Gesamtes Protokol
Guten Morgen! Die Sitzung ist eröffnet.Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich folgende amtliche Mitteilungen zu machen:Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um weitere Zusatzpunkte zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:5. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann und der Gruppe der PDS/Linke Liste: Ausbau der Bahnverbindungen Hamburg-Berlin — Drucksache 12/7732 —6. Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes und anderer Gesetze — Drucksachen 12/7842, 12/7910 —b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 5. April 1993 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Lettland über die Seeschiffahrt — Drucksache 12/7769 —c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung der bäuerlichen Landwirtschaft — Drucksache 12/7770 —d) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anderung des Flurbereinigungsgesetzes — Drucksache 12/7909 —e) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Errichtung einer Bundeskanzler-Willy-BrandtStiftung — Drucksache 12/7880 —f) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes — Drucksache 12/7924 —7. Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache
a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 2. Dezember 1993 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Namibia zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen — Drucksachen 12/7771, 12/7894 —b) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 15. Juli 1993 über den Rechtsstatus des internationalen Suchdienstes in Arolsen — Drucksachen 12/6824, 12/7903 —c) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.: Förderung des Einsatzes biologisch schnell abbaubarer Schmierstoffe und Hydraulikflüssigkeiten — Drucksache 12/7915 —8. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS/Linke Liste: Mietenmoratorium für die preisgebundenen Wohnungen in Ostdeutschland — weitere Maßnahmen für ein sozial verträgliches und überschaubares Mietensystem in Deutschland — Drucksache 12/7856 —Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit es bei einzelnen Punkten der Tagesordnung und der Zusatzpunktliste erforderlich ist, abgewichen werden.Darüber hinaus ist vereinbart worden, den Antrag der Fraktion der SPD „Kreuzungen mit anderen Eisenbahnen und mit Straßen" auf Drucksache 12/7906 mit Tagesordnungspunkt 9 zu beraten.Außerdem wurde vereinbart, den Tagesordnungspunkt 8b — Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb — abzusetzen.Der Tagesordnungspunkt 10f — Änderung des Handelsgesetzbuches — soll zusammen mit Tagesordnungspunkt 26j — Änderung des D-Markbilanzgesetzes — aufgerufen werden.Die Beratungen ohne Aussprache finden vor der Fragestunde statt.Der ohne Debatte vorgesehene Tagesordnungspunkt 26i — Änderung des Umsatzsteuergesetzes — soll erst am Freitag beraten werden.Sind Sie mit alldem einverstanden?
— Das ist wunderbar. Dann ist das so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7a und b auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 9. Februar 1994 über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Straßen mit
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20276 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994
Vizepräsidentin Renate Schmidtschweren Nutzfahrzeugen
— Drucksache 12/7267 —
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr
— Drucksache 12/7896 —Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Wolf Bauerb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 12/7897 —Berichterstattung:Abgeordnete Ernst Waltemathe Wilfried BohlsenWerner ZywietzIch weise darauf hin, daß wir nach der Aussprache namentlich abstimmen werden. Nach Art. 87 Abs. 3 des Grundgesetzes ist zur Annahme des Gesetzentwurfs die absolute Mehrheit erforderlich.Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es dagegen Widerspruch? — Auch dies ist nicht der Fall. Dann ist auch das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem dem Herrn Kollegen Dr. Bauer das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Daß wir den vorliegenden Gesetzentwurf heute beraten können, geht vor allem darauf zurück, daß sich unser Verkehrsminister, Matthias Wissmann, durch ein außergewöhnlich großes Engagement und Verhandlungsgeschick ausgezeichnet hat. Ich möchte ihm im Namen meiner Fraktion dafür ausdrücklich Lob und Anerkennung aussprechen.
Gebührenpflichtig wird die Benutzung sämtlicher Bundesautobahnen mit schweren Nutzfahrzeugen, und zwar sowohl für inländische als auch für ausländische Lkw,
mit einem zulässigen Gesamtgewicht von mindestens 12 t, die ausschließlich für den Güterkraftverkehr bestimmt sind.Zu dem Punkt 1 möchte ich noch eine Bemerkung machen. Im Laufe der Verhandlungen hat sich nämlich herausgestellt, daß sich hier eine Ungereimtheit eingeschlichen hat. Für die Lkw mit einem zulässigen Gesamtgewicht zwischen 12 und 16 t ist eine ausgewogene Kompensation durch die Senkung der Kraftfahrzeugsteuer nicht vorgesehen. Diese Ungereimtheit müssen wir noch reparieren; das müssen wir noch in Ordnung bringen. Das kann so nicht bleiben. Alle Fraktionen des Bundestages haben daher einen Entschließungsantrag formuliert und eingebracht, mit dem die Bundesregierung aufgefordert wird, hier für Abhilfe zu sorgen.Gestatten Sie mir jetzt zur Definition des Begriffs „ausschließlich für den Güterkraftverkehr" eine Bemerkung. Hierbei geht es um die berechtigten Interessen des Schaustellergewerbes. Der Gesetzentwurf ist ja so formuliert, daß für die Durchsetzung der Interessen von Schaustellern eigentlich kein Handlungsbedarf besteht; denn die Gebührenpflicht gilt nur für Kraftfahrzeuge oder für Fahrzeugkombinationen, die ausschließlich für den Güterverkehr bestimmt sind. Das heißt, daß Kraftfahrzeuge und Fahrzeugkombinationen nicht gebührenpflichtig sind, wenn sie einem anderen Zweck dienen, also nicht für den Güterverkehr bestimmt sind. Letztendlich bedeutet das, daß der Großteil der Fahrzeuge der Schausteller von der Gebührenpflicht befreit ist. Um den Schaustellern hier aber eine Sicherheit zu geben, wird das zuständige Bundesamt für Güterverkehr durch eine entsprechende Verwaltungsanweisung für den praktischen Vollzug klarstellen, daß derartige Fahrzeuge der Gebührenpflicht nicht unterliegen.Meine Damen, meine Herren, das Gebot der Stunde ist die Harmonisierung. Hier müssen wir weiterkommen. Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein wesentlicher Schritt in die richtige Richtung.Warum brauchen wir eine Harmonisierung? Die Liberalisierung ist schneller vorangeschritten als die Harmonisierung. Das hat zu einem erbitterten Überlebenskampf unserer vor allem mittelständisch geprägten Spediteure geführt. Wir müssen dafür sorgen, daß nicht, wie prophezeit worden ist, bis zum Jahre 1995 möglicherweise ein Drittel unserer Spediteure Deutschland verlassen haben wird. Wenn wir den Wirtschaftsstandort Bundesrepublik Deutschland stärken wollen, dann müssen wir genau an dieser Stelle ansetzen und nach einer Lösung suchen.Was ist zu harmonisieren? Zu harmonisieren sind die Überwachung der Sozialvorschriften, die technischen Zulassungsvorschriften, Sicherheitsbestimmungen und vor allem natürlich die Kontrolle darüber. Zu harmonisieren ist aber auch der fiskalische Bereich: Kraftfahrzeugsteuer, Mineralölsteuer, Straßenbenutzungsgebühr. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf machen wir durch die Einführung einer Straßenbenutzungsgebühr einen wesentlichen Schritt in diese Richtung.Der Gesetzentwurf ist das Ergebnis langwieriger, schwieriger und zäher Verhandlungen im EG-Ministerrat. Höhere Beträge, die wir natürlich gewünscht hätten, sind zur Zeit nicht drin. Wichtig dabei aber ist — das ist ausschlaggebend —, daß uns der Durchbruch gelungen ist, daß wir jetzt endlich das Instrument haben, um in dieser Richtung weiterarbeiten zu können.
Hierzu hat eben unser Verkehrsminister eine großartige Leistung erbracht.Eines der Ziele ist schon erreicht. Wir haben es geschafft, daß ausländische Lkw an den Kosten der Benutzung unserer Verkehrsinfrastruktur beteiligt werden. Das ist richtig und wichtig; denn über die
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Dr. Wolf BauerKraftfahrzeugsteuer bzw. über die Mineralölsteuer allein hätten wir dieses Ziel nicht erreicht. Hinzu kommt, daß die Kraftfahrzeugsteuer in Deutschland noch immer nicht dem internationalen Niveau entspricht und daß andere Länder hier weiter kompensieren.Festzuhalten bleibt nach wie vor: Machbares — was wir ursprünglich nicht geglaubt haben durchsetzen zu können — wurde hier möglich gemacht. Wir sind dem Ziel einer echten Harmonisierung in diesem Bereich ein wesentliches Stück nähergekommen.Auch wenn wir dem Ziel ein wesentliches Stück nähergekommen sind und einiges erreicht haben, so haben wir natürlich noch nicht alles erreicht, was wir uns als Verkehrspolitiker vorgestellt haben. Wir hätten gern auch eine Zweckbindung des Gebührenaufkommens erreicht. Hierum haben wir als Verkehrspolitiker gekämpft und gestritten. Letztendlich haben wir unsere Vorstellungen nicht durchsetzen können, obwohl es viele Gründe gibt, die für eine solche Zweckbindung sprechen. — Wenn hier jetzt mehr Zeit wäre, könnte ich auf die einzelnen Punkte noch eingehen, aber die Zeit ist leider nicht vorhanden.Zum Schluß möchte ich daher nur noch einmal sagen und mit Nachdruck festhalten: Mit oder ohne Zweckbindung, meine Damen, meine Herren: Für eine vernünftige Ausstattung mit Haushaltsmitteln für unsere Verkehrsinfrastruktur müssen wir uns nachhaltig einsetzen. Ich bitte hier um Unterstützung des Hauses, weil das ein überaus wichtiges Ziel ist, auch letztlich wieder im Hinblick auf den Wirtschaftsstandort Bundesrepublik Deutschland.Ich bedanke mich.
Als nächste spricht nun die Kollegin Elke Ferner.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Um es vorwegzunehmen: Wir werden diesem Gesetzentwurf zustimmen.
— Kollege Friedrich, das haben wir ja gestern im Ausschuß schon diskutiert. Insofern verwundert mich Ihre Verwunderung.
Das bedeutet jedoch nicht, daß diese Zustimmung unsere grundsätzliche Kritik an der mangelhaften EU-weiten Harmonisierung hinfällig machen würde.
Nachdem die Kfz-Steuer für schwere Nutzfahrzeuge bereits zum 1. Januar 1994 abgesenkt wurde, ist die Einführung der sogenannten Euro-Vignette für Lkws der zweite Schritt. Ein Verzicht würde bedeuten, daß der Straßengüterverkehr in einer unangemessenen Weise billig gehalten würde.Der Gesetzentwurf setzt die Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik, den Benelux-Staaten und Dänemark um. Aber die Vorgeschichte dazu ist alles andere als ein Ruhmesblatt.Die Vorgeschichte ist kein Ruhmesblatt für die Bundesregierung, weil sie es versäumt hat, die dringend erforderlichen Steuerharmonisierungsschritte auf hohem Niveau in ein Paket einzubinden.Sie ist kein Ruhmesblatt für die Europäische Kommission, weil hier lange der Glaube vorgeherrscht hat, man könne den Verkehrsmarkt in der Gemeinschaft deregulieren, ohne gleichzeitig die Steuerharmonisierungsschritte zu vollziehen, die bisher noch fehlen. Leider wurde erst zu einem sehr späten Zeitpunkt von dem damals zuständigen Verkehrskommissar Karel van Miert ein konstruktiver Vorschlag vorgelegt, der dann aber auch nicht umgesetzt wurde.Sie ist kein Ruhmesblatt für den EU-Verkehrsministerrat, weil an diesem Beispiel deutlich geworden ist, daß durch nationale Egoismen dringend notwendige Lösungen auf der europäischen Ebene blockiert werden und daß diejenigen, die bisher von einem unfairen Wettbewerb profitiert haben, nicht bereit waren, faire Wettbewerbsbedingungen zuzulassen.
Nach dem Urteil des EUCH, der die Einführung einer Schwerverkehrsabgabe bei gleichzeitiger Absenkung der Kfz-Steuer in der Bundesrepublik als diskriminierend verworfen hatte, gingen die Verhandlungen in eine neue Runde. Wir haben damals im Verkehrsausschuß mehrfach gefordert, den komplizierten Sachverhalt der anstehenden Deregulierung des Verkehrsmarktes auf der einen Seite und der noch nicht vorhandenen Steuerharmonisierung auf der anderen Seite in ein Paket mit Verhandlungen zu anderen Sachverhalten einzuschnüren, um eine bessere Verhandlungsposition zu haben.Die Problematik war eben, daß der Verkehrsministerrat mit Mehrheit entschieden hat und der EcofinRat einstimmig entscheiden mußte. Hier war schon vorauszusehen, daß, solange ein Mitgliedstaat für sich keine befriedigende Lösung sieht, permanent ein Veto eingelegt werden würde und daß hier eigentlich nur eine Paketlösung zu größeren Erfolgen, als sie tatsächlich erreicht worden sind, hätte führen können.Diese ganze Geschichte hatte natürlich auch zur Folge, daß sich die Wettbewerbssituation sowohl für das deutsche Speditionsgewerbe als auch für den Verkehrsträger Schiene dramatisch zu verschlechtern drohte. Auf dem Sondergipfel wurde dann der klägliche Versuch unternommen, die sich verschärfende Wettbewerbsverzerrung einzuengen. Das ist für den Verkehrsträger Straße auf niedrigstem Niveau und auch nur unvollständig gelungen. Für den Verkehrsträger Schiene hat sich die Wettbewerbssituation weiter verschlechtert.Wer dieses Ergebnis dann als grandiosen Verhandlungserfolg des deutschen Verkehrsministers feiert, hat entweder völlig den Realitätssinn verloren, oder er will kaschieren, daß der deutsche Verkehrsminister
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Elke Fernervon seiner niederländischen Kollegin über den Tisch gezogen worden ist.
Die Reaktionen des deutschen Speditionsgewerbes sprechen für sich. Ein großer Erfolg war die Vereinbarung für Frau Maj-Weggen. Dies wurde spätestens deutlich, als die Niederlande ihre Kfz-Steuer von 3 400 DM im Jahr auf 1 900 DM im Jahr abgesenkt haben. Damit wurde dann die Straßenbenutzungsgebühr für Lkws, die ja erst zum 1. Januar 1995 greifen wird, zu mehr als der Hälfte wieder aufgefangen.Als wir im Ausschuß, nachdem das Luxemburger Ergebnis auf dem Tisch lag, darauf aufmerksam gemacht haben, dies beinhalte auch die Möglichkeit, daß einige Mitgliedstaaten ihre Kfz-Steuer weiter absenken, hat der Parlamentarische Staatssekretär Carstens sinngemäß geantwortet, die Bundesregierung gehe davon aus, daß kein Mitgliedstaat von dieser Möglichkeit Gebrauch machen wird. Das Gegenteil ist der Fall gewesen. Dann muß man sich eben fragen: Sollte man nicht vorher in Verhandlungen festzurren, daß eine solche Möglichkeit nicht besteht, anstatt sich auf Aussagen zu verlassen, von denen man ja schon im Vorfeld annehmen konnte, daß sie so nicht eingehalten werden?Im Grundsatz ist es richtig, daß der Straßengüterverkehr, der seine Kosten nicht trägt, mit einer Abgabe belastet wird. Dazu stellt die Euro-Vignette einen Einstieg dar, allerdings auf niedrigstem Niveau. Es ist auch richtig, das sogenannte Territorialprinzip einzuführen, damit da, wo die Kosten entstehen und wo die Straßen benutzt werden, die Einnahmen zuflieBen.Allerdings sind noch weitere Schritte notwendig. Die Harmonisierung auf der europäischen Ebene darf an diesem Punkt nicht stehenbleiben. Es muß so schnell wie möglich ein höheres Harmonisierungsniveau erreicht werden, und zwar nicht nur was die Steuerharmonisierung anbelangt, sondern auch in den Bereichen der Sozialharmonisierung, der technischen Vorschriften und auch der Umweltvorschriften. Hier ist besondere Beachtung darauf zu legen, daß die Kontrollen, die in jedem Mitgliedstaat durchgeführt werden, einheitlich durchgeführt werden, so daß sich nicht wieder der eine oder andere Mitgliedstaat über die Kontrollen der Umsetzung und der Durchführung dieser Vorschriften entziehen kann.Bei der Abgabenbelastung muß die zeitbezogene Kostenanlastung auf eine benutzungsabhängige Kostenanlastung umgestellt werden. Dies ist mit dieser Vereinbarung zur Zeit nicht möglich. Die Option darauf besteht jedoch. Es ist allerdings auch wichtig, daß hier schon frühzeitig in dieser Richtung verhandelt wird. Es muß auch endlich angefangen werden, konkrete Schritte zu unternehmen, um dem Ziel der Verkehrsvermeidung und dem Ziel der Verkehrsverlagerung auf umweltverträglichere Verkehrsmittel näherzukommen.
Es muß damit begonnen werden, die Rahmenbedingungen für den Verkehrsträger Schiene so zu gestalten, daß er in einen fairen Wettbewerb eintreten kann. Insofern war die Absenkung der Kfz-Steuer für Lkws gerade im ersten Jahr nach der Bahnreform kontraproduktiv.
Dies hat die Wettbewerbssituation der Bahn gerade im Güterverkehr nicht verbessert. Im Gegenteil: Es hat sie weiter verschlechtert. Außer Sprechblasen ist in diesem Bereich von der Bundesregierung nichts gekommen.Ich bedaure sehr, daß sich die Koalition nicht auf eine Zweckbindung des Vignettenaufkommens für Verkehrszwecke, wie es auch der Bundesrat gefordert hat, verständigen konnte. Wir haben das auch gestern im Ausschuß diskutiert. Es geht uns nicht darum, dieses Vignettenaufkommen dazu zu benutzen, die Straßenunterhaltung zu finanzieren, sondern es geht uns darum, mit dem zusätzlichen Geld die Möglichkeiten der Schiene endlich weiter zu verbessern. Das heißt, wir brauchen einen Ausbau der Schieneninfrastruktur und vor allen Dingen einen massiven Ausbau, um den kombinierten Verkehr zu stärken, damit auch eine Verlagerung von der Straße auf die Schiene, die dringend notwendig ist, erfolgen kann.
Wir werden, wie ich schon gesagt habe, diesem Gesetz trotz aller Kritik zustimmen. Wir werden auch dem Entschließungsantrag zustimmen, zu dem der Kollege Bauer eben noch einmal Stellung genommen hat. Es ist ein erster Schritt. Wir meinen: Es ist kein grandioser Erfolg, und es ist auch kein großer Schritt. Es ist ein erster kleiner Schritt in die richtige Richtung. Wir sind nach wie vor der Meinung, mit etwas mehr Verhandlungsgeschick hätte ein besseres Ergebnis erzielt werden können. Aber ich glaube, daß wir nach dem 16. Oktober selber auf der europäischen Ebene in diesem Sinne weiterarbeiten werden.
Nun hat der Kollege Ekkehard Gries das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist heute gewiß kein Jubeltag. Aber es ist trotzdem ein Erfolg europäischer Verkehrspolitik. Dafür haben viele Minister gekämpft. Allein in meiner Zeit hier waren es vier, die sich die Zähne daran ausgebissen haben, weil das Verständnis bei unseren europäischen Nachbarn nicht entwickelt war.
— Für die Technik bin ich nicht zuständig.
Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, daß Minister von Warnke über Zimmermann und Krause bis
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Ekkehard GriesMatthias Wissmann versucht haben, auf diesem Weg voranzukommen.
Der jetzige Verkehrsminister hat es mit seinem Verhandlungsgeschick geschafft — insofern ist es auch ein persönlicher Erfolg für ihn —, unsere europäischen — —
Ich bitte die Technik, dem Kollegen Gries so viel Lautstärke zu verschaffen, daß man ihn versteht. — Eigentlich müßte es jetzt gehen.
Jetzt geht es. Ich bitte aber die Präsidentin, dies nicht auf meine Redezeit anzurechnen; denn es kann ja nicht zu meinen Lasten gehen, wenn hier wieder einmal die Technik versagt.Meine Damen und Herren, wesentlich ist doch, daß wir jetzt zum erstenmal seit Jahren dazu kommen, deutsche und ausländische Fahrzeuge — hier nun erst einmal die Schwerlastkraftfahrzeuge — für die Benutzung auf deutschen Verkehrswegen gleichzubehandeln. Das war bisher nicht erreichbar, und das ist jetzt wirklich ein europäischer Erfolg.
Ich weiß, daß das alles noch kein großer Erfolg ist, daß das noch nicht die Lösung sein kann, die wir eigentlich brauchen bei der Aasstrebung des Ziels, die Wegekosten anzulasten. Aber Sie sollten nicht vergessen, daß die Luxemburger Beschlüsse auch die Möglichkeit eröffnen, ab 1998 ein streckenbezogenes Gebührensystem, auch für Pkws, einzuführen. Darüber muß man jetzt nicht spekulieren. Da ist noch viel Arbeit zu leisten. Aber der Durchbruch ist geschafft, und das Tor ist geöffnet für eine vernünftige Behandlung der Verkehrswegebenutzung.Daß das, was wir jetzt haben, also eine zeitbezogene Vignette, durchaus problematisch ist, das wissen wir alle. Darin stimmen wir auch überein. Wir brauchen eine streckenbezogene Regelung, die der Benutzung natürlich angemessener ist, als das im Augenblick der Fall ist.Auch die Höhe der Vignette mit 2 500 DM ist im Grunde zu niedrig —
gerade im Hinblick auf die europäischen Nachbarn —, aber mehr war nicht herauszuholen. Aber zwischen null und 2 500 DM liegen eben 2 500 DM, die jetzt zum erstenmal für ausländische Lkws zu zahlen sind. Über die Erhöhung kann man reden. Auch das haben die Luxemburger Beschlüsse durchaus zugelassen. Ich glaube also, das ist ein Schritt in die richtige Richtung.Wir haben — ich will auch das hier noch kurz erwähnen — im Laufe des Verfahrens eine Regelungslücke hinterlassen. Das ist die Frage der Behandlung der Lkws mit einem Gesamtgewicht von 12 bis 16 t. Es kann ja nicht wahr sein und muß gegen jedes Gerechtigkeitsgefühl verstoßen, daß zwar die Lkws mit einem Gesamtgewicht von 12 bis 16 t die Vignette bezahlen dürfen, aber bei der schon längst beschlossenen Entlastung über die Kraftfahrzeugsteuer nicht beteiligt sind. Hier müssen wir also nachbessern.Meine herzliche Bitte geht — ich habe das gestern im Ausschuß schon gesagt — an die Haushalts- und Finanzpolitiker aller Fraktionen dieses Hauses, in der nächsten Woche kurzerhand dafür zu sorgen, daß im Kraftfahrzeugsteuergesetz aus der Zahl 16 die Zahl 12 gemacht wird. Dann ist diese Ungerechtigkeit beseitigt. Ich denke, das ist nur vernünftig.
Ich muß hier ein Wort — einfach auch zur Selbstrechtfertigung — hinsichtlich der Zweckbestimmung sagen. Herr Bauer und Frau Ferner haben das schon getan. Auch ich bin der Meinung: Die Akzeptanz des Bürgers und des Nutzers ist sehr viel größer, wenn er erkennt, daß er die Gebühr, die er aufbringt, bei der Unterhaltung oder Erneuerung und Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur auch wiederfindet. Anders als Sie, Frau Ferner, bin ich der Meinung: Das gehört in den Straßenbau, nicht aber in irgendeinen Bereich, den Sie in Ihrem Antrag mit Verkehrswesen umschreiben; denn die Straßenbenutzer bezahlen das.
Aber wir haben uns nicht durchsetzen können. Ich bedaure das sehr. Ich habe ja auch in meiner eigenen Fraktion und in der Koalition nicht die Mehrheit gefunden. Man soll das ruhig einmal sagen. Hier hat das Diktat des Finanzministers eine vernünftige Lösung kaputt gemacht, wobei ich die Argumente nicht akzeptieren kann. Es ist keine Steuer, sondern es ist eine Gebühr, und die kann ich an einen Zweck binden. Das wäre eigentlich vernünftig.
Es soll keiner glauben, daß das, was wir jetzt hier beschließen, ohne Zweckbindung noch möglich ist, wenn wir einmal zu dem Ergebnis kommen, eine elektronisch erfaßte streckenbezogene Gebühr einzuführen. Wenn Sie das nämlich nicht tun, dann werden Sie weder Privatfinanzierungen von Verkehrsinfrastruktur erreichen können noch überhaupt Verkehrsinfrastruktur bezahlen können.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß sagen: Es ist ein vernünftiger Schritt zur Gleichbehandlung, zu mehr Gerechtigkeit in Europa. Das kommt dem Wettbewerb zugute. Es ist auch ein wenig Schutz, und zwar berechtigter und begründeter Schutz unseres eigenen Verkehrsgewerbes.Für mich selber — ich sage das einmal nur wenige Tage nach der Europawahl — ist das auch ein Prüfstein für Europa.
In Europa müssen wir fair miteinander umgehen.Dann ist Europa begreifbar. Dann begreifen das auchunsere Bürger. Wir dürfen uns nicht untereinander
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Ekkehard Griesdiskriminieren. Das hier ist ein Weg, Diskriminierung abzubauen und Harmonisierung zu erreichen.Vielen Dank.
Als nächste spricht Frau Kollegin Dr. Dagmar Enkelmann.
Sie wissen, daß wir in diesem Raum immer wieder akustische Probleme haben. Die Mikrofonstörungen lagen daran, daß hier der Geräuschpegel so hoch war, daß das Aussteuern der Anlage zu Schwierigkeiten führte. — Es wäre schön, wenn wir ein bißchen leiser würden. Dann geht es auch heute mit den Mikrofonen etwas besser.
Frau Dr. Enkelmann, bitte.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung versucht, das Autobahnbenutzungsgebührengesetz als Einstieg in eine gerechte Anlastung der Wegekosten im Bereich des Schwerlastverkehrs zu verkaufen. So weit, so gut, und das Anliegen können wir voll und ganz unterstützen. Betrachtet man nun allerdings die Umsetzung, bleibt von der hehren Zielstellung nicht allzuviel übrig. Der Lkw-Verkehr wird nämlich — alles in allem — billiger. Die jährlichen Einnahmen durch die Autobahnbenutzungsgebühr werden ab 1995 bei 700 Millionen DM liegen. Auf der anderen Seite gehen dem Staat jedoch 1,4 Milliarden DM durch die seit April 1994 gültige Steuersenkung für Lkw verloren, und genau die vergessen Sie in Ihrer Gesamtrechnung immer wieder.
Selbst wenn man die Mineralölsteuererhöhung zu Anfang dieses Jahres mitberechnet, kann die kostensenkende Wirkung der reduzierten Steuerbelastung nicht durch die Autobahnbenutzungsgebühr kompensiert werden. Berücksichtigt man dann noch die Aufhebung des innerdeutschen Tarifbindungssystems sowie die auf EU-Ebene beschlossene schrittweise Aufhebung der Kabotagevorbehalte, so wird das Tarifniveau im Straßengüterfernverkehr mittelfristig sogar um 20 bis 30 % sinken.
Als Resultat wird der Straßengüterverkehr nach wie vor drastisch anwachsen, während sich die Wettbewerbspositionen von Bahn und Binnenschiffahrt weiter verschlechtern. Dies hat im übrigen auch der Bundesrat erkannt, der die festgelegten Gebührensätze als zu niedrig kritisiert. Auch das Umweltbundesamt hat erst gestern angesichts des drastisch steigenden Güterfernverkehrs eine gerechte Anlastung der verursachten Kosten gefordert und vorgerechnet, daß sich dafür die Kosten für den Lkw-Güterverkehr etwa verdoppeln müßten.
Diese Rechnung ist realistisch. Nur muß selbstverständlich sichergestellt sein, daß die Einnahmen nicht in Herrn Waigels großen Haushaltstaschen sozusagen auf Nimmerwiedersehen verschwinden, sondern daß sie zweckgebunden für den Ausbau eines ökologischen Transportsystems verwendet werden. Die PDS fordert daher die Einführung einer EU-weiten Schwerverkehrsabgabe, die nach dem zulässigen Gesamtgewicht und der gefahrenen Strecke berechnet werden müßte. Sie besäße Geltung gleichermaßen für in- und ausländische Lkw, würde aber den modal split zwischen Straße und Schiene zugunsten der Bahn verändern.
Die Einnahmen aus dieser Schwerverkehrsabgabe sollten zweckgebunden zur Beseitigung der durch den Lkw-Verkehr verursachten Schäden sowie zum Ausbau und zur Modernisierung des Schienengüterverkehrs und des kombinierten Verkehrs herangezogen werden. Eine so zu erreichende Vollkostendekkung nach dem Verursacherprinzip hätte die positiven Wirkungen, daß überflüssiger Verkehr entfiele, regionale Wirtschaftskreisläufe gestärkt und umweltverträglichere Verkehrsmittel bevorzugt würden. Mit Maßnahmen zur Reduzierung des Gütertransports auf der Straße müssen auf der Angebotsseite selbstverständlich Maßnahmen zur Verbesserung des Bahnangebots einhergehen: der Ausbau neuer, schneller Umschlagtechnologien, eine flächendeckende Infrastruktur von Güterverkehrszentren, die Entwicklung neuer Tranportprodukte, der Einsatz von Telematik usw.
Nur mit entschiedenen Schritten läßt sich die prognostizierte Verdoppelung des Straßengüterverkehrs noch verhindern. Das vorliegende Autobahnbenutzungsgebührengesetz ist eher halbherzig. Die PDS kann ihm daher nicht zustimmen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Als nächster spricht der Kollege Klaus-Dieter Feige.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Einführung der Lkw-Vignette ist für sich gesehen ein kleiner Schritt und ganz isoliert betrachtet sogar ein Schritt in Richtung einer ökologischen Verkehrsentwicklung. Es scheint zudem der erste Versuch der Koalition zu sein, dem Straßengüterverkehr wenigstens im Ansatz die von ihm verursachten Kosten anzulasten.Ein Gewinn für unsere Umwelt ist diese Autobahnbenutzungsgebühr allerdings noch lange nicht. Durch die Vignette wird, wie manchmal fälschlich suggeriert, nämlich weder die Wettbewerbsfähigkeit der Bahn im Güterbereich hergestellt, noch erhalten Unternehmensstrategien zur Verkehrsvermeidung den notwendigen Antrieb. Solchem hat die Verkehrspolitik der Bundesregierung schon 1994 vorgebaut. Zum Beispiel beläuft sich jetzt für einen 40-TonnenLastzug die Kfz-Steuer anstelle von ursprünglich 10 500 DM nur noch auf 5 000 bzw. 3 500 DM für immissionsarme Fahrzeuge. So kommen die deutschen Spediteure auf Grund der überdimensionierten Absenkung der Kfz-Steuer trotz Mineralölsteuererhöhung und trotz Vignette finanziell immer noch besser zurecht als 1993.Die Lkw-Vignette der Bundesregierung bleibt verkehrsökologisch also ein Scheinmaßnahme. Der von Experten und von der Bundesregierung erwartete Trend im Güterverkehr wird überhaupt nicht tangiert.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994 20281
Dr. Klaus-Dieter FeigeDie Bundesregierung ist schlicht nicht willens, sich gezielt der anstehenden Verdoppelung der Brummischlangen auf unseren Straßen entgegenzustellen. Der Bahnreform sind angesichts dieser widersprüchlichen und resignativen Verkehrspolitik real noch engere Grenzen gesetzt als bisher.Eine Renaissance der Bahn wird es erst geben, wenn sie ihre heutigen Infrastrukturnachteile durch eine ökologische Preispolitik des Staates ausgeglichen bekommt. Erst dann kann von fairen Wettbewerbschancen im Verkehrsmarkt gesprochen werden. Zukünftige Kostenanlastungen dürfen allerdings nicht auf die Benutzung der Autobahnen beschränkt bleiben. Das produziert nur Ausweichverkehre und führt zu mehr Staus auf Bundes- und Landstraßen.Deswegen ist BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mittelfristig für die Umwandlung der Vignette in eine allgemeine Schwerverkehrsabgabe, die für alle Straßen gilt und das Gewicht wie die gefahrenen Kilometer einbezieht. Das Aufkommen von Vignette oder Schwerverkehrsabgabe wollen wir zweckgebunden für mehr Investitionen in das Schienennetz verwenden. In diesem Sinne ist der gestrige Vorschlag der SPD für eine Zweckbindung der im Gesetzentwurf vorgesehenen Einnahmen annehmbar. Schade, daß er heute nicht wiederholt wird.Grundsätzlich steht BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auch für das europäische Übereinkommen; aber weil Sie wieder einmal einen Schritt nach vorn machen und zwei dafür zurück — wegen Ihrer ungezügelten KfzSteuer-Entlastung und der fehlenden Zweckbindung der Einnahmen der Vignette —, können wir uns, um das schöne Gesamtbild heute wenigstens nicht zu versauen, maximal der Stimme enthalten.Danke.
Nun spricht Herr Bundesminister Matthias Wissmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Entscheidung, die wir heute treffen, ist ja nicht ein isolierter Vorgang. Darauf haben mehrere Redner bereits hingewiesen. Sie ist vielmehr Teil einer verkehrspolitischen Strategie angesichts von Verkehrsherausforderungen, wie wir sie seit Jahren erleben und in den kommenden Jahrzehnten verstärkt erleben werden.Die Globalprognosen, die dem Bundesverkehrswegeplan zugrunde liegen, gehen davon aus, daß wir in den nächsten beiden Jahrzehnten einen Zuwachs des Güterverkehrs zwischen 80 % und 100 % und einen Zuwachs des Transitverkehrs von über 100 % erleben werden.Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, deswegen war es entscheidend, nach der guten Arbeit meiner Vorgänger, die seit zehn Jahren in Europa über die Anlastung der Wegekosten für den Lkw mit großem Engagement verhandelt haben, nun den gordischen Knoten zu lösen. Wir können den Mitbürgerinnen und Mitbürgern jetzt sagen: Ab 1. Januar 1995 wird es erstmals möglich sein, dem inländischen und dem ausländischen Lkw auf deutschen Autobahnen eine Anlastung der Wegekosten abzuverlangen. Das war überfällig. Das wird jetzt endlich möglich sein.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich kann man immer über Höhen streiten. Wir fangen mit 2 500 DM pro Jahr für den Schwerst-Lkw an. Daß aber ohne eine Anlastung der Wegekosten unser zweites großes Ziel nicht zu erreichen sein wird, nämlich mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen, ist doch jedem hier in diesem Raum klar. Insofern ist die Gesetzgebung, über die wir heute entscheiden, auch Teil jenes Konzepts, das in den nächsten Jahren Schritt für Schritt mehr vom Verkehrszuwachs auf die Schiene bringen soll.Die Bahnreform, unsere Investitionen in Güterterminals, Umschlagbahnhöfe, Kombiverkehr, Huckepackverkehr — all das ist zusammen mit der Lkw-Gebühr Teil einer Konzeption, die Schritt für Schritt die Schiene attraktiver machen und dafür sorgen will, daß nicht aller Verkehr auf der Straße abrollt.Liebe Kolleginnen und Kollegen, gleichzeitig kommt es darauf an, daß wir die Wettbewerbsbedingungen für das deutsche Verkehrsgewerbe gegenüber seinen ausländischen Konkurrenten verbessern. Dieses haben wir mit der Vereinbarung von Luxemburg, mit der Abstimmung im Europäischen Ministerrat, in einem ersten Schritt erreicht, indem wir die Lkw-Gebühr ab 1. Januar 1995 einführen und ein Dreivierteljahr zuvor eine ökologische Staffelung der Lkw-Steuern — für die deutschen Fuhrunternehmen eine Senkung — erreichen konnten.
Unser Ziel muß es doch sein, die Arbeitsplätze in Speditionen und Fuhrunternehmen in Deutschland zu sichern und ein Auswandern dieser Speditionen und Fuhrunternehmen über die deutsche Grenze zu verhindern.
Genau das erreichen wir in diesem ersten Schritt.
Jetzt wird es darauf ankommen, auf dem Wege der technischen und sozialen Harmonisierung in Europa voranzukommen, für die deutschen Fuhrunternehmen dort etwas zu tun. Noch immer sind die Umweltstandards unterschiedlich. Noch immer sind die Sicherheitsvorschriften unterschiedlich. Noch immer werden viele Vorschriften, die wir in Europa vereinbart haben, in allen anderen Ländern nicht so streng angewendet wie bei uns. Es wird eine der Aufgaben der deutschen Präsidentschaft im Europäischen Ministerrat sein, hier voranzukommen und baldmöglichst auch im technischen und sozialen Bereich für eine weitere Angleichung der Wettbewerbsbedingungen zu sorgen.Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, wir machen heute einen ersten großen Schritt, um auch den Transitverkehr zur Finanzierung der deutschen Wegekosten heranzuziehen.
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Bundesminister Matthias WissmannIch glaube, es ist wichtig, daß wir den Bürgern in einer solchen Entscheidung auch nach der Europawahl klarmachen können: Wir treten für die deutschen Interessen in Europa ein. In einer Zeit, in der auf nahezu allen anderen europäischen Straßen deutsche Lkws Gebühren zahlen müssen, kommen wir jetzt in die Lage, gleiches Recht für alle gelten zu lassen und auch auf deutschen Straßen vom inländischen und vom ausländischen Lkw entsprechende Gebühren verlangen zu können.
Das ist ein wichtiger Schritt in einer verkehrspolitischen Gesamtstrategie.Ich bin dankbar, daß alle Fraktionen Zustimmung oder Enthaltung signalisieren. Ich wäre froh, wenn Sie unseren verkehrspolitischen Weg mitgehen würden.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Straßen mit schweren Nutzfahrzeugen, Drucksachen 12/7267 und 12/7896 Nr. 1. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. —Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit großer Mehrheit angenommen.
Wir kommen nun zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich weise nochmals darauf hin, daß für die Annahme des Gesetzentwurfs nach Art. 87 Abs. 3 des Grundgesetzes die absolute Mehrheit erforderlich ist. Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Ich eröffne die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme abzugeben wünscht? — Dieses scheint nicht der Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführer und Schriftführerinnen, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben.*)
— Ich bitte Sie herzlich, liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, wieder Platz zu nehmen; Sie sind sonst nämlich nicht in der Lage, überhaupt zu wissen, worüber Sie abstimmen.
Wir setzen nun die Beratungen fort und kommen zu einer weiteren Abstimmung. Der Ausschuß für Verkehr empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 12/7896 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der
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Stimme? — Damit ist diese Beschlußempfehlung — soweit ich das sehe — einstimmig angenommen.
Ich möchte noch darauf hinweisen, daß der Kollege Horst Friedrich und der Kollege Klaus Bühler Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung abgegeben haben. *)
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 8a und 8 c auf:
a) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Rabattgesetzes und der Verordnung zur Durchführung des Rabattgesetzes
- Drucksachen 12/6722, 12/7271 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 12/7715 —
Berichterstattung:
Abgeordneter Hansjürgen Doss
c) — Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung der Zugabeverordnung
— Drucksache 12/6723 —
— Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Zugabeverordnung — Drucksache 12/3164 —
Beschlußempfehlung und Bericht des
Rechtsausschusses
— Drucksache 12/7911 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Andreas Schmidt
Ludwig Stiegler
Ich weise darauf hin, daß wir nach der Aussprache über das Rabattgesetz namentlich abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. Gibt es dazu anderweitige Vorstellungen? — Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem dem Kollegen Dr. Kurt Faltlhauser das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wie in der Praxis des täglichen Lebens passiert es gelegentlich auch im Bundestag, daß es eine merkwürdige Diskrepanz zwischen der tatsächlichen Bedeutung eines gesetzgeberischen Anstoßes einerseits und der emotionalen Anteilnahme an diesem Anstoß hier und draußen gibt.Gerade in der letzten Zeit haben wir eine ganze Menge großer Reformwerke auf den Weg gebracht,*) Anlage 2
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994 20283
Dr. Kurt Faltlhauserdie wir, wenn ich es richtig beobachtet habe, eigentlich etwas routinemäßig, ruhig, nüchtern abgehandelt haben. Beim vorliegenden Thema Rabattgesetz ist es gerade umgekehrt: ein relativ kleiner Anstoß und große Emotionalisierung. Um so mehr halte ich es für richtig, daß wir uns in dieser Frage nüchtern und emotionslos die Sachverhalte ansehen.Der Grundgedanke des 1933 geschaffenen Rabattgesetzes war immer vorrangig der Schutz der Interessen des Verbrauchers
und nicht der Schutz der Interessen der Anbieter. Es würde der marktwirtschaftlichen Ordnung ja im Kern widersprechen, wollte man durch Gesetze den Preiswettbewerb vor allem zum Wohle der Anbieter beschränken. Nein, es geht erstrangig um den Verbraucher. Der Verbraucher soll durch das Rabattgesetz geschützt werden, indem die Prinzipien von Preiswahrheit und Preisklarheit eingehalten werden. Der Verbraucher soll die Preise vergleichen können. Er soll nicht durch Scheinrabatte betrogen werden. Er soll nicht durch Nachlässe, die bei genauerem Nachrechnen gar keine sind, zum Kauf überzeugt werden. Das ist der Kern der Schutzregelung des bisherigen Rabattgesetzes.Meine Damen und Herren in diesem Hause, wir müssen uns fragen, ob Preiswahrheit und Preisklarheit in diesem Sinne heute und in den letzten Jahren Realität sind und waren. Ich glaube, wenn wir die Realität draußen beobachten, müssen wir folgendes feststellen: Beim Erwerb eines Wohnzimmers gibt es kaum einen Käufer, der nicht Rabatte erheblichen Maßes herausschlägt und diesen gesetzwidrigen Umstand stolz und ohne Widerspruch seinem Freundeskreis erläutert. Bei allen teureren Waren und Dienstleistungen ist das aktive Angebot von Nachlässen gang und gäbe, und dies schon seit vielen Jahren.Gerade im Zusammenhang mit dem immer stärkeren Auftreten von Kreditkarten ist der Nachlaß für den Fall einer Barzahlung ein selbstverständlicher Rabattvorgang. Jeder in diesem Hause kann aus eigener Erfahrung viele Beispiele hinzufügen. Wer in diesem Haus zahlt denn eigentlich, wenn er irgendwo einzeln bucht, noch den normalen, verlangten Hotelpreis?Ist es richtig — so müssen wir uns fragen —, daß es der Gesetzgeber für viele Jahre duldet, daß die Lebenswirklichkeit in keiner Weise mehr mit der gesetzlichen Absicht übereinstimmt? Ich meine: nein. Wir haben die Verpflichtung, Lebenswirklichkeit und gesetzliche Grundlage immer wieder möglichst dekkungsgleich zu machen.Dies, meine Damen und Herren, gilt auch für das Rabattgesetz und für die Rabattpraxis.
Herr Kollege Faltlhauser, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Blunck?
Nein, danke.
Ich kann es auch anders sagen: Viele Händler, die in den letzten Monaten lautstark gegen die völlige Abschaffung des Rabattgesetzes argumentiert haben, haben es sich selbst schon seit vielen Jahren so eingerichtet, als gäbe es dieses Gesetz überhaupt nicht.
Nach sorgfältiger Abwägung der Pro- und Contra-Argumente steht die ersatzlose und völlige Abschaffung des Rabattgesetzes, Frau Kollegin Blunck, heute nicht mehr zur Debatte. Und das ist gut so.
Bei der Anhörung zum Rabattaufhebungsgesetz wurde eine Vielzahl von sehr kritischen Stimmen laut. Es war allerdings interessant, daß auch engagierteste Befürworter der Erhaltung des Rabattgesetzes die grundsätzliche Notwendigkeit einer Reform dieses über 60 Jahre alten Gesetzes nicht bestritten haben.
Die entscheidenden Einwände gegen eine ersatzlose Streichung, die ja heute nicht zur Debatte steht, konzentrierten sich auf zwei Sachverhalte.
Der erste Sachverhalt: die Gefahr, daß durch die völlige Auflösung des Rabattgesetzes die kumulativen Rabatte gerade von Kaufhäusern und großen Sortimentsanbietern möglich gewesen wären, und zwar zu Lasten der mittelständischen und der kleinen Händler.
Das zweite Argument: die Gefahr der Mondpreisbildung, d. h. also der Rabattierung auf der Rechnungsgrundlage eines ohnehin völlig illusorischen und utopischen Preises.
Meine Damen und Herren, wir haben genau diese beiden Punkte im vorliegenden Deregulierungsgesetz aufgegriffen und geregelt. Dieses Reformgesetz enthält zum einen ein Verbot von Gesamtumsatzrabatten.
Der Kollege Faltlhauser läßt keine Zwischenfragen zu.
Ach, mein Kollege Jens, Sie wissen es doch besser als ich. Ich gebe Ihnen dafür aber einen freundschaftlichen Rabatt.Damit wird die Ankündigung oder die Gewährung eines Preisnachlasses, der von innerhalb eines Zeitraumes bezogenen Warenmengen oder Gesamtumsätzen abhängig gemacht wird, an den Letztverbraucher zum Kauf von Waren untersagt. Die vom kleinen Einzelhändler so gefürchteten Jahreskontenblätter im Kaufhaus wird es also nicht geben. Das ist der entscheidende Punkt aller Einwendungen gewesen. Das wird in diesem Reformgesetz aufgegriffen. Damit haben wir, glaube ich, eine gute Regelung geschaffen.
Zum zweiten: das Verbot der Ankündigung von Rabatten auf sogenannte Mondpreise. Im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb wird ein ausdrückliches Verbot von Rabatten auf der Basis irrefüh-
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Dr. Kurt Faltlhauserrender und überhöhter Preisangaben verankert. Auch das halte ich für einen wesentlichen Fortschritt.
— Ich nehme an, daß Sie hinterher genug Zeit haben, sich hier zu äußern.
Sie haben sicher von Ihrer Fraktion ausreichend Zeit erhalten, hier zu sprechen.Insbesondere durch die erste Regelung ist für uns alle das beeindruckende Argument der Konzentrationsförderung und der Mittelstandsfeindlichkeit beseitigt. Das vorliegende Gesetz ist in diesem Sinne eindeutig mittelstandsfreundlich.Im übrigen — das will ich hinzufügen —: Wir werden heute für den Mittelstand eine weitere gute Entscheidung treffen. Wir werden viele Einzelhändler von den absahnenden Abmahnern befreien, nämlich denjenigen, die zum Teil mißbräuchlich den § 13 des UWG handhaben und alle möglichen Händler nicht nur ärgern, sondern ihnen auch ohne Ziel Geld aus der Nase ziehen. Auch das ist mittelstandsfreundlich.Der Einzelhändler hat nunmehr die Möglichkeit, mit dem zentralen Instrument unserer Wettbewerbswirtschaft stärker zu agieren, nämlich mit dem Preis.
Meine Damen und Herren, man hat uns in den Debatten über die völlige Aufhebung des Rabattgesetzes auch andere Vorschläge als Kompromiß gemacht. Im Zentrum stand dabei der Vorschlag des Bundesrates, Güter des ständig wiederkehrenden täglichen Verbrauches von der Rabattierung auszunehmen.Das scheint zunächst vernünftig. Er würde nämlich die Gegenstände aus der Rabattbeschränkung herausnehmen, die auf Grund ihrer Preise und der bisherigen Marktverhältnisse rabattfähig und rabattwürdig sind. Leider hat sich bei genauer Prüfung herausgestellt: Das geht nicht, genausowenig die Abgrenzung zwischen den Gütern, die man mitnehmen kann, und denjenigen, die man nicht mitnehmen kann.Kennzeichnend für all diese Vorschläge ist: Sie sind zum einen in der Praxis nicht durchführbar und kontrollierbar. Zum zweiten würden sie einen unendlichen Verwaltungsaufwand nach sich ziehen. Eine derartige Regelung der Abgrenzung von Gütern würde die Zielsetzung der Deregulierung und der Entbürokratisierung konterkarieren. Wir würden uns als Gesetzgeber, meine ich, auch geradezu lächerlich machen, wenn wir einen derartigen Kompromißversuch gemacht hätten.
Deshalb bin ich überzeugt, daß wir durch die jetztvorliegende Kompromißregelung, das Rabattderegulierungsgesetz, Wettbewerbspielräume eröffnen, die dem Verbraucher zugute kommen.Veränderung bedeutet immer Risiko, und Risiko erzeugt Ängstlichkeit. Ich bin aber trotzdem überzeugt, daß der Handel mit dem jetzigen Ergebnis sehr gut leben kann.Eine letzte Bemerkung. Meine Damen und Herren, der konjunkturelle Einbruch in den letzten 18 Monaten hat manche strukturellen Defizite in der Wirtschaft offengelegt. Ein Defizit ist das der Anpassungsfähigkeit und Veränderungsfähigkeit. Die Debatte um das Rabattgesetz ist ein Spiegelbild dieser Gesamtsituation: Nur nichts verändern! Das Gewohnte behalten. Durch die Zustimmung im Bundestag zu diesem „Rabattderegulierungsgesetz", glaube ich, geben wir auch ein Signal für Beweglichkeit und Veränderungsfähigkeit in unserem Land. In diesem Sinne bitte ich für meine Fraktion um Zustimmung zu diesem Ref ormgesetz.
Als nächstes hat der Kollege Albert Pfuhl das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, daß der Kollege Faltlhauser heute hier gesprochen hat. Bei der Debatte im Ausschuß haben wir ihn selten oder nie gesehen.
Deswegen muß das, was er sagt, natürlich sehr informativ sein. Ich gebe zu, daß eine merkwürdige Diskrepanz in der Diskussion zwischen der eigentlichen Bedeutung und — so sagt er — der öffentlichen emotionellen Reaktion besteht. Meine Damen und Herren, ich habe noch nie so viele Zuschriften und Faxe wie in dieser Sache
und noch nie eine so eindeutige negative Beurteilung eines Gesetzes wie bei diesem bekommen.
Ich weiß, meine Damen und Herren — wenn Sie ehrlich sind, geben Sie es zu —, daß bei Ihnen ja doch eine große Minderheit vorhanden war, die genauso denkt wie wir, nämlich daß dieses Gesetz in unserer Sozialen Marktwirtschaft fehl am Platze ist.
Herr Kollege Faltlhauser, Grundsatz kann nicht nur der Schutz des Verbrauchers sein. Wenn wir eine echte Mittelstandspolitik treiben wollen, auch zugunsten unseres Einzelhandels, dann hängt dieses auch von dem Schutz ab, den wir ihm geben. Das können Sie nicht bestreiten.
Auch die Preisklarheit und die Preiswahrheit, die Sie angesprochen haben, haben damit etwas zu tun.
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Albert PfuhlIm übrigen sollten Sie sich einmal Gedanken über den Unterschied zwischen der sogenannten Preisfestsetzung, die der Händler vornimmt, und dem Rabatt machen. Auch hier besteht ein Unterschied.
Aber, meine Damen und Herren, um es gleich vorwegzunehmen: Wir werden diesem Gesetz nicht zustimmen.
Wir haben in der ersten Lesung, damals hier im Bundestag im Februar, sehr deutlich gemacht, daß die Abschaffung des Rabattgesetzes nach unserer Auffassung sowohl für die Verbraucher als auch für die kleinen und mittleren Unternehmer zu deutlichen Nachteilen führen würde. An den Gründen dafür haben Sie in der Zwischenzeit, auch durch das Abänderungsgesetz, das Sie eingebracht haben, nichts geändert.Ich will es deshalb noch einmal betonen: Preiswahrheit und Preisklarheit sind wichtige Voraussetzungen für eine vergleichende Kaufentscheidung der Verbraucher. Es liegt auf der Hand, daß viele Einzelhandelsunternehmen auf Grund der geringen Umsatzrenditen ihre Preise zunächst werden erhöhen müssen; denn bei Umsatzrenditen von höchstens 3 % bis 5 % in vielen Bereichen kann der Einzelhändler auf einen solchen Preis keinen Rabatt geben. Er muß den Preis erst erhöhen, bevor er darauf einen Rabatt geben kann. Denn wie sagte der ehrbare Kaufmann — dies ist ein Zitat aus der Anhörung —: Rabatt, Rabatt, mein Kind, das laß dir sagen, Rabatt wird vorher immer draufgeschlagen.
Diese Entwicklung zu Fantasiepreisen, die auch jegliche Verbindlichkeit verlieren, wird praktisch zu einer Aushöhlung der Preisangabenverordnung führen. Wozu brauchen wir dann noch eine Preisangabenverordnung? Darm hätte man sie auch abschaffen sollen.
Die faktische Abschaffung des Rabattgesetzes wird auch die Existenz vieler kleinerer und mittlerer Einzelhändler gefährden. Dies ist die Sorge, die in den Hunderten und Tausenden von Briefen ausgedrückt wurde, die wir bekommen haben. Denn hier sind wegen fehlender Möglichkeiten zur Mischkalkulation, die sie im Gegensatz zu den Großen nicht haben, die Einkaufskonditionen das Problem. Im Ergebnis wird die Änderung des bestehenden Rabattgesetzes nach meiner Einschätzung den ohnehin starken Konzentrationsprozeß im Einzelhandel verstärken.
Meine Damen und Herren, für uns bedeutet Soziale Marktwirtschaft faire Bedingungen im fairen Wettbewerb.
Für Sie scheint es zu heißen: Die großen Fische fressen die kleinen. Manchester läßt grüßen.
Nun behaupten Sie unverdrossen, die Änderung des Rabattgesetzes wird die Wachstumskräfte in der Wirtschaft und den Wettbewerb stärken und den Wirtschaftsstandort Deutschland für die Zukunft sicherer machen.
Die Regierungskoalition glaubt offenbar immer noch, daß unsere konjunkturellen und strukturellen wirtschaftlichen Probleme darin begründet wären, daß der Preisnachlaß bei Barzahlung einer Ware, nämlich 3 %, dies verhindert. Es ist wirklich mehr als grotesk, zwischen den Bestimmungen des Rabattgesetzes und der Zukunftssicherung des Standorts Deutschland einen tieferen Zusammenhang zu sehen.Zum Wettbewerb nur soviel: Das seitherige Wettbewerbsgesetz schränkt den Preiswettbewerb und den Handlungsspielraum der Unternehmer — in ihrer Preisgestaltung sind sie frei — nicht ein. Nach wie vor bleibt aber rätselhaft, wie Regierungskoalition und Bundesregierung zu der Auffassung gelangen, daß die ursprünglich geplante Abschaffung des Rabattgesetzes die Wachstumskräfte stärken würde. Tatsache ist und bleibt, daß die Probleme insbesondere im Handel zu einem großen Teil in der von der Bundesregierung zu verantwortenden sinkenden Kaufkraft weiter Teile der Bevölkerung liegen.
Eine Stärkung der Wachstumskräfte im Einzelhandel setzt vor allem voraus, daß der Kunde mehr Geld hat, damit er mehr einkaufen kann.
Dies können die Kunden sehr oft nicht mehr. Warum? — Weil Sie die Abgabenlast für die Masse der Bevölkerung und damit auch der Käufer immens erhöht haben.Die Einführung von Basarmethoden im deutschen Einzelhandel ist uns fremd, und sie schafft wirklich keine Wende zum Besseren. Statt endlich für eine wirkungsvolle Wirtschafts- und Finanzpolitik zu sorgen, mit der Wachstum und vor allem auch mehr Arbeitsplätze geschaffen werden, weicht man auf Nebenkriegsschauplätze aus; dies ist ein Nebenkriegsschauplatz. Wenn es Ihnen aber ernsthaft um Wettbewerb und Marktwirtschaft gehen würde, dann hätten Sie die Fragen der Bankenmacht, der Verfilzung,
die Fragen also, die Sie als Prüfungsauftrag in Ihrer Koalitionsvereinbarung stehen haben, längst geklärt. Was ist geschehen? Ich habe gehört, der Ausschuß war unter Ihrer Führung, Graf Lambsdorff, ein einziges Mal zusammen, und danach kam nichts mehr. Der Berg kreißte, und heraus kam ein Mäuslein.
Herr Pfuhl, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Cronenberg gestatten?
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Ja, Ihnen immer.
Herr Kollege Pfuhl, Sie beklagen die basarhaften Verhaltensweisen im deutschen Handel.
Darum wollte ich Sie fragen, ob nach Ihrem Verständnis die Wünsche des Einzelhandels und des Großhandels gegenüber den Herstellern, Treuerabatte, Einführungsrabatte, Mengenrabatte, Grundrabatte, Jubiläumsrabatte und Bestückungsrabatte — ich könnte weitere aufzählen — zu verlangen, von Ihnen auch als basarhaftes Verhalten bezeichnet werden?
Herr Kollege Cronenberg, Sie sind selbst Produzent und Lieferant an den Großhandel. Bei Ihnen setze ich viel mehr Handlungsfähigkeit voraus als bei dem einzelnen Verbraucher, der in den Laden geht und sich etwas kauft. Hier sind doch gewisse Unterschiede festzustellen.
Meine Damen und Herren, noch eine Anmerkung an die Adresse des Wirtschaftsministers. Für mehr Arbeitsplätze zu kämpfen und es damit zu einem Beschäftigungsaufschwung zu bringen, könnte hier mehr leisten, und wir hätten mehr Möglichkeiten, die Perspektiven wären besser. Ich brauche also von der damaligen Kritik aus der Debatte nichts zurückzunehmen. Doch die Ergebnisse der Anhörung, die wir hatten, scheinen Sie völlig zu ignorieren. Damit Sie aber genau wissen, was Sie tun, will ich Sie noch einmal daran erinnern: Die Experten haben in der Anhörung des Ausschusses für Wirtschaft die beabsichtigte Aufhebung und Änderung des Rabattgesetzes ganz überwiegend abgelehnt. Um es deutlich zu sagen: Das Urteil namhafter Sachverständiger und großer Wirtschaftsverbände war vernichtend. Dieses haben alle Kollegen, die dabei waren, egal welcher Couleur, einhellig anerkannt. Die vorzeitige Flucht des Kollegen Lambsdorff war für mich der Beweis.
Nach Ansicht der Sachverständigen und der Verbände ginge die bisher vorhandene Preisklarheit und -wahrheit verloren. Dadurch wäre nicht nur der mittelständische Einzelhandel, sondern auch der Verbraucher benachteiligt.Diese Anhörung scheint für Sie nur eine Farce gewesen zu sein, eine Alibifunktion. Danach richten wollen Sie sich nicht. Daran ändert auch Ihr Kompromiß, den Sie hier präsentieren, nichts. Er stellt keine vernünftige Lösung dar, sondern dient eher als Beruhigungspille. Er ist nicht mehr als eine Irreführung.
Wenn wir hier das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb einführen könnten, würde Ihre Irreführung unter diesen unlauteren Wettbewerb fallen.
Ich möchte es deutlich sagen: Die Kernvorschriften des Rabattgesetzes werden aufgehoben. Sie schaffen das bisherige Rabattverbot ab. Dem Mittelstand soll dadurch angeblich geholfen werden. Der Gesamtumsatzrabatt soll für unzulässig erklärt werden. Aber bei genauer Betrachtung zeigt sich, daß diese Vorschrift von so vielen Ausnahmen durchlöchert ist, daß sie das Papier nicht wert ist, auf dem sie steht. So gilt dieses Verbot nicht für gewerbliche Kunden, und die Metro läßt dabei schön grüßen.
Davon ausgenommen sind auch die sogenannten Großverbraucher; was auch immer man in der Praxis unter einem Großverbraucher versteht. Ich bin manchmal auch ein Großverbraucher, wenn ich mehr zu mir nehme, als mir guttut. Ist dies damit auch gemeint? Mit dieser Wunderkonstruktion sollen alle von mir eingangs dargestellten und nach wie vor gültigen Negativauswirkungen beseitigt werden.Im übrigen schaffen Sie — damit auch dies nicht völlig in Vergessenheit gerät — die Zugabeverordnung ab. Damit verstärken Sie noch die negativen Auswirkungen der Aufhebung des Rabattgesetzes.
Wenn Sie der Vernunft gefolgt wären, hätten Sie das gesamte Gesetzesvorhaben still und leise beerdigt.
Dies hätte dem Verbraucher genutzt, es hätte den Einzelhändlern genutzt, und es hätte Ihrem Ansehen weniger geschadet. Aber offensichtlich fehlen Ihnen die Kraft und der Mut dazu. Hinter vorgehaltener Hand haben die Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen und auch wir diese Novelle inhaltlich für völlig verfehlt gehalten. Aber sie abzulehnen trauen Sie sich vermutlich nicht.
Heute werden Sie in namentlicher Abstimmung nicht nur vor diesem Hause Farbe bekennen, sondern auch vor Ihren Wählern, Ihrer mittelständischen Klientel zu Hause, in Ihren Wahlkreisen.
Ich weiß, daß Ihnen der Bundeswirtschaftsminister das Farbebekennen schwer macht, der sich mit seinem ganzen persönlichen Prestige für die Aufhebung des Rabattgesetzes eingesetzt hat. A propos, Herr Minister, ich habe in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" gelesen, Sie hätten Politik im Blut. Ich habe den Eindruck, der arme Schreiber hat Blut mit roter Tinte verwechselt.Wenn im übrigen der wirtschaftspolitische Sprecher der F.D.P.-Fraktion vor der Präsidentenwahl in Berlin erklärt hat, daß die Ablehnung des Gesetzes eine Wandlung in der Haltung der F.D.P. hinsichtlich der Wahl des Bundespräsidenten mit sich bringen würde, frage ich mich: Wie pervers denken wir, wenn wir das eine mit dem anderen vergleichen?
Ich betone noch einmal: Nicht Herr Rexrodt entscheidet heute über die Annahme dieses Gesetzes im Parlament, auch wenn er glaubt, die Parlamentarier dazu zwingen zu können, wie er es im Wirtschaftsaus-
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Albert Pfuhlschuß versucht hat. Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, müssen heute entscheiden und tragen dafür auch die Verantwortung.
Bei der Zustimmung geht es nicht mehr um eine sachgerechte Entscheidung, sondern nur noch um die Risse in der Koalition, die Sie kitten wollen.Die sozialdemokratischen Mitglieder des Wirtschaftsausschusses haben sich an der Abstimmung im Ausschuß nicht beteiligt, weil die Koalition das Minderheitenrecht im Parlament mißachtet hat.
Die mit glühender Nadel vorgelegte Änderung der ersten Fassung sieht Änderungen im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vor. Dazu haben wir dann, um eine ordentliche Beratung zu gewährleisten, eine Anhörung beantragt. Sie wurde abgelehnt. Damit zeigen Sie, daß Sie eine sachliche Auseinandersetzung nicht führen wollten und nicht wollen.
— Vielleicht hat die Geschäftsführung, sehr verehrter Herr Rüttgers, Ihre Kollegen im Wirtschaftsausschuß dazu gezwungen,
daß sie nicht ordnungsgemäß beraten, sondern gleich abgestimmt haben.Es geht Ihnen nicht mehr um eine vernünftige Lösung von Problemen, sondern nur um die Koalitionsräson.
Selbst der verehrte wirtschaftspolitische Sprecher der CDU/CSU hat gestern im Ausschuß zugegeben, daß in der nächsten Legislaturperiode im Bereich des unlauteren Wettbewerbs noch erheblicher Regelungsbedarf bestehe. Warum also — frage ich Sie — diese Hektik? Wäre dann nicht, wie von uns gefordert, eine umfassende Diskussion über alle anstehenden Wettbewerbsfragen im Bundestag sinnvoller gewesen? Es ist ja eine ganze Mauer, die wir dann anpakken müssen, und wenn man einen Stein herauszieht, bricht die ganze Mauer zusammen.Die Koalition hat für den Koalitionsfrieden gesorgt; sachgerechte Lösungen wurden auf dem Altar der Koalition geopfert.
Fazit: Wenn fachlich begründete Argumente noch eine Rolle gespielt hätten, dann hätte die Koalition das Vorhaben aufgeben müssen. CDU und CSU fehlen aber anscheinend die Kräfte zu einer vernünftigen Wirtschaftspolitik. Wir haben Ihnen angeboten, in der nächsten Legislaturperiode diese Fragen umfassend mit zu diskutieren, und wir haben bewiesen, daß wir bei wirtschaftspolitischen Fragen dort, wo es vernünftige Lösungen gab, zustimmen konnten, aber bei diesem Gesetz können wir nicht zustimmen.
Ihr Umgang mit den berechtigten Interessen der Wirtschaft muß allen Betroffenen als Warnung dienen. Statt Vernunft und Kompetenz heißt bei Ihnen die Parole heute „Augen zu und durch". Dieses aber können Sie mit uns nicht machen.Herzlichen Dank.
Als nächster hat Dr. Otto Graf Lambsdorff das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Lieber Herr Pfuhl, ich melde mich von der Flucht zurück. Sie kennen mich nur flüchtig; wahrscheinlich hat Ihnen bei diesem Ausdruck der gängige Witz im Kopfe gesteckt: „Kennen Sie Herrn Schneider?" — „Ja, flüchtig". — Also, ich bin wieder da.Meine Damen und Herren, ich muß es kurz machen, ich habe nur sechs Minuten. Ich kann es kurz machen, weil ich Herrn Faltlhauser in allem, was er gesagt hat, zustimme.
Herr Pfuhl, über Kaufkrafttheorie würde ich mich gerne mit Ihnen unterhalten; dazu habe ich keine Zeit. Ich empfehle einen Blick in das neueste Buch von Herrn Siebert.Der Verbraucher steht nicht im Mittelpunkt der Sozialen Marktwirtschaft, sagen Sie. — Wer denn dann? Sie sagen ferner, es gebe deutliche Nachteile für die Verbraucher. — Ist es denn nicht richtig, daß sich in der Anhörung ausgerechnet die Verbraucherverbände unisono massiv für diese Regelung eingesetzt haben?
Aber, meine Damen und Herren, ich will das alles hier im einzelnen gar nicht noch einmal nachvollziehen. Sie kennen den bisherigen Weg dieser Gesetzgebung. Wir haben die Gesamtumsatzrabatte beschränkt; das ist auch völlig richtig. Die Großen fressen die Kleinen, sagt Herr Pfuhl. Wer hat sich denn über diese Änderung des Gesetzentwurfs beschwert? — Ausgerechnet die Großen, weil sie genau wissen, daß sie nicht jede Verkäuferin zur Rabatteinräumung bevollmächtigen können,
während die Kleinen dies nun können. Wir verschaffen denen einen Wettbewerbsvorteil.
Wenn Sie sagen, die Metro läßt grüßen — ich kenne das doch alles, Herr Jens; immer wieder dieselben Schlagworte —:
Wollen Sie denn etwa dem Cash-and-Carry-Großhandel die Einräumung von Gesamtumsatzrabatten für
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Dr. Otto Graf Lambsdorffdiejenigen, die bei ihm kaufen — und das sind die Meinen Einzelhändler und die Gastronomen —, verbieten, gegenüber dem bisherigen Zustand also eine Verschlechterung einreißen lassen? Das wäre totaler Unsinn gewesen.Meine Damen und Herren, wie sich die Bilder gleichen. Nur muß ich sagen: Damals war es spiegelverkehrt. Anfang der 70er Jahre haben wir hier für die Abschaffung der Preisbindung der zweiten Hand argumentiert. Da haben die Verbände und die damalige Opposition mitgeteilt, das würde der Untergang des Einzelhandels und der Untergang der Markenartikelindustrie werden. Dann haben wir es gemacht — nichts ist geschehen. Genauso wird sich in Kürze auch die Aufregung über diese Veranstaltung, der ganze Theaterdonner legen, den Sie heute hier entfaltet haben.
Alles wird sich in Friedlichkeit und Ruhe auflösen.Kein Einzelhändler wird durch Rabattierung in den Bankrott gezwungen, kein Verbraucher wird desorientiert und verwirrt vor den Regalen stehen, es wird kein Feilschen um den täglichen Brötcheneinkauf wie auf einem orientalischen Basar geben — alles das, meine Damen und Herren, werden wir sehr schnell hinter uns haben.Eines allerdings will ich in diesem Zusammenhang mit allem Ernst ansprechen. Sie haben die Anhörung erwähnt, Herr Kollege. In dieser Anhörung hat sich auch der Vertreter des Zentralverbands des Deutschen Kraftfahrzeuggewerbes zu Wort gemeldet, und er hat uns in etwas verschlungenen Worten mitgeteilt — Sie können das im Protokoll nachlesen —, daß es eine Rabattgewährung über 3 % hinaus im deutschen Kraftfahrzeughandel nicht gebe.Angesichts der Praxis im Kraftfahrzeuggewerbe, die jeder kennt — Sie auch, wir auch — habe ich langsam Zweifel, ob bei Anhörungen — vielleicht ist es bei anderen auch so — die Sachverständigen das Gebot einhalten, die Abgeordneten wahrheitsgemäß zu unterrichten.
Akzeptieren wir eigentlich widerspruchslos, daß uns in Anhörungen solche Bären aufgebunden werden? Ich finde, wir sollten das nicht tun. Die Anhörung als wichtiges Instrument parlamentarischer Arbeit darf nicht zur Farce verkommen. Ich werde die Frau Bundestagspräsidentin und den Vorsitzenden des Wirtschaftsausschusses bitten, diesem Vorgang unter Heranziehung des Protokolls, in dem ja alles festgehalten ist, nachzugehen.Wichtig für uns ist, meine Damen und Herren: Das Rabattgesetz ist Teil eines umfassenden Deregulierungspakets. Dazu gehören die schon beschlossene Novelle der Handwerksordnung, Bahn- und Postreform, Vereinfachung von Planungs- und Genehmigungsverfahren und vieles andere mehr.Ich kann den Wählern nur raten: Lesen Sie Partei-und Wahlprogramme. In jedem finden Sie eine Passage zur Deregulierung, zur Entbürokratisierung, zu mehr Wettbewerb und weniger Staat. Und dann vergleichen Sie die Worte mit den Taten. Der Standort Deutschland wird nicht durch Programme, Berichte und Sonntagsreden verbessert, der Standort Deutschland wird durch die Umsetzung von Maßnahmen gesichert.Selbstverständlich, meine Damen und Herren, liegt das Heil nicht beim Rabattderegulierungsgesetz allein, auch nicht bei der privaten Arbeitsvermittlung allein, Herr Jens, und auch nicht bei der Privatisierung von Bahn und Post allein. Aber diese Schritte und viele andere mehr zusammen, den ganzheitlichen Ansatz brauchen wir zur Überwindung der so oft zitierten strukturellen Defizite und auch zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, die wir ohne Abschaffung der strukturellen Defizite nicht erfolgreich in den Griff bekommen werden.
Die heutige Vorlage ist nicht der große Befreiungsschlag. Den gibt es nicht. Es gibt die mühsame Arbeit, aus vielen Einzelteilen ein Mosaik zusammenzusetzen. Dieser Mühe verweigert sich die Opposition. Die Koalition stellt sich ihr, und deswegen stimmen wir diesem Gesetz zu.
Nun spricht Frau Kollegin Dr. Barbara Höll.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In einem kann ich Herrn Lambsdorff zustimmen: Ich glaube, man kann sich zu diesem Punkt sehr kurzfassen.Die PDS/Linke Liste mißt dem Rabattgesetz eine Schutzfunktion für die kleineren und mittleren Unternehmen gegenüber den Handelsriesen und Konzernen zu. Insbesondere berücksichtigen wir auch die bedeutenden Auswirkungen dieses Gesetzes auf den Mittelstand und auf die Beschäftigung im Mittelstand.Deshalb sind wir gegen die Abschaffung des Rabattgesetzes. Eine Abschaffung des Rabattgesetzes würde Großunternehmen und Großvertriebsfirmen auf Kosten der kleinen und mittleren Fachgeschäfte noch größer werden lassen und weitere Existenzen und Arbeitsplätze bedrohen.Dieses Problem besteht natürlich besonders in den neuen Bundesländern, wo viele kleine Unternehmen versuchen, wieder Fuß zu fassen, und ohnehin von vornherein wesentlich schlechtere Ausgangsbedingungen gegenüber den großen westdeutschen Handelsketten haben.In dieser Debatte hören wir wiederum das vielfach gebrauchte und doch inzwischen abgenutzte, weil auch widerlegte Argument vom Wirtschaftsstandort Deutschland. Ich glaube, es wird auch durch ständige Wiederholungen — wie eben von Herrn Lambsdorff — nicht substantieller.Nachdem die von Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt ursprünglich beabsichtigte Aufhebung des Rabattgesetzes einen Proteststurm von kleinen und mittleren Unternehmen ausgelöst hat, wird es nun nicht gänzlich aufgehoben, aber das Gesetz gegen
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Dr. Barbara Höllden unlauteren Wettbewerb soll verändert werden. Wie das beides zusammenpaßt, ist rechtlich nicht eindeutig geklärt. Eine Anhörung im Rechtsausschuß wurde verweigert, und es wurde nur lapidar festgestellt, daß dies nicht gegen die bestehenden Rechtsnormen verstoßen würde. Aber eine Hinterfragung durch die Experten wurde abgelehnt.Das Interesse der Regierungskoalition an einer tatsächlich sachgerechten Lösung muß hier doch stark angezweifelt werden. Ich glaube, es wäre ein Stückchen ehrlicher, wenn die Vorlage nicht Rabattgesetzaufhebungsgesetz, sondern Rabattderegulierungsgesetz heißen würde. Herr Lambsdorff hat es ja eben noch einmal benannt: Privatisierung, Privatisierung, Privatisierung!Aber es ist eben noch nicht eindeutig belegt, daß unter gleichen Rahmenbedingungen eine effektivere, kostengünstigere Variante durch private Unternehmen an Stelle von regionalen, kommunalen und anderen Unternehmen möglich wäre. Es ist nicht bewiesen, daß die private Wirtschaftsform allein die Lösung darstellt.Alle Seiten wenden sich gegen das angestrebte Hauruckverfahren, allein die Regierungskoalition hält an ihrem Vorhaben fest. Das Rabattgesetz wird zwar formal beibehalten; aber bis auf das Verbot der Jahressammelrabatte werden mit der jetzigen Regelung die Fehler der ursprünglich geplanten ersatzlosen Aufhebung des Rabattgesetzes wiederholt.Preiswahrheit und -klarheit gehen nach Aussagen der vielen kleinen und mittelständischen Händler verloren. Aber nicht nur der mittelständische Einzelhandel, sondern letztlich auch die Verbraucher werden mit Nachteilen zu rechnen haben, weil in Zukunft im Wettbewerb nicht mehr mit endgültigen Preisen geworben wird. Gerade Käufer, die wirklich mit der Mark rechnen müssen, müssen dann vielleicht öfter von Händler zu Händler eilen, um herauszubekommen, wo sie etwas günstigere Konditionen erhalten.Es zeigt sich auch deutlich, daß die Regierungskoalition die Abschaffung des Rabattgesetzes als den Einstieg in weitere Deregulierungsmaßnahmen wie die Aufhebung des Laderschlußgesetzes betrachtet. Auch hier sollten wir gewarnt sein und von vornherein diejenigen stärken, die gegen die Aufhebung des Ladenschlußgesetzes protestieren.Die Abgeordneten der PDS/Linke Liste werden gegen die Abschaffung des Rabattgesetzes stimmen.Ich bedanke mich.
Nun spricht der Kollege Werner Schulz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der neue Bundespräsident Roman Herzog ist noch gar nicht im Amt, da zahlt die Union bereits ihre Bring-schuld beim kleinen Koalitionspartner ab. Der „Handelsblatt"-Chefredakteur Mundorf hat unwidersprochen geschrieben: „Die Union zahlt als Preis für die F.D.P.-Stimmen bei der Präsidentenwahl mit derZustimmung zur Abschaffung des Rabattgesetzes." Das ist schon ein delikater Deal, ein politischer Kuhhandel der Präsidentenklasse. Das muß man sich überlegen, wie Gesetzgebung in einem Jahr der Superwahlen läuft!Wie tief sinkt das politische Niveau in dieser politisch verschworenen Koalition eigentlich noch?
Jetzt verprellt sie die sonst zumindest in Worten pfleglich behandelte Klientel des Mittelstands und der Selbständigen. Hört man nicht landauf, landab die Sprüche von den vielfältigen Vorteilen einer mittelständisch geprägten Wirtschaft, von mehr Innovation, von mehr Flexibilität, von mehr Arbeitsplätzen, von mehr Ausbildungsplätzen? All dies wird nicht zu Unrecht den mittleren und kleinen Unternehmen bescheinigt.Doch diese Koalition hält es im Zweifel mit den Großunternehmen. Wir sehen das in der Subventionspolitik, in der Treuhandpolitik, und wir erleben es auch jetzt in der Wettbewerbspolitik. Die F.D.P.-Vertretung der Besserverdienenden ist kein Freudscher Programmvorsatz, sondern längst Realität. Auch für diese Politik hat die F.D.P. am letzten Sonntag einen Denkzettel bekommen. Hier gilt der Scharpingsche Versprecher: Es werden weitere folgen.Dieses abwegige Gesetzesvorhaben ist ein schlimmes Beispiel für ideologiegeleitete, d. h. für verblendete Politik.
Das Zauberwort heißt Deregulierung. Der Wirtschaftsminister und die Seinen haben sich eingeredet, daß Deregulierung der Schlüssel zum Erfolg, das Elixier für mehr Wachstum und Beschäftigung sei. Das ist natürlich Unsinn bzw. der Stoff, aus dem Schaumschläger hervorgehen.Es muß doch darum gehen auszuloten, wo das vernünftige Maß einer Regulierung liegt. Die Gleichung „je weniger Regulierung, desto mehr Wachstum" ist sozial und ökologisch verantwortungslos, und sie ist obendrein falsch.Wir haben es in diesem Lande schon ohne Abschaffung des Rabattgesetzes mit Konzentrationsprozessen gerade im Lebensmitteleinzelhandel zu tun, die in vielerlei Hinsicht besorgniserregend sind. Die Konzentration auf immer weniger, immer größere Anbieter hat volkswirtschaftlich eine Reihe äußerst schädlicher Folgen. Die Versorgung wird schlechter, vielleicht kurzfristig billiger, aber die Vielfalt nimmt ab, und der Autoverkehr zu weiter entfernten Geschäften und Arbeitsplätzen nimmt zu. Dabei gehen Arbeitsplätze in großem Umfang verloren; der Druck auf die Landwirtschaft hin zu industrieller Produktion und zu stärkerer Konzentration wächst. Auf all dies setzt die Koalition mit ihrer Rabattidiotie noch einen drauf: Bauern- und Händlersterben auf einen Schlag.Es gibt offenbar zwei grundlegend voneinander abweichende Auffassungen von Wettbewerbspolitik in diesem Hause. Die Regierung glaubt, es sei schon eine Förderung des Wettbewerbs, wenn man im Wettbewerb alles erlaubt, auch wenn am Ende nur noch ein einziger Wettbewerber übrigbleibt. Wir
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Werner Schulz
glauben das nicht. Für uns kommt es darauf an, daß im Ergebnis ein vielfältiger Wettbewerb erhalten und gefördert wird. Das ist aber nur möglich, wenn auch den Kleinen im Markt die Luft zum Atmen bleibt. Die dumpfe Deregulierungswut muß gestoppt werden. Ich hoffe, daß die CDU-Mittelständler sich daran beteiligen, dieses trübe und unausgegorene Rexrodt-Vorhaben zu Fall zu bringen.Wir hängen nicht am Rabattgesetz, um da keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen. Wir halten es durchaus für überprüfungs- und novellierungsbedürftig.
Das muß gründlich und in Ruhe erfolgen. Es gibt nur einen Zeitdruck aus dieser künstlich geschaffenen Erfolgsillusion.Vor allem die Bedenken des Gewerbes und die Schutzinteressen der Verbraucherinnen und Verbraucher müssen sorgfältig bedacht werden. Die Aufhebung des Rabattgesetzes auch in der vom Wirtschaftsausschuß abgedämpften Version fördert weder den Handel, noch schafft sie neue Arbeitsplätze. Sie vergrößert hingegen die Konzentration im Handel und führt zu einem Abbau des Verbraucherschutzes. Deshalb lehnen wir sie ab. Und sie verhalf — das darf bitte schön nicht vergessen werden — Roman Herzog ins Amt des Bundespräsidenten, ganz ohne Preisnachlaß.
Als nächster hat der Kollege Ortwin Lowack das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mir tun die vielen Kollegen und Kolleginnen im Deutschen Bundestag leid, die heute gegen ihre eigene Überzeugung deswegen einem Gesetzesvorhaben zustimmen sollen, weil das ein kleiner Koalitionszirkel an der Spitze für richtig gehalten hat. Es wird ein klassisches Eigentor werden. Das wäre gar nicht so schlimm; man könnte sich ja, je nach Standort, schadenfroh zurücklehnen. Aber es schadet natürlich immens unserem Mittelstand als dem Rückgrat der wirtschaftlichen Entwicklung, in erster Linie in den Zentren unserer Städte und unserer Kommunen.
Natürlich leistet es auch betrügerischen Manipulateuren Vorschub. Wir werden in Zukunft nicht mehr den ordentlichen Kaufmann als Vorbild haben, sondern den gerissenen Kaufmann.
Es wird auch im Endergebnis nicht verbraucherfreundlich sein. Der Verbraucher wird sehr schnell merken, daß er mehr oder weniger verschaukelt wird. Es fördert — das ist bereits gesagt worden — die Großhandelsbetriebe, die mit Schein- und mit Überraschungsrabatten operieren können, und es wird vor allen Dingen die Serviceleistungen entweder verschlechtern oder schlimmstenfalls erheblich verteuern. Auch verändert es eine Vertriebsstruktur, die sich in Deutschland eigentlich bewährt hat. Wir müssen nicht immer nur nach anderen Ländern schauen, sondern wir haben eine eigene Kultur, eine eigene Denkweise, die sich durchaus positiv entwickelt hat.
Graf Lambsdorff, Deregulierung ist notwendig, ja. Aber beginnen wir doch eher damit, nicht ständig neue Gesetze zu produzieren. Beginnen wir doch damit, die Verwaltungsverfahren zu vereinfachen und aus unseren Verwaltungen moderne Dienstleistungsunternehmen zu machen, die den Mittelstand und allen, die in diesem Wirtschaftsbereich tätig sind, tatsächlich helfen. Tun wir mehr dafür, daß das Subsidiaritätsprinzip in Europa eingehalten wird und sich der Mittelstand nicht einer unübersehbaren Flut gesetzgeberischer Maßnahmen der Europäischen Union gegenübersieht, die er gar nicht mehr verstehen kann.
Was die Koalition heute vorlegt, dient all dem nicht. Ich lehne deshalb das Gesetz mit aller Klarheit ab.
Zu einer Kurzintervention erhält die Abgeordnete Lilo Blunck das Wort, falls sie es noch will.
— Frau Kollegin, Sie können keine Kurzintervention zum Beitrag von Herrn Rexrodt anmelden, wenn er überhaupt noch nicht gesprochen hat. So geht es nicht. Das ist nicht möglich.
Dann erhält Herr Bundesminister Rexrodt das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die vorliegenden Gesetzentwürfe zum Rabattgesetz sind Teil des Aktionsprogramms für mehr Wachstum und Beschäftigung. Mit dem neuen Namen „Gesetz über die Deregulierung des Rabattrechts" wird das Ziel deutlich angesprochen. Es führt kein Weg daran vorbei, es liegt auf der Hand: Die Wirtschaft einschließlich des Handels will weniger Regelung und schnellere Verfahren, damit sie frei durchatmen kann.Bei den verbissenen Grabenkämpfen um das Rabattgesetz ging manchmal der Blick dafür verloren — das ist heute auch schon gesagt worden —, daß es im Vergleich zu den anderen Maßnahmen des Aktionsprogramms nur ein Mosaikstein ist. In diesem Aktionsprogramm — wiederum Bestandteil des Standortprogramms — geht es um Mittelstandsförderung, geht es um FuE, geht es um Innovation und Privatisierung.Zurück zum Rabattgesetz: Im Jahr 1992 ist in Österreich, bei unserem Nachbarn, unter einem sozialdemokratischen Regierungschef ohne viel Aufhebens das Rabattgesetz verschwunden.
Niemand hat es in Österreich bereut.
Das Festhalten an bestehenden Positionen und die Ängste gegenüber Veränderungen sind nachvollzieh-
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Bundesminister Dr. Günter Rexrodtbar. Sie sind — das will ich gar nicht in Abrede stellen — zum Teil verständlich. Es führt aber kein Weg an der Deregulierung des Rabattgesetzes vorbei, meine Damen und Herren.Hier formuliere ich nur das, was mir immer wieder, auch und gerade von mittelständischen Unternehmen, gesagt wird: Wir wollen weniger Regelungen, und wir wollen schnellere und effizientere Verfahren. — Deshalb betreiben wir neben vielen Maßnahmen im Rahmen des Aktionsprogramms und des Standortprogramms auch Deregulierung. Mit Deregulierung allein geht es nicht, aber ohne Deregulierung geht es auch nicht. Deshalb haben wir das Tarifaufhebungsgesetz betrieben und den Mobilfunk dereguliert. Im Investionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz und im Planungsvereinfachungsgesetz sind wichtige Veränderungen vorgenommen worden. Die Novelle des Gentechnikgesetzes, das Handwerksrecht und viele Maßnahmen im Berufsrecht möchte ich ansprechen und daneben das Rabattgesetz.Der Einzelhandel beschwert sich zu Recht über die Vorschriftenflut, die wirtschaftliche Betätigung behindert. Das ist mir erst gestern noch einmal bestätigt worden, als ich in der Mitgliederversammlung des BGA mit dem Einzelhandel darüber gesprochen habe. Hier hört man sehr moderate, sehr vernünftige und sehr auf Ausgleich bedachte Stimmen.Bei der Art und Weise, in der manche Verbände und Verbandsfunktionäre des Einzelhandels gegen die Aufhebung des Rabattgesetzes polemisiert haben, habe ich den Eindruck, daß es da nicht mehr um die Sache, sondern um ganz andere Dinge geht, meine Damen und Herren.
Die Aufhebung des Rabattgesetzes entspricht im übrigen dem ausdrücklichen Wunsch der Verbraucherverbände; denn das grundsätzliche Verbot der Rabatte ist eine Behinderung des Wettbewerbs und eine Bevormundung der Verbraucher, die es in keinem anderen europäischen Land gibt.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, bitte. — Wo ist er denn?
Hier bin ich, Herr Minister. — Herr Minister, sind Sie bereit, zu bestätigen, daß sich bei der Anhörung 90 % der Sachverständigen gegen Ihre Vorstellungen ausgesprochen haben, und sind Sie auch bereit, mir zu bestätigen, daß die Sachverständigen gesagt haben, daß, was speziell die Abschaffung des Rabattgesetzes in Österreich anbelangt, noch nicht genau ausgewertet werden kann, welche Auswirkungen das, insgesamt gesehen, hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Also, zunächst einmal, Herr Abgeordneter Hinsken, muß ich Ihnen sagen, daß die Bewertung, wie Sie sie vornehmen, daß sich nämlich 90 % der Sachverständigen in eine bestimmte Richtung ausgesprochen haben, nicht richtig ist. Sie müssen auch die Gruppierungen mit in Betracht ziehen, die sich dort artikuliert haben, und Sie müssen die Interessenlagen gewichten. Dann kommen Sie zu einer richtigen Bewertung, und dann werden Sie sehen, daß die Verbraucher und ein Teil der Handelsverbände, die eben andere Interessenlagen haben als diejenigen, die in der Aufhebung des Rabattgesetzes fälschlicherweise eine Gefährdung sehen, ein gewichtiges Wort haben, und zwar deshalb, weil hinter ihnen große Gruppen von Menschen stehen, die mit diesem Rabattgesetz nicht mehr leben wollen.
Was Österreich angeht, folgendes: Ich war erst vor wenigen Tagen und Wochen in Österreich und habe mir die Sache dort angesehen und erklären lassen. Es gibt keine ernsthafte Stimme in Österreich, die sagen könnte, daß aus der Aufhebung des Gesetzes irgendwem im Handel Nachteile entstanden sind.
— Ich würde in meiner Rede gerne fortfahren.
Herr Minister, Sie gestatten also keine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken mehr und auch keine von Frau Blunck?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, ich möchte jetzt zunächst fortfahren.
— Was da unsicher sein mag, das möchte ich wissen. Ich bin fest davon überzeugt, daß die Aufhebung dieses Gesetzes im Interesse des Handels, auch des mittelständischen Handels, liegt.
Derjenige, der tüchtig ist, derjenige, der sich etwas einfallen läßt, derjenige, der seine Marktchancen wahrnimmt, kann gerade im mittelständischen Bereich mit Blick auf den Verbraucher und sein Geschäft heute sehr viel mehr erreichen, als es früher der Fall war. Gerade die Großen können auf Grund der Tatsache, daß die Jahresumsatzrabatte verboten sind, sehr viel weniger mit Rabatten arbeiten, während der Kleine, wo der Chef noch mit dem Verbraucher, mit dem Kunden spricht, spontan Rabatt gewähren kann und daher einen Vorteil hat. Deshalb ist das ein Gesetz, das — mit der Einschränkung, die wir gemacht haben — eine Veränderung in Richtung auf einen wettbewerbsfähigen Mittelstand hervorbringt.
Ich sage noch einmal: Unser Gesetzesvorhaben liegt im Interesse der Verbraucher. Deshalb ist es für mich um so erstaunlicher, daß sich die SPD, die sich sonst immer zum Anwalt der Verbraucher aufspielt, so vehement gegen die Aufhebung dieses Rabattgesetzes ausspricht. Das Gesetz ist vom 25. November 1933.
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Bundesminister Dr. Günter RexrodtEs ist ein Gesetz, das von der Wirklichkeit — Sie wissen das — längst überholt ist.
Ich bin ganz sicher, daß Sie die Koalition in ihrer Deregulierungspolitik kritisiert hätten, wenn wir dieses Rabattgesetz nicht so verändert hätten, wie wir es verändert haben. Sie hätten sich aufgespielt und gesagt, daß diese Koalition nicht einmal in der Lage ist, ein so einfaches Gesetz wie das Rabattgesetz in die richtige Fassung zu bringen. Das ist der Tatbestand. Das, was Sie hier vortragen, ist nichts anderes als Populismus und Scharfmacherei.
Es ist etwas, was sich gegen die Interessen der Verbraucher und der mittelständischen Händler richtet.Wir haben im Gesetzgebungsverfahren die Sorgen des mittelständischen Handels sehr wohl aufgenommen und abgewogen. Dies hat die Koalition bei der Einbringung des Gesetzentwurfs im übrigen zugesagt. Die bei der Anhörung im Wirtschaftsausschuß geäußerten Bedenken, Herr Hinsken, sind umfassend berücksichtigt worden.Mit dem Verbot von Gesamtumsatzrabatten bei Waren wird der Gefährdung kleiner und mittlerer Unternehmen durch die Gesamtrabattstrategie von Großunternehmen vorgebeugt. Ich bitte, dies doch nun wirklich einmal zu bedenken und abzugehen von den Klischees und den Vorurteilen. Faktum ist doch, daß der mittelständische Einzelhändler nunmehr im Gespräch mit dem Verbraucher, mit dem Kunden besser mit dem Rabatt zu arbeiten in der Lage ist als der große Kaufhaus- oder Warenhauskonzern. Dieser kann es eben nicht mehr. Es hat eine Umkehrung stattgefunden. Es ist ein Gesetz zugunsten des Mittelstandes entstanden. Setzen Sie sich doch endlich einmal inhaltlich mit diesen Dingen auseinander!
Wir haben das Deregulierungsziel erreicht und den mittelständischen Handel geschützt. Als weitere flankierende Maßnahmen soll der Katalog von irreführenden Sachverhalten im UWG um das Wort „Rabatt" ergänzt werden und eine spezielle Regelung gegen Mondpreise eingeführt werden. — Herr Pfuhl, Sie sind vorhin darauf eingegangen. Wir haben das berücksichtigt. Ich bitte doch, das zu erwähnen.Insgesamt ergibt sich durch das Rabattderegulierungsgesetz folgende Situation: Bei Dienstleistungen werden Angebote und Werbung mit Rabatten — vorbehaltlich der Bestimmungen des UWG — uneingeschränkt zulässig, z. B. Hotelrabatte und Vielfliegerbegünstigungen sowie Sonderpreise für Senioren, für Studenten oder für Vereine.Dies alles wurde im übrigen schon in der Vergangenheit praktiziert. Es war aber immer am Rande dessen, was legal war. Bei Waren gibt es künftig sowohl beim Angebot als auch bei der Werbung mehr Spielräume für Handel und Verbraucher. Der Einzelhandel erhält die Möglichkeit, unter Einbeziehung des Wettbewerbsparameters Rabatt flexibler als bisher zu reagieren. Gerade die mittelständischen Unternehmen werden davon profitieren.Wer da sagt, an der Kaufhauskasse — oder wo auch immer — entstehe nun ein Basar, der sagt die Unwahrheit. Es ist doch nicht anzunehmen, daß man bei einem Stück Butter um einen Rabatt feilscht.
Die Rabattgewährung wird sich wie bisher schon auf Autos, auf Möbel, auf Kühlschränke, auf hochwertige Kleidung, auf Luxusgüter und andere hochwertige Güter konzentrieren, und das ist gang und gäbe heutzutage.
40 % derer, die ein Auto kaufen, wissen, daß so gearbeitet wird. Wir legalisieren, wir bringen die Dinge in Ordnung. Das sind die Sachverhalte.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich als letztes noch sagen: Wir werden über die Wirkungen dieser Gesetzesänderung in zwei Jahren berichten. Wir wissen aus anderen Vorhaben, die dem Einzelhandel mehr Spielraum geschaffen haben — Graf Lambsdorff hat das schon erwähnt —, z. B. die Abschaffung der Preisbindung der zweiten Hand, daß sich die Befürchtungen sehr bald als unbegründet herausstellen und daß der Handel solche Veränderungen annimmt und begrüßt.Das war im übrigen auch so, als außerhalb einer gesetzlichen Regelung die Fußgängerstraßen aufkamen. Was gab es da für einen Protest seitens des Handels? Heute ist das ein wichtiges und wirksames Instrument zur Belebung der Innenstädte und zur Beflügelung des Geschäftes der mittelständischen Einzelhändler.
Herr Minister, darf ich noch einmal fragen, ob Sie doch noch eine Zwischenfrage gestatten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte schön, ja.
Herr Minister, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie auch deshalb für die Abschaffung des Rabattgesetzes sind, weil so oft dagegen verstoßen wird, und darf ich Sie fragen, wie das dann weitergehen soll? Wollen Sie auch für eine Abschaffung der einschlägigen Strafvorschriften betreffend Diebstahl und Gewalttätigkeiten eintreten? Wo ist das Ende?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich muß Ihnen ehrlich gestehen, Frau Kollegin, daß ich Ihre Frage nicht verstehe und daß ich aus diesem Grunde darauf nicht antworten kann.
Meine Damen und Herren, ich möchte Sie abschließend bitten: Lassen Sie sich nicht von Katastrophenszenarien verunsichern, die dem Rabattgesetz eine Bedeutung geben, die es in der Praxis längst nicht
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Bundesminister Dr. Günter Rexrodtmehr hat. Das Wort „Deregulierung" tragen zwar alle vor sich her. Aber ich weiß sehr wohl: Wenn es ernst wird, laufen die Bataillone, weil dann Druck erzeugt wird, sehr schnell davon.Ludwig Erhard mußte schon vor vielen Jahrzehnten bei Deregulierungsschritten feststellen: Wenn ich morgens an meinen Schreibtisch komme, finde ich Berge von Katastrophenmeldungen vor. Bisher ist noch keine eingetreten. — Das wird auch hier nicht der Fall sein, im Gegenteil: Das ist ein Schritt im Sinne des mittelständischen Handels und im Sinne der Verbraucher, meine Damen und Herren.Schönen Dank.
Als nächster spricht der Kollege Uwe Jens.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich empfinde die Abschaffung des Rabattgesetzes gewissermaßen als eine Groteske. Hier wackelt der Schwanz einmal mehr mit dem Hund;
denn in der Tat ist es so, daß bei der CDU viele Kolleginnen und Kollegen sitzen, die jetzt Bauchgrimmen haben und dies nicht mitmachen möchten.
Aber man billigt ja der F.D.P. gewissermaßen alles zu. Man will sie ja über die Fünfprozentklausel retten.
Nur, ich habe das komische Gefühl, meine sehr verehrten Damen und Herren: Das schaffen Sie nicht. Was die F.D.P. heute hier macht, trägt ganz entscheidend dazu bei, daß die kleinen und mittleren Händler sie in Zukunft nicht mehr wählen werden, und das ist auch gut so.
Da redet diese F.D.P. lautstark von Deregulierung — das ist das eigentliche Anliegen —, um den Wirtschaftsstandort Deutschland zu sichern.
Eine Sache wird dereguliert, und zwar wird das Rabattgesetz gestrichen. Gleichzeitig werden im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb drei neue Bestimmungen eingeführt, wird also neu reguliert, und das nennt man dann bei der F.D.P. „Deregulierung". Das ist eine Verhöhnung des Gesetzgebers.
Die Abschaffung des Rabattgesetzes sichere den Standort Deutschland. — Also, Herr Rexrodt, Sie sollten sich wirklich um die brennenden Probleme in diesem Lande kümmern und nicht um solche Albernheiten.
Sie sollten uns einmal sagen, wie Sie Arbeitsplätze schaffen, wie Sie dafür sorgen, daß sechs Millionen Menschen, die einen Arbeitsplatz suchen, endlich in Brot und Arbeit kommen. Das ist die Frage unserer Zeit!
Zwei entscheidende Punkte, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind es, die bei der Abschaffung dieses Rabattgesetzes zu kritisieren sind. Einmal trägt es dazu bei, daß Preiswahrheit und Preisklarheit in Zukunft in diesem Lande verlorengehen.
In Zukunft wird es wieder möglich sein, selbst um ein Achtel Wurst im Laden zu schachern.
Und wer schachert darm? Die Kleinen werden nicht schachern können, aber die Großen, die Reichen, die schachern. Im Grunde genommen ist es so, daß Sie einmal mehr etwas für Ihre Klientel tun, was völlig unverständlich ist, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Nein, mit der Abschaffung des Rabattgesetzes wird es dazu kommen, daß in Zukunft nicht mehr der Wettbewerb um den Preis entscheidend sein wird, sondern es wird um Rabatte gekämpft. Es gibt in Zukunft Rabattwettbewerb, eine völlige Verzerrung der Situation. Preiswettbewerb wollen wir in diesem Land haben, aber keinen Rabattwettbewerb.
Herr Kollege Jens, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Grünbeck erlauben?
Ja.
Herr Kollege Jens, Sie waren bei der Anhörung anwesend. Sie, die SPD, machen sich doch ständig zum Fürsprecher der Verbraucherverbände. Haben Sie eigentlich die Stellungnahme der Verbraucherverbände gelesen, oder haben Sie sich entschlossen, von der Verbraucherpolitik Abschied zu nehmen?
Nein, wir vertreten in der Tat vor allem auch die Interessen der Verbraucher. Frau Blunck ist ein hervorragendes Beispiel dafür.
Die Verbraucherverbände haben in dieser Anhörung — vielleicht passen Sie einmal auf, Herr Grünbeck — ausdrücklich gesagt, daß es ihnen auch darum gehe, Mißbrauch in dieser Beziehung abzustellen, wo immer es nur geht, und das wollen Sie nicht.
Zweitens. Die Abschaffung des Rabattgesetzes führt dazu, daß nach dem Wegfall der Rabatte, wie mein Kollege Albert Pfuhl soeben gesagt hat, Preisaufschläge vorgenommen werden. Natürlich wird das dazu führen, daß die Preise in dieser Republik tenden-
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Dr. Uwe Jensziell nach oben gehen. Für die nächsten Preissteigerungen sind Sie mit verantwortlich, Herr Rexrodt.
Meine Damen und Herren, in Zukunft werden Gesamtumsatzrabatte abgeschafft. Aber für die Metro, Graf Lambsdorff, werden sie ausdrücklich zugelassen. Das halte ich in der Tat für einen Skandal.
Kaufhof und Karstadt dürfen keine Gesamtumsatzrabatte geben, aber die Metro darf sie geben. Das ist in der Tat ein Beispiel für eine Lex Lambsdorff, wie mir scheint.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist schon ein Trauerspiel, das wir heute erleben müssen, was die F.D.P. der Mehrheit dieses Hauses aufzwingt. Ich kann Ihnen nur sagen: Wir Sozialdemokraten werden in der nächsten Legislaturperiode — insbesondere natürlich, wenn wir die Mehrheit haben — alles tun, um das Rabattverbot über 3 % für die normalen Waren des täglichen Bedarfs und auch für normale Gebrauchsgüter wieder einzuführen. Dafür werden wir kämpfen.
Als nächster hat der Kollege Hansjürgen Doss das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Natürlich hat Uwe Jens recht, wenn er sagt, daß das ein Trauerspiel sei. Ein Trauerspiel sind die Beiträge der Sozialdemokraten.
Ich meine, daß Sie heute morgen eher Wahlkampf gemacht haben, als sich ernsthaft mit einer Wettbewerbsregel, die Sachlichkeit verlangt, wenn man sie solide behandeln will, zu befassen. Es ist hier mehr der Ton des Wahlkampfes angeklungen; das ist ein bißchen bedauerlich.
Dann hat Kollege Jens dem Bundeswirtschaftsminister gesagt, daß es Wichtigeres gebe als das Rabattgesetz. Tatsache ist, daß wir zu Beginn dieses Jahres ein 30-Punkte-Programm für Wachstum und Beschäftigung beschlossen haben, und ein Teil davon war diese Entscheidung über das Rabattgesetz, und zwar weit vor der Wahl des Bundespräsidenten. Ich kann Ihnen nur sagen, meine Damen, meine Herren auf der linken Seite dieses Hauses, Sie haben heute wieder bestätigt, daß Sie schlechte Verlierer sind
und daß Sie nicht bereit sind, den Bundespräsidenten aus Debatten um eine Wettbewerbsregel herauszuhalten. Das ist ein weiterer Hinweis für Ihr Verständnis von Demokratie.
Es gibt für alles Grenzen, und diese Grenzen haben Sie hier überschritten, meine Damen und Herren. Das sollten Sie zur Kenntnis nehmen.
Jetzt zur Sache: Unbestritten ist bei allen Befürwortern einer Rabattregelung, daß es Handlungsbedarf gab. Das ist auch bei den Sozialdemokraten unbestritten. Die Frage war: Schafft man das Gesetz gänzlich ab? Erhält man es und überarbeitet es nur? Wenn es überarbeitet wird — in welcher Form? Läßt man das Rabattgesetz für den täglichen Bedarf der Güter bestehen und hebt es nur auf für höherwertige Güter? Läßt man das Gesetz für Waren bestehen und hebt es auf für Dienstleistungen? Wenn man das alte Rabattgesetz aufhebt, muß man dann ein neues schaffen, und wenn ja, mit welchen Vorschriften? Muß man das überhaupt noch in dieser Wahlperiode tun? Das waren die Fragen.
— Ich sage doch, wir reden ehrlich, solide und seriös miteinander. Das ist der Unterschied zwischen uns!
Ich will nicht verheimlichen, daß ich das Gesetz auch gern in Ruhe im Zusammenhang mit anderen Bereichen behandelt hätte, z. B. zusammen mit dem Ladenschlußgesetz oder mit einer UWG-Reform, was wir jetzt vorhaben. Aber in einer Koalition ist es wie in einer Ehe: Man muß aufeinander ein bißchen Rücksicht nehmen. Und ich tue das gern bei den geschätzten Kollegen der F.D.P.
Für mich hat das einen hohen Stellenwert.
— Ja, selbstverständlich. Es ist doch unbestritten
— wir sind doch für die Wahrheit —, daß der Bundeswirtschaftsminister in dieser Frage ein Anliegen hatte und daß er geworben hat, auch bei uns. Es gibt doch auch eine ganze Reihe von Kollegen bei uns, die für diese Änderung des Rabattgesetzes sind. Das gehört zur Wahrheit. Eiern wir doch da nicht herum!
Der Hauptgrund war Deregulierung auf der einen Seite, und auf der anderen Seite gab es ein nicht mehr vorhandenes Unrechtsbewußtsein beim Verstoß gegen geltendes Recht.
Herr Kollege Doss, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Büttner?
Aber gern.
Herr Kollege, wollten Sie mit Ihren Ausführungen über das Zustandekommen und Aushandeln des Gesetzes in der Koalition erklären, daß Sie dabei Schwierigkeiten hatten
— wie es auch in einer Ehe vorkommen kann — und deshalb nur ein schlampiges Ergebnis herausgekommen ist?
Hätte ich gewußt, was Sie mich fragen wollen, hätte ich dem nicht zugestimmt.
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Hansjürgen DossWas wir hier ausgehandelt haben, ist solide; ich werde das im einzelnen beweisen.
Außer solchen unqualifizierten Einwürfen haben Sie in der wichtigen Frage, wie man Wettbewerb organisiert, nichts zu bieten. Bedauerlicherweise ist das so.
Zurück zu der Frage: Wie ist es mit den Verstößen, die wir heute alle hinnehmen, die auch Sie hinnehmen und deren Vorteile auch Sie nutzen — ein bißchen Ehrlichkeit gehört dazu —: bei der Lufthansa — Miles & More —, bei der Bahncard, bei den Hotels? Welcher Handelsvertreter bezahlt den in der Schranktür eingeklebten Preis? Das gibt es doch gar nicht mehr. Wir haben alle miteinander so ein hübsches Kärtchen geschickt bekommen, auf dem steht, daß wir für bestimmte Mietwagen einen Rabatt bekommen. Sie haben das selbstverständlich sofort weggeschmissen, das ist ganz klar.
Herr Kollege Doss, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Bitte ersparen Sie es mir! Ich möchte meine Vorstellungen vortragen können; danach vielleicht. —
Also gut, bitte schön.
Herr Kollege, sind Sie bereit, Ihre Ausführungen auch für die HOAI gelten zu lassen?
Gebührenordnungen der freien Berufe und Wettbewerbsregeln im Handel haben nun wirklich nichts miteinander zu tun.
Sie müssen wirklich sehr verzweifelt sein, daß Sie solche Fragen stellen.
Bei dem Kauf von höherwertigen Gütern wird natürlich um Rabatte gehandelt, auch wenn Sie das selbstverständlich nicht machen. Nach Emnid machen das aber 40 % der Bevölkerung, und das mit Erfolg. Das gehört doch zur Wahrheit.Deshalb: Eine Pauschalkritik an dem Kompromiß ist nicht zulässig, es sei denn, man macht Wahlkampf.
Man kann über Einzelfragen reden. Auch ich bin bereit, darüber zu reden, ob man das so oder so macht. Ich habe das schon angedeutet. Aber eine Pauschalkritik ist nicht vertretbar. Es geht nur um das Wie.Die Sachverständigenanhörung im Wirtschaftsausschuß hat diesem Gesetzgebungsverfahren eine wesentliche Änderung gebracht, Graf Lambsdorff. Die Anhörung hat rund fünf Stunden gedauert. Mehr als 30 Wissenschaftler und Verbandsvertreter wurden gehört. Die Eingaben und Protokolle haben Ordner gefüllt.Als Hauptsorge des mittelständischen Einzelhandels ergab sich dabei: Die Gewährung von Gesamtumsatz- und Jahresrabatten als Strategie für Kundenbindung durch Großunternehmen wurde mit großer Sorge betrachtet. Die Irreführung der Verbraucher durch künstliche Rabatte auf sogenannte Mondpreise sowie Verzerrungen des Leistungswettbewerbs durch Zugaben, d. h. Naturalrabatte, wurden befürchtet. Daraus ergab sich eindeutig — auch wenn es unterschiedliche Meinungen gibt; so ist das in einer Koalition, auch in einer so großen Fraktion wie der meinen —: Die einfache und ersatzlose Aufhebung des Rabattgesetzes kam für uns nicht mehr in Frage. Die Unionsfraktion, die auf diese Anhörung gedrängt hatte, hat damit den richtigen Weg eingeschlagen.Wir haben Erfolg gehabt. Entgegen der ursprünglichen Absicht der Bundesregierung — hier insbesondere des von mir sehr geschätzten Wirtschaftsministers — und anderer Kollegen aus den Koalitionsfraktionen haben wir einen Kompromiß durchgesetzt. Es heißt jetzt nicht mehr schlicht und einfach: „Das Rabattgesetz und die Zugabeverordnung werden aufgehoben." Es wird weiterhin ein Rabattrecht in Deutschland geben, und zwar lautet dies im Kern wie folgt: Gesamtumsatz- und Jahresrabatte auf Waren bleiben im Grundsatz weiterhin verboten. Ausnahmen gibt es nur für gewerbliche Letztverbraucher, Großabnehmer und Personalrabatte. Sogenannte Mondpreise werden in § 3 UWG ausdrücklich als Irreführung aufgenommen. Die Zugabeverordnung, die quasi schon abgeschafft war, bleibt erhalten.Diese Regelung schafft zweierlei: Die eingangs genannte rechtswidrige Praxis in vielen Bereichen wird entkriminalisiert, und den Hauptsorgen des mittelständischen Einzelhandels wird Rechnung getragen.Eine ganz besonders wichtige Passage in diesem Kompromiß ist, daß die Koalition der Bundesregierung den Auftrag gegeben hat, bis Ende 1996 einen Erfahrungsbericht vorzulegen. Man sollte diesen Punkt nicht übersehen. Diese neue Regelung steht selbstverständlich noch einmal auf dem Prüfstand, wenn diese Ergebnisse vorliegen. Wenn negative Erfahrungen mit der neuen Rechtslage erkennbar werden, besteht Anlaß und Gelegenheit zur Korrektur. Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Koalition dem Auftrag an den Bundesarbeitsminister, einen Bericht über die offenen Fragen zum Ladenschlußgesetz vorzulegen, entsprechen, so daß wir zum Anfang der nächsten Legislaturperiode das gesamte den Handel umgebende Recht auf den Prüfstand stellen können. Kurzum: Mit der Vorlage des Erfahrungsberichtes Ende 1996 besteht die Möglichkeit einer Überarbeitung des gesamten Regelwerks, und zwar zusammen mit dem Handel, wie wir das ja auch in der Anhörung gehalten haben.
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Hansjürgen DossMeine Damen, meine Herren, zum Wesen des Kompromisses gehört es, daß niemand so recht glücklich ist, hat Wolfgang Schäuble einmal gesagt. Wenn das stimmt, ist dieses Gefühl bei diesem Gesetzesvorhaben gegeben — also ein echter Kompromiß. Ich bin fest davon überzeugt, daß der mittelständische Einzelhandel mit dem, was sich als Kompromiß herauskristallisiert, leben kann.Es ist und bleibt eine Illusion, wenn Sie meinen, daß der Einzelhandel wegen dieser Frage mit wehenden Fahnen zu den Sozialdemokraten umschwenkt. Es tut mir leid, wenn ich sie Ihnen heute nehmen mußte.
Das Wort zu einer Kurzintervention erhält Otto Graf Lambsdorff.
Frau Präsidentin! Man muß nicht gekränkt sein, wenn Herr Jens meint, ein Stück Gesetzgebung hieße in Zukunft „Lex Lambsdorff". Vielleicht, Herr Professor, gehe ich auf diesen Vorschlag hin noch in die Rechtsgeschichte ein.
Damit jeder versteht, was mit der Ausnahmeregelung für den Cash-and-carry-Großhandel, die wir getroffen haben, gemeint ist und was auch in Ihrem Interesse dringend notwendig ist, will ich nur eines sagen: Der Großhandel darf den Einzelhändlern, den gewerblichen Wiederverwendern, den Gastronomen, die bei ihm kaufen, selbstverständlich Rabatt einräumen; das durfte er bisher und das darf er auch in Zukunft. Durch diesen Rabatt ergibt sich ein Teil der Spanne, die die Wiederverkäufer, die Gastronomen, die kleinen Einzelhändler als ihren Verdienst brauchen. Wenn wir das abgeschafft und mit dem Verbot der Gesamtrabatte belegt hätten, hätten wir denen die Existenzgrundlage genommen. Deswegen ist diese Ausnahmeklausel für den Cash-and-carry-Großhandel im Interesse der Wiederverwender, der kleinen Einzelhändler unbedingt notwendig. Wenn ich damit in die Rechtsgeschichte eingehe, bin ich einverstanden.
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.
Es liegen jetzt noch einige Wortmeldungen zu persönlichen Erklärungen nach § 31 vor. Dazu erteile ich zuerst unserer Kollegin Renate Blank das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich werde dem Rabattderegulierungsgesetz nicht zustimmen, da dieses Gesetz aus der Sicht einer Einzelhändlerin weder einer sachgerechten noch einer sorgfältigen Gesetzesformulierung und Gesetzgebung entspricht und auch den Bezug zur Praxis vermissen läßt.
— Der Beifall von der falschen Seite tut mir ein bißchen leid.Die Anhörung zur Aufhebung des Rabattgesetzes hat eindeutig gezeigt, daß es nicht sinnvoll ist, einenBaustein, nämlich das Rabattgesetz, aus dem Gefüge Preisangabenverordnung, Zugabenverordnung und UWG herauszubrechen.
Ich habe kein Verständnis dafür, wenn weder auf Fachleute noch auf Praktiker gehört wird.
Das Angebot — auch von Handelsseite — bestand, ohne Hast und Aktionismus, dafür mit erforderlichem Sachverstand das Rabattgesetz, die Preisangabenverordnung, die Zugabenverordnung und das UWG in der nächsten Legislaturperiode auf den Prüfstand zu stellen und nach optimalen Lösungen zu suchen. Es sollte nicht darum gehen, angekündigte persönliche Ministervorgaben sofort zu erfüllen.
Zielgruppen sollten nicht mit Zielscheiben verwechselt werden. Wer wie der Wirtschaftsminister ankündigt, eine Bastion, nämlich den Einzelhandel, sturmreif schießen zu wollen, erfährt keine Schonung und braucht sich nicht zu wundern, wenn zurückgeschossen wird und er dann auch angeschossen wird.
Ich mache nun noch einige Bemerkungen zur Sache dieses Gesetzes. Durch die generelle Freigabe von Individualrabatten werden die verbraucher- und wettbewerbspolitisch wünschenswerten Ziele der Preiswahrheit und Preisklarheit gefährdet.
In den zurückliegenden Jahrzehnten ist nie angezweifelt worden, daß Preiswahrheit und Preisklarheit für einen seriösen Wettbewerb Grundvoraussetzungen sind. Das Rabattgesetz hat bisher keinen Unternehmer an der freien Festsetzung seiner Preise und deren jederzeitigen Abänderbarkeit gehindert. Verboten war bisher lediglich die Bildung eines von diesen Preisen im Einzelfall abweichenden individuellen Ausnahmepreises — Stichwort: Gleicher Preis für alle Verbraucher.Die durchschnittliche Umsatzrendite im deutschen Einzelhandel in Höhe von rund 2 % ermöglicht keinen Spielraum für Rabatte, es sei denn, sie werden vorher auf den Preis aufgeschlagen. Die Folgen einer Abschaffung des Rabattverbots: Die Preise werden auf breiter Front angehoben; die Inflation wird gefördert statt bekämpft; ganz zu schweigen von einer unsozialen und diskriminierenden Ungleichbehandlung der Kunden.
Verlierer wäre nämlich die große Mehrheit der Verbraucher, die weniger verhandlungsgeschickt oder
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Renate Blankverhandlungsgewandt sind. Was das Motto „Rabatt, das laß dir sagen, wird immer vorher aufgeschlagen! " angeht, so weiß ich als Einzelhändlerin, wovon ich rede.In Artikel 2 des Gesetzentwurfes ist ein Verbot von Gesamtumsatzrabatten beim Verkauf von Waren vorgesehen. Das klingt zunächst recht gut, doch dieses alleinige Verbot kann die mit der generellen Freigabe von Individualrabatten verbundenen negativen Auswirkungen nicht auffangen. Darüber hinaus wird dieses generelle Verbot durch eine weit gefaßte Ausnahmeklausel in Frage gestellt. Das Verbot wird faktisch ausgehöhlt, und der Artikel 2 kommt einer von der F.D.P. favorisierten Großvertriebsform des Handels sehr entgegen. Der mittelständische Einzelhandel wird das Nachsehen haben; denn Großunternehmen im Handel werden dieses Verbot von Gesamtumsatzrabatten zu umgehen wissen.Die in Artikel 3 des Rabattderegulierungsgesetzes vorgesehenen flankierenden Ergänzungen gegen den unlauteren Wettbewerb bieten inhaltlich absolut nichts Neues, um der Gefahr von Mondpreisen zu begegnen. Die Aufhebung des Rabattgesetzes wird die Probleme auf andere Rechtsvorschriften verlagern und zu einer Vielzahl von Prozessen wegen vermeintlich unlauterer Benachteiligung oder Irreführung des Verbrauchers mit nunmehr ungewissem Ausgang führen.Die Preisangabenverordnung, neben dem Rabattgesetz ein Eckpfeiler für die Wahrung von Verbraucherinteressen, für Markttransparenz, Preiswahrheit und Vergleichbarkeit der Preise wird obsolet, weil es keinen Sinn mehr macht, Preise anzugeben, an die sich der Kaufmann, weil er nach Belieben Rabatte einräumen darf, nicht zu halten braucht. Mit diesem Gesetzentwurf deregulieren wir durch Regulierung, und mir ist nicht bekannt, daß das Rabattgesetz eine Regulierung war, sondern es war eine Rahmenbedingung in unserer freien sozialen Marktwirtschaft.Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Zu einer weiteren Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung erhält der Kollege Ernst Hinsken das Wort.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bin seit fast 14 Jahren im Deutschen Bundestag, habe niemals eine persönliche Erklärung abgegeben, aber heute sehe ich mich dazu gezwungen.Die meisten von uns — ich meine, fast alle — haben gerade in den letzten Tagen, in den letzten Wochen viele, viele Briefe von besorgten Einzelhändlern bekommen, weil diese befürchten, daß sie in Zukunft auf Grund der Abschaffung des Rabattgesetzes noch mehr in Mitleidenschaft gezogen werden, als das momentan schon der Fall ist. Es kommt in diesem Fall auch die große Sorge um ihre Existenz mehrfach zum Ausdruck.Nun habe ich als Mitglied der Koalitionsarbeitsgruppe Deregulierung immer dafür gekämpft und bin dafür eingetreten, überflüssige gesetzliche Regelungen über Bord zu werfen, damit sich die Kräfte des Marktes frei entfalten können. Dementsprechend habe ich auch zunächst, der Gesetzesbegründung glaubend, in der Aufhebung des Rabattgesetzes einen Schritt zur Deregulierung gesehen. Die Sachverständigenanhörung im Wirtschaftsausschuß hat mir jedoch gezeigt, daß das Rabattgesetz ein wesentlicher Bestandteil des Wettbewerbsrechtes ist, den wir nicht im Hauruck-Verfahren beseitigen dürfen und beseitigen wollen.
Ich möchte nur kurz auf die wichtigsten Gesichtspunkte hinweisen, da die Argumente den meisten sehr wohl bekannt sein dürften.Erstens. Eine durchschnittliche Umsatzrendite im deutschen Einzelhandel von rund 2 %, im Lebensmitteleinzelhandel sogar noch darunter, ermöglicht keinen Spielraum für nennenswerte Rabatte, es sei denn, sie werden vorher auf den Preis aufgeschlagen. Auch ich möchte als dritter hier sagen, daß mich sehr wohl beeindruckt hat und mir noch im Ohr klingt, was der Sachverständige während der Anhörung gesagt hat: „Rabatt, Rabatt, das laß dir sagen, wird vorher immer aufgeschlagen!" Niemand hat etwas zu verschenken!
Zweitens. Die Rabattwerbung eröffnet ein bedenkliches Potential zur Irreführung der Verbraucher.Drittens. Gesamtumsatz- oder Jahresrabatte stehen vorzugsweise Großfirmen des Einzelhandels zur Verfügung. Solche Rabatterwartungen üben einen groBen Sogeffekt aus und konzentrieren die Umsätze der Kunden auf solche Unternehmen zu Lasten mittelständischer Einzelhändler.
Viertens. Diese Konzentration geht besonders zu Lasten der Versorgung in ländlichen Gebieten und zu Lasten des Facheinzelhandels in den Innenstädten.Fünftens. Der mittelständische Einzelhandel in den neuen Bundesländern wäre besonders hart betroffen.Sechstens. Die statistische Erfassung des Preisniveaus wird zumindest erheblich erschwert.Siebentens. Die steuerliche Behandlung von Personalrabatten ist bei allgemeiner Rabattfreiheit neu zu beurteilen.Ich meine, über diese Argumente können wir uns nicht hinwegsetzen, wenn Expertenanhörungen überhaupt noch einen Sinn machen sollen.
Durch das nunmehr zur Verabschiedung anstehende sogenannte Rabattderegulierungsgesetz —übrigens ein Zungenbrecher — wird zwar einigen Bedenken Rechnung getragen; es ist ein Schritt in die richtige Richtung, das möchte ich nicht verkennen,
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Ernst Hinskenaber insgesamt sehe ich hierin keinen für mich zustimmungsfähigen Kompromiß.Zunächst einmal vermag ich nicht einzusehen, worin die Deregulierung zu sehen ist, wenn zwar im ersten Schritt das Rabattgesetz aufgehoben wird, um sogleich im nächsten Schritt Rabattstrategien in Form von Gesamtumsatz und Jahresrabatten auf Waren zu verbieten. Ich frage mich, warum nur bei Waren und nicht auch auf Dienstleistungen, denn auch im Dienstleistungsbereich wirken sich diese Gesamtumsatzstrategien großer Dienstleistungsunternehmen zum Nachteil kleiner und mittelständischer Betriebe aus.Individualrabatte, d. h. Rabattgewährungen bei einzelnen Verkaufsvorgängen, sollen hingegen künftig zulässig sein. Da frage ich mich wieder: Wie sollen eigentlich Versandhandel oder große Handelsunternehmen mit dieser Regelung leben können? Hier besteht überhaupt kein Spielraum des Verkaufspersonals für Rabattgewährungen. Gerade diese Handelsformen wären wiederum auf Gesamtumsatz-Rabattstrategien angewiesen, die aber gerade verboten sein sollen.Demgegenüber soll das Verbot von Jahresrabatten dann nicht gelten, wenn die Käufer die Waren beruflich oder gewerblich verwerten. Das ist — das möchte ich klar und deutlich sagen — für mich eine reine Lex Metro, und schon deshalb bin ich dagegen.
Meine Damen und Herren, bereits diese hier nur kurz skizzierten Beispiele belegen schlaglichtartig die Unausgegorenheit des vorliegenden Kompromisses. Ich könnte hier noch speziell auf den Art. 3 eingehen, weil ich ihn als „weiße Salbe" bezeichne; wir haben das schon längst.Ich möchte nur noch abschließend bemerken, daß gerade in diesem Zusammenhang für mich genauso schwerwiegend ist, daß wir aus rein kosmetischen Gründen eine Vorschrift ins UWG aufnehmen wollen, die eine Abkehr von der bisherigen Gesetzessystematik darstellt. Ich meine, wir sollten mit einer ebenso wichtigen wie komplexen Gesetzesmaterie so nicht verfahren.Abschließend möchte ich feststellen: Ich bin nicht so weltfremd zu glauben, daß wir alles beim alten belassen können. Ich sehe ein, daß Novellierungsbedarf besteht. Aber ich verstehe nicht, Herr Wirtschaftsminister, warum hier solche Eile an den Tag gelegt wird. Sie machen doch sonst gute Politik. Warum machen Sie es auf diesem Gebiet nicht?
Wegen der engen Verzahnung mit dem Wettbewerbsrecht sollte diese Novellierung deshalb im Rahmen einer auf gründlichen Analysen basierenden Reform des gesamten Wettbewerbsrechts in der nächsten Legislaturperiode in Angriff genommen werden. Wir vergeben uns nichts, wenn wir es verschieben. Deshalb kann und werde ich dieser Gesetzesvorlage nicht zustimmen. Ich bitte um Verständnis.
Es liegen noch weitere Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor, die zu Protokoll gegeben werden sollen, und zwar von den Kollegen Jürgen Augustinowitz, Klaus Bühler, Arno Schmidt, Alois Graf von Waldburg-Zeil, Wolfgang Zöller und Otto Hauser. Weitere Wortmeldungen liegen mir darüber hinaus nicht vor. Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zuerst zum Tagesordnungspunkt 8 a. Dabei handelt es sich um die Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Deregulierung des Rabattgesetzes auf den Drucksachen 12/6722, 12/7271 und 12/7715. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Gegenstimmen! — Stimmenthaltungen? — Nachdem wir noch eine namentliche Abstimmung haben, sage ich jetzt, daß dieser Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen ist. Es ist für mich etwas unübersichtlich, die Abstimmungssituation jetzt zu erkennen.
Wir kommen nun zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Die Fraktion der SPD verlangt namentliche Abstimmung. Ich eröffne die Abstimmung.
Meine Damen und Herren, darf ich fragen, ob ein Mitglied des Hauses anwesend ist, das die Stimme noch nicht abgegeben hat? — Bitte, Herr Kollege.Ich möchte die Abstimmung schließen. Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so. Ich schließe die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben.Wir haben jetzt noch eine Reihe von Abstimmungen, und ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie Platz nehmen würden.Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 8 c, Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung der Zugabeverordnung. Das sind die Drucksachen 12/3164 und 12/7911, Buchstabe a.Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dieser Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit großer Mehrheit angenommen.Wir kommen zurdritten Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist bei Gegenstimmen aus der Gruppe PDS/Linke Liste angenommen.Wir kommen zum Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zur Aufhebung der Zugabeverordnung auf Drucksache 12/6723. Es ist beantragt worden, den Gesetzentwurf an die Ausschüsse
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Vizepräsident Helmuth Beckerzurückzuverweisen. Sind Sie damit einverstanden? — Das ist offenbar der Fall. Dann ist auch dies so beschlossen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, bevor wir zum nächsten Tagesordnungspunkt kommen, möchte ich Ihnen noch das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Straßen mit schweren Nutzfahrzeugen bekanntgeben. Abgegebene Stimmen: 600. Mit Ja haben gestimmt: 579, mit Nein haben gestimmt: 10, Enthaltungen: 11. Der Gesetzentwurf ist also mit absoluter Mehrheit angenommen, denn nach Art. 87 Abs. 3 des Grundgesetzes war für die Annahme die absolute Mehrheit der Mitglieder des Bundestages — das sind 332 abgegebene Stimmen — erforderlich.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 599; davon:ja: 579nein: 10enthalten: 10JaCDU/CSUDr. Ackermann, Else Adam, UlrichDr. Altherr, Walter Franz Augustin, Anneliese Augustinowitz, Jürgen Austermann, Dietrich Bargfrede, Heinz-GünterDr. Bauer, WolfBaumeister, Brigitte Belle, MeinradDr. Bergmann-Pohl, Sabine Bierling, Hans-DirkDr. Blank, Joseph-Theodor Blank, RenateDr. Blens, Heribert Bleser, PeterDr. Blüm, NorbertBöhm , Wilfried Dr. Böhmer, MariaBörnsen , Wolfgang Dr. Bötsch, WolfgangBohl, FriedrichBohlsen, Wilfried Borchert, Jochen Breuer, PaulBrudlewsky, Monika Brunnhuber, Georg Bühler , Klaus Büttner (Schönebeck),HartmutBuwitt, DankwardCarstens , Manfred Carstensen (Nordstrand),Peter HarryClemens, Joachim Dehnel, Wolfgang Dempwolf, Gertrud Deres, KarlDeß, AlbertDiemers, Renate Dörflinger, Werner Doss, Hansjörgen Dr. Dregger, Alfred Echternach, Jürgen Ehlers, Wolfgang Ehrbar, UdoEichhorn, Maria Engelmann, Wolfgang Eppelmann, RainerErler , Wolfgang Eylmann, HorstEymer, AnkeDr. Faltlhauser, Kurt Feilcke, JochenDr. Fell, Karl H.Fischer , Dirk Francke (Hamburg), Klaus Frankenhauser, Herbert Dr. Friedrich, Gerhard Fritz, Erich G.Fuchtel, Hans-Joachim Ganz , JohannesDr. Geiger , Sissy Geis, NorbertDr. Geißler, HeinerDr. von Geldern, Wolfgang Gerster , Johannes Gibtner, HorstGlos, MichaelDr. Göhner, Reinhard Götz, PeterDr. Götzer, Wolfgang Gres, JoachimGrochtmann, Elisabeth Gröbl, Wolfgang Grotz, Claus-PeterDr. Grünewald, Joachim Günther , Horst Frhr. von Hammerstein,Carl-DetlevHarries, KlausHaschke , GottfriedHaschke , Udo Hasselfeldt, Gerda Haungs, RainerHauser , Otto Hauser (Rednitzhembach), HansgeorgHedrich, Klaus-Jürgen Heise, ManfredDr. Hellwig, RenateDr. h. c. Herkenrath, Adolf Dr. Herr, NorbertHiebing, Maria Anna Hinsken, ErnstHintze, PeterHörsken, Heinz-Adolf Hörster, JoachimDr. Hoffacker, Paul Hollerith, JosefDr. Hornhues, Karl-Heinz Hornung, Siegfried Hüppe, HubertJäger, ClausJaffke, SusanneDr. Jahn ,Friedrich-AdolfJanovsky, GeorgJeltsch, KarinDr. Jobst, DionysDr.-Ing. Jork, Rainer Dr. Jüttner, EgonJung , Michael Junghanns, UlrichDr. Kahl, HaraldKalb, Bartholomäus Kampeter, Steffen Dr.-Ing. Kansy, Dietmar Karwatzki, Irmgard Kauder, VolkerKeller, PeterKiechle, IgnazKittelmann, PeterKlein , Günter Klein (München), Hans Klinkert, UlrichKöhler ,Hans-UlrichDr. Köhler , VolkmarKolbe, ManfredKors, Eva-MariaKoschyk, Hartmut Kossendey, Thomas Kraus, RudolfKrause , Wolfgang Krey, Franz Heinrich Kriedner, ArnulfKronberg, Heinz-Jürgen Krziskewitz, Reiner Lamers, KarlDr. Lammert, Norbert Lattmann, Herbert Dr. Laufs, PaulLaumann, Karl-Josef Lehne, Klaus-Heiner Dr. Lehr, UrsulaLenzer, Christian Dr. Lieberoth, Immo Limbach, EdithaLink , Walter Lintner, EduardDr. Lippold , Klaus W.Dr. Lischewski, Manfred Löwisch, SigrunLohmann , WolfgangLouven, JuliusLummer, Heinrich Dr. Luther, MichaelMaaß , Erich Männle, UrsulaMagin, TheoDr. Mahlo, Dietrich Marienfeld, Claire Marschewski, Erwin Marten, GünterDr. Mayer , MartinMeckelburg, Wolfgang Meinl, RudolfDr. Merkel, Angela Dr. Meyer zu Bentrup, ReinhardMichalk, MariaMichels, MeinolfDr. Mildner, Klaus Dr. Möller, FranzMolnar, ThomasMüller , Elmar Müller (Wadern), Hans-WernerMüller , Alfons Nelle, EngelbertDr. Neuling, Christian Neumann , Bernd Niedenthal, ErhardNitsch, JohannesNolte, ClaudiaDr. Olderog, RolfOst, FriedhelmOswald, EduardOtto , Norbert Dr. Päselt, Gerhard Dr. Paziorek, Peter Pesch, Hans-Wilhelm Petzold, UlrichPfeifer, AntonPfeiffer, Angelika Dr. Pfennig, GeroDr. Pflüger, Friedbert Dr. Pinger, Winfried Pofalla, RonaldDr. Pohler, Hermann Priebus, Rosemarie Dr. Probst, AlbertDr. Protzner, Bernd Pützhofen, DieterRaidel, HansDr. Ramsauer, Peter Rau, RolfRauen, Peter Harald Rawe, WilhelmReddemann, Gerhard Regenspurger, Otto Dr. Reinartz, Bertold Reinhardt, ErikaRepnik, Hans-Peter Dr. Rieder, NorbertDr. Riedl , Erich Riegert, KlausDr. Riesenhuber, Heinz Ringkamp, Werner Rode , Helmut Rönsch (Wiesbaden),HanneloreRomer, FranzDr. Rose, KlausRossmanith, Kurt J. Roth , Adolf Rother, HeinzDr. Ruck, Christian Rühe, VolkerDr. Rüttgers, Jürgen Sauer , Helmut Sauer (Stuttgart), Roland Schätzle, OrtrunDr. Schäuble, Wolfgang Scheu, GerhardSchmalz, UlrichSchmidbauer, Bernd Dr. Schmidt, ChristaSchmidt , Christian Dr.-Ing. Schmidt (Halsbrücke),JoachimSchmidt , Andreas Schmidt (Spiesen), Trudi Schmitz (Baesweiler),Hans Petervon Schmude, Michael Dr. Schneider , OscarDr. Schockenhoff, Andreas Graf von Schönburg-Glauchau, Joachim Dr. Scholz, Rupert
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20300 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994
Vizepräsident Helmuth Becket Frhr. von Schorlemer, ReinhardSchulhoff, Wolfgang
Schulz , Gerhard Schwalbe, Clemens Schwarz, StefanDr. Schwarz-Schilling, ChristianDr. Schwörer, Hermann Seehofer, HorstSeesing, Heinrich Seibel, WilfriedSeiters, RudolfSikora, JürgenSkowron, Werner H. Sothmann, Bärbel Spilker, Karl-Heinz Dr. Sprung, Rudolf Steinbach-Hermann, ErikaDr. Stercken, Hans Dr. Frhr. von Stetten, WolfgangStockhausen, KarlDr. Stoltenberg, Gerhard Strube, Hans-Gerd Stübgen, MichaelDr. Süssmuth, Rita Tillmann, FerdiDr. Töpfer, KlausDr. Uelhoff, Klaus-Dieter Uldall, GunnarVerhülsdonk, Roswitha Vogt , Wolfgang Dr. Voigt (Northeim),Hans-PeterDr. Waffenschmidt, Horst Graf von Waldburg-Zeil, Alois Dr. Warnke, JürgenDr. Warrikoff, Alexander Werner , Herbert Wetzel, KerstenWiechatzek, Gabriele Dr. Wilms, Dorothee Wilz, BerndDr. Wisniewski, Roswitha Wissmann, MatthiasDr. Wittmann, Fritz Wittmann ,SimonWonneberger, Michael Wülfing, ElkeWürzbach, Peter Kurt Yzer, CorneliaZeitlmann, Wolfgang Zierer, BennoZöller, WolfgangSPDAdler, BrigitteAndres, GerdBachmaier, Hermann Barbe, AngelikaBecker , Helmuth Becker-Inglau, Ingrid Bernrath, Hans Gottfried Beucher, Friedhelm Julius Bindig, RudolfBlunck , Lieselott Bock, TheaDr. Böhme , Ulrich Börnsen (Ritterhude), Arne Brandt-Elsweier, AnniDr. Brecht, Eberhard Büchler , Hans Büchner (Speyer), Peter Dr. von Bülow, Andreas Büttner (Ingolstadt), HansBurchardt, Ursula Bury, Hans Martin Caspers-Merk, MarionCatenhusen, Wolf-Michael Conradi, PeterDr. Däubler-Gmelin, Herta Daubertshäuser, KlausDr. Diederich , Nils Diller, KarlDreßler, Rudolf Duve, FreimutEbert, EikeDr. Eckardt, PeterDr. Ehmke , Horst Eich, LudwigDr. Elmer, Konrad Esters, HelmutEwen, CarlFerner, ElkeFischer , EvelinFormanski, Norbert Fuchs , Anke Fuhrmann, Arne Gansel, Norbert Dr. Gautier, Fritz Gilges, Konrad Gleicke, IrisDr. Glotz, Peter Graf, GünterGroßmann, Achim Haack ,Karl Hermann Habermann, Michael Hacker, Hans-Joachim Hämmerle, Gerlinde Hampel, Manfred Hanewinckel, Christel Hasenfratz, KlausDr. Hauchler, Ingomar Heistermann, Dieter Heyenn, GüntherHiller , Reinhold Hilsberg, StephanHorn, ErwinHuonker, Gunter Ibrügger, Lothar Iwersen, Gabriele Jäger, RenateJanz, IlseDr. Janzen, Ulrich Jaunich, HorstDr. Jens, UweJung , Volker Jungmann (Wittmoldt), Horst Kastner, SusanneKastning, ErnstKemper, Hans-Peter Kirschner, Klaus Klappert, Marianne Klose, Hans-UlrichDr. Knaape, Hans-Hinrich Körper, Fritz Rudolf Kolbe, ReginaKolbow, Walter Koltzsch, RolfKretkowski, Volkmar Kubatschka, Horst Dr. Kübler, Klaus Kuessner, Hinrich Dr. Küster, Uwe Kuhlwein, Eckart Lambinus, Uwe Lange, Brigittevon Larcher, Detlev Leidinger, Robert Lennartz, KlausDr. Leonhard-Schmid, Elke Lörcher, ChristaLohmann , KlausDr. Lucyga, ChristineMaaß , DieterMarx, DoneMascher, Ulrike Matschie, Christoph Matthäus-Maier, Ingrid Mattischeck, Heide Mehl, UlrikeMeißner, HerbertDr. Mertens , Franz-JosefDr. Meyer , Jürgen Mosdorf, SiegmarMüller , Michael Müller (Schweinfurt), Rudolf Müller (Völklingen), Jutta Müller (Zittau), Christian Neumann (Bramsche), Volker Neumann (Gotha), Gerhard Dr. Niehuis, EdithDr. Niese, RolfNiggemeier, Horst Odendahl, Doris Oesinghaus, Günter Oostergetelo, Jan Opel, ManfredOstertag, Adolf Dr. Otto, Helga Palis, KurtPaterna, PeterDr. Penner, Willfried Dr. Pfaff, Martin Pfuhl, AlbertDr. Pick, Eckhart Poß, Joachimvon Renesse, Margot Rennebach, Renate Reschke, OttoReuschenbach, Peter W. Reuter, BerndRixe, GünterSchaich-Walch, Gudrun Schanz, DieterDr. Scheer, Hermann Scheffler, Siegfried Schily, OttoSchloten, Dieter Schluckebier, Günter Schmidbauer ,HorstSchmidt , Ursula Schmidt (Nürnberg), Renate Schmidt (Salzgitter), Wilhelm Schmidt-Zadel, ReginaDr. Schmude, Jürgen Dr. Schnell, EmilDr. Schöfberger, Rudolf Schöler, Walter Schreiner, Ottmar Schröter, Gisela Schröter, Karl-Heinz Schutz, DietmarSchulte , BrigitteDr. Schuster, R. Werner Schwanhold, Ernst Schwanitz, Rolf Seidenthal, Bodo Seuster, LisaSielaff, HorstSinger, JohannesDr. Skarpelis-Sperk, SigridDr. Soell, HartmutDr. Sonntag-Wolgast, Cornelie Sorge, WielandSteen, Antje-Marie Stiegler, Ludwig Dr. Struck, Peter Tappe, Joachim Terborg, MargittaDr. Thalheim, Gerald Thierse, Wolfgang Titze-Stecher, Uta Toetemeyer, Hans-Günther Urbaniak, Hans-EberhardVergin, Siegfried Verheugen, GünterDr. Vogel, Hans-Jochen Voigt , Karsten D. Wagner, Hans Georg Wallow, HansWaltemathe, Ernst Walter , RalfWartenberg , GerdDr. Wegner, Konstanze Weiermann, Wolfgang Weiler, BarbaraWeis , Reinhard Weisheit, Matthias Weißgerber, Gunter Weisskirchen (Wiesloch), Gert Dr. Wernitz, AxelWester, Hildegard Westrich, Lydia Wettig-Danielmeier, IngeDr. Wetzel, Margrit Weyel, GudrunWieczorek-Zeul, Heidemarie Wiefelspütz, DieterDr. de With, Hans Wittich, Berthold Wohlleben, Verena Wolf, HannaZapf, UtaDr. Zöpel, ChristophF.D.P.Albowitz, Ina Dr. Babel, GiselaBaum, Gerhart RudolfDr. Blunk , Michaela Bredehorn, Günther Cronenberg (Arnsberg),Dieter-JuliusEimer , Norbert Engelhard, Hans A. van Essen, Jörg Friedhoff, Paul K. Friedrich, Horst Funke, RainerDr. Funke-Schmitt-Rink,MargretGenscher, Hans-Dietrich Gries, Ekkehard Grünbeck, JosefGrüner, MartinGünther , JoachimDr. Guttmacher, Karlheinz Hansen, DirkDr. Haussmann, Helmut Heinrich, UlrichDr. Hirsch, BurkhardDr. Hitschler, Walter Homburger, Birgit Dr. Hoth, SigridDr. Hoyer, Werner Irmer, UlrichDr. Jordan, JensKleinert , Detlef Kohn, RolandDr. Kolb, Heinrich L.Koppelin, JürgenDr.-Ing. Laermann, Karl-Hans Dr. Graf Lambsdorff, Otto Leutheusser-Schnarrenberger,SabineLüder, Wolfgang Lühr, UweDr. Menzel, Bruno Mischnick, WolfgangNolting, Günther FriedrichDr. Ortleb, Rainer Otto , Hans-Joachim Paintner, Johann
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994 20301
Vizepräsident Helmuth BeckerParr, DetlefPeters, LisaDr. Pohl, EvaRichter , ManfredRind, HermannDr. Röhl, KlausSchäfer , Helmut Schmalz-Jacobsen, Cornelia Dr. Schmieder, JürgenDr. Schnittler, Christoph Schüßler, Gerhard Schuster, HansDr. Schwaetzer, Irmgard Sehn, Marita Seiler-Albring, Ursula Dr. Semper, SigridDr. Solms, Hermann Otto Dr. Starnick, JürgenDr. von Teichman, Cornelia Thiele, Carl-LudwigDr. Thomae, DieterTimm, JürgenTürk, JürgenWalz, IngridDr. Weng , WolfgangWolfgramm , TorstenWürfel, UtaZurheide, Burkhard Zywietz, WernerFraktionslosDr. Briefs, UlrichHackel, Heinz-Dieter Dr. Krause , Rudolf KarlLowack, OrtwinStachowa, AngelaMeine Damen und Herren, ich rufe Tagesordnungspunkt 9 a und b, Zusatzpunkt 5 und den zu Beginn der Sitzung aufgesetzten Zusatzpunkt 9 auf:9. a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dirk Fischer , Horst Gibtner, Wolfgang Erler (Waldbrunn), weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie den Abgeordneten Ekkehard Gries, Horst Friedrich, Manfred Richter (Bremerhaven), weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Planungsverfahrens für Magnetschwebebahnen
— Drucksache 12/7006 —
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr
— Drucksache 12/7925 — Berichterstattung:Abgeordnete Horst GibtnerKlaus DaubertshäuserHorst FriedrichDr. Dagmar EnkelmannDr. Klaus-Dieter Feige bb) Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 12/7926 —Berichterstattung:Abgeordnete Ernst Waltemathe Wilfried BohlsenWerner Zywietzb) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu der Unterrichtung durch die BundesregierungBericht über das Finanzierungskonzept der Magnetschwebebahnverbindung BerlinHamburg
— Drucksachen 12/6964, 12/7925 —Berichterstattung:Abgeordnete Horst Gibtner Klaus DaubertshäuserHorst FriedrichDr. Dagmar Enkelmann Dr. Klaus-Dieter FeigeZP5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann und der Gruppe der PDS/Linke ListeAusbau der Bahnverbindungen Hamburg-Berlin— Drucksache 12/7732 —ZP9 Beratung des Antrags der Fraktion der SPDKreuzungen mit anderen Eisenbahnen und mit Straßen— Drucksache 12/7906 —Zum Magnetschwebebahnplanungsgesetz liegen sechs Änderungsanträge und ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. — Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist auch das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst unserem Kollegen Horst Gibtner das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der heutigen Debatte geht es nicht schlechthin nur um den Text eines Gesetzes oder um Kenntnisnahme von einem Bericht, den die Bundesregierung für die Finanzierung eines bestimmten Projekts gegeben hat, sondern es geht schlicht und einfach um die Zukunft des Transrapid. Ich sage Ihnen, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion will den Transrapid, und ich persönlich, der Eisenbahningenieur Gibtner, will den Transrapid.
Der von uns eingebrachte Gesetzentwurf entspricht haargenau dem allgemeinen Planungsrecht für Verkehrswege, das in Deutschland gilt, welches mit dem Planungsvereinfachungsgesetz auf einen vernünftigen Rahmen gebracht worden ist. Dieser Rahmen ist genau 1 : 1 in das Allgemeine Eisenbahngesetz übernommen worden. Wir schlagen vor, daß dieser Rahmen auch für die Transrapid-Planung irgendwo in Deutschland gelten soll.NeinPDS/Linke ListeDr. Enkelmann, DagmarDr. Fischer, Ursula Dr. Fuchs, Ruth Dr. Höll, Barbara Dr. Keller, Dietmar Lederer, Andrea Dr. Modrow, Hans Philipp, Ingeborg Dr. Seifert, IljaBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Weiß , KonradEnthaltenSPDDr. Dobberthien, Marliese Klemmer, SiegrunPDS/Linke ListeDr. Heuer, Uwe-JensDr. Schumann , FritzBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENDr. Feige, Klaus-Dieter Köppe, IngridPoppe, GerdSchulz , Werner Wollenberger, VeraFraktionslos Schenk, Christina
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20302 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994
Horst GibtnerEs gibt nach unserer Ansicht keinerlei Begründung, von diesem Rahmen beim Transrapid abzuweichen, etwa wegen des anderen Antriebssystems dieses Verkehrsträgers, welches aber längst erprobt worden ist. Darin bestärkt uns auch die Aussage der Sachverständigen in der Anhörung vom 18. Mai.
— Natürlich. — Mir ist klar, die Opposition versucht, unter dem Vorwand, Transrapid sei etwas ganz Besonderes, etwas Mysteriöses und Dunkles,
mögliche Erfolge bei der Planungsvereinfachung und bei der Planungsbeschleunigung nun wieder rückgängig zu machen, auf dem Umweg über den Transrapid den Fuß wieder in die Tür hineinzubekommen, um Planungen in Deutschland wieder zu verkomplizieren. Da machen wir nicht mit.
Meine Damen und Herren, das öffentliche Interesse für das Transrapid-Projekt Berlin-Hamburg ist bereits mit der Verabschiedung des Bundesverkehrswegeplans 1992 im Plenum des Bundestages festgestellt worden. Nun versuchen natürlich die parlamentarische Opposition und auch manche politische Strömung in der Bevölkerung jede Gelegenheit zu nutzen, demokratische Mehrheitsentscheidungen immer wieder anzuzweifeln und möglicherweise rückgängig zu machen. Aber hier gibt es kein Nachgeben. Wenn Mehrheiten etwas beschlossen haben, bleibt es dabei. Davon lebt die Demokratie.
Herr Kollege Gibtner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Eckart Kuhlwein? — Bitte, Herr Kollege Kuhlwein.
Herr Kollege Gibtner, trifft es zu, daß Sie in der vergangenen Woche auf einer Podiumsdiskussion in Reinbeck, d. h. in der Region, die von der Trasse betroffen sein wird, zugegeben und selbst erklärt haben, daß es für diese Strecke Hamburg-Berlin mit dem Transrapid verkehrspolitisch keinen Bedarf gebe?
Das trifft nicht zu.
Ich habe gesagt — dazu komme ich noch —, daß die Priorität für dieses Projekt nicht verkehrspolitisch, sondern wirtschaftspolitisch begründet ist. Der Transrapid Berlin-Hamburg ist in erster Linie — dies habe ich gesagt — durch eine wirtschaftspolitische Notwendigkeit begründet.
Meine Damen und Herren, nun möchte ich Ihnen auch noch begründen — ich war gerade bei diesem Thema —, warum eine wirtschaftspolitische Notwendigkeit besteht, damit der Kollege Kuhlwein nicht so lange stehen muß. Transrapid ist deutsche Hochtechnologie in der Verkehrstechnik. Transrapid ist Bahntechnik der Zukunft, und der Transrapid muß in
Deutschland seine Bewährungsprobe bestehen. Es gibt keinen Bahntechnikexport ohne heimische Referenzen. Gegenteiliges können nur Leute behaupten, die solche Geschäfte niemals angebahnt und durchgeführt haben.
Meine Damen und Herren, es ist ein fauler Trick der Opposition, wenn Sie sagen, man könne den ersten Einsatz möglicherweise im Ausland durchführen. Dies wird nicht gehen. Es ist auch ein fauler Trick, wenn Sie sagen, wir testen ihn nicht auf der Strecke Hamburg-Berlin, sondern auf der Nahverkehrsstrecke Berlin-City zu einem Großflughafen Berlin/Brandenburg. Kein Mensch weiß, wo ein solcher Großflughafen einmal liegen wird und wann er realisiert werden wird. Dieser faule Trick bedeutet nichts anderes, als daß der Transrapid nie kommen darf. Wenn der Transrapid jetzt nicht kommt, hat er international keine Chance.
Aber es ist natürlich genauso dilettantisch, wenn man behauptet, er habe international überhaupt keine Absatzchance. Warum sind uns eigentlich die Japaner mit der Entwicklung eines Magnetbahnsystems mit einem Abstand von fünf Jahren auf den Fersen? Warum erprobt Korea eine Transrapid-Versuchsstrecke? Warum planen die USA Schwebebahnstrekken und hatten sie sogar vor, ein eigenes System zu entwickeln?
Ich muß Ihnen auch sagen, meine Damen und Herren, daß die Behauptung, daß das europäische und das transeuropäische Hochgeschwindigkeitsnetz auf Rad-Schiene-Technik festgelegt sei, schlicht und einfach erlogen ist. Es gibt bislang keinerlei Vereinbarungen über den Realisierungszeitraum und die Finanzierung eines solchen Netzes.
Es gibt eine von der EU eingesetzte Gruppe, die Christophersen-Gruppe, die unter anderem prüfen wird — das steht in ihren Papieren —, ob der Transrapid in ein solches europäisches und transeuropäisches Hochgeschwindigkeitsnetz integriert werden kann.
Meine Damen und Herren, wie könnte es anders sein? Sie können doch nicht meinen, daß Fachleute am Ausgang des 20. Jahrhunderts für Bauprojekte des 21. Jahrhunderts die Technik des 19. Jahrhunderts festschreiben werden.
Herr Kollege Gibtner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Catenhusen? — Bitte, Herr Kollege.
Herr Kollege Gibtner, ist Ihnen bekannt, daß sich die Regierung Clinton gerade Ende letzten Jahres oder Anfang dieses Jahres eindeutig darauf festgelegt hat, die Entwicklung von Hochgeschwindigkeitszügen in den Vereinigten Staaten industriepolitisch voranzutreiben? Ist Ihnen auch bekannt, daß alle in Amerika zur Zeit in konkreten Entscheidungsprozessen befindlichen Strecken für Züge vorgesehen sind und daß alle früheren Pläne, Magnetbahnsysteme in den USA, vor allen Dingen in Los Angeles und San Francisco, zu etablieren, aufgegeben worden sind?
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994 20303
Ja, Herr Kollege, das ist mir bekannt. Das hat zwei Ursachen.
Selbstverständlich kann man zum gegenwärtigen Zeitpunkt, da der Transrapid seine Bewährungsprobe im praktischen Betriebseinsatz noch nicht bestanden hat, sich auch nicht auf den Bau von Magnetschwebebahrmetzen festlegen. Dies ist richtig.
Ich als Eisenbahningenieur behaupte natürlich auch nicht, daß die Zukunft des Rad-Schiene-Systems bereits besiegelt sei. Wir werden selbstverständlich dort, wo es angezeigt ist, auch in Rad-SchieneTechnik weiterbauen, und wir werden auch diese Technik, soweit sie noch Entwicklungspotential beinhaltet, weiterentwickeln.
Meine Damen und Herren, es gab bei der Verabschiedung des Bundesverkehrswegeplanes 1992 einen parlamentarischen Vorbehalt, das war die Forderung nach einem tragfähigen Finanzierungskonzept mit überwiegend privatwirtschaftlichem Engagement. Ein solches Finanzierungskonzept liegt vor; die Bundesregierung unterrichtet darüber in der Drucksache 12/6964.
Die Fraktion der CDU/CSU teilt die Auffassung, daß dieses Konzept tragfähig ist; denn es beinhaltet das private Betreiberrisiko, es beinhaltet die privaten Investitionen mit Ausnahme des Fahrweges, und es beinhaltet die Verpflichtung zur Refinanzierung des öffentlich vorfinanzierten Fahrweges. Es beinhaltet weiter Steuereinnahmen schon während der Bau- und während der Betriebsphase. Wo, meine Damen und Herren, gibt es ein derartiges Finanzierungskonzept bei einer einzigen deutschen Eisenbahnstrecke oder einer Straße?
Nun bezweifeln Projektgegner den Prognosewert von 14,5 Millionen Fahrgästen pro Jahr — in Ordnung. Sachverständige, Intraplan und das Institut für Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsforschung halten — das haben sie auch in der öffentlichen Anhörung gesagt, und so steht es auch in der Unterrichtung durch die Bundesregierung — 11 Millionen Fahrgäste pro Jahr mit steigender Tendenz bzw. 12 Millionen Fahrgäste — darin unterscheiden sich die beiden -- im Jahr 2010 für realistisch, und das reicht für die jährliche Abschreibungsrate und das erfolgsabhängige Nutzungsentgelt.
Ein Mindestaufkommen von 9,7 Millionen Passagieren im Jahr ist von keinem seriösen Gutachter in Zweifel gezogen worden.
Richtig ist, meine Damen und Herren, daß das Projekt und natürlich auch die Zahl der Passagiere nur bei einer optimalen Verknüpfung mit dem Nah- und Fernverkehr und dem Individualverkehr überhaupt sinnvoll ist. Diese Verknüpfung ist aber eine lösbare Aufgabe. Der Verkehrssenator von Berlin, wo man die größten Schwierigkeiten vermutet, hat uns dies in der Sitzung des Verkehrsausschusses im Mai in Berlin gesagt. Es gibt dafür Möglichkeiten. Das ist eben eine Planungsaufgabe, und zwar eine wichtige, und die wird gelöst werden.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, Herr Kollege Gibtner? Sie haben ja nicht mehr viel Redezeit.
Bitte.
Kollege Gibtner, wir haben ja beide des öfteren Kontakt mit dem Verkehrssenator. Bestätigen Sie aus Berliner Sicht, daß sich der Berliner Senat ausdrücklich dafür ausgesprochen hat, daß dem nur zugestimmt wird, wenn die technische Lösung und die finanziellen Probleme vom Bund übernommen werden?
Das ist richtig, das würde ich auch so fordern, und so wird es auch kommen.
Meine Damen und Herren, verkehrspolitisch — ich sage das jetzt noch einmal klipp und klar — ist der Bau einer Transrapidverbindung zwischen Hamburg und Berlin kein zwingendes Erfordernis, da man ein attraktives Angebot theoretisch auch in Rad-SchieneTechnik realisieren könnte. Aber dieses gleichwertige Angebot ist von der Bahn AG nicht geplant, denn es erfordert ebenfalls Milliardeninvestitionen.Der verkehrspolitische Nutzen des Transrapids Berlin-Hamburg ergibt sich daraus, daß für den Hochgeschwindigkeitsverkehr zwei zusätzliche Spuren geschaffen werden, und diese machen Kapazität auf der Schiene für den Regional- und für den Güterverkehr frei, und zwar nicht nur in den Nachtstunden, sondern rund um die Uhr.Der umweltpolitische Vorteil des Transrapids besteht nicht in erster Linie darin, daß er bei einer bestimmten Geschwindigkeit weniger Energie verbraucht und weniger Schall emittiert als der ICE; denn bei ihrer jeweiligen Höchstgeschwindigkeit verbrauchen beide Verkehrsarten etwa die gleichen Ressourcen. Der Vorteil liegt in der höheren Geschwindigkeit. Transrapid ist bei den gleichen Emissionen fast doppelt so schnell wie ein ICE, und das führt dazu — das haben uns die Sachverständigen bestätigt —, daß der Transrapid zwischen Hamburg und Berlin in der Lage sein wird, ca. drei Millionen Fahrgäste pro Jahr mehr von der Straße auf die Spur zu holen, als ein ICE in der Lage wäre.Wenn das kein Umwelt- und verkehrspolitischer Vorteil ist, meine Damen und Herren, dann verstehe ich Ihre Welt nicht mehr.
Resümee: Eine Transrapidstrecke Berlin-Hamburg ist wirtschaftspolitisch unverzichtbar, umweltpolitisch vorteilhaft und verkehrspolitisch sinnvoll. Das Finanzierungskonzept ist tragfähig und entlastet den öffentlichen Haushalt wie bei keinem anderen Verkehrsprojekt zuvor. Das Magnetschwebebahnplanungsgesetz gewährleistet, daß die Strecke nach allen Regeln der Kunst geplant wird, mit Bürgerbeteiligung, Umweltverträglichkeitsprüfung und einem zügigen Planungsablauf.Meine Damen und Herren, wir wollen den Transrapid — jetzt!
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20304 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994
Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine Mahnung an alle, die hier diskutieren: Unterstellen wir uns doch nicht gegenseitig, mit faulen Tricks und ähnlichem zu arbeiten! Wenn wir in der Sache abweichender Meinung sind, geht es ja nun meist um Diskussionsprozesse über längere Zeit und die Suche nach dem besten Weg.
Nun, meine Damen und Herren, gebe ich das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Schlußabstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung, der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zur Aufhebung des Rabattgesetzes und der Verordnung zur Durchführung des Rabattgesetzes auf Drucksache 12/7715 bekannt. Abgegebene Stimmen: 603. Mit Ja haben gestimmt: 314. Mit Nein haben gestimmt: 262. Enthaltungen: 27. Der Gesetzentwurf ist angenommen.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 599; davon:ja: 312nein: 261enthalten: 26JaCDU/CSUDr. Ackermann, Else Adam, UlrichDr. Altherr, Walter Franz Augustin, Anneliese Bargfrede, Heinz-Günter Baumeister, Brigitte Belle, MeinradDr. Bergmann-Pohl, Sabine Bierling, Hans-DirkDr. Blank, Joseph-Theodor Dr. Blens, HeribertBleser, PeterDr. Blüm, NorbertBöhm , Wilfried Dr. Böhmer, MariaBörnsen , Wolfgang Dr. Bötsch, WolfgangBohl, FriedrichBreuer, PaulBrunnhuber, Georg Büttner , HartmutBuwitt, DankwardCarstens , Manfred Carstensen (Nordstrand),Peter HarryDempwolf, Gertrud Deres, KarlDeß, AlbertDiemers, Renate Dörflinger, Werner Doss, Hansjürgen Dr. Dregger, Alfred Echternach, Jürgen Ehlers, WolfgangEichhorn, Maria Engelmann, Wolfgang Eppelmann, RainerErler , Wolfgang Eylmann, HorstEymer, Anke Falk, IlseDr. Faltlhauser, KurtFeilcke, Jochen Dr. Fell, Karl H.Fischer , Dirk Francke (Hamburg), Klaus Frankenhauser, HerbertDr. Friedrich, GerhardFritz, Erich G.Ganz , Johannes Dr. Geiger (Darmstadt), Sissy Geis, NorbertDr. Geißler, HeinerDr. von Geldern, Wolfgang Gerster , Johannes Gibtner, HorstGlos, MichaelDr. Göhner, ReinhardGötz, PeterDr. Götzer, WolfgangGres, Joachim Gröbl, Wolfgang Grotz, Claus-PeterDr. Grünewald, Joachim Günther , Horst Harries, KlausHaschke ,GottfriedHaschke , Udo Hasselfeldt, Gerda Haungs, RainerHauser ,HansgeorgHeise, ManfredDr. Hellwig, RenateDr. h. c. Herkenrath, Adolf Hiebing, Maria AnnaHintze, Peter Hörsken, Heinz-Adolf Hörster, JoachimDr. Hornhues, Karl-Heinz Hüppe, HubertJaffke, Susanne Dr. Jahn ,Friedrich-Adolf Janovsky, Georg Jeltsch, KarinDr. Jobst, Dionys Dr.-Ing. Jork, Rainer Jung , Michael Junghanns, UlrichDr. Kahl, Harald Kalb, Bartholomäus Kampeter, SteffenDr.-Ing. Kansy, Dietmar Karwatzki, Irmgard Kauder, VolkerKeller, PeterKiechle, IgnazKittelmann, PeterKlein , Günter Klein (München), Hans Klinkert, UlrichKöhler ,Hans-UlrichDr. Köhler , VolkmarKolbe, ManfredKors, Eva-Maria Koschyk, Hartmut Kossendey, Thomas Kraus, RudolfKrause , Wolfgang Krey, Franz Heinrich Kronberg, Heinz-Jürgen Krziskewitz, Reiner Lamers, KarlDr. Lammert, Norbert Lattmann, Herbert Dr. Laufs, PaulLaumann, Karl-Josef Lehne, Klaus-Heiner Dr. Lehr, UrsulaLenzer, Christian Dr. Lieberoth, Immo Limbach, Editha Lintner, EduardDr. Lippold , Klaus W.Louven, JuliusLummer, Heinrich Dr. Luther, MichaelMaaß , Erich Männle, UrsulaMagin, TheoDr. Mahlo, Dietrich Marienfeld, Claire Marschewski, Erwin Dr. Mayer ,MartinMeckelburg, Wolfgang Meinl, RudolfDr. Merkel, Angela Michalk, MariaDr. Mildner, Klaus Dr. Möller, Franz Molnar, ThomasMüller , Elmar Müller (Wesseling), Alfons Nelle, Engelbert Neumann (Bremen), Bernd Niedenthal, ErhardNitsch, Johannes Nolte, ClaudiaOst, FriedhelmOswald, EduardOtto , Norbert Dr. Päselt, Gerhard Pesch, Hans-Wilhelm Pfeifer, AntonPfeiffer, Angelika Dr. Pfennig, GeroDr. Pflüger, Friedbert Pofalla, RonaldDr. Pohler, Hermann Dr. Protzner, Bernd Pützhofen, DieterRaidel, HansRau, RolfRauen, Peter Harald Rawe, WilhelmRegenspurger, Otto Dr. Reinartz, Bertold Repnik, Hans-Peter Dr. Rieder, NorbertDr. Riedl , Erich Riegert, KlausDr. Riesenhuber, Heinz Ringkamp, Werner Rönsch , HanneloreRomer, FranzDr. Rose, KlausRossmanith, Kurt J. Roth , Adolf Rother, HeinzDr. Ruck, Christian Rühe, VolkerDr. Rüttgers, Jürgen Sauer , Helmut Sauer (Stuttgart), Roland Schätzle, OrtrunDr. Schäuble, Wolfgang Scheu, GerhardSchmalz, UlrichSchmidbauer, Bernd Dr. Schmidt, ChristaSchmidt , Christian Dr.-Ing. Schmidt (Halsbrücke),JoachimSchmidt , Andreas Schmidt (Spiesen), Trudi Schmitz (Baesweiler),Hans Petervon Schmude, MichaelDr. Schockenhoff, Andreas Graf von Schönburg-Glauchau, Joachim Dr. Scholz, Rupert Frhr. von Schorlemer,ReinhardSchulhoff, Wolfgang
Schulz , Gerhard Schwalbe, ClemensDr. Schwörer, Hermann Seehofer, HorstSeesing, Heinrich Seibel, WilfriedSeiters, RudolfSikora, JürgenSkowron, Werner H. Sothmann, Bärbel Spilker, Karl-Heinz Dr. Sprung, Rudolf Steinbach-Hermann, ErikaDr. Stercken, Hans Dr. Frhr. von Stetten, WolfgangStockhausen, KarlDr. Stoltenberg, Gerhard Strube, Hans-Gerd Stübgen, Michael Susset, EgonTillmann, FerdiDr. Töpfer, KlausDr. Uelhoff, Klaus-Dieter Uldall, GunnarVerhülsdonk, Roswitha Vogt , Wolfgang Dr. Voigt (Northeim),Hans-PeterDr. Vondran, Ruprecht Dr. Waffenschmidt, HorstGraf von Waldburg-Zeil, Alois Dr. Warnke, JürgenDr. Warrikoff, Alexander Werner , Herbert
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994 20305
Vizepräsident Helmuth BeckerWiechatzek, Gabriele Dr. Wilms, Dorothee Wilz, BerndDr. Wisniewski, Roswitha Wissmann, MatthiasDr. Wittmann, Fritz Wittmann ,SimonWohlrabe, Jürgen Würzbach, Peter Kurt Yzer, CorneliaZeitlmann, WolfgangF.D.P.Albowitz, InaDr. Babel, Gisela Baum, Gerhart RudolfDr. Blunk , Michaela Bredehorn, Günther Cronenberg (Arnsberg),Dieter-JuliusEimer , Norbert Engelhard, Hans A. van Essen, Jörg Friedhoff, Paul K. Friedrich, Horst Funke, RainerDr. Funke-Schmitt-Rink,MargretGanschow, Jörg Genscher, Hans-Dietrich Gries, Ekkehard Grünbeck, Josef Grüner, MartinGünther , Joachim Hansen, DirkDr. Haussmann, Helmut Heinrich, UlrichDr. Hirsch, BurkhardDr. Hitschler, Walter Homburger, Birgit Dr. Hoth, SigridDr. Hoyer, Werner Irmer, UlrichDr. Jordan, JensKleinert , Detlef Dr. Kolb, Heinrich L.Dr.-Ing. Laermann, Karl-Hans Dr. Graf Lambsdorff, Otto Leutheusser-Schnarrenberger,SabineLüder, Wolfgang Lühr, UweDr. Menzel, Bruno Mischnick, Wolfgang Nolting, Günther Friedrich Dr. Ortleb, RainerOtto ,Hans-Joachim Paintner, Johann Parr, DetlefPeters, LisaRichter , ManfredRind, Hermann Dr. Röhl, KlausSchäfer , Helmut Schmalz-Jacobsen, Cornelia Dr. Schmieder, Jürgen Schüßler, GerhardSchuster, HansDr. Schwaetzer, Irmgard Sehn, MaritaSeiler-Albring, UrsulaDr. Solms, Hermann OttoDr. Starnick, JürgenDr. von Teichman, Cornelia Thiele, Carl-LudwigDr. Thomae, Dieter Timm, JürgenWalz, IngridDr. Weng , WolfgangWolfgramm , TorstenWürfel, UtaZurheide, BurkhardZywietz, WernerBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Weiß , KonradNeinCDU/CSUAugustinowitz, Jürgen Austermann, Dietrich Dr. Bauer, WolfBlank, RenateBohlsen, WilfriedEhrbar, UdoFuchtel, Hans-Joachim Grochtmann, Elisabeth Frhr. von Hammerstein,Carl-DetlevHinsken, ErnstHornung, SiegfriedDr. Jüttner, EgonLöwisch, SigrunLohmann , WolfgangDr. Pinger, Winfried Rode , Helmut Dr. Schwarz-Schilling,ChristianWetzel, Kersten Wonneberger, MichaelSPDAdler, BrigitteAndres, GerdBachmaier, HermannBarbe, AngelikaBecker , Helmuth Becker-Inglau, Ingrid Bernrath, Hans Gottfried Beucher, Friedhelm Julius Bindig, RudolfBlunck , Lieselott Bock, TheaDr. Böhme , Ulrich Börnsen (Ritterhude), Arne Brandt-Elsweier, AnniDr. Brecht, EberhardBüchler , HansBüchner , Peter Dr. von Bülow, Andreas Büttner (Ingolstadt), Hans Burchardt, UrsulaBury, Hans Martin Caspers-Merk, Marion Catenhusen, Wolf-Michael Conradi, PeterDr. Däubler-Gmelin, Herta Daubertshäuser, KlausDr. Diederich , Nils Diller, KarlDr. Dobberthien, Marliese Dreßler, RudolfDuve, FreimutEbert, EikeDr. Eckardt, PeterDr. Ehmke , Horst Eich, LudwigDr. Elmer, KonradErler, GernotEsters, Helmut Ewen, CarlFerner, ElkeFischer , EvelinFischer , Lothar Formanski, NorbertFuchs , Anke Fuhrmann, Arne Gansel, Norbert Dr. Gautier, Fritz Gilges, Konrad Gleicke, IrisDr. Glotz, Peter Graf, GünterGroßmann, Achim Haack ,Karl Hermann Habermann, Michael Hacker, Hans-Joachim Hämmerle, Gerlinde Hampel, Manfred Hanewinckel, Christel Hasenfratz, KlausDr. Hauchler, Ingomar Heistermann, Dieter Heyenn, GüntherHiller , Reinhold Hilsberg, StephanHorn, ErwinHuonker, Gunter Ibrügger, Lothar Iwersen, Gabriele Jäger, RenateJanz, IlseDr. Janzen, Ulrich Jaunich, HorstDr. Jens, UweJung , Volker Jungmann (Wittmoldt), Horst Kastner, SusanneKastning, Ernst Kemper, Hans-Peter Kirschner, Klaus Klappert, Marianne Klemmer, Siegrun Klose, Hans-Ulrich.Dr. Knaape, Hans-Hinrich Körper, Fritz Rudolf Kolbe, ReginaKolbow, Walter Koltzsch, RolfKretkowski, Volkmar Kubatschka, Horst Dr. Kübler, Klaus Kuessner, Hinrich Dr. Küster, Uwe Kuhlwein, Eckart Lambinus, Uwe Lange, Brigittevon Larcher, Detlev Leidinger, Robert Lennartz, KlausDr. Leonhard-Schmid, Elke Lörcher, ChristaLohmann , KlausDr. Lucyga, Christine Maaß , Dieter Marx, DorleMascher, Ulrike Matschie, Christoph Matthäus-Maier, Ingrid Mattischeck, Heide Meckel, MarkusMehl, UlrikeMeißner, HerbertDr. Mertens , Franz-JosefDr. Meyer , Jürgen Mosdorf, SiegmarMüller , MichaelMüller , Albrecht Müller (Schweinfurt), Rudolf Müller (Völklingen), Jutta Müller (Zittau), Christian Neumann (Bramsche), Volker Neumann (Gotha), Gerhard Dr. Niehuis, EdithDr. Niese, RolfNiggemeier, Horst Odendahl, DorisOesinghaus, Günter Oostergetelo, Jan Opel, ManfredOstertag, AdolfDr. Otto, HelgaPalis, KurtPaterna, PeterDr. Penner, Willfried Dr. Pfaff, MartinPfuhl, AlbertDr. Pick, EckhartPoß, Joachimvon Renesse, Margot Rennebach, Renate Reschke, OttoReuschenbach, Peter W. Reuter, BerndRixe, GünterSchaich-Walch, Gudrun Schanz, DieterDr. Scheer, Hermann Scheffler, Siegfried Schily, OttoSchloten, DieterSchluckebier, Günter Schmidbauer , HorstSchmidt , Ursula Schmidt (Nürnberg), Renate Schmidt (Salzgitter), Wilhelm Schmidt-Zadel, ReginaDr. Schmude, Jürgen Dr. Schnell, EmilDr. Schöfberger, Rudolf Schöler, WalterSchreiner, Ottmar Schröter, GiselaSchröter, Karl-Heinz Schütz, DietmarSchulte , Brigitte Dr. Schuster, R. Werner Schwanhold, Ernst Schwanitz, RolfSeidenthal, BodoSeuster, LisaSielaff, HorstSinger, JohannesDr. Skarpelis-Sperk, SigridDr. Soell, HartmutDr. Sonntag-Wolgast, Cornelie Sorge, WielandSteen, Antje-Marie Stiegler, LudwigDr. Struck, PeterTappe, JoachimTerborg, Margitta Dr. Thalheim, Gerald Thierse, Wolfgang Titze-Stecher, UtaToetemeyer, Hans-Günther Urbaniak, Hans-Eberhard Vergin, SiegfriedVerheugen, GünterDr. Vogel, Hans-Jochen Voigt , Karsten D. Vosen, JosefWagner, Hans Georg Wallow, HansWaltemathe, Ernst Walter , RalfWartenberg , Gerd Dr. Wegner, Konstanze
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20306 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994
Vizepräsident Helmuth BeckerWeiermann, Wolfgang Weiler, BarbaraWeis , Reinhard Weisheit, Matthias Weißgerber, Gunter Weisskirchen (Wiesloch), Gert Welt, JochenDr. Wernitz, Axel Wester, Hildegard Westrich, Lydia Wettig-Danielmeier, IngeDr. Wetzel, Margrit Weyel, GudrunWieczorek-Zeul, Heidemarie Wiefelspütz, DieterDr. de With, Hans Wittich, Berthold Wohlleben, Verena Wolf, HannaZapf, UtaDr. Zöpel, ChristophF.D.P.Kohn, RolandSchmidt , Arno Dr. Semper, SigridPDS/Linke ListeDr. Enkelmann, DagmarDr. Fischer, Ursula Dr. Fuchs, RuthDr. Heuer, Uwe-Jens Dr. Höll, BarbaraDr. Keller, Dietmar Lederer, Andrea Dr. Modrow, Hans Philipp, IngeborgDr. Schumann ,FritzDr. Seifert, IljaBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENDr. Feige, Klaus-Dieter Köppe, IngridPoppe, GerdWir kommen nun zu unserem nächsten Redebeitrag, und dazu erteile ich unserer Frau Kollegin Dr. Margrit Wetzel das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher auf der Tribüne! Eine gute Planung ist bereits die halbe Miete, und eine schlechte Planung kann das finanzielle Risiko ganz erheblich erhöhen. Was jeder Bauherr und jeder Unternehmer als Binsenweisheit verinnerlicht hat, sollte eigentlich auch für den Transrapid gelten. Für jedes neu auf den Markt zu bringende Produkt muß zunächst einmal sein Bedarf festgestellt und die realistische Nachfrage ermittelt werden. Bei Verkehrswegen verhalten wir uns überhaupt nicht anders. Bei Straßen und Schienenwegen prüfen wir den Bedarf für die jeweiligen Verkehrsstrecken und stellen den über ein entsprechendes Ausbaugesetz als förmlichen Rechtsakt fest.
Damit schaffen wir Verbindlichkeiten, mit denen der Bund seine Investitionsbereitschaft festlegt und an denen sich Länder und Gemeinden, Investoren, Bauunternehmen und betroffene Anwohner orientieren können und müssen.
Herr Gibtner, wenn ich Sie aus der gestrigen Ausschußsitzung zitieren darf: Es reicht nicht, wenn Sie sagen, der politische Bedarf für den Transrapid ist festgestellt. Wir brauchen den Nachweis eines verkehrspolitischen Bedarfs.
Die SPD-Fraktion erwartet deshalb, daß auch für den
Transrapid als einen neuen Verkehrsträger — und als
diesen wollen wir ihn doch ernst nehmen — und als
neue Strecke, die in Konkurrenz zur Straße, zur Bahn
und zur Luft steht, der Bedarf in einem entsprechen-
den Gesetz förmlich festgestellt wird. Das ist kein
fauler Trick, das ist eine dringende Notwendigkeit.
Allerdings wird das sicher nicht einfach sein; denn wer bei einem derzeitigen Fahrgastaufkommen von 1,4 Millionen auf der Strecke zwischen Hamburg und Berlin für das Jahr 2010 14,5 Millionen, also eine Verzehnfachung, prognostiziert, der tut möglicherweise gut daran, sich einer Überprüfung dieser Zahlen zu entziehen. Stillhalteabkommen und Angebotsverschlechterungen der Deutschen Bahn auf zwei Stunden Interregio-Takt stehen außerdem eindeutig in Widerspruch zu der von uns gemeinsam beschlossenen Bahnreform, und sie werden garantiert durch ausländische Anbieter konterkariert; denn ich denke, die Dänen und Schweden werden die Marktlücke Hamburg-Berlin im Hochgeschwindigkeitsnetz der europäischen Bahnen für uns geschlossen haben, wenn wir uns bedauerlicherweise noch mit Einwendungen gegen die Transrapid-Planung auseinandersetzen müssen.
Europa wird die diskriminierungsfreie Zulassung Dritter auf Schienenwegen eindeutig einfordern. Das ist sicher.
Die Bahn kann mit 1 Milliarde DM Investitionsvolumen ihre Beförderungskapazitäten auf bis zu 7 Millionen Fahrgäste ausweiten, ohne daß es zu Kapazitätsengpässen bei der Güterbeförderung kommen würde.
Frau Kollegin Wetzel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gibtner?
Die Zwischenfrage gestatte ich gern, wenn der Herr Faltlhauser mir dann die Möglichkeit gibt, ungestört zu reden. Es ist sehr anstrengend, gegen Ihr ununterbrochenes Reden anzureden. Ich finde das nicht sehr kollegial.
Bitte, Herr Kollege Gibtner.
Liebe Frau Kollegin Dr. Wetzel, mich wundert, woher Sie den Fahrplan derSchulz , Werner Dr. Ullmann, Wolfgang Wollenberger, VeraFraktionslosDr. Briefs, UlrichDr. Krause , Rudolf KarlLowack, Ortwin Schenk, Christina Stachowa, AngelaEnthaltenCDU/CSUBrudlewsky, Monika Bühler , Klaus Clemens, Joachim Dehnel, WolfgangDr. Herr, Norbert Dr. Hoffacker, Paul Hollerith, Josef Jäger, ClausKriedner, ArnulfLink , WalterDr. Lischewski, ManfredDr. Meyer zu Bentrup, ReinhardMichels, Meinolf Dr. Paziorek, Peter Petzold, UlrichPriebus, Rosemarie Dr. Ramsauer, Peter Reddemann, Gerhard Reinhardt, Erika Schwarz, StefanDr. Süssmuth, Rita Zöller, WolfgangF.D.P.Dr. Guttmacher, Karlheinz Koppelin, JürgenDr. Pohl, EvaDr. Schnittler, Christoph
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994 20307
Horst GibtnerBahn für das Jahr 2010 schon kennen. Woher nehmen Sie eigentlich die Aussage, die auch in der Begründung zu einem Entschließungsantrag formuliert ist, daß dann auf der Bahnstrecke nur Interregio-Züge verkehren werden?
Herr Gibtner, wenn Sie die Anhörungsunterlagen, die schriftlichen Ausführungen der Sachverständigen, die wir bekommen haben, aufmerksam gelesen hätten — ich gebe zu, es war sehr umfangreich —, hätten Sie diese Zahlen gefunden. Als Bestätigung kann ich Ihnen nur sagen: In der mündlichen Anhörung — ich gehe davon aus, daß Sie überwiegend dabei waren und aufmerksam zugehört haben — hat Herr Heinisch diese Zahlen selbst genannt. Das kann man mit Sicherheit im stenographischen Protokoll nachlesen. Ich habe es jetzt nicht parat, habe aber gut zugehört.
Gestatten Sie noch eine weitere Zusatzfrage, Frau Kollegin Wetzel? — Bitte, Herr Kollege Gibtner.
Stammt die Aussage über das Verkehrsangebot der Bahn im Jahre 2010, die Sie zitiert haben — reiner Interregio-Verkehr, Intercity-Verkehr nicht —, vom Vertreter der Bahn oder von anderen Sachverständigen, die das gar nicht wissen können?
In den Unterlagen steht, daß die Bahn damit einverstanden sein muß, ihr Angebot einzuschränken, um überhaupt Fahrgastpotential beim Transrapid zu schaffen. Deshalb soll die Bahn auch in die Betreibergesellschaft mit hinein. Sie soll — das wissen Sie ganz genau, Herr Gibtner — ihr Angebot einschränken, damit die Deutsche Bahn auf der Strecke Hamburg-Berlin weniger attraktiv ist; auf diese Weise sollen die Fahrgäste in den Transrapid gezwungen werden. Das ist eine Rechnung, die nicht aufgehen wird.
Wenn die Bahn selber sagt, daß sie, wenn sie ihre eigenen Interessen vertreten würde, das Angebot ohne Transrapid ausbauen könnte, und wenn man mit einem europäischen Hochgeschwindigkeitsverkehr dort fahren würde, wären die Fahrgastzahlen, die wir für die Zukunft zu erwarten haben, mit der Bahn optimal zu bewältigen. Daran besteht, denke ich, überhaupt kein Zweifel.
Frau Kollegin Wetzel, es besteht noch einmal der Wunsch nach einer Zwischenfrage. — Bitte.
Frau Kollegin Dr. Wetzel, stimmen Sie mir zu, daß schon in der Diskussion im Ausschuß um den Bundesverkehrswegeplan von der Bundesregierung bestätigt wurde, daß die Option für die Strecke ICE Hamburg-Berlin direkt auf 160 km/h gedeckelt wird, um keine Konkurrenzstrecke zum Transrapid zu schaffen?
Ja, das kann ich nur bestätigen. Das ist in sämtlichen Ausschußberatungen so gewesen und hat die Diskussion dort bestimmt.Ich komme zurück zum Text: Für uns ist wichtig, daß für alle betroffenen Bundesländer garantiert ein Raumordnungsverfahren mit Alternativen- und Variantenprüfungen und angemessen befristeten Möglichkeiten der Beteiligung der Träger öffentlicher Belange und der betroffenen Öffentlichkeit durchgeführt wird. Bei der Anhörung ist dies übrigens, Herr Gibtner, von sämtlichen Sachverständigen als strikte Voraussetzung angegeben worden.Wir wissen, daß auch die Bauverfahren auf der Strecke nicht feststehen. Wir wissen nicht, wo aufgeständert, wo ebenerdig oder vertunnelt gebaut wird. Vor allem wissen wir nicht, wie die Kostenfragen für die Kreuzungsbauwerke gelöst werden. Warum, frage ich Sie, sollen denn die Länder und Gemeinden möglicherweise die Kreuzungs- oder Folgekosten für einen Verkehrsweg, von dem sie rein gar nichts haben, auch keinen wirtschaftspolitischen Vorteil, zahlen? Warum vor allem sagt man ihnen das nicht, und zwar jetzt und heute? Damit machen Sie schon die vollständige Antragstellung für die Planung der Magnetschwebebahn unmöglich. Das geht schlicht nicht, weil kein Antragsteller seriös seine Unterlagen erarbeiten kann, wenn er nicht weiß, wie die Kosten getragen werden. Wir brauchen deshalb ein Magnetschwebebahnkreuzungsgesetz. Ich frage mich, ob wir als Opposition tatsächlich die Hausaufgaben der Regierung machen müssen — eigentlich nicht.
Akzeptanzprobleme bei städtebaulichen Auswirkungen, bei dem zu erwartenden Lärm, Vibrationen oder auch neuartigen Sicherungsverfahren wegen der Sogwirkungen wären z. B. in einem Raumordnungsverfahren frühzeitig zu erkennen und zu lösen. Wir wissen, daß fehlende Öffentlichkeitsbeteiligung erfahrungsgemäß hinterher zu gerichtlichen Einsprüchen führt. Daraus folgen Verzögerungen und auch erhebliche Finanzierungsrisiken, damit letztlich auch ein Sinken der Exportchancen.Ich frage Sie, ob Sie, nur weil Sie jetzt ein Planungsgesetz mit der heißen Nadel stricken und nicht versuchen, die Bevölkerung und die Betroffenen zu beteiligen, unbedingt ein so schlechtes Bild von Deutschland im Ausland und in der Öffentlichkeit zeichnen wollen. Das erhöht die Akzeptanz für den Transrapid ganz bestimmt nicht.Ein neuer Verkehrsträger hat nun einmal neue raumbedeutsame Auswirkungen. Von daher wäre es unverantwortlich, an dieser Stelle nur mit Plangenehmigungen zu arbeiten.Ich sage Ihnen: Kein privater Investor wird ein finanzielles Risiko eingehen, bevor nicht die Fragen der Verknüpfung mit anderen Verkehrsträgern auch planerisch gerichtsfest gelöst werden. Nur dann sind sie auch wirtschaftlich kalkulierbar. Das gilt übrigens nicht nur für die privaten Investoren, sondern selbstverständlich auch für uns; denn der Bund ist gerade angesichts der knappen Finanzlage gehalten, mit den
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20308 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994
Dr. Margrit WetzelSteuermitteln sparsam und nach strengen Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit umzugehen.
Das größte Problem — Herr Gibtner hat es schon als ein planerisch zu lösendes Problem angesprochen, nur keiner weiß, wie es gelöst werden soll — sind die Einfädelungen in die sensiblen, dicht und in unterschiedlichsten Ebenen bebauten Innenstadtbereiche der Städte Hamburg und Berlin. Diese Einfädelungen und ihre Kosten und auch ihre Kostenträger müssen schlicht geklärt sein, bevor man überhaupt eine realistische Kosten-Nutzen-Analyse und damit auch eine finanzielle Risikoabschätzung vornehmen kann. Die Bundesregierung will sich aber all diesen Sorgfaltspflichten — mehr ist es im Prinzip nicht, was wir einfordern — eindeutig entziehen, denn sie verzichtet sogar ausdrücklich auf eine Linienbestimmung. Ich möchte Ihnen gerne sagen: Die Linienbestimmung ist das einzige im übrigen verwaltungsinterne Verfahren des Bundes, bei dem noch nicht einmal irgendwelche Einsprüche störend oder verzögernd wirken könnten, in dem die Raumbedeutsamkeit, die Planungsreife, die Umweltverträglichkeit und auch die Wirtschaftlichkeit einer festzustellenden Linie geprüft wird. Ich weiß nicht, warum die Regierung auf diese ihre Sorgfaltspflicht freiwillig verzichtet und uns die Fraktionen die Anträge ablehnen.
Frau Dr. Wetzel, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?
Ja, bitte.
Bitte sehr, Herr Kollege.
Frau Kollegin, ich muß Ihnen eine Frage stellen, damit ich über das Thema aufgeklärt werde. Ich habe hier eine Anzeige vorliegen, die im „Spiegel" erschienen ist. Darin sind ein Transrapid abgebildet und der Kollege Rudi Walther, Vorsitzender des Haushaltsausschusses, und das hat dann die Überschrift: „Einstieg in die Zukunft. Das Beste, das wir zum Thema Bahn entwickelt haben, ist die Magnetschnellbahn," — dann folgt der Firmenname — der „Transrapid". Dann wird von Umweltfreundlichkeit usw. gesprochen. Könnten Sie das zu meiner Aufklärung noch einmal kommentieren? Ich bin auch gerne bereit, Ihnen diese Anzeige zu geben.
Das mache ich gerne, Herr Koppelin. Auf jeden Fall finde ich es toll, daß Sie drei Jahre alte Anzeigen noch parat haben. Das spricht für Sie und Ihre Aktenkenntnis.
Aber ich will Ihnen das gerne erklären. Ich denke, ich spreche da für meine Fraktion. Wir sind fasziniert von der Technologie Transrapid. Das ist überhaupt keine Frage.
— Paßt Ihnen das, was ich antworte, nicht? — Die Technologie ist in Ordnung. Dazu stehen wir, und wir wollen das auch unterstützen. Das Problem ist:
Wenn Sie diese Technologie sich bewähren lassen wollen, dann bitte auf einer Strecke, die garantiert auch angenommen wird, für die Sie eindeutige Rechtsgrundlagen und die Akzeptanz bei der Bevölkerung schaffen können. Wir halten das doch überhaupt nicht für unmöglich. Wir wollen nur, daß Sie eine vernünftige Rechtsgrundlage schaffen und daß Sie eine vernünftige Strecke finden. Wir sagen doch nichts gegen die Technologie!
Wenn politische Bedarfsentscheidungen ohne Raumordnungsverfahren, ohne Linienbestimmung, ohne vergleichende Wirtschaftlichkeitsberechnung und schlimmstenfalls noch in Gestalt von Plangenehmigungen fallen, dann können sie nicht verläßlich sein. Damit wird der Transrapid zur Luftnummer. Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU und der F.D.P., mindern die Planungs- und Kalkulationssicherheit, damit die Investitionsbereitschaft der Wirtschaft und letztlich das ganze Projekt. Mir drängt sich deshalb tatsächlich der Gedanke auf, ob Sie in Wahrheit den Transrapid gar nicht wollen.
Der Bedarf wird nicht festgestellt. — Herr Fischer, vielleicht hören Sie einfach einmal zu. — Warum stellen Sie den Bedarf nicht fest, warum gibt es keine Planungssicherheit, und warum verweigert der Bund die Wahrnehmung seiner hoheitlichen Aufgaben, nämlich der Sorgfaltspflicht?
Ist das eine Basis, auf der Sie ohne eine einschlägige Rechtsgrundlage die Wirtschaft motivieren wollen zu investieren? Ich nehme Ihnen das einfach nicht ab! Glauben Sie uns doch einmal, daß wir ernsthafte Versuche gemacht haben, Ihr lückenhaftes Gesetz zu korrigieren!
— Ich kämpfe nicht für Transrapid. Ich kämpfe dafür, daß wir hier anständige und vernünftige, sorgfältig durchgearbeitete Gesetze schaffen. Nur das ist eines deutschen Parlamentes würdig, nichts anderes.
Wir haben Sie auf die Mängel und Fehler, auf die fehlende Kostenanalyse, auf die fehlende Rechtsgrundlage aufmerksam gemacht. Sie können mit
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994 20309
Dr. Margrit Wetzeleinem neuen Verkehrsträger nicht so umgehen, wie Sie das hier leichtfertig machen. Eine solide Planung würde aufzeigen, daß das Verkehrsaufkommen auf der Strecke Hamburg-Berlin mit den vorhandenen Verkehrsträgern, speziell der Deutschen Bahn, gut zu bewältigen ist, und zwar mit relativ geringen Investitionen. Konfliktpotentiale bei der Verknüpfung mit anderen Verkehren, beim Nahverkehr und bei der Einfädelung in die Zentren von Hamburg und Berlin und auch gegebenenfalls bei der einmal anstehenden Fortführung von Strecken werden weder wirtschaftlich noch verkehrlich angemessen zu beseitigen sein. Deshalb ist nicht die Technik, aber — das betone ich noch einmal — die Strecke falsch.Sie werden in den neuen Ländern auch nicht die versprochenen Arbeitsplätze schaffen, denn — das wissen wir — wir müssen europaweit ausschreiben. Es werden Folgelasten und Folgekosten in den ohnehin schon finanzschwachen Kommunen entstehen, auf denen die Länder und Gemeinden sitzenbleiben werden.Unserer eigentlichen gemeinsamen politischen Absicht, nämlich einem erfolgversprechenden Hochtechnologieprojekt Transrapid durch Serienreife und eine ausreichende Zahl von Betriebsjahren und Betriebskilometern zum exportpolitischen Durchbruch zu verhelfen, selbst wenn der erst im Jahre 2010 realisierbar ist — wir wissen auch, daß das realistisch ist —, wäre mit einem soliden Planungsgesetz, mit einer vernünftigen Bedarfsfeststellung und vor allem mit der Planung einer besseren Strecke erheblich besser gedient.Deshalb halte ich das vorliegende Planungsgesetz wirklich für eine reine Wahlstrategie und Wahltaktik. Dieses Planungsgesetz, denke ich, steht seiner eigenen Realisierung am meisten entgegen. Wir haben Änderungsanträge vorgelegt, um diese Lücken im Gesetz zu schließen, um da zu korrigieren. Wir wissen aus den Beratungen im Verkehrsausschuß, daß Sie diese Anträge bedauerlicherweise ablehnen werden. Aus diesem Grund müssen wir Ihren Entwurf eines Planungsgesetzes ablehnen.
— Einen sinnvollen, weil Sie das Ergebnis des Vermittlungsausschusses vergessen hatten; natürlich, Herr Fischer. Den einzigen Antrag von uns, dem Sie zugestimmt haben, weil wir die Hausaufgaben für Sie gemacht haben, wollte ich nicht noch extra erwähnen.
Wir lehnen jedenfalls die vorgelegte Fassung des Gesetzentwurfs ab.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsident Helmuth Becker Meine Damen und Herren, nächster Redner ist jetzt unser Kollege Horst Friedrich.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Faxgerät wurde in Deutschland erfunden und in Japan gebaut. Die Neigezugtechnik ist eine deutsche Erfindung. Sie wird in Italien und in Schweden gebaut und von uns für teures Geld als Pendolino oder als X 2000 wieder zurückgekauft. Heute und hier stehen wir wieder vor einem entscheidenden Punkt, nämlich der Entscheidung über eine zukunftsweisende Technik, die Magnetschwebebahntechnik.Die Technik ist in Deutschland erfunden worden. Sie ist hier entwickelt worden. Ihr ist nach einem langen Hürdenlauf, nach einem Lauf über viele tatsächliche, hauptsächlich aber über viele künstlich errichtete Hürden, zum Jahresende 1991 vom Bundesbahnzentralamt die technische Einsatzreife bestätigt worden.„Der Stand der Magnetbahntechnik ist nunmehr nach der Systementwicklung und -erprobung so weit fortgeschritten, daß in absehbarer Zeit ihre Anwendung in der Praxis, d. h. zunächst auf einer Schnellbahnstrecke des Fernverkehrs, nichts mehr im Wege stehen sollte", sagt Klaus Daubertshäuser in seinem Buch „Kurs 2000 — Eine Verkehrspolitik der Vernunft" zu diesem Thema. — Recht hat er.
Weil auch die Regierungskoalition unabhängig vom Buchautor Daubertshäuser dieser Meinung war und ist, wurde eine Umsetzung und Realisierung in der Koalitionsvereinbarung für diese Wahlperiode festgeschrieben, bei den Beratungen und Beschlüssen zum Bundesverkehrswegeplan unter wesentlicher Beteiligung der Liberalen weiter konkretisiert und auf der Grundlage dieser Beschlüsse die Privatwirtschaft aufgefordert, ein Finanzierungskonzept vorzulegen, das den Betrieb ohne staatliche Beteiligung und Garantien vorsieht und bei dem die Infrastruktur — so wie bei der Bahn — in der Hand des Staates liegt und zu seinen Lasten geht.Die Industrie, meine Damen und Herren, ist dieser Aufforderung nachgekommen. Die Bundesregierung hat am 4. März dieses Jahres das Parlament über die Finanzierung unterrichtet. Die Regierungskoalition hat das sogenannte Magnetschwebebahnplanungsgesetz vorgelegt — die Voraussetzung, um überhaupt den Verkehrsträger Transrapid in unsere Gesetze einzuführen, die Grundlage, um all das zu machen, was Sie, liebe Frau Kollegin Wetzel, verlangen.Was die Technik, die Vorteile, aber auch die Bewertung des Finanzierungskonzepts angeht, sind sowohl in der ersten Lesung in diesem Hause als auch in der Expertenanhörung, die am 18. Mai stattgefunden hat, eigentlich alle gegenteiligen Argumente ausgetauscht worden.
Aus F.D.P.-Sicht in Kurzform das Fazit: Der Transrapid ist verkehrs-, aber auch umweltpolitisch sinnvoll.
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20310 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994
Horst FriedrichDas Finanzierungskonzept ist grundsätzlich stimmig und ein erster Schritt, um in Deutschland überhaupt Verkehrsinfrastruktur auch privat zu finanzieren.
So weit, so gut, liebe Kollegen.
Über die aus unserer Sicht bestehenden verkehrlichen Vorzüge hinaus — das stelle ich an die erste Stelle — gilt — da zitiere ich wieder den Kollegen Klaus Daubertshäuser —:
Diese Technik vermeidet das reibungsabhängige Trag-, Führ- und Antriebssystem der RadSchiene-Technik. Das bedeutet weniger Verschleiß und damit erheblich geringere Betriebskosten bei etwa gleichen Kosten für Streckeninvestitionen und bei wesentlich höheren Geschwindigkeiten.
Diese Debatte war von Anfang an auch eine Debatte über die Zukunft des Forschungs- und Technologiestandorts Deutschland, vor allem um die Fähigkeit, in Deutschland entwickelte High-Technologie kurzfristig und nicht erst am Sankt-Nimmerleins-Tag betriebsfähig zu machen und damit Wettbewerbsvorteile gegenüber einer größer gewordenen Welt aus technischer Sicht zu erreichen.
Die Magnetschwebebahntechnik ist, anders als die des ICE, nur in Deutschland so weit entwickelt, daß sie auch kurzfristig in Betrieb gehen kann. Deshalb hat der Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages am 13. April 1994 bei einer Stimmenthaltung aus der SPD einstimmig dem Magnetschwebebahnplanungsgesetz zugestimmt, also mit der überwiegenden Mehrheit der SPD-Mitglieder.
Aber die Verkehrspolitikerinnen und Verkehrspolitiker der SPD lehnen das Gesetz ab.Der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages hat am 19. Mai einstimmig beschlossen, gegen den Gesetzentwurf zum Magnetschwebebahnplanungsgesetz keine Bedenken verfassungsrechtlicher und rechtsförmlicher Art zu erheben, also wieder mit den Stimmen der SPD.
Die Verkehrspolitiker der SPD lehnen das Gesetz ab.
Der Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages hat am 25. Mai einvernehmlich vorgeschlagen, dem Deutschen Bundestag die Annahme der Unterrichtung der Bundesregierung über das Finanzierungskonzept zu empfehlen, wieder mit den Stimmen der SPD.
Der Kollege Müller hat das gestern als unseriös bezeichnet. Der Transrapid ist — entgegen allen Behauptungen in der Presse — kein donnernder Pfeil, sondern ein leises Verkehrsmittel,
extrem umweltfreundlich, preiswert und verschleißfrei. Es ist vermutlich das Transportmittel des nächsten Jahrhunderts, sagte die Vertreterversammlung der IG Metall Kassel im April 1994. Die Verkehrspolitiker der SPD lehnen dieses Verkehrsmittel ab.
Durch die Produktion des Transrapid könnte eine Reihe von Arbeitsplätzen aus der Wehrtechnik in die Magnetbahnfertigung wechseln. Dies wäre nicht nur ein Lippenbekenntnis, sondern aktive Rüstungskonversion, sagt Heiko Horn von der Vertrauenskörperleitung von Thyssen Henschel in der IG-MetallZeitschrift im Mai 1994. Die Verkehrspolitiker der SPD sind dagegen.
Der Vorsitzende der SPD, meine lieben Kollegen, Rudolf Scharping, schreibt in einem Brief an den Betriebsratsvorsitzenden der Thyssen Henschel GmbH, Gerhard Vetter — ich zitiere —:Der Transrapid ist für mich unter technologischen Aspekten eine sehr interessante und anspruchsvolle Entwicklung,
ein Vorhaben also, das insoweit durchaus einer zukunftsorientierten Technologiepolitik entspricht, wie sie von der SPD auf Bundesebene früher praktiziert wurde und heute gefordert wird.
— Hören Sie zu! —Und Du hast mit Deiner Feststellung recht, daß man einem derartigen technologischen Sprung nicht mit den Maßstäben oder gar Ideologien von vorgestern gerecht werden kann.
Soweit der Vorsitzende der SPD, Rudolf Scharping. Sein Pech ist nur, daß die Verkehrspolitiker der SPD unsere Vorlagen ablehnen. Aber, liebe Freunde, Herr Scharping, keine Angst: Wir greifen Ihre Anregungen auf. Die F.D.P. stimmt dem Magnetschwebebahnplanungsgesetz zu und nimmt die Unterrichtung der Bundesregierung zum Finanzierungskonzept zustimmend zur Kenntnis.Danke schön für die Aufmerksamkeit.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994 20311
Ich erteile jetzt unserer Frau Kollegin Dr. Dagmar Enkelmann das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Transrapid erscheint immer mehr als ein Riesenspielzeug für Männer, die das Kind in sich nicht leugnen können. So, wie Kinder nur ungern von ihrem Lieblingsspielzeug lassen, hält auch die Koalition krampfhaft am Transrapid fest. Die Ohren schalten auf Durchgang, wenn Sachverständige — wie in der von der PDS initiierten Anhörung am 18. Mai — ihre fundierte Kritik vortragen. Frei nach Christian Morgenstern, weil nicht sein kann, was nicht sein darf, wird selbst das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats des Verkehrsministeriums mit Handstreich vom Tisch gewischt. Die Gutachter jedenfalls kamen mit Ausnahme der Herren von der Industrie — wen verwundert es? — zu einem vernichtenden Urteil.
Erstens. Die Grundlagen für eine solide Kosten-Nutzen-Analyse fehlen. Die von der Industrie prognostizierten Fahrgastzahlen, 14,5 Millionen pro Jahr, wurden stark angezweifelt. Die Deutsche Bahn AG geht von etwa der Hälfte aus. Dann allerdings stimmt die ganze Wirtschaftlichkeitsrechnung hinten und vorne nicht mehr.
Woher also die Reisenden nehmen? Ganz einfach — so die Antwort aus der Koalition —: Darm können die Leute aus Hamburg mal eben schnell am Abend nach Berlin in die Oper fahren. Das offenbart Wertvorstellungen!
So steht das gesamte Finanzierungskonzept auf tönernen Füßen.
— Es gibt in Berlin und auch in Hamburg sehr schöne Kultureinrichtungen.
Die Einführung in die Städte, Verknüpfungsbahnhöfe, Kompensation von Standortnachteilen an den Haltepunkten und die Anbindung an den ÖPNV sind offen und damit auch deren Finanzierung. Das Risiko — so die Sachverständige Frau Maike Spitzner —, etwa zusätzliche Kosten aus den Genehmigungsverfahren einschließlich der Zurverfügungstellung von Grund und Boden oder infolge negativer Planungsabweichung bei der Streckenauslastung, sowie technische Probleme bei Bau und Betrieb trägt die öffentliche Hand und somit der Steuerzahler. Wer so mit öffentlichen Geldern umgeht, macht sich wegen Diebstahls am Volksvermögen schuldig.
Zweitens. Das Projekt ist aus verkehrspolitischer Sicht nicht tragbar. Das gilt auch für die von der SPD favorisierte Variante Transrapid light. Milliarden werden für dieses Projekt verpulvert. Für die Weiterentwicklung der Bahn, für moderne Schienentechnik, Telematik in der Schienentechnik usw. bleibt nichts übrig.
Frau Dr. Enkelmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Seifert?
Ja.
Bitte, Kollege Seifert.
Frau Kollegin Enkelmann, da Sie gerade von Diebstahl von Volksvermögen sprechen: Können Sie mich vielleicht einmal aufklären, ob es eine Prüfung anderer Varianten gibt, die bei Reisezeit und Investitionskosten — sagen wir einmal — vernünftigere Vorschläge beinhalten, wo also das Volksvermögen sinnvoller eingesetzt wird?
Hier hätte man sehr wohl Diebstahl vornehmen können,
indem man nämlich die Gutachten der Sachverständigen gründlicher gelesen hätte. Es sind sehr wohl auch in den Gutachten eine ganze Reihe von Varianten vorgestellt worden,
die von ihren Investitionen her wesentlich günstiger sind, als auch keine wesentlich längere Reisezeit prognostizieren.Ich will einfach ein paar Varianten nennen: Während man beim Transrapid davon ausgeht, daß er am Ende etwa 10 Milliarden DM gekostet haben wird und eine Fahrzeit ohne Halt, und zwar nur bis zum Westkreuz, von etwa 55 Minuten braucht — wenn man die Fahrt vom Westkreuz noch bis in das Stadtzentrum, also z. B. Lehrter Bahnhof, hinzurechnet, kommen noch 24 Minuten dazu —, so heißt das: Man braucht mit dem Transrapid etwa eine Stunde und 19 Minuten.Jetzt gibt es u. a. die Variante, die Strecke Hamburg—Berlin über Uelzen und Stendal auszubauen. Das ist ein Antrag, den die PDS hier vorgelegt hat. Ich bitte, den auch noch einmal zu prüfen. Die Kosten für diese Variante wären etwa 800 Millionen DM. Es gäbe eine Reisezeit von einer Stunde und 25 Minuten, d. h. etwa sechs Minuten mehr, als der Transrapid braucht.Es gibt auch die Variante eines Neu- und Ausbaus über Wittenberge. Die Kosten würden etwa 2,4 Milliarden DM betragen. Die Reisezeit läge bei einer Stunde und 22 Minuten.Es gibt auch die Variante des Ausbaus über Wittenberge mit Hilfe von Neigetechnik: Kosten von etwa 1,1 Milliarden DM und einer Fahrzeit von einer Stunde und 35 Minuten. Selbst die Bahn AG hat bei der Anhörung gesagt, daß sie 1998 in der Lage sein
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20312 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994
Dr. Dagmar Enkelmannwerde, in anderthalb Stunden mit Hilfe von Neigetechnik von Berlin nach Hamburg zu fahren.Herr Präsident, ich bitte aber, das jetzt nicht auf meine Zeit anzurechnen.
Nein.
Das sind die Varianten. Ich denke, genau die sollten gründlich geprüft werden.
— Nein, das wird ja nicht angerechnet.
Im Gegensatz zum TGV in Frankreich fehlen für die Magnetbahn in der Bundesrepublik die Voraussetzungen für eine Einbindung in das gesamte Verkehrssystem. Völlig verkannt — das haben wir von Herrn Friedrich heute auch wieder gehört — wird die europäische Entwicklung.
Während der Berliner Verkehrssenator Haase den Transrapid als Beginn einer europaweiten Ablösung der Rad-Schiene-Technik feiert, sind die Weichen in Europa längst für ein Hochgeschwindigkeitsnetz auf dieser Basis gestellt.
Den Zug der Zeit hat wohl auch die Deutsche Bahn AG erkannt und bestellte Anfang Juni gleich 13 neue sogenannte Mehrsystem-ICE-Züge, die auch im Ausland fahren können.
Verkehrsminister Wissmann lobt das als einen „wichtigen Schritt in die richtige Richtung". Warum aber um Gottes willen dann noch den Transrapid zwischen Berlin und Hamburg?
Die Antwort blieb die Industrie auf der Anhörung nicht schuldig. Es gehe, so der Vertreter von Thyssen, allein um Betriebserfahrung, um das System international anbieten zu können. Also, Sinn und Zweck sind wieder einmal die Gewinne der großen Unternehmen.
Drittens. Vor diesem Hintergrund wird ein böses Spiel mit den Hoffnungen der Menschen vor allem in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg betrieben. Tausende von Arbeitsplätzen werden ihnen versprochen. Hotels und Touristen, alle angelockt vom Transrapid. Daß Sie sich nicht schämen, so mit den Leuten umzugehen und sie so für dumm zu verkaufen! Dabei wissen Sie ganz genau, daß spätestens nach einer möglichen Bauphase nur ein Bruchteil von Arbeitsplätzen an der Strecke bleibt. Touristen werden angesichts einer vorbeipfeifenden Bahn, und das im Zehn-Minuten-Abstand, eher entnervt das Weite suchen.
Aber Umweltstaatssekretär Klinkert hatte gestern im Umweltausschuß auch dafür Trost. Eine höhere Geschwindigkeit führe eben zu geringeren Einwirkzeiten des Lärms. Danach müßte Überschall künftig als Therapie beim Ohrenarzt Verwendung finden.
Sämtliche Einwände aus umweltpolitischer Sicht, wie Energie, Flächenverbrauch und Lärmbelastung, werden ignoriert.
Als zutiefst verletzend empfand ich in der Anhörung den Umgang mit dem Vertreter der Bürgerinitiative „Prignitz contra Transrapid". In einer Nachlese hat er seine Eindrücke geschildert. Dort heißt es u. a.:
Zugegeben, mit sehr gemischten Gefühlen ging ich in die Anhörung zum Transrapid. Da wirst Du also in Kürze unter Managern, Bankern, diplomierten Ingenieuren, Verkehrsexperten und Verwaltungsfachleuten mit Professur sitzen. Hoffentlich findest Du auch Gehör.
Er schreibt weiter:
Ob wir uns in Prignitz — ein Abgeordneter meinte, sie läge in Mecklenburg-Vorpommern — gegen das Wohl der Allgemeinheit stellen wollten und ob ich als Pfarrer nichts Besseres zu tun hätte, als mich gegen den Bau des Transrapid auszusprechen.
Welche Arroganz gegenüber Leuten, die sich zugegebenermaßen weniger Sorgen um die Gewinne von Thyssen als um Storchennester, Speicherseen, entstehende Gewerbegebiete und Windparks in ihrer Region machen.
Meine Damen und Herren, die Zustimmung zum Milliarden fressenden Prestigeprojekt ist eine verkehrs-, industrie- und umweltpolitische Fehlentscheidung, die sich in wenigen Jahren, vor allem für die öffentliche Hand und für die betroffenen Bürgerinnen und Bürger in den Regionen, bitter rächen wird. Wie fragte doch der Vertreter des wissenschaftlichen Beirats, Herr Professor Ewers, am Schluß der Anhörung: Wo ist die Legitimation des Staates, reales Geld für Visionen auszugeben? Dem kann man sich nur anschließen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Meine Damen und Herren, nächster Redner ist jetzt unser Kollege Dr. Klaus-Dieter Feige.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Geschichte der Technikwissenschaften lehrt uns, daß wirklich nur ein Bruchteil aller Ideen — auch faszinierender —, nicht einmal alle patentierten, in der Praxis realisiert wurden. Die Ursachen bestanden u. a. in der physikalischen Unmöglichkeit der Umsetzung, in der fehlenden Reife der Technologie selbst, in mangelndem gesellschaftlichen Bedarf
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994 20313
Dr. Klaus-Dieter Feigeoder in der Unmöglichkeit, die Visionen mit seriösen Methoden zu finanzieren.
— Kollege Friedrich, nicht nur das Fax. Es wurden in Deutschland auch diverse Perpetuum mobile als Patent eingereicht, aber nie gebaut.
Die zu planende Magnetschwebebahn ist zwar kein Perpetuum mobile, aber alle weiteren Kriterien für einen vorläufigen Nichtbau treffen für sie zu. Der Technologie selbst kann sicherlich in eingeschränktem Maße eine Testtauglichkeit nachgesagt werden, jedoch alle anderen Rahmenvoraussetzungen für den Freilandversuch zwischen Hamburg und Berlin fehlen. Da ist weder die Anbindung der Magnetschwebezüge an andere Verkehrssysteme gelöst, noch liegen hinreichende Untersuchungen im Weichen- oder Begegnungsverhalten der Bahn vor. Die Liste der noch zu lösenden technischen Probleme ließe sich fortsetzen; ich möchte darauf verzichten.Ich gebe auch zu, daß sich die technischen Probleme mit etwas Zeit auch noch beherrschen lassen werden. Dann mag aber Grund für die Hektik bei der Einbringung und Beschlußfassung des Gesetzentwurfes vielleicht in einem enormen gesellschaftlichen Bedarf für eine derartige Superschnellstrecke liegen. Nur — und das haben die Anhörungen belegt —, diesen Bedarf müssen die Betreiber einer solchen zukünftigen Bahnlinie erst noch wecken. Sie geben zwar vor, daß Sie fast allen Autoverkehr von der parallel laufenden Autobahn in diese Züge holen wollen. Aber selbst wenn man sämtliche Autostraßen zwischen Hamburg und Berlin wegsprengen würde, bliebe immer noch ein riesiges Fahrgastdefizit, für dessen Schließung sicherlich auch noch zusätzliche Werbemittel eingeplant werden müssen.Hierin liegt dann auch der wirkliche Grund, sich dem Anliegen einer vorausschauenden Bedarfsplanung zu verweigern. Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie haben einfach Angst, daß eine Bedarfsplanung Ihr Kartenhaus von der TransrapidWirtschaftlichkeit zusammenfallen läßt.Damit sind wir schon beim dritten Grund, der gegen die panische Hektik Ihres Vorhabens spricht. Die Magnetschwebebahn ließe sich zwar bezahlen, aber die Einnahmen werden die Aufwendungen des Bundes nicht annähernd decken. Das haben auch die privaten Investoren bemerkt. Andernfalls wären sie längst auf die Idee gekommen, auch das geringe Restrisiko für den Schienenweg, von dem Sie sprechen, auf sich zu nehmen.Nun gut, das ist Ihre Lobby, und seine Amigos läßt man halt nicht im Stich. Dennoch haben Sie nicht das Recht, derart mit Steuermitteln zugunsten der jetzt schon besser Verdienenden herumzuschmeißen, wie die Koalition und Ihre unsägliche Regierung es hier vorhaben.
In diese Logik paßt schließlich auch die vorgesehene Planungsmethodik. Sie wollen diese Magnetschwebebahn im Sinne des Planungsvereinfachungsgesetzes vorbereiten — für die Bürger der Bundesrepublik, aber doch auch ohne deren wesentliche Beteiligung.
Ihr Planungsverfahren sieht eine Projektierung praktisch unter Ausschluß der Öffentlichkeit vor, weil Sie vor den kritischen Bürgern in diesem Land einfach Angst haben. Das erinnert mich in fataler Weise an die letzten Tage der ehemaligen DDR-Führung.
Herr Gibtner selbst hat gestern im Verkehrsausschuß genau auf den Umstand hingewiesen, daß die DDR-Bürger eben nicht an der Regelung der sie betreffenden Dinge beteiligt waren. Wenn Sie dies aber beklagen, warum machen Sie dann die Gesetze in der Bundesrepublik immer DDR-ähnlicher? Haben Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, denn wirklich nichts aus der jüngsten Geschichte gelernt?Ich verkneife mir an dieser Stelle auch eine längere Bewertung des Umstandes, daß Sie mit dieser Technologie vorhaben, höhere Umweltbelastungen mit dem trügerischen Lebensqualitätsgewinn an Geschwindigkeitszuwachs zu begründen. Das ist nun einmal Ihre Ideologie. Aber aus den Aussagen nahezu aller Sachverständigen in der Ausschußanhörung folgt, daß es keinen, aber auch keinen Grund gibt, dieses Vorhaben derart ungeprüft noch in dieser Legislaturperiode durchzupowern.Dieser Gesetzentwurf hat also einen ganz anderen Grund: Sie brauchen noch ein paar erste Spatenstiche oder Rammschläge, die den Leuten in den neuen Ländern vorgaukeln sollen, daß der ersehnte Aufschwung ganz, ganz nahe ist.
Dieses Vorhaben ist eine pure Wahlkampfshow und nutzt schnöde die Not und die Hoffnungen der Kommunen in den betroffenen Ländern im Osten Deutschlands aus.Wenn sogar der Parchimer Kreistagspräsident uns glauben machen will, daß der Transrapid seiner Region den touristischen Aufschwung bringt, obwohl der Zug dort nicht einmal hält, wird das Ausmaß der Wählertäuschung grotesk. Ich stelle mir schon ein Hotel mit dem Namen „Transrapid-Blick" vor, und die Gäste sausen mit 400 km/h an diesem Hotel vorbei.Es ist höchste Zeit, daß Ihre unseriösen Wahlkampfmethoden den Bürgerinnen und Bürgern in den neuen Ländern vorgeführt werden, damit sie auch wirklich wieder eine Wahl haben.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Meine Damen und Herren, jetzt hat das Wort der Herr Bundesminister für Verkehr, unser Kollege Matthias Wissmann.
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20314 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich ist diese heutige Diskussion typisch für Diskussionen über Technik, über Fortschritt, über Industriestandort in Deutschland.
Auf Ihrer Seite bestimmen die Bedenkenträger das Bild.
Meine Damen und Herren, wer will in Deutschland eigentlich den Anspruch erheben, in die Zukunft hineinzuführen, wenn er sich am entscheidenden Punkt in Details von Fahrgastprognosen und in technische Einzelheiten verzettelt und zu einem großen Wurf überhaupt nicht mehr fähig ist?
Wie wollen wir dann eigentlich Arbeitsplätze schaffen, Zukunft sichern und Technologien durchsetzen?
Kollegin Wetzel, wenn Sie hier sagen, Sie seien von der Technologie fasziniert — ja, meine Damen und Herren, es fehlt in Deutschland nicht an tüchtigen Tüftlern, an guten Erfindern, an phantasievollen Ingenieuren, es fehlt in Deutschland an der Kraft, gute Entwicklungen und Erfindungen auch wirtschaftlich und politisch durchzusetzen.
Glauben Sie doch nicht, daß es sich hier um eine rein politische Überlegung handelt! Glauben Sie denn, daß die Chefs von Siemens, die Chefs von Thyssen und viele andere Verantwortliche in der Wirtschaft, die sich zur ausschließlich privatwirtschaftlichen Finanzierung des Betriebs des Transrapid bereit erklärt und dazu ein seriöses Konzept erarbeitet haben, dieses wegen politischer Strategien tun? Nein, sie machen es, weil sie glauben, daß auch sie einen Beitrag leisten müssen, um große Technologien in Deutschland durchzusetzen und weil sie davon überzeugt sind, daß sich die Überlegung am Ende auch als rentabel herausstellen wird.
Wenn vorhin — ich sehe das als eine Einheit — in der Debatte über die Lkw-Gebühr gesagt worden ist, daß wir mehr Verkehr von der Straße auf spurgeführte Systeme holen müssen — meine Damen und Herren, was sind denn eigentlich diese Reden alle wert, wenn das Denken von manchen hier im Raum an den Eisenbahnschwellen steckenbleibt?
Sagen wir es doch einmal ganz offen: In Ihrer Fraktion gibt es doch viele aufgeschlossene Geister, die sich für den Transrapid ausgesprochen haben, z. B. Rudi Walther.
Ich darf einmal die Forschungspolitiker, Herrn Vosen und andere, die sich dazu positiv geäußert haben, fragen: Kann es denn sein, daß eine abendlich schlecht besuchte Fraktionssitzung der SPD Sie unterdem Eindruck der Wahlniederlage veranlaßt, in der rot-grünen Ecke zu verschwinden?
Oder sind Sie nicht bereit, sich weiterhin Zukunftsgedanken zu öffnen, so wie das in Ihren politischen Äußerungen immer wieder zum Ausdruck kommt?
Bei ruhiger und seriöser Betrachtung weiß jeder, der sich damit beschäftigt hat, daß der Energieverbrauch des Transrapid bei vergleichbarer Geschwindigkeit um ein Drittel geringer ist als bei der Bahn,
weiß jeder, der sich damit beschäftigt hat, daß die Lärmentwicklung des Transrapid bei vergleichbarer Geschwindigkeit geringer ist als bei der Bahn, weiß jeder, der sich damit beschäftigt hat, daß wir ein Gesetz vorlegen, das genau entlang dem von den großen politischen Kräften gemeinsam durchgesetzten neuen Planungsrecht geht, keinen Zentimeter mehr, keinen Zentimeter weniger.
Oder wollen die Sozialdemokraten plötzlich — vielleicht auch wiederum unter dem Eindruck von Wahlergebnissen — wieder hinter die Fortschritte, die wir beim Planungsrecht gemeinsam im Vermittlungsausschuß am 27. Oktober 1993 durchgesetzt haben, zurück? Wollen Sie wirklich, weil Sie nicht mehr glauben, Mehrheiten in Deutschland erringen zu können, die eigene Klientel pflegen und die rot-grüne Nische ausleuchten, oder wollen Sie für die Arbeitnehmer, für die Menschen in Deutschland Zukunftsstrategien durchsetzen und Zehntausende Arbeitsplätze schaffen? Sie müssen sich entscheiden. Eine Wischiwaschi-Politik genügt bei diesem Thema wirklich nicht.
Natürlich ist es richtig: Es gibt gute verkehrspolitische Gründe für diese Entscheidung. Aber aus rein verkehrspolitischen Gesichtspunkten heraus könnten wir auf dieser Strecke auch das Hochgeschwindigkeitsnetz des ICE bauen. Das würde etwa gleich viel kosten.
In Wahrheit entscheiden wir uns auf dieser Strecke für eine Ergänzung der klassischen Rad-Schiene-Technik mittels der Magnetbahn, weil wir der Meinung sind, daß es sich auch um eine große industrie- und technologiepolitische Entscheidung handelt. Es handelt sich schlicht um die Frage, ob wir eine Technik, in der wir nachgewiesenermaßen in der Entwicklung fünf Jahre vor den Japanern liegen, in Deutschland durchsetzen. Denn nur wenn wir sie in Deutschland
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994 20315
Bundesminister Matthias Wissmanndurchsetzen, hat sie auch auf den Weltmärkten eine Chance.
Wie wollen wir eigentlich — uns geht es doch allen um künftige Arbeitsplätze — auf den Weltmärkten Produkte verkaufen, wenn es sich nicht um technologieintensive Produkte handelt? Wie wollen wir auf den Weltmärkten eigentlich Erfolg haben, wenn wir nicht bereit sind, auch Risiken in Kauf zu nehmen? Es stellt sich doch keiner vor Sie, der bestreitet, daß in dieser Entscheidung auch Risiken liegen. Aber zu diesen Risiken haben sich Politik und Wirtschaft, und zwar unter sehr sorgfältiger Berechnung aller Prognosen, gemeinsam entschlossen. Erfreulicherweise steht die Transrapid-Planungsgesellschaft kurz vor ihrer Gründung.Ich nehme noch einmal ein Schlüsselwort auf: Für den Betrieb des Transrapid gibt es keine Steuermark. Der Transrapid fährt mit Strom, nicht mit Subventionen.
Welche vernünftigen Gründe gibt es eigentlich — abgesehen von den üblichen Bedenken, die man hat, wenn man glaubt, auch in Zukunft in der Opposition sein zu müssen — gegen eine solche Zukunftsentscheidung? In Wahrheit gibt es keine. Deswegen bitte ich, daß die verantwortlichen Kräfte in Ihrer Fraktion, die sich früher ja für den Transrapid geäußert haben, auch heute einmal die Stimme erheben, damit wir das wahre Bild kennen.
Vizepräsident Helmuth Becker Meine Damen und Herren, nächster Redner ist jetzt unser Kollege Albrecht Müller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß eine Vorbemerkung machen. Der Herr Minister hat, als mein Kollege Gibtner redete, sehr bedenklich den Kopf gewiegt. Ich habe gedacht, es wäre ein Signal für den Charakter dieser Debatte, daß man sachlich über die Dinge reden kann. Jetzt habe ich eine Wahlkampfrede gehört, bei der dieses schwierige Problem gerade nicht mit sachlichen Argumenten, sondern mit Etiketten angepackt worden ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe heute das zweifelhafte Vergnügen, mich bei meiner wahrscheinlich letzten Rede im Deutschen Bundestag mit zwei Fragen zu beschäftigen, die mich während meiner bisherigen Arbeit in Bonn immer wieder bedrängt haben. Das ist zum einen die Frage: Wie schaffen wir es, mehr Vernunft, auch mehr ökonomische Vernunft in politische Entscheidungen einzubringen? Das ist zum anderen die Frage: Wie können wir unser Volk davor bewahren, daß der Staat zumBüttel von wirtschaftlich mächtigen Einzelinteressen wird?
Bei der heute anstehenden Entscheidung sind wir mit diesen beiden Fragen konfrontiert.Wir, die SPD-Fraktion, haben versucht, Fakten, Daten und Informationen herbeizuschaffen, damit der Deutsche Bundestag eine sachliche, an den Fakten orientierte und damit vernünftige Entscheidung treffen kann. Dem diente im Mai eine neuerliche Expertenanhörung, eine der interessantesten und präzisesten Anhörungen, die ich bisher erlebt habe. Sie war zugleich im Ergebnis eindeutig und für das geplante Projekt vernichtend.
Auch wer wie viele in meiner Fraktion viel für Magnetbahntechnik übrig hat, wer diese Verkehrstechnik für zukunftsträchtig hält, muß nach der gemeinsamen Anhörung von Experten feststellen:Erstens. Das konkrete Projekt Transrapid Berlin-Hamburg rechnet sich nicht. Die Erlöse, der Bedarf, die Fahrgastzahlen und die zu erzielenden Preise sind weit überschätzt, die Kosten sind weit unterschätzt.
Zweitens. Das Finanzierungskonzept der Bundesregierung und der Industrie ist nicht mehr haltbar; es ist zusammengebrochen.
Drittens. Die export- und industriepolitischen Erwartungen und die Hoffnung auf Arbeitsplätze müssen als weit überzogen bezeichnet werden. Auf Grund falscher Produktivitätsannahmen werden die Arbeitsplatzeffekte z. B. für Ostdeutschland um das Dreifache überschätzt.Viertens. Das Projekt der Magnetschwebebahn von Hamburg nach Berlin ist verkehrspolitisch äußerst fragwürdig. Das sieht Herr Wissmann genauso. Die Transrapidplanung sieht nämlich zur Vermeidung von Wettbewerb vor, die Schienenverbindung Hamburg-Berlin aus dem europäischen Hochgeschwindigkeitsnetz auszuklinken, obwohl es anders billiger wäre.
Das ist auf keinen Fall akzeptabel.Deshalb haben wir einen Entschließungsantrag eingebracht, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, die Schienenverbindung Hamburg-BüchenBerlin für eine Entwurfsgeschwindigkeit von mindestens 200 km/h zu realisieren und die notwendigen Investitionsmittel dafür bereitzustellen. Wir sind dabei übrigens offen, die andere Alternative der Linienführung zu prüfen.Fünftens. Die Verknüpfung zwischen dem Transrapid und den übrigen Verkehrsträgern sowie die Einfädelungen in die Städte sind in keiner Weise geklärt.
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20316 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994
Albrecht Müller
Das konnte und wollte die Bundesregierung auch nicht klären, weil sie, wenn sie dieser ihrer Pflicht genügt hätte, einen verkehrs- und finanzpolitischen Offenbarungseid hätte leisten müssen.
Sechstens. So ergeben sich unabsehbare Risiken für den öffentlichen Haushalt und für den Steuerzahler. Es ergeben sich finanzielle Risiken, die weit über die in Ihrem sogenannten Finanzierungskonzept genannten Beträge von 5,6 Milliarden DM hinausgehen. Das ist schon heute erkennbar: Der Transrapid von Hamburg nach Berlin wird zum Faß ohne Boden.Siebtens. Die Magnetschwebebahn wird zum Klotz am Bein der Deutschen Bundesbahn. Kaum in die Privatisierung entlassen, wird sie von Ihnen zur „schwarzen Kasse" degradiert. Sie bürden der Bahn z. B. die Verpflichtung auf, sich auf der Rad-SchieneStrecke Hamburg-Berlin entgegen den marktwirtschaftlichen Gesetzen des Wettbewerbs zu verhalten. Die Bahn soll ihre Chance in der Rad-SchieneTechnik bewußt nicht nutzen. Sie soll nicht investieren, die Preise hochhalten, und dann soll sie auch noch die Löcher stopfen, die in Ihrem unsoliden Finanzierungskonzept ständig neu aufreißen.
In der Anhörung wurde der Bundesregierung von Wissenschaftlern, die der Koalition ansonsten politisch nahestehen, ins Stammbuch geschrieben, „daß sie ihrer Pflicht nicht gerecht wird, die wirtschaftlichste Lösung von Verkehrsproblemen zu suchen", wie es wörtlich heißt. Es wurde bestätigt, daß die Bundesregierung unseriös und unsolide rechnet.
Dennoch, der Deutsche Bundestag soll heute ein Projekt befürworten, von dem Sie in Ihrem sogenannten Finanzierungskonzept selbst schreiben:Die Kostenrisiken für den Bundeshaushalt sind zur Zeit zahlenmäßig nicht abschätzbar.An anderer Stelle heißt es:Da die Rentabilitätsrechnungen vom Verhalten der konkurrierenden Verkehrsträger Eisenbahn und Luftverkehr abhängen, ist eine endgültige Beurteilung der Wirtschaftlichkeit der Magnetbahn zur Zeit nicht möglich.
Eine endgültige Beurteilung der Wirtschaftlichkeit ist nicht möglich, aber der Steuerzahler soll zahlen. Das Finanzierungskonzept stimmt hinten und vorn nicht, dennoch peitschen Sie die Entscheidung durch.
Fast nichts spricht für dieses konkrete Projekt, und dennoch soll es nach dem Willen der Koalition gebaut werden.Das hat etwas damit zu tun, daß sich bei uns im Land große, mächtige Interessen auch gegen wirtschaftliche Vernunft durchzusetzen vermögen und die klei-nen Betriebe, der Mittelstand und die Arbeitnehmer — die Kleinen — die Zeche bezahlen sollen. Der Staat im Griff von privaten Interessen — das ist die Melodie, die wir in Variationen von dieser Bundesregierung immer wieder vorgespielt bekommen.
Stamokap in Bonn — wem dieses Urteil ungerecht erscheint, der möge im schon erwähnten Bericht der Bundesregierung über das Finanzierungskonzept der Magnetschwebebahnverbindung Berlin-Hamburg nachlesen, was dort im Kapitel 7 über Zukunftsperspektiven, über Exportchancen und Arbeitsplätze zu lesen steht. Da beruft sich die Bundesregierung stets und gänzlich wie selbstverständlich auf das Urteil der Industrie und der Wirtschaft. Zu einem eigenen Urteil ist diese Bundesregierung auch bei einem Projekt, das mindestens 5,6 Milliarden DM kostet, nicht willig und nicht fähig.
— Lesen Sie es nach! Es ist jämmerlich, was dort steht.
Diese Abhängigkeit von Bewertungen und Empfehlungen der Wirtschaft ist im konkreten Fall der Transrapid-Strecke Berlin-Hamburg besonders bedenklich, weil die Ignoranz mancher der politisch Verantwortlichen nur noch von der unsoliden und schwachen Argumentation der interessierten Manager und Wirtschaftsführer übertroffen wird. Ein trauriger Beleg dafür war das Hearing vom 18. Mai. Für manche dieser Leute, die da aufgetreten sind, mußte man sich schämen.
Man kann angesichts der geplanten staatlichen Stützung ja verstehen, daß die private Wirtschaft die kaufmännische Vorsicht außer acht läßt. Wenn in Wirtschaft und Politik über die Auswahl von förderungswürdigen zukunftsträchtigen Technologien auf dem Niveau argumentiert und entschieden wird, wie wir das beim Transrapid-Projekt Hamburg-Berlin erlebt haben, dann ist es schlecht um unsere Industrie- und Forschungspolitik bestellt. Dazu will ich noch ein paar Anmerkungen machen.Die Bundesregierung gibt Milliarden für Forschungs- und Technologieförderung aus. Das halten wir für richtig. Aber sie hat es bisher nicht geschafft und weigert sich wohl auch, eine wirklich moderne und intelligente Industrie- und Forschungspolitik zu entwickeln. Deshalb hat Herr Grünbeck ja auch nicht zugestimmt.
Dabei ist dies eine Aufgabe von existentieller Bedeutung. Je härter nämlich der internationale Wettbewerb wird, um so wichtiger ist es, die knappen Mittel intelligent einzusetzen, um so wichtiger ist es, sich ein eigenes Urteil über die Chancen vonDeutscher Bundestaa — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn. Donnerstag, den 16. Juni 1994 20317Albrecht Müller
Zukunftstechnologien zu verschaffen. Eine moderne und intelligente Industrie- und Forschungspolitik verlangt von uns politisch Verantwortlichen mehr als das naive Beeindrucktsein von großen Milliardenprojekten und vom Faszinosum neuer Technik.
Von uns werden Phantasie und Nüchternheit verlangt, Perspektive nach vorn und auch der Mut zum Rechnen.
Statt sich auf die Bewertungen und Empfehlungen festgefugter und wohlorganisierter Interessengruppen zu berufen, sollte die Bundesregierung endlich die Beratung unabhängiger Experten organisieren, die uns bei der schwierigen Aufgabe helfen, die knappen Mittel staatlicher Technologieförderung dorthin fließen zu lassen, wo wirkliche Zukunftschancen liegen.Wenn Sie die Entscheidung heute in Ihrem Sinne durchpeitschen, dann werden Sie — anders, als Sie es erwarten — die Technologiefeindlichkeit fördern.
— Hören Sie einmal gut zu! — Sie werden ein Projekt realisieren, das unwirtschaftlich und verkehrspolitisch sinnlos ist. Ich glaube nicht, daß man damit die Öffentlichkeit und potentielle Kunden im Jahre 2005 oder 2010 von diesem Projekt überzeugen könnte. Insofern erweisen Sie mit diesem konkreten Projekt der Magnetschwebebahntechnik einen Bärendienst.
Vizepräsident Helmuth Becker Meine Damen und Herren, jetzt hat unsere Frau Kollegin Renate Blank das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Magnetschwebebahn wurde als zukunftsweisendes Transportsystem, das einen wirksamen Beitrag zur umweltschonenden Bewältigung des wachsenden Verkehrsaufkommens leisten kann, in den ersten gesamtdeutschen Bundesverkehrswegeplan als fünfter Verkehrsträger aufgenommen. Der Transrapid wird mit dem übrigen Verkehrsnetz optimal verknüpft werden, also sowohl mit dem öffentlichen Verkehrssystem als auch mit dem Individualverkehr.
Mit der Ablehnung des von Ihnen, meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Anfang der 70er Jahre forcierten Vorhabens Transrapid verabschiedet sich die SPD jetzt ganz von neuer Technologie.
Wer die neue Magnetschwebetechnik, für die deutsche Firmen noch einen Technologievorsprung von etwa 5 Jahren besitzen, vermarkten will, muß sie auch im eigenen Lande zu nutzen bereit sein. Durch den Einsatz des Transrapid können Zukunftstechnologien im öffentlichen Verkehrssystem gesichert werden.
Ziel unserer Verkehrspolitik ist die Sicherung von Mobilität. Die Stärkung umweltfreundlicher Verkehrsträger oder die Einführung eines neuen Verkehrsträgers gehört unbedingt dazu. Der Transrapid wird dazu beitragen, Verkehr von der Straße und aus der Luft auf den spurgeführten Verkehr zu verlagern.
Neben der neuen Technologie geht es auch um Wachstum und Beschäftigung in Deutschland. Wer sich so wie die SPD bei der Einführung neuer Technologien verweigert, hat meines Erachtens kein Recht, über fehlende Arbeitsplätze zu klagen.
Mit dem Transrapid werden selbst bei vorsichtiger Schätzung voraussichtlich zwischen 8 000 und 10 000 Arbeitsplätze in Deutschland geschaffen.
Meine Damen und Herren, da ich aus Nürnberg komme, wo am 7. Dezember 1835 die erste deutsche Eisenbahn von Nürnberg nach Fürth gefahren ist, möchte ich nur daran erinnern, daß es in der damaligen Zeit bei der Ablösung der Pferdebahn durch die Dampflok auch einen harten Kampf zwischen Befürwortern und Gegnern der neuen Technologie gab. Aber unsere Vorväter berechneten damals schon das Verkehrsaufkommen und ließen nach nahezu moderner Art, so wie wir das heute machen, eine Art Kosten-Nutzen-Analyse erstellen. Man rechnete damals mit Kosten von 132 000 Gulden. Der Baubeginn konnte allerdings erst im März 1835 sein — die Gesellschaft hatte sich 1833 gegründet —, da sich der Grunderwerb über ein Jahr hinzog. Parallelen sind heute durchaus vorhanden, doch damals ging alles viel schneller.
Frau Kollegin Blank, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hasenfratz?
Herr Präsident, ich gestatte keine Zwischenfrage, denn ich habe heute schon einmal Beifall von der falschen Seite erhalten und möchte dies nicht wiederholen.
Sogar die Erhöhung der Gesamtkosten auf 200 000 Gulden konnte verkraftet werden. Allerdings erhielt der Lokführer damals mehr Gehalt als der Direktor der Gesellschaft! Dies hat sich heute ja gründlich geändert — zu Ihrem Vorteil, Kollege Daubertshäuser.
„Gott sei Dank" haben damals unsere Vorfahren zukunftsweisender gedacht als derzeit SPD und Grüne in Deutschland. Nehmen Sie sich doch ein Beispiel an dem damaligen Mut der Zuständigen, meine Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, und stimmen Sie den Gesetzen zum Einsatz neuer Technologie zu!
Nun hat unser Kollege Dirk Fischer das Wort.
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20318 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994
Dirk Fischer , (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Verabschiedung des Magnetschwebebahnplanungsgesetzes ist der Beginn einer neuen Ära im Bereich der Verkehrstechnik und der Verkehrspolitik. Transrapid ist der Beweis für weltweiten Technologievorsprung Deutschlands in der Magnetschwebebahntechnik,
für die Innovationstechnik unserer Industrienation und für den Mut zur Zukunftssicherung des Industrie-und Wirtschaftsstandorts Deutschlands.
Dieses System wird mit der Verbindung der beiden größten Metropolen Hamburg und Berlin den Nachweis erbringen, daß der Transrapid bei einer Reisezeit von unter einer Stunde gegenüber dem Pkw und vor allem dem Flugzeug konkurrenzlos überlegen sein und gerade die erwünschten Umsteigeeffekte auslösen wird.Günstige Perspektiven der beiden größten deutschen Städte und der Technologie des Transrapid sind begründet im überdurchschnittlichen wirtschaftlichen Wachstum, das prognostiziert wird, und in einer großräumigen Verkehrsverlagerung dadurch, daß mit dem Transrapid über Hamburg, Schwerin nach Berlin für Reisende der gesamten Region ein attraktives Angebot gemacht wird, daß mit dem TransrapidProjekt in der Bauphase über 10 000 Arbeitsplätze gesichert oder geschaffen werden und daß dann auch in der Betriebsphase erhebliche positive Arbeitsmarkteffekte auf Dauer entstehen.Meine Damen und Herren, Deutschland braucht gerade in der gegenwärtigen Situation dringend wirtschaftliche und technologische Zukunftsimpulse. Diejenigen, die unfähig sind, diese zukunftsorientierte Politik als einen Baustein für die Zukunftssicherung des Standortes Deutschland und Europas zu unterstützen, müssen sich entweder den Vorwurf der prinzipiellen Technologiefeindlichkeit, wie geschickt auch immer verpackt,
oder aber den Vorwurf des Mangels an Mut und Entscheidungsbereitschaft gefallen lassen.
Herr Kollege Fischer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Albrecht Müller?
Ich möchte zunächst meine Ausführungen fortsetzen.
Ich möchte darauf hinweisen, daß dieses Unternehmen mit einer Präsentation des Modells durch Schorsch Leber in München startete. Das heißt also, heute arbeiten und entscheiden wir hier in memoriam Schorsch Leber als Verkehrsminister.
Es ist von ihm ja wohl nicht die Absicht verfolgt worden, einen Prototypen für das Deutsche Museum in München herzustellen, in dem dann hinterher Frau Dr. Wetzel sitzt und sich eine Fahrt sozusagen per
Videosimulation vorführen läßt, nach dem Motto: Ich bin begeistert; schön wäre es gewesen. Das wollte Schorsch Leber mit Sicherheit nicht.
Denn, meine Damen und Herren, die jetzige SPDOpposition ist eben doch eine Ansammlung von ausgesprochen kleinmütigen Nachfahren des Schorsch Leber.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Catenhusen?
Gerne, ja.
Bitte, Kollege Catenhusen.
Lieber Kollege Fischer! Lieber Dirk! Ich glaube, die Frage der Kleinmütigkeit könnte man auch im Vergleich zu den Japanern sehen. Deshalb frage ich einmal: Könnte man sich nicht doch unter Weglassung vieler ideologischer Nebelkerzen die Strategie der Japaner zum Vorbild nehmen, die sich überlegt haben, das, was sie Anwenderstrecke nennen, als eine 40 bis 45 Kilometer lange Strecke innerhalb der nächsten acht bis zehn Jahre zu bauen, damit die Technik zwar in Anwendungsreife erprobt werden kann, damit aber gleichzeitig nicht zu große Investitionssummen gebunden werden, bevor man eine Systementscheidung trifft? Ist das nicht vielleicht intelligenter?
Also, Herr Kollege, vielleicht sollte am Ende die Stimme doch hochgezogen werden, damit daraus noch eine Frage wird.
Ich weiß, daß wir gegenüber den Japanern den entscheidenden Nachteil haben, daß wir entweder — der Kollege Friedrich hat dafür erstklassige Beispiele genannt — überhaupt nicht den Mut haben, aus einer bahnbrechenden Entwicklung am Ende auch in der Vermarktung einen Erfolg zu machen, oder aber daß wir für die Umsetzung so viel Zeit benötigen, daß am Ende andere Wettbewerber uns den Rang abgelaufen und unseren Zeitvorsprung eingeholt haben. Dies ist der entscheidende Nachteil unseres Landes, gerade gegenüber dem Hauptwettbewerbsland Japan.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, des Kollegen Albrecht Müller?
Bitte. Vizepräsident Helmuth Becker: Bitte.
Herr Kollege, wollen Sie mit der Vermarktung im Jahre 2010 beginnen, wenn diese Referenzstrecke fertig ist, oder ist es
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994 20319
Albrecht Müller
nicht viel produktiver, früher zu beginnen und heute zu versuchen, dieses Projekt zu vermarkten?
Ich glaube, es kann nicht darum herumgeredet werden: Wir müssen, damit wir überhaupt Exportchancen haben, zeigen, daß dieses System technologisch funktioniert. Der Nachweis ist geführt worden; die Zulassung ist ja gegeben worden. Es ist einsatzbereit. Nun müssen wir zeigen, daß es auch in der Akzeptanz der Nutzer und betriebswirtschaftlich zu einem Erfolg gemacht werden kann. Wenn wir diesen Mut und diese Risikobereitschaft nicht haben, können wir im Ausland von niemand anderem den Mut verlangen, zu dem wir nicht fähig sind. Das ist das Entscheidende.
Meine Damen und Herren, die SPD-Opposition hat in der Frage Transrapid stets widersprüchliche Positionen eingenommen. Herr Vosen als forschungspolitischer Sprecher unterstützt grundsätzlich das technische System Transrapid. Die Arbeitsgruppe Verkehr der SPD macht in Fundamentalopposition und lehnt alles ab.
Ihr Sprecher Klaus Daubertshäuser schreibt vor fast fünf Jahren ein Buch, in dem steht: Diese Entwicklung ist „so weit fortgeschritten, daß in absehbarer Zeit ihrer Anwendung in der Praxis, d. h. zunächst auf einer Schnellbahnstrecke des Fernverkehrs" — Kollege Müller, Kollege Catenhusen: des Fernverkehrs; das hat doch der Kollege Daubertshäuser vor fünf Jahren ins Stammbuch der SPD geschrieben —, „nichts mehr im Wege stehen sollte".
Vor fünf Jahren verlangte Daubertshäuser: Jetzt ran. Fünf Jahre später wird hier in Fundamentalopposition gemacht. Ich würde in aller Bescheidenheit, geschätzter Herr Kollege Daubertshäuser, doch empfehlen, den Titel von „Kurs 2000" in „Bauchklatscher 1994" umzubenennen.
Der Kollege Friedrich hat das widersprüchliche Verhalten in den Fachausschüssen — Haushaltsausschuß, Rechtsausschuß — genannt. Scharping ist offenbar überhaupt nicht in der Lage, eine Linie in seiner Partei herzustellen. Der Gipfel der Widersprüchlichkeit ist, daß man aus einem Hochgeschwindigkeitssystem für lange Distanzen eine Vorortbahn von Berlin nach Jüterbog machen will.
Diese Vorortbahn wollen Sie dann wohl noch ohne
Planungsgesetz machen, denn Sie lehnen das Planungsgesetz gleich ab. Das kann wohl insgesamt nicht zueinander passen.
Meine Damen und Herren, ich will mich über dieses Wirrwarr der SPD in der gesamten Verkehrspolitik nicht weiter auslassen: Mineralölsteuer, Tempolimit, die Frage „Will man nun Straßenbau, oder will man keinen haben?". Da könnte man Zitate in Hülle und Fülle wie in einem Pingpongspiel nacheinander anführen. Da weiß die Linke nicht, was die Rechte tut, und Sie sind alle unterschiedlicher Auffassung.
Ich will das mit einem wunderschönen Zitat des Kollegen Ost zusammenfassen, der das in den letzten Tagen aufgeschrieben hat:
SPD-Verkehrspolitik liest sich wie eine Speisekarte auf Kuba: Es wird viel angeboten, aber es ist wenig zu haben.
Herr Fischer, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Kuhlwein?
Bitte schön, Herr Kuhlwein.
Herr Kollege Fischer, was ist eigentlich aus der Verlegung des Hamburger Flughafens und dem Bau eines neuen Großflughafens ostwärts von Büchen geworden, dem Konzept, das Sie im Wahlkampf 1990 als verkehrspolitischer Sprecher Ihrer Bundestagsfraktion so engagiert vertreten haben?
Herr Kollege Kuhlwein, da haben Sie vielleicht jemand anderen im Auge.
Wenn Sie vielleicht Herrn Voscherau zitiert hätten, würde es zutreffend sein.
Meine Auffassung ist seit Jahren unverändert: das Eintreten für Kaltenkirchen. In Hamburg weiß auch jeder, daß ich für dieses Projekt unverändert eintrete.
Aber da Sie so schön zwischenfragen, muß ich einmal sagen: Ihre Fundamentalopposition zu Transrapid hat dazu geführt, daß der Wähler Ihnen am letzten Sonntag in Schleswig-Holstein schon einmal über 8 % abgezogen hat
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20320 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994
Dirk Fischer
und in dem Planungsraum Ihres Wahlkreises überproportionale Verluste, die noch weit über dem Landes-schnitt liegen, beschert hat. Ich finde, das ist eine deutliche Antwort des Wählers.
Eine Partei, die in der Verkehrspolitik ein so extremes Hü und Hott veranstaltet und soviel Widersprüchlichkeit und Entscheidungsunfähigkeit an den Tag legt, ist nach meiner Auffassung für die Aufgabe der Gestaltung der deutschen Verkehrspolitik absolut ungeeignet.
Am Transrapid zeigt sich, wer in der Politik die Kraft und die Kompetenz besitzt, die verkehrs- und wirtschaftspolitischen und technologischen Vorteile des Transrapid für unser Land zu nutzen. Die Bundesregierung wird gemeinsam mit Industrie und Banken die Chancen und auch die Risiken eines einzigartigen innovativen Infrastrukturprojektes teilen, der eine in der Fahrwegsverantwortung, der andere in der betrieblichen Verantwortung. Wer an dieser Stelle dem Transrapid die Zustimmung verwehrt, wird nicht in der Lage sein, für künftige Generationen die Verantwortung politisch zu übernehmen.
Ich möchte Sie in aller Bescheidenheit sehr herzlich darum bitten, der Region Norddeutschland die einmalige Zukunftschance in einem nicht gerade überentwickelten Bereich nicht kaputtzumachen, das technologische Schaufenster für die ganze Welt zu sein und damit auch kräftige regionalwirtschaftliche Impulse zu bekommen. Wir sind darauf angewiesen.Deswegen bitte ich Sie gerade auch als Norddeutscher um Ihre Zustimmung zu dem Gesetzentwurf, um sicherzustellen, daß eine starke Innovationskraft und weltweiter Technologievorsprung für ein wirtschaftlich und sozial florierendes Deutschland des 21. Jahrhunderts auch genutzt werden können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, vor der Abstimmung gibt es jetzt drei Wünsche zu Erklärungen nach § 31 der Geschäftsordnung. Der erste Wunsch stammt vom Kollegen Kuhlwein. Die Redezeit beträgt bis zu fünf Minuten.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist nicht verboten, auch dann eine Erklärung abzugeben, wenn man mit der eigenen Fraktion stimmt.
Obwohl ich ein aufgeschlossener Geist bin, stimme ich gegen das Magnetschwebebahnplanungsgesetz, weil es nicht nur der Versuch ist, planungsrechtliche Grundlagen für die Anwendung einer neuen Technologie zu schaffen, sondern weil ein Blankoscheck für den Bau der ökonomisch und verkehrspolitisch unsinnigen und deshalb ökologisch auch nicht verantwortbaren Strecke Hamburg-Berlin ausgestellt wird.
Ich stimme gegen das Gesetz, weil die Menschen in der stark belasteten Region östlich von Hamburg — dasselbe dürfte auch für den Ballungsraum um Berlin gelten — nicht bereit sind, ein zusätzliches Verkehrssystem im Fünfminutentakt zu akzeptieren, für das es offensichtlich keinen Bedarf gibt. Der Kollege Gibtner hat dies heute noch einmal bestätigt. Diese Menschen wollen nicht Versuchskaninchen in einem Ausstellungspark werden.
Ich stimme gegen das Gesetz, weil der Transrapid die Anbindung Hamburgs, Schleswig-Holsteins und Teilen von Skandinavien, insbesondere Kopenhagens, an das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz verhindert. Diese Anbindung ist nur über die RadSchiene-Technik möglich, die die Bundesregierung mit der Rückstufung der Bahnstrecke auf 160 km pro Stunde, d. h. nur noch alle zwei Stunden Interregio und kein Intercity, vernachlässigen will.
Als Bundeskanzler Kohl dem russischen Präsidenten Jelzin eine Hochgeschwindigkeitsstrecke Paris-Moskau in Aussicht stellte, hat er an Rad-SchieneTechnik gedacht, vom Transrapid war nicht die Rede. Dies hatte seine guten Gründe.
Ich stimme gegen das Gesetz, weil es keine Antwort auf die Frage gibt, wie und auf wessen Kosten der Transrapid mit dem ÖPNV verbunden werden soll. Ich bin sicher, daß die Bundesregierung von Ländern und Gemeinden an der Trasse, die ohnehin finanziell gebeutelt sind, erwartet, daß sie ihre ÖPNV-Planungen darauf abstellen und dies auch noch finanzieren. Sonst wäre in der Unterrichtung der Bundesregierung über die Kosten etwas gesagt worden.
Ich stimme schließlich gegen das Gesetz, weil ich an die Zukunft denke und weil mir ein vernünftiges Verkehrssystem mit einer leistungsfähigen Bahn am Herzen liegt, weil mir die Finanzen des Bundes, der Länder und der Kommunen am Herzen liegen und weil mir die Interessen der Menschen am Herzen liegen, die von der Trasse betroffen sein würden.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Zu einer weiteren Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung hat jetzt der Kollege Josef Vosen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde mich bei all den Punkten, die hier heute zur Abstimmung stehen, enthalten,
auch wenn ich seit 30 Jahren Mitglied der sozialdemokratischen Partei bin und das Wort „Solidarität" nicht nur in den Mund nehme, sondern auch praktiziere. Ich werde meiner Partei nicht in den Rücken fallen.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994 20321
Josef VosenIch denke, daß das, was hier abläuft, ein Trauerspiel ist, und zwar von allen Seiten, weil wir — ich muß das leider sagen — durchaus die drei Monate bis zur Bundestagswahl hätten warten können, um über dieses Gesetz hier mehrheitlich zu befinden. So kommen wir in den Verdacht — das ist wirklich mein Verdacht —, daß dies eine einzige Wahlkampfgeschichte ist. Denn man wird erst nach den neuen Mehrheiten im Deutschen Bundestag eine wirkliche Solidität für die Zukunft von Transrapid bekommen.Wenn wir in 20 Jahren unter fünf sozialdemokratischen Forschungsministern 2 Milliarden DM an Steuermitteln ausgegeben haben, für die auch ich Verantwortung trage — ich bin seit über zwölf Jahren forschungspolitischer Sprecher —, und das meiner Meinung nach beste bodengebundene Verkehrssystem für die Zukunft dabei herausgekommen ist — davon bin ich zutiefst überzeugt —, dann hat dieses System es nicht verdient, in den Wahlkampf hineingezogen zu werden.
Ich muß aber kritisieren — das sage ich auch —, daß die Abänderungsanträge — denen ich nicht zustimmen werde; ich werde mich enthalten — hinter das bestehende Planbeschleunigungsgesetz, hinter die geltende Rechtslage zurückgehen
und daß damit das, was wir alle wollen, daß nämlich private Financiers und nicht der Staat diese Sache bauen, unmöglich gemacht wird.Wenn ich private Investoren haben möchte, muß ich ihnen auch die Chance einräumen, innerhalb einer absehbaren Zeit mit einem Planbeschleunigungsgesetz, wie es existiert, zu einem solchen betriebswirtschaftlichen Ergebnis kommen zu können.
Ich muß Ihnen sagen: In diesem Gesetzentwurf, dem ich aus Solidarität nicht zustimmen werde, steht überhaupt nichts darüber, wo die Strecke gebaut wird; hier steht nichts von Hamburg und Berlin. Hier steht nur drin, daß in Deutschland eine Strecke gebaut werden kann.Ich bin dafür, daß eine solche Strecke in Deutschland gebaut werden kann. Das muß nicht die Strecke Hamburg-Berlin sein; da würde ich mich meiner Fraktion anschließen. Aber daß eine Strecke gebaut werden kann, ist auch Beschlußlage der SPD-Frakhon. Wir haben gesagt, wir wollen eine kleinere Anwendungsstrecke ohne große finanzielle, technische und politische Risiken verwirklichen.Ich sage ilmen: Die Sache ist nicht eilig. Wir hätten die Monate Zeit, diese Diskussion aus dem Wahlkampf herauszuhalten.
Ich bedaure außerordentlich, daß die Koalition das jetzt macht, weil wir damit Gemeinsamkeiten,
denke ich, nicht zusammen entwickeln können. Das scheint mir in der Tat eine einzige große Wahlkampfaktion zu sein — das ist der Vorwurf an Ihre Adresse —, aber nicht wirklich eine Aktion zur Einführung des Transrapid. Das wollte ich hier gesagt haben.
Meine Damen und Herren, die letzte Erklärung gemäß § 31 will jetzt der Kollege Ernst Waltemathe abgeben.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sehr polemische Rede des verkehrspolitischen Sprechers der CDU/CSU-Bundestagsfraktion macht es mir schwer, eine ganz nüchterne und sachliche Feststellung zu meinem Abstimmungsverhalten abzugeben.
Ich bin der Meinung, daß wir in Deutschland aus verkehrspolitischen Gründen zwar keinen Transrapid bräuchten. Aber wenn wir im eigenen Lande eine Forschung mit annähernd zwei Milliarden DM seit 25 Jahren gefördert haben, die dazu geführt hat, daß das Ding anwendungsfähig ist, dann müssen wir auch bereit sein, das auf einer echten Strecke zu demonstrieren, nicht auf einer Spielstrecke im Emsland,
und dann müssen wir auch ja sagen zu Investitionen in einen entsprechenden Verkehrsweg.
Als Mitglied des Haushaltausschusses kann ich im übrigen nicht verstehen, daß man sich darüber aufregt, daß wir den Verkehrsweg finanzieren müssen. Das müßten wir bei jeder Eisenbahnstrecke auch.
Es ist aber das erste Mal, daß ein öffentliches Verkehrsmittel oder ein ersatzöffentliches Verkehrsmittel mit privatem Kapitaleinsatz, mit privater Kapitalansammlung betrieben werden soll.
Bei der Bundesbahn haben wir jetzt erst vor einigen Monaten auf den Weg gebracht, daß nicht alles unmittelbar aus dem Bundeshaushalt kommt.
Ich werde also, obwohl ich von dem Gesetz, das hier zur Abstimmung steht, in den Einzelheiten nicht überzeugt bin — es sind da einige Dinge enthalten, die ich gern anders darin gesehen hätte —, dem Planungsgesetz zustimmen, weil ich es für richtig halte, daß wir überhaupt eine anwendungsbezogene Strecke in Deutschland errichten.
Meine Damen und Herren, es liegt mir eine weitere schriftliche Erklärung gemäß § 31 der Geschäftsordnung des Kollegen Jürgen Koppelin vor, die zu Protokoll gegeben wurde.*)*) Anlage 4
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20322 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994
Vizepräsident Helmuth BeckerWir kommen nun zu den Abstimmungen zu Tagesordnungspunkt 9a. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. eingebrachten Entwurf eines Magnetschwebebahnplanungsgesetzes auf den Drucksachen 12/7006 und 12/7925 Buchstabe a. Dazu liegen jetzt sechs Änderungsanträge der Fraktion der SPD vor, über die wir zuerst abstimmen.Wir stimmen über den Änderungsantrag auf Drucksache 12/7931 ab. Wer stimmt zu? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Bei einer Reihe von Stimmenthaltungen aus der SPD-Fraktion und der Gruppe PDS/Linke Liste ist der Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt.Wir kommen nunmehr zu dem Änderungsantrag auf Drucksache 12/7932. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen?— Mit gleichem Stimmenverhältnis ist auch dieser Antrag abgelehnt.Wir stimmen jetzt über den Änderungsantrag auf Drucksache 12/7933 ab. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen?— Mit dem gleichen Stimmenverhältnis ist auch dieser Antrag abgelehnt.Wir kommen nunmehr zum Änderungsantrag auf Drucksache 12/7934. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen?— Bei nahezu gleichen Stimmenverhältnissen ist auch dieser Antrag abgelehnt.Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 12/7935? — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Auch hier ist mit etwa gleichem Stimmverhalten der Antrag abgelehnt.Wir kommen nunmehr zum Änderungsantrag auf Drucksache 12/7936. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen?— Auch hier etwa gleiches Stimmverhalten. Der Antrag ist abgelehnt.Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Stimme des Kollegen Waltemathe ist bei einigen Enthaltungen der Gesetzentwurf in der Ausschußfassung angenommen.
— Herr Kollege Koppelin hat dagegengestimmt. Nehmen wir auch das zu Protokoll.Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.Wir kommen zurdritten Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei etwa gleichem Stimmverhalten wie in der zweiten Lesung istauch in dritter Lesung abgestimmt worden. Der Gesetzentwurf ist angenommen.Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/7937. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? — Die Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Auch hier etwa gleiches Stimmverhalten. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.Meine Damen und Herren, Tagesordnungspunkt 9b: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr zum Bericht über das Finanzierungskonzept der Magnetschwebebahnverbindung Berlin-Hamburg auf den Drucksachen 12/7964 und 12/7925 Buchstabe b.Der Ausschuß empfiehlt, den Bericht zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ist die Beschlußempfehlung angenommen.Zusatzpunkt 5: Wir stimmen über den Antrag der Gruppe PDS/Linke Liste zum Ausbau der Bahnverbindungen Hamburg-Berlin auf Drucksache 12/7732 ab. Wer stimmt für diesen Antrag? — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Für den Antrag stimmt die Gruppe PDS/Linke Liste, dagegen stimmen die Koalitionsfraktionen, und die SPD-Fraktion hat sich der Stimme enthalten. Damit ist der Antrag abgelehnt.Nun kommen wir zum Zusatzpunkt Antrag der Fraktion der SPD zu Kreuzungen mit anderen Eisenbahnen und mit Straßen auf Drucksache 12/7906. Wer stimmt für diesen Antrag? — Die SPD-Fraktion. Wer stimmt dagegen? — Die Koalitionsfraktionen. Wer enthält sich der Stimme? — Die beiden Gruppen. Der Antrag ist damit abgelehnt.Meine Damen und Herren, nunmehr rufe ich den Tagesordnungspunkt 10a1 bis e auf:ai) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umwandlungssteuerrechts— Drucksachen 12/6885, 12/7263 —
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache 12/7945 —Berichterstattung:Abgeordnete Ludwig EichHansgeorg Hauser Hermann Rindbb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 12/7946 —Berichterstattung:Abgeordnete Helmut Esters Adolf Roth
Ina Albowitzaz) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung— Drucksache 12/6054 Nr. 2.1 —
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994 20323
Vizepräsident Helmuth BeckerVorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 90/434/EWG vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffenVorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 90/435/EWG vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten — KOM(93) 293 endg. — «Rats-Dok. Nr. 8261/93»Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache 12/7954 —Berichterstattung:Abgeordnete Ludwig EichHansgeorg Hauser Hermann Rindb) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Bereinigung des Umwandlungsrechts
— Drucksachen 12/6699, 12/7265 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuß)
— Drucksache 12/7850 —Berichterstattung:Abgeordnete Joachim Gres Detlef Kleinert
Dr. Wolfgang Frhr. von Stetten Ludwig Stieglerc) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts— Drucksache 12/6721 — Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuß)— Drucksache 12/7848 — Berichterstattung:Abgeordnete Joachim Gres Detlef Kleinert Ludwig Stieglerd) — Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beibehaltung der Mitbestimmung beim Austausch von Anteilen und der Einbringung von Unternehmensteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften betreffen
— Drucksache 12/3280 —
— Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beibehaltung der Mitbestimmung beim Austausch von Anteilenund der Einbringung von Unternehmensteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften betreffen
— Drucksache 12/4532 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuß)
— Drucksache 12/7735 —Berichterstattung:Abgeordneter Hans-Eberhard Urbaniake) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Antrag der Fraktion der SPDSicherung der Tarifautonomie— Drucksachen 12/4818, 12/7735 —Berichterstattung:Abgeordneter Hans-Eberhard UrbaniakZu den Gesetzentwürfen zur Bereinigung des Umwandlungsrechtes für Kleine Aktiengesellschaften und für ein Mitbestimmungs-Beibehaltungsgesetz liegt je ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. — Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich erteile als erstem Redner dem Kollegen Joachim Gres das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir verabschieden heute in dritter Lesung das Gesetz für Kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechtes und das Umwandlungsbereinigungsgesetz. Zu beiden Gesetzesvorhaben möchte ich hier sprechen.Wir verabschieden das Gesetz nach einer intensiven und gründlichen Beratung. Wir haben im Rechtsausschuß zu beiden Gesetzen eine Anhörung durchgeführt, die eine breite Zustimmung zu diesen Gesetzesvorhaben ergeben hat. Ergebnis der Anhörung sind einige Verbesserungen und Anregungen, die Ihnen heute vorliegen, da wir sie in die Gesetzentwürfe aufgenommen haben. Im Grundsatz sind beide Gesetzentwürfe aber unverändert geblieben, so daß ich mich auf die Darstellung der Grundkonzeptionen beschränken kann.Meine Damen und Herren, zunächst zum Gesetz für Kleine Aktiengesellschaften. Im Rechtsausschuß bestand Konsens, daß dieses Gesetz in seinem Ansatz richtig und gerade für mittelständische Unternehmen wichtig ist. Das Gesetz ist allerdings nur eine erste Deregulierungs- und Vereinfachungsnovelle des Aktienrechtes. In der kommenden Legislaturperiode sollten wir uns die Zeit nehmen, das Aktienrecht grundsätzlich zu überarbeiten, um Aktiengesellschaften ganz generell attraktiver zu machen und auch gewisse Problembereiche, die sich in der Vergangen-
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20324 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994
Joachim Gresheit ergeben haben, gesetzlich aufzuarbeiten. Ich nenne hier nur beispielhaft die Problematik der Kontrollfunktion des Aufsichtsrates gegenüber dem Vorstand einer Aktiengesellschaft. Dieses komplexe Thema aber haben wir in dieser Legislaturperiode wegen der vielen anderen prioritären Gesetzesvorhaben nicht mehr in Angriff nehmen können. Deswegen legen wir heute nur die kleine Novelle zum Aktiengesetz vor.Wichtig ist aber auch dieses Deregulierungsvorhaben; denn es ist in der Tat so, daß die deutschen mittelständischen Unternehmen deutlich unterkapitalisiert sind bzw. über zuwenig haftendes Eigenkapital verfügen. Der Rechtsformwechsel in die Aktiengesellschaft ist ein Weg, um die so umgewandelten Unternehmen mittelfristig an die Börse zu bringen, damit sie sich dort Eigenkapital verschaffen und die Abhängigkeit von den finanzierenden Banken verringern können.Ich verspreche mir von der Novelle zwar keine Wunderdinge, aber es gibt zur Zeit in Deutschland ca. 15 000 sogenannte größere Unternehmen in der Rechtsform der GmbH oder der GmbH & Co. KG, die jeweils mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigen. Wenn man von dieser Zahl einmal die Konzerntöchter und die Familiengesellschaften abzieht, würden theoretisch ca. 5 000 Unternehmen für eine Umwandlung in eine AG zur Verfügung stehen. Wenn es am Ende gelänge, davon nur ca. 1 000 Unternehmen an die Börse zu bringen, so wäre dies ein großer Erfolg und würde, nebenbei gesagt, den Finanzplatz Deutschland erheblich stärken.Der Rechtsformwechsel in die Aktiengesellschaft als Voraussetzung für den Gang an die Börse soll deswegen gefördert werden. Dem dient der Abbau von gesetzlichen Formvorschriften, die für große Publikumsaktiengesellschaften sinnvoll sind, nicht aber für Unternehmen, die auf Grund ihrer geringeren Größe traditionell in der Rechtsform der GmbH oder der Personenhandelsgesellschaft organisiert sind.Die Vereinfachung der Struktur einer Aktiengesellschaft ist auch im Hinblick auf die mitbestimmungsrechtliche Situation notwendig. Hier gilt es, psychologische Zugangsschwellen abzubauen; denn in der Wirtschaft und in der Wirtschaftspolitik ist Psychologie bekanntlich schon die eine Hälfte des erfolgreichen Bemühens. Man mag akademisch darüber streiten, ob die Mitbestimmung nach dem Betriebsverfassungsgesetz von 1952 für ein Unternehmen mit ca. 100 Mitarbeitern tatsächlich ein Hindernis für die Umwandlung in die Aktiengesellschaft darstellt. Offensichtlich aber ist es in der betrieblichen Praxis so, zumal sich ein Unternehmer, der als Gesellschafter und Geschäftsführer einer GmbH gewohnt ist, sich in seinem Unternehmen ohne allzuviel Gremienwirtschaft durchzusetzen, bei der Umwandlung in die Rechtsform der Aktiengesellschaft sowieso schon mit einem Aufsichtsrat, einem Vorstand und einer Hauptversammlung als völlig neuen Organen der Gesellschaft konfrontiert sieht.Ist der neuzubildende Aufsichtsrat bei einem kleineren Unternehmen aber auch noch mitbestimmt, läßt eben dieser Unternehmer den Schritt in die Aktiengesellschaft erfahrungsgemäß lieber ganz sein. DerGesetzentwurf sieht daher vor, Kleine Aktiengesellschaften den Gesellschaften mit beschränkter Haftung mitbestimmungsrechtlich gleichzustellen.Andererseits haben wir uns im Zuge der Beratung des Gesetzes dazu entschlossen, den Regierungsentwurf so abzuändern, daß das Betriebsverfassungsgesetz von 1952 bei Unternehmen mit weniger als 500 Mitarbeitern nur bei neugegründeten Aktiengesellschaften nicht anzuwenden ist. Bereits bestehende Aktiengesellschaften hingegen bleiben dem Betriebsverfassungsgesetz von 1952 unterworfen — obwohl dies im Grunde genommen ein Systembruch ist —, weil durch die bereits erfolgte Wahl der Rechtsform klar ist, daß kein Änderungsbedarf besteht. Mit anderen Worten: Mitbestimmungsrechtlich ändert sich zukünftig in der Substanz nichts. Zukünftige Kleine Aktiengesellschaften werden mitbestimmungsrechtlich so behandelt wie Gesellschaften mit beschränkter Haftung. Bei bereits bestehenden Aktiengesellschaften ändert sich in mitbestimmungsrechtlicher Hinsicht überhaupt nichts. Dies ist ein Kompromiß, mit dem wir, glaube ich, alle leben können.Meine Damen und Herren, dem Grundsatz der Verbesserung der Unternehmensfinanzierung dient auch die Klarstellung des Bezugsrechtsausschlusses bei Aktienemissionen bei Publikumsgesellschaften. Ich kann hier nicht auf die Einzelheiten eingehen. Zu unterstreichen ist aber, daß die schutzwürdigen Interessen der Altaktionäre durch die Neuregelungen nicht beeinträchtigt werden. Denn die neue Bestimmung gilt nur, wenn den Alt- und Kleinaktionären der Erwerb der neuen Aktien an der Börse zu nahezu identischen Bedingungen möglich ist. Der Abschlag wird in der Regel bestenfalls bei 3 % liegen. Das ist hinnehmbar.Im übrigen ist die Notwendigkeit der Reform und der Deregulierung des Aktienrechts bei Einbringung des Gesetzentwurfs in der ersten Lesung en détail dargestellt worden. Ich kann mich daher im folgenden weitgehend auf diese Begründung beziehen. Das Gesetz ist richtig, ausgewogen und verdient eine breite Zustimmung.Lassen Sie mich jetzt noch kurz ergänzend zum Umwandlungsbereinigungsgesetz vortragen. Auch hier hat die Anhörung im Rechtsausschuß eine breite Zustimmung der Sachverständigen zu dem Gesetzesvorhaben ergeben. Weiten Raum hat neben einigen speziellen Fragen die Frage eingenommen, ob ein Bedürfnis für eine spezielle Mitbestimmungssicherungsregelung besteht. Die Koalitionsfraktionen haben kein sinnvolles Bedürfnis dafür erkennen können, besondere mitbestimmungssichernde Bestimmungen oder gar mitbestimmungserweiternde Bestimmungen in den Gesetzentwurf aufzunehmen. Auch die schon heute möglichen Umwandlungen können nach geltendem Recht im Einzelfall Änderungen der Mitbestimmung bei den beteiligten Unternehmen zur Folge haben. Es ist bislang noch niemals als Einschränkung der Mitbestimmung empfunden worden, wenn z. B. eine Aktiengesellschaft in eine GmbH umgewandelt wird und die zwingende Mitbestimmung nach dem Betriebsverfassungsgesetz von 1952 für Unternehmen mit weniger als 500 Mitarbeitern entfällt. Auch Spaltungsvorgänge sind schon bisher durch bestimmte
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Joachim GresUmwandlungskonzeptionen oder durch Einzelrechtsübertragung möglich und sind auch praktiziert worden. Auch hier sind in der Vergangenheit keine Forderungen nach erweiterten Mitbestimmungssicherungsregelungen erhoben worden.Hinzu kommt, daß sich die Regelungen des Spaltungsgesetzes für die von der Treuhandanstalt verwalteten Unternehmen bewährt haben. Auch hier sind keine besonderen Mitbestimmungserhaltungsregelungen vorgesehen, ohne daß dies bislang als Mißstand empfunden worden ist. Das Umwandlungsbereinigungsgesetz vereinheitlicht lediglich die bereits geltenden Regelungen und erleichtert Spaltungsvorgänge rechtstechnisch durch die Einführung der Gesamtrechtsnachfolge. Hierin erschöpft sich die Bedeutung des Gesetzes.Eine Öffungsklausel im Sinne der Anregung der SPD, bestimmte Mitbestimmungsformen durch Tarifvertrag mit dem Vorstand oder mit der Geschäftsführung des Unternehmens zu vereinbaren oder gegebenenfalls zu erzwingen, lehnen wir aus Gründen der Gesetzessystematik ab. Wir lehnen dies auch deswegen ab, weil eine solche Tariföffnungsklausel nicht erforderlich ist und in der Vergangenheit nicht gefordert worden ist. Um es klarzustellen: Es geht uns bei dem Umwandlungsbereinigungsgesetz nicht um eine irgendwie geartete Einschränkung bestehender Mitbestimmungsrechte nach dem Betriebsverfassungsgesetz von 1952 oder nach dem Mitbestimmungsgesetz. Niemand wird im übrigen aus mitbestimmungsrechtlichen Gründen z. B. aus der Rechtsform der GmbH in die Rechtsform der OHG wechseln. Die persönliche Haftung des Unternehmers wäre viel zu groß. Das gleiche gilt für die Aufspaltung eines größeren Unternehmens in mehrere kleine Betriebe. Niemand würde solche Aufspaltungen ohne zwingende betriebswirtschaftliche Gründe vornehmen, so daß die Angst vor der Flucht aus der Mitbestimmung ein Scheinargument ist.
Andererseits wollen wir aber auch nicht aus Anlaß des Umwandlungsbereinigungsgesetzes eine Erweiterung der bestehenden Mitbestimmungsregelungen vorsehen oder gar eine Erweiterung der Mitbestimmungsregelungen auf Grund von Tarifverträgen nach dem Motto: „Einmal in einer bestimmten Form mitbestimmt, immer so mitbestimmt." Dies wäre im Kern nicht eine Bewahrung der Mitbestimmung, sondern in der betrieblichen Wirklichkeit eine erhebliche Ausweitung.Alles in allem stellen die beiden Gesetze ein Angebot an die mittelständische Wirtschaft, aber auch an die Wirtschaft ganz allgemein dar, sich auch in ihren Organisationsformen flexibel den sich rasch ändernden Marktgegebenheiten anzupassen. Ein moderner Wirtschafts- und Industriestandort Deutschland braucht nicht nur neue und gute Produkte sowie moderne Dienstleistungen, sondern auch flexible Unternehmensformen, die für die jeweiligen unternehmerischen Tätigkeiten den jeweils maßgeschneiderten Rahmen bieten. Dies hilft insgesamt, Arbeitsplätze zu erhalten bzw. neue Arbeitsplätze zu schaffen. In diesem Sinne bitte ich Sie im Interesse der Optimierung der Standortbedingungen in Deutschland um eine breite Zustimmung zu beiden Gesetzgebungsvorhaben.Vielen Dank.
Als nächster hat das Wort der Kollege Hans Urbaniak.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute geht es um drei wichtige Gesetze. Es geht um die Bereinigung des Umwandlungsgesetzes, was verbunden ist mit erheblichen Konsequenzen für die betroffenen Arbeitnehmer, für die Mitbestimmung und für die Möglichkeiten der Betriebsräte, ihre Schutzfunktion wahrzunehmen. Es geht um das Gesetz für Kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts, in dem ebenfalls Mitbestimmung aufgegeben wird. Ich werde das im einzelnen noch begründen. Es geht auch um das Mitbestimmungs-Beibehaltungsgesetz, das notwendig geworden ist, weil eine Fusionsrichtlinie der Europäischen Union vom 23. Juli 1990 dies erfordert.Nun zum einzelnen. Ich will mich hier zunächst einmal klipp und klar für die Mitbestimmung erklären; denn sie hat sich — ob in der Parität, ob in der 76er Form oder in der Drittelbeteiligung — bewährt — das ist ja wohl unbestritten —, wobei es natürlich Ausschläge, Irritationen und Fehlhandlungen geben kann, wie das in jedem System der Fall ist. Denn eine hundertprozentige Sicherheit der Kontrolle von Vorständen gibt es auch bei den besten Experten in den Aufsichtsräten nicht. Wir haben das erlebt und erleben das ja ständig bei einer ganzen Reihe von Aktiengesellschaften trotz paritätischer oder sonstiger Mitbestimmung.Dennoch muß man bei einer Gesamtsicht und im Hinblick auf den Grundkonsens erkennen, daß sich das deutsche System der Mitbestimmung sowohl nach dem Betriebsverfassungsgesetz wie nach den anderen Mitbestimmungsgesetzen in der überwiegenden Praxis der Arbeit in den Unternehmungen und in den Betrieben bewährt hat. Was sich bewährt hat, das sollte man nicht grundlos aufgeben, meine Damen und Herren.
Das ist ein ganz wichtiger Punkt, den ich hier betonen muß.Ich will einen sicherlich bedeutenden Mann aus dem Wirtschaftsbereich, André Leysen, zitieren, der in einem Interview der „Wirtschaftswoche" sagt:Die deutschen Aufsichtsräte— er vergleicht das mit dem holländischen System —haben dafür wiederum den großen Vorteil, daß in ihnen nicht nur die Kapitalgeber, sondern auch die Arbeitnehmer vertreten sind. Damit kann auch das gesamte Wissen aus dem Betrieb eingebracht werden.Das ist bei Entscheidungen, auch von Vorständen in Konzernen, ein ganz wichtiger Fakt, den man nicht unterschätzen darf. Auf jeden Fall ist das seine Mei-
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Hans-Eberhard Urbaniaknung, und er praktiziert ja in vielen Aufsichtsräten Mitbestimmung.Sie aber geben Mitbestimmung auf, sowohl im Umwandlungsrecht als auch bei dem Gesetz für Kleine Aktiengesellschaften. Sie geben sie trotz der Entschließung, die wir im Deutschen Bundestag zusammen verabschiedet haben, sogar beim Beibehaltungsgesetz auf. Damit verläßt vor allen Dingen die CDU die Mitbestimmungspraxis, die 1952 mit dem Betriebsverfassungsgesetz gefunden worden ist. Diesen Vorwurf, Kollege Hörsken, kann ich Ihnen nicht ersparen. Ich darf dazu gleich noch einen Punkt nennen.Leysen sagt beispielsweise aber auch — das ist ein wichtiger Punkt für die Praxis —: Wenn ein Mann wie Rappe im Aufsichtsrat ein Exposé vorlegt, dann hat das Tiefgang.
Hinzu kommt noch, daß durch das deutsche System soziale Spannungen allein schon dadurch vermindert werden, daß die Manager durch die Diskussionen in mitbestimmten Gremien viel besser, Kollege Lambsdorff, darüber Bescheid wissen, was an der Basis läuft; denn in einem Unternehmen darf der Vorstand die Situation der Basis ja nicht unberücksichtigt lassen. Er muß sie bedenken und in seine Dispositionen und Entscheidungen einbeziehen. Dies wird durch die Mitbestimmung, wie ich meine, gut transportiert und führt zum Konsens, den wir ja alle begrüßen.
— Ich sage Ihnen: Herr Rappe wird nur als Beispiel genannt. Soll ich Ihnen einmal einige Aufsichtsratmitglieder nennen, die völlig versagt haben von irgend einer Seite, ohne das zu qualifizieren? Nun lassen Sie das mal!
Es kommt darauf an, Kollege Lambsdorff, daß wir insgesamt den Grundkonsens im Hinblick auf die Mitbestimmung erhalten.Es wird dann gesagt, es sei verwunderlich, daß Leute im Ausland immer wieder sagen, daß das mit der Mitbestimmung doch nicht so gut ist. Darauf sagt er, daß das eher an den deutschen Managern liegt. Sie sind zu Hause im Grunde genommen mit der Mitbestimmung leidlich zufrieden. Aber im Ausland neigen sie dazu, das System madig zu machen. Ich halte das für einen schweren psychologischen Fehler. Ich wollte diesen Punkt hier nur kurz ansprechen, weil ich glaube — darüber sind wir uns wohl einig —, daß hier ein kompetenter Mann und Experte seine Erfahrungen wiedergegeben hat.Nun haben wir zu den drei Gesetzesvorhaben Anträge gestellt, und zwar einmal den Antrag zum Entwurf eines Gesetzes zur Bereinigung des Umwandlungsrechts in der Drucksache 12/6699. Nach unserem Vorschlag sollen insbesondere im Hinblick auf all die Dispositionsmöglichkeiten, die das neue Gesetz im Zusammenhang mit der Mitbestimmung bietet, Besitzstandsregelungen durch Öffnungsklauseln erreicht werden können; denn ansonsten gilt ja nur noch der § 613a des Bürgerlichen Gesetzbuchs, der die Regelungen für die Arbeitnehmer auf ein Jahr festschreibt. Aber es wird bei diesen Spaltungen und Veränderungen selbstverständlich zu großen Schwierigkeiten kommen. Wir erleben das immer wieder. Es kann die 76er Mitbestimmung entfallen. Es kann die Sozialplanpflicht entfallen. Es kann die Bildung eines Wirtschaftsausschusses entfallen. Es kann die Freistellung entfallen. Dies alles wird sich negativ auf die Arbeitnehmer auswirken.Der zweite Antrag konzentriert sich auf das Gesetz über Kleine Aktiengesellschaften. Hierüber ist im Rechtsausschuß gründlich beraten worden, und es ist eine Anhörung durchgeführt worden. Dabei haben die Professoren eine ganze Reihe von Erklärungen gemacht. Ich danke meinem Kollegen Stiegler dafür, daß er mit den Kollegen der Koalitionsfraktionen erreicht hat,
daß wir eine Besitzstandsregelung erhalten und daß die Mitbestimmung bei VW ebenfalls weiterhin akzeptiert wird. Das ist auch Ergebnis der Anhörung gewesen; denn letztlich hat j a insbesondere Lutter den Nachweis erbracht, daß Mitbestimmungsregelungen kein Hinderungsgrund zur Bildung von Aktiengesellschaften sind, wenn man sich aus der Personengesellschaft, weil das nicht mehr geht, löst, möglicherweise sogar ganz herauslöst, wie das bei einer nicht ganz so unbekannten Firma in Köln — dies war heute in der Zeitung zu lesen — der Fall ist.Ich will damit aber darauf aufmerksam machen, daß wir davon ausgehen, daß auch in diesem Fall — bei Unternehmen mit unter 500 Beschäftigten — die Mitbestimmung in der AG selbstverständlich erhalten wird. Es gilt übrigens die Drittelbeteiligung nach dem Betriebsverfassungsgesetz von 1952.Wer hier im Deutschen Bundestag behauptet, die Psychologie der Anteilseigner bei solchen Vorgängen sei so zu werten, daß sie tatsächlich fürchten, einen Aufsichtsrat mit einer Drittelbeteiligung von Arbeitnehmern zu bekommen, also jenen Leuten, die ihnen wichtige Kenntnisse für vernünftige Entscheidungen transportieren, dem sage ich: Man kann doch die Arbeitnehmerschaft in diesen Bereichen nicht so qualifizieren, als seien sie ein Hinderungsgrund, eine Gesellschaft zu gründen, die in der Lage ist, sich flexibler zu gestalten. Denn die Zusammenarbeit in solch einer Gesellschaft ist bitter, bitter notwendig, um wirtschaftlichen Erfolg zu haben. Dabei sollte man doch die Qualifikation, die Kenntnisse und Vorschläge der Arbeitnehmer nicht ausschließen.Wir bitten Sie, diesem Antrag Ihre Zustimmung zu geben; denn wir möchten selbstverständlich gern der Kleinen Aktiengesellschaft zustimmen, weil wir das Ganze anerkennen. Wir würden natürlich auch gern dem Umwandlungsrecht zustimmen, wenn Sie unserem Antrag folgten. Wir sind nicht in der Situation, als wollten wir uns betonieren — ganz im Gegenteil. Aber
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Hans-Eberhard Urbaniakdie Arbeitnehmerrechte müssen hier, meine sehr verehrten Damen und Herren, erhalten und, wenn möglich, ausgebaut werden.
Der dritte Antrag, auf den wir uns konzentriert haben, bezieht sich auf das Mitbestimmungs-Beibehaltungsgesetz. Die Entwicklung dieses Gesetzes war eigentlich schlimm; denn am 23. Juli 1990 wurde die EG-Richtlinie in Kraft gesetzt. Wir haben 1992, präzise am 25. Februar, klipp und klar im Deutschen Bundestag erklärt: „Jawohl, wir wollen die Mitbestimmung in der Europäischen Union für unseren Teil voll erhalten, und es darf keine Reduzierung von Mitbestimmung geben. "Dies können Sie der Entschließung und den Reden der Koalitionskolleginnen und -kollegen ganz klar entnehmen. Nun stellen wir fest, daß im Laufe der Zeit, im Laufe dieser Jahre, aufgesattelt worden ist: das Bereinigungsgesetz und das Aktiengesetz. Dies hat dazu geführt, daß man zu der Regelung bezüglich der 500 Arbeitnehmer gekommen ist. Wir haben davor gewarnt, dies zu koppeln, weil wir uns im Deutschen Bundestag einig darüber waren, daß die Mitbestimmungssicherung selbstverständlich in ungeschmälertem Maße zu erfolgen hat.Wenn die Koalitionsfraktionen in dieser Frage jetzt nicht mehr zu ihrem Wort stehen, dann verlassen sie die gemeinsame Solidarität und die gemeinsame Entschließung, die wir im Deutschen Bundestag seinerzeit verabschiedet haben. Damit wird ein weiteres Stück Mitbestimmung abgebaut. Dies muß man ganz klar sagen.Unser Antrag zum Beibehaltungsgesetz zielt darauf ab, auch die Aktiengesellschaften mitbestimmungsmäßig einzubeziehen. Hier handelt es sich ja im wesentlichen immer um die Drittelbeteiligung. Daß auch die Aktiengesellschaft mit weniger als 500 Arbeitnehmern betriebsverfassungsrechtlicher Art mitbestimmt sein muß, das spielt hier eine Rolle, um das noch einmal zu betonen.Hierzu gibt es einen hochinteressanten Vorgang, den der Kollege Scharrenbroich — jetziger Staatssekretär; damals hat er für die CDU-Fraktion gesprochen — eingebracht hat.
Er hat gesagt: Wir sehen bei der Verabschiedung auch den Zusammenhang mit anderen Gesetzen, aus anderen gesetzlichen Bereichen. Er hat ferner gesagt, daß die SPD aber einen Antrag eingebracht habe, der wortgleich mit dem der Koalition sei und der bedeute, daß Mitbestimmung für Betriebe und Unternehmungen unter 500 Beschäftigten abgebaut würde. Das sei eine ganz schlechte Sache, und wir hätten als SPD wohl kein Gewicht mehr bei Betriebsräten, Gewerkschaftern, Vertrauensleuten und was noch hinzukommt. Er hat die Arbeiterpartei besonders angesprochen.Nun liegt unser Antrag vor, dies zu regeln. Unser Antrag mußte gestellt werden, meine Damen und Herren, um die Koalitionsfraktionen überhaupt auf den Weg zu bringen, die Sache weiter zu behandeln.Sie haben sich jahrelang dafür Zeit gelassen. Ich habe es schon betont: Sie haben nämlich aufgesattelt und wollten dies mit dem Beibehaltungsgesetz in Verbindung bringen. Darum sage ich klipp und klar aus der Position der Sozialdemokraten heraus: Auch hier keine Abstriche der Mitbestimmung für die Arbeitnehmer! Aus diesem Grunde haben wir unseren Antrag gestellt. Ich bitte Sie also eindringlich, sich diesem anzuschließen.Schließlich haben wir den Komplex der Tarifautonomie erörtern müssen, weil es im Regierungslager und insbesondere auch im Lager der Koalition immer wieder Angriffe gegen die Tarifautonomie gegeben hat. Bezahlung unterhalb der Tariflöhne usw., all diese Fragen spielen eine Rolle. Als sich der Herr Bundeskanzler auf dem DGB-Kongreß sehr klar zu der Tarifautonomie geäußert hat, hat er die entsprechende Darlegung des Kongresses erfahren müssen. Das ist nicht gut. Man sollte die Tarifautonomie durchgängig akzeptieren, ja, man muß die Tarifautonomie selbstverständlich verteidigen. Denn wir als Staat, als Regierung oder als was auch immer könnten das überhaupt nicht regeln, wozu die Tarifpartner in der Lage sind. Sie wissen, daß dafür eine Voraussetzung auch die Frage ist, ob die Postreform gemacht werden kann oder nicht gemacht werden kann. Ich sage Ihnen: Wir koppeln auch diese Punkte, die Sie heute ablehnen werden, mit diesem Vorgang.Ich bin damit noch nicht zu Ende; denn ich beziehe mich auf das, was wir schon 1968 unter dem Fraktionsvorsitzenden Helmut Schmidt eingebracht haben, und zwar auf unsere Mitbestimmungsregelungen, die — bis auf die Personengesellschaft — durchgängig bei allen Aktiengesellschaften durchgeführt werden sollten. Darum befinden wir uns voll und ganz im eigenen Konsens.
Ich darf aber auch sagen, daß die CDU auf ihrem Parteitag in Hamburg eine Entschließung verabschiedet hat, der man folgendes entnehmen kann: Mitbestimmung und Mitwirkung der Arbeitnehmer in Betrieben und Unternehmen sind für uns eine unverzichtbare Grundlage unserer Wirtschafts- und Sozialordnung usw., und man muß sie verteidigen und erhalten.Das Ergebnis ist ein anderes. Heute wird mit Ihren Stimmen Mitbestimmung abgebaut. Dies ist ein ganz schlechter Vorgang in der deutschen Sozial- und Gesellschaftsgeschichte. Sie tun sich damit keinen Gefallen, weil sich Mitbestimmung bewährt hat. Wir halten an unseren Grundsätzen und Überlegungen fest und wollen, daß die Mitbestimmung letztlich paritätisch auf die in Frage kommenden Gesellschaften übertragen wird.Ich bedauere außerordentlich, daß die CDU nicht in der Lage ist, bei ihrem Wort und bei den Anträgen zu bleiben, die Scharrenbroich gefordert hat. Dies wäre in der Tat heute alles in Ordnung zu bringen. Ich danke Ihnen trotzdem für Ihre Aufmerksamkeit.
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Hans-Eberhard UrbaniakBei der Auseinandersetzung um Mitbestimmung bei den Arbeitnehmern und ihren Gewerkschaften werden wir weiter alles tun, um unser Ziel zu erreichen, weil der Konsens in der Gesellschaft und in den Unternehmen erhalten bleiben soll.Ich darf noch ganz kurz sagen: Beim Beibehaltungsgesetz werden Sie unseren Antrag ablehnen. Wir aber werden dem Beibehaltungsgesetz selbstverständlich zustimmen, weil wir eine einheitliche Linie des Parlaments gegenüber der Europäischen Union haben möchten. Das ist notwendig für die Weiterentwicklung und für die Erhaltung der Mitbestimmung in unserer Republik.
Als nächster spricht der Kollege Kleinert.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Kollege Urbaniak, Sie plakatieren republikauf und -ab: Arbeitsplätze, Arbeitsplätze, Arbeitsplätze! Das ist so ganz nett zu lesen, und es soll sogar Leute geben, die denken, damit wüßten Sie schon, wie Sie das bewerkstelligen. Wer aber Ihren Ausführungen eben gefolgt ist, weiß genau, daß Sie nicht wissen, wie Sie das bewerkstelligen können.
Wir wollen uns über erleichterten Börsenzugang, über Kapitalbeschaffung für mittelständische Unternehmen unterhalten, über Erleichterungen von einer Fülle von einengenden Bestimmungen für einen Mittelstand, der einerseits im mittelständischen Bereich seiner Organisationskraft entsprechend agieren muß und andererseits die Möglichkeit haben soll, sich auch an andere Kapitalgeber zu wenden. Aber 20 geschlagene Minuten lang verbreiten Sie hier interessante Mitteilungen darüber, daß es den hauptamtlichen Funktionären des Deutschen Gewerkschaftsbundes darum geht, in gar keinem Fall an irgendeiner Stelle auf Mitwirkungsmöglichkeiten zu verzichten.
Ich bezweifle sehr, daß die deutschen Arbeiter an ihrer Beteiligung in den Unternehmensgremien so sehr interessiert sind wie an den Arbeitsplätzen, die Sie ständig plakatieren. Uns geht es mit dem Gesetzentwurf, zu dem Sie nichts weiter als soundso viele Male — ich habe aufgehört mitzuzählen — das Wort Mitbestimmung gesagt haben, darum, wie wir mehr Arbeitsplätze schaffen können, und zwar durch geeignete, vernünftige gesetzgeberische Maßnahmen, worin uns im übrigen namhafte und bedeutende Sozialdemokraten getreulich begleitet haben — nicht, daß hier ein Mißverständnis entsteht! Ich fand nur den Schwerpunkt etwas ganz eigentümlich gesetzt.
Herr Kollege Kleinert, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich bitte darum, Frau Präsidentin.
Herr Kollege Kleinert, ist Ihnen entgangen, daß ich gesagt habe: Wir sind für die Kleine Aktiengesellschaft; wir sind dafür, daß Kapitalbildung erfolgen kann, um mit der Situation des Marktes flexibler fertig zu werden, und daß man sich der Erkenntnis und der Erfahrung der Arbeitnehmer bedient, um wirtschaftlichen Erfolg zu haben?
Ist Ihnen zweitens bekannt, daß Professor Lutter in einer Untersuchung festgestellt hat: Die Bildung von Kleinen Aktiengesellschaften wird durch eine DrittelMitbestimmung der Arbeitnehmer nach dem 52er Betriebsverfassungsgesetz nicht behindert?
Herr Kollege Urbaniak, daß Sie eingangs angedeutet haben, Sie hätten im Grunde nichts gegen die Kleine Aktiengesellschaft, ist mir nicht entgangen. Danach kamen aber die 20 Minuten, von denen ich gesprochen habe, in denen Sie sich mit der Mitbestimmung befaßt haben.
Sie haben Herrn Kollegen Rappe erwähnt. Da, so meine ich, kommen wir zum Kern des Problems, auch für Gewerkschaftler. Ich zähle Sie zu denjenigen, die jederzeit bereit sind, auch im Interesse der Unternehmen nachzudenken — das nur, damit kein falscher Ton in die Diskussion kommt. Aber wenn ich die Wahl zwischen Herrn Rappe und Herrn Hensche habe, dann wird die Sache etwas komplizierter.
Man muß wissen, ob jemand dem Unternehmen nützen kann oder nicht. Meine Theorie ist: Eine gewisse Entspanntheit und eine gewisse Gelassenheit im Umgang zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern könnte sogar dazu führen, daß man selbst in der Kleinen Aktiengesellschaft heilfroh ist, führende Vertreter — allerdings am liebsten aus dem Betrieb — mit in den Gremien zu haben, urn mit ihnen reden zu können, um den unmittelbaren Schulterschluß mit der Belegschaft zu erreichen und die Dinge gleich ausräumen zu können, wenn sie kompliziert werden.
Das alles sehen Sie genauso wie ich — mit dem kleinen Unterschied, daß Sie meinen, Sie könnten das nur durch Vorschriften erreichen. Ich meine, das kann man auch ohne weiteres dadurch erreichen, daß man sich die Leute, die wie Urbaniak, wie Rappe und wie viele andere sind, in den Aufsichtsrat holt, auch wenn das nicht gesetzlich vorgeschrieben ist. Für die Kleine Aktiengesellschaft wollen wir dies jedenfalls nicht vorschreiben. Das ist meine Meinung dazu.
Herr Kollege Kleinert, es besteht der Wunsch einer zweiten Zwischenfrage, und zwar vom Kollegen Seifert. — Bitte, Herr Kollege Seifert.
Herr Kollege Kleinert, wenn ich Sie richtig verstanden habe, wollen Sie heute ein Arbeitsplatzbeschaffungsgesetz verabschieden. Das fände ich ja ganz gut, dann könnten wir das vielleicht auch so nennen. Aber handelt es sich bei Ihrem Entwurf in Wirklichkeit nicht allein darum, bereits bestehende Gesellschaften mit bestehenden Belegschaften, also mit bestehenden Arbeitsplätzen, in eine andere Rechtsform umzuwandeln?
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Das, Herr Kollege Seifert, möchte ich nachdrücklich in Abrede stellen. Es wird nicht ausbleiben, daß bestehende Gesellschaften umgewandelt werden, hoffentlich mit der Folge, daß sie sich am Markt — zum Nutzen der Arbeitsplätze — freier und beweglicher verhalten können. Ich gehe auch nicht so weit — wie Sie es liebenswürdigerweise formuliert haben —, ein Arbeitsplatzbeschaffungsgesetz verabschieden zu wollen. Wir möchten vielmehr einen kleinen, aber vernünftigen Beitrag dazu leisten, daß in diesem Lande mehr Arbeitsplätze geschaffen werden oder erhalten bleiben. Beides ist sehr wichtig. Das kann durch Umwandlungen geschehen — da will ich überhaupt nicht ausweichen, dem will ich gar nicht widersprechen —, es wird aber, je einfacher es ist, sich dieser Gesellschaftsform zu bedienen, zunehmend zu Neugründungen führen.
Kollege Kleinert — —
Frau Präsidentin, nachdem ich bisher nur auf Zwischenfragen geantwortet habe, möchte ich nun zu meinen Ausführungen kommen. Ich möchte darauf hinweisen, daß in der bedeutenden „Frankfurter Allgemeinen Zeitung für Deutschland" kürzlich dargestellt wurde, all die Vereinfachungen, die hier vorgesehen seien, könnten gar nichts nützen, denn wer an den Kapitalmarkt gehen wolle, müsse sowieso alles offenbaren und müsse sowieso all den Regeln folgen, die auch schon für die große Aktiengesellschaft gelten.Das ist eine Ansicht, der man bei dieser Gelegenheit nicht nachdrücklich genug widersprechen kann, weil sie einfach falsch ist. Es geht nämlich darum, daß man alles, was man tun muß, wenn man an die Börse gehen will, wenn man sich um Kapitalgeber bemühen will, aus freier und dem jeweiligen Problem entsprechend gestalteter Entscheidung tun muß, nicht aber auf Grund stereotyp vorgeschriebener Gesetze. Das ist der große Unterschied zwischen dem, was wir hier heute vorlegen, und den Regelungen, die für die große Aktiengesellschaft gelten.Ich habe bei der Verabschiedung der GmbHNovelle in diesem Hause versucht, darauf hinzuweisen, daß bei der großen Aktienrechtsreform — die verdienstvollerweise vom Kollegen Wilhelmi von der Union als Vorsitzendem des Rechtsausschusses des Bundestages besonders interessiert bearbeitet, veranlaßt und gefördert wurde — die Denkweise eher mißtrauisch gegenüber den Gerichten war und in der Einzelregelung, in der Katalogisierung aller möglichen Einzelfälle, das Heil für Rechtssicherheit gesucht worden war. Auch Rechtspolitik unterliegt gewissen Wellenbewegungen.Inzwischen, glaube ich, sind wir übereinstimmend zu der Ansicht gekommen, daß gelegentlich ein gewisses Vertrauen in die Richterschaft und deren gekonnte Rechtsanwendung angemessen ist und daß wir deshalb mit Generalklauseln weiterkommen als mit unendlichen Katalogen, wie sie das Recht der Aktiengesellschaft im wesentlichen — aus der damaligen Zeitstimmung heraus verständlich — bestimmen.Wir kehren nach den Erfahrungen, die wir gesammelt haben — man muß Erfahrungen machen —, nun zu einer einfacheren Handhabung zurück, und das insonderheit in dem Bereich, dem wir jetzt die Rechtsform der Aktiengesellschaft für eine unternehmerische Tätigkeit erschließen wollen. Dann muß es einfach sein; dann muß man es dem mittelständischen Unternehmer und seiner nicht — wie bei den Konzernen — ganz so groß ausgebildeten Rechtsabteilung — das ist das mindeste, was man dazu sagen kann — möglich machen, mit einem solchen Gesetz umzugehen; das haben wir getan.Im übrigen: Man muß nicht nur daran denken, daß Aktien über die Börse verkauft werden können. Man sollte auch daran denken, daß Aktien auch anderen Kapitalsammelstellen— einer oder mehreren — angedient werden können, als das mit GmbH-Anteilen der Fall ist.
Insofern geht auch das zitierte Argument über die Publizität, die dann sowieso kommen wird, fehl. Die Publizität, die jeweils gebraucht wird, die wird schon gebracht werden. Genauso wie die Banken den Unternehmen erheblich mehr abverlangen, als in irgendwelchen Gesetzen steht, genau so werden die Aktionäre, je nachdem, um wen es sich handelt, ihre Anforderungen stellen. Diesen Anforderungen wird entsprochen werden.Wir kommen zu einer wesentlichen Vereinfachung; wir kommen zu einem neuen Unternehmenstypus. Wir reden nicht nur über Mittelstandsförderung, und wir reden nicht nur über Arbeitsplatzbeschaffung, sondern wir tun auch etwas dafür. Wir werden heute nicht das Arbeitsplatzbeschaffungsgesetz verabschieden; aber wir werden einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, daß in diesem Bereich Arbeitsplätze entweder erhalten bleiben oder in vermehrtem Maße geschaffen werden. Dabei möchte ich nur am Rande daran erinnern, daß die mittelständischen Unternehmen dieser Republik — bei den Handwerkern angefangen — mit ihrem Anteil am Gesamtarbeitsmarkt prozentual viel höhere Beiträge für die Schaffung von Arbeitsplätzen und viel höhere Beiträge zum Aufkommen an Steuern leisten, als das bei den Konzernen, die sich die eine oder andere Neuerwerbung etwas kosten lassen, weil das sowieso zu 70 % der Steuerzahler finanziert — das nennt man dann Konzentration und wundert sich darüber, wie sie zustande kommt —, der Fall ist. Viel mehr als diese Konzerne sind die mittelständischen Unternehmen am Steueraufkommen beteiligt.Ich möchte hier noch ein letztes Wort in einer niedersächsischen Angelegenheit anfügen: Es gab in diesem Gesetz eine Klausel, die nicht unmittelbar mit diesem Gesetz zu tun hatte. Sie bezog sich auf gewisse Sonderrechte des Landes Niedersachsen bei der Wahrnehmung von Stimmrechten aus dem Anteil am Volkswagenwerk.Nachdem die Bayern und die Baden-Württemberger den Niedersachsen vorgemacht haben, wie man bei aller marktwirtschaftlichen Grundhaltung auch
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Detlef Kleinert
eine landesbewußte Industriepolitik betreiben kann, bin ich der Meinung, daß man an dieser Stelle dann auch den Niedersachsen, solange sie aus verschiedenen Gründen, die ich nicht ausführen kann, einen deutlichen Nachholbedarf haben, ihre Möglichkeiten — an den wenigen Punkten, an denen sie gegeben sind — erhalten sollte. Darum bin ich den Kollegen dankbar, daß sie in die Streichung dieser Bestimmung eingewilligt haben.Ich bin mit Herrn Gerhard Schröder —
Herr Kleinert, Sie haben inzwischen Ihre Redezeit bald zwei Minuten überzogen.
— in dieser Frage ganz einig. Wir sind beide nicht von dem Typ, der ein für allemal am Anfang des Lebens nach gewissen starren Regeln angetreten ist und sich dann für alle Zukunft daran hält, sondern wir versuchen, —
Herr Kollege Kleinert, Ihre Philosophie ist höchst interessant, aber Sie haben Ihre Redezeit überschritten!
— jeder auf seine Art, auch für das Land Niedersachsen etwas Praktisches und Nützliches zu bewirken.
Frau Präsidentin, ich danke Ihnen sehr herzlich für die Gnade, die Sie mir zuteil werden ließen.
Ich bin jetzt ziemlich ungnädig bei zwei Minuten!
Als nächste spricht Frau Bundesministerin Leutheusser-Schnarrenberger von ihrem Platz. — Das steht Ihnen übrigens immer zu und nicht nur dann, wenn Sie ein kaputtes Bein haben.
Recht herzlichen Dank, Frau Präsidentin.Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle wollen ja den Wirtschaftsstandort Deutschland stärken, und das hören wir landauf, landab. Mit der Reform des Umwandlungsrechts und gerade mit der für den Mittelstand besonders wichtigen Kleinen Aktiengesellschaft leisten wir heute einen ganz wesentlichen Beitrag dazu. Hier wird ein Hauptziel liberaler Wirtschaftspolitik verwirklicht; denn wir schaffen ein modernes, ein praxisnahes und auch ein schlankes Wirtschaftsrecht, das den Unternehmen ein schnelles und flexibles Reagieren auf veränderte Marktbedingungen ermöglicht.Diejenigen, die bezweifelt haben, daß die im Aktionsprogramm der Bundesregierung für mehr Wachstum und Beschäftigung enthaltenen Vorhaben noch bis zum Ende dieser Legislaturperiode die Beratungen durchlaufen könnten, werden heute eines Besseren belehrt. Die jetzt stattfindende zweite und dritte Lesung wäre allerdings ohne den ganz außerordentlichen Einsatz der Berichterstatter nicht möglich gewesen, denen ich an dieser Stelle ein ausdrückliches Dankeschön sagen möchte.Das neue Umwandlungsrecht zählt sicher zu den herausragenden Reformen auf dem Gebiet des Wirtschaftsrechtes in den letzten Jahren. Im Gesellschaftsrecht hat es seit der Aktienrechtsreform von 1965 kein vom Umfang her vergleichbares Vorhaben gegeben.Ich darf hier daran erinnern, daß der erste Anstoß zu dieser Reform vom Rechtsausschuß schon 1980 gegeben wurde. Es war von vornherein absehbar, daß sich die Vorarbeiten für ein so ehrgeiziges Projekt über viele Jahre hinziehen würden.Heute nun können wir der Wirtschaft ein modernes, in sich geschlossenes Umwandlungsrecht zur Verfügung stellen, das die Anpassungsfähigkeit deutscher Unternehmen im internationalen Wettbewerb deutlich erhöht. Die bisher sehr unübersichtlichen, nicht einheitlichen und in fünf verschiedenen Gesetzen enthaltenen Vorschriften werden jetzt praxisgerecht in einem einzigen Gesetz zusammengefaßt. Es gibt für viele Rechtsformen Erleichterungen und auch neue Umwandlungsmöglichkeiten. Ganz neu ist die generelle Einführung der Spaltung. Bisher war sie nur in bestimmten Sonderfällen — für Treuhandunternehmen und für Agrarbetriebe in den neuen Ländern — möglich. Künftig können sich nun praktisch alle Unternehmen auf vereinfachte Weise in kleine Einheiten aufteilen und sich damit flexibel geänderten Marktbedingungen anpassen.Ich habe während der ganzen Beratungen zu diesem wichtigen Vorhaben nie die auch heute wieder geäußerten Bedenken betreffend die Mitbestimmung geteilt. Die Bundesregierung hat den berechtigten Interessen der Arbeitnehmer bei Umwandlungsfällen bereits bei Erarbeitung des Entwurfes Rechnung getragen. Dazu sind sehr weitreichende Informationsrechte des Betriebsrates, besondere Haftungsregeln und betriebsverfassungsrechtliche Flankierungen vorgesehen.Aber es bestand nach meiner Auffassung kein Grund, anläßlich der Reform des Umwandlungsrechts den zwingenden Charakter der Mitbestimmungsgesetze durch Einführung einer Öffnungsklausel zur Disposition der Sozialpartner zu stellen. Im Ergebnis haben wir, glaube ich, eine sehr vernünftige und ausgewogene Lösung gefunden. Denn wir müssen alle hier heute zur Beratung anstehenden Gesetzentwürfe einbeziehen. Ich glaube, diese Kompromisse kann doch jeder im Gesamtkontext mittragen.
Eine ganz gute Nachricht und ein Signal für unsere mittelständische Wirtschaft ist die Kleine Aktiengesellschaft. Nicht nur die Aktiengesellschaft, die wir hier anbieten, ist klein und schlank, sondern auch das Gesetz. Das ist ja etwas, was sich gerade die Rechtspolitiker doch immer wieder mehr auf die Fahnen schreiben.
Es enthält an Deregulierung, was es schon in seinem Titel verspricht. Wenige kleine Korrekturen und Federstriche am vorhandenen Gesetzestext können manchmal eine ganze Menge bewirken.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994 20331
Bundesministerin Sabine Leutheusser-SchnarrenbergerWas wir wollen, ist klar und auch schon deutlich gesagt. Wir wollen die Aktiengesellschaft unserem Mittelstand als eine sinnvolle und wichtige Rechtsformalternative anbieten. Denn bisher war es doch so, daß gesagt wurde: Unsere Aktiengesellschaft und unser Aktienrecht sind für die ganz Großen geschaffen; wem das nicht paßt, der soll gefälligst in die GmbH oder die Personenhandelsgesellschaft gehen. So fand man das sogar ausdrücklich in juristischen Lehrbüchern formuliert.Wenn wir heute eine ganze Reihe von Erleichterungen und Deregulierungen in unserem Aktiengesetz für personalistisch strukturierte kleine Aktiengesellschaften vornehmen, dann findet hier über die einzelnen Änderungen hinaus auch ein Umdenken statt.
Frau Ministerin, würden Sie eine Zwischenfrage unseres Kollegen Urbaniak gestatten?
Bitte schön, Herr Urbaniak.
Frau Minister, es heißt in der Entschließung, die wir in der 55. Sitzung am 8. November 1991 beschlossen haben, „daß die innerstaatliche Umsetzung der Richtlinie ... nicht zu einer Schmälerung der Mitbestimmungsrechte von Arbeitnehmern führen darf" und entsprechende flankierende Regelungen in das innerstaatliche Mitbestimmungsrecht aufgenommen werden sollen. Geben Sie zu, daß bei der Kleinen Aktiengesellschaft bei unter 500 Beschäftigten diese Mitbestimmung, die Drittelbeteiligung betriebsverfassungsrechtlicher Art, eben nicht zum Tragen kommen wird?
Wir haben ja gerade die Kleine Aktiengesellschaft vorgesehen, um hier — vergleichbar mit der GmbH, bei der bis zu 500 Arbeitnehmern diese Mitbestimmungsregelungen auch nicht gelten — ein wichtiges Instrument zu schaffen, damit der Mittelstand auch an die Börse gehen, damit er sich marktgerecht verhalten kann. Das ist der richtige Weg. Hier dürfen wir nicht Zugangshindernisse aufbauen. Wir schmälern hier nicht Mitbestimmungsrechte, wir orientieren uns an dem, was in anderen Gesellschaftsbereichen und -formen schon besteht. Von daher ist das ein richtiger und ein wichtiger Weg.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Ich nehme nur mein Recht als Fragesteller wahr. Wenn Sie inaktiv herumsitzen, kann ich nichts dafür.
— Ich sagte es Ihnen: Ich nehme als Abgeordneter mein Fragerecht wahr.
Frau Minister, ist Ihnen das Gutachten bekannt, das Professor Lutter erarbeitet hat, aus dem sich ergibt, daß für die Bildung von Kleinaktiengesellschaften, die also unter 500 Beschäftigte haben, die Mitbestimmung kein Hinderungsgrund ist? Wieso kommen Sie dazu, dieses immer als eine Hemmschwelle darzustellen?
Wir wollen gerade, daß mehr als bisher von der GmbH zur Aktiengesellschaft gewechselt werden kann und daß das gerade die mittelständischen Unternehmen tun, die bisher doch wirklich die GmbHs und die anderen Formen der Personenhandelsgesellschaften bevorzugen. Was wir ihnen bisher im Aktienrecht geboten haben, entspricht weder ihrer Interessenlage noch ihren Bedürfnissen, und es dient auch nicht der Schaffung von Arbeitsplätzen. Daß wir dem Mittelstand den Großteil der Arbeitsplätze in Deutschland mit verdanken und ihn deshalb stärken müssen, ist ja wohl auch unser gemeinsames Anliegen.
Man kann durchaus unterschiedliche Bewertungen vornehmen. Wir sind der Auffassung, daß es richtig ist, in dieser hier vorgelegten Form die Kleine Aktiengesellschaft zu schaffen und diese Regelungen für die neugegründeten vorzusehen. Für die alten Aktiengesellschaften, die schon bestehen — das haben wir ja gesagt —, bleibt es bei dem geltenden Recht. Ich glaube, das können im Gesamtkontext auch die Sozialdemokraten sehr gut mittragen.
Wir können gern hier noch einen langen Dialog führen. Ich glaube, es wird deutlich, daß wir eben andere Akzente setzen, gerade wenn es darum geht, Wirtschaftspolitik unter Berücksichtigung der berechtigten Anliegen der Arbeitnehmer zu betreiben. Ich möchte jetzt gar nicht noch auf weitere Einzelpunkte eingehen. Die Debatte hat deutlich gemacht, daß wir hier ein wichtiges Signal für den Mittelstand setzen. Sie sehen auch an den Äußerungen, daß niemand inaktiv ist, sondern daß im Gegenteil alle mit großer Beteiligung gerade aus Kreisen der Koalitionsfraktionen dieser Debatte zuhören und sich an ihr beteiligen.
Vielen Dank.
Als nächster spricht der Kollege Hörsken.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst eine Vorbemerkung machen: Herr Kollege Urbaniak, ich will hier ausdrücklich für die Christlich-Demokratische und Christlich-Soziale Union ein Bekenntnis zur Tarifautonomie ablegen. Für uns ist die Tarifautonomie ein hohes Gut, und ich
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20332 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994
Heinz-Adolf Hörskenbin dem Bundeskanzler dankbar, daß er das auf dem DGB-Kongreß in dieser Deutlichkeit gesagt hat.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir beraten heute das Umwandlungssteuerrechtsgesetz, das Gesetz zur Bereinigung des Umwandlungsrechts, das Mitbestimmungs-Beibehaltungsgesetz und das Gesetz für Kleine Aktiengesellschaften im Zusammenhang. Für das Mitbestimmungs-Beibehaltungsgesetz gab es eine einstimmige Resolution im Deutschen Bundestag. Eine alleinige Beratung des Mitbestimmungs-Beibehaltungsgesetzes hatte sich in der Vergangenheit verzögert. Wir haben dies immer wieder vertagt. Ich bedauere das; ich hätte viel lieber viel früher darüber beraten.Der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen zum Mitbestimmungs-Beibehaltungsgesetz ist nunmehr am 24. September 1992 in erster Lesung eingebracht worden und im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung behandelt worden. Auf Grund der einstimmigen Entschließung vom 8. November 1991 haben Koalitionsfraktionen und SPD-Opposition Bleichlautende Gesetzentwürfe eingebracht, wie die einmütig gefaßte Entschließung vom 8. November 1991 umgesetzt werden soll.Unstrittig ist, die Mitbestimmung für alle grenzüberschreitenden Unternehmen einzuführen, nicht nur für Betriebe auf deutschem Boden. Gegenwärtig ist es deutschen Unternehmen möglich, ihre europaweiten Aktivitäten derart umzustrukturieren, daß z. B. Betriebsteile eines deutschen Konzernunternehmens an eine EU- Schwestergesellschaft angegliedert werden und dadurch bei den deutschen „Rest"-Unternehmen die Mitbestimmungspflicht entfällt. Dies geschieht dadurch, daß automatisch zugleich mit der Ausgliederung von Betriebsteilen die für die Mitbestimmung relevante Größenordnung für deutsche Regelungen herabgesetzt wird.Unser Gesetzentwurf wurde lange beraten und schließlich auf Wunsch unseres Koalitionspartners mit dem Projekt „Kleine Aktienrechtsreform" und anderer Gesetze verknüpft. Mit dem MitbestimmungsBeibehaltungsgesetz sichern wir allerdings die Mitbestimmung. Ich hätte es lieber gesehen, wenn auch die Kleine Aktiengesellschaft in die Mitbestimmung nach dem Betriebsverfassungsgesetz 1952 aufgenommen wäre; aber dies war jetzt nicht durchsetzbar. Wir konnten somit die Mitbestimmung sichern, allerdings nicht ausbauen. Ich will ausdrücklich sagen: Wir sichern weiterhin die Mitbestimmung.Die Mitbestimmung ist seit ihrer Grundsteinlegung in der Nachkriegszeit zu einem tragenden Pfeiler in der Wirtschafts- und Sozialordnung geworden und hat sich seit nunmehr über 40 Jahren fortentwickelt und bewährt.Die CDU/CSU hat sich immer für die Sicherung der Mitbestimmung eingesetzt; wir werden dies weiterhin tun. Unter diesem Gesichtspunkt wurde bei den Verhandlungen über die EG-Fusionsrichtlinie auf deutsches Drängen eine Mitbestimmungsklausel aufgenommen, die es den nationalen Gesetzgebern erlaubt, die steuerlichen Vergünstigungen in solchen Fällen zu versagen, bei denen der grenzüberschreitende Vorgang beim abgebenden Unternehmen zu einem Mitbestimmungsverlust führt, sich also mitbestimmungsschädlich auswirkt. Lange mußten wir ringen, um diesen Gesetzentwurf voranzutreiben. Wir haben ihn heute zur Abstimmung vorgelegt. Mit unserem Gesetzentwurf füllen wir die Mitbestimmungsschutzklausel der Richtlinie aus.Meine sehr verehrten Damen und Herren, die SPD hat einen Änderungsantrag eingebracht, den wir ablehnen werden. Bei diesem Änderungsantrag handelt es sich darum, daß die Mitbestimmung in allen Fällen beibehalten wird. Wir sind der Auffassung, daß ab einer bestimmten Belegschaftsgröße die institutionelle Mitbestimmung nicht mehr sinnvoll greift. Im Rahmen des Aktionsprogramms für mehr Wachstum und Beschäftigung vom 17. Januar 1994 sah ein Initiativantrag der Fraktionen die Einführung der Kleinen Aktiengesellschaft vor. Die Aktiengesellschaft kann auch für kleinere Unternehmen mit überschaubarem Gesellschafterkreis und geringerer Beschäftigtenzahl eine geeignete Rechtsform darstellen.
Kollege Urbaniak möchte noch einmal eine Zwischenfrage stellen, Herr Kollege Hörsken.
Bitte schön.
Herr Kollege Hörsken, Sie sagen, daß Sie die Mitbestimmung unterhalb einer bestimmten Größenordnung — unter 500 Arbeitnehmer — nicht haben wollen. Wie erklären Sie sich dann den Vorwurf des Kollegen Scharrenbroich an die SPD, diese habe die Mitbestimmung aufgegeben? In Wirklichkeit haben wir heute einen Antrag vorliegen, mit dem dies geregelt werden soll. Da würden wir doch Herrn Scharrenbroich, der in Ihrer Partei und in Ihren Bereichen in gehobener Stellung ist, doch entgegenkommen.
Wie erklären Sie es sich, daß uns ein solcher Vorwurf gemacht wird? Das kann jetzt alles geheilt werden.
Ich kann mich zu diesem Vorwurf nicht äußern, weil ich ihn nicht gemacht habe. Ich habe meine Position beschrieben: Unterhalb einer ganz bestimmten Größenordnung kann die institutionelle Mitbestimmung nicht mehr so greifen wie in einem großen Unternehmen.Die mitbestimmungsrechtliche Ungleichbehandlung der Rechtsform der Aktiengesellschaft gegenüber der GmbH hat sich bei der Aktiengesellschaft als eine Zugangsschwelle erwiesen. Diejenigen Unternehmen, die vor der Überlegung stehen, in die Rechtsform der Aktiengesellschaft zu wechseln, haben diesem Gesichtspunkt eine erheblich größere Bedeutung beigemessen als die Unternehmen, die sich bereits in der Rechtsform der Aktiengesellschaft befinden, wie wir aus einer Studie von Professor Lutter und anderen ersehen können. Beispielsweise haben auf die Frage, ob die Drittelmitbestimmung ein Hindernis für die Aktiengesellschaft sei, von den Unternehmen, die in den vergangenen Jahren in eine AG umgewandelt
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994 20333
Heinz-Adolf Hörskenhaben, 64 % mit Nein geantwortet, von Familienaktiengesellschaften sogar 92 % mit Nein, von Börsenneulingen der letzten zehn Jahre 91 % mit Nein und von börsennotierten mittelständischen Aktiengesellschaften 94 % mit Nein.Dies zeigt, daß die Drittelmitbestimmung für diejenigen, die schon die Rechtsform der Aktiengesellschaft haben, in der Tat überhaupt kein Hindernis ist. Für andere hat sie aber so große Bedeutung, daß sie davor zunächst einmal zurückschrecken.Wir haben in dem Gesetzentwurf vorgesehen — wir werden ihn wohl so verabschieden —, daß für die bestehenden Aktiengesellschaften unter 500 Arbeitnehmern, die ebenfalls den Gesellschaften mit beschränkter Haftung gleicher Größe gleichzustellen sind, der Bestandsschutz sichergestellt ist. Das heißt, hier greift weiterhin die Mitbestimmung nach dem Betriebsverfassungsgesetz. Die kleine Aktiengesellschaft soll daher wie die GmbH von der Mitbestimmung im Aufsichtsrat freigestellt werden.Dies ist eine neue Rechtssituation. Mir wäre lieber gewesen, wir wären auch hier in die Mitbestimmung hineingewachsen. Aber aus den Gründen, die ich gerade genannt habe, war es schwierig, dies durchzusetzen. Es bleibt zu hoffen, daß ein Zuwachs von Mitbestimmung stattfindet, wenn diese Gesellschaften über die Schwelle von 500 Arbeitnehmern kommen und damit in die Drittelmitbestimmung hineinwachsen.Durch unsere Maßnahmen können mittelständische Personalgesellschaften zum Wechsel in eine Aktiengesellschaft motiviert werden, die so später in die Unternehmensmitbestimmung hineinwachsen.Die Einführung der Kleinen Aktiengesellschaft ist zu begrüßen. Die Aktiengesellschaft soll für mittelständische Unternehmen attraktiver gemacht werden. Der Mittelstand soll dadurch den Zugang zum Eigenkapitalmarkt, zur Börse erhalten. Mehr Börsengänge mittelständischer Unternehmen bedeuten für die betroffenen Unternehmen nicht nur eine günstige Kapitalbeschaffung, sondern führen zur Belebung des deutschen Finanzplatzes und der Wirtschaft schlechthin und tragen zur Sicherung von Arbeitsplätzen bei.Um es deutlich zu sagen: Die gegenwärtige Rechtslage, d. h. Drittelbeteiligung für Arbeitnehmer nach dem Betriebsverfassungsgesetz 1952, wird für die bereits bestehenden Gesellschaften beibehalten. Die Drittelbeteiligung entfällt künftig für Neugründungen und Umwandlungen. Da bereits mitbestimmte Gesellschaften in der Mitbestimmung bleiben, haben wir in diesem Bereich eine Beibehaltung des Status quo erreicht.Schönen Dank.
Nun spricht der Parlamentarische Staatssekretär Grünewald.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Entwurf des Gesetzes zur Änderung des Umwandlungssteuerrechts ist nur ein, aber ein sehr gewichtiger Teil zur Bereinigung des Umwandlungsrechts überhaupt. Er ist damit ein unverzichtbarer Beitrag für mehr Wachstum und Beschäftigung am Wirtschaftsstandort Deutschland.
Denn selbst das beste handelsrechtliche Umwandlungsrecht wird zwangsläufig ins Leere gehen, wenn es am Markt aus steuerlichen Gründen von der Wirtschaft nicht angenommen wird. Beide Entwürfe bilden ein einheitliches Vorhaben und zielen darauf ab, Umstrukturierungen innerhalb der Wirtschaft zu erleichtern.
Diese Erleichterungen bestehen insbesondere darin, daß in weiten Bereichen auf diese umständliche Umstrukturierung durch die Übertragung im Wege der Einzelrechtsnachfolge zugunsten der sehr einfachen Umwandlung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge verzichtet wird.
Auf die allgemein zugelassene Spaltung von Körperschaften wurde schon hingewiesen. Lassen Sie mich nur hinzufügen, daß wir bei der Treuhandanstalt gerade mit diesem Instrument herausragend gute Erfahrungen gemacht haben.
Mit der Reform des Umwandlungssteuerrechts sollen neben reinen Anpassungen an die erweiterten Möglichkeiten des Handelsrechts Umwandlungen stärker als bisher steuerneutral gestellt werden. Ziel ist es also, steuerliche Hemmnisse, insbesondere umwandlungsbedingte steuerliche Hemmnisse wie z. B. die Versteuerung von stillen Reserven oder die Einbuße von Verlustvorträgen, auszuräumen. Damit wird gerade in einer wirtschaftlich schwierigen Phase die notwendige Flexibilität für Umstrukturierungen geschaffen.
Daneben hat der Finanzausschuß das Anliegen des Bundesrats aufgegriffen, die Systematik und Struktur des Umwandlungsrechts im Bereich der Einbringungsfälle zu verbessern und dadurch auch die Anwendung des Gesetzes zu erleichtern.
Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, daß die bisher verstreuten Vorschriften zu den grenzüberschreitenden Einbringungstatbeständen nunmehr in einer besonderen Vorschrift zusammengefaßt sind. Diese Regelungen, die angesichts zunehmender Globalisierung, zunehmender internationaler Unternehmensverflechtungen zukünftig mit Sicherheit noch entscheidend an Bedeutung gewinnen werden, sind dadurch wesentlich transparenter geworden.
Wichtig und deshalb auch erwähnt seien die aus Gründen der Steuergerechtigkeit vorgeschlagenen und vor allen Dingen aus wohnungsbaupolitischen Gründen sehr begrüßten Änderungen im Körperschaftsteuergesetz zugunsten der ehemals gemeinnützigen Wohnungsunternehmen. Wem die einschränkende Verlustverrechnungsregelung in § 13 Abs. 3 des Körperschaftsteuergesetzes bekannt ist, weiß, wovon ich rede. Die Bundesregierung — das darf ich hinzufügen — sieht diese Regelung als eine abschließende Nachbesserung an und wünscht sich nun Ruhe an dieser Front.
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Parl. Staatssekretär Dr. Joachim Grünewald
Schließlich haben wir noch an einer anderen Stelle nachgebessert, nämlich bei den sogenannten Policendarlehen. Hier haben wir eine Bagatellgrenze vorgesehen. Das vereinfacht die Anwendung der komplizierten Einschränkung der steuerlichen Begünstigung von Lebensversicherungen bei der Finanzierung von Investitionen für alle Beteiligten, natürlich auch für die Finanzverwaltung selbst.
Auch insoweit geht die Bundesregierung davon aus, daß das Thema jetzt gesetzgeberisch abgeschlossen ist und daß weitere Nachbesserungen nun nicht mehr in Betracht kommen können und in Betracht kommen dürfen.
Kurzum: Der Gesetzentwurf enthält wirklich nur Wünschenswertes; Verbesserungen und Vereinfachungen, mehr Transparenz, Abbau steuerlicher Hemmnisse. Ich meine, es sollte uns allen deshalb nicht schwerfallen, ihm zuzustimmen, und dazu lade ich Sie herzlich ein.
Nun hat zu einer Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung Otto Graf Lambsdorff das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich gebe diese Erklärung, warum wir dem Mitbestimmungs-Beibehaltungsgesetz nicht zustimmen, auch im Namen der Kollegen Paul Friedhoff und Walter Hitschler ab.
Als 1988 der Deutsche Bundestag das Montanmitbestimmungssicherungsgesetz verabschiedete, habe ich dem in dritter Lesung nicht widersprochen. Anschließend habe ich über die Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz, deren Präsident ich bin, alles unternommen, um die Verfassungswidrigkeit dieses Gesetzes feststellen zu lassen. Bisher haben alle gerichtlichen Instanzen dieser Auffassung zugestimmt. Jetzt hat das Oberlandesgericht Düsseldorf die Sache dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.
Ich will nicht noch einmal in die widersprüchliche Lage kommen, einem Gesetz zuzustimmen, das ich hinterher bekämpfe und das ich für grundfalsch halte, weil es dem Standort Deutschland schadet.
Sie wissen, daß ich am Mitbestimmungsgesetz 1976 mitgearbeitet habe. Ich halte die darin getroffenen Regelungen für richtig, und ich glaube, daß sich das Gesetz in der Praxis im großen und ganzen bewährt hat. Wir wollen jetzt durch Zustimmung zum Mitbestimmungs-Beibehaltungsgesetz nicht dazu beitragen, das 76er Gesetz und die Mitbestimmung insgesamt zu diskreditieren und — erlauben Sie mir diese Bemerkung — den Gesetzgeber lächerlich zu machen.
Der Bonner Rechtswissenschaftler Professor Marcus Lutter — Herr Urbaniak hat ihn mehrfach zitiert — hat auf die Folgen des zu verabschiedenden Gesetzes hingewiesen.
Wenn eine deutsche Werft mit 1 600 Arbeitnehmern auf einen englischen Erwerber übergeht und ein zufällig dazugehörender Baubetrieb mit 600 Arbeitnehmern zurückbleibt, dann unterliegt dieser Rest auf ewig dem 76er Mitbestimmungsgesetz. Der Baubetrieb mit 600 Arbeitnehmern behielte einen 20köpfigen Aufsichtsrat, davon drei Vertreter der IG Metall, die vom Baugeschäft keine Ahnung haben. Nach zehn oder fünfzehn Jahren sind die 600 Arbeitnehmer in Rente oder zu anderen Unternehmen gewechselt, aber dieser Aufsichtsrat bleibt.
Das Ganze, meine Damen und Herren, ist eine Groteske. Professor Lutter erinnert zu Recht an den Roman von Gogol „Tote Seelen". Der deutsche Gesetzgeber erhebt die toten Seelen erstmalig in der Rechtsgeschichte zu einer Rechtsfigur.
Nun kann man sich hier freikaufen — auch ein feiner Zug dieses Gesetzes —, indem man steuerliche Nachteile in Kauf nimmt. Das erinnert an Herrn Tetzel und seinen Ablaß.
— Jedenfalls hat er eine ungeheure Wirkung erzeugt, allerdings eine ungeheure Gegenwirkung.
Darüber hinaus, meine Damen und Herren, handelt es sich bei dem, was wir hier vorhaben, um den klassischen Fall einer Mausefallengesetzgebung: Rein kommst du in die Mitbestimmung, raus nie wieder, auch wenn die gesetzlichen Voraussetzungen dafür entfallen sind.
Das wird, meine Damen und Herren, Scharen von Investoren ins Land bringen. Sie werden beeindruckt sein, wie wir deregulieren, entbürokratisieren und uns für den Wettbewerb richtig fit machen. Es handelt sich um ein schönes Stück zukunftsweisender Gesetzgebung, und deswegen stimmen wir drei diesem Mitbestimmungs-Beibehaltungsgesetz nicht zu.
Vielen Dank.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen dann zu den Abstimmungen, und zwar zuerst zum Tagesordnungspunkt 10a. Dabei handelt es sich um die Abstimmung über den Gesetzentwurf zur Änderung des Umwandlungssteuerrechts auf den Drucksachen 12/6885, 12/7263 und 12/7945 Nr. 1. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung — wenn ich es richtig sehe — einstimmig bei vielen Stimmenthaltungen angenommen.Wir kommen nun zurdritten Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Der Gesetzentwurf ist damit einstimmig bei einer
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994 20335
Vizepräsidentin Renate Schmidtgrößeren Zahl von Stimmenthaltungen angenommen.Der Finanzausschuß empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 12/7945 zu den Richtlinienvorschlägen der Europäischen Union über das gemeinsame Steuersystem die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Damit ist diese Beschlußempfehlung ebenfalls einstimmig bei einer großen Zahl von Stimmenthaltungen angenommen.Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 10b, zur Abstimmung über den Gesetzentwurf zur Bereinigung des Umwandlungsrechts auf den Drucksachen 12/6699, 12/7265 und 12/7850. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/7900 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Damit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt.Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Damit ist dieser Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen.Wir kommen zurdritten Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Wer möchte sich der Stimme enthalten? — Damit ist dieser Gesetzentwurf angenommen.Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 10c. Dabei handelt es sich um die Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Gesetzentwurf für Kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts auf den Drucksachen 12/6721 und 12/7848.Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/7920 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt.Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? -- Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen.Wir kommen zurdritten Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Damit ist der Gesetzentwurf angenommen.Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 10d und e, zur Abstimmung über die von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. sowie der Fraktion der SPD eingebrachten Gesetzentwürfe einesMitbestimmungs-Beibehaltungsgesetzes auf den Drucksachen 12/3280 und 12/4532.Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt auf Drucksache 12/7735, die Gesetzentwürfe zusammenzufassen und in der Ausschußfassung anzunehmen.Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/7899 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag?— Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Damit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt.Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit großer Mehrheit angenommen.Wir kommen zurdritten Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. —Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme?— Damit ist der Gesetzentwurf mit großer Mehrheit angenommen.Wir kommen nun zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zum Antrag der Fraktion der SPD zur Sicherung der Tarifautonomie auf der Drucksache 12/7735. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/4818 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Damit ist diese Beschlußempfehlung angenommen.Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b auf:a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Siegfried Hornung, Dr. Hans Stercken, Michael von Schmude, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie den Abgeordneten Hans-Joachim Otto , Ina Albowitz, Gerhart Rudolf Baum, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den deutschen Auslandsrundfunk— Drucksache 12/7401 —
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des In-nenausschusses
— Drucksache 12/7927 —Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Joseph-Theodor BlankHans-Joachim Otto
Gerd Wartenberg
bb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 12/7928 —Berichterstattung:Abgeordnete Rudolf Purps Karl DeresIna Albowitz
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20336 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994
Vizepräsidentin Renate Schmidtb) Beratung der Beschlußempfehlung und desBerichts des Innenausschusses
zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.Nationaler Hörfunkzu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Peter Glotz, Günter Verheugen, Hans Gottfried Bernrath, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDNeugestaltung der deutschen Rundfunklandschaft— Drucksachen 12/3623, 12/2749, 12/6698 —Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Joseph-Theodor Blank Gerd Wartenberg
Hans-Joachim Otto
Zum Gesetzentwurf liegen ein Entschließungsantrag und ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor.Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die gemeinsame Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt es dazu anderweitige Vorstellungen? — Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem dem Kollegen Dr. Theodor Blank das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag hat nicht oft Gelegenheit, über ein Rundfunkgesetz zu debattieren und damit eine Aufgabe zu erfüllen, die dem Kernbereich der Medienpolitik zuzuordnen ist. Wenn heute der Entwurf eines Gesetzes über den deutschen Auslandsrundfunk zur zweiten und dritten Lesung ansteht, nimmt die Bundespolitik dies zum Anlaß, ihre medienpolitische und rundfunkrechtliche Kompetenz wahrzunehmen und ihr Verständnis einer zeitgemäßen und zukunftsorientierten Rechtsgrundlage einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt darzulegen.Dieser Gesetzentwurf, den meine Fraktion und die Fraktion der F.D.P. eingebracht haben, hat eine längere Vorgeschichte; sie beginnt mit der deutschen Einheit. Seit mehreren Jahrzehnten hat es in der deutschen Rundfunklandschaft unter dem Begriff „Rundfunkanstalten des Bundesrechts" zwei Namen gegeben: den Deutschlandfunk mit Sendungen für Deutschland und Europa und die Deutsche Welle als Auslandssender. Neben dem Deutschlandfunk war der RIAS Berlin, von den Amerikanern 1945 gegründet und später nach und nach in die Verantwortung des Bundes übergegangen, der freien und objektiven Berichterstattung gerade auch über die innerdeutsche Grenze hinaus verpflichtet.Beide Anstalten haben viel dazu beigetragen, dem Gedanken der freiheitlichen Einheit Deutschlands zum Durchbruch zu verhelfen. Gleichwohl konnten sie nach der Wiedervereinigung nicht mehr in der bisherigen Form beibehalten werden. Letztlich führten diese Überlegungen dazu, daß die Länder einen bundesweiten Hörfunk unter Einbeziehung von Deutschlandfunk und RIAS gründeten, der als Deutschlandradio seit Anfang des Jahres auf Sendung ist. Die Überleitung und die Errichtung der neuen bundesweiten Körperschaft sind, anders als noch in früheren Jahrzehnten, friedlich im föderalen Geist derZusammenarbeit und des fairen Ausgleichs gelungen. Bereits vorab war zur Festigung der deutsch-amerikanischen Beziehungen im Rundfunkwesen die RIASBerlin-Kommission gegründet worden, die inzwischen erste Erfolge ihrer transatlantischen Verständigungsarbeit vorweisen kann.Meine Damen und Herren, von Anfang an war es zwischen allen Beteiligten unstreitig, daß zu einer derart umfassenden Neuordnung des Rundfunks auf Bundesebene auch eine neue gesetzliche Grundlage für den Auslandssender Deutsche Welle gehört. Das Gesetz über die Errichtung von Rundfunkanstalten des Bundesrechts, seit dem Wegfall des Deutschlandfunks ohnehin nur noch ein Torso, hat die neue rundfunkrechtliche wie auch die tatsächliche Entwicklung nicht mitmachen können. Vieles bleibt ganz ungeregelt — wie die Finanzierung. Deshalb sollte der Deutsche Bundestag jetzt seiner Verantwortung für die Deutsche Welle dadurch gerecht werden, daß er ihr zu einer modernen gesetzlichen Grundlage verhilft.Mit derselben Absicht hatten sich die Koalitionsfraktionen und die Fraktion der SPD in den Anträgen zum nationalen Hörfunk bzw. zur Neugestaltung der deutschen Rundfunklandschaft schon vor geraumer Zeit auch dafür eingesetzt, daß der Entwurf eines Auslandsrundfunkgesetzes vorgelegt werden möge. Dies ist nun, wenn auch auf etwas anderem Wege als damals gedacht, geschehen. Wir können deshalb die Anträge insgesamt für erledigt erklären und uns mit ungeteilter Aufmerksamkeit dem vorliegenden Gesetzentwurf zuwenden.Lassen Sie mich zunächst einige Worte zur generellen Zielsetzung des Ihnen vorliegenden Entwurfs sagen. Daß die Deutsche Welle, unsere Stimme in der Welt, eine neue gesetzliche Grundlage dringend benötigt, erklärt sich schon daraus, daß das geltende Gesetz aus dem Jahre 1960 stammt. Wir alle wissen, welch tiefgreifende Änderungen seitdem auf dem Gebiet der elektronischen Medien eingetreten sind. Auch die Auslandssender sind davon berührt. Der deutsche Auslandsrundfunk, die Deutsche Welle, muß mit derartigen Entwicklungen Schritt halten können, wenn er weltweit konkurrenzfähig bleiben will.Aber auch im Inland darf die Rundfunkanstalt den Anschluß nicht verlieren. Sie ist Mitglied der ARD und soll vernünftigerweise mit den anderen Anstalten der Arbeitsgemeinschaft kooperieren. Die Landesrundfunkanstalten in der ARD haben schon seit geraumer Zeit neuere Gesetze, in denen die strukturelle, technische und organisatorische Entwicklung angemessen berücksichtigt ist und die mehr oder weniger übereinstimmend einen rundfunkrechtlichen Standard normieren, der heutigen Anforderungen entspricht. Dieser Standard sollte auch der Deutschen Welle zugebilligt werden, die als einzige Rundfunkanstalt des Bundesrechts insoweit bisher stiefmütterlich behandelt worden ist.Einige Regelungen des vorliegenden Entwurfs möchte ich herausgreifen und im einzelnen erläutern, um Ihnen die Notwendigkeit der Gesetzesnovellierung auch im Detail verdeutlichen zu können.Der Programmauftrag der Deutschen Welle erscheint zwar auf den ersten Blick gegenüber dem geltenden Recht unverändert. Wie bisher soll der Welt
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994 20337
Dr. Joseph-Theodor Blankdas Bild Deutschlands vermittelt und dabei die deutsche Auffassung zu wichtigen Fragen dargestellt werden. Wir sehen die Deutsche Welle als geistigkreative, staatsunabhängige, in ihrer Programmgestaltung selbständige Rundfunkanstalt mit dem Recht der Selbstverwaltung. Sie soll nicht etwa ausschließlich und unreflektiert die offiziellen Verlautbarungen des Parlaments oder der Bundesregierung wiedergeben. Die Deutsche Welle ist — das sei an dieser Stelle unmißverständlich gesagt — kein Instrument der staatlichen Öffentlichkeitsarbeit.
Nun wäre es aber wirklichkeitsfremd, Herr Kollege Verheugen, wenn man annähme, daß die Deutsche Welle ihre ins Ausland gerichteten Sendungen völlig losgelöst von allen Belangen der politischen Beziehungen zum Ausland gestalten kann. Es ist daher gerechtfertigt, sie in der Formulierung der Programmgrundsätze daran zu erinnern, daß ihre Sendungen die Beziehungen zu anderen Staaten berühren können, und ihr aufzuerlegen, sich dessen bewußt zu sein. Das ist keine staatliche Bevormundung, sondern ein Appell an die Einsicht, daß in der Außenpolitik manches zwangsläufig anders zu sehen und zu artikulieren ist als in der journalistischen Berichterstattung und daß dieser Unterschied schon allein deshalb nicht in Vergessenheit geraten darf, weil etwa die Auffassung des Bundestages selbst einfach zur objektiven Berichterstattung gehört.Bei den Regelungen des Jugendschutzes ist einerseits zu beachten, daß sich der Deutsche Bundestag intensiv um Verbesserungen, insbesondere um eine Eindämmung der Gewaltdarstellungen im Fernsehen, bemüht. Das ist gut und richtig so. Auch die Länder haben vor einiger Zeit einschlägige Änderungen ihrer Rundfunkstaatsverträge in Gang gesetzt. Nun weiß ich, daß sich die Ministerin für Frauen und Jugend, Frau Kollegin Merkel, ebenso wie andere Kolleginnen dafür einsetzt, daß die Ausstrahlung indizierter Beiträge grundsätzlich verboten wird. So weit werden die Länder mit der Änderung ihres Rundfunkrechts aber nicht gehen. Im übrigen ist das Totalverbot nach meiner Überzeugung verfassungsrechtlich auch nicht zu halten.Ich schlage daher vor, es bei der Entwurfsfassung zu belassen, die übrigens schon weitergeht als die Novellierung der Länder. Für das Bundesgesetz erscheint mir dies schon deswegen ausreichend, weil der Auslandssender Deutsche Welle nun wirklich seriös definiert ist und kaum als Abspielplatz für zweifelhafte Produkte in Betracht kommt.Die Neuregelung der Aufsichtsgremien der Deutschen Welle, des Rundfunkrats und des Verwaltungsrats, berücksichtigt in angemessener Weise das Gebot der Staatsferne. Den Gremien gehören also nicht zu viele Staatsvertreter an, und den gesellschaftlich relevanten Gruppen werden die erforderlichen Mitwirkungsrechte eingeräumt. Ich meine, daß es bei der Auswahl der Institutionen auf konsensfähige Weise gelungen ist, mehrere Aspekte miteinander zu vereinbaren. Die Deutsche Welle hat vom Deutschlandfunk den europäischen Sendeauftrag übernommen. Ihre weltweiten Aktivitäten machten eine Vergrößerung des Rundfunkrats erforderlich. Bewährte Einrichtungen waren aus dem geltenden Gesetz zu übernehmen. Daß hier nicht alle Gruppierungen berücksichtigt werden konnten, die sich für berufen halten durften, folgt aus einem Auswahlkriterium, das generell anzuwenden war: Nur Institutionen mit Auslandsbezug sollten in den Gremien des Auslandssenders repräsentiert sein.In die Gremien sollen Frauen und Männer entsandt werden, wie das unserer Rechtsordnung entspricht. Bei der Anwendung des Gesetzes ist das vom Deutschen Bundestag vor kurzem verabschiedete Zweite Gleichberechtigungsgesetz zu beachten, das die gleichberechtigte Teilnahme von Frauen in allen Bundesverwaltungen und Anstalten einfordert. Ebenso sind die für das Verfahren der Auswahl einschlägigen Regelungen des neuen Bundesgremienbesetzungsgesetzes zu beachten.Von zentraler Bedeutung für das gesamte Vorhaben eines neuen Auslandrundfunkgesetzes sind die Regelungen über die Finanzierung der Deutschen Welle. Da es bislang keine Finanzierungsregelung gibt, betreten wir hier Neuland, wenn auch unterstützt durch die Erfahrungen aus der bisherigen Praxis. Es ist bekannt, daß ich mich gemeinsam mit anderen Medienpolitikern dafür eingesetzt habe, für die Deutsche Welle eine Globalfinanzierung zu ermöglichen.
Ich bin nach wie vor der Meinung, daß eine solche Regelung sinnvoll ist, um Spielraum für wirtschaftliches Handeln und Denken zu eröffnen und um die finanzielle Unabhängigkeit der Rundfunkanstalt zu sichern. Das jüngste Rundfunkurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Februar 1994 dürfte diese meine Auffassung nachhaltig stützen.Nun ist aber die Globalfinanzierung nicht gleichbedeutend mit der letzten und einzigen Wahrheit. Das erwähnte Urteil betrifft die Gebührenfinanzierung der Landesrundfunkanstalten. Ich räume deshalb ein, daß es notwendig war, zwischen rundfunkrechtlichen und haushaltsrechtlichen Interessen einen Ausgleich zu suchen. Ich meine, daß der Ausgleich, wie Sie ihn in Form der Finanzierungsregelung des Gesetzentwurfs nun vorliegen haben, als gelungen bezeichnet werden kann.
— Fragen Sie einmal Ihre Haushälter, Herr Verheugen, die sehen das auch so. — Er sieht nämlich vor, daß die Deutsche Welle in Ausübung ihrer Programmautonomie selbst die Grundlagen für die Höhe des Bundeszuschusses liefert, indem sie ihren eigenen Haushaltsplan aufstellt. Andererseits wird aber auch das nicht disponible Budgetrecht des Parlaments dadurch gewahrt, daß die letzte Entscheidung über die Höhe des Zuschusses nur der Deutsche Bundestag durch das Haushaltsgesetz treffen kann. Auf dieser Basis — davon bin ich überzeugt — wird es möglich sein, die Deutsche Welle angemessen auszustatten, sowohl was das Verfahren der Finanzierung als auch
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Dr. Joseph-Theodor Blankden Umfang der Mittel betrifft. Um dies zu gewährleisten, enthält der Entwurf weitere sinnvolle Regelungen, die dazu dienen, administrative Eingriffe in den laufenden Haushaltsvollzug zu verhindern.Ebenso wichtig sind — als ein erhebliches Zugeständnis an die besondere Stellung und Eigenart einer Rundfunkanstalt — spezielle Vorschriften über die Deckungsfähigkeit und die Übertragbarkeit von Ausgaben sowie über die Behandlung von Ausgaberesten, die der Deutschen Welle viel wirtschaftliche Beweglichkeit einräumen. Damit können zwar nicht alle Wünsche erfüllt werden, aber die Deutsche Welle kann damit ihre Aufgaben erfüllen, ohne ungebührlich eingeschränkt zu sein. Wenn diese Regelung verabschiedet wird, so appelliere ich bereits jetzt an die Kolleginnen und Kollegen des Haushaltsausschusses, sis sollten sich der besonderen Verantwortung für das Gedeihen der Auslandsrundfunkanstalt bewußt sein und sie sachgerecht behandeln.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, nachdem ich Ihnen nun die wesentlichen Belange des Gesetzes über den deutschen Auslandsrundfunk vorgestellt habe, darf ich abschließend zwei Punkte in Erinnerung rufen.Erstens. Das Gesetz ist der letzte noch fehlende Baustein einer umfassenden Neuordnung des Rundfunks auf Bundesebene. Wenn wir es heute auf der Grundlage der Beratungen von gestern im Innenausschuß und in den mitberatenden Ausschüssen hier in zweiter und dritter Lesung abschließend beraten und beschließen, kann der Deutsche Bundestag mit Fug und Recht sagen, er habe in dieser laufenden Legislaturperiode alles bewältigt, was in der Medienpolitik zu tun war. Einen abschließenden Überblick über die medienpolitischen Entwicklungen der letzten Jahre, insbesondere nach der deutschen Einheit, erwarten wir noch von der Bundesregierung.Zweitens. Denken Sie bitte daran, daß sich alle Fraktionen und Gruppen dieses Hauses für ein neues Gesetz über den Auslandsrundfunk ausgesprochen haben. Hier liegt nun ein Entwurf vor; ich denke, er ist konsensfähig. Meine Fraktion jedenfalls wird dem Entwurf in der vorliegenden Form zustimmen.
— Das haben Sie fast vermutet. — Ich bitte Sie, sich dem anzuschließen. Den Antrag der SPD — auch das werden Sie vermutet haben — weisen wir zurück.Herzlichen Dank.
Als nächster spricht nun der Kollege Günter Verheugen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der deutsche Auslandsrundfunk, die Deutsche Welle, ist nur sehr selten Gegenstand der Aufmerksamkeit des Plenums des Deutschen Bundestages. Darum war es höchste Zeit, daß das wieder einmal geschieht. Ich sage, daß es dringend notwendig war, der Deutschen Welle eine neue gesetzliche Grundlage zu geben. Das alte Gesetz entspricht nicht mehr der rundfunkrechtlichen Entwicklung in Deutschland. Die Novellierung war schon seit Jahren überfällig.Was aber hier von den Regierungsfraktionen vorgelegt worden ist und natürlich ausschließlich die Handschrift der Bundesregierung trägt, entspricht dieser Forderung nach einer modernen, den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen entsprechenden Grundlage für die Deutsche Welle nicht.Ich möchte zunächst einmal ein Wort dazu sagen, wozu wir uns eigentlich einen Auslandssender leisten. Es gibt ja eine Menge Leute, die sagen: Das ist sehr viel Geld. 650 Millionen DM kostet uns die Deutsche Welle, ein Sender, den man in Deutschland überhaupt nicht hören und sehen kann. Was bringt uns das eigentlich?Ich glaube, daß ein Land in der außenpolitischen Situation wie die Bundesrepublik Deutschland, ein Land mit so vielen Nachbarn, ein Land mit einer so besonderen Geschichte, ein Land aber auch mit so herausragenden außenwirtschaftlichen Interessen, wie wir sie haben, auf einen eigenen Auslandssender nicht verzichten kann.
Es ist notwendig, daß wir im Ausland ein Bild unseres Landes vermitteln, das der Wirklichkeit entspricht. Das heißt, es darf kein geschöntes Bild sein. Es darf nicht das Bild sein, das wir von Deutschland vielleicht gerne hätten, sondern es muß das Bild sein, wie es wirklich ist. Es muß deshalb ein Sender sein, der die Möglichkeit hat, Zustände in unserem eigenen Land auch kritisch zu betrachten und kritisch zu behandeln.Ich glaube, daß der Grundsatz der Rundfunkfreiheit, der das Rundfunksystem in unserem Land beherrscht, gerade auch für den Auslandsrundfunk von besonderer Bedeutung ist, weil wir damit auch im Ausland zeigen können, wie ernst wir diesen Grundsatz nehmen. Jeder sollte sich dessen bewußt sein, daß das Bild, das über die Deutsche Welle im Ausland vermittelt wird, Auswirkungen hat auf die Einschätzungen, auf die Sympathien, die draußen in der Welt entstehen, Auswirkungen hat auf die Bereitschaft, mit uns zusammenzuarbeiten, und vielleicht auch auf die Bereitschaft, bei uns zu arbeiten und zu investieren.Der zweite Grund dafür, daß wir einen Auslandssender brauchen, ist, daß Informationsfreiheit für uns ein grundlegendes Element einer demokratischen Ordnung ist. Ich glaube, wir sind alle davon überzeugt, daß eine demokratische Ordnung nur da bestehen kann, wo die Freiheit der Information besteht. Sie ist ein Menschenrecht. Unsere gemeinsame Vorstellung ist es wohl auch, daß Menschenrechte nicht nur bei uns, sondern weltweit gelten sollen und daß wir mit dem Auslandssender auf diese Weise einen Beitrag dazu leisten können, Informationsfreiheit, j eden-falls ein Stück weit, auch da herzustellen, wo sie nicht besteht. Das ist leider im größten Teil der Welt so.Gerade in der Zeit des kalten Krieges übrigens hat sich sehr deutlich gezeigt, was für eine gewaltige
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Günter VerheugenBedeutung ein Auslandssender haben kann. Auch die Deutsche Welle hat in dieser Zeit eine wichtige Rolle gespielt, um den Menschen hinter dem Eisernen Vorhang die Möglichkeit zu geben, nicht nur etwas von dem zu erfahren, was in Deutschland geschehen ist, sondern auch von dem, was in der damaligen kommunistischen Staatenwelt wirklich geschehen ist.Der dritte Grund dafür, daß wir einen Auslandssender brauchen, ist der, daß wir in einer Welt leben, in der immer wieder Krisen und Konflikte ausbrechen. In solchen Krisen- und Konfliktsituationen hat das gute alte Radio immer noch eine ganz besondere und wichtige Funktion. Wir erleben es im Augenblick gerade im Zusammenhang mit dem Konflikt im ehemaligen Jugoslawien, wie wichtig die Beiträge der westlichen Auslandssender sind.Ich glaube, es kann kein Zweifel daran bestehen, daß wir einen Auslandssender brauchen, daß es sich bewährt hat, daß wir diese Institution haben, und daß wir ihn auch in Zukunft finanzieren müssen.Er ist aber eine Rundfunkanstalt. Er ist keine Behörde der Bundesregierung. Er ist nach seinem Charakter eine öffentlich-rechtliche Anstalt wie alle anderen öffentlich-rechtlichen Anstalten auch. Es müssen deshalb für die öffentlich-rechtliche Anstalt Deutsche Welle dieselben rundfunkpolitischen und rundfunkrechtlichen Grundsätze gelten wie bei den Landesrundfunkanstalten auch.
Auch der Auslandsrundfunk muß ein freier Rundfunk sein. Es darf nicht der Eindruck entstehen, daß der Auslandsrundfunk unter der besonderen Kuratel der jeweiligen Regierung steht.Sie, meine Damen und Herren von den Koalitionsparteien und der Bundesregierung, haben in dem jetzt vorliegenden Gesetz Bestimmungen vorgesehen, die ich nur als Vorbereitung zur Zensur bezeichnen kann.
Wenn Sie in dieses Gesetz hineinschreiben, daß bei den Sendungen beachtet werden muß, daß sie auswärtige Belange berühren können, dann stellt sich doch als erstes die Frage: Wer entscheidet denn darüber, was „auswärtige Belange" sind, und wer entscheidet darüber, wann „auswärtige Belange" berührt sind? Die Organisationen der in der Deutschen Welle tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben diesen Punkt sehr deutlich gemacht:Sie verankern hier in einem Gesetz zunächst einmal die Selbstzensur, die Schere im Kopf, und Sie halten hier ein Instrument bereit, mit dem kritische und unliebsame Sendungen jederzeit ausgeschaltet werden können. Es braucht ja nur gesagt zu werden: Das berührt die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland. Und schon ist es mit der Rundfunkfreiheit zu Ende. Diese Bestimmung ist nach meiner festen Überzeugung mit dem Grundsatz der Rundfunkfreiheit nicht zu vereinbaren. Ich sage Ihnen auch voraus, daß sie der zwangsläufig folgenden verfassungsgerichtlichen Überprüfung nicht standhalten wird.
Das zweite — und das ist nun ein besonders bitterer Punkt — ist die Sache mit der Globalfinanzierung. Natürlich ist klar: Wer die Musik bezahlt, wer das Geld gibt, der bestimmt auch, was gemacht wird. Die Finanzierung bleibt im wesentlichen so, wie sie war. Der Sender bleibt in der Abhängigkeit des Finanzministeriums und des Innenministeriums.Der Kollege Dr. Blank hat in der rundfunkpolitischen Debatte, die wir am 6. November 1992 hier geführt haben, Forderungen an das neue Bundesrundfunkgesetz gestellt. Drei Forderungen waren es, und Sie haben die erste Forderung wie folgt formuliert — ich zitiere —:Die Deutsche Welle braucht eine gesetzlich geregelte Globalfinanzierung. Nur so können auf Dauer die Unabhängigkeit und die Autonomie des Senders gesichert werden.Das haben Sie für die Fraktion der CDU/CSU hier im Bundestag am 6. November 1992 gesagt. Ich möchte gerne wissen, was in der Zwischenzeit geschehen ist, daß Sie von dieser richtigen Erkenntnis nichts mehr wissen wollen.Ich habe in derselben Debatte gesagt — ich darf mich einmal selber zitieren —:Der jetzige Zustand, daß unser Auslandssender finanziell praktisch in der Abhängigkeit von Bundesregierung und Haushaltsausschuß steht, ist mit dem Grundsatz der Staatsfreiheit von Rundfunkanstalten nicht zu vereinbaren. Dieser Zustand ist verfassungswidrig.An dieser Stelle verzeichnet das Protokoll des Deutschen Bundestages: „".
Daraus schließe ich, Herr Kollege Otto, daß auch Sie dieser Auffassung sind. Dann muß ich auch Sie fragen, was in der Zwischenzeit geschehen ist, daß Sie das heute nicht mehr glauben wollen.
Herr Kollege Verheugen, Kollege Blank steht deshalb, weil er Sie etwas fragen möchte.
Ja.
Er darf? Günter Verheugen : Gerne.
Vielen Dank. — Herr Kollege Verheugen, das, was Sie vorhin als meinen Redebeitrag aus der damaligen Debatte zitiert haben, habe ich heute als meine Auffassung und die der Medienpolitiker meiner Fraktion noch
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Dr. Joseph-Theodor Blankeinmal inhaltlich wiederholt. Wenn Sie meinem Redebeitrag vorhin zugehört hätten, wäre Ihnen das nicht verborgen geblieben.Ist es zutreffend, frage ich Sie, daß sich auch die Finanzpolitiker der SPD, d. h. die Mitglieder des Haushaltsausschusses, die Ihre Fraktion vertreten, gegen die von uns Medienpolitikern vorgesehene Globalfinanzierung in dieser Form ausgesprochen haben und daß es deshalb mit den Haushaltspolitikern aller Fraktionen keinen Konsens in dieser Frage gegeben hat?
Das ist völlig richtig. Die überparteiliche „Fraktion der Haushälter" hat sich hier wieder einmal zusammengetan. Aber die Haushälter sind nicht der Deutsche Bundestag. Ich vertrete hier die Fraktion der SPD, und die Fraktion der SPD hat entschieden, daß die Globalfinanzierung das richtige Instrument ist, um die Staatsfreiheit sicherzustellen.
Meine Damen und Herren, ich will noch auf ein paar weitere Punkte kommen, die mir sehr bedenklich erscheinen. In dem Gesetzentwurf ist ein nahezu uneingeschränktes Verlautbarungsrecht der Bundesregierung verankert. Auch das legt den Verdacht nahe, daß hier ein Instrument geschaffen werden soll, das bei Bedarf für regierungsamtliche Propaganda verwendet wird. Daß wir Anlaß haben, bei Aktivitäten der Bundesregierung auf dem Feld der Öffentlichkeitsarbeit mißtrauisch zu sein, das dürften Sie in den letzten Wochen und Monaten zur Kenntnis genommen haben. Es reicht nachgerade, was sich das Presse-und Informationsamt der Bundesregierung in den letzten Monaten geleistet hat.
Es betreibt Parteipropaganda mit Steuermitteln. Es reicht wirklich! Es muß nicht sein, daß jetzt auch noch unser Auslandssender dazu mißbraucht werden kann. Dieses Verlautbarungsrecht ist nicht hinnehmbar.
Ebensowenig ist die Gremienzusammensetzung, die Sie vorgesehen haben, hinnehmbar. Als der Deutsche Bundestag mich vor fünf Jahren zum ersten Mal in dieses Gremium gewählt hat, hatte es elf Mitglieder und war sehr arbeitsfähig. Dann ist das Gesetz novelliert worden. Seitdem, also seit vier Jahren, hat der Rundfunkrat der Deutschen Welle 17 Mitglieder. Kein Mensch kann mir eine überzeugende Begründung für die Erhöhung auf 30 Mitglieder geben, keiner kann das erklären.
Einmal ganz davon abgesehen, daß die Sache dadurch sehr teuer wird: Die Auffassung, daß ein Aufsichtsgremium besonders arbeitsfähig wird, wenn man die Zahl seiner Mitglieder verdoppelt, wird hier wohl niemand teilen. Ich habe das Gefühl, daß es in Wahrheit nur darum geht, Menschen zu versorgen, die ihre Pöstchen im Zuge der Rundfunkneuordnung nach der Wiedervereinigung verloren haben.Zu den Gremien ist weiter zu sagen, daß ihre Zusammensetzung mit verfassungsrechtlichen Grundsätzen hart kollidiert. Der jetzige Zustand wird verschlechtert; er war schon nicht optimal, was die Staatsquote, also den Anteil der Mitglieder des Rundfunkrates, die von staatlichen Stellen entsandt werden, angeht. Dieser Anteil wird nach dem neuen Gesetz knapp unter 50 % liegen. Damit wird die Deutsche Welle Rekordhalter aller öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sein, aber in einem negativen Sinn. Aus den Urteilen des Verfassungsgerichts ergibt sich ganz eindeutig, daß eine Höchstgrenze von etwa einem Drittel Vertreter staatlicher Organe in Aufsichtsgremien öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten mit dem Grundsatz der Staatsfreiheit noch zu vereinbaren ist. Bei fast der Hälfte ist das jedenfalls nicht mehr der Fall. Auch hier wird die Absicht deutlich.Das Gesetz bleibt weit hinter den Regelungen der Landesrundfunkanstalten zurück, was die Zuständigkeiten des Rundfunkrates angeht. Der Rundfunkrat ist das eigentlich konstitutive Organ einer Anstalt. Der Rundfunkrat ist der öffentliche Treuhänder für die Anstalt. Bei ihm müssen die wesentlichen Entscheidungskompetenzen liegen. Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages hat vor einiger Zeit auf meinen Wunsch hin einmal eine Zusammenstellung der Rechtsgrundlagen der Aufsichtsgremien öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten in Deutschland gemacht und ist dabei zu dem Ergebnis gekommen, daß die Rechtsstellung der Aufsichtsgremien der Deutschen Welle — und damals auch noch des Deutschlandfunks — im Vergleich zu allen anderen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten die mit Abstand schwächste ist. Daran wird mit diesem Gesetz nichts geändert. Wenn wir mit der rundfunkrechtlichen Entwicklung Schritt halten wollten, wäre es notwendig gewesen, dem Rundfunkrat der Deutschen Welle das Recht der Feststellung des Haushaltes und das Entscheidungsrecht bei der Benennung der Direktoren der Anstalt einzuräumen. Dieses Gremium kann seine Aufgabe, die Programmrichtlinien zu überwachen und auf die Einhaltung der Programmgrundsätze zu achten, nicht erfüllen, wenn es überhaupt keine Druckmittel gegenüber dem Intendanten und der Leitung der Anstalt hat. Es bleibt ein schwaches Gremium, das nicht dadurch stärker wird, daß es jetzt zahlenmäßig deutlich verstärkt wird.Nun kommt ein letzter und besonders schwerwiegender Punkt, meine sehr verehrten Damen und Herren, bei dem sich wiederum die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes stellt. Das Gesetz enthält einen schwerwiegenden Eingriff in die Tarifautonomie. Die Tarifvertragshoheit für die Gewerkschaften in der Deutschen Welle wird in einer Art und Weise eingeschränkt, die mit nichts begründet werden kann, weil nämlich Tarifverträge praktisch von der Zustimmung Dritter abhängig gemacht werden, und zwar vom Einvernehmen mit dem Finanzminister und dem Innenminister. Damit wird der Grundsatz der Koalitionsfreiheit, der nicht irgendein Grundsatz ist, sondern eine wirklich tragende Säule unserer Verfassungsordnung, in einem Gesetz verletzt, das der Deutsche Bundestag heute verabschieden will. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich kann nur
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Günter Verheugendringend an Sie appellieren, ein solches Monstrum von Gesetz, wie es vorgelegt worden ist, nicht zu verabschieden.Ich habe soeben schon in einem anderen Zusammenhang gesagt, daß dieses Gesetz keinen Bestand haben wird. Ein Gesetz, das so hart wie dieses an die Grenzen der Verfassungsmäßigkeit geht und sie nach meiner festen Überzeugung sogar an zwei Stellen überschreitet, darf der Gesetzgeber nicht verabschieden, wenn er sich selber ernst nimmt. Ich bitte Sie darum, die Entscheidungen, die Sie gestern im Innenausschuß getroffen haben, noch einmal zu überdenken und zusammen mit uns dafür zu sorgen, daß wir einen Auslandssender bekommen, auf den wir stolz sein können und der auch nach außen dokumentiert, daß wir ein Land sind, das sich einen freiheitlichen, einen offenen und einen kritischen Rundfunk leisten kann. Ich bitte Sie deshalb, unseren Änderungsanträgen und unserem Entschließungsantrag zuzustimmen.Vielen Dank.
Jetzt hat der Kollege Hans-Joachim Otto das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es hat — in der Reihenfolge: zunächst bei der IG Medien, dann beim Personalrat der Deutschen Welle und dann, ihnen folgend, bei der Opposition dieses Hauses — gerade in den letzten Tagen eine erhebliche Aufregung über diesen Gesetzentwurf gegeben. Ich möchte deshalb an dieser Stelle zunächst auf einige zentrale Gemeinsamkeiten hinweisen.Es dürfte vernünftigerweise keinem Zweifel unterliegen, daß im Zuge der Neuordnung der Bundesrundfunkanstalten auch die Deutsche Welle dringend einer neuen Gesetzesgrundlage bedurfte. Aus diesem Grund haben alle Fraktionen dieses Hauses, also auch die SPD-Fraktion, bereits im November 1992 einmütig die Vorlage eines Deutsche-Welle-Gesetzes gefordert. Es kann also keineswegs von einem Durchpeitschen dieses Gesetzes die Rede sein. Im Gegenteil, dieses Gesetz war überfällig. Darin bin ich mir mit dem Kollegen Verheugen völlig einig.Wir alle sind uns auch darin einig, daß die hohe Qualität und vor allem auch die große redaktionelle und journalistische Unabhängigkeit der Deutschen Welle erhalten bleiben müssen. Keiner von uns will einen gleichgeschalteten Propagandasender. Ein solcher wäre im übrigen nicht nur unattraktiv; er wäre auch verfassungswidrig.
Wenn jetzt insbesondere die Mediengewerkschaften und, ihnen folgend, die SPD den Vorwurf erheben, mit dem vorliegenden Gesetz solle die Deutsche Welle zum Sprachrohr der Bundesregierung degradiert und sollten die Journalisten gar zensiert werden, dann halte ich das wirklich für blühenden Unsinn.Durch die vorgeschlagene Reform — das ist ein Faktum — wird die Deutsche Welle nicht etwa abhängiger, wie Sie das glauben machen wollen; nein, im Gegenteil, sie wird unabhängiger. Nüchterne Tatsache ist, daß der bisherige Programmauftrag der Deutschen Welle lediglich in einem Punkt geändert worden ist, nämlich darin, daß neben der fortbestehenden Vermittlung eines umfassenden Bildes des politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Lebens zukünftig statt „der deutschen Auffassung " ausdrücklich „die deutschen Auffassungen" zu wichtigen Fragen dargestellt und erläutert werden sollen.Ich frage Sie, Herr Kollege Verheugen: Was haben Sie eigentlich dagegen? Diese Änderung wurde auf Vorschlag Ihrer Fraktion aufgenommen, und Ihre Fraktion hat dem zugestimmt.
—Ja, der Kollege Duve hatte diesen guten Einfall, und wir greifen gute Vorschläge der Opposition dankbar auf. Ich wäre froh, wenn noch ein paar mehr sinnvolle Vorschläge gekommen wären.
Hiermit wird die bereits bestehende Praxis unterstrichen, daß keineswegs einseitig, regierungsfromm berichtet werden soll. Die Deutsche Welle war immer ein von der Bundesregierung unabhängiger Sender, und sie wird es mit Sicherheit immer bleiben.Um auch nur den bösen Schein einer stärkeren staatlichen Beeinflussung zu vermeiden, haben wir im übrigen bewußt darauf verzichtet, die Rechtsaufsicht über die Deutsche Welle dem Auswärtigen Amt zuzuweisen, obwohl es auch hierfür gute Argumente gegeben hat.Es ist auch durchaus konsequent, wenn in dem viel kritisierten § 5 Abs. 3 des Entwurfs folgender Programmgrundsatz normiert wird — ich zitiere ihn vollständig, weil er in einigen Sendungen gestern und heute morgen immer nur unvollständig zitiert wurde —:Die Berichterstattung soll umfassend, wahrheitsgetreu und sachlich sein sowie in dem Bewußtsein erfolgen, daß die Sendungen der Deutschen Welle die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu ausländischen Staaten berühren können.Meine Damen und Herren, hiermit wird nicht im entferntesten den Mitarbeitern der Deutschen Welle ein Maulkorb verpaßt, wie dies gelegentlich — wie ich soeben festellen mußte, auch von Ihnen — behauptet wurde. Es handelt sich hierbei nicht um eine Gängelung, sondern es handelt sich um einen Appell an das Verantwortungsbewußtsein jedes einzelnen Journalisten.
Wie der Journalist seiner Verantwortung gerecht wird, steht in seinem freien, selbstverantworteten Ermessen. Von einer Ausschaltung von Sendungen, Herr Kollege Verheugen, steht hier überhaupt nichts drin. Die Sendungen sollen in dem im Zitat erläuterten
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Bewußtsein gemacht werden. Und ich weiß wirklich nicht, wie Sie auf den fast absurden Vorwurf kommen können, von einer Ausschaltung oder von Zensur zu reden.
Seien wir keine Traumtänzer, Herr Verheugen! Es kann doch wirklich keinem Zweifel unterliegen — Sie haben das, so finde ich, sehr gut formuliert —, daß die Sendungen der Deutschen Welle, die in nahezu allen Teilen der Welt empfangen werden können, die außenpolitischen und die außenwirtschaftspolitischen Beziehungen der Bundesrepublik in erheblichem Maße berühren, und zwar positiv und negativ. Darin stimme ich Ihnen ja völlig zu. Alles andere wäre wirklichkeitsfremd; darauf hat der Kollege Blank zu Recht hingewiesen.Insofern hat die Deutsche Welle unter den Rundfunkanstalten unbestreitbar eine Sonderstellung und eine Sonderverantwortung. Freiheit und Verantwortung gehören untrennbar zusammen.
Je größer die Freiheit, desto größer die Verantwortung. Wer deshalb auf die besondere Verantwortung des Journalisten hinweist, übt keineswegs Zensur aus, sondern spricht die Basis der grundgesetzlichen Pressefreiheit an. Ich mag Ihnen ja vielleicht noch darin folgen, daß dieser Passus möglicherweise überflüssig ist, aber den Vorwurf der Zensur weise ich mit Entschiedenheit zurück.
Die finanzielle Unabhängigkeit der Deutschen Welle wird durch den Gesetzentwurf nicht nur erhalten, sondern ausgebaut. Auch ich will keinen Hehl daraus machen, Herr Kollege Verheugen, daß ich mich — ebenso wie der Kollege Blank — zunächst für die lückenlose Globalfinanzierung der Deutschen Welle ausgesprochen hatte. Dieses gemeinsame Anliegen der Medienpolitiker scheiterte bedauerlicherweise — darauf ist hingewiesen worden — an der konsequenten Ablehnung des Finanzministeriums und aller Haushaltspolitiker, auch aus Ihrer Fraktion.Wir haben jedoch einen Kompromiß gefunden, Herr Kollege Verheugen, der sich von der damals gültigen Regelung erheblich unterscheidet. Wir haben einen Kompromiß gefunden, der sowohl dem berechtigten Anliegen der Deutschen Welle als auch dem Haushaltsrecht gerecht wird. Durch die erweiterten Möglichkeiten der Deckungsfähigkeit und Übertragbarkeit von Ausgaben gewinnt die Deutsche Welle erfreulicherweise eine so große finanzielle Flexibilität wie nie zuvor. Dabei mußten wir uns in der Frage der Flexibilität sogar über Bedenken des Bundesrechungshofes hinwegsetzen. Erstmalig überhaupt wird die Finanzierung der Deutschen Welle auf eine saubere gesetzliche Grundlage gestellt. Dies entspricht auch den gesteigerten Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht in seinem jüngsten Urteil vom 22. Februar dieses Jahres an die Finanzierung der Rundfunkanstalten gestellt hat.Was die Gremienzusammensetzung anbelangt, so hätte ich mir — das räume ich offen ein — eine schlankere Lösung gewünscht. Sie war allerdings nicht zuletzt deshalb politisch nicht durchsetzbar, weil die Länder, insbesondere auch die SPD-regierten, bei der Ausgestaltung des ZDF und bei der Ausgestaltung des Deutschlandradios mit schlechtem Beispiel vorangegangen sind. Die Gremien der Deutschen Welle sind keinen Deut staatsnäher als die des Deutschlandradios.Ich frage mich und Sie, Herr Kollege Verheugen: Wo blieb damals der Aufschrei der IG Medien, der SPD, Ihr Aufschrei? Was beim Deutschlandradio als verfassungskonform akzeptiert wurde, sollte bei der Deutschen Welle jetzt nicht als verfassungswidrig gebrandmarkt werden,
nur weil der Gesetzentwurf von den Bonner Koalitionsfraktionen stammt.
Für widersprüchlich halte ich auch das beredte Schweigen zu einem weiteren mutigen Reformschritt des vorliegenden Gesetzentwurfes. Erstmalig in der bundesrepublikanischen Mediengeschichte wurde die Verpflichtung einer öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt zur Ausstrahlung von Wahlwerbespots gestrichen. Kein Wort der Zustimmung oder gar der Würdigung kam bisher von all den Institutionen, Journalisten und Politikern, die in der Vergangenheit lauthals die Streichung der Wahlwerbespots gefordert hatten. Dieses Echo ist typisch für die teilweise ungerechte und polemische Bewertung, die dieser Gesetzentwurf insbesondere bei den Mediengewerkschaften und einigen Presseorganen — auch bei der SPD — gefunden hat.
Sicherlich erfüllt der Gesetzentwurf nicht alle Wünsche, auch nicht alle der Liberalen. Das will ich deutlich sagen. Insgesamt aber — —
— Herr Kollege Verheugen möchte eine Frage stellen. Ich will ihm die Möglichkeit dazu gerne gewähren.
Ich wollte Sie lediglich ausreden lassen. — Bitte, Herr Kollege.
Herr Kollege Otto, ist es vielleicht Ihrer Aufmerksamkeit entgangen, daß ich als Vorsitzender des Rundfunkrats der Deutschen Welle am Anfang dieses Jahres die Fraktionen des Deutschen Bundestages ausdrücklich darum gebeten habe, aus dem Gesetz die Verpflichtung zur Ausstrahlung von Wahlwerbespots zu streichen?
Herr Kollege Verheugen, mir ist das keineswegs entgangen. Ich habe Ihre Pressemitteilung lebhaft vor Augen. Ich frage mich nur, nachdem wir Ihrem sinnvollen Vorschlag auf Grund eigener Erkenntnis gefolgt sind, wo die Würdigung dieses Verhaltens liegt. Sie schlagen auf den Gesetzentwurf ein, halten ihn für ein Monstrum und vergessen zu erwähnen, daß dieser Gesetz-
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entwarf auch nach Ihrer Auffassung positive Entwicklungen haben müßte. Das ist genau der Vorwurf: daß Sie nicht konsequent sind, daß Sie diesem Gesetzentwurf nicht gerecht werden, daß hier eine Polemik an den Tag gelegt wird, die nur durch die Nähe zum Wahltermin zu erklären ist.Ich möchte zum Abschluß kommen. Ich sagte: Dieser Gesetzentwurf erfüllt nicht alle Wünsche, die wir an ihn gestellt haben. Aber er ist insgesamt ein tragfähiger, vernünftiger und auch verfassungskonformer Kompromiß. Er bringt der Deutschen Welle endlich die erforderliche Rechtssicherheit und eröffnet ihr optimale langfristige Perspektiven.Nicht zuletzt durch die Wiedervereinigung und die wachsende Rolle Deutschlands hat auch die Bedeutung der Deutschen Welle weltweit zugenommen. Ich bin sicher, daß unser deutscher Auslandssender mit Hilfe dieses Gesetzes in die Lage versetzt wird, seiner wichtigen Aufgabe weiterhin hervorragend gerecht zu werden, und appelliere an dieses Haus, der Deutschen Welle nicht nur heute die gesetzlichen, sondern auch in Zukunft die finanziellen Voraussetzungen zu schaffen.Vielen Dank.
Nun spricht der Kollege Dietmar Keller zu uns.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist offensichtlich so, daß man Gesetze und Gesetzestexte weder schön-noch schlechtreden kann. Offenbar müssen Gesetzestexte so sein, daß sie von niemandem mißbraucht werden können.
Wenn Bürgerinnen und Bürger, Betroffene und Politiker die Frage stellen, ob die Gesetzestexte eindeutig sind, und die Frage mit Nein beantworten, dann muß man die Gesetzestexte offensichtlich ändern.
Es ist mir auch völlig unklar, Herr Otto, warum in einem Gesetzestext ein Appell an Journalisten enthalten sein soll. Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß mit diesem Gesetzentwurf die Gefahr besteht, die Deutsche Welle zu einem Sprachrohr der Bundesregierung zu machen, und das, obwohl — ich darf Sie daran erinnern — ein ähnlicher Versuch 1961 mit dem ZDF schon einmal gescheitert ist und durch das Bundesverfassungsgericht abgelehnt wurde.
Sollte der Entwurf in der vorliegenden Fassung den Bundestag passieren, könnten — ich betone ausdrücklich: könnten — Journalistinnen und Journalisten des Senders künftig verpflichtet werden, einseitig die Meinung der Bundesregierung über Funk und Fernsehen im Ausland zu verbreiten.
— Da werden Sie schon genügend Mittel in der Hand
haben. Sie haben es nicht nur schon einmal probiert,
sondern die Ergebnisse der letzten Wochen legen
doch offen — sie sind für jeden nachvollziehbar —, wie das gemacht worden ist.
Jede Regierung, die die Texte für sich nicht sinnvoll nutzt, ist eine schlechte Regierung. Deshalb kämpfen wir in diesem Parlament für eindeutige Gesetzgebungen.
Nicht beachtet wird im Gesetzentwurf — —
Herr Abgeordneter Keller, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Otto zu beantworten?
Herr Präsident, ich war zwar mitten im Satz, aber Ihnen zuliebe mache ich es auch mitten im Satz.
Danke schön. — Herr Kollege Keller, würden Sie mir darin zustimmen, daß es einen sehr großen Unterschied macht, ob ich in ein Gesetz eine gewisse Verantwortung für Programmgrundsätze hineinschreibe, wie wir das hier tun, oder ob ich direkte Eingriffe in die Presse erlaube, wie dies in der früheren DDR der Fall war? Ich denke, daß Sie diesen Unterschied zur Kenntnis nehmen und würdigen sollten. Es ist nicht das gleiche, ob Sie eine Verantwortung und einen bestimmten Rahmen festsetzen, innerhalb dessen sich die Journalisten frei bewegen können, oder ob Sie direkte Eingriffe zulassen.
Herr Otto, wenn Sie mich wegen meiner Geschichte ansprechen, kann ich Ihnen nur antworten: Gebranntes Kind scheut das Feuer. Da ich so große Erfahrungen über den Mißbrauch der Medien in der DDR gesammelt habe, kann ich nur warnen, hier im Parlament Gesetzestexte zu verabschieden, die die Gefahr beinhalten, daß die Regierung ihre Möglichkeiten nutzt, über die vorhandenen Gesetze und über Gesetzesformulierungen Eingriffe bei Sendern von Funk und Fernsehen vorzunehmen.
Nicht beachtet wird aus meiner Sicht im Gesetzentwurf auch das Gebot der Staatsferne bei der Besetzung der Gremien.
Die Tarifautonomie wird angegriffen. Es ist mir völlig unerklärlich, daß, nachdem Bundeskanzler Kohl gestern vor dem DGB-Kongreß die Tarifautonomie heilig gesprochen hat, heute hier im Parlament ein Gesetz behandelt wird, in dem diese Tarifautonomie angegriffen ist.
Durch Einschränkungen bei der Mitbestimmung und Eingriffe in den Datenschutz werden in wichtigen und grundlegenden Gesetzesbereichen restriktive Sonderregelungen für die Deutsche Welle geschaffen, die hoffentlich einer Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht nicht standhalten.
Schließlich wird durch die Finanzierungsregelung im neuen Gesetz die Verbürokratisierung und damit die Abhängigkeit von Regierung und Ministerialbeamten festgeschrieben. Die Deutsche Welle wird hinsichtlich ihrer Finanzierung und ihres Haushaltsgebarens wie eine Bundesbehörde behandelt werden. Die für ihre informationspolitische Unabhängigkeit
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Dr. Dietmar Keller
notwendige Staatsferne ist auch in diesem Punkt anscheinend gefährdet.
Das Gesetz verhindert sowohl eine demokratische Willensbildung nach innen als auch eine freie und unabhängige Berichterstattung nach außen und macht die Erfüllung neuer Anforderungen und die Entwicklung qualitätsorientierter Programme, mit denen die Deutsche Welle international konkurrieren könnte, unmöglich. Diesem Gesetz können wir nicht zustimmen.
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Konrad Weiß das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf über den deutschen Auslandsrundfunk ist im Vorfeld dieser Beratung unter erhebliche Kritik geraten und heute hier natürlich auch.
Grundsätzlich — das will ich ausdrücklich betonen — unterstützt es BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, daß der deutsche Auslandsrundfunk nun auf rechtlich sichere Füße gestellt wird. Wir begrüßen, daß der im Gesetz vorgeschriebene Programmauftrag neben die Selbstdarstellung deutscher Politik, Kultur und Wirtschaft gleichwertig den Beitrag zur friedlichen Völkerverständigung und europäischen Integration stellt.
Das erinnert mich an die Zielstellung, die sich die Bürgerbewegungen für freie Medien in der DDR gegeben hatten. Bereits am 5. Februar 1990 verabschiedete die Volkskammer der DDR unter dem Druck des Runden Tisches einen Medienbeschluß, der unsere Vorstellungen über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk realisierte.
Gerade weil wir in der DDR so schlimme Erfahrungen mit der Zensur, mit Staats- und Parteipropaganda, mit Lügen, Verfälschungen und Verschleierungen in den Medien gemacht haben, sind wir außerordentlich sensibel für jede Einschränkung der Meinungs- und Medienfreiheit. Dieser Entwurf enthält leider einige Formulierungen, meine Damen und Herren, die eine gravierende Einschränkung dieser Freiheiten bedeuten könnten.
Zwar verbietet § 7 Abs. 4 des Gesetzes ausdrücklich die Einflußnahme von Dritten auf die Gestaltung und den Inhalt von Sendungen, aber sind damit auch die Parteien und die Bundesregierung gemeint? Ich habe meine Zweifel.
Im Absatz über den Programmauftrag heißt es, daß die Sendungen — ich zitiere — „einen objektiven Überblick über das Weltgeschehen geben sowie die deutsche Auffassung zu wichtigen Fragen darstellen und erläutern" sollen.
Ohne hier einen medientheoretischen Streit entfachen zu wollen, sage ich: Die Forderung nach Objektivität ist einfach Quatsch. Natürlich können und müssen sich Medienmacher um objektive Darstellung bemühen, aber es gehört zum Wesen gerade der elektronischen Medien, daß jede Sendung in erheblicher Weise immer auch subjektiv ist, und das ist gut so, denn sonst wären Hörfunk und Fernsehen stinklangweilig. Was wesentlich ist, das ist die eindeutige Trennung von Nachricht und Meinung. Vielleicht haben die Autoren des Gesetzes das gemeint, aber dann sollten sie es auch ausdrücken.
Ebenso unsinnig ist es, die deutsche Auffassung darstellen zu sollen. Selbst in der totalitären Medienlandschaft der DDR konnte das zum Glück nicht durchgesetzt werden. In einer Gesellschaft, die sich pluralistisch versteht, ist diese Forderung erst recht absurd.
Selbst aus einem kleinen Verein wie der Bundesregierung ist niemals nur die deutsche Auffassung zu vernehmen, sondern nur eine, wenn auch gewichtige, von vielen.
Unsinnig ist auch der Programmgrundsatz in § 5, die Berichterstattung solle — ich zitiere — „in dem Bewußtsein erfolgen, daß die Sendungen der Deutschen Welle die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu auswärtigen Staaten berühren können". Auf den ersten Blick erscheint das als Binsenweisheit; auf den zweiten Blick enthält dieser Passus jedoch eine ernsthafte Bedrohung, denn das könnte auch bedeuten, daß mit Rücksicht auf außenpolitische Eskapaden der Bundesregierung, wie z. B. unlängst bei der Verbrüderung des Bundeskanzlers mit den chinesischen Kommunisten, keine Kritik an den Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen fragwürdiger Kumpane mehr möglich ist. Gerade aber darin liegt — auch das sage ich in dankbarer Erinnerung an die wichtige Rolle der Westmedien in der DDR — eine große Aufgabe und ein erhebliches Potential.
Es muß auch Aufgabe des deutschen Auslandsrundfunks sein, über gefährliche Entwicklungen, über Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen an anderen Orten der Welt zu berichten — auch und gerade, wenn der Bundesregierung das nicht paßt. Kritisch, meine Damen und Herren, sehen wir auch die Besetzung des Rundfunkrates und die beabsichtigten Eingriffe in die Tarifautonomie.
Wir unterstützen deshalb die vorliegenden Änderungsanträge der SPD, hoffen allerdings, daß die Länder die berechtigte Kritik am vorliegenden Gesetz nicht dazu mißbrauchen, den nationalen Rundfunk erneut zu blockieren.
Ich bedanke mich.
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Dr. Ulrich Briefs.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994 20345
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei dem vorliegenden Auslandsrundfunkgesetz müssen gleich mehrere Alarmglocken schrillen. Dieses Gesetz bedeutet einen bislang beispiellosen Einstieg — sieht man von Adenauers Versuch ab, das Zweite Deutsche Fernsehen als Privat-GmbH zu gründen — in einen regierungsfrommen Verlautbarungsrundfunk. Staatsräson soll zunächst nach außen absolut vor Meinungs- und Rundfunkfreiheit gehen.
— Sie wissen ganz genau, daß das der Kern der Geschichte ist.
Was das an zukünftiger Korruption und Korrumpierbarkeit bedeuten kann, kann man jetzt nur erahnen. Dem durch ausländerfeindliche und rassistische Pogrome bereits stark beeinträchtigten Bild Deutschlands nach außen, das der Bundesaußenminister übrigens — ich war dabei — so vehement und mit Beifall auf dem DGB-Bundeskongreß angesprochen hat, würde erheblicher weiterer Schaden zugefügt.
Nicht übersehen werden darf hier in diesem Hause, dessen Hauptpflicht es sein müßte, über die Einhaltung der Menschen- und Freiheitsrechte zu wachen, wie zum einen mit diesem Gesetz nach außen die Unterstützung von Menschenrechtsorganisationen in anderen Ländern beschnitten wird, wie zum anderen damit hier im Lande die Meinungsfreiheit und insbesondere die Rundfunkfreiheit beeinträchtigt werden.
Die Väter der Verfassung der BRD wollten aus guten Gründen nach der NS-Erfahrung einen ganz staatsfernen Rundfunk. Dieses Verfassungsprinzip soll mit diesem Gesetz über den Auslandsrundfunk offensichtlich auf kaltem Wege durchbrochen werden.
Immer noch wird dagegen verstoßen, daß der Rundfunkrat ein Repräsentationsorgan der Bürgerinteressen und ihrer Vielfalt sein sollte. Was soll es, daß 14 von 30 Mitgliedern von Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung, also im wesentlichen den großen Parteien, gestellt werden? Der 15. soll ein Vertreter ausgerechnet der Vertriebenenverbände sein. Er sowie die Vertreter der Wirtschaftsverbände machen dann die Balance der etablierten Interessen vollständig. So kann man sich das doch wirklich nicht vorstellen.
Da haben sich also die Bundesregierung und die Koalitionsparteien eine famose Dreierkonstruktion einfallen lassen: maulkorbähnliche Praktiken gegenüber den Journalisten, die rechtliche Verankerung einer beginnenden Zensur und der Schere im Kopf auf der einen Seite, eine geradezu karikative Repräsentanz der Bürgerinteressen, eine Zementierung des Einflusses der herrschenden Interessen auf der anderen Seite.
Als drittes kommt hinzu die Aushebelung von Mitbestimmungsrechten der demokratisch gewählten Interessenvertretung der Beschäftigten sowie der Tarifautonomie und auch sozialer Schutzrechte, insbesondere der festen freien Mitarbeiter.
Ein Personalrat, der nicht einmal beratend an Rundfunkratssitzungen teilnehmen kann, ist doch nichts anderes als die institutionalisierte Ohnmacht. Die Bindung der Tarifverträge für die Deutsche Welle an die Zustimmung des Bundesinnenministeriums und des Bundesfinanzministeriums bedeutet den Einstieg ins Lohndiktat und verstößt gegen das Verfassungsprinzip der Tarifautonomie.
Herr Abgeordneter Dr. Briefs, entschuldigen Sie, wenn ich unterbreche. Der Abgeordnete Weiß möchte Ihnen eine Frage stellen. Aber ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn die Antwort nicht länger als Ihre gesamte Redezeit wäre.
— Sie wird nicht angerechnet, eben, deswegen sage ich das. — Bitte schön.
Herr Kollege Briefs, Sie beschwören hier so lebhaft die Medienfreiheit. Mich würde mal interessieren, wie Sie einschätzen, was Ihre alten Kumpane und Busenfreunde Thomas Ebermann und Gremlitza und der Chefredakteur Kolodziej, die jetzt die „Junge Welt" übernommen haben, davon halten. Denn die „Junge Welt"-Redakteure beklagen sich, daß es jetzt unter diesen altlinken Redakteuren und Herausgebern schlimmer ist, als es je zu SED-Zeiten gewesen ist.
Nun habe ich vielleicht nicht mehr so unbedingt etwas mit den angesprochenen Gruppen, Personenkreisen usw. zu tun. Das ist aber nicht der Punkt. Wenn das so ist, Herr Kollege Weiß, wie Sie sagen, dann ist natürlich aus dem von mir hier angesprochenen Prinzip heraus in der Tat auch dagegen mit allen politischen und allen sonstigen faktischen Mitteln anzugehen. Ich werde mich im übrigen sofort kundig machen. Eine Mitarbeiterin von mir ist Mitarbeiterin der „Jungen Welt" geworden.
— Kommen Sie, machen Sie es nicht so billig. Ich habe da wahrscheinlich einen besseren Zugang als Sie, weil eine Mitarbeiterin von mir Mitarbeiterin der „Jungen Welt" geworden ist.
— Danke schön; das nehme ich gerne als ernstgemeintes Kompliment an.Ich komme zum Schluß, Herr Präsident.Die Koppelung der Tarife der Deutschen Welle an dienstrechtliche Vorschriften übersieht einfach notwendige Besonderheiten der Rundfunkarbeit. Das wird von der IG Medien, finde ich, zu Recht gesagt. Was soll das, daß feste freie Mitarbeiter nicht als Beschäftigte anerkannt werden? Dieses Gesetz ist nicht wie manches andere hier ein Ausrutscher, eine Panne. Es ist System; es hat System. Es kann der
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20346 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994
Dr. Ulrich BriefsAnfang vom Ende des bisherigen — ich meine, es hat viele Mängel — relativ liberalen Presse- und Rundfunkrechts überhaupt sein.Wenn wir zudem sehen, wie derzeit die Justiz gegen Presseorgane aller möglichen Couleur vorgeht, und nun für den Rundfunkbereich das hier sehen, so müssen, wie gesagt, die Alarmglocken ganz besonders deutlich schrillen, hier im Hause und draußen bei den Betroffenen. Irgendwelche Floskeln über den nationalen Rundfunk helfen nun wirklich nicht weiter. Es sind ganz erstaunlich neue Töne aus der Richtung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.Herr Präsident, ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.Wir kommen zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 11 a, über den von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Gesetzentwurf über den deutschen Auslandsrundfunk. Er liegt Ihnen auf den Drucksachen 12/7401 und 12/7927 vor.Hierzu gibt es einen Änderungsantrag der Fraktion der SPD. Er liegt Ihnen auf der Drucksache 12/7969 vor. Über ihn lasse ich zunächst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist der Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt.Nun möchte ich diejenigen um das Handzeichen bitten, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zuzustimmen wünschen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit der gleichen Mehrheit angenommen. Wir kommen zurdritten Beratung und Schlußabstimmung:Diejenigen, die dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünschen, bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Lesung angenommen.Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD. Er liegt Ihnen auf Drucksache 12/7967 vor. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Entschließungsantrag ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt.Wir kommen nunmehr zum Tagesordnungspunkt 11 b, Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zu einem nationalen Hörfunk sowie zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Neuregelung der deutschen Rundfunklandschaft. Das liegt Ihnen auf den Drucksachen 12/3623, 12/2749 und 12/6698 unter Nr. 1 vor. Der Ausschuß empfiehlt, die Anträge für erledigt zu erklären. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.Unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 12/6698 empfiehlt der Innenausschuß, die Bundesregierung aufzufordern, schnellstmöglich den Entwurf einer gesetzlichen Grundlage für die Deutsche Welle vorzulegen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung?
— Es tut mir schrecklich leid: Nr. 1 hatten wir erledigt, nicht die Nr. 2.
— Das ist in der Tat richtig, jawohl. Das ist eine sehr unglückliche Vorlage.Ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte 25 a bis 25 f und Zusatzpunkt 6a bis 6f auf:25. Überweisungen im vereinfachten Verfahrena) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Siebzehnten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und eines Vierzehnten Gesetzes zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes— Drucksache 12/7777 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GOb) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anderung des Zeitgesetzes— Drucksache 12/7631 —Überweisungsvorschla g: Innenausschußc) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 19. November 1991 zu dem Übereinkommen von 1979 über weiträumige grenzüberschreitende Luftverunreinigung betreffend die Bekämpfung von Emissionen flüchtiger organischer Verbindungen oder ihres grenzüberschreitenden Flusses— Drucksache 12/7846 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheitd) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu internationalen Übereinkommen über den Schutz der Meeresumwelt des Ostseegebietes und des Nordostatlantiks— Drucksache 12/7847 —Überweisungsvorschl ag:Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzunge) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994 20347
Vizepräsident Dieter-Julius Cronenbergzes zu dem Abkommen vom 16. Dezember 1992 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Russischen Föderation über die gegenseitige Hilfeleistung bei Katastrophen oder schweren Unglücksfällen— Drucksache 12/7506 —Überweisungsvorschlag:Innenausschuß
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheitf) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 2. Dezember 1993 zwIschen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Namibia zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen— Drucksache 12/7771 —Überweisungsvorschlag:Finanzausschuß Auswärtiger AusschußZP6 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes und anderer Gesetze— Drucksachen 12/7842, 12/7910 —Überweisungsvorschlag:Finanzausschuß
InnenausschußAusschuß für WirtschaftHaushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GOb) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 5. April 1993 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Lettland über die Seeschiffahrt— Drucksache 12/7769 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Verkehr Auswärtiger Ausschußc) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung der bäuerlichen Landwirtschaft— Drucksache 12/7770 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheitd) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Flurbereinigungsgesetzes
— Drucksache 12/7909 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheite) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Errichtung einer Bundeskanzler-Willy-BrandtStiftung— Drucksache 12/7880 —Überweisungsvorschlag:Innenausschuß RechtsausschußHaushaltsausschuß gemäß § 96 GOf) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes
— Drucksache 12/7924 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für GesundheitAusschuß für WirtschaftInterfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? — Offensichtlich der Fall. Dann beschlossen.Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, habe ich noch folgendes mitzuteilen. Interfraktionell ist vereinbart worden, Tagesordnungspunkt 26d — das ist eine Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Vorschlag für einen Beschluß des Rates über den Abschluß eines Übereinkommens zum Schutz und zur Nutzung grenzüberschreitender Wasserläufe und internationaler Seen im Namen der Gemeinschaft von der Tagesordnung abzusetzen. Ist das Haus damit einverstanden? — Offensichtlich der Fall. Dann beschlossen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 26a bis c, e bis h, j bis✓ sowie den Zusatzpunkt 7 a bis c auf:26. Abschließende Beratung ohne Aussprachea) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europa-Abkommen vom 1. Februar 1993 zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften sowie ihren Mitgliedstaaten und Rumänien— Drucksache 12/7010 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 12/7787 —Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Elke Leonhardb) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europa-Abkommen vom 8. März 1993 zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften sowie ihren Mitgliedstaaten und der Republik Bulgarien
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20348 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994
Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg— Drucksache 12/7012 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 12/7851 —Berichterstattung:Abgeordneter Dr. Hermann Schwörerc) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Obereinkommen vom 17. März 1992 zum Schutz und zur Nutzung grenzüberschreitender Wasserläufe und internationaler Seen
— Drucksache 12/7190 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
— Drucksache 12/7913 —Berichterstattung: Abgeordnete Wolfgang EhlersDietmar SchützJosef Grünbecke) — Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Protokollen vom 27. November 1992 zur Änderung des Internationalen Übereinkommens von 1969 über die zivilrechtliche Haftung für Ölverschmutzungsschäden und zur Änderung des Internationalen Übereinkommens von 1971 über die Errichtung eines Internationalen Fonds zur Entschädigung für Ölverschmutzungsschäden— Drucksache 12/6364 —
— Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ölschadengesetzes— Drucksache 12/6373 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 12/7602 —Berichterstattung:Abgeordnete Hermann Bachmaier Dr. Bertold Reinartzf) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung des Rechtsfriedens und zur Bekämpfung des Schlepperunwesens— Drucksache 12/5683 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
— Drucksache 12/7827 —Berichterstattung:Abgeordnete Erwin Marschewski Günter GrafDr. Burkhard Hirschg) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Errichtung einer Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung und zur Änderung von Vorschriften auf den Gebieten der Land- und Ernährungswirtschaft— Drucksache 12/7133 —
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
— Drucksache 12/7853 —Berichterstattung: Abgeordneter Horst Sielaffbb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 12/7854 —Berichterstattung:Abgeordnete Bartholomäus Kalb Dr. Sigrid HothErnst Kastningh) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Markenrechts und zur Umsetzung der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken
— Drucksache 12/6581 — (Erste Beratung 208. Sitzung)
aa) Beschlußempfehlung und Bericht desRechtsausschusses
— Drucksache 12/7671 —Berichterstattung:Abgeordnete Klaus-Heiner Lehne Ludwig Stieglerbb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 12/7679 —Berichterstattung:Abgeordnete Karl Diller Dr. Gero Pfennigj) — Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des D-Markbilanzgesetzes— Drucksache 12/7262 —
— Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Ent-
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994 20349
Vizepräsident Dieter-Julius Cronenbergwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Handelsgesetzbuches— Drucksache 12/7570 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 12/7912 —Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Wolfgang GötzerDr. Wolfgang Frhr. von Stetten Ludwig StieglerDr. Hans de Withk) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 6. November 1990 über die allgemeine Gleichwertigkeit der Studienzeiten an Universitäten— Drucksache 12/6916 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses
— Drucksache 12/7889 —Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Volkmar Köhler
Gert Weisskirchen
Dr. Cornelia von Teichman1) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 18. März 1993 zur Änderung des Zusatzabkommens zum NATOTruppenstatut und zu weiteren Übereinkünften— Drucksache 12/6477 —
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses
— Drucksache 12/7957 —Berichterstattung:Abgeordnete Klaus Francke
Karsten D. Voigt
Ulrich Irmerbb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 12/7958 —Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Klaus Rose Dr. Sigrid HothErnst Walthemathem) Beratung und Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Antrag der Abgeordneten Gerd Andres, Peter Büchner (Speyer), Edelgard Bulmahn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDMitbestimmungsrechte der Zivilbeschäftigten bei den Alliierten Stationierungsstreitkräften— Drucksachen 12/2138, 12/7464 —Berichterstattung: Abgeordneter Peter Kellern) Beratung und Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministeriums der FinanzenEinwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung zur Veräußerung des bundeseigenen Grundstückes in München an der Heidemannstraße— Drucksachen 12/7146, 12/7624 —Berichterstattung:Abgeordnete Helmut Esters Adolf Roth
Werner Zywietzo) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministeriums der FinanzenVeräußerung bundeseigener Liegenschaften im Wert von mehr als 30 Mio. DMhier: Ehemalige NVA-Kaserne in Zwickau, Werdauer Straße— Drucksachen 12/7311, 12/7626 —Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Nils Diederich Adolf Roth (Gießen)Dr. Wolfgang Weng
p) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Präsidenten des BundesrechnungshofesRechnung des Bundesrechnungshofes für das Haushaltsjahr 1992 — Einzelplan 20 —— Drucksachen 12/4844, 12/7627 —Berichterstattung:Abgeordnete Rudolf Purps Roland Sauer Karl DeresIna Albowitzq) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für den Gefahrguttransport auf der Straße— Drucksachen 12/6902 Nr. 2.51, 12/7636 —Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Margrit Wetzelr) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
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20350 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994
Vizepräsident Dieter-Julius CronenbergVorschlag für eine Richtlinie des Rates über einheitliche Verfahren für die Kontrolle von Gefahrguttransporten auf der Straße— Drucksachen 12/6970 Nr. 13, 12/7637 —Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Margrit Wetzels) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Festlegung der höchstzulässigen Gewichte und Abmessungen für Straßenfahrzeuge über 3,5 Tonnen im innergemeinschaftlichen Verkehr— Drucksachen 12/6970 Nr. 14, 12/7652 —Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Rolf Nieset) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu der Unterrichtung durch das Europäische ParlamentEntschließung zur Beseitigung der rechtlichen Hindernisse für die Verwendung des ECU— Drucksachen 12/6231, 12/7663 —Berichterstattung: Abgeordnete Wilfried SeibelGerhard SchüßlerDr. Norbert Wieczoreku) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 153 zu Petitionen— Drucksache 12/7698 —v) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 154 zu Petitionen— Drucksache 12/7699 —ZP7 weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache
a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 2. Dezember 1993 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Namibia zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen— Drucksache 12/7771 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache 12/7894 —Berichterstattung: Abgeordneter Wilfried Seibelb) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommenvom 15. Juli 1993 über den Rechtsstatus desinternationalen Suchdienstes in Arolsen — Drucksache 12/6824 —
Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses
— Drucksache 12/7903 —Berichterstattung:Abgeordnete Heinrich Lummer Volker Neumann Ulrich Irmerc) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.Förderung des Einsatzes biologisch schnell abbaubarer Schmierstoffe und Hydraulikflüssigkeiten— Drucksache 12/7915 —Es handelt sich um Beschlußfassungen zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Wir kommen also zu einem Abstimmungsmarathon. Ich bitte um Ihre Geduld und Aufmerksamkeit.Wir beginnen mit Tagesordnungspunkt 26a: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Europa-Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und Rumänien, Drucksache 12/7010. Der Ausschuß für Wirtschaft empfiehlt Ihnen auf Drucksache 12/7787, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die diesem Vorschlag folgen wollen, sich zu erheben. Es handelt sich um einen internationalen Vertrag, und da haben wir keine dritte Lesung. — Dagegen? — Damit ist der Gesetzentwurf angenommen.Tagesordnungspunkt 26b: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Europa-Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und der Republik Bulgarien. Das liegt auf Drucksache 12/7012 vor. Der Ausschuß für Wirtschaft empfiehlt Ihnen auf Drucksache 12/7851, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Dagegen? — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Tagesordnungspunkt 26 c: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen zum Schutz grenzüberschreitender Wasserläufe. Der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt auf Drucksache 12/7913, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Dagegen? — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Tagesordnungspunkt 26 e: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des internationalen Übereinkommens über die zivilrechtliche Haftung für Ölverschmutzungsschäden und über die Errichtung eines Entschädigungsfonds. Das liegt Ihnen auf Drucksache 12/6364 vor. Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/7602 unter Buchstabe a, den
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994 20351
Vizepräsident Dieter-Julius CronenbergGesetzentwurf unverändert anzunehmen. Diejenigen, die dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünschen, bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Gegen die Stimmen der Gruppe PDS/Linke Liste angenommen.Tagesordnungspunkt 26 e: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Ölschadengesetzes. Das liegt Ihnen auf Drucksache 12/6373 vor. Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/7602 unter Buchstabe b, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Dagegen? — Gegen die Stimmen der Gruppe PDS/Linke Liste in zweiter Beratung angenommen.Wir kommen zurdritten Beratungund Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zustimmen möchte, den bitte ich, sich zu erheben. — Dagegen? — Mit der gleichen Mehrheit wie in der zweiten Beratung angenommen.Tagesordnungspunkt 26 f: Gesetzentwurf des Bundesrates zur Stärkung des Rechtsfriedens und zur Bekämpfung des Schlepperunwesens. Es liegt Ihnen auf Drucksache 12/5683 vor. Der Innenausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/7827, den Gesetzentwurf für erledigt zu erklären. — Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? — Dagegen? — Gegen die Stimmen der Gruppe PDS/Linke Liste angenommen.Tagesordnungspunkt 26 g: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Errichtung einer Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung und zur Änderung von Vorschriften auf den Gebieten der Land- und Ernährungswirtschaft. Das liegt Ihnen auf den Drucksachen 12/7133 und 12/7853 vor. Diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zuzustimmen wünschen, bitte ich um das Handzeichen. — Dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Gruppe PDS/ Linke Liste mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und SPD in zweiter Beratung angenommen.Wir kommen zurdritten Beratungund Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Dagegen? — Enthaltungen? — Mit der gleichen Mehrheit wie in der zweiten Beratung angenommen.Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 26h: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Markenrechtsreformgesetzes. Dies liegt Ihnen vor auf den Drucksachen 12/6581 und 12/7671.Diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen möchten, bitte ich um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? —Enthaltungen? — PDS/Linke Liste. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Lesung angenommen.Dritte Beratung und Schlußabstimmung.Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, bitte ich, sich vom Platz zu erheben. Enthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie in der zweiten Lesung angenommen.Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 26j: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des D-Markbilanzgesetzes — Drucksachen 12/7262 und 12/7912, Buchstabe a.Wer dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? — PDS/Linke Liste. Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Lesung angenommen.Dritte Beratung und Schlußabstimmung.Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zustimmen möchte, bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Enthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf gegen die Stimmen der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN — bei unterschiedlichem Abstimmungsverhalten — und bei Enthaltung der PDS/Linke Liste in dritter Beratung angenommen worden.Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 26j. Unter Buchstabe b seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 12/7912 empfiehlt der Rechtsausschuß, den Gesetzentwurf der SPD zur Änderung des Handelsgesetzbuchs auf Drucksache 12/7570 für erledigt zu erklären.Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? Dagegen? — Enthaltungen? — PDS/Linke Liste. Damit ist die Beschlußempfehlung angenommen.Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 26k: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Europäischen Übereinkommen über die allgemeine Gleichwertigkeit der Studienzeiten an Universitäten — Drucksache 12/6916. Der Auswärtige Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/7889, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen.Wer dies möchte, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. Enthaltungen? — Dagegen? — Damit ist der Gesetzentwurf einstimmig angenommen.Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 261: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut und zu weiteren Übereinkünften. Dies liegt Ihnen vor auf den Drucksachen 12/6477 und 12/7957.Diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zuzustimmen wünschen, bitte ich, sich vom Platz zu erheben. Dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf gegen die Stimmen der PDS/Linke Liste und bei Enthaltung der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN angenommen worden.Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 26m: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und
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20352 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994
Vizepräsident Dieter-Julius CronenbergSozialordnung zu dem Antrag der Fraktion der SPD zu den Mitbestimmungsrechten der Zivilbeschäftigten bei den Alliierten Stationierungsstreitkräften — Drucksachen 12/2138 und 12/7464 Nr. 1. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag für erledigt zu erklären.Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung. Dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist die Beschlußempfehlung bei Enthaltung der PDS/Linke Liste angenommen.Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung die Annahme einer Entschließung.Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist die Beschlußempfehlung bei Enthaltung der PDS/Linke Liste angenommen.Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 26n: Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zur Veräußerung des bundeseigenen Grundstücks in München an der Heidemannstraße. Dies liegt Ihnen vor auf den Drucksachen 12/7146 und 12/7624.Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist bei Enthaltung der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN angenommen.Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 26o: Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zur Veräußerung bundeseigener Liegenschaften im Wert von mehr als 30 Millionen DM. Es handelt sich um eine ehemalige NVA-Kaserne in Zwickau. Der Antrag des Bundesministeriums der Finanzen und die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses liegen Ihnen vor auf den Drucksachen 12/7311 und 12/7626.Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist bei Enthaltung der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN angenommen.Tagesordnungspunkt 26p: Die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Präsidenten des Bundesrechnungshofes zur Rechnung für das Haushaltsjahr 1992 liegt Ihnen auf der Drucksache 12/7627 vor. Wer dieser Beschlußempfehlung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Angenommen.Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 26q. Die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr zum Vorschlag für eine Richtlinie der Europäischen Union zur Angleichung der Rechtsvorschriften für den Gefahrguttransport auf der Straße liegt Ihnen auf der Drucksache 12/7636 vor. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Tagesordnungspunkt 26r: Die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr zu dem Richtlinienvorschlag der Europäischen Union über einheitliche Verfahren für die Kontrolle für Gefahrguttransporte auf der Straße liegt Ihnen auf der Drucksache 12/7637 vor. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? —Dagegen? — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Tagesordnungspunkt 26s: Die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr zu dem Richtlinienvorschlag der Europäischen Union zur Festlegung der höchstzulässigen Gewichte und Abmessungen für Straßenfahrzeuge über 3,5 t liegt Ihnen auf der Drucksache 12/7652 vor. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? — Enthaltungen? — Dagegen? — Gegen die Stimmen der PDS/Linke Liste ist die Beschlußempfehlung angenommen worden.Tagesordnungspunkt 26t: Die Beschlußempfehlung des Finanzausschusses zur Entschließung des Europäischen Parlaments zur Beseitigung der rechtlichen Hindernisse für die Verwendung des ECU finden Sie auf der Drucksache 12/7663. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? — Enthaltungen? — Dagegen? — Einstimmig angenommen.Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 26u und 26v mit den Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses auf den Drucksachen 12/7698 und 12/7699. Das betrifft die Sammelübersichten 153 und 154. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlungen? — Dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der PDS/Linke Liste angenommen.Wir kommen zu Zusatzpunkt 7 b, Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Übereinkommen über den Rechtsstatus des internationalen Suchdienstes in Arolsen, Drucksache 12/6824. Der Auswärtige Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/7903, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Wer dieses möchte, muß sich vom Platz erheben. — Dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der PDS/Linke Liste ist der Gesetzentwurf angenommen.Wir kommen zu Zusatzpunkt 7 a, Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Abkommen mit der Republik Namibia zur Vermeidung der Doppelbesteuerung, Drucksache 12/7771. Der Finanzausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/7894, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Wer dieses will, möge sich bitte vom Platz erheben. — Damit ist dieser Gesetzentwurf unverändert angenommen worden, und zwar einstimmig.Wir kommen zum Zusatzpunkt 7 c. Wir stimmen jetzt ab über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zur Förderung des Einsatzes biologisch schnell abbaubarer Schmierstoffe und Hydraulikflüssigkeiten. Er liegt Ihnen vor auf Drucksache 12/7915. Wer stimmt für diesen Antrag? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der Fraktion der SPD und der Gruppen PDS/Linke Liste und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist der Antrag angenommen worden.Meine Damen und Herren, zunächst einmal bedanke ich mich für Ihre Geduld bei diesem Abstimmungsmarathon. Wir kommen jetzt zur Fragestunde:2. Fragestunde— Drucksache 12/7821 —Wir kommen zunächst einmal zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Hier steht uns Staats-
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994 20353
Vizepräsident Dieter-Julius Cronenbergminister Helmut Schäfer zur Beantwortung zur Verfügung.
Oh, da ist mir eine falsche Vorlage gemacht worden. Selbstverständlich hat der Bundeskanzler als erster die Ehre.Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers auf. Zur Beantwortung steht Staatsminister Bernd Schmidbauer zur Verfügung. Ich rufe die Frage 6 des Abgeordneten Stephan Hilsberg auf:Falls Zeitungsberichte aus Griechenland über Sonderwünsche des Bundeskanzlers zur Ausstattung seines Hotelzimmers beim EU-Gipfeltreffen auf Korfu zutreffen, frage ich die Bundesregierung: Ist es richtig, daß Beamte des Bundeskanzleramtes die beabsichtigte Unterbringung des Kanzlers in einem Luxushotel als „gerade noch zumutbar" eingestuft haben, und wenn ja, aus welchen Gründen?
Herr Kollege, Zeitungsberichte über Sonderwünsche des Bundeskanzlers zur Ausstattung seines Hotelzimmers beim EU-Gipfeltreffen auf Korfu sind falsch. Beamte des Kanzleramtes haben die beabsichtigte Unterbringung des Kanzlers im Hotel zu keinem Zeitpunkt kritisiert. Dieses von der griechischen EUPräsidentschaft für die Unterbringung der deutschen Delegation zugewiesene Hotel hat keinen Anlaß zu Beanstandungen gegeben.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hilsberg? — Nein.
Dann kommen wir zur Frage 7 des Abgeordneten Hilsberg:
Welche Kosten verursachen die Sonderwünsche des Beamten des Bundeskanzlers nach Doppeltüren, extralangem Bett und Sondermatratze?
Bernd Schmidbauer, Staatsminister: Die Meldungen, Herr Kollege, Beamte des Bundeskanzleramtes hätten Sonderwünsche nach Doppeltüren geäußert, sind falsch. Richtig ist, daß keinerlei bauliche Veränderungen gefordert wurden. Dies ist auch in der Vergangenheit nie der Fall gewesen.
Richtig ist, daß der einzige Wunsch des Bundeskanzlers angesichts seiner Körpergröße von 1,93 m auf Auslandsreisen ist, ein ausreichend langes Bett bereitgestellt zu bekommen. Dieser Wunsch wurde der Leitung des Hotels „Imperial" übermittelt. Ohne jede Diskussion sagte die Hoteldirektion die Erfüllung dieser Bitte zu. Sie wissen, daß wir einen sehr großen Bundeskanzler haben, wenn es um die Länge geht, aber auch sonst, und 1,93 m sind eine Länge, wo das Bett nicht immer ausreichend ist, um so unterzukommen, wie das notwendigerweise der Fall sein müßte.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hilsberg?
Was die körperlichen Ausmaße des Bundeskanzlers betrifft, stimme ich Ihnen ausdrücklich zu. Ansonsten bedanke ich mich für die Auskunft.
Ich darf das Haus darauf aufmerksam machen, daß wir im Grunde genommen nur noch drei bis vier Fragen haben. Ich würde die Geschäftsführer bitten, dafür
Sorge zu tragen, daß die Redner für den nächsten Tagesordnungspunkt möglichst schnell erscheinen. Das ist auch deswegen wichtig, weil wir im Zeitablauf praktisch eine Stunde zurückliegen. Wir könnten damit unheimlich viel Zeit aufholen.
Ich lege, weil ich das Glück oder Pech habe, als letzter heute abend hier präsidieren zu müssen, ganz besonderen Wert darauf. Deswegen bitte ich die Geschäftsführer nachhaltig, diesem meinem Wunsche Folge zu leisten.
Der Geschäftsbereich des Bundesministers für Verteidigung braucht nicht aufgerufen zu werden. Der Abgeordnete Jürgen Augustinowitz hat seine Frage 12 zurückgezogen, und die Abgeordnete Frau Dr. Elke Leonhard will die Fragen 13 und 14 schriftlich beantworten lassen. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Hier steht uns Herr Staatsminister Schäfer zur Verfügung.
Die Frage 26 des Abgeordneten Claus Jäger wird auf dessen Wunsch schriftlich beantwortet. Das gleiche trifft für die Frage 27 des Abgeordneten Ortwin Lowack zu. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 28 der Abgeordneten Frau Birgit Homburger auf:
Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen gegen Hetzkampagnen im Ausland gegen die Bundesrepublik Deutschland, wie sie z. B. in der „Washington Post" zu finden waren, mit dem Vorwurf, die Reinigung der Künste sei deutscher Stil, weil der amerikanische Jazzpianist Chick Corea wegen seiner Zugehörigkeit zur Scientology-Sekte von einer Veranstaltung im Rahmen der Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Stuttgart ausgeschlossen worden war?
Herr Staatsminister, Sie haben das Wort.
Frau Kollegin, die Bundesregierung nimmt derartige Kritik im Ausland sehr ernst.Sie hat z. B. im Schreiben des Geschäftsträgers der deutschen Botschaft in Washington an Mitglieder des US-Kongresses, die sich engagiert hatten, sowie durch Presseerklärungen der Botschaft dagegen Stellung genommen und den tatsächlichen Sachverhalt dargelegt. Die Behauptung, Chick Corea sei wegen seiner Zugehörigkeit zur Scientology-Sekte von einer Rahmenveranstaltung für die Leichtathletikweltmeisterschaft vom 15. bis 22. August vergangenen Jahres in Stuttgart ausgeschlossen worden, ist nicht richtig. Richtig ist vielmehr, daß zwischen dem Land BadenWürttemberg und Chick Corea ein Vertrag über ein Konzert nie zustande gekommen war. Das Land Baden-Württemberg hat dem Künstler Auftritte in anderen Pavillons oder Clubs oder allgemein an beliebigem Ort in diesem Bundesland zu keinem Zeitpunkt verboten. Auch die Behauptung einer Verletzung der künstlerischen oder Religionsfreiheit ist nicht begründet. Das Land Baden-Württemberg ist Eigentümer des Baden-Württemberg-Clubs und als solcher frei in der Auswahl der im Club auftretenden Künstler. Dieser Sachverhalt wurde vom Auswärtigen Amt und von der Botschaft Washington richtiggestellt.
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20354 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994
Staatsminister Helmut SchäferNach allen bisherigen Erfahrungen ist jedoch die Scientology Church an einer sachlichen Auseinandersetzung nicht interessiert.
Zusatzfrage, Frau Kollegin? — Bitte schön, Frau Homburger.
Herr Staatsminister Schäfer, mich würde interessieren, ob der Bundesregierung bewußt ist, wie gefährlich diese Scientology-Sekte ist. Es wird ja immer von Kirche geredet; es ist keine Kirche. Wird daran gearbeitet, im Inland genauso wie im Ausland darüber aufzuklären? Der Vorwurf in der „Washington Post", auf den die Frage zurückgeht, daß hier in der Bundesrepublik Deutschland Leute wegen ihrer religiösen Anschauung verfolgt werden, trifft überhaupt nicht zu, und die Scientology-Sekte stellt eigentlich auch keine religiöse Vereinigung dar.
Helmut Schäfer, Staatsminister: Die Bundesregierung, Frau Kollegin, vertritt die Auffassung, daß die Scientology Church — so nennt sie sich selbst; ich bezeichne sie nicht als Kirche, aber sie nennt sich so — keine Religionsgemeinschaft oder weltanschauliche Gemeinschaft darstellt, sondern ein auf das Erzielen wirtschaftlichen Gewinns gerichtetes Unternehmen ist. Eine höchstrichterliche Entscheidung liegt zu dieser Frage jedoch noch nicht vor. Das Verwaltungsgericht Mannheim hat den Religionscharakter der Scientology-Vereine jedoch wiederholt bezweifelt.
Weitere Fragen sind nicht gestellt.
Dann teile ich dem Hause mit, daß die Fragen 29 und 30 des Abgeordneten Dr. Martin Mayer auf dessen Wunsch schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zur Frage 31 des Abgeordneten Dr. Wolfgang Ullmann:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß der Vorsitzende des MSI, Fini, und Koalitionspartner der Regierung Berlusconi die faschistische Regierung Mussolini in ihrer Regierungszeit bis 1938 wiederholt positiv bewertet hat, und wie beurteilt die Bundesregierung das einmalige Ereignis nach dem Zweiten Weltkrieg, daß in einem Gründungsstaat der EG der Konsens innerhalb der Europäischen Staatengemeinschaft aufgekündigt wurde, jede Form von Bündnissen mit denjenigen Kräften abzulehnen, die sich nicht eindeutig von faschistischen Regimen abgrenzen?
Herr Staatsminister.
Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, der Bundesregierung ist die Äußerung des Vorsitzenden der Alleanza Nazionale, Fini, und die durch ihn später erfolgte Relativierung dieser Äußerung bekannt. Die ursprüngliche Äußerung steht in ihrem Inhalt in deutlichem Widerspruch zu den demokratischen Werten und Zielen der Europäischen Union.
Die Äußerung eines Parteivorsitzenden, der nicht Mitglied der Regierung ist, sollte allerdings keine Veranlassung geben, die ausgezeichnete deutschitalienische Zusammenarbeit im bilateralen wie im multilateralen Bereich nicht auch mit der Regierung Berlusconi fortzusetzen. Im übrigen hat Ministerpräsident Berlusconi versichert, daß seine Regierung außenpolitisch die traditionelle Friedenspolitik fortführen und allen internationalen Verpflichtungen nachkommen wird sowie den demokratischen Werten der italienischen Republik und Europas weiterhin verpflichtet bleibt.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Ullmann. Bitte sehr, Herr Dr. Ullmann.
Vielen Dank, Herr Präsident.
Herr Staatsminister, ich habe eine Nachfrage zu der Alleanza Nazionale. Ist der Bundesregierung bekannt, daß — im Gegensatz zu ihrer Selbstdarstellung — die Alleanza Nazionale identisch ist mit der Gruppierung Movimento Sociale Italiane, die im dringenden Verdacht steht, eine faschistische Gruppierung zu sein, daß sie jedenfalls diejenige politische Bewegung ist, die seit Beginn der letzten Legislaturperiode regelmäßig den Antrag gestellt hat, Ziffer 12 aus Art. 139 der italienischen Verfassung zu streichen, d. h. jene Ziffer, die vorschreibt, daß die Reorganisation der faschistischen Partei in jeglicher Form verboten ist?
Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, die heutige Alleanza Nazionale kann nicht ohne weiteres als eine Partei gesehen werden, die mit der von Ihnen zitierten früheren Partei identisch ist. Es gibt dort neue Mitglieder, es gibt andere Mitglieder. Darauf hat Ministerpräsident Berlusconi auch in Interviews gestern und heute vor seiner Reise nach Deutschland hingewiesen.
Vielen Dank.
Weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Ullmann?
Von mir nicht.
Das ist nicht der Fall.
Dann Frau Wollenberger.
Herr Staatsminister, wie gedenkt die Bundesregierung als Ratsmitglied und während ihrer Präsidentschaft angesichts der Beunruhigung innerhalb der Institutionen der Europäischen Union sich hinsichtlich der Präsenz von Neofaschisten in der italienischen Regierung zu verhalten?
Helmut Schäfer, Staatsminister: Ich würde mit pauschalen Urteilen sehr vorsichtig sein, Frau Kollegin Wollenweber.
— Wollenberger. Entschuldigung, Frau Kollegin. Das
war wirklich keine böse Absicht. Wir haben einen
Zahnarzt, der so heißt. Deshalb verspreche ich mich
Deutscher Bundestag — 12.Wahloeriode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstarr, den 16. Juni 1994 20355
Staatsminister Helmut Schäfer
bei Ihrem Namen immer wieder. Das war also wirklich nicht böse gemeint.
Ich wollte darauf hinweisen, daß wir mit außerordentlicher Gelassenheit weiterhin beobachten werden, wie sich die neue italienische Regierung, der auch Minister der von Ihnen inkriminierten Partei angehören, bei ihrer Arbeit in Europa verhält. Der Ministerpräsident befindet sich in Bonn. Es gibt ja genug Gelegenheit zu sehen, wie sich die italienische Regierung und die Koalition, die die Regierung stellt, im Zusammenhang mit Europa verhalten werden. Jedenfalls hat der Ministerpräsident selbst — ich darf das wiederholen — in Interviews darauf hingewiesen, daß die Mitglieder seiner Regierung nicht als Neofaschisten bezeichnet werden könnten. Wer deren Lebensläufe lese, der sehe das ganz klar. — Ich kann das hier nur wiedergeben und möchte mich jeder weiteren Beurteilung ausländischer Minister verständlicherweise hier enthalten.
Danke schön. Gibt es weitere Zusatzfragen zu dieser Frage? — Das ist nicht der Fall.
Wir kommen dann zur Frage 32 des Abgeordneten Dr. Ullmann:
Wie hat die Bundesregierung auf die Forderung des Vorsitzenden des italienischen Parlamentsausschusses für Auswärtige Angelegenheiten, des Neofaschisten Mirko Tremaglia, reagiert, den Grenzvertrag von Osimo betreffend die italienische Minderheit in Slowenien zu revidieren und die Aufnahme von Slowenien in die Europäische Union abzulehnen?
Bitte sehr.
Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung ist der Auffassung, daß diese Außerungen die private Meinung von Herrn Tremaglia darstellen, daß diese aber nicht Teil der Politik der italienischen Regierung sind.
Vielen Dank, Herr Staatsminister.
Zusatzfrage, bitte schön.
Eine Zusatzfrage zur Europapolitik. Herr Staatsminister, treffen Meldungen in der Zeitung „La Repubblica" vom 5. Juni dieses Jahres zu, nach denen der Bundeskanzler dem italienischen Ministerpräsidenten Berlusconi eine Übereinkunft vorgeschlagen hat dahin gehend, die Partei Berlusconis, Forza Italia, in die Parlamentariergruppe der Europäischen Volkspartei aufzunehmen?
Helmut Schäfer, Staatsminister: Lieber Kollege Ullmann, jetzt stellen Sie mir eine Frage, die ganz und gar nicht von mir beantwortet werden kann. Weder stehe ich dieser internationalen Parteiorganisation nahe — ich gehöre, wie Sie wissen, der Liberalen Internationale an —, noch kann ich beantworten, welche Vorstellungen der Bundeskanzler als Parteivorsitzender der CDU in Deutschland mit Herrn Berlusconi über die weitere Hinwendung der italienischen Partei des Herrn Berlusconi austauscht. Ich bitte Sie, doch den Bundeskanzler selbst zu fragen. Er wird Ihnen sicher die entsprechende Auskunft geben können.
Herr Dr. Ullmann, noch vermag der Präsident den direkten Zusammenhang zwischen Ihrer Zusatzfrage und der Frage 32 zu erkennen. — Weitere Zusatzfragen?
Ja. Wenn Sie erlauben, Herr Präsident, möchte ich den Herrn Staatsminister doch fragen, ob das Auswärtige Amt in dieser Sache Kontakt mit dem Bundeskanzleramt aufnimmt oder schon gehabt hat.
Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, ich kann nicht beurteilen, ob alle Mitglieder des Auswärtigen Amtes ständig Kontakt mit dem Bundeskanzleramt haben. Vielleicht wissen das Leute der CDU in unserem Hause. Ich kann das nicht beantworten. Ich kann nur feststellen: Wir werden sicher Bemühungen aller Parteien sehen, sich mit neuen italienischen Parteien zusammenzuschließen. Ich könnte mir vorstellen, daß sich auch die von Ihnen genannte Alleanza Nazionale in Europa nach Partnern umschauen wird, so wie wir hoffen, daß wir eine Nachfolgeorganisation der liberalen Partei in der Liberalen Internationale finden werden, die allerdings nicht die Alleanza Nazionale sein wird.
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Die Frage 33 des Abgeordneten Dr. Kübler wird auf dessen Wunsch schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. — Herr Staatsminister, ich bedanke mich bei Ihnen.Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 12 und den Zusatzpunkt 8 auf:12. a) Abgabe einer Erklärung der BundesregierungWohnungspolitische Bilanz der Bundesregierungb) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu der Unterrichtung durch die BundesregierungWohngeld- und Mietenbericht 1993 — Drucksachen 12/7153, 12/7922 —Berichterstattung:Abgeordnete Achim Großmann Hans RaidelGabriele Wiechatzekc) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu dem Antrag der Abgeordneten Achim Großmann, Otto Reschke, Peter Conradi, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDFür einen Wechsel in der Wohnungspolitik — Drucksachen 12/5578, 12/6598 —Berichterstattung:Abgeordnete Peter Götz Achim Großmannd) Zweite und dritte Beratung des von dem Abgeordneten Dr. Ilja Seifert und der Gruppe der PDS/Linke Liste eingebrachten Entwurfs eines
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20356 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994
Vizepräsident Dieter-Julius CronenbergErsten Gesetzes zur Änderung des Altschuldenhilfe-Gesetzes
— Drucksache 12/7054 —
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
— Drucksache 12/7923 —Berichterstattung:Abgeordnete Rolf Rau Dr. Ulrich Irmerbb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 12/7943 —Berichterstattung:Abgeordnete Dieter Pützhofen Carl-Ludwig ThieleThea Bocke) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu dem Antrag der Abgeordneten Achim Großmann, Iris Gleicke, Dr. Ulrich Janzen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDNovellierung des Altschuldenhilfegesetzes— Drucksachen 12/6746, 12/7923 —Berichterstattung:Abgeordnete Rolf Rau Dr. Ulrich Irmerf) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu dem Antrag der Abgeordneten Dieter Maaß (Herne), Achim Großmann, Holger Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDFörderung des genossenschaftlichen Wohnungsbaus— Drucksachen 12/4301, 12/7921 —Berichterstattung:Abgeordnete Peter Götz Dieter Maaß
ZP8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS/Linke ListeMietenmoratorium für die preisgebundenen Wohnungen in Ostdeutschland — weitere Maßnahmen für ein sozial verträgliches und überschaubares Mietensystem in Deutschland— Drucksache 12/7856 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
HaushaltsausschußRechtsausschußZum Wohngeld- und Mietenbericht liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll ich Ihnen vorschlagen, eine Debattenzeit von eindreiviertel Stunden zu beschließen. Ist das Haus damit einverstanden? — Das ist offensichtlich der Fall. Dann können wir die Debatte eröffnen.Zur Abgabe einer Regierungserklärung hat die Bundesministerin für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Frau Dr. Irmgard Schwaetzer, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine ausreichende und angemessene Wohnraumversorgung ist elementarer Bestandteil eines sozialen Staates und damit der Politik dieser Regierung. Der Wohngeld-und Mietenbericht und andere Zahlen belegen nachdrücklich: Unsere marktwirtschaftliche und soziale Wohnungspolitik schafft Raum für mehr Menschen. 1,4 Millionen Wohnungen konnten zwischen 1990 und 1993 bezogen werden, etwa 520 000 bis 550 000 werden es noch einmal in diesem Jahr. Dies sind also knapp 2 Millionen Wohnungen in vier Jahren.Der Wohnungsbau ist auf Rekordkurs. Die Hälfte der realen Bauinvestitionen 1993 entfiel auf den Wohnungsbau — fast 200 Milliarden DM. Damit ist der Wohnungsbau auch Konjunkturlokomotive. Er war dies schon zu einer Zeit, als die allgemeine Konjunktur noch niedrig war. Diese 200 Milliarden DM stehen für Modernisierung und Instandsetzung von etwa 2,3 Millionen Wohnungen in den neuen Ländern — das ist fast ein Drittel des Wohnungsbestandes dort — und für über 56 000 neu geschaffene Wohnungen im Bestand, also Leerstandsbeseitigung. Sie stehen aber auch für mehr als 430 000 neue Wohnungen alleine in den alten Ländern, davon mehr als die Hälfte als Eigentumswohnung oder Eigenheim geschaffen.Dies alles bedeutet bereits jetzt eine spürbare Entlastung des Wohnungsmarktes. Jede neue Wohnung— in diesem Jahr wird jede Minute eine Wohnung fertig — trägt zur weiteren Entspannung bei. Im Gegensatz zu den alljährlich vorgebrachten Unkenrufen der Opposition, die sich ebenso alljährlich durch die tatsächliche Bauentwicklung widerlegt sehen: Der Wohnungsbau läuft nicht nur 1994 wieder zu Höchstform auf; er wird dieses Niveau auch darüber hinaus halten. Das bestätigen schon die Zahlen des ersten Quartals 1994.
— Herr Großmann, das Institut, auf das Sie sich immer so gerne berufen, gehört ja zu jenen Unken, die jedes Jahr falsch gelegen haben, solange diese Regierung in dieser Legislaturperiode Wohnungsbau macht.
Bei den Fertigstellungen ist bundesweit in diesem Jahr im ersten Quartal von neuem eine Steigerung um fast 14 % gegenüber dem schon sehr hohen Vorjahresniveau zu verzeichnen. In den alten Ländern sind es bei den Baugenehmigungen fast 20 %, in den neuen Ländern — ebenfalls im ersten Quartal — schon
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994 20357
Bundesministerin Dr. Irmgard Schwaetzerwieder eine Verdoppelung. Damit wird der mit Ausdauer prophezeite Niedergang des Neubaus nicht stattfinden. Das bedeutet: Die Vorgaben einer marktwirtschaftlich orientierten Wohnungspolitik stimmen, sie führen zum Erfolg, sie verbessern die Rahmenbedingungen, und damit können Menschen mehr Hoffnung auf Wohnraum schöpfen.
Zahlen und Erfolge lassen sich nicht wegdiskutieren. In der Tat: Wie könnte es denn auch anders sein? Auch die Bauminister der SPD-geführten Länder führen in den letzten Wochen ständig Erfolgsbilanzen vor. Wie könnte es denn sein, daß die Summe dessen negativ ist? Nein, es ist eine Positivbilanz. Das ist der Erfolg einer Politik, die sich an den Realitäten orientiert, die das sozial Notwendige mit dem wirtschaftlich Machbaren verbindet.
Ich unterstreiche noch einmal: Es ist der Erfolg einer Politik, die sich an den Realitäten orientiert und keine Versprechungen macht. Von der SPD wird z. B. der zusätzliche Bau von 200 000 Sozialwohnungen in den Raum gestellt. Für diese Zahl Wohnungen müßten Bund, Länder und Gemeinden insgesamt 45 Milliarden DM zusätzlich aufbringen. Deswegen werden diese Versprechungen wie Seifenblasen zerplatzen. Aber es zeigt nur einmal mehr, wie die Opposition mit dem Geld anderer umgeht, das sie gar nicht hat, über das sie nur verfügen will.
Aber ich möchte auch deutlich unterstreichen: Mutwillig geschürte Angst um die eigene Wohnung gefährdet den sozialen Frieden und fördert extreme Tendenzen in der Gesellschaft. Ich bitte wirklich alle demokratisch orientierten Parteien unseres Gemeinwesens, sich an solchen Angstkampagnen nicht zu beteiligen. Was dabei herauskommt, haben wir am vergangenen Sonntag in den ostdeutschen Bundesländern wieder gesehen. Natürlich, es fehlen nach wie vor preiswerte und familiengerechte Wohnungen. Deswegen wird die Bundesregierung nicht nachlassen, sich dieser Aufgabe zu stellen, so wie sie das in den vergangenen drei Jahren getan hat.
Frau Ministerin, der Herr Abgeordnete Dr. Seifert möchte gern eine Zwischenfrage stellen.
Wenn es nicht angerechnet wird, Herr Präsident.
Es wird nicht angerechnet.
Dann bitte.
Ach so, Entschuldigung! Ja, richtig! Dann stellen wir das zurück.
Dann machen wir das im Anschluß.Die Bundesregierung hat sich auch im vergangenen Jahr vor allem der Notwendigkeit gestellt, preiswerten Wohnraum für Familien zu schaffen. Mit dem Sonderprogramm für Familienwohnungen in den Ballungszentren haben wir zielgenau diese Probleme angepackt, damit Kinder nicht länger die Verlierer am Wohnungsmarkt bleiben. Gerade junge Familien und Kinder brauchen Raum, damit sie sich ihren Platz in der Gesellschaft erobern können. Deswegen werden wir weiter besondere Anstrengungen unternehmen und den sozialen Wohnungsbau auf hohem Niveau weiter fördern.Gerade für diese Personen brauchen wir aber eine Eigentumsförderung, damit gerade junge Familien schneller und besser Eigentum bilden können. Hier werden wir eine zielgenaue Förderung in der Zukunft schaffen müssen. Eigentumsförderung muß sich gerade auch auf junge Familien konzentrieren. Es gibt einen Wettbewerb von Vorschlägen.
— Herr Großmann, unsere Politik hat doch Erfolg gehabt. Im letzten Jahr sind mehr als die Hälfte der insgesamt fertig gewordenen Wohnungen im Eigentumsbereich entstanden. Darunter waren in der Tat viele, viele Familienwohnungen.
Das Wohnungsbauförderungsprogramm vom Herbst 1991 hatte die Eigentumsförderung verbessert, und der Erfolg ist in den Fertigstellungszahlen 1993 und 1994 deutlich abzusehen.
Junge Familien finden häufig nicht so gut familiengerecht zugeschnittene Wohnungen. Die sind Mangelware. Familienfreundliche Vermieter sind es leider auch. Deswegen ist für sie die Eigentumsbildung oft der einzige Weg, angemessenen Wohnraum zu finden. Die Bundesregierung wird alles daran setzen, diesen jungen Menschen die Eigentumsbildung zu ermöglichen. Dazu gehört auch, um Belastungen tragbar zu gestalten, die Möglichkeit der Eigenkapitalbildung durch die Förderung des Vorsparens. Es ist ein wichtiger Erfolg unserer Politik, daß die entsprechende Förderung nach wie vor besteht.
Wie man es auch drehen und wenden will, meine Damen und Herren: Die Mietensteigerungen gehen zurück. Die Mieten im Hochpreissektor fangen an zu bröckeln. Die Meldung von heute war: Mieten im Neubaubereich, bei Erstbezug, fallen bei Wohnungen mit höherem Wohnwert in den Großstädten um 2 %, aber auch bei Wohnungen mit mittlerem Wohnwert um 1 %. Die Steigerungsrate des Mietenindex fiel im
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Bundesministerin Dr. Irmgard SchwaetzerJahre 1993 auf 5,1 % und geht im Jahre 1994 weiter zurück. Das ist der Erfolg des verbesserten Angebots, der Angebotsausweitung, die durch unsere Politik möglich geworden ist.
Die Mietenentwicklung wäre noch günstiger, wenn die enormen Aufschläge der kommunalen Gebühren, die sogenannte zweite Miete, nicht wären, die die durchschnittliche Nettokaltmiete in Höhe von 7 DM pro Quadratmeter auf eine zu zahlende durchschnittliche Bruttokaltmiete von 9 DM anheben.
So stiegen z. B. die Gebühren für die Abwasserbeseitigung im Jahre 1993 um durchschnittlich 15 %,
die für die Müllabfuhr sogar um 23 %.
Ich appelliere an die Kommunen, ihrer Verantwortung für stabile Verbraucherpreise gerecht zu werden und bei der Gebührengestaltung bestehende Spielräume zugunsten der Verbraucher zu nutzen. Am 30. Juni wird der Bundeskanzler in einem Gespräch mit den Ministerpräsidenten der Lander diesen Themenbereich erörtern und, ohne natürlich die Verantwortung von Ländern und Kommunen zu übergehen, Lösungsansätze aufzeigen, um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten.Politik für Wohnungssuchende muß allerdings Investoren gewinnen und darf sie nicht abschrecken.
Das bedeutet, daß auch die ständigen Diskussionen um weitere Mietrechtsverschärfungen — ich bin sicher, Sie werden in dieser Debatte ein neues Beispiel liefern — ein Ende haben müssen.
Wir haben mit dem Vierten Mietrechtsänderungsgesetz und der Sozialklausel des Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetzes den Mieterschutz bis an die Grenzen des verfassungsrechtlich Haltbaren ausgeweitet.
Ich denke, daß eine Kündigungssperre von bis zu zehn Jahren nach Wohnungsumwandlung eine mehr als gute Wohnungsgarantie für den Mieter darstellt.Wir brauchen eine Reform des Mietrechts, damit mehr Transparenz, sowohl für den Mieter als auch für den Vermieter, in diesen Bereich einzieht. Auch der Vermieter braucht Handlungsmöglichkeiten, damit er das Vertrauen in seine Investition nicht verliert.
Es gibt genügend Kapital. Das Kapital der Bundesrepublik wächst jährlich um 250 Milliarden DM. Diese können investiert werden. Deswegen ist es nicht mehr als recht und richtig, daß derjenige, der investiert,über sein Eigentum verfügt und auch Rendite erwirtschaften will.Wir brauchen Eigentum, um ein breites Angebot auf dem Wohnungsmarkt zu sichern.
Das heißt aber auch, daß jede zusätzliche finanzielle Belastung unterbleiben muß. Erst recht darf sie nicht durch neue abenteuerliche Besteuerung geschaffen werden. Deswegen wird die Bundesregierung bei der Neuregelung der Einheitsbewertung des Grundbesitzes das derzeitige, durch das Föderale Konsolidierungsprogramm bestimmte Belastungsniveau nicht überschreiten. Mit uns wird es eine Umstellung auf eine Verkehrswertbesteuerung nicht geben, da sie katastrophale Folgen hätte: für den Mieter, denn hohe Steuern müßten zwangsläufig an ihn weitergegeben werden, und den Eigentümer, der sich sein Haus oder seine Wohnung mühsam erspart hat. Verkehrswertbesteuerung kann leicht zu einer kalten Enteignung führen. Dieses wäre für eine bürgerliche Regierung unerträglich.
Im sozialen Wohnungsbau haben wir den Grundstein für mehr Effizienz und soziale Gerechtigkeit gelegt. 30 % mehr Wohnungen bei gleichem Mittelaufwand, Beseitigung des Skandals der Fehlbelegung — das ist die grundlegendste Reform, die es seit vielen Jahren im Wohnungsbau gegeben hat, verwirklicht mit dem Wohnungsbauförderungsgesetz 1994 und der einkommensorientierten Förderung.Über den Erwerb von Belegungsrechten, der dort auch geregelt wird, gibt es eine neue Mobilität im Bestand. So kann preiswerter Wohnraum erhalten werden, statt ihn durch teuren Neubau zu ersetzen.Das Wohnungsbauförderungsgesetz wird in der nächsten Legislaturperiode durch ein Drittes Wohnungsbaugesetz ergänzt werden müssen, um die Grundsätze der sozialen Gerechtigkeit und der Effizienz auch im Bestand und insgesamt in der Förderung zu verankern. Das bedeutet die Abschaffung des starren Kostenmietprinzips, wonach alle Kosten bezahlt werden, sofern sie produziert werden. Das kann keine vernünftige Politik sein. Das wird ein Ende haben müssen.
Wesentlicher Bestandteil des Maßnahmenpakets für mehr Wohnungen war auch das am 1. Mai 1993 in Kraft getretene Wohnbaulandgesetz. Damit haben die Kommunen die benötigten Instrumente zur zügigen Baulandausweisung in die Hand bekommen. Das hat sich bewährt. Die städtebauliche Entwicklungsmaßnahme ist bereits in mehr als 60 Wohngebieten für mindestens 1 000 Wohnungen in Vorbereitung. Hinzu kommen in den neuen Ländern gezielte Förderprogramme zur Baulandausweisung, mit denen Bauland für mehr als 100 000 Wohnungen eröffnet wird.Dabei bleibt für die Umsetzung des Wohnbaulandgesetzes zu hoffen, daß so kontraproduktive und praxisferne „Errungenschaften" wie die erfreulicherweise wieder zurückgezogene Landschaftsversiegelungsabgabe des Landes Nordrhein-Westfalen weiter keine Schule machen.Deutscher Bundestaa — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994 20359Bundesministerin Dr. Irmgard SchwaetzerAuch von der SPD ist dieses Baulandgesetz ja mitgetragen worden. Es ist ein Schritt zur Entbürokratisierung. Das begrüßen wir. Aber jetzt müssen weitere Schritte folgen. Die von mir einberufene Kostensenkungskommission wird weitere Schritte zur Kostensenkung und zur Förderung des kosten- und flächensparenden Bauens noch im Sommer diesen Jahres vorlegen. Bauen wie in Holland und in Dänemark, das hat auch in Deutschland Zukunft. Wie viele Familien mehr könnten sich ein Eigenheim leisten, wenn es für 200 000 DM statt für 350 000 DM angeboten würde. Diese Wege möchten wir eröffnen.Die Wohnungspolitik der Bundesregierung hat gerade für die neuen Bundesländer besondere Schwerpunkte gesetzt. Hier gab es riesigen Nachholbedarf. Die spezifischen Rahmenbedingungen erfordern tiefgreifende Reformen — ungewohnte Veränderungen für die Menschen. Aber steigende Wohnqualität und die Abfederung über ein großzügig bemessenes Wohngeld sind der soziale Ausgleich für höhere Wohnkosten eines marktwirtschaftlichen Systems.Der Strukturwandel ist allerdings noch nicht abgeschlossen. Aber die Erfolge dieser marktwirtschaftlichen Politik werden sichtbar — sowohl in der Stadtsanierung wie in der Wohnungsmodernisierung. Bis Ende 1993 sind rund 7 Milliarden DM Fördermittel des Bundes und über 20 Milliarden DM zinsverbilligte Kredite der Kreditanstalt für Wiederaufbau zum Aufbau der Städte und Wohnungen in den ostdeutschen Bundesländern ausgezahlt worden. Dieses zahlt sich aus;
übrigens auch im Bewußtsein der Mieter: 73 % aller Mieter halten ihre Miete für angemessen. Ich denke, daß das der beste Beweis dafür ist, daß wir auf dem richtigen Weg sind.Natürlich muß auch in den neuen Ländern der Übergang in das Vergleichsmietensystem erfolgen. Der Magdeburger Kompromiß vom Mai 1992 hat hier die Weichen gestellt. Wir werden diese Umstellung sorgfältig vorbereiten. Wir werden die Mieten, wie es der Einigungsvertrag vorgibt, an den Einkommensverhältnissen und den Belastungsgrenzen der ostdeutschen Haushalte orientieren. Dazu ist ein Forschungsprojekt auf den Weg gebracht worden, das uns Ende des Jahres die benötigten Daten liefern wird.
Deswegen ist das Jahr 1994, meine Damen und Herren, in besonderem Maße der Umsetzung des Altschuldenhilfe-Gesetzes gewidmet. Das Altschuldenhilfe-Gesetz hat eines der größten Investitionshemmnisse in den neuen Ländern aufgehoben. 31 Milliarden DM Altschulden hat der Bund in den Bundeshaushalt in den Erblastentilgungsfonds übernommen. 7 Milliarden DM an Zinshilfe werden 1994 und 1995 zur Verfügung gestellt. Dies stellt fraglos die größte Solidaritätsaktion zugunsten eines Wirtschaftszweiges in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland dar.Aber das bedeutet auch, daß die Wohnungswirtschaft nun wieder finanzielle Spielräume hat, und es bedeutet auch, daß etwa 400 000 Mieter ihre eigene Wohnung erwerben können. Eigentum schafft Freiheit — dies wird besonders nach 40 Jahren sozialistischer Enteignungspolitik deutlich. Aber es gibt auch viele Bremser auf diesem Weg. Das haben wir in den vergangenen Monaten deutlich erfahren müssen.
Offensichtlich ist Wohnungsverwaltung auch ein Stück Macht in den Händen Einzelner. Deswegen treten wir, die Bundesregierung, so besonders deutlich dafür ein, daß eine breite Eigentumsstreuung in den ostdeutschen Bundesländern erfolgt.
Und, meine Damen und Herren, es geht, wenn man will. Eine Genossenschaft aus Sachsen-Anhalt schreibt in einem Brief vom 6. Juni 1994, daß sie aus ihrem Bestand 42 Reihenhäuser, 90 Wohnungseinheiten monolithischer Bauweise und 104 Wohnungseinheiten in Plattenbauweise in den Jahren 1992 bis 1994 privatisiert hat, und zwar an Mieter.
Dieses zeigt sehr deutlich, daß es geht, wenn man will.Deswegen richte ich noch einmal einen Appell an die Sozialdemokraten: Meine Damen und Herren, wir haben gemeinsam mit Ihnen das AltschuldenhilfeGesetz formuliert.
Es kann doch nicht wahr sein, daß diejenigen, die es mit formuliert haben, aussteigen und es schon wieder ändern wollen, bevor sich ein solches Gesetz auch nur drei Monate in der Praxis bewährt hat.
Wir müssen diesem Gesetz eine Chance geben. Das Beispiel aus Sachsen-Anhalt — ich kenne andere aus Thüringen und aus Sachsen — zeigt: Es geht, wenn man will.
— Ja, um so besser, wenn es auch ohne geht.
Herr Dr. Seifert, Herr Großmann, Sie haben doch gleich die Möglichkeit zu reden. Unterbrechen Sie bitte nicht allzu häufig.
Es geht mit Altschuldenhilfe-Gesetz, Herr Kollege, noch besser, weil wir nämlich durch die Wegnahme von Altschulden noch mehr für angemessene, niedrige Verkaufspreise getan haben.
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Bundesministerin Dr. Irmgard SchwaetzerDas Altschuldenhilfe-Gesetz wird angenommen. Mehr als 90 % der Antragsberechtigten haben einen Antrag gestellt, davon mehr als die Hälfte auch einen Antrag auf Teilentlastung. Deswegen hat sich wohl der Antrag auf Verlängerung der Antragsfrist erledigt.
Es gilt jetzt, die Mieterprivatisierung anzupacken. Der Mieter muß Vorrang haben. Das muß im Jahre 1994 umgesetzt werden. Aber es muß auch klar sein: Erwirbt ein Dritter, ändert sich für den Mieter gar nichts. Er hat einen vollgültigen Mietvertrag und kann ebensowenig wie ein anderer Mieter gekündigt werden oder auch nur mit unlauteren Mieterhöhungen konfrontiert werden.Meine Damen und Herren, alle diese Probleme haben wir mit Ihnen vor Verabschiedung des Gesetzes diskutiert; es ist jetzt in der Diskussion nicht neu.
Deswegen ist Ihr Aussteigen aus dem Gesetz eine kurzfristige politische Maßnahme, die — wie der letzte Sonntag gezeigt hat — Ihnen nichts gebracht hat.
Deswegen plädiere ich dafür: Steigen Sie ein in den Konsens! Jetzt ist nicht Zeit für Schlechtreden und Wahltaktik, es ist Zeit dafür, einen langen Atem zu haben. Die Wohnungspolitik der Bundesregierung hat diesen langen Atem. Das zahlt sich für Mieter und Eigentümer, für Wohnungssuchende und Bauherrn aus. Deswegen werden wir den eingeschlagenen Weg der Wohnungspolitik auch in Zukunft verfolgen, damit privates Kapital stärker noch als bisher mobilisiert werden kann, damit die Probleme in Ost und West zum Wohle der Menschen, für die Wohnung Heimat ist, und zum Wohle der Bundesrepublik Deutschland gelöst werden.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat nun der Abgeordnete Achim Großmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist wichtig, in diesem Parlament wieder einmal über Wohnungspolitik zu diskutieren, auch wenn ich glaube, daß wir gerade eher eine Wahlkampfrede von der Bauministerin gehört haben.
Es ist eine schlechte Regierungserklärung, in der kein Wort zum Thema Obdachlosigkeit gesagt wird,
in der kein Wort zu den Schlangen an den Wohnungsämtern gesagt wird, in der kein Wort dazu gesagt wird, daß Alleinerziehende, kinderreiche Familien, Menschen, die auch im sozialen Bereich Schwierigkeiten haben, kaum noch eine Wohnung finden können; das gilt auch für Studenten und ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger. Was soll eine Regierungserklärung über Wohnungsbau, die die ganzen Probleme außen vor läßt und nur schönfärbt, beweihräuchert und Sand in die Augen streut? Ich meine, das ist der Problemlage in der Bundesrepublik nicht angemessen.
Schauen wir uns einmal an, was wirklich los ist. Es gibt — scheinbar beginnend — wenige Leerstände im luxuriösen Wohnungsbau, dort, wo die Menschen die Miete sowieso nicht zahlen können. Ich habe schon einmal in einer Debatte gesagt: Was nützen Wohnungen, in die die meisten Menschen gar nicht einziehen können, weil sie die Miete nicht bezahlen können? Gleichzeitig gibt es einen dramatischen Fehlbestand an preiswertem, bezahlbarem Wohnraum.Damit Sie nicht glauben, ich würde immer nur ein Wirtschaftsforschungsinstitut zitieren, das dann womöglich einmal falsch gelegen hat, habe ich mir drei seriöse Beispiele aufgeschrieben, alle aus den letzten Wochen. Einmal sagt Ifo — vielleicht das Institut, das Sie meinen —: zur Zeit 2 Millionen fehlende Wohnungen. GEWOS sagt im „Handelsblatt" vor wenigen Tagen: 2,3 Millionen fehlende Wohnungen. Und dann gibt es noch den Vorstandssprecher der Deutschen Bank, der vor wenigen Wochen gesagt hat: 2,5 Millionen Wohnungen fehlen.Wollen Sie uns wirklich einreden, daß die, die sich tagtäglich mit diesem Problem beschäftigen, falsch liegen, wenn sie sagen, daß dramatisch viele Wohnungen im Bereich des preiswerten, bezahlbaren Wohnraums fehlen? Wollen Sie uns das einreden? Dann gute Nacht! Gehen Sie einmal hinaus mit Ihrer angeblichen Erfolgsstory, fragen Sie die Leute, die auf dem Wohnungsmarkt keine Chance haben. Fragen Sie die Leute, die vor den Wohnungsämtern stehen, und kommen Sie zur Realität zurück, die es in dieser Bundesrepublik gibt.
Zubau — jetzt komme ich zu etwas, bei dem wir sicherlich einer Meinung sind —: Wir haben sicherlich mit Freude zur Kenntnis genommen, daß nach der katastrophalen Wohnungspolitik der achtziger Jahre, wo ja kaum noch gebaut wurde, endlich wieder mit dem Zubau neuer Wohnungen begonnen worden ist.
Nur, eines muß klar sein: Wenn wir 450 000 neue Wohnungen pro Jahr hätten, hätten wir einen Ausgleich für die Abgänge vom Wohnungsmarkt, für die Zunahme der Haushalte etc. Das heißt, wir brauchen einen Mindestsatz von jährlich 450 000 neuen Wohnungen, um das Wohnungsdefizit überhaupt abbauen zu können. Das bedeutet bei 2 Millionen fehlenden Wohnungen — ich rechne Ihnen gleich vor, daß Sie Strohfeuerpolitik gemacht haben, die den Wohnungsmarkt in den nächsten Jahren wieder in den Keller
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Achim Großmannfahren läßt —, daß wir Jahre brauchen, um das Defizit an Wohnungen auszugleichen. Das schaffen Sie selbst mit den hohen Leistungen, die Sie zur Zeit haben, nicht. Das ist nur ein kurzes Strohfeuer, und es wird sich wieder nach unten einpendeln.
Herr Abgeordneter Großmann, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage zu beantworten?
Ja, wenn auch für mich gilt, daß das nicht auf die Redezeit angerechnet wird.
Ja. Bitte sehr.
Herr Kollege Großmann, können Sie bestätigen, daß anläßlich einer wohnungsbaupolitischen Tagung in Bad Zwischenahn die dort teilnehmenden Wohnungswirtschaftler davon gesprochen haben, daß in Wohnungsneubauten bereits Leerstände zu verzeichnen sind?
Herr Sikora, vielleicht haben Sie nicht richtig zugehört. Ich habe gerade gesagt: Es gibt wenige Beispiele, daß Wohnungen, die sehr teuer und luxuriös eingerichtet sind und mehr als 20 DM pro m2 Miete kosten, leer stehen. Das bedeutet, daß am Wohnungsmarkt fehlgebaut wird. Die Leute, die bezahlbaren, preiswerten Wohnraum suchen, haben dagegen keine Chance, eine Wohnung zu finden. Das ist in der Tat so, und das ist im Grunde genommen eine perverse Situation auf dem Wohnungsmarkt.
Die Strohfeuerpolitik dieser Bundesregierung, die ja offenbar nur auf den Wahltag ausgerichtet war, sieht so aus: Der Schuldzinsenabzug für den Eigenheimbau fällt weg; pro Jahr ungefähr 1 Milliarde DM. Das Ballungsgebieteprogramm für den sozialen Wohnungsbau fällt weg; 700 Millionen DM pro Jahr. Die Steuereinnahmen aus der Reduzierung der Förderung beim Kauf von Altimmobilien fließen in die Kasse des Herrn Waigel, gehen also dem Wohnungsbau verloren; pro Jahr ungefähr 1,5 Milliarden DM. Die Einsparungen durch Begrenzung bei der Absetzbarkeit von Modernisierung und Instandsetzung gehen dem Wohnungsbau verloren; pro Jahr ungefähr 650 Millionen DM. Das Fördergebietsgesetz für Ostdeutschland läuft aus; pro Jahr geschätzt ungefähr 1 Milliarde DM.Es fehlen also, beginnend mit dem nächsten Jahr, allein 5 Milliarden DM staatlicher Fördergelder für den Wohnungsbau. Und dann wollen Sie uns erzählen, daß das eine gute Wohnungspolitik ist!Die erfreulichen Neubauzahlen werden also keinen Bestand haben. Sie werden heruntergehen. Und wir wissen, daß wir 500 000 bis 600 000 Neubauwohnungen pro Jahr brauchen, um das Defizit abzubauen.Der Armutsbericht des Deutschen Gewerkschaftsbundes und des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes kommt beim Thema Wohnen zu ganz erschreckenden Ergebnissen. Es herrscht nämlich neben den fehlenden Wohnungen auch noch eine eklatante Wohnungsunterversorgung. In Westdeutschland sind es 14,7 %, in Ostdeutschland 20,7 %, die unterversorgt sind. Besonders sind davon Familien mit drei oder mehr Kindern betroffen, von denen 44,7 % in Westdeutschland und 61,7 % in Ostdeutschland in beengten Wohnraumverhältnissen leben.
Auch bei den typischen Vierpersonenhaushalten ist die Zahl immer noch hoch: fast ein Viertel in Westdeutschland und fast die Hälfte in Ostdeutschland.Unser Problem ist, daß die Kluft zwischen Arm und Reich auch auf dem Wohnungsmarkt immer größer wird. Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen, Luxussanierungen, Luxusmodernisierungen und Mietenanstieg sind die Ursache dafür. Der Verteilungskampf um die Wohnungen geht lustig weiter. Wer Knete hat, gewinnt.
Ich will jetzt auf ein paar Stichworte eingehen, urn zu beweisen, daß die Wohnungspolitik große Mängel aufweist. Die Bundesrepublik ist in der Europäischen Union beim selbstgenutzten Eigentum das Schlußlicht.
Nirgendwo in den Ländern der Europäischen Union gibt es sowenig selbstgenutztes Eigentum wie in der Bundesrepublik.
— Ich will Ihnen sagen, woran das liegt: Sie betreiben eine katastrophal ungerechte, unsoziale Eigentumsförderung. Wenn zwei Familien nebeneinander das gleiche Haus bauen, die Häuser also genau gleich viel kosten, dann bekommt der, der 200 000 DM im Jahr verdient, wenn er zwei Kinder hat, über den Zeitraum von acht Jahren eine Förderung in Höhe von 115 000 DM, aber derjenige, der nur ein Einkommen von 70 000 DM hat, nur 60 000 DM, also nur die Hälfte. Das führt dazu, daß Tausende von sogenannten Schwellenhaushalten nicht mehr bauen können.Das Baukindergeld wird zwar von der Steuerschuld abgezogen, ist aber trotzdem sozial ungerecht, weil in Familien mit drei oder vier Kindern schon zwei Verdiener sein müssen, um das Baukindergeld überhaupt nutzen zu können.
Das liegt daran, daß das Baukindergeld nicht ausgezahlt wird, sondern nur von der Steuerschuld abgezogen wird.Ich habe noch gestern mit dem Familienbund der Deutschen Katholiken gesprochen. Auch deren Vertreter waren der Auffassung, daß es eine furchtbare, sozial ungerechte Wohneigentumsförderung gibt. Diese wollen wir dringend abschaffen. Es muß eine
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Achim GroßmannWohneigentumsförderung her, die sozial gerecht ist, die für das gleiche Haus auch gleiche Fördersätze zahlt.Da nützen auch die neuen Instrumente, die Sie, Frau Schwaetzer, angekündigt haben, nichts. Sie hätten ja im übrigen dafür vier Jahre Zeit gehabt. Jetzt, kurz vor Toresschluß, fallen Ihnen alle Ihre Sünden ein, und Sie versuchen, das noch schnell durchzusetzen.
Was das Modell, das Frau Schwaetzer vorgeschlagen hat, bewirkt, macht folgendes Beispiel deutlich. Eine Familie, die ein Einkommen in Höhe von 40 000 DM hat, bekommt, wenn sie keine Kinder hat, eine Förderung in Höhe von 44 000 DM, wenn sie zwei Kinder hat, 47 000 DM.
Das entspricht einer Kinderkomponente in Höhe von 3 000 DM. Wenn die Familien 80 000 DM verdienen, bekommt die Familie, die keine Kinder hat, ungefähr 42 000 DM, während die Familie, die zwei Kinder hat, 72 000 DM erhält. Die Kinderkomponente beträgt etwa 31 000 DM.Wer so etwas vorschlägt, der scheint wirklich nicht zu wissen, was er da fordert. Man kann eine Familie, die 40 000 DM verdient, nicht mit einer Kinderkomponente in Höhe von 3 000 DM abspeisen, und denen, die 80 000 DM verdienen, die zehnfache Kinderkomponente zubilligen. Unsozialer kann man eine Regelung gar nicht gestalten. Sie sollten diesen Vorschlag möglichst schnell aus dem Verkehr ziehen.
Zum sozialen Wohnungsbau: Wir haben im sozialen Wohnungsbau einen Rückgang zu verzeichnen dergestalt, daß es 1987 noch etwa 4 Millionen preis- und belegungsgebundene Wohnungen gab. Jetzt sind es nur noch 2,5 Millionen. Alle rechnen damit, daß es in sechs Jahren, wenn das Jahrzehnt zu Ende geht, nur noch 1 Million Wohnungen im sozial gebundenen Wohnungsbau gibt.In dieser Situation steuert die Bundesregierung nicht etwa gegen und sagt: Wir müssen kräftig in die Hände spucken und dringend bezahlbaren, preiswerten Wohnraum schaffen. Vielmehr kürzt sie die finanziellen Mittel des sozialen Wohnungsbaus im nächsten Jahr um 30 %. Gleichzeitig versucht uns Frau Schwaetzer zu vermitteln, daß sie damit 30 % mehr Wohnungen baut. Auch das ist eine Quadratur des Kreises. Das hat etwas mit dem Wahlkampf zu tun. Diese Zahlen lassen sich nirgendwo errechnen, und das glaubt Ihnen auch keiner.Wenn man jetzt die gesamten Mittel des sozialen Wohnungsbaus einbezieht, die bei ungefähr 20 Milliarden DM liegen, dann wird man feststellen, daß die Bundesregierung zur Zeit nur noch 15 % dieser Mittel zur Verfügung stellt; den Rest bezahlen die Länder und Gemeinden. Ab dem nächsten Jahr wird dieser Anteil nur noch knapp 10 % betragen. Ich meine, der Bund stiehlt sich hier aus seiner Verantwortung. Das werden wir nicht zulassen. Wir werden nach dem 16. Oktober wieder mehr Mittel für den sozialen Wohnungsbau einsetzen.
Herr Abgeordneter Großmann, ich habe wieder den Wunsch nach Beantwortung einer Zwischenfrage vorliegen. Sie sind, unter den eben genannten Bedingungen, bereit, diese zu beantworten?
Gerne.
Bitte schön.
Herr Kollege Großmann, ist Ihnen entgangen, daß die Städte und Gemeinden nach dem Wohnungsbauförderungsgesetz 1994 ab dem 1. Oktober die Möglichkeit haben, Belegungsrechte aus dem Bestand zu erwerben?
Das ist mir bekannt. Ist Ihnen aber bekannt, daß nur weniger als 3 % pro Jahr umziehen, der Kauf von Belegungsrechten also im Grunde genommen kaum stattfinden kann, weil auf dem Wohnungsmarkt so gut wie keine Bewegung ist?
— Ich denke, wir sollten es bei dieser Frage belassen. Herr Götz hat gleich noch Gelegenheit zum Reden. Dann kann er ja auf mich antworten. Ich möchte gerne im Fluß des Vorgetragenen bleiben.Drittes Stichwort: frei finanzierter Mietwohnungsbau, etwas, was wir dringend brauchen und was in den letzten Monaten auch geboomt hat. Es sind sehr viele frei finanzierte Mietwohnungen gebaut worden. Wir haben gehört, daß die inzwischen — wenn Mieten von 20, 23, 25 DM gefordert werden — kaum noch vermietbar sind.Welches System haben wir denn bei uns in der Bundesrepublik? Wir haben das System, das derjenige, der die höchsten Kosten verursacht, bei den Steuern am meisten abschreiben kann. Das heißt, unser System produziert teure, luxuriöse Wohnungen. Unser System ist blind gegenüber Kosten und Flächenverbrauch. Deshalb muß das System im frei finanzierten Mietwohnungsbau dringend umgestellt werden.
Wenn jemand eine frei finanzierte Mietwohnung baut, die luxuriös ausgestattet ist und sehr viel Geld kostet, kostet das den Staat Steuermindereinnahmen. Der Staat muß, wenn er Ausgaben und Aufgaben übernimmt, diese Mittel aus dem Kreditmarkt nehmen, weil sie nicht mehr in der Steuerkasse landen. Das bedeutet, er muß diese Mittel auch noch fremdfinanzieren. Seriöse Berechnungen von Finanzwissenschaftlern haben ergeben, daß eine Wohnung im
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Achim Großmannfrei finanzierten Mietwohnungsbau den Staat zwischen 400 000 und 500 000 DM kostet.
— Unglaublich.
Ich denke, hier müssen wir dringend etwas tun. Investoren müssen eine vernünftige Rendite haben. Aber der Staat kann nicht hingehen und ohne Rücksicht auf Flächenverbrauch, auf luxuriöse Ausstattung, also ohne Eingehen auf die Quantität der Förderungen, was den Wohnungsraum betrifft, lustig drauflosfördem, mit Luxusförderungen Luxusbauten errichten lassen. Das, denke ich, ist völlig falsch.
Viertes Stichwort: Ostdeutschland. Sie haben sich eben gerühmt, Frau Bundesbauministerin, wie gut es war, daß wir das Altschuldenhilfe-Gesetz haben. Dazu wird Frau Gleicke sicherlich noch ein paar Worte sagen. Ich will Ihnen nur wenige Stichworte dazu nennen. Das Altschuldenhilfe-Gesetz kam zwei Jahre zu spät. In zwei Jahren haben sich die Altschulden allein um 10 Milliarden DM Zinsen vermehrt. Die Wohnungswirtschaft in den neuen Bundesländern hat diese 10 Milliarden DM zwei Jahre lang nicht investieren können. Dort wurde nämlich gesagt, mindestens 5 Milliarden DM hätten sie in die Modernisierung und in die Instandsetzung investieren können. Schließlich haben die Mieter zwei Jahre darauf gewartet, daß ihre Wohnungen modernisiert und instand gesetzt werden, obwohl sie schon deutlich höhere Mietpreise gezahlt haben.Ich denke, auch das zeigt, wie unsinnig diese Politik ist, die zuerst die Altschuldenmenge in die Höhe schießen läßt, um anschließend den größten Teil der Altschulden in den Staatshaushalt zu übernehmen. Den Steuerzahler wäre es deutlich billiger gekommen, wenn — wie wir als SPD das gefordert haben —ein Altschuldenhilfe-Gesetz sehr schnell gekommen wäre.
Man hätte dem Steuerzahler zweistellige Milliardenbeträge erspart.Jetzt hat das Altschuldenhilfe-Gesetz Macken. Wir haben schon — damit es hier nicht zur Geschichtsklitterung kommt, Frau Bundesbauministerin — während des Gesetzgebungsverfahrens auf diese Macken des Altschuldenhilfe-Gesetzes hingewiesen.
— Wir haben zugestimmt und gleichzeitig gesagt: Da stehen ein paar Sachen drin, die nicht funktionieren. Dann haben Sie und die Koalitionsfraktionen uns im Bauausschuß gesagt: Warten Sie mal ab, das lösen wir in dem entsprechenden Lenkungsausschuß, der das kontrollieren soll. Dann haben Sie, weil Sie Angst bekamen, sogar einen Unterausschuß eingerichtet, der das mit kontrollieren sollte. Gleichzeitig blockiert der Lenkungsausschuß wichtige Reformmaßnahmen dieses Altschuldenhilfe-Gesetzes.
Das ist doch die Realität. Deshalb, denke ich, ist es hier angebracht, daß wir über die Novellierung des Altschuldenhilfe-Gesetzes sprechen.Selbst der Gesamtverband der Wohnungswirtschaft, der noch vor wenigen Monaten gesagt hat, wir hoffen, daß das alles im Lenkungsausschuß auf die Reihe gebracht wird, hat doch dem Bundeskanzler vor wenigen Tagen einen Brief geschrieben, worin steht: Wir brauchen eine Novellierung des Altschuldenhilfe-Gesetzes, weil der Lenkungsausschuß nicht in der Lage ist, wichtige Reformschritte zu tun.Was die Eigentumsbildung in den neuen Ländern betrifft: Es geht nicht an, daß man von Privatisierung und von Eigentumsbildung redet, wenn die Menschen in den neuen Bundesländern keine Chance haben, sie am Markt auch wirklich umzusetzen, und zwar deshalb, weil wir eine völlig ungerechte Eigentumsförderung haben, den § 10e, der die Höherverdienenden besserstellt, also die Menschen in den neuen Bundesländern, die mit ihrem Einkommen noch hinterherhinken, stark benachteiligt. Gleichzeitig verhindern Sie die Ausgründung von Wohnungsgenossenschaften, so daß die Menschen in den neuen Bundesländern wenigstens Teileigentum gründen könnten.Wir haben vorgeschlagen, daß man die Anteile dieses Teileigentums wie selbstgenutztes Wohneigentum steuerlich fördern kann. Das wäre eine deutliche Hilfe für die vielen Menschen in den neuen Bundesländern. Wer wirklich mehr Eigentum für die Menschen in den neuen Bundesländern will, der kann auf keinen Fall die Koalitionsparteien — auch bei Wahlentscheidungen — unterstützen. Das gibt nämlich nichts.
Schließlich mein letztes Stichwort — meine Zeit läuft ab
— die läuft auch ab —: Auch beim Bauland sind Sie die richtigen Schritte nicht gegangen. Sie haben das zonierte Satzungsrecht verhindert, mit dem man höhere Steuern auf baureifes Land, das zu Spekulationszwecken gehortet wird, in Ansatz bringen könnte, und Sie haben auch kein preislimitiertes Vorkaufsrecht zugelassen.Fazit: An diesen wenigen Stichworten — mehr kann man j a in 15 Minuten kaum unterbringen — wird klar, daß praktisch in jedem Teil der Wohnungspolitik falsche Entscheidungen getroffen worden sind. Deshalb — ich zitiere die Überschrift unseres Antrages — ist ein „Wechsel in der Wohnungspolitik" dringend überfällig.
Das Wort erteile ich nunmehr dem Abgeordneten Dr. Kansy.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eigentlich habe ich, nachdem Sie, Kollege Großmann, die Ministerin gerügt hatten, sie mache Wahlkampf, nach Ihrer
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Dr.-Ing. Dietmar Kansyvorgestrigen Fraktionssitzung keine andere Rede erwartet.
— Wenn man unbedingt Profil herausbringen muß, sind Sachdebatten sicherlich schwer.
Ich erinnere mich, daß wir in den ersten Wochen dieser Legislaturperiode hier auch schon einmal eine Wohnungsbaudebatte hatten, die erste übrigens.
Vergleicht man die damalige Debatte mit der heutigen, fallen zwei Sachen ins Auge: Erstens sind wir in diesen Jahren bei der Lösung der Wohnungsprobleme einen Riesenschritt weitergekommen.
Zweitens hat sich Ihre Schwarzmalerei, Kollege Großmann, demgegenüber nicht geändert. Das paßt nicht zusammen.Das heißt nicht, daß wir schon alle Probleme gelöst hätten. Wir hatten ja gestern das Thema Obdachlosigkeit in der Anhörung. Dies heißt auch nicht — und das will ich fairerweise zugeben —, daß wir in all den Jahren im Deutschen Bundestag und auch zwischen Bund und Ländern in Dauerkonfrontation gearbeitet hätten. Es wurde ja schon erwähnt, daß das Wohnungsbauförderungsgesetz 1994 mit breiter Mehrheit im Deutschen Bundestag und im Bundesrat verabschiedet wurde.Aber wie makaber Ihre Argumentation, Herr Kollege Großmann, ist, wird daran deutlich, daß die SPD-Länderwohnungsbauministerinnen und -minister mit stolzgeschwellter Brust durch die Lander ziehen und sich selber für ihre großen Taten segnen. Aber wenn sie anfangen, über die Bundeswohnungsbaupolitik zu reden, behaupten sie, daß in diesem Land angeblich das totale Chaos herrsche. Das ist die Wahrheit.
Der Kollege Dr. Janzen sagte in der Debatte Anfang 1991 — ich zitiere ihn jetzt nach dem Protokoll —:Die Fehler und Fehlentscheidungen der Mediziner sieht man in der Regel nicht. Sie liegen nämlich unter der Erde.Sie erinnern sich? Und dann fügten Sie hinzu:Frau Ministerin, ich hoffe nun für uns alle, daß Sie am Ende Ihrer Amtszeit— und die ist natürlich noch nicht gekommen —
die Ergebnisse Ihrer Entscheidungen im Bausektor nicht lieber unter der Erde sehen würden.
Und nun will ich Ihnen einmal etwas sagen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD: Daß sich die Fertigstellung von Wohnungen in den alten Bundesländern in diesen Jahren auf 430 000 jährlich verdoppelt hat, das zeigen wir Ihnen gerne über der Erde. Daß wir in den neuen Bundesländern über 2 Millionen Wohnungen instand gesetzt und modernisiert haben, das sieht jeder Mensch guten Willens, der durch diese Länder fährt. Wenn jetzt das DIW, das keine Koalitionsinstitution ist, für dieses Jahr 500 000 Neubauten in Westdeutschland und rund 50 000 in Ostdeutschland erwartet, dann ist das Grund zur Freude. Es macht uns Mut.
Wir lassen uns von Ihnen auch dieses ewige Gerede von dem halbleeren Glas nicht einreden. Das Ergebnis unserer Wohnungspolitik ist ein mehr als halbvolles Glas.
Noch einige Worte zum Thema Ostdeutschland: Die Kollegin Schenk ist gerade nicht da.
— Aber geredet hat sie ab und zu, selbst wenn sie nicht da war. —
Sie hat folgendes ausgeführt — ich zitiere —:Die Wohnungspolitik ist ein Bereich, in dem der Westen nichts vorzuweisen hat, zumindest nichts, was für den Osten nachahmenswert wäre.Meine Damen und Herren, dies ist die Meinung des Möchtegern-Koalitionspartners der SPD in der Wohnungsbaupolitik.
Die Menschen mögen es hören in Ost und West.Wir waren uns eigentlich einig, was die Hinterlassenschaft von SED/PDS war — man muß es immer wieder erwähnen —: Knapp 25 % der Wohnungen waren zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung — selbst nach DDR-Statistik — in den Güteklassen III und IV, also so stark baufällig, daß deren Erhalt stark gefährdet oder nicht mehr möglich war. 50 % hatten veraltete Kohlenheizungen, 30 % keine Innentoilette, usw.Während wir alle zusammen mit unserem 60-Milliarden-KfW-Programm noch dabei sind, diese unsozialen Politikergebnisse zu korrigieren, propagieren Sie — teilweise die SPD, zugegebenermaßen etwas zurückhaltender, aber insbesondere die PDS —, dieses verantwortungslose System von nicht kostendek-kenden Mieten, die zunächst zum Versiegen privater Investitionen und dann zum Verfall führen, gesamtdeutsch einzuführen. Das ist die Lehre, die Sie aus diesen Jahren im gemeinsamen Deutschen Bundestag
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994 20365
Dr.-Ing. Dietmar Kansygezogen haben. Das, meine Damen und Herren, nicht mit uns!
Wir können als Staat — das weiß jeder — diese Lücke nicht füllen, die private Investoren gerade in den neuen und alten Bundesländern in den letzten Jahren in zunehmender Weise ausgefüllt haben. Denn trotz größter Anstrengungen von Bund, Ländern und Gemeinden sind wir — das wissen wir doch; das sagen uns auch die Länderfinanzminister, das sagen uns die Länderwohnungsbauminister — auf allen staatlichen Ebenen derzeit nicht in der Lage, die Milliarden lockerzumachen.Wer dennoch hohe Fertigstellungszahlen im Wohnungsbau will, Herr Kollege Großmann, der kann nur eine Politik machen, die diese Koalition erfolgreich gemacht hat: private Investitionen fördern und im Rahmen eines sozialen Mietrechts sicherstellen, daß sich der Einsatz von privatem Kapital im Wohnungsbau weiter lohnt.
Da man von uns Ehrlichkeit erwartet, müssen wir dem Bürger sagen — der versteht das auch, die Ministerin hat die Umfrage zitiert —: Die begrenzten staatlichen Mittel müssen wir noch stärker auf die konzentrieren, die sich aus eigener Kraft nicht helfen können,
während wir denen, die es können — das sind in Deutschland mehr, als in dem großen Jammertal zugegeben wird —, zumuten müssen, für das Wohnen ein Stückchen mehr Selbstverantwortung zu übernehmen.
Im übrigen, die Ministerin hat es schon angesprochen: Wir haben angeblich keinen Markt, und der Wohnungsmarkt ist ja wirklich gegängelt. Aber es zeigt sich nach kurzer Zeit erhöhter Neubauraten wieder, daß ein zunehmendes Wohnungsangebot immer auch Druck auf die Mieten bedeutet. Es sind bisher nicht alle Segmente des Marktes davon betroffen; das ist logisch; es schlägt so langsam von oben nach unten durch. Aber die Zeiten — ich wiederhole es — starken Mietanstiegs im Neubau und im Bestand gehen nicht zuletzt dank einer marktwirtschaftlich orientierten Wohnungspolitik zu Ende. Genau das war unser politisches Ziel.
Meine Damen und Herren, noch ein anderer Gedanke dazu: Erleichtert werden private Investitionen und der Bau von Eigenheimen natürlich auch durch die Früchte einer erfolgreichen Stabilitätspolitik, die nicht nur die Inflationsrate sichtbar sinken läßt, sondern auch die Hypothekenzinsen.
— Seit den ersten Wohnungsbauprogrammen sind die Zinsen — ich trage sie seit meinen Ingenieurstudienzeiten wöchentlich ein — zwischen 2,5 und 3 % im Schnitt gesunken.
Das ist auch der Grund, meine Damen und Herren von der SPD, daß wir in Verantwortung nicht nur für die Geldwertstabilität, sondern auch für niedrige Hypothekenzinsen, für hohe Neubauraten Ihrem populistischen Antrag nicht folgen können, die Bundesfinanzhilfen auf 6 Milliarden DM — denn das steht in diesem Antrag drin — pro Jahr zu erhöhen.Herr Kollege Großmann, Sie haben geschlossen, indem Sie auf den Namen Ihres Antrags hinwiesen: „Für einen Wechsel in der Wohnungspolitik". Es ist ein Wechsel im doppelten Sinne, den Sie nicht einlösen können. Sie machen wieder Versprechungen, die zum Schluß weder Bund, Länder noch Gemeinden auf Grund der finanziellen Situation einlösen können, mit dem Ergebnis, daß außer warmer Luft keine Wohnungen in dem Umfang gebaut werden, wie wir es jetzt mit marktwirtschaftlicher Politik hinbekommen haben.
Was Ihre weitere Forderung nach einer sozial treffsicheren Eigentumsförderung betrifft, so haben wir unsere Position dutzendmal hier dargelegt.
Wir haben Handlungsbedarf festgestellt. Die Frau Ministerin hat es Ihnen gerade erläutert: Wir haben nun einmal diese unabhängige Regierungskommission eingesetzt, von der wir ja Ende dieses Jahres Vorschläge erwarten.
Im übrigen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, es waren auch die SPD-Finanzminister, nicht nur der Bundesfinanzminister und die Unions-Finanzminister, die angesichts der angepeilten Steuerstruktur-reform es uns doch geradezu nahelegten, daß wir, wenn wir an die Reform der Förderung des selbstgenutzten Wohneigentums gehen, als Wohnungspolitiker das nicht im luftleeren Raum machen können. Wir bekommen doch nur in Abstimmung mit einer Steuerpolitik ein vernünftiges Konzept.
Wir müssen darauf drängen, daß wir unsere wohnungspolitischen Interessen bei der Steuerdiskussion in dem Umfang einbringen, wie wir das aus Sicht unseres Fachbereiches tatsächlich benötigen, und dies möglichst schnell in der nächsten Legislaturperiode.
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20366 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994
Dr.-Ing. Dietmar KansyMeine Damen und Herren, zum Wohngeld und Mietenbericht und der diesbezüglichen Situation wird im Laufe dieser Debatte für die CDU/CSU der Kollege Raidel noch Stellung nehmen, zum AltschuldenhilfeGesetz der Kollege Rau und zum genossenschaftlichen Wohnungsbau der Kollege Götz.Ich möchte nochmals Bilanz ziehen, wenige Monate vor Ende der Legislaturperiode. Sie kann nur lauten — ich wiederhole es —: Wir sind ein Riesenstück vorangekommen, ohne alle Probleme bereits gelöst zu haben.
Wir haben in dieser Zeit die Investitionsbedingungen für den frei finanzierten Mietwohnungsbau erfolgreich verbessert, so daß er läuft; wir haben den sozialen Wohnungsbau innerhalb kürzester Zeit wieder auf Rekordhöhen geführt; wir haben die Förderung des selbstgenutzten Wohneigentums in verschiedenen Schritten, von der zweimaligen Erhöhung des Baukindergeldes bis zur Erhöhung des Prozentsatzes bei Abschreibungen, und viele andere Sachen wesentlich verbessert.
Wir wissen, daß wir weiterarbeiten müssen, erfolgreich allerdings nur mit dem Teil des Hauses, der von mir aus gesehen auf der rechten Seite sitzt, und nicht mit den Konzepten der SPD, die viel versprechen und nichts halten wird.Vielen Dank.
Meine Damen und Herren! Aus der F.D.P.-Fraktion war deutlich vernehmbar in Richtung Dr. Seifert der Ausdruck „Quatschkopf" gebraucht worden.
Wir können uns nicht darauf einigen, wer das gewesen ist. Aber ich möchte deutlich machen, daß das unparlamentarisch und rügenswert ist.
Herr Dr. Solms hat nunmehr das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte die Gelegenheit nutzen, der Bundesregierung und der Bundesbauministerin Frau Schwaetzer,
den besonderen Dank der F.D.P.-Fraktion für diese erfolgreiche Wohnungsbaupolitik zum Ausdruck zu bringen.
Ich will Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Herr Großmann, sagen: Man kann Details einer bestimmten Politik kritisieren; das ist ja auch Ihre Aufgabe als Opposition. Aber man kann nicht die Erfolge einer Politik negieren, die Sie ja tagtäglich, wenn Sie durch die Straßen fahren, sehen können. Wer das tut, wird nicht mehr ernst genommen.
So ist es nun einmal. Wenn die Zahlen es ausweisen und das Bild in den Straßen es zeigt, daß der Wohnungsbestand verbessert ist, daß die Zahl der Wohnungen gestiegen ist, daß die Ausstattungen der Wohnungen verbessert worden sind, dann können Sie nicht so tun, als wäre nichts gewesen. Wenn Frau Schwaetzer vorträgt, daß in Deutschland quasi jede Minute eine Wohnung fertiggestellt wird,
während es vor zwei, drei Jahren noch nicht einmal die Hälfte davon war, ist das ein enormer Erfolg der Bundesregierung.
Damit sind natürlich nicht — das behauptet ja keiner — sämtliche Probleme gelöst. Aber in einer Zeit, in der Jahr für Jahr, bis vor kurzem, bis zum Wirksamwerden des neuen Asylrechts, über eine Million Menschen in die Bundesrepublik zugewandert sind,
können Sie ja nicht erwarten, daß dieser Bedarf quasi über Nacht gedeckt wird.
Was Sie tun können und tun müssen, ist das, was die Bundesregierung getan hat, nämlich dafür zu sorgen, daß mehr Wohnungen bereitgestellt werden, mehr Wohnungen gebaut werden, damit Angebot und Nachfrage besser zum Ausgleich gebracht werden. Genau das ist getan worden, und das ist — ich darf einen Ihrer Kollegen zitieren — zu belobigen. Denn Ihr wohnungsbaupolitischer Experte, Herr Zöpel, hat wörtlich gesagt:
Wohnen in Deutschland ist eine phänomenale Erfolgsstory.
Herr Zöpel ist aus der Schattenmannschaft von Herrn Scharping nun leider ausgeschieden,
ich vermute, auch deshalb, weil er keine Chancen sieht, in diesem Bereich eine bessere Politik zu machen.
Herr Dr. Solms, der Abgeordnete Conradi möchte Ihnen gerne eine Frage stellen. Bevor ich sie zulasse, wäre ich den Kollegen von der SPD-Fraktion doch sehr dankbar, wenn sie ihre Zwischenrufe nacheinander machen würden und nicht auf einmal, denn das ist nicht nur für das Protokoll ein Problem, sondern auch für mich. Ich kann es beim besten Willen nicht hören, und dann ist die Sache witzlos.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994 20367
Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg
Aber man kann die Zwischenrufe auf Grund ihrer Vielzahl akustisch nicht verstehen. Deshalb bringt das nichts.
Deswegen bemühe ich mich um eine Zwischenfrage, Herr Kollege.
Sie zitieren offensichtlich aus der Ankündigung eines Buches über Wohnungspolitik in Deutschland. Dann müßten Sie aber so freundlich sein, auch korrekt zu zitieren. Zöpel sagt nämlich auf der einen Seite „eine Erfolgsstory", auf der anderen Seite „grobe Ungerechtigkeit in Beton" , so heißt der Titel des Buchs bis jetzt. Ich bin nämlich Mitautor. Deswegen möchte ich Sie bitten, korrekt zu zitieren.
Das war aber keine Werbung, Herr Abgeordneter, nein? — Bitte schön.
Das ist wie überall im Leben: Es gibt gute und schlechte Seiten. Ich hatte nur kritisiert, daß Ihr Kollege Großmann es vermieden oder bewußt unterlassen hat, auch die guten Seiten hervorzuheben. Darum geht es.
In einer Welt, in der Psychologie ein ganz wichtiges Element des Lebensgefühls und auch der Wirtschaft ist, geht es, wenn man positive Ergebnisse erzielen will, eben darum, auch positive Dinge hervorzuheben, sonst werden sie in der Bundesrepublik keine positive Stimmung erzeugen.
Sonst werden Sie gerade in den neuen Bundesländern keine positive Stimmung erzeugen. Das ist eine Kritik, die ich nicht nur an Sie, sondern an uns alle richte.
Die starken Ergebnisse der PDS in den neuen Bundesländern zeigen uns allen, daß es uns — Sie tragen in Brandenburg und in Berlin selbst mit Verantwortung — nicht gelungen ist, die positive Politik, die wir hier betreiben, und die dramatischen positiven Veränderungen, die sich in den neuen Bundesländern eingestellt haben, auch als unseren gemeinsamen Erfolg darzustellen.
Das, finde ich, ist die große Enttäuschung, die sich jedenfalls für mich aus diesen Wahlen ergeben hat.
Herr Dr. Sohns, Entschuldigung, wenn ich unterbreche. Herr Dr. Seifert möchte auch gern eine Zwischenfrage stellen.
Herr Präsident, normalerweise wird die Zeit nicht angerechnet, aber die Uhr ist inzwischen wieder weitergelaufen. Darauf möchte ich aufmerksam machen.
Nein, nein. Nur in dem kleinen Moment. Wir achten sehr korrekt darauf, Herr Abgeordneter Dr. Solms, daß Sie nicht schlecht bedient werden.
Vorher stand hier eine „7", und jetzt steht eine „6" . Das kann ich sehen.
Herr Dr. Seifert.
Herr Kollege Solms, Sie wissen doch, daß zu DDR-Zeiten immer nur Erfolgsberichte gegeben wurden
und daß es die Menschen dort über haben. Ich frage Sie deshalb: Ist derjenige böse, der die schlechte Nachricht überbringt, oder derjenige, der die schlechte Politik macht?
Es ist derjenige gut, der realistische positive Nachrichten überbringt, genauso wie derjenige, der die kritikwürdigen Dinge auf den Tisch legt. Beides gehört zusammen. Man muß da in der Waage bleiben.Die PDS spielt sich in den neuen Bundesländern zum Interessenvertreter der Menschen dort auf. Praktisch tut sie nichts, damit die Lebenssituation besser wird. Das müssen andere tun.
: Keine Wohnung habt ihr
Ich bin darüber enttäuscht, daß Ihnen das so gut gelungen ist und uns allen so schlecht, obwohl wir dort gute Arbeit geleistet haben. Deswegen müssen wir uns alle anstrengen, die klaren positiven Ergebnisse unserer gemeinsamen Arbeit dort besser darzustellen.
Meine Damen und Herren, die Bauwirtschaft war ein wichtiges stabilisierendes Element in der Konjunkturentwicklung der letzten Jahre hier im Westen, und sie war der Hauptantriebsmotor für den Aufbau der Wirtschaft in den neuen Bundesländern. Deshalb hat sie darüber hinaus gesamtwirtschaftlich eine so positive Wirkung gehabt.Vor allem das Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz hat die Voraussetzungen für grundsätzliche Erleichterungen geschaffen. Dabei ist es gelungen, die Planungsverfahren zu verkürzen und effizienter zu machen sowie Baurecht und Naturschutz harmonisch aufeinander abzustimmen. Ich glaube, dies war sehr wichtig. Aber es liegt natürlich an den Ländern, dieses Gesetz umzusetzen. Wie man sieht, ist dies nicht überall erfolgt.Die F.D.P. ist darüber hinaus der Auffassung, daß weitere Deregulierungen im Baubereich notwendig sind. Eine von Frau Schwaetzer einberufene Kostensenkungskommission wird auch hierzu in Kürze Vorschläge vorlegen. Wir müssen überflüssige technische
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20368 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994
Dr. Hermann Otto SolmsNormen und Standards abschaffen, damit das Bauen insgesamt billiger werden kann. Es muß uns doch ein gutes Beispiel sein, daß eine Sozialwohnung in Holland, wo die klimatischen Verhältnisse nicht besser sind als bei uns, genau halb soviel kostet wie in Deutschland. Auch hier ist vieles zu tun, und das können wir auch nur gemeinsam tun.Meine Damen und Herren, eine besondere Bedeutung mißt die F.D.P. dem selbstgenutzten Wohneigentum zu. Mehr noch als eine Mietwohnung gewährt die eigene Wohnung Unabhängigkeit und Freiheit in einem zentralen Bereich des Lebens. Wohneigentum bietet durch seine Beleihbarkeit finanzielle Unabhängigkeit, und es kann vererbt werden. Nicht zuletzt gleicht die sinkende Wohnkostenbelastung im Alter das geringere Alterseinkommen aus und ist damit eine Stabilisierung der Einkommens- und Lebensverhältnisse über den gesamten Lebenslauf hinweg. Deshalb setzen wir uns besonders für die Förderung von Erwerb und Besitz selbstgenutzten Wohneigentums ein.Insbesondere in den neuen Bundesländern, wo in den letzten 40 Jahren das Eigentum mit Füßen getreten worden ist, muß die Wohneigentumsquote gestärkt werden. Damit sich vor allem Familien mit Kindern den Traum vom eigenen Heim erfüllen können, will die F.D.P. die Grenzen des zu versteuernden Einkommens bei der Förderung des Bausparens erhöhen, und zwar deutlich erhöhen.
Insbesondere geht es dabei darum, familienpolitische Elemente einzubauen, also Zuschläge zur Einkommensgrenze für die Kinder einzuführen, damit mehr Familien mit Kindern in die Bausparförderung einbezogen werden.
Es besteht der Wunsch des Kollegen Seifert, noch eine Zwischenfrage zu stellen.
Nein, Herr Präsident, ich möchte nun zu einem zusammenhängenden Ende kommen.
Das ist Ihr gutes Recht!
Außerdem kann der Kollege Seifert ohnehin nach mir sprechen.Zusätzlich sollte für jedes Kind die Einkommensgrenze für die Prämie weiter erhöht werden. Nur so kommen mehr Familien in den Genuß der Wohnungsbauprämie. Die F.D.P. möchte an der Bausparförderung festhalten, wir wollen sie sogar stärken und nicht abbauen. Wir wollen wie in dieser Legislaturperiode auch verhindern, daß bei der ansonsten vernünftigen Sparpolitik die Bausparförderung geopfert wird.Neben dem Bausparen wollen wir natürlich auch die anderen Formen des Vorsparens durch die Arbeitnehmersparzulage und den steuerlichen Sonderausgabenabzug erhalten. Die steuerliche Förderung selbstgenutzten Wohneigentums ist ein zentralesInstrument zur Bildung breitgestreuten Wohneigentums.Zur Besteuerung von Grund- und Wohneigentum werden wir auch in Zukunft an der Einheitswertbesteuerung festhalten; denn die Einheitswertbesteuerung orientiert sich am Prinzip der Ertragswertbesteuerung. Das ist das entscheidende Element. Eine Besteuerung auf der Grundlage der Verkehrswerte, die — wie ich höre — von der SPD gefordert wird, widerspricht dem gerechten Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit
und würde in vielen Fällen zu tiefgreifenden Eingriffen in die Substanz des Haus- und Grundbesitzes führen müssen.Dies betrifft übrigens auch die Forderung beispielsweise von Herrn Lafontaine nach einer zusätzlichen Vermögensabgabe von 1,5 %. Wenn Sie bedenken, daß wir die Vermögensteuer für Privatvermögen im Rahmen des föderalen Konsolidierungsprogramms bereits auf 1 % verdoppelt haben, hieße dies, daß wir zu einer Vermögensabgabe von 2,5 % im Jahr kommen. Das heißt, daß in einer Generation ein Vermögen enteignet wird. Wenn man dies genau betrachtet, kann es keine ernstgemeinte Forderung sein oder eine Forderung, die zu Konsequenzen führt, die niemand unterstützen kann.
— Nein, das ist ernst. Ich habe es nachgelesen und kann es nicht anders verstehen.Meine Damen und Herren, wir müssen das private Eigentum als Grundlage unserer freiheitlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung weiterhin schützen und fördern. Deshalb möchte ich etwas abschließend zitieren, was ein weiser Mann vor langer Zeit gesagt hat:Es darf der Besitz nur in gewisser Weise zum Gemeingut gemacht werden, in der Hauptsache aber muß er Privateigentum bleiben. Denn gerade bei der geteilten Verwaltung wird alles besser gedeihen, indem jeder mit Sorgfalt für seinen Vorteil arbeitet.Dieser Gedanke von Aristoteles ist auch nach 2 300 Jahren unvermindert gültig. Aristoteles hat schon damals auf den Zusammenhang von Eigentum und Verantwortung hingewiesen. Wer den heruntergekommenen Zustand des Wohnungsbestandes in der damaligen DDR kennengelernt hat, weiß, daß sich Verantwortung nur auf der Basis privaten Eigentums in einer funktionsfähigen Gesellschaftsordnung entfalten kann.Deshalb gilt für die F.D.P.: Statt Volkseigentum wollen wir ein Volk von Eigentümern. Meine Damen und Herren, unsere Erfolgsbilanz auf diesem Weg kann sich sehen lassen. Wir danken der Bundesregierung und hoffen, daß sie auf diesem Weg erfolgreich
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994 20369
Dr. Hermann Otto Solmsweiterarbeiten wird, zumindest für die nächsten vier Jahre.
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Dr. Ilja Seifert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Solms, leider habe ich nicht ganz so viel Redezeit wie Sie; deswegen kann ich nicht auf alle Ihre Punkte eingehen,
— wie Sie und Ihre Leute. — Aber in einem Punkt gebe ich Ihnen recht: Wer die Realitäten nicht sieht, der kann nicht ernst genommen werden. Die Realität zeigt sich nämlich nicht hauptsächlich in statistischen Zahlen. Die Realität haben wir z. B. gestern im Ausschuß gesehen, als es um die Obdachlosigkeit ging.Nachdem die Mieten in Ostdeutschland zwischen 1991 und 1994 um rund 700 % gestiegen sind und fast Westniveau erreicht haben, nachdem die Einkommen in Ostdeutschland noch nicht in dem Maße stiegen, wie ursprünglich angenommen und zugesagt, obwohl noch immer jeder dritte Haushalt in Ostdeutschland Wohngeld braucht, um die Belastung durch die Miete etwas zu mildern, obwohl die Zahl der Obdachlosen stetig steigt und obwohl 40 Jahre bundesrepublikanische Wohnungspolitik genug sein müßten, um zu verhindern, daß alte Fehler wiederholt werden, trotzdem soll nach dem Willen der Bundesregierung das Jahr nach der Wahl zu einem der folgenreichsten in Ostdeutschland überhaupt werden.1995, nämlich nach der Wahl, läuft das Wohngeldsondergesetz aus, ebenso die zusätzlichen Kündigungsschutzregelungen und die Belegungsrechtsbindung. Die Entlassung des gesamten Wohnungsbestandes in das Vergleichsmietensystem ab Mitte 1995 ist dann der gravierendste Schlag gegen die Lebensinteressen der Mieterinnen und Mieter in den ostdeutschen Ländern.Während der Kanzler dem Hausbesitzerverband die Einführung der Vergleichsmiete noch 1995 zusagt, drücken sich angesichts der bevorstehenden Landtags- und Bundestagswahlen die Barminister vor dem Verkünden der tatsächlichen Wahrheit. Auch heute sagten Sie, Frau Ministerin, nur, daß es um das Vergleichsmietensystem gehen wird, aber Sie sagen vor der Wahl nicht, wie der Übergang vonstatten gehen soll, und vor allem sagen Sie nicht, was das wirklich bedeutet.Mit der Einführung des Vergleichsmietensystems droht eine weitgehende Freigabe der Mieten. Noch heute ist der Irrtum weit verbreitet — die sehr aufgeblähte „Aufklärungsarbeit" der Bundesregierung ändert daran überhaupt nichts, weil Sie darüber nichts sagen —, daß DDR-Wohnungen Sozialwohnungen seien. Schließlich seien sie mit öffentlichen Mitteln errichtet, und der Ausstattungsgrad sei auch nicht gerade luxuriös.Man denkt darüber nach, wie man wohl die einzuführende Vergleichsmiete soweit wie möglich spreizen könne; die Umlage des Kapitaldienstes für die verbleibenden sogenannten Altschulden kommt hinzu, ebenso die Wohnkostenerhöhung aus Modernisierungsumlagen und nicht zuletzt — da gebe ich Ihnen recht, Frau Ministerin, das ist ein Skandal — aus den rapide steigenden kommunalen Gebühren. So droht eine nach der Logik der Marktwirtschaft völlig legale Vertreibung infolge unbezahlbarer Mieten.Möglichkeiten, etwas dagegen zu tun, gibt es für verantwortungsbewußte Politikerinnen und Politiker. Als Beispiele möchte ich nur einige wiederholen, die ich schon mehrfach genannt habe, nämlich für den Übergang ins Vergleichsmietensystem auf die Erfahrungen mit schwarzen und weißen Kreisen zurückzugreifen, Kappungsgrenzen für Modernisierungsumlagen zu beschließen — die würden nämlich die Luxusmodernisierung zumindest beschneiden —, und man könnte z. B. den DDR-Wohnungen den Status von Sozialwohnungen mit kommunalen Belegungsrechten und Mietpreisbindungen geben.Die PDS hat einen Antrag eingebracht, der heute in erster Lesung behandelt wird, mit dem ein befristetes Mietenmoratorium bis wenigstens Ende 1996 gefordert wird. Sowohl die Miethöhe als auch die zu erwartende Einkommensentwicklung in den nächsten zwei Jahren rechtfertigen eine solche Erklärung von Bundesregierung und Bundesrat. Außerdem wäre damit Zeit gewonnen, endlich ein Konzept zur zukünftigen Mietenentwicklung in Ostdeutschland unter Einbeziehung der betroffenen Seiten zu erarbeiten. Mieterinnen und Mieter sowie Vermieter wüßten, woran sie in den nächsten Jahren sind. Bei seriöser Arbeit ist sogar zu einem überschaubaren und wirklich sozial orientierten Mietensystem für Gesamtdeutschland zu kommen.Mit unserem Antrag wird des weiteren eine Kappungsgrenze für die Umlage von Modernisierungskosten gefordert. Unbestritten ist, daß in Ostdeutschland ein großer Sanierungs- und Modernisierungsbedarf besteht. Das kann aber doch nicht auf dem Rücken der Mieterinnen und Mieter ausgetragen werden, und das darf auch nicht zur Vertreibung durch Mietenexplosion führen.Jetzt, bitte, Frau Ministerin, sagen Sie mir: Wieso brauchen Sie für die freie Entfaltung von Kindern hauptsächlich die Eigentumsförderung? Glauben Sie wirklich, daß es für die Kinder wichtig ist, ob ihre Eltern und sie zur Miete wohnen oder in Eigentumswohnungen? Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.Daß die im Altschuldenhilfe-Gesetz verordnete zwangsweise Privatisierung von Wohnungen schreiendes Unrecht ist, wurde in mehreren Rechtsgutachten nachgewiesen. Das gilt für ehemaliges Volkseigentum und noch mehr für den genossenschaftlichen Wohnungsbestand. Die Praxis hat in den letzten Monaten ausdrücklich bestätigt, daß die Zwangsprivatisierung weder den Unternehmen noch sozial verantwortlich denkenden Kommunen und erst recht nicht den derzeitigen Nutzern der Wohnungen hilft. Zu allem Überfluß entlastet dieses zweifelhafte Geschäft noch nicht einmal den Staatshaushalt.
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20370 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994
Dr. Ilja SeifertMinimalkonsens in diesem Bundestag sollte sein, den Privatisierungszwang aus dem AltschuldenhilfeGesetz ersatzlos zu streichen. Ihre Beispiele, Frau Ministerin, waren ja ganz deutlich. Sie waren ja vor Inkrafttreten des Altschuldenhilfe-Gesetzes realisiert.Die bundesdeutsche Wohnungspolitik funktioniert nach den Regeln des Investitionsanreizes. Sie haben es ja vorhin wieder gesagt, das ist das Wichtigste. Alle Förderinstrumente sind darauf ausgerichtet. Auch der Herr Kollege Großmann hat vorhin sehr ausführlich darauf hingewiesen. — Ich muß das jetzt etwas straffen, weil, wie gesagt, meine Redezeit nicht ganz so lang ist.Trotzdem möchte ich auf eines noch hinweisen, weil Sie davon sprachen, daß Belegungsrechte gekauft werden können. Wissen Sie denn nicht, Frau Ministerin, daß der Erwerb von Belegungsrechten aus dem Bestand unheimlich teuer ist, und zwar teuer für die Kommunen, nicht für den Bund? Es wurde gestern auf der Anhörung zur Obdachlosigkeit wieder sehr deutlich gesagt, daß unsinnig viel Geld ausgegeben wird. Wenn man den Menschen eine Wohnung hinstellen und ihnen einen Mietvertrag geben würde, wäre das wesentlich preiswerter, als Obdachlose in Quartieren unterzubringen.
— Aber, Frau Peters, Sie haben es doch gehört.Von den jährlich rund 75 Milliarden DM zur Förderung des Wohnungswesens gehen 80 % in Form von Steuergeschenken an die, die bereits Immobilien besitzen. 12 % erhalten die, die eigentlich genug verdienen, um sich ein Häuschen bauen zu können, aber denen der Staat mit dem famosen § 10e Einkommensteuergesetz unter die Arme greift. Ganze 8 % bleiben für die Förderung des sozialen Wohnungsbaus und für Wohngeld übrig. Ordnungs- und vermögenspolitische Zielvorstellungen haben die ursprünglichen Ziele der Wohnungsbauförderung weitgehend beiseite gedrängt.Solche ideologischen Scheuklappen sind für praktische Wohnungspolitik sehr ungeeignet. Gleichgültig übrigens, ob Sie den Fetisch niedrige Mieten haben, den Sie ja sozusagen uns vorwerfen — Herr Kansy spricht hier immer von der Schrägstrich-Partei — oder ob Sie ideologisch auf den Fetisch Eigentum fixiert sind: Wichtig ist, daß der Mangel an bezahlbaren Wohnungen beseitigt wird. Falls jemand allerdings das Menschenrecht auf Wohnung als Ideologie betrachtet, dann würde ich diesen Vorwurf in Kauf nehmen; denn wenn das tatsächlich zur Grundlage von Politik gemacht würde, wären wir wesentlich weiter.Es gibt genügend Möglichkeiten, wohnungspolitische Fortschritte zu erzielen. Ich will nur einige aufzählen:Man kann die steuerliche Begünstigung des Kaufs von Wohnungen aus dem Bestand abschaffen. Man kann alternative Wohnkonzepte vom betreuten Wohnen von Menschen mit Behinderung bis hin zu Wohngemeinschaften unterstützen. Man kann die personellen, finanziellen und geistigen Potentiale auf die Entwicklung neuer Modelle des genossenschaftlichen Wohnungsbaus konzentrieren. Man kann Konzepte zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus entwikkeln und umsetzen, die nicht so teuer sein müssen.Vorschläge für eine Wende in der Wohnungspolitik gibt es viele, und zwar machbare und finanzierbare, von Mieterorganisationen, von Bürgerinitiativen, von Gewerkschaften, von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, auch von der SPD, die besten selbstverständlich von der PDS.Wie realitätsfern die wohnungspolitische Erfolgsbilanz der Bundesregierung, die heute wieder einmal vorgelegt wurde, ist, wissen die Menschen auf Grund ihrer persönlichen Erfahrungen sehr gut. In diesem Zusammenhang kann ich nur sagen, daß das Wahlergebnis der Schwaetzer-Partei auch dafür spricht. Es tut mir leid, wenn ich auch das erwähnen muß; aber es ist nun einmal so.Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und hoffe, daß wir in der Wohnungspolitik davon ausgehen wollen, den Menschen zu helfen, und nicht Investitionsanreize auszulösen und Renditeerwartungen zu erfüllen.Vielen Dank.
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Werner Schulz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da werden Abermillionen von Steuergeldern für das Prestigeobjekt Schürmann-Bau verpulvert, um nun händeringend für den Preis von 1 DM einen gnädigen Abnehmer zu finden, der die Ruine abreißt. Auf der anderen Seite fehlen in diesem Land rund 2,3 Millionen Wohnungen, erreichen die Wohnungslosenzahlen täglich beängstigend neue Höhen. In dieser Situation empfiehlt die Bauministerin laut ddp-Meldung von Montag zynisch, man möge doch einfach die ostdeutschen Datschen als Dauerwohnung beziehen. Vielleicht erklärt sich daraus das plötzliche Engagement ihrer Partei für die Datschenbesitzer.Aber in einem irren Sie sich. Ich glaube, der letzte Sonntag hat doch etwas gezeigt. Und Sie sind doch eigentlich nicht so realitätsscheu. Der letzte Sonntag hat zumindest gezeigt, daß die Wählerinnen und Wähler Ihre Politik nicht sonderlich gut finden. Da muß Ihnen schon der Fraktionsvorsitzende dafür danken, die Wählerinnen und Wähler tun es nicht.
Doch daß die Wohnungsnot mit dem Asylproblem zusammenhängt, da muß man die Tatsachen schon gewaltig beugen, so wie es Herr Solms hier getan hat, bzw. muß man seine liberale Überzeugung gänzlich abstreifen.Noch gibt es in den neuen Bundesländern rund 2,9 Millionen genossenschaftliche bzw. kommunale Wohnungen. Nach dem Altschuldenhilfe-Gesetz müssen 15 % davon zur Bildung privaten Wohnungs-
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Werner Schulz
eigentums privatisiert werden. An den bisherigen Privatisierungen haben sich jedoch nur zu einem geringen Teil Ostdeutsche beteiligen können. Den Löwenanteil teilen sich bisher westdeutsche Investoren, allen voran Banken und Versicherungen. Die Deutsche Bank hat unlängst einen Wettbewerb zum Verkauf ostdeutscher Wohnungen in Sachsen-Anhalt ausgeschrieben. Wer in diesem Zusammenhang von einer breiten Eigentumsverteilung spricht, übersieht offenbar die Tatsache, daß die Verteilung derart breit ist, daß der Hauptteil im Westen ankommt.BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordern eine Reform des Altschuldenhilfe-Gesetzes in Verbund mit einer Förderung des Genossenschaftswesens.
Notwendig sind hier gezielte Starthilfen für den Aufbau neuer Bewohnergenossenschaften. Dies sollte durch die Übertragung von Grundstücken zu niedrigen Preisen ermöglicht werden, damit nicht hinterher die Mieten in die Höhe schnellen.Darüber hinaus sind organisatorische Unterstützung sowie gezielte Steuererleichterungen erforderlich. Genossenschaftliches Wohneigentum ist individuellem Wohneigentum im Rahmen der §§ 10 e und 34 des Einkommenssteuergesetzes gleichzustellen.Für die ostdeutschen genossenschaftlichen bzw. kommunalen Wohnungen besteht nur eine befristete Belegungsbindung. Bei Änderung des Altschuldenhilfe-Gesetzes muß auch § 12 reformiert werden. Ziel ist eine Belegungsbindung für größere Wohnungsbestände in Verbindung mit einer langfristigen Mietbindung für diese genossenschaftlichen und kommunalen Wohnungen.Wir haben in den neuen Bundesländern jedoch nicht nur das Altschuldenproblem, sondern generell auch das Mietenproblem zu bewältigen. Hier muß an die Zusage des Einigungsvertrages erinnert werden, wonach Mieterhöhungen nur proportional zur Einkommensentwicklung zulässig sind.Schon heute sind insbesondere auf Grund von Arbeitslosigkeit mindestens 30 % der ostdeutschen Haushalte wohngeldberechtigt. Solange nicht deutliche und für breite Schichten wirksame Einkommenssteigerungen sichtbar sind, darf es keine Abstriche am Wohngeld, insbesondere am Wohngeld Ost, geben. Statt dessen müssen die Wohngeldobergrenzen der Mietentwicklung entsprechend angehoben werden.
Die für Juli 1995 geplante Aufhebung der Mietpreisbindung in Ostdeutschland darf nicht stattfinden. Darüber hinaus fordern wir einen klaren Vorrang der Mietermodernisierung vor der Eigentümermodernisierung nach dem Wiener Vorbild, eine Forderung, die auch in Leipzig sehr viel Interesse findet. Auch hier gilt es, die Eigeninitiative der Betroffenen zu aktivieren und Luxussanierungen zu vermeiden.Das Ziel unserer Vorschläge ist die Absicherung eines Grundbestandes an preis- und belegungsgebundenen kommunalen Wohnungen in den neuen Bundesländern. In Westdeutschland hat die Politik der Bundesregierung in den vergangenen Jahren zu einem wahren Exodus des sozialen Wohnungsbaus geführt. Höhepunkte dieser Politik sind die Aufhebung der Wohngemeinnützigkeit, immerhin 1989/90 noch von CSU-Bauminister Schneider verabschiedet, und das Wohnungsbauförderungsgesetz von 1994. Künftig heißt es: Hier baut nicht der Bund, sondern die Partei der Besserverdienenden.Im Interesse der Wohnungssuchenden wie auch im Interesse der Steuerzahler brauchen wir eine dauerhafte Sozialbindung öffentlich geförderter Wohnungen und eine Konzentration des Wohnungsbaus auf Haushalte mit niedrigen und mittleren Einkommen. Gerade dann, wenn die Wohnungen von den hohen Schulden herunterkommen, werden sie von der Bundesregierung der privaten Verwertung übergeben. Das ist Verschwendung öffentlicher Mittel. Darum heißt unsere Grundforderung: Einmal gefördert, dauerhaft gebunden.Längst besteht im sozialen Wohnungsbau ein interner Verdrängungswettbewerb zu Lasten der sozial Schwächeren. Die kürzliche Erhöhung der Einkommensgrenzen hat dazu geführt, daß allein in Ostdeutschland ca. 60 % der Haushalte anspruchsberechtigt sind, doch bietet das Zweite Wohnungsbaugesetz der Fehlbelegung im sozialen Wohnungsbau keineswegs Einhalt. Im Gegenteil werden hier nach dem Willen der F.D.P.-Bauministerin vor allem diejenigen Haushalte begünstigt, deren Einkommen um 60 % über der Einkommensgrenze liegt.Es wird demnach nicht für die eigentliche Zielgruppe des Gesetzes gebaut, sondern Frau Schwaetzer wartet anscheinend noch immer auf den Sickereffekt: Ein Besserverdienender macht eine Wohnung frei für einen Durchschnittsverdiener, dieser räumt seine Wohnung für einen Armen. So funktioniert es angeblich. Praktisch aber steigt die Zahl der Obdachlosen.
Das Wort hat nunmehr die Abgeordnete Iris Gleicke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Westen hat es diese Bundesregierung ja längst geschafft, die Mieten in derart astronomische Höhen zu treiben und klettern zu lassen, daß die Menschen sie nicht mehr bezahlen können. Wenn dann die Schmerz- und Obergrenze überschritten ist und die Mieten nicht mehr steigen können, weil man einem nackten Mieter bekanntlich nicht in die Tasche greifen kann, spricht die Frau Ministerin von einer Beruhigung auf dem Wohnungsmarkt und fabuliert von durchschnittlich 7 DM/qm Kaltmiete in den westlichen Bundesländern. Hier ist der Wunsch der Vater des Gedankens.Die Ausführungen zu den Ostmieten knüpfen an die schöne Tradition orientalischer Märchenerzählerei an. Auch im Osten ist alles ganz toll; denn laut Frau Schwaetzer liegt die Warmmiete im Osten derzeit bei ungefähr 8 DM im Durchschnitt. Das ist natürlich billiger als im Westen; aber man sollte dabei nicht verschweigen, daß der Wohnstandard gleichzeitig wesentlich niedriger ist. Man sollte auch nicht verschweigen, daß die Ostmieten zwischen Januar 1991
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20372 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994
Iris Gleickeund Januar 1994 um sage und schreibe 662 % gestiegen sind.Schon im vergangenen Jahr haben über ein Drittel der Haushalte im Osten über 25 % des Einkommens für das Wohnen ausgegeben. 44 % der Mieter halten ihre Miete für zu hoch. 41 % sind mit ihren Wohnungen unzufrieden. Frau Schwaetzer ficht das nicht an. Sie stellt voller Zufriedenheit fest, im Wohnungswesen der neuen Bundesländer sei der Übergang in die Soziale Marktwirtschaft ein erhebliches Stück vorangekommen. Darf man sich da noch wundern, wenn die Menschen im Osten kein Vertrauen in die Soziale Marktwirtschaft Marke Schwaetzer gewinnen, auch wenn so mancher in diesem Hohen Hause das offenbar noch immer nicht wahrhaben will?Die Menschen im Osten schauen durchaus über ihren eigenen Tellerrand hinaus. Die Menschen im Osten wissen, was liberal-konservative Wohnungspolitik in den alten Ländern für eine Katastrophe angerichtet hat. Die Menschen im Osten haben berechtigte Angst vor einer Wohnungspolitik, die mit Marktwirtschaft wenig und mit sozialer Verantwortung so gut wie gar nichts zu tun hat.In Deutschland herrscht Wohnungsnot. Was diese Wohnungsnot für die neuen Bundesländer bedeutet, will ich am Beispiel Thüringens klarmachen: Dort fehlen ca. 100 000 Wohnungen, 22 000 Wohnungen stehen leer, und weitere 22 000 Wohnungen sind bisher zweckentfremdet worden. Das zeigt die ganze Dramatik auf dem Wohnungsmarkt. Was vor allem fehlt, ist preiswerter Wohnraum für Familien mit Kindern. Das mag im Vergleich zu den alten Bundesländern fast normal erscheinen, aber in Thüringen wie in den anderen neuen Bundesländern treten besondere Probleme hinzu.Ich erinnere daran, daß die Mietenverordnung der Bundesregierung ausläuft, die eine Begrenzung der Mieten erlaubt. Ich erinnere an das AltschuldenhilfeGesetz unter dem Gesichtspunkt von Mieterschutz und dem Überleben der Wohnungsunternehmen. Ich erinnere an die in diesem Gesetz enthaltene Pflicht zur Privatisierung von 15 % des Bestandes, an das besondere Problem der Genossenschaften und weiterhin an die aufgelaufenen Zinsen während der Zeit des Zinsmoratoriums. Ich erinnere schließlich daran, daß Sozialwohnungen fehlen.Bei den meisten Wohnungen besteht ein enormer Bedarf an Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen. Einige Zahlen belegen das. In 16 % der Wohnungen fehlen Bad oder Dusche, 25 % verfügen über kein Wasserklosett, 55 % haben keine moderne Heizung. Um die Qualität dieser Wohnungen zu verbessern, müssen die Wohnungsunternehmen hohe Kredite aufnehmen; denn sie verfügen bekanntlich kaum über Eigenkapital. Auf der Gegenseite fordern die Mieter mit Recht, daß ihre Wohnungen instand gesetzt werden, und sie fordern darüber hinaus, daß ihre Wohnungen modernisiert werden. Diese Modernisierungsmaßnahmen werden jedoch zu 11 % auf die Miete umgelegt, und das treibt die Miete nach oben. Hinzu kommen Luxusmodernisierungen, durch die Wohnungen unbezahlbar werden. Auf Dauer muß dies zu höheren Mieten als bei vergleichbaren Wohnungen im Westen führen.Frau Schwaetzer hat angekündigt, in den neuen Ländern die Vergleichtsmiete einführen zu wollen. Wie soll sie denn eingeführt werden? Was soll denn hier miteinander verglichen werden? Ein solches Vergleichsmietensystem hat den speziellen Problemen bei uns im Osten Rechnung zu tragen. Es muß sicherstellen, daß die Mieterinnen und Mieter vor unzumutbaren Mietsprüngen geschützt werden. Es hat die Einkommensunterschiede genauso zu berücksichtigen wie die Unterschiede in der Wohnqualität.
Frau Schwaetzer tönt in ihrem Bericht, die Bundesregierung habe das Altschuldenproblem gelöst. Nehmen Sie doch bitte zur Kenntnis, daß das Altschuldenhilfe-Gesetz für die Wohnungsunternehmen und damit für die Mieter nicht nur Vorteile bringt. Zwar ist die Gefahr von Konkursen auf Grund totaler Überschuldung vorerst gebannt, aber es bleiben objektive Probleme. Dazu gehören die 15 %ige Privatisierungspflicht ebenso wie die progressive Gestaltung der Abführung an den Erblastenfonds.Die Verpflichtung zur Privatisierung nimmt auf unterschiedliche Voraussetzungen keinerlei Rücksicht. So wird das großstädtische Wohnungsunternehmen mit einem überwiegenden Bestand an Plattenbauten ebenso bewertet wie das ländliche Wohnungsunternehmen, dessen kleinzeiliger monolithischer Bestand für seine Mieter und damit für die potentiellen Käufer wesentlich attraktiver ist.Erst recht wird keine Rücksicht auf unterschiedliche Mieterstrukturen genommen. Von den diese Strukturen prägenden Faktoren wie Lebensalter, sozialer Status usw. jedoch hängt es ab, ob ein Wohnungsunternehmen überhaupt in der Lage sein wird, 15 % seines Bestandes an die Mieter zu verkaufen. Zudem ist bei der Mieterprivatisierung eine zentrale Forderung, daß vor dem Verkauf zunächst das Gemeinschaftseigentum saniert wird. Das kostet Zeit.Aus all diesen Gründen braucht eine erfolgreiche Mieterprivatisierung grundsätzlich ihre Zeit. Sie ist nicht von heute auf morgen zu bewerkstelligen.
Durch die genannte progressive Gestaltung der Abführung an den Erblastenfonds werden die Wohnungsunternehmen jedoch unter diesen zeitlichen Druck gesetzt, Herr Kollege Hitschler.
Das wird Fehlentscheidungen Vorschub leisten.Ich empfehle Ihnen allen dringend die Lektüre des Berichtes des Unterausschusses „Privatisierung des Wohnungsbestandes in den neuen Bundesländern". Dieser Bericht bestätigt in jeder Hinsicht unsere Kritik am Altschuldenhilfe-Gesetz.Laut einer Emnid-Untersuchung lehnen 60 % der Mieter den Kauf ihrer Wohnungen ab; nur ein Viertel der Mieter ist am Kauf ihrer Wohnungen interessiert. Das ist kein Wunder; denn angesichts der Quadratmeterpreise etwa in Dresden gibt es den Mietervorrang nur auf dem Papier. Von 3 500 Käufern privatisierter
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Iris GleickeWohnungen in Dresden stammen ganze 14 % aus den neuen Bundesländern.
Königin Marie-Antoinette hat kurz vor der Französischen Revolution geäußert: Wenn das Volk kein Brot hat, soll es doch Kuchen essen. Ganz ähnlich sieht das die Bundesregierung: Wenn die Leute ihre Mieten nicht bezahlen können, dann sollen sie doch endlich die Wohnungen kaufen.Die SPD hat im Deutschen Bundestag einen Antrag zur Novellierung des Altschuldenhilfe-Gesetzes gestellt; denn die Wohnungsunternehmen brauchen endlich Sicherheit und Gewißheit, daß ihre speziellen Probleme bei der Bewertung der von ihnen durchgeführten Privatisierung angemessen berücksichtigt werden.Insbesondere geht es uns um die Genossenschaften. Sie sind für uns eine Form des Privateigentums. Um diesen besonderen Eigentumsverhältnissen Rechnung zu tragen, muß die Privatisierungspflicht der Genossenschaften auf ihre Mitglieder beschränkt bleiben.
Sollten damit diese 15 % nicht erreicht werden, darf das keine Auswirkung auf die Gewährung der Altschuldenhilfe haben. Die Neu- bzw. Ausgründung von Genossenschaften muß als Form der Privatisierung anerkannt werden. Der Genossenschaftsgedanke muß auf diese Weise gefördert werden.Mit dem Altschuldenhilfe-Gesetz wurden die Bestände der Wohnungsunternehmen quasi in frei finanzierte Wohnungen verwandelt. Einer Mietpreisbindung unterliegen sie noch bis zum bereits erwähnten Auslaufen der Verordnungsermächtigung. Bis zu diesem Zeitpunkt werden aber nur wenige Sozialwohnungen fertiggestellt sein. Solche mietpreis- und belegungsgebundenen Wohnungen werden jedoch dringend zur Lösung der kommunalen Wohnungsprobleme gebraucht.Daß in diesem Altschuldenhilfe-Gesetz der Wurm steckt, hat offenbar mittlerweile sogar der Bundeskanzler eingesehen und der Wohnungswirtschaft im Osten eine wohlwollende Prüfung des Gesetzes zugesichert. Wir freuen uns aufrichtig über diese Einsicht. Hätten Sie damals auf uns gehört, hätten Sie wenigstens versucht, unsere Argumente zu verstehen, dann brauchten Sie jetzt nicht unter dem Druck der Öffentlichkeit Ihr tolles Gesetz umzubasteln.Wahrscheinlich wird es uns auch heute nicht möglich sein, Frau Schwaetzer und ihre Kolleginnen und Kollegen von der Realitätsferne ihres Mieten- und Wohngeldberichtes und von der Richtigkeit unseres Altschuldenhilfenovellierungsantrages zu überzeugen.Ich muß gestehen: Das erinnert mich ein wenig an den mangelnden Realitätssinn des jüngst verstorbenen letzten Staatschefs der DDR.
Man hat diesen Realitätsverlust u. a. darauf zurückgeführt, daß die Stasi Erich Honecker jubelnde Claqueure an den Wegesrand stellte, wenn er sein Wandlitzer Ghetto verließ.Frau Schwaetzer, Sie haben das große Glück, daß auf Ihrem Weg zur Arbeit keine fähnchenschwingenden, jubelnden Mieterinnen und Mieter stehen.
Das wird Ihnen in Ihrer noch verbleibenden kurzen Amtszeit auch nicht mehr begegnen. Insofern hoffen wir, daß Sie vielleicht irgendwann wieder auf den Boden der Tatsachen zurückfinden.Schönen Dank.
Ich erteile der Bundesministerin Dr. Schwaetzer das Wort.
Frau Kollegin, ich denke, wir sollten zu einem Stückchen Sachlichkeit in dieser Auseinandersetzung und in dieser Debatte zurückkehren.
Ich hoffe, ich habe Sie falsch verstanden, daß Sie mir unterstellen, ich würde den gleichen Überzeugungen und Verhaltensweisen wie der verstorbene Staatschef der DDR anhängen. Ich würde dies in einer Demokratie für einen völlig unzumutbaren Vergleich halten. Ich würde Sie auch nie dem alten System der DDR zuordnen. Ich weiß nicht, was Sie damals gemacht haben; aber ich würde das nie tun. Ich erwarte eigentlich, daß Sie das ebenfalls nicht tun.
Frau Gleicke, ich erteile Ihnen noch einmal das Wort.
Frau Kollegin Schwaetzer, Sie haben mich in der Tat falsch verstanden. Ich habe Sie nicht mit Herrn Honecker verglichen. Ich habe über den mangelnden Realitätssinn gesprochen.
Frau Kollegin, nun würde ich Sie allerdings bitten, sich das Protokoll genau anzusehen. Das ist nämlich eine Wiederholung oder Verstärkung der unmöglichen Verhaltensweise. Ich will mir vorbehalten, das zu rügen.
Herr Abgeordneter Raidel, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrte Frau Ministerin, lassen Sie sich durch nichts beirren. Nichs ist erfolgreicher als der Erfolg, und nichts schafft mehr Neider.
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20374 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994
Hans RaidelWir alle wissen, auch die Opposition, daß die Deutschen mit ihren Wohnverhältnissen meistens zufrieden sind.
Dies stellt sogar „Der Spiegel" in seinem achten Heft von 1994 unter der Überschrift „Zufriedene Mieter" fest.
Er schreibt:Die meisten Deutschen sind zufrieden mit ihrer Wohnung und haben auch wenig an der Höhe der Mieten auszusetzen.Sie haben recht, zwischen 70 und 81 % -- je nach Einkommensverhältnissen — sind mit dieser Situation sehr zufrieden. Hier können Sie es nachlesen.
Die „Spiegel"-Veröffentlichung widerlegt eindrucksvoll die Horrorszenarien von ausgebeuteten Mietern, wie sie die SPD, manchmal auch DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90, die PDS und der Mieterbund immer wieder der staunenden und irritierten Bevölkerung vormachen wollen.Daß diese Masche nicht zieht, zeigt die Wahlschlappe von Rot-Grün eindrucksvoll in München. Dort stand u. a. eine viel zu ideologiebefrachtete Wohnungspolitik der vereinigten Linken zur Abstimmung. Das Ergebnis belegt: Die Menschen in unserem Land haben es satt, daß vieles schlechtgeredet wird, was gut ist.
Weil wir Realisten und Pragmatiker sind, sehen wir selbstverständlich aber auch die Problemfelder auf dem Wohnungsmarkt und wissen, daß auf dem Weg zu einem ausgeglichenen Wohnungsmarkt noch viel zu tun ist.
Der Wohngeld- und Mietenbericht bestätigt die positive Bilanz der wohnungspolitischen Maßnahmen dieser Legislaturperiode. Die Maßnahmen haben zu einer außerordentlich starken Zunahme des Wohnungsangebotes sowohl im sozialen als auch im frei finanzierten Wohnungsbau geführt und die sozialverträgliche Überführung des Wohnungsbestandes in den neuen Ländern in die Soziale Marktwirtschaft ein weites Stück vorangebracht.
Querschüsse, Angstmacherei und politische Behinderungen in den neuen Ländern auf dem Weg in eine soziale Wohnungsmarktwirtschaft — insbesondere durch die PDS, aber auch durch andere — müssen durch Aufklärung vor Ort unterbunden werden. Bei der Privatisierung wird kein Mensch aus seiner Wohnung hinausgeworfen, und es besteht auch für niemanden Kaufzwang. Viele Mieter wollen ihre Wohnungen kaufen, aber viele Genossenschaften mauern.
Der Mietenbericht weist darauf hin, daß die Steigerung des Mieterindexes flacher geworden ist. Der Höhepunkt des Preisanstiegs scheint überwunden zu sein. Insbesondere zeigt sich die Marktberuhigung an den Erst- und Wiedervertragsmieten, die ja unmittelbar auf Änderungen der Marktverhältnisse reagieren. Optimisten reden bereits von einer Trendwende.Natürlich ist ein kräftiger Silberstreif am Horizont auszumachen. Aber — auch das sage ich — das ist kein Grund zur Entwarnung oder zum Ausruhen auf den gewonnenen Lorbeeren; denn das zusätzliche Angebot konnte zwar die neu entstandene Nachfrage abdecken, der Wohnungsfehlbestand hat nicht weiter zugenommen, aber in den Jahren zuvor hat sich auch ein erheblicher Fehlbestand aufgebaut, der erst im Laufe der nächsten Jahre Zug um Zug verringert werden kann.
Realistisch gesehen ist ein Teil der Entspannung auch auf die gedämpften Einkommenserwartungen als Folge der Konjunkturabschwächung zurückzuführen. Auch die Nachfrage nach Wohnraum wird dadurch gedämpft. Die Konjunktur geht jetzt wieder nach oben, also — auch das räume ich ein — wird auch die Nachfrage nach Wohnraum wieder zunehmen, selbst bei gleicher Bevölkerungszahl.
Was uns Sorge bereiten muß, ist die explosionsartige Entwicklung der kalten Betriebskosten, also der kommunalen Gebühren, z. B. Abwasser und Müllabfuhr. Man spricht in diesem Zusammenhang bereits von einer zweiten Miete. Die Kommunen sind hier gefordert, zwar marktgerecht, aber preisdämpfend zu handeln.Der Wohngeldbericht 1993 zeigt, daß das Wohngeld heute mehr denn je ein unverzichtbares Instrument ist, sozial schwächeren Mitbürgern zu angemessenem Wohnraum zu verhelfen. Wie wir dem Bericht entnehmen können, machte der Anteil der Bruttokaltmiete am verfügbaren Einkommen vor dem Abzug des Wohngeldes noch 34,4 % aus, während er nach dem Abzug des Wohngeldes nur noch 25,1 % betrug. In den neuen Ländern, in denen bekanntlich auch die Heiz- und Warmwasserkosten bezuschußt werden, betrug die Belastung der Wohngeldempfänger durch die Bruttowarmmiete im Jahre 1992 vor Wohngeld 29,7 % und nach Wohngeld sogar nur 18,3 % des verfügbaren Einkommens.Freilich deutet der Wohngeldbericht auch darauf hin — es ist letztlich seine Aufgabe, Entwicklungen aufzuzeigen —, daß die Entlastungswirkung des Wohngeldes gegenüber dem Bericht 1991 etwas nachgelassen hat. Vor allem aber hat der Anteil der Mietzuschußempfänger zugenommen. Ich meine daher, daß wir in der kommenden Wahlperiode sehr bald
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Hans Raidelprüfen sollten, ob eine Anpassung des Wohngeldes an die Entwicklung der Einkommens- und Wohnkosten möglich ist. Für die neuen Länder steht ab 1. Januar 1995 der Übergang vom Wohngeldsondergesetz zu dem in den alten Ländern geltenden Wohngeldgesetz an. Wir müssen deshalb auch aufpassen, daß dieser Übergang nicht zu sozialen Unverträglichkeiten führt; das ist selbstverständlich.Insgesamt ist das Wohngeldrecht zu überprüfen und zu reformieren, auch unter Einbeziehung einer Verwaltungsvereinfachung. Die Bundesländer haben dazu konkrete Vorschläge entwickelt.Wir müssen insgesamt dafür sorgen, meine Damen und Herren, daß sich das Wohnungsangebot weiter erhöht. Dazu brauchen wir private Investoren. Das bedeutet, Rahmenbedingungen müssen verläßlich sein und die private Investitionsbereitschaft stützen. Wir haben das Mietrecht geregelt; aber beim Mietrecht muß jetzt Ruhe einkehren, damit die Investoren wissen, woran sie sind.Wir haben viele Initiativen auf den Weg gebracht und Regelungen beschlossen, z. B. das. Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz. Wir haben die Einkommensgrenzen im sozialen Wohnungsbau angehoben, das Wohnungsbauförderungsgesetz 1994 beschlossen etc. Ich glaube, wir haben unsere Hausaufgaben gemacht. Die Bauministerin hat zusammen mit uns eine gute fachliche Plattform geschaffen,
auf der alle am Wohnungsmarkt Beteiligten vernünftig und erfolgreich arbeiten können, wenn sie nur wollen.Unser Finanzminister Theo Waigel hat durch eine erfolgreiche Haushaltspolitik die Voraussetzungen geschaffen, daß Baugeld so billig wie noch nie zu haben ist. Das Sinken der Hypothekenzinsen hat in den letzten Jahren mehr bewirkt als alle Förderungsprogramme zusammen.Ich möchte gerne eine Neuorientierung der Wohnungspolitik, und ich möchte hier den Grundsatz gelten lassen: mehr Eigenverantwortlichkeit statt staatlicher Fürsorge.Meine Damen und Herren, wer das Wohnungsbauprogramm der Opposition überhaupt zur Kenntnis nimmt, wird feststellen: Die SPD bietet keine neuen Rezepte im Wohnungsbau an.
Es bleibt bei populistischen Wahlversprechungen, obwohl sie sich den Anschein von Reformfreudigkeit gibt. Die Ankündigungen der Opposition lesen sich wie eine Speisekarte ohne Preise.
Meine Damen und Herren, insgesamt ist die Entwicklung hoffnungsvoll. Deswegen ist es eigentlich auch nicht verwunderlich, daß Wohnungsbau und Mieten von unserer Bevölkerung akzeptiert werden, daß es nicht mehr das große, drängende Problem zu sein scheint. Ich sage Ihnen jetzt schon voraus: Für negative Schlagzeilen in Ihrem Wahlkampf wird sich das nicht eignen.Die Wohnungsbaupolitik der Bundesregierung — lassen Sie mich als bayerischer Abgeordneter sagen: auch die der Bayerischen Staatsregierung — ist inzwischen für jedermann erkennbar zu einer ausgesprochenen Erfolgsstory geworden.Ich sage Ihnen auch voraus: Die Wahl am 16. Oktober wird bestätigen: Nichts ist erfolgreicher als der Erfolg.Vielen Dank.
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Dr. Walter Hitschler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die zwölfte Legislaturperiode war und ist von einer außerordentlich erfolgreichen Wohnungspolitik gekennzeichnet. Zu Beginn, bei den Koalitionsverhandlungen im Frühjahr 1991, sah dies keinesfalls so aus. Unser Koalitionspartner CSU gab das Bauministerium an die F.D.P. mit dem Hinweis ab, wir sollten ebenfalls ein Problemministerium erhalten. So war das damals.
Die Lage an den Wohnungsmärkten sah nicht rosig aus. Ein dornenreicher Weg wurde der neuen Wohnungsbauministerin, Frau Dr. Schwaetzer, prognostiziert.In der Tat hatte das Bevölkerungswachstum mit einem starken Zuzug von außen zu tun. Wer dies leugnet wie Herr Schulz, muß mit Blindheit geschlagen sein. Es war ein Zuzug von 4 Millionen Mitbürgern in Gestalt von Asylbewerbern und Aussiedlern. Wer bestreitet, daß das eine nachhaltige Wirkung auf die Wohnungsmärkte hat, muß wirklich borniert sein. Das war einer der wesentlichen Gründe. Darüber hinaus haben die gewaltige Zunahme der Zahl der Haushalte durch veränderte Lebensgewohnheiten sowie die über einen zehnjährigen Zeitraum Jahr für Jahr gestiegenen Realeinkommen zu einer starken Wohnraumübernachfrage, insbesondere in Ballungsgebieten, geführt.Die Knappheit an Wohnraum wurde von einem Mietpreisauftrieb begleitet, der sich insbesondere bei Erst- und Wiedervermietungen spürbar zeigte. Der wohnungspolitischen Herausforderung sollte nach dem Willen der Bundesbauministerin und der Koalitionsfraktionen mit marktwirtschaftlichen Mitteln begegnet werden.Uns war klar, daß Abhilfe nur durch eine Angebotsausweitung erfolgen konnte, nach dem Motto: Wenn Wohnungen fehlen, müssen Wohnungen gebaut werden.
Uns war ferner klar, daß wir dafür private Investorenbrauchten und deshalb die Rahmenbedingungen für
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Dr. Walter Hitschlersie so gestaltet werden mußten, daß sie nicht vom Bauen abgeschreckt, sondern zum Bauen ermuntert wurden.Gegen die Ratschläge des Bundesrates und die versammelte Opposition, die mehr auf eine gesetzliche Mietendämpfung und weitere Maßnahmen staatlicher Wohnungsverwaltung setzten, haben wir eine marktwirtschaftlich orientierte Linie dadurch gehalten, daß wir den Marktkräften Entfaltungsmöglichkeiten einräumten und sie durch ein wohnungspolitisches Programm unterstützten.
Wir haben dabei Mietsteigerungen in Kauf nehmen müssen. In der Tat sind sie 1992 erstmals sogar stärker als die verfügbaren Einkommen gestiegen. Dafür waren acht Jahre hintereinander die Realeinkommen stärker gestiegen als die Mieten. Die Mietenentwicklung hat ihrerseits natürlich wiederum die Wohnungsbauinvestitionen beflügelt, weil sich positive Renditeperspektiven abzeichneten und ein günstiger Zins diese Entwicklung begleitete.Stetig wachsende Baufertigstellungen sowohl in Eigentumsmaßnahmen als auch im Mietwohnungsbau konnten verzeichnet werden; in diesem Jahr gibt es wiederum einen neuen Rekord. Im Westen boomt der Wohnungsbau, der Osten ist die größte Baustelle der Welt.Wer eine echte und dauerhafte Mietpreisdämpfung wirklich will, kommt an der Erkenntnis nicht vorbei, daß hier zumindest ein in Angebot und Nachfrage ausgeglichener Markt erforderlich ist. Nur über ein zusätzliches Wohnraumangebot kann deshalb wirksamer Druck auf die Mieten entfaltet werden. Dies ist das Erfolgsrezept der Marktwirtschaft, dieser Wohnungspolitik und dieser Bauministerin.Gesetzliche Reglementierung hilft nicht, das Problem steigender Mieten zu lösen, weil erfahrungsgemäß Vermieter und Mieter findiger sind als jedes Gesetz und sich Wege an ihm vorbei auf grauen und schwarzen Märkten suchen.Sich nicht durch populistische Anfechtungen beirren zu lassen, auch einmal kurzfristig unangenehme Entwicklungen in Kauf zu nehmen und durchzustehen: Das macht den Unterschied unserer Konzeptionen aus. Ihr Kanzlerkandidat erwies sich in einer Anzeige zur Wohnungspolitik in der Bildzeitung vor 14 Tagen unter der Überschrift „Lieber Rudolf Scharping . . ." als Rudi Ratlos. Außer dem Einsatz zusätzlicher Subventionen ist ihm wenig Plausibles eingefallen.
Das mag verzeihlich sein: Er ist noch jung, noch unerfahren und noch nicht ganz so weise. Vielleicht sollte er in Rheinland-Pfalz in der Tat noch ein bißchen mit den „überflüssigen Liberalen" üben.Was wäre von der Opposition zu erwarten, könnte sie die Wohnungspolitik bestimmen? Eine unwirksame gesetzliche Mietenregulierung, höhere Besteuerung des Grundvermögens, mehr öffentlicherWohnungsbau durch mehr Subventionen, Einstellung der Privatisierung im Osten und eine wenig wirksame Wohnungseigentumsförderung.
Deshalb sind Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, auch in der Wohnungspolitik für uns nicht der richtige Partner.
Der von der Bundesregierung vorgelegte Mieten-bericht verdeutlicht, daß die Spitze der Mietsteigerungsentwicklung durch die Angebotserweiterung gebrochen ist. Eine Beruhigung in der Mietenentwicklung zeichnet sich ab. Auch wenn die Mieten vielen unserer Mitbürger subjektiv als sehr hoch erscheinen, liegen wir im europäischen Vergleich ziemlich am Ende.Über viele Jahre sind die Mieten im Bestand hinter der Kosten- und Einkommensentwicklung zurückgeblieben. Dies führte dann bei Wiedervermietung zu erheblichen Mietsprüngen. Die F.D.P.-Fraktion plädiert daher für ein einfaches Mieterhöhungsverfahren, das Mieterhöhungen an der Entwicklung der Lebenshaltungskosten orientiert.Das Wohnen kostet viel Geld. Billigen Wohnraum kann niemand herbeizaubern. Das Verständnis, für ein so grundlegendes Gut wie die Wohnung, die für jeden Haushalt wichtiger ist als das Auto, einen angemessenen Preis zahlen zu müssen,
muß in unserer Bevölkerung noch wachsen.Mit Entschiedenheit weisen wir die törichte Forderung der PDS nach einem Mietenmoratorium zurück. Dieser Vorschlag stammt aus einem alten und klapprigen Arzneimittelschränkchen, und die Medizin hat das Verfalldatum weit überschritten. Angesichts des wohnungspolitischen Erbes, das wir von einer Wohnungswirtschaft, die sich unter einem jahrelangen Moratorium dieser Art desaströs entwickelt hat, übernommen haben, ist es schon eine nicht mehr zumutbare intellektuelle Unredlichkeit, uns überhaupt einen solchen Vorschlag zu präsentieren. Damit, Herr Gysi,
können Sie in der Tat nur noch bei solchen Zeitgenossen reüssieren, die geistig einige Jahre zurückgeblieben sind, in einem System verhaftet sind, das seine Unfähigkeit bereits testiert bekommen hat.Bedenklich ist dagegen — der Kollege Raidel hat bereits darauf hingewiesen — die Entwicklung der kommunalen Gebühren. Ich will darauf nicht näher eingehen, um Wiederholungen zu vermeiden.Die Grundmiete in den neuen Bundesländern liegt gegenwärtig bei 4,60 DM pro Quadratmeter Wohnfläche plus Modernisierungszuschläge, die sich bei durchschnittlich 1,30 DM bewegen, in der Regel 2,12 DM nicht übersteigen — gegenüber einer Grund-
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Dr. Walter Hitschlermiete von 9 DM in den alten Bundesländern. Angesichts der Einkommen, die stärker als die Mieten gestiegen sind, ist dies auch im Osten eine vertretbare Wohnkostenbelastung.
Die Entwicklung der Wohnkosten wird in der Bundesrepublik durch das Wohngeld abgefedert. Das Wohngeld soll es einkommensschwächeren Haushalten ermöglichen, die Wohnkosten in erträglichen Grenzen zu halten. Dies ist auf Grund der großen Anstrengungen — Bund und Länder zahlen insgesamt 6,8 Milliarden DM für das Wohngeld — insgesamt gelungen.Das Wohngeld erfüllt seinen gesetzlichen Zweck: In den alten Ländern wird die Belastung von 34,4 % des Einkommens durch das Wohngeld auf 25 % gesenkt, in den neuen Ländern von 30 % auf 19,9 %. Wer behauptet, daß eine durchschnittliche Wohnkostenbelastung von 19,9 % vom Einkommen eine zu hohe Belastung ist, der lebt offensichtlich auf einem fremden Stern.
Da das Wohngeld immer nur befristet gewährt, also stets erneut auf seine Berechtigung überprüft wird, erscheint es uns als ein besonders soziales, treffsicheres und gerechtes Instrument der Wohnungspolitik.
Wir müssen in der Tat die Novellierung ins Auge fassen; zu Beginn der nächsten Legislaturperiode werden wir nicht umhin kommen, eine solche durchzuführen.
Der Bund hat mit dem Altschuldenhilfe-Gesetz in einem unglaublichen Kraftakt von den Wohnungsbaugesellschaften eine Kreditbelastung in Höhe von 31 Milliarden DM übernommen. Diese großzügige Regelung ermöglichte eine verträgliche Mietpreisgestaltung in der Ersten und Zweiten Grundmietenverordnung. Nach Ablauf des Moratoriums verbleibt eine geringfügige Kapitalkostenbelastung der Miete. Nur etwa 1 DM Kapitalkosten von den Altschulden lastet dann auf 1 qm Wohnfläche und muß aus der Miete finanziert werden.
— Jawohl, „nur". Wenn Sie sich vielleicht einmal darüber orientieren würden, was die Mieter im Westen an Kapitalkosten über die Miete zu tragen haben, würden Sie nicht so töricht daherreden.Erst diese Schuldenübernahme hat der Wohnungswirtschaft die Chance eingeräumt, einen größeren Anteil der Mieteinnahmen für Instandsetzungen abzuzweigen. Sie hat darüber hinaus den Weg für neue Belastungen zugunsten der überfälligen Modernisierung der Wohnungsbestände geebnet.Der Bund hat die Schuldenübernahme an eine Privatisierungspflicht geknüpft, wonach 15 % der Wohnungen in einem Zeitraum von zehn Jahren vorrangig an die Mieter verkauft werden sollen, um die außerordentlich niedrige Wohneigentumsquote von 25 % in den neuen Ländern anzuheben.Die Privatisierung kommt in Schwung. Die Unternehmen erkennen, daß sie sich auf diese Weise Eigenkapital beschaffen können, urn den verbleibenden Bestand zu sanieren. Die Modellversuche waren erfolgreich. Die Privatisierung wird zum Selbstläufer, vorausgesetzt, sie wird ordentlich vorbereitet, die Mieter werden gut beraten, und vor allem, der Kaufpreis wird sozialverträglich gestaltet.
Die Sozialdemokraten haben ihrerseits die Verknüpfung dieser Privatisierungsauflage mit der Schuldenübernahme als einen Anschlag auf die demokratisch legitimierte Wohnungswirtschaft bezeichnet und den Ausverkauf des Ostens an die Wand gemalt. Das entspricht wohl ihrem Verständnis von Wohneigentumsförderung: Lippenbekenntnisse. Wenn es darauf ankommt, flüchten sie in die Büsche.
Einige kommunale Wohnungsbaugesellschaften erweisen sich als wahre staatlich legitimierte Immobilienhaie; denn sie verlangen aus unterschiedlicher Motivation teils so unverschämt überzogene Preise, daß man von amtlicher Spekulation sprechen muß, um diese unglaubliche Übervorteilung der Mieter zu charakterisieren.
In der Regel werden solche Praktiken von Leuten gehandhabt, die sich ansonsten mit der Beifügung „sozial" oder „sozialistisch„ schmücken. Politisch werden sie von der PDS und Teilen der SPD gestützt, die Verunsicherungs- und Desinformationskampagnen inszenieren.
Wir jedenfalls legen großen Wert darauf, daß die private Wohneigentumsbildung für breite Schichten unserer Mitbürger im Osten fortgesetzt wird. So preiswert und günstig wie jetzt wird Wohneigentum nie wieder zu haben sein.
Wir sind dem Unterausschuß für den Bericht über die Probleme, die sich dabei in der Praxis auftun, außerordentlich dankbar. Wir werden diesen Bericht dringend fortschreiben müssen und die Privatisierungsbemühungen sorgfältig auch weiterhin vor Ort beobachten.Im großen und ganzen aber, glaube ich, darf man konstatieren, daß die Bereitschaft zur Mitwirkung an sozialverträglichen Lösungen bei den kommunalen Wohnungsbaugesellschaften und auch bei den Wohnungsgenossenschaften wächst,
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20378 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994
Dr. Walter Hitschlervor allen Dingen auch deshalb, weil jetzt mehr und mehr erkannt wird, daß der Gesetzgeber nicht bereit ist, diese Auflagen zu lockern.Die Baugenossenschaften haben sowohl in den alten wie in den neuen Ländern einen unstreitig wichtigen Platz in der Wohnungswirtschaft. Sie können auf eine bedeutsame Tradition und Geschichte zurückblicken. Sie tragen mit ihrem Engagement zur Beruhigung an den Wohnungsmärkten bei, weil sie ihren Genossenschaftsmitgliedern durch ein Dauerwohnrecht Sicherheit bieten. Die Baugenossenschaften verdienen Unterstützung, die ihnen auch auf vielfältige Weise gewährt wird.Inwieweit die Genossen selbst eine den Steuervorteilen beim selbstgenutzten Wohneigentum vergleichbare Förderung erhalten sollen — wie dies begehrt wird —, ist ein schwieriges steuerrechtliches Problem; denn Genossenschaftseigentum ist eine andere Art von Eigentum. Der Genosse erhält mit seiner Einlage zwar einen Rechtsanspruch, aber es ist vergleichsweise Gesellschafts- oder Anteilseigentum. Er hat keinen Anspruch auf eine bestimmbare, beleihbare Wohnung. Wollte man ihm einen vergleichbaren Steuervorteil nach § 10 e verschaffen, ergäben sich erhebliche steuerliche Abgrenzungsprobleme, weshalb diese Frage sehr sorgfältig geprüft werden muß.
Herr Dr. Hitschler, entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche. Sie haben Ihre Redezeit auch unter Berücksichtigung der nicht verbrauchten Redezeit des Kollegen Sohns überschritten.
Gut, dann darf ich den letzten Satz sagen und einen Sozialdemokraten zitieren. Herr Bauer schreibt in der „Wohnungswirtschaft":
Die von Erfolg gekrönte Reform des sozialen Wohnungsbaus hebt Frau Dr. Schwaetzer aus der Reihe der Bauminister des zurückliegenden Jahrzehnts deutlich und ausgesprochen positiv hervor. Es ist wohl kein Fehler, ihr deshalb auch von hier aus für ihre politische Zukunft alles Gute zu wünschen.
Ich schließe mich diesen guten Wünschen an.
Um eine Kurzintervention hat der Abgeordnete Achim Großmann gebeten. Ich erteile ihm das Wort.
Herr Kollege Hitschler, ich weiß, im Parlament muß man hin und wieder eine scharfe Zunge schwingen. Deshalb ist vieles zu akzeptieren, was Sie gesagt haben, auch wenn es polemisch überzeichnet ist.
Zum Schluß haben Sie das Verhalten einiger Städte bzw. Wohnungsbaugesellschaften angegriffen, ohne Namen zu nennen, und zwar in einer sehr verletzenden Art und Weise. Ich nehme an, Sie beziehen sich auf Beispiele, die in der gestrigen Bauausschußsitzung unter anderem durch Ihren Kollegen Staatssekretär Günther gebracht worden sind.
Ich habe die Zeit genutzt und in Leipzig nachgefragt, ob das Beispiel von Herrn Günther stimmt. Es stimmt nicht. Es sind zwei Villen aus der Gründerzeit ausgeschrieben und zum Höchstangebot verkauft worden. Der Geschäftsführer der Wohnungsbaugesellschaft hat diesen Brief auch an die Mieter geschrieben und ihnen mitgeteilt, sie könnten in das Höchstgebot einsteigen. Der Geschäftsführer ist bereits aufgefordert worden, diesen Brief zurückzuziehen. Dies ist nicht erst gestern geschehen, sondern schon vorher, weil das mit dem Vorstand und mit dem Aufsichtsrat nicht abgestimmt war.
Also, ich bitte Sie, wenn Sie andere Beispiele haben, dann poltern Sie nicht global über irgendwelche Kommunen. Vorher haben Sie noch gesagt, die Wohnungswirtschaft müsse Eigenkapital bekommen. Gucken Sie sich erst die Bilanzen an, wie die Summen zustande kommen, und kritisieren Sie dann, aber bitte mit Nennung von Roß und Reiter. Machen Sie hier kein Horrorszenario und erschrecken dann unter Umständen noch selber über das, was Sie an Falschem gesagt haben.
Ich erteile zur Erwiderung dem Abgeordneten Dr. Walter Hitschler das Wort.
Herr Kollege Großmann, ich beziehe mich keineswegs auf das von Ihnen zitierte Beispiel. Das habe ich in der gestrigen Ausschußsitzung überhaupt nicht mitbekommen. Ich beziehe mich u. a. auf das Beispiel aus der Stadt Potsdam, das wir gestern im Ausschuß erörtert haben.
Dort werden Eigentumswohnungen zum Preise von über 3 000 DM pro Quadratmeter Wohnfläche verkauft. Sie wissen alle, daß in den normalen Plattenbauten sanierter Wohnraum zu Preisen zwischen 1 200 DM und 1 500 DM von den Wohnungsbaugesellschaften und Genossenschaften ohne weiteres verkauft werden kann und daß dann Übernahmen durch die Mieter auch völlig problemlos laufen, daß die Mieter dabei nicht übervorteilt werden. Die Kommunen, die diese Wohnungen durch den Einigungsvertrag kostenlos bekommen haben, damit also in das Eigentum eines riesigen Vermögens gekommen sind, wollen sich jetzt über den Verkauf zu hohen Preisen an die Mieter Kapital verschaffen. Das sehen wir nicht ein. Wir haben im Einigungsvertrag festgelegt, daß diese Wohnungen zu sozial verträglichen Preisen an die Mieter zu verkaufen sind. Wir wollen, daß sich die Kommunen und ihre Gesellschaften an diese Verpflichtung des Einigungsvertrages halten.Das setzt voraus, daß bei den Wohnungen eben keine Mondpreise gebildet werden, wie wir das nicht nur in einem Fall, Herr Großmann — das wissen Sie selbst —, sondern in vielen Fällen drüben erleben müssen, wohl um abschreckend zu wirken und die
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Dr. Walter HitschlerPrivatisierung gar nicht erst zustande kommen zu lassen.
Das ist nämlich der Zweck der Übung. Man will auf den Wohnungen sitzenbleiben, weil man weiß, daß man sie später zu noch wesentlich höheren Preisen verkaufen kann und dabei auf Kosten des Steuerzahlers und der Mieter, die in diesen Wohnungen wohnen, ein schönes Geschäft macht.
Nach § 30 unserer Geschäftsordnung erteile ich dem Abgeordneten Günther das Wort.
Herr Kollege Großmann, ich glaube, was Sie hier geboten haben, ist wieder das typische Beispiel der Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft. Da weiß die rechte Hand nicht, was die linke tut. Das Beispiel, das ich Ihnen gestern im Ausschuß dargestellt habe, ist durch Mieter direkt an uns, an das Bauministerium, herangetragen und in der LVZ veröffentlicht worden. Es handelt sich dabei eindeutig um zwei Blöcke in der Plattenbauweise, also nicht Villen aus der Gründerzeit. Die LWB weiß wahrscheinlich selbst nicht mehr, was sie verwaltet, was sie verkauft und zu welchem Preis sie verkauft. Das ist der Grund, daß man vor der Mieterprivatisierung zurückschreckt, und wir wissen ja, wer in der Stadt Leipzig dafür die Verantwortung trägt.
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Abgeordneten Dr. Ilja Seifert das Wort.
Vielen Dank, Herr Präsident. Ich beziehe mich auch auf den Redebeitrag von Herrn Kollegen Dr. Hitschler und auf das, was er jetzt gerade noch einmal über den Potsdamer GeWoBa gesagt hat, was gestern im Ausschuß für eine Rolle spielte.
Auch ich habe mir erlaubt, mich inzwischen zu erkundigen. Es ist einfach nicht wahr, was der Kollege Kansy gestern dort mitgeteilt hat. Ich darf Sie aufklären: Die Geschäftsführer der GeWoBa sind einmal Herr Schmoll, der selbstverständlich aus dem Westen kommt, dann der parteilose Herr Henze. Im Aufsichtsrat ist der Vorsitzende Herr Kaminski, SPD-Stadtrat bzw. Beigeordneter. Mitglied des Aufsichtsrates ist Herr Jäger, CDU, ehemaliger Stadtrat.
Die Forderung der PDS in Potsdam ist seit Jahr und Tag, mehr Transparenz in die Tätigkeit der GeWoBa z. B. durch die Wahl von zwei Stadtverordneten in den Aufsichtsrat zu bekommen. Nur soviel zu der diffamierenden Äußerung, daß immer Sozialisten diejenigen sind, die überhöhte Preise nehmen.
Ich sage Ihnen hier zum hundertsten Male: Ich bin immer dafür gewesen, daß, wenn Mieterinnen und
Mieter kaufen wollten, das zu seriösen Bedingungen und zu anständigen Preisen gemacht werden soll. Sie können mir und meinen Kolleginnen und Kollegen nicht vorwerfen, solche unseriösen Dinge überhaupt zu fördern.
Ich sage bei dieser Gelegenheit gleich noch dazu: Wir sind diejenigen, die am schärfsten dagegen auftreten, daß die kommunalen Vereinigungen, z. B. in Sachsen, durch Abwasserregelungen den Leuten ihr Eigenheim wegnehmen. Das ist eine Enteignung durchs Abwasserrohr. Das kann nicht sein, das darf nicht sein. Wir sind dafür, daß die Menschen in ihren Häusern bleiben können.
Vielen Dank, Herr Präsident.
Wenn Dr. Hitschler nicht von seinem Recht, darauf zu antworten, Gebrauch macht, was offensichtlich der Fall ist, erteile ich dem Abgeordneten Rolf Rau das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem wir am gestrigen Tag den Bericht des Unterausschusses „Privatisierung des Wohnungsbestandes in den neuen Ländern" im Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau mit nur einer Stimme Enthaltung zustimmend zur Kenntnis genommen haben, möchte ich hier die Gelegenheit wahrnehmen, mich bei den Mitgliedern des Unterausschusses und den Mitarbeitern des Sekretariats sowie den zuständigen Ministerien für die gute, umfangreiche und solide Arbeit herzlich zu bedanken.
Daß auch in der Nähe von Wahlen eine sachliche Zusammenarbeit möglich war, zeugt von dem Verantwortungsbewußtsein der Kollegen. Ich glaube das sollte man an dieser Stelle auch erwähnen.Daß wir vom 27. Oktober 1993 bis zum 15. Juni 1994 allein 17 Beratungen und Bereisungen durchgeführt haben, unterstreicht die Arbeitsleistung. Ich möchte hervorheben, daß es uns gelungen ist, von Januar bis Mai diesen Jahres alle neuen Bundesländer zu besuchen und dort vor Ort Gespräche zu führen, um Hintergründe zu erkennen, sich an Gelungenem zu erfreuen und Probleme zu erfassen.
Es ist unbestritten, daß überall dort, wo von den Kommunen — möglichst auch von den Bürgermeistern — den Gesellschaften und Genossenschaften der Wille und die Aktivitäten ausgegangen sind, positive Ergebnisse erzielt wurden. Das heißt nicht, daß es problemlos geht. Vielmehr sind in zahlreichen Fällen etliche Mietergespräche erforderlich gewesen. Dazu kommt die Koordinierung der Handwerker besonders in bewohnten Räumen, die Gestaltung der Finanzierung. Aber auch Hindernisse sind aus dem Weg zu räumen, die sich aus noch nicht bereinigten Grundbüchern oder aber aus Restitutionsbehaftungen ergeben haben. Insofern gilt auch an dieser Stelle
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Rolf Raumein Dank all denjenigen, die das AltschuldenhilfeGesetz richtig erfaßt und mit Leben erfüllt haben.Mein Dank gilt aber auch der Kreditanstalt für Wiederaufbau, der Treuhandliegenschaft, dem Gesamtverband der Wohnungswirtschaft, dem Mieterbund, dem Bund der Haus-, Wohnungs- und Grundeigentümer und allen, die uns geholfen haben, einschließlich den Mitgliedern des Lenkungsausschusses. Die dort gesammelten Informationen und Erfahrungen rundeten unser Bild ab.Jetzt möchte ich auf das zurückgreifen, was wir jetzt noch am Rande debattiert haben: Daß man mit Preisen und mit Hindernissen die Mieter erschrecken oder gar Käufe verhindern kann, wird natürlich deutlich, wenn man die Größenordnung von 3 000 DM im Rahmen bei nur im Gemeinschaftseigentum sanierten Wohnungen, wie bei der GeWoBa in Potsdam unter dem Bürgermeister Gramlich, erleben muß. Ich glaube, das sollte man schon aufgreifen.Es gibt negative Beispiele, und an denen können wir nicht vorbeigehen. Ich glaube, daß besonders auch in Leipzig unter dem Oberbürgermeister Lehmann-Grube gerade die dort vorhandene Wohnungsgesellschaft so vieles falsch gemacht hat, daß man in Zukunft dort noch deutlicher herangehen muß.Es zeigt sich auch, daß die Ideen jetzt da sind. Aber es sind in der Zwischenzeit vier Jahre vergangen. Die Mieterprivatisierung ist bis zur Stunde fast Null. Insofern ist meiner Ansicht nach genau das, was wir im Altschuldenhilfe-Gesetz erreichen wollten, nämlich die Mieterprivatisierung durchzusetzen, und unser politisches Ziel, den Bürgern in den neuen Bundesländern bei der Privatisierung ihrer Wohnungen auch die Möglichkeit einzuräumen, Kapital anzulegen — dies sollte vorrangig berücksichtigt werden —, nicht durchgesetzt. Es steht meiner Ansicht nach eindeutig in der Verantwortung der dort vorhandenen Genossenschaften und Gesellschaften, daß die Bürger mit den relativ wenigen Möglichkeiten, die sie haben, eine praktikable Lösung für die Sicherung ihrer Wohnung erreichen können.Insofern möchte ich hervorheben: Wenn beispielsweise der Innenminister des Freistaates Sachsen, Herr Eggert, bereits 1992 in einer Verwaltungsvorschrift das Privatisierungsprogramm so unterstützt, daß maximal 350 DM pro Quadratmeter Wohnfläche als Kaufwert angesetzt werden sollten, dann zeigt sich, daß hier auf Grund eines hohen Verantwortungsbewußtseins mieterfreundliche Privatisierungschancen gegeben sind.Herr Schulz ist gerade hinausgegangen, aber ich möchte das trotzdem noch nachreichen: Wenn wir beispielsweise durch Förderprogramme belegen können, daß 44 000 Mieter ihre Wohnungen modernisiert und am Ende gekauft haben, so ist das meiner Ansicht nach, bezogen auf die ersten Ergebnisse, ein guter Anstieg, der sich sehen lassen kann.Es sollte dabei auch klar sein: Mit dem Altschuldenhilfe-Gesetz sichern wir durch Milliardenbeträge des Bundes Investitionen in den neuen Bundesländern, und das ist gleichzeitig Arbeit für viele.Die zweite Seite ist, daß durch die Zinshilfen bis zum 30. Juni 1995 die Mieten nicht zusätzlich beansprucht werden. So ist ja auch durch unsere Besuche bei der KfW bekannt, daß nur die Hälfte der Gesellschaften und Genossenschaften die Altschuldenhilfe beantragt hat. Alle anderen nutzen in ihren Anträgen nur die Zinshilfeunterstützung. Ich finde das gut so.Meine sehr verehrten Damen und Herren, nachdem wir bereits am 21. April zu diesem Thema hier in diesem Hohen Hause gesprochen haben, möchte ich mich nicht wiederholen, sondern nur stichwortartig einiges in Erinnerung rufen. Es ist richtig, daß der durch Bund und Länder besetzte Lenkungsausschuß mehr Möglichkeiten hat, als er im Moment ausschöpft. Das heißt für mich — das ist auch meine Begründung —, daß wir nicht sofort nach Gesetzesänderung rufen, sondern daß wir die Hebel, die wir in der Hand haben, voll nutzen sollten.Ich erwarte z. B. vom Lenkungsausschuß in allerkürzester Frist, die Forderung des Unterausschusses umzusetzen, d. h. Klärung der Form und des Zeitpunkts der Bilanzänderung im Zusammenhang mit der Gewährung von Altschuldenhilfe und Privatisierung herbeizuführen oder die zügige Fortführung der Arbeiten zwischen den Wohnungswirtschaftsbetrieben und der Deutschen Kreditbank zu begleiten oder die Einbindung des Mieterbundes als ordentliches Mitglied in den Lenkungsausschuß vorzusehen, weil der Mieterbund ja die Betroffenen mit vertritt.Ich gehe auch davon aus, daß bei weiterer Entwicklung die Zusammenarbeit Bund/Länder über den Lenkungsausschuß als Steuerungs- und Beratungsorgan ausgebaut werden kann. Die Erwartung in den Gesellschaften und Genossenschaften und in den Kommunen ist hier sehr stark, daß schnell und geradlinig Entscheidungen gefällt werden.Wenn der Bundeskanzler am 9. Mai 1994 auf Anfrage von Herrn Steinert im Spitzengespräch mit Wirtschaft und Gewerkschaften die Prüfung zu Fragen der Gestaltung des Erblastentilgungsfonds im Rahmen der Wohnungsbauprivatisierung zugesagt hat, so sind wir mit unserer Entschließung, die wir heute vorlegen, auf die Schwerpunkte, die wir auch im Unterausschuß festgestellt haben, eingegangen.
Es muß geprüft werden, Kollege Janzen, inwiefern das Altschuldenhilfe-Gesetz in seiner Entwicklung mieternahe und mieterfreundliche Formen der Veräußerung zusätzlich zur Erfüllung der gesetzlichen Auflage zuläßt. Da muß man ganz deutlich sagen: Das erfordert keine Gesetzesänderung,
sondern ist erst einmal im Rahmen des Gesetzes möglich.Wir wollen von der Bundesregierung einen Bericht haben, der die Staffelung der Erlösabführung untersucht und auch die Gründung von Genossenschaften unter Darlegung der Vor- und Nachteile behandelt, und wir möchten, daß die Eigentumsbildung durch Nutzung von Fondslösungen geprüft wird.
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Rolf RauWenn wir im Rahmen der Koalition vereinbart haben, den 30. Juni des nächsten Jahres anzuvisieren, so sage ich aus meinem persönlichen Empfinden heraus: Dies ist mir zu spät. Ich bin davon überzeugt, daß ein Termin, der zum Jahreswechsel 1994/95 liegen sollte, den Realitäten eher entspricht, noch dazu, wo dann im Rahmen der Abführungen zum Erblastentilgungsfonds Entscheidungsspielräume gegeben sind, die sich zu einem späteren Zeitpunkt einengen.Um auch den Interessenten der Fondslösung hilfreich unter die Arme zu greifen: Ich sehe die Zulassung zum Jahresende als erforderlich an und rufe in Erinnerung, daß die Lukrativität im Rahmen der Modernisierung in den neuen Bundesländern dadurch unterstrichen wird, daß die Sonderabschreibung noch zwei Jahre wirksam ist. 50 % Sonderabschreibung sind ein Investitionsanschub, im Rahmen der Modernisierung aber auch eine Unterstützung zur günstigen Mietpreisbildung.Ich bin überzeugt, daß die in den Unterlagen mehrfach festgehaltenen guten Beispiele Schule machen und daß wir mit Beweglichkeit und sachlicher Unterstützung gerade im Bereich der Wohnungspolitik auf einem soliden Fundament stehen. Bis hier die Erfolge durchgängig erkennbar sind, wird noch einige Zeit ins Land gehen. Der eingeschlagene Weg ist in den neuen Bundesländern jedoch für alle sichtbar. Es geht mit der Sanierung, der Modernisierung, der Privatisierung, aber auch mit dem Wohnungsneubau voran. Mehr Wohnungen heißt auch weniger Angst um Wohnungen, heißt auch niedrigere Preise und ist ein wirtschaftlich wichtiges Argument. Die Wertschätzung des Gutes Wohnung wird von uns hochgehalten, und wir lassen sie nicht kleinreden.Vielen Dank.
Herr Kollege Dieter Maaß, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte, bevor ich zu meinen Ausführungen komme, Ihnen, Herr Staatssekretär Günther, mit Ihrer Behauptung, daß die kommunale Wohnungsgenossenschaft in Leipzig nur zu Höchstpreisen verkauft, entgegentreten. Ich bin im Namen der SPD-Ratsfraktion Leipzig gebeten worden, Ihnen folgendes mitzuteilen:Namens und im Auftrag des Oberbürgermeisters und der SPD-Fraktion der Stadt Leipzig teilen wir Ihnen mit, daß diese Behauptung jeder Grundlage entbehrt. Es existiert weder in mündlicher noch in schriftlicher Form ein solches Ansinnen. Im Gegenteil, es ist Gegenstand des beschlossenen wohnungspolitischen Konzeptes, daß Mieter bei der Veräußerung kommunaler Wohnungen neben Selbstnutzern unbedingten Vorrang haben. Die Verkaufspreise dürfen gerade auf Antrag der SPD-Fraktion den Verkehrswert nicht übersteigen. Die Kaufpreisangebote liegen in Leipzig einschließlich Sanierung des Gemeinschaftseigentums bei ca. 1 650 DM/m2.Ich glaube, daß wir dieses Problem jetzt endlich vom Tisch haben.
— Darüber können wir nachher noch einmal reden.Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten möchten die heutige Debatte noch einmal zum Anlaß nehmen, die Notwendigkeit der Förderung des genossenschaftlichen Wohnungsbaus hervorzuheben.
Ich glaube, daß uns die Überzeugung der Abgeordneten der Regierungskoalition im Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau inzwischen weitgehend gelungen ist. Sie, meine Damen und Herren, müssen jetzt nur noch Ihre Fraktionen und die Regierung überzeugen.Wie richtig und wichtig unser Antrag ist, hat die Sachverständigenanhörung am 18. Mai 1994 deutlich gemacht. Aber dies ist ja häufig so mit sozialdemokratischen Vorschlägen. In der Wohnungspolitik wären wir ein gutes Stück weiter, wenn Sie auf uns hören würden.
Es ist unsere Absicht, durch die steuerliche Förderung von Sondergeschäftsanteilen der Mitglieder von Genossenschaften privates Kapital in den Wohnungsbau zu lenken. Es muß dann aber auch so behandelt werden wie eingebrachtes Kapital im individuellen Wohneigentum. Es gibt schon Anlaß zum Nachdenken, wenn ein Vorstandsmitglied einer großen Genossenschaft erklärt, seit 1984 habe sich die Genossenschaft aus dem sozialen Wohnungsbau völlig zurückgezogen, weil die veränderten Bedingungen der Förderung mit den Prinzipien einer Genossenschaft nicht mehr vereinbar seien.Die Probleme am Wohnungsmarkt können nur gelöst werden, wenn man die mittleren Einkommensschichten einbezieht. Sie werden zur Zeit nahezu ausgegrenzt. Diese Familien haben weder im sozialen noch im frei finanzierten Wohnungsbau eine Chance. Der genossenschaftliche Wohnungsbau könnte diesem Personenkreis die Möglichkeit bieten, Sondergeschäftsanteile zu erwerben. Sie erwerben damit eine ausreichende Wohnungsversorgung, die besonders für Familien mit Kindern wichtig ist.Die Genossenschaften gewährleisten nicht nur ein Recht auf Wohnungsversorgung, sondern auch ein vererbbares Dauernutzungsrecht, das Sicherheit im Alter bietet. Es garantiert also nicht nur den Besitz, sondern auch echtes Eigentum.Es war sehr beeindruckend, wie gerade Wissenschaftler diese Bedeutung des genossenschaftlichen Eigentums darstellten. Genossenschaftlich vermitteltes Eigentum ist Eigentum im Sinne des Grundgesetzes wie anderes Eigentum auch, so Professor Walter Leisner, der an anderer Stelle hinzufügt: „Der vorliegende Antrag ist näher an der Verfassung als der gegenwärtige Rechtszustand." Das sollte doch auch
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Dieter Maaß
denjenigen — vor allem in der F.D.P. — zu denken geben, die ihre Eigentumsgläubigkeit wie eine Monstranz vor sich hertragen.
Dr. Jäger von der Universität Münster bekräftigt in seinen Darlegungen: „Die Eigentumsbildung in der Genossenschaft gegenüber der Bildung individuellen Wohneigentums hat ungleich höhere gesellschaftspolitische Qualität, weil sie stets mitgliedergewidmet bleibt. Das Genossenschaftseigentum entzieht sich jedweder Spekulation."
Für mich sind solche Feststellungen anerkannter Wissenschaftler der Beweis dafür, daß die Bundesregierung dringend handeln muß.Unterstützen Sie, meine Damen und Herren aus den Koalitionsfraktionen, die Zielsetzungen unseres Antrags, die da lauten: steuerliche Förderung genossenschaftlichen Wohnens, um privates Kapital für den Wohnungsbau freizusetzen, und die Privatisierung der auf die Treuhandanstalt übergegangenen Werkswohnungen ehemaliger Staatsbetriebe in den neuen Bundesländern durch Übertragung an neu zu schaffende Wohnungsgenossenschaften. Hierzu gibt es bereits praktische Beispiele von genossenschaftlichen Neugründungen, die in die Praxis umgesetzt worden sind.Die Anhörung hat ergänzend zu unserem Antrag ergeben: Die Auflage des Altschuldenhilfe-Gesetzes, 15 % des genossenschaftlichen Wohnbestands zu privatisieren, muß auch durch Ausgründung neuer Genossenschaften zu erfüllen sein. Alles andere käme einer Enteignung gleich. Eigentum darf nicht durch erzwungenen Kauf ein zweites Mal privatisiert werden.
Wir fordern deshalb nachdrücklich, diese Ausgründungen zu ermöglichen, um das Eigentum der Genossenschaftsmitglieder zu schützen. Dies ist um so notwendiger, als die Bauministerin ihnen diesen Schutz versagt. Sie setzt ausschließlich auf die individuelle Privatisierung. Wir bieten mit unserem Antrag dazu eine echte Alternative.Die Befragung der Sachverständigen hat auch ergeben, daß steuersystematisch keine Probleme zu sehen sind. Bereits im Jahre 1987 ist die steuerliche Förderung auf einen Sonderausgabenabzug umgestellt worden. Damit besteht durchaus die Möglichkeit, § 10e des Einkommensteuergesetzes im Sinne unseres Antragsbegehrens zu ergänzen.Ich weise in diesem Zusammenhang auf die praktischen Vorschläge des Gesamtverbands der Wohnungswirtschaft hin, nach denen auch der Abzug von der Steuerschuld denkbar wäre.Die Förderung des genossenschaftlichen Wohneigentums ist zudem steuerpolitisch gerecht, eigentumsrechtlich geboten, wohnungspolitisch effizient — ein wichtiger Schritt zur Bekämpfung der Wohnungsnot bei denen, die auch künftig nicht in der Lage sein werden, für sich eine Wohnung oder ein Haus zu erwerben, gerade auch in Ballungsräumen.In diesem Zusammenhang noch einmal der Hinweis: Der Mitbesitz an genossenschaftlichem Eigentum schließt das Recht ein, demokratisch über die Geschäftspolitik der Genossenschaft mitzubestimmen. Es ist im besten Sinne ein gutes Stück Gemeinwesen, das der zunehmenden und von allen Seiten beklagten Tendenz einer egoistischen Gesellschaft begegnen kann.
Meine Damen und Herren, die Annahme des vorliegenden Antrags wäre ein Beitrag dieses Parlaments, dem Genossenschaftsgedanken neuen Auftrieb zu geben. Die Zustimmung wäre auch ein deutliches Bekenntnis zu einer solidarischen Gesellschaft.
Zu einer Kurzintervention Herr Kollege Dr. Walter Hitschler.
Herr Kollege Maaß, ich stimme Ihnen in der Bewertung der Genossenschaft und des Genossenschaftswesens ausdrücklich zu. Sie haben in Ihrem Redebeitrag eben zum Ausdruck gebracht, daß die F.D.P.-Fraktion die Eigentumsphilosophie wie eine Monstranz vor sich hertrage. Ich möchte Ihnen bestätigen, daß mir dieses Bild, das Sie gezeichnet haben, außerordentlich gut gefallen hat, und ich möchte Sie deshalb auffordern, sich an der politischen Prozession insbesondere durch die neuen Bundesländer, was die Eigentumsbildung angeht, in Zukunft verstärkt zu beteiligen.
Herr Kollege Maaß zur Erwiderung.
Herr Dr. Hitschler, ich warte immer noch darauf, daß Sie begreifen, daß genossenschaftliches Eigentum dem individuellen Eigentum gleichzusetzen ist. Darum bitte ich Sie. Dann können Sie Ihre Monstranz tragen, soviel Sie wollen, aber unsere dann bitte mit dazu.
Das Wort hat der Kollege Peter Götz.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor wir jetzt über die Art des Tragens der Monstranz weiter philosophieren, möchte ich die Diskussion zu dem heutigen Thema zurückführen.Wir diskutieren heute erneut über die Wohnungspolitik, und dies ist ohne Zweifel eine gute Gelegenheit — ob es Ihnen von der Opposition paßt oder nicht —, die positiven Ergebnisse unserer parlamen-
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Peter Götztarischen Anstrengungen und den am Wohnungsmarkt sichtbaren Erfolg dieser Bundesregierung deutlich zu machen.Frau Ministerin Dr. Schwaetzer und meine Kollegen von der Koalition sind vorhin im einzelnen darauf eingegangen. Um Wiederholungen zu vermeiden, aber auch, um Sie nicht unnötig zu provozieren, möchte ich nur soviel sagen: Auf die durch Fertigstellungszahlen von Wohnungen nachgewiesene spürbare Entlastung des Wohnungsmarkts können wir stolz sein.
Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie sollten endlich damit aufhören, durch Miesmachen den Menschen einreden zu wollen, wie schlecht alles in Deutschland sei.
Daß die Bürgerinnen und Bürger diese Miesepeterpolitik nicht als Alternative zur erfolgreichen Politik dieser Bundesregierung haben wollen, durften Sie am vergangenen Sonntag deutlich erfahren.Sie werden es mit Ihrem noch so lauten Wahlkampfgetöse, wie Sie es heute nachmittag hier in diesem Hohen Hause veranstaltet haben, auch nicht schaffen, aus Ihrer Angstkampagne und Ihrer Schwarzmalerei politisches Kapital für den Oktober zu schlagen.
Eines ist unstrittig, und trotzdem ist es notwendig, immer wieder darauf hinzuweisen: daß gerade Sie, Herr Großmann, mit Ihrem Gerede vorhin nicht dazu beigetragen haben, die politische Kultur zu verbessern.
Es ist unstrittig: Neue Herausforderungen, wie wir sie in Deutschland in Ost und West in einer noch nie dagewesenen Dramatik und Geschwindigkeit erleben, aber auch Zuwanderungen in Millionenhöhe machen neue Wege im Wohnungsbau erforderlich. Wir können mit den Antworten, die gestern noch richtig waren, nicht alle Fragen von morgen lösen, und deshalb sind auch in der Wohnungspolitik Veränderungen notwendig.Erstens. Mit dem Wohnungsbauförderungsgesetz 1994, das wir vor kurzem gemeinsam verabschiedet haben, wurde der Einstieg in die Reform des sozialen Wohnungsbaus eingeleitet. Dabei darf es nicht bleiben. Die Frau Ministerin hat es bereits erwähnt: Wir brauchen ein drittes Wohnungsbaugesetz, das auch die Regelungen zum Bestand ref ormiert.Zweitens. Der individuellen Wohneigentumsbildung ist ein hoher gesellschafts-, ordnungs- und wohnungspolitischer Wert beizumessen. Wir brauchen dringend eine Reform des steuerbegünstigten Wohnungsbaus.
Wir müssen unser Steuerrecht radikal vereinfachen.
Dies gilt vor allem für die Einkommensteuer. Es reicht meines Erachtens nicht und ist auch zu kurz gesprungen, Herr Kollege Maaß, wenn wir, wie schon so oft in der Vergangenheit, am komplizierten § 10e des Einkommensteuergesetzes weiter herumbasteln. Wir sollten den Mut zu einer grundlegenden Reform des mit einer Fülle von Sonderregelungen gespickten Einkommensteuerrechts in allen Bereichen haben, nicht nur, aber auch beim Wohnungsbau.Ich persönlich würde es begrüßen, wenn es gelänge, die Wohneigentumsförderung vom undurchschaubar gewordenen Steuerrecht abzukoppeln
und auf völlig neue Beine zu stellen. Eine sozial gerechte, familienpolitisch ausgewogene und unkomplizierte direkte Förderung bringt mehr Transparenz, entlastet die Finanzämter und hilft so vor allem den Bauwilligen.
Drittens will ich einen weiteren Aspekt ansprechen, mit dem wir uns intensiv auseinandergesetzt haben. Es ist die Förderung des genossenschaftlichen Wohnungsbaus. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Wohnungsbaugenossenschaften haben vor allem in der Aufbauphase unseres Landes Hervorragendes geleistet und damit einen wichtigen Beitrag zur Wohnungsversorgung erbracht. Dafür sagen wir Dank.
Wir unterstützen alle Bestrebungen, im Wege der Selbsthilfe das genossenschaftliche Engagement im Wohnungsbau zu stärken. Neben den Fördermöglichkeiten beim Erwerb von Anteilen an Bau- und Wohnungsgenossenschaften nach dem Wohnungsbauprämiengesetz und dem Fünften Vermögensbildungsgesetz sollten wir durchaus ernsthaft prüfen, wie wir das in unserer Gesellschaft vorhandene private Kapital stärker als bisher in den Wohnungsbau im allgemeinen, aber auch für den genossenschaftlichen Wohnungsbau im besonderen gewinnen können.Wir können so — ich denke, das ist unstrittig — einem Personenkreis, dem der Bau oder der Erwerb eines Familienheims oder einer Eigentumswohnung zu teuer ist, die Chance eröffnen, sein angespartes oder ererbtes Kapital oder auch einen Bausparvertrag für eine langfristige Sicherung seiner Wohnung einzusetzen.Wir wissen, daß es in Zukunft noch weniger als heute möglich sein wird, die Herausforderungen am Wohnungsmarkt durch überproportional hohe Subventionen durch den Steuerzahler zu bewältigen. Die Schaffung einer Sozialwohnung erfordert zwischen 250 000 und 300 000 DM Steuergelder aus öffentlichen Haushalten. Allein diese Zahlen machen deutlich, daß die Probleme am Wohnungsmarkt über den sozialen Wohnungsbau nicht lösbar sein werden.Es ist wahr: Wir brauchen auch weiterhin den sozialen Wohnungsbau, und zwar — wie vor kurzem beschlossen — am Einkommen des Wohnungssuchenden orientiert.
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Peter GötzJedoch können mit dem gleichen finanziellen Einsatz des Steuerzahlers auf andere Art und Weise, z. B. bei Eigentumsmaßnahmen, erheblich mehr Wohnungen gefördert werden.
Eine der Möglichkeiten ist der genossenschaftliche Wohnungsbau. Darüber sind wir uns einig. Bisher ist der Erwerb von Genossenschaftsanteilen nicht in den Anwendungsbereich der Steuervergünstigung eingezogen. Das scheiterte in der Vergangenheit immer wieder an der steuerlichen Systematik, aber auch daran, daß das genossenschaftliche Mitgliedsrecht nach geltendem Recht kein individuelles sachenechtliches Wohneigentum vermittelt, bei dem das Mitglied beispielsweise an einer Wertsteigerung der Immobilie partizipieren kann.In der bereits angesprochenen Anhörung ist eine grundsätzlich positive Tendenz für eine stärkere Förderung des genossenschaftlichen Wohnungsbaus deutlich geworden. Das ist wahr. Die Anhörung hat allerdings auch ergeben, daß eine Fülle von Fragen ungeklärt sind. Die Antworten auf Fragen nach der Bemessungsgrundlage für eine steuerliche Begünstigung, um nur ein Beispiel zu nennen, die wir erhalten haben, haben ein sehr breites Spektrum aufgezeigt und auch deutlich unterschiedliche Ansätze erkennen lassen. Die finanziellen Konsequenzen für den Steuerzahler, Abgrenzungsprobleme zu anderen Genossenschaftsanteilen, aber auch die bereits genannten sachenrechtlichen Fragen bedürfen einer Erörterung, die wir sehr sorgfältig durchführen sollten.Wir wollen, daß die Bundesregierung die Vorbereitungen zur Schaffung der Rechtsgrundlagen für eine sachenrechtliche Ausrichtung der Mitgliedsrechte an Wohnungsbaugenossenschaften trifft. Regelungen, wie wir sie im ausländischen Bereich kennen, z. B. in Norwegen oder Schweden, sind dabei zu berücksichtigen.Ein weiteres kommt hinzu: Die von uns eingesetzte unabhängige Expertenkommission zur Überprüfung der Wohnungspolitik wird auch Vorschläge für die Förderung von Genossenschaftsanteilen erarbeiten. Das Untersuchungsergebnis erwarten wir bis Ende dieses Jahres. Den Sachverstand der Fachleute und deren Vorschläge sollten wir ebenfalls nutzen und mit in unsere Überlegungen einbeziehen.Ich würde mich freuen, wenn es gelänge, im Interesse vieler wohnungssuchender Menschen, aber auch im Interesse derjenigen, die Wohneigentum oder genossenschaftliches Eigentum bilden wollen, fraktionsübergreifend gemeinsame Lösungen zu finden. Dazu lade ich uns alle herzlich ein.Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zunächst über Tagesordnungspunkt 12b. Es liegt eine Beschlußempfehlung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zum Wohngeld- undMietenbericht — Drucksachen 12/7153 und 12/7922 —vor. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Die Beschlußempfehlung ist angenommen.Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/7939. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu dem Antrag der Fraktion der SPD zu einem Wechsel in der Wohnungspolitik — Drucksache 12/6598 —. Es handelt sich dabei um Punkt 12 c der Tagesordnung. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/5578 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist angenommen.Wir kommen zur Abstimmung über den Entwurf eines Altschuldenhilfe-Änderungsgesetzes der Gruppe PDS/Linke Liste auf Drucksache 12/7054 — Tagesordnungspunkt 12d. Der Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau empfiehlt auf Drucksache 12/7923 unter Nr. 1, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf der Gruppe PDS/Linke Liste auf Drucksache 12/7054 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der SPD zur Novellierung des Altschuldenhilfe-Gesetzes auf Drucksache 12/6746. Das ist Tagesordnungspunkt 12e. Der Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau empfiehlt auf Drucksache 12/7923 unter Nr. 2, auch diesen Gesetzentwurf abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist angenommen.Der Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau empfiehlt unter Nr. 3 seiner Beschlußempfehlung die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Die Beschlußempfehlung ist angenommen.Tagesordnungspunkt 12 f: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Förderung des genossenschaftlichen Wohnungsbaus— Drucksache 12/7921. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/4301 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist angenommen.Wir kommen zu Zusatzpunkt 8. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 12/7856— das ist der Antrag der Gruppe PDS/Linke Liste zu einem Mietenmoratorium für die preisgebundenen Wohnungen in Ostdeutschland — an die in der Tages-
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Vizepräsident Hans Kleinordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? — Dies ist offensichtlich der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:Zweite und dritte Beratung eines Gesetzes fiber das Ausländerzentralregister
— Drucksachen 12/6938, 12/7520 —
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
Drucksache 12/7601 —Berichterstattung:Abgeordnete Dorle Marx Meinrad BelleCornelia Schmalz-Jacobsenb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der GeschäftsordnungDrucksache 12/7944 —Berichterstattung Abgeordnete Karl DeresIna AlbowitzManfred HampelZu den Gesetzentwürfen liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor.Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. — Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Meinrad Belle das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Bereits seit dem Jahre 1953 wird im Bundesverwaltungsamt ein Ausländerzentralregister geführt. Rechtsgrundlage dafür war bisher das Gesetz über die Errichtung des Bundesverwaltungsamtes vom 18. Dezember 1959. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 1983, das sogenannte Volkszählungsurteil, brachte jedoch auch für das Ausländerzentralregister höhere Anforderungen, so daß eine eigene spezifische gesetzliche Grundlage geschaffen werden mußte.Dieses neue Ausländerzentralregister-Gesetz bedeutet jetzt mehr Rechtssicherheit für die betroffenen Personen. Im Ausländerzentralregister werden im allgemeinen Datenbestand gesetzlich genau definierte Daten von Ausländern erfaßt, die sich nicht nur vorübergehend im Bundesgebiet aufhalten. In der Visadatei werden alle Daten derjenigen Ausländer gespeichert, die bei deutschen Auslandsvertretungen Anträge auf Erteilung von Einreisevisa stellten.Die Speicherung und Verwendung dieser Daten ist notwendig, um den mit der Durchführung ausländer-und asylrechtlicher Vorschriften betrauten Behörden die Erfüllung ihrer Aufgaben zu ermöglichen. Außerdem erhalten die Sicherheitsbehörden Zugang zum Register, soweit dies erforderlich ist, um die von kriminellen Ausländern ausgehenden Gefahren für die innere Sicherheit unseres Landes abzuwehren.Das Register erfüllt aber auch eine Schutzfunktion für die bei uns lebenden Ausländer. So kann z. B. bei verlorengegangenen Ausweispapieren problemlos kurzfristig der Nachweis über die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland erbracht werden.In den Ausschußberatungen und den Berichterstattergesprächen wurden die einzelnen Bestimmungen des Gesetzentwurfs auf Notwendigkeit und Effektivität hin abgeklopft. Dabei ist es uns gelungen, vor allem im Interesse der hier bei uns länger wohnhaften Ausländer Verbesserungen gegenüber der bisherigen Regelung zu erreichen. Insbesondere wollen wir, soweit möglich, differenzieren zwischen sich kurzfristig bei uns aufhaltenden Ausländern und Ausländern mit verfestigtem Aufenthaltsstatus, also mit Aufenthaltsberechtigung oder unbefristeter Aufenthaltserlaubnis. So werden z. B. Ausländer mit verfestigtem Aufenthaltsstatus in die Gruppenauskünfte nicht einbezogen.Auch der Bundesbeauftragte für den Datenschutz hat im Verlaufe der Ausschußberatungen entscheidende Verbesserungen im Hinblick auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung bei diesem Gesetz anerkannt.Die uns vorliegenden Stellungnahmen der Bundesratsausschüsse für innere Angelegenheiten bzw. des Rechtsausschusses haben wir bei der abschließenden Beratung des Gesetzentwurfs im Innenausschuß des Bundestages einbezogen und intensiv mitberaten.Ich will auch nicht verschweigen, daß es im Verlauf der Ausschußberatungen zu streitigen Abstimmungen mit der Opposition über die Notwendigkeit einzelner Bestimmungen und Formulierungen des Gesetzes kam. Dies ist angesichts der unterschiedlichen Auffassungen zur Sicherheitslage und zur öffentlichen Sicherheit zwischen den Koalitionsparteien und der Opposition natürlich auch nicht verwunderlich.Nun zum Änderungsantrag der SPD-Fraktion, zur Streichung des § 2 Abs. 2 Nr. 7. Dieser Änderungsantrag, meine Damen und Herren, war bereits Gegenstand der Ausschußberatungen. Er wurde dort mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt.Diese Vorschrift soll einen Informationsbedarf dekken, der bei den Ausländerbehörden und Auslandsvertretungen besteht, um aufenthaltsrechtliche Entscheidungen, z. B. Visaerteilungen, Verlängerungen von Aufenthaltsgenehmigungen, Ausweisungen, sachgerecht treffen zu können. Sie stellt sicher, daß diese Behörden die nach dem Ausländergesetz geschaffene Möglichkeit, u. a. von den Polizeibehörden auf Ersuchen Informationen zu erhalten, in besonders wichtigen Fällen tatsächlich wahrnehmen können. Ohne die Informationen im Ausländerzentralregister wissen diese Stellen nicht, an welche Polizeibehörden sie sich wenden können. Die Speicherung ist notwendig, da die Ausländerbehörden und die Auslandsvertretungen keinen Zugriff auf das polizeiliche Informationssystem INPOL haben und auch nicht erhalten sollen. Der Änderungsantrag, meine Damen und Herren, ist daher abzulehnen.
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20386 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994
Meinrad BelleZusammenfassend sind wir der Auffassung, daß es uns gut gelungen ist, den zwangsläufigen Interessenkonflikt zwischen dem Recht auch unserer ausländischen Mitbürger auf informationelle Selbstbestimmung einerseits und den zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit andererseits notwendigen einschränkenden Vorschriften zu lösen. Wir haben ein modernes Gesetz geschaffen, das erstens die Verwaltungsbehörden auf den verschiedenen Ebenen bei der Durchführung ausländerrechtlicher Entscheidungen unterstützt, zweitens zur schnellen Entscheidung in Fragen der Einreise und des zulässigen Aufenthalts von Ausländern beiträgt und drittens bei Eilentscheidungen auch außerhalb der allgemeinen Dienstzeit schnellen Zugriff ermöglicht. Wir stimmen daher diesem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zu.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Kollegin Dorle Marx, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Gesetzentwurf hat zwei Väter. Uns liegen zwei Bleichlautende Gesetzentwürfe vor: einer von den Koalitionsfraktionen und einer von der Bundesregierung. Vom 1. März 1994 stammt der Gesetzentwurf, den die Koalitionsfraktionen eingebracht haben. Er beginnt mit den Worten:Mit dem vorgeschlagenen Gesetz soll das Ausländerzentralregister eine neue umfassende Rechtsgrundlage erhalten, die vor allem auch den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts im Urteil vom 15. Dezember 1983 zum Volkszählungsgesetz ... entspricht.Ganz anders, liebe Kolleginnen und Kollegen, liest es sich bei Vater Nummer zwei, dem Innenminister. Unter dem Titel „Kabinett beschließt Entwurf eines Ausländerzentralregisters" erklärt Bundesinnenminister Manfred Kanther mit Datum vom 2. März 1994 wörtlich — ich zitiere —:Nach der Einbringung des Verbrechensbekämpfungsgesetzes 1994, das eine Vielzahl von Verbesserungen bei der Kriminalitätsbekämpfung vorsieht, ist der heutige Beschluß des Kabinetts ein weiterer Beitrag zur inneren Sicherheit.Das Ausländerzentralregister-Gesetz, so der Minister in seiner Pressemitteilung, sei ein wesentlicher Baustein in dem — wie er es nennt — zu entwickelnden Sicherheitsmosaik.Mitte Mai 1994 hatte Vater Nummer zwei dann Vater Nummer eins eingeholt. Auf der Tagesordnung der vorletzten Sitzungswoche fand sich am 19. Mai das Ausländerzentralregister inmitten des Gesetzespaketes zur Verbrechensbekämpfung. In der Vorlage tauchte das Ausländerzentralregister in der unmittelbaren Nachbarschaft eines Gesetzentwurfs zur Verbesserung der Diebstahlsicherung bei Kraftfahrzeugen auf.
Irgendwann ist dann wohl irgendwem aufgefallen, daß hier vielleicht doch etwas durcheinandergekommen sein könnte. Der Unterpunkt „Ausländerzentralregister„ wurde wieder abgesetzt.Vorausgegangen waren in der Woche zuvor die ausländerfeindlichen Ausschreitungen in Magdeburg. Sie haben unseren Kollegen Johannes Gerster dazu veranlaßt, eine bessere Aufklärung über Ausländerkriminalität zu fordern. Die Kriminalitätsstatistik, so Kollege Gerster, müsse so verbessert werden, daß für jedermann deutlich werde, wie gering der Anteil der kriminellen Ausländer an ihrer Gesamtzahl wirklich sei. — So sind wir heute, jedenfalls von der Plazierung auf der Tagesordnung her, hoffe ich, wieder etwas näher an Vater Nummer eins.Das Gesetz über das Ausländerzentralregister dient primär der Schaffung der bisher fehlenden ausreichenden Rechtsgrundlage im Melderecht für die ausländischen Bürgerinnen und Bürger. Das bisherige Ausländerzentralregister beim Bundesverwaltungsamt in Köln existiert seit 40 Jahren. Dort sind Daten zu mindestens 8 Millionen Ausländern gespeichert, die sich in der Bundesrepublik aufhalten oder einmal aufgehalten haben. Das Führen eines solchen Registers ohne ausreichende gesetzliche Regelung ist — Kollege Belle hat das bereits gesagt — mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung unvereinbar. Dieses Grundrecht steht Deutschen und Ausländern gleichermaßen zu. Auch die SPD-Fraktion begrüßt daher grundsätzlich die Verabschiedung einer gesetzlichen Regelung mit der Berücksichtigung der grundgesetzlich verbrieften Datenschutz-rechte.Da Vater eins und Vater zwei einen gleichlautenden Gesetzentwurf vorgelegt haben, bestätigt sich aber sehr schnell die Vermutung, daß das vorgelegte Gesetz nicht nur die Information und Kommunikation für die mit der Durchführung ausländer- und asylrechtlicher Vorschriften betrauten Behörden regelt. Der Gesetzentwurf zum Ausländerzentralregister ermöglicht darüber hinaus einen neuen Informationsverbund für Aufgaben der Polizei, der Strafverfolgungsorgane und der Nachrichtendienste.In § 6 sind alle Stellen genannt, die verpflichtet sind, Daten an die Registerbehörde weiterzugeben. Hier und in § 2 finden sich die Bausteine für das „Sicherheitsmosaik", das der Bundesinnenminister gemeint hat. Nicht nur Polizeibehörden, Staatsanwaltschaften, Gerichte, nein, auch die Nachrichtendienste sollen ihre Erkenntnisse ins Register einspeichern. Und die übermittelten Informationen betreffen nicht etwa nur die — nach dem Ausländerrecht relevanten — begangenen Straftaten. Nein, laut § 2 Abs. 2 Nr. 7 sollen auch Ausländer im Register gespeichert werden, bei denen nur tatsächliche Anhaltspunkte für den bloßen Verdacht bestehen, daß sie bestimmte Straftaten planen, begehen oder begangen haben. Beim Stichwort „Sicherheitsmosaik" versteht es sich dann schon fast von selbst, daß die Betroffenen von einer solchen Speicherung nichts erfahren.In § 34 steht das Interesse des Betroffenen an der Auskunft darüber, was über ihn gespeichert ist, automatisch hinter der Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder dem Wohl des Bundes oder
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Dorle Marxeines Landes zurück. Der betroffene Ausländer kann sich also in Ermangelung einer Auskunft nicht gegen die Speicherung eines unberechtigten Verdachtes im Ausländerzentralregister zur Wehr setzen. Das „Sicherheitsmosaik" wird damit zum Spinnennetz, in dem sich das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verfängt. Die im Informationsverbund mit dem Ausländerzentralregister vernetzten Behörden können dagegen untereinander relativ ungehindert auf diese Daten zugreifen.Mit § 2 Abs. 2 Nr. 7 soll also eine spezielle Verdachtskartei entstehen. Diese Verdachtskartei geht nicht nur weit über die melderechtliche Zweckbestimmung hinaus, sie eröffnet auch einen Informationsverbund zwischen Ausländer- und Ordnungsbehörden, Staatsanwaltschaften und den Nachrichtendiensten. Dieser Verbund widerspricht dem verfassungsrechtlichen Trennungsgebot, d. h. dem Gebot der Trennung von Polizei und Nachrichtendiensten.Die Versuchung zur technisch problemlos möglichen Vernetzung verschiedener Dateien ist nicht nur bei diesem Gesetzesvorhaben groß. Der Spieltrieb des Menschen neigt dazu sicher ebenso wie die Neigung mancher Menschen zu Mosaiken. Die Zweckdurchbrechung einzelner Dateien durch Vernetzung verschiedener Datenbestände ist aber im berühmten Volkszählungsurteil, auf das der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen Bezug nimmt, gerade der Sündenfall der Durchbrechung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung. Im Urteil heißt es — ich zitiere —:Vor allem beim Aufbau integrierter Informationssysteme können Daten mit anderen Datensammlungen zu einem teilweise oder weitgehend vollständigen Persönlichkeitsbild zusammengefügt werden, ohne daß der Betroffene dessen Richtigkeit und Verwendung zureichend kontrollieren kann.Die Polizei-Sonderkartei Ausländerzentralregister wird auch aus polizeilicher Sicht nicht gebraucht. Polizei und Nachrichtendienste verfügen über eigene Informationssysteme.Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden Ausländer als potentielle Straftäter anders behandelt als Deutsche. Eine solche Sonderbehandlung müßte sich sachlich rechtfertigen lassen, um nicht verfassungswidrig zu sein. „Nur wenige Ausländer in Deutschland sind kriminell", so äußerte sich unser Kollege Gerster am Sonntag nach Magdeburg.Sie werden daher verstehen, daß wir Sozialdemokraten auch nach gründlicher Beratung im Innenausschuß heute erneut beantragen, das Ausländerzentralregister nicht als Straftatenverdachtskartei zu mißbrauchen.
Wir beantragen deshalb erneut die Streichung von § 2 Abs. 2 Nr. 7 aus den vorliegenden Gesetzentwürfen. — Sie wissen, dies war und ist nicht unser alleiniger Kritikpunkt. Wir kritisieren auch den geplanten Online-Zugriff von Polizei und Nachrichtendiensten auf das Ausländerzentralregister.Von Ihrem Abstimmungsverhalten bei unserem wichtigsten, heute hier noch einmal zur Abstimmung stehenden Änderungsantrag machen wir unsere Zustimmung zum Gesamtgesetz abhängig. Wenn Sie heute hier mit der Koalitionsmehrheit unserem Änderungsantrag nicht folgen können, was zu befürchten ist, werden wir dem Gesetz als Ganzem ebenfalls die Zustimmung verweigern.Die Mahnung des Kollegen Gerster in der Sonntagspresse, mangelndes Wissen sei die Ursache für zunehmende ausländerfeindliche Aktionen, soll keine Sonntagsmahnung gewesen sein. Wir wollen sie auch an diesem Donnerstag als Gesetzgeber beherzigen.
Das Wort hat die Kollegin Cornelia Schmalz-Jacobsen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Ausländerzentralregister ist natürlich kein Fahndungsregister. Das muß man immer wieder denen deutlich machen, die das nicht einsehen.
Im übrigen war dieser Lapsus mit der Tagesordnung — das Zusammenspannen von zwei Tagesordnungspunkten, die nichts miteinander zu tun haben — ein Fehler, der korrigiert wurde. Es waren die Innenpolitiker der F.D.P., die das sehr schnell gemerkt und dafür gesorgt haben, daß das getrennt wurde.Als liberale Abgeordnete, aber auch als Ausländerbeauftragte habe ich mir die Zustimmung zu dem vorliegenden Gesetz nicht einfach gemacht, und es gibt auch — das will ich gar nicht verschweigen — an der einen oder anderen Stelle noch Bedenken. Wir sollten aber doch bitte nicht so tun, als gäbe es ohne ein solches Gesetz rosige Zustände im Umgang mit Daten von Ausländern. Wo es keine eindeutigen Vorschriften gibt, ist eine unangemessene Sammlung und Weitergabe von Daten viel eher möglich und auch viel wahrscheinlicher, als wenn es solche Vorschriften gibt. Das gilt übrigens nicht nur für Ausländerdaten; das gilt für alle Daten.Das Bundesverfassungsgericht hat uns ja nicht ohne Grund schon vor Jahren ausdrücklich aufgefordert, eine gesetzliche Grundlage für die Datenerfassung bezüglich der hier lebenden Ausländer zu schaffen und die datenschutzrechtliche Grauzone, in der wir uns bis dato bewegen, zu verlassen. Dem trägt nun der Gesetzentwurf Rechnung.Wir haben bereits im Vorfeld und dann im Verlauf der parlamentarischen Beratungen einige Korrekturen am Regierungsentwurf vorgenommen. Dabei ist mir eine Einschränkung ganz besonders wichtig: Gruppenauskünfte über Ausländer mit verfestigtem Aufenthaltsstatus dürfen nicht erteilt werden. Diese Reduzierung des Datenflusses ist dringend geboten, um dem besonderen Schutzanspruch der für immer hier lebenden Inländer mit ausländischem Paß wenig-
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20388 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994
Cornelia Schmalz-Jacobsenstens teilweise zu genügen und sie den deutschen Inländern weitgehend gleichzustellen. Das war wichtig.Daß mehr nicht möglich war, ist aus der Sicht der F.D.P. bedauerlich. Ich denke dabei vor allem an den automatisierten Datenzugriff der Verf assungsschutzbehörden und der Nachrichtendienste, den wir gerne restriktiver geregelt gesehen hätten. Die F.D.P. teilt in dieser Hinsicht die Vorbehalte des Bundesdatenschutzbeauftragten. Wir behalten uns vor, zu gegebener Zeit einen neuen Anlauf zur Einengung der On-line-Zugriffsmöglichkeiten der Dienste zu unternehmen.
Wir werden, meine Kolleginnen und Kollegen, den zuständigen Bundes- und Landesbehörden in ihrer Genehmigungspraxis sehr gründlich auf die Finger sehen.Wenn es nun nach den zuständigen Fachausschüssen des Bundesrates und seiner SPD-Mehrheit gegangen wäre — und daran muß man in diesem Zusammenhang doch einmal erinnern —, dann hätten wir heute über ein in Teilen sehr viel weitgehenderes und für die Ausländer sehr viel problematischeres Zentralregistergesetz zu beschließen.
Dann wären nämlich weder die dauerhaft hier lebenden Ausländer von der Gruppenauskunft ausgenommen worden, noch wäre eine Datenübermittlung bei geringfügigen Straftaten ausgeschlossen worden, noch wäre das Auskunftsrecht der Betroffenen vernünftig geregelt worden. Das ist ja ein sehr wichtiger Teil dieses Gesetzes. Wenn wir so verfahren wären, wie es die Bundesratsmehrheit angeraten hat, dann wären Ausländer in der Tat zum datenschutzrechtlichen Freiwild geworden.
Daß sich das Bundesinnenministerium und die Ausländerbeauftragte hier in seltener Einmütigkeit gegen derartige Vorstellungen ausgesprochen haben, kommt so oft nicht vor, ist aber, finde ich, bemerkenswert.Der SPD-Änderungsantrag klingt vernünftig; er widerspricht der Bundesratsmehrheit. Ich kann sehr gut nachvollziehen, was darin steht; aber er kommt ein bißchen spät.
Das Ausländerzentralregister-Gesetz ist mit Sicherheit nicht der Weisheit letzter Schluß. Es wird sicherlich zu Korrekturen kommen
— aber selbstverständlich darf man —, wenn die ersten Erfahrungsberichte vorliegen.Dieses Gesetz schafft einen gesetzlichen Rahmen, wo vorher so etwas wie ein Bermudadreieck gewesen ist. Im übrigen wird es dazu beitragen, die oft sehr mühsame Arbeit der Ausländerbehörden und der Asylbehörden zu erleichtern und zu beschleunigen; das ist ja auch der Sinn dieses Gesetzes. Das wiederum wird sich im Zweifel durchaus zum Vorteil der Betroffenen auswirken. Die F.D.P. wird dem Ausländerzentralregister-Gesetz in der vorliegenden Form deshalb zustimmen, weil es eine Verbesserung gegenüber dem alten Zustand bedeutet.
Frau Kollegin Ulla Jelpke, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Schmalz-Jacobsen, Ihre Position von heute ist schon ein bißchen enttäuschend; denn immerhin haben Sie beim ersten Entwurf noch ganz eindeutig gesagt, daß Ausländerinnen und Ausländer nicht zum datenschutzrechtlichen Freiwild werden dürften. Ich meine, der Innenausschuß hat in der Tat nicht so viele Änderungen vorgenommen — darauf komme ich gleich noch in meiner Rede zu sprechen —, als daß diese Einschätzung rückgängig gemacht werden könnte.Meine Damen und Herren, das Innenministerium hat jüngst die Deutsche Vereinigung für Datenschutz belehrt, daß die Weitergabe der Daten von algerischen Asylbewerbern z. B. kein Verstoß gegen die einschlägigen Datenschutzbestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes, des BKA-Gesetzes, des Bundesverfassungsschutzgesetzes und anderer Vorschriften sei, obwohl diese Asylbewerber in ein Land zurückgeschickt wurden und werden, das sich seit 1992 im Notstand befindet, in dem in den letzten zehn Monaten fast 400 Todesurteile gegen Regierungsgegner und mutmaßliche Islamisten verhängt worden sind. Auch im Falle der abgeschobenen Kurden mag ja keine einzige Datenschutzbestimmung verletzt worden sein, aber sie wurden nach der Abschiebung zum Teil doch der Folter und Mißhandlung ausgeliefert. Mit mehr als 90 Staaten — so ist dem Brief des Bundesministeriums des Innern zu entnehmen — wird ähnlich wie mit Algerien verfahren.Meine Damen und Herren, der in diesem Gesetz legalisierte umfassende Zugriff von Verwaltungen, Strafverfolgungsbehörden und Geheimdiensten auf die Daten aller Ausländerinnen und Ausländer hat die vage Hoffnung auf Verbesserung des Datenschutzes zerschlagen. Nur eine einzige Einschränkung konnte im Innenausschuß formuliert werden: Im deutschen Ausländerzentralregister sollen nicht die Verwandten in direkt aufsteigender Linie, die im Ausland leben, erfaßt werden. Aber selbst hierbei beharrt die Bundesregierung offensichtlich weiterhin auf ihrem unstillbaren Datenhunger.Ein Naturrecht auf Widerstand gegen Überfremdung hat der Abgeordnete Geis wenige Tage vor dem Anschlag in Solingen in aller Öffentlichkeit vertreten. Sicherlich kann er sich den Nutzen eines Ausländerzentralregisters in allen Farben ausmalen. Kann man denn ernsthaft einen Zusammenhang zwischen dem Erfassungswahn, dem Schüren der Angst vor Über-
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Ulla Jelpkefremdung und der Forderung nach nationaler Identität bestreiten? Um welche Gruppenabfragen beispielsweise aus dem Ausländerzentralregister geht es, die nach § 12 erlaubt sind? Diese Frage drängt sich auf, wenn man weiß, daß z. B. in Hamburg Asylbewerbern schon bei der ersten Anhörung Formulare zur Beantragung der Rückreisepapiere in die Hand gedrückt werden, in denen nach ihrer ethnischen Gruppenzugehörigkeit gefragt wird? Wie viele Abgleiche zwischen Ausländerzentralregister und BKA-Datenbanken sind denn seit dem Golfkrieg auf Grund internationaler Krisen vorgenommen worden? Diese Frage stelle ich mir.
Frau Kollegin, kommen Sie langsam zum Schluß.
Wer von den Befürwortern dieser Ausländererfassung will und kann denn garantieren, daß das Auskunftsbegehren der von Faschisten bestückten italienischen Regierung gerechtfertigt ist? Wenn wir genau hingucken, sehen wir, daß wir in Italien einen Faschisten als Innenminister haben. Wie wird er das nutzen? Wissen wir, ob er die Daten weitergibt? Er wird jedenfalls in Zukunft in Einrichtungen wie TREVI, —
Frau Kollegin Jelpke, bitte!
— ich komme mit meinem letzten Satz zum Schluß; ich möchte den nur zu Ende führen — in Kommissionen zur Humanisierung des Asylrechts, in Gremien, die über Einreiseverweigerungen befinden, und dergleichen sitzen.
Ich denke, daß man diesem Gesetzentwurf auf keinen Fall zustimmen kann, weil er jedem Mißbrauch Tür und Tor öffnet.
Danke.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Konrad Weiß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach Auffassung der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN verstößt der Gesetzentwurf der Koalition zum Ausländerzentralregister in zentralen Punkten gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das natürlich auch Ausländerinnen und Ausländern zusteht, sowie gegen das Diskriminierungsverbot des Grundgesetzes. Wir halten den Entwurf für verfassungswidrig.
Zahlreiche Vorschläge, wenigstens gebotene Änderungen im Detail vorzunehmen, sind von der Koalitionsmehrheit verworfen worden. Im Gegenteil, der Umfang, in dem Daten von Ausländern verarbeitet werden sollen, ist gegenüber dem Ursprungsentwurf noch erweitert worden. So sollen z. B. gemäß § 16 Abs. 3 nun auch an Strafverfolgungsbehörden Daten über Ehegatten und Verwandte der Ausländer übermittelt werden dürfen.
Seit Anfang der 80er Jahre fordern Datenschützer eine gesetzliche Regelung des seit 40 Jahren bestehenden Ausländerzentralregisters. Das Bundesverfassungsgericht hat im Volkszählungsurteil diese Notwendigkeit bekräftigt. Dennoch ist die Bundesregierung seit dem ersten Referentenentwurf vom Juli 1988 und trotz zahlreicher Mahnungen des Bundestages weitgehend tatenlos geblieben.
Statt dessen hat sie das Ausländerzentralregister technisch ausgebaut, Herr Kollege Marschewski, vor allem durch den Online-Datenabruf für andere Behörden.
Nun soll der noch weitere Ausbau dieses Registers zu einer zentralen Sicherheitsdatei für über 8 Millionen Nichtdeutsche gesetzlich untermauert werden. Das entspricht dem sonstigen unsensiblen Umgang mit Ausländerinnen und Ausländern. Über Ausländer werden zu denselben Verwaltungszwecken weit mehr Daten erhoben und gespeichert als über Deutsche. Ist das berechtigt? Dahinter steht doch die Philosophie, Nichtdeutsche sozusagen als abstraktes Sicherheitsrisiko einzustufen.
Symptomatisch ist die Praxis der Verwaltungsbehörden, von Ausländervereinen ausgefüllte Anmelde-und Auskunftsformulare automatisch an die Landeskriminalämter weiterzureichen, oder die Praxis deutscher Gerichte, Strafregistermeldungen auch von Ausländern, die wegen geringfügiger Straftaten verurteilt wurden, quer durch Europa, so auch an die Botschaften der Herkunftsländer, zu schicken, worauf bei Rückkehr unter Umständen handfeste Repressionen gestützt werden können. Solche Beispiele gäbe es noch viele.
Dieser Gesetzentwurf verwischt die Grenzen zwischen berechtigten Sicherheitsaufgaben — etwa der polizeilichen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung — und der Anwendung des Aufenthaltsrechts völlig. Installiert werden soll statt dessen — in Ausweitung der bisherigen Praxis — ein Datenverbundsystem zwischen Ausländerbehörden einerseits und der Bundesanstalt für Arbeit, der Polizei, den Staatsanwaltschaften, dem Verfassungsschutz und dem Militärischen Abschirmdienst andererseits.
Daß im Ausländerzentralregister Entscheidungen der Ausländer- und Visabehörden nicht nur der Tatsache, sondern auch ihrem genauen Inhalt nach dem automatischen Zugriff diverser anderer Behörden preisgegeben werden sollen —
Herr Kollege Weiß, Ihre Redezeit ist vorbei.
— ich komme zum Ende, Herr Präsident —, ist unangemessen und richtet sich gegen die freiheitliche und demokratische Grundordnung unseres Staates.BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lehnt den vorliegenden Gesetzentwurf ab.
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20390 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994
Ich erteile das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, Eduard Lintner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der heute vorliegende Gesetzentwurf präsentiert sich als ein systematisch aufgebautes und in sich geschlossenes Regelungswerk, das alle Anforderungen erfüllt, die an eine gesetzliche Regelung dieser empfindlichen Materie zu stellen sind. Im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muß klar geregelt sein, wessen Daten aus welchem Anlaß in das Register eingestellt werden und was mit diesen Daten aus welchen Gründen geschieht. Der vorliegende Gesetzentwurf leistet dies.
Er regelt — erstens — genau die Anlässe, aus denen Daten eines Ausländers an die Registerbehörde zu übermitteln sind, um im allgemeinen Datenbestand oder in der neu zu schaffenden Visadatei für die Nutzer — es handelt sich dabei ganz vorwiegend um öffentliche Stellen — verfügbar zu sein. Da die Registerbehörde in erster Linie diejenigen Behörden unterstützt, die mit der Durchführung ausländer- und asylrechtlicher Vorschriften betraut sind, stehen auch die diesbezüglichen Anlässe im Vordergrund.
Dazu gehören aber auch — was Kritiker des Gesetzentwurfs zu Unrecht nicht wahrhaben wollen — die in § 2 Abs. 2 Nr. 6 und 7 genannten Anlässe: die Ausschreibung zur Festnahme oder Aufenthaltsermittlung und das Vorhandensein von tatsächlichen Anhaltspunkten dafür, daß im Geltungsbereich des Gesetzes bestimmte Straftaten begangen worden oder geplant sind. Das Gesetz beschränkt sich dabei auf Straftatbestände, die es dringend geraten erscheinen lassen, daß den Behörden entsprechende Hinweise bekannt sind, die ausländerrechtliche Entscheidungen zu treffen haben, z. B. die Erteilung oder Verlängerung von Aufenthaltsgenehmigungen oder die Erteilung eines Visums. Hier davon zu sprechen, daß eine neue zentrale Fahndungsdatei entsteht, ist abwegig.
Bei dem Zustrom von Ausländern, den die Bundesrepublik Deutschland in den letzten Jahren zu verzeichnen hatte — das Ausländerzentralregister weist für die Zeit von 1989 bis 1993 immerhin mehr als vier Millionen Zuzüge aus —, müssen wir davon ausgehen, daß die international organisierte Kriminalität nicht an unseren Grenzen haltmacht. Hierfür gibt es in der Tat ausreichende Beweise und Belege. Es wäre deshalb in höchstem Maße fahrlässig, davor die Augen zu verschließen und davon abzusehen, diejenigen Instrumente zu nutzen, die es uns erlauben, einer gefährlichen Entwicklung gegenzusteuern.
Dazu gehört auch die Möglichkeit der Registerbehörde, nach § 12 unter sehr eng begrenzten Voraussetzungen an bestimmte öffentliche Stellen Gruppenauskünfte aus dem Register zu erteilen. Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf sind Gruppenauskünfte zur Abwehr erheblicher Gefahren, zur Verfolgung schwerer Straftaten und zur Aufklärung von außen-und sicherheitspolitisch bedeutsamen Vorgängen zulässig. Sie sind unverzichtbar, weil sie in vielen Fällen der einzig erfolgversprechende Ermittlungsansatz sind.
Der Entwurf regelt — zweitens — auch genau, welche öffentlichen Stellen welche Daten an die Registerbehörde übermitteln müssen und welche Stellen aus welchen Gründen welche Daten von der Registerbehörde erhalten dürfen. Die vorgesehene Regelung schafft insoweit die von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geforderte Klarheit. Moderne Methoden der Datenübermittlung an die Registerbehörde im Wege der Direkteingabe in das Register mit unmittelbarer Wirkung für den Datenbestand und Datenabruf im automatisierten Verfahren werden unter bestimmten, eng begrenzten Voraussetzungen zulässig sein. Dabei sind im engen Zusammenwirken mit dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz diejenigen rechtlichen und technischen Vorkehrungen getroffen, die in der Übermittlungsphase einen effizienten Datenschutz sowie im nachhinein die zweckmäßigen und notwendigen Kontrollmöglichkeiten gewährleisten.
Schließlich regelt der Entwurf — drittens — umfassend die Rechte der Betroffenen. Er sieht Übermittlungssperren für die Datenübermittlung an nichtöffentliche und unter gewissen Voraussetzungen auch an öffentliche Stellen ebenso vor wie ein Recht auf Auskunft sowie das Recht auf Berichtigung, Löschung und Sperrung von Daten. Zugleich sichert er ab, daß die übermittelten Daten nur zu dem Zweck genutzt werden dürfen, zu dem sie übermittelt worden sind, und nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen an eine andere öffentliche Stelle weiterübermittelt werden dürfen.
Der Entwurf schafft insgesamt also ein Höchstmaß an Datenschutz und Datensicherheit.
Er geht dabei bis an die Grenzen des verwaltungspraktisch noch Vertretbaren.
Das Hohe Haus sollte deshalb im Hinblick auf die dringende Notwendigkeit, eine umfassende, tragfähige gesetzliche Grundlage für das Ausländerzentralregister zu schaffen, jetzt nicht mehr zögern, den Entwurf heute zu verabschieden.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den Entwurf eines Ausländerzentralregistergesetzes, Drucksachen 12/6938, 12/7520 und 12/7601.Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/7898 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der
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Vizepräsident Hans KleinGesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.Dritte Beratungund Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zustimmen will, möge sich bitte vom Platz erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen! — Der Gesetzentwurf ist angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Verkehr mit Medizinprodukten
— Drucksache 12/6991 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Aus-schusses für Gesundheit
— Drucksache 12/7930 —Berichterstattung:Abgeordneter Dr. Walter Franz AltherrNach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. — Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Wolfgang Zöller das Wort.
Grüß Gott Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Am 10. März dieses Jahres hat Kollege Dr. Voigt Ihnen anläßlich der ersten Lesung des Entwurfs des Medizinproduktegesetzes für die CDU/CSU-Fraktion versprochen, daß wir uns für eine sehr zügige Beratung dieses Gesetzentwurfes einsetzen werden.Ich kann mit gutem Grund heute bei der zweiten und dritten Lesung feststellen, daß uns dies mit einer parlamentarischen Beratungszeit von gut acht Sitzungswochen gelungen ist, ohne daß die notwendige Qualität und Intensität der Ausschußberatungen unter diesem Tempo zu leiden gehabt hätten.In einer umfangreichen Sachverständigenanhörung wurde den am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Personen und Verbänden nochmals Gelegenheit gegeben, die Fachdiskussion im Bundestagsausschuß für Gesundheit zu führen. In einem im wesentlichen redaktionell geprägten Paket von Änderungsanträgen wurden u. a. auch Anregungen aus gerade dieser Anhörung im Gesundheitsausschuß aufgegriffen.
Lassen Sie mich deshalb kurz die Ziele des Gesetzes im Kern darstellen. Die europaweite Verbesserung und Vereinheitlichung der Qualität und Sicherheit der Medizinprodukte müssen gewährleistet werden. Künftig wird das nach diesem Gesetz erteilte CEKennzeichen europäisches Gütesiegel für Qualität und Sicherheit der mit diesem Kennzeichen versehenen Produkte sein.
Angefangen bei der derzeit hochaktuellen Herzklappe bis hin zum Hüftimplantat oder auch dem Heftpflaster wird dieses Kennzeichen Garantie für ein einheitliches hohes medizinisches und technisches Sicherheitsniveau auf diesem Gebiet der Gesundheitsversorgung sein. Das Gesetz wird daher auch und vor allem Ärzten und ihren Patienten zugute kommen.Ein weiteres Ziel ist: Maßnahmen zur Erfassung und Abwehr von Risiken durch Medizinprodukte.Ein weiteres Ziel: die klinische Bewertung zum Nachweis, daß die Zweckbestimmungen und die Sicherheitsanforderungen erfüllt sind.Ein weiteres Ziel: die Harmonisierung dieses sowohl gesundheits- als auch wirtschaftspolitisch bedeutsamen Sektors durch Umsetzung der europarechtlichen Vorgaben in nationales Recht. Damit wird die bisher auf dem Sektor der Zulassung der Medizinprodukte bestehende Rechtszersplitterung beseitigt. Künftig wird das Inverkehrbringen von Medikalprodukten beispielsweise nicht mehr nach dem Gerätesicherheitsgesetz oder der Röntgenverordnung oder auch nach gewerblichen Vorschriften, sondern ausschließlich und einheitlich nach medizinprodukterechtlichen Vorgaben erfolgen. Dies gilt erstmals europaweit.
Konsequenz dieser europäischen Rechtsvereinheitlichung im Medizinprodukterecht wird zweifelsohne ein wichtiger Beitrag dieses Gesetzes für den Technik- und Wirtschaftsstandort Deutschland sein.
Künftig wird sich im gesamten Europäischen Binnenmarkt die Zulassung und das Inverkehrbringen von sogenannten Medikalprodukten nach den im Kern einheitlichen Regeln richten. Daß dies positive Effekte auf die auch bei uns im wesentlichen exportorientierte Medizinprodukteindustrie haben wird, bedarf wohl keiner näheren Begründung.Daß diese Entwicklung positive Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort Deutschland haben wird, wird dann überdeutlich erkennbar, wenn man sich vergegenwärtigt, daß das Volumen der Medikalprodukteindustrie mit einer Gesamthöhe von rund 25 Milliarden DM dem des deutschen Arzneimittelmarktes durchaus vergleichbar ist.Noch ein wichtiger Punkt ist die Entlastung des Mittelstandes. Die besonderen Erfordernisse der mittleren und kleinen Medizinproduktehersteller werden berücksichtigt. Der Hersteller kann auf seine Bedürfnisse abgestimmt zwischen mehreren vorgegebenen Verfahren wählen, um nachzuweisen, daß sein Produkt den Sicherheits- und Qualitätsanforderungen genügt. Dies kann kostenintensive Investitionen ersparen und führt somit wesentlich schneller zur Marktzulassung. Auch der Wegfall der Sprachenbarriere im Zulassungsverfahren sowie die Doppelzulassung kommt insbesondere den kleineren Herstellern zugute.Lassen Sie mich zum Schluß kommen: Der Bundesrat wird es sich vor diesem Hintergrund sehr gut überlegen müssen, ob er am 8. Juli seine Blockadepo-
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20392 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994
Wolfgang Zöllerlitik vom vergangenen Freitag fortsetzen und auch dieses Gesetz an parteipolitischen Interessen im Bundesrat scheitern lassen will.
Ich betone deshalb ganz klar, die Qualität und Sicherheit der Gesundheitsvorsorge auf dem Sektor der Medikalprodukte würde durch einen erneuten Boykott unweigerlich Schaden nehmen. Auch für den Wirtschafts- und Medizintechnikstandort Deutschland wäre ein Scheitern dieses Gesetzes im Bundesrat eine mittlere gesundheitspolitische Katastrophe. Ich hoffe deshalb, daß sich die Vernunft und die Sachkenntnis des Gesundheitsausschusses auch in der Länderkammer durchsetzen wird und darf Sie recht herzlich um Ihre Zustimmung bitten.
Frau Kollegin AntjeMarie Steen, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Zöller! Ich hoffe nicht, daß das Szenario, das Sie uns eben geschildert haben, eintritt, denn ich kann nur sagen, wir haben sehr gut miteinander dieses Gesetz auf den Weg gebracht.
Da möchte ich auch meinen Dank an alle Fraktionen in diesem Hause richten. Deswegen glaube ich, daß das, was Sie hier als Katastrophe an die Wand gemalt haben, nicht eintreten wird. Ich hoffe es sehr, weil wir doch auch, wie gesagt, gemeinsam dieses gemacht haben. Ich denke, daß wir mit diesen weitgehenden inhaltlichen Übereinstimmungen auch ein Gesetz auf den Weg gebracht haben, das dem europäischen Gedanken zuträglich ist und das dann am 1. Januar 1995 in Kraft treten kann.Die Änderungsanträge der SPD-Fraktion fanden, wie gesagt, weitgehend Zustimmung. Dennoch ist klar — ich denke, uns allen klar —, daß gerade angesichts der schnellen technischen und medizinischen Entwicklung auch in Zukunft auf diesem Gebiet weitergearbeitet werden muß und Änderungen sicherlich für die Zukunft nicht ausgeschlossen sind.Deutschland ist nach den USA weltweit führend in der Medizinprodukteherstellung. Der Inlandsmarkt wird auf etwa 25 Milliarden DM pro Jahr geschätzt. Der Export beträgt für eine Produktgruppe über 50 % der Produktion. Die Vielfalt der Produkte wird auf 400 000 verschiedene Produkte geschätzt. Diese Palette der Medizinprodukte reicht vom Holzspatel bis zum Rollstuhl, vom Hörgerät, den künstlichen Gelenken und den Herzschrittmachern bis hin zum Röntgengerät, also eine sehr umfassende und weitreichende Materie. Das verdeutlicht, wie sehr die Medizinprodukte in Deutschland einen ganz wesentlichen Wirtschaftsfaktor darstellen, ein Markt, der im Umfang dem Vergleich mit dem Arzneimittelmarkt durchaus standhalten kann.Das Medizinproduktegesetze dient der medizinischen und technischen Sicherheit der Produkte.Medizinische Produkte müssen einen hochgradigen Schutz für Patienten, Anwender und Dritte bieten und die vom Hersteller angegebene Leistung erreichen.Für die meisten der Produkte wird zum erstenmal gesetzlich der Nachweis gefordert, daß ihre vom Hersteller gegebene Zweckbestimmung auch erfüllt wird. Außerdem werden mit diesem Gesetz in Deutschland zum erstenmal die medizinischen und technischen Anforderungen für Medizinprodukte gemeinsam in einem eigenen Gesetz geregelt. Sie haben es schon erklärt.
Zudem soll der freie Warenverkehr auch der deutschen Medizinprodukte EG-weit möglich werden. Hier wollen wir helfen.Ich möchte allerdings noch auf einige uns auch wichtige Änderungsvorschläge hinweisen, die zum Teil Eingang in die Änderungsanträge oder in den Entschließungsantrag gefunden haben. In § 3 — Begriffsbestimmung — hatten wir erachtet, daß es notwendig sei, die der Wissenschaft der Psychologie zuzuordnenden psychologischen Testverfahren sowie Paper-Pencil-Tests oder auch computergestützte psychologische Testinstrumente sowie alle operativen psychodiagnostischen und psychotherapeutischen Verfahren aufzunehmen. Diese gesetzliche Klarstellung wäre wichtig gewesen, um Mißverständnissen vorzubeugen und dem gesetzlich beabsichtigten Patientenschutz auch in diesem Anwenderbereich Rechnung zu tragen.Dies wird jetzt nicht im Gesetz verankert, aber es ist erfreulich, daß das Ministerium in diesem Punkt eine Prüfung zugesagt hat, auch eine Anregung zur Überprüfung durch die Europäische Union. Das begrüßen wir außerordentlich. Wir begrüßen es auch, daß im gemeinsamen Entschließungsantrag zum Gesetz die Thematisierung sogenannter kritischer Implantate ihren Niederschlag gefunden hat. Gerade angesichts der nunmehr eindeutig beschriebenen Problematik im Zusammenhang mit Silikon-Brustimplantaten ist die Einführung einer Implantatkarte, an Hand derer u.a. Auskunft über Material und Zusammensetzung der genutzten Stoffe gegeben werden kann, ein wesentlicher Beitrag für Patientinnen- und Patienteninformation und den Patientenschutz.Ebenso wichtig im Sinne des Patientinnenschutzes ist die Nutzen-Risiko-Abwägung. Sie gewinnt im Zusammenhang mit möglichen gravierenden gesundheitlichen Schädigungen bei Silikonimplantaten, besonders solchen Produkten, die aus rein kosmetischen Gründen implantiert werden, eine wichtige Bedeutung. Hier, denke ich, sind unsere vielfältigen Bemühungen um die Silikonproblematik und den Schutz der betroffenen Frauen auf fruchtbaren Boden gefallen.Sehr deutlich wurden uns auch die Probleme im Zusammenhang mit anderen auf Dauer im Körper verbleibenden Implantaten geschildert. So kommt es immer wieder zu Autoimmunreaktionen, deren Ursachen nicht sofort in Zusammenhang gebracht werden können mit einem schon oft jahrelang im Körper befindlichen Implantat. Außerdem verändern sich
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Antje-Marie SteenWerkstoffe in ihrer Zusammensetzung, so daß diese Implantatkarte in der Nachverfolgung von möglichen gesundheitsbeinträchtigenden Auswirkungen Auskunft geben kann für den behandelnden Arzt über die Art des Implantates. Das ist ein weiterer Schritt zur Qualitätssicherung der Medizinprodukte, den wir sehr positiv beurteilen.Im Rahmen des gemeinsamen Entschließungsantrages ist zudem sichergestellt, daß hinsichtlich der Überprüfung bei Medizinprodukten Anforderungen an einen notwendigen spezifischen medizinisch-technischen Sachverstand, anders als die zur Bewertung von Arzneimitteln, gegeben sein müssen. Unsere Forderung, daß es sich bei dem Institut für Arzneimittel und Medizinprodukte um eine Persönlichkeit handeln sollte, die möglichst in diesem spezifischen Bereich bereits praktische Erfahrung haben sollte, wurde als konkrete Formulierung im Entschließungsantrag angenommen. Dafür bedanke ich mich auch.Es liegt im Interesse der Anwender, Hersteller und der Kontroll- und Prüfbehörden, daß hier eine in der Medizinprodukteherstellung wie auch deren Anwendung erfahrene Persönlichkeit diesen Bereich verantwortlich vertritt. Dabei ist auf eine gute Kooperation zwischen den bei den Ländern bestehenden Zentralstellen und dieser Behörde zu setzen. Nur im Konsens, der durch unkomplizierte Verwaltungsanweisungen die Verfahrenswege zwischen der Länderbehörde, den Zentralstellen und Herstellern ebnet, kann hier im Sinne eines effektiven Patienten- und Verbraucherschutzes gewirkt werden.Das trägt auch zur Konkurrenzfähigkeit deutscher Medizinprodukte bei, wenn durch klare Verwaltungsanweisung und Zuständigkeitsbereiche schnellere Produktions- und Vertriebswege beschritten werden können.Hinsichtlich der Akkreditierung und öffentlichen Bestellung von Sachverständigen erachten wir es auch weiterhin als sinnvoll, die Voraussetzungen, die die Sachverständigen erfüllen müssen, sowie Tätigkeiten, Anforderungen an Fortbildung und deren Inhalte im Gesetz verbindlich festzuschreiben. Nunmehr sollen diese Punkte auf dem Wege der Rechtsverordnung durch den Bundesgesundheitsminister geregelt werden.Als gemeinsame Willenserklärung des Gesundheitsausschusses ist formuliert worden, daß nach wie vor die Bestellung von Einzelsachverständigen durch z. B. die Industrie- und Handelskammern möglich ist.Ich halte die Beteiligung bzw. die Gutachtertätigkeit von unabhängigen Einzelsachverständigen gerade in dem Bereich der Medizinprodukte für wichtig, wo es sich neben dem allgemeinen Sicherheits- und Zuverlässigkeitsnachweis auch um die Funktionsfähigkeit eines Medizinproduktes handelt. Ich glaube, sehr eindringlich hat uns der Handicap-Test-Verband erläutert, wo z. B. die Funktionstauglichkeit bei Medizinprodukten im Hilfsmittelbereich zu wünschen übrig läßt, obwohl von der Sicherheitsnorm nicht abgewichen worden ist. Hier muß auch der externe Sachverstand eingebunden werden, um therapeutischen Nutzen und Qualitätssicherung bei Hilfsgeräten prüfen zu können.Ich möchte nochmals betonen, daß sichergestellt werden muß, daß das Institut für Arzneimittel und Medizinprodukte seine Aufgabe in der Unterstützung der Arbeit der Zentralstellen der Länder für Gesundheitsschutz und Sicherheitstechnik sowie der Überwachungsbehörden mit Nachdruck wahrnimmt. Es darf hier zu keinen Reibungsverlusten kommen. Es ist für die innovationsfreudige Herstellerbranche wie auch für die Länderbehörden wichtig, daß kurze Verfahrenswege den schnellen Zugang zum Markt ermöglichen, ohne daß die Produktsicherheit darunter leidet. Ich glaube, das löst dieses Gesetz.Sehr wichtig ist in diesem Zusammenhang auch der Beschluß, über eine Rechtsverordnung spezielle Anforderungen an die Sachkenntnis der Medizinprodukteberater zu richten. Es liegt in der Natur der Vielfalt der Medizinprodukte, daß hier für die sachgerechte Handhabung bei bestimmten Kategorien dieser Produkte besondere Fachkenntnis erforderlich ist. Das Gesetz enthält Vorschriften zum In-VerkehrBringen und zur Inbetriebnahme, zu den grundlegenden Anforderungen einschließlich der klinischen Bewertung, zu den Verfahren zum Schutz vor Risiken und deren Abwehr, zum Export sowie zu den Betreibervorschriften.Die hohen Anforderungen des Medizinproduktegesetzes gelten auch für importierte Medizinprodukte. Sie sind damit ein positives Wettbewerbskriterium, das unzuverlässigen Produkten keine Marktchancen mehr bieten kann. Das Gesetz nützt zudem die Anforderungen, die das Sozialgesetzbuch für die gesetzliche Krankenversicherung an die Leistungen auch der Medizinprodukte stellt. Medizinprodukte können zukünftig zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung nur noch mit einer europäischen CE-Kennzeichnung versehen abgegeben werden, und werden es auch. Diese Kennzeichnung verdeutlicht, daß das Produkt den vorgeschriebenen, in Europa einheitlichen hohen Anforderungen entspricht. Für Deutschland mit dem weltweit wichtigen Wirtschaftsfaktor Medizinprodukte spielt das Gesetz eine wesentliche Rolle, auch im Zusammenhang mit der Sicherung des Wirtschaftsstandortes Deutschland. Wir werden deshalb diesem Gesetz unsere Zustimmung geben.Ich danke Ihnen.
Herr Kollege Detlef Parr, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe ja als Neuling im Gesundheitsausschuß schon eine ganze Reihe von Gesetzgebungsverfahren mitbekommen und hatte dabei oft den Eindruck, daß doch mehr aus Gründen des Oppositionsprinzips als aus sachlichen Gründen eine Ablehnung erfolgte. Deswegen ist es sehr erfreulich, daß wir heute in dieser Harmonie miteinander debattieren
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Detlef Parrund das Medizinproduktgesetz gemeinsam verabschieden können; denn wir sind einvernehmlich der Meinung, daß mit diesem Gesetz ein großer Fortschritt für die Sicherheit zahlreicher Produkte gemacht wird.Die Palette der Produkte, die durch dieses Gesetz geregelt werden, 400 000 Produkte, von Verbandsstoffen über Brillen, Hörgeräten bis hin zu Dialyse-, Röntgen- oder Beatmungsgeräten, von ärztlichen Instrumenten über elastische Binden und Augenklappen bis hin zu Herzschrittmachern, Hochfrequenzchirurgiegeräten — all diesen Produkten ist eines gemeinsam: die Möglichkeit negativer Auswirkungen auf die Gesundheit derjenigen, die diese Produkte anwenden, wenn sie nicht der Gebrauchsbestimmung gerecht werden.Durch die Verschiedenheit der Produkte ist es natürlich notwendig, daß zahlreiche Regelungen über Verordnungen spezifiziert werden müssen. Ich gehöre zu denen, die Verständnis dafür haben, daß sehr genau darauf geachtet werden muß, in diesen Verordnungen den Geist dieses Gesetzes nicht durch bürokratische Überbordung umzukehren. Wir dürfen dies nach der heutigen Verabschiedung nicht aus dem Auge verlieren.Das Medizinproduktegesetz sorgt dafür, daß solche Produkte auf den Markt kommen, die technisch sicher sind und ihre medizinische Zweckbestimmung erfüllen. Dies geschieht durch Festlegungen, welche Anforderungen ein Medizinprodukt erfüllen muß, wenn es in Verkehr gebracht bzw. in Betrieb genommen werden soll. Ergänzt wird dies durch Vorschriften für das Errichten, Betreiben und Anwenden von Medizinprodukten sowie der Festlegung von Überwachungsmaßnahmen.Die notwendigen Maßnahmen konnten dabei auf das Erforderliche begrenzt werden. So ist z. B. bei den Beratungen die unsinnige Vorschrift geändert worden, daß für Medizinprodukte, die in einen außereuropäischen Staat ausgeführt werden, auf jeden Fall eine Einfuhrgenehmigung der zuständigen Behörde des Bestimmungslandes einzuholen ist, wenn diese Medizinprodukte den in diesem Gesetz gemachten Voraussetzungen nicht völlig entsprechen. Sinnvollerweise ist diese Regelung jetzt in der Weise geändert worden, daß eine Bescheinigung beantragt werden kann, daß das Medizinprodukt im Geltungsbereich dieses Gesetzes verkehrsfähig ist. Diese Bescheinigung kann dann bei der zuständigen Behörde des Bestimmungslandes vorgelegt werden. Das ist eine Exporterleichterung, die für uns besonders wichtig ist. Denn wenn eine Behörde eines anderen Landes aus Sicherheitsgründen eine solche Bescheinigung verlangt, muß diese bei Erfüllen der Voraussetzungen ausgestellt werden.Der Exporterleichterung dient auch noch eine andere Vorschrift — sie ist schon von den Vorrednern erwähnt worden —, nämlich die CE-Kennzeichnung. Medizinprodukte, die eine solche CE-Kennzeichnung tragen, sind in allen EG-Mitgliedstaaten zum freien Warenverkehr zugelassen. Das ist für eine so exportorientierte Branche wie die Medizintechnikindustrie in der Bundesrepublik ein ganz entscheidendes Element. Auch auf diesem Wege tragen wir alle dazu bei, den Wirtschaftsstandort Bundesrepublik attraktiv zu gestalten. Die CE-Kennzeichnung dient darüber hinaus selbstverständlich der Sicherheit für den Verbraucher, denn sie darf nur dann aufgebracht werden, wenn die Produkte die grundlegenden Anforderungen der entsprechenden Richtlinien erfüllen. Das heißt, daß sich der Anwender darauf verlassen kann, daß diese Produkte hohe Qualitätskriterien erfüllen.Meine Damen und Herren, die Umsetzung dieses Gesetzes erfordert äußerst qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, insbesondere auch im Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte. Diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen anders qualifiziert sein als diejenigen, die sich mit rein pharmakologischen Aspekten befassen. Die Einbeziehung der Medizinprodukte in das Arzneimittelinstitut ist vor dem Hintergrund zahlreicher Überschneidungen zwischen den Fachbereichen äußerst sinnvoll. Das muß nun in eine vernünftige Strukturierung und eine entsprechende Personalausstattung dieses Instituts münden. Dieser Aspekt ist im Bericht des Gesundheitsausschusses zu Recht auch noch einmal ganz besonders herausgestellt.
Herr Kollege Parr, Ihre Redezeit ist schon überschritten.
Ich will einen letzten Satz sagen. — Dieses Gesetz ist notwendig. Die damit getroffenen Regelungen tragen dem Ziel Rechnung, den erforderlichen Schutz der Patienten, Anwender und Dritten beim Umgang, dem Betrieb und der Anwendung von Medizinprodukten zu geben. Deswegen stimmen wir ihm gerne zu.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Ursula Fischer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Anwendung technischer Erzeugnisse bzw. Geräte in der Medizin hat in den letzten Jahrzehnten einen beträchtlichen Umfang erreicht und nimmt sicher weiter zu. In Anbetracht der damit auch verbundenen Risiken besteht für den Schutz der Patienten, aber auch für die Sicherheit der Anwender zweifellos erhöhter gesetzgeberischer Handlungsbedarf. Es ist deshalb wichtig, daß mit dem vorliegenden Gesetz das gesamte Feld der Medizinprodukte — gewissermaßen in Analogie zur Arzneimittelgesetzgebung — nunmehr eine eigene und in sich geschlossene Regelung erfährt. Anders ausgedrückt: Durch die Umsetzung einschlägiger Richtlinien der Europäischen Union in nationales Recht und durch die Einbeziehung bisher bereits bestehender gesetzlicher Regelungen wie der Medizingeräteverordnung oder des Meß- und Eichrechts wird in der Bundesrepublik Deutschland für die Medizinprodukte erstmals ein eigenständiges Rechtsgebiet neu geschaffen. Das entspricht nicht nur dem Umfang und der beträchtlichen Kompliziertheit, sondern durchaus auch der gesundheitlichen, wie der wirtschaftlichen Bedeutung der hier zur Lösung anstehenden Probleme.
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Dr. Ursula FischerIch denke, daß auch die im Gesundheitsausschuß beschlossenen Änderungsanträge, die sich bei dieser Sachproblematik verständlicherweise zum Teil überschnitten, sowie der einstimmig angenommene Entschließungsantrag ganz überwiegend zu weiteren Klarstellungen beigetragen haben. Schwierigkeiten haben wir lediglich mit § 37 des Entwurfs, der für uns ein paar Fragen in bezug auf Exporte in Drittländer offenläßt. Wir hoffen nicht, daß da ein Türchen für die Hersteller offengehalten wird, um bei Lieferung in Drittländer eventuell doch andere Qualitätsstandards anzuwenden.Meine Damen und Herren, unbefriedigend geregelt bleibt für mich allerdings die Stellung des Sicherheitsbeauftragten, zu dessen Einsatz die Hersteller nunmehr verpflichtet werden. Seine notwendige fachliche Unabhängigkeit innerhalb des Unternehmens verlangt konsequenterweise auch eine entsprechend unabhängige Position, etwa in Form eines besonderen Kündigungsschutzes.Wir hätten es auch für zweckdienlicher gehalten, den beträchtlichen Sachverstand besser zu nutzen, der bei den Betreibern von Medizintechnik, also beispielsweise in medizin-technischen Abteilungen von Krankenhäusern, gegeben ist. Das gleiche gilt für den von uns unterbreiteten Vorschlag, für die Beurteilung von klinischen Prüfungen solcher Erzeugnisse, die auf gänzlich neuen physikalisch-technischen Prinzipien beruhen, zeitweilig eine spezielle Fachkommission beim Ausschuß für Medizinprodukte zu bilden.Ich bedaure es, daß von uns unterbreitete entsprechende Vorschläge von der Koalition ohne jedenfalls für mich erkennbares Nachdenken abgelehnt wurden. So drängt sich mir ein weiteres Mal der Eindruck auf, daß man sich auch bei rein sachbezogenen Fragen nach wie vor ideologieabhängig und ausgrenzungsbeflissen verhält. Die SPD konnte sich wenigstens zur Stimmenthaltung entschließen. Das gleiche tut die PDS/Linke Liste bei diesem Gesetz, allerdings aus rein sachlichen Gründen.
Jetzt hat Frau Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl das Wort.
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Allein das Stichwort Herzklappen genügt, um die Aktualität des Medizinproduktegesetzes deutlich zu machen.Was ist ein angemessener Preis für eine angemessene Qualität und Leistung? — Dies ist fernab von den Bestechungsvorwürfen eine der wesentlichen Kernfragen. Um diese Frage beantworten zu können, müssen Vergleiche zwischen verschiedenen Angeboten gezogen werden können. Dafür müssen einheitliche Qualitätsanforderungen bestehen.Daran haperte es aber bisher, wie folgende Beispiele zeigen: So klagte kürzlich ein Händler von Herzklappen aus den GUS-Staaten, daß niemand in Deutschland seine Herzklappen kaufen wolle, obwohl sie billiger als die bisher in Deutschland angebotenen Herzklappen seien. Schlichte Begründung: Die Qualität sei nicht bekannt.Hüftimplantate wurden bisher keiner behördlichen Zulassung nach dem Arzneimittelgesetz unterworfen. Wenn im Ausland Zwischenfälle mit Medizinprodukten passierten, waren wir oft auf Pressemeldungen oder auf den „Kommissar Zufall" angewiesen. Eine Registrierung von Medizinprodukten, die nicht einer Zulassungspflicht unterlagen, bestand nicht.Jeder EU-Mitgliedstaat hat seine unterschiedlichen Anforderungen an das Inverkehrbringen von Medizinprodukten, so daß insbesondere die mittleren und kleineren Herstellungsbetriebe von Medizinprodukten Schwierigkeiten hatten, diese in den anderen Staaten in den Verkehr zu bringen.All diese Mißstände werden mit dem Medizinproduktegesetz ein Ende haben. Es ist ein Gesetz, das jeden von uns betrifft. Wir haben es schon gehört: Nicht nur Herzklappen oder Hüftgelenke, sondern auch so alltägliche Dinge wie Heftpflaster, Brillen oder Hörgeräte, aber auch wesentlich kritischere Produkte wie Herzschrittmacher, Herz-LungenMaschinen oder Röntgengeräte werden von diesem Gesetz erfaßt.Dies sind alles Produkte, die bisher in verschiedenen Gesetzen oft mehr schlecht als recht geregelt wurden; ein reines Rechtsbabylon. Nun finden Sie alle relevanten Vorschriften im Medizinproduktegesetz oder in den dazugehörigen Verordnungen. Somit leisten wir mit diesem Gesetz auch einen Beitrag zur Rechtssicherheit.Meine Damen und Herren, wir haben heute schon sehr viel über dieses Gesetz gehört. Wir haben dieses Gesetz auch in schöner Einigkeit im Ausschuß verabschiedet. Wir wissen, daß hier EG-Richtlinien in deutsches Recht umgesetzt werden.Eine Bemerkung sei mir noch erlaubt: Unabhängig von den EG-Richtlinien soll mit den eigenen deutschen Vorschriften die medizinische und technische Qualität der Medizinprodukte während ihrer gesamten Lebensdauer weitgehend gewährleistet werden. Diese eigenen deutschen Regelungen sollen zudem eine positive Auswirkung auf die Qualität der ärztlichen Leistungen haben, die in Verbindung mit der Anwendung von Medizinprodukten erbracht werden.Lassen Sie mich auch noch ein Wort zur Sicherung des Standortes Deutschland sagen. Wir haben es gehört: Auch hierzu leistet das Gesetz einen Beitrag.
— So ist es, Herr Kollege, fragen Sie einmal Ihre Kollegen aus dem Gesundheitsausschuß. Die haben das im Gegensatz zu Ihnen erkannt.
Die Anhörung im Gesundheitsausschuß zum Entwurf dieses Gesetzes hat deutlich gezeigt, daß selbst
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20396 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994
Parl. Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohldie Industrie das Gesetz wünscht, obwohl es auch Regelungen enthält, die sie nicht so gerne schluckt.Ich kann Ihnen sagen, warum das so ist: Das Medizinproduktegesetz bestätigt und sichert nämlich die hohe Qualität, mit der die meisten deutschen Hersteller die Medizinprodukte entwickeln und herstellen. Die schwarzen Schafe werden aussortiert, die Qualität wird belohnt.Ein weiterer Grund ist, daß das Medizinproduktegesetz den Export deutscher Produkte fördert und somit in den Bereichen der Forschung und Entwicklung, der Herstellung und des Handels Arbeitsplätze sichert und schafft.Dies bedeutet vor allem auch eine Unterstützung der mittelständischen Unternehmen, denn nicht nur in allen EU-Staaten, sondern auch in allen EWR-Staaten — dies sind neben den EU-Staaten z. B. Finnland, Island, Liechtenstein, Norwegen, Österreich und Schweden — gibt es gleiche Anforderungen an das Inverkehrbringen von Medizinprodukten.Es ist viel über die CE-Kennzeichnung gesagt worden. Ich glaube, ich kann mir dies sparen. Lassen Sie mich aber eines sagen: Die CE-Kennzeichnung hat auch gesundheitspolitische Bedeutung. Ich nannte am Anfang bereits die Absatzprobleme eines russischen Händlers von Herzklappen. Zukünftig wird nämlich nicht mehr gefragt: „Woher kommt die Herzklappe?", sondern: „Trägt sie eine CE-Kennzeichnung?" Die CE-Kennzeichnung drückt aus, daß dieses Produkt den in dem ganzen EWR geltenden medizinischen und technischen Anforderungen entspricht, egal, ob diese Produkte in Europa, Amerika oder in Rußland hergestellt werden. Das wird preisregulierend wirken.Meine Damen und Herren, ich habe in Kürze einige Schlaglichter auf das neue Medizinproduktegesetz geworfen. Es dient dem Schutz der Patienten und Anwender und Dritten. Es dient der Rechtssicherheit. Es dient der Kostendämpfung im Gesundheitswesen, und es dient der Sicherung des Standortes Deutschland. Schließlich ist die deutsche Medizinprodukteindustrie nach den USA weltweit führend und sehr stark exportbetont. Darum freue ich mich, daß alle diesem Gesetz zustimmen.
Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Medizinproduktegesetzes, Drucksachen 12/6991 und 12/7930 Nr. 1.Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein.Wer dem Gesetzentwurf zustimmen will, möge sich bitte vom Platz erheben. — Wer stimmt dagegen? —Wer enthält sich der Stimme? — Der Gesetzentwurf ist bei vier Stimmenthaltungen angenommen.Der Ausschuß für Gesundheit empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist angenommen.Ich rufe Tagungsordnungspunkt 15 auf:a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebzehnten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes
— Drucksache 12/7430 —
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft
— Drucksache 12/7430 —Berichterstattung:Abgeordnete Alois Graf von Waldburg-ZeilDr. Peter EckardtDr. Margret Funke-Schmitt-Rinkbb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 12/7942 —Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Dr. Wolfgang Weng Manfred Hampelb) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Zehnter Bericht nach § 35 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes zur Überprüfung der Bedarfssätze, Freibeträge sowie Vomhundertsätze und Höchstbeträge nach § 21 Abs. 2— Drucksachen 12/6605, 12/7902 — Berichterstattung:Abgeordnete Alois Graf von Waldburg-ZeilDr. Peter EckardtDr. Margret Funke-Schmitt-RinkZum Bundesausbildungsförderungsgesetz liegen ein Entschließungsantrag und ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor.Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Aussprache drei Viertelstunden vorgesehen. — Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. — Dann ist das so beschlossen. Die Kollegen, die nach der vorherigen Debatte jetzt den Raum verlassen wollen, darf ich mit einem freundlichen Wort verabschieden.Ich bitte das Haus zunächst um Zustimmung dazu, daß der Kollege Dr. Ullmann seinen Beitrag zu Protokoll gibt.*)*) Anlage 5
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994 20397
Vizepräsident Hans Klein— Dagegen erhebt sich kein Widerspruch.Graf Waldburg-Zeil, der Berichterstatter, will eine korrigierende Erklärung abgeben.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Kopierteufel hat uns einen Streich gespielt, und zwar bei der Drucksache 12/7902 Blatt 25. Dort steht nach dem ersten Spiegelstrich ein „und", und dann folgt nichts. Da gehört ein zweiter Spiegelstrich hin, und zwar mit der Formulierung:
die Zahl „1340" jeweils durch die Zahl „1370". Ich bitte das nachzutragen.
Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Graf Waldburg-Zeil. Ich erteile jetzt dem Kollegen Josef Hollerith das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unser Bildungssystem gleicht in seiner Manövrierbarkeit in etwa einem Öltanker. Will man den Kurs ändern, muß man sehr früh das Ruder bewegen, und stehen die falschen Kapitäne auf der Brücke, kommt es leicht zur Havarie.Obwohl das bundesdeutsche Bildungssystem zur Zeit eine Studentensturmflut und die Erblast des Sozialismus nach der Wiedervereinigung bewältigen muß, ist das Niveau unserer Ausbildungsförderung international einmalig.
Dies ist das Ergebnis eindeutiger Kurskorrekturen und langfristiger Reformarbeit.
Die letzten vier Jahre waren die wichtigsten in der Geschichte der Ausbildungsförderung. In das Jahr 1990 fiel die grundlegende Reform durch das 12. BAföG-Änderungsgesetz. Die Wiedervereinigung erforderte 1991 eine Ausweitung der Förderungsverwaltung auf das Beitrittsgebiet. Die administrativen Probleme bei der Einführung des BAföG konnten zügig bewältigt werden.Mit dem 15. Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes haben wir die Bedarfssätze in den alten und neuen Bundesländern angehoben, die Krankenversicherungszuschläge angepaßt, die absoluten Freibeträge angehoben und die Pauschale zur Abgeltung der Aufwendungen für die soziale Sicherung angepaßt.Durch das 16. BAföG-Änderungsgesetz wurde schließlich die Studienabschlußförderung verlängert.
Damit können Studenten bis zu zwei Semester länger gefördert werden, wenn sie innerhalb der regulären Förderungsdauer zur Abschlußprüfung zugelassen worden sind.Das uns nun vorliegende 17. BAföG-Änderungsgesetz markiert die Fahrrinne, in der wir uns auch in Zukunft bewegen werden, um finanziell verantwortungsvoll ein Optimum an gerechter Förderung zu schaffen.
Wenn der Bundesrat in seiner Stellungnahme zum 17. BAföG-Änderungsgesetz Vokabeln wie „sozial nicht vertretbar" oder „Verstoß gegen die Chancengleichheit" benutzt, so entspricht das der sozialdemokratischen Wahlkampfrhetorik, aber nicht der Realität.
Wir möchten die Freibeträge um jeweils 2 % zum Herbst 1994 und 1995 anheben. Die vom Bundesrat geforderte Anhebung der Freibeträge um jeweils 3 % und der Bedarfssätze um 6 % ist finanziell unrealistisch. Der Bundesrat scheint aber — ungewohnt optimistisch — auf eine wahre Geldflut zu vertrauen, wenn er Vorschläge unterbreitet, die in der Zeit von Herbst 1994 bis Herbst 1996 zu Mehrausgaben von 1,2 Milliarden DM für Bund und Länder führen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir stehen für die Solidität unseres Haushaltes, wir stehen für die Solidität und Stärke unserer D-Mark und nicht dafür, Geld auszugeben, das nicht vorhanden ist.
Erfreulich ist immerhin, daß der Bundesrat der Anpassung der Sozialpauschalen, der beabsichtigten Aufhebung der Altersgrenze für Studierende, die sich ohne formelle Hochschulzugangsberechtigung eingeschrieben haben, und der Erweiterung der Freibeiträge für Alleinerziehende zustimmt.
Zustimmung ist eine Attitüde, die man dem Bundesrat nach seinem Verhalten in den letzten Wochen gar nicht mehr zugetraut hat.Parallel zur dargestellten Verbesserung der schulischen und universitären Ausbildungsförderung haben wir in den letzten Jahren sehr viel Zeit und Geld investiert, um die Bedingungen auch für die berufliche Bildung unserer Jugend zu verbessern. So wurde das Eigenkapitalhilfeprogramm um eine Förderung der beruflichen Weiterbildung im gesamten Bundesgebiet ergänzt. Zu diesem Zweck wurde ein Darlehensvolumen von 600 Millionen DM pro Jahr durch Zinszuschüsse verbilligt und durch eine hundertprozentige Gewährleistung des Bundes abgesichert. Trotz dieser Verbesserungen ist die Förderung der beruflichen Weiterbildung noch nicht mit unserem BAföG zu vergleichen. So zahlt der Student nur die Hälfte seines BAföG-Darlehens zurück, der Meisterschüler hingegen den Gesamtförderungsbetrag, wenn man auch Zinsvergünstigungen in Betracht ziehen darf. Bei diesem offensichtlichen Ungleichgewicht sehe ich dringenden Handlungsbedarf für die Zukunft.
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Josef Hollerith Ich danke.
Frau Kollegin Doris Odendahl, Sie haben das Wort.
— Herr Kollege, vielleicht können Sie etwas lauter reden, damit auch ich Sie hören kann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jetzt reden wir wirklich zu BAföG.
Es wäre gut gewesen, wenn diese Bundesregierung nach der leidvollen Geschichte von insgesamt zehn BAföG-Novellen in ihrer Regierungszeit wenigstens einen versöhnlichen Schlußpunkt gesetzt hätte.
Dies ist nicht geschehen; im Gegenteil beweisen Sie mit Ihrem heutigen Gesetzentwurf, daß Sie jungen Menschen den Generationenvertrag für Bildung und Ausbildung, auf den unsere ganze Gesellschaft angewiesen ist, verweigern wollen.
Die Negativbilanz Ihrer BAföG-Politik ist deprimierend. Sie haben 1982 das Schüler-BAföG weitgehend aufgegeben.
Sie haben von 1983 bis 1990 die Studentenförderung auf Volldarlehen umgestellt und sich bei der Wiedereinführung eines 50prozentigen Teilzuschusses um die Ungerechtigkeiten bei dabei entstandenen Darlehensschulden von bis zu 50 000 DM nicht gekümmert. Sie haben die Gefördertenquote von Novelle zu Novelle reduziert. Sie haben die Probleme der Studierenden in Ostdeutschland im Rahmen des BAföG so schleppend behandelt, daß bei Eltern und Jugendlichen inzwischen eine Abschreckung vor der Aufnahme eines Studiums zu befürchten ist.
— Mein Kollege Hilsberg wird Ihnen das gleich noch aufzeigen.Sie haben die BAföG-Ausgaben des Bundes — jetzt hören Sie einmal genau zu, weil es jetzt um Zahlen geht —
von 2,4 Milliarden DM im Jahre 1982 für die alten Länder auf gerade noch 2,3 Milliarden DM im Haushalt 1994 für Gesamtdeutschland bei um rund 50 % gestiegenen Studierendenzahlen und bei einer Inflationsrate in diesem Zeitraum von 50 % drastisch vermindert und dem Finanzminister aus dem BAföG-Topf eine ständig sprudelnde Finanzierungsquelle eröffnet.Nun sind Sie schon so selbstzufrieden geworden, daß Sie die heute von Ihnen vorgelegte Anhebung der Elternfreibeträge um jährlich 2 % als Erfolg bejubeln. Ich wollte gerade sagen: „Willkommen, Mr. 2 %."
Dazu haben Sie keinen Grund, wie die dem Ausschuß für Bildung und Wissenschaft zugegangenen Stellungnahmen beweisen.Die Studierendenverbände, Juso-Hochschulgruppen, RCDS und liberale Hochschulgruppen, das Deutsche Studentenwerk, die Hochschulrektorenkonferenz, die Gewerkschaften und das Kommissariat der deutschen Bischöfe warnen vor dieser Politik des Falschsparens.
Auch der Bundesrat hält eine Anhebung der Bedarfssätze um 6 % und der Elternfreibeträge um jährlich 3 % für erforderlich. Er verlangt außerdem Verbesserungen für Studierende in Ostdeutschland und den Verzicht auf die im Regierungsentwurf vorgesehene Zwangsprüfung nach dem zweiten Semester. Ich weiß, Sie halten die Bezeichnung „Studienstandsnachweis" für sozial verträglicher. Richtig wird es dadurch dennoch nicht.
Nun wollen Sie zwar das Inkrafttreten um ein Jahr, nämlich auf Herbst 1996, hinausschieben und empfehlen gleichzeitig den Ländern, diesen Leistungsnachweis nicht nur den BAföG-Geförderten, die Sie ursprünglich für diese Sonderbehandlung vorgesehen hatten, sondern allen Studierenden abzuverlangen
— das wäre richtig, wenn die Reform, die durch Ihre Politik ins Stocken gekommen ist, geklappt hätte —;
dabei übersehen Sie allerdings, daß Leistungskriterien prinzipiell nicht ins Förderungsrecht des Bundes gehören, der Bund seine Gesetzgebungszuständigkeiten hier also eindeutig überschreiten würde.Die SPD-Bundestagsfraktion legt zu dem Regierungsentwurf zur heutigen zweiten Beratung einen Änderungsantrag vor, der sich im wesentlichen mit den Forderungen des Bundesrats deckt.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994 20399
Doris Odendahl— Das dachten Sie sich, nicht wahr? Das ist ja auch nicht überraschend.
Zur dritten Beratung legen wir einen Entschließungsantrag vor, mit dem die Bundesregierung aufgefordert wird
— ich kann viel lauter schreien als Sie, denn ich habe ja ein Mikrophon —, bis zum 1. September 1994 einen umfassenden Bericht über die Auswirkungen des 1. und des 2. Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms auf den Familienlastenausgleich und auf Studienwahl- und Studierverhalten sowie Änderungsvorschläge zur Vermeidung von negativen Auswirkungen vorzulegen. Beide Gesetze haben Sie in größter Eile und ohne die notwendige sorgfältige Prüfung mit der heißen Nadel gestrickt.Die mit den Einsparungen beim Kindergeld von Ihnen verursachten negativen Auswirkungen treffen insbesondere begabte Studierende aus kinderreichen Familien. Sie betreffen Auszubildende, bei denen ein oder beide Elternteile im öffentlichen Dienst beschäftigt sind. Sie betreffen insbesondere behinderte Studierende und führen zu teilweise dramatischen Einschnitten im Familieneinkommen.Entgegen den Vereinbarungen zum Solidarpakt vom Frühjahr 1993 hat die Bundesregierung im Rahmen ihres SKWP beschlossen, auf die Anhebung der Bedarfssätze und Freibeträge im BAföG zum Herbst 1994 zu verzichten. Insofern waren auch Ihre Ausführungen im 10. Bericht nach § 35 BAföG bereits vorher gegenstandslos, obwohl Sie sie noch in Umlauf gebracht hatten.Zwar hat die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates nunmehr eine Erhöhung der Freibeträge um jeweils 2 % zum Herbst 1994 und Herbst 1995 als Trostpflaster zugestanden.
— Ein Trostpflaster.
Allerdings hat sie lediglich angeboten, zu prüfen, ob zusätzlich eine Anhebung der Bedarfssätze im Herbst 1995 vertretbar ist. Dieses Trostpflaster ist jedoch in keiner Weise ausreichend, gemessen an den sozialpolitischen Zielen des Gesetzes, an die Sie sich offenbar alle gemeinsam nicht mehr erinnern können.Der Gesetzentwurf verstößt weiterhin gegen den Grundsatz der Chancengleichheit.
Sie waren in Ihrer Partei auch einmal dafür, als es eingerichtet wurde. Er verstößt gegen die Chancengleichheit, da er einseitig junge Menschen aus besonders einkommensschwachen Familien trifft. Schon in der Vergangenheit mußte ein wesentlicher Teil der geförderten bzw. der nicht mehr geförderten Studie-renden neben dem Studium arbeiten, um den Lebensunterhalt zu sichern.
— Soll ich jetzt warten, Herr Präsident? Die unterhalten sich unter sich so gut.Dies hat zu einer Verlängerung der Studienzeiten und zu einer Erhöhung der Abbrecherquoten beigetragen. Die Nichtanpassung der Bedarfssätze wie die unzureichende Anhebung der Freibeträge gefährden daher auch die angestrebte Studienstrukturreform und stehen in krassem Widerspruch zu den hochschulpolitischen Aussagen dieser Bundesregierung.
Sie nehmen mit Ihrer Verweigerung in Kauf, daß sich immer weniger Studierende auf ihr Studium konzentrieren können, weil sie mit ihrem BAföG nicht mehr über die Runden kommen. Immer mehr werden deshalb von vornherein auf ein Studium verzichten müssen oder aber die nächste Seminararbeit beim Job am Hamburger-Grill oder beim Taxifahren vorbereiten.Betroffen ist, wie bereits in den 80er Jahren, vor allem der Mittelstand. Für ein vernünftiges BAföG verdienen die Eltern zuviel, für den nötigen Tausender im Monat für die studierenden Kinder aber viel zuwenig. Gerade für die F.D.P.-Mitglieder und somit auch für den Bildungsminister in der Regierungskoalition ist das eine ganz logische Entwicklung. So werden nur noch Besserverdienende auch Besserstudierende.
Ihr Argument, daß das notwendige Geld einfach nicht vorhanden ist, zieht nicht. Sowohl im Haushaltsansatz des Bundes für 1994 wie auch bei den Ländern sind die erforderlichen Mittel im BAföG-Titel enthalten. Wer hier am falschen Ende spart, wirft letztlich viel mehr Geld zum Fenster hinaus.
Wenn nämlich durch die notwendigen Nebenjobs die Studienzeiten unnötig verlängert werden und der wissenschaftliche Nachwuchs häufiger mit der Grill-soße als mit dem Reagenzglas hantieren muß, kann man sich die ganze Diskussion um eine Studienreform schenken.
Genauso unglaubwürdig ist dann das Jammern um den Forschungsrückstand der Bundesrepublik Deutschland in der Welt. Von nichts kommt nichts, oder: Wer nachher Nobelpreise einheimsen will, muß vorher investieren.
Frau Kollegin Odendahl, der Kollege Lammert würde gerne eine Frage an Sie stellen.
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20400 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994
Aber gerne, Herr Präsident.
Frau Kollegin Odendahl, das mit der Grillsoße hat mir gut gefallen. Trotzdem möchte ich Sie gern fragen: Wie erklären Sie sich, daß die durchschnittlichen Studienzeiten in den Jahren und Jahrzehnten der Nachkriegsgeschichte, in denen die wenigsten öffentlichen Förderungsmöglichkeiten für die Finanzierung des Lebensunterhalts der Studierenden zur Verfügung gestanden haben, am geringsten waren? — Die sollen während des Studiums auch nicht alle verhungert sein.
Herr Kollege Lammert, als Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft kann Ihnen nicht entgangen sein, daß sich die Studiensituation insbesondere in den letzten zehn Jahren Ihrer Regierungszeit dramatisch verschlechtert hat.
Von daher erklärt sich das ganz, ganz einfach.
Meine Damen und Herren, Sie sollten endlich mit dem längst fälligen Generationenvertrag Ernst machen und den jungen Menschen für ihre Bildung und Ausbildung das sicherstellen, worauf sie und damit auch wir zur Gestaltung der Zukunft angewiesen sind.
Vielen Dank.
Frau Kollegin Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Herren! Meine Damen! Liebe Frau Odendahl, Bildung ist Bürgerrecht.
Dank der hartnäckigen Bemühungen unseres Bundesbildungsministers, Herrn Laermann,
ist es gelungen, Verbesserungen in der Ausbildungsförderung bereits vor 1996 zu erreichen. Die Elternfreibeträge werden im Herbst 1994 und 1995 jeweils um 2 % erhöht. Auf Grund dieser Verbesserungen können die Belastungen durch die gestiegenen Lebenshaltungskosten, die Studentenhaushalte in besonderem Maße treffen, abgemildert werden.
Durch die Erhöhung der Freibeträge, wie sie jetzt ansteht, soll vermieden werden, daß gerade Bezieher mittlerer Einkommen aus der BAföG-Förderung herausfallen. Das sind immerhin Zehntausende von Eltern.Bundesminister Laermann konnte ebenfalls erreichen, daß die Bundesregierung Anfang 1995 prüfen muß, ob die Anhebung der Bedarfssätze zusätzlich zurErhöhung der Elternfreibeträge zum Herbst 1995 vertretbar ist.
Es wird also weiterhin eine finanzielle Unterstützung für Studierende geben, aber natürlich leider nicht in der Höhe, in der viele von uns in diesem Hause — ich spreche da sicher für alle, die jetzt hier sitzen — es als angemessen empfinden würden.
Die Mehraufwendungen belaufen sich immerhin auf rund 220 Millionen DM.Eine zweite wichtige Maßnahme ist die Aufhebung der Altersgrenze von 30 Jahren für solche Studierende, die über die berufliche Bildung zur Hochschule kommen. Hierdurch wird endlich mit der Gleichwertigkeit von beruflicher und allgemeiner Bildung Ernst gemacht.
Diese Berufstätigen, die in einigen Bundesländern ohne formelle Hochschulzugangsberechtigung zu bestimmten Studiengängen zugelassen werden, werden nun auch Leistungen nach dem BAföG erhalten. Das ist neu.
Ein dritter wesentlicher Punkt ist die Berücksichtigung der besonderen finanziellen Belastungen Alleinerziehender bei der Darlehensrückzahlung. Auch bei diesen wird sich der Freibetrag um die notwendigen Kosten der Kinderbetreuung erhöhen.Meine Herren, meine Damen, wenn die von uns allen geforderten Bildungsstrukturreformen gelingen sollen — da stimme ich mit Ihnen völlig überein, Frau Odendahl —, dann muß die Politik die Studierenden in die Lage versetzen, ihr Studium zügig abzuschließen, und dies impliziert den Verzicht auf übermäßiges Jobben, nicht auf Jobben, aber auf übermäßiges Jobben.
Unsere gemeinsamen Reformziele, auf die wir uns hier geeinigt haben, sind folgende.
— Hören Sie endlich damit auf! — Erstens. Verkürzung von Schul- und Studienzeiten und Einführung von Wettbewerbselementen, von finanziellen Anreizmechanismen sowie von privatwirtschaftlichen Führungs- und Managementtechniken im Hochschulbereich.Das zweite wesentliche Ziel, das wir erreichen müssen, ist die Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit der beruflichen Bildung gegenüber Schule und Hochschule mit Hilfe eines Bündels abgestimmter bildungs-, arbeitsmarkt- und tarifpolitischer Maßnahmen.Meine Herren, meine Damen, wir müssen in die Zukunft sehen.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994 20401
Dr. Margret Funke-Schmitt-RinkNicht allein in der Bundesrepublik denken Politik, Hochschulen und Studierende über die Finanzierung des Bildungswesens nach. Ich nenne nur einige Stichworte aus dieser Diskussion, u. a. in dem neuen Buch von Michael Daxner hervorragend dargestellt:
Bildungsgutscheine —ja oder nein? Gehalt für Studierende — ja oder nein? Akademikersteuer - ja oder nein?Auch in anderen europäischen Ländern gibt es kein Finanzierungsmodell, das allen Ansprüchen wie soziale Gerechtigkeit, Förderung der Wissenschaft, Anhebung des Bildungsniveaus und Einsparung in den Haushalten gleichzeitig gerecht würde. Alle denken!Ein erster Schritt in Richtung auf eine gerechte Finanzierung des Bildungswesens könnte eine Neuordnung des Familienlastenausgleichs im Sinne des Bürgergeldsystems sein, wie es von der F.D.P. gefordert wird. Der Einstieg in das Bürgergeld soll die kombinierte Berechnung und Vergabe von Kindergeld, Erziehungsgeld und Ausbildungsförderung sein.Erstens. Kindergeld soll einerseits Bürgergeldempfängern als Zuschuß gezahlt werden. Steuerpflichtige ihrerseits sollen einen zusätzlichen Steuerfreibetrag erhalten.Zweitens. An der Stelle des Erziehungsgeldes soll einem kindererziehenden Elternteil ein zusätzlicher Bürgergeldanspruch — Zuschuß bzw. Freibetrag — für die Dauer von drei Jahren
— hören Sie doch einmal zu; Sie verstehen es offensichtlich nicht —
gewährt werden. Aus diesem Betrag sollen Kindererziehende auch Aufwendungen für die private Altersvorsorge bestreiten können.Drittens: Ausbildungsförderung. Anstelle des bisherigen Systems von BAföG und steuerlichen Ausbildungsfreibeträgen wird ein Bürgergeldanspruch eingeführt, der u. a. danach differenziert, ob der oder die Studierende weiterhin zum Haushalt der Eltern gehört oder einen eigenen Haushalt begründet. — Leider kann ich wegen der knappen Zeit nicht auf Einzelheiten eingehen.Fazit: Meine Herren, meine Damen! Meine Damen, meine Herren! Wenn wir die immer weiter expandierenden Bildungsansprüche bejahen, dann müssen wir die herkömmliche BAföG-Regelung grundlegend verbessern oder ohne falsche Scham neue Finanzierungsmodelle entwickeln. In jedem Fall gilt: Ziel muß die Chancengleichheit für alle jungen Menschen bleiben; das ist wohl Konsens in diesem Haus. Bildung ist Bürgerrecht, aber das Problem der Bildungsfinanzierung darf bei uns nicht länger tabuisiert werden.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Dietmar Keller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als unsere Debatte begann, habe ich gedacht, es liege ein Regiefehler vor. Offensichtlich aber war es nicht so. Ich hätte mir gewünscht, Herr Hollerith hätte die Druckfehler vorgetragen und Sie, Herr Graf von Waldburg-Zeil, hätten zu dieser Frage gesprochen, weil ich Sie als einen sehr sachverständigen und vernünftigen Bildungspolitiker betrachte, der hier bestimmt hätte sagen können: Wir würden ja gern, aber wir können nicht!
Es hat keinen Zweck, daß wir hier etwas schönreden, was nicht schön ist. Ich glaube, zur Ehrlichkeit der Politik gehört, zu sagen: Wir sollen heute ein Gesetz verabschieden, das nicht sozial ist und das die tiefen Gräben, die es zwischen Ost und West gibt und die nicht die PDS gezogen hat, vertiefen wird.
— Ach, passen Sie auf: Wir sind jetzt seit vier Jahren in der neuen Bundesrepublik. Wie lange wollen wir denn noch über die Fehler der SED reden?
— 40 Jahre noch? Dann sind Sie alle nicht mehr hier. Dann werden ganz andere Generationen hier sein; es wird eine ganz andere Zusammensetzung dieses Parlaments bestehen. Die werden über die Argumente, die Sie bringen, um Ihre Fehler und Fehlentscheidungen zu rechtfertigen, lachen.
Natürlich können Sie sagen, daß die SED Fehler gemacht hat. Die Studenten in der DDR aber waren sozial unabhängig; sie waren sogar sozial unabhängig von ihrem Elternhaus,
und sie mußten nicht jobben. Sie konnten ihr Studium in der vorgegebenen Zeit beenden. Das können Sie nicht wegstreichen.
Herr Kollege Keller, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Immer, Herr Präsident.
Lieber Herr Keller, ich bin jetzt doch sehr erschrocken über Ihre Bemerkung, die mit BAföG gar nichts zu tun hat, die eher eine sehr grundsätzliche Sache angeschnitten hat. Deshalb muß ich Sie fragen: Sind Sie wirklich der Auffassung— wenn man Ihre Aussage analog auf die zwölf Jahre des Dritten Reiches bezieht —, daß man nach 1945,
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20402 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994
Dirk Hansenvon mir aus auch nach 1949, nicht mehr darüber hätte reden sollen,
so wie Sie es für die Zeit der SED-Diktatur hier beanspruchen?
Sie werfen eine Frage auf, die wir morgen früh ausdiskutieren werden, Herr Kollege Hansen.
Sie wissen, daß ich an diesem Pult mehr Selbstkritik und Buße getan habe als viele andere in diesem Haus.
Ich denke mir, daß noch mehr Buße und noch mehr Selbstkritik die Probleme der Studenten nicht lösen. Auch die Diskussion über die Geschichte Deutschlands nach 1900 wird die Probleme, die im Augenblick bestehen, nicht lösen, Herr Kollege.
Ich darf Sie daran erinnern, daß Ihr Kollege Ortleb hier an seinem letzten Tag als Bundesminister die Regierungserklärung gegen seinen Willen begründet hat und daß am nächsten Tag der neue Bundesminister Laermann hier gesagt hat, er werde alles tun, um das zu verändern —
— lassen Sie mich doch aussprechen, verehrte Kollegin —, was ich ehre und schätze. Und daß er sich bemüht hat, ehre und schätze ich auch. Daß er nicht alles erreicht hat, liegt an der Kompliziertheit der Politik.
Aber daß man den Mut haben muß, zu sagen, wir sind nicht in der Lage, alles das zu lösen, was wir lösen müßten, wir sehen die Probleme, und die Probleme tun uns weh, aber wir können sie nicht lösen, gehört auch dazu, um den Menschen vor Ort unsere Politik zu erklären, damit sie sie verstehen. Aber wenn Herr Hollerith hier auftritt und so tut, als wäre das die letzte Lösung und die beste Lösung für die Studenten, dann kann ich nur sagen: Mit dieser Rede können Sie nicht einmal auf einer RCDS-Versammlung an einer Universität im Osten Deutschlands bestehen.
— Das kann ich nicht beurteilen, weil ich andere Aufgaben habe, als ihn zu verfolgen und zu beobachten, was er macht.
— Ach, wissen Sie, die deutsche Sprache ist eine so reiche Sprache, daß man zu jedem Begriff zehn verschiedene Interpretationen vornehmen kann. Ich hatte eine Interpretation, die Sie gerade nicht gehabt haben.
Aber bleiben wird es: Mit dieser BAföG-Änderung werden die Studenten nicht weniger jobben. Bleiben werden viele soziale Ungerechtigkeiten. Der Weg der Ärmeren und sozial Schwächeren zum Studium wird komplizierter werden. Wir werden mit dieser Gesetzesänderung die Studienzeiten nicht reduzieren.
Lassen Sie uns über diese Probleme so offen reden, wie es erforderlich ist. Lassen Sie die Probleme nicht hinter einem Nebelvorhang eines Wahlkampfes verschwinden, denn es geht um Studenten. Es geht um junge Menschen, die in wenigen Jahren hier in diesem Parlament sitzen werden,
die anderswo in Wirtschaft und Wissenschaft Verantwortung tragen werden und die über den Wirtschafts-und Wissenschaftsstandort Deutschland zu entscheiden haben. Ich denke, es geht darum, in dieser Verantwortung zu reden, nicht aber darum, uns gegenseitig etwas vorzumachen.
Ich danke Ihnen.
Ich erteile das Wort dem Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, Professor Karl-Hans Laermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung schlug im Entwurf zum 17. BAföG-Änderungsgesetz eine Reihe von Verbesserungen vor und zog insoweit Schlußfolgerungen aus dem 10. Bericht nach § 35 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes. Ich möchte, um hier einmal wieder auf die sachlichen Inhalte des BAföG-Änderungsgesetzes zu sprechen zu kommen, drei Maßnahmen hervorheben, auf die die Kollegin Funke-Schmitt-Rink schon hingewiesen hat.Erstens. Die Anpassung der Sozialpauschalen entsprechend dem Anstieg der Beiträge zur Sozialversicherung am 1. Januar 1994. Diese Anpassung sichert die Ermittlung des realen Nettoeinkommens der Eltern als Berechnungsbasis der Förderungsleistungen und führt damit grundsätzlich zu einer höheren Förderungsleistung.Nach der verbindlichen Festlegung der Bundesregierung im 10. Bericht und der Beschlußempfehlung des federführenden Bundestagsausschusses für Bildung und Wissenschaft werden die Sozialpauschalen so gestaltet sein, daß sie auch bereits die Beiträge zur Pflegeversicherung berücksichtigen, nachdem das Plegeversicherungsgesetz zwischenzeitlich verabschiedet worden ist.Zweitens. Durch die Aufhebung der Altersgrenze von 30 Jahren für solche Studierenden, die über die berufliche Bildung zur Hochschule kommen, soll sichergestellt werden, daß Berufstätige ohne formelle Hochschulzugangsberechtigung, die in einigen Bundesländern zu bestimmten Studiengängen zugelassen werden, auch Leistungen nach dem BAföG erhalten können. Ich denke, über dieses Thema werden wir auch an anderer Stelle noch zu reden haben.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994 20403
Bundesminister Dr.-Ing. Karl-Hans LaermannDrittens: die Berücksichtigung der besonderen finanziellen Belastungen Alleinerziehender bei der Darlehensrückzahlung. Bei alleinerziehenden Darlehensnehmern soll sich künftig der Freibetrag vom eigenen Einkommen um einen Betrag zur Abgeltung notwendiger Aufwendungen zur Kinderbetreuung entsprechend § 33 c des Einkommensteuergesetzes erhöhen.Nun hat der Bundesrat in seiner Stellungnahme vom 18. März 1994 eine Anhebung der Bedarfssätze zum Herbst 1994 um 6 % und eine Anhebung der Freibeträge zum Herbst 1994 und 1995 um jeweils 3 % empfohlen.
Eine Realisierung dieser Anhebungen und der weiteren empfohlenen Maßnahmen würde, verehrte Frau Kollegin Odendahl, im Zeitraum vom Herbst 1994 bis zum Herbst 1996, also für nur zwei Jahre, zu Mehrausgaben bei Bund und Ländern von insgesamt 1,2 Millionen DM führen.
— Milliarden DM, ich bitte um Entschuldigung.
— Ja, vor allen Dingen, wenn sie hinter dem Komma stehen.Eine derartige Ausgabensteigerung ist wegen der notwendigen Haushaltskonsolidierung nicht zu verantworten.Ich möchte auf einige Anmerkungen von Frau Kollegin Odendahl eingehen. Das BAföG ist sozusagen ein wesentliches Element des Familienlastenausgleichs, durch den der Staat soziale Unterschiede auszugleichen sucht. Es dient der Verwirklichung der Chancengleichheit im Bildungswesen, es dient der Ausschöpfung der Begabungsreserven und ist im übrigen auch ein verfassungsrechtliches Gebot, das aus dem Sozialstaatsprinzip in Art. 20 des Grundgesetzes folgt. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Pflicht steht unter dem Vorbehalt des Möglichen im Sinne dessen, was der einzelne vernünftigerweise von der Gesellschaft beanspruchen kann. Hierbei stütze ich mich auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes.Herr Keller, es ist wohl richtig, wenn Sie Offenheit und Ehrlichkeit einfordern. Aber so ist die finanzielle Situation von Bund und Ländern. Sie macht bei vielen Leistungsgesetzen Einschränkungen erforderlich. Zum Teil mußten sogar erhebliche Eingriffe vorgenommen werden. Ich erinnere nur an die Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes. Vor diesem Hintergrund sind Ausgabensteigerungen beim BAföG in Milliardenhöhe im Zeitraum von zwei Jahren aus Sicht der Bundesregierung nicht vertretbar.
Ich würde mich sehr wundern, wenn die Länder denn in der Lage wären, solche Milliardenbeträge aufzubringen.
Meine Damen und Herren, wie Sie wissen, habe ich mich seit meinem Amtsantritt — zwei Tage nach dem Kabinettsbeschluß zum 17. BAföG-Änderungsgesetz — dafür eingesetzt, die BAföG-Leistungen möglichst noch vor 1969 zu verbessern.
— Da waren nun keine Nullen im Spiel, da war ein anderer Dreher drin.
— Da können Sie einmal sehen, wie notwendig es ist, daß wir viel mehr in die Bildung investieren.
Die Bundesregierung hat auf meinen Vorschlag hin in ihrer Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates dementsprechend vorgeschlagen, die Freibeträge um jeweils 2 % zum Herbst 1994 und Herbst 1995 zu erhöhen. Mit der Einbeziehung der Pflegeversicherungsbeiträge in die Sozialpauschale belaufen sich nunmehr die Mehraufwendungen bei Bund und Ländern allein im Jahre 1995 auf 190 Millionen DM. Dies ist aus Sicht der Bundesregierung gegenwärtig die Obergrenze dessen, was finanzwirtschaftlich an Ausgabensteigerungen beim BAföG zu verantworten ist. Die Bundesregierung wird jedoch schon Anfang nächsten Jahres prüfen, ob zum Herbst 1995 auch eine Anhebung der Bedarfssätze in Betracht kommt. Ich meine, daß insbesondere die Erhöhung der Freibeträge deshalb wichtig ist, weil sonst die Zahl der Geförderten weiter stark rückläufig wäre. Hier gilt es auch, dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten.
Frau Odendahl, ich wollte noch eingehen auf die Frage der Zwangsprüfungen, wie Sie es genannt haben.
Die Bundesregierung empfiehlt auch ein späteres Inkrafttreten des im Regierungsentwurf ursprünglich vorgesehenen Studienstandsnachweises nach dem zweiten Semester. Statt 1995 soll diese Regelung erst 1996 eingeführt werden, und zwar als Orientierungshilfe für alle Studierenden und nicht als ein Instrument einer Reglementierung von Studierenden.
Die Bundesregierung geht davon aus, daß bis dahin die Hochschulen und Fachbereiche im Rahmen der Studienreform die entsprechenden unbürokratischen Regelungen gefunden haben und solche Studienbedingungen geschaffen werden, die es den Studierenden ermöglichen, in der Anfangsphase ihres Studiums eine Orientierung über ihre eigenen Fähigkeiten, über ihre eigenen Leistungsmöglichkeiten zu finden.
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20404 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994
Bundesminister Dr.-Ing. Karl-Hans LaermannDies setzt im übrigen eine nachhaltig bessere Beratung und Betreuung der Studienanfänger voraus.
Wenn Sie, Frau Kollegin Odendahl, davon sprechen, daß sich die Studiensituation in den letzten zehn Jahren dramatisch verschlechtert habe, sollten wir hier in aller Offenheit darüber diskutieren, wer denn dies zu verantworten hat; denn schließlich und letzten Endes sind für die Situation, für die Infrastruktur und die Personalsituation an den Hochschulen doch die Lander zuständig.
Ich will hier nicht das Schwarze-Peter-Spiel betreiben. Wir wissen, daß auch noch andere Aufgaben auf uns zukommen, für deren Lösung ich mich einsetzen werde. Aber so zu tun, als ob das allein darauf zurückzuführen sei, daß die Bedarfssätze nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz nicht erhöht würden, und dies die Ursache für die miserable Studiensituation an manchen Hochschulen sei, ist doch wohl nicht hinnehmbar.
An sich ist die Redezeit des Herrn Ministers abgelaufen.
Aber wenn Sie Ihre Frage stellen und der Herr Minister noch antwortet, dann bitte.
Herr Bundesminister, ist es richtig, daß von ungefähr Mitte der siebziger Jahre bis Ende der achtziger Jahre die Mehrheit der Länder von Unionsregierungen regiert wurde, teilweise mit Beteiligung der F.D.P., und daß die Fehler in der Wissenschaftspolitik, die in diesen Jahren gemacht worden sind, heute zu diesen Verhältnissen in den Hochschulen führen?
Herr Kollege Kuhlwein, dieses kann ich so nicht bestätigen. Außerdem habe ich mich in meinen Ausführungen, was die Länder betrifft, nicht auf Parteien, sondern auf die Landesregierungen bezogen. Ich meine, daß Sie bitte zur Kenntnis nehmen sollten, wer an welchen Hochschulen die Situation nun wirklich verbessern muß. Ich sage: Das gilt für alle Lander. Da Sie aber zur Zeit die Mehrheit in den Ländern stellen, müssen Sie sich den Schuh jetzt schon anziehen.
Herr Bundesminister, es sieht wie Verabredung aus, als ob Ihnen einige Kollegen noch mehr Redezeit besorgen wollten. Peter Harry Carstensen möchte auch gern eine Frage stellen.
Herr Minister, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Zeit, die der Kollege Kuhlwein gerade angesprochen hat, die Zeit war, in der ich Examen gemacht habe, und daß das damals wohl nicht so schlecht gewesen sein kann?
Herr Abgeordneter Carstensen, ich kann Ihnen bestätigen, daß Sie zu dieser Zeit studiert haben; aber hinsichtlich des übrigen möchte ich mich eines persönlichen Urteils enthalten.
Ich kenne und schätze Sie als einen sehr angenehmen und einen humorvollen Menschen.
Ich kann auch bestätigen, daß Sie über ein hohes Maß an Bildung verfügen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, meine Redezeit ist abgelaufen. Ich möchte zum Schluß kommen.
Herr Keller, ich behaupte nicht, daß das, was an Vorschlägen auf dem Tisch liegt, die Ideallösung ist. Wir werden Ideallösungen wohl nie erreichen, aber wir werden uns ständig bemühen, eine Ideallösung anzustreben.
Äußerungen für, aber auch Kritik und Einwände gegen das Bundesausbildungsförderungsgesetz und die jetzt zu verabschiedenden Änderungen sind mir hinlänglich bekannt. Unter den gegebenen Umständen bitte ich aber um Zustimmung für die 17. Änderungsnovelle in der vorliegenden Fassung.
Danke schön.
Das Wort hat der Kollege Stephan Hilsberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Manchmal hat die Debatte in diesem Rund schon etwas Gespenstiges, vielleicht gerade weil zum Schluß noch einmal Heiterkeit auf-
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994 20405
Stephan Hilsberggekommen ist. Aber was den Teil davor betrifft, ist das alles schon ein bißchen bemerkenswert.
— Ich weiß nicht, ob Sie wissen, worüber Sie hier reden.
Es geht hier um 300 000 Studenten, die BAföGEmpfänger sind.Aber es geht noch um viel mehr. Es geht nämlich um die Frage, wie und in welchem politischen Klima unter veränderten politischen Kräftebedingungen hier miteinander umgegangen wird. Es ist nicht damit getan, wie Sie, Frau Funke-Schmitt-Rink, beruhigt davon zu reden, daß die Situation der mittleren Einkommensempfänger ganz in Ordnung sei. Haben Sie, wenn Sie das sagen, wirklich die Situation Ostdeutschlands im Blick? Sie entfalten hier Ihre Bürgergeldtheorie und merken dabei vielleicht gar nicht, daß die Politik, die Sie machen, an den Interessen der Bürger, die Sie vertreten wollen, vorbeigeht.
Denn das, was die BAföG-Novelle jetzt bringt, ist den Bürgern zuwenig.Auch die Kontroverse, die wir hier mit Herrn Keller erlebt haben, ist in gewisser Hinsicht bezeichnend. Darauf muß man einfach eingehen, weil der Zusammenhang zwischen der Bearbeitung konkreter politischer Probleme und der Frage, mit welchen Konzeptionen man darangehen soll, unabweisbar ist. Immer wieder werden Vorwürfe geäußert, wird Verantwortung angemahnt, wird Verantwortung gegenseitig hin- und hergeschoben.Ich weiß, Herr Keller, daß — dies haben wir in der Enquete-Kommission gemerkt — Sie sich sehr intensiv darum bemühen, Fakten zur Kenntnis zu nehmen und die Vergangenheit aufzuarbeiten. Dies will ich Ihnen persönlich überhaupt nicht absprechen. Eine Zensur darüber, ob das immer reicht, will ich mir nicht erlauben. Aber ein Urteil kann ich mir schon bilden. Nur, das ist nicht das Problem. Das Problem besteht darin, daß Sie einer Partei angehören, die — im Gegensatz zu Ihnen — aus dieser Vergangenheit noch nichts gelernt hat.
An dieser Stelle muß man die Verantwortung anmahnen.In dem Konzept, das wir von Ihnen bekommen haben, wird die Situation, werden die soziale Grundversorgung und die sozialen Hilfen für Studenten ganz anders angegangen. Da wird jedem ein Stipendium versprochen, und das bei unserer gegenwärtigen Haushaltslage. Das kostet dann zum Schluß 150 bis 180 Milliarden DM. Das kann nun wirklich niemand finanzieren.
Wenn ich jetzt auf die Situation in der DDR zurückgreife — dort war zwar jeder einigermaßen sozial gesichert, aber auf welchem Niveau und zu welchem Preis! —, dann muß ich feststellen
— genau, das war eine Ausbeutung der Substanz —: Diese Verringerung des Kapitalstocks war ursächlich für den wirtschaftlichen Niedergang. Das war damals Ihr Problem.Erst wenn Sie realistische Konzepte vorzeigen, kann man mit Ihnen darüber reden. Selbstverständlich können Sie uns an Fehlern und Unzulänglichkeiten messen. Aber dann müssen Sie sich selber zuerst an dem messen lassen, was die SED in den 40 Jahren angestellt hat.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Keller? — Bitte.
Herr Kollege Hilsberg, ich wußte nicht, daß Sie sich für die gegenwärtige Politik der Bundesregierung verantwortlich fühlen.
Ich habe nicht gefordert, daß alle Studenten über ein Stipendiensystem sozial abgesichert sein sollen. Ich werfe das Problem auf, daß die gegenwärtige Lösung sozial ungerecht ist und besonders die trifft, die sowieso an den unteren sozialen Grenzen leben.
Ich weiß nicht, wo Sie gelesen haben — das müßten Sie mir bitte beantworten —, daß von uns Konzeptionen eingebracht worden sind, die fordern, daß alle Studenten Stipendien bekommen. Ich kenne eine solche Konzeption nicht.
Wir haben in dieser Legislaturperiode — ich weiß nicht genau, ob es vor einem halben oder vor einem Jahr war — im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft einen Antrag der PDS behandelt zur sozialen Grundversorgung, wo genau das ein Bestandteil war.
Es tut mir leid, wenn Sie Ihre eigenen Anträge, die Sie einbringen, nicht lesen. Dafür kann ich nichts.
Der Kollege Keller würde gern noch eine zweite Frage stellen. — Bitte.
Wollen Sie mir bitte recht geben, daß dieses Konzept für eine soziale Grundsicherung, das von uns eingebracht worden ist,
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20406 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994
Dr. Dietmar Kellerein 10- bis 20-Jahre-Konzept gewesen ist und kein Jahreskonzept?
Wollen Sie mir bitte recht geben, daß in diesem Konzept von einem Stipendium für alle die Rede war?
Ich habe von einem 10- bis 20-Jahre-Konzept gesprochen, von einer neuen sozialen Grundsicherung.
Ich glaube, ich brauche darauf nicht weiter zu antworten.
Die Situation im Osten Deutschlands stellt sich folgendermaßen dar. In den letzten zwei Jahren ist in Brandenburg der Anteil der voll geförderten BAföGEmpfänger von 80 % auf 40 % gesunken, und dies nur deshalb, weil die Freibeträge nicht angeglichen worden sind, von den Grundbeträgen völlig zu schweigen.
Wenn ich mir jetzt vor Augen halte, daß das durchschnittliche Einkommen in Ostdeutschland wesentlich geringer ist als das in Westdeutschland — das können Sie an allen Tarifen erkennen —, dann stelle ich fest, daß die soziale Belastung für die Familien, deren Kinder studieren, in Ostdeutschland natürlich höher ist. An dieser Situation hat diese 17. BAföG-Novelle nichts geändert.
Was wir sofort brauchen, ist ja nicht nur eine Anhebung der Grundbeträge und der Freibeträge, sondern auch die Gleichstellung in der Härtefallregelung. Noch immer bekommen die Studenten in Ostdeutschland einen geringeren Mietzuschuß, als das hier im Westen der Fall ist. Das ist und bleibt eine Schieflage. Wenn ich jetzt die Kindergeldregelung hinzunehme, dann werden die sozialen Härten noch viel größer. Wo ist denn die gesamtdeutsche Gerechtigkeit, wo ist denn innerdeutsche Gerechtigkeit?
Wenn Sie das nicht machen — und dafür sind Sie als Bundesregierung verantwortlich —, dann tragen Sie mit Verantwortung dafür, daß die Partei, der Herr Keller angehört, nicht nur in Ost-Berlin 40 % erreicht, sondern dann wird das weitergehen.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Graf Waldburg-Zeil.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am Schluß dieser Debatte würde ich ganz gerne versuchen, einmal festzustellen, über was wir uns gar nicht streiten, über was wir uns ein bißchen streiten und über was wir uns sehr streiten.Ich glaube, gar nicht zu streiten brauchen wir uns über die drei Punkte, die ich jetzt nicht wiederholen muß, bei denen eine Anpassung und Verbesserung stattfindet. Da hat doch niemand von Ihnen etwas dagegen. — Gut.
Dann kommt der Punkt, über den wir uns ein bißchen streiten: Das ist die Erhöhung der Freibeträge. Hier muß ich allerdings dazusagen, daß die Ministerpräsidenten der Länder auf ihrer Konferenz am 17. März 1994 eine Anpassung an die Nettolohnentwicklung — das sind 0,2 % — empfohlen hat. Durchgesetzt worden sind 2 %. Verehrter Herr Minister, ich möchte in diesem Zusammenhang einfach sagen: Sie haben wacker gestritten und in diesem Fall gewonnen. Ich glaube, da dürfte sogar die Opposition klatschen.
Hart streiten wir uns über den Punkt, der von Ihnen als besonders negativ empfunden wird: Uns wird vorgeworfen, daß die Anpassung der Bedarfssätze im Jahre 1994 nicht stattfindet und die Überprüfung erst 1995 vorgenommen wird. Ich verstehe, daß man darüber streiten kann.Ich bin ein Kollege, der schon ziemlich lange hier dabei ist und der noch länger die Bildungspolitik verfolgt. Wenn wir uns einmal anschauen, wie das immer gewesen ist, dann gebe ich zu: Wir haben uns daran gewöhnt, daß unter dieser Regierung seit dem Jahre 1982 die Berichte und die Anpassungen wie ein Uhrwerk gekommen sind. Jedes Jahr sind die Anpassungen gekommen.
In der Zeit, in der wir sozialdemokratische Bundeskanzler und sozialdemokratische Bildungsminister hatten,
war das nicht so regelmäßig. Da hatten wir mal 36 Monate, mal 30 Monate, in denen nicht angepaßt wurde. Ich kritisiere das gar nicht. Das hat mit den damaligen schwierigen Lagen zu tun gehabt.
Ich meine bloß, daß ein Prophet, der mit schweren Strafen die Sünder seiner Glaubensgemeinde bedroht, aber sagt, daß er selber jede Sünde begehen darf, nicht so ganz glaubwürdig ist. Seien wir also ehrlich: In schwierigen Zeiten haben auch Sie Anpassungen verschoben.
—Ja, lassen Sie mich nun gleich zur Gefördertenquote kommen.
Woher kommt es denn, daß die Aufwendungen für BAföG ständig sinken? Das hat auch einen Grund darin, daß die Einkommen steigen.
Allein zwischen 1987 und 1989 sank die Gefördertenquote von 30,3 % auf 27,8 %. Ab 1990 begannen sich
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Alois Graf von Waldburg-Zeildann die Verbesserungen der 12. Novelle auszuwirken, die unter dem Stichwort „Schließung des Mittelstandsloches" diskutiert wurden. Die Quote stieg 1991 wieder auf 33,7 % und war von da an wieder rückläufig. Warum? Hier haben sich insbesondere die Nettoeinkommenssteigerungen aus der Einkommensteuerreform 1990 niedergeschlagen.
Wenn sich im Hochschulbereich der neuen Länder die Gefördertenquote von 80 % 1991 auf 75,6 % im Jahre 1992 reduziert hat und dieser Rückgang kontinuierlich anhält, dann ist das doch für die neuen Länder ein erfreuliches Zeichen und nicht ein Zeichen der Verelendung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte zum Schluß nur noch eines sagen und zurückkommen auf das, was der Kollege Hilsberg gesagt hat. Es ist ein Thema, das man ernst nehmen muß, weil es mit dem Leben vieler junger Menschen zu tun hat. Wenn ich auf das zurückblicke, worüber wir uns einig sind — Verbesserungen, die kommen sollen, und eine Verbesserung, die erheblich ist und die vielleicht noch etwas größer sein könnte, aber gut ist —, dann wollen wir doch versuchen, wenigstens diese Verbesserung den jungen Menschen zugute kommen zu lassen. Ich habe eine Sorge und eine Angst: daß im Bundesrat blockiert wird und aus diesem Grunde dann gar nichts stattfindet. Das wäre das Schlechteste, was uns passieren könnte.Herzlichen Dank.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.Wir kommen damit zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes. Das liegt Ihnen auf Drucksache 12/7430 vor. Der Ausschuß für Bildung und Wissenschaft empfiehlt auf Drucksache 12/7902 unter Nr. 1, den Gesetzentwurf nach Kenntnisnahme des Berichts nach § 35 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes auf Drucksache 12/6605 in der Ausschußfassung anzunehmen.Nun liegt noch ein Änderungsantrag der SPD vor, und zwar auf Drucksache 12/7917. Über den lasse ich zunächst einmal abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei einer Enthaltung des Abgeordneten Krause ist dieser Änderungsantrag abgelehnt.Ich bitte nunmehr diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Mit dem gleichen Mehrheitsverhältnis ist der Gesetzentwurf in der zweiten Lesung angenommen.Wir kommen zurdritten Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünschen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Dann ist dieser Gesetzentwurf gegen die Stimmen der SPD angenommen.Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD, der Ihnen auf Drucksache 12/7916 vorliegt. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Dann ist dieser Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung des Abgeordneten Krause abgelehnt.
Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 16a bis c auf:a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes— Drucksache 12/6992 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit
— Drucksache 12/7929 —Berichterstattung: Abgeordnete Editha Limbachb) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Abgeordneten Lieselott Blunck (Uetersen), Hans Gottfried Bernrath, Ingrid Becker-Inglau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDEinsatz der Gentechnik und anderer neuartiger biotechnologischer Verfahren in der Lebensmittelproduktion— Drucksachen 12/3463, 12/7261 —Berichterstattung:Abgeordnete Antje-Marie Steenc) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Lennartz, Susanne Kastner, Lieselott Blunck , weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDVermeidung und Verhinderung von Pflanzenschutzmittelrückständen in Lebensmitteln— Drucksache 12/7742 — Überweisungsvorschlag:Ausschuß für GesundheitRechtsausschußAusschuß für WirtschaftAusschuß für Umwelt, Naturschutz u. ReaktorsicherheitZum Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD vor.
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20408 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994
Vizepräsident Dieter-Julius CronenbergEinen Moment, hier gibt es offensichtlich noch Schwierigkeiten. Was ist los? — Offensichtlich ist hier durch den Wechsel im Präsidium ein gewisses Mißverständnis entstanden. Ich bitte um Nachsicht, daß ich nach dem Tagesordnungspunkt 16a bis 16c, mit dem ich jetzt schon begonnen habe, über den Tagesordnungspunkt 15b abstimmen lasse. Da scheint irgend etwas nicht in Ordnung zu sein. Ich lasse das kontrollieren und bitte um Nachsicht.Ich habe also den Tagesordnungspunkt 16 a bis c aufgerufen. Zunächst möchte ich Ihre Zustimmung zum Verfahren einholen. Die Abgeordneten Frau Dr. Ursula Fischer, PDS, und Frau Kollegin Vera Wollenberger möchten ihre Reden zu Protokoll geben.') Ist das Haus damit einverstanden?
— Es erhebt sich kein Widerspruch, Herr Kollege Weng, dann ist das so beschlossen.Nun schlägt der Ältestenrat Ihnen eine Debattenzeit von einer dreiviertel Stunde, — minus dieser beiden zu Protokoll gegebenen Reden — vor. Ist das Haus damit einverstanden? — Auch das ist offensichtlich der Fall. Dann können wir die Debatte eröffnen.Zunächst hat die Abgeordnete Frau Editha Limbach das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Vorlagen, über die wir jetzt zu beraten haben, beschäftigen sich alle mit dem vorbeugenden gesundheitlichen Verbraucherschutz und im Zusammenhang mit der Forderung des Verbraucherschutzes natürlich auch mit dem Schutz vor Irreführung und Täuschung.Wir behandeln das Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz, mit dem eine Reihe von EG-Richtlinien umgesetzt werden, die auch Anpassungen des nationalen Lebensmittelrechts an das internationale bringen. Wir beschäftigen uns vor allen Dingen aber mit dem Monitoring, einem Meß- und Beobachtungssystem für Lebensmittel, das wir in der Bundesrepublik schon im Versuch erforscht haben, das sich sehr bewährt hat und das nunmehr in gesetzliche Rahmen gefaßt wird.Auch die Anträge der SPD, muß man sagen, verfolgen das Ziel des gesundheitlichen Verbraucherschutzes. Aber sie verfolgen das Ziel in einer Weise, die nicht unserer grundsätzlichen Auffassung entspricht. Deshalb werden wir denen auch nicht zustimmen können.Denn für uns gilt für den vorbeugenden gesundheitlichen Verbraucherschutz: erstens Aufklärung, zweitens Information, drittens da Rechtschutz, wo er nötig ist, und da gesetzliche Maßnahmen, wo nötig.Aber wir halten es auch in dieser Frage doch mit Karl Popper, der ja gesagt hat, daß die Gesamtrationalität mit Hilfe der menschlichen Vernunft zu suchen sei und dabei die Wege zur Sicherheit, aber auch Wege zur Freiheit aufgezeigt werden müßten.') Anlage 6Deshalb denken wir: Es ist erforderlich, zur eigenen Entscheidung die notwendigen Hilfen zu geben, es ist aber nicht erforderlich, daß wir statt der Verbraucherinnen und Verbraucher entscheiden.Deshalb, meine ich, müssen wir nur dazu beitragen, daß die Chancen, die die Soziale Marktwirktschaft auch in diesem Bereich gibt, genutzt werden und daß die Risiken, die damit natürlich auch verbunden sind, richtig eingeschätzt werden können, damit man sich auch entsprechend richtig verhalten kann.Deshalb haben wir wohl Sympathien dafür, daß z. B. bei der Tabakwerbung auch auf die Gesundheitsgefährdung hingewiesen werden muß, sind aber der Meinung, die Entscheidung, ob man sich dieser Gesundheitsgefährdung hingibt oder nicht, muß schon der Betreffende selber treffen.So sind wir auch der Meinung, daß z. B. beim Einsatz der Gentechnik bei Lebensmitteln der Verbraucher und die Verbraucherin natürlich erkennen können müssen, welches Lebensmittel ihnen da angeboten wird, daß sie aber durchaus in der Lage sind, selbst zu entscheiden, ob sie es denn kaufen wollen oder nicht. Daran wird sich — nebenbei — auch die Produktion in gewisser Weise ausrichten.Wir sind allerdings nicht der Meinung, daß das Verfahren an sich schon etwas ist, was mit Argusaugen zu beachten sei. Dort sind Sicherheitsvorkehrungen nötig. Wenn sie aber eingehalten werden, muß auch das Wirtschaften mit einer modernen Technik möglich sein.Weil aber Information so wichtig ist, ist eben die Kennzeichnung so wichtig. Sie muß sinnvoll sein; sie darf nicht verwirrend sein. Sie muß vollständig und verständlich sein. Auch das haben wir in den Vorlagen, die wir heute beraten, vorgesehen.Ich sage vielleicht noch eines: Ich würde mir wünschen, daß bei den Beratungen der Etikettierungsrichtlinie auf der europäischen Ebene noch einmal geprüft wird, ob noch zusätzliche Regelungen erf orderlich sind, die der Klarstellung dienen können. Das müssen wir aber nicht heute entscheiden.Das Wichtigste, das wir heute beraten, ist in der Tat das Lebensmittelmonitoring, d. h. das Meß- und Beratungssystem für Lebensmittel, das uns in die Lage versetzt, bundesweit repräsentativ und zuverlässig Angaben über die aktuelle Belastung mit gesundheitlich unerwünschten Stoffen zu erhalten. Man muß das ja betonen; denn gesundheitlich bedenkliche oder gar gefährliche Stoffe sind sowieso nicht erlaubt. Aber es gibt auch gesundheitlich unerwünschte Stoffe, und diese kann man damit schneller ausfindig machen und auch mögliche Risiken oder Gefährdungen frühzeitig feststellen, schneller informieren, schneller und besser reagieren.Daß es uns, übrigens gemeinsam mit der Opposition, darauf ankam, die vorgesehenen Regelungen mit zwei anderen Gesetzen, dem Fleischhygiene- und dem Geflügelfleischhygienegesetz, zu verschränken, ist erfreulich.Nach allem, was ich gesagt habe — ich nutze meine Redezeit wegen der fortgeschrittenen Stunde bewußt nicht aus —, ist doch ganz klar: Wir stimmen dem
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Editha LimbachGesetz zu. Da wir die zusätzlichen Anträge von der SPD nicht für erforderlich halten, weil das Notwendige mit unserem Gesetzeswerk erreicht ist, werden wir sie ablehnen.
Das Wort hat nunmehr die Abgeordnete Frau Antje-Marie Steen.
Herr Präsident! Es ist der richtige Schritt in eine hoffentlich bessere Entwicklung, wenn wir im Rahmen des uns vorliegenden Gesetzes jetzt die Einführung des Lebensmittelmonitorings rechtsverbindlich vorschreiben wollen. Damit werden die in der Forschungsphase gesammelten Erfahrungen zur Sicherung des vorbeugenden Gesundheitsschutzes umgesetzt, und es wird in Zukunft dazu beigetragen, daß bundesweit und repräsentativ Angaben über aktuelle Belastungen bei Lebensmitteln gesammelt und veröffentlicht werden können. Angesichts der jüngsten Lebensmittelskandale ist das ein hoffnungsvoller Ansatz, Verbraucher und Verbraucherinnen schneller zu informieren und zu warnen.Leider setzt sich dieser Aspekt in der weiteren Gesetzesänderung nicht fort. So wurde in der Anhörung der Experten sehr deutlich gemacht, wie schwer und rechtlich problematisch eine schnelle Rückrufaktion durchzuführen ist. Das sogenannte Birkel-Urteil hat dazu geführt, daß eine sofortige Reaktion bei Kenntnis belasteter Nahrungsmittel durch einen Rückruf faktisch nicht möglich ist.In unserem Entschließungsantrag fordern wir die Bundesregierung auf, in einer dritten Änderung des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes gestufte Informations-, Warn- und Rückholregelungen zu normieren, um den zuständigen Kontrollbehörden Handlungsspielräume zu schnellerem Handeln zu schaffen.
Bisher ist die Umsetzung der Produktrichtlinien der Europäischen Union in nationales Recht nicht geschehen, so daß die amtliche Lebensmittelüberwachung keine ausreichende gesetzliche Grundlage für Rückhol- und Warnaktionen hat. Das gleiche gilt für den Bereich der Bedarfsgegenstände. Hier ist dringender Handlungsbedarf, um Verbraucher und Verbraucherinnen vor gesundheitlicher Beeinträchtigung zu schützen.Ein jüngstes Beispiel ist die Diskussion um durch Permethrin belastete Teppichböden und Textilien. Da es immer noch keine Zulassungsverfahren für diese Stoffe gibt, kann eine deutliche Warnung nicht erfolgen — ganz zu schweigen von einer Überprüfungsmöglichkeit durch die Kontrollbehörden —, da die Parameter für die Untersuchungen nicht festgelegt sind. Wir fordern auch hier die Bundesregierung auf, die Forschung über die Auswirkungen von Stoffen und Substanzen, die bei der Herstellung und Ausrüstung von Bedarfsgegenständen verwendet werden, mit dem Ziel ihrer Prüfung auf Gesundheits- und Umweltverträglichkeit zu verstärken.Nur so können Kriterien für die Zulassung, die Festlegung von Höchstwerten, Prüfverfahren und Kennzeichnungen entwickelt werden. Die Expertenanhörung hat ebenfalls sehr eindrücklich aufgezeigt, daß nur unzureichende Erkenntnisse über die Vielfalt der Stoffe und Substanzen bestehen, es auf der anderen Seite aber dringenden Handlungsbedarf gibt. Hier ist auch das BGA gefordert, stärker zu koordinieren, einen internationalen Informationsaustausch zu organisieren und die Forschung voranzutreiben.Es fehlen uns auch die Hinweise in diesem Gesetz, daß eine deutliche Kennzeichnung da zu erfolgen hat, wo Produkte und Lebensmittel den Vorschriften des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes nicht entsprechen oder aber auf Grund des § 37 und des § 47 a LMBG abweichen. Nur eine Kennzeichnung der Abweichungen an herausragender Stelle läßt Verbraucher und Verbraucherinnen die Freiheit, sich für oder gegen den Kauf dieses Produktes zu entscheiden.
Die Möglichkeit der Ausnahmegenehmigung nach § 37 des Gesetzes sind mit großer Skepsis zu betrachten. So halten wir es für mit dem Anspruch dieses Gesetzes, einen umfassenden Verbraucherschutz zu gewährleisten, nicht vereinbar, wenn Ausnahmegenehmigungen für die Dauer von zwölf Jahren erteilt werden. Die Industrie ist durchaus in der Lage, sich in kürzeren Zeitabläufen auf Vorgaben und Veränderungen einzustellen. Mir scheint hier eine klare Bevorzugung von Einzelinteressen zu Lasten des Verbraucherschutzes vorzuliegen. Eine Zulassung von Ausnahmen für längstens sechs Jahre ist ausreichend.
Für eine dritte Änderung des LMBG steht auch § 47 a an; Ergänzungen und Präzisierungen bei den Allgemeinverfügungen sind unumgänglich. In unseren Änderungsanträgen, die in der Ausschußsitzung gestern leider fast in Gänze abgelehnt wurden, haben wir die Problematik des § 47 a LMBG aufgezeigt.
So ist es durchaus möglich, daß Lebensmittel auf den deutschen Markt gelangen, denen nationale Bestimmungen und Anforderungen an das deutsche Lebensmittelrecht entgegenstehen.
Mit der Beantragung einer Allgemeinverfügung in einem Land erlangt das Produkt eine Gültigkeit dann für alle Märkte in der EU. Es muß nur den Kriterien des Herstellerlandes entsprechen, und die können sehr deutliche Abweichungen von Rechtsnormen anderer Länder aufzeigen.Das ist in höchstem Maße unbefriedigend, weil diese Abweichungen nicht kenntlich gemacht werden müssen und somit für die Kontrollbehörden nicht
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Antje-Marie Steenerkennbar ist, ob sie ein Lebensmittel besonderen Rechts vor sich haben. Die Ämter können also nicht gezielt auf Abweichungen untersuchen, da sie als solche nicht erkennbar sind.Die Vorgaben für die gesundheitliche Bewertung beim Erlaß von Allgemeinverfügungen sind so eng gefaßt, daß sie z. B. auch keine Einzelfallentscheidung zulassen, wie es im Zusammenhang mit den Bedürfnissen empfindlicher Bevölkerungsgruppen angebracht erscheint. Das trifft ganz speziell auf Kleinkinder, Allergiker usw. zu. Gerade für sie ist es angebracht, zu wissen, welche Zutaten, Hilfsstoffe, Aromen usw. in Lebensmitteln enthalten sind. Hier helfen also nur flexible Bewertungskriterien, herausgehobene Kennzeichnung und Prüfparameter, die den vollen Anspruch gesundheitlichen Verbraucherschutzes erfüllen.In das Verfahren zum Erlaß von Allgemeinverfügungen sind die Länder einzubeziehen. Ihnen obliegt die Überwachung und Kontrolle dieser Verfügung und die Einhaltung der Vorschriften dieses Gesetzes. Ihnen ist auch ein Vetorecht einzuräumen, um schon im Vorwege zum Schutz der Verbraucher kritische Substanzen oder gravierende Abweichungen von deutschen Rechtsnormen zu verhindern.Um aber Abweichungen oder Andersartigkeit eines Lebensmittels zu erkennen, sind die Unterlagen auch in deutscher Sprache vorzulegen. Es stellt eine besondere Hürde dar, wenn erst umständlich und damit auch zeitverzögernd im Herstellerland die Daten, die rechtlichen Grundlagen usw. nachgefragt und Übersetzungen in der Landessprache getätigt werden müssen.Es fehlen in § 47 a LMBG auch genaue Kriterien, die verhindern, daß der sogenannte Mitnahmeeffekt durch die Allgemeinverfügung eingeschränkt wird. In der Anhörung wurde bestätigt, daß es nach einem Jahr Geltung dieses Gesetzes bereits ca. 100 Allgemeinverfügungen gibt. Danach ist es aber nicht prüfbar, wie viele weitere Produkte bereits, ohne daß sie eine erneute Kontrolle erfahren haben, auf dem deutschen Markt sind, die zumindest weitgehende Abweichungen aufweisen.Wir fordern in unserem Entschließungsantrag deshalb, die Allgemeinverfügungen auf die Staaten zu beschränken, bei denen die Rechtmäßigkeitsprüfung bei Herstellern und Inverkehrbringern zu einem positiven Ergebnis geführt hat.Einzug in die Erzeugung, Herstellung und Verarbeitung von Lebensmitteln haben auch biotechnologische Verfahren gehalten, insbesondere die der Gentechnik. Da eine Gefährdung der Verbraucher durch den Verzehr gentechnisch veränderter Organismen, aber auch mögliche Mangel- und Fehlernährung als Folge biotechnologisch veränderter Lebensmittel als mögliche Risiken für die menschliche Gesundheit nicht auszuschließen sind, muß für diesen Bereich auf eine sorgfältige Einhaltung der Informations- und Kennzeichnungspflicht für die Produkte bestanden werden; meine Kollegin Frau Blunck wird dazu noch deutliche Ausführungen machen.Der Entwurf für einen Verordnungsvorschlag der EU über neuartige Lebensmittel und neuartigeLebensmittelzutaten trägt dieser Richtschnur nur in begrenztem Umfang Rechnung. Wesentliche Zielsetzung des Verordnungsentwurfs ist die Gewährleistung des freien Warenverkehrs, während der Schutz der Gesundheit und der Umwelt eine untergeordnete Rolle spielt. Das können wir nicht hinnehmen.
Bei der umfangreichen und komplizierten Materie der Kontroll- und Überprüfungsfunktionen, die Lebensmittelkontrolleure auszuführen haben, erscheint es besonders zwingend, höhere Anforderungen auch an die Ausbildung dieses Berufsstands zu richten. Da hier auch länderunterschiedliche Ausbildungs- und Prüfungsordnungen vorliegen, ist auf einen einheitlichen Ausbildungsstandard Wert zu legen. Nur so kann die Qualität der Lebensmittel und Bedarfsgegenstände kontrolliert werden.Ich bitte Sie also, aus all den Gründen, die ich aufgezählt habe, unserem Entschließungsantrag zuzustimmen, da er auch den von Ihnen immer wieder betonten Schutz der Verbraucher und Verbraucherinnen vor gesundheitlichen Beeinträchtigungen noch verbessert. Es muß unser aller Ziel sein, mit dem vorliegenden Gesetz Täuschungen bei Lebensmitteln und Bedarfsgegenständen auszuschließen, Herstellern und Händlern ausreichende Marktchancen durch wettbewerbsorientierte Vorgaben und Kriterien zu eröffnen und für die Überwachungsbehörden genaue Prüfparameter vorzugeben. Unser Entschließungsantrag beinhaltet das alles. Deshalb nochmals meine Bitte: Stimmen Sie ihm zu!
Ich möchte auch in meiner Funktion als Berichterstatterin über die Beschlußempfehlung und den Bericht des Ausschusses zu dem vorliegenden Antrag der SPD darauf hinweisen, daß wir diese Beschlußempfehlung ablehnen werden.Allerdings — ich möchte den Versuch unternehmen, dies hier noch einmal deutlich zu machen — haben wir, Frau Limbach, zu dem Antrag, der Ihnen vorliegt, außerhalb der Beratungen einen sehr guten Beschluß gefaßt, der eine mehr als zwölf Punkte umfassende Aufforderung an die Bundesregierung enthält. Ich halte diesen Beschluß für sehr gut. Ich möchte noch einmal betonen, daß wir inhaltlich zu ihm stehen. Allerdings werden wir der Beschlußempfehlung jetzt nicht zustimmen können.Ich danke Ihnen
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Dr. Bruno Menzel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Prävention kommt in unseren Zeiten zunehmender Gesundheitsgefährdungen immer größere Bedeutung zu. Hierin sind wir uns sicher einig. Umwelteinflüsse, Schadstoffbelastungen, Ernährungsgewohnheiten und Suchtmittelmißbrauch — um nur einiges zu nennen — sind Faktoren, die einer gesunden Lebensweise ent-
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Dr. Bruno Menzelgegenstehen. Die Zunahme sogenannter Zivilisationskrankheiten trotz einer stetig steigenden Lebenserwartung legt hierüber ein besorgniserregendes Zeugnis ab.Der Schutz der Bevölkerung vor Krankheit muß daher in allen relevanten Bereichen des öffentlichen Lebens Vorrang haben.
Hierzu zählen nicht nur die gesundheitliche Aufklärung der Gesellschaft und die Förderung eines gesundheitlichen Verantwortungsbewußtseins gegenüber sich selbst und gegenüber anderen, sondern auch die legislative Arbeit seitens der Politik, um das Gefährdungspotential möglichst gering zu halten.Diese Aufgabe bewegt sich naturgemäß in einem gesamtgesellschaftlichen Kontext. Die Auswirkungen gesundheitspolitischer Maßnahmen dürfen beispielsweise nicht zu einer staatlich verordneten Bevormundung der Bürger führen
oder etwa die wirtschaftliche Entwicklung nachhaltig behindern. Gleichwohl können wir die Rahmenbedingungen setzen, innerhalb derer die Voraussetzungen für eine gesündere Lebensweise gegeben sind.
Nicht immer muß dies mit einem großen Wurf geschehen. Oftmals sind es eher die kleinen, urspektakulären Maßnahmen, mit denen wertvolle Verbesserungen auf dem Gebiet der Gesundheitsvorsorge erzielt werden. Der Anlaß der heutigen Debatte ist dafür ein gutes Beispiel.So wurde schon in der Zielsetzung des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes im Jahre 1974 formuliert — ich zitiere:In dem letzten Jahrzehnt ist die technologische, aber auch die sonstige wirtschaftliche Entwicklung auf dem Gebiet des Lebensmittelrechts rasch vorangeschritten. Die Zukunft wird weitere, zum Teil umwälzende Neuerungen bringen. Dies gilt für ... Lebensmittel, Tabakerzeugnisse, kosmetische Mittel und sonstige Bedarfsgegenstände. Im Interesse des Schutzes des Verbrauchers vor Gesundheitsschäden und vor Täuschung muß das Lebensmittelgesetz diesen Entwicklungen Rechnung tragen.Diese Aussage war damals so richtig wie heute. Daher beraten wir heute über ein Änderungsgesetz, das solche Entwicklungen berücksichtigt.So werden für tierarzneimittelbelastete Lebensmittel Höchstgrenzen festgelegt, Modifizierungen im Bereich der Werbung und des Vertriebs von Tabakwaren vorgenommen sowie eine Anzeige- und Genehmigungspflicht für kosmetische Mittel vorgeschrieben.Ich möchte an dieser Stelle gar nicht auf die einzelnen Bestimmungen eingehen, sondern nur feststellen, daß durch diese Anpassungen des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes sichergestellt wird, daß der Verbraucherschutz mit den Entwicklungen auf diesen Gebieten Schritt hält.Die meines Erachtens wichtigste Maßnahme des vorliegenden Gesetzentwurfs ist die Institutionalisierung des in einem Forschungsvorhaben so erfolgreich erprobten Lebensmittelmonitoring. Trotz eines in Deutschland hohen Standards des lebensmittelrechtlichen Verbraucherschutzes können von Lebensmitteln nach wie vor Gesundheitsgefährdungen ausgehen.Durch ein flächendeckendes MeB- und Beobachtungssystem für ausgewählte Lebensmittel wird in Verbindung mit den entsprechenden Kontrollmechanismen des Fleisch- bzw. Geflügelfleischhygienegesetzes ein Instrumentarium geschaffen, mit dem wertvolle Erkenntnisse hinsichtlich drohender Gesundheitsrisiken gewonnen werden können. Somit kann seitens der verantwortlichen Stellen schneller und im Interesse des Verbraucherschutzes sicherer reagiert werden. Ich möchte aber betonen, daß gegenwärtig keine weiteren Regelungen notwendig sind.Verbraucher- und Gesundheitsschutz auf der einen, technologische Entwicklung auf der anderen Seite, dies sind keineswegs zwangsläufig sich ausschließende Größen, auch wenn manche Bedenkenträger dies immer wieder glauben machen wollen und wie auch manche Debatte in diesem Haus — ich denke an die Auseinandersetzungen zum Gentechnikgesetz — diesen Eindruck erwecken konnte.Der Entschließungsantrag der SPD, der eine neuerliche Novellierung des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes fordert, ist wohl vor diesem Hintergrund zu sehen. Mit einer noch weitergehenden Reglementierung schaffen wir nicht etwa ein Mehr an Verbraucherschutz, sondern der einzelne sähe sich nach diesen Vorstellungen einer unendlichen Flut von Informationen gegenüber.Meine Damen und Herren, die Verbraucher sind doch gar nicht willens oder in der Lage, seitenlange Informationen durchzuarbeiten. Wir müssen uns vielmehr darüber Gedanken machen, was gefahrlos weggelassen werden kann, als darüber, was alles noch hinzukommen soll.
Ich will keinen Zweifel aufkommen lassen: Der Schutz der Bürger, die Vorsorge gegenüber realen Gesundheitsgefahren muß in jedem Falle gewährleistet sein. Der Verbraucher muß also auch die Gelegenheit bekommen, sich über das von ihm gekaufte gentechnisch hergestellte Lebensmittel informieren zu können. Er muß ferner davon ausgehen können, daß dieses Lebensmittel angemessene und sichere Prüf- und Zulassungsverfahren durchlaufen hat.Ich warne aber davor, hier ein schier undurchdringliches Regelungsdickicht wachsen zu lassen, welches den technologischen Fortschritt eher behindern, sinnvolle Weiterentwicklungen im lebensmitteltechnischen Bereich unmöglich machen und den Verbraucher unter einer Flut von Informationen regelrecht erdrücken würde.
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20412 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994
Dr. Bruno MenzelIn diesem Zusammenhang nur noch ein Wort zur Beschlußempfehlung des Gesundheitsausschusses zum Antrag der SPD bezüglich des Einsatzes der Gentechnik in der Lebensmittelproduktion.
Die geplante EG-Verordnung über neuartige Lebensmittel und Lebensmittelzutaten, auf die Ihr Antrag ja Bezug nimmt, ist verbesserungsbedürftig. Darüber sind wir uns einig.Insoweit stimme ich Ihnen absolut zu. Nur ist unter Berücksichtigung der genannten Prämissen — Wahrung des Verbraucherschutzes und Sicherstellung technologischer Weiterentwicklungen, aber auch weitgehende Gewährleistung des freien Warenverkehrs — der Beschluß des Gesundheitsausschusses vom November 1992 in der Tat sachgerechter. Ich hoffe, daß die deutsche EU-Präsidentschaft Gelegenheit bieten wird, diese Verordnung entsprechend zu verbessern.Ich bedanke mich, meine Damen und Herren.
Das Wort hat nunmehr die Abgeordnete Frau Lilo Blunck.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich aus der Rede, die ich gerade gehört habe, das Resümee ziehen sollte, dann müßte ich sagen: Der Verbraucher muß besonders uninformiert gehalten werden, denn er ist ein mündiger Verbraucher. Aber das kann es ja wohl dann nicht sein.
Der Kunde ist König, zumindest in den Sonntagsreden, und die CDU spricht von der Schlüsselrolle, die der Verbraucher in der Sozialen Marktwirtschaft angeblich innehat, und um ihn soll sich alles drehen.
In der Realität ist dieser König aber ein rechtloser Untertan. Truppen zu seiner Verteidigung hat er erst recht nicht,
vor allem, wenn man an die geplanten Kürzungen im Bereich der Ernährungsberatung und an die bereits erfolgten für die Verbraucherberatung denkt.
Dafür tragen aber andererseits mächtige Anbieter oft genug dazu bei, daß die wenigen Verbraucherrechte hinter ihre wirtschaftlichen Interessen weit zurückfallen.
Da fallen mir bei der F.D.P. als erstes die Versicherungen ein, dann geht es weiter über die Lebensmittelhersteller, und dann muß ich Ihnen sagen: Sie haben wahrhaftig den Verbraucher nicht im Auge, geschweige denn im Ohr, und Sie tun auch nichts für ihn.
Die Angebotsvielfalt ist nur schwer durchschaubar, die Produktinformationen sind eher Werbeaussagen ohne Wert denn eine Hilfestellung, und auch die ständige Wiederholung, unser Lebensmittelrecht sei das beste und schärfste aller europäischen Länder, ist Schutzbehauptung all derer, die Verbraucher über die Realität hinwegtäuschen wollen.
Nun sollen schon bald neuartige Bio- und Gentechnologien in großem Stil in der Lebensmittelproduktion Einzug halten. Gegenwärtig sind aber bei diesen Technologien die Risiken für die Umwelt und die Gesundheit nur unzureichend geklärt.
Die SPD lehnt nun keineswegs grundsätzlich neue Lebensmitteltechnologien ab. Angesichts zum Teil wirklich sehr hoher Umweltbelastungen sowie gesundheitlicher Risiken bei konventionellen Methoden sind ja durchaus Vorteile neuer technologischer und gentechnischer Methoden zu erwarten. Das kann sein.
Nur müssen die Produzenten sicherstellen, daß der Einsatz keine zusätzliche Gefährdung für Menschen und Umwelt mit sich bringt.
Gentechnik darf sich nicht nur an den ökonomischen Vorteilen messen lassen, sondern muß im Vergleich zu konventionellen Verfahren Vorteile für Verbraucher und Umwelt bringen.
Neue Technologien sind immer eine Chance, alte zu überprüfen, nur nicht durch einen Großversuch an nichtsahnenden Verbrauchern. Unverzichtbar ist deshalb eine klare Kennzeichnung. Umfassend muß sie sein, leicht verständlich und gut vergleichbar; denn nur dann können sich Verbraucher beim Kauf bewußt für oder gegen gentechnisch erzeugte Nahrungsmittel entscheiden.
Dabei ist es ohne Bedeutung —
Frau Kollegin Blunck — —
— den Satz noch, dann lasse ich die Frage zu —,
Das ist gut, das ist ein Angebot!
— ob Qualitätsgesichtspunkte, gesundheitliche Gründe oder eine Ablehnung der Gentechnologie aus ethischen Motiven den Ausschlag geben. Für so mündig müssen wir auch den Verbraucher halten, und das müssen wir ihm zugestehen.
Frau Kollegin Blunck, jetzt müssen wir das erst einmal klären: Es sind zwei Kollegen, Dr. Menzel und der Kollege Dr. Krause , die Fragen haben.
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Es sollen beide fragen.
Dann Dr. Menzel als erster.
Verehrte Frau Blunck, stimmen Sie mir zu, daß aus dem, was ich gesagt habe, eigentlich nicht zu entnehmen war, daß wir die Absicht haben, dem Verbraucher Lebensmittel anzubieten, die nicht sicher sind und für die der Hersteller nicht die Garantie für ihre Gefahrlosigkeit bietet?
Ich gehe nicht davon aus, daß Sie das dem Verbraucher bewußt zumuten wollen. Aber ich gehe davon aus, daß es dringend erforderlich ist, dem Verbraucher die Kennzeichnung dieser Lebensmittel zugänglich zu machen, damit er selbst entscheiden kann.
Wir sind doch beide für eine Soziale Marktwirtschaft. Marktwirtschaft bedeutet, daß beide Teilnehmer am Markt den gleichen Zugang haben. Das bedeutet, ich muß den Verbraucher entsprechend informieren. Ich habe in Ihrer Rede vermißt, daß Sie dafür plädieren, daß dieser Verbraucher informiert ist, und zwar umfassend, bis in alle Einzelheiten informiert ist. Das haben Sie in Ihrer Rede gerade in Abrede gestellt. Und dies klage ich ein, weil das den Verbraucher dazu bringt, bewußt entscheiden zu können. Dann kann er König spielen — von der Königin ist ja sowieso nicht die Rede.
Herr Abgeordneter Dr. Menzel, Sie möchten noch einmal nachfragen. Bitte schön.
Ich darf aber sagen, daß mir das von der Zeit nicht abgezogen wird. Ich sehe hier meine Redezeit schwinden.
Ihre Redezeit steht seit geraumer Zeit auf einer Minute. Das hat sich nicht verändert. Das ist selbstverständlich gestoppt.
Frau Blunck, ich bin Ihnen ja sehr dankbar, daß Sie mir zugestehen, daß ich das nicht absichtlich gesagt hätte. Ich muß aber noch einmal nachfragen:
Haben Sie wirklich zugehört? Haben Sie nicht gehört, daß ich davon gesprochen habe, daß die Aufklärung des Verbrauchers dringend notwendig ist, daß man ihn aber nicht in einem Dickicht von Informationen ersticken lassen darf, die er zum Teil dann gar nicht mehr entsprechend aufnehmen kann? Wir wollen eine umgehende Information. Wir wollen selbstverständlich sichere Produkte. Das habe ich expressis verbis gesagt. Ich muß ganz entschieden zurückweisen, wenn Sie auch nur. den Anschein erwecken, daß wir dem Verbraucher Nahrungsmittel zumuten wollen, die nicht sicher sind.
Noch einmal gesagt: Welche Arroganz steckt eigentlich dahinter, wenn Sie bestimmen, welche Informationen der Verbraucher oder die Verbraucherin haben darf und welche nicht!
Das kann doch wohl nicht angehen! Ich habe Ihnen nicht nur zugehört, sondern ich habe auch Ihre Anträge gelesen. Ich muß sagen: Da gibt es nicht die umfassende Kennzeichnung, die leicht verständliche Kennzeichnung, die gut vergleichbare Kennzeichnung. Das ist genau das, was ich einklage.
Bitte schön: Nicht Sie bestimmen, was ich wissen darf, sondern ich bestimme, was ich gern wissen möchte
und wonach ich mich entscheiden möchte. Ich möchte, daß der Gesetzgeber genau diese Information jedem Verbraucher und jeder Verbraucherin zugesteht.
Sie reden immer dann vom mündigen Verbraucher, wenn Sie ihn am liebsten dumm und dämlich halten wollen. Das will ich nicht.
Herr Abgeordneter Krause , die Abgeordnete Frau Lilo Blunck hat mir mitgeteilt, daß sie nicht bereit ist, Ihre Frage zu beantworten.
Frau Abgeordnete, fahren Sie bitte in Ihrer Rede fort.
Wir fordern einen umfassenden Geltungsbereich der Verordnung unter Einbeziehung aller Lebensmittel und Bestandteile, die durch Anwendung gentechnischer Verfahren entstehen oder hergestellt werden, und zwar auch dann, wenn die gentechnisch veränderten Organismen im Endprodukt nicht mehr enthalten sind. Das gilt selbstverständlich auch für Zusatzstoffe und für Hilfsstoffe. Bei der Gentechnologie darf es kein Zurückfallen hinter Standards für vergleichbare Produkte wie Arzneimittel und Zusatzstoffe geben. Lebensmittel sind im wahrsten Sinne des Wortes Mittel zum Leben. Das müssen sie auch in Zukunft bleiben.Leitgedanke im gesamten Nahrungsmittelbereich muß die Vorsorge sein, muß die Vermeidung von Schäden statt nachträglicher Schadensbegrenzung sein. Wir brauchen endlich eine Gesamtsicht zum Schutze der Umwelt und der Gesundheit der Verbraucher. Das zeigt insbesondere der Lebensmittelskandal des Monats April: Lindan und andere Stoffe in Babynahrung.Wir fordern die Bundesregierung deshalb u. a. auf, schnellstmöglich einheitliche und eindeutige Vorschriften für die Informations-, Warn- und Rückrufpflichten der Nahrungsmittelanbieter, aber auch der Gesundheitsbehörden vorzulegen. Für Diät- und Babynahrung müssen die PflanzenschutzmittelGrenzwerte wie das Trinkwasser europaweit gelten. Wir brauchen ein europaweites Verbot schwer abbau-
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20414 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994
Lieselott Blunck
barer Pflanzenschutzmittel und nicht zuletzt eine europaeinheitlich wirksame Kontrolle von Lebensmitteln.Umwelt- und Verbraucher-Dumping zahlen sich nicht aus. Die Zeche müssen wir, muß jeder einzelne von uns, teuer, zu teuer bezahlen. Das dürfen verantwortungsbewußte Politiker einfach nicht zulassen.
Ich erteile nunmehr der Parlamentarischen Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes erreichen wir deutliche Verbesserungen im Bereich des vorbeugenden Gesundheitsschutzes. Damit meine ich neben den Verbesserungen des Verbraucherschutzes im Bereich der pharmakologisch wirkenden Stoffe, der kosmetischen Mittel und der sonstigen Bedarfsgegenstände sowie der Tabakerzeugnisse vor allem die Einführung eines ständigen Meß- und Beobachtungssystems für Lebensmittel.Die Einrichtung dieses LebensmittelMonitorings kann zu Recht als Meilenstein auf dem Weg zu einem umfassenden präventiven Gesundheitsschutz gesehen werden. Es werden die Voraussetzungen dafür geschaffen, bundesweit repräsentative und zuverlässige Angaben über die aktuelle Belastung ausgewählter Lebensmittel mit gesundheitlich unerwünschten Stoffen, wie z. B. Pflanzenschutzmitteln, Schwermetallen oder durch Pilzbefall entstehende Gifte, machen zu können.Herr Präsident, es wäre sehr erfreulich, wenn die SPD-Fraktion zuhören würde, was die Regierung und die Koalitionsparteien zu sagen haben,
anstatt darüber zu polemisieren, wie gut die Rede von Frau Blunck war.
Das ist auch eine Frage der gegenseitigen Höflichkeit.
Hierdurch können schon sehr frühzeitig Gesundheitsgefährdungen erkannt, Risiken abgeschätzt und auf Grund von wissenschaftlich abgesicherten Erkenntnissen gesundheitspolitisch erforderliche Gegenmaßnahmen eingeleitet werden. Gleichzeitig wird auch die Information der zuständigen verantwortlichen Stellen in Bund und Ländern verbessert sowie die Aufklärung der Öffentlichkeit über Rückstände und Verunreinigungen in Lebensmitteln vorangebracht. Insgesamt schaffen wir mit dem Lebensmittel-Monitoring also ein flächendeckendes, umfassendes Früherkennungssystem für mögliche Gesundheitsgefährdungen.Meine Damen und Herren, wie Sie wissen, tragen wir mit der flächendeckenden Einrichtung diesesSystems den überaus positiven Erfahrungen Rechnung, die wir mit dem Forschungsvorhaben „Modellhafte Entwicklung und Erprobung eines bundesweiten Monitoring zur Ermittlung der Belastungen von Lebensmitteln mit Rückständen und Verunreinigungen" gemacht haben.So konnten z. B. auf Grund der in diesem Forschungsprojekt erarbeiteten Daten Höchstmengen für Nitrat in Kopfsalat und Spinat festgelegt werden. Dies hat über unsere eigenen Grenzen hinaus Initialzündung gehabt: In der EU wird inzwischen auf der Grundlage unserer Ergebnisse an der Festlegung entsprechender Höchstmengen für Nitrat in Salat und Spinat gearbeitet, die dann europaweit gelten sollen.Ein zweites Beispiel: Dank des Früherkennungssystems konnte festgestellt werden, daß in Milch teilweise Spuren von PCB vorhanden waren. Man kam auch der Ursache auf die Spur, und die Kontaminierungsquellen wurden daraufhin beseitigt.Meine Damen und Herren, allein diese beiden Beispiele zeigen, welche großen Fortschritte für den Verbraucherschutz durch das Lebensmittel-Monitoring erreichbar sind, das wir mit der zweiten Änderung des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes nun einführen.Ich komme zu einem zweiten Thema, das von Frau Blunck angesprochen wurde, den neuartigen Lebensmitteln. Sie alle wissen, daß die Bundesregierung grundsätzlich das Vorhaben der Europäischen Kommission begrüßt, das Inverkehrbringen neuartiger Lebensmittel, zu denen auch gentechnisch veränderte Lebensmittel gehören, gemeinschaftlich zu regeln. Allerdings hat die Bundesregierung auch bereits von Anfang an ganz deutlich herausgestellt — Frau Blunck, das wissen Sie auch —, daß der von der Kommission vorgelegte Verordnungsvorschlag erhebliche Mängel aufweist.
Dabei ging es im Schwerpunkt um die Bereiche Genehmigungsverfahren, Anwendungsbereich der Verordnung und vor allen Dingen um die Kennzeichnung. Dank unseres hartnäckigen Einsatzes für gemeinschaftliche Regelungen, die einen umfassenden Gesundheitsschutz und den Schutz des Verbrauchers vor Täuschungen wirklich sicherstellen, ist der ursprüngliche EG-Kommissionsvorschlag bereits in einigen Punkten geändert worden. Heute steht das Thema im EU-Binnenmarktrat erneut zur Debatte. Deutschland wird den von der Kommission vorgeschlagenen gemeinsamen Standpunkt ablehnen.
Einig sind sich die Mitgliedstaaten aber inzwischen, daß ihnen beim Genehmigungsverfahren mehr Mitentscheidungsrechte zugestanden werden müssen, so wie wir dies von Anfang an gefordert haben. Auch hinsichtlich der Definition des Anwendungsbereichs sind Verbesserungen erzielt worden.Strittig ist nach wie vor vor allem das Thema Kennzeichnung. Frau Blunck, Sie wissen genau, daß sich die Regierung hier wirklich einsetzt. Wir glauben
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Parl. Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohlauch — genauso habe ich Herrn Menzel verstanden —, daß Transparenz Akzeptanz im Verbraucherschutz bedingt.
— Ich freue mich, daß ich von Ihnen Beifall bekomme.
Den Bürgern wäre es, glaube ich, unverständlich, wenn eine gentechnisch veränderte Tomate gekennzeichnet werden müßte, aber ein Saft, der ebenfalls aus gentechnisch veränderten Tomaten gemacht worden ist, nicht. Wir wollen klare Regelungen.
— Ich freue mich, daß Sie mir Beifall spenden. Auch die F.D.P. will das.
Auch die F.D.P. will Verbraucherschutz und Transparenz. Ich habe Herrn Menzel so verstanden, daß sie nur nicht will, daß der Bürger mit Informationen überfrachtet wird, die er letztendlich nicht mehr versteht.
Meine Damen und Herren, wir bleiben dabei: Bei allen Lebensmitteln, die gentechnisch veränderte Organismen enthalten oder daraus bestehen, sind Hinweise auf die gentechnische Beschaffenheit unbedingt erforderlich. Diese Forderung werden wir weiterhin mit Nachdruck vertreten. Insgesamt wird die Bundesregierung im Rahmen ihrer Möglichkeiten alles unternehmen, um auch in Zukunft ein hohes Verbraucherschutzniveau im Lebensmittelverkehr in der Europäischen Union sicherzustellen. Das haben wir immer wieder unmißverständlich deutlich gemacht. Daher brauchen wir keine Nachhilfe von der Opposition.Meine Damen und Herren, noch einige Worte zum Antrag der SPD hinsichtlich der Vermeidung von Pflanzenschutzmittelrückständen in Lebensmitteln. Im Zusammenhang mit lindanbelasteter Babynahrung haben wir über die wesentlichen Punkte ja bereits am 13. April 1994 debattiert. Seitdem hat sich an den Fakten wirklich nichts geändert. Ich wiederhole dies aber gerne noch einmal, gerade für die Opposition.
— Herr Kirschner, Ihr Gedächtnis beginnt im Wahlkampf offensichtlich zu leiden.
— Doch, doch Herr Kirschner.
Weil Rückstände von Pflanzenschutzmitteln in Babynahrung nichts zu suchen haben, hat die Bundesregierung schon 1975 in der nationalen Diätverordnung für die Babynahrung —
— das ist ja schlimm, daß Sie das in Frage stellen; Sie schimpfen andauernd darauf —
eine Höchstmenge von 0,01 Milligramm pro Kilo festgelegt. Dieser Wert gilt natürlich nicht nur für die deutschen Produzenten, sondern auch für alle Importprodukte. Wird der Höchstwert überschritten, verliert das Produkt seine Verkehrsfähigkeit, völlig unabhängig davon, ob eine Gesundheitsgefährdung besteht oder nicht.In diesem Zusammenhang, Frau Steen, haben wir uns auch des Problemes angenommen, das Sie angesprochen haben: Permethrin. Denn noch vor der Sommerpause wird dem Bundesrat die Schädlingsbekämpfungsrichtlinie zugeleitet. In diesem Zusammenhang werden wir uns auch bemühen, das Problem, das Sie angesprochen haben, zu lösen.
Frau Staatssekretärin, sind Sie bereit, Zwischenfragen der Abgeordneten Frau Blunck und der Abgeordneten Frau Steen zu beantworten?
Ja, gerne. Aber nur, wenn es freundliche Fragen sind.
Das müssen Sie jetzt beurteilen, ob das eine freundliche Frage ist.
Die Bewertung unterliegt dem Präsidenten.
Frau Staatssekretärin, sind Sie bereit, mir zuzugestehen, daß es auch andere Pflanzenschutzmittel als Lindan gibt, daß für diese Pflanzenschutzmittel, die wir in unserem Antrag anklagend genannt haben, nicht der gleiche Grenzwert von der Bundesregierung angesetzt worden ist und daß Lindan nur der Vergleich war, um Sie darauf zu bringen, daß Sie sich genau wie die vorherige Regierung verhalten?
Frau Kollegin Blunck, ich glaube, daß die Regierung sehr wohl weiß, was sie dem Verbraucher schuldig ist, und sehr genau prüft, was sie in Regelungen hineinbringt und was sie herausläßt. Insofern, glaube ich, sind wir gar nicht so weit voneinander entfernt.
Frau Abgeordnete Steen.
Frau Staatssekretärin, ich höre mit großer Freude, daß Sie diese Pflanzenschutzrichtlinie demnächst verabschieden wollen.
Einbringen.
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20416 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994
Einbringen. Können Sie mir bestätigen, daß Sie dann Zulassungsverfahren nicht wieder mit zehnjährigen Übergangsfristen versehen, wie es z. B. in dem Bereich der Stoffe, die wir angesprochen haben — Permethrin —, der Fall ist?
Frau Kollegin Steen, die Bundesregierung ist ja eigentlich immer sehr handlungsbereit und in ihren Handlungen auch immer sehr kurzfristig und schnell. Bisher habe ich aber immer die Erfahrung gemacht, daß die SPDgeführten Länder unsere guten Beschlüsse ablehnen.
Insofern habe ich einige Bedenken, ob das, was wir dem Bundesrat zuleiten, durchkommt.
— Herr Kirschner, da geben Sie sich mal keinen falschen Hoffnungen hin, würde ich sagen.
— Nicht nur die. Ich denke, daß wir noch weitere Wahlperioden in der Regierung sitzen. Wenn Sie so weitermachen, habe ich da gar keine Bange.
Meine Damen und Herren, ich möchte wenigstens noch zu meinem Thema kommen. Auch die Lander haben Verantwortung. Sie müssen die Einhaltung der Höchstwerte kontrollieren; denn sie tragen Verantwortung dafür, daß alles Notwendige getan wird, wenn Untersuchungen ergeben, daß der Höchstwert nicht eingehalten wurde.
Wenn Landesbehörden der Auffassung sind, die Öffentlichkeit vor bestimmten Produkten warnen zu müssen, dann haben sie bereits jetzt umfassende Möglichkeiten. Darüber hinaus brauchen wir keine bundeseinheitlichen Vorschriften. Das haben wir schon am 13. April hier ausführlich diskutiert.
Was die Festlegung einheitlicher europäischer Grenzwerte für Rückstände von Pflanzenschutzmitteln angeht, so ist hier die Harmonisierung bereits in vollem Gange.
Es ist selbstverständlich, daß sich die Bundesregierung für eine Harmonisierung auf einem hohen Schutzniveau einsetzt. Ich sage es noch einmal: Da brauchen wir wirklich keine Nachhilfe von Ihnen von der SPD.
Vielen Dank, meine Damen und Herren.
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Abgeordneten Dr. Krause das Wort.
Als einziger Amtstierarzt in diesem Hause freue ich mich natürlich sehr über das, was die Staatssekretärin gesagt hat. Das beantwortet die Fragen zum Teil so, wie sie mir Frau Blunck vielleicht nicht beantwortet hätte.
Ich anerkenne den mutigen Einsatz des Gesundheitsministers, sich nicht zum Claqueur von europäischen Entscheidungen zu machen, sondern die Interessen der deutschen Verbraucher und auch der deutschen Produzenten zu wahren. Ich würde mich natürlich freuen, wenn all das, was die SPD hier vorschlägt, europäisches Recht würde.
Ich hätte Sie, Frau Blunck, aber gefragt: Wie wollen Sie bei offenen Grenzen den deutschen Verbraucher davor schützen, daß Stoffe, die in Deutschland nicht oder nur bis zu einer bestimmten Grenze angewendet werden dürfen, oder Produktionsverfahren, die bei uns so nicht erlaubt sind, nicht in unser Land kommen? Wie wollen Sie Verbote für die Importeure durchsetzen? Das hätte ich Sie gefragt. Die letzten Skandale, z. B. der Rinderwahnsinn oder auch die Babynahrung aus Spanien, beweisen, daß dies eine Illusion ist.
Danke.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Wie ich eben schon sagte, sind die Reden der Abgeordneten Vera Wollenberger und Frau Dr. Ursula Fischer zu Protokoll gegeben.Wir kommen somit zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf zur Änderung des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes. Dies liegt Ihnen auf den Drucksachen 12/6992 und 12/7929 vor. Diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zuzustimmen wünschen, bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Somit ist der Entwurf einstimmig angenommen.Wir kommen damit zurdritten Beratungund Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, bitte ich, sich zu erheben. — Auch das Ergebnis ist einstimmig.Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/7938. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltung des Abgeordneten Dr. Krause ist dieser Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt worden.Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 16b, und zwar zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Fraktion der SPD zum Einsatz der Gentechnik und anderer neuartiger biotechnologischer Verfahren in der Lebensmittelproduktion. Dieser Antrag liegt Ihnen auf Drucksache 12/7261 vor.
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Vizepräsident Dieter-Julius CronenbergDer Ausschuß empfiehlt, den Antrag der SPD auf Drucksache 12/3463 abzulehnen. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Dann ist diese Beschlußempfehlung angenommen.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Drucksache 12/7742 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Ist das Haus damit einverstanden? — Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist dies so beschlossen.Meine Damen und Herren, offensichtlich ist in dem Bemühen, die Tagesordnung zügig abzuwickeln, von mir übersehen worden, bei Tagesordnungspunkt 15 b noch über eine Beschlußempfehlung abstimmen zu lassen. Es handelt sich um die Nr. 2 der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft, der dort die Annahme einer Entschließung empfiehlt. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist diese Beschlußempfehlung bei Enthaltung der SPDFraktion angenommen worden.Meine Damen und Herren, bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, muß ich auf das Protokoll zu Tagesordnungspunkt 12 zurückkommen. Die Abgeordnete Iris Gleicke hat den Eindruck erweckt, die Bundesministerin mit Erich Honecker vergleichen zu wollen. Es gibt eine, wie ich meine, sehr gute Tradition in diesem Hause, nämlich Mitglieder des Hauses nicht mit Repräsentanten totalitärer Systeme, in welcher Form auch immer, zu vergleichen. Ich bin der Meinung, daß diese gute Tradition aufrechterhalten werden sollte, und fordere deswegen die Kollegin Iris Gleicke auf, unmißverständlich dafür Sorge zu tragen, daß dieses Mißverständnis ausgeräumt wird, also eine Klarstellung erfolgt. Ich wäre sehr dankbar, wenn sich alle Kolleginnen und Kollegen des Hauses dieser guten Tradition in Zukunft befleißigen würden.
Ich wäre dankbar, wenn der Geschäftsführer der SPD-Fraktion die Kollegin Gleicke darauf aufmerksam machen würde.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 7. November 1991 zum Schutz der Alpen
— Drucksache 12/7268 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
— Drucksache 12/7914 —Berichterstattung:Abgeordnete Simon Wittmann Horst KubatschkaGerhart Rudolf BaumDazu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD vor.Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Debattenzeit von einer halben Stunde vor. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist das so beschlossen.Ich kann die Debatte eröffnen und Simon Wittmann das Wort erteilen. Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir können die Debattenzeit nutzen — vielleicht nicht in der Gänze —, um unsere Freude zum Ausdruck zu bringen, daß wir diese Alpenschutzkonvention endlich auf den Weg bringen.Mit dieser Konvention ist eine völkerrechtliche Grundlage für den Schutz der bedrohten alpinen Region, und zwar für die gesamte alpine Region, geschaffen worden. Damit ist natürlich bloß ein Rahmenübereinkommen gegeben, d. h. es sind insgesamt eine ganze Palette von Verhandlungen noch notwendig, und zwar bezüglich der Ausführungsprotokolle in den Bereichen von der Landwirtschaft über Tourismus bis zum Bergwald.Ich möchte aber die Zeit hier nutzen und auf etwas verweisen, was manche vielleicht gar nicht mehr so genau wissen. Die Idee für diese Konvention geht eigentlich auf eine Zeit vor über 20 Jahren zurück, als Gemeinden vor Ort und Kommunen in der bayerischen Alpenregion versucht haben, zuerst in Kontakten mit benachbarten Gemeinden den Schutz der Alpen auch über die Grenzen hinweg auf den Weg zu bringen.Diese Überlegungen sind bereits 1971 in den Bayerischen Alpenplan, den ersten Teil des Bayerischen Landesentwicklungsprogamms, aufgenommen worden. Es hat sich aber gezeigt, daß eigentlich nur internationale Vereinbarungen, die die gesamte Alpenregion betreffen, eine Chance haben, wirklich einen Schutz voranzubringen und diesem Zerstörungswettbewerb, z. B. im Hinblick auf den Tourismus oder die Erschließung, Einhalt zu gebieten. Deshalb hat die Bundesregierung im Oktober 1989 die Einberufung der ersten internationalen Alpenkonferenz veranlaßt, und sie hat bereits 1991 die Konvention zum Abschluß gebracht, die wir heute ratifizieren.Ich glaube, dies ist ein Beweis dafür, daß wir auch in diesem Bereich wieder ein Vorreiter im Umweltschutz in Europa sind — auch wenn wir uns in der Rückbetrachtung wünschen, man hätte bereits vor 20 Jahren begonnen, nicht zuerst lokale Versuche, sondern internationale Vereinbarungen zu machen. Aber ich glaube, es muß gerade für die Nachbarländer die Zeit reifen.Die Verhandlungen der Protokolle, ganz konkret im touristischen Bereich, zeigen ja, daß es z. B. von seiten der Schweiz, aber auch anderer Staaten Probleme gibt, wirklich einen hohen Umweltstandard durchzusetzen, der dem entspricht, den wir in der Bundesrepublik haben. Ich freue mich aber, daß wenigstens vier Bereiche aller Voraussicht nach noch 1994 verabschiedet werden können. Hier geht es um Naturschutz und Landschaftspflege, um Tourismus, um Bergland-
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Simon Wittmann
wirtschaft, um Raumplanung, um nachhaltige Entwicklung und Verkehr.Es sollte — das ist eine Bitte an die Bundesregierung — mit den anderen Themen begonnen werden. Vor allem sollten hinsichtlich des Wasserhaushalts neue Protokollverhandlungen angeregt werden.Es ist natürlich die Frage — wir haben das ja auch im Ausschuß diskutiert —, ob wir dazu noch einen Entschließungsantrag der SPD brauchen. Die Tatsache, daß wir heute ratifizieren, zeigt ja, daß wir diese Alpenkonvention begrüßen. Ich glaube, daß wir uns selber nicht noch einmal bestätigen müssen, daß wir für einen möglichst hohen Schutz der Alpen nach deutschem Standard sind. Gerade die Bundesregierung, die hier immer eine Vorreiterrolle gespielt hat, und die Koalitionsfraktionen, die dies mitgetragen haben, brauchen sich dies selber nicht noch einmal zu bestätigen.Ich habe natürlich auch einige Bedenken. Ich meine, im Bereich der Alpenregion ist die Landwirtschaft sicher ein besonders sensibler Sektor. Nur, wenn man wie in dieser Beschlußempfehlung gleich versucht, die Landwirtschaft pauschal als Umweltzerstörer zu kennzeichnen, dann können wir das nicht mittragen, sondern wir sind für den Erhalt der traditionellen Almwirtschaft. Wir sind für eine Unterstützung.
Es soll auch zukünftig eine Lebensgrundlage für die betroffenen Menschen gegeben sein. Aber gleich eine pauschale Verurteilung in einem Papier, das meiner Ansicht nach überflüssig wie ein Kropf ist, auch wenn es in manchen Dingen vielleicht sinnvoll ist, lehnen wir ab. Das beschließen wir ja alles in der Alpenkonvention, wo diese Ziele festgelegt sind.Ich darf daher die Bundesregierung in ihrem Bemühen bestärken, diese Protokolle weiter zu verhandeln und sie möglichst bald zum Abschluß zu bringen. Die CDU/CSU stimmt der Alpenkonvention, so wie vorgelegt, uneingeschränkt zu. Ich glaube, daß wir damit eine wichtige Sache auf den Weg bringen.Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Horst Kubatschka das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe auch schon öfter festgestellt, daß Vorreiter aus dem Sattel gefallen sind. Man sollte doch einmal etwas vorsichtiger sein, diese Vorreiterrolle zu reklamieren; denn in manchem sind wir nicht so sehr Vorreiter, sondern auch andere europäischen Staaten haben vernünftige Politik betrieben und haben sie weitergebracht. Wenn Sie sagen, Herr Wittmann, daß die Politik, die wir betreiben, überflüssig wie ein Kropf sei — das ist ein sehr schönes bayerisches Bild — und es gleichzeitig für sinnvoll erachten, was wir hineinschreiben, dann ist das doch ein gewisser Widerspruch.Meine Damen und Herren, die SPD-Fraktion begrüßt die Ratifizierung der Alpenkonvention. Die Alpenkonvention braucht zum Inkrafttreten der Ratifizierung drei Signatarstaaten. Nachdem Österreich schon ratifiziert hat, so daß wir nicht Vorreiter sind, und auch in Liechtenstein und in Slowenien mit einer baldigen Ratifizierung zu rechnen ist, wird die Alpenkonvention nun bald in Kraft treten. Wir hoffen, daß von ihr ein wichtiger Beitrag zum Schutz der Alpen ausgehen wird. Die Hinterlegung sollte deswegen auch schnellstens erfolgen.Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, lassen Sie mich einleitend ein paar ganz kurze Bemerkungen zu den Beratungen im Umweltausschuß machen. Sie haben gestern unverständlicherweise unseren Entschließungsantrag abgelehnt, weil er angeblich unnötig sei, weil er nichts enthalte, was nicht schon in der Konvention stehe.
Meine Damen und Herren, dies ist einfach falsch. Wir haben im Antrag die Bundesregierung u. a. aufgefordert, sie solle sich bei der nächsten internationalen Alpenkonferenz dafür einsetzen, daß auch zu den Bereichen Luftreinhaltung, Abfallwirtschaft und Wasserhaushalt die Erarbeitung von Protokollen beschlossen wird. Bisher gibt es noch keinen solchen Beschluß. Wenn wir Fortschritte in diesen Bereichen wollen, muß sich die Bundesregierung dafür einsetzen.Wir haben weiterhin gefordert, daß die Bundesregierung den Umweltausschuß regelmäßig über den Stand der Erarbeitung der Protokolle informiert. Auch das haben Sie abgelehnt.
— Aber die findet nicht statt, Ihre Selbstverständlichkeit.Damit läßt sich der Bundestag die Möglichkeit aus der Hand nehmen, den Inhalt der Protokolle mitzugestalten. Wenn dem Bundestag am Schluß die Protokolle zur Ratifizierung vorgelegt werden, wird er nur noch das Ergebnis der Verhandlungen akzeptieren oder ablehnen können. Das wäre doch äußerst unbefriedigend. Vorhin wurde uns gesagt, vier Protokolle stünden kurz vor dem Abschluß.
— Keines dieser Protokolle war im Ausschuß, Frau Kollegin, und dann können Sie doch nicht sagen, daß wir mitgestalten. Oder Sie passen eben nicht auf.Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Entschließungsantrag ist moderat gehalten. Um Ihnen die Möglichkeit zu geben, dem Antrag doch noch zuzustimmen, haben wir den Antrag auch in den Bundestag eingebracht. Wir würden uns freuen, wenn Sie diese Chance nutzen würden. Aber Sie nutzen die Chance anscheinend nicht.Die Alpenkonvention ist nicht nur ein wichtiger Schritt zum Schutze der Alpen, sondern sie ist auch notwendig. Ich will jetzt nicht als Schwarzweißmaler auftreten, aber für das Ökosystem der Alpen ist es eher fünf nach als fünf vor zwölf. Die Alpen wurden in den letzten Jahrzehnten durch Verkehr, Industrieentwicklung, Landwirtschaft und intensiven Tourismus schwer geschädigt, und diese Zerstörung dauert an.
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Horst KubatschkaDie Erhaltung des Ökosystems Alpen ist von europäischer Bedeutung. Wenn die Zerstörung der Alpen nicht baldmöglichst durch entschlossenes Handeln gestoppt wird, drohen Auswirkungen auf die gesamte europäische Umwelt. Falsch wäre es, die Alpen nur als Wirtschaftsfaktor zu sehen; für die dortige Bevölkerung ist sie Heimat, sie ist Lebensraum. Die dort ansässige Bevölkerung würde am unmittelbarsten betroffen, würden die Alpen durch Umweltzerstörung letztlich unbewohnbar. Dies ist kein Horrorszenario; dies zeigen Murenabgänge und Lawinen, die durch die geschwächten Schutzwälder nicht mehr aufgehalten werden können.Wer sich darüber informieren will, welche Auswirkungen Bodenerosion hat, wenn fehlende Wälder ein Abrutschen und Abschwemmen der Erde nicht mehr verhindern können, braucht nur ans Mittelmeer zu fahren, etwa in den Bereich der französischen Seealpen.Die Alpen müssen als Ausgleichsraum für Trinkwasser und Klima, als Erholungs- und Lebensraum auch für die künftigen Generationen bewahrt bleiben. Dazu muß dem dauerhaften Schutz der Alpen als gesamteuropäischem Erbe oberste Priorität eingeräumt werden, nicht aber ihrer grenzenlosen ErschlieBung.Sehr geehrte Damen und Herren, als sogenannte Rahmenkonvention wird die Alpenkonvention nur soviel für Mensch und Alpen leisten können, wie die notwendigen Protokolle es erlauben. Die Protokolle müssen daher schnell erarbeitet und verabschiedet werden. Gleichzeitig muß aber auch darauf geachtet werden, daß sich ihre Regelungen auf einem hohen Umweltschutzniveau bewegen. Dies zu gewährleisten ist auf Grund der unterschiedlichen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Situationen in den einzelnen Alpenanrainerstaaten eine schwierige Aufgabe.Wir fordern die Bundesregierung auf, sich bei den Beratungen für die Verwirklichung eines möglichst hohen umweltrechtlichen und umweltpolitischen Standards in den Protokollen einzusetzen. Wir hoffen sehr, daß die Protokolle zu den Bereichen Raumplanung, Naturschutz und Landschaftspflege, Tourismus und Freizeit, Berglandwirtschaft und Verkehr wirklich, wie von der Bundesregierung gehofft, auf der nächsten Internationalen Alpenkonferenz verabschiedet werden können.Daß die Protokolle zu den Bereichen Bodenschutz, Bergwald und Energie bisher nicht einmal in Sicht sind, ist sehr zu bedauern. Auch zu den Bereichen Luftreinhaltung, Abfallwirtschaft und Wasserhaushalt wäre die Erarbeitung von Protokollen sinnvoll und anzustreben. Aber dies haben Sie ja, meine Damen und Herren von der Koalition, im Umweltausschuß abgelehnt.In diesem Zusammenhang wird immer wieder von nachhaltiger Entwicklung gesprochen. In der Tat muß sich der Schutz der Alpen an diesen Maßstäben ausrichten. Dieser Begriff darf aber nicht zur Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen, als Deckmantel für eine weitere Ausbeutung und Zerstörung desAlpenraumes instrumentalisiert und mißbraucht werden.
Damit würden seine ökologischen Ziele ins Gegenteil verkehrt.Die Alpen sind ein gesamteuropäisches Umwelterbe, und jeder einzelne trägt die Verpflichtung, in seinem Bereich am Schutz dieses Erbes mitzuwirken. Es ist für zukünftige Generationen zu erhalten. Wir sagen daher j a zu einer finanziellen Förderung, die an den jeweiligen Erfordernissen ausgerichtet ist und die das Ziel einer wirklich dauerhaften Entwicklung fördert. Wir lehnen aber eine generelle Entschädigung nach dem Gießkannenprinzip für den Verzicht auf falsche Nutzungen strikt ab. Zu dieser Erkenntnis ist auch der bayerische Umweltminister gekommen.Meine Damen und Herren, viel kritisiert wurde in der Vergangenheit das Tourismusprotokoll, und zwar zu Recht. Auch die nach der Expertensitzung vom 9. und 10. Mai dieses Jahres in Paris überarbeitete Fassung bringt wohl keine größeren Fortschritte, da nach Auskunft des Wirtschaftsministeriums die deutschen Änderungswünsche nur in geringem Umfang berücksichtigt worden seien. Falls dies zutrifft, stellt sich die Frage, ob es am mangelnden Verhandlungsgeschick der Bundesregierung liegt oder ob sie in Wirklichkeit kein Interesse an der Aufnahme weitergehender Bestimmungen hatte.Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung darf die fehlenden Protokolle nicht als Vorwand für eigene Untätigkeit benützen. Es gäbe genügend Bereiche, in denen die Bundesregierung handeln könnte. Ich nenne nur die Vorlage eines wirksamen Konzeptes zur Begrenzung des Straßenverkehrs, der mit 70 % Kohlendioxidanteil Hauptursache für das Waldsterben ist. Unsere dementsprechenden Anträge haben Sie aber im Umweltausschuß abgelehnt. Eckpunkte eines wirksamen Konzeptes im Verkehrsbereich wären die weitere Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene und die Verkehrsvermeidung.Ich möchte Ihnen — nur schlaglichtartig und als Beispiele — auch noch vier weitere Bereiche nennen, in denen man auf nationaler Ebene zum Schutz der Alpen tätig werden könnte:Erstens: Maßnahmen zur Bergwaldsanierung. Dabei muß besonders dringend die Reduzierung des Schalenwildverbisses erfolgen.Zweitens: Qualitätsverbesserung des bestehenden Angebotes im Hinblick auf umweit- und sozialverträglichen Tourismus.Drittens: Abbau ökologisch bedenklicher und unrentabler Freizeiteinrichtungen.Viertens: Verschärfung der Emissionsgrenzwerte.Für weitere Anträge empfehle ich Ihnen, einen Blick in unseren Alpenantrag vom Jänner 1989, Drucksache 11/3910, zu tun. Leider sind die wenigsten unserer damaligen Forderungen mittlerweile erfüllt.Sehr geehrte Damen und Herren, sowohl im nationalen Bereich als auch bei der Erarbeitung der Proto-
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Horst Kubatschkakolle gilt nun: An ihren Taten, nicht aber an ihren Worten sollt ihr sie erkennen.
Den Worten müssen nun endlich Taten folgen. Ich bedauere es sehr, daß Sie unserem Entschließungsantrag nicht zustimmen werden. Schließlich wird der Bundesregierung damit für die künftigen Verhandlungen der Rücken gestärkt. Anscheinend wollen Sie das nicht. Wir versprechen der Bundesregierung aber trotzdem eine aufmerksame und kritische Analyse der erreichten Ergebnisse.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nunmehr die Abgeordnete Frau Birgit Homburger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Unterschiede hier im Hause sind, so glaube ich, gar nicht so groß, wie das jetzt teilweise wieder erscheinen mag. Aber ich habe ja Verständnis dafür, Herr Kollege Kubatschka, daß Sie das hier so vortragen müssen. Derzeitig ist das im Hinblick auf den Wahlkampf wohl nicht anders machbar.Ich denke, wir stimmen überein, daß der Schutz und der Erhalt der Alpen als Lebensraum nicht nur für den Menschen, sondern insbesondere auch für Pflanzen und Tiere eine vorrangige Aufgabe ist. Um dies vernünftig durchführen zu können, ist es wichtig, daß die Alpenstaaten nach einem einheitlichen Konzept vorgehen. Schutzmaßnahmen dürfen nicht an Grenzen haltmachen.Deswegen hat Bundesumweltminister Töpfer 1991 die erste internationale Alpenkonferenz initiiert, in deren Folge wir jetzt das Gesetz zur Ratifizierung der Alpenkonvention beschließen können. Diese Konvention wurde 1991 von acht Staaten gezeichnet und von Österreich als erstem ratifiziert. Liechtenstein wird demnächst folgen. Wenn wir heute abend dieses Gesetz beschließen und der Bundesrat hoffentlich bald zustimmt, wird die Bundesrepublik Deutschland der vermutlich dritte Staat sein, der die Ratifizierung hinterlegt. Damit kann die Alpenkonvention dann in Kraft treten.
Dies ist aber erst der Anfang. Denn erst durch die Durchführungsprotokolle — auch darin besteht ja Einigkeit — werden konkrete Maßnahmen festgeschrieben. Deshalb drängen wir darauf, daß diese Protokolle schnellstens erarbeitet werden — bei fünf ist das ja bereits weitestgehend geschehen — und möglichst viele der acht in Arbeit befindlichen Protokolle auf der nächsten Alpenkonferenz Ende dieses Jahres beschlossen werden können. Das heißt, wir brauchen den Entschließungsantrag der SPD nicht; das wird sowieso kommen.
Fünf dieser Protokolle befinden sich jetzt in der innerstaatlichen Abstimmung und sollen auf jeden Fall bis zur nächsten Konferenz fertiggestellt sein.In diesen Protokollen müssen die Weichen für eine bestandsfähige und umweltverträgliche Entwicklung gestellt werden. Ich möchte an dieser Stelle alle Staaten — auch die, die nicht ratifiziert haben — dazu aufrufen, die Erstellung der Protokolle nicht zu verzögern. Denn letztendlich bekommen wir alle die Rechnung für zu spätes Handeln serviert.Ich denke dabei z. B. an die Hochwasser Ende letzten Jahres. Durch die immer weitergehende Abholzung der Wälder, insbesondere für Belange des Tourismus und des Sports, ist die Fähigkeit der Böden verringert, Wasser aufzunehmen, das dann in die Täler abfließt.
— Ich glaube, Herr Kollege Weng, daß das beim Schürmann-Bau ein anderes Phänomen war.
Das ist ein Faktor von mehreren, der die Hochwasser begünstigt. Schon jetzt ist eine zunehmende Bergrutsch- und Lawinengefahr zu beobachten, was zum Teil die Evakuierung ganzer Ortschaften nötig machte.Aber auch die Abwanderung der einheimischen Bevölkerung auf Grund der trostlosen wirtschaftlichen Lage der Bergbauern trägt zu dieser Situation bei; denn damit gehen althergebrachte Weide- und Mähmethoden verloren, die verhindern, daß beispielsweise Schneebretter an baumlosen Hängen abrutschen.Insbesondere die Bereiche Tourismus und Sport müssen zukünftig stärker ihren Teil dazu beitragen, die Alpen als wichtigen Naturraum zu erhalten. Auch wenn beide wichtige Einnahmequellen für die Bewohner der Alpenregion darstellen, müssen sie umweltverträglich gestaltet werden. Keinem ist damit gedient, wenn der Naturraum zerstört wird.
Ich glaube, daß auch bei den Touristen mittlerweile die Einsicht gewachsen ist, daß umweltverträglich gestaltete Freizeitangebote und eine gewisse Selbstbeschränkung letztendlich allen mehr nützen.In der Tat ist der Verkehrssektor ein weiterer Problembereich. Die Entscheidung der Schweiz, ab dem Jahre 2004 den Lkw-Transitverkehr auf ihren Straßen zu untersagen, wird in der Schweiz mit Sicherheit zu Emissionsminderungen führen. Sie wird aber auch Impulse auf die Nachbarstaaten geben, da spätestens an der Grenze die Güter von der Straße auf die Schiene verlagert werden müssen. Ich hoffe, daß es in der Konsequenz von vornherein Anstöße für schnellere Verlagerungen der Güter auf den Schienenweg gibt. Ich möchte zum Schluß noch auf den Entschließungsantrag der SPD eingehen. Herr Kollege Kubatschka, wenn Sie sagen, in Ihrem Entschließungsantrag stünden Dinge, im Protokoll aber nicht,
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Birgit Homburgerund dabei die Bereiche Luftreinhaltung, Wasserhaushalt und Abfallwirtschaft nennen, möchte ich nur darauf hinweisen, daß die in Art. 2 Abs. 2 unter Punkt c, e und 1 aufgeführt sind. Folglich ist die Aussage, daß diese Bereiche nicht im Protokoll stünden, überhaupt nicht richtig.Das zweite: Ich hatte vorher bemerkt, es sei selbstverständlich, daß der Umweltausschuß des Bundestages über den Fortgang der Dinge unterrichtet wird. Sie sagen, das sei nicht selbstverständlich. Da kann ich nur sagen: Dann würde man es auch mit einer solchen Entschließung nicht ändern; denn letztendlich hat der Umweltausschuß immer die Möglichkeit, den Bundesumweltminister zu bitten, im Umweltausschuß vorzutragen. Wenn der Umweltminister das verweigert, wäre das politisch wahrscheinlich sehr unklug. Deswegen gehe ich nicht davon aus, daß es eine solche Situation gibt.Eine reine Informationspflicht, wie Sie sie wollen, wird nicht dazu führen, daß durch Ihren Antrag eine Mitgestaltung besser möglich wird, als das sowieso der Fall ist, wenn der Umweltausschuß das haben will.Fazit: Ich denke, wir sollten heute diese Alpenkonvention so verabschieden und sie möglichst schnell durch die Zusatzprotokolle mit Leben erfüllen. Das ist der beste Weg, hier auf Dauer zu Erfolgen zu kommen.Danke.
Sind Sie zum Schluß noch bereit, eine Frage des Abgeordneten Kubatschka zu beantworten, Frau Kollegin Homburger?
Ja.
Bitte schön.
Frau Kollegin, wissen Sie nicht, daß die Erwähnung im Rahmengesetzwerk nicht das Entscheidende ist? Entscheidend dagegen ist, daß es einen Beschluß über die Aufstellung dieser Protokolle geben muß. Stimmen Sie mir zu, daß dieser Beschluß bisher nicht gefaßt wurde?
Herr Kollege, es ist in der Tat richtig, daß allein die Erwähnung in diesem Rahmengesetz nicht das Entscheidende ist, sondern die Ausarbeitung von Zusatzprotokollen. Aber wie auch Sie wissen, sind diese Zusatzprotokolle in Aussicht genommen. Deswegen sind sie im Rahmengesetz auch aufgeführt. Aber Sie können auch nur eines nach dem anderen erarbeiten und nicht alles auf einmal. Deswegen ist es schon richtig, wie es jetzt läuft.
Ich erteile nunmehr dem Parlamentarischen Staatssekretär Ulrich Klinkert das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Leben der Menschen im Alpenraum war schon immer eng mit der Natur verbunden: mit all den Vorzügen der Natur in diesem Raum, aber auch mit ihren Gefahren, die durch Hochwasser, Bergrutsche oder Lawinen bestehen.
Besonders in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts hat der Mensch mit seinen Eingriffen in die Natur dazu beigetragen, daß das Gefährdungspotential erhöht wurde. Immer häufiger traten und treten Bergrutsche auf, führten Schlammströme zu notwendigen Evakuierungen der Bevölkerung. Aber auch die alpine Fauna und Flora ist gefährdet: zum einen durch inneralpine Luftschadstoffe, zum anderen durch importierte Luftschadstoffe, aber auch durch den Massentourismus mit seinen gravierenden Auswirkungen, insbesondere auf sensible Regionen. Überbeanspruchung des Bodens, Flächenversiegelung, die Verkehrserhöhung und der Rückgang des Alpenwaldbestandes sind nur einige der Ergebnisse.Nicht zuletzt deshalb hat Klaus Töpfer 1989 zur Ersten Internationalen Alpenkonferenz der Umweltminister nach Berchtesgaden eingeladen. Dort wurde der Beschluß zur Ausarbeitung eines Übereinkommens zum Schutz der Alpen gefaßt.Herr Kollege Kubatschka, ich glaube, Sie haben das mit der Vorreiterrolle gemeint, die Sie erwähnt haben. Hier ist Klaus Töpfer zu Recht eine Vorreiterrolle zu bescheinigen.
Ich glaube, es bedarf keiner besonderen Aufforderung an ihn, einen hohen Umweltstandard durchzusetzen. Die Bundesregierung legt natürlich — Bezug nehmend auf Ihren Antrag — besonderen Wert auf die fachliche Begleitung des Umweltausschusses. Frau Homburger hat darauf hingewiesen, daß es dem Ausschuß jederzeit freisteht, sich vom Minister im Ausschuß berichten zu lassen.Die Ihnen nun vorliegende Alpenkonvention bekräftigt die Absicht der Alpenländer, den Schutz und den Erhalt der Alpen als einen der größten zusammenhängenden Naturräume Europas auf eine völkerrechtliche Grundlage zu stellen.Die Alpenkonvention — auch das ist bereits erwähnt worden — wird drei Monate nach der Hinterlegung der dritten Ratifikationsurkunde in Kraft treten. Wir sind hier im deutschen Parlament dabei, diese
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20422 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 233. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Juni 1994
Parl. Staatssekretär Ulrich KlinkertRatifikationsurkunde durch unseren Beschluß vorzubereiten und damit das baldige Inkrafttreten der Alpenkonvention zu sichern.Die Alpenkonvention ist, wie wir wissen, eine Rahmenkonvention. Die Verwirklichung ihrer vordringlichen Aufgaben wird über Durchführungsprotokolle geschehen. Das ist vielleicht etwas, was möglicherweise nicht so bekannt ist. Diese Durchführungsprotokolle sind ratifizierungspflichtig. Schon deshalb werden sie natürlich in den nationalen Parlamenten behandelt. Die Aufforderung in Ihrem Antrag, diese Protokolle dann dem Parlament vorzulegen, ist dadurch eine Selbstverständlichkeit geworden.Die Maßnahmen sind sehr breit angelegt. Neben den ökologisch begründeten Maßnahmen zur Luftreinhaltung, zum Wasserhaushalt, zum Boden- und Naturschutz, zum Abfall, zum Verkehr und zur Energie gibt es auch alpenspezifische sozioökonomische Aspekte zu berücksichtigen.
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Die Raumplanung, die Berglandwirtschaft, die Bergwaldwirtschaft und der Tourismus sowie die kulturelle Eigenständigkeit der ansässigen Bevölkerung sind zu berücksichtigen und nach Möglichkeit zu erhalten.
Mit der Ausarbeitung der Protokolle wurde sofort nach Zeichnung der Alpenkonvention auf der Zweiten Internationalen Alpenkonferenz 1991 in Salzburg begonnen. Erstmals, meine sehr verehrten Damen und Herren, wurde ein ganzzeitliches, sektorübergreifendes Konzept unter Beachtung des Vorsorge-, Verursacher- und Kooperationsprinzips zum Schutz einer ganzen Region sowie ihrer nachhaltigen Entwicklung verabschiedet. Ich glaube, daß dieses Konzept beispielgebend für weitere sein könnte, und freue mich, daß wir in diesem Parlament dazu, wie ich den Eindruck habe, durchweg eine einheitliche Meinung entwickeln konnten.Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen zum Schutz der Alpen. Das liegt Ihnen auf Drucksache 12/7268 vor. Der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt auf Drucksache 12/7914, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Weitere Fragen erübrigen sich, da sich das ganze Haus erhoben hat. Damit ist der Gesetzentwurf angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/7940. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? -- Wer stimmt dagegen? — Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ist der Entschließungsantrag abgelehnt.
Meine Damen und Herren, ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes
— Drucksachen 12/6911, 12/7115 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft (9. Ausschuß)
— Drucksache 12/7793 —
Berichterstattung: Abgeordneter Josef Grünbeck
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor.
Die Fraktionen haben mir mitgeteilt, daß die Redner bereit sind, ihre Reden zu Protokoll zu geben. Es handelt sich um die Abgeordneten Erich Fritz, Hermann Bachmaier, Manta Sehn, Dr. Ruth Fuchs, Vera Wollenberger und den Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Heinrich Kolb. Ist das Haus mit diesem Verfahren einverstanden? — Das ist offensichtlich der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung, und zwar über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Anderung des Außenwirtschaftsgesetzes, vorliegend auf den Drucksachen 12/6911, 12/7115, 12/7793. Hierzu liegt der Änderungsantrag, wie schon erwähnt, der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/7901 vor.
Über diesen lasse ich zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltungen des Abgeordneten Krause und des Abgeordneten de With ist dieser Antrag abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf in der Ausschußfassung. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Mit dem gleichen Mehrheitsverhältnis wie in der zweiten Lesung ist der Gesetzentwurf angenommen.
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 17. Juni 1994, 9 Uhr, ein.
Ich bedanke mich bei all denjenigen, die die Geduld gehabt haben, bis zum Schluß hierzubleiben, und wünsche Ihnen noch einen erholsamen Abend, wo auch immer Sie ihn zu verbringen gedenken.
Die Sitzung ist geschlossen.