umweltstatistiken (Umweltstatistikgesetz — UStatG) Gesetz zur Reform der agrarsozialen Sicherung (Agrarsozialreformgesetz 1995 — ASRG 1995) Sechstes Gesetz zur Änderung des Steuerberatungsgesetzes Gesetz zur Durchführung der Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften über den Jahresabschluß und den konsolidierten Abschluß von Versicherungsunternehmen (Versicherungsbilanzrichtlinie-Gesetz — VersRiLiG) Gesetz zur Schaffung von Partnerschaftsgesellschaften und zur Änderung anderer Gesetze Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 90/313/EWG des Rates vom 7. Juni 1990 über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt Zweites Gesetz zur Änderung des Chemikaliengesetzes Gesetz zur Neuordnung des Erfassungs- und Musterungsverfahrens ... Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes Gesetz zum Änderungsprotokoll vom 6. Februar 1992 zu dem Europäischen Übereinkommen zum Schutz von Tieren in landwirtschaftlichen Tierhaltungen Gesetz zu dem Übereinkommen Nr. 164 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 8. Oktober 1987 über den Gesundheitsschutz und die medizinische Betreuung der Seeleute Gesetz zu dem Übereinkommen Nr. 161 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 26. Juni 1985 über die betriebsärztlichen Dienste Gesetz zu dem Zusatzprotokoll vom 25. September 1991 zum Chloridübereinkommen/Rhein (Zusatzprotokoll zum Chloridübereinkommen/Rhein) 20508* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 234. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Juni 1994 Gesetz zu dem Abkommen vom 25. Juni 1993 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Georgien über den Luftverkehr Gesetz zu dem Abkommen vom 10. Juni 1993 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Ukraine über die Seeschiffahrt Gesetz zu dem Abkommen vom 29. Juni 1993 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Sozialistischen Republik Vietnam über die Seeschiffahrt Gesetz zu dem Übereinkommen vom 13. Januar 1993 über das Verbot der Entwicklung, Herstellung, Lagerung und des Einsatzes chemischer Waffen und über die Vernichtung solcher Waffen (Gesetz zum Chemiewaffenübereinkommen) Gesetz zur Änderung von Kostengesetzen und anderen Gesetzen (Kostenrechtsänderungsgesetz 1994 — KostRÄndG 1994) Drittes Gesetz zur Änderung der Wirtschaftsprüferordnung Zu den beiden letztgenannten Gesetzen hat der Bundesrat folgende Beschlüsse gefaßt: Entschließung des Bundesrates zum Gesetz zur Änderung von Kostengesetzen und anderen Gesetzen (Kostenrechtsänderungsgesetz 1994): Der Bundesrat nimmt mit Bedauern zur Kenntnis, daß die von ihm angeregte Änderung des Sozialgerichtsgesetzes bzgl. der Kostenregelung und Kostenfreiheit des sozialgerichtlichen Verfahrens im Zuge des Kostenrechtsänderungsgesetzes 1994 nicht vorgenommen worden ist. Der Bundesrat geht davon aus, daß Kostenfreiheit im Sozialgerichtsverfahren ein wichtiger Baustein des sozialen Rechtsstaates ist. An sozialen Prinzipien muß sich allerdings auch die Kostenfreiheit für vertragsärztliche und vertragszahnärztliche Streitsachen messen lassen. Soziale Gründe für die Kostenfreiheit liegen aber für diesen Bereich nicht vor. Der Motivlage des Gesetzgebers entspricht insoweit. die Befreiung der Vertragsärzte und Vertragszahnärzte von den Gerichtskosten nicht. Für eine Freistellung der Vertragsärzte und Vertragszahnärzte von Gerichtskosten gibt es auch keinen sachlichen Grund. Vielmehr handelt es sich um eine ungerechtfertigte Privilegierung einer Berufsgruppe. Auch ist bei einer entsprechenden Regelung langfristig ein Rückgang der Klagen auf dem Gebiet des Kassen(zahn)- arztrechtes zu erwarten. Von 1990 bis 1992 ist die Zahl dieser Verfahren um 50 % gestiegen. Dabei handelt es sich bei einem nicht unbeträchtlichen Teil um Streitigkeiten, deren Erfolgsaussichten und deren wirtschaftliche Bedeutung für die Kläger als gering einzuschätzen sind. Allein der Umstand, daß sozialgerichtliche Verfahren bislang gerichtskostenfrei waren, stellt keine Rechtfertigung dar, dies zukünftig ohne Einschränkungen zu belassen. Entschließung des Bundesrates zum Dritten Gesetz zur Änderung der Wirtschaftsprüferordnung: Der Bundesrat bittet, die Bundesregierung möge eine eingehende Untersuchung veranlassen, damit die unterschiedlichen Prüfungswege zum Wirtschaftsprüferberuf anhand der umfangreichen angefallenen Erfahrungen überprüft und besser als bisher aufeinander abgestimmt werden. Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Drucksache 12/6842 Innenausschuß Drucksache 12/4378 Drucksache 12/4504 Drucksache 12/5531 Drucksache 12/6509 Finanzausschuß Drucksache 12/6532 Ausschuß für Frauen und Jugend Drucksache 12/6845 Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen hat: Innenausschuß Drucksache 12/2520 Nr. 3.2 Drucksache 12/2867 Nr. 2.1 Finanzausschuß Drucksache 12/6902 Nr. 2.4 Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 12/6582 Nr. 3.18 Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Drucksache 12/7371, Nr. 2.17
Gesamtes Protokol
Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1223400000
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor wir in den Haupttagesordnungspunkt unserer heutigen Sitzung, die Beratung des Berichts der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland", eintreten, erinnern wir uns der Opfer des Aufstandes vom 17. Juni 1953 in der ehemaligen DDR.
Dieser Tag hat auch im geeinten demokratischen Deutschland nichts von seiner Wichtigkeit und Bedeutung verloren. Er bleibt Erinnerung und Mahnung, Mahnung unter dem Motto: niemals zurück zu totalitären Systemen und Unfreiheit!
Der 17. Juni ist und bleibt unverzichtbarer Gedenktag in unserer Geschichte. Es ist die Erinnerung an die Menschen, die damals in Ost-Berlin und in mehr als 400 Orten der ehemaligen DDR auf die Straße gingen. Es begann mit der Empörung gegen die Heraufsetzung der Arbeitsnormen und steigerte sich bis zur Auflehnung gegen das DDR-System und bis hin zur Auflehnung gegen Unterdrückung und Unfreiheit, gegen die Teilung unseres Landes.
Wenn wir heute über den Abschlußbericht der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland" debattieren, dann geschieht dies auch in der Absicht, denjenigen Anerkennung und Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, die sich am 17. Juni 1953 und in den Jahren danach dem Regime widersetzt haben, die mutig und selbstlos für Freiheit, Frieden und Demokratie eingetreten sind und dafür Benachteiligung, Verfolgung und Leiden auf sich genommen haben. Viele tragen noch heute daran.
Auch wenn 1953 der Versuch, ein totalitäres System umzuwandeln, scheiterte, so blieb dieser Versuch nicht folgenlos. Über mehr als drei Jahrzehnte traten immer wieder einzelne und Gruppen gegen Unrecht und für Freiheit und Rechtsstaatlichkeit ein. 1989 setzten sich viele zur Wehr, setzten sich durch gegen Unrecht und Unfreiheit. Welche Genugtuung muß es für alle gewesen sein, den 9. November 1989 zu erleben.
Jahrzehntelang war der Volksaufstand des 17. Juni als sogenannter faschistischer Putsch, als vermeintliche kriminelle Provokation westlicher Kapitalisten ausgegeben worden, weil er in der Tat für das System
äußerst gefährlich war. Der 9. November 1989 bestätigte dann, daß diktatorische Systeme, auch wenn sie noch so gefestigt scheinen, nicht gegen den Willen der Menschen Bestand haben können. Denn als Lehre bleibt: Es gibt immer wieder Menschen, die ein untrügliches Gefühl für das mit dem Menschen nicht Verträgliche, das dem Menschen nicht Zugehörige, das Unmenschliche haben, und sie setzen sich damit in der Geschichte — auch nach vorherigem Scheitern — immer wieder durch. Das sollte uns Ermutigung und zugleich auch Mahnung sein, unsere Demokratie mit ihren entscheidenden Werten aktiv zu leben und zu schützen.
Zur Aufarbeitung dieser Diktatur hat der Deutsche Bundestag die Enquete-Kommission eingesetzt, weil wir wissen: Verleugnen und Verdrängen sind kein Weg. Wir müssen uns unserer Geschichte nüchtern stellen, indem wir analysieren, Strukturen deutlich machen, Quellen sichern und auswerten, Zeitzeugen befragen. Weil die Realität des SED-Staates differenziert und komplex war, weil es um menschliche Schicksale geht, war auch die Aufgabe der EnqueteKommission hochkomplex und schwierig. Ich weiß, mit welch großem Verantwortungsgefühl und welch großer Sorgfalt sich die Kommission dieser Aufgabe gestellt hat.
Die heutige Debatte wird das Verständnis füreinander im vereinigten Deutschland, so hoffe ich, erleichtern. Sie wird zum Zusammenwachsen und Zusammenleben beitragen. Auch deshalb ist sie notwendig.
Ich danke Ihnen.

(Beifall im ganzen Hause)

Meine Damen und Herren, es gibt noch einige amtliche Mitteilungen und Tagesordnungspunkte, bevor wir in die Debatte eintreten können.
Ich teile zunächst mit: Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung um weitere Zusatzpunkte erweitert werden. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
10. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu



Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
dem Gesetz zur abschließenden Erfüllung der verbliebenen Aufgaben der Treuhandanstalt — Drucksachen 12/6910, 12/7429, 12/7665, 12/7947 —11. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung (EGInsO) — Drucksachen 12/3803, 12/7303, 12/7667, 12/7948 —12. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Markus Meckel, Angelika Barbe, Dr. Ulrich Böhme, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Arbeitsmöglichkeiten der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland"
zu dem Antrag der Abgeordneten Hartmut Koschyk, Dr. Roswitha Wisniewski, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dirk Hansen, Dr. Jürgen Schmieder, Dr. Karlheinz Guttmacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Unterstützung der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland" — Drucksachen 12/6933, 12/7225, 12/7941 —13. Beratung des Antrags der Abgeordneten Rolf Schwanitz, Hans-Joachim Hacker, Angelika Barbe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Vereinheitlichung des Bergrechts nach der deutschen Einheit — Drucksache 12/7905 —14. Beratung des Antrags des Bundesministeriums der Finanzen: Einwilligung gemäß § 65 Abs. 7 der Bundeshaushaltsordnung in die Veräußerung der Lufthansa-Anteile des Bundes — Drucksache 12/7970 —
Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Sind Sie damit einverstanden? — Das ist der Fall. Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe Zusatzpunkt 10 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz zur abschließenden Erfüllung der verbliebenen Aufgaben der Treuhandanstalt
— Drucksachen 12/6910, 12/7429, 12/7665, 12/7947 —
Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Peter Struck
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Nicht. Wird das Wort zu Erklärungen gewünscht? — Auch nicht. Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 12/7947? — Gegenprobe! — Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung bei Ablehnung durch die Gruppe PDS/Linke Liste und einer Enthaltung aus der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN angenommen.
Ich rufe Zusatzpunkt 11 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung (EGInsO)
— Drucksachen 12/3803, 12/7303, 12/7667, 12/7948 —
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Heribert Blens
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Zu Erklärungen? — Auch nicht. Dann kommen wir auch hier zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 12/7948? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit ist die Beschlußempfehlung bei zwei Gegenstimmen angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 und Zusatzpunkt 12 auf:
19. Beratung des Berichts der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland" — Drucksache 12/7820 —
ZP12 Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuß)

zu dem Antrag der Abgeordneten Markus Meckel, Angelika Barbe, Dr. Ulrich Böhme, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD:
Arbeitsmöglichkeiten der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland"
zu dem Antrag der Abgeordneten Hartmut Koschyk, Dr. Roswitha Wisniewski, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dirk Hansen, Dr. Jürgen Schmieder, Dr. Karlheinz Guttmacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Unterstützung der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland"
— Drucksachen 12/6933, 12/7225, 12/7941 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Hartmut Koschyk Rolf Schwanitz
Dr. Jürgen Schmieder
Zum Bericht der Enquete-Kommission liegt ein gemeinsamer Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P. sowie der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Aussprache zweieinhalb Stunden vorgesehen. — Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Wir können so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt der Kollege Rainer Eppelmann.

Rainer Eppelmann (CDU):
Rede ID: ID1223400100
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Sachverständigen und liebe Mitarbeiter des Sekretariats! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die SED-Machthaber haben den von ihnen errichteten Staat, eine Diktatur von Anfang an, häufig mit einem Haus verglichen, das sie erbaut haben, das sie für das beste aller Häuser hielten und in dem sie als die Klügsten natürlich das Hausherrenrecht ausübten.



Rainer Eppelmann
Dieses Bild war so verbreitet, daß der katholische Bischof Otto Spülbeck aus Meißen schon 1956 davon sprach, Christen könnten den SED-Staat nur als ein „fremdes Haus" erleben, in dem für sie allenfalls der Platz „unter der Treppe" zur Verfügung steht. Genau 30 Jahre später haben die katholischen Bischöfe in der DDR dieses Bild noch einmal aufgegriffen und in einem Pastoralschreiben erklärt — ich zitiere —:
Als Christen erwarten wir nicht, daß die Grundpfeiler des Hauses Staat, in dem wir wohnen, aus christlichem Zement gegossen sind. Aber wir erwarten, daß wir zusammen mit allen anderen Bürgern in diesem Haus gleichberechtigt und geachtet leben können.
Die Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland", die der Bundestag durch seine Beschlüsse vom 12. März und 20. Mai 1992 eingesetzt hat, ist mir oft so vorgekommen wie ein Suchtrupp. Wir glaubten, uns in dem verfallenen Bau auszukennen, den uns die SED hinterlassen hat. Aber das stimmte einfach nicht. Das Haus, das wir da zu besichtigen und zu bewerten hatten nach seinem äußeren Erscheinungsbild und seinen konstruktiven Grundlagen, war uns in vielfacher Hinsicht unbekannt.
Nach 27 Monaten fleißiger und zuallermeist einvernehmlicher Arbeit erkläre ich: Die Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland" war notwendig und sinnvoll.

(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS/Linke Liste)

Wir wissen heute ein großes Stück besser Bescheid über jenes Haus. Der Bericht, den unsere Kommission heute auf der Grundlage der antitotalitären Übereinstimmung der Demokraten — und keiner von uns sollte die wieder in Frage stellen — dem Parlament vorlegt, beschreibt in knapper Weise die Erfahrungen und Einsichten, die wir bei unserem ersten Rundgang gewonnen haben. Wer es noch genauer wissen will, den verweise ich schon jetzt auf die Materialien unserer Enquete-Kommission, d. h. die Protokolle unserer 44 öffentlichen Anhörungen und die 148 wissenschaftlichen Expertisen. Insgesamt werden das rund 15 000 Seiten sein.
Als wir im Sommer 1992 mit der Besichtigung des Hauses begannen, das uns die SED-Machthaber hinterlassen hatten, waren noch zahlreiche andere Gruppen unterwegs, die sich für einzelne Etagen und Räume dieses Hauses interessierten. Die meisten davon haben, was ich ausdrücklich bedauere, inzwischen aufgegeben, aufgeben müssen oder treiben ihre Inspektion in einer solchen Weise, daß wir auf ihre Ergebnisse wahrscheinlich noch lange werden warten müssen.
Die Enquete-Kommission ihrerseits konnte auch nicht alle Räume mit der Genauigkeit besichtigen, die wünschenswert gewesen wäre. In zahlreichen Fällen konnten wir in unserem Begehungsprotokoll deshalb auch nur vermerken: Da muß noch genauer nachgeschaut werden.
Trotzdem können wir heute sagen: Wir haben uns einen Überblick verschafft, der seriös erarbeitet wurde und zahlreiche Ansatzpunkte für weitere erforderliche Nachforschungen bietet.
Bei ihrer Arbeit hat unsere Enquete-Kommission viele wichtige Erkenntnisse gewonnen. Einige davon möchte ich hier besonders hervorheben:
Erstens. Das Haus, das sich DDR nannte, konnte auf flüchtige Betrachter wie ein ganz normales Haus zwischen den anderen europäischen Häusern wirken. Wer allerdings genauer hinschaute, dem fiel auf: Der SED-Staat war ein Haus mit zugemauerten Fenstern sowie mit bewachten und verminten Türen. Seit dem 13. August 1961 sperrten die selbstherrlichen und unmenschlichen Mitglieder des Politbüros der SED das ganze Volk ein — lebenslänglich Knast. Vergessen wir das nie!

(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dank sei an dieser Stelle all denen gesagt — ich denke hier auch, aber nicht nur, an die großen Kirchen —, die uns über die Jahre im Gefängnis besuchten, uns nicht vergessen haben und dafür gesorgt haben, daß es so etwas wie ein Zusammengehörigkeitsgefühl, wenn nicht aller, dann zumindest vieler Deutscher bis zum 9. November 1989 gegeben hat.

(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zweitens. Viele der Bewohner des Hauses DDR sprachen nur mit gedämpfter Stimme, weil sie Angst hatten, daß da eventuell einer mithört. Trotzdem lebte es sich in diesem Hause einigermaßen gut und bequem. Risikobereitschaft und persönliches Engagement waren allerdings nur nach Aufforderung durch die Machthaber gefragt. Denen waren Gehorsam und Untertanengeist der Bürger am wichtigsten. Ihre verordnete ideologische Gleichmacherei verstanden sie als Fortschritt und Gerechtigkeit. Aus den Berichten der Opfer des SED-Regimes über erfahrenes Unrecht und Leid sowie ersten genaueren ökonomischen Bilanzen wissen wir, was uns diese Gleichmacherei kostete. Sie brachte Anpassung, Angst, Verführbarkeit und Lüge bei vielen Menschen hervor, bewirkte wirtschaftlichen Rückschritt und führte zu gewaltigen finanziellen Belastungen, die wir heute tragen müssen. Wir sollten nie vergessen, wenn wir uns über die Probleme und die Schwierigkeiten, die wir heute haben, ärgern und bedrückt sind: Diese Lasten sind Lasten der DDR und können nicht Helmut Kohl und seiner Regierung in die Schuhe geschoben werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Drittens. Selbst innerhalb des DDR-Hauses gab es viele verschlossene Räume, zu denen nur wenige von den Machthabern Auserwählte Zutritt haben. Auch dadurch wollte man verhindern, daß nicht im Sinne des SED-Chefideologen Kurt Hager das ganze Haus eingerissen wird, wenn der Nachbar die Tapeten wechselt. Die Negativmeldungen wurden so geheimgehalten, daß selbst die Mitglieder des SED-Politbüros keine reale Gesamtkenntnis über die Lage der DDR besaßen, sie offensichtlich aber auch über Jahre nicht haben wollten. So konnte es geschehen, daß



Rainer Eppelmann
Egon Krenz, der schon mehrere Jahre, fünf Jahre, dem Politbüro als Mitglied angehörte, sich nach der Wende 1989 von Gerhard Schürer, dem Vorsitzenden der Staatlichen Plankommission, erst erklären lassen mußte, wie verfallen das Haus namens DDR wirklich ist.
Heute wissen wir: Die Bauschäden dieses Hauses gehen in die Hunderte von Milliarden. Da wurde auf Kosten der ererbten Substanz und unserer Zukunft mißgewirtschaftet. Die Schwierigkeiten bei der äußeren und inneren Vereinigung, mit denen wir uns heute zu plagen haben, sind — ich sage es noch einmal — eine Erblast der SED-Diktatoren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)

Viertens. Die Menschen, die in dem geschlossenen Haus DDR lebten, bildeten eine Notgemeinschaft. Wo alles so schwierig war, mangelhaft oder nur zu wenig vorhanden war, rückte man notwendigerweise einander näher. Es gab da viel Hilfe zwischen den Menschen. Das soll, weil so oft nur von den ostdeutschen Mitläufern und Versagern geredet wird, nicht vergessen werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)

Es zeigt: Die übergroße Zahl der Menschen in der DDR ließ sich durch das SED-Regime nicht korrumpieren. Aber normal war diese durch Mangel, Zwang und Angst mit entstandene Nähe der Menschen in der DDR auch nicht. Sie schnürte uns ein und behinderte unsere persönliche Entwicklung. Sie ließ außerdem keine Auseinandersetzung darüber zu, wie es mit der Hausgemeinschaft eigentlich weitergehen soll.
Fünftens. Eine genauere Besichtigung des Hauses namens DDR ergab: Dieses Gebäude war schon in seinen Fundamenten und in allen seinen tragenden Teilen falsch konstruiert worden. Es beruhte auf einem Antifaschismus, den viele seiner Bewohner ehrlichen Herzens bejahten, der in seinem Kern aber verlogen war, weil er von den SED-Machthabern bedenkenlos im Sinne der eigenen Interessen instrumentalisiert wurde.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wenn in diesem Haus von „Demokratie", von „Frieden", „Fortschritt" und „Solidarität" gesprochen wurde, dann waren diese Begriffe vergiftet durch die Manipulationen der SED. Das wurde in den 80er Jahren den meisten Hausbewohnern klar, als zuerst wenige und dann immer mehr begannen, diese Werte wieder einzuklagen. Wir hatten erkannt und begriffen, daß wir in einem Haus der ökonomischen, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Lügen lebten.
Sechstens. Je mehr sich unsere Enquete-Kommission mit den Planungsgrundlagen beschäftigte, die dem Haus namens DDR zugrunde gelegt worden waren, desto deutlicher erkannten wir: Es waren die SED-Machthaber, die als Diktatoren von fremden Gnaden hier ein totalitäres Regime errichtet hatten, das alle Lebensbereiche in diesem Haus bestimmte, verformte, einengte und schließlich ruinierte.
Die demokratischen Aushängeschilder des SED-Regimes wie die Volkskammer, das Blockparteiensystem, die DDR-Verfassung, die scheinbar unabhängigen Medien und Rechtsorgane funktionierten alle letztlich nach dem Ulbricht-Wort — Zitat —: „Es muß demokratisch aussehen, aber wir — die SED — müssen alles in der Hand haben."
Siebtens. Wir wissen heute genauer, daß es in diesem Haus unterschiedliche Grade der Schuld gab. Die Gesamtverantwortung und die Gesamtschuld tragen die SED-Machthaber, deren System scheiterte. Diese Kräfte dürfen in Deutschland — auch unter geänderten Firmenschildern — niemals wieder eine Chance für die Ausübung politischer Macht erhalten!

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Andere müssen sich zu einer oft sehr unterschiedlich zu bewertenden Teilschuld bekennen. Verstehbare Teilschuld luden auf sich, die sich anpaßten, dem Druck nachgaben und versuchten, in der ihnen aufgezwungenen Anomalität ein ganz normales Leben zu führen, die Sorge hatten um ihre eigene berufliche Entwicklung und um das Fortkommen ihrer Kinder.
Verstehbare Teilschuld luden auf sich, die es besser wußten und allzulange schwiegen. Weniger verstehbare Teilschuld luden auf sich, die lobten, wo es nichts mehr zu loben gab. Noch weniger verstehbare Teilschuld luden auf sich, die von außen in das Haus namens DDR kamen und das, was sie dort erlebten, als normal oder fortschrittlich bezeichneten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Diese wollten die Diktatur nicht wahrhaben und nicht unterscheiden zwischen den um der Menschen willen unvermeidlichen Kontakten auf Regierungsebene und ideologischen Gesprächen und privaten Kontakten mit Funktionären der SED und den SED-hörigen Blockparteien.
Im Herbst 1989 brachen die Menschen in dem DDR-Haus, nachdem sie ermutigende Zeichen und Unterstützung von außen — besonders durch die Solidarnosc in Polen, den sowjetischen Präsidenten sowie die Bürgerbewegungen in der Sowjetunion und Ungarn — wahrgenommen hatten, selbst die Mauern aus den Fenstern und Türen heraus. Die EnqueteKommission hat dazu und zur Geschichte der Opposition in der DDR von den Vertretern der widerständigen Gruppen exklusives Material anvertraut bekommen, das in unsere Berichterstattung eingegangen ist und damit erstmals öffentlich wurde.
Heute sind wir mit der Schadensbesichtigung und -beseitigung beschäftigt. Groß sind die inneren und äußeren Schäden, die wir feststellen müssen. Zu groß sind die Kosten, die wir alle gemeinsam aufbringen müssen, um das alles, gleich oder in kurzer Zeit, in Ordnung bringen zu können. Zu groß und in allzu vielen Fällen nicht mehr korrigierbar sind die Leiden und Ungerechtigkeiten, die den Menschen zugefügt wurden.
Trotzdem bin ich der Meinung: Wir sind auf dem richtigen Weg. Wir haben uns darangemacht, den



Rainer Eppelmann
Schadensbericht aufzustellen. Wir haben die Urheber der Schäden festgestellt und sind uns in der Überzeugung einig: nie wieder Diktatur,

(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

mit welcher wohlklingenden Begründung sie uns auch immer nahegebracht werden soll! Nie wieder dürfen diejenigen, die damals Macht hatten und für die Katastrophe die Gesamtverantwortung tragen, das Heft in die Hand bekommen — egal unter welcher neuen Bezeichnung.

(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD sowie des Abg. Konrad Weiß [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir haben mit der Beseitigung der Schäden begonnen; das fordert uns allen viel ab. Dabei haben wir auch Fehler gemacht. Wer aber schon einmal eine Fast-Ruine saniert und an ein gut erhaltenes Haus angefügt hat, weiß aus eigener Anschauung: So etwas läßt sich nicht ohne Brüche, ohne Härten und ohne Fehler bewerkstelligen. Aber wir kommen sehr gut voran und haben innerhalb ganz kurzer Zeit Gewaltiges geschafft. Wer das nicht sehen will, ist blind.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland" legt heute, pünktlich und wie geplant, dem Deutschen Bundestag ihren Bericht in der Gewißheit vor, damit einen wichtigen Beitrag für das Miteinander der Menschen in Deutschland geleistet zu haben. Wir müssen miteinander über unsere Vergangenheit sprechen. Ein Volk, das sich seiner eigenen Vergangenheit nicht stellt und alten Rattenfängermelodien der SED/PDS Gehör schenkt, steht in der Gefahr, dieselben Fehler erneut zu machen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie des Abg. Konrad Weiß [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Aber welches intelligente Volk wird freiwillig zweimal an dieselbe heiße Ofentür fassen?

(Freimut Duve [SPD]: Muß das Leid der Menschen eigentlich instrumentalisiert werden?)

Wo Menschen über ihre Vergangenheit reden, da muß es auch Streit über die Bewertung des Vergangenen und die richtigen Wege in die Zukunft geben; denn es geht dabei um uns selber. Solchen Streit hat es auch unter uns in der Enquete-Kommission gegeben. Ich finde diesen Streit notwendig, aufschlußreich und deshalb gut. Zu lange mußten wir in dem Haus namens DDR mit halblauter Stimme reden, weil wir uns aus guten Gründen nicht trauten zu sagen, was wir dachten, oder ganz schwiegen, weil wir die Repressionen der Machthaber fürchteten.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1223400200
Herr Kollege Eppelmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Philipp?

Rainer Eppelmann (CDU):
Rede ID: ID1223400300
Nein, ich möchte meine letzten zwei Sätze sagen,
Endlich können wir wieder in normaler Lautstärke und frei miteinander reden. Der Bericht der EnqueteKommission will die Menschen in Deutschland miteinander ins Gespräch bringen; denn wer miteinander redet, sich voneinander erzählt, wer sich an Erlebtes und Erlittenes erinnert, wer miteinander arbeitet und feiert, lernt sich besser kennen, wächst zusammen, ist auf unsere Zukunft besser vorbereitet. Wenn das gelingt, ist die Arbeit aller Parlamentarierinnen und Parlamentarier sowie aller Wissenschaftler und Zeitzeugen, die mit uns zusammengearbeitet haben, nicht vergeblich gewesen.
Ich danke Ihnen.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1223400400
Als nächster spricht der Kollege Markus Meckel.

Markus Meckel (SPD):
Rede ID: ID1223400500
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich grüße besonders die Sachverständigen der Kommission, die heute hier mit anwesend sind und ganz wesentliche Arbeit geleistet haben.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der F.D.P. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir Deutschen sind das Volk in Europa, das sich selbst am wenigsten kennt. Das gilt auch noch im fünften Jahr der Demokratie und im vierten Jahr der Deutschen Einheit. „Wie ist es denn zu erklären, daß es bei euch dazu kommt ... ", fragen uns Ostdeutsche oft Kollegen aus dem Westen Deutschlands, und dabei geht es nicht nur um die Frage, weshalb es zu solchen Wahlergebnissen der PDS kommt, sondern auch um Eigentumsfragen, um Renten und vieles andere.
Willy Brandt hat 1989 vom Zusammenwachsen dessen gesprochen, was zusammengehört. Er sagte es angesichts der tiefen Erfahrung der Zusammengehörigkeit unmittelbar nach dem Fall der Mauer. Inzwischen sind wir wieder in einem Staat geeint, doch das reicht für die Erfahrung von Zusammengehörigkeit immer weniger aus. Diese Zusammengehörigkeit näher zu beschreiben und zu bestimmen angesichts einer langen, unser Leben prägenden Erfahrung von Trennung — jedenfalls von getrennten Entwicklungen — ist eine Aufgabe, für die wir noch einige Zeit brauchen werden.
In manchen Gesprächsrunden im Lande kann man jedenfalls immer wieder den Eindruck haben, daß das wohlwollende Interesse aneinander unter uns Deutschen nicht gerade stärker geworden ist. Um uns selbst zu verstehen und die Aufgaben, die wir im eigenen Land wie in Europa haben, besser bewältigen zu können, gilt es, unsere eigenen, so unterschiedlichen Vergangenheiten in den Blick zu bekommen. Auch wenn wir es oft nicht wahrhaben wollen, prägt uns diese Vergangenheit mehr als wir denken.
An diesem Tag vor fünf Jahren sagte Erhard Eppler hier vor dem Deutschen Bundestag:



Markus Meckel
Ich will, daß sich die Bürgerinnen und Bürger der DDR in die inneren Angelegenheiten ihres eigenen Landes einmischen können, und zwar nicht so, wie es die DDR für zuträglich hält, und auch nicht so, wie es uns gefiele, sondern so, wie sie selbst es für richtig und nötig halten.
Sie haben ihn damals beklatscht, und wir haben getan, was er sagte — wenn auch nicht erst daraufhin. Keiner von uns hat geahnt, daß das System inzwischen so brüchig war, die Einmischung in die eigenen Angelegenheiten nach dem 9. Oktober so schnell zur politischen Gestaltung werden konnte und damit den Weg zur Einheit öffnete.
Sie hier im Westen haben den 17. Juni lange als Feiertag gehabt. Er darf auch heute nicht untergehen, symbolisiert er doch den Freiheitswillen der Deutschen genauso wie der 9. Oktober 1989, an dem im Osten Deutschlands die Freiheit zum Durchbruch kam.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der F.D.P. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese Tage, die Erinnerung an die damals Handelnden und die in ihnen gewürdigte Geschichte gehören in die politische Freiheitstradition unseres Volkes, die ja so reich nicht ist.
Die DDR-Vergangenheit ist nicht lediglich Geschichte. Die in ihr gemachten Erfahrungen sind vielmehr von grundlegender Bedeutung für das gegenwärtige Selbstverständnis und die demokratische Kultur. Es gilt, die Erfahrungen der Menschen mit der SED-Diktatur, insbesondere das ihnen zugefügte Leid, festzuhalten, der Opfer von Unrecht und Willkür zu gedenken. Menschen, deren Würde verletzt wurde, haben ein Recht darauf, sie wiederhergestellt zu sehen.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der F.D.P. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In der Volkskammer haben wir 1990 versucht, dieser Aufgabe gerecht zu werden. In der Kürze der Zeit war das nicht möglich. Der Deutsche Bundestag hat ihre Aufgabe übernommen. 1991 machten wir den Vorschlag, zu diesem Zweck eine Enquete-Kommission einzurichten. In einer Presseerklärung hieß es, er — der Deutsche Bundestag — solle selbst die Initiative ergreifen, sich bessere Voraussetzungen für seine Urteilsfähigkeit und sein Handeln zu schaffen. Dafür sei wichtig, „die nicht genügend geklärten Vorgänge, Zusammenhänge und Verantwortlichkeiten in der DDR" zu klären.
Nachdem wir nun 27 Monate in dieser Kommission gearbeitet haben, ist ein wichtiger Teil dieser Aufgabe erfüllt. Mit dem, was an differenzierter Geschichte in den vielen Anhörungen zur Sprache gekommen und so öffentlich geworden ist, sind wir wirklich urteilsfähiger geworden — und das mag auch heißen: vorsichtiger im Urteilen. Schon im Verlauf der weithin mit großem öffentlichen Interesse sich vollziehenden Arbeit der Kommission wurde für viele deutlich, daß DDR-Geschichte nicht gleich Stasi-Geschichte ist.
Eine große Breite dieser Geschichte und eine Vielzahl ganz unterschiedlicher Schicksale haben sich vor uns eröffnet. Menschen aller sozialen Schichten und ganz unterschiedlichen Alters haben uns berichtet. So wurde deutlich, wie viele Facetten das Leben in der DDR hatte. Viele Bürger kannten nur ihren spezifischen Ausschnitt dieser Wirklichkeit. Wieviel weniger Einblick konnte man aus dem Westen haben!
Schweres Leid ist sichtbar geworden in unserer Arbeit: von den Häftlingen in Bautzen oder den Speziallagern bis hin zu den Jugendlichen im geschlossenen Jugendwerkhof in Torgau.
Die Arbeitsgruppe der SPD hat viel Mühe darauf verwendet, so etwas wie eine „Phänomenologie von Schädigungen" in der DDR zu erstellen. Diese Arbeit ist in den Bericht eingegangen.
Leid kann nicht rückgängig gemacht, verlorene Lebenschancen können nicht zurückgegeben werden. Wir wollten systematisch und umfassend danach fragen, welche Schädigungen Menschen, die in der DDR gelebt haben, erlitten haben. Allzusehr tritt heute in den Vordergrund, als Opfer nur den anzuerkennen, der materiell entschädigt werden kann. Doch wir dürfen Opfer dieses Systems nicht von den leeren Haushaltskassen her definieren!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wo materielle Entschädigung nicht möglich ist, sollte danach gesucht werden, wie Benachteiligungen — z. B. im Beruf — ausgeglichen werden können.
Es war für mich erschütternd, von einer Frau zu hören, die nicht auf die Erweiterte Oberschule gehen durfte, unter Mühen ihr Abitur in der Volkshochschule machte, alle Fächer abschloß — doch verweigerte man ihr den Abschluß in Marxismus-Leninismus. Heute wird ihr Abitur nicht anerkannt, weil nicht alle Fächer belegt waren. Sie solle es nachmachen, wird ihr gesagt. Schlimmer noch, sie sei wohl „heute wie früher nicht bereit, staatliche Bestimmungen und Gesetze zu akzeptieren".

(Zurufe von der SPD: Hört! Hört!)

Oft ist ein Ersatz für Schäden nicht mehr möglich. Doch auch dann dürfen die Opfer nicht der Vergessenheit anheimgegeben werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der F.D.P. und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

In jedem Falle ist die moralische, individuell zugesprochene Rehabilitierung der Opfer wichtig. Eine öffentliche Würdigung und Anerkennung des Unrechts und seiner Folgen sind selbst ein erster Schritt, damit besser leben und umgehen zu können. Manches ist hier noch zu tun. Wir schlagen vor, einen Härtefonds für Opfer zu schaffen, die unter keines der notwendig formalen Kriterien fallen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Bei aller Schwierigkeit, die dieses Thema aufwirft, sei hier auch an die Unverhältnismäßigkeit erinnert,



Markus Meckel
die in der Entschädigungsfrage die Gemüter bewegt. Wurde bei den Opfern aus Haft und Lager um jede Mark gefeilscht, so soll für die Entschädigung Enteigneter plötzlich eine zweistellige Milliardensumme zur Verfügung stehen.

(Michael Glos [CDU/CSU): Das ist aber schäbig, was Sie da sagen!)

Das verstehe, wer will. Es wird das Vertrauen in den Rechtsstaat jedenfalls nicht fördern.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wenn wir die DDR-Vergangenheit betrachten, müssen wir unterscheiden zwischen dem SED-System und dem in dieser Diktatur gelebten Leben. Gewiß kann eine Diktatur nur bestehen, wenn die Menschen sie sich zumindest gefallen lassen. Insofern müssen wir ehemalige DDR-Bürger uns auch nach unserer eigenen Verantwortung fragen lassen; ähnlich wie alle Deutschen für die Diktatur davor, von der uns — anders als bei der DDR — andere befreien mußten. Doch ist ein Leben in der Diktatur nicht einfach ein falsches Leben. Das Leben in der DDR war normaler, als es für viele heute vom Westen aus möglich erscheint. Vielleicht muß das noch deutlicher betont werden.
Viele Menschen sehen sich bei uns als Teil einer gescheiterten Geschichte und wollen deshalb wenig davon hören. Wenn dann manchmal der Eindruck entsteht, als sei „Aufarbeitung der DDR-Geschichte" ein Urteil des Westens gegenüber den Menschen des Ostens, dann verhindert das geradezu die Bereitschaft, sich der eigenen Vergangenheit zu stellen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Geschichte kann — wie Habermas formuliert — nur von innen als Selbstreflexion aufgearbeitet werden, nicht, wenn sie als Waffe gegen uns eingesetzt wird.
In der Enquete-Kommission haben wir mit unseren unterschiedlichen Erfahrungen aus Ost und West intensiv zusammengearbeitet. Sie war weder eine Spielwiese für Ostler noch ein Unternehmen, in dem man vom Westen aus über den Osten richtete. Wir alle haben viel gelernt in den Gesprächen miteinander — auch und vielleicht besonders, wenn wir unterschiedlicher Meinung waren.
Im vorhinein verband man in beiden großen Fraktionen dieses Hauses manche Befürchtungen mit dieser Kommission. Da war das Thema „Ost- und Deutschlandpolitik" sowie das der „Blockparteien". Zu beiden Themenbereichen ist es im Bericht dann auch zu Sondervoten gekommen. Was nimmt das wunder?!
Wieviel Fähigkeit jeweils auch zu selbstkritischer Betrachtung vorhanden war, mag der Leser beurteilen. Wir werden das, wie ich denke, in nächster Zeit auf Grund von Texten und nicht von weitergesagten Urteilen her kommentiert finden.
In der Kommission haben wir zu diesen Fragen natürlich intensiv gestritten — übrigens nicht nur
entlang der Parteien —, denn glücklicherweise brauchten wir unsere unterschiedlichen Erfahrungen in Ost und West und innerhalb jeder dieser Himmelsrichtungen nicht zu verdecken. Doch gab es die Versuche, mit Schlamm zu werfen, im wesentlichen außerhalb der Kommission; jedenfalls nicht da, wo Erkenntnis und Verhalten allzusehr durch Sachkenntnis getrübt sind, zeigt sich doch bei genauerem Hinsehen, daß sich die Geschichte nicht als Schlagstock eignet — es sei denn, man biegt sie sich zurecht!
Ich möchte noch einmal auf die beeindruckende Rede Erhard Epplers heute vor fünf Jahren zurückkommen. Er, der Gefährte Heinemanns, zollte damals Adenauer Anerkennung, ohne ihm nachträglich recht zu geben. Im Blick auf unterschiedliche Positionen vergangener Zeiten sagte er: Wenn beide Seiten sich so gegenseitig zwar nicht die Richtigkeit, wohl aber die Legitimität ihrer Politik zusprechen können, dann sind wir weit. Wir könnten endlich ein Wort verbannen, das eher den geistigen Bürgerkrieg als den demokratischen Streit signalisiert: das Wort „Verrat".
Wir haben über manche anderen Fragen in dieser Kommission gestritten, auch darüber, ob die Opposition in Polen, der DDR und der Tschechoslowakei nicht besser hätte unterstützt werden müssen. Wir fühlten uns im Osten doch allzuoft nur noch als Objekt von Politik, nicht als Subjekt anerkannt. Doch frage ich mich natürlich, was wir heute mit Diktaturen tun, deren Exilopposition in Deutschland lebt, ob wir sie heute unterstützen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN )

Verehrte Damen und Herren, die Enquete-Kommission hat zwei Jahre intensiv gearbeitet. Ihre Mühe war groß, und sie hat vieles geschafft. Gewiß finden sich in ihren Ergebnissen auch Verdrängungen und Mythen; darüber wird man später befinden. Wir wollten in dieser Kommission keine DDR-Geschichte schreiben. Ob wir dem immer entgangen sind, mag man bezweifeln. Jedenfalls ist durch unterschiedliche Sondervoten und unterschiedliche Sichten dann doch Vielfalt hineingekommen, so daß wir, wie ich hoffe, den Vorwurf, eine „offizielle Geschichte" geschrieben zu haben, vermeiden konnten.
Wichtiger aber ist das Problem, daß wir die eigentlich politische Aufgabe dieser Kommission nur sehr bedingt erfüllt haben: dem Parlament Empfehlungen zu geben. Die Mehrheit hat leider eine ausführliche Debatte dazu durch die Zeitbegrenzung nicht mehr möglich gemacht. Wichtige Probleme konnten in der Kommissionsarbeit nicht mehr diskutiert werden. Richtig ist auch, daß wir z. B. zur Frage der politischen Verantwortlichkeit gemeinsam keine Vorschläge machen konnten.
Von großer Wichtigkeit ist die politische Bildung. Demokratie ist nicht nur ein staatliches System, sie lebt und findet ihre Grundlage in Denk- und Verhaltensweisen, die erlernt und immer wieder neu eingeübt werden müssen. Das Wichtigste ist, daß die Menschen, wie Adorno sagt, „sich selbst als Subjekte der politischen Prozesse wissen". Dazu braucht es



Markus Meckel
noch viel in der Bildung: Wir brauchen Dokumentationseinrichtungen, auch solche, die Bürgerinitiativen begonnen haben. Aktenbestände müssen gesichert und der Forschung umfassend geöffnet werden — übrigens nicht nur im Westen.
Wir müssen uns Gedanken machen über die Orte von Gedenkstätten. Hier verstreicht die Zeit, und manches geht verloren. Hier muß auch der Bund in die Pflicht genommen werden, denn die DDR-Geschichte gehört in die nationale Tradition. Die Aufarbeitung der DDR-Geschichte ist ein gesellschaftlicher Prozeß, der noch lange brauchen wird. Die Enquete-Kommission hat dazu Wichtiges beigetragen.
Ob eine neue Kommission in der nächsten Legislaturperiode weiterarbeiten soll, wird genau zu bedenken sein. Vieles, das in der Öffentlichkeit von der Kommission getan wurde, ist nicht spezifische Aufgabe des Parlaments, doch niemand war in der Lage, es so zu tun. Unabhängig von dieser Frage empfehlen wir deshalb, eine Bundesstiftung zu gründen, die den Aufarbeitungsprozeß fördert und die Deutschen aus Ost und West politisch-kulturell zusammenführen hilft.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der F.D.P. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1223400600
Als nächster spricht unser Kollege Dirk Hansen.

Dirk Hansen (FDP):
Rede ID: ID1223400700
Verehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Vorsitzende unserer Enquete-Kommission, Rainer Eppelmann, hat zu Beginn gesprochen, zu Recht: nicht nur, weil er Vorsitzender ist, sondern — und das sollten wir ihm danken — weil er über zwei Jahre ein ganz großartiger Vorsitzender war, der nicht nur vorgesessen, sondern uns auch an die Hand genommen hat. Jedenfalls darf ich das für mich sagen, der ich aus dem Westen komme, nahe von der Elbe. Ich habe immer gespürt, daß das Haus, von dem Rainer Eppelmann hier gesprochen hat, nicht an der Elbe endet, sondern daß die Bewohner auf der anderen Seite auch einen Blick für uns im Westen haben. Wir im Westen, gerade ich, haben besonders auf Grund des Wirkens von Rainer Eppelmann gelernt, den Blick auf die übrigen Teile des Hauses auszudehnen. Dafür möchte ich ihm sehr herzlich danken.

(Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und der SPD)

Rainer Eppelmann hat nämlich recht, wenn er sagt: Wer diesen Blick auf die jeweils andere Seite nicht richtet und wer sich nicht traut, einen Rückblick zu leisten — oder, wie er sagt: wer das nicht schafft —, der ist blind. So ist es.
Die Enquete-Kommission hat nach mehr als zwei Jahren intensiver Arbeit fristgerecht zum heutigen Tag ihren Bericht vorgelegt. Daß es zum heutigen Tag, zum 17. Juni, sein sollte, war eigentlich sehr früh, seit vielen Monaten, Konsens in der gesamten Kommission. Die Frau Präsidentin hat zu Recht darauf hinge-
wiesen, daß der 17. Juni weiterhin ein Tag der Mahnung bleiben muß und bleiben wird.
Wir in der Enquete-Kommission haben mehr als 80 Sitzungen hinter uns gebracht, davon ca. 40 öffentliche Anhörungen. Wer weiß, wie viele Vorbereitungen zu einer Anhörung nötig sind, mag ahnen, was über 40 Anhörungen allein vom Arbeitsaufwand her bedeuten. Es sind mehr als 150 Expertisen und Berichte vorgelegt worden; ein ungeheurer Stapel an Papier, ca. 15 000 Blatt, liegt vor. Das aber ist nicht das Ergebnis. Das wesentlichste Resultat aller Anstrengungen der Enquete-Kommission liegt für mich im Erreichen eines „immateriellen" Wertes, im antitotalitären Konsens von Fraktionen und Gruppen im deutschen Parlament. Er setzt das Maß allen staatlichen Tuns und politischen Willens im demokratischliberalen Rechtsstaat.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Schon beim Erstellen des Arbeitsauftrages der Enquete-Kommission war es auf Grund unseres Insistierens gelungen — ich zitiere aus dem Arbeitsauftrag —, „die Frage der Kontinuitäten und Analogien des Denkens, des Verhaltens und der Strukturen in der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts, insbesondere der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur, einzubeziehen." Wer sich die letzten 20 Jahre wissenschaftlicher und politischer Diskussionen vergegenwärtigt, wird sich des Tabus erinnern, das um den Begriff des Totalitarismus errichtet worden war, und er wird sich nicht zuletzt auch des sogenannten Historikerstreits erinnern.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)

Heute ist klar: Der Vergleich diktatorisch-totalitärer Systeme ist zulässig und möglich. Unsere Enquete-Kommission hat im wesentlichen zum ersten Mal öffentlich gemacht: Vergleichen heißt in diesem Zusammenhang nicht gleichsetzen.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Auch die heute im Rundfunk zu vernehmenden Urteile, die eine Gleichsetzung beinhalteten, sind falsch.

(Beifall des Abg. Freimut Duve [SPD])

Denn Gleichsetzen ist etwas ganz anderes als Vergleichen. Ähnlichkeiten sind ebenso zu benennen und zu bewerten wie die Unterschiede.
Sie verzeihen, daß ich den Ex-Kommunisten und ehemaligen spanischen Kulturminister Jorge Semprun zitiere, wenn er davor warnt, wegen historischer und politisch-spezifischer Eigenheiten Nationalsozialismus und Kommunismus gleichzustellen, und wenn er andererseits eine Gefahr darin sieht, jede Gemeinsamkeit zu leugnen und damit den Kommunismus freizusprechen.

(Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auf Grund der Erfahrung mit beiden Systemen kann
es auch für Semprun keine demokratische Zukunft



Dirk Hansen
geben, wenn in Deutschland nicht eine Debatte über diese zwiespältige Frage geführt wird.

(Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch und gerade die Opfer, von denen hier schon gesprochen worden ist, haben einen Anspruch auf eben diese Debatte.
Die Bürger im liberalen Rechtsstaat sind über alle Parteilinien hinweg aufgerufen und gefordert, die Gemeinsamkeit der Demokraten zu erkennen und die Werte und die Normen, die Rechte und die Pflichten, die der verfaßte Staat garantiert und einfordert, als allen sonstigen Programmen und Tageswünschen übergeordnet zu sehen. Geht dieser Konsens verloren, verlieren wir alle unsere Basis. Daß dies keine Allgemeinplätze oder Lippenbekenntnisse sind bzw. bleiben dürfen, hat gerade eine Reihe von Wahlergebnissen am vergangenen Sonntag gezeigt. Die Menschen in den neuen Ländern haben im Streit der demokratischen Parteien und wohl auch in einer sich leider verstärkenden DDR-Nostalgie gerade die Nachfolgerin der Partei gewählt, die die zweite Diktatur in Deutschland ideologisch und machtpolitisch zu verantworten hat.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das alle gesellschaftlichen Felder umfassende Desaster der SED-Diktatur gerät allzuschnell in Vergessenheit. Hier entwickelt sich möglicherweise eine „dritte Schuld" .
Wir alle — in Ost wie West — sind aufgerufen, die Lehren der Vergangenheit nicht zu vergessen. Geschichte ist vergangen, aber nicht vergessen. Auch verdrängen läßt sie sich nur zeitweise. Das Wegschieben lästiger Erinnerungen rächt sich mit Sicherheit später. Gerade deshalb sollten wir aus der sogenannten Vergangenheitsbewältigung nach 1945, nach der ersten deutschen Katastrophe, gelernt haben.
Geschichte ist kein Ritual für Gedenktage oder Jubiläen. Der 17. Juni ist ein Tag der Mahnung. Geschichte liefert keinen Steinbruch für polemische Tagesfragen; vielmehr unterscheidet das Erinnerungsvermögen den Menschen von sonstiger Existenz hier auf der Erde. Was für das Individuum gilt, gilt auch für die Gesellschaft. Erst wenn wir wissen, woher wir kommen, können wir auch begründet sagen, wohin wir gehen. Eben dazu hat die EnqueteKommission ihren Beitrag zu leisten versucht. Unsere Selbstachtung, unsere Identität, ja, unsere Ehre werden wir erst erhalten, wenn das Bekenntnis zur Vergangenheit gewollt ist.
Erlauben Sie mir ungewöhnlicherweise an dieser Stelle ein Gedicht von Erich Fried zu zitieren:
Verweisend:
Die Zukunft liegt nicht darin, daß man an sie glaubt
oder nicht an sie glaubt, sondern darin,
daß man sie vorbereitet. Die Vorbereitungen
bestehen nicht darin,
daß man nicht mehr zurückblickt,
sondern darin,
daß man sich zugibt,
was man sieht beim Zurückblicken,
und mit diesem Bild vor Augen
auch etwas anderes tut als zurückzublicken.

(Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wer heute die Probleme von Gegenwart und Zukunft isoliert betrachtet, wer sich mit dem Blick nach vorn nicht auch in der Rückschau seines Standortes vergewissert, der wird morgen in geistiger Beliebigkeit und materiellen Turbulenzen versinken. Deswegen ist es notwendig, die Frage nach der Verantwortung für Not und Unterdrückung in der SED-Diktatur zu stellen. Deswegen ist der Satz richtig: „Keine Versöhnung ohne Wahrheit."
Ich füge einen Satz hinzu, den unser liberaler Kollege Josef Grünbeck bei der Verleihung der Ehrenbürgerschaft vorgestern in der tschechischen Stadt Dux gesagt hat: „Keine Versöhnung ohne Verzeihung. "
Ich erinnere an Václav Havel, wenn er sagt, das „Leben in Wahrheit" habe im posttotalitären System nicht nur eine existentielle, nicht nur eine moralische, sondern auch eine deutliche politische Dimension. Das „Leben in Lüge" sei die Grundstütze des totalitären Systems, welches in seinen Grundfesten durch Wahrheit bedroht werde. Sie, die Wahrheit, ist ein Machtfaktor.
Hier lag der Auftrag der Enquete-Kommission: Anstöße zu geben und selber einen Beitrag zu leisten, eine „Enquete", also die Suche nach gesellschaftlicher Wirklichkeit und persönlicher Wahrheit, zu betreiben. Erstmals nach 1945 hat die Politik es unternommen, sich selber in die Pflicht zu nehmen, über das Tagesgeschäft politischer Zukunftsgestaltung hinweg in den Abgrund vergangenen Tuns zu blicken.
Damit nicht vieles in den Orkus der Vergessenheit gerät, hat die Enquete-Kommission die Chance genutzt, Zeitzeugen zu befragen und die Gegenwart mit deren zum Teil ergreifenden und erschütternden Aussagen zu konfrontieren. Das war vielfach auch ein Blick in den Spiegel; nicht nur einmal hat sich die Politik dabei als „nackt" erblickt. Hier erwies sich der Satz als zutreffend — ich bin dafür manchmal ein bißchen ironisch auf den Arm genommen worden —: Auch der Weg ist das Ziel.
Ich denke z. B. an deutsch-deutsche Kontakte: Mit wem — und vor allem: mit wem nicht — fanden sie statt? Da liegt heute, nach der Einheit von 1990, gerade hier im Westen einiges bloß. Ich denke an die immer im Munde geführten Grundwerte von Frieden und Freiheit. Auch hier müssen wir uns selbstkritisch fragen: Wie sah und wie sieht die bundesdeutsche Politik aus, um eine gesamteuropäische Friedensordnung zu ermöglichen? Welchen Stellenwert haben die Menschenrechte in der Politik der Bundesrepublik gegenüber allen Staaten auf diesem Globus? Die



Dirk Hansen
deutsche Vergangenheit erlegt uns auch hier Pflichten auf.

(Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU, der SPD sowie des Abg. Dr. Wolfgang Ullmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das „öffentliche Erinnerungsvermögen" — um mit Timothy Garton Ash zu sprechen — hat sich jetzt nicht mehr nur an den Nationalsozialismus zu halten. Die „Berliner Republik" wird einst im Lichte zweier Vergangenheiten gesehen werden. Die deutsche Geschichte besteht nicht nur aus jenen zwölf Jahren. Der 9. November 1989 oder der 3. Oktober 1990 sind ein D-Day — ein langer Tag, der noch nicht, wie Clinton sagte, zu Ende ist.
Erlauben Sie mir als Liberalem ein paar Worte zu zwei thematischen Schwerpunkten.
Erstes Stichwort: „Blockparteien". Gerade auch die Recherchen der Enquete-Kommission rechtfertigen heute zu sagen, daß es falsch ist, wiewohl vielfach geübt, pauschal zu urteilen und die Blockparteien in einem Atemzug mit der SED zu nennen.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Die Unterscheidung zwischen dem hauptamtlichen Apparat und der Mitgliedschaft ist von fundamentaler Bedeutung, wenn man den Lebensverhältnissen in der ehemaligen DDR gerecht werden will.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — Markus Meckel [SPD]: Völlig falsch!)

Während sich die Blockparteileitungen immer wieder rituell öffentlich zu den Verhältnissen der DDR bekannten und jede Wendung der SED-Linie willig nachvollzogen, standen viele Mitglieder der „führenden Rolle" der SED passiv hinnehmend oder innerlich ablehnend gegenüber. Das heißt nicht, sie im nachhinein zu Oppositionellen umzustilisieren. Das ist etwas ganz anderes.

(Freimut Duve [SPD]: Würde das auch für SED-Mitglieder gelten?)

— Das gilt für viele. Ich spreche zu dem Stichwort „Blockparteien". Sie irren sich, Herr Duve. Das gilt für viele. Man muß eben unterscheiden. Man muß auch bereit sein, zwischen den verschiedenen Fällen zu unterscheiden.
Durch die Mitgliedschaft in einer Blockpartei konnte man auf lokaler Ebene gewisse eigene
— wenn auch oft nur geringfügige — Akzente setzen und die Schutzfunktion der Blockparteien als „politische Nischen" nutzen. Der überwiegende Teil der Mitglieder entwickelte routinierte Ausweichmechanismen gegenüber den permanenten ideologischen Indoktrinationsversuchen. Insofern darf der formelle Nachweis von Staatsloyalität durch den Beitritt in eine Blockpartei nicht undifferenziert mit dem Vorwurf wirklicher Loyalität zum real existierenden Sozialismus gleichgesetzt werden.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Mit der Übernahme von Funktionen in Teil- und Randbereichen der Gesellschaft aber trugen die Blockparteien zweifellos als „Transmissionsriemen"
zu einer Stabilisierung des politischen Systems der DDR bei.

(Freimut Duve [SPD]: Und zu einer Rechtfertigung auch!)

Aus der Logik des eben Gesagten kann indessen nur bedingt von Verantwortung und Teilhabe am Regime gesprochen werden. In der friedlichen Revolution von 1989/90 trat die latente gesamtdeutsche Identität in LDPD und CDU wieder offen hervor und bestimmte deren neue politische Wirksamkeit. Durchgängige Traditionslinien bürgerlicher Politik und Festhalten an eigenen Wertvorstellungen haben trotz der sozioökonomischen Umwälzungsprozesse der letzten Jahrzehnte in der Mitgliedschaft eine neue Chance erhalten.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1223400800
Herr Hansen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ullmann?

Dirk Hansen (FDP):
Rede ID: ID1223400900
Ja.

Dr. Wolfgang Ullmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1223401000
Herr Hansen, können Sie mir erklären, wieso es immer CDU-Mitglieder waren, die zu mir geschickt wurden, um mich zur Teilnahme an den Scheinwahlen zu bewegen?

Dirk Hansen (FDP):
Rede ID: ID1223401100
Verehrter Herr Kollege Ullmann, das ist genau das, was ich angesprochen habe: der „Transmissionsriemen". Sie haben auch als Transmissionsriemen gedient. Das muß man auch sehen und zugeben.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Aber man muß da unterscheiden. Nicht jedes CDU-Mitglied und nicht jedes LDPD-Mitglied sind jedem anderen gleichzusetzen.

(Dr. Dagmar Enkelmann [PDS/Linke Liste]: Gilt das auch für die SED? — Freimut Duve [SPD]: Das muß dann auch für die anderen Parteien gelten!)

Ein zweites Stichwort. Ein Wort zur Deutschlandpolitik der Liberalen: Ziel liberaler Politik in allen Besatzungszonen Deutschlands war seit 1945 die Wiederherstellung der gesamtdeutschen Staatlichkeit. Ungeachtet der spätestens ab 1950 eingeschränkten Handlungs- und Entscheidungsfreiheit der Liberalen in der SBZ/DDR hat die F.D.P. nach der selbstverschuldeten Niederlage des Deutschen Reiches die Überwindung der Spaltung als vorrangige Aufgabe betrachtet; dies war unlösbar verbunden mit der Überwindung der europäischen Teilung.
Die F.D.P. hat bei allen ihren politischen Bemühungen ebenso pragmatisch wie flexibel die innenpolitischen und internationalen Rahmenbedingungen genutzt. Dabei hat sie unterschiedliche Konzeptionen bzw. Pläne neu durchdacht, weiterentwickelt und je nach Erfordernis andere Schwerpunkte gesetzt. Dies war wesentliche Voraussetzung für eine fortschrittliche Deutschland- und Ostpolitik im Zeichen realistischer Friedens-, Sicherheits- und zugleich Entspannungspolitik.



Dirk Hansen
Die Konfrontation antagonistischer Blöcke mußte überwunden werden. Die Gestaltung der innerdeutschen Beziehungen bot die Gewähr, die europäische Sicherheit auf der Grundlage der Stabilität zu garantieren. Schon Georg Pfleiderer und Thomas Dehler haben früh auf den Schlüssel zur Einheit in Moskau verwiesen. Verschiedentlich wiesen die Liberalen in den 50er und 60er Jahren — hier sei besonders an Wolfgang Schollwer erinnert — auf eine systemöffnende Kooperation mit den Nachbarn im Osten hin. Harmel-Bericht, Ostverträge, Grundlagenvertrag und KSZE-Schlußakte seien nur stichwortartig genannt.
Abrüstungs- und Rüstungskontrollvereinbarungen waren Etappen. Höhe- und Schlußpunkt war der von Hans-Dietrich Genscher mit Priorität verfolgte Abschluß der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen zur deutschen Einheit in Moskau. Damit wurde der Weg für den Beitritt der DDR zum Grundgesetz geebnet und die volle völkerrechtliche Souveränität Deutschlands erreicht. Aus liberaler Sicht gebühren sowohl der Politik der Westintegration als auch der Vertrags- und Dialogpolitik seit 1969 die angemessene Berücksichtigung. Nur in ihrer Kombination war der Erfolg denkbar.
Gewarnt sei vor Versuchen, aus der finalen Betrachtung der 90er Jahre die deutsch-deutsche Entwicklung in den vergangenen vier Jahrzehnten zu beurteilen. Sehr leicht könnte man sich dabei in eigenen Legenden verfangen. Die Geschichte bietet keine Rezepturen, und andere Zeitumstände verlangen nach jeweils eigenen Initiativen und Entscheidungen. Auch die F.D.P. wird sich einer vorurteilsfreien Prüfung nicht verschließen.
Schließlich muß ich noch ein paar Bemerkungen zur Arbeit innerhalb der Enquete-Kommission machen. Oft habe ich gerade in den letzten Monaten an das Wort von Theodor Fontane aus dem Jahre 1895 gedacht:
Furchtbar wird die Welt erst mit der Aktenschmiererei, mit dem Kommissionsbericht und der Enquete.

(Heiterkeit)

Aber ich bin dankbar, daß ich teilhaben durfte an einem Lernprozeß, der wohl nicht nur mir viele Früchte an neuen Erkenntnissen und Urteilskriterien geschenkt hat. Personen und Kontakte, Situationen und Konstellationen innerhalb wie außerhalb der Kommission haben mir in ihrer Vielzahl und Vielfalt die Möglichkeit gegeben, über Parteilinien hinweg Grenzen zu überschreiten — persönliche und auch sachliche.
Diese spezifische und eigens gewollte Verknüpfung von Politik und Wissenschaft ist für parlamentarisches Wirken traditionell eher unüblich. Sehr üblich waren aber — dies ganz besonders in den letzten Wochen — die parteipolitischen Fallenstellereien und die kleinkarierten, wohl nur wahlkampforientierten Eifersüchteleien, die speziell in einem Fall selbstsüchtig-endlosen und redundanten Redereien, die ja bekanntlich andere Kommissionsmitglieder verprellt, abgeschreckt und vertrieben haben.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Da lagen die Nerven blank. Es ist nicht damit getan, zu meinen, das gehöre gewissermaßen zum Geschäft. Ich habe Verständnis für die mehrfach geäußerte Meinung, solche Verhaltensweisen könnten ihrer taktischen Motivation wegen eigentlich nur davon abhalten, sich in der Politik zu engagieren. Das ist bedauerlich. Mancher Zwischenruf — auch von mir —, den wir als Parlamentarier gar nicht so ernst sehen — nicht wahr, Herr Kollege Duve? —, kann da schon negative Wirkung haben.
Daher möchte ich hier ausdrücklich allen Sachverständigen der Enquete-Kommission, die heute zu großen Teilen auf der Galerie versammelt sind, ganz besonders danken. Nicht nur ihre unerläßliche Kompetenz, sondern insbesondere auch ihr absolut vorbildliches Verhalten in Konstanz und Toleranz ist hervorzuheben. Davon dürften sich manche Abgeordnete durchaus eine Scheibe abschneiden.

(Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte in diesem Zusammenhang — das muß mir erlaubt sein — auch dem von der F.D.P.-Fraktion benannten Sachverständigen Professor Dr. HansAdolf Jacobsen, der heute in den USA weilt, ausdrücklich danken.

(Freimut Duve [SPD]: Der Bundeskanzler ist heute auch in den USA!)

Sein Einsatz in der Sache und bei der Endredaktion des Berichtes war ein klassisches Beispiel dafür, den Blick für das Ganze nicht zu verlieren.
Auch die Mitarbeiter im Sekretariat waren ungewöhnlich gefordert. Ihrem Einsatz und ihrer Geduld mit uns Abgeordneten sei gedankt. Die Bundestagsverwaltung — man hat es ja gerade erlebt — hat bis heute früh gearbeitet, um den Bericht druckfertig auf den Tisch legen zu können.
Besonderen Dank möchte ich auch meinem Fraktionsmitarbeiter Bernard Bode sagen, der sich voll einzubringen wußte — ich weiß: zum Nutzen der gesamten Enquete-Kommission.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Sollte ich selber im Laufe der vergangenen 27 Monate den einen oder die andere mit meinen vorlauten Bemerkungen getroffen haben, so bitte ich spätestens und endlich heute um Nachsicht. Dem Neuling im Parlament hat das Wirken in der Enquete-Kommission ungeheure Freude gemacht.
Zum Schluß noch ein Wort zum Entschließungsantrag. Der intensive Gedankenaustausch, gerade in den letzten Tagen, hat schließlich doch noch die breite Zustimmung des Deutschen Bundestages gefunden. Die kurzen Schatten aber, die die von Anfang an konsensorientierte Arbeit überlagert haben und die meiner Meinung nach im wesentlichen vom Obmann der SPD-Fraktion zu verantworten sind, sind unübersehbar. Es sind Methoden von Pharisäern,

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU)

wenn bei Einzelfragen und speziellen Textpassagen
die Gemeinsamkeit aller eingefordert oder angeboten
wird, aber an anderer Stelle das Klima der Zusammen-



Dirk Hansen
arbeit durch Salamitaktik und persönliche Angriffe, z. B. auf den Vorsitzenden, getrübt wird.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Wir sollten das Risiko erkennen, daß der antitotalitäre Konsens trotz oder gerade wegen aller Querelen, sei es in Brandenburg oder anderswo, und im Zuge sich steigernder Wahlkampfhektik verlorengehen könnte. Der Blick über den Tag hinaus, der lange Atem der Geschichte und die politische Vernunft der Demokraten fordern ihr Recht.
Die Enquete-Kommission und damit der Deutsche Bundestag laden die Öffentlichkeit ein, hiervon und von ihren Erkenntnissen und Bewertungen Gebrauch zu machen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1223401200
Als nächster spricht der Abgeordnete Dietmar Keller.

Dr. Dietmar Keller (PDS/LL):
Rede ID: ID1223401300
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Enquete-Kommission hat gearbeitet, viele Mitglieder bis an die Grenze des Möglichen. Die Politiker sind in ihrem Eifer — dankenswerterweise — von den Sachverständigen mitunter wieder auf den Boden der Tatsachen geholt worden. Wenn die Protokolle und Expertisen veröffentlicht werden, liegt uns eine Fülle von Faktenmaterial und Sachergebnissen vor. Große Teile dieses Materials sind geradezu ein Faktenkompendium für die Zeitgeschichte, für interessierte Wissenschaftler, Politiker, Publizisten und Journalisten.
Ich selbst habe mit großen Teilen des Berichts der Enquete-Kommission kaum Schwierigkeiten. Ich stimme z. B. den Passagen über die Infrastruktur und den Machtmechanismus der SED-Diktatur zu. Ich kann mit weiten Passagen des Abschnittes über die deutsch-deutschen Beziehungen gut leben. Ich kann mit dem Abschnitt Kirche und Sozialismus gut leben und finde, daß der Abschnitt über Opposition und oppositionelles Verhalten einen wesentlichen neuen Beitrag für die Zeitgeschichtsforschung darstellt.
Das Wichtigste dieser Arbeit ist für mich, daß wir uns alle — auch wenn wir unterschiedliche politische Standpunkte und Standorte haben, auch wenn wir uns gestritten haben — zu einem antitotalitären Konsens zusammengefunden haben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der F.D.P.)

Natürlich weiß auch ich, daß vieles im Bericht unbefriedigend ist. Viele Mitglieder der EnqueteKommission und künftige Leser des Abschlußberichtes werden sehr unterschiedliche Kritikpunkte haben. Mir scheint, daß die Enquete-Kommission vor der schwierigen und kaum lösbaren Aufgabe stand, ein politisches Urteil zu finden, obwohl die Wissenschaft im Prinzip gerade erst begonnen hat, sich auf den Weg der Urteilsfindung zu begeben. Da beides unter dem Zeitfaktor leiden mußte, gibt es vieles, das einer weiteren Bewertung offensichtlich nicht standhalten
wird. Die Schlüssigkeit und die Beweisbarkeit, die Nachvollziehbarkeit des erteilten politischen Urteils entspricht nicht immer den der Enquete-Kommission vorgelegten historischen Fakten und Tatsachen und läßt — zumindest ist das meine Sicht — in der Art und Weise der Behandlung manchmal Zweifel aufkommen.
Trotzdem, der Abschlußbericht ist ein Diskussionsmaterial. Er ist, Gott sei Dank, kein Endbericht, sondern er ist die Aufforderung zu einem weiteren, dringend notwendigen, offenen gesamtdeutschen Dialog über unsere Geschichte, der Einstieg in diesen Dialog.
Ich denke, wir sind als Mitglieder der EnqueteKommission gut beraten, wenn wir diesen Abschlußbericht als eine Meinungsäußerung betrachten und nicht als die Meinungsäußerung, wenn wir unseren Bericht als einen Beitrag zur deutsch-deutschen Diskussion betrachten und nicht als den Beitrag.
Natürlich hat die politische Mehrheit dieses Parlaments auch eine politische Mehrheit in der EnqueteKommission gehabt und hat als politische Mehrheit dort, wo Streitfragen auftraten, ihre Meinung durchgesetzt. Damit sind aber die Wissenschaft und andere, die in dieser Mehrheitsmeinungsbildung nicht recht bekommen haben, aufgefordert, sich der weiteren Diskussion zu stellen und ihre Meinung, ihre Auffassungen auch in die Diskussion einzubringen. Es ist nicht nötig, schon morgen die Lehrbücher und die Schulbücher zu ändern; aber es ist dringend nötig, die durch die Enquete-Kommission begonnene Diskussion fortzusetzen und weiterzuführen.

(Beifall des Abg. Markus Meckel [SPD])

Der Bundestag ist kein Amtsgericht, kein Wissenschaftsrat und kein Forschungsinstitut. Über Geschichte und über Werturteile in der Geschichte kann man auch nicht abstimmen und Mehrheiten entscheiden lassen.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste sowie bei Abgeordneten der SPD)

Bleiben wird die Macht der Tatsachen, die Macht der Fakten, der Ereignisse und der realen Prozesse in ihrer Gesamtheit. Bleiben wird die Aufforderung an die, die sich mit Geschichte beschäftigen, weiter die Quellen zu prüfen, sie nach ihrer Echtheit abzuklopfen, nach Gegenquellen zu suchen und vor allem Betroffene, Zeitzeugen mit ihren unterschiedlichen Meinungen zu befragen.
Damit bin ich bei dem komplizierten Problem der Zeitzeugen. In dieser Kommission saß der Journalist und Wissenschaftler Fricke neben dem ehemaligen DDR-Funktionär Keller - Herr Fricke, von der Staatssicherheit aus Westberlin entführt, in der DDR verurteilt und über viele Jahre in Haft in einem MfSGefängnis; ich als ehemaliger SED-Funktionär und ehemals Verantwortung tragender Leiter in einem Ministerium. Ich habe versucht, meine Meinung, meine Sicht auf die Geschichte einzubringen, und er hat versucht, seine Meinung, seine Sicht einzubringen. Ich habe mich um Toleranz bemüht, und er hat sich um Toleranz bemüht, darum, meine Meinung kennenzulernen und zu verstehen. Und trotzdem



Dr. Dietmar Keller
kommen wir in wichtigen Fragen nicht zu einer einheitlichen Auffassung. Ich halte das für normal.
Ich denke, daß dieses kleine Beispiel EnqueteKommission ein Beispiel sein sollte — ich meine vor allen Dingen die Diskussionen in der Enquete-Kommission ohne Fernsehkameras und ohne Rundfunkmitschnitte —, wie man in Diskussionen miteinander umgehen kann und umgehen sollte.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste, der SPD sowie des Abg. Dr. Jürgen Schmieder [F.D.P.])

Wir alle, obwohl wir Zeitzeugen sind, obwohl wir in diese Geschichte einbezogen sind, tragen die Verantwortung, die Geschichte so zu beurteilen, wie sie war, und nicht so, wie wir sie gern sehen wollen. Und damit bin ich bei dem komplizierten Problem der Opfer.
Ich finde es richtig, daß sich die Enquete-Kommission entschieden hat, in vielen Anhörungen Opfer von Menschenrechtsverletzungen, von fehlender Gerechtigkeit, von Rechtsverletzungen anzuhören. Ich für mich muß sagen: Diese Anhörungen waren die bittersten Stunden meines Lebens, nicht in erster Linie deshalb, weil ich nicht alles gewußt habe, sondern weil ich begriffen habe, was unter dem Namen Sozialismus auch mit meinen Idealen und meinen Vorstellungen, meinen Hoffnungen und Wünschen alles gemacht worden ist, wie sie mißbraucht worden sind.
Ich betrachte es als Mitglied der Enquete-Kommission der PDS/Linke Liste als meine moralische Pflicht und Verantwortung, mich bei den Opfern der SED-Diktatur zu entschuldigen.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ihr Wort müssen wir ernst nehmen. Aber die DDR-Geschichte besteht nicht nur aus Opfern und Tätern, sie besteht auch aus vielen Lebensläufen von Millionen von Menschen, die weder Opfer noch Täter gewesen sind. Ich denke, wir haben auch die Verantwortung und die Pflicht, daß sich diese Menschen in unserer Diskussion wiederfinden, daß sie ihre Empfindungen und ihr Leben gerecht widergespiegelt finden und daß ihre Biographien nicht verletzt werden.
Ich muß zur Kenntnis nehmen, Herr Eppelmann, daß Sie davon gesprochen haben, daß die DDR lebenslanger Knast gewesen ist. Wenn Sie das für sich und für viele, die Sie kennen, so einschätzen, nehme ich Ihnen das ab. Aber Sie und ich haben nicht das Recht, für alle zu sprechen. Es war meine Biographie. Ich konnte nicht entscheiden, wo ich geboren bin. Ich bin mit dem Glauben aufgewachsen, daß es eine gesellschaftliche Alternative gibt, daß es andere Antworten auf die Geschichte gibt. Ich bekenne mich dazu. Ich bekenne mich auch heute noch dazu. Ich weiß, daß auch mein Leben beeinträchtigt ist; bei weitem nicht so, wie das von vielen hunderttausend anderen. Aber ich habe nicht im Gefängnis gelebt, und ich habe mich auch nie so gefühlt. Ich denke mir, meine Damen und Herren, wir machen es uns zu einfach, und wir machen es zu einem billigen Wahlkampf, wenn wir die Entscheidung von Hunderten von Millionen nach 1945, die einen sozialistischen Weg gewählt haben,

(Gerhard Reddemann [CDU/CSU]: Aufgedrückt bekommen haben!)

im Hoffen, Glauben und mit Idealen, wenn wir sie verurteilen, daß sie in einem Gefängnis gelebt haben.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste — Gerhard Reddemann [CDU/CSU]: Geschichtsfälschung, was Sie betreiben!)

Kein Mensch käme auf die Idee, die Geschichte eines Landes an Hand seiner Wirtschaftsverbrechen, an Hand seiner Finanzskandale, an Hand seiner Obdachlosen und an Hand seiner Drogentoten zu schreiben. Das gehört mit zur Geschichte, ist aber für die Geschichte eines Landes nicht das Entscheidende. Das Entscheidende für die Geschichte eines Landes ist, daß sich die Menschen, die in diesem Land gelebt haben, in diesem Bericht wiederfinden.
Die Mitglieder der Enquete-Kommission haben in einem Entschließungsantrag meine Auffassung — ich wähle ein vorsichtiges Wort — kritisiert, daß beide deutsche Entwicklungswege historisch wie völkerrechtlich, moralisch wie politisch legitim gewesen sind. Ich finde den Ton und die Art und Weise, wie das formuliert ist, nicht dem Ton und der Art und Weise unseres Umgangs entsprechend, aber das ist eine andere Frage. Aber ich denke mir, meine Auffassung zurückzuweisen ist zu schnell und zu einfach. Die historische Legitimität eines neuen Anfangs, eines anderen Anfangs nach 1945 abzuweisen heißt letztendlich auch, die historische Legitimität des Ausgangs der Stalingrader Schlacht in Frage zu stellen, und heißt auch, die Legitimität des Ergebnisses des Zweiten Weltkriegs in Frage zu stellen.

(Gerhard Reddemann [CDU/CSU]: Der hat nichts gelernt!)

— Entschuldigen Sie, so einfach ist es nicht.

(Gerhard Reddemann [CDU/CSU]: Sie machen es sich so einfach!)

Wir reden über Geschichte, und Sie machen schon wieder schnell Urteile. Wollen Sie alle die deutschen Schriftsteller, Künstler, Wissenschaftler usw. verurteilen, die sich nach 1945 entschieden haben, in den Osten zu gehen?

(Freimut Duve [SPD]: Das war etwas anderes!)

Waren das alles Unbelehrbare, Unverbesserliche? Nein, sie haben an eine andere Alternative geglaubt, und sie haben sich historisch legitimiert gefühlt, für diese andere Alternative zu arbeiten und einzutreten.

(Gerhard Reddemann [CDU/CSU]: Der anständige Teil hat einen anderen Weg eingeschlagen! — Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Eine historische Lüge!)

Meine Damen und Herren, die Präsidentin hat eingangs unserer Diskussion bei der Konstituierung
gesagt: Keine Aussöhnung ohne Wahrheit. Ich denke



Dr. Dietmar Keller
mir, zu diesem Satz gehört auch ein zweiter Satz: Keine Wahrheit ohne Aussöhnung.
Ich denke auch, die Enquete-Kommission war richtig und notwendig. Sie hat Material vorgelegt. Jetzt ist die Wissenschaft gefragt. Jetzt sind all die gefragt, die sich für Geschichte interessieren, ihr Urteil zu fällen, ihre Meinungen zu formulieren und einen großen weitergehenden Dialog über deutsche Nachkriegsgeschichte, über DDR-Geschichte, über Geschichte der BRD zu führen.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1223401400
Als nächster spricht der Abgeordnete Gerd Poppe.

Gerd Poppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1223401500
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein Wort noch zu Ihnen, Herr Keller, bezüglich der Meinungsunterschiede, die Sie ansprechen. Vielleicht kennen Sie den Satz von Hannah Ahrendt, wo sie sich damit befaßt, daß Tatsachen so behandelt werden, als wären es Meinungen. Er betrifft auch den Umgang mit totalitären Regimes. Und nicht alles das, was Sie von Herrn Fricke unterscheidet, sind Meinungsunterschiede, sondern es ist auch zum Teil das Nicht-zur-Kenntnis-nehmen-Wollen von Tatsachen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und F.D.P.)

Meine Damen und Herren, es ist eine gute Entscheidung des Deutschen Bundestages, die Debatte über den Bericht der Enquete-Kommission am 17. Juni zu führen. Es gibt kaum einen Tag in der deutschen Nachkriegsgeschichte, der das Bewußtsein der Deutschen in Ost und West nachdrücklicher geprägt hätte als der 17. Juni 1953. Die Ereignisse jenes Tages wurden jahrzehntelang verfälscht oder stark verkürzt dargestellt, dies durchaus nicht nur im Osten. Es bedurfte der friedlichen Revolution von 1989/90, um Klarheit über das tatsächliche Ausmaß der Ereignisse von 1953 zu gewinnen.
Die Berichte über die Demonstrationen und Streiks in über 400 Orten waren für lange Zeit in den Archiven von SED und MfS verschwunden. Jetzt liegen sie vor uns, und wir wissen, daß es nicht primär um Proteste gegen Normerhöhungen ging, daß außer den Arbeitern auch viele Bauern und Angehörige der Mittelschichten beteiligt waren, daß ihre Forderungen weit über das hinausgingen, was jahrzehntelang berichtet wurde. Die Aktionen der Bauarbeiter in Berlin waren das Signal, die Demokratisierung im Osten Deutschlands zu fordern. Das wichtigste Ziel war der Sturz des Regimes.
Spätestens mit dem 17. Juni 1953 wurde der SED-Führung klar, daß sie gegen die Mehrheit der Bevölkerung regierte. Sie verfügte weder damals noch später jemals über eine mehrheitliche Zustimmung für ihre Politik,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P.)

weshalb sie zunehmend ihren Macht- und Repressionsapparat ausbaute. Eines der Ergebnisse der Arbeit der Enquete-Kommission ist, die Aufmerksamkeit angesichts der neu vorliegenden Akten noch einmal auf diese Zusammenhänge gelenkt zu haben.
Wir könnten ein übriges tun. Wir sollten unseren Bericht dem Andenken an die Opfer der SED-Diktatur widmen. Wir sollten das nicht mit falschem Pathos oder mit einem Hang zur Besserwisserei tun, sondern in dem Bewußtsein, daß unsere Ergebnisse unvollständig und vorläufig sind und daß sich daraus die Verpflichtung ergibt, die öffentliche Auseinandersetzung über die Vergangenheit zu fördern und allen Versuchen und Versuchungen, einen Schlußstrich zu ziehen, entschieden zu widerstehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P.)

Dies wird keine leichte Aufgabe sein. Schon vor mehr als zwei Jahren kritisierten wir die zunehmende Legendenbildung und die Versuche, das repressive System des realen Sozialismus zu verharmlosen.
Trotz der intensiven Arbeit der Gauck-Behörde, der Justiz, der Ermittlungsbehörden, der Enquete-Kommission und der vielen unabhängigen Aufarbeitungsinitiativen werden die Stimmen derjenigen immer lauter, die diese für die Festigung einer demokratischen politischen Kultur und die Entwicklung der inneren Einheit Deutschlands unverzichtbare Arbeit attackieren. Da ist von „Siegerjustiz" die Rede, davon, daß der Westen über den Osten urteile und daß die Enquete-Kommission staatsoffizielle Geschichte schreibe. Die das sagen, wissen genau, daß sie sich verlogener Argumente bedienen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P.)

Sie wissen wie wir, daß es authentische ostdeutsche Forderungen waren, die Täter zur Verantwortung zu ziehen, MfS-Mitarbeiter und Zuträger aus der Politik und von unseren Kindern fernzuhalten, alte und neue Seilschaften zu unterbinden

(Beifall des Abg. Konrad Weiß [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

und vor allem den Opfern, soweit möglich, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen —

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

Forderungen, die damals wie heute berechtigt sind. Dabei war nie von einer pauschalen Verurteilung die Rede. Immer ging es um die Prüfung individueller Verantwortung oder Schuld.
Die Täter aber haben sich bis heute nicht zu ihrer Verantwortung bekannt,

(Beifall des Abg. Konrad Weiß [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P.)

und sie sind auch nur in den seltensten Fällen zur
Verantwortung gezogen worden. Im Gegenteil. Sie
stilisieren sich jetzt selbst zu Opfern hoch, Opfern der



Gerd Poppe
„Siegerjustiz" oder der „gnadenlosen" Bürgerrechtler.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P.)

Dabei haben sie dazu wenig Grund. Viele von ihnen haben längst in der Wirtschaft, im öffentlichen Dienst und in wissenschaftlichen Institutionen oder kommunalen Verwaltungen wieder Fuß gefaßt. Oftmals beklagen die einst von ihnen Gepeinigten mit Recht, daß sie bisher vergleichbare Chancen nicht hatten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P.)

Manche der Täter oder ihrer Helfershelfer kokettieren inzwischen mit ihrer Tätigkeit für das MfS und werden dafür mit Parteiämtern oder aussichtsreichen Listenplätzen belohnt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P.)

Diverse Vereinigungen und Komitees, die das Wort „Menschenrechte" oder „Gerechtigkeit" im Namen führen, werden gegründet, Vereine zur Interessenwahrung von Tätern, zugleich Geschichtsfälscherwerkstätten und möglicherweise auch Geldwaschanlagen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P.)

Solange das so ist, meine ich, ist es überflüssig, von Amnestie zu reden, wohlgemerkt eine Amnestie von Tätern, die überhaupt noch nicht bestraft worden sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P.)

Unter diesen Umständen ist ein hohes Maß an Verantwortung von der Politik zu fordern, aber auch von der Wissenschaft, den Medien und dem öffentlichen Diskurs der Intellektuellen. Leider entstehen in manchen wissenschaftlichen Institutionen Arbeiten, die einen zweifelhaften Wert haben, da sie der Selbstdarstellung der ehemaligen Verantwortungsträger einen viel zu großen Raum geben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P.)

In den Medien wird nur selten eine gute Sendezeit der Darstellung der Alltagserfahrung der Ostdeutschen eingeräumt. Statt dessen werden dem Zuschauer immer noch Woche für Woche die eitlen Posen und das banale Geschwätz der Herren Krenz, Schalck & Co zugemutet.

(Anhaltender Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P.)

Warum, meine Damen und Herren, werden wir über den Standort der Urne mit den Überresten Honeckers laufend informiert und wissen nichts über die Gräber der Opfer des 17. Juni?

(Lebhafter Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P.)

Ein Teil der deutschen Intellektuellen übt sich, dem Zeitgeist immer eine Spur voraus, in der neuen deutschen Versöhnlichkeit. Gestern konnten wir im „Tagesspiegel" etwas über die Geschicklichkeit, den Ideenreichtum, das sozialpolitische Engagement der SED-Nachfolgepartei, die man so nun nicht mehr nennen dürfe, lesen. Ihre Parlamentarier auf allen Ebenen wären Lehrmeister in Sachen Demokratie, meint der Autor, ein Wittenberger Pfarrer.

(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P.)

Was haben uns nun diese Lehrmeister zu sagen? Ich zitiere eine Kostprobe aus dem Sondervotum der PDS zum vorliegenden Bericht der Enquete-Kommission. Herr Keller, Sie haben kaum über Ihr Sondervotum gesprochen. Ich nehme an, daß Sie es auch nur sehr begrenzt teilen. Zitat:
Verglichen mit den in der überwiegenden Mehrheit der Staaten dieser Welt bestehenden politischen, sozialen und kulturellen Zuständen schneidet die DDR in jeder Hinsicht auch bezüglich der allgemeinen Menschenrechte gut ab.

(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P.)

Hier wird am Ende gar das kannibalistische System Kaiser Bokassas I. zum Maßstab für die sogenannte erste sozialistische Demokratie auf deutschem Boden erklärt.

(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P.)

Entgegen der unzutreffenden Behauptung, der Westen würde dem Osten seine Interpretation der Geschichte der DDR aufzwingen, sind es mehrheitlich Ostdeutsche, die sich mit der Aufarbeitung befassen. Gerade auch die Zusammensetzung der EnqueteKommission zeigt das. Aber auch Abgeordnete und Sachverständige aus den alten Bundesländern beteiligten sich mit großem Engagement an der Arbeit der Kommission.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P.)

Ich meine, daß der Schlüssel zur erfolgreichen Auseinandersetzung mit der DDR-Vergangenheit nur zu finden ist, wenn man sie als gesamtdeutsches Problem begreift. Dies auch deswegen, weil die Geschichte beider Teile Deutschlands nicht getrennt voneinander behandelt und bewertet werden kann. Auch wenn es gerade beim Thema der Deutschlandpolitik am häufigsten zu kontroversen Auffassungen in der Kommission kam, spricht das nicht gegen ihr Anliegen, sondern beweist eher die Notwendigkeit, diese Auseinandersetzung zu führen. Die intensive gemeinsame Beschäftigung der Deutschen in Ost und West mit unserer Vergangenheit ist leider keine Selbstverständlichkeit.
Da ich vorhin so viele Ungereimtheiten und Defizite genannt habe, die in erster Linie mit den neuen Bundesländern zu tun hatten, möchte ich nun wenigstens ein ganz und gar westdeutsches Beispiel dafür nennen, wie man es nicht machen sollte. Sie können es



Gerd Poppe
selbst wenige hundert Meter von hier, im Haus der Geschichte, überprüfen.
Sie finden dort neben einer großzügigen Darstellung der ersten Jahrzehnte der Bundesrepublik auch ein kleines Eckchen über die Ereignisse in der DDR der 80er Jahre. Neben der Darstellung der offiziellen DDR, einschließlich diverser Honecker-Fotos, gibt es nur wenige, erbärmlich wirkende Exponate zur Oppositions- und Bürgerbewegung.

(Konrad Weiß [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine Schande!)

Diese bleibt gesichts- und namenslos, wie mein Kollege Weiß neulich sagte.
Dahingestellt, ob konzeptionelle Fehler, mangelndes Interesse oder einfach Ignoranz zu diesem zweifelhaften Ergebnis führten: Ein junger Mensch wird nach dem Besuch dieser Ausstellung alles über das Aussehen von Kaffeemaschinen und Toastern aus der Zeit des Wirtschaftswunders wissen, einiges über Adenauer, Brandt und die frühen Bundestagsdebatten, aber so gut wie nichts über das alltägliche Leben oder gar über Opposition und Widerstand in der DDR.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P.)

Dies ist ein mißratener Beitrag zur Zusammenführung der Deutschen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sicher gibt es auch zur Arbeit der Enquete-Kommission Kritisches zu sagen. Manchen werden ihre Aussagen zu vage erscheinen, andere werden sie bereits als zu festgelegt empfinden. Die parteipolitisch motivierten, wenngleich in einer Wahlkampfzeit verständlichen Schaukämpfe haben den Abschluß der Arbeiten auf unnötige Weise gefährdet. Letztlich aber rechtfertigt das Ergebnis den großen Aufwand. Die Kommission hat ihrem Auftrag gemäß nicht die Aufgaben der Fachwissenschaftler vorweggenommen, sondern die politische Auseinandersetzung über Geschichte und Folgen der SED-Diktatur geführt.
Das Zusammenwirken von Politikern, Historikern und Zeitzeugen, von Verantwortungsträgern über Oppositionelle bis hin zu Opfern des autoritären Systems hat nicht nur den Horizont der Beteiligten erweitert, sondern eine umfangreiche Materialsammlung entstehen lassen, die — einmalig in ihrer Art — noch jahrelang Anstöße für weitere Untersuchungen geben wird.
Mit einigen Themen hat die Kommission Neuland betreten, vor allem bezogen auf die jüngere DDR-Geschichte. Die Ergebnisse sind nicht in elitären Zirkeln, sondern vor den Augen der Öffentlichkeit zusammengetragen worden. Die Kommission hat den Mut zur Vorläufigkeit gehabt. Ich denke, daß es besser ist, sich zu den vielen offenen Fragen zu bekennen, als diesen Umstand mit glattem Perfektionismus zuzudecken. Der Widerspruch, den manche Passagen des Berichts auslösen, wird — so hoffe ich — Produktivität und nicht Resignation bewirken.
Neuland betreten hat der Deutsche Bundestag auch mit diesem ungewöhnlichen Auftrag. Es steht ihm gut an, in der ersten Legislaturperiode nach dem Zustandekommen der deutschen Einheit diesen Versuch unternommen zu haben: ein methodisches Experiment, aber niemals eines mit Menschen. Es ging nicht um die Demütigung der Ostdeutschen, wie manche glauben machen wollen, sondern um die Wiederherstellung ihrer Würde.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P.)

Wenn diese Intention vor der Öffentlichkeit Bestand hat, hat sich die Arbeit schon gelohnt.
Ich habe leider nicht mehr die Zeit, Einzelheiten des Berichtes kritisch zu beleuchten. In ihm sind eine Vielzahl offener Fragen und Handlungsempfehlungen benannt. Ein Teil davon findet sich auch in dem vorgelegten Entschließungsantrag. Ich bin froh, daß dieser trotz mancher Querelen der letzten Wochen zustande kam. Ich nehme das als einen Beleg für den uns bei allen politischen Differenzen einenden antitotalitären Grundkonsens, der heute schon mehrfach angesprochen wurde.
Gestern hat mich eine Journalistin gefragt, ob ich ihr eine Kurzfassung des 300-Seiten-Berichtes geben könne.

(Heiterkeit)

Ich sagte ihr, dieser Bericht sei bereits die Kurzfassung. Ich hoffe, daß er ihr Interesse erwecke, die noch in dieser Wahlperiode zu veröffentlichenden Gesamtunterlagen der Kommission zur Kenntnis zu nehmen. Das gleiche, verehrte Kolleginnen und Kollegen, erhoffe ich auch von Ihnen.
Ein letztes Wort: Ich bedanke mich für die Fairneß und Aufgeschlossenheit, die ich als Mitglied einer kleinen parlamentarischen Gruppe in der Kommission erlebt habe; ich hätte mir gewünscht, das wäre in allen Gremien des Bundestages immer so gewesen. Ich danke auch den Zeitzeugen und Experten, die an den 40 öffentlichen Anhörungen mitgewirkt haben, den Sachverständigen der Kommission, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Fraktionen und vor allem dem Sekretariat der Kommission für ihre unermüdliche und sachkundige Arbeit.

(Anhaltender Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P.)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1223401600
Das Wort erhält jetzt der Abgeordnete Hartmut Koschyk.

Hartmut Koschyk (CSU):
Rede ID: ID1223401700
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Enquete-Kommission zur Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland legt heute, wie von allen Fraktionen ursprünglich vereinbart, den vollständigen Bericht über die geleistete Arbeit vor. Da die Enquete-Kommission nie für sich in Anspruch genommen hat, Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland allein und vollständig aufarbeiten zu können, sondern nur zentrale Anstöße für diese Aufarbeitung vermitteln wollte, muß sich der Schlußbericht an dieser von vornherein vorgenommenen Selbstbeschränkung messen lassen.



Hartmut Koschyk
Auch ich möchte von seiten der CDU/CSU-Fraktion all denen danken, die in der Enquete-kommission mitgewirkt haben, den heute auf der Empore vertretenen Sachverständigen, die uns Parlamentariern wichtige Berater gewesen sind, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Sekretariats und der Fraktionen, insbesondere unserer Fraktion, der Bundesregierung und ihren nachgeordneten Behörden, soweit sie die Kommissionsarbeit begleitet haben. Ich möchte einer Institution danken, meine Damen und Herren, die in den letzten Monaten, auch auf Grund der gestrigen Debatte im Landtag von Brandenburg ins Schußfeld gekommen ist. Ich möchte heute für unsere Fraktion dem Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes, Herrn Gauck, und seinen Mitarbeitern ausdrücklich für ihre wertvolle Arbeit danken.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich möchte aber auch den Mitbürgerinnen und Mitbürgern danken, die sich für die Enquete-Kommission als Zeitzeugen zur Verfügung gestellt haben. Für mich als im Westen Deutschlands geborenen Bundesbürger stand bereits zu Beginn der Arbeit der Enquete-Kommission fest, daß sich deren Auftrag nicht allein an die Bürgerschaft in den neuen Ländern richtet; die Notwendigkeit der Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland bleibt eine gesamtdeutsche Aufgabe.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die Frage, was diese Enquete-Kommission gebracht hat, versucht der Abschlußbericht zu beantworten. Für mich läßt sich der persönliche Gewinn kurz gefaßt mit dem bekannten Sprichwort umschreiben: Ohne Kenntnis kein Verständnis. Ich nehme für mich in Anspruch, stets deutschlandpolitisch interessiert und engagiert gewesen zu sein. Auch die familiären Verbindungen zu meinen Verwandten in der ehemaligen DDR waren einigermaßen lebendig. Doch erst durch die Mitarbeit in der Enquete-Kommission, vor allem aber durch die Begegnung mit Zeitzeugen und den „gelernten DDR-Bürgern" mußte ich erkennen, wie wenig ich doch insgesamt vom Lebensalltag und von der Lebenswirklichkeit in der DDR gewußt habe.

(V o r s i t z: Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg)

Dabei ist mir bewußt geworden, daß die Frage nach der Mitverantwortung derer, die im Westen geboren und aufgewachsen sind, für die vier Jahrzehnte andauernde Diktatur in der DDR auch von uns gestellt und beantwortet werden muß. Dabei dürfen wir nicht verschweigen, daß Teile der Politik, Teile der Wissenschaft, Teile der Medien und Teile der Gesellschaft der alten Bundesrepublik zu einer Stabilisierung des SED-Regimes bewußt oder unbewußt beigetragen und bei unseren Landsleuten in der DDR ein Gefühl des Abgeschriebenseins bewirkt haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie des Abg. Stephan Hilsberg [SPD])

Herr Poppe, ich möchte gerne das aufgreifen, was Sie
zum Haus der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland gesagt haben. Auch wenn dies ein Haus der Geschichte der alten Bundesrepublik ist — der Weg von der alten Bundesrepublik in die neue Bundesrepublik

(Michael Glos [CDU/CSU]: So ist es!)

ist ohne die Bürger- und Menschenrechtsbewegung der DDR undenkbar, und wir sollten im Innenausschuß darüber nachdenken, wie wir ihr den ihr gebührenden Platz in dieser Dauerausstellung geben können.

(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe von dem notwendigen kritischen Rückblick gesprochen. Dem stellen wir uns auch in der Union, und Bundeskanzler Helmut Kohl hat dies bei einer Anhörung der Enquete-Kommission im Berliner Reichstag z. B. dadurch getan, daß er die ablehnende Haltung der damaligen CDU/CSU-Opposition zum KSZE-Prozeß als „im nachhinein ... nicht überzeugend" wertete und die Wirkungsgeschichte des die Menschenrechte einfordernden Korbes 3 der KSZE-Schlußakte von Helsinki für den Zusammenbruch der kommunistischen Diktaturen in Mittel- und Osteuropa sowie der Sowjetunion würdigte.
Auch ich stelle mir ganz persönlich die Frage, ob ich als deutschlandpolitisch Interessierter und Engagierter die Rolle und Bedeutung der Oppositionsbewegung der DDR in den 80er Jahren richtig eingeschätzt habe. So hätte auch ich mich persönlich bei meinen Parteifreunden Norbert Blüm, Heribert Scharrenbroich, Stefan Schwarz, Rita Süssmuth, Herbert Werner und Eduard Lintner einreihen können, die in den 80er Jahren Kontakt zu Oppositionellen in der DDR suchten und pflegten, und ich hätte bereits damals und nicht erst in der Enquete-Kommission Rainer Eppelmann, Stephan Hilsberg, Gerd Poppe und Angelika Barbe kennen- und schätzenlernen können.
Meine Damen und Herren, bei dem von der SPD vorgelegten Minderheitsvotum vermisse ich aber die Bereitschaft zum selbstkritischen Rückblick — dies um so mehr, als es Sozialdemokraten gewesen sind, die vor der Enquete-Kommission die notwendige Kraft dazu aufgebracht haben.
So erklärte Altbundeskanzler Helmut Schmidt in einer Anhörung der Enquete-Kommission zum NATO-Doppelbeschluß:
Aber der Beschluß war dringend notwendig, um der größenwahnsinnig gewordenen Generalität und den Marschällen in Moskau klarzumachen, daß wir nicht zusehen würden, wie hier deutsche Städte zu potentiellen Geiseln späterer sowjetischer Machtpolitik gemacht wurden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Aber, meine Damen und Herren, eine so klare Aussage werden Sie zum NATO-Doppelbeschluß im Minderheitsvotum der SPD vergeblich suchen.
Zum Themenfeld „Rolle und Selbstverständnis der Kirchen in der DDR" liegt ein Mehrheitsvotum von



Hartmut Koschyk
CDU/CSU, F.D.P. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vor, das einer der sozialdemokratischen Sachverständigen in der Enquete-Kommission, Martin Gutzeit, mitverfaßt hat und bis heute mitträgt. Dennoch haben sich die Sozialdemokraten genötigt gesehen, ein Minderheitsvotum vorzulegen, von dem ich sage, daß es ihren eigenen Sachverständigen Gutzeit, ehedem in der Bürgerrechtsbewegung in der DDR aktiv und heute in Berlin Landesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes, nahezu desavouiert.
In diesem Minderheitsvotum wird die Verbindung führender Kirchenjuristen der Evangelischen Kirche in der DDR mit dem DDR-Staatssicherheitsdienst verharmlost. Mit keinem Wort werden die mittlerweile hinreichend belegbaren und erwiesenen Verbindungen des früheren Konsistorialpräsidenten der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg und heutigen Ministerpräsidenten von Brandenburg, Manfred Stolpe, zum Ministerium für Staatssicherheit problematisiert. Ja, meine Damen und Herren, man ist sich nicht einmal zu schade, bei dieser Aktion „Saubermann Stolpe" den oppositionellen Gruppen in der DDR vorzuwerfen, ihre geheimdienstliche Durchdringung sei noch erheblich höher gewesen als die der Kirche.

(Zurufe von der CDU/CSU: Unglaublich!)

Im Jahre 1987 legten SPD und SED ein gemeinsames Ideologiepapier vor, in welchem die SPD der SED die Existenzberechtigung — —

(Dr. Hartmut Soell [SPD]: Das mindert doch ihre Rolle nicht! Das ist ein Faktum!)

— Herr Kollege Soell, Sie haben sich ja mit der SED in Streitkultur gut geübt.

(Dr. Hartmut Soell [SPD]: Ich nicht!)

Dann hören Sie mir auch bitte in Ruhe zu, und lassen Sie mich aussprechen!

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1223401800
Herr Abgeordneter, entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche, der Abgeordnete Meckel würde Ihnen gerne eine Frage stellen.

Hartmut Koschyk (CSU):
Rede ID: ID1223401900
Ich würde gerne meine Ausführungen fortsetzen, Herr Präsident.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1223402000
Einverstanden.

(Zurufe von der SPD: Da hat er Angst! — Das ist die Streitkultur!)


Hartmut Koschyk (CSU):
Rede ID: ID1223402100
Helmut Schmidt sagte vor der Enquete-Kommission des Bundestages hierzu, er habe dieses SPD/SED-Papier niemals positiv gesehen. Der Altbundeskanzler sagte wörtlich:
Ich habe immer einen ganz großen Unterschied gemacht zwischen einerseits dem Umgang zwischen zwei Regierungen, einer hier und die andere in Ostberlin, und im Umgang mit der kommunistischen Partei. Das ist ganz etwas anderes. Ich habe das Papier niemals positiv beurteilt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, schauen Sie sich das Minderheitsvotum der SPD an, ob Sie eine kritische Selbstreflexion zum SPD/SED-Papier darin finden. Sie finden sie nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

Was den unkritischen Umgang zahlreicher Sozialdemokraten mit der SED-Diktatur und ihren Verantwortlichen angeht, so berichtete Siegfried Reiprich, der 1981 aus der DDR hinausgedrängt wurde und sich nach seiner Übersiedlung in die Bundesrepublik der SPD anschloß, vor der Enquete-Kommission als Zeitzeuge:
Ich habe eigentlich in der gesamten westdeutschen Sozialdemokratie, soweit ich es als kleines Parteimitglied von 1981 bis 1989 mitbekommen habe, so gut wie niemanden kennengelernt, der eine halbwegs realistische Vorstellung von dieser tristen Realität in der DDR hatte.

(Freimut Duve [SPD]: Das ist ja unglaublich! Sie waren doch bei unseren aktuellen Stunden gar nicht dabei!)

— Herr Duve, das war ein Zeitzeuge der EnqueteKommission, den ich hier zitiere. Das müssen Sie schon ertragen.

(Freimut Duve [SPD]: Ach so! Dann hat er keine Ahnung!)

Reiprich berichtete dann über den damaligen Sozialminister von Schleswig-Holstein, Günther Jansen, der durch die Mitfahrt auf einem Militärboot der DDR-Grenztruppen auf der Elbe seine Zustimmung zu den Geraer Forderungen Erich Honeckers ausdrücken wollte. Der Zeitzeuge Reiprich dazu:
Selbst wenn er der Überzeugung gewesen wäre, daß dies politisch nötig ist — man muß sich dies einmal vorstellen: Da setzt sich ein westdeutscher Sozialdemokrat auf ein Kanonenboot der DDR — das waren ja schließlich die Knastwächter dieses Wohnghettos DDR, die da herumfuhren — und verkündet die Geraer Forderungen Honekkers. So war es halt, und das ist kein Einzelfall gewesen, was die Stimmung in Teilen der Partei anbetrifft.

(Zuruf des Abg. Freimut Duve [SPD])

— Lieber Herr Duve, das mag für Sie hart sein, aber Sie müssen sich solchen Zeitzeugenaussagen, die Ihre Parteifreunde zum Umgang Ihrer Partei mit der SED gemacht haben, stellen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Vor der Enquete-Kommission und auch im Abschlußbericht wurde bzw. wird mehrfach und zu Recht der antitotalitäre Konsens aller Demokraten beschworen. Dies muß auch die wichtigste Folgerung aus der Aufarbeitung der SED-Diktatur sein.

(Erneuter Zuruf des Abg. Freimut Duve [SPD])




Hartmut Koschyk
Das heißt aber, daß man sich mit der SED-Nachfolgepartei PDS offensiv auseinandersetzt und sie nicht durch Koalitions- und Kooperationsangebote hoffähig macht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich rede keiner Beschimpfung derjenigen das Wort, die jetzt aus Ungeduld oder Enttäuschung über den für sie nicht schnell genug gehenden Aufbauprozeß in DDR-Nostalgie verfallen, bei Wahlen dann der PDS ihre Stimme geben und dadurch die demokratischen Kräfte schwächen und damit den Aufbauprozeß letztendlich hemmen und verzögern. Alle demokratischen Parteien müssen sich bemühen, diese Wähler wieder zurückzugewinnen. Aber, meine Damen und Herren, wir haben dafür gesorgt, daß die Republikaner in Deutschland nicht hoffähig wurden, indem wir sie bekämpft haben.

(Freimut Duve [SPD]: Ach, Sie waren das? Im Gegensatz zu wem?)

Wir müssen uns — das muß auch ein Konsens heute sein — mit der Nachfolgepartei der SED, der PDS, die für mich Partei des demokratischen Scheins ist, auseinandersetzen.
Ich meine, meine Damen und Herren, das schulden wir den Opfern der SED-Diktatur, und das schulden wir vor allem denen, die heute vor 41 Jahren am 17. Juni für Einigkeit und Recht und Freiheit ihr Leben gelassen haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1223402200
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Markus Meckel zu einer Kurzintervention das Wort.

Markus Meckel (SPD):
Rede ID: ID1223402300
Herr Koschyk, ich möchte Sie doch darauf hinweisen — und zwar tue ich dies als ein Mann der Kirche in der DDR und, wie ich denke, auch als ein Mann der Opposition —, daß ich beide Bereiche relativ gut kenne. Wenn Sie von der Staatssicherheit gesprochen haben, so weiß ich, daß die Staatssicherheit gerade in den Bereichen, die ihr gefährlich waren — das war die Kirche, und das war die Opposition —, besonders aktiv war.
Diese Opposition was man heute pauschal so
nennt; ich übernehme jetzt diesen Begriff — waren nur ein paar tausend Leute. Wir waren manchmal nur ganz kleine Gruppen. In diesen ganz kleinen Gruppen saßen Leute der Staatssicherheit. Das sagt nichts über ihre Wirksamkeit.
Eine Gruppe, die manchmal zum Teil zur Hälfte durch Staatssicherheit besetzt war, war wirksam und konnte viel tun. Auch eine Synode, in der 10 % von der Staatssicherheit angeworben waren oder als IM geführt waren, hat Entscheidungen getroffen, die der SED überhaupt nicht gefielen.
Dies müssen wir im Kopf haben, bevor wir urteilen, und wir sollten dies etwas differenzierter tun, als dies von Ihnen hier geschehen ist.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD — Widerspruch des Abg. Michael Glos [CDU/CSU])


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1223402400
Zu einer weiteren Kurzintervention erteile ich dem Abgeordneten Gerd Poppe das Wort.

Gerd Poppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1223402500
Herr Kollege Koschyk, auch ich möchte zu dem gleichen Punkt etwas sagen. In der Tat gab es in den Oppositionsgruppen eine Unmenge Inoffizieller Mitarbeiter, und das war auch überhaupt kein Wunder, weil diese Gruppen in der Öffentlichkeit agierten, keine geschlossenen Strukturen und keine feste Mitgliedschaft hatten. Wer dabei war, war dabei.
Natürlich waren dann auch diejenigen dabei, die wir eigentlich nicht haben wollten, die wir aber auch nicht ausgrenzen konnten, weil wir sie im einzelnen nicht kannten. Wir wollten nicht das Mißtrauen gegen jeden richten und konnten deshalb auch nicht überprüfen, wer da nun sitzt.
Ich meine, daß die Kritik an dieser Passage des Sondervotums gerechtfertigt ist; denn darin steht u. a., daß möglicherweise die Staatssicherheit über diese Zuträger die Gruppen beeinflußt hat. Das ist nach aller Aktenlage überhaupt nicht der Fall. Das ist eine ganz spekulative Behauptung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Darüber hinaus sehe ich einen ganz entscheidenden Unterschied zwischen einer hierarchischen Institution, wo es ja immerhin einiges bedeutet, bis zum Konsistorialpräsidenten aufzusteigen,

(Dirk Hansen [F.D.P.]: Sehr wahr!)

und kleinen informellen Gruppen, die für alle offen sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Freimut Duve [SPD]: Und das gilt für die Blockparteien nicht?)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1223402600
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Stephan Hilsberg.

(Freimut Duve [SPD]: Das gilt genauso für die Blockparteien! Da war die Stasi auch drin! — Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Halten Sie einmal den Mund! — Freimut Duve [SPD]: Herr Schäuble, Sie verbieten mir nicht den Mund! Das können Sie mit Ihren eigenen Leuten machen! — Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Das ist ungeheuerlich! Sie können nicht sagen, daß hier jemand den Mund zu halten hat! — Freimut Duve [SPD]: Sie können hier niemandem den Mund verbieten!)

— Herr Abgeordneter Duve, würden Sie bitte dafür sorgen, daß Ihr Fraktionskollege Stephan Hilsberg nunmehr in aller Ruhe seine Rede halten kann? Ich bitte um die notwendige Ruhe.
Das Wort hat der Abgeordnete Stephan Hilsberg.

Stephan Hilsberg (SPD):
Rede ID: ID1223402700
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich will es auf den Punkt bringen: Die ganze zweijährige Arbeit unserer Kommission wäre nichts wert gewesen, wenn sie sich nicht bemüht hätte, einen Beitrag zur Wieder-



Stephan Hilsberg
herstellung der Würde der Opfer zu leisten und das Leid und das Unrecht, das den Menschen durch die 40 Jahre SED-Diktatur in Deutschland und die Teilung Deutschlands widerfahren ist, in den Vordergrund zu stellen. Das waren wir den Menschen schuldig.

(Beifall bei der SPD)

Polemische, unsachliche und persönliche Angriffe, wie wir sie eben erlebt haben — auch gegen Mitglieder meiner Partei —, werden diesem Maßstab nicht gerecht. Jeder, der das macht, muß sich ganz genau überlegen, was er da tut, denn er bedient doch letztlich die Vorwürfe jener, die von Anfang an das Werk der Aufarbeitung verhindern wollten. Dies darf man nicht in Gefahr bringen.
Wir wollten die Frage nach der Verantwortung stellen und damit dieses wichtige Prinzip öffentlichen Handelns, des Handelns für die Öffentlichkeit, auch auf die DDR und die SED anwenden, einer Partei, die sich immer vor der Verantwortung gedrückt hat, die das Prinzip Verantwortung nicht hat für sich gelten lassen wollen.
Doch wer nach der Verantwortung wirklich fragt, muß bei sich selbst anfangen. Wir alle wissen, was das für ein schmerzliches Unternehmen ist, wenn man plötzlich bei sich feststellt, daß man feige war, dem Nachbarn nicht beigestanden hat, dem Schulkameraden oder dem Kollegen. Feigheit ist gewiß eine menschliche Eigenschaft, das stimmt. Aber ist sie deshalb schon ohne Alternative?
Man würde der Realität der DDR nicht gerecht, wenn man die kleinen Versagen den großen gleichsetzen würde. Es ist ein Unterschied, ob ich nur mal eben feige war oder beispielsweise für das MfS gearbeitet habe.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Auf die Differenzierungen kommt es an und darauf, der Vergangenheit gerecht zu werden.
Ich will jetzt gar nicht erst anfangen, Blockpartei- und SED-Mitgliedschaft gegeneinander aufzurechnen,

(Gerhard Reddemann [CDU/CSU]: Die SED war doch auch eine Blockpartei!)

Kampfgruppe oder Reserveoffizier, NVA oder Grenztruppen. Ich denke, vier Jahre nach der Einheit ist die Zeit reif, tiefer zu blicken und nach den geistigen Traditionen zu fragen, die dazu geführt haben, daß 16 Millionen Ostdeutsche die SED haben gewähren lassen, daß 2,3 Millionen SED-Mitglieder das Politbüro haben gewähren lassen, daß das Politbüro Erich Honecker hat gewähren lassen. Und der hatte kaum Spielraum, abgesehen davon, daß er das System so wollte, wie es war. Aber war er da wirklich der einzige? War es nicht auch das Politbüro der SED? War es nicht die ganze SED? Waren es nicht auch unendlich viele Mitbürger, die den real existierenden Sozialismus als einen legitimen Versuch tolerierten und ihn versuchten mitzugestalten?
Allerdings dürfen wir bei dieser Erkenntnis nicht stehenbleiben. Es ist kein Ex-post-Urteilen, es ist
keine Anmaßung, über das Verständnis für die damalige Zeit hinaus zu fragen, ob es richtig war, sich so zu verhalten, wie man sich verhalten hat, ob es nicht auch realiter mehr Möglichkeiten zu Widerstand und Opposition gegeben hätte, als wir vorgefunden haben. Wäre diese Frage nicht legitim, dann gäbe es heute keinen Fortschritt, dann gäbe es die Diktatur vielleicht immer noch. Jedoch muß man auch an diese Frage behutsam und sensibel herangehen, wie Habermas zu Recht gemahnt hat. Vergangenheitsaufarbeitung ist ein wichtiger Prozeß, doch er darf nicht als Dreschflegel benutzt werden.
Die SED beanspruchte, die Wahrheit zu kennen, und leitete daraus ihren Machtanspruch ab. Sie hatte hohe Ideale und griff nach den Sternen. Am Ende landete sie in der Gosse, und das Bittere ist, daß sie die Lebensleistung vieler Ostdeutscher mit sich riß. Die DDR war eben kein Nischenstaat; es gab keine Nische, keinen Freiraum, in den die SED nicht auch, wenn sie es denn gewollt hätte, hineinregieren konnte. Man war als Bürger mit dem System verbunden, man konnte nicht anders. Da half kein Westfernsehen, keine Datsche und kein Hobby. Man konnte zwar ausreisen, doch auch dies änderte die DDR nicht.
Scheinbar mußte man sich in diesem System einrichten und anpassen. Doch es gab einige, die diese Zwangsalternative für sich nicht gelten lassen wollten.
Die Enquete-Kommission hat viele beeindruckende Anhörungen durchgeführt. Eine davon, die Jenenser Anhörung, die sich der Rolle der Opposition gewidmet hat, werde ich, vielleicht weil ich etwas jünger bin, mit Sicherheit nicht vergessen. Es war dabei nicht nur bemerkenswert, daß Oppositionelle als Zeitzeugen und Vortragende zur Geltung kamen, es war auch zu beobachten, mit welcher Konzentration und Spannung die Zuschauer im hinteren Raum dieses im Stil der fünfziger Jahre eingerichteten Jenaer Kulturhauses den Verlauf der langen und anstrengenden Anhörung verfolgten. Dort standen sie alle und hörten zu: Bärbel Bohley und Wolfgang Templin, Jürgen Fuchs, und wie sie alle heißen.
Es war etwas Besonderes, daß diese EnqueteKommission des Deutschen Bundestages, des demokratisch legitimierten Souveräns, hierher nach Jena kam und den ehemaligen Oppositionellen die Reverenz erwies. An diesem Tage machten wir vor ihnen eine Verbeugung für ihren aufrechten Gang, für ihre Weigerung, sich den totalitären Strukturen zu unterwerfen, für ihren Einsatz für Menschen- und Bürgerrechte, für ihre unbezweifelbaren Erfolge, aber auch für ihre Rück- und Niederschläge, trotz und unabhängig von ihrer ganzen Widersprüchlichkeit gestern und heute.
Wenn Katrin Eigenfeld, ehemalige Oppositionelle und heutige Kommunalpolitikerin aus Halle, dort erklärte: „Wir wollten immer Opposition sein, und heute sind wir es" , dann hat dieser Satz nicht nur etwas Versöhnendes, sondern auch etwas Konstitutives an sich. Denn wenn jene Leute, die die DDR, eben weil sie totalitär war, prinzipiell ablehnten, heute einen Platz finden, wo sie sich frei und unabhängig engagieren können, dann ist etwas erreicht in diesem



Stephan Hilsberg
Land. Vielleicht ist es überhaupt das Beste, was erreicht wurde, daß sich die DDR, also Ostdeutschland, gemausert hat und daß man nicht mehr abhauen muß.
Heute kommt es darauf an, daß die bundesrepublikanische Demokratie auch ihre wirtschaftlichen Fähigkeiten in Ostdeutschland unter Beweis stellt und daß genug Arbeitsplätze geschaffen werden. Denn ohne soziale Sicherheit ist die Freiheit nur ein Hohn und Spott, doch ohne Freiheit ist soziale Sicherheit ein Gefängnis.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der F.D.P. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Geschichte der DDR lehrt, daß das eine nicht gegen das andere ausgespielt werden darf. Wer Freiheit will, muß soziale Sicherheit wollen, und wer diese will, darf auf die Freiheit nicht verzichten. Dieses Prinzip gilt nicht nur für uns, sondern es gilt allgemein.
Das führt zu einer weiteren Erkenntnis. Es wird zunehmend anachronistisch, wenn die Bundesrepublik ihre Außenpolitik weiter so fortsetzt, als hätte es die letzthin erfolgreichen oppositionellen Bewegungen in Ost- und Mitteleuropa nicht gegeben. Ich denke hier an die inhaftierten Menschen in den chinesischen Arbeitslagern, an die Menschen, die unter den fundamentalistischen Systemen in Nordkorea, im Iran, im Irak, in Libyen und überall dort, wo diktatorische Regime an der Macht sind, leiden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Der Prüfstein für die Verankerung der demokratischen Werte im eigenen Land ist die Solidarität mit den unterdrückten Menschen in anderen Ländern und jenen, die sich für ihre Freiheit einsetzen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

Im Statut der SDP, der Sozialdemokratischen Partei in der DDR, der späteren Ost-SPD stand der Gutzeitsche Satz: „In tiefer Ablehnung jeglichen totalitären Denkens und Handelns". Ich denke, dieser Satz gilt. Er war für die DDR der Schlüssel zur Demokratie; er ist heute der Schlüssel zu ihrer Stabilität.
Man braucht dann auch vor der PDS keine Angst zu haben. Lediglich ernst nehmen muß man sie als Protestpartei und als SED-Nachfolgepartei, auf die das Prinzip der Verantwortung vor der Öffentlichkeit für ihre fatale Politik gestern und ihre fatalen Konzepte heute genauso anzuwenden ist wie für die demokratischen Parteien auch.

(Zuruf des Abg. Dr. Rudolf Karl Krause [Bonese] [fraktionslos])

Im übrigen möchte ich nur darauf verweisen, daß gerade beim ehrlichen und faktengerechten Herangehen an die Geschichte der DDR der Glanz, den die PDS dem real existierenden Sozialismus als einem in ihren Augen legitimen sozialistischen Experiment erhalten will, verblaßt.
Andererseits sei an dieser Stelle auch ganz bewußt den PDS-Vertretern in der Enquete-Kommission großer Respekt dafür ausgesprochen, daß sie sich diesem mit Sicherheit schmerzlichen Prozeß unterzogen und gestellt haben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU, der F.D.P. und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)

Was ein lebenswertes Deutschland betrifft, so ist der Weg dorthin das Ziel. Die Enquete-Kommission hat versucht, dazu einen Beitrag zu leisten. Ob immer erfolgreich, zu strittig oder zu harmoniesüchtig, soll Ihrem Urteil unterworfen sein. „Vergangenheitsaufarbeitung ist Zukunftsgestaltung", hat Erhardt Neubert gesagt, Gründungsmitglied des Demokratischen Aufbruch. Wer heute einen Schlußstrich unter die Vergangenheit ziehen will, wer nicht mehr diskutieren will, sich ihr nicht mehr stellen will, der verhindert gerade das, was ihm am wichtigsten ist.
Die Aufgabe, die vor uns stand und an der weiterzuarbeiten ich empfehle, lautet: im Geiste der Aufklärung mit der Vergangenheit umzugehen. Der Versuch, so schwierig er ist, lohnt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der F.D.P. und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1223402800
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Abgeordneten Dr. Heiner Geißler das Wort.

Dr. Heiner Geißler (CDU):
Rede ID: ID1223402900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Hilsberg, ich möchte hundertprozentig unterstreichen — wie auch Rainer Eppelmann gesagt hat —, daß die Einheit Deutschlands und auch die Revolution — so würde ich sie nennen — nicht ohne die Bürgerinnen und Bürger in der alten DDR selber und ohne die Bürgerrechtsbewegung möglich gewesen wären. Das kann nicht nachdrücklich genug unterstrichen werden. Ich möchte aber auch festhalten, daß sie nicht möglich gewesen wäre, wenn wir im Westen Deutschlands das Ziel der deutschen Einheit in Freiheit aufgegeben hätten.
In diesem Zusammenhang, Herr Hilsberg, möchte ich etwas zu dem Sondervotum der SPD auf der Seite 143 des Kommissionsberichtes sagen, in dem die SPD den Eindruck erweckt, daß innerhalb der Christlich Demokratischen Union die Einheit, die Wiedervereinigung in den 80er Jahren nicht mehr auf der politischen Tagesordnung gestanden habe und dieses Ziel operativen Interessen fast geopfert worden sei. In diesem Zusammenhang wird nicht nur Frau Wilms mit ihrer Rede zitiert, sondern auch ein „Geißler-Papier", der Entwurf des Grundsatzprogramms, das zurückgewiesen worden sei.
Ich mache darauf aufmerksam, daß diese Behauptungen in mehrfacher Hinsicht falsch sind. Es handelt sich nicht um das Grundsatzprogramm der CDU, sondern um den deutschlandpolitischen Antrag für den Wiesbadener Parteitag von 1988, der von einer Kommission unter meinem Vorsitz erarbeitet worden ist. Als deutschlandpolitisches Ziel war in diesem Antrag das festgehalten worden, was im Grundgesetz als Aufgabe bezeichnet worden war: an der staatlichen, nationalen Einheit festzuhalten, und die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden.



Dr. Heiner Geißler
Aus der CDU heraus wurde dann der Wunsch geäußert, noch den Begriff „Wiedervereinigung" aufzunehmen. Dem wurde dadurch entsprochen, daß ein Zitat von Konrad Adenauer an den Anfang dieses Antrages gestellt worden ist. Der Antrag ist dann in dieser Fassung einstimmig vom Bundesparteitag verabschiedet worden.
Ich stelle das nur deswegen fest, um klarzustellen, daß von 1949 bis 1989 die Führung der Christlich Demokratischen Union zu jeder Zeit und ohne Abstriche an dem Ziel der Einheit Deutschlands festgehalten hat.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1223403000
Zu einer weiteren Kurzintervention erteile ich dem Abgeordneten Gert Weisskirchen (Wiesloch) das Wort.

Gert Weisskirchen (SPD):
Rede ID: ID1223403100
Sie werden sich, Herr Dr. Geißler, daran erinnern, daß es nicht nur die CDU war, die so ähnlich dachte — ich bestätige das, was Sie eben gesagt haben —; das galt auch für alle anderen Parteien des Deutschen Bundestages, für die Sozialdemokraten genauso wie für die Freidemokraten. Ich rate dazu — wenn Sie es überprüfen möchten —, auch die Texte der Parteien zu lesen, z. B. der deutschen Sozialdemokratie, die bis zum Berliner Parteitag 1989 für sich das Godesberger Programm als das Grundsatzprogramm der SPD hatte. Da können Sie das in Deutlichkeit und Klarheit nachlesen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1223403200
Herr Abgeordneter Weisskirchen, ich will die Geschäftsordnung nicht eng auslegen, aber die Kurzinterventionen beziehen sich auf die Vorrede und nicht auf eine andere Kurzintervention. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie das in Ihren Beitrag einbauen. Ich will das nicht kleinlich auslegen, aber wir können Kurzinterventionen nicht durch Kurzinterventionen beantworten.

Gert Weisskirchen (SPD):
Rede ID: ID1223403300
Vielen Dank, Herr Präsident. Ich hatte verstanden, daß wir hier eine Debatte führen. Ich beziehe mich auf den Debattenbeitrag, den der Herr Dr. Geißler hier geleistet hat.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1223403400
Sie haben sich zu dem Debattenbeitrag Ihres Kollegen Hilsberg gemeldet.

Gert Weisskirchen (SPD):
Rede ID: ID1223403500
Sie haben recht, Herr Präsident. Ich wollte nur klarstellen, daß Stephan Hilsberg selbstverständlich das Godesberger Programm der deutschen Sozialdemokratie in seine Ausführungen einbezogen hat. Da ist der Wille zur deutschen Einheit in aller Klarheit festgehalten.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1223403600
Bitte sehr, der Abgeordnete Reddemann zu einer Kurzintervention. Danach lasse ich in diesem Zusammenhang keine weiteren zu.

Dr. Gerhard Reddemann (CDU):
Rede ID: ID1223403700
Herr Präsident! Ich möchte nur an die Ausführungen des Herrn Kollegen Hilsberg und notwendigerweise jetzt auch an die Ausführungen des Herrn Kollegen Weisskirchen anschließen. In der Tat hat in den Programmen manches gestanden, was gleich klang. Aber ich muß als früherer Vorsitzender des Innerdeutschen Ausschusses einfach daran erinnern, daß der letzte Versuch einer gemeinsamen Erklärung aller Bundestagsparteien zur Situation im gespaltenen Deutschland deswegen scheiterte, weil die SPD-Fraktion einen Antrag vorlegte, der die völkerrechtliche Anerkennung der Grenze zwischen der Bundesrepublik und der DDR beinhalten sollte — mit Konsequenzen, über die wir heute wohl nicht mehr länger diskutieren müssen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1223403800
Herr Abgeordneter Hilsberg, wollen Sie von Ihrem Recht Gebrauch machen zu antworten? — Offensichtlich nicht.
Dann erteile ich dem Abgeordneten Dr. Jürgen Schmieder das Wort.

Dr. Jürgen Schmieder (FDP):
Rede ID: ID1223403900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Aufgabe der Enquete-Kommission bestand im wesentlichen in einer kritischen Aufarbeitung der Geschichte und der Wesenszüge der SED-Diktatur sowie ihrer Auswirkungen und Folgen in und für Deutschland. Ziel war es, unmittelbar nach Abschluß einer weiteren tragischen Geschichtsperiode des deutschen Volkes diesmal den Versuch einer schnellen und sachlichen Bestandsaufnahme der jüngsten Geschichte zu unternehmen und politische Entwicklungen, Hintergründe, Zusammenhänge, Ursachen und nicht zuletzt Auswirkungen auf die Gegenwart aufzuzeigen.
Der Wert dieser Arbeit wird sich insbesondere dort zeigen, wo wir Erkenntnisse für die Politik von heute gewonnen haben, z. B. wie mit den Erblasten der DDR-Vergangenheit umgegangen werden kann. Ich habe jedenfalls den Auftrag immer so interpretiert und verstanden, und ein Großteil der Mitglieder sah die Aufgabe der Enquete-Kommission genauso. Die Kommission hatte Maßstäbe für die eigene Urteilsbildung zu schaffen; ihr stand es aber nur bedingt zu, selbst historische Urteile oder moralische Wertungen auszusprechen.
Doch leider sahen das nicht alle so. Für manches Mitglied der Kommission ging es nur um die Pflege des eigenen Mythos. Dieses Bestreben ist natürlich gründlich schiefgegangen; denn es war so entlarvend. Insbesondere was den Hauptvertreter dieser Spezies betrifft, so möchte ich sagen, daß sein Geschäftsgebaren in der Kommission genauso förderlich und fruchtbar war wie seine Statistenrolle bei den Zwei-plusVier-Gesprächen.
Die Enquete-Kommission sollte also nicht Geschichte schreiben und bewerten, sondern vielmehr zusammentragen, sichern sowie Anregungen und Impulse vermitteln, um Historiker zu unterstützen, aber auch der Öffentlichkeit die Notwendigkeit der



Dr. Jürgen Schmieder
Aufarbeitung von Vergangenheit bewußt zu machen.
Hierbei ist es ein ausgesprochenes Verdienst der Enquete-Kommission, daß zu vielen Themen Zeitzeugen angehört und befragt worden sind. Das war ein besonders wichtiger Aspekt der Arbeit, da sich daraus Stimmungsbilder, Hintergründe und Reflexionen ergeben haben. Insbesondere das Alltagsleben in der DDR konnte so eingefangen werden, und es eröffnet sich dadurch die Möglichkeit, sich in die Psyche der Menschen, die die Diktatur am eigenen Leibe erfahren haben, hineinzuversetzen und so auch deren Befindlichkeiten besser zu verstehen.

(Dr. Dagmar Enkelmann [PDS/Linke Liste]: Das sagen Sie als ehemaliges Mitglied des Rates des Bezirkes?)

Andererseits ging es bei den Gesprächen mit Zeitzeugen natürlich auch darum, Wirkmechanismen und Zusammenhänge erkennbar zu machen.

(Freimut Duve [SPD]: Waren Sie Mitglied des Rates des Bezirkes?)

— Ich war Mitarbeiter beim Rat des Bezirkes für eineinhalb Jahre. Darüber können wir uns gern einmal unterhalten, auch über das Erbe und über die Folgen dieser Geschichte, Herr Duve. Aber deswegen war das doch noch lange kein Grund, mit dem Finger auf mich zu zeigen.

(Dr. Dagmar Enkelmann [PDS/Linke Liste]: So kann man Geschichte auch aufarbeiten!)

Die Kommission hat auch die Möglichkeit der Anhörung von Mitgliedern der Leitungsebenen der SED und der anderen Blockparteien genutzt, um die Chance einer Bewertung der Handlungs- und Denkweisen der für das „Funktionieren" der DDR-Verantwortlichen bzw. -Mitverantwortlichen zu erhalten. Leider war die Resonanz aus diesen Kreisen nicht allzu heftig, und zum Teil hatte auch bei manch einem in den letzten Jahren das Erinnerungsvermögen beträchtlich gelitten.

(Dr. Dagmar Enkelmann [PDS/Linke Liste]: Fassen Sie sich mal an Ihre eigene Nase!)

Doch die Kommission hat aus meiner Sicht mit Sicherheit gerade in dem Bereich der Anhörung von höherrangigen Funktionären Möglichkeiten verschenkt. Die einer jeden Anhörung vorausgegangene, fast schon das Resumee der bevorstehenden Anhörung verkörpernde Einleitung konnte in manchen Fällen schon als Vorverurteilung empfunden werden. Das hat unter Umständen dazu beigetragen, daß die Bereitschaft einiger Zeitzeugen bei der Mitwirkung an der Anhörung nachließ.
Die von der Kommission durchgeführten Anhörungen waren davon letztlich nicht beeinträchtigt. Im Gegenteil: Die Anhörungen waren ein belebendes und befruchtendes Element unserer Arbeit. Insbesondere die Anhörungen von Opfern ließen uns, Ost- wie Westdeutschen, die Schandtaten des Regimes erkennen und das eigentliche Ausmaß von Ungerechtigkeit, Gängelung, Repression und seelischen sowie körperlichen Straftaten erahnen. Vieles davon war
zwar bekannt, aber selbst uns Ostdeutschen nicht in der gesamten Tragweite offenkundig.
Wichtig war aber für die Kommission von Anfang an, daß es nicht nur um die Aufarbeitung der StasiProblematik an sich gehen konnte, sondern auch um die Offenlegung der SED-Stasi-Connection, die Steuerung der Wirtschaft, die Beeinflussung und Bevormundung der Justiz, das Wirken des repressiven Unterdrückungsapparates der SED bis in das Alltagsleben und die Privatsphäre hinein. Wir haben dankenswerterweise viele Bürgerinnen und Bürger gefunden, die bereit waren, über diese Themen und über ihr eigenes Erleben auszusagen.
Aus den Äußerungen und Erklärungen der Zeitzeugen, aber auch aus den vielen Expertisen konnten so wichtige Erkenntnisse und Belege für die tatsächlichen Vorgänge gewonnen werden, z. B. über die innere Struktur der Blockparteien, die Ausstrahlung und Einflußmöglichkeiten und das Verhalten von Parteiführung und Mitgliedern. Die uns geschilderten Szenen aus dem Alltag belegen, was ich auch aus eigenem Erleben bestätigen kann. Es ist unbedingt erforderlich und in der Bewertung gerechter, zwischen Führung und Mitgliedschaft zu differenzieren.
In der DDR gab es eine Parteienlandschaft, die sich zwar in fünf Parteien aufteilte, in der Praxis aber eine durch den demokratischen Block symbolhaft zusammengehaltene, politisch jedoch gemeinsam wirkende Einheitsfront war, die sich eigentlich nur darin unterschied, daß man verschiedene Klientel ansprach und in Abhängigkeit von der Leinenführung durch die SED phasenweise einen gewissen eigenen Freiraum entwickeln konnte. Trotzdem galt das Prinzip: Was die Partei tat, war zu verantworten bei Strafe des Untergangs, des Verbotes der Partei.
Die Teilnahme an den Parteiveranstaltungen wurde im Gegensatz zur SED recht locker gehandhabt, insbesondere bei den parallel, aber monatlich separat zur Mitgliederversammlung stattfindenden sogenannten politischen Bildungszirkeln. In der damaligen Karl-Marx-Stadt habe ich erlebt, daß das Interesse so groß war, daß neben dem ausgesuchten Zirkelleiter zwei, drei Parteifreunde, manchmal auch noch einer mehr, anwesend waren.
In den monatlichen Berichten nach oben wurde beginnend ab den Wohngebietsgruppen kräftig geschwindelt, so daß nicht selten Beteiligungen von über 80 % der Mitgliedschaft erreicht wurden, wenn die Zahlen in der Parteizentrale ankamen.
Die Themen waren schriftlich vorgegeben und wurden zentral gesteuert; sogar die Redetexte für den Zirkelleiter waren schriftlich vorgefertigt. Auf Grund dessen, daß die Bildungszirkel, wie oben geschildert, so „gut" besucht waren, wurde die Parteiführung nicht müde, zu fordern, daß die Teilnahme noch weiter zu verbessern war. Da man oben den Schwindel natürlich kannte, war die gesamte Forderung eigentlich eine Aufforderung, noch besser zu schwindeln.
Es läßt sich unschwer erraten, daß bei diesen Praktiken der Arbeit mit der Mitgliedschaft keine ernstzunehmende politische Arbeit, zumindest nicht



Dr. Jürgen Schmieder
in der Breite, zu erreichen war. Genau das war die von der SED gewünschte, hier am Beispiel der LDPD dargestellte, Rolle der Blockparteien.
Selbstverständlich gab es mancherorts auch Abweichungen von der Regel. Es stand oder fiel mit den jeweiligen Personen, und es gab nicht wenige, die sich aktiv für die Partei engagierten.
Freilich gab es auch Parteifunktionäre, ja auch Mitglieder, die nicht müde wurden, die SED durch Dümmlichkeiten, Scheintaten und Palaver noch links zu überholen — bis zur Wende. Danach wendete man sich, um abzutauchen oder um sich wieder zu drehen bzw. jetzt wieder aus Leibeskräften neu zu engagieren. Ähnliche Abläufe hat es sicherlich auch in den anderen Blockparteien gegeben.
Aber die Rolle der Nachfolgepartei der SED muß hier und auch in Zukunft kritisch unter die Lupe genommen werden. Wie kann eine Partei, die 40 Jahre lang ein Volk unterdrückt, bespitzelt, schikaniert und ruiniert hat, nach nur vier Jahren auch für viele der damaligen Opfer wieder so attraktiv erscheinen, daß sie unter neuem Namen wieder gewählt wird?

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Freilich kann man einigen Vertretern der PDS bescheinigen, daß sie als neue Linke antreten wollten. Aber inzwischen ist der Geist der Partei wieder der alte. Das beweisen Äußerungen, die diese Partei im Rahmen der Verfassungsdebatte gemacht hat, bzw. auch das Sondervotum zum Abschlußbericht der Enquete-Kommission.

(Dirk Hansen [F.D.P.]: Und der Austritt von Frau Stachowa!)

Die PDS ist offenkundig nicht in der Lage, anzuerkennen, daß die Vergangenheit des SED-Staates das Werk eines totalitären Regimes war.

(Freimut Duve [SPD]: Das hat Herr Keller hier eben gesagt!)

— Herr Keller ist eine rühmliche Ausnahme. Aber die Schlußfolgerungen, die er gezogen hat, erinnerten wieder an den alten Geist.
Ich komme jetzt zu den Vorwürfen. Aus den genannten Veröffentlichungen geht hervor: Die PDS stellt die grundgesetzliche Ordnung Deutschlands in Frage,

(Andrea Lederer [PDS/Linke Liste]: Das ist Schwachsinn!)

die PDS verniedlicht die Diktatur der SED, die PDS strebt eine neue Spaltung Deutschlands an, und die PDS propagiert überholte sozialistische Utopien.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Das letzte gilt übrigens nicht nur für die PDS.


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1223404000
Herr Dr. Schmieder, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Heuer zu beantworten?

Dr. Jürgen Schmieder (FDP):
Rede ID: ID1223404100
Nein, ich bin gleich am Ende meiner Rede; ich habe nur noch drei, vier Sätze.
Die PDS versucht — insbesondere durch ihren Anspruch, die spezifischen Interessen des Ostens zu vertreten — eine Politik der Separierung und der erneuten Spaltung des Volkes. Nach dem Willen der PDS soll den gesellschaftlichen Kräften der Zugriff auf die Wirtschaft gegeben werden. Der Aufschwung der Wirtschaft wird über gesellschaftliche Einrichtungen, Verstaatlichung und Sozialisierung versprochen.
Merkt es denn keiner? Der Abschlußbericht der Enquete-Kommission macht es deutlich: Das ist genau die alte Weisheit der SED. Das hat doch schon einmal Staat und Wirtschaft ruiniert. Das darf es in Deutschland nie wieder geben. Wehret den Anfängen!

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1223404200
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Abgeordneten Professor Dr. Jens Heuer das Wort.

Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS):
Rede ID: ID1223404300
Ich möchte nur eine Bemerkung zu Herrn Schmieder machen: Er hat gesagt, die PDS stelle die grundgesetzliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland in Frage. Das ist einfach unwahr.
Er bezieht sich wahrscheinlich auf unseren Verfassungsentwurf. Wir haben das in der Verfassungskommission sehr sachlich diskutiert. Wir haben gemäß Art. 146 GG vorgeschlagen, das deutsche Volk aufzurufen, eine neue Verfassung zu beschließen. Das ist zulässig. Dieser Vorschlag wird sicher abgelehnt werden. Aber wir bieten eine neue Verfassung an, über die man diskutieren kann und diskutieren sollte.

(Gerhard Reddemann [CDU/CSU]: Ihre alte Verfassung hat uns schon gereicht!)

Ich bitte Sie jetzt nicht, die führende Rolle der CDU zu übernehmen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Aber wir sind demokratisch gewählt, und das waren Sie damals nicht! — Gegenruf der Abg. Andrea Lederer [PDS/Linke Liste]: Das ist billiger Wahlkampf, den Sie veranstalten! — Gerhard Reddemann [CDU/CSU]: Der alte Stalin lugt aus allen Knopflöchern!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1223404400
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Dorothee Wilms.

Dr. Dorothee Wilms (CDU):
Rede ID: ID1223404500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Rückblick auf 40 Jahre SED-Diktatur schloß in der Enquete-Kommission ganz selbstverständlich die Beschäftigung mit der Deutschlandpolitik zwischen 1949 und 1989 und mit der Politik der innerdeutschen Beziehungen ein. Hierbei stand vor allem die westdeutsche Politik auf dem Prüfstand, ihre Verklammerung mit den internationalen Rahmenbedingungen, aber auch ihre Reaktion auf die sich zuspitzende Krise des Ostblocks und auf die wachsenden oppositionellen Strömungen in den mittelosteuropäischen Staaten und in der DDR. Auf diese Weise rollten 40 Jahre deutscher Geschichte, auch gesamtdeutscher Geschichte, noch einmal vor uns ab, weil wir uns bemühten, auf Grund der geöffneten DDR-Archive auch die Westpolitik der SED mit ein-



Dr. Dorothee Wilms
zufangen. Wir erzielten dabei schon einige beachtliche Ergebnisse.
Ehe ich einige Einzelheiten thematisiere, möchte ich noch einen Grundgedanken ansprechen. 40 Jahre deutscher Teilung bedeuteten auch 40 Jahre Systemkonflikt auf deutschem Boden. Deutsche Kommunisten haben nach 1945 mitgeholfen, daß sich in der Sowjetischen Besatzungszone ein kommunistisches Zwangssystem etablieren konnte, das auf einer marxistisch-leninistischen Ideologie gründete und das zu keiner Zeit die demokratische Legitimation durch die Bevölkerung erworben hatte.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Insoweit war die Freiheit wirklich der Kern der deutschen Frage. Das hat auch der Aufstand der Menschen in Ost-Berlin und in der DDR am 17. Juni 1953 eindrucksvoll bewiesen. Der Volksaufstand von 1953 gehört in die Reihe der über die Jahrzehnte immer wieder entstehenden oppositionellen und widerständigen Bewegungen und Strömungen in der DDR, aber auch in Polen, Ungarn und der Tschechoslowakei, was 1989 dann mit zur Befreiung der Völker von der kommunistischen Diktatur beitrug.
Ich denke, daß über diese Oppositionsbewegungen noch viel Forschungsbedarf besteht. Aber gerade an einem Tag wie heute, an einem 17. Juni, müssen wir daran erinnern, daß auch dieser Widerstand, diese Opposition zur Tradition und zur demokratisch-politischen Kultur Deutschlands und Europas gehört.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. und der SPD)

Ich möchte sehr persönlich meinen Respekt vor allen denen bezeugen, die in der SBZ/DDR zu irgendeinem Zeitpunkt Widerstand und Opposition geleistet haben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. und der SPD — Freimut Duve [SPD]: Wobei der Zeitpunkt auch eine Rolle spielt!)

Meine Damen und Herren, die deutsche Einheit in Frieden und Freiheit zu erreichen, das war über 40 Jahre lang eines der vordringlichsten Ziele deutscher Politik. Ich möchte zu drei entsprechenden Themenkreisen einige kurze Anmerkungen machen.
Erstens. Das entscheidende Ergebnis der Außen- und Deutschlandpolitik der fünfziger Jahre war die Einbindung der Bundesrepublik Deutschland in die Werte- und Sicherheitsgemeinschaft der westlichen Welt — eine Politik, der die damalige SPD-Opposition erst 1960 ihre Zustimmung gab.

(Freimut Duve [SPD]: Aus Gründen auch der deutschen Einheit!)

Unsere intensive Beschäftigung mit der immer wieder umstrittenen Deutschlandpolitik Konrad Adenauers zeigte erneut,

(Freimut Duve [SPD]: Es war ein Teilungsrisiko!)

wie grundlegend und für die Wiedervereinigungspolitik 1990 entscheidend die politische und geistige Westbindung der Bundesrepublik seit 1949 war,

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dirk Hansen [F.D.P.])

wie weitblickend die Abkehr Adenauers von einem engen Nationalismusbegriff des 19. Jahrhunderts und wie zukunftsträchtig bis in unsere Tage die europäische Einbindung Deutschlands war und ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)

In der Kommission vorgetragene neueste Forschungsergebnisse auf Grund von erst seit kurzem geöffneten Moskauer Archiven des sowjetischen Außenministeriums ergaben auch, daß bei der vieldiskutierten Stalin-Note von 1952 keine Chance zur demokratischen Wiedervereinigung Deutschlands bestanden hat — wie dies ja immer wieder behauptet wurde —, weil, so ergeben es die Akten heute, die sowjetische Regierung eine solche Absicht nie mit der Stalin-Note verbunden hatte. Sie wollte die sich formierende westliche Bündnispolitik verhindern, und das hatte Konrad Adenauer richtig erkannt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Behauptung — so auch im SPD-Minderheitenvotum —, Adenauer habe die Wiedervereinigung zwar verbal als Ziel proklamiert, aber nicht wirklich aktiv und kontinuierlich verfolgt, steht nicht im Einklang mit den Erfahrungen seiner politischen Weggenossen und der hierzu inzwischen relativ umfangreichen wissenschaftlichen Literatur, von der wir auch einiges in den Diskussionen verarbeitet haben.
Ich denke, der Irrtum liegt in der Kontrastierung von Wiedervereinigung und Westbindung. Heute sehen wir: Die Geschichte hat Adenauer recht gegeben.

(Beifall bei der CDU/CSU — Freimut Duve [SPD]: Sie hat aber auch Willy Brandt recht gegeben!)

— Sie sind immer so schnell, Herr Duve. So schnell, wie Sie sind, komme ich gar nicht mit.
Zweitens. Bei der Betrachtung aller Zeitphasen seit 1945/49 wurde deutlich — das war auch für mich in dieser Deutlichkeit neu —, wie sehr die internationalen politischen Weichenstellungen die Deutschlandpolitik aller Bundesregierungen beeinflußt und bestimmt haben. Die Spannung, ja, das Dilemma bestand für deutsche Regierungen immer wieder darin, das deutsche Ziel der Einheit mit den wachsenden Entspannungs- und Kooperationsinteressen der Weltmächte und ihrer Blöcke in Einklang zu bringen. Dabei mußte die deutsche Frage mehr als einmal weit in den Hintergrund internationaler Politik treten.
In den 60er Jahren wuchs bei allen politischen Kräften in der Bundesrepublik mehr oder weniger die Erkenntnis, daß die unverzichtbare und weiterhin grundlegende Westbindung durch Schritte der Öffnung und Entspannung nach Osten und eines vereinbarten Modus vivendi in Deutschland und in Europa ergänzt werden müsse. Schon Adenauer und später Außenminister Schröder machten erste tastende Schritte in diese Richtung. Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt hat diese politische Zielkon-



Dr. Dorothee Wilms
zeption in der Kommission in das Bild von der „Westbindung als Standbein und der Ostpolitik als Spielbein" deutscher Außenpolitik gefaßt.

(Beifall bei der SPD)

Wissenschaftler und Zeitzeugen stellten in der Kommission die These auf, daß in der Großen Koalition unter Bundeskanzler Kiesinger die Deutschlandpolitik schon konzipiert gewesen sei, die erst in der SPD/F.D.P.-Koalition ab 1969 Realität werden konnte, weil SPD und F.D.P. seit längerem zu größerem Entgegenkommen an die DDR und die Sowjetunion bereit waren als die Unionsparteien.
So ging, meine Damen und Herren, die Diskussion Anfang der 70er Jahre um die Öffnung nach Osten und um die vertraglichen Grundlagen dazu weniger um das Ob der Verträge als vielmehr um das Wie. Rainer Barzel sagte damals hier im Deutschen Bundestag zu den Verträgen — er wiederholte es bei unserer Anhörung —: „So nicht! "
Ich meine, es erweist sich auch rückblickend als richtig, daß die Unionsparteien in der Opposition immer wieder auf eine Klarstellung gedrungen hatten, und die hieß: Die Ostverträge und der Grundlagenvertrag sind keine Teilungsverträge und dürfen nicht als Erledigung der deutschen Frage interpretiert werden.

(Beifall bei der CDU/CSU — Freimut Duve [SPD]: Das hat Egon Bahr klargestellt!)

Das Bundesverfassungsgericht, das die Unionsparteien bzw. das Land Bayern angerufen haben, hat diese Auffassung verfassungsrechtlich noch einmal bestätigt.
Ich meine — das haben mich auch die Anhörungen gelehrt —, daß der Einfluß der CDU/CSU-Opposition auf die Gestaltung der Ostverträge und den Grundlagenvertrag gerade durch ihr kritisches Hinterfragen von der Geschichtsschreibung bis heute noch nicht genügend gewürdigt wird.

(Dr. Hartmut Soell [SPD]: Das Gute kommt immer von der CDU! — Freimut Duve [SPD]: Das ist natürlich auch die Rolle der Opposition!)

Meine Damen und Herren, eine der beliebtesten Thesen der SPD während der Kommissionsberatungen war, daß die Regierung Kohl ab 1982 lediglich die Deutschlandpolitik der SPD-geführten Regierungen fortgeführt habe.

(Freimut Duve [SPD]: Das hat sie gemacht, und das war gut so!)

Ich denke, man will wohl die klaren politischen Akzentunterschiede zwischen diesen beiden Epochen nicht wahrhaben,

(Freimut Duve [SPD]: Darüber können Herr Jenninger und Herr Schäuble genau Auskunft geben!)

weil sie deutlich machen könnten, wie weit sich große Teile der SPD, u. a. auch der Enkelgeneration — Lafontaine und andere —, vom Gedanken an die Einheit Deutschlands schon verabschiedet hatten, wie es der
Gutachter Dr. Potthoff, der SPD nahestehend, bestens formuliert hat.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Die Regierungen Kohl/Genscher haben die Vertragspolitik mit der DDR nicht einfach fortgeführt, sondern nach einer Phase der Stagnation Anfang der 80er Jahre erheblich intensiviert, um die Folgen der Teilung Deutschlands für die Menschen erträglicher zu machen und das Bewußtsein von der nationalen Zusammengehörigkeit zu stärken. Dabei wurden die normative Distanz zum SED -Regime hervorgehoben und Konzessionen an das SED-Regime in grundsätzlichen Fragen abgelehnt.

(Freimut Duve [SPD]: Siehe Strauß!)

Während von der Bundesregierung mit der DDR-Regierung die Verhandlungen über den Ausbau der innerdeutschen Beziehungen stattfanden, führten SPD-Politiker und SED-Politiker sozusagen von gleich zu gleich Gespräche auf Parteiebene über die politische Streitkultur, und sie verfaßten Papiere über die gegenseitige Respektierung ihrer Parteien, obwohl die SED jeder demokratischen Legitimation entbehrte.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. — Freimut Duve [SPD]: Das war wenigstens öffentlich, und Schalck und Strauß waren nicht öffentlich! 400 Gesprächskontakte!)

Ich denke, Herr Duve, auch Ihr Dazwischenquatschen kann diese historischen Tatsachen nicht vom Tisch wischen.
Bundeskanzler Kohl und seine Minister haben im In- und Ausland immer wieder das Ziel der Einheit Deutschlands mit Nachdruck betont. So habe ich es auch in meiner von der SPD dankenswerterweise immer wieder hochgezogenen Pariser Rede von 1988 getan.
Die SPD bezeichnete in der Enquete-Kommission diese Betonung der deutschen Einheit durch die Regierung als bloße Rhetorik, die ohne jedwede operative Handlungskonsequenz geblieben sei. Dazu möchte ich doch feststellen, meine Damen und Herren: Politik und gerade Politik in einer Demokratie lebt auch von Worten und Begriffen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wer nicht mehr von der Einheit sprach, der durfte sich nicht wundern, wenn in der Öffentlichkeit auch das Bewußtsein von der Einheit schwand.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Wolfgang Lüder [F.D.P.])

Genau das werfen wir der SPD-Politik in den 70er Jahren vor, und genau darum haben wir die Einheit Deutschlands als Grundgesetzauftrag so hervorgehoben.
Bis 1989 erlaubten die innerdeutschen und die internationalen Rahmenbedingungen keine operative Wiedervereinigungspolitik. Aber die Bundesregierung Kohl hat durch die Durchsetzung des NATO-Doppelbeschlusses, an der Bundeskanzler Schmidt ja



Dr. Dorothee Wilms
gescheitert war, und durch die Weiterentwicklung der europäischen Integration Grundlagen für eine positive Entwicklung der internationalen Rahmenbedingungen geschaffen, was sich dann 1989/90 günstig auswirkte, weil wir nunmehr die Unterstützung des westlichen Bündnisses hatten.

(Beifall bei der CDU/CSU — Freimut Duve [SPD]: Das sind die vielen Väter des Erfolges!)

Im übrigen hat die Bundesregierung immer wieder gegenüber der DDR, auch während des HoneckerBesuches und im Rahmen der KSZE, die Menschenrechtsverletzungen in der DDR mit Nachdruck thematisiert.
Als sich dann die ersten Gelegenheiten boten, hat die Bundesregierung operativ gehandelt. Anfang November 1989 ließ Bundeskanzler Kohl den neuen Staatsratsvorsitzenden Krenz wissen — SED-Akten belegen das vorzüglich —, jede wirtschaftliche Hilfe durch die Bundesrepublik setze die Anerkennung der Opposition und baldige freie Wahlen in der DDR voraus. Mit anderen Worten: Kohl forderte gegenüber Krenz Freiheit für die Menschen in der DDR. In seinem Zehn-Punkte-Programm vom 28. November '89 stellte er die Weichen in Richtung auf Wiedervereinigung.
Dies alles geschah in einer Zeit, in der führende Sozialdemokraten von einer Vereinigung noch nichts wissen wollten und sie sogar als abwegig hinstellten. Es ließen sich vielfältige Zitate von Herrn Momper, Herrn Bahr, Herrn Lafontaine dafür anführen.

(Markus Meckel [SPD]: Auch von anderen Parteien noch!)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend, Herr Präsident, wenn Sie erlauben, noch ein Thema anschneiden, das mir besonders am Herzen liegt. Unsere letzte Anhörung in Berlin beschäftigte sich mit einem Vergleich der beiden Diktaturen in Deutschland in diesem Jahrhundert, der NS-Diktatur und der SED-Diktatur. Aus dieser Anhörung bleibt als entscheidendes Ergebnis der allgemeine Konsens über drei Feststellungen:
Erstens. Auch das SED-Regime war eine Diktatur, da es die individuellen Menschenrechte unterdrückt und das Kollektiv höher als den Menschen gestellt hat.
Die marxistisch-lenistische Ideologie in der Ausformung des realen Sozialismus erhob ihren Ausschließlichkeitsanspruch gegenüber jeder anderen Idee und übte totale Herrschaft über die Menschen aus. Die SED-Diktatur hat viele Opfer auf dem Gewissen und zu verantworten. Ich sage hier nur die Stichworte Bautzen oder Hoheneck, oder wie die Haftanstalten alle heißen.
Aber und dennoch: NS-Diktatur und SED-Diktatur gleichen sich zwar in vielen Strukturen, aber sie sind nicht gleichzusetzen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Freimut Duve [SPD])

Wir stehen nach wie vor fassungslos vor der Schrecklichkeit und Unmenschlichkeit des aus dem
Rassenwahn des NS-Regimes erwachsenen organisierten Massenmordes.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der F.D.P. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lassen Sie sich abschließend hervorheben: Wenn die demokratisch-politische Kultur in Deutschland auch weiterhin gefestigt bleiben soll, brauchen wir den von der Gesellschaft getragenen antitotalitären Konsens.

(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD)

Es ist unsere Verpflichtung, die Lehren aus gemeinsamer deutscher Vergangenheit zu ziehen, aus Schuld und Verstrickung, aus Opfermut und Widerstand, aus menschlicher Schwäche und Uneinsichtigkeit. Das ist eine bleibende Aufgabe von Politik und Erziehung, von Elternhaus, Schule und politischer Bildung.
Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1223404600
Meine Damen und Herren, auf der Ehrentribühne haben der Vorsitzende der Staatsduma der Russischen Föderation, Herr Iwan Petrowitsch Rybkin, und seine Delegation Platz genommen.

(Beifall)

Es ist mir eine große Ehre, Sie im Namen des ganzen Hauses hier begrüßen zu dürfen.
Herr Vorsitzender, Sie hatten bereits gestern in Bonn Gelegenheit zu wichtigen Gesprächen, u. a. mit dem Herrn Bundespräsidenten, der Präsidentin des Deutschen Bundestages und dem Herrn Bundeskanzler. Diesen begonnenen intensiven Gedankenaustausch werden Sie heute noch mit Kolleginnen und Kollegen hier im Hause des Deutschen Bundestages und morgen in Berlin fortsetzen.
Wir hoffen sehr, daß Ihr Besuch in Deutschland Ihnen nützliche Eindrücke und vertiefte Kontakte vermittelt, damit auch von parlamentarischer Ebene wichtige Impulse für eine wachsende Zusammenarbeit unserer beiden Staaten ausgehen.
Ich wünsche Ihnen also weiterhin einen fruchtbaren Aufenthalt in Deutschland und viel Erfolg bei Ihrer schweren parlamentarischen Arbeit zu Hause.

(Beifall)

Zu einer Kurzintervention erteile ich nunmehr dem Abgeordneten Thierse das Wort.

Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1223404700
Frau Wilms, meine Lust ist nicht sehr groß, mich an deutschlandpolitischer Rechthaberei, bezogen auf die letzten 20 Jahre, zu beteiligen.

(Dr. Dorothee Wilms [CDU/CSU]: Dann lassen Sie es doch!)




Wolfgang Thierse
Aber ich würde Sie doch bitten, eine Erfahrung von mir zur Kenntnis zu nehmen.

(Gerhard Reddemann [CDU/CSU]: Warum wollen Sie denn rechthaberisch auftreten?)

— Na, warten Sie doch erst einmal.

(Gerhard Reddemann [CDU/CSU]: Sie haben es doch schon angekündigt!)

Diese Erfahrung heißt, daß seit 1961, seit dem Mauerbau, der ja wohl der Sieg von niemandes Politik war, sondern eine Niederlage von Politik, uns Ostdeutschen — jedenfalls ist das meine Erinnerung — nicht so sehr Rhetorik, die ich nicht unterschätze, und das Gerede von Wiedervereinigung geholfen haben.

(Dr. Dorothee Wilms [CDU/CSU]: Das Gerede von Wiedervereinigung? — Dr. Hartmut Soell [SPD]: Er meint das „bloße" Gerede, ohne Tun!)

— Entschuldigen Sie, nehmen Sie es doch einmal so hin: das bloße Reden von Wiedervereinigung —, sondern die konkrete Politik, jene Politik der kleinen Schritte der Entspannung, der Öffnung, die mühselig genug die Mauer ein wenig öffnete, die Lebensbedingungen im Osten erleichterte.

(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Wer war es denn, verdammt noch mal?)

Diese Politik ist mit ein paar Namen verbunden. Das sind Willy Brandt und Walter Scheel und andere auch. In die ist die CDU dann auch einbezogen gewesen. Ich habe sie als Ostdeutscher — diese konkrete Politik, die uns geholfen hat — immer für wichtiger gehalten als Rhetorik, als das Festhalten an alten Formeln, so wenig ich dies unterschätzen will. Aber das andere war für uns am Schluß entscheidend, weil es unser Leben mehr verändert hat als das Festhalten an Formeln, die in den 50er und 60er Jahren entstanden waren.

(Beifall bei der SPD — Gerhard Reddemann [CDU/CSU]: Ich empfehle Ihnen einmal, einige Debatten aus dem Bundestag nachzulesen!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1223404800
Zu einer weiteren Kurzintervention auf die Rede der Abgeordneten Frau Dr. Dorothee Wilms hat sich der Abgeordnete Dirk Hansen gemeldet. Ich erteile ihm das Wort.

Dirk Hansen (FDP):
Rede ID: ID1223404900
Ich wende mich nicht an den Abgeordneten Thierse, sondern an die Kollegin Frau Dr. Wilms. Worte wie „Jetzt muß zusammenwachsen, was zusammengehört", die ich nicht als „Gerede" abqualifizieren möchte,

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

sind — so vermute ich — auch nach Ihrer Auffassung etwas, was mit geistiger Führung zu tun hat.

(Freimut Duve [SPD]: Bei Brandt waren die Taten vorher!)

Insofern sind Worte und Begriffe — ganz egal, aus wessen Munde — natürlich ein Teil von dem, was konkrete, operative Politik erst möglich macht. Die berühmten kleinen Schritte können erst getan werden, wenn sich etwas auch in den Köpfen stabilisiert hat.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1223405000
Zu einer weiteren Kurzintervention zur gleichen Rede erteile ich dem Abgeordneten Dr. Jork das Wort.

Dr.-Ing. Rainer Jork (CDU):
Rede ID: ID1223405100
Ich möchte mich als jemand, der in der DDR aufgewachsen ist und dessen Brüder bereits vor der Mauer in die Bundesrepublik gegangen sind, an Frau Dr. Wilms wenden und sagen, daß ich sehr dankbar dafür bin und daß es für mich eine Frage des persönlichen Werteverständnisses und des Werteverständnisses unserer Partei sowie der Bundesregierung ist, die Einigung als Wiedervereinigung zu sehen und die ganze Zeit dafür — soweit das möglich war — energisch eingetreten zu sein. Ich danke dafür.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1223405200
Zu einer weiteren Kurzintervention zum gleichen Redebeitrag erteile ich dem Abgeordneten Udo Haschke das Wort.

Udo Haschke (CDU):
Rede ID: ID1223405300
Herr Präsident, ich muß tatsächlich etwas zum Beitrag der Kollegin Wilms hinzufügen, weil wir heute den 17. Juni haben und Unwahrheit hier nicht im Raum stehenbleiben darf. Es müssen auch manche Wahrheiten hinzugefügt werden.
Ich habe hier ein Exemplar des „Wiener" vom Januar 1990, also aus der Zeit, als die Mauer schon gefallen war, als Hoffnung aufkam, als der Ruf kam: „Wir sind ein Volk", aber als Modrow noch regierte:
Die Aktion! 124 Politiker und Prominente aus der BRD fordern die Anerkennung der DDR: Ohne wenn und aber!
Ich möchte nicht die ganze Liste vorlesen, es würde uns wahrscheinlich langweilen. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß, wenn von Abgeordneten aus einem Landtag oder dem Bundestag gesprochen wird, hinter dem Namen immer steht: „SPD" oder „DIE GRÜNEN". Einige möchte ich schon nennen, weil es heute noch unsere Kollegen sind: Peter Büchner, Michael Müller, Eckart Kuhlwein und Hans Koschnick — der hat jetzt zwar andere Aufgaben, aber auch der gehört dazu. Dies gehört zur Wahrheit: „Wir fordern die Anerkennung der DDR als eigenen souveränen Staat. " — „Ohne wenn und aber! "

(Dr.-Ing. Rainer Jork [CDU/CSU]: Zu dem Zeitpunkt!)

— Januar 1990.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1223405400
Ich erteile nunmehr zu einer Kurzintervention dem Abgeordneten Markus Meckel das Wort mit der Bitte, mich nicht in die Verlegenheit zu bringen, die Geschäftsordnung falsch interpretiert zu haben.

(Heiterkeit)





Markus Meckel (SPD):
Rede ID: ID1223405500
Frau Wilms, gehe ich recht in der Annahme — —

(Freimut Duve [SPD]: Das ist keine Fragestunde!)

— Ich gehe wohl recht in der Annahme, daß auch Sie sich gefreut hätten, wenn manche derer, die jetzt das Wort ergriffen haben, schon vor zehn Jahren in dieser Weise und öffentlich mit der Partei, der sie angehörten, die Position vertreten hätten, die sie jetzt vertreten haben.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das haben wir doch!)

Manche gehörten nun einmal der CDU-Ost an. Ich bitte Sie, nachzulesen, welche Position in dieser Zeit von der CDU-Ost zu diesen Fragen vertreten wurde. Das war nicht unterscheidbar von der der SED.

(Beifall bei der SPD)

Zum zweiten möchte ich darauf hinweisen, daß es bei allen Dissonanzen, die es z. B. bei mir gegenüber den von Herrn Haschke genannten Positionen gab, im Jahre 1990 ganz klar war, daß die DDR auf dem Weg zur Demokratie war und daß dies das zentrale Thema unabhängig von der Frage der Einheit sein mußte. Zumindest hierüber sollten wir uns einig sein, wenngleich auch ich damals zu denjenigen gehörte, die — wenn auch über einen längeren Zeitraum — die Einheit anstrebten.
Vielen Dank.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1223405600
Wenn Frau Dr. Wilms nicht von der Möglichkeit der Beantwortung Gebrauch macht — das tut sie nicht —, erteile ich nunmehr dem Abgeordneten Gert Weisskirchen das Wort.

Gert Weisskirchen (SPD):
Rede ID: ID1223405700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Einer kommt zurück in sein Land. Es ist lange her, daß er es verlassen mußte; seither hat es sich verändert. Als er ging, war es eine Diktatur. Jetzt hat es einen neuen Weg beschritten, schon 1985. In den Augen seiner Landsleute erkennt er Angst: In welche Zukunft werden sie gehen? Er sieht die unendliche Weite der Landschaften; die Türme der Kirchen bewachen die Dörfer und Städte. Sie scheinen die Zeit festzuhalten. Wer wird Rußland begleiten? Noch ist die Demokratie zerbrechlich. Sie wird es lange bleiben.
Alexander Solschenizyn sagte 1970, als ihm der Nobel-Preis verliehen wurde: „Gewalt kann nur durch Lüge verschwiegen und Lüge nur durch Gewalt beibehalten werden." Prophetisch fügte er hinzu: „Ist die Lüge erst einmal zerstreut, wird die Nacktheit der Gewalt in ihrer ganzen Widerwärtigkeit enthüllt. Und dann wird die Gewalt, hinfällig geworden, in sich zusammenstürzen. "
Damit war der Ton angeschlagen. Die Dissidenz im europäischen Osten hatte hier ihre Grundmelodie gefunden. Sie spielte sie den Diktaturen vor, bis ihre Mauern einfielen. Václav Havel und György Konrád, Lech Walęsa und Ana Blandiana und auch Robert Havemann schrieben ihre Partituren dazu, sie folgten ihrem eigenen Sinn. Vielstimmig wurden sie innerhalb der nationalen Kulturen aufgenommen und
transnational verstärkt. Kulturelle Strömungen des Samisdat debattierten, verstoßen und verfolgt von der ineinander verknoteten Nomenklatur des bürokratischen Kommunismus, die Zukunft Europas und den Beitrag der erwachenden zivilen Bürgergesellschaften für das Zusammenwachsen des Kontinents. Die universalen Rechte des Menschen wurden neu entdeckt und dem Machtinteresse der Diktatur entgegengestellt.
„Nichts kommt von selbst, und nur wenig ist von Dauer", war das letzte öffentliche Wort von Willy Brandt. Václav Havel wagte seinen „Versuch, in der Wahrheit zu leben". Die Sehnsucht nach Freiheit läßt die Menschen nicht los. Sie zerbricht alle Mauern. Wahres Leben — das zeigen uns die Menschen, die in der DDR gelebt haben — kann es im falschen geben, wer sich auf seine Kraft besinnt. Das haben sie gezeigt: Jürgen Fuchs und Jan Jòzef Lipski.
Ohne Freiheit keine Solidarität — Niema wolności, bez solidarności —, hieß es bei Solidarność. Hier, in Polen, begann der lange Weg zur friedlichen Revolution. Von unten, aus der Gesellschaft, waren Arbeiter aufgebrochen, aus Ursus und Gdansk; die Jungen aus der Generation von 1968, Adam Michnik, und die Intellektuellen, Tadeusz Mazowiecki und Bronislaw Geremek, setzten in Gang. Nichts konnte sie mehr aufhalten — kein Gefängnis, keine Gewalt. Ihr Mut ließ die in Moskau gipfelnden Machthierarchien taumeln. Alles kam wieder zurück: Es sprang über nach Prag — Charta 77 —, von dort nach Budapest in die Gruppe Dialog, weiter in die Ukraine, Ruch, von dort wieder zurück nach Moskau, zu Memorial.
Ich freue mich, daß es Kollegen aus dem Deutschen Bundestag gab und gibt, die zu diesen Gruppen ihre persönlichen Kontakte aufrechterhielten.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Rainer Eppelmann [CDU/CSU])

Es waren Petra Kelly, Freimut Duve und Stefan Schwarz. Herr Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion, Wolfgang Schäuble, es war Freimut Duve, dem Sie vorhin in einem Zwischenruf den Mund verbieten wollten.

(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU): Das ist

doch Quatsch!)
So wuchs von innen der Wille heran, die Trennungen des Kontinents zu überwinden. Sie waren das Ergebnis des Krieges, mit dem Hitler die Welt überfallen hatte. Die Mehrheit der Deutschen hatte Hitler unterstützt, seine nationalsozialistische Diktatur zu errichten. Auch die sowjetischen Panzer hatten sie beendet. Sie mußten dafür bis in den Westen der CSSR rollen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1223405800
Herr Abgeordneter Weisskirchen, der Abgeordnete Schäuble möchte Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen.

Gert Weisskirchen (SPD):
Rede ID: ID1223405900
Bitte schön.

Dr. Wolfgang Schäuble (CDU):
Rede ID: ID1223406000
Herr Kollege Weisskirchen, würden Sie so liebenswürdig sein, zur Kenntnis zu nehmen, daß der Kollege Duve mehr als jeder andere Kollege im Saal die Redner der CDU/



Dr. Wolfgang Schäuble
CSU-Fraktion, weil er näher am Pult als jeder andere sitzt, in einer Weise stört, daß es für die meisten schwer ist zu reden und daß ich ihn deswegen aufgefordert habe —

(Freimut Duve [SPD]: Das stimmt aber nicht! — Dr. Hartmut Soell [SPD]: Er hat eben eine tiefe Stimme!)

— Ja, Sie haben auch eine besonders sonore Stimme, und Sie sitzen näher am Rednerpult als jeder andere. Jeder Kollege meiner Fraktion ist in einer Weise durch Ihre Art, sie beim Reden zu stören, gestört, so daß ich deswegen diesen Zwischenruf gemacht habe. Das wollte ich hiermit zur Kenntnis geben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Gert Weisskirchen (SPD):
Rede ID: ID1223406100
Ich habe das so verstanden, aber solche Störenfriede brauchen wir manchmal.

(Joachim Hörster [CDU/CSU]: In Ihrer Partei auch!)

40 Jahre danach, nach der Diktatur, die die sowjetischen Panzer von Osten aus mit zerstören halfen, nahm Michail Gorbatschow seine Armeen zurück.
Von Deutschland ging Frieden aus, endlich. Bleibt es eingebunden in die Gemeinschaft der Europäer, dann wird es niemanden mehr bedrohen. Soweit von Deutschland Frieden ausgeht, verliert Europa die Angst vor ihm. Dieser Gedanke leitete die Politik der Entspannung ein. Noch standen die Militärblöcke hochaufgerüstet gegeneinander. Mit dem Wandel durch Annäherung, zusammengefaßt in der Schlußakte von Helsinki, konnte Neues beginnen.
Die Staaten des Warschauer Pakts wurden vom Westen anerkannt, ihre Stabilität durch gouvernementales Handeln gefördert. Ja, das ist wahr. Die Nomenklatur der kommunistischen Diktatur fühlte sich in ihrer Macht sicher. Auch das ist wahr. Ihre Selbstmilitarisierung hatte sie blind gemacht.
So glaubte sie, den Preis für die Entspannungspolitik bezahlen zu können — sie mußte die Menschenrechte anerkennen. Das war die große Leistung der Entspannungspolitik, in Helsinki begründet.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der F.D.P. und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN )

Keine Diktatur konnte der Frage nach der Legitimität mehr ausweichen; keine Diktatur kann ihr ausweichen. Sie trifft den innersten Kern der Diktatur. Finden Menschen den Mut, sich gegen Unrecht aufzulehnen, für Demokratie und Menschenrechte einzutreten, dann ist jede Diktatur verloren.
Das ist die Lehre, die wir aus der Vergangenheit ziehen, und ich hoffe sehr, daß diese Lehre uns allen gemeinsam deutlich macht: Wir müssen jeder Diktatur widerstehen, wir müssen immer für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte kämpfen.

(Beifall bei der SPD, der F.D.P. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1223406200
Ich erteile nunmehr der Abgeordneten Frau Maria Michalk das Wort.

Maria Michalk (CDU):
Rede ID: ID1223406300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich heute in dieser Debatte zunächst ganz einfach sagen, welche Erfahrungen ich persönlich bei der Aufarbeitung der Geschichte, also der SED-Diktatur in der DDR, gemacht habe.
Mir hat die Arbeit in der Enquete-Kommission geholfen zu verstehen, warum auf der einen Seite in der DDR ein normales, glückliches Privatleben durchaus möglich war und es auf der anderen Seite politische Unterdrückung, Unrecht, Mißwirtschaft und Ausbeutung der Menschen gab, was zum Zusammenbruch des kommunistischen Systems führen mußte.
Die Ausführungen von Herrn Keller haben erneut gezeigt und bestätigt: Wer nicht mit dem SED-Regime kollidierte, wer die Augen vor den Bedrängnissen der Nachbarn verschloß, wer die Freiheit nicht vermißte und vielleicht sogar Privilegien hatte, wird ungern daran erinnert werden wollen, in einem Unrechtsstaat gelebt zu haben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich habe immer wieder deutlich gespürt, daß es eben nicht einfach ist, die tatsächliche persönlich erlebte Welt in der DDR in den Gesamtzusammenhang zu bringen und sich dann am Ende in diesem Bild auch noch wiederzufinden. Es ist deshalb vielleicht auch kein Wunder, wenn zunehmend mehr Menschen bei der Aufarbeitung resignieren und sich eben den Zukunftsaufgaben widmen.
Aber ich sage: Darin liegt eine große Gefahr, wie wir — was heute hier schon mehrmals zum Ausdruck gekommen ist — bei den Kommunalwahlen in den neuen Bundesländern feststellen mußten. Wenn wir nämlich vergessen, was in der DDR einmal war, ermutigen wir nur jene Kräfte, die einst herrschten und sich jetzt unter anderem Namen den Bürgern zur demokratischen Wahl stellen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — Dr. Dagmar Enkelmann [PDS/Linke Liste]: Das ist zu einfach, viel zu einfach!)

Mir ist keiner begegnet, der sich ernsthaft das alte System zurückwünscht — auch nicht unter anderem Deckmantel —, der die gerade errungene Freiheit wieder mit dem Leben eines Untertanen eintauschen möchte.

(Dr. Dagmar Enkelmann [PDS/Linke Liste]: Genau das will die PDS auch nicht!)

Ich persönlich halte es für unerläßlich, das Wissen, das durch die Arbeit in der Enquete-Kommission gesammelt wurde, weiterzuverbreiten, die Bevölkerung eben mehr über das 40jährige unheilvolle Tun der SED als der führenden und alles bestimmenden Herrschaftsclique zu informieren; denn Wissen ist



Maria Michalk
Macht und nicht angeblicher wissenschaftlicher Sozialismus.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — Dr. Dagmar Enkelmann [PDS/Linke Liste]: Sie müssen es ja wissen!)

Die Opfer der SED-Diktatur, die als Zeitzeugen in unserer Kommission aufgetreten sind, haben gewürdigt, daß die Bundesregierung die materielle Unterstützung für die DDR von der Einhaltung der Menschenrechte und von demokratischen Reformen abhängig gemacht hat. Sehr oft haben sie aber auch bemängelt, daß zuwenig über die Opfer bekannt sei. Das ist auch wirklich so.
Ich bin z. B. jahrelang jeden Tag, wenn ich zur Arbeit fuhr, am Bautzener Strafvollzug vorbeigefahren, ohne wirklich zu ahnen, was hinter diesen dicken Mauern geschieht. Die Tatsache, daß es in Bautzen zwei Gefängnisse gab — nämlich das heute schon erwähnte „gelbe Elend" und das dem MfS direkt unterstellte Bautzen II —, wurde vom Regime gegenüber der Öffentlichkeit verschleiert.
„Wieso?" werden Sie fragen. Kriminelle Strafgefangene wurden mit Gefangenenautos in die umliegenden Betriebe zur Arbeit gefahren, so daß es ein ganz normales Bild für die Bevölkerung in dieser Region war, täglich Gefangenenautos zu sehen. Daß in den gleichen Autos politische Häftlinge nach Bautzen gebracht wurden, bedurfte damit nicht einmal einer besonderen Tarnung, die allerdings auch geschehen ist. Die Tatsache, daß wirklich Kriminelle und politische Häftlinge zusammen einsaßen, war den meisten ebenso unbekannt wie die Praxis der Justiz, geringfügige Delikte als Grundlage für politische Urteile mit Höchststrafen zu nutzen.
Die Opfer selbst konnten, falls sie wieder freikamen, darüber nicht sprechen, aus Schutz für sich und ihre Familien oder weil sie sich natürlich sowieso schriftlich zum Schweigen verpflichten mußten.
Ich habe während der Arbeit auch den deutlichen Unterschied zwischen ehemaligen politischen Häftlingen, die in die Bundesrepublik freigekauft wurden, und denen, die nach der Haft in der DDR bei ihren Familien geblieben sind, gespürt. Letztere waren unheimlich eingeschüchtert, wollten nur ihr nacktes Leben danach retten, hatten kein Sprachrohr vielleicht in Form von Verbänden und mußten sehr oft am Rande des Existenzminimums von gering bezahlter Arbeit leben.
Es hat in meinen Augen viel zu lange gedauert, bis sich diese Opfer 1989/90, auch erst 1991, zu Wort gemeldet haben.
Viel eher wußte ich damals als Bürgerin der DDR von jenen Opfern, die schon viele Jahre in der Bundesrepublik lebten. Es war nicht einfach — das will ich hier ausdrücklich sagen —, sich zur Fürsprecherin besonders der Opfer zu machen, die weiterhin in der DDR gelebt haben, freiwillig oder weil sie mußten.
Überhaupt hat die Arbeit in der Enquete-Kommission gezeigt, daß 40 Jahre SED-Herrschaft nur überwunden werden können, wenn alle Menschen mitmachen. Hier gibt es einen riesigen Nachholbedarf.
Es gab Themen, die wir in der Enquete-Kommission bearbeitet haben — wie z. B. die Fragen der sozialistischen Erziehung und deren Auswirkungen heute —, die bei weitem nicht die Resonanz, die öffentliche Aufmerksamkeit fanden, die ich persönlich erwartet hatte, und andere Themen, so das Thema „Das Weiterwirken der Seilschaften", zu Recht ein brisantes Thema.
Warum ist das so? Das erste ist eigentlich gar nicht faßbar, nicht sichtbar. Es wirkt aber heute in vielfältiger Form weiter. Wir werden noch sehr viel damit zu tun haben, weil uns genau dieses Thema auch in Zukunft sehr zu schaffen machen wird.
Das zweite Thema ist einfacher zu handhaben und bringt die Menschen „auf die Palme", weil sie eben beim Besuch im Arbeitsamt z. B. dem Mitarbeiter gegenübersitzen, der ihnen noch vor wenigen Jahren die Reise in die Bundesrepublik verweigert hat, die sie vielleicht wegen der Krankheit eines Angehörigen machen wollten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Es ist für viele nicht faßbar, und es ist wie eine lähmende Wut in der Bevölkerung in den neuen Bundesländern vorhanden, daß sie gegen die ehemaligen Verantwortlichen, die nicht einmal die Scham der politischen Zurückhaltung kennen, persönlich nichts machen können. Dann erwarten wir heute, daß die Masse der Bevölkerung den Rechtsstaat, den sie ja wirklich aus tiefstem Herzen wollte, auch annimmt und versteht.
Wo liegt denn da „der Hase im Pfeffer"? Das Dilemma ist nicht der Rechtsstaat — ganz im Gegenteil, er ist durch nichts zu ersetzen —, sondern es sind meines Erachtens tatsächlich versäumte Regelungen, auch während der Zeit der letzten Volkskammer. Ich sage gleich dazu: Sie hat enorme Arbeit geleistet — sie wird sicherlich von den Wissenschaftlern, von den Historikern aufgearbeitet werden —, die nicht dem Bild entspricht, das die Volkskammer 1990 in der Bevölkerung hatte.
Warum wird aber heute nicht deutlicher gesagt, daß führende Politiker von heute 1990 selber in der Volkskammer verzapft haben, was sie jetzt kritisieren? Frau Ministerin Hildebrandt war 1990 Arbeitsministerin. Unter ihrer Regie wurden in den Arbeitsämtern die Strukturen geschaffen, gegen die wir nun nach rechtsstaatlichen Grundsätzen nur sehr schwer Korrekturen durchsetzen können.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Warum hat sie denn als Arbeitsministerin den alten SED-Genossen Arbeitsverträge gegeben und das Verhältnis bestätigt?

(Hans-Joachim Hacker [SPD]: Das ist doch lächerlich!)

— Das ist Tatsache, das ist Wahrheit. Sich dann öffentlich zu wundern, daß diese Direktoren natürlich ihre entlassene Klientel aus den Räten der Bezirke und Kreise in diese Ämter geholt haben, die nun nicht mehr herausklagbar sind, ist blanke Verdummung der Bevölkerung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Dr. Hartmut Soell [SPD]: Seit 1972 sind Sie in der Partei gewesen, die das mitgemacht hat!)




Maria Michalk
Die Arbeit in der Enquete-Kommission hat mir verdeutlicht, daß die ehrliche — —

(Abg. Siegfried Scheffler [SPD] und Abg. Hans-Joachim Hacker [SPD] melden sich zu einer Zwischenfrage)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1223406400
Frau Kollegin, sind Sie bereit, Zwischenfragen zu beantworten?

Maria Michalk (CDU):
Rede ID: ID1223406500
Mit Rücksicht auf die fortgeschrittene Zeit und die Debatte, die heute noch kommt, möchte ich meine letzten zwei Sätze sprechen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1223406600
Das ist Ihr gutes Recht.

(Widerspruch bei der SPD — Dr. Hartmut Soell [SPD]: Das ist aber schwach!)


Maria Michalk (CDU):
Rede ID: ID1223406700
Das können wir individuell nachher tun.
Die Arbeit in der Enquete-Kommission hat mir jedenfalls verdeutlicht, daß das ehrliche Erinnern in Ost und West keine Sache von drei Jahren sein kann und keine Sache nur von Politikern und Wissenschaftlern ist. Nur wenn alle Bürger ehrliche intensive Aufarbeitungsarbeit ganz persönlich leisten werden, kann die innere Einheit wirklich gelingen.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1223406800
Ich erteile nunmehr der Abgeordneten Margot von Renesse das Wort.

Margot von Renesse (SPD):
Rede ID: ID1223406900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wäre natürlich sehr reizvoll, nun auf diese Rede mit Zitaten anderer zu antworten

(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Wenn man sie hätte!)

und das Behaken und wechselseitige Vorrechnen fortzuführen.

(Dr. Rudolf Karl Krause [Bonese] [fraktionslos]: Das wäre unter Ihrem Niveau!)

— In der Tat, und „unter Ihrem Niveau" betrachte ich jetzt als das Niveau der SPD-Bundestagsfraktion insgesamt. Wir werden uns daran nicht in dieser Form beteiligen, obgleich die Zitatensammlungen, die auch wir uns zu Gemüte geführt haben — auch einiges von unserem Vorsitzenden, insbesondere was die ehemalige SED und ihre Wirkung in der damaligen DDR um den November 1989 angeht —, dazu vorhanden wären. Du liebe Güte, lassen wir das doch, und gehen wir in die Zukunft.
Was die Deutschlandpolitik — die uns auch immer vorgehalten wird — und unsere Rolle darin angeht, so möchte ich auf eines hinweisen, was in der Öffentlichkeit immer falsch kolportiert wird und woran mir liegt:
Wir haben niemals verweigert, nicht einen Augenblick — was einige von Ihnen immer behaupten —, über die Politik der SED gegenüber der SPD bzw. der SPD gegenüber der SED einschließlich des Streitpapiers öffentlich zu diskutieren. Als es einen neuen Ton in der Debatte gab, an jenem berühmten schwarzen Freitag am Nachmittag, hatte bereits der Vormittag dazu geführt, daß die Papiere, die diesen Komplex betreffen, im Körbchen gesammelt waren; für die Diskussion heute. Von niemandem in der SPD wurde diese Diskussion verweigert. Das möchte ich hier öffentlich feststellen, damit das nicht immer behauptet wird, weil es einfach die Unwahrheit ist.

(Beifall bei der SPD)

Aber, meine Damen und Herren, ich habe ja etwas viel Schöneres zu leisten, ich habe ja etwas über ein Themenfeld zu erzählen, in dem es kein Minderheitenvotum gibt; denn das gab es auch. Der Bericht zum Themenfeld Recht ist zu meiner Freude zwischen SPD, Koalition und GRÜNEN einvernehmlich verabschiedet worden. Mein Dank dafür gilt allen, die daran mitgearbeitet haben, insbesondere auch dem Einberufer der Arbeitsgruppe, Herrn Professor Schröder, als Sachverständigem.
Der Bericht leuchtet leider nicht alle Teilbereiche des SED-Rechts aus, sondern beschränkt sich weitgehend auf Strafrecht. Wichtige Bereiche zu erörtern fehlten uns Zeit und Materialien. Aber gerade hier im Strafrecht tritt besonders deutlich zutage, was das SED-Regime insgesamt im Unterschied zum Rechtsstaat kennzeichnet und was auch, wenn ich das richtig sehe, die PDS in ihrem Sondervotum nicht leugnet: Recht war im SED-Staat ein Mittel zur Durchsetzung und zur Festigung unbegrenzter Herrschaft der Staatspartei. Diesem Ziel waren Recht und Justiz, auch alle, die darin arbeiteten, untergeordnet. Egal, in welcher Partei sie waren oder ob sie parteilos waren, SED, Blockpartei, parteilos: Alle waren in dieser Hinsicht gleich.
Dieses Urteil über das DDR-System zielt auf die Wurzeln; es ist fundamental. Nur wenn man das bedenkt, mag man das eine oder andere Detail der Rechtsentwicklung in der DDR in seiner Ambivalenz unterschiedlich, ja vielleicht auch anregend finden. Aber festzustellen bleibt: Das Rechtssystem verfehlte vom Ansatz her seine zivilisatorische Aufgabe in einem modernen Staat, nämlich im Konflikt des einzelnen mit der Macht dieser zugunsten des Ohnmächtigen Schranken zu setzen. Das DDR-Recht half nicht nur nicht den Opfern, es machte Opfer. Mir als Sozialdemokratin ist das besonders wichtig.
Seit ihren Anfängen hielten Sozialdemokraten im Gegensatz zu den Kommunisten am Rechts- und Verfassungsstaat fest und zogen sich damit die tödliche Feindschaft aller totalitären Regimes in Deutschland zu. Sie wurden als „Verräter", als „Sozialfaschisten" beschimpft und in großer Zahl auch persönlich verfolgt, so auch in der DDR. „Sozialdemokratismus" nannte die SED das für sie bedrohliche Eintreten für Demokratie und Rechtsstaat in sozialer Verantwortung. Die Idee wie ihre Anhänger suchte sie in ihrem Machtbereich auszuschalten. Vergeblich, wie sich zeigte. Hier könnte ich auch wieder Zitate einiger bringen — was ich mir erspare —, um zu zeigen, auf



Margot von Renesse
welchen Seiten sie damals standen, als sie anfingen und mit Opposition weitermachten.
Um so schmerzlicher ist gerade mir, daß die ersten Erfahrungen mit dem heißersehnten Rechtsstaat für viele Bürger der DDR in Enttäuschung umgeschlagen zu sein scheinen. Statt den Rechtsstaat als Luft zum Atmen zu erleben, haben die Bürger der neuen Bundesländer mehr als früher das Gefühl von Ohnmacht und Rechtsunsicherheit. Was haben sie erwartet? Einleuchtende Gesetze, eine rechtsförmige und effektive Verwaltung, eine zügige Rechtsprechung. Statt dessen verwirrt sie ein kompliziertes Vereinigungsrecht, mangelt es bis heute leider an Beratung für die individuelle Rechtsdurchsetzung, die in einem Rechtsstaat von entscheidender Bedeutung ist. Vor allem das Grundgesetz hat man sie so gelehrt, als sei das Eigentum, und zwar in der Form des BGB-Eigentums, das wichtigste Grundrecht überhaupt, als sei das Grundbuch die Bibel des Rechtsstaats.

(Beifall bei der SPD — Ingrid MatthäusMaier [SPD]: Genau!)

Das ist doch falsch! Wer hat den Menschen in Ostdeutschland gezeigt, daß Art. 14, wie ihn das Bundesverfassungsgericht seit alters auslegt, dienende Funktion für Menschenwürde und Freiheit hat, indem es dem einzelnen und damit auch jedem DDR-Bürger die Früchte seiner Lebensleistung und seinen persönlichen Gestaltungsfreiraum garantiert? Vielfach sehen sich die ehemaligen Bürger der DDR gerade um ihre Lebensleistung und um ihren Gestaltungsraum gebracht, hören sie „Raub", wenn der Gesetzgeber „Eigentum" sagt.
Die Rechtspolitik des vereinten Deutschlands wird mehr als bisher sensibel nach den Rechtstatsachen, den Rechtsgewohnheiten und den schutzwürdigen Vertrauenstatbeständen der Bevölkerung in den östlichen Bundesländern fragen müssen, ohne deswegen die Frage der Legitimität dieses alten Rechts aufwerfen zu wollen. Denn, meine Damen und Herren in der PDS, die zynische Behauptung, man habe in der ehemaligen DDR das Recht akzeptiert, weil man habe leben wollen, kommt ungefähr der Behauptung eines Gefängnisdirektors gleich, er habe das beste Hotel, weil keiner dort entweiche.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

Aber nur mit dieser verstärkten Sensibilität des Gesetzgebers von Gesamtdeutschland wird sich der dringend notwendige Verfassungspatriotismus einwurzeln, den die Demokratie dringend benötigt.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Dr. Rudolf Karl Krause [Bonese] [fraktionslos])


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1223407000
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Professor Dr. Hartmut Soell das Wort.

Dr. Hartmut Soell (SPD):
Rede ID: ID1223407100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Zunächst
möchte ich betonen, daß meine ursprüngliche Skepsis, die ich vor zwei Jahren über die Möglichkeit geäußert habe, in der Enquete-Kommission das zu leisten, was wir geleistet haben, ein Stück weit abgebaut worden ist. Ich sprach nicht nur in der Rolle des Abgeordneten, sondern auch als Zeithistoriker, der weiß, wie schwer es ist, hier selbst unter den Wissenschaftlern zu einem intersubjektiven Verständnis der Dinge zu kommen. Von „Objektivität" wollen wir nicht reden — das ist ein viel benutzter und viel mißbrauchter Begriff gewesen. Ich meine, wir haben dabei einiges erreicht.
Wir verdanken das nicht zuletzt den Wissenschaftlern, die unsere Arbeit begleitet haben. Ich nenne für unsere Seite insbesondere die Kollegen Weber, Faulenbach und Gutzeit, der schon erwähnt worden ist. Wir verdanken es vor allem den Hunderten von Zeitzeugen, die aus ihrer unmittelbaren Betroffenheit heraus haben sprechen können.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich möchte einige Bemerkungen zu den Ausführungen etwa des Kollegen Koschyk und auch der Kollegin Wilms machen.
Herr Koschyk, Sie haben hier ja Helmut Schmidt als Kronzeugen benutzt. Das ist legitim; wir tun das gelegentlich auch mit führenden Leuten von Ihnen. Aber man muß natürlich wissen, daß Sie z. B. in der Frage der Nachrüstung darüber nicht Auskunft gegeben haben, daß er nicht nur der Erfinder der NullLösung war, sondern daß die Null-Lösung auch von Ihren Spitzenleuten 1980/81 abgelehnt worden ist, weil es bei Ihnen Leute gab, die meinten, diese Waffen seien in jedem Fall notwendig.

(Joachim Hörster [CDU/CSU]: Wer war das denn?)

Nur das als ein Beispiel, wie relativ diese Äußerung ist.
Im übrigen kann ich sagen, daß das, was Helmut Schmidt in seinen letzten Büchern über die Vereinigungspolitik der Bundesregierung geschrieben hat, sicherlich nicht Ihren Beifall findet. Deswegen ist der Versuch, Helmut Schmidt als Kronzeugen gegen die SPD zu mißbrauchen, sicherlich verfehlt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD — Zurufe von der CDU/CSU: Das wird man doch wohl noch sagen dürfen! Welcher Zeuge ist schon immer gut?)

Wir haben gerade jene Abschnitte von unseren ostdeutschen Kolleginnen und Kollegen formulieren lassen, die sich mit den achtziger Jahren befassen, weil sie aus ihrer Betroffenheit heraus besser als wir in der Lage waren — das war jedenfalls die Meinung in unserer Gruppe —, zu sehen, wie die westdeutsche Politik auf sie gewirkt hat. Dabei spielt eine herausragende Rolle, daß die Friedensbewegung in der DDR ein ganz wesentliches Moment für die Identität der Opposition war und als Sammelpunkt gedient hat, daß dies ein ganz wichtiger politischer Ausgangspunkt war und daß die Friedensbewegung in der DDR die Dinge natürlich sehr viel weniger einseitig als Teile der Friedensbewegung in der Bundesrepublik behan-



Dr. Hartmut Soell
delt hat. Da gab es eben nicht nur das Motto: „Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin", sondern es gab ebenfalls das Motto — um es einmal in ein Schlagwort zu kleiden —: „Stell' dir vor, es gibt einen Schießbefehl, und keiner führt ihn aus".

(Zuruf des Abg. Dr. Rudolf Karl Krause [Bonese] [fraktionslos])

Dieses andere Moment ist ganz wesentlich von der Friedensbewegung aufgegriffen worden, und deswegen war es richtig, Vertreter aus den östlichen Ländern diese Passagen formulieren zu lassen.
Herr Koschyk, wenn Sie einmal die Voten, die Sie allein oder als Koalition zu verantworten haben, mit unseren Minderheitenvoten vergleichen, dann werden Sie bei uns ein erheblich höheres Maß an Selbstkritik feststellen können, z. B. bei der Deutschlandpolitik der fünfziger Jahre, als in Ihren Stellungnahmen zu Ihrer eigenen Politik.
Damit komme ich zur Kollegin Wilms. Ich finde, der Kontinuitätsnachweis, den Sie geführt haben, war zu bemüht. Auch deswegen erfolgten zu einer Reihe von deutschlandpolitischen Fragen unsere Sondervoten.
Sie sagen: Die Geschichte hat Adenauer recht gegeben. Die Geschichte hat vor allen Dingen denen recht gegeben, die im Herbst 1989 aufgestanden sind und ihre Freiheit genutzt haben.

(Beifall bei der SPD)

Die Geschichte hat nicht nur Adenauer recht gegeben, die Geschichte hat auch Willy Brandt, Helmut Schmidt und vielen anderen recht gegeben,

(Beifall bei der SPD)

die wesentliche Voraussetzungen geschaffen haben, um Hypotheken abzubauen, die zu den östlichen Ländern bestanden haben, damit die Zustimmung der östlichen Nachbarn erfolgt.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1223407200
Lassen Sie eine Zwischenfrage von Frau Wilms zu?

Dr. Hartmut Soell (SPD):
Rede ID: ID1223407300
Ja, sicher.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1223407400
Bitte sehr, Frau Abgeordnete Wilms.

Dr. Dorothee Wilms (CDU):
Rede ID: ID1223407500
Herr Kollege Soell, vielleicht hatten Sie wegen der unentwegten Zwischenrufe des Herrn Kollegen Duve nicht Gelegenheit, mir ganz zuzuhören.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU — Lachen bei der SPD)

Herr Duve war wirklich sehr laut.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Daß Sie sich darüber beschweren, wo Sie bei anderen schreien! — Zuruf von der F.D.P.: Jetzt ist hier wieder eine laut!)

— Jetzt ist hier schon wieder so ein lautes Gerede.
Herr Kollege Soell, ich wollte Sie nur fragen: Haben Sie nicht gehört — akustisch vielleicht auch nicht vernommen —, daß ich sehr lange, sehr breite Ausführungen zum Thema Opposition in der DDR, in den mittel- und osteuropäischen Staaten gemacht habe,
daß ich darauf hingewiesen habe, daß dort noch breiter Forschungsbedarf besteht, daß ich meinen Respekt vor all denen bekundet habe, die sich hier erhoben haben? Ich lege doch Wert darauf, daß Sie meine Worte hier zur Kenntnis nehmen.

Dr. Hartmut Soell (SPD):
Rede ID: ID1223407600
Ich habe sie sehr sorgfältig zur Kenntnis genommen.

(Gerhard Reddemann [CDU/CSU]: Jetzt erst!)

Ich meine, das, was ich dazu gesagt habe, das steht. Denn wir wissen, wie Adenauer selber in internen Äußerungen zu dem Thema Wiedervereinigung unter den damaligen Bedingungen stand.
Es waren legitime Überlegungen, wie Erhard Eppler vor fünf Jahren hier im Bundestag ausgeführt hat — da gibt es auch bei mir keine Abstriche —: nämlich die Zweifel in die politische Reife des eigenen Volkes. Aber trotzdem zu meinen, es gebe eine ununterbrochene Kontinuität und alle anderen Möglichkeiten und Chancen seien von vornherein aus der Diskussion auszuschließen und würden sogar in die Irre führen, ist jedenfalls falsch.
Sie haben gesagt, die sozialliberale Politik hätte, weil sie konzessionsbereiter gewesen wäre, dann auch gewisse Erfolge gehabt. Das ist doch ein Stück Verzeichnung dessen, was tatsächlich passiert ist.

(Markus Meckel [SPD]: Geschichtsumkrempelung ist das!)

Die Deutschlandpolitik der Bundesregierung Ende der 60er Jahre war isoliert. In den Vereinten Nationen hat die Bundesregierung nur noch mit dem Hinweis, daß demnächst eine Regelung zwischen der Bundesrepublik und der DDR erfolge, verhindert, daß die DDR in den Unterorganisationen anerkannt wurde. So weit war das gediehen. Viele Länder haben im Grunde nur noch abgewartet, weil solche Ankündigungen erfolgt sind. Deswegen war diese neue Politik notwendig, neben dem — das sagte ich vorher —, was das Abtragen der Hypotheken gegenüber den östlichen Ländern, den slawischen Völkern, und auch gegenüber der Sowjetunion anging.
Die sozialliberale Koalition hat jedenfalls nichts abgegeben, was nicht schon durch den Hitler-Krieg verspielt worden ist.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Eines dürfen wir nicht vergessen — das gilt für alle Regierungen und alle demokratischen Parteien in der Bundesrepublik —: Wir waren doch in einer Situation des Erpreßtwerdens, wenn wir Fortschritte für die Menschen in der ehemaligen DDR erreichen wollten. Das ist kein Alibi für alle Schritte, aber es ist doch ein ganz wichtiges Moment, das festgehalten werden muß.
Noch stärker gilt das für die Kirchen in der DDR. Das Kirchenkapitel scheint mir jedenfalls — so wie die Mehrheit es formuliert hat — auch deswegen falsch zu liegen: Es gab nicht nur diejenigen, die der Barmer Erklärung folgten, und die anderen, die sich angepaßt haben. Es gab sehr viel mehr, die unter den schwierigsten Bedingungen — auch auf Synoden; das war



Dr. Hartmut Soell
das Attraktive, das überhaupt ein Stück Offenheit, ein Stück Demokratie, ein Stück kritischer Öffentlichkeit erlaubt hat — eine Politik zu formulieren versuchten und die sich zwischen diesen beiden Polen bewegten.
Westliche Kirchenhistoriker sollten das wissen. Aus Zufall nenne ich hier den Heidelberger Kollegen Besier, der in der „Süddeutschen Zeitung " heute falsche Schlußfolgerungen gezogen hat, nachdem er einen sächsischen Theologen zitiert hat, der die Gründung des Kirchenbundes in der DDR von 1969 mit der Gründung der „Deutschen Christen" 1933 verglichen hatte. Das ist sicherlich etwas aus der damaligen Zeit Verständliches. Insoweit attackiere ich nicht das Zitat, sondern die Schlußfolgerung des Herrn Besier, daß diese staatsloyale Haltung 1989 angeblich nur unterbrochen worden sei und heute fortgeführt werde. Das ist nicht nur Rechthaberei, das ist Häme, die jedenfalls die Arbeit der Kirchen in der DDR nicht verdient.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich noch etwas zu Herrn Keller sagen. Herr Keller von der PDS hat mich durch seine Beiträge in der Kommission, aber auch durch seinen Beitrag hier davon überzeugt, daß es auch in der PDS Leute gibt, die über die Vergangenheit nachgedacht haben. Allerdings dürfen Behauptungen nicht im Raum stehenbleiben, Herr Keller, daß nach 1945 Hunderte von Millionen sich zum kommunistischen System bekannt hätten.

(Hans-Ulrich Klose [SPD]: „Wählen konnten" !)

Es ist völlig klar — das gilt natürlich auch für die SBZ —, daß die Kommunisten in einer Minderheitensituation waren. Sie wären nirgendwo an die Macht gekommen, wenn sie nicht auf den Bajonetten der Roten Armee die Macht errungen hätten.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der F.D.P. und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte in diesem Zusammenhang auch etwas an die Adresse der Teile der westdeutschen Öffentlichkeit, auch der Intellektuellen, sagen, die meinen, man dürfe noch nicht einmal vergleichen, geschweige denn gleichsetzen. Es gibt Dinge, wo die SED und die Stasi als ihr Schild und Schwert tatsächlich perverser gehandelt haben, als dies im Dritten Reich geschah, wenn das sicherlich auch nicht als Votum für die Praktiken der Nazis mißverstanden werden soll. Ich meine die Tatsache, die uns Jürgen Fuchs in der Anhörung im Reichstag etwa am Beispiel von Heinz Brandt sehr drastisch geschildert hat. Heinz Brandt, ein ehemaliger Kommunist, Überlebender von Auschwitz, hat gesagt, daß man sich in der Haft in der DDR isolierter gefühlt habe. Das heißt, die Zerstörung der Solidarität der politischen Opponenten und der politischen Häftlinge war etwas, was im Grunde schlimmer war als im Dritten Reich, wo die Solidarität der „Politischen" ein ganz entscheidendes, ein existentielles Mittel des Überlebens war, nicht nur des
persönlichen Überlebens für viele, sondern auch des Überlebens der Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der F.D.P. sowie des Abg. Dr. Rudolf Karl Krause [Bonese] [fraktionslos])

Lassen Sie mich abschließend sagen, daß wir trotz allen Unbehagens, das jeder von uns hatte, insbesondere auch in den letzten drei, vier Monaten, als viele Texte gar nicht mehr sorgfältig genug durchberaten werden konnten, versucht haben, weder mit Anmaßung noch mit Euphorie, Larmoyanz oder Zynismus an die Dinge heranzugehen, daß wir, unterstützt von den Sachverständigen, deren Arbeit ich noch einmal besonders hervorheben will, die Fähigkeit an den Tag zu legen versuchten, zu differenzieren, Sensibilität und soweit wie möglich auch Takt zu zeigen. Das wünsche ich der öffentlichen Diskussion über unseren Bericht, und das wünsche ich auch der weiteren wissenschaftlichen Forschung, die dringend notwendig ist.
Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. und des Abg. Dr. Rudolf Karl Krause [Bonese] [fraktionslos])


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1223407700
Nunmehr erteile ich dem Abgeordneten Ortwin Lowack das Wort.

Ortwin Lowack (CSU):
Rede ID: ID1223407800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Von 1987 bis 1991 war ich der außen-, verteidigungs- und deutschlandpolitische Sprecher der CSU im Deutschen Bundestag. Wenn ich jetzt gerade einmal vier Minuten Redezeit habe, dann zeigt das, wohin sich unser parlamentarisches System entwickelt hat: zu verkrusteten Machtstrukturen, die es in keinem anderen Parlament der Welt gibt.

(Widerspruch bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Der Weg zur deutschen Einheit bietet ein bizarres Bild. Es war nicht die Politik, die sie ermöglicht hat, sondern es waren die Menschen, die den Mut hatten, sich gegen die Politik durchzusetzen.
Der 17. Juni sollte auf Antrag von Herrn Schmude — das hat er offenbar vergessen — bereits 1981 als Feiertag gestrichen werden.

(Dr. Dorothee Wilms [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Es war der Milliardenkredit von Strauß 1983, der die Kreditfähigkeit der DDR bei den internationalen Banken wiederhergestellt hat. Die Kompensation dafür, die Abschaffung der Todesautomaten, war höchst mäßig; denn im gleichen Atemzug wurden die Kontrollen so verschärft, daß kein Mensch mehr den Transit wagen konnte.
Die Strategie Helmut Kohls war es, Strauß den Vortritt zu lassen und selber nicht in Erscheinung zu treten — das wissen wir —, wie auch in anderen Dingen. Er hat z. B. einem Theo Waigel die Unterzeichnung des Vertrags über die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion überlassen und auch die



Ortwin Lowack
ungeheuren Anhebungen der Leistungen an die Sowjetunion veranlaßt, hat aber andere unterschreiben lassen.
Die DDR war spätestens seit 1981 pleite. Das wissen wir nicht erst von Schalck-Golodkowski aus neuerer Zeit, sondern das war im Westen schon vorher bekannt. Es ist eine Lüge der Bundesregierung, das immer wieder als nicht existent darzustellen.
Unter der Überschrift „Der Sozialismus besiegt nur sich selbst" hat Werner Obst bereits Anfang der 70er Jahre hinreichend belegt, daß sich die DDR zunehmend in einer Entwicklung zum Konkurs hin befindet, so daß es nur wichtig wäre, zu verhindern, daß es zu einer kriegerischen Auseinandersetzung käme. Trotzdem hat man über ungeheure Milliardensummen für Autobahnbau und Transit sowie vor allen Dingen — das ist noch viel schlimmer — mit den Häftlingsverkäufen das alte DDR-Regime unterstützt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben sehr wohl zu registrieren, daß die Zahl der Häftlingskäufe bzw. -verkäufe 1982 noch bei 270 lag, 1983 bereits auf 700 hochgeschnellt war, 1984 auf 1 700 und danach pro Jahr über 3 000 betrug. Das heißt, man hat Menschen von der Straße weg verhaftet und zu mehr als einem Jahr Strafe verurteilt, um damit die Voraussetzung für den Abkauf zu schaffen. Auf diese Art und Weise wurden mehrere Milliarden DM zur Unterstützung des DDR-Regimes gezahlt.

(Beifall des Abg. Dr. Rudolf Karl Krause [Bonese] [fraktionslos])

Die Rolle des Kanzleramts war hierbei durchaus dubios. Es gibt das konspirative, bis heute nicht aufgeklärte Treffen zwischen Schäuble und SchalckGolodkowski bei Rechtsanwalt Vogel vom 5. Dezember 1984 in Ost-Berlin. Es gab die konspirativen Treffen zwischen Strauß und Schalck-Golodkowski, teilweise indem man Schalck-Golodkowski von Parkplätzen auf der Transitautobahn abgeholt hat. Es gab das Treffen zwischen Waigel, Streibl und Schalck-Golodkowski am 13. Februar 1989. Es ist die Frage zu stellen: Welche Gelder hat die CSU über die Strauß-März-Schalck-Golodkowski-Connection erhalten? Wie läßt sich der Brief an Mielke von SchalckGolodkowski erklären, in dem er 24 Tage nach dem Tod von Strauß schrieb: „Die Stellung des Unternehmens" — ich ergänze: März — „als gedeckte Finanzquelle der CSU bleibt unverändert"?
Der Kommissionsbericht läßt die wichtigsten Aspekte völlig außer acht: die Beteiligung führender Politiker der Bundesrepublik Deutschland am Weiterleben der DDR. Was stand in den verschwundenen Briefen Schalck-Golodkowskis an Schäuble? Warum ist hier nicht aufgeklärt worden? Warum ist hier kein Protest wenigstens durch die Reihen der Mitglieder der Enquete-Kommission gegangen? Welche Rolle spielte neben Schäuble Kanzler Kohl bei dem 8,6-
Milliarden-Deal von Herbst 1988 bis Januar 1989, der gegen die ausdrückliche Entscheidung der Arbeitsgruppe „Innerdeutsche Beziehungen" der CDU/CSU-Fraktion zustande gekommen war?
Abschließend darf ich festhalten: Die wichtigsten Fragen für die Gegenwart und die Zukunft läßt der
Kommissionsbericht offen. Das liegt daran, daß ein Teil der Akteure noch immer oder schon wieder an der Macht ist. Ausgeschmiert wird das Volk, lächerlich gemacht wird der Rechtsstaat, Schaden genommen hat ganz Deutschland. Die freien Bürger dieses Landes sind aufgerufen, sich endlich zu wehren.

(Beifall des Abg. Dr. Rudolf Karl Krause [Bonese] [fraktionslos])


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1223407900
Als nächstem erteile ich dem Abgeordneten Dr. Rudolf Krause (Bonese) das Wort.

Dr. Rudolf Karl Krause (CDU):
Rede ID: ID1223408000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bericht der Enquete-Kommission ist zu lückenhaft und einseitig, um ihn als gelungen zu bezeichnen. So intellektualisiert war das tägliche Leben in der DDR nicht. Die tägliche DDR-Wirklichkeit steht nicht in den Akten. Die meisten Bürger finden sich in diesem Bericht nicht wieder. Heute hat dagegen die PDS einen Grad von Akzeptanz in Mitteldeutschland und gerade in Mecklenburg erreicht, den sie in DDR-Zeiten als SED niemals hatte.
Ist das nicht vielleicht auch eine Folge falscher Schwerpunktsetzung, wie sie sich auch in den Mehrheitsverhältnissen der Enquete-Kommission widerspiegelt?
Der Alltag in den Sitzungen der Kommission, an denen ich teilgenommen habe, war oft von parteipolitischer Akteninterpretation und — lassen Sie es mich etwas hart sag en — vom konkurrierenden Wettkrähen zänkischer Pastoren gekennzeichnet.

(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sie haben doch nur geschlafen!)

Wer auf den Bühnenbrettern der Kirche in der DDR ohne persönliches Risiko den Hamlet spielen durfte, darf sich deshalb nicht auch heute noch Hamlet nennen.

(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sie haben doch nur geschlafen!)

Kein Pastor in der DDR mußte Straßengräben mähen, um seine Familie ernähren zu können. Ich sage das deshalb, weil ich das zwei Jahre tun mußte.

(Stefan Schwarz [CDU/CSU]: Prima!)

Die Gutachter haben sauber gearbeitet, soweit ihre Aktenkenntnisse eben ausreichten. Die täglichen realen Rechts- und Unrechtsverhältnisse wurden aber nur wenig bearbeitet, weil sie eben in keinen Akten stehen. Geisteswissenschaftler gaben in der Kommission den Ton an, DDR-Praktiker unter den Abgeordneten wurden trotz ihrer eigenen Erfahrungen zuwenig beachtet, meine ich.
Meine Bemühungen damals, gemeinsam mit Reinhard von Schorlemer

(Stefan Schwarz [CDU/CSU]: Lassen Sie Herrn Schorlemer in Ruhe!)

Enteignungen, Zwangskollektivierungen, Aussiedlungen, die teilweise und vollständige Verstaatlichung der Kleinbetriebe, individuelle Nebenwirtschaften, Feierabendbrigaden, Nachbarschaftshilfe,



Dr. Rudolf Karl Krause (Bonese)

ökonomische Beziehungen zwischen Betrieben und Kommunen — diese nicht aktenkundige tagtägliche DDR-Wirklichkeit, all das, was das tägliche sozialökonomische Leben des DDR-Bürgers ausmachte — aufzuarbeiten, wurden sinnentstellend, unvollständig auf ganzen zwei Seiten abgehandelt oder meistens einfach vergessen. Der Zusammenbruch der DDR aber war hauptsächlich das wirtschaftliche Versagen der lebensfremden sozialistischen Idee.
Die allgemeine westdeutsche Ignoranz gegenüber der DDR-Wirklichkeit führt zur offiziellen Sprachlosigkeit zu den Befindlichkeiten in den neuen Ländern. Euphemistische Jubelgesänge über ein neues „Auferstanden aus Ruinen" werden mehrheitlich abgelehnt, die PDS wird hoffähig, der linke Straßenterror stillschweigend toleriert.
Ich als Republikaner weiß gerade aus dem Wahlkampf, in welcher Weise meine Parteimitglieder Opfer des linken Straßenterrors werden, ohne daß man diesen Opfern in den Zeitungen auch nur eine Träne nachweint. Der einseitige und zum Teil wieder mit stalinistischen Methoden geführte Kampf gegen Rechts führt schon in den nächsten Tagen zu einer neuen Volksfront. Am 26. Juni wird die PDS mit ihren Wählern in Thüringen, Mecklenburg und SachsenAnhalt bestimmen, ob die SPD-Bewerber im zweiten Wahlgang Landräte oder Bürgermeister werden dürfen. Die PDS-Wahlmänner hätten auch Herrn Rau zum Bundespräsidenten gekürt, ohne daß sich die SPD vorher davon distanziert hatte.
Hauptverlierer dieses von der PDS geschickt gelenkten Einheitsfrontkampfes gegen Rechts —

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1223408100
Herr Dr. Krause, ich wäre dankbar, wenn auch Sie sich an die Redezeit halten würden.

(Ina Albowitz [F.D.P.]: Nein, schalten Sie den Ton ab! Das kann man ja nicht mehr ertragen!)


Dr. Rudolf Karl Krause (CDU):
Rede ID: ID1223408200
—ich bin im letzten Satz — ist nicht nur die kommunale CDU, sondern die Demokratie in Deutschland. Dafür trägt auch die Einseitigkeit der politischen Betrachtung Mitverantwortung,

(Stefan Schwarz [CDU/CSU]: Gerade von Ihnen!)

wie sie im Bericht zum Ausdruck kommt.

(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Aber nicht jetzt auch noch das Wasser austrinken! — Heiterkeit)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1223408300
Meine Damen und Herren, ich möchte Sie jetzt kurz über die Geschäftslage informieren. Ich habe hier vier Meldungen zu Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vorliegen, die ich noch vor der Abstimmung zulassen will. Weitere Meldungen bitte ich dann nach der Abstimmung vorzutragen.
Der Abgeordnete Gunter Weißgerber möchte eine Erklärung gemäß § 31 unserer Geschäftsordnung zu Protokoll geben. *)
*) Anlage 2
Ich erteile nunmehr der Abgeordneten Frau Ingeborg Philipp nach § 31 unserer Geschäftsordnung das Wort.

Ingeborg Philipp (PDS):
Rede ID: ID1223408400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte etwas zu den Ausführungen von Herrn Eppelmann sagen. Es hat mich innerlich zutiefst bewegt, daß kein Wort zur Versöhnung gesagt wurde, obwohl dieser Schwerpunkt nötig gewesen wäre.
Wenn man die Vergangenheit aufarbeitet, muß man zur Versöhnung bereit sein.

(Stefan Schwarz [CDU/CSU]: Das sagt er doch!)

Ich habe mich über meinen Genossen Dietmar Keller gefreut, der selbstkritisch um Verzeihung gebeten hat. Dieses Denken wird mir einfach viel zu wenig praktiziert. Wir müssen begreifen, daß Versöhnung für das innere Wohlbefinden von uns allen lebensnotwendig ist.
Ich will Ihnen etwas berichten. Heute ist der 17. Juni. Zur damaligen Zeit — ich meine: 1953 — habe ich im LEW Hennigsdorf gearbeitet. Der Werkleiter des Betriebes ist den demonstrierenden Arbeitern nachgegangen und hat sie gefragt: Wofür demonstriert ihr? — Sie haben ihm geantwortet: Für die Einheit Deutschlands. — Daraufhin hat er gesagt: Gut, einverstanden. Er ist zurückgegangen und hat den Mut besessen und das Kreuz gehabt, den sowjetischen Soldaten, die mit Panzern vor der Tür standen, zu sagen: Wenn ihr auf das Werksgelände fahrt, gehe ich aus diesem Betrieb weg. So ist es geschehen, daß sie vor den Werkstoren haltgemacht haben.
Das Leben dieses Mannes war natürlich nie leicht; das ist klar. Ich habe ihn gefragt: Woher nehmen Sie die innere Kraft, daß Sie das alles bewältigen können? — Er hat mir erzählt: Ich gehe vor Frühschichtbeginn in das Kraftwerk. Das war ein Hochbau, von dem aus man sehen konnte, wie die Kollegen in den Betrieb kamen. Er sagte zu mir: Wenn ich diese vielen Menschen sehe, dann weiß ich, was ich tun muß.
Ein engagiertes Leben bedeutet immer, Verantwortung wahrzunehmen, bedeutet immer den Mutsprung zur Liebe. Den hat dieser Mann getan. Und das ist, so finde ich, einfach auch überlebensnotwendig für diese Enquete-Kommission.
Ich will Ihnen noch etwas berichten. Gestern war der Soweto-Tag. Ich war zeitig wach und sah mir das „Morgenmagazin" an. Ich habe eine Berichterstattung über die Schule mit Dokumenten aus der damaligen Zeit, von 1976, gesehen, Interviews mit jungen Leuten von heute. Über ein Interview möchte ich Ihnen berichten. Eine Frau, die Angehörige verloren hatte, wurde gefragt, wie sie den Tag heute betrachtet. Da sagte sie mit ganz klaren Augen: Wir verzeihen und vergeben; aber wir denken daran, und das ohne Haß, sondern mit der inneren Freiheit eines Christen, der zur Liebe befähigt und in der Lage ist.
Ich finde, dieses Fundament müssen wir uns schaffen; denn wir haben uns im nächsten Jahr zurückzubesinnen auf 50 Jahre Kriegsende. Wir werden im nächsten Jahr wiederum an dieses fürchterliche, wahnsinnige Unrecht denken, das im deutschen



Ingeborg Philipp
Namen geschehen ist. Wir müssen es schaffen, wirkliche Schritte der Versöhnung zu tun. Ich würde der Delegation gerne sagen: Bitte vergebt uns schon heute für das, was wir getan haben. Jeder von uns sollte das tun.
Wenn wir diesen Schritt nicht schaffen, werden wir innerlich verkrampft bleiben und nie als freie Menschen leben können. Das wollte ich sagen.

(Beifall der Abg. Dr. Dietmar Keller [PDS/ Linke Liste], Dr. Rudolf Karl Krause [Bonese] [fraktionslos] und Ortwin Lowack [fraktionslos])


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1223408500
Meine Damen und Herren, ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Heuer nach § 31 unserer Geschäftsordnung das Wort.

Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS):
Rede ID: ID1223408600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Soell hat soeben meinem Genossen Keller gedankt

(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Haben Sie „Genosse" gesagt?)

und gesagt, es gebe offenbar auch Leute in der PDS, die über Geschichte nachdenken. Ich glaube, Sie sollten verstehen, daß in keiner Partei so viel über Geschichte nachgedacht wird wie in dieser Partei. Und das ist natürlich, weil wir eine welthistorische Niederlage erlitten haben, und dann denkt man nach. Sieger denken gewöhnlich weniger gut nach.

(Stefan Schwarz [CDU/CSU]: Das war vielleicht bei Ihnen so!)

Noch ein Wort zu seinem Satz, daß die DDR durch die Bajonette der Roten Armee errichtet wurde. Ich glaube, wir sollten uns doch einig sein, daß die Bajonette und die Blutopfer der Roten Armee und der anderen Siegerarmeen die Voraussetzung dafür waren, daß ganz Deutschland vom Faschismus befreit wurde.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, in § 56 der Geschäftsordnung ist die Einrichtung von Enquete-Kommissionen vorgesehen, die sich „umfangreichen und bedeutsamen Sachkomplexen" zuwenden sollen. Mein Problem ist, daß wir im Grunde nicht über einen umfangreichen und bedeutsamen Sachkomplex reden, sondern daß hier über gegenwärtige politische Fragen diskutiert und Wahlkampf gemacht wird.

(Gerhard Reddemann [CDU/CSU]: Das war in der DDR nicht üblich! Da brauchte man keinen Wahlkampf!)

Ich meine, das ist so nicht gut; denn es handelt sich wirklich um einen schwierigen Sachkomplex.

(Stefan Schwarz [CDU/CSU]: Das ist hier kein PDS-Parteitag!)

Der Bericht und der Entschließungsantrag sind in meinen Augen überwiegend nicht ein wissenschaftliches Dokument, sondern eine politische Kriminalisierung der DDR, die all das legitimieren soll, was sich in
Ostdeutschland an Diskriminierung und politischer Verfolgung gegenwärtig vollzieht.

(Dirk Hansen [F.D.P.]: Schwachsinn!)

Auf der ersten Seite des Berichts ist davon die Rede, es ginge darum, daß bestimmte Kräfte nie wieder eine politische Chance erhalten sollen.

(Stefan Schwarz [CDU/CSU]: Entlarven Sie sich ruhig weiter!)

Weiter heißt es, die SED-Diktatur habe das Leben jedes einzelnen Menschen und das der ganzen Gesellschaft deformiert.

(Johannes Nitsch [CDU/CSU]: Stimmt doch!)

Schließlich wird vom Unrechtscharakter dieses Regimes gesprochen. Also: nur ein Unrechtsstaat und ein deformiertes Volk.
Ein Wort auch zur Frage des Totalitären. Hier ist von Herrn Hansen gesagt worden, daß die DDR ein totalitärer Staat gewesen sei.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Er hat in der Anhörung der Enquete-Kommission vom 3. und 4. Mai 1994 gesagt, daß es, als sie vor zwei Jahren über ihren Auftrag beriet, noch unmöglich gewesen wäre, diesen Begriff einzuführen, jetzt hingegen sei es nötig. In dieser Sitzung der Enquete-Kommission hat Frau Meuschel gesagt, daß der Begriff des Totalitarismus nur eine Merkmalsauflistung ohne systematischen inneren Zusammenhang sei.

(Stefan Schwarz [CDU/CSU]: So reden die alten Nazis auch!)

Herr Kocka hat dort erklärt, daß ein großer Teil, wenn nicht die Mehrheit, den Vergleich mit dem NS-Regime als einen beleidigenden persönlichen Angriff ansieht. Der Vergleich mit der BRD wäre genauso nützlich gewesen.
Meine Damen und Herren, in der vorgelegten Entschließung wird für die DDR der Begriff „totalitäres System" gebraucht. Ich möchte Ihnen sagen, daß dieser Bundestag so wenig über wissenschaftliche Fragen entscheiden kann wie einst das Politbüro der SED.

(Dirk Hansen [F.D.P.]: Das ist ja wohl die Höhe! — Zurufe von der CDU/CSU)

— Schreien Sie doch nicht so, meine Damen und Herren! Diese Ihre prinzipielle Herangehensweise hindert Sie, die wirkliche Lage, die wirkliche Entwicklung der DDR, in der es natürlich schlimme Dinge, in der es Verbrechen, aber auch vieles Positive gegeben hat, zu erkennen und zu untersuchen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1223408700
Herr Abgeordneter Professor Dr. Heuer, ich darf Ihnen § 31 unserer Geschäftsordnung zur Kenntnis geben, nach dem Sie im Moment das Wort haben. Da heißt es:
Nach Schluß der Aussprache kann jedes Mitglied des Bundestages zur abschließenden Abstimmung eine mündliche Erklärung, die nicht länger als fünf Minuten dauern darf, oder eine kurze schriftliche Erklärung abgeben, die in das Plenar-



Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg
protokoll aufzunehmen ist. Der Präsident erteilt das Wort zu einer Erklärung in der Regel vor der Abstimmung.
Ich hatte Ihnen dazu und nicht zu einem Debattenbeitrag das Wort erteilt. Wenn Sie das ein bißchen berücksichtigen würden, wäre ich Ihnen dankbar, und Sie brächten mich nicht in Verlegenheit.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU — Ina Albowitz [F.D.P.]: Länger als fünf Minuten kann man ihn auch nicht ertragen!)


Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS):
Rede ID: ID1223408800
Diese Art des Herangehens führt dazu, daß Sie in den Mittelpunkt die Frage der Verantwortlichkeit und Schuld von DDR-Politikern und -Bürgern stellen.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Wer wie z. B. unser Kollege Mahlo zutiefst davon überzeugt ist, daß bei jedem Rechtsgeschäft in der DDR der Unrechtscharakter des Staates zu beachten gewesen wäre, der formuliert dann eben in der Anhörung am 29. April 1994 zum Schuldrechtsänderungsgesetz in Leipzig die Frage an die Datschenbesitzer: „Wenn Sie Ihr Gewissen aufrichtig befragen —

(Zurufe von der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1223408900
Herr Professor Heuer, ich will das nicht übertreiben, und ich bin wirklich großzügig. Aber der Zusammenhang zwischen Ihrem Abstimmungsverhalten und Ihrem Wortbeitrag ist auch bei großzügigster Interpretation nicht zu erkennen. Ich bitte wirklich, auf das Abstimmungsverhalten zurückzukommen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS):
Rede ID: ID1223409000
Herr Präsident, die Entschließung, die wir heute annehmen sollen, soll die DDR kriminalisieren

(Johannes Nitsch [CDU/CSU]: SED-Methoden sind das!)

als Unrechtsstaat, als totalitäres Regime, und das trifft die Bürger dieser DDR.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

In dem Bericht heißt es, daß erst die Schuld gesühnt und von den Tätern eingestanden werden muß, bevor die Versöhnung zur Sprache gebracht werden kann.

(Johannes Nitsch [CDU/CSU]: Der hat nichts erkannt!)

Die Wahrheit ist offenbar, daß die DDR der eigentliche deutsche Unrechtsstaat war. Also erst Sühne, erst Strafe, dann Versöhnung.
Die Verfasser dieses Berichts und dieses Entschließungsentwurfs waren offensichtlich außerstande zu einer vorurteilsfreien Sicht auf die DDR. Sie fühlten sich offensichtlich ebenso im Besitz der letzten Wahrheit wie früher Erich Honecker.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Folgendes Zitat aus der Zeitschrift „Die Woche" sollte Sie doch nachdenklich machen — damit schließe ich —:

(Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Viele Wähler wollen ihre PDS als Stimme des Ostens im nächsten Bundestag sehen, selbst jene, die der Partei niemals wirkliche Macht zugestehen würden.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1223409100
Herr Professor Heuer, bitte beenden Sie nun Ihren Beitrag.
Dr. Uwe-Jens Heuer: (PDS/Linke Liste): Der letzte Satz:
Sie versprechen sich von einer linken Opposition, daß die Westdeutschen endlich lernen, nicht immer auf den Gefühlen ihrer „Landsleute" herumzutrampeln.
Das aber haben Sie eben wieder erfolgreich gemacht.

(Erneute Zurufe von der CDU/CSU und der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1223409200
Das Wort hat nunmehr Frau Abgeordnete Angelika Barbe, der ich unter Berücksichtigung des eben vorgelesenen § 31 der Geschäftsordnung das Wort erteile.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sie können keinem die Möglichkeit entziehen, etwas anderes zu sagen, Herr Präsident! Sie haben es einem erlaubt! — Unruhe)


Angelika Barbe (SPD):
Rede ID: ID1223409300
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Es gab im vorigen Jahr anläßlich des 17. Juni in Strausberg einen ähnlichen Vorfall. Da hatte sich ein ehemaliger Bauarbeiter erhoben und den 17. Juni 1953 geschildert. Daraufhin zog die PDS-Fraktion geschlossen aus dem Kommunalparlament aus und behauptete, das sei alles gelogen. Ich will das hier noch einmal deutlich so sagen, Herr Eppelmann.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der F.D.P. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

So sieht die Vergangenheitsaufarbeitung in der Realität aus, die wir vor Ort erleben, und nicht nur so, wie Sie es vielleicht ganz gerne hätten, Herr Heuer.
Ich möchte noch ein paar Worte zu Herrn Keller sagen. Herr Keller, ich habe Ihnen sehr genau zugehört, und ich glaube Ihnen auch, daß für Sie die Opferanhörung die bittersten Stunden waren. Ich hätte mir gewünscht, das würden auch die anderen Mitglieder Ihrer Fraktion genau so sehen.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der F.D.P. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich habe es sehr bedauert, daß Frau Lederer dauernd dazwischenrief, das sei alles nur billiger Wahlkampf — und das angesichts der Tausenden und



Angelika Barbe
Abertausenden von Opfern, die dort 40 Jahre lang gelitten haben.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der F.D.P. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Argument, die Vorkommnisse im real existierenden Sozialismus geschahen aus hehren Motiven, kann das Schicksal der Opfer nicht ungeschehen machen. Sie in der PDS-Fraktion müßten eigentlich unermüdlich die Verantwortlichen benennen und zur Zivilcourage auffordern, daß sie sich nämlich endlich zu ihren Taten bekennen.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der F.D.P. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dauernd kommt hier die Forderung „keine Aufarbeitung ohne Aussöhnung", und sie ist auch zu Recht erhoben worden. Aber es wird schon sehr fraglich, wenn dann die Forderung kommt: Es muß nun endlich eine Aussöhnung erfolgen.
Ich erinnere an konkrete Beispiele, die wir gemeinsam ändern wollten. Die Direktorin des Arbeitsamtes Treptow-Köpenick wurde endlich nach drei Jahren abgelöst. Verantwortlich dafür, ich gebe es zu, waren auch Regine Hildebrandt, aber auch de Maizière; auch den dürfen wir nicht vergessen. Jetzt darf sie Referentin in der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg sein. Ich weiß nicht, wie das in den Ohren der Bevölkerung klingt, die bei uns zu Hause arbeitslos vor den Toren des Arbeitsamtes steht.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1223409400
Frau Abgeordnete Barbe, es fällt mir nicht leicht, aber die Objektivität, die mir das Amt auferlegt, zwingt mich, auch Sie darauf aufmerksam zu machen, daß der Zusammenhang mit Ihrem Abstimmungsverhalten hergestellt werden muß.

Angelika Barbe (SPD):
Rede ID: ID1223409500
Mir geht es darum, daß ich noch einmal besondere Akzente in diesem Bericht nennen will, die meiner Ansicht nach noch nicht genau genug herausgearbeitet worden sind. Deshalb nutze ich dafür diese persönliche Erklärung.

(V o r s i t z : Vizepräsident Hans Klein)

Ich will mir gerne einmal anschauen, wer den „Schlußstrich" will. Das sind einmal diejenigen, die den gesellschaftlichen Frieden herstellen wollen und sagen: Wir wollen das Zusammenwachsen von Ost und West fördern. Das ist eine Intention, die okay ist. Das verstehe ich sehr wohl. Aber es steht ein bedenkliches Geschichtsbild dahinter, wenn die Rolle individuellen Handelns und individueller Verantwortung geringgeschätzt wird. Die Zugeständnisse sollen immer nur die Opfer machen. Die Hauptlehre aus den beiden Diktaturen Deutschlands ist doch aber: Wenn Unterordnung statt Widerstand gesellschaftlich honoriert wird, dann bereitet man Diktatoren fruchtbaren Boden. Das muß verhindert werden.

(Beifall bei der SPD)

Die Frage ist natürlich: Wo wird der Mindestanspruch der Opfer auf gesellschaftliche Achtung durchgesetzt?
Ich denke, Dokumentarfilme wie der von Sibylle Schönemann „Verriegelte Zeit" gehören endlich in die Schulen der DDR, damit sich Lehrer und Schüler dort gemeinsam mit dieser Sache auseinandersetzen.

(Beifall bei der SPD, CDU/CSU und der F.D.P.)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1223409600
Frau Kollegin, darf ich Sie einen Moment unterbrechen. — Sie sprechen hier nach § 31 unserer Geschäftsordnung. Sie halten aber bereits seit längerem einen Debattenbeitrag. Wenn Sie das zu tun wünschen, bitten Sie Ihre Fraktion, daß sie Sie auf die Rednerliste setzt.

(Zuruf von der SPD: Sie kommt ja zum Schluß, Herr Präsident! — Weitere Zurufe)


Angelika Barbe (SPD):
Rede ID: ID1223409700
Ja, natürlich, dem Entschließungsantrag stimme ich zu. Ich will das nur begründen.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte zurückweisen, daß Opfer als Ruhestörer und Hindernis für den gesellschaftlichen Frieden diffamiert werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich möchte auch offen gegen Diffamierungen auftreten, die die Enquete-Kommission zu erfahren hatte, die von der PDS und ihrem Umfeld gekommen sind, die das alles als Siegerjustiz und Hexenjagd diffamieren, womit man nur ostdeutschen Interessen schade. — Damit werden die Privilegierten des ehemaligen Systems gleichgesetzt mit der Mehrheit des Volkes, die diese Privilegien nicht hatte und die auch nicht Täter war.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der F.D.P. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es geht nicht an, daß von den Opfern der Schlußstrich gefordert wird, ohne daß die legitimen Ansprüche der Opfer auf gesellschaftliche und soziale Rehabilitierung bisher durchgesetzt wurden. Damit würde auch nur eine Spießermentalität gefördert nach dem Motto: Wer Zivilcourage zeigt und dafür von den Machthabern zur Rechenschaft gezogen wird, der hat halt selber Schuld.
Verdienst der Volkskammer und des Bundestages sind die offenen Akten; dazu stehen wir auch. In Zukunft muß es zusätzlich darum gehen, Fragen nach alternativem Verhalten in Diktaturen zu stellen. Eine Versöhnung unter Ausschluß der Opfer kann und darf es nicht geben. Ein solcher Schlußstrich würde vielmehr dazu beitragen, bestehendes Unrecht festzuschreiben.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der F.D.P und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)





Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1223409800
Ich schließe die Aussprache,
Ich habe noch das Einverständnis des Hauses einzuholen, daß unsere Kollegin Professor Wisniewski ihren Beitrag zu Protokoll geben möchte. *) — Dieses besteht.
Dann kommen wir zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P. sowie der Gruppe BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN auf Drucksache 12/7983. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Der Entschließungsantrag ist angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. zur Unterstützung der Enquete-Kommission, Drucksache 12/7941 Nr. 1. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/7225 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD zu den Arbeitsmöglichkeiten der Enquete-Kommission, Drucksache 12/7941 Nr. 2. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/6933 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist abgelehnt.

(Dirk Hansen [F.D.P.]: Angenommen!)

— Entschuldigung. Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Danke, Herr Kollege Hansen.

(Dirk Hansen [F.D.P.]: Alles war richtig, nur das Gegenteil, „angenommen", hätten Sie sagen müssen! — Heiterkeit)

— Diese trickreichen Formulierungen. „Wer ist dafür, daß wir dagegen sind?" führen manches Mal in die Irre.
Nach der Abstimmung wollte der Kollege Elmer noch eine persönliche Erklärung abgeben.

Dr. Konrad Elmer (SPD):
Rede ID: ID1223409900
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte erklären, warum ich soeben zugestimmt habe. Ich habe das insbesondere deswegen getan, weil es mir ganz wichtig ist, festzuhalten, daß der Anfang der DDR — und auf den Anfang kommt es an — eben kein — das ist auch schon in den Ausführungen des Kollegen Soell deutlich geworden — freiheitlicher war, wie es der Kollege Keller hier herüberbringen wollte, sondern der einer Minderheit. Ein Staatswesen, das keinen freiheitlichen Anfang hat, hat keine Zukunft. Insofern war die Wende die natürliche Konsequenz eines solchen verfehlten Anfangs.
Die DDR war nicht ein durch einen neuen, demokratischen Einschnitt konstituiertes Staatswesen. Die Probleme, an denen wir heute so schwer zu tragen haben, sind Kriegsfolgeerscheinungen und Kriegsfolgeprobleme. Wenn dies allen stärker bewußt wäre,
*) Anlage 3
würde das Tragen dieser Last in ganz Deutschland vielleicht leichter werden. Dies ist der Hauptgrund für meine Zustimmung.

(Beifall bei der SPD)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1223410000
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich rufe nun Tagesordnungspunkt 20 und Zusatzpunkt 13 auf:
20. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses Treuhandanstalt (25. Ausschuß)

a) zu dem Antrag der Abgeordneten HansJoachim Hacker, Iris Gleicke, Regina Kolbe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Herstellung der Rechtseinheit bei grundeigenen Bodenschätzen
b) zu dem Antrag der Abgeordneten Rolf Schwanitz, Hans-Joachim Hacker, Robert Antretter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Herstellung der Rechtseinheit bei grundeigenen Bodenschätzen II
— Drucksachen 12/3969, 12/4621,
12/5745 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Ulrich Petzold Holger Bartsch
ZP13 Beratung des Antrags der Abgeordneten Rolf Schwanitz, Hans-Joachim Hacker, Angelika Barbe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Vereinheitlichung des Bergrechts nach der deutschen Einheit
— Drucksache 12/7905 —Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (federführend)

Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß Treuhandanstalt
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. — Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen.
Ich bitte um das Einverständnis des Hauses dazu, daß die Kollegin Vera Wollenberger ihren Redebeitrag zu Protokoll gibt.*) — Dieses Einverständnis besteht offensichtlich.
Dann eröffne ich die Aussprache und erteile dem Kollegen Ulrich Petzold das Wort.

Ulrich Petzold (CDU):
Rede ID: ID1223410100
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Wir wollen heute zwei Anträge der SPD zur Rechtseinheit bei grundeigenen Bodenschätzen abschließend beraten, in denen es letztendlich darum geht, solche Bodenschätze wie Kies, Sand, aber auch andere wie Quarz, Kaolin und Marmor in den neuen Bundesländern nicht mehr dem Bergrecht zu unterstellen.
*) Anlage 4



Ulrich Petzold
Meine Damen und Herren, je mehr ich mich mit diesen Anträgen beschäftigt habe, um so höher stieg meine Verwunderung darüber, daß diese Anträge ausgerechnet aus den Reihen der SPD kamen.
Das Bundesverwaltungsgericht stellt in seinem Urteil vom 24. Juni 1993 zu unserem heutigen Beratungsgegenstand fest:
Das vom Bergrecht seit jeher verfolgte Ziel ist es, eine sinnvolle, auf Schonung der Ressourcen gerichtete Ordnung des Abbaus der Bodenschätze zu gewährleisten.
Diesem Bergrecht will ausgerechnet die SPD die benannten Bodenschätze entziehen.
Ich hoffe, daß es zwischen uns unstreitig ist, daß durch die Beibehaltung der betreffenden Bergrechtsregelungen der DDR und damit durch den stockungsfreien Abbau mineralischer Rohstoffe die ostdeutsche Bauwirtschaft gewaltig gefördert wurde. Dies hat Herr Kollege Schwanitz in seinen Ausführungen vom 26. März 1993 durchaus anerkannt.
In Anbetracht der Probleme, die jetzt in meinem Wahlkreis in großem Umfang bei der Beantragung von Kiesabbauflächen auftreten, denke ich mit Schaudern daran, was hätte auftreten können, wenn wir diese Rohstoffe 1990 grundeigen gemacht hätten. Wie sich die „Tiefladerbauern" für billigstes Geld Äcker im Osten zusammenkauften, so hätten sich Spekulanten in Bergbauvorranggebieten Zukunftsflächen zusammenkaufen können; diese hätten dem Baurecht unterstanden. Welcher Gemeinderat hätte dem Versprechen, 50 neue Arbeitsplätze zu schaffen, widerstanden und keine Abgrabungsgenehmigung erteilt? Wir brauchen uns doch nur die vielen leerstehenden Gewerbegebiete auf der grünen Wiese anzusehen, die uns ein warnendes Beispiel bieten.
Die Festlegungen des Einigungsvertrages haben sich tatsächlich auch als Schutz für unsere Bürger und unsere Umwelt erwiesen. Die Bergämter haben die Zuverlässigkeit der Beantrager zu prüfen. Ist dieser Schutz vor Spekulanten und Glücksrittern, die sich im Osten zuhauf herumtreiben, nicht in unserem Sinn? In den westlichen Bundesländern zeugen als Mondlandschaften hinterlassene mineralische Abbaugebiete von Pleiten grundeigener Abbaubetriebe, die keine Rückstellung nach Bergrecht für die Flächensanierung zu bilden hatten.
In den alten Bundesländern wird zwar ganz überwiegend das Erfordernis, Kiese und Sande der Bergfreiheit zu unterstellen, nicht gesehen, weil auf Grund der Häufigkeit des Vorkommens die Volkswirtschaft sicher versorgt werden kann. Es gibt aber Rechtsbetrachtungen, die dieses aus Umweltgründen zumindest in Erwägung ziehen.
§ 15 des Bundesberggesetzes legt im Bewilligungsverfahren die Beteiligung der Träger öffentlicher Belange fest. Nach aus den alten Bundesländern übernommenen Ansichten werden als Träger öffentlicher Belange oftmals nur die Regierungsbezirke gehört. Hier neue Regelungen zu schaffen, die den Verhältnissen in den neuen Bundesländern angepaßt sind, also auf Grund der kleineren Abbaugebiete auch Kreise und Gemeinden einzubeziehen, liegt in den Regelungsmöglichkeiten der Länder und ist ihnen
unbenommen, wie gerade das Beispiel Sachsen zeigt.
Unverzichtbar sollten für uns die im Planfeststellungsverfahren festgelegten Umweltverträglichkeitsprüfungen bei den oftmals großen Abbaufeldern sein. In § 52 Abs. 2 a Satz 3 des Bundesberggesetzes ist festgelegt, daß in Umweltverträglichkeitsprüfungen im Rahmen von Bergbauplanfeststellungsverfahren über die Umweltstandards hinausgehende Forderungen gestellt werden können. Ist das den Antragstellern verzichtbar? Ich glaube, vielen Bürgerbewegungen in den neuen Bundesländern nicht.
Allerdings bringt die Übertragung von Planfeststellungsverfahren auf kleine Flächen die Gefahr der Unübersichtlichkeit und der Überforderung von kleinen Verwaltungen mit sich. Zu begrüßen ist deshalb die in den nächsten Tagen im Bundesrat zu beratende Drucksache zur europaweiten Harmonisierung der Umweltverträglichkeitsprüfung.
Auch das Unterbinden der in einem Zeitungsartikel von Herrn Kollegen Schwanitz kritisierten SalamiTaktik der Abbaubetriebe durch das Verwaltungsgericht Weimar bestätigt eigentlich das Bergrecht für den Mineralabbau.
Die Betrachtung des derzeitigen Zustandes ist schon ausgesprochen wichtig. Doch wir müssen genauso nach vorn sehen und die Auswirkungen eines Außerkrafttretens des Bergrechtes für den Abbau mineralischer Rohstoffe erwägen. Auch wenn Gewinnungsbetriebe in den neuen Bundesländern rechtmäßige Eigentümer von Grund und Boden sind, dürfte von vielen Verkäufern die Frage nach einer wesentlichen Änderung der Geschäftsgrundlage gestellt werden: Wurde mit der Grundstücksveräußerung auch das Mineral verkauft? Vor einer abschließenden Einigung mit dem Verkäufer ist die Genehmigung zum Weiterbetrieb sehr fraglich. Eine tolle Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Juristen!
Auf jeden Fall wären Übergangsregelungen mit langen Laufzeiten zwingend erforderlich; abrupte Entwicklungen könnten die Baukonjunktur Ost empfindlich stören. Solange in einer Übergangszeit nach vorliegenden Genehmigungen gearbeitet werden kann, ist das kein Problem. Was geschieht jedoch bei im laufenden Betrieb erforderlichen Änderungen oder Erweiterungen: Welche Behörde wäre dann zuständig? Die Behörde, die den Sachverhalt neu übertragen bekommen hat, von der gesamten Materie nichts kennt und personell auch noch nicht darauf eingerichtet ist? — Störungen des Betriebsablaufes und Verringerung der Produktion mit einer Unterversorgung wären die Folgen. In der bereits angesprochenen erforderlichen Übergangszeit müßten sich die vorhandenen Betriebe bemühen, die Verfügungsgewalt über die abzubauenden Mineralien zivilrechtlich zu erwerben. Sofort kommen die Probleme des Immobiliarrechts in den neuen Bundesländern zum Tragen. Die in 40 Jahren entstandene Unsicherheit über die wirklichen Eigentumsverhältnisse treibt jetzt schon Grundbuchämter zu Höchstleistungen und würde denen neue, dringliche Lasten aufbürden. Die Verpachtung zum Zwecke des Abbaus der Rohstoffe wäre auf Grund der Steuerrechtsprechung des Bundesfinanzhofes für einen Verpächter wenig lukrativ. Ein



Ulrich Petzold
Kauf jedoch würde bei den bestehenden Betrieben zu einem plötzlichen, erheblichen Kapitalbedarf führen, dem insbesondere MBO-Unternehmen wohl in vielen Fällen nicht nachkommen könnten.
So begreiflich und so wünschenswert für viele betroffene Grundeigentümer die Neuregelung für den Abbau mineralischer Rohstoffe ist: Es ist unsere Pflicht als Parlamentarier, auf Gefährdungen hinzuweisen und eine Abwägung der Interessen vorzunehmen. Dazu wird uns der hoffentlich bald anstehende Spruch des Bundesverfassungsgerichtes eine wesentliche Hilfe geben können. Unsere Fraktion plädiert deshalb dafür, vor der Schaffung eines neuen Rechts das Urteil des Bundesverfassungsgerichts abzuwarten. Vielleicht beschert es uns gar auf Grund der für unsere Gemeinschaft so besonders wichtigen Umweltgesichtspunkte in Abwägung zu Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten ein neues Recht in den alten Bundesländern.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Hans-Joachim Hacker [SPD]: Nur mehr Mut dazu!)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1223410200
Sie können den Aufruf gleich ex cathedra machen, Herr Kollege Hacker. Sie haben das Wort.

Hans-Joachim Hacker (SPD):
Rede ID: ID1223410300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Petzold, Sie werden natürlich verstehen, daß ich mich Ihren Ausführungen, vor allen Dingen denen zum Rechtsbereich, selbstverständlich in keiner Weise anschließen kann. Ich habe auch den Eindruck, daß Sie das Rechtsproblem gar nicht erkannt haben.
Wenn Sie hier davon reden, daß wir dafür plädieren, die Bodenschätze auf dem Gebiet der ehemaligen DDR, über das wir jetzt sprechen, nicht mehr dem Bergrecht zu unterstellen, dann geht das doch völlig an unserem Antrag vorbei. Ich komme an anderer Stelle noch einmal dazu, wie die Situation tatsächlich aussieht und wo die Glücksritter, die Baulöwen sitzen. Das haben Sie unserem Antrag offenbar gar nicht entnommen, oder aber es liegt daran, daß Ihr Redenschreiber das nicht erkannt hat.

(Widerspruch bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Meine Damen und Herren, ist das nicht kurios? In dem Moment, in dem der zu Ende gehenden DDR Bodeneigentum wieder Wert erhielt und der verfassungsrechtliche Schutz erhöht wurde, ging im August 1990 der Staat daran, Vermögen durch die Hintertür zu verstaatlichen.
Worum geht es, meine Damen und Herren? Landwirtschaftliche Nutzflächen waren auch in der ehemaligen DDR, soweit nicht besondere Umstände vorlagen, persönliches Eigentum. Die Verfassung der DDR bestimmte zwar in Art. 12, daß Bodenschätze Volkseigentum waren; zugleich aber ist der Verfassungskommentierung zu entnehmen, daß solche festen Teile der Erdkruste, die u. a. als Baustoffe Verwendung finden können, etwa gewöhnliche Kiese, Tone, Sande und gewöhnliche Festgesteine, keine Bodenschätze im Sinne des Art. 12 der Verfassung der DDR waren.
Herr Petzold, auch in diesem Punkt irren Sie gravierend. Die Frage des Eigentums an diesen Grundstükken war nicht ungeklärt. Die Eigentumsfrage, die Frage des Bodeneigentums war eindeutig klar.

(Ulrich Petzold [CDU/CSU]: Gehen Sie doch mal in die neuen Länder!)

Die Bürger waren Bodeneigentümer und damit auch, soweit es diese Lagerstätten angeht, Eigentümer der darunter befindlichen Lagerstoffe.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, in Vorbereitung auf den Staatsvertrag über die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland verabschiedete die frei gewählte Volkskammer ein Verfassungsgrundsätzegesetz, mit dem der Eigentumsschutz in der DDR der Werteordnung des Grundgesetzes angepaßt wurde. Trotz dieser eindeutigen Rechtslage verordnete der Ministerrat unter dem Ministerpräsidenten de Maizière am 15. August 1990 die Vergabe von Bergwerkseigentum an Kieslagerstätten. Der Ministerrat machte also für das Gebiet der ehemaligen DDR aus grundeigenen Bodenschätzen bergfreie Bodenschätze im Sinne des bundesdeutschen Rechts. Weder die Volkskammer noch die von diesen Maßnahmen Betroffenen bzw. Interessenvertreter wurden dazu befragt. In einem Schnellverfahren segnete der Ministerrat diese Verordnung ab.
Wie sind dieser Verfahrensweg und die sich daraus ergebenden Konsequenzen zu bewerten? Meine Damen und Herren, ich zitiere einmal:
Bei verkauften Bergwerksrechten für bergfreie Bodenschätze sind die Grundeigentümer im Osten schlechter gestellt als die im Westen, und dies auf Dauer. Die Bergwerksrechte sind für den Besitzer vererbbar und dinglich belastbar, also nicht rückführbar. Damit bleibt ein dauerhafter Unterschied zwischen Ost und West. Das berührt schon Art. 14 Grundgesetz.

(Ulrich Petzold [CDU/CSU]: Lesen Sie mal das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts!)

Die Bürger fühlen sich durch die Vorgehensweise infolge der Regelungen des Einigungsvertrages überfahren.
Herr Petzold, ich mache es Ihnen jetzt einfach. Das ist kein Zitat aus der Rede eines sozialdemokratischen Bundestagsabgeordneten. Das ist vielmehr ein Zitat aus einer Rede Ihres Kollegen Dr. Luther in der Debatte am 26. März 1993 zur ersten Lesung des SPD-Antrages zur Rechtseinheit bei grundeigenen Bodenschätzen, der ich ausdrücklich zustimme.

(Beifall bei der SPD — Ulrich Petzold [CDU/ CSU]: Das ist doch vom Verwaltungsgericht nicht bestätigt worden!)

Ich würde Ihnen vorschlagen: Machen Sie sich doch erstmal mit dem Sachverhalt vertraut, bevor Sie wild in der Gegend herumargumentieren!



Hans-Joachim Hacker
Meine Damen und Herren, nicht anschließen kann ich mich allerdings den Ausführungen des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Kolb in der gleichen Debatte, der behauptete, daß mit den Regelungen im Einigungsvertrag im Bereich der Zuordnung der Rohstoffe durch Überführung aller ehemals volkseigenen Bodenschätze in die Kategorie der ebenfalls nicht dem Grundeigentümer gehörenden bergfreien Bodenschätze eine Rechtsanpassung in Deutschland vorgenommen wurde; denn gerade dies ist ja nicht der Fall. Es scheint, daß sowohl Herr Dr. Kolb als auch Herr Petzold entweder das Rechtsproblem nicht erkannt haben oder aber die Problematik nicht erkennen wollen. Im letzteren Falle stellt sich allerdings die Frage, warum das so ist.
Meine Damen und Herren, Herr Petzold hat gesagt, bei der Annahme des Antrages der SPD werde Glücksrittern und Spekulanten Tür und Tor geöffnet. Wer ist denn hier um die Eigentumsrechte gebracht worden? Das sind doch die Eigentümer, die während der ganzen DDR-Zeit uneingeschränkte Eigentumsrechte hatten. Und wer ist jetzt dort vor Ort der Nutzer dieser Bergschätze? Das sind Baulöwen, die dort abräumen und abkassieren. Wenn Sie von Spekulanten und Glücksrittern sprechen, dann haben Sie auch gleich die Antwort darauf gegeben, Herr Petzold. So ist nämlich die Lage.

(Beifall bei der SPD)

Ich muß sagen, es enttäuscht mich, daß nach der Debatte im März 1993 bis heute bei Ihnen noch keine Klarheit eingetreten ist.
Bei den vermögensrechtlichen Regelungen des Einigungsvertrages und der Folgegesetzgebung hat die Koalition strikt den Grundsatz Rückgabe vor Entschädigung verfolgt, soweit es um Vermögensverfügungen unter den politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen der früheren DDR ging. Die F.D.P. erklärt sogar, daß sie eine Aufhebung der Entscheidungen der Alliierten auf der Grundlage des damaligen Rechts anstrebte, und das von Anfang an, und daß sie in diesem Zuge von Anfang an beabsichtigt habe, die Bodenreform aufzuheben.

(Zuruf von der SPD: Hört! Hört!)

Soweit es Eingriffe in Vermögensrechte während der Zeit angeht, in der bereits ein qualifizierter Eigentumsschutz existierte — und das war ja im Sommer 1990 nach dem Verfassungsgrundsätzegesetz der Fall —, blockieren CDU/CSU und F.D.P. jedoch eine Regelung, wie sie mit den vorliegenden Anträgen der SPD-Bundestagsfraktion eingefordert wird. Meine Damen und Herren, das ist doch ein unglaublicher Vorgang, der sich da abspielt!

(Beifall bei der SPD)

Ich behaupte, daß die Betroffenen — es sind kleine Bodeneigentümer in den neuen Ländern — in der regierenden Koalition keine Lobby haben und deshalb nach dem Willen der Koalition auf kaltem Wege enteignet bleiben sollen. Das kann nicht richtig sein, und dagegen wenden wir uns nachdrücklich. Bis heute haben die betroffenen Bodeneigentümer keine Entschädigung erhalten. Eine Entschädigungsregelung ist seitens der Bundesregierung, soweit mir bekannt ist, auch nicht vorgesehen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Unsere Argumente für eine Änderung der derzeit in den neuen Ländern geltenden Rechtslage sind:
Erstens. Der Wegfall der Verfügungs- und Nutzungsbefugnis führt zu einem Verlust des wirtschaftlichen Wertes des Grundstückes. Wegen der nicht erfolgten Entschädigung ist von einem verfassungswidrigen Verstoß gegen den Eigentumsschutz gemäß Art. 14 Grundgesetz auszugehen.
Zweitens. Durch die Festlegung unterschiedlicher Bestimmungen im Bergrecht der neuen Länder gegenüber den Regelungen im Altbundesgebiet wird gegen das Gebot der Gleichbehandlung nach Art. 3 des Grundgesetzes verstoßen.
Drittens. Die von dem damaligen Ministerrat der DDR zugrunde gelegte Überlegung, mit dieser Regelung die Wirtschaftskraft der Treuhandanstalt zu stärken, ist für die Bestimmung von Differenzierungsmerkmalen bei der Ausgestaltung von Rechtsvorschriften ungeeignet. Insofern können die von der Koalition gegen die Anträge der SPD vorgebrachten Ablehnungsgründe nicht überzeugen.
Meine Damen und Herren, wir standen in den zurückliegenden Jahren vor der Aufgabe - nicht nur im Bereich der Vermögensfragen —, die Rechtseinheit in Gesamtdeutschland zu schaffen. Die derzeitige Rechtssituation bei grundeigenen Bodenschätzen wird diesem Erfordernis nicht gerecht. Es besteht ein dringendes Erfordernis, die Rechtseinheit auch auf diesem Gebiet herbeizuführen. Die Aufgabe erfüllen wir mit der Annahme der Ihnen vorliegenden Anträge der SPD.
Ein überzeugendes Beispiel, meine Damen und Herren, wie sich die Koalition nach jahrelangem Gezänk bewegen kann, wie sie Positionen der SPD, die nunmehr seit drei Jahren in diesem Parlament verfochten werden, übernehmen kann, ist doch der plötzliche Wandel in der Frage der Klärung der schuldrechtlichen Problematik in den neuen Ländern. Nachdem die Wähler der F.D.P. massenweise, in Scharen, davongelaufen sind und das Fiasko bei den nächsten Wahlen vorgezeichnet ist, kriegt die F.D.P. mit einemmal, nachdem jahrelang blockiert wurde, die Kurve und stimmt mit einemmal den Positionen der SPD zu. Wie soll man das noch verstehen können? — Ich verstehe das nicht. Das ist die Angst vor dem Votum der Wähler, nicht höhere Einsicht, Das ist, so meine ich, bedauerlich.
Ich fordere Sie auf, meine Damen und Herren: Lassen Sie sich nicht erst durch die nächsten Wahlergebnisse in Sachsen-Anhalt zu einem Besseren bekehren!

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1223410400
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist schon ein Stück überschritten.

Hans-Joachim Hacker (SPD):
Rede ID: ID1223410500
Engagieren Sie sich hier und heute dafür — ich komme zum Schluß, Herr Präsident —, daß im Bergrecht endlich Rechtseinheit hergestellt wird! Stimmen Sie den Anträgen der SPD-Bundestagsfraktion zu!



Hans-Joachim Hacker
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1223410600
Ich erteile das Wort dem Kollegen Paul Friedhoff.

Paul K. Friedhoff (FDP):
Rede ID: ID1223410700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute beschäftigen wir uns also wieder einmal mit einem SPD-Antrag zur Herstellung der Rechtseinheit bei grundeigenen Bodenschätzen. Dies haben wir schon einmal getan.
In den neuen Ländern sind nach dem Einigungsvertrag Bodenschätze wie Kiese und Kiessande bergfrei. Die Oberflächeneigentümer verfügen also nicht über das Eigentum an diesen Baurohstoffen.

(Hans-Joachim Hacker [SPD]: Das stimmt ja nicht! Seit dem 15. August ist das so!)

In den alten Ländern ist dies anders. Hier kennen wir diese Regelung lediglich für die klassischen Mineralien wie Kohle, Erdöl oder Kali.
Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie beantragen eine rechtliche Gleichbehandlung der genannten Steine und Erden in den alten und neuen Ländern. Gewiß klingt diese Ausweitung von Eigentumsrechten zunächst nach einem Vorschlag, dessen Zustimmung sich scheinbar niemand so ohne weiteres entziehen kann, wenn er einigermaßen marktwirtschaftlich denkt.
Wir meinen jedoch, daß wir in dem vorliegenden Fall nichts gewinnen, wenn wir dem Antrag der Sozialdemokraten zustimmen, im Gegenteil: Jetzt bei diesem Punkt zu handeln, schadet der wirtschaftlichen Entwicklung in den neuen Ländern in erheblichem Maße.

(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)

Deswegen wollen und können wir die Eigentumsrechte heute noch nicht erweitern.
Meine Damen und Herren, wir alle kennen den Grund —

(Zuruf von der SPD: Eigentümliche Interpretation!)

hören Sie doch einmal zu; vielleicht ist Ihnen das entgangen; vielleicht haben Sie den Grund nicht mitgekriegt —, warum im Einigungsvertrag diese hochwertigen Steine und Erden der Verfügungsbefugnis des Staates zugeordnet wurden.
Ich muß zugeben: Ich komme mir hier einigermaßen merkwürdig vor, weil Sie es üblicherweise sind, die hier in diesem Haus diese Dinge immer fordern. Aber mir ist klar — die Rede von Herrn Hacker hat das ja vorhin auch sehr eindeutig gezeigt —, aus welchem Grunde Sie dieses hier veranstalten, nämlich weil Sie den Wahlkampf und den Wähler im Auge haben und dort irgendwelche populistischen Dinge nach vorne bringen möchten.
Sie wissen doch ganz genau, daß die Absicht, das zum heutigen Zeitpunkt zu ändern, bedeuten würde, daß man die Entwicklung — die ja damit zusammenhängt, daß diese Eigentumsrechte nicht so unsicher waren, wie das an vielen anderen Stellen ist — beeinträchtigt. Sie wissen, daß diese Eigentumsrechte geklärt, klar sein müssen. Deswegen ist das in den Einigungsvertrag hineingekommen.

(Zuruf von der SPD: Warum stellen Sie denn keinen Antrag?)

Dieses können wir heute nicht ändern, weil wir den Aufbau Ost offensichtlich nicht aufgegeben haben. Wir werden weitermachen. Dieser Aufbau muß weitergehen; er darf nicht gestört werden.
Meine Damen und Herren, der Antrag der sozialdemokratischen Fraktion stützt sich auf erhebliche Rechtsbedenken gegenüber den geltenden Bestimmungen des Einigungsvertrages. Behauptet wird ein verfassungswidriger Verstoß gegen den Eigentumsschutz nach Art. 14 Grundgesetz. Darüber hinaus verstoße, so die SPD, die unterschiedliche Bestimmung im Bergrecht der neuen Länder gegen das Gebot der Gleichbehandlung nach Art. 3 des Grundgesetzes.
Meine Damen und Herren, das Bundesverwaltungsgericht ist den Sorgen der Opposition nicht gefolgt. Es hat die Regelungen des Einigungsvertrages in seinem Grundsatzurteil vom 24. Juni 1993 ausdrücklich als vereinbar mit der Eigentumsgarantie und dem Gleichbehandlungsgebot bezeichnet. Eine rechtliche Angleichung ist daher gegenwärtig nicht zwingend geboten.
Darüber hinaus schweben derzeit mehrere Verfassungsbeschwerden aus Sachsen und MecklenburgVorpommern beim Bundesverfassungsgericht. Ohne die Entscheidungen aus Karlsruhe können wir ohnehin keine langfristig haltbare Änderung des bestehenden Zustandes vornehmen.
Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie behaupten in Ihrem Antrag, die Regelungen des Einigungsvertrags zum Bergrecht seien gemacht worden, um die wirtschaftliche Macht der Treuhandanstalt zu vergrößern. Ich kann dafür keine Anhaltspunkte finden. Sie wissen wie ich, daß der geordnete Übergang von der Staatswirtschaft zur Marktwirtschaft und die wirtschaftlichen Notwendigkeiten bei der Rohstoffversorgung die geltenden Regelungen erzwungen haben.
Ein sofortiger Veräußerungsstopp für Bergrechte seitens der Treuhandanstalt, wie er von Ihnen jetzt gefordert wird, gefährdet den Aufschwung Ost an strategisch entscheidender Stelle. Milliardeninvestitionen und Tausende von Arbeitsplätzen wären sofort akut gefährdet. Die Privatisierungsbemühungen der Treuhandanstalt sollten auch an diesem Punkt nicht gefährdet werden.
Als Fazit bleibt: Die in Ost und West unterschiedliche Rechtslage bei den Baurohstoffen hat sich während dieser Aufbauphase durchaus bewährt. Im Interesse der wirtschaftlichen Entwicklung der neuen Länder sollte die gültige Regelung so lange wie nötig beibehalten bleiben. Ein gesetzgeberischer Schnellschuß kommt allein schon wegen der noch anstehenden Entscheidung aus Karlsruhe zu diesem Zeitpunkt nicht in Frage.
Meine Damen und Herren, ich darf Sie daher herzlich bitten, dem Votum des Treuhandausschusses



Paul K. Friedhoff
zu folgen und den Antrag der SPD-Fraktion abzulehnen.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1223410800
Herr Kollege Wolfgang Erler, Sie haben das Wort.

Wolfgang Erler (CDU):
Rede ID: ID1223410900
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Aufschwung in den neuen Bundesländern schreitet unverkennbar voran. Dies ist ein Erfolg der Bundesregierung, dies ist ein Erfolg von Helmut Kohl. Wohlstand, Sicherung der Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisse konnten geschaffen werden. Worauf ich besonders Wert lege, ist die Tatsache, daß die Menschen vor Ort arbeiten und wohnen können. Ich weiß, daß dies von Mitgliedern der Opposition bestritten wird. Dennoch, so meine ich — viele der Mitglieder kommen ja aus den neuen Bundesländern —, sollten Sie sich dort umsehen, mit den Leuten sprechen und die Probleme vor Ort sehen.
Um so unverständlicher, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist es, daß die SPD mit ihrem vorliegenden Antrag erneut den Eindruck erwecken will, daß die Menschen im Osten Opfer der Einigung seien und daß der Einigungsvertrag sie benachteilige. Wer diese Philosophie vertritt, hat im Frühjahr Unkraut gesät und wird im Herbst die Wahlniederlage als Ernte einfahren.
Die Väter des Einigungsvertrages haben angesichts der einmaligen Situation in unserem Vaterlande und angesichts der zu erwartenden schwierigen wirtschaftlichen Situation in den neuen Ländern verantwortungsvolle, umsetzbare und unbürokratische Regelungen getroffen. Auch dies wird oftmals bestritten. Aber wir sollten doch zur Kenntnis nehmen, daß durch viele Gerichtsverfahren der Einigungsvertrag bestätigt wurde, so auch bei dem heute zu beratenden Antrag.
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Antrag der SPD-Fraktion zur Vereinheitlichung des Bergrechts nach der deutschen Einheit ist eine Erweiterung der bereits 1992 und 1993 gestellten Anträge. Diese wurden im Bundestagsausschuß für Wirtschaft am 12. Mai 1993, im Umweltausschuß am 16. Juni 1993 und federführenden Ausschuß Treuhandanstalt am 22. September 1993 intensiv beraten und wurden notwendigerweise von den Koalitionsmitgliedern wegen der weitreichenden negativen Folgen abgelehnt.
Wir hatten in unserer Diskussion bei der Ablehnung der Anträge die SPD immer wieder darauf hingewiesen, welch großes Risiko sich darin befinde, in der jetzigen Phase des Aufbaus in den neuen Bundesländern diesen Anträgen zu entsprechen. Leider wollten die Ausschußmitglieder der Opposition unseren Ausführungen insoweit nicht folgen, als sie die Auffassung vertreten haben, daß bei dem jetzigen Recht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 des Grundgesetzes verstoßen worden sei. Heute aber wissen wir, daß das Bundesverwaltungsgericht — meine Kollegen haben bereits darüber berichtet — in seinem Urteil vom 24. Juni 1993 die zur Zeit praktizierte
Regelung für verfassungskonform erklärt hat. Unsere Auffassung wurde also vom Bundesverwaltungsgericht geteilt.
Das Bundesverwaltungsgericht führt in seiner Entscheidung folgendes aus — ich darf dies hier noch einmal erwähnen, auch in bezug auf die Ausführungen des Kollegen Hacker —:
Der Einigungsvertrag durfte das der Treuhandanstalt vor der deutschen Einigung verliehene Bergwerkseigentum an bestimmten hochwertigen Kiesen und Kiessanden aufrechterhalten und damit die Gewinnung dieser — nur im Beitrittsgebiet bergfrei — Bodenschätze den Grundeigentümern der betroffenen Flächen vorenthalten.
Das Bundesverwaltungsgericht hat mit seiner Entscheidung wohlweislich der außergewöhnlichen Situation Rechnung getragen, die Sie heute mit Ihrer Forderung nach Rechtsangleichung in Frage stellen. Daß Ihnen dieses Urteil nicht recht sein kann, weil es nicht in Ihre Philosophie paßt, können wir gut nachvollziehen, aber es bestärkt uns in unserer Auffassung, Ihren Antrag auf Vereinheitlichung des Bergrechts, den Sie heute eingereicht haben, in den Ausschüssen intensiv zu prüfen.
Ich wiederhole erneut — es hat sich gegenüber Ihren vorhergehenden Anträgen nichts geändert , daß der Bauwirtschaft, wie Sie sicherlich selbst feststellen, durch Ihren Antrag der Boden einer kontinuierlichen Entwicklungsphase entzogen wird. Sie gefährden hiermit in eklatanter Weise den Aufbau in den neuen Bundesländern. Der Bauwirtschaft ist es bisweilen als einzigem Wirtschaftszweig gelungen, den Arbeitsplatzabbau umzukehren, ja, sie hat sogar einen enormen Bedarf an Arbeitskräften, und sie trägt Sorge dafür, daß Tausende von Menschen mit ihren Familien Arbeit und damit ein geregeltes Einkommen haben. Dies gefährden Sie mit Ihrem Antrag.
Wir werden uneingeschränkt an der jetzigen Regelung über bergfreie Bodenschätze im Interesse des schnellen Aufbaus der neuen Bundesländer festhalten, weil wir wissen, daß sie ein elementarer Grundpfeiler der ostdeutschen Bauindustrie ist.
Als ich nach dem Fall der Grenze in Thüringen gearbeitet habe, konnte ich hautnah mitverfolgen, was die Lkws aus dem ehemaligen Grenzgebiet zu Thüringen für den Straßenbau geladen hatten: Kies, Sand und Schotter. Haben Sie das etwa vergessen? Dies hat sich heute geändert.
Wenn wir aber Ihren Anträgen aus den Jahren 1992 und 1993 gefolgt wären, hätte dies den Aufschwung in den neuen Bundesländern abgebremst, und unnötige Verwaltungsverfahren wären die Folgen gewesen. Das Ergebnis wäre gewesen, daß Tausende von Lkws mit Kies und Sand quer durch die Lande, über Autobahnen und Bundesstraßen, gefahren wären, weil der enorme Bedarf einfach befriedigt werden mußte. Der Preis für Sand, Kies und andere Bodenschätze wäre dadurch erheblich gestiegen. Diese Frachtkosten hätten die Bürger zusätzlich zahlen müssen.



Wolfgang Erler (Waldbrunn)

Wir wollen daher weiterhin sicherstellen, daß die Produktionsgrundlagen der Bauindustrie vor Ort erhalten bleiben und nicht durch rot-grüne oder andere politische Ideologien im Genehmigungsverfahren blockiert werden. Ich weiß, wovon ich rede; ich komme aus Hessen. Dort haben wir erhebliche i Schwierigkeiten bei den Genehmigungsverfahren, und die Industrie zieht sich mehr und mehr zurück. Ich meine, unter diesem Gesichtspunkt sollte die SPD einmal ihren Antrag überprüfen.
Nachdem die SPD sich — wie es Herr Hacker vorhin ebenfalls getan hat — in ihrer Begründung zu ihrem Antrag lobend über die sächsische Handhabung geäußert hat, meine ich, daß eine flexible Regelung, wie sie vor Ort praktiziert wird, auf der Ebene der Durchführungsvorschriften völlig ausreichend und daher eine Gesetzesänderung entbehrlich ist. Sie aber wollen das Gegenteil. Ihr Antrag zielt auf Verfahrensverlängerungen in dem Wissen, daß insgesamt in unserem Lande der Abbau von Bodenschätzen verzögert werden soll. Dies gefährdet weitere Arbeitsplätze und wäre ein wahrhaftig ideales Tummelfeld für rot-grüne Planer.
Wir wollen Entbürokratisierung; wir wollen Erleichterungen für unsere Bürgerinnen und Bürger und nicht lange unselige Wege, bis dann endlich der Gnadenakt der Bürokratie einem Antrag, wenn überhaupt, entspricht. Das ist ein weiterer Grund für uns, Ihrem Antrag skeptisch gegenüberzustehen.
Bei dem vorliegenden Antrag wird bei näherem Hinsehen klar, daß auf der Ebene des Raumordnungsverfahrens, des Gewinnungsrechtsvergabeverfahrens und des Betriebsplanungszulassungsverfahrens bundesweit und ohne Rücksicht auf Umfang und Eigenart des Vorhabens eine Fülle neuer Verfahrensschritte einzuführen sind, die das Ziel haben, den Rohstoffabbau verwaltungsverfahrensmäßig zu erdrosseln.
Das geht natürlich auch über den Weg einer unverhältnismäßig großen Überbürokratisierung. Dabei zahlen dann die Kommunen die Zeche. Diesem Vorhaben werden wir im Interesse unserer Bürgerinnen und Bürger, insbesondere in den neuen Bundesländern, unsere Zustimmung sicherlich nicht geben können.
Daher wollen wir vorerst auch heute Ihren Antrag aus finanz-, sozial- und wirtschaftspolitischen Gründen in die Ausschüsse überwiesen haben.
Im übrigen widerspricht die Einführung des von der Opposition beabsichtigten aufwendigen, überbürokratisierten bergrechtlichen Planfeststellungsverfahrens mit Umweltverträglichkeitsprüfung für Kleintagebaue unter 10 Hektar — wie Sie unter Punkt 3 Ihres Antrages schreiben — den gegenwärtigen auf europäischer Ebene laufenden Bemühungen um eine europaweite einheitliche Straffung und Verbesserung der Umweltverträglichkeitsprüfungen.
Mit anderen Worten, der Vorschlag der SPD läuft den Harmonisierungsbestrebungen auf europäischer Ebene diametral entgegen. Eine derartige Überbürokratisierung widerspricht zudem den Vorgaben des Investitionserleichterungsgesetzes vom Frühjahr letzten Jahres, das zur Beschleunigung von Investitionen — nicht zum Gegenteil — einen weitgehenden Verzicht auf zusätzliche Raumordnungsverfahren vorsieht.
Wir werden Ihren Antrag bei den Beratungen in den Ausschüssen daraufhin intensiv überprüfen, inwieweit er den Aufschwung in den neuen Bundesländern blockiert und den Menschen die Arbeitsplatz- und Beschäftigungssicherheit nimmt.
Daß unsere Politik richtig ist, zeigt die erste Ernte unserer Aussaat, einer vernünftigen und bürgernahen Politik, für die wir am letzten Sonntag bei der Europawahl belohnt worden sind.
Abschließend möchte ich meinen Vortrag mit einem Zitat des großen deutschen Dichters Martin Walser schließen, der da sagt, geradezu lüstern sei die Sucht der Deutschen nach Schwarzmalerei und Verdrossenheit.
In diesem Sinne richte ich meinen Appell an die Damen und Herren der Opposition, endlich mit der Schwarzmalerei der Situation in Deutschland aufzuhören; denn in unserem Lande ist für Schwarzmalerei kein Platz. Die Menschen wollen das nicht mehr hören.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1223411000
Das Wort hat der Kollege Rolf Schwanitz.

Rolf Schwanitz (SPD):
Rede ID: ID1223411100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor mehr als einem Jahr fand im Deutschen Bundestag auf Antrag der SPD die erste Debatte zur Herstellung der Rechtseinheit bei grundeigenen Bodenschätzen statt. Die Bundesregierung sowie die CDU/CSU- und F.D.P.-Fraktion haben bereits damals — genauso wie später in den Ausschüssen— deutlich gemacht, daß sie an einer Vereinheitlichung des Bergrechts zwischen den alten und den neuen Bundesländern nicht interessiert sind.
Die Zuordnung geringwertiger mineralischer Baustoffe in dem Bereich der bergfreien Bodenschätze und damit die Beschneidung der Rechte ostdeutscher Grundeigentümer sei, so sagten Sie damals — übrigens auch heute wieder —, wegen des Bedarfs der ostdeutschen Bautätigkeit unverzichtbar. Im übrigen verwiesen Sie auf das hängende Verfahren ostdeutscher Kläger vor dem Bundesverfassungsgericht. Sie wollten — wie heute erneut — das Urteil von Karlsruhe abwarten.
Selbst bei den rund 870 Treuhandabbaufeldern waren Sie, obwohl der Ausgang des Verfahrens in Karlsruhe nach wie vor ungewiß ist, nicht zu einem Einlenken bereit.
Jene Bergwerksfelder, bei denen die Regierung de Maizière kurz vor dem 3. Oktober 1990 der Treuhandanstalt noch schnell Bergwerkseigentum verlieh und bei denen es infolgedessen nur noch um eine Betriebsplangenehmigung geht — also nicht mehr um die Frage, ob, sondern nur noch um die Frage, wie abgebaut wird —, konnten dank Ihrer Untätigkeit an den Interessen der Ostdeutschen vorbei weiter an westdeutsche Firmen privatisiert werden.



Rolf Schwanitz
Probleme werden ausgesessen, Lösungen werden verschleppt, bis auch in dem letzten Fall vollendete Tatsachen geschaffen worden sind. Die Arroganz der Macht triumphiert über die Ängste und Nöte der Ostdeutschen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch nicht wahr! — Zuruf von der F.D.P.: Sie haben nichts begriffen!)

Abermals wiegen für diese Bundesregierung die Gewinninteressen westdeutscher Baufirmen schwerer als die Grundinteressen ostdeutscher Bürger.
Haben Sie sich von der Bundesregierung jemals Gedanken darüber gemacht, daß — selbst wenn das Bundesverfassungsgericht nicht entscheiden sollte, daß das gespaltene Recht im Osten verfassungswidrig ist, und Sie deshalb nicht durch die Verfassungsrichter zur Veränderung des Rechts gezwungen werden würden — diese gespaltene Rechtssituation, durch welche den Ostdeutschen Rechte vorenthalten werden, wie das ja auch jetzt wieder anerkannt worden ist, ein Akt der Ungerechtigkeit bleibt? In Karlsruhe geht es um das Recht, nicht um die Moral. Täuschen Sie sich deshalb nicht: Die Ungerechtigkeit des jetzigen Zustandes geht auf Ihr Konto, auf das Konto dieser Bundesregierung.
Meine Damen und Herren, wenn sich auch hier in Bonn seit unserer letzten Debatte nichts verändert hat, so haben sich die Dinge in Ostdeutschland doch weiterentwickelt. Dabei will ich auf die Tatsache, daß Ihr Bedarfsargument wegen der gigantischen Abbauzahlen schon vor einem Jahr unsinnig war, gar nicht weiter eingehen. An vielen Orten sind Bürgerinitiativen gegen den Gesteinsabbau aus dem Boden geschossen. Der Bürgerwille hat sich organisiert und hat die Kommunal- und Landespolitiker mancherorts auf Trab gebracht.
Es ist dem beharrlichen Druck dieser engagierten Bürger zu verdanken, daß beispielsweise die Verwaltungspraxis in Sachsen geändert wurde und sich die Sächsische Staatsregierung heute zumindest verbal auch für eine Vereinheitlichung der bergrechtlichen Vorschriften einsetzt.

(Ulrich Petzold [CDU/CSU]: Aber vor Ihrem Antrag!)

In Sachsen ist das Bergamt angehalten, bereits im Erlaubnis- und Bewilligungsverfahren die betroffenen Gemeinden zu beteiligen. Einen verbindlichen Rechtsanspruch der Gemeinden darauf gibt es in Biedenkopfscher Manier zwar nicht, aber die Beteiligungsmöglichkeiten in Sachsen jedenfalls sind ein Schritt in die richtige Richtung.

(Ulrich Petzold [CDU/CSU]: In Sachsen, nicht in Brandenburg!)

Auch diese Entwicklung zur Veränderung, zu der sich ein CDU-regiertes ostdeutsches Land durch den Bürgerdruck genötigt gefühlt hat, läßt diese Bundesregierung und die Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. im Deutschen Bundestag kalt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Und Brandenburg?)

Mein Fraktionskollege Hacker hat sehr richtig darauf hingewiesen, daß dies offensichtlich ein Problem der fehlenden Lobby der ostdeutschen Bürger innerhalb der CDU/CSU und der F.D.P. ist. Wenn ich vergleiche, mit welcher Kraft sich die Koalition beim Entschädigungsgesetz für die Ansprüche der zwischen 1945 und 1949 im Osten enteigneten Alteigentümer eingesetzt hat und wie andere Probleme einfach ausgesessen werden, kann ich die Frustration vieler Ostdeutscher verstehen.
Aus dem früheren DDR-Recht wird durch CDU/ CSU und F.D.P. immer nur das übernommen, was der eigenen Klientel nützt. Geht es um die Alteigentümer, so spielen Bodenreform, 40jährige ostdeutsche Rechtspraxis, die gemeinsame Erklärung zum ersten Staatsvertrag und der Einigungsvertrag selbst offensichtlich keine Rolle. Geht es um die Bodenschätze des Ostens, so wird sogar der letzte Zipfel der sozialistischen Bodenphilosophie, wonach dem Staat alles und den Bürgern nichts gehört, mit Vehemenz über Jahre hinweg vertreten — ganz nach dem Motto: Was die Kommunisten den Ostdeutschen nicht gegeben haben, können wir ihnen auch im vierten Jahr der deutschen Einheit noch weiterhin vorenthalten.
Meine Damen und Herren, hier werden in scheinheiliger Manier Rechtsgrundsätze Klientelinteressen geopfert. Sie müssen sich nicht wundern, wenn die Ostdeutschen diese Scheinheiligkeit erkennen und einer Partei wie beispielsweise der F.D.P., die vorgibt, in ganz besonderer Art und Weise gesamtdeutsche Eigentumsinteressen zu vertreten, an den jeweiligen Wahltagen die Quittungen präsentiert werden.

(Widerspruch bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Sozialdemokraten sagen: Es muß Schluß sein mit der gespaltenen Bergrechtssituation zwischen Ost- und Westdeutschland. Es geht nicht mehr an, daß im vierten Jahr der deutschen Einheit auch noch die geringwertigsten Bodenstoffe, wie z. B. Kies, gegen die Interessen und gegen den Willen der ostdeutschen Grundeigentümer abgebaut werden. Wir brauchen eine Vereinheitlichung des Bundesberggesetzes, bei der der Zuordnungsnachteil der Ostdeutschen beseitigt wird. Tun Sie, bitte schön, in diesem Zusammenhang auch hier in dieser Debatte nicht erneut wieder so, als hätte der Gesetzgeber keinen Handlungsspielraum, positive Elemente bei der Neuschaffung von Bergrecht mit zu berücksichtigen.
Die Sozialdemokraten wollen dabei, daß die betroffenen Kommunen nicht nur in Sachsen bereits beim Erlaubnis- und Bewilligungsverfahren und nicht erst bei den Betriebsplänen beteiligt werden. Eine solche Beteiligung darf nicht wie nach dem Politikverständnis der Sächsischen Staatsregierung ein Gnadenakt sein. Nein, wir brauchen einen verbindlichen Rechtsanspruch der Kommunen auf Beteiligung.
Ziehen wir doch bitte schön endlich die politischen Lehren aus der Vorgehensweise der Abbauunternehmen innerhalb der Genehmigungspraxis des Ostens. Natürlich versuchen die Unternehmen, ein Planfeststellungsverfahren und eine Umweltverträglichkeitsprüfung dadurch zu umgehen, daß die Abbaufelder scheibchenweise immer unter der 10-ha-Grenze in



Rolf Schwanitz
das Betriebsplanverfahren geschickt werden. Wir wissen doch, daß eine solche Salamitaktik die Planungsvorschriften umgeht und die Bürgerbeteiligung abermals schwächt.
Ziehen Sie von der CDU/CSU und F.D.P. hieraus endlich die Konsequenzen! Setzen Sie gemeinsam mit der SPD noch vor Ende dieser Legislaturperiode ein Zeichen! Denn das Urteil wird in Karlsruhe nicht mehr in dieser Legislaturperiode gefällt. Das wissen Sie genauso gut wie wir. Ziehen Sie die Lehren daraus, und setzen Sie ein Zeichen gegen die ostdeutsche Benachteiligung und für die Rechtseinheit im vereinigten Deutschland.

(Beifall bei der SPD)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1223411200
Ich erteile dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft Dr. Heinrich Kolb das Wort.

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1223411300
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Zum Thema Rechtseinheit bei grundeigenen Bodenschätzen hat die SPD vor über einem Jahr zwei Anträge eingebracht, die schon damals nicht in die gesamtwirtschaftliche Landschaft gepaßt haben und die in der gegenwärtigen Situation erst recht nicht in die Landschaft passen.

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU)

Nunmehr legt die SPD noch einmal nach. Sie präsentiert einen weiteren Antrag, der der Baurohstoffindustrie das Leben auf administrativem Wege zusätzlich erschweren soll. Ich kann mich, Herr Kollege Schwanitz, des Eindrucks nicht erwehren, daß das hier mehr oder weniger aus wahlkampftaktischen Gründen geschieht.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Sie haben hier in das Horn gestoßen, in das schon zu Beginn der Debatte der Kollege Hacker stieß. Nur, ich danke Ihnen, daß Sie im Gegensatz zu Ihrem Kollegen bis zum Ende der Debatte hiergeblieben sind, um sich mit diesem Sachthema zu befassen.
Die Koalitionsfraktionen und die Bundesregierung haben in der Vergangenheit immer wieder nachdrücklich auf die enorme volkswirtschaftliche Bedeutung der gegenwärtigen Regelung als Grundlage für die Tätigkeit der ostdeutschen Bauwirtschaft und auch für den Aufschwung der neuen Bundesländer hingewiesen. Die Bundesregierung unterstützt die Schlußfolgerungen aus den Ausschußberatungen, wonach die jetzige Regelung über bergfreie Bodenschätze und, damit verbunden, zum erweiterten Geltungsbereich des Bergrechts im Interesse des schnellen Aufbaus in den neuen Bundesländern liegt und ohne Einschränkung möglichst für eine lange Zeit beibehalten werden sollte.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1223411400
Herr Parlametarischer Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Elmer?

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1223411500
Eine, ja.

Dr. Konrad Elmer (SPD):
Rede ID: ID1223411600
Herr Kollege, damit Sie es sich mit dem Argument, wir stellten diesen Antrag aus wahltaktischen Gründen, nicht zu einfach machen: Ich möchte Sie nur darauf hinweisen, daß mein Vater, 80 Jahre alt, während der ganzen DDR-Zeit im Nordhäuser Raum gekämpft hat.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1223411700
Herr Kollege Elmer, die Frage.

Dr. Konrad Elmer (SPD):
Rede ID: ID1223411800
Ja, die Frage. — Halten Sie es lediglich für ein wahltaktisches Vorgehen, daß ein Naturschutzbeauftragter, der versucht hat, Dinge über die DDR-Zeit zu retten, nun zusehen muß, daß mit Ihrem Bergrecht das, was er retten konnte, zum Teil über den Jordan geht? Halten Sie es für angemessen, dies als wahltaktisches Engagement zu bezeichnen?

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1223411900
Herr Kollege Elmer, ich bezeichne als Wahlkampf, daß hier versucht wird, ein Unrecht zu konstruieren, wo offensichtlich keines ist. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes ist ganz deutlich. Ich bin sicher, daß die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich der schwebenden Verfahren nicht anders lauten wird. Sie behaupten, es gebe Unrecht, und regen sich an einer Stelle auf, wo keines ist. Das habe ich hier als Wahlkampf bezeichnet.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1223412000
Sind Sie bereit, eine zweite Frage zuzulassen?

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1223412100
Wir sind eine Stunde im Verzug. Ich soll um 3 Uhr eigentlich schon an anderer Stelle reden. Aber, eine noch.

Dr. Konrad Elmer (SPD):
Rede ID: ID1223412200
Könnten Sie bereit sein, zu akzeptieren, daß Politik aus mehr besteht als aus dem Recht zu wiederholen, nämlich daraus, das Problem von Gerechtigkeit und Recht immer wieder neu zu gestalten und so über das bloße Recht zu wirklicher Gerechtigkeit zu kommen?

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1223412300
Herr Kollege Elmer, das war jetzt sehr philosophisch. Vielleicht werde ich das noch einmal im Protokoll nachlesen und, wenn mir dazu eine gute Antwort einfällt, Ihnen später darauf antworten.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die bestehende Regelung dient der Sicherung der gegenwärtigen und künftigen Produktionsgrundlagen der ostdeutschen Bauwirtschaft und hat sich, wie die Praxis zeigt, voll bewährt. Die Bauwirtschaft hat am Wachstumsprozeß in den neuen Bundesländern entscheidenden Anteil. Ja, sie ist sogar der Konjunkturmotor der ostdeutschen Wirtschaft. Die gesamten Bauinvestitionen, die schon 1992 real um mehr als ein Drittel gestiegen sind, haben im vergangenen Jahr nochmals



Parl. Staatssekretär Dr. Heinrich L. Kolb
um mehr als ein Viertel zugenommen, im Wohnungsbau sogar um mehr als zwei Drittel.
Die Bauwirtschaft ist auch die erste bedeutende Branche, die den nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Systems einsetzenden Prozeß des Beschäftigungsabbaus abschließen konnte. Seit nunmehr schon zwei Jahren gehen vom Baugewerbe entscheidende arbeitsmarktentlastende Wirkungen aus. Die Bundesregierung hat diese positive Entwicklung mit ihrer Politik für den Aufschwung Ost von Anfang an nachhaltig unterstützt, um den Aufholprozeß so schnell wie möglich voranzubringen.
Für das Funktionieren dieses Konjunkturmotors ist — diesen Zusammenhang muß man sehen — die Bereitstellung der erforderlichen Rohstoffe für die schon zu DDR-Zeiten bestehenden und die neu zu errichtenden Betriebe unerläßlich. Angesichts der Dynamik der Baukonjunktur kommt dabei dem Bereich der Neuerrichtung von Betrieben und damit der Beibehaltung der bestehenden positiven bergrechtlichen Rahmenbedingungen für die Baurohstoffindustrie besondere Bedeutung zu. Die zu DDR-Zeiten bestehenden Betriebe allein wären zur Befriedigung des neu entstandenen Bedarfs nicht in der Lage gewesen.
Die von der SPD insbesondere in dem jetzt neu vorgelegten dritten Antrag befürchtete zu starke Inanspruchnahme der natürlichen Ressourcen wird schon deshalb nicht eintreten, weil die Baustoffe in ihrer Mehrzahl als schwergewichtige Massengüter aus ökonomischen Gründen nicht auf Lager oder sonstige Vorratshaltung produziert werden können. Die effektive Produktion muß sich vielmehr stets genau am örtlichen relevanten Bedarf orientieren. Außerdem — auch das bitte ich zur Kenntnis zu nehmen — erfolgen für Schwerpunkte der Bauwirtschaft, z. B. Berlin, Potsdam, Dresden, nach wie vor in erheblichem Umfang Rohstoffimporte aus Polen und Tschechien.
Die in den Beratungen der Ausschüsse für Wirtschaft und Umwelt sowie im federführenden Ausschuß Treuhandanstalt angeregte direkte Abstimmung der Treuhandanstalt mit den Landesbehörden in den neuen Bundesländern im Vorfeld der Privatisierung des Bergwerkeigentums ist seit I 993 verstärkt erfolgt. Es hat sich durchgesetzt, daß die Interessen der strukturellen Entwicklung einzelner Territorien mit den Landräten, den Naturschutz- und Raumordnungsbehörden beraten werden und die Privatisierung von Bergwerkseigentum nur nach Abstimmung erfolgt.

(Reiner Krziskewitz [CDU/CSU]: So ist es! — Rolf Schwanitz [SPD]: Das ist kein Problem!)

Beispiele dafür sind etwa die abgestimmten Restriktionen für die Privatisierung der Gipslagerstätten am Südharz, die Aufhebung der Baubeschränkung über Kohlefeldern im Raum Leipzig und in der Stadt Lauchhammer sowie die Mitwirkung bei der Erarbeitung raumordnerischer Pläne in Süd- und Mittelthüringen, im Elbe-Elster-Kreis und im Oder-SpreeKreis.
Durch diese abgestimmte Praxis der Treuhandanstalt bei der Privatisierung des Bergwerkeigentums und die an den Vorgaben der Raumordnung und Landesplanung orientierte Genehmigungspraxis der zuständigen Länderbehörden ist sichergestellt, daß der Rohstoffabbau in den Regionen in die landesplanerischen Konzepte eingebunden ist.
Es wäre vor dem dargestellten wirtschaftspolitischen Hintergrund und der beschriebenen eingespielten Behördenpraxis verfehlt, ausgerechnet in der jetzigen hoffnungsvollen gesamtwirtschaftlichen Situation dem maßgeblichen Konjunkturmotor der ostdeutschen Wirtschaft die Kraftstoffzufuhr zu drosseln oder gar abzusperren. Dies wäre aber die Folge, wenn die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Sicherung der Produktionsgrundlagen der Bauwirtschaft verschlechtert werden und ein Privatisierungsstopp für das Bergwerkseigentum der Treuhandanstalt verhängt wird, wie es die SPD verlangt. Dies schafft zusätzliche Investitionshemmnisse, anstatt — wie es nötig ist — Investitionshemmnisse abzubauen.
Diese Gefahr des Abwürgens des Konjunkturmotors Bauwirtschaft wäre bei einer Verwirklichung der ersten beiden von der SPD gestellten Anträge aus dem letzten Jahr sicherlich real. Würde man die mit dem jetzt nachgeschobenen Antrag verfolgten zusätzlichen verwaltungsverfahrensmäßigen Hindernisse für Klein- und Kleinstbetriebe mit einer Flächeninanspruchnahme von weniger als 10 ha aufbauen, würde dies — davon bin ich überzeugt — das Aus vieler insbesondere mittelständischer Betriebe bedeuten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sie aus diesem Grunde um Ablehnung der Anträge bitten.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1223412400
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses Treuhandanstalt zu den Anträgen der Fraktion der SPD zur Herstellung der Rechtseinheit bei grundeigenen Bodenschätzen, Drucksache 12/5745. Der Ausschuß empfiehlt unter Buchstabe a, den Antrag auf Drucksache 12/3969 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
Der Ausschuß empfiehlt unter Buchstabe b, auch den Antrag auf Drucksache 12/4621 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist ebenfalls angenommen.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 12/7905 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Besteht Einverständnis des Hauses? -- Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das



Vizepräsident Hans Klein
Kreditwesen und anderer Vorschriften über Kreditinstitute
— Drucksache 12/6957 —

(Erste Beratung 216. Sitzung) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuß)

— Drucksache 12/7985 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Eike Ebert Dr. Karl H. Fell
Hermann Rind
b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Wertpapierhandel und zur Änderung börsenrechtlicher und wertpapierrechtlicher Vorschriften

(Zweites Finanzmarktförderungsgesetz)

— Drucksache 12/6679 —

(Erste Beratung 208. Sitzung)

aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuß)

— Drucksache 12/7918 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Karl H. Fell Eike Ebert
Hermann Rind
bb) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 12/7919 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Nils Diederichs (Berlin) Adolf Roth (Gießen)
Werner Zywietz
c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses (7. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Hans de With, Hermann Bachmaier, Angelika Barbe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Bekämpfung des Insider-Handels an deutschen Börsen
— Drucksachen 12/5437, 12/7918 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Karl H. Fell Eike Ebert
Hermann Rind
Die Kolleginnen und Kollegen, die für die Fraktionen und Gruppen dazu sprechen sollten, möchten ihre Redebeiträge zu Protokoll geben. *) Ist das Haus damit einverstanden? — Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 21a, Drucksachen 12/6957 und 12/7985. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.
*) Anlage 5
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ihrem Platz zu erheben. — Wer lehnt den Gesetzentwurf ab? — Wer enthält sich seiner Stimme? — Der Gesetzentwurf ist angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 21 b, Drucksachen 12/6679 und 12/7918 Nr. 1. Diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, bitte ich, ein Handzeichen zu geben. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich seiner Stimme? — Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer lehnt den Gesetzentwurf ab? — Wer enthält sich der Stimme? — Der Gesetzentwurf ist angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 21 c, Drucksachen 12/5437 und 12/7918 Nr. 2. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag für erledigt zu erklären. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26i auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes und anderer Gesetze
— Drucksachen 12/7686, 12/7910 — (Erste Beratung 230. Sitzung)

aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuß)

— Drucksache 12/7981 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Detlev von Larcher
Wilfried Seibel Gerhard Schüßler
bb) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 12/7982 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Emil Schnell Dieter Pützhofen
Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen)

Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen deshalb gleich zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zustimmen will, möge sich erheben. — Wer lehnt den Gesetzentwurf ab? — Wer enthält sich seiner Stimme? — Der Gesetzentwurf ist angenommen.



Vizepräsident Hans Klein
Ich rufe Zusatzpunkt 14 auf:
Beratung des Antrags des Bundesministeriums der Finanzen
Einwilligung gemäß § 65 Abs. 7 der Bundeshaushaltsordnung in die Veräußerung der Lufthansa-Anteile des Bundes
— Drucksache 12/7970 —
Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß
Eine Aussprache ist hier ebenfalls nicht vorgesehen. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Gibt es anderweitige Vorschläge dazu? — Dies ist nicht der Fall. Darm ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 22 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1995

(ERP-Wirtschaftsplangesetz 1995)

— Drucksache 12/7647 —

(Erste Beratung 230. Sitzung)

Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft (9. Ausschuß)

— Drucksache 12/7908 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Auch dazu wollen die Rednerinnen und Redner der Fraktionen und Gruppen ihre Beiträge zu Protokoll geben.*) Ist das Haus damit einverstanden? — Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuß für Wirtschaft empfiehlt auf Drucksache 12/7908, den Gesetzentwurf mit dem Gesamtplan unverändert anzunehmen. Wer dem Gesetzentwurf zustimmen will, gebe bitte ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich seiner Stimme? — Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer lehnt den Gesetzentwurf ab? — Wer enthält sich seiner Stimme? — Der Gesetzentwurf ist angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 23 a und b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Klaus-Dieter Feige, Gerd Poppe, Ingrid Köppe, weiteren Abgeordneten und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer Grundsicherung im Alter
— Drucksache 12/5285 — (Erste Beratung 179. Sitzung)

*) Anlage 6
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuß)

— Drucksache 12/7733 —
Berichterstattung: Abgeordneter Volker Kauder
bb) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 12/7750 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Karl Diller Hans-Gerd Strube
Ina Albowitz
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuß) zu dem Antrag der Gruppe der PDS/Linke Liste
Vorlage eines Gesetzes über eine soziale Grundsicherung in der Bundesrepublik Deutschland
— Drucksachen 12/5044, 12/7733 —
Berichterstattung: Abgeordneter Volker Kauder
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die gemeinsame Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Gruppe PDS/Linke Liste zehn Minuten erhalten soll. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Ich erteile dem Kollegen Dr. Wolfgang Ullmann das Wort.

Dr. Wolfgang Ullmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1223412500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Was wird aus der Rente meiner Enkel?" Diese Frage wurde mir in einem kleinen Schweriner Senioren- und Seniorinnenheim gestellt. Ich war auf etwas ganz anderes gefaßt, nämlich auf die zahlreichen Fragen zur Anpassung der Renten in der ehemaligen DDR, wie ich sie aus meinen Dresdner Sprechstunden und auch aus Bürgertelefonen kenne.
Herr Präsident, ich muß leider unterbrechen, um etwas klarzustellen. Ich bin in der Gewißheit hierhergekommen, daß ich acht Minuten Redezeit habe. Ich sehe, daß es zwei Minuten sind. Das ist mit meinem Konzept schwer vereinbar.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1223412600
Herr Kollege Ullmann, Sie haben nach unseren Regeln drei Minuten Redezeit. Es sind nicht zwei Minuten. In dem Moment, in dem die Uhr zu ticken beginnt, geht der Zeiger auf „2". Sie haben jetzt noch 2 Minuten und 13 Sekunden. Im Augenblick ist die Zeitnahme unterbrochen. Erst wenn Sie weiterreden, läuft die Uhr wieder.

Dr. Wolfgang Ullmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1223412700
Meine Damen und Herren, das ist eine etwas eigentümliche Situation. Dann kann ich diese kurze Zeit nur nutzen, um eines klarzustellen: Der Gesetzentwurf der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Grundsicherung hat gegenüber dem Antrag der Gruppe PDS/Linke Liste einen kardinalen Unterschied, und auf den kommt es jetzt an. Obwohl in



Dr. Wolfgang Ullmann
beiden Vorlagen von Grundsicherung die Rede ist, handelt es sich bei dem Gesetzentwurf der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN um eine steuerfinanzierte existenzsichernde und bedürfnisorientierte Regelung zur Grundsicherung im Alter. Wir teilen also nicht Ihre Meinung, ein solches kardinales Konzept für eine Grundsicherung der wesentlichen gesellschaftlichen Gruppen vortragen zu müssen.
Ich will auch gleich sagen, Frau Kollegin Höll, warum wir uns Ihrer Meinung nicht anschließen können. Unseres Erachtens handelt es sich bei Ihrem Entwurf um eine Art von Alimentierung, wie es sie eigentlich sonst nur im Beamtenrecht gibt. Gerade an Sie möchte ich die Frage richten: Haben wir nicht in der DDR erlebt, daß wir dort zwar nicht zu Beamten des Staates wurden, aber doch in gewisser Weise zu lauter Angestellten, einerseits privilegiert und andererseits degradiert? Das scheint mir die negative Kehrseite Ihres Entwurfes zu sein.
Ich erkläre ausdrücklich, die Finanzierung ist natürlich ein riesengroßes Problem. 155 Milliarden DM muß man erst einmal haben. Der Einwand ist berechtigt, aber trivial. Ich meine, wenn man schon eine solch große Sozialcharta macht, muß man natürlich den ganzen Haushalt umbauen. Aber ich finde, dieser Umbau würde sich nicht lohnen, wenn dann eine solche Alimentierung herauskäme, die mit einem gravierenden Freiheitsdefizit behaftet wäre. Das ist mein Einwand. Mehr konnte ich jetzt nicht formulieren, Herr Präsident.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1223412800
Frau Kollegin Dr. Barbara Höll, Sie haben das Wort.

Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1223412900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Fast neun Monate ist es jetzt her, seit die PDS/Linke Liste den Antrag mit ihren Vorstellungen über eine soziale Grundsicherung auf den parlamentarischen Weg gebracht hat. Aber diese Zeit gebar nicht den politischen Willen der Regierungskoalition zu einem eigenen Gesetz über die soziale Grundsicherung aller in der Bundesrepublik lebenden Menschen.
Im Gegenteil, in dieser Zeit jagte ein Sparpaket das andere, von der Regierungskoalition vorgelegt, nach anfänglichem Zaudern und kleineren Entschärfungen stets auch von der SPD mitgetragen. Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe sind reduziert, ABM-Mittel wurden mehrfach gekürzt, BAföG wurde eingefroren. Bei der Sozialhilfe konnte eine Nullrunde gerade noch abgewendet werden. Bei den Renten drohen Nullrunden. Das Kindergeld erhält immer schärfere Gegenrechnungsregelungen.
Dieser Sozialabbau mündet ein in die neokonservative Strategie des sogenannten Umbaus des Sozialsystems, der ebenfalls immer klarere Konturen annimmt. Erinnert sei nur an das Grundrentenmodell im Biedenkopf-Papier vom Januar, die Debatte um den Wirtschaftsstandort Deutschland mit dem „Gürtel enger schnallen"-Effekt und jüngst die BürgergeldVorschläge der F.D.P. Nicht zu vergessen der Pflock, der praktisch hier im Bundestag gesetzt wurde: die Finanzierung der Pflegeversicherung durch die abhängig Beschäftigten.
Damit steht nicht mehr die Veränderung, sondern die Beseitigung des über 100 Jahre alten deutschen Sozialversicherungssystems ins Haus. Dieses Sozialsystem wird nicht durch die Vorschläge der PDS für eine soziale Grundsicherung zerstört, wie die Regierungskoalition uns permanent vorwirft. Mit unserem Grundsicherungskonzept stellen wir vielmehr den beabsichtigten Ausstieg aus dem Sozialstaatskompromiß der Regierungskoalition bloß. Die soziale Grundsicherung der PDS ist ein realisierbarer Vorschlag für einen völlig neuartigen Ausbau des Sozialsystems, der progressiv auf die Anforderungen unserer Zeit reagiert.
Die Bundesregierung ignoriert Armut als sozialpolitisches Problem. Armut ist in Deutschland facettenreich und längst nicht mehr nur hinter verschlossenen Türen existent. Allerdings bleibt es schwierig, Armut statistisch zu erfassen, weil eine Armutsberichterstattung von Regierungsseite ständig abgelehnt wird. Nach der von der Europäischen Gemeinschaft auf gestellten Armutsdefinition gelten diejenigen als arm, die über weniger als die Hälfte des durchschnittlichen Einkommens verfügen. In der Bundesrepublik sind das derzeit rund 1 250 000 Menschen.
Im Januar veröffentlichten der Paritätische Wohlfahrtsverband und der Deutsche Gewerkschaftsbund den ersten gesamtdeutschen Armutsbericht. Die Ergebnisse sind ernüchternd. 10 % der Bevölkerung leben in Einkommensarmut, überproportional in den neuen Bundesländern. Als zynisch empfinden wir in solch einer Situation, wenn die Regierungskoalition den PDS-Antrag u. a. mit der Begründung ablehnen will, daß von Armut pauschal nicht gesprochen werden könne. Ja, Armut existiert nicht pauschal, sondern immer konkret, aber Armut existiert im reichen Deutschland mittlerweile massenhaft.
Von der Unterversorgung sind inzwischen Menschen aller Altersgruppen und sozialen Schichten betroffen. Deshalb geht das Grundsicherungskonzept der PDS auch umfassend vor und folgt dem Grundgedanken, daß jeder in der Bundesrepublik lebende Mensch, unabhängig von Alter, Geschlecht, Familienstand, Nationalität und Weltanschauung, Anspruch auf die Grundsicherung seiner Existenz hat.
Wir nehmen es nicht einfach hin, daß eine Million Kinder und Jugendliche direkt von Armut betroffen sind. In Ostdeutschland leben 21,5 % der Kinder in Armut. Bei Familien mit drei und mehr Kindern ist die Hälfte betroffen. Neben dem niedrigen Einkommen der Eltern ist schuld daran, daß das Kindergeld, die Ausbildungsvergütungen und die BAföG-Regelungen völlig unzureichend sind. Die Höhe des Kindergeldes kann keinesfalls die Mehraufwendungen der Familien decken, geschweige denn ein selbstbestimmtes Leben von Kindern und Jugendlichen fördern.

(Zuruf von der F.D.P.: Das Studium in der DDR war auch unzureichend!)

Nach Auffassung der PDS/Linke Liste sollte Kindergeld nach Altersstufen gestaffelt auf 20, 25 bzw. 30 %



Dr. Barbara Höll
des durchschnittlichen Einkommens erhöht werden. Das wären derzeit Beträge von 500 bis 750 DM.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wer soll das denn bezahlen?)

Die tariflichen Ausbildungsvergütungen lagen 1992 im Osten im Durchschnitt bei 625 DM, im Westen bei 920 DM, und dies bei extremen Schwankungen. Hier muß die gesetzliche Verpflichtung zu einer Mindestausbildungsvergütung her. Wir schlagen 40 % des durchschnittlichen Einkommens vor, also rund 1 000 DM.
Von den Studentinnen und Studenten beklagen in den alten Ländern um die 80 %, daß sie mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln nicht oder gerade so auskommen. Dabei unterscheiden sich die Quellen ihrer Einnahmen wesentlich. Während in den neuen Bundesländern die durchschnittlich zur Verfügung stehenden Mittel in Höhe von 643 DM bei weiblichen und 680 DM bei männlichen Studierenden noch zum größten Teil, nämlich zu 60 %, durch BAföG gedeckt werden, sieht das in den alten Bundesländern ganz anders aus. Über die Ergebnisse und Konsequenzen wurde gestern abend diskutiert.
Die völlig unzureichend gestaltete Ausbildungsförderung zwingt zum Nebenerwerb, wodurch sich die Studienzeiten unverantwortlich verlängern. Hohe Qualifikation wird von vielen Jugendlichen mit Unmündigkeit bezahlt. Darlehensregelungen belasten den ohnehin risikoreichen Start ins Berufsleben noch mit Schuldenbergen. Allein im letzten Herbst wurden 52 000 Absolventen arbeitslos, allenfalls mit Sozialhilfeanspruch. Deshalb plädiert die PDS/Linke Liste für ein vom Einkommen der Eltern oder Partner unabhängiges Stipendium in Höhe von 50 % des durchschnittlichen Einkommmens, also derzeit etwa 1 250 DM.
Arbeitslosigkeit ist die Hauptsache der Armut. Sozialhilfe verhindert sie nicht. Das Arbeitslosengeld bzw. die Arbeitslosenhilfe reichen für viele Menschen zum Leben nicht mehr aus. Immer mehr Menschen sind auf Sozialhilfe angewiesen.
Die PDS schlägt deshalb vor, daß jeder Mensch, der sich beim Arbeitsamt meldet und Arbeit sucht, zeitlich unbegrenzt bis zur Bereitstellung eines Arbeitsplatzes Arbeitslosengeld erhält, und dies in Höhe von 50 % des durchschnittlichen Einkommens.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wer soll das bezahlen?)

— Ja, es erstaunt mich, daß Sie heute so tun, als ob Sie das zum erstenmal hören. Seit neun Monaten ist es im parlamentarischen Gang. Hätten Sie doch konkret reagiert.
Diejenigen, die vor der Meldung beim Arbeitsamt Kinder erzogen, Personen gepflegt, Versorgungs- und Hausarbeit geleistet haben oder ehrenamtlich tätig waren, sollen Anspruch auf Arbeitslosengeld, bezogen auf eine vergleichbare Erwerbsarbeit, haben, mindestens jedoch auch 50 % des durchschnittlichen Einkommens.
Ich muß sagen: Auch Altersarmut ist weiblich. Im Durchschnitt lagen die Renten per 1. Juli 1992 bei 750 DM im Westen, im Osten bei 950 DM. Hier schlägt
noch die hohe Erwerbsquote und die hohe Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Frauen in der DDR zu Buche, aber auch eine bessere rentenrechtliche Behandlung von Kindererziehungs- und Pflegezeiten. Zwar repariert eine großzügige Witwenrentenregelung einiges, aber wenn Frauen im Beruf nicht ausgesprochen Karriere machen, verhindert allein schon das Rentenrecht eine andere Lebensplanung als die Ehe, wenn sie nicht im Alter den entwürdigenden Gang zum Sozialamt antreten wollen.
Wenn die PDS/Linke Liste hier für eine soziale Grundsicherung in der Rente eintritt, bedeutet das: Jeder Mensch, der wegen Alter oder aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr oder nie einer Erwerbstätigkeit nachgehen kann, hat einen Rentenanspruch — differenziert, mindestens j edoch in Höhe von 50 % des durchschnittlichen Einkommens.
Diese Grundsicherung in der Rente hat jedoch nichts mit der von den Herren Biedenkopf und Rexrodt gemeinsam vorgeschlagenen Grundrentenidee zu tun. Nach ihrer Vorstellung sollten nämlich alle eine gleiche Grundrente in Höhe von etwa 1 200 DM beziehen. Wer mehr möchte, muß sich privat versorgen, am besten heute schon.

(Julius Louven [CDU/CSU]: Wer nicht arbeitet, bekommt sie auch!)

Am Bürgergeldvorschlag der F.D.P. finden wir höchstens die Abschaffung des Bürokratiewustes sympathisch. Das Leistungsniveau für den einzelnen und für die Familien zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz ist aber völlig undiskutabel.
Der Grundsicherungsvorschlag der PDS achtet die Würde von Menschen, denn die Subsidiarität beim Einkommensbezug wird abgeschafft. Die Grundsicherung soll vorleistungsunabhängig und ohne Bedürftigkeitsprüfung gewährt werden.
Die PDS reagiert mit ihrem Konzept zu einer sozialen Grundsicherung

(Julius Louven [CDU/CSU]: Grundsicherung für Herrn Honecker oder seine Frau!)

auf den Widerspruch zwischen privatem Reichtum und öffentlicher Armut, der sichtbarer Ausdruck des diese Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung prägenden Gegensatzes zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung des Produzierten ist. Wir finden uns mit diesem Widerspruch nicht ab. Wir sagen auch ja zu einer Umverteilung der Finanzen von oben nach unten.

(Zurufe von der CDU/CSU und der SPD)

Statt zusammen mit der Koalition und der SPD die vermeintlichen Auswüchse des Sozialsystems zu bekämpfen, wollen wir den Reichtum in dieser Gesellschaft gerechter verteilen. Unser Konzept der sozialen Grundsicherung ist ohne eine Erhöhung der Neuverschuldung finanzierbar,

(Widerspruch bei der CDU/CSU und der F.D.P.)




Dr. Barbara Höll
weil wir ganz im Gegensatz zur Koalition und zur SPD Finanzierungsquellen anzapfen und ausschöpfen wollen, die die Altparteien zu Tabus erklärt haben.

(Zuruf von der F.D.P.: Aus eurem PDSVermögen!)

Ich nenne hier einige Beispiele: Seit 1980 haben sich die Unternehmensgewinne zwar auf 566 Milliarden DM verdoppelt, doch wurde und wird ein immer größerer Teil dieser Profite ins Ausland transportiert. Es wird eben nicht hier, in unserem Lande reinvestiert. Dazu kommt — dieses Beispiel kennen Sie u. a. aus dem Finanzausschuß —, daß etwa 300 Milliarden DM, die direkt oder über die Schweiz nach Luxemburg flossen, fort sind. Durch Steuerhinterziehung, Subventionsbetrug und Schattenwirtschaft gehen den öffentlichen Kassen pro Jahr 130 Milliarden DM verloren. Dies wäre etwa die Summe, die wir jetzt erst einmal brauchen.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1223413000
Frau Kollegin, die Redezeit ist um.

Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1223413100
Ja, ich möchte nun schließen.
Diese Zahlen beweisen, daß unser Konzept finanzierbar wäre. Es ist eine realistische und realisierbare Alternative zum Sozialabbau der Regierung Kohl, der leider von der Sozialdemokratie mitgetragen wird, die sich leider im parlamentarischen Geschehen mit unseren Vorschlägen nicht auseinandergesetzt hat.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1223413200
Frau Kollegin!

Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1223413300
Ein letzter Satz, Herr Präsident.
Die soziale Grundsicherung ist nur ein Ausgleich für die Unfähigkeit dieser Gesellschaft, allen Menschen tatsächlich eine bezahlte Arbeit zur Verfügung zu stellen.
Ich bedanke mich.

(Julius Louven [CDU/CSU]: Ihr habt das ja drüben geschafft! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Wieso haben Sie das nicht in der DDR gemacht? — Ihr hattet 40 Jahre lang Zeit!)

— Hätten Sie doch einmal eine Zwischenfrage gestellt!

(Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.)

— Dazu hatte ich leider nicht die Macht.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1223413400
Da soll mal einer sagen, die Lautsprecheranlage funktioniert nicht.

(Heiterkeit)

Ich schließe die Aussprache.

(Beifall auf der Besuchertribüne)

— Meine Damen und Herren, auf der Tribüne sind keine Beifalls- oder Mißfallenskundgebungen zulässig.

(Zuruf von der F.D.P.: Das müssen die erst noch lernen!)

Das Wort hat der Kollege Alfons Müller (Wesseling). Bitte sehr.

Alfons Müller (CDU):
Rede ID: ID1223413500
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Frau Dr. Höll, das war eine reine Agitationsrede. Sie glauben doch selbst nicht an das, was Sie erzählt haben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

155 Milliarden DM würde das kosten, was Sie versucht haben uns hier in zehn Minuten plausibel zu machen. Ich habe Ihren Antrag gestern abend noch einmal gründlich nachgelesen. Sie haben überhaupt nicht begriffen, daß Sozialpolitik zunächst einmal finanzierbar sein muß.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Man kann nur das verteilen, was man vorher erarbeitet hat. Das, was Sie hier darstellen, funktioniert so nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Dr. Barbara Höll [PDS/Linke Liste]: Natürlich!)

Ich möchte Ihnen noch etwas sagen: Das, was Sie vorschlagen, lähmt jede Eigenleistung und jede Eigeninitiative. Warum sollte noch jemand arbeiten, wenn er von Ihnen von vornherein 1 200 bis 1 300 DM garantiert bekommt.

(Dr. Barbara Höll [PDS/Linke Liste]: Sie unterstellen den Menschen absolute Faulheit!)

Das Prinzip der Subsidiarität haben Sie in den 40 Jahren in der DDR nie gekannt. Sie haben nie danach gehandelt. Wir brauchen eine ganz andere Darstellung. Wir müssen endlich begreifen, daß nicht für alles und jedes der Staat zuständig sein kann, sondern daß auch der einzelne seinen Beitrag leisten muß und daß nicht für alles die sozialen Sicherungssysteme herangezogen werden können.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Lassen Sie mich noch eines sagen: Das, was wir Solidarität nennen, das Bündnis der Starken mit den Schwachen, praktizieren wir jetzt in Richtung neue Bundesländer: In Milliardenhöhe leisten unsere Sozialversicherungssysteme Hilfe für die Menschen drüben. Niemand hätte geglaubt, daß die Renten in kürzester Zeit auf das Niveau angehoben werden würden, das die Menschen heute drüben haben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Sie betreiben gezielte Stimmungsmache gegenüber denjenigen, die helfen. Das halte ich für unverantwortlich, ganz billig und auch unseriös. Eine Kriegsopferversorgung haben Sie früher nicht gekannt; das gibt es heute. Sie sollten ehrlicherweise einmal sagen, was hier wirklich geleistet wird.
Deswegen kann ich das, was Sie hier vorgetragen haben, gar nicht nachvollziehen. Es ist unrealistisch, gar nicht machbar. Wir lehnen es daher ab. Sie dürfen Sozialpolitik nicht mit Versorgungspolitik verwechseln. Wenn wir das, was Sie uns vorschlagen, beschlössen, wäre das der Weg in den totalen Versor-

Alfons Müller (Wesseling)

gungsstaat. Das machen wir nicht mit; wir lehnen es ab. Da sind wir uns auch mit allen anderen Fraktionen des Hauses einig.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1223413600
Gehe ich richtig in der Annahme, Herr Kollege Müller, daß Sie den Rest Ihrer Ausführungen, für die Ihnen keine Redezeit mehr zur Verfügung steht, zu Protokoll zu geben gedenken?*)

(Alfons Müller [Wesseling] [CDU/CSU]: Das ist richtig!)

Dann muß ich das Haus um seine Zustimmung bitten. — Dies ist der Fall.
Ich brauche zudem Ihre Zustimmung dazu, daß die Kolleginnen Mascher und Pohl ihre Redebeiträge zu Protokoll geben. — Auch dem stimmt das Haus zu.
Dann kann ich die Aussprache schließen und mich bei dem Ersatzschriftführer, Hansgeorg Hauser, herzlich bedanken, daß Sie es dem Kollegen Müller ermöglicht haben, ans Rednerpult zu gehen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Einführung einer Grundsicherung im Alter auf Drucksache 12/5285. Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt auf Drucksache 12/7733 unter Buchstabe a, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf der Gruppe
*) Anlage 7
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 12/5285 abstimmen.

(Abg. Dr. Wolfgang Ullmann [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] meldet sich zu Wort)

— Herr Kollege, wir sind im Abstimmungsvorgang.

(Dr. Wolfgang Ullmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zur Geschäftsordnung!)

— Entschuldigung, es gibt auch keine Geschäftsordnungsbeiträge während des Abstimmungsvorgangs; bitte verwirren Sie nicht die Abläufe. Es tut mir leid.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich seiner Stimme? — Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Antrag der Gruppe PDS/Linke Liste zur Vorlage eines Gesetzes über eine soziale Grundsicherung auf Drucksache 12/7733, Buchstabe b. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/5044 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
Damit, meine Damen und Herren, sind wir am Schluß unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, den 23. Juni 1994, 12 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.