Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Ich begrüße Sie ganz herzlich und rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Themen der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Familien und Familienpolitik im geeinten Deutschland — Fünfter Familienbericht der Bundesregierung; Bericht zur Schiffssicherheit und zu Gefahrguttransporten auf See.
Das Wort für den einleitenden Bericht hat die Bundesministerin für Familie und Senioren, Hannelore Rönsch.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Mit diesem Fünften Familienbericht können wir als Bundesregierung zum erstenmal einen gesamtdeutschen Familienbericht vorlegen, der von einer unabhängigen Sachverständigenkommission bearbeitet und erarbeitet wurde. Er stellt sehr umfassend die Lebenssituation von Familien in beiden Teilen Deutschlands dar. Unter dem Titel „Familien und Familienpolitik im geeinten Deutschland — Zukunft des Humanvermögens" stellt der Bericht ausführlich die Leistungen der Familien für unsere Gesellschaft insgesamt, für Wirtschaft und Kultur unseres Landes dar.Die Experten stützen sich dabei auf den Begriff des Humanvermögens einer Gesellschaft. Sie machen deutlich, daß Familien Humanvermögen schaffen, indem sie ihre Leistungen in ganz erheblichem Maße in Produktivität, in Mitmenschlichkeit und in die Zukunft der Gesellschaft einbringen, und daß sie damit auch die Zukunft der Gesellschaft absichern.Effizientes Wirtschaften in unserer Gesellschaft wird nicht allein nur durch die hohe berufliche Qualifikation der Arbeitskräfte möglich, sondern auch durch die Fähigkeiten, die in der Familie erlernt werden. Zum Beispiel Arbeitsmotivation, Verantwortungsbereitschaft oder Zuverlässigkeit hängen vor allem von der Zuwendung und der Erziehung in der Familie ab.Der Bericht setzt sich zudem mit der Entwicklung und dem Verständnis des Arbeitsbegriffs in der modernen Industriegesellschaft auseinander. Als Arbeit wurde in unserer Gesellschaft zunehmend die bezahlte außerhäusliche Tätigkeit gesehen. Demgegenüber ist der gesellschaftliche Wert der Arbeit, die in den Familien erbracht wird, nur schwer einschätzbar und in unserer Gesellschaft sehr vernachlässigt worden. Diese Entwicklung ließ außer acht, daß das effiziente Wirtschaften nur auf Grund von Erziehungsleistungen der Familie einerseits und der Bildungs- und Ausbildungssysteme auf der anderen Seite möglich ist. Familien leisten einen erheblichen Beitrag für unsere Gesellschaft. Dies wird in dem Familienbericht ausgesprochen deutlich.Der Familienbericht schreibt fest, daß die häuslich geleistete Arbeit gleichwertig zu sehen ist mit der Erwerbstätigkeit. Die Sachverständigenkommission hat damit die Position der Bundesregierung noch einmal ausdrücklich bestätigt.Besonders eingehend befaßt sich der Bericht mit dem Wandel der Familienstrukturen. Er beschreibt, wie Familien leben wollen, welche Familienformen wir in der Bundesrepublik Deutschland haben, daß diese Familienformen pluraler geworden sind und daß sie sich in den vergangenen Jahrzehnten erheblich geändert haben.Er macht auch deutlich, daß der Stellenwert der Familie in der Gesellschaft ungebrochen ist, daß junge Männer und Frauen zum größten Teil in beiden Teilen Deutschlands Ehe und Familie anstreben. Die allermeisten jungen Männer und Frauen zwischen 18 und 35 Jahren haben durchaus einen Kinderwunsch; sie wollen nicht nur ein Kind, sondern mehrere Kinder. Diese jungen Ehepaare wägen allerdings ganz bewußt zwischen Berufstätigkeit, einem und zwei Kindern ab. Sie beobachten auch sehr genau, welche Wettbewerbsnachteile und welche finanziellen Nachteile sie gegenüber anderen Personengruppen haben.In dem Bericht werden auch sehr eingehend die wirtschaftliche Situation von Familien und die Wohnraumversorgung beschrieben, ebenso die Frage nach Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit. Auch der Themenbereich Familie und Bildung hat einen großen Stellenwert.Schließlich enthält der Bericht Handlungsanweisungen auch für die Politik, wie Familienförderung in der Zukunft weiterentwickelt werden soll. Dazu sind
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Bundesministerin Hannelore Rönschin dem Bericht eine Reihe von Empfehlungen vorgegeben worden. Er spricht von dem weiteren Ausbau des Familienlastenausgleichs zu einem Familienleistungsausgleich. Entstehende Finanzierungsspielräume sollten in der Zukunft zur Stärkung der Familie genutzt werden.Ich denke, daß wir in der Zukunft in der Politik auch die Aufgabe haben, die Verbesserung der steuerlichen Förderung der Familien und die noch stärkere Ausrichtung der Transferleistungen auf das Einkommen und die Kinderzahl, also an dem Bedarf orientiert, vorzunehmen. Die Leistungen müssen in der Zukunft um so größer sein, je niedriger das Einkommen einer Familie und je größer die Kinderzahl ist. Die Anpassung des Familienleistungsausgleichs muß auch in angemessenen Abständen an die jeweilige wirtschaftliche Entwicklung angepaßt werden.Viele Vorschläge der Sachverständigenkommission sprechen die Kompetenzen und die Verantwortungsbereiche der Bundesregierung an; aber selbstverständlich sind auch andere Gremien betroffen. Hier will ich besonders die Kommunen und die Bundesländer ansprechen, daß auch sie verpflichtet werden, eine zukunftsorientierte familiengerechte Politik zu betreiben, z. B. bei den Bildungsangeboten, bei der Bereitstellung von Kinderbetreuungseinrichtungen und auch bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf.Dieser Fünfte Familienbericht, der erste gesamtdeutsche Familienbericht, bestätigt sehr eindrucksvoll weitgehend die Politik der Bundesregierung. Ich denke, daß er eine gute Grundlage für die Politik der nächsten Jahre darstellt.
Als erste Fragestellerin Frau Schätzle.
Frau Ministerin, gibt der Familienbericht Auskunft darüber, welche Bedeutung Ehe und Familie für junge Männer und Frauen haben, und gibt es auch Prozentzahlen über die Häufigkeit der Eheschließungen?
Dieser Familienbericht geht auf die unterschiedliche Situation in den alten Bundesländern und den neuen Bundesländern ein. Er zeigt sehr deutlich, daß zwar in groben Linien die Lebensplanung gleich ist, daß es aber kleine Unterschiede in Prozentzahlen gibt. So ist z. B. in Westdeutschland der Wunsch, zu heiraten und eine Familie zu gründen, von 87 % der jungen Männer und Frauen angegeben worden. In Ostdeutschland sind es 84 %, die Ehe und Familie in ihrer Lebensplanung als sinnvoll ansehen.
Frau Reinhardt.
Frau Ministerin, wie viele Kinder leben eigentlich in vollständigen Familien mit Vater und Mutter und wie viele mit alleinerziehenden Elternteilen?
Nach den Zahlen aus dem Jahre 1991 gab es in den alten Ländern 985 000 Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern; 2 083 000 minderjährige Kinder lebten bei Alleinerziehenden 1992 in Deutschland.
Zweite Frage.
Frau Ministerin, welche gesellschaftliche Bedeutung haben nichteheliche Lebensgemeinschaften im Verhältnis zu den Ehen?
Hier ist im Bericht eine ganz interessante Entwicklung aufgezeichnet. Junge Männer und Frauen leben, bevor sie heiraten, lange in nichtehelichen Lebensgemeinschaften. Wenn dann aber Kinder geplant sind oder das erste Kind geboren ist, dann entschließt man sich zu heiraten.
Die nächsten Fragen stellen zuerst Frau Hanewinckel, Frau Männle und dann Herr Koppelin.
Frau Ministerin, gibt der Familienbericht Auskunft über die wirtschaftliche Situation von Familien? — Wenn das so ist, ist meine Frage:
Lassen wir erst die erste Frage beantworten.
Die Frau Ministerin hat eben genickt.
Ach so, das habe ich nicht gesehen.
Ich habe sie besser im Blick gehabt als Sie, Frau Präsidentin. - Meine Frage ist dann: Wie weist der Familienbericht die Armutssituation von Familien aus? Gibt es da Differenzierungen? Inwieweit sind Familien mit zwei und mehr Kindern betroffen?
Der Familienbericht gibt sehr eindringlich auch Anleitungen für die zukünftigen politischen Entscheidungen. Ich habe vorhin ausgeführt, daß er den Familienlastenausgleich in einen Familienleistungsausgleich überführen will, um noch mehr Gerechtigkeit zwischen Familien und anderen Personengruppen, die z. B. mit Kinderbetreuung nicht betraut sind, herzustellen. Er gibt auch Handlungsanleitungen, wie in Zukunft Familienförderung noch besser ausgestaltet werden kann. Auch die Armutssituation ist behandelt. Darüber hinaus wird die Lage von Alleinerziehenden und Sozialhilfeempfängern angesprochen. Selbstverständlich hat der Familienbericht hier auch für die Zukunft noch weitere Forderungen an die Politik, z. B. daß Einkommensunterschiede noch stärker berücksichtigt werden. Das sind Hinweise, die wir in Zukunft berücksichtigen müssen.
Zweite Frage.
Gibt der Familienbericht Auskunft darüber, wie die Situation von Kindern
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Christel Hanewinckelist? Gibt es dazu ein entsprechendes Extrakapitel? Denn wir hatten hier öfter das Problem, daß wir einen entsprechenden Bericht über Kinder wollten und Sie uns sagten, das werde im Familienbericht der Fall sein. Ist da einmal differenziert, wie — jetzt kann ich nicht sagen: die wirtschaftliche Situation — die Situation von Kindern ist, die von Sozialhilfe leben, welche Auswirkungen es für Kinder hat, wenn sie davon leben, welche psychosozialen Konsequenzen sich daraus ergeben?
Der Familienbericht geht sehr umfänglich auf die Situation von Kindern ein; denn sie sind ja ein ganz wesentlicher Bestandteil von Familie. Der Bericht hat alle Lebensbereiche von Kindern erfaßt. Das fängt, wie ich vorhin schon sagte, bei der Bildung und Ausbildung an. Er betrachtet selbstverständlich auch die finanzielle Situation von Kindern und auch die Auswirkungen auf Kinder, wenn Eltern in schwierigen finanziellen Situationen leben. All das ist im Familienbericht sehr detailliert beschrieben.
Frau Männle.
Frau Ministerin, Sie sind Familienministerin, Sie sind Seniorenministerin. Sie haben vor kurzem einen Altenbericht vorgelegt und legen jetzt einen Familienbericht vor. Gibt es da Verknüpfungen? Vielleicht konkreter gefragt: Ist die Frage der Generationensolidarität in diesem Familienbericht zum Ausdruck gebracht? Gibt es da konkrete Aussagen? Wenn etwas darüber drinsteht: Unterscheidet sich eigentlich die Familiensolidarität in Ost und West?
Herzlichen Dank, Frau Professor Männle, daß Sie darauf hinweisen. Denn auch dieser Familienbericht zeigt sehr deutlich auf, daß man aus einer Familie nie entlassen wird, daß jeder von uns Familie ist, und das ein Leben lang. Er zeigt auch die Verantwortung der Kinder gegenüber ihren Eltern und der Eltern gegenüber ihren Kindern auf. Er macht weiterhin deutlich, daß Solidarität in der Familie eingeübt und praktiziert werden muß.
Allerdings weist er auch den Staat darauf hin, daß er, falls erforderlich, immer unterstützend tätig sein muß. Ich denke hier z. B. an die Absicherung durch die Pflegeversicherung, deren parlamentarische Beratung jetzt Gott sei Dank abgeschlossen ist und die ab 1995 bzw. 1996 greift.
Der Familienbericht macht sehr eindringlich die Leistungen der Familie gegenüber den Kindern deutlich, aber auch die Leistungen von Familien gegenüber der älteren Generation, wenn es um Pflege usw. geht. Er würdigt durchaus auch die Bemühungen der Bundesregierung, z. B. Pflegezeiten in der Rente anzuerkennen.
Zweite Frage?
Darf ich noch nachhaken? — Es ging nicht nur um die finanziellen Wirkungen, sondern auch um das Beziehungsgeflecht des Zusammenlebens, des füreinander Einstehens
— nicht nur in finanzieller Hinsicht —, und auch darum, ob es zwischen der früheren Bundesrepublik und der früheren DDR Unterschiede im Beziehungsgeflecht gibt. Ich weiß nicht, ob das im Familienbericht enthalten ist, aber es wäre für mich eine interessante Frage.
Dadurch, daß in der Bundesrepublik die räumliche Singularisierung sehr stark fortschreitet, konnte in der Vergangenheit der Eindruck entstehen, daß Familienverbindungen in der Form eigentlich gar nicht mehr praktiziert werden. Aber der Familienbericht macht deutlich, daß, obwohl räumliche Trennung vorhanden ist, Beziehungsgeflechte auch innerhalb der Generationen sehr stark ausgeprägt sind.
In der ehemaligen DDR — das zeigt auch der Familienbericht auf — hat man wesentlich früher geheiratet, sich auch von den Eltern räumlich getrennt. Aber Beziehungen zwischen den Generationen haben auch dort stattgefunden. Familie war das Element, wo man sich zurückziehen konnte, wo man außerhalb von staatlichen Geflechten kommunizieren konnte. Das war so eine Insel, eine Oase, die man wahrgenommen hat. Die Verbindungen zwischen den Generationen waren auch in der ehemaligen DDR sehr stark.
Herr Koppelin.
Frau Ministerin, bei Ihren Vorschlägen für die Politik sprachen Sie davon, daß zukünftig die finanziellen Spielräume genutzt werden sollten. Darf ich Sie fragen, wo Sie die finanziellen Spielräume sehen und wie Sie, wenn es sie denn gibt, diese einsetzen wollen?
Dieser Familienbericht hat sehr eindringlich das Humanvermögen der Familien für die Gesellschaft, für Wirtschaft und Kultur dargestellt. Ich glaube, erst in den letzten zwei, drei Jahren ist in der Gesellschaft das Bewußtsein stärker geworden, welche Leistungen Familien für unsere Gesellschaft insgesamt erbringen.Wir sind nicht zuletzt durch das Bundesverfassungsgericht aufgefordert, die Leistungen für Familien durch Kinderfreibetrag und Kindergeld entsprechend den wirtschaftlichen Entwicklungen anzupassen und das Existenzminimum in der Zukunft entsprechend abzusichern. Wir sind jetzt bei einem Kinderfreibetrag von 4 104 DM plus einem Kindergeld von 70 DM, der momentan noch das Existenzminimum absichert. Wir werden aber nicht zuletzt durch das Bundesverfassungsgericht in der Zukunft aufgefordert sein, dieses Existenzminimum jeweils entsprechend anzupassen, ob finanzielle Spielräume nun vorhanden sind oder nicht. Die Familienförderung wird in Zukunft auch weiterhin ausgebaut werden müssen, nicht zuletzt auf Grund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts. Wir sind hier gefordert. Ich würde mir wünschen, daß wir Familien Transferleistungen in Form von Kindergeld, wie ich es eben vorgetragen habe, entsprechend der Familiengröße bzw. der Höhe des Einkommens gewähren können; denn wir müssen
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Bundesministerin Hannelore RönschFamilien unterstützen. Sie sind die Grundlage unserer Gesellschaft.Wirtschaftliche Spielräume entstehen auch dann, wenn bei Familien das, was sie für die Gesellschaft insgesamt einbringen, einmal richtig bewertet wird. Denn würden Familien heute ihre Arbeit einstellen, die sie gesamtgesellschaftlich leisten, dann wäre es um die Wirtschaftskraft der Bundesrepublik Deutschland sicher sehr schlecht bestellt. Ich denke schon, daß uns die Politik dieser Bundesregierung gedanklich erlaubt, für die zukünftigen Jahre gerade für Familien weitere finanzielle Unterstützung festzuschreiben.
Zusatzfrage, Herr Koppelin.
Aus Ihrer Antwort entnehme ich, daß Sie sich als Ministerin von Ihrer früheren Vorstellung, daß Ehepaare, die keine Kinder haben, steuerlich stärker belastet werden sollten, verabschiedet haben.
Nein, Herr Kollege, ich habe mich von dieser Vorstellung nicht verabschiedet. Ich bin sicher, daß wir mittel- und langfristig in unserer Gesellschaft auch darüber nachdenken müssen, wie die Finanzierung der Familienleistungen auch für die Zukunft gewährleistet ist.
Familien erbringen ihren Zukunftsbeitrag, indem sie Kinder großziehen, und sie haben dadurch auch ganz erhebliche finanzielle Belastungen.
Ich bin sicher, daß wir in den zukünftigen Jahren darüber nachdenken müssen, wie Männer und Frauen. die diesen Zukunftsbeitrag nicht durch Kindererziehung erbringen können, ihre eigene Zukunft absichern. Es reicht nicht, wenn man heute in die Rentenkasse einzahlt; denn es müssen auch später Kinder dasein, die diese Rente erarbeiten. Ich denke, es ist sehr legitim, für die zukünftigen Jahre darüber nachzudenken, wie jeder seine eigene Zukunft absichert.
Herr Küster, bitte.
Frau Ministerin, wir beobachten im Osten Deutschlands dramatische soziale Veränderungen und dramatische wirtschaftliche Veränderungen. Eines der Phänomene, die es dabei gibt, ist ein starker Geburtenrückgang. Welche Ursachen haben Sie in der Analyse herausgefunden, und welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus diesem Wandel?
Frau Ministerin, bitte.
Herr Kollege, der sehr bedauerliche Geburtenrückgang in den neuen Bundesländern hat unterschiedliche Ursachen. Zum einen wird, wenn wirtschaftliche und soziale Umbrüche in einer Gesellschaft stattfinden, wenn man sich z. B. über seinen
Arbeitsplatz Gedanken machen muß, der Wunsch nach Kindern natürlich zurückgestellt und später realisiert.
Zum anderen hat er auch die Ursache, daß junge Männer und Frauen, junge Paare und Ehepaare 1989 vor und nach Öffnung der Mauer in großer Anzahl die damalige DDR bzw. die neuen Bundesländer verlassen haben und in die alte Bundesrepublik gekommen sind.
Zum dritten haben wir jetzt sehr geburtenschwache Elternjahrgänge, und das wirkt sich selbstverständlich auch auf die Geburtenhäufigkeit aus.
In der ehemaligen DDR — das zeigt der Familienbericht, der ja von Wissenschaftlern und Sachverständigen aus beiden Teilen Deutschlands erarbeitet wurde, sehr eindringlich — wurde Familienpolitik als Bevölkerungspolitik betrieben. Es wurde ein sehr starker wirtschaftlicher Anreiz geboten, Kinder zu bekommen, z. B. mit Familiengeld, z. B. mit Vollversorgung mit Kinderkrippen- und Kindergartenplätzen, mit der Betreuung der Kinder rundum, mit der bevorzugten Vergabe von Wohnungen an junge Paare, die zu heiraten beabsichtigten, bzw. an junge Ehepaare, die die Ehe geschlossen hatten. Dies alles waren Instrumente, um den Kinderwunsch zu fördern, um Bevölkerungspolitik zu machen.
In der Bundesrepublik Deutschland wollen wir ja nun keine Bevölkerungspolitik machen, sondern wir wollen, daß junge Paare, junge Ehepaare den vorhandenen Kinderwunsch realisieren können.
In einer Untersuchung ist z. B. deutlich geworden, daß junge Männer und Frauen sich in ihrer Lebensplanung mehrheitlich zwei und mehr Kinder wünschen, daß aber nur ein Viertel der Paare dies auch realisiert haben. Das muß einen natürlich nachdenklich stimmen.
Ich denke, daß die wirtschaftliche und finanzielle Förderung von Familien in der Zukunft noch stärker sein muß, um Wettbewerbsnachteile gegenüber anderen Personengruppen auszugleichen. Aber eine Bevölkerungspolitik, wie die ehemalige DDR sie ganz bewußt vorgenommen hat, wollen wir ja in der Bundesrepublik Deutschland nicht betreiben.
Eine Zusatzfrage?
Darf ich feststellen, daß es sich dann wohl zu Teilen um wirtschaftliche Zwänge handelt, die den Kinderwunsch für eine Zeit zurückdrängen, und daß unter Umständen dabei auch Wohnungsprobleme eine Rolle spielen? Ist das in diese Analyse mit aufgenommen worden?
Ich hatte mehrere Faktoren angesprochen, die Ursache dafür sind, warum der vorhandene Kinderwunsch nicht realisiert wird. Er wird vielleicht zurückgestellt, weil man arbeitslos geworden ist, weil man in einer neuen beruflichen Orientierungsphase ist, einen neuen Beruf ergriffen oder einen neuen Arbeitsplatz hat. All dies sind Situationen, die den Kinderwunsch ein wenig nach hinten schieben.
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Bundesministerin Hannelore RönschSelbstverständlich kann auch die Wohnsituation eine Rolle spielen. Sie hat allerdings in den vergangenen Jahrzehnten in der DDR nie eine Rolle gespielt, obwohl die Wohnungsversorgung wesentlich schlechter gewesen ist.
— Sicher, es spielt alles eine Rolle.Es spielen die veränderten Lebensverhältnisse und die wirtschaftlichen, aber auch die persönlichen Zukunftssorgen, die man hat, eine Rolle. Dies ist z. B. dann der Fall, wenn man sich um einen Arbeitsplatz sorgen muß, wenn man sich Gedanken darüber macht, daß man eine andere, eine größere, eine besser ausgestattete Wohnung sucht oder daß man Eigentum bilden will. Selbstverständlich spielt dies alles eine Rolle. Es ist auch sehr deutlich geworden, daß man z. B. wegen Anschaffungen, wenn man sich ein Auto oder eine Fernreise leisten will, den Kinderwunsch aufschiebt.
Frau Diemers.
Frau Ministerin, behandelt der Fünfte Familienbericht auch die familienfreundliche Arbeitswelt, bzw. gibt er Empfehlungen zur Vereinbarkeit von außerhäuslicher Erwerbstätigkeit und Familientätigkeit?
Frau Ministerin.
Ein sehr breites Feld in diesem Familienbericht nimmt die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit, von Familie und Beruf ein. Er fordert alle Bereiche der Gesellschaft auf, hier wesentlich intensiver und flexibler zu reagieren.
Die Bundesregierung hat seit 1986 mit Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub, mit der Freistellung bei Krankheit der Kinder von der Arbeit und auch mit der Anerkennung der Erziehungszeiten in der Rente Instrumente geschaffen, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für junge Mütter und — mir kommt es ganz wesentlich auch darauf an — für junge Väter möglich zu machen.
Der Familienbericht enthält gerade zu Familie und Erwerbstätigkeit, aber auch zu Familie und Bildung sowie Ausbildung Handlungsanleitungen, allerdings nicht nur für die Bundesregierung, sondern auch für die Länder und Kommunen. Denn Vereinbarkeit von Familie und Beruf heißt auch, daß man Möglichkeiten der Kinderbetreuung finden muß. Das ist eine ganz eindeutige Aufgabe der Kommunen. Wir haben in diesem Hause schon lange genug darüber diskutiert, daß die Kommunen diesem Rechtsanspruch gerecht werden sollen.
Es sind aber auch Aufträge an die Wirtschaft, z. B. was die Flexibilisierung der Arbeitszeiten angeht. Interessant ist ebenfalls, daß sich über 30 % der Männer und Frauen in jungen Familien Teilzeitarbeit wünschen und die Wirtschaft, aber auch die Gewerkschaften hier offensichtlich noch nicht flexibel genug reagieren. Ich würde mir wünschen, sie würden sich hier z. B. am öffentlichen Dienst ein Beispiel nehmen,
der gerade, was Teilzeitarbeit betrifft, eine Vorbildfunktion hat.
Frau Lange.
Frau Ministerin Rönsch, Sie haben die Maßnahmen der Bundesregierung erwähnt, um den Bereich Vereinbarkeit von Familie und Beruf besser anzugehen. Haben Sie aus dem Familienbericht die Erkenntnis gewonnen, daß mit der Einrichtung von Erziehungsurlaub und Erziehungsgeld die Aufgabe der Bundesregierung erfüllt ist und nur noch in den anderen Bereichen etwas zu tun wäre?
Nein, unter gar keinen Umständen. Ich habe auch nur einige Punkte, die die Bundesregierung zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf ergriffen hat, angesprochen. Ich habe z. B. auch die Freistellung von der Arbeit bei Krankheit der Kinder angesprochen. Sie wissen, daß Mutter und Vater einen Anspruch von je zehn Tagen pro Kind haben. Das, glaube ich, ist eine gute Möglichkeit, Familie und Beruf tatsächlich zu vereinbaren, weil man als Mutter oder Vater keine Sorge um die kranken Kinder haben muß.Ich habe vor zwei Jahren in meinem Ministerium eine Arbeitsgruppe „Vereinbarkeit von Familie und Beruf" eingerichtet, die sich sehr intensiv gerade mit diesem Thema befaßt. In dieser Arbeitsgruppe sind die Tarifparteien, also die Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände, und die Industrie- und Handelskammern, die Handwerkskammern, Berufsorganisationen, die Bundesanstalt für Arbeit sowie mein Ministerium vertreten. Wir haben auch sehr umfangreiche Handlungsanleitungen für die Flexibilisierung von Arbeitszeiten — was nicht nur Teilzeitarbeit oder Job-sharing bedeuten muß, sondern was auch wesentlich weiter gehen kann — ausgearbeitet, die bei uns im Ministerium abgefragt werden können und die sich auch einer sehr regen Nachfrage erfreuen.Zum anderen haben wir an vier Standorten bei Industrie- und Handelskammern und bei Handwerkskammern Modelle eingerichtet, in denen Unternehmen gerade aus dem mittelständischen Bereich abfragen können, welche besseren Möglichkeiten der Vereinbarkeit von Familie und Beruf man anbieten kann. Flexibilisierung der Arbeitszeit — das geht bis hin zur Kinderbetreuung, die bei den Betrieben angesiedelt ist, oder bis hin zur Kinderbetreuung z. B. durch Einrichtung eines Pools von Kindergartenplätzen, indem Betriebe Optionen für die Belegung von Kindergartenplätzen kaufen und diese Plätze für die Kinder ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Verfügung stellen.Wir arbeiten hier sehr intensiv. Wir haben im Rahmen eines Ideenwettbewerbs aus dem ganzen Bundesgebiet eine große Anzahl von Ausschreibungen und Zuschriften erhalten, und wir haben einen Wettbewerb durchgeführt für Firmen mit bis zu 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, für Firmen mit 50 bis 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und für Firmen mit mehr als 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Es ist ganz erstaunlich, wie weit viele Firmen
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Bundesministerin Hannelore Rönschmit dem Gedanken der Vereinbarkeit von Familie und Beruf schon sind. Viele andere Firmen meinen aber immer noch, daß sich das für sie nicht rechne. Daß es für Firmen auch ökonomisch interessant ist, gut motivierte, kreative Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu haben, die von Familiensorgen frei sind, zeigen auch unsere Handlungsanleitungen auf.
Eine Zusatzfrage.
Sie haben eben wieder sehr viel über die Aktivitäten berichtet, die außerhalb der Bundesregierung entwickelt werden. Mich interessieren heute aber mehr die Aktivitäten der Bundesregierung.
Auch Sie wissen, daß die Inanspruchnahme von verkürzter Arbeitszeit nicht nur eine Frage der organisatorischen Möglichkeiten, sondern auch eine Frage der finanziellen Ergebnisse, d. h. auch der sozialen Auswirkungen bei Krankheit und Alter, ist. Welche Vorstellungen hat die Bundesregierung also hinsichtlich der Systeme der sozialen Sicherung bezüglich derjenigen, die nicht eine 38,5-StundenArbeitswoche haben, damit diejenigen auch von dieser Seite her die bestehenden Angebote in Anspruch nehmen können?
Ich habe eben natürlich nur die Initiativen der Bundesregierung angesprochen. Allerdings ist es so, daß die Bundesregierung auf vielen Feldern nur Anleitungen und Anregungen geben kann. Wir können keine Gesetze machen z. B. dahin gehend, daß die Wirtschaft verpflichtet wird, die Arbeitszeit zu flexibilisieren oder soundso viele Teilzeitjobs zu schaffen.
Mir würde es schon genügen, wenn sich auch die Gewerkschaften dem Gedanken der Teilzeitarbeit sehr intensiv zuwenden würden. Ich habe vorhin ja dargelegt, daß mehr als 30 % der jungen Männer und Frauen gern teilzeitarbeiten würden, und zwar wohl wissend, daß ihre Altersversorgung natürlich immer lohnbezogen sein wird. Ich denke, daß die Bundesregierung nicht die Absicht hat, auf absehbare Zeit hieran irgend etwas zu ändern.
Wir haben allerdings mit der Anerkennung der Erziehungszeiten bei der Rente, die 1986 mit der Anerkennung eines Jahres eingeführt und inzwischen mit der Anerkennung von drei Jahren ausgebaut worden ist, den richtigen Weg beschritten. Ich wünschte mir auch — daran werden wir für die Zukunft arbeiten —, daß z. B. ab dem dritten Kind den Frauen bzw. den Männern — je nachdem, wer von beiden jeweils die Erziehung wahrgenommen hat — eine zusätzliche Zeitspanne anerkannt würde. Ich stelle mir vor, daß man ab dem dritten Kind die Anerkennung von fünf Jahren als Kindererziehungszeiten vorsehen sollte.
Danke. — Ich schließe diesen Fragenkomplex hiermit ab.
Zum zweiten Punkt hat sich Herr Abgeordneter Dietmar Schütz zu Wort gemeldet.
Ich denke, Herr Staatssekretär Carstens wird antworten.
Herr Staatssekretär, sind die Vorschriften der Gefahrstoffverordnung und für Gefahrguttransporte an Land mit denen des IMO-Codes verknüpft, so daß an Hand einheitlicher Daten Gefahrstofftransporte zu Wasser und zu Land durchgehend verfolgt werden können? Ist es gewährleistet, daß man, wenn solche Unfälle durch das Überbordgehen der Ladung oder durch Untergang des Schiffes passieren, immer noch weiß, was die Container enthalten, und man diese Container wiederfindet?
Wir verlängern die Befragung der Bundesregierung um fünf Minuten. Gibt es noch freie Fragen? Hier sind keine angemeldet.
Wer antwortet auf die gestellte Frage? — Herr Staatssekretär Carstens.
Herr Kollege Schütz, Sie wissen ja, daß sich die Bundesregierung heute mit dieser so wichtigen Frage umfassend befaßt hat und daß die Reinhaltung der Meere auch während unserer Präsidentschaft innerhalb der EU im nächsten halben Jahr ein wichtiges Thema sein soll. Im Zusammenhang mit Ihrer Frage darf ich Sie darauf hinweisen, daß es eine UNO-Stoffliste gibt, die eine Aufzählung von Gefahrgütern beinhaltet. Diese gilt für alle Verkehrsträger, also zu Lande, zu Wasser und in der Luft.
Zusatzfrage.
Halten Sie denn den IMO-
Code jetzt für ausreichend? Ist er insbesondere auch international so verbindlich, daß wir uns immer darauf berufen können? Und halten Sie die Rechtssätze, die den IMO-Code bestimmen, für ausreichend? Wer legt das fest? Ich denke, daß die Einflußnahme der Regierungen nicht ausreicht.
Wir können mit dem, was die IMO in ihren Richtlinien vorsieht, durchaus einverstanden sein. Wir haben ja auch sehr daran mitgewirkt, daß solche Richtlinien zustande gekommen sind. In diesem Zusammenhang ist aber entscheidend, daß das, was die IMO in ihren Richtlinien stehen hat, ganz allgemein bei der EU rechtsverbindlich wird.
Das muß dann in nationales Recht umgesetzt werden.
Ich darf von Ihnen keine Fragen mehr zulassen. — Herr Koppelin.
Herr Staatssekretär, hat sich die Bundesregierung auch damit beschäftigt, welche Gefahren von Ölplattformen ausgehen? Ich will dieses Problem an Hand der norwegischen Ölplattform West-Gamma deutlich machen, die abtrieb und sich plötzlich auf deutschem Gebiet
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Jürgen Koppelinbefand. Die Bergungskosten haben damals fast 30 Millionen DM betragen. Von diesen Plattformen gehen, so meine ich, erhebliche Gefahren auch für die Seeschiffahrt aus. Hat auch dieses Thema Berücksichtigung gefunden?
Ganz allgemein gesprochen, Herr Abgeordneter, bemühen wir uns — wir haben auch eine entsprechende Initiative ergriffen —, daß es zu Regelungen kommt, die festlegen, wie solche Wracks beseitigt werden. Es ist sehr schwierig, auf internationaler Ebene hierfür eine breite Unterstützung zu bekommen.
Sie haben aber einen bestimmten Fall im Bereich der Nordsee angesprochen: Wir haben über den Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages gerade die Mittel zur Verfügung gestellt, um dieses Wrack so weit abzubauen, daß es für die Seeschiffahrt ungefährlich ist.
Zusatzfrage.
Da Sie das angesprochen haben, frage ich Sie, Herr Staatssekretär — ich will Ihnen die Antwort etwas erleichtern —: Teilen Sie meine Auffassung, daß es nicht angehen kann, daß diese Anhebung des norwegischen Wracks — die Reederei ist in Konkurs gegangen, die Versicherung ist nicht bereit zu zahlen — plötzlich vom deutschen Steuerzahler gezahlt werden muß?
Ja, aber wir halten natürlich auch noch nach Wegen Ausschau, um die eben genannten Norweger zur Kasse bitten zu können.
Herr Richter.
Herr Staatssekretär, bei allen Fragen der Schiffssicherheit gilt ja, daß nationale Regelungen — so schön sie auch sein mögen — nur die Hälfte wert sind, wenn auf internationaler Ebene keine einheitliche Vorgehensweise erreicht wird. Das gilt insbesondere, wenn man sich auf der Landkarte unsere Küstenlinie und die unserer Nachbarn anschaut. Welche Möglichkeiten sehen Sie in der nicht allzu fernen Zukunft, gerade auf internationaler Ebene zu einem einheitlichen Vorgehen zu kommen und insofern Fortschritte zu erzielen?
Es ist in der Tat richtig, daß wir sagen können: Wir haben bei der Verkehrssicherheit ganz allgemein einen Standard erreicht, der in Europa und in der ganzen Welt seinesgleichen sucht. Insofern kommt es nun darauf an, all die Dinge, die wir ja auch im Kabinett angesprochen haben, möglichst breit angelegt umzusetzen.
Da gibt es einmal die IMO, jetzt vor allem aber auch für weitere Initiativen die Europäische Union. Dann ist unsere Präsidentschaft mit der nachfolgenden französischen Präsidentschaft bestens geeignet, all diese Themen zu Schwerpunktthemen zu machen, damit wir sie zunächst in ganz Europa und dann auch
darüber hinaus, über die EU, international durchsetzen.
Letzte Frage, Herr Börnsen.
Herr Staatssekretär, nicht nur an der Küste, sondern auch im Binnenland machen Schiffsunglücke, Tankerunglücke insbesondere, die Menschen ausgesprochen besorgt. Welche Konsequenzen hat eigentlich die Bundesregierung aus der Gesamtheit der Tankerunfälle der letzten Jahre gezogen? Welche wirksamen Maßnahmen soll es jetzt zum Schutz unserer Küste geben?
Frau Präsidentin, nun hätte ich die Gelegenheit, den vorgesehenen Bericht des Ministers hier zur Gänze vorzutragen.
Nein.
Das würde sicherlich zu weit führen. Wie ich weiß, hat es dazu auch schon eine Pressekonferenz gegeben.
Wir nehmen diese Gesamtproblematik außerordentlich ernst. Der Bundeskanzler hat ja von sich aus dafür gesorgt, daß dies im Kabinett erneut zur Sprache kommt, und hat dieses Thema bei dem französischdeutschen Gipfel mit Präsident Mitterrand zu einem Schwerpunktthema gemacht.
Der Sicherheitsstandard bei uns ist schon ausgesprochen hoch. Die EU, die Nordseeanrainer insgesamt ziehen auf vorzügliche Weise mit. Wenn man das Gesamtpaket dessen, was zum Teil schon umgesetzt ist und sich zum Teil in der Umsetzung befindet, wertet und gewichtet, so kann man wirklich sagen, daß die Politik, die Bundesregierung, die EU wirklich alles tun, was man überhaupt nur vernünftigerweise tun kann, um die Sicherheit der Meere und der Natur im bestmöglichen Sinne zu gewährleisten. Das ist in dem Bericht zur Sprache gekommen. Für die Veröffentlichung werden wir sorgen, so daß ich annehme, die Frage hiermit entsprechend beantwortet zu haben.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich möchte Sie damit aber doch nicht aus der Verpflichtung zu antworten entlassen. Hat man sich nicht auch über eine einheitliche Küstenwache unterhalten? Das ist doch eine Maßnahme, die notwendig ist, um angesichts der Vielzahl von Kompetenzen an der Küste eine zentrale Überwachung zu gewährleisten, die dann eine weitreichende Sicherheit für alle bringt.
Herr Abgeordneter, wenn ich geahnt hätte, daß Sie die Küstenwache so speziell angesprochen sehen wollten, dann wäre ich auf dieses Thema auch spezieller eingegangen.
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Parl. Staatssekretär Manfred CarstensIn der Tat ist es so, daß der Bund hierzu auf der Bundesebene etwas gemacht hat, was kaum konstruktiver und flexibler angelegt sein konnte, und zwar haben wir vom 1. Juli 1994 an — zu diesem Zeitpunkt wird das wirksam — unter dem Stichwort Küstenwache alle Initiativen zusammengefaßt, die es auf der Bundesseite gibt. Da wird koordiniert. Da wird zusammengearbeitet. Da wird abgestimmt. Da ist also auch der Ernstfall entsprechend vorbereitet. Dies ist seitens des Bundes sozusagen vorab, ad hoc entwikkelt worden. Es ist so angelegt, daß auch die Bundesländer, wenn sie denn wollen, dieser Küstenwache sehr bald beitreten können, so daß wir in Deutschland bald eine Küstenwache haben können, von der man sagen kann: Sie ist einmalig im Vergleich zu allem, was es sonst in Europa und in der Welt gibt. Das wird dann möglicherweise auch ein Hinweis an andere Länder sein, wie sie sich im Hinblick auf den Schutz der Meere verhalten können.
Danke schön. —Damit schließe ich die Befragung der Bundesregierung und danke den Mitgliedern der Bundesregierung.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde
— Drucksache 12/7821 —
Ich beginne mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft. Die Beantwortung nimmt der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Reinhard Göhner vor.
Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Norbert Gansel auf:
Welche Lockerungen hat die Bundesregierung aus welchen Gründen mit einem Schreiben an den Bund der Deutschen Industrie in der Rüstungsexportkontrolle vorgenommen?
Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Gansel, das von Ihnen angesprochene Schreiben an den BDI bezieht sich auf bestimmte verfahrensmäßige Modifizierungen bei der Prüfung von Anträgen zur Ausfuhr wehrtechnischer Güter, die im Rahmen privater Kooperationen oder in Ausführung von Zulieferverträgen an Unternehmen in andere NATO- und OECD-Staaten exportiert werden sollen. Eine Änderung der deutschen Rüstungsexportpolitik im materiellen Sinne ist damit nicht verbunden. Die rüstungsexportpolitischen Grundsätze von 1982 bleiben unverändert gültig.
Die vorgesehenen Modifizierungen sollen der Kooperationsfähigkeit deutscher Unternehmen im wehrtechnischen Bereich Rechnung tragen. Die Prüfung, ob Lieferungen deutscher Komponenten an Partnerunternehmen in anderen NATO-Ländern genehmigt werden können, kann nunmehr in begründeten Fällen zu Beginn einer solchen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit geklärt werden. Bei Vorliegen bestimmter Kriterien besteht eine — im Einzelfall allerdings widerlegbare — Vermutung, wonach von der Genehmigungsfähigkeit solcher Zulieferungen ausgegangen werden kann.
Herr Gansel.
Warum hat die Bundesregierung dieses Schreiben nicht veröffentlicht oder es Parlamentariern auf Anfrage nicht zur Verfügung gestellt?
Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Gansel, der Wirtschaftsausschuß ist von dieser Entscheidung schriftlich, umfassend, mit allen Details unterrichtet worden.
Zusatzfrage.
Ich frage noch einmal: Warum erhält ein Bundestagsabgeordneter, Mitglied des Auswärtigen Ausschusses und des Verteidigungsausschusses auf Anfrage im Bundeswirtschaftsministerium nicht diese Unterlage? Warum wird Geheimniskrämerei um einen Bereich getrieben, in dem die Bundesregierung selber größere Öffentlichkeit angekündigt hat?
Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Ich wiederhole es: Von Geheimniskrämerei kann überhaupt keine Rede sein. Der Wirtschaftsausschuß ist offiziell durch das Bundesministerium für Wirtschaft im Detail informiert und in Kenntnis gesetzt worden.
Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär.
Ich komme zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung. Die Frage 22 der Abgeordneten Anneliese Augustin wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich komme zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Frauen und Jugend. Die Frage 2 des Abgeordneten Gerd Wartenberg wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr auf. Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Norbert Gansel auf:
Wie bewertet die Bundesregierung ihre Erfahrungen bei der Vergabe der Stahlbaufertigung an ausländische Subunternehmer beim Bau der zweiten Hochbrücke über den Nord-OstseeKanal bei Kiel, und wann ist mit der Fertigstellung der Hochbrücke zu rechnen?
Die Beantwortung erfolgt durch den Parlamentarischen Staatssekretär Manfred Carstens.
Der Auftragnehmer für die Straßenhochbrücke in Kiel-Holtenau ist ein deutsches Bauunternehmen, das als zuverlässig und leistungsfähig bekannt ist. Das Risiko des Einsatzes von Subunternehmern liegt allein beim Hauptunternehmer. Hinsichtlich des Fertigstellungstermins der Hochbrücke verweise ich auf meine Antwort auf Ihre schriftliche Frage Nr. 349 vom März dieses Jahres.
Herr Gansel.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1994 20191
Trifft es zu, Herr Kollege, daß, nachdem das Bundesverkehrsministerium für die Stahlbauarbeiten der Hochbrücke ein ortsansässiges Unternehmen nicht herangezogen hat, sondern über Subunternehmer Stahlbauteile aus Südafrika zur Baustelle transportiert werden sollten, die dann beschädigt in Kiel angekommen sind, in Belgien repariert werden sollten, bei einer Firma, die jetzt in Konkurs gegangen ist bzw. die in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten ist, die Anlieferung von Stahlbauteilen für eine Hochbrücke um die halbe Welt herum zu erheblichen Verzögerungen und Verteuerungen beim Projekt geführt hat?
Herr Staatssekretär Carstens.
Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär: Die in Ihrer Frage aufgestellten Behauptungen treffen weitgehend zu, auch was die Verzögerung angeht; was eine Verteuerung für den Bund angeht, jedoch nicht. Denn falls es zu Verteuerungen gekommen sein sollte, die man vermuten darf, gehen diese zu Lasten des Auftragnehmers und nicht zu Lasten des Bundes.
Herr Kollege, können Sie mir noch einmal eine zuverlässige Auskunft über die Fertigstellung der Brücke geben? Ich frage das, weil nach der Beantwortung meiner letzten Anfrage das Subunternehmen, das in Belgien die aus Südafrika beschädigt herantransportierten Stahlbauteile für die Holtenauer Hochbrücke fertigstellen sollte, dazu offenbar nicht mehr in der Lage ist und nun ein weiteres Unternehmen mit Reparatur und Anfertigung von Stahlbauteilen beschäftigt werden soll. Können Sie mir vor diesem Hintergrund noch einmal bestätigen, wann der Termin zur Fertigstellung ist? Denn Ihrer Erklärung, daß sich nichts daran geändert habe, vermag ich nicht zu folgen, nachdem es inzwischen weitere Schwierigkeiten gegeben hat.
Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär: Es hat Verzögerungen gegeben — das habe ich zum Ausdruck gebracht —, wobei diese Verzögerungen damit zusammenhängen, daß wir seitens der Dienststellen des Bundes nicht bereit gewesen sind, an den unzulänglichen Brückenteilen Reparaturen vornehmen zu lassen. Wir haben also darauf bestanden, die Qualität, die vereinbart war, auch zu erhalten.
Auf Grund dieses Tatbestandes ist es zu einer gewissen Verzögerung gekommen. Die Daten, die ich Ihnen in meinem Brief schriftlich mitgeteilt habe, gelten aus der Sicht von heute weiterhin, d. h. die erste Teilfertigstellung wird wohl im März 1996 und die endgültige Fertigstellung im August 1996 sein.
Zu diesem Komplex hat Herr Koppelin eine Frage.
Herr Staatssekretär, der Kollege Gansel hatte in seiner Frage nach den Erfahrungen der Bundesregierung bei der Vergabe gefragt. Darf ich da nachhaken und Sie bitten, uns deutlich zu machen, wie die Erfahrungen denn nun aus Ihrer Sicht sind — ich glaube, das ist noch nicht klargeworden —
und ob sich bei der Vergabe solcher Projekte zukünftig eventuell etwas ändern wird. Ich glaube, das Ganze ist doch zumindest skandalträchtig.
Herr Staatssekretär.
Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär: Skandalträchtig ist es aus meiner Sicht nicht. Es ist eher für den Auftragnehmer eine unangenehme Entwicklung, die dieser Vorgang nimmt. Er hatte doch erheblich mit Unzulänglichkeiten zu tun, die sich bei seinem Subunternehmer ergeben haben. Das kann aber aus der Sicht des Bundes keine Veranlassung geben, in diesem Einzelfall — bezogen auf die Fragestellung des Kollegen Gansel — ganz allgemein von Erfahrungen zu reden; denn es gibt ganz unterschiedliche Erfahrungen. Es wird sicherlich gut sein, wenn wir uns auch in Zukunft daran halten, daß wir es angesehenen deutschen Auftragnehmern überlassen, ob sie den Auftrag in Eigenregie ganz machen oder teilweise vergeben und an wen sie Unteraufträge vergeben. Wichtig ist doch für uns, daß die Qualität, die vereinbart ist, auch eingehalten wird und daß es nicht zu Mehrkosten kommt. Das ist in diesem Fall gesichert.
Gibt es noch weitere Fragen? — Das ist nicht der Fall. Danke schön, Herr Staatssekretär.Ich komme zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Forschung und Technologie. Die Frage 4 des Abgeordneten Horst Kubatschka wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Ich komme zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft. Auch dort wird die Frage des Abgeordneten Horst Kubatschka, die Frage 5, schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Ich komme zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Die Fragen 8 und 9 der Abgeordneten Gudrun Weyel werden zurückgezogen. Die Frage 10 der Abgeordneten Susanne Kastner wird ebenso wie die von ihr gestellte Frage 11 schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Ich komme zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie und Senioren. Die Fragen 15 und 16 der Abgeordneten Lisa Seuster werden schriftlich beantwortet, ebenso die Fragen 17 und 18 des Abgeordneten Gunnar Uldall. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Ich komme zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Die Fragen 19 und 20 der Abgeordneten Uta Würfel werden schriftlich beantwortet, die Frage 21 der Abgeordneten Anneliese Augustin ebenfalls. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Ich komme zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Die Beantwortung erfolgt durch den Parlamentarischen Staatssekretär Ulrich Klinkert. Die Frage 23 von unserem Abgeordneten Klaus Harries wird
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20192 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1994
Präsidentin Dr. Rita Süssmuthschriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Ich komme zur Frage 24 der Abgeordneten Ulrike Mehl:Hat die Bundesregierung die in der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit vom 18. Mai 1994 genannten Tropenholzarten Khaya, Entandophragma, Ramin und Merbau fristgerecht beim CITES-Sekretariat zur Aufnahme in die Anhänge des Washingtoner Artenschutzübereinkommens gemeldet, und wenn nicht, welche fachlichen oder verfahrenstechnischen Gründe sind dafür zu nennen?Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin Mehl, die Bundesregierung hat fristgerecht für die in der Beschlußempfehlung des Umweltausschusses des Deutschen Bundestages aufgeführten Tropenholzgattungen Khaya spp. und Entandrophragma spp. die Aufnahme in Anhang II des Übereinkommens beim CITES-Sekretariat beantragt. Anträge für Ramin und Merbau wurden nicht gestellt. Die Bundesregierung hat von einer Antragstellung bei Ramin abgesehen, weil dieser Antrag angesichts der ablehnenden Haltung der hauptbetroffenen Ursprungsländer, insbesondere Malaysias, wenig Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Aus demselben Grund haben auch die Niederlande auf eine Antragstellung verzichtet. Bei Merbau ist nach Auffassung der Bundesregierung auf Grund der vorliegenden wissenschaftlichen Daten zur Gefährdungssituation eine Unterschutzstellung derzeit nicht gerechtfertigt.
Frau Mehl.
Sie wissen, Herr Staatssekretär, daß wir uns im Umweltausschuß bereits vor über einem Jahr darüber einig waren, daß auch Ramin zu den Hölzern gehört, die eigentlich in den WA-Anhang II gehören. Wir haben im Umweltausschuß dazu einen einmütigen Beschluß gefaßt. Meines Wissens war man sich auch bei der Ressortabstimmung ursprünglich darüber einig, daß dies beantragt werden soll. Ich möchte Sie noch einmal fragen, ob die Ablehnung einen fachlichen Hintergrund hat, denn mit fachlichem Hintergrund war begründet, daß diese Holzart in Anhang II aufgenommen werden soll.
Ulrich Klinkert, Parl. Staatssekretär: Bei Ramin, Frau Kollegin, hat es keinen fachlichen, sondern einen diplomatischen Hintergrund. Ich hatte versucht zu erklären, daß gerade Malaysia als, wenn man so will, Sprecher für die betroffenen Länder hier massiven Widerstand angekündigt hatte, so daß wenig Aussicht auf Erfolg bestanden hätte, in der Vollversammlung eine Mehrheit für die Aufnahme dieser Holzarten in Anhang II des Washingtoner Artenschutzübereinkommens zu bekommen.
Zweite Frage.
Das hilft der Holzart natürlich wenig.
Weitere Frage. Es hat offensichtlich Engpässe bei der weiteren Aufführung von Holzarten, die in die
Anhänge aufgenommen werden sollten, gegeben, und es wurden in diesem Fall externe Sachverständige hinzugezogen, was sonst nicht der Fall ist. Beabsichtigt die Bundesregierung, zukünftig externe Sachverständige für solche Verfahren längerfristig einzubeziehen?
Ulrich Klinkert, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung zieht generell in bestimmten Fragen externe Sachverständige hinzu. Insofern ist es auch bei den Fragen der Tropenholzeinfuhr bzw. bei der Übernahme von Tropenholzarten in Anhang II des Washingtoner Artenschutzübereinkommens nicht ausgeschlossen, daß auf externen Sachverstand zurückgegriffen wird.
Ich rufe Frage 25 auf:
Sind von der Bundesregierung darüber hinaus weitere der Arten, die in der Beschlußempfehlung vom 18. Mai 1994 zur Prüfung einer erforderlichen Aufnahme in Anhang II des WA vorgeschlagen wurden, dem CITES-Sekretariat gemeldet worden, und wenn nicht, welche fachlichen oder verfahrenstechnischen Gründe sind dafür zu nennen?
Ulrich Klinkert, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, auf Vorschlag von Verbandsseite hat die Bundesregierung weitere 13 Tropenholzarten einer eingehenden Überprüfung im Hinblick auf eine Antragstellung unterzogen. Nach Bewertung des national und international für diese Arten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisstandes und Datenmaterials wurden für zwei weitere Arten, nämlich Diospyros mun — der Handelsname ist hier Ebenholz — und Dalbergia melanoxylon — Handelsname Afrikanisches Schwarzholz — Anträge zur Aufnahme in Anhang II des Übereinkommens vorbereitet und fristgerecht beim CITES-Sekretariat eingereicht.
Frau Mehl.
Welche der unter dem Handelsnamen Merbau laufenden Arten wurden denn in dieser wissenschaftlichen Prüfgruppe behandelt, und aus welchen Gründen sprach sich die Expertengruppe gegen eine Antragstellung bei Merbau-Arten aus?
Ulrich Klinkert, Parl. Staatssekretär: Es wurden insgesamt 13 Arten behandelt, die ich jetzt, da sie alle sowieso nur mit dem lateinischen Namen vorliegen, nicht vorlesen möchte. Ich schicke sie Ihnen gerne zu. Aus dieser Liste erfüllten zwei Arten die Kriterien für eine Antragstellung, so daß deren Aufnahme in das Washingtoner Artenschutzübereinkommen zusätzlich zu denen des Bundestagsumweltausschusses von deutscher Seite beantragt wurde. Mehr konnte man in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht erreichen, weil die Verfahrensweise des CITES-Sekretariates vorsieht, daß in jedem Fall mit den betroffenen Ursprungsländern vorher Rücksprache zu halten ist. In bezug auf die zwei Arten, für die jetzt Anträge gestellt worden sind, ist also das Konsultationsverfahren eingeleitet worden.
Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir die Unterlagen in bezug auf die Merbau-Arten noch zuschicken würden.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1994 20193
Ulrike MehlWelche Maßnahmen will denn die Bundesregierung ergreifen, um die eigenen Vorstellungen über die in das Washingtoner Artenschutzübereinkommen aufzunehmenden Arten in der Europäischen Union umzusetzen, durchzusetzen und dort Mehrheiten zu bekommen? Wie will die Bundesregierung sicherstellen, daß dann bei der Vertragsstaatenkonferenz die EU einheitlich auftritt, damit nicht wie beim letzten Mal plötzlich Anträge zurückgezogen werden und die Bundesregierung ihre eigenen Vorstellungen nicht mehr durchsetzen kann?Ulrich Klinkert, Parl. Staatssekretär: Frau Mehl, die Schwierigkeiten liegen nicht darin, die Vorstellungen in der EU durchzusetzen — dort kann man relativ schnell Einigkeit herstellen —, sondern sie liegen darin, die Ursprungsländer zu überzeugen, daß es einzelne Arten gibt, die auch im Interesse der Ursprungsländer besser geschützt werden sollten. Da die Ursprungsländer signalisiert hatten, daß sie sich einer Zustimmung verweigern würden, war von vornherein absehbar, daß ein Ramin-Antrag wenig Aussicht auf Erfolg hat, und deshalb haben z. B. auch die Niederlande auf eine Antragstellung verzichtet.
Weitere Fragen zu diesem Geschäftsbereich liegen mir nicht vor. Danke schön, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Ich komme zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Die Beantwortung erfolgt durch den Parlamentarischen Staatssekretär Eduard Lintner.
Ich frage Sie, Herr Kollege Vergin, ob Sie Ihre Fragen 34 und 35 nacheinander oder im Verbund beantwortet haben möchten.
Mir wäre es recht, wir würden trennen.
Ich rufe die Frage 34 des Kollegen Siegfried Vergin auf:
Welche Projekte hat die Bundesregierung mit der Europäischen Union bzw. Ländern der Europäischen Union zur gemeinsamen Bekämpfung von Rechtsextremismus und Gewalt verabredet bzw. in die Wege geleitet?
Herr Staatssekretär.
Sehr geehrter Kollege Vergin, die Bundesregierung unterstützt nachdrücklich die bisher vorgelegten präventiven und reaktiven Initiativen seitens der verschiedenen europäischen Institutionen zur Bekämpfung fremdenfeindlicher und rassistischer Tendenzen, wie z. B. die Initiative der Staats- und Regierungschefs des Europarates vom Wiener Gipfel im Oktober 1993, die Entschließung des Rates der Justiz- und Innenminister der Europäischen Union vom November 1993 mit dem darin enthaltenen vorrangigen Arbeitsprogramm für 1994, die Schlußfolgerungen der europäischen Räte von Dublin, Maastricht und Edinburgh und auch die Kampagne der Kommission „Jugend für Europa".
Hierin ist u. a. festgelegt: die Intensivierung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, insbesondere durch gemeinsame Aktionen der
Öffentlichkeitsarbeit, gemeinsame Bekämpfung der Herstellung und des Vertriebs extremistischer Texte, Bild- und Tonträger sowie die vergleichende Analyse der Maßnahmen in den Mitgliedstaaten; die Prüfung eines Konzepts des Zusammenwirkens mehrerer Stellen — Beispiele wären Schulen und Polizei —; die Vermittlung von Problembewußtsein für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in den nationalen Ausbildungsgängen von Vollzugsorganen; die Verbesserung der statistischen Erfassung und die einheitliche Definition von rassistischen und fremdenfeindlichen Handlungen.
Darüber hinaus beabsichtigt die Bundesregierung, das Thema während der deutschen Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 1994 forciert und konsequent weiterzuverfolgen.
Die Bundesregierung hat außerdem auf dem 63. deutsch-französischen Gipfel Ende Mai 1993 gemeinsam mit der französischen Regierung eine „Initiative gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit" ergriffen. Hiernach sollen eine beratende Kommission hochrangiger Persönlichkeiten einberufen werden, die Empfehlungen in bezug auf das Zusammenwirken zwischen den Regierungen und den gesellschaftlichen Institutionen für Toleranz und Verständigung mit den Ausländern vorlegt, eine umfassende Strategie auf der Ebene der Union für die Bekämpfung rassistischer und fremdenfeindlicher Gewalttaten und der Aufstachelung zum Rassenhaß und zur Fremdenfeindlichkeit entwickelt und die Möglichkeit für eine Annäherung der Rechtsvorschriften und des praktischen Vorgehens der Mitgliedstaaten in diesen Bereichen untersucht werden und schließlich gemeinsame Schulungen für die Beamten der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten eingeführt werden.
Ziel dieser deutsch-französischen Initiative ist es, einen neuen Anstoß für die Förderung eines Klimas der Toleranz und der Verständigung mit Ausländern in der Europäischen Union zu geben, der über die bereits laufenden Aktivitäten auf der Ebene des Rates der Innen- und Justizminister der EU und des Europarates hinausgeht.
Herr Vergin.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für diese umfangreiche Antwort. Habe ich das richtig verstanden, daß Sie über konkrete Projekte in ihrer Wirkungsweise noch nicht berichten können, oder liegen bereits erste Erfahrungen in der Zusammenarbeit vor, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Beteiligung aller Länder?Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Vergin, alle Länder waren schon bisher insbesondere deshalb beteiligt, weil es ja Thema dieser Ratsberatungen war.
— Eine Beschlußfassung hat natürlich auch eine Menge Konkretes in sich. Aber man hat darüber hinaus, weil man eben weiß, daß man das nicht im Zuge einer einzigen Sitzung abhandeln kann, verschiedene Initiativen ergriffen, die jetzt erst realisiert
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20194 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1994
Parl. Staatssekretär Eduard Lintnerwerden müssen, bevor ich dann Ihre Frage nach Details beantworten kann.
Herr Vergin, bitte.
Ich möchte insbesondere zu Ihrer Mitteilung über die Versuche im Bereich der schriftlichen Verbreitung noch eine Zusatzfrage stellen. Glauben Sie, daß wir tatsächlich Aussicht haben, mit den jetzt vorhandenen europäischen Möglichkeiten gerade in diesem Bereich dafür zu sorgen, daß die in deutscher Sprache im Ausland gefertigten Produkte in der Zukunft zahlenmäßig abnehmen bzw. wir damit gegen Null fahren können?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Vergin, da müssen eben eine Reihe von rechtlichen Voraussetzungen in den Partnerländern geändert werden. Bislang hatten wir bilateral damit keinen Erfolg. Aber es ist ja genau der Sinn der gemeinsamen Initiative mit der französischen Regierung, in einer Art konzertierten Aktion dazu zu kommen, die anderen Partnerländer davon zu überzeugen, daß hier auch die strafrechtlichen Voraussetzungen verbessert werden müssen. Wenn das geschieht, dann werden unsere diesbezüglichen Bemühungen natürlich eher von Erfolg gekrönt.
Wir kommen zur Frage 35 des Abgeordneten Vergin:
Welche Ergebnisse hat die europäische Zusammenarbeit auf der Ebene der Polizei und des Verfassungsschutzes bei der Bekämpfung von Rechtsextremismus und Gewalt zu verzeichnen angesichts der zunehmenden internationalen Vernetzung?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus und der rechtsextremistisch motivierten Gewalt wird bereits seit Jahren anlaßbezogen mit den Sicherheitsbehörden im Ausland zusammengearbeitet. Im Zusammenhang mit der Verfolgung von Propagandaaktivitäten scheitern jedoch häufig Rechtshilfeersuchen an ausländische Behörden daran, daß die den Beschuldigten zur Last gelegten Handlungen im Ausland nicht pönalisiert sind und in Deutschland erwirkte Haftbefehle daher nicht für Ersuchen um Auslieferung herangezogen werden können.
Bei der Einfuhr rechtsextremistischen Propagandamaterials gestaltet sich die Zusammenarbeit mit europäischen Strafverfolgungsbehörden ebenfalls schwierig, weil die Herstellung und der Vertrieb solchen Materials im Ausland in der Regel nicht strafbar sind. Die Bundesregierung hat zu dieser speziellen Problematik und ihren Verbesserungsvorschlägen bereits in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der SPD-Fraktion — Ihnen ja bekannt — im April dieses Jahres auf Drucksache 12/7218 Stellung bezogen.
Die Bundesregierung ist daher bemüht, im Zuge der oben erwähnten Initiativen auch zu einer Angleichung der Rechtsvorschriften in den Mitgliedstaaten bezüglich der Strafbarkeit rechtsextremer und rassistischer Propagandaaktivitäten zu gelangen.
Herr Staatssekretär, besteht nicht auch die Möglichkeit, daß wegen der noch nicht
voll arbeitenden neuen Behörde Europol Probleme in der konkreten augenblicklichen Abwehr existieren?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Das hängt im Augenblick weniger mit Europol zusammen. Wie Sie wissen, beschränkt sich Europol für die nächste Zeit auf die Sammlung von Datenmaterial hinsichtlich der Rauschgiftkriminalität und dergleichen. Das, was hier gemeint ist, ist also noch nicht einbezogen.
Wir haben es im übrigen ohnehin mit einem Feld zu tun, in dem noch intergouvernementale Zusammenarbeit angesagt ist, also keine gemeinsame Zuständigkeit der Europäischen Union besteht. Deshalb sind wir auf die in der Antwort auf Ihre vorige Zusatzfrage genannten Initiativen und Schritte angewiesen.
Ich frage trotzdem bezüglich Europol weiter: Hielten Sie es, wenn man Europol weiter aufbaut, nicht für angebracht, eine besondere Abteilung, ein besonderes Ressort gerade für die Abwehr von rechtsextremistischen, aber auch — um Ihnen entgegenzukommen, weil Sie immer beides zusammenfügen — linksextremistischen Erscheinungen zu haben?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Selbstverständlich wäre das hilfreich. Europol ist nach der Konzeption der Bundesregierung — sie war ja der „Erfinder" von Europol — eigentlich dazu gedacht, sich allmählich zu einer echten Europa-Polizei zu entwickeln. Zu diesem Zweck muß aber jetzt zunächst eine Konvention verabschiedet werden. Wir sind dabei, erste Entwürfe durchzusehen, und wollen natürlich alles, was irgendwie mehrheits- oder durchsetzungsfähig ist, in dieser Konvention berücksichtigt wissen. Da uns die von Ihnen angesprochene Materie in der Tat ein wichtiges Anliegen ist, werden wir selbstverständlich Bemühungen entfalten und prüfen, ob diese Sachverhalte im Rahmen der Konvention für eine Zuständigkeit von Europol mit berücksichtigt werden können.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Ich komme damit zur Frage 36 des Abgeordneten Friedhelm Julius Beucher:Welche Bundesländer neben Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen haben Sonderkommissionen zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Gewalt eingerichtet, und warum hat die Bundesregierung bislang keine vergleichbare eigene zentrale Stelle?Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Beucher, Arbeitsgruppen, Sonderkommissionen und spezielle Ermittlungsgruppen wurden auch in den Bundesländern Brandenburg, Berlin, Baden-Württemberg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Saarland, SachsenAnhalt und Thüringen eingerichtet.Auf Initiative der Bundesregierung wurde Ende 1992 zur Bekämpfung dieses speziellen Kriminalitätsphänomens im Bundeskriminalamt eine eigene Gruppe — vorher war es ein Referat — geschaffen, was zu einer erheblichen materiellen und personellen Verstärkung dieses Sachbereichs geführt hat. Hinzu-
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1994 20195
Parl. Staatssekretär Eduard Lintnerweisen ist auch auf die Sonderkommission „Sole" des Bundeskriminalamts, die zur Aufklärung des Brandanschlags in Solingen führte.Ferner wurde eine „Informationsgruppe zur Beobachtung und Bekämpfung rechtsextremistischer, insbesondere fremdenfeindlicher Gewaltakte" des Bundes und der Lander eingerichtet, in der die Polizei, die Staatsanwaltschaften und der Verfassungsschutz vertreten sind. Vorsitz und Geschäftsführung liegen beim Bundesamt für Verfassungsschutz.
Herr Beucher.
Keine Zusatzfrage.
Keine Zusatzfrage? — Dann komme ich zur Frage 37:
Vertritt die Bundesregierung nach den Magdeburger Erkenntnissen die Ansicht, daß es sich um lokale, unter Alkoholeinfluß ausbrechende, spontane, nicht gelenkte rechtsextreme und fremdenfeindliche Erscheinungen gehandelt habe?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Die Strafverfolgung obliegt den Justiz- und Polizeibehörden des Landes Sachsen-Anhalt. Die Bundesregierung sieht sich nicht veranlaßt, zu einem laufenden Ermittlungsverfahren Stellung zu nehmen. Eine abschließende kriminalistische Bewertung kann erst nach dem endgültigen Abschluß der Ermittlungen erfolgen.
Auch keine Zusatzfrage? — Dann kommen wir zur Frage 38 des Abgeordneten Gerd Wartenberg:
In welcher Form wird der Bundesgrenzschutz im Hinblick auf die Bekämpfung rechtsextremer Gewalt oder den Umgang mit Aufmärschen rechtsextremer Organisationen geschult?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Wartenberg, im Rahmen der Laufbahnausbildung werden alle Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamten des Bundesgrenzschutzes im Fach „politische Bildung" und in der „Polizeidienstkunde" in 320 Unterrichts- und weiteren Ausbildungsstunden speziell für den Einsatz für die freiheitlich-demokratische Grundordnung und damit die Bekämpfung auch des Rechtsextremismus geschult. Im Rahmen der praktischen Ausbildung werden diese Lerninhalte vertieft.
Nach der Laufbahnausbildung — zweieinhalb Jahre übrigens — erfolgt im Rahmen der dienstlichen Fortbildung eine Auseinandersetzung mit allen polizeirelevanten Themen durch Auswertung von Erkenntnissen über das Verhalten von Störern und von Einsatzberichten aktueller Einsätze.
Werden Kräfte des Bundesgrenzschutzes durch ein Land zur Unterstützung seiner Polizei nach Art. 35 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit § 9 Abs. 1 und 2 des Gesetzes über den Bundesgrenzschutz angefordert, erfolgt die zielorientierte Vorbereitung der Beamten grundsätzlich in zwei Phasen.
Erstens. Der Polizeiführer des BGS führt eine Einweisung im Standort unter Beiziehung und Auswertung einschlägiger Erfahrungsberichte des Bundes und der Lander über vergleichbare Einsätze mit Schwerpunkt einer thematischen Aufbereitung durch.
Zweitens. Der Polizeiführer vor Ort weist die Beamten in die konkreten Sachverhalte bzw. in die besondere Lage des Einsatzes ein.
Beide Einweisungen beinhalten dabei sowohl Angaben über gesellschaftspolitische und einsatztaktische als auch insbesondere über rechtliche Aspekte des Einsatzes.
Im Rahmen von Einsatznachbereitungen werden darüber hinaus alle gewonnenen Erkenntnisse ausgewertet. So wurden nach den Ereignissen am 14. August 1993 in Fulda die durch die Polizei des Landes Hessen gewonnenen Erfahrungen nach Erörterung im Unterausschuß „Leitende Exekutivbeamte" des AK II mit besonderem Erlaß und ergänzenden Hinweisen für die Aus- und Fortbildung an alle Dienststellen des BGS zur Umsetzung weitergeleitet.
Zusatzfrage, Herr Vergin.
Herr Staatssekretär, können Sie bitte noch etwas deutlicher sagen, ob das Konzept, das zur Aus- und Weiterbildung angewandt wird, auf verschiedenen Ressorterfahrungen und -überlegungen beruht und ob Ihnen Erfahrungen vorliegen, wie die Bundesgrenzschutzbeamten, insbesondere dann, wenn es sich um den Fortbildungsbereich handelt, reagieren?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Vergin, ich gehe davon aus, daß bei 320 Unterrichts- und Ausbildungsstunden, die sich mit dem Fach „politische Bildung", also nicht nur beispielsweise mit dem Umgang mit dem Extremismus beschäftigen, die von Ihnen genannten Aspekte ausreichend berücksichtigt sind. Ich habe in meiner Antwort auch darauf hingewiesen, daß im Zuge der jeweiligen Einweisung im Hinblick auf bevorstehende Einsätze noch einmal die Spezialitäten dargelegt und vermittelt werden und außerdem in einer Nachbereitung auch Erfahrungen aus Einsätzen in der Ausbildung verwertet werden. Ich glaube, umfassender, als es hier vorgesehen ist, kann man die Dinge nicht verwerten und berücksichtigen.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär Lintner.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Ich rufe zunächst die Frage 39 des Abgeordneten Albert Pfuhl auf.
— Dann rufe ich die Fragen 39 und 40 des Abgeordneten Albert Pfuhl auf:
Wie viele Immobilien der früheren DDR in Finnland wurden
bisher verkauft, und welcher Erlös wurde hierbei erzielt?
Wurde gemäß Aussage der Bundesregierung vom Februar 1992 anläßlich meiner mündlichen Fragen 14 und 15 in Drucksache 12/2051 ein Teil des Erlöses zur Verbesserung der räumlichen und sachlichen Verhältnisse an der deutschen Schule in Helsinki eingesetzt?
Herr Staatssekretär Echternach.
Herr Kollege Pfuhl, bislang
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20196 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1994
Parl. Staatssekretär Jürgen Echternachwurden in Finnland 13 Immobilien der ehemaligen DDR veräußert. Deren Verkaufserlös betrug umgerechnet 4 159 034 DM.
Herr Pfuhl.
Herr Staatssekretär, könnten Sie, da wir die Fragen zusammenfassend behandeln wollen, auch die zweite Frage gleich beantworten, damit wir das Frage-und-Antwort-Spiel in bezug auf beide Fragen machen können?
Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Ja, das können wir gerne zusammen machen.
Ihre Frage an die Bundesregierung in der 76. Sitzung des Deutschen Bundestages, ob der Erlös aus dem Verkauf des Gebäudes der ehemaligen DDR-Botschaft auf Kulosaari zum Ankauf oder Bau eines deutschen Zentrums in Helsinki verwandt werden kann, hat Frau Staatsministerin Seiler-Albring dahin gehend beantwortet, daß der Erlös aus einem eventuellen Verkauf nach den Regeln der Bundeshaushaltsordnung dem Bundeshaushalt zuzuführen ist. Die Antwort der Bundesregierung enthält keine Aussage, den Erlös zur Verbesserung der Unterbringung der deutschen Schule einzusetzen.
Im übrigen ist das Kanzleigebäude der ehemaligen DDR-Botschaft auf der Insel Kulosaari im Osten von Helsinki das einzige noch nicht veräußerte Objekt in Finnland. Auch deshalb stellt sich die Frage nach der Verwendung des Erlöses nicht.
Herr Staatssekretär, ich habe in der damaligen Frage vom kulturellen Zentrum gesprochen. Können Sie mir nicht folgen, wenn ich
SRge, daß an h die Schule 711 dem kullturellen Zentrum
gehört und beide in Helsinki für die deutsche Kultur und das deutsche Erziehungswesen gemeinsam einen Beitrag leisten?
Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Pfuhl, das entscheidende Problem ist, daß Sie offensichtlich wollen, daß der Erlös aus einem bestimmten Immobilienverkauf für einen bestimmten Zweck reserviert wird. Das ist allerdings dem Haushaltsrecht fremd. Alle Erlöse aus der Veräußerung von Grundstücken fließen dem Haushalt insgesamt zu. Sie dienen zur Deckung des Gesamthaushalts und können nicht für einen bestimmten Zweck reserviert werden.
Herr Staatssekretär, können Sie verstehen— wenn nein, dürfte ich Sie bitten, vielleicht die Frau Präsidentin zu fragen —, daß es unser Anliegen sein muß, für diese Schule in Helsinki, bei der 75 % der Anwärter zurückgewiesen werden müssen, weil die Unterbringungsmöglichkeiten nicht vorhanden sind, etwas zu tun, und wenn dies nur darin besteht, neue Stühle anzuschaffen, damit man sich nicht den Hintern aufreißt, wenn man dort zu Besuch ist?
Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Pfuhl, ich kenne die besonderen Probleme, die Sie hier schildern, nicht selbst. Aber wenn es dort Probleme gibt und dafür der Einsatz von Haushaltsmitteln erforderlich ist, dann muß dies über den Haushaltsplan erfolgen. Dafür muß entweder ein entsprechender Ansatz ausgebracht werden, oder im Rahmen der vorhandenen Ansätze muß eine entsprechende Prioritätensetzung erfolgen. Dann muß abgewogen werden, welche Dringlichkeit das von Ihnen geschilderte Problem im Vergleich zu anderen Problemen hat. Unter dem Aspekt der Prioritätensetzung muß dann das federführende Ressort entscheiden, ob die von Ihnen geschilderten Belange oder andere Belange den Vorrang haben.
Herr Staatssekretär, könnten Sie begreifen, daß ich selbst auch die haushaltsrechtliche Problematik kenne, aber trotzdem darauf achten muß, daß die öffentliche Meinung in Helsinki und in Finnland im Hinblick darauf, daß die Bundesrepublik über 4 Millionen DM aus dem Verkauf von Immobilien erlöst hat, doch erwarten könnte, daß etwas getan wird, damit ein solches Zentrum mit der deutschen Schule verbessert wird?
Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Pfuhl, es ist durchaus verständlich und nachvollziehbar, daß Sie sich, wenn Sie ein bestimmtes Problem selbst im einzelnen kennengelernt haben, für die Lösung des Problems einsetzen. Ich bitte aber um Verständnis dafür, daß, auch wenn im Zusammenhang mit der deutschen Einheit und mit den Veränderungen, die sich hier in Deutschland und in Mitteleuropa ergeben haben, auf der einen Seite bestimmte Mittel dem Bundeshaushalt zufließen, auf der anderen Seite aber eine wesentlich größere Summe steht, die wir im Zuge der deutschen Einheit für den Aufbau in den neuen Bundesländern und für die Bewältigung der Folgen der SED-Herrschaft im Osten Deutschlands aufzuwenden haben, und daß aus der Sicht des Bundesfinanzministeriums dies alles natürlich in eine Gesamtbetrachtung einbezogen werden muß.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie dahin gehend verstehen, daß Sie zwar die Priorität des Aufbaus in den neuen Ländern sehen, dadurch aber leider nicht so sehr die Problematik, die im Zusammenhang mit dem Anschluß Finnlands an die Europäische Union und damit auch bezüglich der Förderung der deutsch-finnischen Beziehungen und der Förderung der deutschen Sprache dort entsteht?Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Pfuhl, ich habe sehr viel Verständnis dafür, daß Sie sich, wenn dort Probleme sind, wie Sie sie schildern, dafür einsetzen. Nur ist dafür natürlich immer eine Prioritätensetzung im Rahmen der auswärtigen Kulturarbeit erforderlich, auch im Kontext mit dem dafür federführenden Auswärtigen Amt. Ich bin sicher, daß im Rahmen dieser Prioritätensetzung auch das Auswärtige Amt bemüht sein wird, daß diese Probleme so weit wie möglich gelöst werden. Nur: Aus der Sicht des Bundesfinanzministeriums ist zu beachten, daß dafür nicht spezielle Mittel zur Verfügung gestellt werden können, sondern daß dies immer nur im Rahmen des Haushalts unter Abwägung der Prioritäten insgesamt geschehen kann.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1994 20197
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Ich komme zur Frage 41 des Abgeordneten Otto Schily:
Trifft es zu, daß rund 7 000 Arbeitsplätze im Zusammenhang von mehr als 20 ehemaligen Treuhandfirmen durch den „East German Investment Trust" gefährdet sind?
Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Ich nehme an, Herr Kollege Schily, es handelt sich hier, wie es ausgedrückt ist, um einen Druckfehler. Da ist plötzlich von 2 000 Arbeitsplätzen die Rede. Ich nehme an, es gilt die ursprüngliche Angabe von 7 000 Arbeitsplätzen.
In meinem Text steht 7 000. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Bei mir auch.
Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Hier steht aber in einer Drucksache plötzlich etwas von 2 000.
Da hat Ihr Referent Ihnen etwas Falsches aufgeschrieben. Das kann ja passieren. Auch hier ist ein kleiner Schreibfehler enthalten, Herr Staatssekretär. Es fehlen die Worte „im Zusammenhang mit der Privatisierung". Aber ich glaube, der Sinn ist erkennbar.
Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Wir sind uns offenbar einig über das, was gefragt wird.
Nach Erkenntnissen der Treuhandanstalt trifft es nicht zu, daß die Arbeitsplätze in allen von der Firma EGIT übernommenen Unternehmen gefährdet sind. Es handelt sich inzwischen um privatisierte Unternehmen, über deren Entwicklung im einzelnen die Treuhandanstalt naturgemäß nicht mehr informiert wird.
Der East German Investment Trust ist ein Investmentfonds mit Sitz in London, gegründet nach englischem Recht, der gemäß seiner Satzung nur Minderheitsbeteiligungen erwerben darf. EGIT hat deshalb mit anderen Investoren über sogenannte Vorschaltgesellschaften von 1990 bis 1992 insgesamt 22 Treuhandunternehmen gekauft. In den entsprechenden Privatisierungsverträgen sind Arbeitsplatzzusagen für insgesamt 7 309 Arbeitnehmer vereinbart worden, davon pönalisiert 6 909. Auf Grund der Vertragskonstruktion — Vorschaltgesellschaft in der Rechtsform der GmbH — muß jeder Vertrag und damit jedes Unternehmen einzeln betrachtet werden. Es ist daher auch nicht zu erwarten, daß im Falle eines Zusammenbruchs eines Unternehmens die anderen Unternehmen in gleicher Weise betroffen sind.
— 6 009 oder 6 900?
— Dann habe ich doch richtig gehört, 6 909. Können Sie sagen, ob diese Arbeitsplatzzusagen vollständig eingehalten werden oder ob deren Einhaltung gefährdet ist?
Jürgen Echternach Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe keine Erkenntnisse darüber, inwieweit diese Arbeitsplatzzusagen im einzelnen eingehalten worden sind. Aber es gibt ein anderes Problem bei zwei Gesellschaften, bei der HGS und bei der Foron, inwieweit EGIT und die Tochter der Berliner Bank, die hier als Erwerber aufgetreten sind, tatsächlich rechtswirksam diese beiden Gesellschaften erworben haben oder nicht. Dies wird von den Erwerbern bestritten, aus der Sicht der Treuhand zu Unrecht. Über diese Frage des wirksamen Erwerbs und damit der wirksamen Privatisierung gegenüber diesen Erwerbern gibt es zur Zeit Verhandlungen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, spielt bei diesen Verhandlungen auch eine Rolle, daß ein hoher Betrag an Kaufpreisen aussteht, und auf welchen Betrag beläuft sich das?
Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Darüber habe ich momentan keine Informationen. Ich bin gerne bereit, sie Ihnen unverzüglich zukommen zu lassen.
Eine Zusatzfrage zu dieser Frage 41? — Bitte schön.
Herr Staatssekretär, Sie haben gesagt, 6 909 Arbeitsplätze seien vertraglich abgesichert, pönalisiert. Wie lange dauert denn diese Pönalisierung? Wann läuft die Vertragsstrafe aus? Es kann ja sein, daß sie zum Teil schon ausgelaufen ist und damit die Unternehmen frei sind, auch in diesem pönalisierten Bereich Arbeitsplatzabbau zu betreiben.
Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Mir sind Probleme dieser Art nicht bekannt. Ich sagte, Probleme gibt es an anderer Stelle, nämlich hinsichtlich der Rechtswirksamkeit der Verträge und des Eintritts des EGIT und der Tochtergesellschaft der Berliner Bank. Aber auch dieser Frage will ich gerne nachgehen und sie Ihnen beantworten, inwieweit die Vertragsbestimmungen im einzelnen eine bestimmte Laufzeit vorsehen und ob diese Laufzeit zur Zeit tangiert wird.
Herr Thalheim.
Herr Staatssekretär, spielt bei den Nachverhandlungen auch eine Rolle, daß der Käufer möglicherweise durch überhöhte Grundschuldeintragungen oder ähnliches Gewinne aus den Unternehmen abgezogen hat?Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Dafür habe ich momentan keine Erkenntnisse, aber ich bin gerne bereit, auch dieser Frage nachzugehen.
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20198 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1994
Die Frage war beantwortet. Sie haben nur eine Frage.
Ich sehe keine weiteren Fragen. Wir kommen dann zur Frage 42 des Abgeordneten Schily.
Sieht die Bundesregierung Anlaß zur Überprüfung der Aktivitäten des ehemaligen Treuhand-Direktors H. V. L.?
Herr Staatssekretär.
Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schily, dem Bundesfinanzministerium ist bekannt, daß gegen Herrn Lang staatsanwaitschaftlich ermittelt wird. Über den derzeitigen Stand der Ermittlungen liegen der Bundesregierung aber keine Informationen vor. Herr Lang ist bereits Ende 1991 aus der Treuhandanstalt ausgeschieden. Die Bundesregierung hat natürlich keine Handhabe — wenn darauf Ihre Frage abzielt —, irgendwelche Überprüfungen seiner jetzigen Aktivitäten anzustellen.
Herr Schily.
Herr Staatssekretär, war der Bundesregierung bzw. der Treuhandanstalt bei der Privatisierung im Rahmen des Unternehmenskonzepts bekannt, mit welcher personellen Besetzung die zu privatisierenden Unternehmen bzw. die Vorschaltgesellschaften arbeiten wollten? War ihr insbesondere bekannt, daß der Herr Lang, der die Geräte- und Reglerwerke Teltow für eine Mark verkauft hat — Sie kennen sicherlich diesen Fall —, dort eine hohe Position einnehmen sollte, insbesondere bei der Haushaltsgeräte-Service GmbH, die Sie schon genannt haben?
Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Ich weiß nicht, inwieweit speziell dieser Tatbestand bekannt gewesen ist, aber es gab in der Tat Anlaß zur Untersuchung, ob Insider-Wissen hier möglicherweise eine Rolle gespielt hat. Aus diesem Grunde hat die Treuhandanstalt durch Sachverständige überprüfen lassen, ob Herrn Lang im Zusammenhang mit dem Erwerb der hier angesprochenen Unternehmen aus seiner früheren Tätigkeit ein Vorwurf zu machen ist, daß er zu Lasten der Treuhandanstalt Insider-Wissen verwandt haben soll. Die von der Treuhandanstalt durchgeführte Prüfung hat keinerlei Anhaltspunkte für Verstöße ergeben.
Zweite Frage.
Herr Staatssekretär, hat es denn eine Gesamtrevision in bezug auf die Privatisierung durch den East German Investment Trust gegeben?
Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Diese Frage will ich gerne prüfen und Ihnen dann beantworten.
Herr Jungmann.
Herr Staatssekretär, bin ich richtig informiert, daß die Bundesregierung die Fach- und Rechtsaufsicht über die Treuhandanstalt ausübt? Im Rahmen dieser Fach- und Rechtsaufsicht erscheinen mir Ihre Antworten, die Sie hier geben, etwas dürftig zu sein; eigentlich sind es gar keine Antworten. Ich denke, daß sich die Bundesregierung vor Beantwortung der Fragen bei einer nachgeordneten Bundesoberbehörde sachkundig machen sollte. Sind Sie nicht auch meiner Meinung, daß diese Vorgehensweise im Normalfall notwendig ist?
Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Jungmann, es ist richtig, daß wir die Rechtsaufsicht und auch die Fachaufsicht ausüben. Aber genauso richtig ist es, daß die konkret gestellten Fragen konkret beantwortet worden sind. Es ist Ihr gutes Recht, Zusatzfragen zu stellen. Soweit darin neue Tatbestände angesprochen sind, habe ich mich bereit erklärt, diesen Fragen nachzugehen und sie Ihnen zu beantworten.
Vielen Dank.Ich komme zur Frage 43 des Abgeordneten Hans Martin Bury.Wie konnte es geschehen, daß die mehrheitlich bundeseigene DSL-Bank, deren Verwaltungsrat Vertreter des Bundes angehören, von Mitte 1992 bis Ende 1993 in einem Umfang Kredite an die Schneider-Immobiliengruppe vergeben hat, die in Relation zum Kreditengagement insgesamt höher liegen als bei allen anderen Kreditinstituten, während die Deutsche Bank im gleichen Zeitraum ihr relativ niedrigeres Schneider-Engagement aus Gründen der Risikobegrenzung unter dem Gesichtspunkt der Streuung von Krediten bewußt deutlich reduziert hat, und wie wird die Bundesregierung in Zukunft für eine angemessene Risikokontrolle im Verwaltungsrat der DSL-Bank Sorge tragen?Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Bury, Sie sprechen hier eine Bank an, die zu 51 % dem Bund gehört, an der aber inzwischen auch ein ganz erheblicher Anteil Privater beteiligt ist. Sie werden verstehen, daß ich Ihnen daher mit der gebotenen Zurückhaltung antworte.In den vorausgegangenen schriftlichen Antworten hat das Bundesfinanzministerium Ihnen bereits darzulegen versucht, was der DSL-Bank mit ihrem Schneider-Engagement widerfahren ist. Die DSL-Bank steht in einer langen Reihe anderer Banken mit ersten Adressen. Das Schneider-Engagement der DSL-Bank ist, gemessen am Gesamtkreditvolumen, auch keineswegs so aus dem Rahmen fallend, wie Sie das annehmen. Bei der DSL-Bank machen die Kredite an die Schneider-Gruppe etwa 0,9 % des Gesamtkreditvolumens aus. Das ist aus heutiger Sicht zu hoch. Aber die Deutsche Centralboden, eine Tochter der Deutschen Bank, wäre sicher froh, wenn sie nur einen Anteil in dieser Größenordnung am Portefeuille hätte. Tatsächlich liegt der Anteil dort bei über 7 %. Aber auch andere Banken in mit der DSL-Bank vergleichbarer Größenordnung halten ein Engagement, dessen Anteil am Gesamtkreditvolumen etwa dem der DSL-Bank entspricht, zum Teil sogar darüber hinausreicht.Die DSL-Bank ist, wie wir heute wissen, wie andere Banken auch, einem gezielten Kreditbetrug aufgesessen. Der Bank sind manipulierte Unterlagen zur Begründung der Kredite vorgelegt worden. Es gilt nun daraus die richtigen Konsequenzen zu ziehen und die Risikokontrolle für zukünftige Geschäfte zu verbessern.Deshalb hat der Verwaltungsrat der DSL-Bank eine Sonderprüfung veranlaßt, insbesondere um der Frage nachzugehen, wo und wie es im Ablauf der Kreditbearbeitung Fehler gegeben hat. Diese Prüfung führt
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Parl. Staatssekretär Jürgen Echternachnicht der mit dem Jahresabschluß betraute Wirtschaftsprüfer durch, sondern eine außenstehende Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Ich kann Ihnen versichern, daß der Mehrheitseigentümer und natürlich auch die DSL-Holding als stiller Gesellschafter jede nur mögliche Aufklärung verlangen werden. Besonders die vom Bund in den Verwaltungsrat entsandten Mitglieder werden den seit dem 1. Oktober 1993 neu besetzten Vorstand in seiner schon früher erklärten Absicht bestärken, das Kreditgeschäft vom Grundsatz her auf risikoärmere Geschäfte zu beschränken. Fest steht, daß die DSL-Bank bei Großfinanzierungen in Zukunft insgesamt noch kritischer bei der Kreditvergabe sein und Konzeptionen sowie Angaben der Kunden noch gründlicher überprüfen wird.
Herr Bury, bitte.
Herr Staatssekretär, wie erklären Sie denn, daß die DSL-Bank bei ihrem an die Schneider-Immobiliengruppe vergebenen Kreditvolumen nach Berechnungen der „Wirtschaftswoche" vom 27. Mai 1994 im Vergleich zur Deutschen Bank ein etwa zwanzigfach höheres Risiko eingegangen ist und daß mittlerweile bekanntgeworden ist, daß die DSL-Bank auch bei der Kreditvergabe an Procedo mit einem Kreditvolumen beteiligt ist, das wiederum wesentlich höher ist als das der Großbanken?
Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Bury, ich habe schon gesagt, daß das der Schneider-Gruppe gewährte Kreditvolumen nur 0,9 % ausmacht und das der Tochter der Deutschen Bank, die ich soeben zitiert habe, bei über 7 %, bei 7,2 % liegt. Insofern müßten Sie diese Zeitschrift fragen, wie sie zu ihren Erkenntnissen gekommen ist.
Die zweite Frage.
Herr Staatssekretär, eine Aussage Ihres Kollegen Grünewald — und Sie haben es sinngemäß wiederholt — lautete: Die positiven Erwartungen der DSL-Bank gründeten sich auf den neu berufenen Vorsitzenden des Verwaltungsrates und die — so Herr Grünewald wörtlich in der Antwort auf meine Anfrage zur Verantwortung für das Schneider-Engagement — „in der Folge" entlassenen Vorstandsmitglieder. — Läßt sich das so interpretieren, daß die Veränderungen in der Führungsspitze der DSL-Bank erste Konsequenzen einer verfehlten Geschäftspolitik sind? Und welche weiteren Konsequenzen hat dies für die Vertreter der Bundesregierung im Verwaltungsrat der DSL-Bank?
Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Ich sagte schon, daß im Zusammenhang mit dem Wechsel im Vorstand im Oktober letzten Jahres vom neuen Vorstand ausdrücklich erklärt worden ist — und das deckt sich auch mit der Linie der Bundesregierung —, daß die DSL-Bank in ihrer Kreditvergabe in Zukunft wesentlich risikoärmer operieren wolle. Im übrigen sitzen nicht nur Mitglieder der Bundesregierung im Verwaltungsrat, sondern auch alle Fraktionen haben Mitglieder in den Verwaltungsrat der DSL-Bank entsandt.
Danke. — Herr Schily, bitte.
Herr Staatssekretär, in welcher Weise und in welchem Ausmaß sind Mitglieder der Bundesregierung über die Kreditausreichung an die Schneider-Immobiliengruppe informiert worden?
Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Es gibt den Verwaltungsrat; es gibt einen Kreditausschuß. In diesem Kreditausschuß werden natürlich auch die laufenden Kreditvorgänge bearbeitet. Insofern sind die dorthin entsandten Mitglieder sicherlich informiert worden. Ansonsten ist dieses Thema erst ein Beratungsthema der Bundesregierung geworden, als es zu dem Zusammenbruch der Schneider-Gruppe gekommen ist.
Ich rufe nun als letzte Frage die Frage 44 des Abgeordneten Hans Martin Bury auf.
Welche persönlichen oder geschäftspolitischen Ziele stehen hinter der ungewöhnlichen Ausweitung dieses speziellen Engagements, und welche geschäftspolitischen und persönlichen Konsequenzen ergeben sich aus der Schneider-Pleite und ihren Auswirkungen auf die DSL-Bank?
Herr Staatssekretär, bitte.
Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Bury, es gehört seit langem zu den besonderen geschäftspolitischen Zielsetzungen der DSL-Bank, sich an der Finanzierung von Immobilien im Rahmen des Ausbaus der Infrastruktur zu beteiligen. Die vorgelegten Kreditunterlagen, die zur Verfügung gestellten Sicherheiten und die kalkulierten Margen ließen insgesamt eine rentable und damit geschäftspolitisch sinnvolle Abwicklung dieser Finanzierungsvorhaben für den Vorstand der DSL-Bank erwarten. Die schrittweise Ausweitung des Gesamtengagements erschien wegen der Hereinnahme zusätzlicher Grundpfandrechte und der persönlichen Mitverpflichtung von Dr. Jürgen Schneider insgesamt vertretbar.
Sofern dabei ein Vorstandsmitglied für das von ihm zu verantwortende Geschäftsfeld den Ehrgeiz hat, der Bank einen möglichst hohen Ergebnisbeitrag abzuliefern, kann dies nicht grundsätzlich kritisiert werden. Es erleichtert aber sicherlich die kreditpolitische Umsteuerung der Bank, daß der seit dem 1. April tätige neue Vorstand für gewerbliche Kredite nun die Chance hat, neue Zeichen zu setzen.
Herr Bury, bitte.
Herr Staatssekretär, läßt sich aus Ihren Antworten wie aus den Ausführungen des Vorstandsvorsitzenden der DSL-Bank, die künftig bei Großfinanzierungen insgesamt kritischer sein und Konzeptionen und Angaben sehr gründlich prüfen will, schließen, daß in der Vergangenheit von der DSL-Bank, den Vertretern der Bundesregierung und auch des Bundestages im Verwaltungsrat Kredite fahrlässig vergeben wurden? Und wie ist die Absicherung — diesen Bereich hatten Sie vorhin nicht beantwortet — der Procedo-Darlehen?Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Bury, es ist sicher richtig, daß die Kreditarrange-
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20200 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1994
Parl. Staatssekretär Jürgen Echternachments aus heutiger Sicht ein Fehler waren. Die Frage, inwieweit dabei ein Schuldvorwurf zu erheben ist, würde ich erst dann beantworten können, wenn die vom Verwaltungsrat veranlaßte Sonderprüfung abgeschlossen ist, in der durch einen externen Prüfer im einzelnen überprüft werden soll, inwieweit bei der Kreditvergabe Fehler vorgekommen sind. Dann wird sich auch die Frage eines möglichen Schuldvorwurfs stellen, die Sie aufgeworfen haben.Ansonsten ist es richtig, daß die DSL Bank wie eine Vielzahl anderer Banken erster Adressen über die Procedo Gesellschaft für Exportfactoring in Wiesbaden mittelbar an dem mutmaßlichen Betrugsfall der Balsam AG beteiligt ist.
Zusatzfrage.
War denn den Vertretern der Bundesregierung im Verwaltungsrat der DSL Bank die Globalzession der Balsam AG an Deutsche Bank und Dresdner Bank bekannt, und sind die Darlehen der DSL Bank ebenso abgesichert? Wenn nein, warum nicht?
Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Bury, ich bin bereit, dieser Frage nachzugehen und sie Ihnen zu beantworten.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Damit ist die heutige Fragestunde beendet.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Sie vor Eintritt in die weiteren Punkte der Tagesordnung unserer 232. Sitzung bitten, sich zum Gedenken an Klaus Beckmann zu erheben.Am 27. Mai 1994 starb nach schwerer Krankheit unser Kollege und früherer Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft, Klaus Beckmann.Der Verstorbene, am 11. August 1944 im Kreis Herford geboren, war ein Mann des Ruhrreviers. Nach Schulbesuch in Essen und Studium der Rechts- und Staatswissenschaften in Köln begann er seinen beruflichen Werdegang bei der Binnenschiffahrts-Berufsgenossenschaft in Duisburg, ließ sich 1977 als Rechtsanwalt in Essen nieder und trat in die STEAG AG ein.Politisch engagierte sich Klaus Beckmann zunächst auf kommunaler Ebene. Seit 1966 Mitglied der F.D.P., gehörte er dem Rat der Stadt Essen an und war dort von 1975 bis 1979 Fraktionsvorsitzender.Seit 1980 war Klaus Beckmann Mitglied des Deutschen Bundestages. Für sechs Jahre, von 1983 bis 1989, übernahm er die Funktion des Parlamentarischen Geschäftsführers seiner Fraktion.Klaus Beckmanns Arbeit im Bundestag war geprägt von seiner Verwurzelung im Ruhrgebiet. Er vertrat stets mit Nachdruck die Interessen seiner Heimatregion, vor allem auf dem Sektor der Wirtschafts- und Energiepolitik. Seine Erfahrung und seine Kompetenz auf diesem Politikfeld brachten ihm 1989 die Berufung zum Parlamentarischen Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium ein. Bis 1992 hat er dieses Amt mit großer Sachkenntnis ausgeübt.Klaus Beckmann war ein Abgeordneter, der seinen Auftrag besonders ernst genommen hat, und selbst in seiner schweren Erkrankung sah er keinen Grund, seine Tätigkeit einzuschränken.Wir trauern mit der Fraktion der F.D.P., die mit Klaus Beckmann einen von uns allen sehr geschätzten Kollegen — und vielen war er ein Freund — verloren hat. Unser Mitgefühl gilt aber vor allem den Hinterbliebenen, in erster Linie seiner Frau und seinen drei Töchtern.Der Deutsche Bundestag wird Klaus Beckmann ein ehrendes Andenken bewahren.Sie haben sich zu Ehren des Verstorbenen erhoben. Ich danke Ihnen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir fortfahren, komme ich jetzt zu den amtlichen Mitteilungen.Zunächst möchte ich dem Kollegen Friedrich Vogel , der am 2. Juni seinen 65. Geburtstag feierte, und dem Kollegen Egon Susset, der am 3. Juni ebenfalls seinen 65. Geburtstag feierte, nachträglich die besten Glückwünsche des Hauses aussprechen.
Als Nachfolger für den verstorbenen Kollegen Klaus Beckmann hat der Abgeordnete Dr. Jens Jordan am 8. Juni 1994 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße den neuen Kollegen sehr herzlich.
Die Abgeordnete Angela Stachowa teilte mir mit Schreiben vom 14. Juni 1994 mit, daß sie als Mitglied der Gruppe PDS/Linke Liste ausgeschieden ist. Sie wird dem Bundestag bis zum Ende der Wahlperiode als fraktionsloses Mitglied angehören.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung erweitert werden. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:1. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Klaus-Dieter Feige, Werner Schulz (Berlin) und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vermeidungsorientierte Abfallwirtschaft — Drucksachen 12/4835, 12/7756 —2. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Freimut Duve, Hans Gottfried Bernrath, Dr. Ulrich Böhme (Unna), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Erhalt der Buchpreisbindung — Drucksachen 12/3388, 12/7891 —3. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Roswitha Wisniewski, Erwin Marschewski, Wolfgang Zeitlmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Gerhart Rudolf Baum, Ina Albowitz, Gerhard Schüßler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Kulturpolitik nach Maastricht — Drucksache 12/7879 —4. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes (2. StUÄndG) — Drucksache 12/7878 —Zugleich soll von der Frist für den Beginn der Beratung, soweit dies bei einzelnen Punkten der Tagesordnung und der Zusatzpunktliste erforderlich ist, abgewichen werden.Des weiteren wurde vereinbart, den Tagesordnungspunkt 6 — Seerechtsübereinkommen — vor
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Präsidentin Dr. Rita SüssmuthTagesordnungspunkt 5 aufzurufen und Tagesordnungspunkt 24 — Zivilisierung internationaler Beziehungen — von Freitag vorzuziehen und bereits heute nach der Beratung des Umweltschutzprotokolls zum Antarktis-Vertrag zu behandeln. Die erste Beratung des interfraktionellen Gesetzentwurfs zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes wird damit heute als letzter Tagesordnungspunkt aufgerufen.Außerdem mache ich auf nachträgliche Überweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:Der in der 230. Sitzung des Deutschen Bundestages am 26. 5. 1994 überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll nachträglich dem Haushaltsausschuß gem. j 96 der GO überwiesen werden:Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes und anderer Gesetze— Drucksache 12/7686 —Der in der 230. Sitzung des Deutschen Bundestages am 26. 5. 1994 überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll nachträglich dem Haushaltsausschuß zur Mitberatung überwiesen werden:Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung von Vorschriften der Lehrerbesoldung— Drucksache 12/7521 —Der in der 230. Sitzung des Deutschen Bundestages am 26. 5. 1994 überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll nachträglich dem Ausschuß für Gesundheit und dem Ausschuß für Post und Telekommunikation zur Mitberatung überwiesen werden:Gesetzentwurf der Bundesregierung zu dem Europa-Abkommen vom 4. Oktober 1993 zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften sowie Ihren Mitgliedstaaten und der Slowakischen Republik— Drucksache 12/7622 —Der in der 230. Sitzung des Deutschen Bundestages am 26. Mai 1994 überwiesene nachfolgende Antrag soll nachträglich dem Haushaltsausschuß zur Mitberatung überwiesen werden:Antrag der Abgeordneten Christoph Matschie, Dr. Ingomar Hauchler, Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDZur Politik der Weltbank und deren Strukturanpassungsprogrammen— Drucksache 12/7691 —Sind Sie damit einverstanden? — Das ist der Fall. Dann können wir so verfahren.Ich rufe Tagesordnungspunkt 3a bis i und Zusatzpunkt 1 auf:3. Forschungsdebattea) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
zu der Unterrichtung durch die BundesregierungBundesbericht Forschung 1993— Drucksache 12/5550 —zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P.zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD— Drucksachen 12/6562, 12/6564,12/7828 —Berichterstattung:Abgeordnete Christian Lenzer Josef VosenJürgen Timmb) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
zu dem Antrag der Abgeordneten Theo Magin, Dr. Roswitha Wisniewski, Eduard Oswald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann, Jürgen Timm, Jörg Ganschow, Dr. Karlheinz Guttmacher und der Fraktion der F.D.P.Großforschungseinrichtungen
zu dem Antrag der Abgeordneten Josef Vosen, Lothar Fischer , Holger Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDZur Zukunft der Großforschungseinrichtungen— Drucksachen 12/1724, 12/2064,12/6435 —Berichterstattung:Abgeordnete Erich Maaß Lothar Fischer (Homburg)Dr.-Ing. Karl-Hans Laermannc) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Abgeordneten Ursula Burchardt, Josef Vosen, Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Forschung und technologische Entwicklung für eine zukunftsverträgliche Abfallwirtschaft— Drucksachen 12/2817, 12/6436 —Berichterstattung:Abgeordnete Trudi Schmidt Ursula BurchardtDr. Christoph Schnittlerd) Beratung des Berichts des Ausschusses für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung gemäß § 56a der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zur Technikfolgenabschätzung (TA) hier: Biologische Sicherheit bei der Nutzung der Gentechnik— Drucksache 12/7095 —Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Hans Peter Voigt
Edelgard BulmahnJürgen Timme) Beratung des Berichts des Ausschusses für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung gemäß § 56a der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zur Technikfolgenabschätzung (TA) hier: „Abfallvermeidung und Hausmüllentsorgung — Vermeidung und Verminderung von Haushaltsabfällen"— Drucksache 12/7093 —Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Hans Peter Voigt
Edelgard BulmahnJürgen Timm
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20202 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1994
Präsidentin Dr. Rita Süssmuthf) Beratung des Berichts des Ausschusses für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung gemäß § 56 a der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zur Technikfolgenabschätzung (TA) hier: Genomanalyse— Drucksache 12/7094 —Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Hans Peter Voigt
Edelgard BulmahnJürgen Timmg) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zu der Unterrichtung durch das Europäische ParlamentEntschließung zur Klonierung des menschlichen Embryos— Drucksachen 12/6233, 12/7208 —Berichterstattung:Abgeordnete Heinrich Seesing Wolf-Michael Catenhusen Jürgen Timmh) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU und der F.D.P.Förderung der Industrieforschung in den neuen Bundesländernzu dem Antrag der Abgeordneten WolfMichael Catenhusen, Dr. Helga Otto, Angelika Barbe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDFörderung der Industrieforschung in den neuen Ländern— Drucksachen 12/6561, 12/6745,12/7549 —Berichterstattung:Abgeordnete Dr.-Ing. Joachim Schmidt
Wolf-Michael CatenhusenDr. Christoph Schnittleri) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Uwe Jens, Angelika Barbe, Holger Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Einrichtung eines Zukunfts- und Technologierates zur Begutachtung der langfristigen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft— Drucksachen 12/5914, 12/7542 —Berichterstattung:Abgeordneter Dr. Heinz RiesenhuberZP1 Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Klaus-Dieter Feige, Werner Schulz (Berlin) und derGruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vermeidungsorientierte Abfallwirtschaft — Drucksachen 12/4835, 12/7756 —Berichterstattung:Abgeordnete Steffen Kampeter Dr. Liesel HartensteinBirgit HomburgerZum Tagesordnungspunkt 3a — Beschlußempfehlung des Ausschusses für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD — liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. — Dagegen sehe ich keinen Widerspruch.Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt der Abgeordnete Christian Lenzer.
Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach dem Gedenken an einen verstorbenen Kollegen, mit dem auch ich eine lange Zeit parlamentarischer Gemeinsamkeit hatte, fällt es schwer, sich einem scheinbar so spröden Thema zuzuwenden. Aber ich weiß, Klaus Beckmann, der sich der Wirtschaft und auch der Forschung, der technologischen Entwicklung immer verbunden fühlte, würde sich freuen, wenn er hören könnte, daß ich meine Rede mit dem folgenden Satz beginne: Die Zahlen belegen, daß es mit dem Wirtschaftsstandort Deutschland jetzt wieder aufwärts geht. — Das ist — nicht zuletzt durch das Zutun von Klaus Beckmann in verantwortlichem Regierungsamt — eine Bestätigung der erfolgreichen Politik dieser Bundesregierung und damit — nicht zuletzt — dieses Forschungsministers sowie der die Bundesregierung tragenden Fraktionen.
Dies ist jedoch kein Grund, die Hände in den Schoß zu legen. Dieser Aufschwung muß weiter beflügelt und kräftig gefestigt werden.
Damit komme ich zum Thema: Forschung und Innovation kommt hierbei eine ganz entscheidende Rolle zu.Die Triebfeder, der Motor unseres wirtschaftlichen Wohlstandes ist der erfolgreiche Wettbewerb in HighTech-Produkten und Spitzentechnologien auf den Weltmärkten. Die Voraussetzung dafür sind eben Innovationen. Der Schlüssel für Innovationen ist eine breit angelegte, kreative Forschungslandschaft. Diese Landschaft fortlaufend den Erfordernissen der Menschen und den Herausforderungen der Zeit anzupassen ist eine Daueraufgabe. Wir müssen unseren „ Standort im Strom" ständig verändern — so hat es der ehemalige Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Professor Hubert Markl, vor kurzem in einem Zeitungsbeitrag beschrieben —; denn wir leben in einer dynamischen Welt.Entscheidendes Element in dieser dynamischen Welt ist der Faktor Zeit. Es genügt nicht allein der qualitative Wettbewerbsvorsprung, sondern auch der
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1994 20203
Christian Lenzerzeitliche Vorsprung spielt eine Rolle. Ich nenne als Beispiel die Gentechnik. In der gentechnischen Forschung ist Deutschland gut; aber bei der Herstellung der gentechnischen Produkte hapert es. In den USA werden 57 % der gentechnisch entwickelten Pharmaprodukte hergestellt, in der Europäischen Union 21 %, in Japan 11 %, bei uns in Deutschland 5 %. Das ist mit das Ergebnis typisch deutscher Bedenkenträgerei, auch der Politik dieser Opposition,
die nach unserer Auffassung die Risiken immer überbetont, aber die Chancen bei der Betrachtung der Probleme vernachlässigt.
Ich komme noch einmal auf den „Standort im Strom" zurück. Gott sei Dank, so möchte ich sagen, wird die Welt am deutschen Wesen nicht genesen. Deutschland kann sich zwar zum eigenen Schaden von der internationalen Entwicklung und von den Technologieströmen abkoppeln; verhindern aber wird es diese nicht. Das gilt für die Kernenergie, das gilt für die Gentechnik, das gilt für die Biotechnologie im weitesten Sinne.Hier unterscheidet sich die Haltung der CDU/CSU diametral von der der Opposition. Wir wollen das deutsche Wissens- und Technikpotential zur Erhaltung und Mehrung des Wohlstandes unseres Landes frühzeitig auch international einbringen, die Chancen neuer Technik nutzen, die Risiken frühzeitig erkennen und beherrschen. Ich weise darauf hin — auch dies geht aus dem Artikel von Herrn Professor Markl ganz eindeutig hervor —: Auch unterlassenes Handeln kann verantwortungslos sein.Noch nie ist der Stellenwert von Forschung, Technologie und Innovation von allen Seiten der Politik, der Wirtschaft und der Wissenschaft so hervorgehoben worden wie heute. Darüber freuen sich, so nehme ich an, die Forschungspolitiker aller Fraktionen. Aber wir müssen auch feststellen, wo strukturelle und organisatorische Probleme die deutsche Forschungslandschaft belasten, wo Verkrustungen und fehlende Kommunikation die Forschung schwerfällig gemacht haben.
Wir sollten dies als positive Lehre verstehen und daraus die Konsequenzen ziehen. Deutschland verfügt nämlich über eine differenzierte und vielfältige Forschungslandschaft, die sich in ihrer historisch gewachsenen Aufgabenverteilung zwischen Bund, Ländern und Wirtschaft bewährt hat. Der Bundesforschungsbericht 1993 dokumentiert dies in hervorragender Weise. Die internationale Anerkennung der wissenschaftlichen Leistungen in Deutschland hat zugenommen. Insbesondere unser großes Engagement in der Grundlagenforschung wird als vorbildlich und nachahmenswert betrachtet. Insofern kann ich einen Journalisten, nämlich den Herrn Flöhl, der sich heute in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung"damit auseinandergesetzt hat, durchaus beruhigen. Jemand, der an dieser positiven Entwicklung besonderen Anteil hat — ich freue mich, daß er jetzt unter uns ist —, ist unser ehemaliger Bundesforschungsminister Heinz Riesenhuber.
In diesem Zusammenhang möchte ich Lob und Anerkennung den Wissenschaftlern, den Ingenieuren, den Technikern, den Forschern und Tüftlern in unserem Land aussprechen, deren Fleiß und Kreativität die deutsche Forschungslandschaft blühen lassen. Unsere Gesellschaft sollte sich viel deutlicher zu denen bekennen, die den Wohlstand in unserem Land mit begründen.
Ich appelliere hier besonders an die Schulen, die Lehrer, die Medien. Das Potential gut ausgebildeter, qualifizierter Arbeitskräfte ist unser Rohstoff. Diesen gilt es für ein wissensorientiertes Wachstum, für ein „Wachstum aus Intelligenz" einzusetzen.
Meine Damen und Herren, ein wesentliches Element der deutschen Forschungslandschaft bilden die Großforschungseinrichtungen. Allein 2,5 Milliarden DM, entsprechend etwa 26 % des Etats des BMFT, entfallen auf diese Einrichtungen mit ihren fast 25 000 Mitarbeitern. Die Schwerpunkte ihrer Arbeit sind vielfältig.Wir haben uns im Forschungsausschuß auf Initiative der Koalitionsfraktionen mit einem Antrag betreffend die Zukunft der Großforschungseinrichtungen beschäftigt; dieser Antrag soll sie auf eine sichere Basis stellen. Sie müssen sich nämlich ständig an forschungspolitische Schwerpunkte anpassen. So soll eine Bewertung der Großforschungseinrichtungen in den alten Bundesländern eine solide Grundlage für die dringend notwendigen Anpassungen liefern.In dem Papier der Weule-Kommission zur Verbesserung der Zusammenarbeit von Großforschungseinrichtungen und Industrie sind Vorschläge erarbeitet, wie sich die Großforschungseinrichtungen stärker für die Sicherung und den Aufbau der technologischen Wettbewerbsfähigkeit der industriellen Schlüsselbranchen einbringen können. Das muß jetzt sorgfältig analysiert und dann in den Meinungs- und Entscheidungsbildungsprozeß einbezogen werden.Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Hochlohnland Deutschland ist darauf angewiesen, für seine Exporte auf den Weltmärkten überdurchschnittliche Preise zu erlösen. Dies geht nur mit Spitzenprodukten. Zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands gegenüber wachsender Konkurrenz aus Billiglohnländern, die heute nicht mehr in Fernost liegen, sondern unmittelbar vor unserer östlichen Haustür, bedarf es deshalb neuer Innovationssprünge. Wir verfügen traditionell über wesentliche Stärken auf vielen Gebieten höherwertiger Technologien. Diese Stärken müssen konsequent ausgebaut werden. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf
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20204 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1994
Christian Lenzerdie Herausforderungen der Informationstechnik und der Mikroelektronik.Auch in Zeiten knapper Haushalte muß bei den Investitionen in Forschung und Entwicklung Kontinuität gewahrt werden. Fadenrisse in Forschung und Entwicklung darf es nicht geben. Der Ruf nach mehr Geld für die Forschung ist allerdings so populär wie alt. Wir haben uns als CDU/CSU-Fraktion ja ebenfalls intensiv daran beteiligt.
Aber natürlich können wir uns nicht den Zwängen des Haushalts verschließen. Wir sind schon dankbar, daß der Forschungsetat auf einem bestimmten Niveau gehalten wird, während die anderen Haushalte schrumpfen. Jede Mark, die wir nämlich in Forschung investieren, meine Damen und Herren, ist eine Versicherungsprämie auf die Zukunft.
Knappe finanzielle Mittel können auch ein heilsamer Zwang sein, überkommene Strukturen zu optimieren und den neuen Gegebenheiten anzupassen. Die Bundesregierung hat hierzu mit dem Beschluß, einen „Rat für Forschung, Technologie und Innovationen" beim Bundeskanzler einzurichten, die Initiative ergriffen. Dieser Rat soll Expertenwissen bündeln. Wenn Wissenschaft, Wirtschaft und Politik frühzeitig miteinander reden, dann läßt sich sehr schnell herausfinden, welches die innovativen Technologien sind, die wir für die Zukunft brauchen.
Auf keinen Fall soll dieser Rat etwa der Wissenschaft und der Wirtschaft Lehren erteilen, was sie zu tun und zu lassen haben. Aber er soll eine Art Moderatorenfunktion übernehmen.Dieser frühzeitige Dialog, die stärkere Verzahnung zwischen staatlicher Forschung und Industrieforschung führt zu einem schnelleren Transfer von Forschungsergebnissen in innovative Produkte. Genau dies ist nach allen Analysen und Diagnosen der letzten Zeit das, worauf es ankommt.Meine Damen und Herren, Sie, die Opposition, kritisieren, auch in Ihrem Antrag, die Forschungspolitik der Bundesregierung. Aber wenn ich mir einmal Ihre Aussagen vor Augen führe, dann muß ich Sie fragen: Wer bekämpft Transrapid? Wer hat dafür gesorgt, daß der Schnelle Brüter — von einer SPD-Regierung initiiert — und der Hochtemperaturreaktor in Hamm nun als Bauruinen dastehen?
Wer hat es zu verantworten, daß das Mox-Brennelementewerk in Hanau seit drei Jahren im Wartestand verharrt, was eine Kapitalvernichtung ohnegleichen ist? Es ist die SPD in den jeweiligen Sitzländern dieser Einrichtungen.
Wer hat zunächst den Chip als Jobkiller verteufelt?Wer hat alles darangesetzt, daß schließlich auch diebiomedizinische, die pharmazeutische Forschung und Produktion ins Ausland abzuwandern drohen, ja bereits abgewandert sind? — Ich nenne als Stichwort nur die Tierschutzdebatte in den letzten Wochen.Wer sich, wenn es um neue Technologien geht, generell in der Rolle des Bedenkenträgers sonnt, der trägt systematisch, meine Damen und Herren von der SPD — an die GRÜNEN will ich mich erst gar nicht wenden —, zur Verunsicherung der Bevölkerung bei.
Nichts ist so gut, als daß es sich nicht noch verbessern ließe. Lassen Sie uns alle gemeinsam an die Arbeit gehen, nicht nur reden — vor allem nicht neue Technologien kaputt- und schlechtreden —, sondern auch handeln! Das ist es, was nötig ist. Die SPD-Forschungspolitik ist nicht geeignet, den Herausforderungen der Zukunft Paroli zu bieten. Deswegen sollten wir alle uns Ihre Politik ersparen.Herzlichen Dank.
Als nächster hat das Wort der Kollege Josef Vosen.
Frau Vizepräsidentin!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Bundespräsident — der noch amtierende —, der Bundeskanzler — ebenfalls der noch amtierende —,
die Spitzenverbände von Wissenschaft und Wirtschaft sowie der Deutsche Gewerkschaftsbund sind sich wie alle Fraktionen im Deutschen Bundestag darüber einig: In Deutschland muß mehr für die Forschung getan werden. — Darin sind wir uns alle einig.Nach zwölf Jahren Regierung von CDU/CSU und F.D.P. stelle ich nur fest: Zwölf Jahre hatten Sie Zeit, und jetzt müssen wir erkennen: Es muß mehr getan werden. Das hat lange gedauert. Aber es hat auch seine Zeit gedauert, ehe wir in diese Situation gekommen sind.Der Bundesforschungsbericht 1993 legt Defizite offen dar. Sie stehen klar drin; sie sind nachzulesen. Wir stellen mit unserem Änderungsantrag heute fest:Der Bericht ist Ausdruck der Krise, in die die Bundesregierung die Forschungspolitik gesteuert hat.Das ist etwas anderes, als das, was Christian Lenzer, mein Vorredner, hier vorgetragen hat.Mit dem dem Bundesbericht Forschung zugrunde liegenden Verständnis von Forschungs- und Technologiepolitik lassen sich die ökonomischen, sozialen und ökologischen Herausforderungen unserer Zeit nicht bewältigen. Ein strategischer Neuanfang ist unumgänglich.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1994 20205
Josef VosenSo sieht das aus.
— So sieht das in Wirklichkeit aus.Christian Lenzer sprach eben von den blühenden Forschungslandschaften. Ich sage Ihnen: Ihre zwölf Jahre haben dazu geführt, daß die ehemals blühende Forschungslandschaft Deutschland nahezu verdorrt ist.
Da ist von Blühen keine Rede. Das zeigen folgende Fakten: Der Anteil des Forschungshaushalts am Bundeshaushalt ist von 2,7 % Mitte der achtziger Jahre auf jetzt 1,92 % — also unter 2 % — gesunken. Das bedeutet eine „strukturelle Lücke" von jetzt rund 3 Milliarden DM jährlich. So sieht das in Wirklichkeit aus.
Wir müßten also 12 Milliarden DM haben, haben aber nur rund 9 Milliarden DM im Haushalt. Das ist die Wahrheit. Das weiß jeder. Deswegen kommt selbst der Bundeskanzler auf die Idee, daß da etwas getan werden muß.
Der Anteil der Forschungs- und Entwicklungsausgaben in Deutschland — gemessen am Bruttosozialprodukt — ist auf unter 2,6 % gefallen. Zum Vergleich: Japan mehr als 3 %, USA 2,8 %. In den achtziger Jahren lagen die drei Länder gleichauf. In Staat und Wirtschaft hier in der Bundesrepublik fehlen somit für die Forschung — alles zusammengenommen — fast 10 Milliarden DM jährlich.Von den 25 000 Personen der ehemaligen Akademie der Wissenschaften der DDR sind knapp 11 000 übriggeblieben.Von den rund 86 000 Personen der ehemaligen DDR-Industrieforschung sind 10 000 übriggeblieben.
Der Forschungsetat 1994 wurde entgegen ersten Ankündigungen des Finanzministers nicht von neuen Sparmaßnahmen verschont, sondern überdurchschnittlich noch einmal um 250 Millionen DM gekürzt. Eine Decke, die schon zu kurz ist, wurde noch kürzer — und das auch gegen den Protest von CDU/CSU und F.D.P. Das heißt, sie haben in ihrer eigenen Regierung nichts zu sagen. Trotzdem hat ihnen der Finanzminister wieder Geld abgenommen.Die Forschungseinrichtungen können ihre normalen Verpflichtungen nicht mehr decken. So sieht das aus.Mit dem Haushaltsentwurf 1995 — so wie er im Moment aussieht — setzt die Bundesregierung den Verdorrungsprozeß fort. So ist die Tatsache.
Ab dem 16. Oktober dieses Jahres — und da bin ich ziemlich sicher, trotz der Europawahlergebnisse — wird sich dieser Prozeß umkehren: Die Forschungslandschaft Deutschland wird mit den Sozialdemokraten wieder zum Blühen gebracht werden. So wird das sein und nicht so, wie Sie das darstellten.Ich denke mir, daß wir hier auch die Wirtschaft auffordern müssen, ihrerseits ebenfalls erheblich mehr für die Forschung zu tun. Was die Wirtschaft will, sagt das Weule-Gutachten, das gerade angesprochen wurde: Die Wirtschaft will nichts anderes, als die Großforschungseinrichtungen, die der Staat, also der Steuerzahler, bezahlt, bis zu 75 % als Vorlaboratorien für sich nutzen, und zwar für die Industrieforschung. Damit wird Grundlagenforschung in diesen Einrichtungen nahezu unmöglich gemacht.
Andererseits wird die Wirtschaft dafür nicht bezahlen wollen; d. h. der Steuerzahler soll Industrielaboratorien bezahlen.
Dagegen werden wir uns wehren. Die „FAZ" von heute hat diesen Anspruch als „dreist" bezeichnet. Das ist das richtige Wort für diesen Prozeß.Ich meine, daß wir durch unseren Änderungsantrag, der heute vorliegt, folgendes erreichen: Wir werden eine wettbewerbsfähige Industriestruktur schaffen, eine regional ausgewogene und leistungsfähige Forschungslandschaft errichten, eine Wiederaufnahme der Forschung zur Humanisierung des Arbeitslebens wird erfolgen, die Entwicklung erneuerbarer Energien und Energiespartechniken wird vorangebracht, eine Neuorientierung der Umweltforschung wird eingeleitet werden. Die Entwicklung neuer Verkehrstechnologien sowie neuer Kraftstoffe wird ebenfalls vorangetrieben, wenn wir uns heute durchsetzen. Auch der Ausbau der Gesundheitsforschung wird forciert. Eine ernsthafte Technikfolgenabschätzung und -bewertung wird von uns aus garantiert. Die Stärkung des Freiraums und der Kontinuität für die Grundlagenforschung — das ist sehr wichtig - muß sicher sein. Die internationale Zusammenarbeit wird verstärkt, und die Nutzung auch neuer Instrumente für die Forschungs- und Technologiepolitik wird durch Förderung vor allen Dingen mittelständischer Unternehmen und kleinerer Unternehmen erfolgen. Wir werden neue Modelle in die Forschungslandschaft einbringen.
Wir werden auch einen wirksamen Technologierat nach dem Vorbild der USA unterstützen und einen ständigen forschungspolitischen Dialog ins Leben rufen. Dazu werden wir die Wiedereinführung der steuerlichen Forschungsförderung ebenfalls in die Politik einbringen und alle rechtlichen Normen überprüfen, die Hemmnisse für Forschung und Entwicklung in unserem Lande darstellen. Das sind alles keine neuen Forderungen, sondern das sind alles Forderungen, die seit Jahren von uns erhoben werden und die Sie seit Jahren mißachten. Ich sage Ihnen: Das, was
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20206 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1994
Josef VosenSie zu verantworten haben, läßt sich von Forschung und Wissenschaft und auch von der Industrie kaum verkaufen.
Mit noch so vielen Worten, die heute hier gesprochen werden, läßt sich diese strukturelle Lücke, die zwölf Jahre lang entstanden ist, nicht über Nacht ausräumen. Forschungspolitik ist Infrastrukturpolitik für eine Volkswirtschaft, und wer daran sündigt, versündigt sich an der Zukunft unseres Landes, und das haben Sie getan; das muß man ganz klar sagen.
Sie haben einmal komplett die ganzen Forschungsmittel, die wir in den neuen Ländern zusätzlich benötigt hätten, weggespart. Der Forschungsetat war — bis heute ist er es — der Spartopf des Finanzministers. Es wird förmlich ausgeplündert, was wir für unsere Bundesrepublik und für ihre wissenschaftliche und technologische Zukunft finanziell brauchen.Nun bemüht sich der Minister — er ist da —, das zu verbessern; das will ich wirklich anerkennen. Übrigens: Alle Kolleginnen und Kollegen aus dem Forschungsausschuß haben das immer wieder gemacht.
Wir haben ein hohes Maß an Übereinstimmung. Aber wenn es uns nicht gelingt, den Finanzminister und den Bundeskanzler von Sprüchen fernzuhalten und sie zu Taten zu verleiten, dann wird die Forschung in diesem Land auch weiterhin wie in den vergangenen Jahren einen Ausdörrungsprozeß erleben.Herzlichen Dank.
Als nächstes hat der Kollege Jürgen Timm das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Jupp Vosen, wir könnten natürlich viel besser dastehen, wenn nicht manches, was wir in der Forschungspolitik durch gemeinsame Beschlüsse angesetzt haben, am Ende von Ihnen und von Ihren Kollegen wieder zurückgenommen wird, wenn es um die Umsetzung, um die Nutzung geht.
Meine Damen und Herren, Wissen und Forschungskapazität ist für unser Land ein Zukunftskapital, das wir nicht leichtfertig vergeuden dürfen. Deshalb ist es notwendig, unsere Kraft darauf zu verwenden, den Forschungsstandort Deutschland nicht nur zu erhalten, sondern auch auszubauen. Die heutige Debatte um die Forschungspolitik der Bundesregierung bildet zunächst einmal den vorläufigen Schlußstein einer sehr erfolgreichen Forschungspolitik dieser Bundesregierung in dieser Legislaturperiode.
Ich muß das ganz deutlich so sagen, denn anders als die Kolleginnen und Kollegen der SPD kommen wir natürlich zu einer anderen Bewertung des Forschungsberichts 1993. Ich denke, er ist durchaus ein beredtes Zeugnis für die Leistungen dieser Regierung unter — das muß man, glaube ich, deutlich hervorheben — schwierigen Rahmenbedingungen. Denn die Probleme, die wir in dieser Legislaturperiode mit der Aufarbeitung der Wiedervereinigung und der Ausdehnung des Forschungsstandorts Deutschland auf alle Bundesländer zu bewältigen hatten, waren keine geringen. Hier war in den neuen Bundesländern eben 40jährige Planwirtschaft abzubauen, und die Forschungspolitik mußte zu einem wirksamen Hilfsmittel bei der Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit eingesetzt werden, um die Spitzenposition der Bundesrepublik Deutschland zu erreichen.Ich will noch einmal betonen, daß für die F.D.P. die Forschung, die Freiheit der Forschung und die Bedeutung der Forschung über alle Themenfelder von den Geisteswissenschaften über die Naturwissenschaften bis zu den Technikwissenschaften uneingeschränkt in hohem Maße geachtet werden. Geisteswissenschaftliche Forschung hat bei uns den gleichen Stellenwert wie z. B. Forschung im Solartechnikbereich, im Solarenergiebereich, in der Umweltvorsorge oder aber auch zur Sicherung zukünftiger Kernreaktoren. Es liegt aber in der Natur der Sache, daß wir uns hier vornehmlich mit den Feldern auseinanderzusetzen haben, auf die der staatliche Einfluß bleibt. Ich will hinzufügen: Wir haben für die grundgesetzlich garantierte Freiheit der Forschung nicht viel mehr Möglichkeiten, als über den bescheidenen Etat des Bundesforschungsministers oder den Bereich der Großforschungseinrichtungen oder die Projektförderung Akzente zu setzen. Weil die Forschung in ihrer effektivsten Form aber dort gedeiht, wo sich der Staat heraushält, können Sie davon ausgehen, daß diese unsere besondere Wertschätzung erfährt.Auch wenn jetzt Wahlkampf ist: Verzeihen Sie mir, wenn ich die Gelegenheit nutze, einmal klarzustellen, warum es gerade in dieser Zeit für die Forschung und die Zukunft wichtig bleibt, daß sich die F.D.P. als Hüter einer freien Forschung gegen die dirigistischen und interventionistischen Bestrebungen rechts und links von uns zur Wehr setzt. Herr Flöhl, der hier schon zitiert wurde, hat in der „FAZ" heute etwas zu den planwirtschaftlichen Elementen der Forschungspolitik gesagt. Er hat hinter die Überschrift „Geplante Forschung" zu Recht ein Fragezeichen gesetzt. Aber hinter die Vorstellungen der Kolleginnen und Kollegen der SPD in ihrem veränderten neuen Entschließungsantrag hat er unter der gleichen Überschrift drei Ausrufezeichen gesetzt. Das möchte man dabei vielleicht einmal berücksichtigen.Gefährlich wird es immer dann, wenn sich unsere Partnerfraktionen, sowohl die CDU/CSU als auch die SPD, hier in gleichen Vorstellungen treffen. Vielleicht sollte man, Kollege Vosen und Kollege Lenzer, den Technologierat einmal unter diesem Gesichtspunkt betrachten. Wir glauben nämlich nicht, daß ein irgendwie gearteter Technologierat oder eine irgend-
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1994 20207
Jürgen Timmwie geartete Industriepolitik oder so etwas besondere Bedeutung besitzt.
— Ich sage das so, wie ich das empfinde und wie ich das will. — Wir können auch nicht erkennen, daß direkte Forschungsförderung besondere Vorteile gegenüber breitangelegten indirekten Fördermaßnahmen besitzt.Meine Damen und Herren, wofür kämpft die F.D.P.? Wir kämpfen weiterhin
dafür, daß die Freiheit der Forschung insbesondere in der Grundlagenforschung erhalten bleibt. Wer auch immer das unsägliche Wort von der „anwendungsorientierten Grundlagenforschung" geschaffen hat — es ist unserer Ansicht nach absolut falsch. Hier darf nicht die breitangelegte Neugier beschnitten werden. Freiräume der Forschung schafft man sich auch nicht durch immer mehr Geld, und auch Milliardenforderungen, Kollege Vosen, werden hier nichts wiedergutmachen, was durch die SPD mit ihren innovationsverhindernden Politikvorstellungen an anderer Stelle der Forschung aufgebürdet wird.
Neue Freiräume schafft man durch die Möglichkeit, mit den existierenden Mitteln effizienter umzugehen. Ich denke auch, daß wir davon abgehen müssen, daß Großforschungseinrichtungen manchmal zu gar nicht wiederzuerkennenden Forderungen gezwungen werden, z. B., daß plötzlich ein Kernspingerät erdbebensicher aufgestellt werden muß oder daß, weil ein Vorstandsmitglied raucht, feuerhemmende Türen eingebaut werden müssen. So etwas kann man sich eigentlich gar nicht vorstellen. Ich meine, auf eine solche Weise werden der Forschung wertvolle Mittel entzogen, die an anderer Stelle effizienter eingesetzt werden können.Folgende Frage hätten wir auch noch zu klären, nämlich, daß immer noch nicht abgesichert ist, daß das Finanzamt nicht mitkassiert, wenn Fördermittel gezahlt werden. Hier müssen die Bundesländer sehr deutlich daran mitarbeiten, daß es zu einer Steuerbefreiung kommt.
Meine Damen und Herren, bei uns haben die Warnleuchten — Herr Hollerith, das sage ich, weil Sie mich eben angesprochen haben — auch bei dem Punkt geleuchtet, ob sich an deutschen Börsen Spekulationshoffnungen, etwa mit dem Instrument NASTRAQ, ergeben hätten. Ich denke, man sollte vielleicht einmal Herrn Steinkühler fragen, welche Erfahrungen er damit gemacht hat. Wenn Versicherungen und Börsen der Meinung wären, daß hiermit etwas Attraktives gestaltet werden kann, hätten sie sich schon längst darauf gestürzt.Noch ein Wort zum gestrigen DGB-Kongreß in Berlin: Unser Parteivorsitzender Klaus Kinkel hat dort gesprochen; er hat auch etwas zur Postreform gesagt.Er ist mit einem Pfeifkonzert bedacht worden, als er gesagt hat, daß bestimmte Dinge erforderlich sind, um Innovationen für die Zukunft erreichen zu können. Meine Damen und Herren, ich denke, so kann man nicht reagieren, wenn die Forderung nach Innovationen in unserem Land erhoben wird.
— Ja, gut.Vielleicht sollte man sich besser mit Herrn Rappe verständigen, einem Kollegen der SPD-Fraktion. Mit dem, was er zur Gentechnik und zum Tierschutz gesagt hat, können wir von der F.D.P. gut leben, und es steht dem Standort Deutschland sehr gut an.Vielleicht noch ein paar kurze Worte zur Zukunft: Es stehen die Chefgespräche zum Einzelplan 30 an, die in Kürze stattfinden müssen. Ohne Prophet zu sein, kann ich sagen: So viel Neues an Kapital und Finanzmitteln steht da wohl nicht zu erwarten. Ich denke aber, daß wir darum kämpfen müssen — der Forschungsminister hat unsere volle Unterstützung — und daß es darum gehen muß, mehr Mittel für den Forschungsbereich freizuschaufeln. Dies dient einem guten Zweck; das ist hier ja auch schon angeklungen. Ich meine, der Forschungsstandort Deutschland hat es verdient, daß das, was in den vergangenen Jahren — zum Teil, gebe ich zu, auch gemeinsam — miteinander formuliert und dargestellt worden ist, einer vernünftigen Nutzung zugeführt wird, und daß wir diese Gemeinsamkeit, was die Nutzung angeht, dann ebenfalls durchhalten müßten. Als Stichworte nenne ich: Transrapid, die neue Generation der Kernreaktoren. Es ist erforderlich, daß wir das gemeinsam durchsetzen. Wir müssen wieder zu einem Konsens zurückfinden, der verlorengegangen ist. Nur wenn wir das erreichen, können wir gemeinsam ebenfalls erreichen, daß die Mittel für die Forschungsförderung nicht weiterhin gekürzt werden, vielmehr daß sie sinnvoller und effektiver eingesetzt werden können.Vielen Dank.
Als Nächste spricht die Frau Kollegin Dr. Fischer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist erfreulich, daß manch eine Erkenntnis auch zum Allgemeingut wird. Wie heißt es doch in der Beschlußempfehlung zur Industrieförderung in den neuen Ländern: „Die Situation in der Industrieforschung ist besorgniserregend."Noch vor nicht allzulanger Zeit ist unserer Gruppe „Miesmacherei" vorgeworfen worden, als wir auf die verheerenden Folgen der Forschungspolitik der Bundesregierung hinwiesen. Bedauerlich, Ihre Erkenntnis kommt ein wenig spät, denn die Vernichtung zahlreicher Forschungseinrichtungen und Massenentlassungen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sind kurzfristig nicht rückgängig zu machen. Mir ist allerdings klar, daß Sie Ihre Fehler nicht zugeben werden bzw. die Situation in Ost-
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20208 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1994
Dr. Ursula Fischerdeutschland mit der 40jährigen Herrschaft des Realsozialismus erklären. Glücklicherweise sehen dies neben uns als „professionellen Miesmachern" viele ostdeutsche Menschen anders.Doch reden wir von der Gegenwart. Die vorgelegte Beschlußempfehlung enthält neben kleinen positiven Ansätzen im wesentlichen weder neue Ideen noch ein Konzept für eine sinnvolle Forschungs- und Technologiepolitik. Empfehlungen und Absichtserklärungen helfen den Menschen in Ostdeutschland nicht weiter. Es ist ein schöner Zug, wenn Sie für ostdeutsche Forschungseinrichtungen werben wollen: Doch welchen strukturellen Nutzen versprechen Sie sich davon?Meine Damen und Herren, die indirekt darin enthaltene Kritik an der Treuhand und ihrer fatalen Politik der Privatisierung ist ein positiver Anfang. Davon allein kommen allerdings industrielle Forschungsabteilungen nicht zurück. Eine im Prinzip auf privatmarktwirtschaftliche Forschungsförderung ausgerichtete Politik wird keine dauerhaften Erfolge vorweisen können, dafür ist schon zuviel kaputt.Ich weiß, daß eine stärkere öffentliche Förderung von Wissenschaft und Forschung, der Ausbau der Hochschulen und Auffang- und Qualifizierungseinrichtungen für Wissenschaftler Geld kosten. Das sollte es uns aber wert sein, zumal eine Umstrukturierung bisheriger Forschungsförderung auch Einsparungen bringen würde.Rüstungsforschung, Forschung für Raumfahrt, Atomtechnologie und Gentechnologie verschlingen nach wie vor große Anteile des Forschungsbudgets, womit ich auf Ziele und Inhalte von Wissenschaft und Forschung zu sprechen komme. Gerade die Neugliederung der Forschung in Ostdeutschland hätte die Chance geboten, bei der Forschungsförderung neue Akzente zu setzen. Leider finden solche Argumente zur Zeit keinerlei Gehör.Die sogenannte Krise des Standorts Deutschland dient dazu, jedweden kritischen Einwand in bezug auf die Erforschung und Entwicklung bestimmter Technologien zu ignorieren. Es ist fast so, als wäre schon allein die Frage nach sozialen und ökologischen Folgen unzulässig. Kritikerinnen und Kritikern wird pauschal Fortschrittsfeindlichkeit vorgeworfen, wobei Fortschritt nur als Frage des ökonomischen Gewinns wahrgenommen wird. Es ist deshalb wohl kein Zufall, wenn über die Förderung der Geisteswissenschaften kein oder kaum ein Wort verloren wird.Gerade der Aufbau und die Förderung von Großforschungsanlagen werden fast ausschließlich aus einem ökonomischen Blickwinkel gesehen. Dort ist natürlich der Druck, Forschungsergebnisse direkt in wirtschaftliche Erfolge zu verwandeln, besonders hoch. Die sogenannte Freiheit der Wissenschaft ist durch den Anwendungszwang, speziell bei Großforschungsanlagen, an denen die Privatwirtschaft beteiligt ist, eine reine Fiktion. Harmlose Grundlagenforschung, wie viele einem weismachen wollen, wird dort auch nicht betrieben.Nehmen Sie als Beispiel das Max-Delbrück-Zentrum in Berlin, dessen Ziel die Entwicklung und Durchsetzung der Gen- und Biotechnologie ist. InWahrheit wird dort interessengeleitet gearbeitet, und das heißt, Großforschungseinrichtungen dienen in erster Linie einer falschen technologiezentrierten Industriepolitik.Wissenschaft und Forschung müssen jedoch sozialen und ökologischen Kriterien genügen. Sie müssen darauf aus sein, global zu denken und nicht nur den deutschen und westlichen Interessen zu entsprechen. Wissenschaft und Forschung müssen ebenso demokratische Kontrolle akzeptieren; denn es kann doch nicht sein, daß Wissenschaftler dies als Einmischung in ihre Angelegenheiten werten, während sie die Folgen ihrer Entwicklungen der Gesellschaft zumuten. Hierfür ist die Gentechnologie ein gutes Beispiel.Ich will aus aktuellem Anlaß ein paar Worte zur Genomanalyse im Arbeitsverhältnis sagen. Wie viele wissen, plant die Bundesregierung im neuen Arbeitsschutzrahmengesetz die Einführung der Genomanalyse bei Gesundheitsuntersuchungen. Unter Irreführung der Öffentlichkeit, deren mangelnde Kenntnis nutzend, erklärt sie demgegenüber, das neue Gesetz enthalte ein Verbot der Genomanalyse. Sie macht sich dabei die Definition der Genetiker zu eigen, wonach die Analyse einzelner Gene und Genabschnitte nur genetische Analyse genannt wird.Dies ändert jedoch nichts daran, daß mit dieser Genanalyse eine Auswahl von Arbeiterinnren und Arbeitern nach biologischen Kriterien möglich wird. Es wird in Leistungsfähige und Kranke unterschieden werden, obwohl doch die Gentests nur über Dispositionen Auskunft geben. Die Freiwilligkeit, die das Schutzgesetz vorsieht, ist angesichts Millionen Arbeitsuchender nur formal gegeben. Als Resultat dieser Regelung steht vielmehr zu befürchten, daß unter Arbeitsuchenden eine Konkurrenz um sogenannte gute Erbanlagen einsetzen wird.Eigentliche Aufgabe eines Arbeitsschutzgesetzes sollte es sein, jede Arbeiterin und jeden Arbeiter vor einer Gesundheitsgefährdung zu schützen. Das heißt: Ein Unternehmen muß sicherstellen, daß Menschen jeglicher Konstitution einen Arbeitsplatz auch wahrnehmen können. Sonst wird das Unternehmen einseitig entlastet und statt dessen die Gesundheitsvorsorge privatisiert, obwohl kein Mensch für seine genetische Konstitution verantwortlich ist. Diese Bedenken, die ich hier ausführe, werden ja auch durch das Gutachten des Büros für Technikfolgenabschätzung bestätigt. Wofür erstellt eigentlich ein solches Büro unter großem Aufwand solch ein Papier, wenn es dann nicht sehr ernstgenommen wird?Meine Damen und Herren, um einer drohenden genetischen Diskriminierung entgegenzuwirken, sollte der Einsatz genetischer und biochemischer Tests im und vor dem Arbeitsverhältnis grundsätzlich verboten bleiben.
Unsere Aufgabe besteht darin, Schadstoffe, Lärm und Überanstrengung am Arbeitsplatz zu bekämpfen und nicht Menschen noch das Leben schwer zu machen, die möglicherweise später mit einer Krankheit zu kämpfen haben.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1994 20209
Dr. Ursula FischerIch möchte noch eine Aussage des Büros für Technikfolgenabschätzung hervorheben: Wir sollten der Aufforderung, im Versicherungsrecht einen Schutz vor genetischer Diskriminierung zu schaffen, sehr schnell Folge leisten. Von einem Mitarbeiter des Humangenetischen Instituts Bonn weiß ich, daß es an seinem Institut bereits Anfragen von Versicherungen gegeben hat. Dies beweist die Notwendigkeit und die Eiligkeit einer solchen Regelung.Meine Damen und Herren, im Anschluß an diese Debatte werden wir vermutlich einstimmig die Entschließung zum Verbot der Klonierung menschlicher Embryonen verabschieden. In der Regel sonnen wir uns dabei im Licht des Embryonenschutzgesetzes, welches eine Klonierung verbietet. Besonders Minister Seehofer wird nicht müde, die Fortschrittlichkeit der deutschen Gesetzgebung zu betonen.Durch Indiskretion ist vor einigen Wochen der Entwurf einer Europäischen Bioethik-Konvention bekanntgeworden, der sämtliche ethischen Grenzen der Biowissenschaften überschreitet. Der Skandal daran ist, daß zumindest ein Mitarbeiter des Gesundheitsministeriums an der Ausarbeitung dieses Entwurfs beteiligt war. Mir kommt der Verdacht, daß mit wohlmeinenden Entschließungen nur die Öffentlichkeit beruhigt und abgelenkt werden soll, während hintenherum schon die Planung für die Zukunft läuft.Die Bioethik-Konvention enthält nämlich keinerlei Verbot der Klonierung von Embryonen; doch das ist noch das kleinste Übel. Dem Entwurf zufolge sollen Forschung an Embryonen die ersten 14 Tage erlaubt sowie genetische Tests zu Forschungszwecken zulässig sein. Und der Gipfel des Ganzen: An Behinderten dürfen Eingriffe ohne therapeutischen Wert vorgenommen werden, obwohl oder gerade weil sie diesem Eingriff nicht zustimmen können. Mich beeindruckt das sehr. Ich finde, das ist wirklich menschenverachtend.Dies alles, meine Damen und Herren, ist ein Horrorkatalog, der auch nicht mit dem Hinweis auf nationale Gesetzgebungen gemildert wird. Ich kann mir schon jetzt die Kampagne lebhaft vorstellen, die hier gestartet wird, wenn andere Staaten die genannten Grundsätze umsetzen. Mit dem Argument der Konkurrenzfähigkeit des Standortes Deutschland werden Wissenschaft, Industrie und Politik versuchen, diese Grundsätze auch hier in Deutschland durchzusetzen.Meine Damen und Herren, achten wir darauf, daß Beschlüsse, die hier gefaßt werden, ihre Gültigkeit behalten. Sie erinnern sich sicher noch an den Widerstand vieler Menschen, darunter besonders Behinderte, gegen die Veröffentlichung der Bücher Peter Singers. Man kann geteilter Meinung über ein Verbot von Büchern sein.
Was nicht sein darf, ist, daß die Pseudoethik Singers Grundlage unseres Umgangs mit Menschen und der Anwendung der Biowissenschaften wird.
Nun hat Frau Kollegin Vera Wollenberger das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die offizielle These, die Gentechnik sei die Schlüsseltechnologie der Zukunft, ist mehr als zehn Jahre alt. Es wird Zeit, hiervon Abschied zu nehmen und die staatlichen Forschungsprogramme und Maßnahmenkataloge aus ihrer einseitigen Fixierung zu befreien. Das Verdienst des Büros für Technikfolgenabschätzung besteht darin, dies in einem kritischen Bericht nachgewiesen zu haben.Nicht zuletzt deshalb hat die Studie zur biologischen Sicherheit bei der Nutzung der Gentechnik in den Kreisen der Bundesregierung solchen Aufruhr verursacht. Am liebsten wäre es der Regierung wahrscheinlich gewesen, wenn die Ergebnisse auf immer in der Schublade verschwunden wären. Ich will deshalb insbesondere drei Punkte des Berichts noch einmal hervorheben.Erstens. Kritiker wie Befürworter der Anwendung der Gentechnologie konstatieren übereinstimmend einen Rückstand der Sicherheitsforschung in der Bundesrepublik. Festgestellt wird, daß sicherheitsrelevante Themen weder in nationalen noch in internationalen Forschungsprogrammen ausreichend Beachtung finden. Festgestellt wird, daß keine Anreize für Sicherheitsforschung vorhanden sind. Festgestellt wird, daß eine zu schmale Finanzbasis gegeben ist. Festgestellt wird weiter, daß die Sicherheitsforschung am schlechten Zugang zu sicherheitsrelevanten Daten scheitert. Festgestellt wird endlich, daß die Risikobewertungsversuche anläßlich der Freisetzungsversuche keineswegs ausreichen, um Gefahrenpotentiale auszuschließen.Bis heute ist die eher bescheidene Forderung der Naturschutzverbände nach je einer Mark für Sicherheitsforschung bei je 10 DM für die Forschung nicht erfüllt. Der Vorschlag, eine Bundesanstalt für Sicherheitsforschung einzurichten, ist bis heute weder geprüft noch sachkundig bewertet worden, obwohl der Bericht nun schon ein Jahr alt ist.Zweitens. Die differenzierte Kritik der Öffentlichkeit an Anwendung, Methoden und industrieller Verwertung von gentechnischen Methoden hält unvermindert an. Insbesondere wird die staatliche Förderung der Gentechnik von einer Mehrheit der befragten Bürgerinnen und Bürger abgelehnt. Wachstums- und Fortschrittsversprechen müssen sich heute anders als noch vor einem Vierteljahrhundert begründen. Eine neue Technologie muß sich legitimieren können. Dies bedeutet heute: Sie muß nicht nur ihre wirtschaftliche, sondern auch ihre gesellschaftliche Nützlichkeit unter Beweis stellen.Die in der Studie zur biologischen Sicherheit enthaltene Umfrage zu Einstellung und Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger hinsichtlich gentechnologischer Methoden bringt einen informationspolitischen Skandal zutage. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Informationspolitik der Bundesregierung ist gering. Bürgerinnen und Bürger wenden sich lieber an nichtstaatliche Institutionen wie an Verbraucher- und Umweltschutzverbände, wenn sie über Gentechnik informiert werden wollen. Nur 8 % der Befragten
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20210 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1994
Vera Wollenbergerhaben Vertrauen in staatliche Behörden, wenn es um Informationen geht.Diese Daten zeigen zweierlei: Zum einen verhindert die antiquierte Geheimhaltungspolitik der Bundesregierung eine demokratische und transparente Debatte über Gefahren, Risiken und Grenzen der Gentechnik. Zum anderen wachsen Skepsis und Mißtrauen gegenüber staatlichen Institutionen. Es gibt einen Trend zu abwägenden Urteilen, die auf Informationen durch Nichtregierungsorganisationen basieren. Die desorientierende Informationspolitik der staatlichen Behörden, die Öffentlichkeit ausschließt, statt das Gespräch mit ihr zu suchen, führt zu einem Bruch zwischen Gesellschaft und staatlichen Instanzen.Drittens. Die Bundesregierung hat die Novellierung des Gentechnikgesetzes im Schulterschluß mit der Industrie durchgesetzt. Hauptargument für die Deregulierung und die Beschneidung der Öffentlichkeitsbeteiligung war und ist das Standortargument. Der Bericht des TFA-Büros belegt aber in aller Deutlichkeit: Es gibt in Deutschland keinen Standortnachteil. Mit der Behauptung von angeblich besseren Standortbedingungen in anderen Ländern wurde das rechtliche Instrumentarium zu Lasten des ökologischen Gleichgewichts und des Schutzes der Verbraucherinnen und Verbraucher weiter verschlechtert.Das Gutachten des Fraunhofer Instituts für Systemtechnik und Innovationsforschung überführt auch hier die Bundesregierung einer fahrlässigen und verantwortungslosen Politik. Die ISI-Studie vergleicht nicht nur die einzelnen Bestimmungen in den USA, Japan und den Ländern der Europäischen Union, sondern auch die Erfahrungen mit den rechtlichen Regelungen. Sie berücksichtigt darüber hinaus das öffentliche Meinungsklima in den jeweiligen Staaten. Die Untersuchung widerlegt die Behauptung, daß strikte Auflagen zu einer Abwanderung der industriellen Produktion führen. Standortentscheidungen werden — ich zitiere wörtlich — „praktisch unabhängig von der Regulierungssituation getroffen" .Auch der Eindruck, wonach die amerikanische Regelungspraxis zur Genehmigung eines Großteils der Freisetzungen von Pflanzen innerhalb kürzester Zeit und mit minimalem Aufwand führe, ist unzutreffend. In Japan sind die ersten Freisetzungen transgener Pflanzen mit extrem hohen Anforderungen an die Dokumentation aller nur denkbaren Auswirkungen verbunden. Die Regelungen basieren dort — so die ISI-Studie — auf einer generell eher vorsichtigen Herangehensweise an bisher nicht völlig geklärte Sachverhalte.Die Erfahrungen aus den USA und Großbritannien zeigen, so das Fraunhofer Institut, daß ein Genehmigungsverfahren in diesen Ländern nur dann seine Funktion erfüllen kann, wenn die Öffentlichkeit darauf vertrauen kann, daß allen relevanten Gefährdungspotentialen und berechtigten Bedenken durch ein objektives Verfahren Rechnung getragen wird. Hinzu kommt, daß sowohl die USA als auch Japan über ein scharfes Umwelthaftungsrecht verfügen. Der Zugang zu Informationen ist selbstverständlich für jede Bürgerin und jeden Bürger gesichert.Aus alledem folgt: Der immer wieder beschworene Standortnachteil und das Gerede von der Gentechnik als Schlüsseltechnologie, die Arbeitsplätze schaffe und wirtschaftliches Wachstum fördere, gehören in den Bereich der Fabel. Die Konsequenzen aus diesem Bericht können nur sein: Forschungsgelder müssen massiv in die Sicherheitsforschung umgelenkt werden. Freisetzungen können so lange nicht verantwortet werden, als ihre ökologische Unbedenklichkeit, und zwar auf lange Sicht hin, nicht feststeht.Genehmigungsverfahren sind transparent und unter Beteiligung der Öffentlichkeit durchzuführen. Der Schutz von Mensch und Umwelt muß alleiniger und ausschließlicher Gesetzeszweck des Gentechnikgesetzes sein. Informationsansprüche sind endlich, und zwar unabhängig von individueller Betroffenheit, gesetzlich anzuerkennen.Meine Damen und Herren, ich möchte nun noch gerne den zweiten hier zur Debatte stehenden Bericht des TFA-Büros streifen. Es ist das Verdienst dieses Berichts, auf die Gefahren der Genomanalyse, insbesondere im Bereich des Arbeitsrechts und der pränatalen Diagnostik hingewiesen zu haben. Die aus den USA bekannte Weigerung, ein mongoloides Kind in die Krankenversicherung aufzunehmen, weil dessen Erkrankung schon vorher auf Grund pränataler Diagnostik feststand, ist zutiefst inhuman und verletzt die menschliche Würde. Schon heute sind Paare vielfach der humangenetischen Beratungssituation ausgeliefert. Ohne Regelungen zur Beratung besteht die Gefahr der Eugenik von unten, die sich heute schon ankündigt. Auf den Test folgt die Abtreibung. All diejenigen, die immer von Lebensschutz reden, werden hier der brutalen Heuchelei überführt. Ich möchte nicht ausmalen, was alles in der „schönen neuen Welt" einmal als Behinderung angesehen werden könnte. Eine informierte freie Entscheidung ist heute bei „negativem" Ausgang der pränatalen Diagnostik kaum noch gewährleistet.Es bedarf daher strikter Regelungen, die eine nondirektive Beratung der Frau und des Mannes sicherstellen. Gentechnische Tests müssen im Bereich der Kranken- und Lebensversicherung strikt verboten werden. Im Bereich des Arbeitsrechts lehnen wir jegliche genetischen Tests von Beschäftigten strikt ab. Weder bei der Einstellung noch bei einem anschließenden Monitoring dürfen solche Tests zur Anwendung kommen. Eine gesetzliche Regelung, die genetische Tests oder Diagnosen im Bereich des Arbeitsschutzes und der Versicherung generell verbietet, ist daher überfällig.
Als nächster hat Herr Bundesminister Dr. Paul Krüger das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unsere letzte forschungspolitische Debatte fand am Anfang des Jahres noch unter dem Eindruck von Rezession und Arbeitslosigkeit statt.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1994 20211
Bundesminister Dr.-Ing. Paul KrügerWir waren uns einig: Es besteht dringender Handlungsbedarf in der Forschungs- und Technologiepolitik.Heute haben wir die wirtschaftliche Talsohle verlassen.
— Herr Vosen, aktuelle Konjunkturdaten belegen nun fast täglich eine konjunkturelle Belebung.
Dies darf nicht zu falschen Schlüssen verleiten. Substantielles, umweltgerechtes Wirtschaftswachstum und ein Abbau der Arbeitslosigkeit werden wir nur durch neue Wachstumsmärkte schaffen können.
Dies ist nur auf der Grundlage neuer Technologien möglich. Es ist nur machbar, wenn wir die richtigen Weichen dazu stellen, Herr Vosen.Die Auseinandersetzung um die Postreform II macht dies beispielhaft sehr deutlich.
Der gesamte Bereich der Telekommunikation könnte schon Mitte des kommenden Jahrzehnts mit 5 % Anteil am Bruttoinlandsprodukt die volkswirtschaftliche Bedeutung der Automobilindustrie erreichen. Neue Arbeitsplätze könnten zusätzlich in vielfältigen damit verbundenen Dienstleistungen entstehen.Wir haben heute in Deutschland leistungsfähige Datennetze. Die wissenschaftlichen und technischen Grundlagen sind sehr gut. Wir haben aber ein Defizit in Preis und Nutzung dieser Netze. Es kommt nun darauf an, ein breites Spektrum von Anwendungen für Daten und Bildkommunikation über Information Highways, wie sie heute genannt werden, zu erschließen. Die Wirtschaft braucht hierzu in erster Linie die richtigen Rahmenbedingungen.Die wichtigste dieser Rahmenbedingungen für die Information Highways ist für mich die Liberalisierung der Netze, also die umgehende Schaffung von Wettbewerbsstrukturen. Man kann mit Fug und Recht hier sagen: Wettbewerb ist der beste Innovationsmotor.
Wer keinen Wettbewerb schafft, blockiert die Zufahrten zu den Information Highways, während andere Staaten derzeit daran arbeiten, sie zu planieren und zu asphaltieren.
— Herr Vosen, an dieser Stelle würde ich als SPD-Vertreter doch nicht so laut tönen.
Ich möchte gar nicht näher darauf eingehen.In diesem Zusammenhang ist schon sehr erstaunlich, meine Damen und Herren, welch geringe Rolle diese Fakten in der öffentlichen Diskussion spielen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mosdorf?
Wenn Sie mir das nicht auf die Zeit anrechnen, dann ja.
Das tue ich selbstverständlich nicht.
Herr Minister, Sie haben vor wenigen Tagen ein Gutachten einer Unternehmensberatung vorgestellt, das sich sehr kritisch mit dem Ausbau der Information Highways in Deutschland beschäftigt hat, auch mit der Situation im Telekom-Bereich.
Ich habe das nicht vorgestellt.
Sie haben das nicht vorgestellt? Dann habe ich das falsch verstanden. Heißt das, daß Sie sich von dem Gutachten distanzieren?
Nein, ich habe es zur Kenntnis genommen. Ich habe ein Gutachten erstellen lassen und es zur Kenntnis genommen. Ich habe zur Kenntnis genommen, daß einige Zahlen dieses Gutachtens nicht ganz aktuell sind. Ich habe das Gutachten gleichwohl in meine Entscheidungspraxis einfließen lassen. Aber ich habe es grundsätzlich nicht veröffentlicht. Ich habe dazu immer wieder gesagt: Das ist kein Gutachten, das mein Haus akzeptiert bzw. veröffentlicht.
Meine Frage war, welche Schlußfolgerungen Sie aus diesem Gutachten ziehen und ob Sie den Zustand, in dem wir uns gegenwärtig auch im internationalen Vergleich befinden, ebenfalls so skeptisch beurteilen wie dieser unabhängige Unternehmensberater oder so positiv wie diejenigen von der Telekom?
Als wesentlich habe ich auch aus diesem Gutachten entnommen, daß wir, um mehr Anreize zur Nutzung von Information Highways zu schaffen, vor allem Wettbewerb brauchen, daß wir dringend daran arbeiten sollten, diesen Wettbewerb zu schaffen, und daß wir all diejenigen, die uns daran hindern wollen, im Prinzip eines Besseren belehren sollten. Dazu zählt zur Zeit auch die SPD, das ist mein Eindruck. Ich nehme gern zur Kenntnis, wenn das nicht der Fall sein sollte.
— Nein, es ist nicht alles. Aber hier liegt im Moment der größte Bremsklotz.
Ich darf dann fortfahren: Wir sind gewohnt, im Westen Deutschlands Arbeitsplatzverluste in traditionellen Industrien lautstark zu beklagen. Niemand demonstriert aber für Hunderttausende von Arbeitsplätzen in der Zukunft, die wir jetzt auf Grund solcher Tatbestände, wie wir sie eben diskutieren, nicht schaffen können.
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20212 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1994
Bundesminister Dr.-Ing. Paul KrügerMeine Damen und Herren, ich habe im vergangenen Jahr notwendige Schwerpunkte der Forschungs- und Technologiepolitik fixiert und unverzüglich mit deren Realisierung begonnen. Ein Schwerpunktthema ist und bleibt die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Forschung und Technologie. Dabei sind Fragen der Aufgeschlossenheit der Menschen gegenüber neuen Technologien und Entwicklungen die wohl wichtigste Voraussetzung für Verbesserungen. Größere Spielräume für Forschung und Technik sind nur durchsetzbar, wenn in Deutschland verstanden wird, welche Bedeutung der wissenschaftliche und technologische Wandel für unser Land hat, wenn verstanden wird, wie sehr wir auf wissenschaftliche und technologische Entwicklungen angewiesen sind, und wenn wir deren erfolgreiche Umsetzung in Produkte und Märkte — und das heißt auch in die Schaffung von Arbeitsplätzen — überbringen können.Wir haben in diesem Zusammenhang substantielle Schritte der Bundesregierung mit initiiert, um gesetzliche Rahmenbedingungen und Genehmigungsfristen innovationsfreundlicher zu gestalten. Sie werden jetzt teilweise im Bundesrat blockiert.Meine Damen und Herren, wir sind im vergangenen Jahr bei der Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft ein erhebliches Stück vorangekommen. Wir haben in Deutschland eine ausgezeichnete Grundlagenforschung. Kein anderes Land engagiert sich laut OECD finanziell in so hohem Maße für die Grundlagenforschung wie Deutschland. Auf vielen Gebieten werden Spitzenleistungen erbracht.Ich wiederhole es immer wieder: Ich setze mich dafür ein, daß Freiraum und Gewicht der Grundlagenforschung erhalten bleiben.
Die Grundlagenforschung dient vielen Zielen, nicht allein ökonomischen. Sie ist eine Basis der technologischen Kompetenz unseres Landes auf den Technologiefeldern des 21. Jahrhunderts.Was wir aber mehr denn je brauchen, ist eine stärkere Verknüpfung der Potentiale der Grundlagenforschung mit Innovationsaktivitäten der Wirtschaft. Wir brauchen also mehr Wissens- und Technologietransfer. Im vergangenen Jahr haben wir deshalb Programme und Pilotprojekte zur Forschungskooperation, zur Einrichtung von Innovationskollegs an Hochschulen, zur Talentsicherung, zum Aufbau von Technologietransferstellen gestartet und ausgebaut, die vor allem die Möglichkeiten des Technologietransfers über Köpfe realisieren.Der Technologietransfer reicht aber allein nicht aus. Die Gewinnung und Zusammenführung von Wissen, von der Erarbeitung gemeinsamer Zielsetzungen bis zur erfolgreichen Innovation, setzt die Anregung, die gegenseitige Motivation, ja vor allem die Kooperation von Teams aus Industrie und Wissenschaft voraus.
Wir haben deshalb einen komplexen Innovationsdialog begonnen, der Antworten auf Fragen nach Anwendungen von Forschung und Technik, also Visionen der Zukunft, erarbeitet.Herr Catenhusen, natürlich haben wir das seit langem. Wir haben die Delphi-Studie schon vor einem halben Jahr vorgestellt, die sich mit gleichen Problemen beschäftigt.Ein Ergebnis dieses Innovationsdialogs ist die Erarbeitung umfassender Verbundprojekte. Wir haben in diesem Zusammenhang neue Förderkonzepte und Leitprojekte zu „Technologien des 21. Jahrhunderts" erarbeitet — wenn wir den Dialog nicht hätten, hätten wir das gar nicht tun können —, die sich stärker als in der Vergangenheit an dem Ziel der Anwendung orientieren. Ich denke hier u. a. an die Programme zur Lasertechnik und zur Mikrosystemtechnik sowie an umfassende Verbundprojekte wie die Entwicklung technischer Sehsysteme. An der Entwicklung dieser sogenannten elektronischen Augen arbeiten allein 175 Partner in 15 industriegeführten Forschungsverbünden zusammen. Ich glaube, genau das ist der richtige Weg.Der Weg, den wir mit diesem systematischen Dialogprozeß eingeschlagen haben, stößt in Wirtschaft und Wissenschaft auf eine breite positive Resonanz. Trotz aller Unkenrufe, so sage ich mit aller Entschiedenheit, werden wir diesen Weg konsequent weitergehen.
Meine Damen und Herren, wer die Zusammenarbeit zwischen Forschungseinrichtungen und Wirtschaft verbessern will, sollte die Großforschungseinrichtungen in besonderem Maße einbinden. Ich habe deshalb Vertreter der Industrie gebeten, Kooperationschancen mit dem Forschungszentrum KfK Karlsruhe und dem Forschungszentrum KFA Jülich zu prüfen. Die Arbeit dieser Kommission ist ein wichtiger Schritt voran. Sie belegt die Qualität der Forschung in den Großforschungseinrichtungen. Sie zeigt auch das Interesse der Industrie an einer engeren Kooperation mit den Großforschungseinrichtungen. Und sie erbrachte gute und interessante Vorschläge, wie diese Zusammenarbeit gestaltet werden kann.Wir werden die Ergebnisse des Kommissionsberichtes detailliert auswerten. Wir werden dies unter der Prämisse tun, daß Lösungsansätze nur tragfähig sein können, wenn wir sie sorgfältig gemeinsam mit Großforschungseinrichtungen und der Industrie diskutieren.
Wir haben dabei zu beachten, daß die Großforschungseinrichtungen eine sehr differenzierte Aufgabenstruktur haben. Sie haben neben der wirtschaftlich relevanten Forschung vor allem wichtige Aufgaben in der Vorsorgeforschung und in der Grundlagenforschung. Die Veränderung gewachsener Aufgabenverteilungen haben wir dabei sorgfältig zu bedenken. Denn es ist das erklärte Ziel meiner Politik, dafür zu sorgen, daß Forschungsaufgaben der Grundlagen- und Vorsorgeforschung gegenüber anwendungsorientierter Forschung auch in Zukunft in einem
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1994 20213
Bundesminister Dr.-Ing. Paul Krügerausgewogenen Verhältnis zueinander wahrgenommen werden.
— Das heißt, etwa in dem Verhältnis, wie wir es jetzt auch haben, denn dieses Verhältnis hat sich in Deutschland, glaube ich, bewährt.Mit der Evaluation der Umweltforschung durch den Wissenschaftsrat und der Begutachtung von Forschungseinrichtungen durch den ZVEI haben wir auf weiteren Gebieten der institutionellen Förderung ähnliche Prozesse bereits angelegt.Die Aufgabe, Forschungseinrichtungen zu nutzen, stellt sich auch in den neuen Ländern. Wir haben nach der Umstrukturierung in den neuen Ländern eine Dichte von leistungsfähigen Forschungseinrichtungen, die etwa der in den alten Bundesländern entspricht. Ihr Aufbau ist einer der großen Erfolge der Forschungspolitik der vergangenen Jahre. Auch hier darf ich Heinz Riesenhuber in diesem Zusammenhang persönlich meinen Dank sagen.
Dies ist auch ein gewichtiger Standortfaktor für die Ansiedlung von Industrieunternehmen, aber auch für die Gründung von kleinen und mittelständischen Unternehmen und damit natürlich für die Schaffung von Arbeitsplätzen in der industriellen Forschung und auch in der Hochtechnologieproduktion. Dresden als zukünftiges Zentrum für Mikroelektronik ist hierfür nicht das einzige Beispiel. Insgesamt bleibt die Erhaltung und der Ausbau einer leistungsfähigen Industrieforschung in den neuen Ländern aber eine der größten Herausforderungen der Forschungs- und Technologiepolitik in den kommenden Jahren.Trotz Stabilisierung der Industrieforschung in den letzten Monaten haben wir in diesem Bereich in den neuen Bundesländern weiterhin eine schwierige Gesamtsituation. Gleichwohl sind inzwischen eine Reihe positiver Anzeichen, insbesondere in mittelständischen Betrieben erkennbar. Dies ist nicht zuletzt auch auf die umfangreiche Unterstützung durch die Bundesregierung zurückzuführen. Wir steigerten die Mittel für industrielle Forschung und Entwicklung in den neuen Ländern ständig. Wir liegen 1994 mit ca. 740 Millionen DM bei etwa 40 % der internen FuE-Aufwendungen der Unternehmen in den neuen Ländern insgesamt.
Die vom BMFT geplante neue Maßnahme „Produkterneuerung" schafft neue Möglichkeiten gerade in diesem Bereich der Industrieforschung.
Hierfür werden Mittel aus dem Vermögen der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Umfang von 75 Millionen DM eingesetzt. Die gleiche Summe wird den neuen Bundesländern noch einmal für spezifische Aufgaben der Förderung im Bereich der Industrieforschung zugehen.
Die Forschungs- und Technologiepolitik hat insgesamt im vergangenen Jahr eine Reihe wichtiger Entscheidungen getroffen und wichtige Initiativen vorangebracht. Wir haben darüber hinaus die Weltraumfahrt inhaltlich und finanziell konsolidiert. Wir haben den Transrapid aufs Gleis gesetzt; wir haben ihm eine neue, wie ich meine, tragfähige Perspektive eröffnet. Wir haben das vierte europäische Rahmenprogramm entscheidend mitgestaltet. Wir haben eine Reihe wichtiger Förderschwerpunkte und Förderprojekte ausgearbeitet; ich nenne als Beispiel den produktionsintegrierten Umweltschutz oder Produktionstechniken des 21. Jahrhunderts. Programme zur Verkehrsforschung und auch zur Materialforschung stehen unmittelbar vor der Fertigstellung.Nun gilt es, das Begonnene weiterzuentwickeln. Der Weg zu mehr Kreativität am Innovationsstandort Deutschland führt über mehr Kooperation auf der Basis gemeinsam erarbeiteter Zielvisionen. Hierzu haben wir wesentliche Prozesse eingeleitet. Wir gestalten damit eine Forschungspolitik, die wesentlich mehr ist als nur eine Förderpolitik. Es ist eine Forschungspolitik, die sich auf der Basis einer leistungsfähigen Grundlagenforschung im anwendungsnahen Bereich an Innovationszielen orientiert. Wir arbeiten damit an einer, wie ich meine, entscheidenden Aufgabe für den Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort Deutschland. Wir sind auf einem guten Weg, und wir werden diesen Weg konsequent fortsetzen.Danke.
Nun hat der Kollege Wolf-Michael Catenhusen das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist für uns Sozialdemokraten klar: Die Fähigkeit zu Innovation ist eine der Grundvoraussetzungen für die Zukunftsfähigkeit unserer Industriegesellschaft. Für unsere wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Probleme von heute und für die Wachstumsmärkte der Zukunft, für die Gestaltung unserer gesellschaftlichen Zukunft brauchen wir Fortschritte in der Grundlagenforschung, neue technische Lösungen und Konzepte der wirtschaftlichen, technischen und gesellschaftlichen Modernisierung.Es ist allerdings seit längeren Jahren auch bekannt, daß wir in Deutschland im Prozeß der Innovation im internationalen Vergleich erhebliche Defizite aufzuweisen haben. Demgegenüber ist es erst wenige Monate her, daß sich nun auch die Bundesregierung diesem Problem verbal zuwendet. Die Häufigkeit dieser Reden in den letzten Wochen — bis hin zum Bundeskanzler — steht aber im krassen Widerspruch zu den weiter ausbleibenden politischen Handlungen und notwendigen Entscheidungen.
Es ist ja verständlich, daß Sie im Vorfeld einer Wahl für bessere Stimmung in Wissenschaft und Wirtschaft sorgen wollen. Das haben Sie auf dem Feld der Forschungspolitik auch besonders nötig; denn in Wissenschaft und Forschung werden fehlende Strategien
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20214 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1994
Wolf-Michael Catenhusender Forschungs- und Technologiepolitik und die seit Jahren andauernde reale Absenkung des Forschungsetats des BMFT zu Recht massiv kritisiert.Ihre Strategie besteht aus Ankündigungen, Vervielfachung von Strategiekreisen und Strategiediskursen. Kaum hat der Forschungsminister sich seinen Strategiekreis zugelegt, überholt ihn der Bundeskanzler mit einem Kaffee- oder Kaminkränzchen „Technologierat" . Wir wollten einen Technologierat, der als unabhängige Einrichtung an einer Verständigung über die notwendigen Technologien des nächsten Jahrzehnts mitwirkt, der Innovationsstrategien, in denen die Anstrengungen von Wissenschaft, Wirtschaft und Industrie zusammengebunden werden, entwickelt.Was jetzt passieren wird, wenn es überhaupt vor dem 16. Oktober zu etwas kommt, ist, daß wir einmal — zufälligerweise wenige Wochen vor den Wahlen — schöne Bilder über ein Zusammenkommen des Bundeskanzlers mit prominenten Vertretern von Wissenschaft und Industrie erleben werden. Das kann es ja wohl nicht sein.
Sie müssen es sich schon gefallen lassen, daß wir Sie an den Realitäten der Entscheidungen Ihrer Forschungs- und Technologiepolitik der letzten zwölf Jahre messen und nicht an den Reden und Ankündigungen, die sich in den letzten Wochen und Monaten häufen.Lassen Sie mich acht Ihrer forschungspolitischen Sünden exemplarisch kurz verdeutlichen.Sünde Nr. 1: Ihre Forschungs- und Technologiepolitik ordnet sich bis heute nicht in eine übergreifende Innovationsstrategie der Bundesregierung insgesamt ein. Sie haben nämlich keine. Von einer Bundesregierung, die die Aufgaben der Zeit erkennt, würde man doch erwarten, daß sie — etwa in internationaler Kooperation — eine Strategie für eine dauerhaft tragfähige Energieversorgung und für eine wirksame CO2-Reduzierung entwickelt, daß sie die technologische Basis für die Produktionskonzepte des nächsten Jahrzehnts legen hilft, daß sie eine leistungsfähige und ökologisch verträgliche Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur schafft. Diese strategischen Aufgaben werden von der Bundesregierung als Ganzes vernachlässigt, und es gibt deshalb in diesem Bereich auch keine von der Bundesregierung insgesamt verantwortete Strategie. Es gibt einige interessante Meinungsbeiträge von Herrn Krüger, aber nicht mehr. Dort, wo wir in Deutschland technische Konzepte haben, die teilweise im internationalen Vergleich führend sind, etwa wie bei der Photovoltaik, sind Sie bis heute nicht in der Lage, für die Markteinführung von modernen Technologien Ihren Beitrag zu leisten.Sünde Nr. 2: Die Krise der Raumfahrtpolitik ist auch bis heute nicht ansatzweise überwunden. Die Raumfahrtpolitik in Deutschland und in Europa steckt in einer tiefen Sackgasse und Krise. Ein völlig überzogenes, politisch motiviertes Programm für die eigenständige bemannte Raumfahrt hat sich als undurchführbar erwiesen. Das wissen Sie längst. Die Bundesregierung ist für dieses Desaster ja selbst hauptverantwortlich.Aber sie hat bisher keine Entscheidung — ich betone: Entscheidung —, weder in Deutschland noch auf ESA-Ebene, herbeigeführt, wie denn nun der Raumfahrtpolitik längerfristig verläßliche, sinnvolle Auf gaben gestellt werden, die auch bei knappen Kassen finanzierbar sind. Ich nenne etwa das Stichwort „Verstärkung der Luftfahrtforschung". Ihre Bilanz ist Null.Sünde Nr. 3: Sie haben es zwölf Jahre lang versäumt, durch Entscheidungen die Strukturen unserer Forschungslandschaft weiterzuentwickeln. Für das Trauerspiel „Zukunft der Großforschung" werden im BMFT immer neue Akte geschrieben. Sie treten seit zwölf Jahren bei der Beschreibung neuer Aufgaben und der Weiterentwicklung der Strukturen für die Großforschungseinrichtungen auf der Stelle, ohne daß das Ministerium jemals eine eigene Strukturentscheidung, etwa für den Gesamtbereich, auf den Tisch gelegt hätte.Nun haben wir ein neues Weule-Gutachten. Das reiht sich in eine lange Reihe von folgenlosen Kommissionsberatungen ein. Es ist ja klar, daß dieses Gutachten mit dem 16. Oktober wieder mal in den Schrank wandert, damit man in einer neuen Runde über neue Papiere nachdenken kann. Die überfällige Neuorientierung der Großforschung an gesellschaftlichen Aufgaben und die notwendige Absprache zwischen Industrie, Wissenschaft und Politik über den wirklichen Anteil der Großforschung an der Entwicklung der Schlüsseltechnologien für die Zukunft ist bis heute nicht konkret erfolgt.Sünde Nr. 4: Die Umwelt- und Vorsorgeforschung ist konzeptionell bis heute ein Stiefkind der deutschen Forschungspolitik geblieben.
Zwar hat das Forschungsministerium umweltrelevante Forschungsaufgaben vor allem in den Großforschungseinrichtungen in den 80er Jahren finanziell bedeutend verstärkt, eine politische Strategie jedoch gibt es für die Umweltforschung nicht, trotz ihrer zentralen Bedeutung für unsere Zukunft. Strukturen und Zielsetzungen werden den tatsächlichen Problemlagen der Umwelt in unserem Lande nicht gerecht. Der Bericht des Wissenschaftsrates ist auf 1 000 Seiten ein Denkzettel für die strategischen und konzeptionellen Versäumnisse der deutschen Umweltforschungspolitik.
Sünde Nr. 5: Die Regierung hat es nicht geschafft, gezielt Instrumente zur Stärkung von Forschung und Entwicklung in der Wirtschaft, vor allem bei kleinen und mittleren Unternehmen, zu entwickeln. Ich rede nicht über die kleinen Beispielchen, die Herr Krüger als Entschuldigung für fehlende strategische Entscheidungen hier vorträgt. Im Gegenteil: Die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung sind auch in der Industrie in den letzten Jahren zurückgegangen. Vergessen Sie es doch nicht: Ende der 80er Jahre haben Sie gezielt Instrumente für die Forschungsförderung bei kleinen und mittleren Unternehmen zerstört mit dem Hinweis, eine allgemeine Senkung der
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1994 20215
Wolf-Michael CatenhusenUnternehmensteuern sei doch der wirksamste Beitrag zur Stärkung der Innovationskraft und Forschungsintensität der Wirtschaft.Diese ordoliberale Seifenblase, an der vor allem die Liberalen immer kräftig mit geblasen haben — und Herr Riesenhuber hat sie offenkundig gewähren lassen —, ist jetzt zerplatzt.
Was wir jetzt erleben, ist das Trauerspiel einer erneuten Ankündigungspolitik des Forschungsministers.
Seine vor wenigen Wochen gemachte trotzige Ankündigung, man brauche eine spezifische steuerliche Förderung von Forschungsausgaben vor allem der kleinen und mittelständischen Unternehmen, wurde vom Haus Waigel schon abgewürgt, ehe Herr Minister Krüger seine Rede überhaupt zu Ende gesprochen hatte.Die Förderung der Forschungstätigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen gehört doch zu den großen Defiziten Ihrer Regierung. Es ist ja schön, daß die Koalitionsfraktionen heute einen Antrag zum Thema NASDAQ vorlegen, der rein zufällig fast wörtlich aus der Ankündigung eines neuen Buches von Peter Glotz abgeschrieben worden ist. Das ist zwar nicht originell, zeigt aber, daß Sie selbst im Schnellgang Ihre Handlungsunfähigkeit auf diesem Gebiet offenkundig bemänteln wollen.Ohne gezielte Stärkung der Innovationskraft kleiner und mittlerer Unternehmen und ohne neue Wege bei der Neugründung von technologieorientierten Unternehmen durch Mobilisierung von Risikokapital wird der innovativste Sektor unserer Volkswirtschaft weiter vernachlässigt bleiben. Ihre Bilanz ist hier Null und wird bis zum 16. Oktober Null bleiben.Sünde Nr. 6: Es fehlt Ihnen offenkundig gerade im Bereich der Bio- und Gentechnik für den Standort Deutschland eine Innovationsstrategie, die wirklich dazu beiträgt, daß gesellschaftlich sinnvolle Anwendungen der Bio- und Gentechnik in Deutschland vorangebracht werden. Die deutsche Industrie ist bis heute bei dem kommerzialisierbaren Know-how in der Bio- und Gentechnik von Amerika abhängig. Ihre Politik in den letzten zwölf Jahren hat an diesem Zustand nichts geändert. Wir sollten uns davor hüten, Regulierungsdiskussionen immer nur als Ablenkungsmanöver von dem strategischen Defizit unserer Innovationspolitik zu betreiben.Sünde Nr. 7: „Information Superhighways" werden gebraucht, aber Deutschland läuft Gefahr, noch nicht einmal einen Feldweg zustande zu bekommen; denn wenn einem zu dem Thema nichts anderes einfällt als das Thema Deregulierung, dann hat man die Dimension des Problems der Multimedia-Gesellschaft der Zukunft nicht verstanden.
Trotz vieler Schelte ist auch klar, daß die Telekom neben dem Netz in den USA das leistungsfähigste Datenübertragungsnetz in der Welt geschaffen hat.Die entscheidende Frage ist aber: Wie schaffen wir es eigentlich, eine nachfrageorientierte Entwicklung dieser Multimedia-Gesellschaft zustande zu bringen? Wo bleibt denn der Dialog mit möglichen Nutzern? Wo bleiben die Initiativen dazu, neue Dienste, die auf diesem Netz aufbauen können, voranzubringen?Meine persönliche Meinung zum Telekom-Bereich ist die folgende: Ich glaube, daß die Privatisierung richtig ist; nur ist es ein absoluter Wahnsinn, wenn man glaubt, die gelbe Post gleich in denselben Sack packen zu können. Das paßt übrigens auch technologiepolitisch überhaupt nicht.Sünde Nr. 8 sind die realen Kürzungen im Etat des BMFT. Das Schweigen von Herrn Krüger läßt erahnen, daß die Kürzungen für 1995 fortgesetzt werden. Solche Kürzungen sind in den anderen hochentwikkelten Industriestaaten ohne jedes Beispiel. Zeiten wirtschaftlicher Probleme und struktureller Anpassungen verlangen nun einmal steigende Anstrengungen und steigende Aufwendungen auf diesem Gebiet.Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, gestatten Sie mir eine letzte Bemerkung. Am nächsten Wochenende wird es in Deutschland „Tage der Forschung" geben. Ich persönlich begrüße das sehr und werde am Wochenende in Münster und Halle an solchen Veranstaltungen teilnehmen; denn der wirksamste Beitrag, den die Wissenschaft selbst zum Abbau von Akzeptanzproblemen dort, wo es möglich ist, leisten kann, ist doch die offene Tür, die Einladung an die Öffentlichkeit, sich selbst mit den Ergebnissen der Forschung, mit der Forschungstätigkeit hautnah auseinanderzusetzen.Wenn die Bundesregierung mit diesen „Tagen der Forschung" die Hoffnung verbindet, sie könne damit von ihrem forschungspolitischen Versagen ablenken, dann verrechnet sie sich allerdings. In der Forschungspolitik ist Langfristigkeit des Denkens gefragt, und zwar auch bei den Wissenschaftlern selbst. Halten Sie das Gedächtnis von Wissenschaftlern nicht für so kurz, daß diese die Fehler Ihrer Forschungspolitik über eine Veranstaltung „Tage der Forschung" vergessen würden!
Nun hat der Kollege Josef Hollerith das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr dankbar bin ich für die Möglichkeit einer forschungspolitischen Diskussion anläßlich dieser Debatte im Deutschen Bundestag, gibt diese Diskussion doch Gelegenheit, über die Doppelzüngigkeit der SPD öffentlich zu reden.
Die SPD gibt vor, Verkehrsprobleme lösen zu wollen. Gleichzeitig bekämpft sie den Transrapid und verhindert damit die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze durch diese neue Technologie. Wir alle wissen doch, daß wir in Deutschland eine Referenzstrecke brauchen, damit wir diese Technologie exportieren
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20216 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1994
Josef Hollerithkönnen und unseren Vorsprung gegenüber Japan sichern können.
Die SPD gibt vor, Arbeitsplätze in der Luft- und Raumfahrtindustrie sichern zu wollen. In Wirklichkeit fördert sie deren Vernichtung, weil sie gegen den Jäger 90 polemisiert und sich gegen die bemannte Raumfahrt ausgesprochen hat.
Die SPD gibt vor, den Technologiestandort Deutschland stärken zu wollen. Tatsächlich paktiert die SPD — jedenfalls Teile der SPD — mit Bürgerinitiativen, die den Bau der neuen Neutronenquelle in Garching verhindern wollen, obwohl der Ersatz der alten Neutronenquelle durch den neuen Reaktor mit einem sicheren Containment, welches auch abgestürzte Flugzeuge aushält, mehr Sicherheit für die Bevölkerung bedeutete. Insoweit wendet sich die SPD gegen die Sicherheit der Menschen. Das ist die reale Politik dieser SPD!
— Diese Scheinheiligkeit, die ich auch heute zum Teil wieder vernommen habe, geht mir auf die Nerven. Ich muß hier einmal sagen, was für eine Lücke zwischen Reden und Handeln der SPD in den Gemeinden und Ländern besteht.
— Ich weiß schon, daß es wehtut, wenn man Salz in die Wunden streut.
Darum jaulen Sie auch auf. Ich freue mich darüber.
Die SPD gibt vor, die CO2-Belastung der Atmosphäre verringern zu wollen. In Wirklichkeit wendet sie sich gegen die friedliche Nutzung der Kernenergie, erschwert auf diese Art das Erreichen des Ziels der CO2-Reduktion und fördert zugleich die Vernichtung hochqualifizierter Arbeitsplätze in Deutschland.Wer so tut, als läge ihm die Forschung am Herzen,
gleichzeitig aber bei entscheidenden Projekten auf die Verhinderungsbremse tritt,
verhält sich scheinheilig. Darüber können auch nicht die gebetsmühlenartig wiederholten Forderungen der SPD nach mehr Geld im Forschungsetat hinwegtäuschen.
Herr Kollege Vosen, Sie haben — ich weiß nicht, ob Sie ein gläubiger Christ sind — vielfach den Begriff der Sünde gebraucht.
Auch Ihr Kollege Catenhusen hat sich diesen Begriff zu eigen gemacht. Sie versündigen sich gegen die Redlichkeit; Sie sind unredlich.
Ich zitiere aus dem Forschungsbericht, Drucksache 12/5550. Wenn Sie ihn gelesen hätten,
Herr Kollege Vosen — jedenfalls, wenn Sie ehrlich gewesen wären —, hätten Sie diese Zahlen wissen können und hätten nicht falsches Zeugnis abgelegt. Die Forschungsausgaben des Bundes betrugen im Jahr 1982 11,55 Milliarden DM. Sie sind 1993 auf 17,939 Milliarden DM gestiegen. Das ist eine Steigerung.Auch in bezug auf die programmübergreifende Grundlagenforschung, die Sie von der SPD als stiefmütterlich behandelt kritisiert haben, zeigt ein kurzer Blick auf die Daten, wie falsch Ihre Einschätzung ist. Die Ausgaben für programmübergreifende Grundlagenforschung — zitiert aus dem Bundesforschungsbericht — betrugen 1982 1,807 Milliarden DM. Dieser Posten ist im Jahr 1993 auf 3,645 Milliarden DM angestiegen, hat sich also mehr als verdoppelt. Diese beiden Zahlenbeispiele belegen eindeutig und unwiderlegbar die erfolgreiche Forschungspolitik dieser Bundesregierung.
Bei der SPD gibt es in der Tat erhebliche strukturelle Lücken. Ich habe heute wieder von dem Kollegen Catenhusen das grundsätzliche Bekenntnis zur Postreform gehört. Die Botschaft höre ich wohl, lieber Kollege Catenhusen, allein, mir fehlt der Glaube,
wenn ich die Handlungen der SPD-Fraktion zur Realität in Vergleich setze. Es passiert doch immer wieder, Woche für Woche, Monat für Monat, daß sich in der SPD-Fraktion die vorher gegebene Zustimmung nach einem Besuch der Postgewerkschaft wieder in Luft auflöst. Sie sind erpreßbar. Sie werden von der Deutschen Postgewerkschaft erpreßt.
Sie sind damit kein verantwortlicher Partner für die Regierung, und Sie werden diese auch nicht übernehmen können.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1994 20217
Josef HollerithMeine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt zur erfolgreichen Politik dieser Bundesregierung und zur erfolgreichen Forschungspolitik von Bundesforschungsminister Krüger keine Alternative. Wir haben die richtungweisenden Ansätze gehört. Ich meine, sie verdienen auch die Unterstützung der SPD.Ich appelliere an uns alle, an die Verantwortlichen in unserer Gesellschaft, ein positives Klima für Technologie, ein positives Klima für Technik, eine Technikakzeptanz stärker zu fördern. Wir müssen natürlich auch über Gefahren und Risiken reden, dürfen dies aber nicht zuallererst tun. Vor allem müssen wir über die Chancen von Technik, Innovation und Technologien reden: Chancen für Arbeitsplätze, Chancen für die Zukunft junger Akademiker und vor allem Chancen für die Erwirtschaftung des Sozialproduktes, das wir brauchen, um unser soziales Netz, um unseren Wohlstand und auch den Umweltschutz in unserem Lande finanzieren zu können.Ich danke.
Nun spricht der Kollege Professor Dr. Christoph Schnittler.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Forschung und die umsichtige und rasche Umsetzung ihrer Ergebnisse entscheiden immer mehr über unseren Alltag von morgen. Wir müssen deshalb begreifen, daß Forschungspolitik in unserer Welt kein Anhängsel, kein Nebengleis der großen Politik sein kann; im Gegenteil: Sie ist ein originäres, höchst dynamisches und überaus bedeutsames Politikfeld, das viel Phantasie und rasches Handeln erfordert.
Die F.D.P.-Fraktion begrüßt daher diese heutige Forschungsdebatte.Auch in den nächsten Jahren wird es eine grundlegende Aufgabe deutscher Forschungspolitik bleiben, die Forschungslandschaft in den neuen Ländern derjenigen in den alten Ländern anzugleichen. Das heißt vor allem, auch in den neuen Ländern Forschungseinrichtungen zu schaffen, die nach Bauzustand, Ausrüstung, Personalbestand und eben nach Leistungsfähigkeit mit denen der alten Länder vergleichbar sind. In dem Bereich der Universitäten, der Fachhochschulen und der außeruniversitären Einrichtungen haben wir hier schon viel erreicht.Schlimm dagegen — das wissen wir — ist die Situation in der industrienahen Forschung, von der nur noch Restbestände verblieben sind. Aber ohne Industrieforschung kann die Wirtschaft in den neuen Ländern nicht wieder auf die Beine kommen.
Als Abgeordneter aus den neuen Ländern begrüße ich daher ganz besonders den Koalitionsantrag zur Förderung der Industrieforschung in den neuen Bundesländern, der heute zur Beratung ansteht. Er formuliert in 14 Punkten, was notwendig ist, um die jetzt noch vorhandene leistungsfähige Industrieforschung in den neuen Ländern zu sichern und auszubauen.Wesentlich kommt es darauf an, die Fördervolumina in den Haushalten von BMFT und BMWi für die Zeit der mittelfristigen Finanzplanung bis 1997 zur Verfügung zu stellen. Erst dann kann das geschehen, was für alle Arten von Subventionen gelten sollte: Sie müssen degressiv gestaltet werden.Wichtig ist dabei, daß alle diese Förderinstrumente der speziellen Situation der Unternehmen in den neuen Bundesländern angepaßt sind. Diese haben zuwenig Eigenkapital. Sie kämpfen in den meisten Fällen um ihr bloßes Überleben.Bei der Erarbeitung dieses Antrags sind zwei Aspekte positiv hervorzuheben. Hier haben — wie dies in Zukunft vermehrt der Fall sein sollte — zum einen Forschungs- und Wirtschaftspolitiker intensiv zusammengearbeitet. Darüber hinaus will ich auch nicht verschweigen, daß die Abgeordneten der Koalitionsfraktionen mit denen der SPD-Fraktion durchaus konstruktiv zusammengewirkt haben.Ich muß dazu allerdings ergänzen: Ihr heutiger Änderungsantrag und Ihre Ausführungen, lieber Kollege Vosen, machen mir diese Bemerkung etwas schwer. Wer heute hier behauptet, daß diese Bundesregierung die Forschung in Deutschland in die Krise geführt hat, der ist von der Realität doch wohl weit entfernt. Aber ich verstehe natürlich, daß man Wahlkampf machen muß.
Wer, wenn nicht wir, hätte dafür nicht Verständnis?Natürlich reichen unsere 14 Punkte nicht aus. Hieraus muß ein Gesamtkonzept der Förderung der Industrieforschung in Ostdeutschland entstehen, in das auch die Länder einbezogen werden müssen. Der inzwischen hierzu vorliegende Bericht der Bundesregierung wird sorgfältig zu prüfen sein.Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir bitte, auf einen weiteren zentralen Punkt dieser Debatte einzugehen, nämlich auf die Gentechnik. Sie ist nach wie vor eine der Zukunftstechnologien, die im Bewußtsein vieler Menschen mit Ängsten besetzt ist.
Aber gentechnische Methoden werden immer mehr Einzug in unseren Alltag halten. Wenn sich Deutschland dem verweigern würde — der Kollege Lenzer hat schon darauf hingewiesen —, so würden diese Entwicklungen anderswo in der Welt stattfinden. Mauern kann man nicht auf Dauer errichten, schon gar nicht gegen den Erkenntnisfortschritt in Wissenschaft und Technik; im Gegenteil: Wir müssen diesen Fortschritt mitbestimmen, und wir müssen ihn so gestalten, daß er zum Wohle des Menschen geschieht.Hierbei ist der Bericht „Biologische Sicherheit bei der Nutzung der Gentechnik" durchaus hilfreich. Freilich erscheint mir der Streit, ob man besser das additive oder das synergistische Sicherheitsmodell anwenden solle, recht akademisch. Entscheidend ist für mich vielmehr die Feststellung, daß inzwischen Hunderttausende von genetischen Experimenten unter sehr sorgfältig kontrollierten Bedingungen in aller Welt abgelaufen sind, ohne daß dabei irgendwel-
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20218 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1994
Dr. Christoph Schnittlerche neuartigen Gefährdungen von Mensch und Umwelt erkennbar gewesen wären. In der Tat haben wir die Gefahren wohl überschätzt und die Chancen, vor allem für neue Medikamente und neue Therapien, unterschätzt. Dies wird heute auch in der Öffentlichkeit immer mehr deutlich.Ich füge an dieser Stelle hinzu: Hier haben auch unsere Fachleute eine Bringschuld. Sie müssen den Menschen ihre Wissenschaft erklären und dabei auch Gefahren aufzeigen, so sie wirklich vorhanden sind. Denn Angst ist irrational; sie entsteht aus Unwissen heraus, und sie kann nur durch Wissen bekämpft werden.
Meine Damen und Herren, noch mehr Emotionen sind mit der Genomanalyse am Menschen verbunden. Wir sind wohl alle einer Meinung, daß dieses Gebiet gesetzlich geregelt werden muß. Das wird eine wichtige Aufgabe des neuen Bundestages sein. Aber, Kollegin Dr. Fischer, ich muß Sie hier entschieden korrigieren: Niemand denkt im entferntesten daran, Arbeiter oder Arbeitssuchende nach ihren genetischen Voraussetzungen zu selektieren. So etwas wird es nicht geben.
Ich bitte Sie sehr herzlich: Machen Sie den Menschen in unserem Lande doch nicht mit solchen Dingen Angst!Der 13. Deutsche Bundestag wird hier eine große Aufgabe vor sich haben. Sie ist nicht einfach. Aber, ich denke, sie ist in vernünftiger Weise lösbar.Danke schön.
Nun hat der Kollege Holger Bartsch das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte eine Vorbemerkung machen, Kollege Hollerith. Ich dachte, wir behandeln hier den Forschungsbericht der Bundesregierung und nicht die Forschungspolitik der SPD.Ich will mich also jetzt der Forschungspolitik der Bundesregierung zuwenden und möchte voranschikken, daß der — da sind wir uns sicher alle einig —, der im Forschungs- und Technologiebereich Stagnation oder gar Rückschritte zuläßt und nicht offensiv dagegen angeht, grob fahrlässig handelt; denn er verspielt damit unsere Zukunft.
Diese Bundesregierung hat nach meiner Auffassung so gehandelt, oder besser gesagt: Sie hat in bestimmten Bereichen nicht gehandelt.Der Forschungsbericht der Bundesregierung und die aktuellen Zahlen sind hierfür der eindeutige Beleg. Mein Kollege Vosen hat dazu einiges gesagt. Ich will das nicht alles wiederholen. Aber seit 20 Jahren ist der Anteil des Forschungshaushaltes am Gesamthaushalt erstmalig unter 2 % gefallen. Vorzehn Jahren war der Anteil immerhin noch 2,7 % am Gesamthaushalt.Eine andere Zahl: Während der Bundeskanzler und der Umweltminister auf internationalen Konferenzen noch immer das CO2-Reduktionsziel der Bundesregierung verkünden — woran heute wahrscheinlich sowieso keiner mehr glaubt —, werden zu gleicher Zeit die Mittel für die nichtnukleare Energieforschung zurückgefahren. 1982, zu Zeiten der sozialliberalen Koalition, waren für diesen Bereich immerhin noch 704 Millionen DM vorgesehen. 1992 standen hierfür nur noch 456 Millionen DM zur Verfügung, und im laufenden Haushaltsjahr sind es gerade noch etwa 300 Millionen DM.
Die Reihe dieser Beispiele ließe sich beliebig fortsetzen. Auf den Punkt gebracht heißt das: Die Bundesregierung hat den Forschungshaushalt als eine Art Sparschwein für die Haushaltskonsolidierung eingesetzt.
Sie beeinträchtigt damit die Zukunft des Industriestandorts Deutschland erheblich.
Selbst der Forschungsbericht der Bundesregierung kommt um diese Feststellung nicht herum, auch wenn es an dieser Stelle etwas moderater ausgedrückt wird.Ich gestatte mir zu zitieren:Angesichts fortbestehender, umfangreicher Aufgaben ist ... die nachlassende Dynamik der öffentlichen und privaten Forschungsaufwendungen der vergangenen Jahre in Deutschland bedenklich... Nur eine Trendwende in Form eines dauerhaft höheren Engagements in Zukunftsinvestitionen, die alle Möglichkeiten einer Effizienzsteigerung in der Forschung nutzt, kann den Standort Deutschland im internationalen Umfeld sichern.Das steht geschrieben im „Bundesbericht Forschung 1993", Drucksache 12/5550, Seite 8. Dem ist meiner Meinung nach nichts hinzuzufügen.
— Ja, wer schon?Ein besonderes Kapitel in dieser Negativbilanz ist die Situation der Forschung und da insbesondere die der industrienahen Forschung im Osten Deutschlands. Es ist natürlich sehr erfreulich für die Forscher und Wissenschaftler im Osten, wenn ihnen im Forschungsbericht bescheinigt wird, daß ihre Forschungen — trotz der ungünstigen Bedingungen — in manchen Bereichen auf internationalem Stand waren; auch dies steht im Forschungsbericht. Es soll auch nicht verkannt werden, daß bei der Umsetzung von Art. 38 des Einigungsvertrages zur Abwicklung der Akademie der Wissenschaften auch einige gute Ergebnisse erzielt wurden. Ich zähle z. B. das Umweltforschungszentrum Leipzig/Halle dazu. Aber unter dem Strich kommt man natürlich an der Tatsache
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Holger Bartschnicht vorbei, daß heute von ursprünglich 85 000 in Forschung und Entwicklung der Industrie der ehemaligen DDR Beschäftigten bald nur noch eine vierstellige Zahl übrigbleiben wird, d. h. sie wird voraussichtlich unter 10 000 liegen.
Es ist durchaus keine Schwarzmalerei und keine Miesmacherei, wenn man angesichts dieser Zahlen zu der Feststellung kommt, daß die Industrieforschung in den neuen Ländern praktisch vernichtet wurde.Auch noch hierzu einige Zahlen: Nach Angaben des BMFT ist das FuE-Personal der ostdeutschen Wirtschaft von 1990 bis 1992 von rund 41 000 auf 23 600 gesunken. Nimmt man das FuE-Personal der Wirtschaft der alten Länder zum Maßstab, müßten es aber etwa 70 000 Beschäftigte sein, also eine Absenkung auf ein Drittel.Ein weiterer Vergleich, entnommen einem Bericht des BMFT zur Situation der Forschung in den neuen Ländern vom 24. September 1993, macht die Misere der Industrieforschung im Osten Deutschlands noch deutlicher. In den ostdeutschen Ländern wurden 1991 und 1992 mit rund 1,9 Milliarden DM nur knapp 4 % der Mittel für Forschung und Entwicklung eingesetzt, die in der gesamtdeutschen Wirtschaft hierfür eingesetzt wurden, nämlich 53 Milliarden DM. Auch wenn man dabei berücksichtigt, daß das Bruttoinlandsprodukt Ostdeutschlands nur etwa zu 8 % zum Gesamtbruttoinlandsprodukt beiträgt — was an sich schon schlimm genug ist —, wird aus diesen Zahlen doch der strukturelle Nachteil der ostdeutschen Wirtschaft offensichtlich.
Die Ursachen für diese Entwicklung, meine Damen und Herren, liegen zum großen Teil in der Privatisierungspraxis der Treuhand. In vielen Treuhandbetrieben waren die Forschungs- und Entwicklungsabteilungen die ersten, die abgebaut wurden. Ich nenne ein Beispiel aus dem Bereich Chemnitz. Dort gibt es ein Forschungszentrum Maschinenbau, in dem am 1. April 1991 noch rund 950 Mitarbeiter beschäftigt waren. Dann fand eine Privatisierung statt. Nach meinem Kenntnisstand war vereinbart, daß eine Nachbewertung stattfinden werde, wenn bis zu einem bestimmten Stichtag in 1993 noch mehr als 480 Personen beschäftigt seien und für die Dauer von zwei Jahren die Arbeitsplätze für 400 Personen sicher seien. Fakt ist, daß dort zum 31. Dezember 1993 nur noch 200 Mitarbeiter beschäftigt waren und daß es heute weniger als 100 sind. 100 von 958, und das in einem Unternehmen, für das von seiten des Käufers das Konzept erst nach der notariellen Beurkundung erstellt wurde und das nach meinem Kenntnisstand weit unter Wert verkauft wurde. Es wird vielleicht keinen verwundern: Eine Nachbewertung fand bisher nicht statt.Die allein auf schnelle Privatisierung ausgerichtete Strategie der Treuhand, für die diese Bundesregierung — das wird in letzter Zeit sehr gerne vergessen — die politische Verantwortung trägt, hat Investitionen im Forschungs- und Entwicklungsbereich in Treuhandbetrieben weitgehend ausgeschlossen.Nach einer anderen Statistik betrug der Anteil des Forschungs- und Entwicklungspersonals in den Treuhandbetrieben 19921,5 Forscher pro 100 Beschäftigte. In den alten Bundesländern liegt dieser Wert bei sieben Forschern je 100 Beschäftigte.Ich glaube, an diesen Zahlen wird das ganze Dilemma der ostdeutschen Wirtschaft deutlich. Es fehlt — zumindest im Bereich der Industrie — an Forschungs- und Entwicklungskapazitäten, ein Umstand, der einerseits der von einer verfehlten Wirtschaftspolitik verursachten Deindustrialisierung geschuldet ist, diese aber gleichzeitig begünstigt. In der Technik nennt man eine solche Entwicklung, glaube ich, selbsterregende Prozesse. Man könnte es aber auch einen Teufelskreis nennen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, man könnte diese Zahlenreihen noch lange fortsetzen und wird dabei immer wieder zu der Erkenntnis gelangen, daß die Bundesregierung die Herausforderung der Einheit Deutschlands auf forschungspolitischem Sektor nur unvollständig bewältigt hat.
Auch bezüglich der außeruniversitären Forschungseinrichtungen hat man zwar den Umstrukturierungsprozeß mit großem Kraftaufwand eingeleitet. Im Ergebnis haben wir aber jetzt eine Struktur, die mit einer übergroßen Zahl von Blaue-Liste-Einrichtungen perspektivisch auch Risiken in sich birgt. Laut Bundesforschungsbericht umfaßte die Blaue Liste 1991 auf dem Gebiet der alten Bundesländer 48 Einrichtungen mit 4 800 Mitarbeitern. Ab 1992 kommen 34 weitere Einrichtungen in den neuen Bundesländern hinzu. Es ist also nicht zu verkennen, daß infolge dieser Struktur die ostdeutschen Länder bezüglich der Förderung der außeruniversitären Forschung vor erhebliche Probleme gestellt werden.Meine Fraktion hat bereits frühzeitig auf die Defizite in diesem Bereich hingewiesen. In unseren Anträgen, u. a. zur Förderung der Industrieforschung in den neuen Bundesländern und zum Bundesbericht Forschung, fordern wir u. a.: Erstens. Die Finanzierungsanteile der neuen Länder im Rahmen der gemeinschaftlichen Forschungsförderung müssen so gering wie möglich gehalten werden. Zweitens fordern wir die endgültige Absicherung des Wissenschaftler-Integrations-Programms bzw. Hochschul-ErneuerungsProgramms und der ABM-finanzierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, drittens einen Neuaufbau auch in den Geisteswissenschaften durch dauerhafte Absicherung geisteswissenschaftlicher Zentren, viertens eine dauerhafte Perspektive für die BlaueListe-Institute als eigenständige Säule des deutschen Forschungssystems, fünftens die Fortsetzung der Neugründung außeruniversitärer Forschungseinrichtungen, vor allem durch die Max-Planck-Gesellschaft.Insbesondere die industrielle Forschung in den neuen Ländern ist durch ein Bündel von Maßnahmen zu verbessern. Dazu gehören erstens eine verläßliche Finanzplanung der für die neuen Länder vorgesehenen Fördermittel, zweitens die finanziell wirkungsvolle Unterstützung der Gemeinschaftsinitiative Produkterneuerung, drittens eine Straffung und Verdeutlichung der vielfältigen Förderprogramme für die neuen Länder, um auch für kleine und mittlere Unter-
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Holger Bartschnehmen eine Antragstellung einfacher zu machen, viertens eine Kompensation von Liquiditätsschwächen durch einen Förderbonus und eine rechtzeitige Auszahlung von bewilligten Fördermitteln, um Zwischenfinanzierung zu vermeiden, fünftens die weitere Reduzierung von notwendigen Eigenanteilen auf bis zu 20 %, sechstens die Förderung der noch unter Treuhandverwaltung stehenden Unternehmen und die Auflage, daß die Treuhandunternehmen nur mit den bestehenden FuE-Einheiten privatisiert und den Fortbestand des Personals im FuE-Bereich vertraglich festschreibt, siebtens die mittelfristige Weiterführung der Fördermaßnahme „Marktvorbereitende Industrieforschung und wirtschaftlicher Strukturwandel" für selbständige Forschungs-GmbH, achtens eine stärkere Auftragsvergabe der öffentlichen Hand an die FuE-Einrichtungen in den neuen Ländern und schließlich neuntens die bessere Berücksichtigung von ostdeutschen Fachleuten in neuen und bestehenden Gutachtergremien.
Herr Kollege Bartsch, würden Sie dann bitte zum Ende kommen.
Ich komme zum Ende.
Meine Damen und Herren, ich konnte hoffentlich deutlich machen, wo meine Fraktion die Defizite der Forschungspolitik für die neuen Länder sieht.
Ich will Ihnen, Herr Minister Krüger, das persönliche Engagement für die neuen Länder durchaus nicht absprechen, aber, ich glaube, Sie konnten sich eben im Kabinett nicht durchsetzen, als es um die finanzielle Absicherung ging.
Ich hoffe sehr, daß es nach den Bundestagswahlen am 16. Oktober im Bundestag neue Mehrheiten gibt, die in der Lage sind, die Prioritäten für die Forschungspolitik neu zu setzen.
Als nächstes hat nun der Kollege Dr. Joachim Schmidt das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dem Hohen Hause liegt heute eine Beschlußempfehlung des Ausschusses für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zur Förderung der Industrieforschung in den neuen Bundesländern vor, die von allen im Ausschuß vertretenen Parteien unterstützt wird.Von ihr sollen zwei Signale ausgehen. Zum einen werden die für die ostdeutsche Industrieforschung politisch Verantwortlichen, die Bundesregierung und die Regierungen der neuen Länder, aufgefordert, die Industrieforschung stärker als bisher zu unterstützen. Der Forschungsausschuß empfiehlt dazu Maßnahmen, die auf einer sehr realistischen Analyse beruhen und die als Anleitung zum Handeln zu verstehen sind. Jeder weiß, daß die Lage in der wirtschaftsnahen Forschung in den neuen Bundesländern nach wie vor als kritisch einzuschätzen ist.Das zweite Signal gilt den Verantwortlichen und den Mitarbeitern in den industrienahen Forschungseinrichtungen in den neuen Bundesländern. Der Forschungsausschuß will deutlich zeigen, daß er die Gefahren, die der ostdeutschen Industrieforschung drohen, nicht nur erkannt hat, sondern auch bereit ist, konstruktiv zu helfen.
Wir wollen mit unserer Beschlußempfehlung denen, die im Osten industrienahe Forschung betreiben, Motivation und Hoffnung vermitteln.Die bisherigen Bemühungen der Bundesregierung uni die ostdeutsche Industrieforschung sind anzuerkennen; sie reichen aber noch nicht aus, um dieser Forschungsrichtung eine sichere Zukunft zu geben. Deshalb sind alle Punkte der vorliegenden Beschlußempfehlung wichtig. Erlauben Sie mir, auf einige wenige kurz einzugehen.Zuerst will ich nachdrücklich darauf hinweisen, daß die finanzielle Förderung unbedingt mittelfristig zu sichern ist. Dadurch werden die notwendigen und schon praktizierten Eigenanstrengungen der industriellen Forschungseinrichtungen in Form intensiver Akquisition sinnvoll unterstützt und ergänzt. Wir alle wissen, daß der schwierige Umstrukturierungs- und Markterschließungsprozeß nicht in ganz wenigen Jahren bewältigt werden kann.Ein vorrangiges Instrument zur Unterstützung der ostdeutschen industrienahen Forschung seitens der Bundesregierung bildeten zahlreiche spezielle Förderprogramme. In der vorliegenden Beschlußempfehlung wird der Vorschlag unterbreitet, die Vielfalt der Programme zu überprüfen und die Fördermöglichkeiten gegebenenfalls überschaubarer zu machen. Dies heißt aber selbstverständlich auch, bewährte Programme, die besonders erfolgreich angenommen und dankbar genutzt wurden, fortzusetzen.
Im Verantwortungsbereich des BMFT betrifft dies vor allem die Förderprojekte „Auftragsforschung West-Ost" und „Auftragsforschung Ost". Mich erreichen fast täglich Hinweise und Forderungen der ostdeutschen wirtschaftsnahen Forschung, in denen der Wunsch nach Weiterführung dieser Programme bis 1996 geäußert wird. Für diese Intentionen sprechen vor allem ihre unbestrittenen Vorzüge. Dies sind zum einen der mittlerweile hohe Bekanntheitsgrad und eine vergleichsweise einfache Handhabung, zum anderen zwingen die Programme zur projektkonkreten Koppelung von Industrie- und Zuwendungsmitteln. Sie fördern damit die direkte und notwendige Auseinandersetzung mit dem Markt.In ihrem Bericht „Förderung der Industrieforschung in den neuen Bundesländern" sagt die Bundesregierung eine Überprüfung bezüglich der Weiterführung dieser Programme zu. Ich würde mich freuen und hoffe, daß im Ergebnis dieser Überprüfung die Programme fortgesetzt werden können, im Falle der Fördermaßnahme „Auftragsforschung West-Ost" nicht zuletzt zur weiteren Unterstützung des Zusammenwachsens der Forschungslandschaften im vereinten Deutschland.
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Dr.-Ing. Joachim Schmidt
Der Forschungsausschuß hat in seiner Beschlußempfehlung die vom BMFT initiierte neue Maßnahme „Produkterneuerung", die ausgewählten Technologiefeldern gewidmet ist, nachhaltig begrüßt. Nachdem nach Verhandlungen mit den neuen Bundesländern jetzt klar ist, daß 75 Millionen DM aus dem Vermögen der Parteien und Massenorganisationen der ehemaligen DDR für dieses Programm verfügbar sind, erscheint es erforderlich, umgehend die Rahmenbedingungen für diese Fördermaßnahme, d. h. das Ziel der Förderung, den Kreis der Zuwendungsempfänger und die Antrags- und Finanzierungsbedingungen, bekanntzumachen, um den ostdeutschen industrienahen Forschungseinrichtungen die Beteiligung kurzfristig zu ermöglichen. Ich bin ganz sicher, daß dieses Förderprogramm eine sehr gute Resonanz finden wird.Meine Damen und Herren, in der zur Debatte stehenden Beschlußempfehlung wird dafür geworben, daß die westdeutsche Wirtschaft verstärkt Aufträge an Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen in den neuen Bundesländern vergeben sollte. Ich freue mich deshalb, daß mit der kürzlich vom BDI gestarteten Forschungsinitiative Ost, im Rahmen derer die westdeutsche Wirtschaft zu einem stärkeren Engagement in den neuen Ländern aufgerufen wird, ein Schritt in die richtige Richtung getan wird. Im Lichte eigener diesbezüglicher Bemühungen seit 1991 will ich aber hinzufügen, daß eine derartige Initiative auch schon vor zwei oder drei Jahren äußerst hilfreich gewesen wäre.
Die Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen in den neuen Bundesländern leiden wie die gesamte Industrie, der gesamte Mittelstand nach wie vor vor allem unter einer erheblichen Eigenkapitalschwäche. Darüber ist heute schon gesprochen worden.
— Ich glaube, man kann deswegen nicht klatschen, daß sie unter einer Eigenkapitalschwäche leiden; dafür können sie ja nichts.
Deshalb sind alle Maßnahmen unserer Beschlußempfehlung, die der Verbesserung der finanziellen Situation dieser Einrichtungen dienen — z. B. die Verbesserung der Liquidität oder die Reduzierung der Eigenanteile —, besonders wichtig.
Die Existenz der Forschungseinrichtungen, vor allen Dingen der kleineren, wird aber auch dadurch gesichert, daß die, die Aufträge an diese F- und E-Einrichtungen der neuen Bundesländer vergeben — unabhängig, ob diese Aufträge aus Ost- oder Westdeutschland kommen —, sich nach Erledigung und Vollzug dieser Aufgaben auch einer Zahlungsmoral verpflichtet fühlen, die einer fairen Partnerschaft entspricht.Die Annahme der vorliegenden Beschlußempfehlung stellt, meine Damen und Herren, eine wichtige Aktivität auf dem Wege dar, der ostdeutschen wirtschaftsnahen Forschung eine sichere Zukunft zugeben. Wir sollten aber den von hier und heute ausgehenden Appell zur stärkeren Unterstützung der ostdeutschen Industrieforschung ruhig in einen größeren Rahmen stellen. Wenn der Forschung im allgemeinen und der Industrieforschung im besonderen zukunftsträchtige Perspektiven eröffnet werden, dann wird die verschiedentlich heraufbeschworene Gefahr, der Osten könnte verlängerte Werkbank werden, gegenstandslos.Eine Reihe ermutigender Ereignisse in jüngster Zeit, wie z. B. die Siemens-Ansiedlung in Dresden, setzen diesbezüglich hoffnungsvolle Zeichen. Eine erfolgreiche Forschung trägt auch zu einer Reduzierung des bestehenden materiellen und psychologischen Ost-West-Gefälles bei. Letztlich dient dies mittel- und langfristig auch dem inneren Frieden in unserem Land.Die ostdeutsche Forschung bedarf weiterhin staatlicher Hilfe. Dies steht, so glaube ich, nicht in Frage. Dafür sind der Bund und auch die ostdeutschen Länder verantwortlich. Die sichersten Garanten für die Zukunftsfähigkeit der ostdeutschen Forschung bleiben für mich aber nach wie vor unverrückbar: die Motivation, das Engagement, das Können und die Kreativität derer, die im Osten Forschung betreiben.
Ihnen muß deshalb auch weiter unsere ganze Zuwendung gelten.Vielen Dank.
Nun hat der Kollege Dr. Ulrich Briefs das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Forschung und Entwicklung haben in einer marktwirtschaftlichen Ordnung — da ist dem Kollegen Lenzer ja durchaus zuzustimmen — entscheidende Bedeutung für die weitere Entwicklung. Das gilt sozial, das gilt ökonomisch, kulturell, und das gilt auch politisch.Um so weniger allerdings ist zu verstehen, daß die noch regierende Bundesregierung ausgerechnet die Zukunftsetats von Forschung und Technologie und Bildung und Wissenschaft als — nicht als Spardose; das ist ein falsches Bild — Steinbruch behandelt, aus dem je nach Mittelbedarf herausgebrochen wird.Um so weniger ist auch zu verstehen, daß diese Bundesregierung mit der F- und T-Politik nicht steuert, sondern einfach Mittel verteilt — gelegentlich fast ohne Kontrolle.Verteilt wird zudem an zum Teil mit riesigen vagabundierenden Kapitalien ausgestattete Konzerne. In der Bilanz von Siemens, die ja gerade vor wenigen Wochen vorgelegt worden ist, stehen derzeit alleine 20 Milliarden DM an liquiden Mitteln.Relativ wenig dagegen wird verteilt an innovative mittlere und kleinere Unternehmen und fast gar nichts an Tüftler und Erfinder — im Gegenteil: Viele von ihnen, gerade auch im Bereich alternativer Projekte
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Dr. Ulrich Briefsund Betriebe, müssen z. B. an den ihnen gegenüber so risikoscheuen deutschen Banken schier verzweifeln. Hier, in der Bereitstellung von Risikokapital für innovative Personen und Gruppen, müßte eine wesentliche Funktion der F- und T-Politik auch liegen.Warum nutzt man diese und andere Förderungsmaßnahmen nicht, um vor allem ökologische und soziale Ziele zu erreichen und damit zugleich auch zu einem positiven industriellen Strukturwandel — positiv in bezug auf die Arbeitsplätze und die Verbesserung der Umweltbedingungen — beizutragen?Der Bund demokratischer Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen betont in seinem Memorandum zur Forschungs- und Technologiepolitik 1994/95 unter dem Titel „Gestaltung statt Standortverwaltung" zu Recht die Notwendigkeit einer sozial-ökologischen Erneuerung der Forschungs- und Technologiepolitik und macht dazu zahlreiche konkrete Vorschläge. Ich empfehle Ihnen sehr die Lektüre dieses Memorandums, das derzeit bereits von über 300 in der Wissenschaft und in der Forschung tätigen Personen unterschrieben worden ist.Vergessen wir nicht: Moderne Technologien führen zu einer immer kapitalintensiveren Produktion. Das ist nun einmal so. Immer mehr menschliche Arbeit wird durch Maschinenarbeit ersetzt. Die Informatik z. B. ist in weiten Bereichen — um meinen Kollegen Frieder Nake zu zitieren — nichts anderes als eine der modernen Wissenschaften zur Automation der Kopfarbeit.Simon Nora, einer der beiden Urheber des Begriffs „Telematik", hat 1984 bei einer unserer Diskussionen in Paris gesagt: Es ist die Aufgabe geradezu der Informatik, Arbeitsplätze zu zerstören. Ähnlich klar hat sich Pierre Dreyfus, Vizepräsident von Cap Sogetti, der größten europäischen Softwarefirma, auf einer vom BMFT geförderten Tagung im vorigen Jahr in Dresden geäußert.Wenn das so ist, wenn also unaufhaltsam menschliche Arbeit durch Maschinenarbeit ersetzt wird, dann muß es allerdings vor allem Aufgabe des Staates sein, in Ergänzung und in der Gegenbewegung dazu für ausreichende Beschäftigungsmöglichkeiten zu sorgen: durch entsprechende Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik, durch Unterstützung von Arbeitszeitverkürzungsmaßnahmen, auch durch eine entsprechende Forschungs- und Technologiepolitik, vor allen Dingen aber durch industriepolitische Konzepte und Strukturen. Da hat sich die F- und T-Politik einzufügen. Wer den marktwirtschaftlichen Strukturwandel sozusagen blindwütig einfach so gewähren läßt, der trägt dazu bei, daß auch durch neue Technologien die Massenarbeitslosigkeit weiter eskaliert.Ähnlich steht es um die ökologischen Probleme der modernen industriellen Produktionsweise und der modernen Technologien. Richtig, es gibt wichtige, ökologisch vorwärtsweisende Technologieentwicklungen. Aber eben nicht jede moderne Technologie ist umstandslos ökologisch unbedenklich oder auch nur günstiger als bisher eingesetzte Techniken. Eben deshalb muß aber gerade auch ökologisch gesteuert und kontrolliert werden. Eben deshalb müssen auch hier die entsprechenden Voraussetzungen z. B. imZusammenhang mit dem Öko-Audit geschaffen werden. Schauen wir uns doch nur die High-TechMetropolen dieser Welt an: Sie sind alles andere als ökologisch unbedenklich.Die problematischen Seiten moderner Technologien anzusprechen hat überhaupt nichts mit Technikfeindlichkeit zu tun. Wer aus rein wirtschaftlichen Wachstumsinteressen, ohne Rücksicht auf die sozialen und ökologischen Folgen moderne Technologien vorantreibt, der ist im Grunde technikfeindlich — mehr als das: Seine Politik ist inhuman.Frau Präsidentin, ich danke Ihnen.
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. — Damit schließe ich die Aussprache.Wir kommen nun zu den Abstimmungen, und zwar zuerst zu Tagesordnungspunkt 3 a. Wir stimmen zunächst ab über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zum Bundesbericht Forschung 1993 auf Drucksache 12/7828, Buchstabe a. Der Ausschuß empfiehlt, den Bericht auf Drucksache 12/5550 zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist damit so angenommen.Wir sind immer noch beim Tagesordnungspunkt 3 a und kommen zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zum Forschungsbericht auf Drucksache 12/7828, Buchstabe b. Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 12/6562 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Damit ist die Beschlußempfehlung so angenommen.Wir sind immer noch beim Tagesordnungspunkt 3 a und kommen zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/7828, Buchstabe c. Dazu liegt auf Drucksache 12/7888 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt.Wir stimmen nun über die Beschlußempfehlung des Ausschusses ab. Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 12/6564 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist die Beschlußempfehlung angenommen.Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 3 b und der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. zu Großforschungseinrichtungen auf Drucksache 12/6435, Nr. I. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/1724, soweit er strukturelle
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Vizepräsidentin Renate Schmidtund konzeptionelle Sachverhalte beinhaltet, in der Ausschußfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist damit so angenommen.Der Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung empfiehlt unter demselben Tagesordnungspunkt unter Nr. II seiner Beschlußempfehlung, den Auftrag an die Ausschüsse zur Erarbeitung einer Beschlußempfehlung bezüglich der steuerrechtlichen Aspekte aufrechtzuerhalten. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Damit ist diese Beschlußempfehlung ebenfalls so angenommen.Wir sind immer noch beim Tagesordnungspunkt 3 b und kommen zur Beschlußempfehlung des Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Zukunft der Großforschungseinrichtungen auf Drucksache 12/6435 Nr. III. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/2064 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist damit angenommen.Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 3 c und der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Forschung und technologischen Entwicklung für eine zukunftsverträgliche Abfallwirtschaft auf Drucksache 12/6436. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der SPD auf Drucksache 12/2817 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen?— Wer enthält sich der Stimme? — Die Beschlußempfehlung ist damit angenommen.Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 3 g und der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zu der Entschließung des Europäischen Parlaments zur Klonierung des menschlichen Embryos auf den Drucksachen 12/6233 und 12/7208. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen?— Wer enthält sich der Stimme? — Damit ist diese Beschlußempfehlung bei einer Stimmenthaltung einstimmig angenommen.Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 3 h und der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zur Förderung der Industrieforschung in den neuen Bundesländern auf der Drucksache 12/7549 Nr. I. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/6561 in der Ausschußfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Damit ist diese Beschlußempfehlung mit großer Mehrheit angenommen.Wir sind immer noch beim Tagesordnungspunkt 3 h und kommen zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Förderung der Industrieforschung in den neuen Ländern auf der Drucksache 12/7549 Nr. II. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/6745 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Die Beschlußempfehlung ist damit bei etwas unklarer Abstimmungslage angenommen.Wir kommen nun zum Zusatzpunkt 1 und der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu einer vermeidungsorientierten Abfallwirtschaft auf der Drucksache 12/7756. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/4835 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Damit ist die Beschlußempfehlung angenommen.Ich habe nun noch den Tagesordnungspunkt 3 i und die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft zum Antrag der Fraktion der SPD zur Einrichtung eines Zukunfts- und Technologierates zur Begutachtung der langfristigen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft auf der Drucksache 12/7542. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der SPD auf Drucksache 12/5914 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Die Beschlußempfehlung ist damit angenommen.Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 4 a bis e sowie die Zusatzpunkte 2 und 3 auf:4. a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Freimut Duve, Angelika Barbe, Ingrid Bekker-Inglau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDZukunft der Bundeskulturförderungzu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Roswitha Wisniewski, Erwin Marschewski, Wilfried Seibel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ina Albowitz, Gerhart Rudolf Baum, Dr. Burkhard Hirsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.Kulturförderung des Bundes ab 1995— Drucksachen 12/7047, 12/7231,12/7907 —Berichterstattung:Abgeordnete Freimut Duve Dr. Roswitha Wiesniewski Gerhart Rudolf Baumb) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Dorothee Wilms, Dr. Volkmar Köhler , Karl Lamers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU sowie der Abgeordneten Ulrich Irmer, Gerhard Schüßler, Dieter-Julius Cronenberg (Arnsberg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.Das Bild des vereinten Deutschland als Kulturnation in einer sich wandelnden Welt— Drucksachen 12/5064, 12/6504 —
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Vizepräsidentin Renate Schmidtc) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Freimut Duve, Hans-Günter Toetemeyer, Rudolf Purps, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDStockbildung bei Kulturförderfonds— Drucksachen 12/4556, 12/5372 —Berichterstattung:Abgeordnete Karl DeresIna AlbowitzRudolf Purpsd) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungBericht der Bundesregierung fiber die Umsetzung der Entschließung des Deutschen Bundestages — Drucksache 11/6478 — vom 7. März 1990 zu dem Bericht der Bundesregierung fiber Stand und Entwicklung der deutschen Schulen im Ausland— Drucksachen 12/2675, 12/7406 —Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Volkmar Köhler
Hans-Günther ToetemeyerGerhard Schüßlere) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 2. Oktober 1992 fiber die Gemeinschaftsproduktion von Kinofilmen— Drucksache 12/5836 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 12/7786 —Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Elke LeonhardZP2 Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Freimut Duve, Hans Gottfried Bernrath, Dr. Ulrich Böhme (Unna), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDErhalt der Buchpreisbindung— Drucksachen 12/3388, 12/7891 —Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Uwe JensZP3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Roswitha Wisniewski, Erwin Marschewski, Wolfgang Zeitlmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Gerhart Rudolf Baum, Ina Albowitz, Gerhard Schüßler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.Kulturpolitik nach Maastricht— Drucksache 12/7879 —Zur Großen Anfrage der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. liegen ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. Gibt es dazu anderweitige Meinungen? — Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem dem Kollegen Freimut Duve das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einen Tag nach der Eröffnung des Hauses der Geschichte sprechen wir hier — selten genug — über die Kulturpolitik des Bundes. Ich habe gestern meine grundsätzliche Kritik, aber auch mein grundsätzliches Lob für das Museumsprojekt geäußert. Sehr viel ist gelungen, vieles auch eindrucksvoll. Aber die Geschichte — das will ich auch noch einmal hier im Bundestag sagen — der DDR darf nicht zur Negativfolie der eigenen Erfolgsgeschichte instrumentalisiert werden.Eine Ausstellung der Geschichte der beiden deutschen Staaten sollten wir erst mit einem historischen Abstand in einigen Jahren versuchen, dann hoffentlich auch unter Mitwirkung jüngerer Historiker aus der ehemaligen DDR, die ihre Geschichte selbst einbringen.Die Eröffnung des Museums gestern war zugleich ein eindrucksvolles Bekenntnis aller Redner, auch des Bundeskanzlers, zu Europa. Ich will hier gleich sagen, daß unsere Anhörungen, unsere Fachgespräche, auch die der anderen Fraktionen, anders als die der vielen Kritiker des Vertrags von Maastricht schon lange vor den Beschlüssen deutlich haben erkennen lassen, daß wir in der Kulturpolitik zumindest für die nationale, für die eigene Kulturförderung große Vorteile sehen, ein Ende der Unsicherheiten, auch der rechtlichen Unsicherheiten, die bis dahin bestanden haben. Deswegen können wir den heute ganz schnell eingebrachten Antrag der Union nachher mittragen.Meine Damen und Herren, am Ende einer so schwierigen Legislatur der Versuch eines kleinen Resümees: Vieles haben wir in der Kulturpolitik gemeinsam gemacht, Opposition und Regierung. Oft konnten wir Kulturpolitiker eine allergrößte Koalition erreichen — manchmal gegen die Finanzpolitiker, manchmal auch gegen die Haushaltspolitiker —, bei der die Mitglieder aller Fraktionen die Glocke, manchmal auch die Sturmglocke, an einem Strang zogen. Ich möchte mich dafür auch sehr herzlich bedanken. Aber wir haben seit dem Sommer 1993 eine andere Lage. Die Kulturpolitik des Bundes ist aus dem Ruder gelaufen, weil niemand mehr am Steuer sitzt. Schneidend hatte der Finanzminister in einem grundsätzlichen Artikel in der FAZ im August 1993 den Amtswechsel im Innenressort genutzt und sich — in wessen Namen überhaupt? — aus der Verantwortung des Bundes für die Kulturförderung verabschiedet. Selten ist die Anstrengung und die Mühe einer kreativen Verwaltungseinheit öffentlicher und selbstgerechter verspottet worden als damals die Kulturabteilung des Innenministeriums durch den Finanzminister.
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Freimut DuveSeither kann sich fast jeder unter Berufung auf das Schreckwort Haushaltskonsolidierung zum unverantwortlich Verantwortlichen auf- und abschwingen. Mitarbeiter im Finanzministerium denken darüber nach, der ermäßigte Steuersatz müsse für bestimmte Filme wegfallen, und erreichen damit in einer zunächst von niemandem bemerkten Nebenregelung eines umfangreichen Gesetzes, daß alle Kinderfilme, alle DEFA-Filme und alle alten Filme wie Pornofilme behandelt werden, weil sie nicht durch die freiwillige Selbstkontrolle gegangen sind. Entsetzen bei Filmproduzenten, eine große Diskussion, und es war sehr schwer, diese Panne — es war nicht nur eine Panne, sondern es war auch ein geschicktes Lavieren von Beamten des Finanzministeriums — zu reparieren. Sie ist jetzt repariert worden.
— Wir haben uns angestrengt. Ich wollte nur darauf hinweisen, daß die Bundesregierung hier nicht einheitliche Kulturpolitik betreibt.Da will die Bauministerin, daß der Bund seine Verpflichtung aufgibt, Mittel für „Kunst am Bau" für alle Bauten des Bundes zu gewährleisten.
Auch hier der jedenfalls bis heute nachmittag vergebliche Korrekturversuch durch das Parlament.Da erarbeitet die Kulturabteilung im Gespräch mit den neuen Ländern Ideen und konkrete Konzepte — ich sage nur das Stichwort „Leuchtturm" —, mit denen die Überlebenshilfe für die wichtigen Kultureinrichtungen in den neuen Ländern weitergeführt werden soll, und die Finanzverwaltung versucht immer wieder, alles zu kippen. Jedesmal sind die Parlamentarier dann zu Last-minute-Aktionen gezwungen, um zu retten.Wie muß es eigentlich auf die von Kürzungen Betroffenen überall im Lande wirken, wenn wie z. B. gestern ein großes „Haus der Geschichte" in Bonn eröffnet wird, wenn wir weitere große neue Einrichtungen planen, auch mittragen, das Museum in Berlin etwa? Wie wirken die Folgekosten dieser Vorhaben auf Künstler, wenn zugleich die Kulturfonds des Bundes, diese wirklich einmalige Form staatlicher Kulturhilfe in Selbstverwaltung der Künstlerverbände, ihre Ausgaben kappen müssen, ihren ganz kleinen Haushalt kappen müssen, weil die Union sie zwingt, aus den laufenden Minibeträgen ein eigenes kleines Vermögen aufzubauen, um daraus in etwa 35 Jahren beim Kunst- und Literaturfonds Zinserlöse zu erzielen?Wie muß unsere prachtvolle Eröffnung von großen Einrichtungen auf Leute in den Goethe-Instituten wirken, wenn dort die Mittel für Bibliotheken gekürzt oder gar in einigen Fällen ganz beseitigt werden?Der Finanzminister hat seine Rückzugslinie damals klar zum Ausdruck gebracht. Die derzeitige Kassenlage soll für seine Interpretation der Verfassungslage genutzt werden. Das macht dieser Artikel auch deutlich. Der Bund soll sich nach seiner Meinung aus der Verantwortung für die Kultur zurückziehen.Wir haben mit unserem Antrag „Zukunft der Bundeskulturförderung " widersprochen. Wir freuen uns, daß es jetzt eine gemeinsame Linie der Länder gibt, die die Kriterien für die künftige Bundeskulturförderung festlegen, und daß es dort einen großen Konsens gibt. Das war nicht leicht; aber er ist jetzt zustande gekommen.Ich möchte ein paar Bemerkungen machen, die vielleicht auch zur Kulturpolitik gehören. In den letzten Jahren dieser Legislaturperiode ist unser Land, ist der Standort Deutschland an vielen Orten zum Brandort geworden, zum Angstort auch für Ausländer. Es gibt eine ganze Reihe von Dingen, in denen das kulturelle Gespräch, die Kultur in unserem Lande sich radikal verändert haben, auch ohne die Wirkungen der Einigung und auch ohne die Folgen seit 1989.Günter Grass hat in einem Gespräch mit der „Frankfurter Rundschau" im Januar sehr eindrucksvoll gesagt:Wir leben in einer Zeit mit Verlusten, und das ist gut für die Literatur. Der Beruf des Schriftstellers ist nicht zu rationalisieren. Ideen klopfen an, werden vergessen, wenn sie hart genug sind und immer wieder anklopfen, dann müssen sie ausgetragen werden. Das ist ein Arbeitsprozeß, der auf Widerstände baut. Ich kann nur raten,— so Grass weiter —nicht auf Widerstände zu verzichten. An denen wächst Stil, nur durch sie entwickelt sich eine eigene Stimme.Zur Kulturpolitik darf nicht nur die Fähigkeit gehören, große Bauten einzuweihen — auch wenn das gelegentlich passieren muß —, Filmpreise zu verleihen, Festivals zu eröffnen oder Kulturmanager zu loben. Die Qualität der Kulturpolitik in der Demokratie bewährt sich in ihrer Fähigkeit, diese vielen „eigenen Stimmen" , von denen Grass spricht, den Stil, die neuen Initiativen, die Projekte, die sich aus „Widerständen" ergeben, zu erkennen, anzuerkennen und finanziell auch zu fördern. Deshalb mein Plädoyer für eine angemessene Ausstattung der Kulturfonds.Dieses ernst genommen, müssen wir heute konstatieren: Die vergangenen vier Jahre waren eben nicht nur ein Zeitbruch für uns Deutsche, weil wir mit den kulturpolitischen Aufgaben der deutschen Einheit umzugehen lernen mußten. Es gibt eine ganz andere, tiefere Veränderung: Zwischen die Stimmen der einzelnen und Künstler hat sich eine ungeheuer wirksame, mächtige Übermittlungstechnologie geschoben. Der künstlerische Autor — hier meine ich nicht nur den Wortautor —, der Urheber wird mehr und mehr zum freien Mitarbeiter am großen elektronischen Drehbuch der Gegenwart.Auch Kulturpolitik neigt dazu, sich mehr um die Produzenten dieses Drehbuchs als um die Autoren, um die Urheber zu kümmern. Was ist ein stiller Maler gegen die Genialität eines Ausstellungsjongleurs, was ein Schriftsteller gegen die Chefs einer guten Werbeagentur? Richard Sennett hat für das amerikanische Kulturleben schon vor Jahren auf die neuen Mechanismen des elektronischen Starkults hingewiesen.
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20226 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1994
Freimut DuveWenn aber Kulturpolitik nicht mehr vermag, diese neuen stillen Stimmen, den Stil der einzelnen so zu fördern, daß sie vernehmbar werden, daß auch wir in der Politik ihnen zuhören, dann hätte sie ihren Zweck verfehlt — ganz unabhängig von den Abstrichen oder Aufschlägen bei den Millionen in den Haushalten.Um das kulturelle, zivile Gewebe dieser Stilsucher und Stimmentester in unserem Land geht es in der Kulturpolitik der Städte, der Länder und des Bundes oder bei dem, was das Goethe-Institut den Menschen im Ausland an Bildern und Texten aus Deutschland vermittelt.Vielleicht hat ja Ulrich Greiner recht, wenn er im vergangenen Jahr in der „Zeit" konstatiert: Das Gespenst der Kulturvermittlung lauert nicht in den Etats allein, es nistet auch in den Produkten selber. Er wird sehr kritisch auch gegenüber den Produktionen der Künstler unserer Zeit.Kulturpolitik sollte auch auf solche Brüche und auf eine solche Kritik reagieren — und nicht nur im programmierten Reflex, wenn allenthalben die Mittel knapp werden.Aber wir sollten zornig bleiben, wenn für die Ausstellungs- und Darstellungskultur immer noch Geld da ist — auch Geld von Sponsoren, die mit „Kulturereignissen" für sich werben wollen —, für die Förderung der Stilsucher und Stimmentester aber immer weniger.Der moderne, elektronisch steuerbare Kulturapparat ist dabei, seine Autoren zu verschlingen. Gerade deshalb ist der harsche Umgang mit den Kulturfonds und auch mit dem Goethe-Institut durch den Bund und durch einige Haushaltskollegen so widersinnig.Zur Beratung liegt uns in dieser Debatte neben den Anträgen zur innerstaatlichen Kulturpolitik auch die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Regierungsfraktionen „Das Bild des vereinten Deutschland . " vor.Auf Fragen der auswärtigen Kulturpolitik wird nachher mein Kollege Günther Toetemeyer eingehen. Ich möchte zur auswärtigen Kulturpolitik jetzt nur eine Anmerkung machen.
Die Bundesregierung nimmt in ihrer Antwort immer wieder Bezug auf die bisherigen Grundlagen der Auswärtigen Kulturpolitik. Das begrüßen wir. Doch mich stimmt skeptisch, wenn es z. B. heißt:Übergreifende Aufgabe und ständiges Ziel der Auswärtigen Kulturpolitik ist die „Legitimation der Bundesrepublik Deutschland als Kulturnation in einer sich wandelnden Welt".Ich weiß nicht, warum es „vor allem darum gehen" soll, „die politische und die kulturpolitische Öffentlichkeitsarbeit künftig stärker miteinander zu verknüpfen" .Ich denke, wir sollten uns auch damit beschäftigen, warum die Bundesregierung mehr und mehr dazu neigt, den Goethe-Instituten Anweisungen zu geben, etwa die, in einer bestimmten Form zum 20. JuliVeranstaltungen zu machen. Ich denke, das muß in der Autonomie der Goethe-Institute bleiben.
— Das ist eine Erwägung.
Frau Präsidentin, meine lieben Kollegen, — —
— Ich bitte sehr um Entschuldigung. Ich hoffe, daß wir Kulturpolitiker in diesen Fragen — wir werden im Goethe-Institut bald eine Diskussion haben, Herr Kollege Köhler, und wir werden heute abend mit den Mittlerorganisationen diskutieren — in der nächsten Legislaturperiode nie auseinanderkommen und im Grundsatz genausogut zusammenbleiben, wie es in den letzten vier Jahren war. Darum möchte ich mich zum Schluß noch einmal bei meinem Kollegen Herrn Köhler, der aus dem Bundestag ausscheidet, sehr herzlich für die Zusammenarbeit bedanken, denn wir haben vieles gemeinsam gemacht, manchmal auf sehr heitere und spaßige Art zur Ergötzung unserer Kollegen und Zuhörer, aber manchmal auch sehr fruchtbar für die Kulturpolitik.Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt unserer Frau Kollegin Dr. Roswitha Wisniewski das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutschland versteht sich zu Recht als Kulturstaat. In der Zeit der Teilung war das Bewußtsein, einer Kulturnation anzugehören und aus demselben kulturellen Erbe zu leben, eine starke Klammer zwischen West und Ost. Jetzt, nach der Herstellung der deutschen Einheit mit den Schwierigkeiten des geistigen Zusammenwachsens, die sich z. B. in den Ergebnissen der Wahlen des letzten Sonntags recht deutlich und teilweise besorgniserregend gezeigt haben, ist es doppelt notwendig, die kulturelle und damit die geistige Einheit des Gesamtstaates in repräsentativen kulturellen Einrichtungen herauszustellen.Im Zeitalter starker europäischer Einigungsbestrebungen ist die Einsicht gewachsen, daß nicht in der Zersplitterung, sondern in der Einheit die Kraft zum politischen Handeln liegt. Das gilt aber auch für die föderalistisch strukturierte Bundesrepublik. Der politische Zusammenhalt muß trotz der Wahrung der Unterschiedlichkeit und der Eigenart der Länder gerade auch in kultureller Hinsicht repräsentativ zum Ausdruck kommen. Der Bund hat nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht zum gesamtstaatlichen, kulturellen Ausdruck seiner Existenz. Die gestrige Eröffnung des Hauses der Geschichte der Bundesrepublik
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Dr. Roswitha Wisniewskiwar eine eindrucksvolle Bestätigung dieser Aufgabe.Angesichts einiger Verständnisschwierigkeiten im vergangenen Jahr ist nun zuletzt ein ermutigendes Zeichen für die Fortsetzung einvernehmlicher kultureller Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern sichtbar geworden. Es besteht darin, daß die Kultusministerkonferenz der Lander im Dezember 1983 einstimmig einen Beschluß zur Mitwirkung des Bundes an gesamtstaatlichen Kulturaufgaben gefaßt hat. Der Deutsche Bundestag erwartet, daß die Konferenz der Ministerpräsidenten diesem Beschluß folgt und ihren 1987 gefaßten Beschluß zurücknimmt, der besagt, daß vom Bund außerhalb der Kulturstiftung der Länder keine neuen kulturpolitischen Aktivitäten ausgehen dürfen oder sollen. Wir hoffen, daß diese Fragen bald im Zuge der zur Zeit laufenden Verhandlungen zwischen dem Bund und den Ländern endgültig geklärt werden können
und daß die bewährte Kulturpolitik des Bundes im Zusammenwirken mit den Ländern erfolgreich fortgesetzt werden kann.
Im Jahre 1984 hat die Bundesregierung in einer Antwort auf zwei Große Anfragen der CDU/CSU und der F.D.P. einen ausführlichen Bericht über Ziele und Inhalte ihrer Kulturpolitik gegeben. Dies war wohl die erste systematische Zusammenfassung der Kulturförderungspolitik des Bundes. Daraus geht hervor, daß drei große Bereiche im Vordergrund der kulturpolitischen Aktivitäten des Bundes stehen: erstens Verbesserung und Fortentwicklung der ordnungspolitischen und finanziellen Rahmenbedingungen für die Entfaltung von Kunst und Kultur, zweitens Bewahrung und Schutz des kulturellen Erbes, drittens Aufbau und Ausbau der Förderung von gesamtstaatlich bedeutsamen kulturellen Einrichtungen.Nach der Wende kamen die finanziellen Aufbauhilfen für kulturelle Einrichtungen in den neuen Bundesländern hinzu. Diese Hilfen waren notwendig wegen der Umstrukturierung der in der ehemaligen DDR zentral gelenkten Kulturpolitik, die nach der Wende den neuen Ländern als Aufgabe übertragen wurde. Inzwischen ist durch die Neufassung des Länderfinanzausgleichs ab 1995 eine Regelung für die Zukunft erfolgt, wenn es auch bedauerlich ist, daß der Anschluß leider nicht bis zum Greifen dieser neuen Regelung gewährleistet werden konnte.Erfreulicherweise kann aber festgestellt werden, daß es durch die Hilfe des Bundes im großen und ganzen gelungen ist, die reiche Kulturlandschaft in den neuen Bundesländern zu erhalten. Der Bund hat in verschiedenen Programmen bis 1993 ungefähr 3,4 Milliarden DM dafür aufgewendet. Dankbar und anerkennend sei aber vor allem auch vermerkt, daß die Aufwendungen der neuen Bundesländer trotz ihrer bekannten besonderen Schwierigkeiten noch erheblich höher lagen.
Insgesamt kann das Fazit gezogen werden, daß die Kulturpolitik des Bundes in den letzten Jahrzehntendank einer guten Konzeption, aber auch dank einer zwar nicht üppigen, aber doch ausreichenden Finanzierung positiv zu bewerten ist. Gemeinden, die übrigens die Hauptlast tragen — das darf man nie vergessen —, Länder, die viel dazu beitragen, und der Bund, der nur einen kleinen Anteil trägt, haben zuletzt ungefähr 15 Milliarden DM jährlich für die Kulturförderung aufgewendet.Im letzten Jahr ist diese positive Entwicklung ins Stocken geraten. Ursache ist einerseits die schwierige Finanzlage der Bundesrepublik insgesamt, andererseits aber auch die schon erwähnte neue Regelung des Finanzausgleichs, der für die Länder äußerst günstig ausgefallen ist. Dies veranlaßt manchen Finanzpolitiker auf Bundesebene zu der Annahme, daß sich der Bund nun eigentlich aus der Kulturförderung zurückziehen könne.
Es ist bedauerlich, daß nicht nur die Übergangsfinanzierung für die neuen Bundesländer bereits für 1994 — bis auf eine Notlösung — den Sparmaßnahmen zum Opfer fiel, sondern daß auch die Kulturförderungsmittel des Bundes insgesamt reduziert wurden. Wie wir hören, soll dies auch für 1995 der Fall sein.
Wie gesagt, einerseits ist dies bedauerlich, andererseits in manchen Bereichen verständlich.Nun kann natürlich auch der Bereich der Kultur nicht von den Sparmaßnahmen ausgenommen werden. Aber Neubesinnung, Entwicklung von Konzeptionen und auch Durchforsten des Bestehenden sind notwendig. Es gibt gelegentlich auch Fehlentwicklungen zu verzeichnen.Dies alles fordert der vorliegende Antrag der Koalitonsfraktionen heraus. Vor allem erwarten wir grundsätzliche Aussagen zur Kulturpolitik des Bundes und die Entwicklung maßgebender Kriterien für die Beteiligung des Bundes an der Förderung gesamtstaatlich bedeutsamer kultureller Einrichtungen.
Dabei ergeben sich natürlich eine Reihe von Einzelfragen, die hier gar nicht alle aufgezählt werden können. Ich will einige wenige hervorheben.Es gibt einen Beschluß zur Stockbildung bei den Kulturfonds, also zur Pflicht zur Rücklage. Ein Antrag bezieht sich auf diese Maßnahme. Wir sind der Meinung, daß über die Stockbildung bei den Kulturfonds noch einmal nachgedacht werden sollte, wenn auch der vorliegende Antrag der SPD-Fraktion als zu weitgehend abgelehnt werden muß.
Aber zumindest eine Reduzierung wäre wünschenswert, damit die zur Verfügung stehenden Mittel nicht
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20228 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1994
Dr. Roswitha Wisniewskizu sehr festliegen, sondern weitgehend eingesetzt werden können.
Aufgeschlossenheit erscheint gegenüber einer Beteiligung des Bundes an einem Grenzlandprogramm durchaus angebracht, wie es die Länder Bayern und Sachsen in der Nachfolge des sehr erfolgreichen Programms zur Zeit der deutschen Teilung entwickelt haben.Gebeten wird, daß sich die Bundesregierung dafür einsetzt, daß die Buchpreisbindung erhalten bleibt. Dies ist ein Anliegen, das von allen Fraktionen geteilt wird.
Notwendig ist aber vor allem eine hinreichend günstige Regelung für die Beteiligung des Bundes an den kulturellen Aufgaben Berlins als der deutschen Hauptstadt. Die kulturelle Ausstrahlungskraft Berlins, die ja doch auch eine Ursache dafür war, daß sich der Bundestag für Berlin als Sitz des Parlaments und der Regierung entschieden hat, muß erhalten bleiben. Das gilt sowohl hinsichtlich des Bestandes und der Darbietungsmöglichkeiten der berühmten Orchester, Chöre, Opern, Museen, Theater und anderer kultureller Einrichtungen wie aber auch der Kulturbauten, die eine Hauptstadt als solche kennzeichnen und die allein durch ihr Dasein die Bürgerinnen und Bürger kulturell ansprechen und politisch fordern. Die bisher vorgesehenen Zuschußmittel des Bundes für die nächsten zehn Jahre werden dieser Aufgabe Berlins meines Erachtens nicht gerecht.
— danke, endlich erkennbar zu machen —, sei es durch den Wiederaufbau des Schlosses, sei es durch eine entsprechende Ergänzung?Wäre es nicht ein Zeichen wohlwollender Bereitschaft zur Verständigung mit dem Bund, wenn Berlin der größten deutschen wissenschaftlichen Bibliothek, der Staatsbibliothek am Kulturforum, nicht den dringend benötigten Erweiterungsraum verweigern und eine Notlösung anbieten würde, die unzumutbar erscheint? Wieso verweigert Berlin eigentlich die Vollendung des Scharoun-Ensembles, obwohl diese Bauten am Kulturforum zu den wichtigsten Denkmälern der Architektur des 20. Jahrhunderts gehören und private Investoren bereit sind, für Berlin kostenfrei daran mitzuwirken?
Aber wichtig ist vor allem die gründliche Überprüfung der bestehenden gesetzlichen Rahmenbedingungen. Das so dringend notwendige verstärkte Engagement privater Kunst- und Kulturfreunde kann nur durch weitere Maßnahmen in diesem Sektor geweckt werden.
Frau Kollegin Wisniewski, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Weiß?
Bitte, Herr Weiß.
Bitte, Kollege Weiß.
Vielen Dank. — Frau Kollegin, Sie haben eben die Staatsbibliothek angesprochen. Das ist ein Problem, mit dem wir uns ja auch im Unterausschuß bereits eingehend befaßt haben. Ich vermisse in Ihren Ausführungen allerdings den anderen Aspekt, der mir sehr wichtig ist, nämlich darauf hinzuwirken, daß die historisch gewachsene und kulturhistorisch wertvolle Staatsbibliothek Unter den Linden in ihrer Funktionsfähigkeit erhalten bleibt, daß die dort vorhandenen Räumlichkeiten, die wunderbaren Lesesäle wiederhergestellt werden bzw. weiter genutzt werden können. Sind Sie nicht auch der Meinung, daß das zusammengehört und daß der von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz vorgeschlagene Weg, beide Staatsbibliotheken weiterhin zu nutzen, deshalb die vernünftigere Lösung ist?
Vielen Dank, Herr Weiß, für die Frage und für die Ergänzung. Ich würde sagen, die alte Staatsbibliothek gehört zu dem von mir eben erwähnten Ensemble um das ehemalige Schloß herum. Es ist in der Tat richtig, daß dieses Gebäude, ob in dieser Funktion, ob in einer anderen Funktion, auf jeden Fall erhalten bleiben muß. Dieser Meinung bin auch ich.
Meine Damen und Herren, insgesamt besteht die begründete Hoffnung, daß Deutschland seiner kulturpolitischen Verantwortung auch in Zukunft gerecht werden wird. Der Deutsche Bundestag wird sich weiterhin bemühen, seinen Teil der Verantwortung, womöglich noch verstärkt, wahrzunehmen.
Ich bitte Sie um Zustimmung zu den vorliegenden Anträgen der Koalitionsfraktionen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt unser Kollege Gerhart Rudolf Baum.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nur sechs Minuten Redezeit. Deshalb kann ich auf vieles, was Sie, Herr Duve, hier gesagt haben, nicht eingehen. — Hier auf dem Pult steht übrigens nur noch „fünf Minuten" .Wir sind in der Kulturpolitik in einer schwierigen Lage. Durch Kürzungen sind viele Einrichtungen und Aktivitäten existentiell bedroht. Das ist eine Folge von
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1994 20229
Gerhart Rudolf BaumKürzungen auch im Bund. Wir haben ja sehr globale und auch, wie ich meine, nicht nach Prioritäten durchdachte Kürzungen erlebt, und wir haben uns in der letzten Legislaturperiode zudem nicht ausreichend über die Rahmenbedingungen für Kunst und Kultur unterhalten, haben die wirtschaftlichen und finanziellen Rahmenbedingungen hierfür nicht weiterentwickelt. Das war früher besser. Wir haben das Stiftungs-, das Steuerrecht überprüft. In dieser Hinsicht ist nicht viel geschehen.Ich meine, daß gerade in einer Zeit der Knappheit, der Leere öffentlicher Kassen die Hilfe zur Selbsthilfe verstärkt werden muß, auch wenn ich dringend dafür plädieren möchte, daß sich der Staat, die öffentliche Hand aus ihrer Verantwortung nicht verabschiedet. Kulturförderung ist keine Subvention, deren Abbau zur Diskussion steht,
sondern sie ist notwendig, um die gesellschaftlichen Kräfte in der Kultur zu erhalten. Wir müssen uns also um die Rahmenbedingungen, um die Haushalte kümmern.Ich meine, daß in den letzten Jahren auch hier im Parlament, im Unterausschuß, auch in den Debatten, die wir geführt haben, eine größere Verantwortung des Gesamtstaates gewachsen ist. Meine Partei möchte in der nächsten Legislaturperiode erneut den Versuch unternehmen, einen wirklichen Kulturausschuß des Parlaments einzurichten, um diese Gesamtverantwortung deutlich zu machen.Zur Steuerpolitik, die ich gerade erwähnt habe, möchte ich nur noch stichwortartig sagen, daß die steuerliche Gewinnermittlung, die Einkommen- bzw. Lohnsteuer, die Vermögensteuer, d. h. die Kopplung von Vermögensteuerbefreiung und Ausstellungsbindung, ein Thema bleiben muß. Dazu hat die Bundesregierung einen Bericht zugesagt, der noch nicht vorliegt.Wir werden — das hat meine Fraktion gestern intensiv diskutiert — an der Regelung zur Kunst am Bau festhalten. Wir wollen diese Regelung zwar flexibler gestalten, wollen sie aber in ihrer Substanz erhalten. Frau Kollegin Wisniewski, vielleicht machen wir erneut den Versuch eines Antrags. Der Antrag ist ja in Ihrer Fraktion gestern nicht durchgegangen.
Wir bedauern das. Wir wollen darauf achten, daß die steuerlichen Anreize zum Denkmalschutz nicht abgebaut werden. Anreize zu geben ist eine typische Hilfe zur Selbsthilfe: Wenn jemand ein Haus wieder herrichtet, muß er dafür steuerliche Vorteile in Anspruch nehmen können.Wir haben uns mit der Situation in Europa befaßt. Ich zitiere Martin Neufer, der gesagt hat: Wir müssen uns hier im Parlament mit dem Brüsseler Kunstschutzwahn auseinandersetzen. Das ist in der Tat der Fall. Die Regierung hat ja Gott sei Dank diese sogenannte Kunstschutzrichtlinie abgelehnt. Übrigens gibt es interessante Pläne für ein europäisches Institut fürKulturforschung hier in Bonn, die ich unterstützen möchte.
Die bundesstaatliche Gesamtverantwortung ist jetzt in die Diskussion gekommen; die Vorredner haben das erwähnt. Ich meine, daß sich die Kulturpolitik des Bundes, von den jeweiligen Bundesregierungen getragen, gut entwickelt hat, Herr Kollege Lintner. Wir dürfen das jetzt nicht in Frage stellen. Ich finde, wichtige Teile der Kulturpolitik des Bundes sind heute ohne Perspektive, weil es diese grundsätzliche Auseinandersetzung gibt, die der Finanzminister begonnen hat. Auch ich habe in der FAZ widersprochen: Wir brauchen die Gesamtverantwortung des Staates für viele wichtige Einrichtungen, etwa der Arbeitsgemeinschaft Kultureller Institutionen, ASKI. Alle sind jetzt in Unsicherheit. Die Unklarheiten, die jetzt zwischen Bund und Ländern diskutiert werden — nicht einmal der Bund ist dabei einer Meinung —,
dürfen nicht auf dem Rücken der Betroffenen ausgetragen werden. Hier muß schnellstmöglich Klarheit geschaffen werden.
Wir sind der Meinung, daß die Substanzerhaltung in den neuen Bundesländern eine nach wie vor ganz wichtige Aufgabe ist. Liberale Kulturpolitik, die Kulturpolitik insgesamt muß dazu beitragen, die Einheit der deutschen Kulturnation zu bekräftigen. Der Bund darf sich auch hier nicht von vornherein aus der Verantwortung verabschieden. Die alten Bundesländer haben in den letzten Jahren wirklich nicht sehr erfolgreich mitgewirkt. Die neuen Bundesländer sind jetzt gefordert, die Substanzerhaltung zu sichern. Die Erhaltung der Kulturlandschaft Wörlitzer Park, über die wir uns gerade gestern unterhalten haben, ist eine wichtige Aufgabe für die Zukunft.Die restriktive Haltung des Finanzministers zur Berlinförderung kann ich leider nicht erörtern, weil mir die Zeit wegrennt.Wir leben in einer Umbruchsituation, in Zeiten der Unsicherheit, der Identitätssuche. Kürzungen in den öffentlichen Haushalten gefährden viele, besonders auch freie kulturelle Initiativen in ihrer Existenz. Die Kulturfonds, die zu meiner Amtszeit eingeführt worden sind, sind genannt worden. Ich teile diesbezüglich voll die Besorgnis der Kollegin Wisniewski; sie dürfen jetzt nicht Ihrer finanziellen Existenzgrundlage beraubt werden. Gerade in einer solchen Zeit der Unsicherheit brauchen wir solche Aktivitäten.Die Fragen von Wirtschaftsentwicklung und Arbeitsmarkt stehen im Vordergrund des öffentlichen Interesses. Aber da soviel vom Wirtschaftsstandort Deutschland die Rede ist, muß ich doch darauf hinweisen, daß eine Gesellschaft — auch wenn man nur ihre wirtschaftlichen Kräfte sehen will, was ich nicht tue — auf die kreativen Kräfte der Künstler angewiesen ist, die Neuland betreten, die in Umbruchsituationen provozieren, produzieren, Experimente wagen, uns einen Weg in die Zukunft weisen. Diese Künstler
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20230 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1994
Gerhart Rudolf Baumbedürfen nicht nur der Toleranz in einer offenen Gesellschaft, sie haben Anspruch auf Rahmenbedingungen, die dem Postulat des Kulturstaats entsprechen, den wir so oft im Munde führen,
dem wir aber nicht voll gerecht geworden sind. Danke schön.
Vizepräsident Helmuth Becker Meine Damen und Herren, nächster Redner ist jetzt unser Kollege Dr. Dietmar Keller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Antwort der Bundesregierung ist der Satz enthalten, die Kulturpolitik bewege sich im Spannungsfeld zwischen der Haushaltsknappheit und den gestiegenen Erwartungen. Diesem Satz stimmen wir zu — wie wir allem zustimmen können, was Kollege Baum hier geäußert hat.Die Kürzung staatlicher Subvention darf für Kunst und Kultur nicht zur Diskussion stehen. Ich glaube, spätestens in diesen beiden Sätzen offenbart sich, woran die gegenwärtige Diskussion — ich betone: die Diskussion! — um die Kultur krankt: Sie krankt nicht so sehr an Geldmangel oder an übertriebenen Sparzwängen, sondern an der Art und Weise, wie wir diese Diskussion führen. Damit ist nicht gesagt, daß der Sparzwang nicht zu einer substantiellen und existenzgefährdenden Bedrohung kultureller Einrichtungen werden könnte. Es ist aber nicht exakt richtig, wenn bei allen Mitteln so getan wird, als ginge es um ein bloßes Verteilungssystem.Meine Damen und Herren, müssen wir nicht endlich auch die Frage stellen: Wie hoch ist eigentlich der Anteil kultureller Projekt- und Haushaltsmittel, der tatsächlich bei den Kulturschaffenden ankommt, und wieviel bleibt auf der Strecke in anderen Einrichtungen, Institutionen hängen? Wenn man das konkret untersucht, wird man merken, daß in einigen Bereichen ein Kulturbetrieb entstanden ist, der verhindert, daß finanzielle Mittel aus dem Haushalt dort ankommen, wo sie eigentlich ankommen müßten.Daß jede Art von Kultur ökonomische, betriebs- und volkswirtschaftliche Grundlagen besitzt, haben wir in den letzten Monaten und Jahren wahrscheinlich verdrängt und haben sie durch eine eigenartige verwaltungsbürokratische Logik ersetzt, nach der Kultur ist, was alimentiert werden muß, weil sich wahre Kultur nicht rechnet; denn sobald sie dies tut, ist es nicht mehr Kultur.Diese Logik hat nicht nur jedes Nachdenken über die Effizienz der für die Kultur eingesetzten Mittel stillgelegt; sie wirkt sich vor allem dahin gehend verheerend aus, daß sie den Kulturprozeß von seinen eigentlichen Grundlagen entkoppelt. Auch der Kulturbetrieb reproduziert sich zuerst einmal in wirtschaftlichen Formen, bevor er Sinnstiftung, Lusterfahrung, Identitätsvermittlung oder was der höheren Zwecke da noch sein mögen zu realisieren imstande ist.Daß sich der gesamte Kulturbetrieb in nachgerade anarchischen Finanzierungsbahnen vollzieht, Einnahmen und Ausgaben allenfalls projekt- und einrichtungsbezogen, nicht aber für den Gesamtprozeß bilanziert sind, vor allem aber in seinen alimentierenden Teilen durch eine Überschußfinanzierung in Gang gehalten wird, die allein schon aus strukturellen Gründen an objektive Grenzen stoßen muß, ist in der ganzen Diskussion um die Kultur paradoxerweise noch nicht einmal ansatzweise thematisiert, obwohl hierbei ständig von Geld und von den finanziellen Ansprüchen des Kulturbetriebs die Rede ist.In den alten Bundesländern profitierte die öffentliche Kulturförderung vier Jahrzehnte lang von einem Wachstum des Bruttosozialprodukts, das sich erheblich schneller vollzog als die Steigerung der Lebenshaltungskosten. Die Überschüsse wurden von den Kommunen in bundesweitem Wettbewerb in den Bau von Museen, Theatern, den Erhalt von Orchestern, Architikturdenkmälern und die Pflege des bestehenden Kulturbetriebs gelenkt. In der DDR war die Finanzierungslogik auf entsprechend niedrigerem Niveau die gleiche, nur mit dem Unterschied, daß die vermeintlichen Überschüsse hier nicht erwirtschaftet, sondern politisch dekretiert waren.In beiden Fällen jedoch galt ungeachtet der Beteuerung, daß Kultur nicht Luxus, sondern Lebensmittel sei, ein Finanzierungsmodus, der sie zum Luxusgut degradierte: finanziert aus dem, was übrigblieb. Jegliche ökonomische Erwägung in Sachen Kultur blieb demgegenüber als ein Akt der Kulturfeindlichkeit eingestuft.Insofern steht hinter der gegenwärtigen Krise der öffentlichen Kulturförderung ein ganz grundsätzliches Problem, das sich vor dem Hintergrund der einheitsbedingten Sonderbelastungen sowie der augenblicklichen Rezession nur etwas vorgezogen offenbart, jedoch in seinem Kern weder auf die wirtschaftlichen Rezessionserscheinungen noch auf die Belastungen durch die Wiedervereinigung zurückgeführt und somit auch durch eine bloße Verschärfung der Verteilungskämpfe und durch Umverlagerungen in den Haushaltsetats nicht gelöst werden kann.Die Lösung für ein ökonomisches Reproduktionsproblem besteht weder darin, daß es in ein Legitimationsproblem umgedeutet wird, noch in der Sparlogik, die die Strukturen beläßt, wie sie sind, aber den Finanzzustrom bis zum allmählichen Erstickungstod drosselt.
Es würde sich also lohnen, Herr Kollege Duve, den Finanzierungskreisläufen innerhalb des Kulturbetriebs einmal genauer nachzugehen, nicht mit einer Buchhalterlogik, sondern mit dem Ziel, den vielen Ungereimtheiten und verschenkten Möglichkeiten auf die Spur zu kommen. Ich erinnere daran, daß in England bereits Mitte der 70er Jahre mit einer Kulturökonomie und Kulturwirtschaftspolitik ein Anstoß gegeben wurde, den zumindest zu untersuchen und sich anzuschauen lohnen würde. Auch mit dem Blick auf die europäische Einheit könnten daraus, glaube ich, für die Bundesrepublik Deutschland Konsequenzen erwachsen.
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Dr. Dietmar KellerLassen Sie mich zu einem zweiten Problem etwas sagen. Es liegen ja unerhört viele Materialien für die heutige Beratung vor. Ich stimme den Formulierungen sehr zu, in denen es heißt, daß die auswärtige Kulturpolitik dem Austausch und den Begegnungen dienen muß, die kulturellen Wechselbeziehungen und partnerschaftliche Zusammenarbeit fördern muß und keine Einbahnstraße sein darf.Ich bitte Sie sehr, daß wir uns in allen Ausschüssen dieses Hohen Hauses dafür einsetzen, die kulturelle Zusammenarbeit als eine Zweibahnstraße in die osteuropäischen Länder in Zukunft viel, viel stärker zu fördern, als das bisher erfolgt ist. Wenn wir die Einheit Europas anstreben, brauchen wir eine stärkere Öffnung nach Mittel- und Osteuropa. Wir brauchen auch ein offenes Ohr und Verständnis für die kulturellen Entwicklungen, die sich dort vollziehen.Ich stelle mit Besorgnis fest, daß in den Buchläden ein spürbarer Rückgang der Übersetzungen von Belletristik aus den ost- und mitteleuropäischen Ländern zu verzeichnen ist. Ich stelle mit Besorgnis fest, daß bei vielen Beziehungen, die nach Ost- und Mitteleuropa bestanden haben, die aus dem System des Sozialismus erwachsen waren und die natürlich ideologisch und politisch mißbraucht worden sind, ein Rückgang eingetreten ist, dem nur mit Fachleuten zu begegnen ist. Die Fachleute sind vorhanden. Wenn ich mir überlege, wie viele hervorragende Übersetzer wir im Osten Deutschlands hatten und wie wenig diese Übersetzer heute in der Fachliteratur und in der Belletristik eingesetzt werden, dann sehe ich Defizite, die wir beheben müssen, um zu einer Zweibahnstraße zu kommen, um nicht zu einem späteren Zeitpunkt festzustellen: Hier sind Verluste eingetreten, die man durch die Ausbildung entsprechenden Personals erst nach Jahren wieder ausgleichen kann.Dazu gehört auch, daß solche neuen Einrichtungen wie die Europa-Universität „Vidrina" in Frankfurt oder auch die Politik der Öffnung nach Osteuropa, insbesondere nach Polen, unsere Aufmerksamkeit oder zumindest unsere moralische Unterstützung finden sollten.Ich bedanke mich.
Meine Damen und Herren, der nächste Redner ist jetzt unser Kollege Konrad Weiß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Zeiten knapper Kassen in Bund, Ländern und Kommunen leidet gerade die öffentliche Kunst- und Kulturförderung unter drastischen Einsparmaßnahmen. Mehr oder weniger wird Kultur unverhohlen als Luxusgut deklariert.Die Bemühungen der Soziokultur, über Kulturarbeit möglichst viele Menschen zu kultureller und politischer Eigenständigkeit und Kreativität anzuregen, wird immer öfter als überflüssig oder als kulturpolitische Planwirtschaft denunziert. Ihre Akteure, oft an der Grenze ihrer Existenz, werden nicht selten der Versorgungsmentalität geziehen. Dieser Denkansatz ist antiemanzipatorisch. Er ist auf den Abbau von Kultur und grundlegenden Menschenrechten ausgerichtet — und das möglichst geräuschlos und ohne Gegenwehr. Dies ist die Situation, in welcher wir die heutige Debatte über verschiedene Maßnahmen des Bundes zur Förderung von Kunst und Kultur führen.Dem Gesetz über die Gemeinschaftsproduktion von Kinofilmen stimme ich gern zu; Sie werden es sich denken können. Die Gleichstellung von in Europa gemeinsam produzierten Filmen mit nationalen Produktionen, auch in der Förderung, ist eine alte Forderung von Filmemachern. Das deutsche und europäische Filmschaffen wird dadurch gefördert und im Konkurrenzkampf mit amerikanischen Produzenten gestärkt. Daß alle beteiligten Länder je nach ihrer kulturellen Gepflogenheit untertitelte oder synchronisierte Fassungen verlangen können, trägt sicher zu einem besseren Austausch und zur Verbreitung der Filme bei.Die heute im Innenausschuß gemeinsam verabschiedete Beschlußempfehlung zum Bericht der Bundesregierung zur Verbesserung der kulturellen Lage der deutschen Minderheiten in Mittel- und Osteuropa wird in der veränderten Fassung nun auch vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN unterstützt. Wir halten es für eine wichtige Aufgabe, die abgeschlossenen Grenz- und Freundschaftsverträge auch im kulturellen Bereich mit Leben zu erfüllen und dafür Sorge zu tragen, daß die deutschen Minderheiten im Ausland ihre kulturellen Traditionen pflegen können.Der Umfang der außenpolitischen Programme muß aber natürlich in den Aufwendungen und Anstrengungen in einem vernünftigen Verhältnis zur kulturellen Integration der Ostdeutschen und der in Deutschland lebenden Ausländer stehen. Ich erachte es als eine vorrangige Aufgabe der deutschen Kulturpolitik, auch hier im Land die integrative Funktion der Kultur zu nutzen. Leider läßt das Engagement der Bundesregierung für die kulturelle Gleichberechtigung der in Deutschland lebenden Ausländer und Ausländerinnen sehr zu wünschen übrig.
Es ist schon beschämend, wenn vor allem Flüchtlinge und Asylbewerber, aber auch Studenten und Gastarbeiter oftmals ohne aktive oder rezeptive kulturelle Angebote vegetieren — ich sage: vegetieren — müssen.BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beobachtet mit Sorge die Versuche des Bundes, sich endgültig aus seiner Verantwortung für die öffentliche Förderung von Kunst und Kultur zu stehlen. Der Beschluß, für den Deutschen Kulturförderfonds zwangsweise eine Kapitalstockbildung einzuführen, ohne gleichzeitig die Etats aufzustocken, ist symptomatisch dafür. Wir meinen, daß die kulturellen Fonds bei zunehmenden Aufgaben und knapperen Mitteln nicht noch durch Stockbildungszwang eingeschränkt werden dürfen.
Völlig unzulänglich ist, was die Bundesregierung hinsichtlich ihrer mittelfristigen Planung berichtet hat. Nach der Streichung der Übergangsfinanzierung für die neuen Länder, denen eine nahtlose Ablösung der Übergangsfinanzierung zugesichert worden war, geht es mit der geplanten Streichung einer weiteren
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20232 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1994
Konrad Weiß
Million im Kulturhaushalt jetzt auch im Westen ans Eingemachte. Wir unterstützen die SPD nachdrücklich in ihren Forderungen, die sie allerdings auch in den Ländern, in denen sie regiert, an die eigene Adresse richten sollte; denn die Mehrheit der von der SPD regierten Länder könnte im Bundesrat die formale Aufhebung des in der Tat veralteten Beschlusses, keine weiteren Bundesaktivitäten zuzulassen, sehr schnell umsetzen.
Die Vorstellungen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Förderung von Kunst und Kultur gehen allerdings darüber hinaus. Wir lassen uns nicht vor die Scheinalternative stellen: Ausbau von Kindergärten oder Soziokultur, Alteneinrichtungen und Jugendklubs. Wer hier Bescheidenheit fordert, blendet aus, daß z. B. solche Stätten für Kinder und Jugendliche im Westen noch immer und im Osten zunehmend an Herkunft und Status der Eltern gebunden sind. Für uns sind Kunst und Kultur Lebens-, ja Überlebensmittel.
— Ich meine, zum Teil stimmt es schon.
Herr Kollege Weiß, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Duve?
Ja.
Bitte, Herr Kollege Duve.
Lieber Herr Kollege Weiß, ist Ihnen bekannt, daß etwa in meinem Wahlkreis in Hamburg in Kindergärten gerade wegen des umgekehrten Vorgangs, als Sie ihn geschildert haben, bei einem bestimmten Fall von 40 Kindern 38 Kinder von alleinerziehenden Personen sind, weil der soziale Faktor bei der sehr sehr schwierigen Auswahl an erster Stelle steht?
Sie haben sicher recht, Herr Kollege Duve, daß das in Hamburg so sein mag. Aber es gibt durchaus auch Gegenden — und dazu zähle ich vor allem die Länder, aus denen ich komme —, in denen das im Augenblick jedenfalls nicht mehr oder noch nicht wieder der Fall ist, wie auch immer. Ich sehe das als einen wirklichen Mangel an.Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, meine Damen und Herren, sind Kunst und Kultur Lebens-, ja Überlebensmittel. Deshalb fordern wir ganz unbescheiden den Erhalt und den gezielten Ausbau öffentlicher Förderungen, insbesondere in den Bereichen, die Kindern und Jugendlichen, sozial Benachteiligten und ethnischen Minderheiten zugute kommen. Bei allem Respekt vor der Kulturhoheit der Länder müssen angesichts der veränderten gesellschaftlichen Bedingungen in Deutschland, auch angesichts einer anderen historischen Erfahrung und Tradition in der DDR doch Überlegungen erlaubt sein, ob die Kulturkompetenz des Bundes nicht ausgebaut statt eingeäschert werden müßte.
Hier sollten wir durchaus maßvoll vom französischen Nachbarn lernen. In vielen Bereichen könnte jedenfalls mehr kulturelle Bundeskompetenz nützlich und förderlich sein. Ich unterstütze durchaus, Herr Kollege Baum, Ihren Vorschlag, einen Kulturausschuß im Bundestag einzurichten.
Ich würde weitergehen: Ich meine, daß man durchaus auch einen Bundeskultusminister gebrauchen könnte, der das bündeln könnte, was heute auf viele Ressorts verteilt ist.
— Das wird die Schwierigkeit werden, ja.Im übrigen sollten wir endlich begreifen, meine Damen und Herren, daß die öffentliche Kultur- und Kunstförderung auch einen erheblichen wirtschaftlichen Aspekt hat, daß es eine arbeitsplatzintensive und umweltverträgliche Wachstumsbranche ist.
Ich habe schon bei anderer Gelegenheit, bei der Debatte über das GATT-Abkommen, darauf hingewiesen, daß eine großzügig geförderte Film- und Fernsehproduktion mehrere hunderttausend Arbeitsplätze in Europa schaffen könnte. Kultursponsoring und Mäzenatentum können weder vom Umfang noch von ihrer Zielsetzung her das Engagement der öffentlichen Hand ersetzen. Sie sind nur wünschenswerte, zusätzliche Aktivitäten, in Ostdeutschland noch immer von einem nur geringen Volumen. Das ist kein Wunder, denn es gibt in Ostdeutschland keine Unternehmen, die finanzkräftig genug sind, um jedenfalls in großem Umfang als Mäzenaten und Sponsoren aufzutreten.
— Das entwickelt sich natürlich. Aber für die Gegenwart ist es ganz wichtig, daß da zusätzliche Mittel nach wie vor fließen.Es muß unser gemeinsames Ziel sein, meine Damen und Herren, für Künstler und Kulturarbeiter solche wirtschaftlichen Bedingungen zu schaffen, daß sie ohne soziale Angst kreativ sein können. Deshalb unterstützt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN — um ein letztes Beispiel zu nennen — nachdrücklich die Forderung der bildenden Künstler, Honorare für die Ausstellung oder Mediennutzung ihrer Werke zu erhalten. Die Fraktionen des Deutschen Bundestages sollten anläßlich der europäischen Harmonisierung des Urheberrechts alle gemeinsam auf eine schnelle Umsetzung dieser vernünftigen Forderung dringen. Es ist doch nicht einzusehen, weshalb Komponisten, Textautoren, Filmemacher, Fotografen über die VG Wort, die VG Bild und die GEMA solche Zuführungen erhalten, aber Werke der bildenden Kunst, die ausge-
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Konrad Weiß
stellt werden, in keiner Weise honoriert werden. Ich denke, das sollte — in dieser Legislaturperiode wird das nicht mehr möglich sein — in der kommenden Legislaturperiode ganz sicher angegangen werden.Ich danke für den Überziehungskredit, Herr Präsident.Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, unserem Kollegen Eduard Lintner, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung begrüßt, daß sich der Deutsche Bundestag auch in dieser Legislaturperiode wieder eingehend mit den besonderen Problemen von Kunst und Kultur befaßt. Er setzt damit die Reihe entsprechender Bundestagsdebatten in den vergangenen Legislaturperioden fort. Damit wird auch dokumentiert, daß der Deutsche Bundestag die gewachsene politische Bedeutung von Kunst und Kultur für Staat und Gesellschaft anerkennt.Nach den Jahren des Aufbaus, der Entwicklung und anschließenden Konsolidierung von 1949 bis 1989, nach den anschließenden Jahren des Vereinigungsprozesses und der Übergangsfinanzierung Kultur von 1990 bis 1994 tritt der Bund nun in eine Art dritte Phase seiner Kulturpolitik nach 1949 ein.
— Eine dritte Phase, Herr Kollege Duve. Da sind wir offenbar unterschiedlicher Meinung.
Als Staat in der Mitte Europas mit 80 Millionen Einwohnern und einer durch seine Geschichte geprägten kulturellen Vielfalt muß die Bundesrepublik Deutschland auch künftig ihrer Verantwortung als Kulturstaat gerecht werden. Die Bundesregierung geht dabei davon aus, daß die vorrangige Zuständigkeit für die Förderung von Kunst und Kultur bei den Ländern und den Kommunen liegt; denn nur dies kann gewährleisten, daß der Reichtum unserer kulturellen Landschaft auch künftig erhalten bleibt und weiterentwickelt werden kann. Die Bundesregierung erwartet dabei allerdings, daß durch die Neuordnung des Bund-Länder-Finanzausgleichs ab 1995 insbesondere auch die neuen Länder in der Lage sein werden, die ihnen vorrangig obliegende kulturpolitische Verantwortung in vollem Umfang wahrzunehmen.
Die Bundesregierung verkennt nicht, daß angesichts des Nachholbedarfs auf allen Gebieten der neuen Länder
deren kulturpolitische Verantwortung auch eine besondere Belastung und Herausforderung bedeutet. Dies wollte ich ausdrücklich anerkennen.
— Nein, Herr Kollege Duve, das ist die Gesamtsicht der Bundesregierung. Hier können Sie nicht Innenministerium und Finanzministerium gegeneinandersetzen.
Im Rahmen seiner Verantwortung für den Gesamtstaat nimmt aber auch der Bund kulturpolitische Verantwortung wahr. Diese ist begründet durch die ausdrücklichen Kompetenzzuweisungen im Grundgesetz, durch die Verpflichtung zur Überwindung der Folgen der deutschen Teilung sowie zur gesamtstaatlichen Repräsentation in der Ausprägung, die sie in der Verfassungspraxis seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland gefunden hat. Die Bundesregierung hat aber zu keinem Zeitpunkt eine Ausweitung ihrer kulturpolitischen Kompetenzen angestrebt; sie wird dies selbstverständlich auch künftig nicht tun.
Meine Damen und Herren, die Konkretisierungen ihrer kulturpolitischen Kompetenz hat die Bundesregierung stets mit den Bundesländern abgestimmt. Sie wird auch in Zukunft darum bemüht sein. Eine aktuelle wichtige Grundlage für die Bestimmung des Rahmens dieser Kompetenz bildet der Beschluß der Kultusministerkonferenz vom 3. Dezember 1993, der die verfassungsrechtliche Praxis nach Auffassung der Bundesregierung zutreffend beschreibt.Die Bundesregierung würde es aber begrüßen, wenn die Ministerpräsidentenkonferenz in der Konsequenz jenes Beschlusses der KMK ihren einseitigen, mit der Bundesregierung seinerzeit nicht abgestimmten Beschluß von 1987, nach dem die Länder erwarten, daß die Bundesregierung keine neuen kulturpolitischen Aktivitäten außerhalb der Kulturstiftung der Länder übernimmt, zurücknehmen würde.
Der allgemeine Zwang zum Sparen kann auch den Kulturbereich natürlich nicht unberührt lassen. In den vorbereitenden Verhandlungen für die Aufstellung des Regierungsentwurfs zum Bundeshaushalt 1995 sind daher an den Wirtschaftsplänen der institutionell geförderten Einrichtungen sowie an den Ansätzen für projektgebundene Förderungen bereits ganz außerordentlich einschneidende, aber eben auch unvermeidbare Kürzungen vorgenommen worden. Die Bundesregierung geht davon aus, daß das Netz von Fördermaßnahmen des Bundes im Kulturbereich auch 1995 wie schon 1994 gesichert bleibt und auch in den Folgejahren ausreichende Haushaltsmittel bereitgestellt werden, um der kulturpolitischen Verantwortung des Bundes unter den jeweiligen finanzpoli-
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Parl. Staatssekretär Eduard Lintnertischen Rahmenbedingungen — es war nie anders, Herr Kollege Duve — gerecht werden zu können.
— Wir haben uns im Kabinett eigentlich immer im Einvernehmen befunden, Herr Kollege Baum, und es wird sicher in der Zukunft nicht anders sein.
Vorrangiges Ziel der Bundesregierung wird es sein, in den Jahren der finanziellen Enge jene kulturellen Einrichtungen und Projekte zu sichern, deren Unterhaltung sie wegen ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung in den vergangenen Jahren allein oder gemeinsam mit einzelnen oder mehreren, zum Teil sogar allen Ländern gewährleistet hat.Allerdings prüft die Bundesregierung, ob Förderungen von kulturellen Einrichtungen und Vorhaben abgebaut werden können
— Vorsicht, es kommt noch ein zweiter Teil —, soweit die Gründe für die ursprünglich übernommene Finanzierungsverpflichtung durch die Veränderungen der politischen Verhältnisse in Deutschland und Europa nicht oder nicht mehr im gleichen Maße bestehen.Andererseits wird die Bundesregierung gemäß ihrer gesamtstaatlichen Verantwortung weitere Einrichtungen in den neuen Ländern, soweit es sich dabei um gesamtstaatlich-repräsentative Einrichtungen handelt, in die Bundesförderung übernehmen. Das ist die andere Seite; das muß natürlich alles sehr genau abgestimmt werden.
Die Bundesregierung berücksichtigt dabei insbesondere auch die erheblichen Anstrengungen der neuen Länder, durch manchmal sehr tiefgreifende Strukturmaßnahmen Konsequenzen aus der allgemeinen Finanzknappheit zu ziehen.In die institutionelle Bundesförderung aufgenommen sind bereits — hier kommen jetzt die erbetenen konkreten Beispiele — die Stiftung Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, die Stiftung Weimarer Klassik, die Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald, das Bach-Archiv in Leipzig, das Bauhaus in Dessau und die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten.Die Bundesregierung wird wie bisher auch künftig folgende Kategorien kultureller Einrichtungen fördern: zum einen Einrichtungen, die im Eigentum des Bundes stehen oder weit überwiegend von ihm finanziert werden, wie die Deutsche Bibliothek, das Bundesarchiv, das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, das Deutsche Historische Museum und die Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz und der Deutsche Kulturrat.In der gemeinsamen Trägerschaft der Stiftung Preußischer Kulturbesitz durch den Bund und alle Bundesländer sieht die Bundesregierung auch ein Symbol unseres föderalistischen Staatsaufbaus. Die Bundesregierung bringt daher die Erwartung zum Ausdruck, daß die Bundesländer weiterhin an dieser Konzeption festhalten und danach auch ihren finanziellen Beitrag leisten.Es handelt sich zum anderen um Einrichtungen, deren Förderung auf einer vertraglichen und gegenwärtig nicht kündbaren Grundlage beruht, nämlich die Forschung in sechs großen Museen und die Kulturstiftung der Länder.Es handelt sich ferner um Einrichtungen, die aus sonstigen Gründen gesamtstaatliche Bedeutung haben und daher schon bisher vom Bund gemeinsam mit Bundesländern gefördert wurden, beispielsweise Einrichtungen, die an Leben und Werk bedeutendster Künstler und Schriftsteller erinnern.Schließlich sieht sich die Bundesregierung verpflichtet, durch dafür geeignete Einrichtungen und Veranstaltungen an prägende Ereignisse der deutschen Geschichte zu erinnern, um damit das vielfach als unzureichend empfundene Geschichtsbewußtsein unserer Bürger zu pflegen.Meine Damen und Herren, neben der institutionellen Förderung betrachtet es die Bundesregierung als ihre kulturpolitische Aufgabe, auch zeitlich und inhaltlich abgegrenzte Kulturvorhaben projektgebunden zu fördern, wenn dies wegen ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung geboten erscheint. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang insbesondere auf die Maßnahmen zur Bewahrung nationaler Kulturdenkmäler, auf Anstrengungen zur Sicherung national wertvollen Kulturgutes vor Abwanderung ins Ausland und zur Rückführung solchen Kulturgutes aus dem Ausland ins Inland — an die Verhandlungen mit Rußland sei hier kurz erinnert —, auf bundesweit bedeutsame Veranstaltungen aller Kunstsparten, insbesondere aber denen des Deutschen Musikrates, auf die Filmförderung, auf die Kulturforschung und auf die Vorbereitung Weimars als Kulturstadt Europas 1999.Die gegenwärtig und voraussichtlich auch 1995 zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel lassen aber eine Ausweitung der projektgebundenen Kulturförderung nicht zu. Die Bundesregierung muß daher an die Auswahl der zu fördernden Projekte einen besonders engen Maßstab anlegen. Sie ist in diesem Rahmen jedoch grundsätzlich bereit, die Aufnahme innovativer Projekte in die Bundesförderung zu prüfen.Meine Damen und Herren, es gäbe nun noch sehr viel zu sagen, mir ist auch noch sehr viel hier an Notizen mitgegeben worden. Aber Sie kennen ja die insgesamt sehr konstruktive Haltung der Bundesregierung zu diesem Problembereich; deshalb kann ich mir eigentlich den Rest der Rede sparen und Sie auf das bisher bereits bei vielen Gelegenheiten dargelegte Konstruktive und Positive verweisen.Ich bedanke mich fürs Zuhören.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich erteile jetzt das Wort dem
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Vizepräsident Helmuth BeckerHerrn Senator für kulturelle Angelegenheiten des Landes Berlin, Herrn Ulrich Roloff-Momin.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich mich sehr herzlich bei der SPD-Fraktion bedanken, daß sie mir hier kostbare Redezeit eingeräumt hat. Sodann möchte ich darauf hinweisen: Meine Damen und Herren, ich spreche zwar als Kultursenator Berlins, aber ich denke, daß dies, was ich zu schildern habe, sicher stellvertretend ist für die Nöte, die in den neuen Bundesländern insgesamt herrschen.Wo kulturelle Substanz verschwindet, zerreißt das Netz der zivilen Gesellschaft — so heißt es im SPD-Antrag. Dieses gilt natürlich erst recht im Prozeß der deutschen Einigung. Die Kultur stellt doch wohl so etwas wie das Salz im Menü der deutschen Einheit dar. Angesichts des dramatischen Rückschnitts der Kulturfördermittel des Bundes für die neuen Lander und insbesondere für Berlin kann dieses Salz allerdings nur noch in homöopathischen Dosen verabreicht werden. Wen wundert's, wenn diese Einheit den Menschen dort mehr und mehr fad schmeckt und immer mehr nach den Köchen und den Rezepten von damals rufen?Die Menschen in den neuen Bundesländern schauen mit größtem Interesse darauf, wie in Ost und West in den gleichen Fragen gehandelt und entschieden wird. Ich beglückwünsche ausdrücklich die Stadt Bonn dazu, daß der Bund 130 Millionen DM pro Jahr für die dortige Kulturförderung bereitstellt und damit 70 % aller Kulturausgaben bis ins nächste Jahrtausend hinein abdeckt. Damit hat die Bundesregierung Maßstäbe gesetzt.
Ich beglückwünsche die Bamberger Symphoniker, die Bayreuther Festspiele und das Deutsche Museum in München dazu, daß der Bundesfinanzminister aus Bayern dem Bundesinnenminister nicht widerspricht, wenn er diese bajuwarischen Kultureinrichtungen von gesamtstaatlicher Bedeutung fördert.
Ich beglückwünsche die Bundeskunsthalle in Bonn zu einem Ankaufs- und Veranstaltungsetat, der dem aller 167 Berliner Museen entspricht, weil ich den Staat in der Tat in der Kulturförderungspflicht sehe.Was viele Menschen im Osten dieses Landes j edoch nicht verstehen können, ist, warum der Bund z. B. die Unterstützung für die Berliner Kultureinrichtungen von Weltruf seit 1990 um über 700 Millionen DM — wenn man nämlich die Streichung der Bundeshilfe auf den Berliner Kulturhaushalt umrechnet und die Streichung der Übergangsfinanzierung der Ostberliner Kultureinrichtungen nach Art. 35 Abs. 4 Einigungsvertrag hinzurechnet — im Jahre 1995 auf Null herunterfährt. Eine derartig relative und absolute Kürzung ist ohnegleichen.Meine Damen und Herren, ich rede hier nicht vom Erhalt kultureller Fettlebe. In den letzten drei Jahrenhat Berlin im Bereich der Kultur einen Betrag eingespart, der dem Kulturetat der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover entspricht. Berlin hat mehr als 1 500 Stellen abgebaut und mehrere Theater, darunter das größte deutschsprachige mit drei Spielstätten, sowie die Staatliche Kunsthalle schließen müssen, um die Existenz der verbliebenen Institutionen zu sichern. Dies waren furchtbare Entscheidungen, die man nur in größter Not fällt und die nicht beliebig fortgeführt werden können.Ich füge hinzu: Auf die Einwohnerzahl bezogen — dies ist die einzig sinnvolle Bezugsgröße in diesem Zusammenhang — hat Berlin weniger Opern, weniger Theater, weniger Geld pro Kopf der Einwohner für Kultur als vergleichbare westdeutsche Ballungszentren.Kultur ist ein unverzichtbares Lebensmittel gerade in einer Zeit des Werteverfalls und der Orientierungslosigkeit.Ich sage — läßt man sich denn in diesem Zusammenhang auf eine rein fiskalisch orientierte Argumentation ein — ein weiteres: Unabhängig von den politischen Verpflichtungen — in einer zwischen der Bundesregierung und dem Berliner Senat abgesprochenen Protokollnotiz zu Art. 35 Abs. 4 des Einigungsvertrages gehen beide Teile von einer notwendigen überregionalen Lösung zur Finanzierung der Berliner Kultur aus — kann man eine andere Gegenrechnung aufmachen: Nach einer Erhebung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung betrug der Bundesanteil an den Steuern, die von den Touristen kommen, die ausschließlich wegen der Kultur nach Berlin kommen, allein im Jahre 1991 schon 150 Millionen DM. Fundstelle: „Kultur als Wirtschaftsfaktor" , herausgegeben vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, Berlin 1992, Seite 169 ff.Zum Vergleich: Weniger als 300 Millionen DM will der Bund ab 1996 in vier Jahren für die Berliner Kultur ausgeben. Damit nicht genug: Der Anteil der Bundessteuern am Umsatzvolumen des von Berlin finanzierten Kulturetats in Höhe von 1,2 Milliarden DM bringt, grob geschätzt, noch einmal den gleichen Betrag.Deswegen: Wenn der Bund bereit ist, knapp 10 % an Berlin zurückzugeben, bewegt sich, so sage ich, die finanzielle Argumentation der Bundesregierung deutlich unterhalb der Schamgrenze.
Wenn der Bundesfinanzminister bei seiner bisher gezeigten harten Linie bleibt, übernimmt er die Verantwortung dafür, daß die Kultur als das ererbte Tafelsilber dieser Hauptstadt zerschlagen ist, wenn die Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland künftig davon essen will. Wenn der Staatssekretär im Bundesfinanzministerium damit argumentiert, daß die Bundesregierung, wenn sie denn erst in Berlin ist, für einzelne kulturelle Leistungen der Hauptstadt bezahlt, so setzt dies in der Tat voraus, daß dann die entsprechenden Leistungsträger überhaupt noch in der Stadt sind.
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20236 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1994
Senator Ulrich Roloff-MominDas kann man bei der derzeitigen finanziellen Entwicklung nicht ohne weiteres ausschließen.Nun kommt der Einwand: Aber wir müssen doch alle sparen. Die Haushaltslage ist zum Verzweifeln. — Das sagen Sie mir, und ich weiß es. Aber auch dieses ist eine Frage der Prioritäten. Oder sind es denn alles Lippenbekenntnisse, die seitens der Bundesregierung zur notwendigen Berücksichtigung der Kultur gerade im Einigungsprozeß Deutschlands geäußert werden? Ich erinnere daran, daß die bedeutenden Kulturbauten in Berlin — Frau Abgeordnete Wisniewski, Sie haben daran erinnert — in einer Zeit entstanden sind, da der Staat Preußen in einer weitaus schwierigeren finanziellen Position war, als dies die Bundesrepublik Deutschland im Vergleich zu anderen Industriestaaten derzeit ist.Die Berliner Kultur und die vielen Menschen, die sie gestalten, sind gemeinsam mit den Kulturschaffenden anderer deutscher Kulturzentren, um ein Wort Richard von Weizsäckers zu gebrauchen, „auf dem Weg nach Europa". Im Schnittpunkt der Kulturlinien von Stockholm nach Wien und von Paris nach Moskau gelegen, zieht Berlin Künstlerinnen und Künstler an, die diesen kulturellen und geschichtlichen Ort suchen, um das Neue in dem unter europäischem Vorzeichen wiedervereinigten Deutschland mit hervorzubringen. Wer die Berliner Kultur zu einer rein kommunalen Angelegenheit macht und damit den Niedergang ihrer Institutionen besiegelt, übernimmt die Verantwortung für deren Zerstörung wie für das verheerende Bild des kulturellen Umgangs der Bundesrepublik mit ihrem kulturellen Erbe. Ich fordere den Bundeskanzler von dieser Stelle auf, seine Richtlinienkompetenz zu gebrauchen, um zu verhindern, daß, wenn Bundesregierung und Bundestag in Berlin einziehen werden, die Berliner Kultur nur noch Legende ist.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Nächster Redner ist unser Kollege Wilfried Seibel.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte kurz einige Bemerkungen zu den Ausführungen des Senators aus Berlin machen. Ich sage das ungern, aber ich finde, einen aufregenden Aspekt, Herr Senator, hat der Herr Kollege Keller in die Diskussion eingeführt. Es ist ja erstaunlich, daß von der PDS marktwirtschaftliche Überlegungen angestellt werden. Vielleicht ergeben sich im Lichte neuester Wahlergebnisse gerade auch in Berlin Gelegenheiten, den Gedankenaustausch zwischen Ihnen und Herrn Keller fortzusetzen. Ich könnte mir vorstellen, daß das interessant wird.Meine Damen und Herren, diese Kulturdebatte vereinigt mehrere Aspekte. Mein Beitrag soll den Blick auf die Kulturpolitik nach dem Maastrichter Vertrag lenken. Ich denke, es ist zunächst richtig, daß wir zu unserer Befriedigung feststellen können, daß bei den Wahlen zum Europäischen Parlament in den 14 Partnerländern der EU in überwiegendem Maße demokratische Parteien gewählt worden sind. Radikalen und Europagegnern wurde eine deutliche Absage erteilt. Dies ist ein Zeichen einer hochstehenden politischen Kultur in Europa, wie wir es aus der Vergangenheit nicht immer kennen.Im Maastrichter Vertrag ist in Art. 128 eine Rechtsgrundlage für eine gemeinsame europäische Kulturpolitik formuliert. Diese Tatsache hat natürlich im föderalen Deutschland für große Aufregung gesorgt — sind wir es doch gewohnt, daß unsere 16 Bundesländer 16 Kulturhoheiten haben. Der Bund hat keine, obwohl er erhebliche Gelder für den Kulturbetrieb aufbringt. Und nun auch noch Europa!Nach der Änderung des Art. 23 des Grundgesetzes, der die Ländermitwirkung in Europa regelt, und nach genauer Prüfung aller Umstände hat sich die Aufregung ein wenig gelegt. Zuständigkeiten werden durch den Maastrichter Vertrag nicht geändert. Die Verantwortung für die Kulturpolitik bleibt bei den Mitgliedstaaten, ihren Ländern, Regionen und Kommunen. Dennoch bleibt die Frage: Soll sich der Kulturschaffende in Zukunft mit der Bitte um Zuschüsse nicht nur an die Kommune, das Land und den Bund, sondern auch noch an Europa wenden, weil es dort eventuell auch noch Mittel aus Töpfen zu verteilen gibt? Profitiert der am meisten von der europäischen Kulturförderung, der am schnellsten die pfiffigsten Anträge stellt?
Der heute von CDU/CSU und F.D.P. vorgelegte Entschließungsantrag bekräftigt noch einmal eine Reihe von Grundsätzen, insbesondere den der Subsidiarität. Bitte betrachten Sie ihn auch als Merkposten dafür, daß die Detaildiskussion über das Nebeneinander der Kulturpolitiken in der nächsten Legislaturperiode von Anfang an und ganz intensiv geführt werden muß.In einigen Stichwörtern wird die Dringlichkeit erkennbar. Wir müssen diskutieren über Kulturverträglichkeit, ob kulturelle Beihilfen einer EG-Kontrolle unterliegen sollen oder nicht, über Künstlersozialversicherung, Steuerharmonisierung, das Urheberrecht — dies ist ein ganz wichtiger Punkt — und den Kulturgüterschutz, um nur einige Problemfelder aufzuführen.In der heutigen Debatte wird auch deutlich, daß wir die eigentlich nicht existierende — und dafür doch mit viel Geld ausgestattete — Kulturpolitik des Bundes im Innenministerium ressortieren lassen und die auswärtige Kulturpolitik im Außenministerium. Auch da besteht Bedarf nach einer Neuregelung in einem weiter zusammenwachsenden Europa. Eventuell bedarf es einer neuen Organisationsform in der deutschen Regierung und dem Parlament.
— Ich habe meine Meinung, die Sie kennen, Herr Duve.Wenn Sie bedenken, daß der deutsche Zwangsrundfunkgebührenzahler 0,75 DM für den Kultursen-
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1994 20237
Wilfried Seibelder „Arte" aufbringt, den kaum ein Fernsehkonsument empfangen kann und auch kaum jemand empfangen will,
so wird allein an diesem Beispiel deutlich, daß wir in der Kulturpolitik nach Maastricht viel zu diskutieren und zu beschließen haben. Ich erachte das als eine aufregende und spannende politische Aufgabe und hoffe sehr, daß sich der Deutsche Bundestag dieser Aufgabe stellen wird und vor allen Dingen neue kreative Ansätze formuliert, die manche erstarrte Kulturförderung mit den dazugehörigen Verwaltungen überwinden können. Die europäische Kultur des Abendlandes ist eine Grundlage unseres Lebens und ein Garant für den Fortschritt. Der europäische Kulturraum ist nach dem Fall von Mauer und Stacheldraht wieder aufregend freizügig. Wir haben die Pflicht, ihn zu gestalten und nicht nur zu verwalten.
Nächster Redner ist jetzt unser Kollege Gerhard Schüßler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich begrüße ausdrücklich, daß wir heute eine kulturpolitische Debatte führen. Theodor Heuss hat einmal gesagt: „Mit Politik kann man keine Kultur machen, vielleicht kann man mit Kultur Politik machen. "
Nachdenklich stimmt mich jedoch, in welchem engen Zeitrahmen wir heute zu den zahlreichen Vorlagen dieses Tagesordnungspunktes Stellung beziehen müssen. Der Anspruch der Fraktionen und die parlamentarische Wirklichkeit stimmen hier nicht überein. Es stände dem Parlament gut an, wenn es sich in Zukunft etwas mehr Zeit nähme.
Die Kultur wird dann vertrauensbildend und friedensstiftend sein, wenn sie grenzüberschreitend handelt. Die auswärtige Kulturpolitik gilt im Sprachgebrauch neben der klassischen Diplomatie und der Außenwirtschaftspolitik der Bundesrepublik als „dritte Säule der Außenpolitik". Sie ist damit Bestandteil einer modernen Außenpolitik. Die Bundesregierung hat die Bedeutung der auswärtigen Kulturpolitik mit der anerkennenswert ausführlichen Antwort auf die Große Anfrage der Koalitionsfraktionen erneut unterstrichen.Ich möchte vier Schwerpunkte zur auswärtigen Kulturpolitik formulieren: erstens die Festlegung der Einheit der deutschen Kulturnation, zweitens die Stärkung der westeuropäischen und transatlantischen Gemeinsamkeit, drittens den Ausbau der Vertrauenspartnerschaft zwischen West und Ost sowie viertens die nachhaltige Unterstützung des Nord-Süd-Dialoges.Deutschland, meine Damen und Herren, wird nach der Vereinigung in Europa und in der Welt mit anderen Augen gesehen und kritischeren Maßstäben gemessen, als dies früher war. Gerade in diesem Fall, so umschreiben wir das Deutschlandbild, hat die auswärtige Kulturpolitik einen wichtigen Beitrag zu leisten. Es ist unsere Aufgabe und Pflicht, dafür zu sorgen, daß sie es auch kann und daß hierfür auch die Mittel zur Verfügung gestellt werden.Nach der deutschen Vereinigung werden enorm gestiegene Erwartungen an das größer gewordene Deutschland gestellt. Für viele Länder und Völker in der Mitte und im Osten Europas ist Deutschland zur wichtigsten Brücke geworden. Wir sind als Mittler westlicher Werte wichtig, weil sie, die Lander in der Mitte und im Osten Europas, in ihrem eigenen Land ihr sozialistisches Erbe zu bewältigen haben, das die westeuropäischen Völker nicht aus eigener Anschauung kennen.Mit der deutschen Vereinigung ist das Interesse an der deutschen Sprache und Kultur rapide gestiegen. In Polen, Ungarn und Tschechien werden statt Russisch jetzt vorwiegend Deutsch und Englisch gelehrt. Von weltweit etwa 17 Millionen Deutschlernenden leben allein 11 Millionen in Mittel- und Osteuropa. Man kann auch sagen, daß der gesamte reale Mittelzuwachs der letzten Jahre nach Ost- und Mitteleuropa geflossen ist.Die Vermittlung der deutschen Sprache hat dabei eine neue Priorität erhalten. Das entspricht auch der Erwartungshaltung in Osteuropa, wobei man wissen muß, daß das Interesse und das Verständnis für einen erweiterten Kulturbegriff weniger ausgeprägt sind als das Interesse an den wirtschaftlichen Leistungen und dem Wohlstand der Bundesrepublik Deutschland.
Auswärtige Kulturpolitik ist von vitaler Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland. Ein wichtiges Ziel ist die Pflege und Verbreitung deutschsprachiger Literatur, ein Punkt, der sicherlich sehr stark — das ist heute auch an anderer Stelle schon angesprochen worden — vernachlässigt wird. Bei der Umsetzung der auswärtigen Kulturpolitik darf es keine Trennung zwischen Programm- und Spracharbeit geben. Beides steht für mich in einem unauflösbaren Zusammenhang.
Ein großer Teil des Kulturhaushaltes entfällt auf nicht disponible Personalausgaben. Durch die Haushaltskürzungen sind die Mittel für den Bereich der Programmarbeit überproportional abgeschmolzen.
Kosten und Umfang der Infrastruktur stehen in einem zunehmenden Mißverhältnis zur möglichen Programmarbeit. Wir müssen hier sehr aufpassen, daß sich das nicht fortsetzt.
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20238 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1994
Gerhard SchüßlerDie auswärtige Kulturpolitik, meine Damen und Herren, soll ein Bild von der geistigen Auseinandersetzung und fruchtbaren Unruhe der deutschen Gegenwart vermitteln. Damit ist sie zugleich internationale Gesellschaftspolitik. Sie muß sich immer mehr und intensiver als bisher mit den kulturellen und zivilisatorischen Gegenwartsproblemen befassen. Das setzt einen Ausbau und eine Intensivierung der Programmarbeit voraus.
Ein wirklichkeitsnahes und selbstkritisches Bild der Bundesrepublik ist ebenso eine Grundvoraussetzung wie die Anerkennung der Vielfalt der Kulturen; denn sie machen den geistigen Reichtum der Welt aus. Es geht nicht darum, unsere Kultur auf die Strukturen und den europäischen Lebensstil undifferenziert übertragen zu wollen.In diesem Zusammenhang möchte ich ausdrücklich auf die sachgerechte Arbeitsteilung zwischen der Politik und den mit der Durchführung beauftragten Kulturmittlern, allen voran dem Goethe-Institut, dem DAAD und der Alexander-von-Humboldt-Stiftung, hinweisen. Sie leisten rund um die Welt gute, erfolgreiche Arbeit, die wichtig für Stellung und Ansehen unseres Staates ist.
Meine Damen und Herren, die zukunftsorientierten Aufgaben der auswärtigen Kulturpolitik dürfen nicht geschwächt werden. Dazu zählen: die Förderung der deutschen Sprache im Ausland, die Stipendienprogramme, die Förderung der deutschen Auslandsschulen, die traditionell Schwerpunkt der auswärtigen Kulturpolitik sind und auch bleiben müssen.Um es deutlich zu sagen: Die Schwerpunkte liegen eindeutig im Bereich zukunftsorientierter Vorhaben und kommen auch insgesamt der Standortsicherung zugute. Ziele und Schwerpunkte auswärtiger Kulturpolitik sind ihrer Natur nach nicht tagespolitisch orientiert.Auswärtige Kulturpolitik ist auch kein Kulturexport, sondern Kulturaustausch. Sie muß ein partnerschaftliches Geben und Nehmen sein: Austausch statt Repräsentation, Diskussion statt steriler Selbstdarstellung.
Wenn wir so verfahren, haben wir unseren Auftrag erfüllt — aber nur dann.Ich danke Ihnen.
Herr Kollege Hans-Günther Toetemeyer, Sie haben jetzt das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich genauso wie der Kollege Schüßler der auswärtigen Kulturpolitik zuwenden und dazu noch einige Bemerkungen machen. Gestatten Sie mir bitte heute — daswird meine letzte Rede hier zu dieser Thematik sein — ein paar grundsätzliche Bemerkungen.Wer diese Debatte als Zuhörer aufmerksam verfolgt, wird feststellen, daß es, was die Stellungnahmen der Kollegen aus den verschiedenen Fraktionen angeht, im Grunde genommen keine prinzipiellen Differenzen gibt. Meine Erfahrung nach 30 Jahren parlamentarischer Tätigkeit ist: Kultur hat in Parlamenten überhaupt nur eine Chance, wenn sie von politischen Alltagsauseinandersetzungen ferngehalten wird. Nur wenn alle Fraktionen gemeinsam Kultur in einem Parlament bewegen, geschieht etwas. Alles andere ist sinnlos. Das hat sich heute in der Diskussion für mich auch wieder sehr deutlich gezeigt.Man kann es sich jetzt ganz einfach machen und sagen: Hier sitzt der Fan-Club Kultur des Bundestages. So einfach will ich es mir nicht machen. Es ist ein demokratisches Mißverständnis, wenn man sagt: Nur die Opposition hat in einem Parlament die Aufgabe, eine Regierung zu kontrollieren. Dies ist falsch.
Das gesamte Parlament hat die Kontrollfunktion. Heinz Kühn hat einmal gesagt — ich habe ihn oft daran erinnert, er hat es als Oppositionsführer gesagt; als er Ministerpräsident war, mußte ich ihn stets daran erinnern, was ihn nicht so sehr gefreut hat —: „Regierungsparteien als Hilfstruppen der Regierung" ist ein grundsätzliches Mißverständnis. — Er hat recht.
Aber da oft das Sein das Bewußtsein bestimmt, hatte er es als Ministerpräsident an dem Punkt manchmal sehr schwer.Ich glaube, daß unsere Debatte heute ein Beispiel dafür war, daß es eine Gemeinsamkeit der Fraktionen gibt. Das halte ich auch mit Blick nach draußen für ganz wichtig, daß Bürger einmal erleben: An einem ganz wichtigen Punkt wie der Kultur gibt es eine einheitliche Auffassung des Parlaments. Ich glaube, das sind gute Stunden, die wir hier im Parlament erleben.Nun zu einigen Punkten der auswärtigen Kulturpolitik. Es gibt vier Merksätze, die die Bundesregierung in ihrer sehr umfangreichen Beantwortung der Anfrage der Koalitionsfraktionen formuliert hat, die ich als geradezu eherne Merksätze heute noch einmal anführen will in der Hoffnung, daß auch eine neue Bundesregierung, wie immer sie zusammengesetzt sein mag, diesen Merksätzen folgt. Ich teile hier die Auffassung der Bundesregierung.Erster Merksatz — Sie finden ihn auf Seite 2 der Antwort —: Die gewachsenen kulturellen Bindungen müssen erhalten und fortentwickelt werden. — Sie wissen aus dem Leben, wie gefährlich es ist, in Wachstum einzugreifen. Denn wenn man ins Wachstum eingreift, dann greift man so ein, daß man es später nicht mehr korrigieren kann. Dann gibt es Mißbildungen. Ich möchte die Kultur vor Mißbildungen bewahren und empfehle, diesen Satz auch wirklich auszuführen.Zweiter Merksatz: Die auswärtige Kulturpolitik muß langfristig angelegt sein — der Kollege Schüßler
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Hans-Günther Toetemeyerhat darauf noch einmal hingewiesen — und verträgtich zitiere hier — „keine kurzatmigen Eingriffe". Die Kontinuität bei Planung und Durchführung muß Grundlage eines dauerhaften Erfolgs sein. Wenn ich mir den Haushalt 1994 anschaue — ich kenne den Haushalt 1995 im Gegensatz zu einigen Kollegen der Regierungsparteien noch nicht
— einige kennen ihn schon genauer als ich —, dann habe ich so meine Zweifel, ob dieser Satz auch umgesetzt wird. Es hat keinen Sinn, hehre Grundsätze zu formulieren und sie dann nicht umzusetzen.Dritter Merksatz: Die Bundesregierung versichert, daß die auswärtige Kulturpolitik die finanzielle Ausstattung erhält, die sie braucht. — Wenn ich mir da das Haushaltsjahr 1994 anschaue, habe ich erhebliche Zweifel, ob dieser eherne Grundsatz umgesetzt worden ist.Die Kolleginnen und Kollegen, die mich lange kennen, wissen, daß ich hier in den letzten zwölf Jahren sehr intensiv gearbeitet habe. Ich darf als oppositioneller Abgeordneter ankündigen, daß ich der Bundesregierung mit Blick auf die Auslandsschulen an der entsprechenden Stelle ausdrücklich danken werde. Doch, vorab wieder ein Zitat aus der Antwort, ein eherner — vierter — Merksatz: Die Auslandsschulen sind sowohl das älteste als auch das wichtigste und wirksamste Instrument der auswärtigen Kulturpolitik. Sie sind ein essentieller Bestandteil der Infrastruktur für die deutsche Präsenz in der Welt.Meine Damen und Herren, wir haben nach dem Krieg in Europa — ich kann das an meinen Kindern studieren — Erfahrungen gemacht, wie heilsam, wie segensreich es ist, wenn sich junge Menschen unterschiedlicher Kulturen in der Jugend, in der Schule begegnen. Wenn kulturelle Begegnung in der Schule nicht stattfindet, findet sie in der Regel später überhaupt nicht mehr statt.
Deswegen ist dieser Punkt so unglaublich wichtig und keine Marotte von mir. Ich weise immer wieder darauf hin, daß wir alle Beschlüsse zu diesem Punkt— Auslandsschulen — in den vergangenen zwölf Jahren einstimmig gefaßt haben, den letzten im Dezember des letzten Jahres. Wir haben deutlich gemacht, wie wichtig konkrete Schulbauvorhaben sind: Die Deutsche Schule Valencia muß 1997 finanziert werden. Die deutsche Schule Kapstadt ist im Bau; ich habe mich davon überzeugt. Sie sollte in diesem Jahr zügig zu Ende geführt werden.Nun kommt ein „Lieblingskind" von mir — erlauben Sie mir das bitte —, das ist die Turnhalle der Deutschen Schule Johannesburg. Ich werde immer wieder von der Bundesregierung gefragt: Warum muß das sein? Ist das dein Lieblingsobjekt? — Nein, das ist nicht so.
— Nein. Herr Staatsminister, wer, wie die Deutsche Schule Johannesburg, im südlichen Afrika die Integration schwarzer Kinder als erster ernst genommen hat, der muß auch die notwendigen sportlichen Voraussetzungen haben. Wer die Schule kennt — sie hat eine Mini-Turnhalle —, der weiß, daß sie eben diese Voraussetzungen nicht hat. Darunter leiden vor allen Dingen die schwarzen Kinder. Also bitte in Erinnerung behalten und nach 1995 übernehmen.Deutsche Schule Budapest — das ist jetzt 1995 —: Meine Damen und Herren, dies ist ein einstimmiger Beschluß dieses Hauses. Ich halte es nach meinem Demokratieverständnis für zwingend erforderlich, daß die Bundesregierung einstimmige Beschlüsse des Parlaments umsetzt. So möchte ich es hier noch einmal anmahnen.
Deutsche Schule Windhuk: Da sagt der Kollege Baum, daß der Toetemeyer das sagt, wundert mich nicht. — Aber auch in der Deutschen Schule Windhuk hat ein Umdenken stattgefunden.Jetzt werde ich den Dank los, Herr Staatsminister. Wer sich daran erinnert, wie viele hier — nicht nur in meiner Fraktion, sondern auch in anderen Fraktionen, z. B. Kollege Hirsch, Kollege Baum, Kollege Köhler — jahrelang darum gekämpft haben, daß der Widerstand der konservativen deutschen Eltern in Kapstadt, Pretoria — das schlimmste Beispiel —, Johannesburg und Windhuk überwunden wird, der muß Herrn Dr. Wittmann danken, der vor vier/fünf Jahren einen knallharten Erlaß herausgegeben hat, in dem steht: Wenn ihr das jetzt nicht endlich vollzieht, gibt es kein Geld mehr.
Dies war die einzige Möglichkeit. Nun vollzieht es sich. Auch als Opposition soll man die Regierung loben, wenn sie es verdient. Sie verdient es sehr selten, aber hier verdient sie es.Deutsche Schule Washington: Herr Kollege Köhler, wir waren dort und haben sie uns angesehen. Auch hier haben wir einstimmig beschlossen, daß der Baubeginn 1995 sicherzustellen ist. — Der Kollege Köhler möchte mich etwas fragen.Vizepräsident Helmuth Becker Nein, der Kollege Hornhues möchte eine Zwischenfrage stellen.
Herr Kollege Toetemeyer, angesichts der Tatsache, daß Sie angekündigt haben, dies sei Ihre letzte Rede in diesem Hause, ist es der richtige Zeitpunkt, daß wir Ihnen herzlich für die konstruktiv-kritische Zusammenarbeit über all die Zeiten hinweg danken.
Ich wollte das hier anbringen, da ich nicht weiß, wann Sie mit Ihrer Redezeit zu Ende sind. Herzlichen Dank!
Dem kann ich kaum widersprechen.
Deutsche Schule Mailand: Wir haben die Bundesregierung aufgefordert, hierzu einen Bericht bis zum
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Hans-Günther Toetemeyer31. März 1994 abzugeben. Dies hat sie nicht gemacht. Herr Staatsminister, das ist kein gutes Beispiel für die Öffentlichkeit, was demokratisches Verständnis angeht.Das gleiche gilt für die Deutsche Schule auf Teneriffa. — Ich bin privat dort gewesen, also nicht im Wege einer Dienstreise, auf Kosten des Parlaments. — Der Bericht, den wir bis zum 31. März gefordert haben, liegt nicht vor. Dies ist ein Versäumnis der Bundesregierung. Ich hätte ihn gerne noch vorliegen, solange ich Mitglied des Parlaments bin. Dies sollten Sie ganz schnell nachholen, damit wir das nachvollziehen können. Das sind unglaublich wichtige Dinge.Meine Damen und Herren, meine Zeit ist überschritten. Der Präsident ist gnädig mit mir. Er läßt einen Schriftführer trotz seiner Funktion — normalerweise muß ich ihn immer mahnen — auch einmal eine halbe Minute länger reden.Lassen Sie mich schließen, indem ich das aufgreife, was der Kollege Hornhues gesagt hat. Ich bedanke mich bei allen Kollegen des Unterausschusses für auswärtige Kulturpolitik für die gute Zusammenarbeit während der letzten drei Legislaturperioden. Ich wiederhole noch einmal: Für die Vollziehung kulturpolitischer Beschlüsse gibt es in allen Parlamenten, auch im Bundestag, nur dann eine Chance, wenn sie einstimmig gefaßt werden. Sonst haben sie keine Chance.
Herr Kollege Toetemeyer, der amtierende Präsident war wirklich großzügig mit der Bemessung der Redezeit. Aber Sie kennen das aus eigener Erfahrung. Ich wünsche Ihnen alles Gute für Ihre weitere Arbeit.
Jetzt hat der Kollege Dr. Volkmar Köhler das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die letzten vier Jahre haben in der auswärtigen Kulturpolitik fundamentale und zutiefst einschneidende Veränderungen mit sich gebracht — eine Thematik, die ich — bei aller Liebe zum Geld — nicht allein auf das Thema „Geld und Notwendigkeiten" verkürzen möchte;
denn ich glaube, daß hier auch entsprechende einschneidende geistige Anstrengungen erforderlich sind. Aus diesem Grunde haben wir es nach diesen vier Jahren als Koalition für richtig gehalten, eine Große Anfrage einzubringen. Wir haben eine sehr ausführliche und gute Antwort bekommen, für die ich danke.Zu Beginn sprach ich von dem Wandel, den wir erlebt haben. Vor 20 Jahren hat die Enquete-Kommission auswärtige Kulturpolitik ihre Arbeit nahezu abgeschlossen, und der Bundestag hat ihre Grundlinien 1976 zum Beschluß erhoben. Das ist bis heute das Fundament der deutschen auswärtigen Kulturpolitik.Ich möchte hier festhalten, was im Wandel unangetastet ist und unangetastet bleibt.
Ohne jeden Zweifel ist der erweiterte Kulturbegriff, auf den man sich damals geeinigt hat, weiterhin für unsere auswärtige Kulturpolitik maßgeblich. Genauso ist weiterhin die Struktur autonomer Mittlerorganisationen das, was wir für richtig halten, auch wenn wir hier nicht von Erbhöfen sprechen. Auch wenn wir wissen und betonen sollten, daß in einem solchen Felde der Zusammenarbeit ein konvergierendes Denken von größter Bedeutung und Wichtigkeit ist, ist dies nicht der richtige Ort, um traditionelle Staatsferne deutscher Intelligenz auszuleben. Das kann man in Bereichen, die nicht zu 100 % aus Steuermitteln subventioniert werden, besser machen.Weiter bleiben unangetastet und erhalten unsere Grundlinien der Sprachpolitik, die nicht eine aggressive und eine utilitaristische Sprachpolitik ist.
Wir wissen, daß wir in bestimmten Zusammenhängen hinter dem Englischen an der zweiten Stelle stehen bleiben. Aber wir sind entschlossen, die Fülle der Möglichkeiten, die uns zugewachsen sind, wahrzunehmen. Dafür waren große Anstrengungen nötig; und sie werden weiter nötig sein. Ich glaube allerdings nicht, wie uns eine große Zeitung kürzlich geraten hat — wir haben uns in der Sprachdebatte damit beschäftigt —, daß wir dafür ein spezielles Organisationsgebilde neu schaffen müssen. Die deutsche Sprachvermittlung geschieht auf so vielen unterschiedlichen Wegen — zum Teil in Samstagsschulen und in Kindergärten — mit geringen Bundeszuschüssen, daß es falsch wäre, das Geld auf eine große Organisation zu konzentrieren. Diese Dinge bleiben unangetastet.Aber vieles, meine Kolleginnen und Kollegen, hat sich in den letzten vier Jahren geändert. Statt 10 Millionen Menschen, die Deutsch lernen, haben wir weltweit plötzlich 25 Millionen in erreichbarer Nähe und haben damit eine Pflicht. Allein in russischen Schulen lernen 12,5 Millionen junge Menschen Deutsch als erste Fremdsprache. Wir werden weiter über andere Strukturen nachdenken müssen, z. B. darüber, ob man nicht z. B. die Leistungskraft russischer Schulen durch zusätzliche Unterstützung russischer Deutschlehrer und nicht nur durch entsandte oder angeworbene Lehrer verstärken kann.Wir haben die große Aufgabe der Umschulung früherer Russischlehrer. Es sind allein in Polen über 120 Deutschlehrer damit beschäftigt, frühere Russischlehrer umzuschulen. In Ungarn ist es eine ähnliche Größenordnung.Daß es unter diesen Umständen eine Gewichtsverschiebung zur Aufgabe Sprache geben mußte, kann doch letztlich niemanden wundern. Im übrigen ist das — daraus haben wir in unserem Entschließungsantrag gar keinen Hehl gemacht — auch ein wirtschaftlich interessantes und wichtiges Thema. Ich habe übrigens gerade im Iran über die Frage gesprochen — ein deutsches Sprachinstitut wird dort in absehbarer Zeit wieder möglich sein —, daß Export und Sicherung
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Dr. Volkmar Köhler
von Arbeitsplätzen bei uns mit Sprachvermittlung ganz eng Hand in Hand gehen müssen.
— Ich kenne Ihre bekannte These, verehrter Kollege. Sie ist trotzdem nicht richtig.
— Nein, sie ist nicht richtig.
Durch die Zurkenntnisnahme der Tatsache, daß auch unsere wirtschaftlichen Interessen Gesamtinteresse unseres Staates und Volkes sind und man sich deswegen nicht zu schade sein darf, auch für diese Grundlage zu sorgen, wird Kulturpolitik noch lange nicht zur Magd der Wirtschaft. Sie dient in Wahrheit den Gesamtinteressen unseres Landes.
Ich verweise darauf, daß wir nicht nur in der Sprache große Wachstumsfelder haben, sondern genauso bei der Nachfrage nach dem akademischen Austausch. Hier komme ich auf das zurück, was ich vorhin gesagt habe, nämlich: Wir müssen neu und tiefer denken. Wenn man sich die Studie „Beyond Bonn — America and the Berlin Republic" der Carnegie Endowment Study Group zu Gemüte führt, dann begreift man, wie andere Länder diese neue Bundesrepublik Deutschland analysieren und betrachten, auch hinsichtlich dessen, was von ihr in Zukunft möglicherweise zu erwarten und zu halten ist. Auch das müssen wir bei unseren Programmen bedenken. Es geht nicht nur um die Menge der Programmangebote, sondern es geht auch um die Art der Programmangebote.Hier ist eine große Informationsaufgabe neu hinzugekommen. Das Ganze ist auch Grund, über das Deutschlandbild zu reden. Das reicht bis hin zu dem Thema Holocaust, wie wir es mit dem Unterausschuß in den USA sehr genau erlebt haben. Das reicht bis hin zu dem Thema Ausländerhaß und Radikalismus. Das reicht auch, liebes Goethe-Institut, bis hin zu der Tatsache des deutschen Widerstandes vor 50 Jahren und in den Jahren drumherum. Daß man überhaupt noch miteinander darüber reden muß, ob das einer Aktivität wert ist, ist schon schlimm genug.Im Bereich Schulen — verehrter Herr Kollege Toetemeyer, Ihre Verdienste auf diesem Gebiet sind wirklich groß — wird noch manches auf uns zukommen. Erst dann, wenn es auch in Riga eine deutsche Schule gibt, wird die Normalität wieder vor uns stehen.Wir haben auch das große Thema der Betreuung der Deutschen, die im Ausland, jenseits unserer Grenzen, leben. Hier war Not am Mann. Deswegen sind Regelungen getroffen worden, die hinsichtlich des Aspekts der Einheitlichkeit deutscher Kulturpolitik jenseits der Grenzen vielleicht auch nicht der Idealvorstellung der damaligen Enquete-Kommission entsprechen. Das muß Schritt für Schritt harmonisiert und weiter abgestimmt werden. Das im Handstreich zu ändern, halte ich für völlig falsch.Ich halte es auch für falsch, in diesem Zusammenhang Scheindiskussionen darüber zu führen, waswichtiger sei, Ost-West oder Nord-Süd. Wer so diskutiert, hat in vieler Hinsicht die Veränderung dieser Welt überhaupt noch nicht zur Kenntnis genommen. Zur Südproblematik gehört inzwischen auch ganz Zentralasien einschließlich der früheren russischen Atombombenerprobungsgebiete bei Baikonur.Ich wiederhole an dieser Stelle, was ich über die Notwendigkeit, konvergierend zu arbeiten und zu denken, gesagt habe. Da bleibt für mich übrig, daß eine Empfehlung der Enquete-Kommission von vor 20 Jahren bisher nur ein einziges Mal und im übrigen, ohne daß dem etwas nachgefolgt ist, umgesetzt worden ist, nämlich die Empfehlung zur Veranstaltung deutscher Auslandskulturtage, in denen alle Träger dieser Arbeit miteinander sprechen, aufeinander zugehen, gemeinsame Positionen ausarbeiten können und ihre manchmal gezeitigten Alleinvertretungsansprüche zur Diskussion stellen können. Diese Konsensfindung über das geschickte und gute Administrieren hinaus halte ich für eine außerordentliche Wichtigkeit.Meine Damen und Herren, auch ich möchte mehr Geld. Deswegen steht auch in unserem Entschließungsantrag etwas von Geld. Ich bedanke mich bei unseren Haushältern, daß sie diesen Satz zwar gesehen, ihre Erregung darüber aber beherrscht haben. Wir haben es ihnen dadurch erleichtert, daß wir keine Summen genannt haben. Jeden Betrag, den wir zusätzlich bekommen könnten, würden wir mit Dank nehmen, und wir wüßten dafür eine großartige Verwendung.Wir haben in diesem Antrag, den ich Ihnen noch einmal ans Herz lege und zur Zustimmung empfehle, die Leistungen beschrieben; ich möchte diese jetzt hier nicht wiederholen. Darunter sind Leistungen, die hohe Anerkennung verdienen, z. B. die Einbeziehung der neuen Länder, ihrer Personen und Institutionen in die Programme und Austauschmaßnahmen. Das war ein schweres und wichtiges Stück Arbeit, das im wesentlichen schon geleistet worden ist. Ich könnte hier eine ganze Reihe anderer Leistungen noch nennen.Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, mir kommt es darauf an, uns hier deutlich zu machen, daß die heutige Beratung nicht die Stunde ist, in der wir jammern und klagen sollten und in der wir sagen müßten „Immer muß die Kultur unter Knauserei leiden" — das brauchen wir nicht zu tun; das tun andere zur Genüge —, sondern die Stunde, in der wir uns darüber klar sein sollten, daß hier eine große und bleibende Gestaltungsaufgabe gegeben ist, die unsere gesamte Phantasie fordert, die uns auch dazu zwingt, von Zeit zu Zeit Gewichte zu verlegen und Prioritäten zu setzen, statt jeden einzelnen Bestand zu verteidigen. Friedrich der Große hat gesagt: „Wer alles defendieret, defendieret in Wahrheit nichts." Auf diese Gestaltungsaufgabe sollten wir unsere Kräfte und unsere Phantasie konzentrieren.Dies ist nicht die Stunde, in der uns Mäkelei, Ängste, Befürchtungen und Befindlichkeitstänze wirklich weiterhelfen. Arbeiten und Formen auf diesem Gebiet ist die Herausforderung. Ich bin glücklich darüber, daß Hilmar Hoffmann in dieser Form im
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Dr. Volkmar Köhler
Goethe-Institut an die Arbeit herangeht, und ich danke ihm dafür.Es werden weitere Ideen verfolgt werden müssen wie eine Verstärkung der Zusammenarbeit der Kulturinstitutionen der europäischen Staaten in einem Haus oder in einer Bibliothek.
Wir brauchen dann nicht mehr darüber zu reden, ob jedes Institut seine eigene Bibliothek haben muß. Hier kann man sich also noch eine ganze Menge Luft schaffen.Auf diesem Gebiet wird weiterhin Wichtiges zu tun sein. Es wird wichtig sein, daß dieses Parlament regelmäßig darüber informiert wird, und zwar meinetwegen in Form eines Berichts. Es wird wichtig sein, daß sich dieses Parlament in der nächsten Legislaturperiode die Frage stellt, ob die erneute Einsetzung einer Enquete-Kommission hilfreich ist. Das möchte ich unseren Nachfolgern überlassen.Aber ich möchte in dieser Stunde, in der mein ganzes Temperament auf zukünftige Arbeit und nicht auf Abschied gerichtet ist — so schwer mir der Gedanke fällt, verehrter Herr Kollege Toetemeyer, daß wir uns in Zukunft nur noch privat treffen können —, sagen: Glückauf denen, die nach uns kommen werden, um diese Arbeit fortzusetzen!
Ich erteile nunmehr dem Staatsminister Helmut Schäfer das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es hätte mich ja gereizt, einige Sätze zu Herrn RoloffMomin zu sagen, aber er ist inzwischen schon weg. Es betraf im übrigen auch gar nicht meine Aufgabe; ich bin nicht zuständig für Berlin
und die zukünftige Bildungsstruktur der Hauptstadt. Aber natürlich sind hier einige ernste Vorwürfe erhoben worden.Ich fände es gut, wenn uns der Berliner Senat einmal eine Denkschrift überreichte, in der er sich äußert, welche Konsequenzen er befürchtet, wenn die Kürzungen tatsächlich so weitergehen. Wir sollten das wirklich ernst nehmen und in der Übergangsphase in Berlin natürlich präsent sein. Wir sollten uns mit diesen Dingen vor Ort beschäftigen und nicht nur den Reichstagsbau und den zukünftigen Sitz der Ministerien erörtern.
Ich finde es auch wichtig, daß das Bundeskabinett gelegentlich in Berlin tagt und vielleicht mit dem Senat gemeinsam überlegt, was verhindert werden kann. Das läßt sich vor Ort besser als aus der Entfernung machen. Ich habe das neulich bei einer Staatssekretärskonferenz angeregt; insofern darf ich das hier wiederholen.Auf Grund der Tagesordnung möchte ich mich aber auf die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Koalitionsfraktionen — „Das Bild des vereinten Deutschland als Kulturnation in einer sich wandelnden Welt" — und auf den Bericht der Bundesregierung zum Stand und zur Entwicklung deutscher Schulen im Ausland beschränken.Es ist gut, daß Herr Toetemeyer einige Passagen aus der Antwort der Bundesregierung hier als eherne Sätze wiederholt hat. Ich kann es mir deshalb erlauben, auf sie zu verzichten. Sie haben sie schon zitiert. Ich meine, daß bei dieser Debatte deutlich geworden ist — bis auf einige Kritikpunkte und auf Nuancen und Unterschiede in der Betrachtung, die kaum von Bedeutung waren —, daß dem Petitum eines meiner Vorredner Rechnung getragen wurde: Nur wenn das Parlament gemeinsam auf diesem sehr wichtigen Feld arbeitet, kommen wir weiter.Denn Sie wissen, daß Kultur im öffentlichen Bewußtsein eben nicht ganz den Stellenwert hat, den sie z. B. in Frankreich hat. Wir haben kein Ministerium, das einem Ministerium der Frankophonie vergleichbar ist. Wir machen auch nicht, wie unsere französischen Partner, Gesetze zur Reinhaltung der Sprache — ich möchte in diesem Zusammenhang sagen: Gott sei Dank nicht.
Aber wir haben vielleicht manchmal den Anstoß nötig, die Kultur etwas ernster zu nehmen, uns nicht einfach nur zurückzulehnen und mit den wunderbaren Institutionen, die im Verlauf unserer langen Geschichte überall in Deutschland geschaffen wurden, zufrieden zu sein. Es geht natürlich urn mehr, auch in der Auswärtigen Kulturpolitik.
Meine Damen und Herren, wir können natürlich nicht sagen: Wir nehmen diesen Bereich von den verordneten globalen Kürzungen völlig aus. Das ist uns allen bewußt. Angesichts der ungeheuren Anstrengungen zum Aufbau Ost war es — ich muß sagen: leider — nötig, auch diesen Bereich zu kürzen. Wir müssen aber auch zur Kenntnis nehmen, daß die Bundesregierung gerade nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Systeme und dem Entstehen der neuen demokratischen Staaten in Ost- und Mitteleuropa verpflichtet war, eine Fülle zusätzlicher Institutionen zu schaffen, die es vorher gar nicht gab — es sei denn, es waren Institute der DDR, die ja zum Teil übernommen werden konnten. Aber auch deren Bibliotheken haben selbstverständlich nicht mehr ganz den Inhalt, den sie früher hatten. Das, so glaube ich, kann ich auch mit Zustimmung von Herrn Weiß sagen.Wir mußten uns in sehr vielen Fällen natürlich darüber klar werden, wo wir Schwerpunkte setzen. Bedauerlicherweise hat das dazu geführt, daß es da oder dort Kürzungen, Schließungen gab. Aber das sind keine dramatischen Entwicklungen. Wir bleiben in ständigem Gespräch mit dem Goethe-Institut. Auch in bezug auf die Bibliotheken zeichnen sich vernünftige Lösungen ab. Aber hier besteht das Problem
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Staatsminister Helmut Schäfer— Herr Schüßler hat darauf hingewiesen — der Kameralistik, das ist ein Haushaltsproblem. Wir hätten diesen Bereich gerne flexibler gelöst, aber stoßen im Haushaltsausschuß natürlich auf sehr große Bedenken, weil Präzedenzfälle geschaffen würden.Es ist ganz klar, daß wir Schwerpunkte setzen mußten, daß wir nicht allen großen Erwartungen, die an uns gestellt werden — auch im Hinblick auf die Kulturpolitik in den vielen neuen Staaten, den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion —, gerecht werden können, sondern Schritt für Schritt vorgehen müssen. Deshalb ist einer unserer Schwerpunkte — wir haben darauf auch in der Antwort der Bundesregierung hingewiesen —: Austausch von Wissenschaftlern, Studenten, Jugendlichen, Förderung der deutschen Sprache.Wir haben immer wieder deutlich gemacht, daß das wichtige Instrument „auswärtige Kulturpolitik", als Instrument auch unserer Außenpolitik, nicht aus fiskalischen Gründen beschädigt werden darf, weil ja auch das Vertrauen des Auslands in unser Land für uns von vitaler Bedeutung ist und gerade eine großzügige und weltoffene auswärtige Kulturpolitik nicht unwesentlich dazu beigetragen hat und auch dazu beitragen muß. Daran darf sich nichts ändern. Das Geld, das wir in Goethe-Institute, in deutsche Auslandsschulen, in Stipendienprogramme, für den Austausch von Wissenschaftlern und in die Spracharbeit investieren, ist gut angelegt. Seine Zinsen fließen als Vertrauenskapital zurück.In der Antwort auf die große parlamentarische Anfrage äußert sich die Bundesregierung auch zu Fragen der Finanzierung, also zu Fragen des Kulturhaushalts des Auswärtigen Amts. Straffungen und Einsparungen ließen sich nicht vermeiden. Aber ich muß hier noch einmal sehr deutlich sagen: Einschnitte in die Substanz der auswärtigen Kulturpolitik sind nicht hinnehmbar.
Ich muß Ihnen auch sagen, daß wir uns von diesen Überlegungen bei der Aufstellung des neuen Haushalts, 1995, haben leiten lassen. Wir sind 1994 noch relativ glimpflich davongekommen — im Vergleich zu anderen Kürzungen —, nämlich 43 Millionen DM Minderausgabe. Damit standen und stehen 1994 immer noch 1,146 Milliarden DM zur Verfügung, also 3,5 % weniger. Wir hoffen, daß wir bei den Verhandlungen zum Haushalt 1995 erreichen können, daß über diese Kürzungen nicht hinausgegangen wird, weil es sonst wirklich die Substanz gefährden würde.Was die deutschen Schulen im Ausland betrifft, Herr Kollege Toetemeyer, muß ich Ihnen sagen: Ich bin erst sehr kurz ressortmäßig dafür zuständig und prüfe also auch Ihren Vorwurf, Ihre Frage nach, warum Sie noch nichts zum Gymnasium in Mailand erfahren haben. Ich konnte das im Augenblick nicht klären, bin aber gern bereit, Ihnen dazu noch etwas zu sagen.Wir betrachten die deutschen Auslandsschulen nach wie vor als ein ganz wichtiges und wirksames Instrument der deutschen auswärtigen Kulturpolitik. Sie haben großes Ansehen. Sie haben nachhaltig dazubeigetragen, Brücken zwischen Ländern und Kulturen zu schlagen. Sie haben auch dazu beigetragen, junge Menschen schon in der Schule zu Toleranz und Offenheit zu erziehen.Unsere gemeinsamen Kämpfe, Herr Kollege Toetemeyer, in den vergangenen Jahren gerade an den von Ihnen genannten Schulen in Südafrika und in Namibia waren ja nicht ganz leicht. Wir hatten damals große Probleme, als noch der Schlachtruf erscholl: Genscher raus; wir wollen Strauß! — Das war ja damals ein geflügeltes Wort in Windhuk. Da war auch die Idee einer Öffnung dieser Schulen keineswegs populär, vor allem nicht bei den Eltern populär. Aber inzwischen hat sich die Sache geändert. Sie sind ja nicht alle geflüchtet, sondern leben heute immer noch dort, Gott sei Dank, und fühlen sich offensichtlich in ihren Ländern auch immer noch sehr wohl.Wir haben den Begegnungscharakter der deutschen Auslandsschulen verbessert. Wir konnten neue schulische Versorgung schaffen, auch durch Neugründungen; Sydney, San Francisco, Prag sind zu nennen oder auch der Ausbau bis zur Reifeprüfung an der deutschen Schule in Moskau.Wir haben inzwischen den Stand der Zusammenarbeit mit den Ländern Mittel- und Osteuropas verbessern können. 450 Lehrkräfte sind in diesen Staaten eingesetzt, um beim Ausbau und bei der Modernisierung des Deutschunterrichts ebenso wie bei der Förderung des Deutschunterrichts in Gebieten der deutschen Minderheiten zu helfen. 150 dieser Lehrkräfte werden mit Mitteln des Sonderprogramms „Förderung der deutschen Sprache in Mittel- und Osteuropa und in der GUS" finanziert. Die Bundesländer sind dabei mit 150 Lehrkräften beteiligt.Darüber hinaus geht es jetzt um die Schaffung eines Rahmenstatuts für die Tätigkeit deutscher Lehrer im Ausland. Ich hoffe, wir kommen mit den Ländern zu einer vernünftigen Kompromißlösung. Es ist nicht ganz leicht. Wir werden auch nicht unsere idealen Vorstellungen durchsetzen können. Aber es bedarf dieser Regelung.Lassen Sie mich zum Schluß sagen: Zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts Deutschland trägt natürlich auch die Kulturarbeit in den aufstrebenden Wachstumsregionen bei. Herr Kollege Köhler hat dankenswerterweise auf Asien hingewiesen. Es gibt ein von Bundeskanzler und Außenminister angeregtes Asienprogramm, das auch z. B. Stipendienangebote haben wird, sowie Akzentuierungen bei unserer Zusammenarbeit mit den Hochschulen und Schulen der in Frage kommenden Länder sowie in der Programmarbeit der Goethe-Institute. Ich habe übrigens Hilmar Hoffmann in München damals im Prinzregententheater eingeführt, und ich habe den Begriff Autonomie auf seine Bitte hin in meiner Einführungsrede ausdrücklich erwähnt. Wir wollen das Goethe-Institut in keiner Weise zu irgendwelchen Programmarbeiten verpflichten,
aber man muß gelegentlich vielleicht auch einmal dasGoethe-Institut darauf hinweisen, daß das eine oderdas andere in eine Programmarbeit mit einfließen
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20244 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1994
Staatsminister Helmut Schäferkönnte. Ich halte das nicht für ein zu weitgehendes Eingreifen der Regierung.Meine Damen und Herren, besondere Aufmerksamkeit müssen wir natürlich, was die auswärtige Kulturarbeit betrifft, auch den elektronischen Medien widmen. Auslandsrundfunk und Auslandsfernsehen sind bereits heute entscheidende Instrumente zur Vermittlung — auch eines objektiven Deutschlandbildes in der Welt. Sie müssen in der innerstaatlichen Kompetenzverteilung und den Mittelzuweisungen ihren Niederschlag finden, wenn wir nicht den Anschluß an die USA und einige unserer europäischen Nachbarländer endgültig verpassen wollen. Insofern kommt dem Gesetz zur Deutschen Welle hohe Bedeutung zu.Ich hoffe, daß wir darüber hinaus in der Lage sind, endlich auch Programmteile von unseren öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zu bekommen, die das Ganze etwas billiger machen könnten. Es handelt sich also um eine Fülle wichtiger Aufgaben.Ich danke Ihnen sehr herzlich, daß heute so viel Übereinstimmung geherrscht hat in dem gemeinsamen Willen, unsere Kultur im Ausland so darzustellen, wie das unsere Nachbarstaaten mit ihrer eigenen Kultur tun.Vielen Dank.
Herr Staatsminister, Sie haben zwar Ihre Redezeit deutlich überschritten, —
Um zwei Minuten.
— aber da kann ich bei der Regierung nichts machen. Trotzdem frage ich Sie: Sind Sie eventuell bereit, eine Zwischenfrage zu beantworten? Das ist dann ja keine Zwischenfrage mehr, sondern eine Endfrage, aber bitte schön.
Ja.
Mit der neuen Charakterisierung will ich es dennoch versuchen. — Herr Staatssekretär, Sie haben dankenswerterweise auf die Versorgung mit elektronischen Nachrichtenprogrammen und ähnlichen Dingen hingewiesen. Hat die Bundesregierung Überlegungen angestellt oder sich bemüht festzustellen, warum ein Land wie Großbritannien das BBC-Programm, das auch mit Lernprogrammen verbunden ist, weltweit ausstrahlen kann und warum uns Vergleichbares einfach nicht gelingen will?
Herr Kollege, darüber brauchten wir einen sehr langen Diskurs. Die Hintergründe kann die Bundesregierung gerne darstellen, übrigens auch die Deutsche Welle. Sie müssen davon ausgehen, daß die BBC London, daß überhaupt das britische Fernsehen ein ungleich größeres Netz weltweiter Ausstrahlungsmöglichkeiten und eine ganz andere Geschichte als unsere Rundfunkanstalten hat und daß die Deutsche
Welle mühsam damit beschäftigt ist, überhaupt erst ein Programm aufzubauen, daß sie auch an die Grenzen von Urheberrechten stößt, daß sie ungeheure Schwierigkeiten hat, wenn sie Beiträge vom ZDF oder von der ARD haben will. In der eigenen Produktion bleibt sie natürlich ein bißchen brav hinter dem, was BBC als renommierter Weltsender veranstalten kann.
Ich finde, wir sollten das Thema wirklich im Ausschuß aufgreifen.
Vielen Dank.
Ich erteile nunmehr der Abgeordneten Angela Stachowa das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Ernst ist das Leben, heiter die Kunst" — so Schiller im Prolog zur „Wallenstein"-Trilogie. Nur, so heiter scheint mir die Kunst in der heutigen Zeit gar nicht zu sein. Kunst und Kultur darben in diesem Land. Dies ist bedauerlich, denn in Worten wird die Rolle von Kunst und Kultur in der Gesellschaft durchaus anerkannt, kommt in der Politik, auch hier im Bundestag, aber oft zu kurz.Es ist absurd, zu glauben, daß der von der Bundesregierung propagierte und geforderte Wirtschaftsstandort Deutschland, der eine große Rolle für die Zukunft Europas und in der Welt spielen soll, diese Rolle auch ausfüllen kann, wenn die Kultur im Innern immer mehr Sparzwängen zum Opfer fällt.Wie sieht es mit Deutschlands Ruf als Kulturnation aus? Es sind nicht nur die rechtsextremen Ausschreitungen, die dieses Bild beeinträchtigen. Auch ein Künstler wie Kurt Masur sorgt sich um dieses Bild, wenn er sagt:Wir dürfen das Ansehen unseres Landes nicht durch eine vom Rechenschieber diktierte Kulturpolitik unterminieren.Niemand will das föderative System der BRD, das sich bewährt hat, im Grundsatz in Frage stellen. Aber nirgendwo auf der Welt konnte und kann Kunst nur durch Marktwirtschaft gedeihen. Kunst und Kultur brauchen die helfende, manchmal sogar rettende öffentliche Hand. Der Verweis auf die Kulturhoheit der Länder kann und darf keine Entschuldigung für ein ständiges Zurückziehen des Bundes aus der Kulturförderung sein. Kein Bundesland wird eine Förderung von Kunst und Kultur auf seinem Hoheitsgebiet als Einmischung betrachten. Ich bezweifle auch, daß die Länder der Schaffung eines Bundesministeriums Kultur widersprechen würden, womit endlich die zersplitterten Kompetenzen auf diesem Gebiet beendet würden und ein kompetenter Partner auch für das Ausland zur Verfügung stünde.Meine Damen und Herren, Kultur und Sparen — ein leidiges Thema. Und damit verbunden auch die öffentlichkeitswirksame, aber meiner Meinung nach falsche These: Kunst oder Kindergarten, Kunst oder soziale Unterstützungen, Kunst oder, oder; das kann beliebig fortgesetzt werden.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1994 20245
Angela StachowaEs gibt auch eine andere Seite der Medaille, die oft vergessen wird bzw. nicht beachtet wird: Nach Berechnungen des Ifo-Instituts München schafft jede Million DM, die öffentlichen Kultureinrichtungen zur Verfügung gestellt wird, ein Einkommen von 1,4 Millionen DM in der Gesamtwirtschaft, sichert 100 geförderte Arbeitsplätze in Kulturbetrieben und bis zu 150 Arbeitsplätze in der Gesamtwirtschaft.Leider wird auch selten darauf hingewiesen, daß es sich in Wirklichkeit nicht um einseitige Subventionen für die Kultur handelt, da diese direkt mit wirtschaftlichen Effekten verbunden sind und Einfluß haben auf Tourismus, Gastronomie, Taxi-, Busunternehmen, Dienstleistungen, Druckereien usw. Mit einem Wort: Was wir benötigen, ist ein neues Herangehen an die Kulturpolitik.Bereits 1993 erfolgten Kürzungen für Kunst und Kultur in den alten und den neuen Bundesländern um rund 110 Millionen DM. Die Übergangsfinanzierung war für 1994 — ungeachtet zahlreicher Mahnungen und Proteste — vollständig gestrichen worden. Die Aushilfe über die Einnahmen aus der Unabhängigen Kommission Parteivermögen in Höhe von 250 Millionen DM genügt nicht. Außerdem war dieses Geld sowieso für die neuen Bundesländer vorgesehen. Sie sind also kein spektakuläres Geschenk, wie oft zu lesen, sondern lediglich Sterbehilfe. Eine Fortsetzung der gegenwärtigen Politik und der damit verbundenen Kürzungen gefährdet ernsthaft die Weiterexistenz von Einrichtungen bzw. Maßnahmen, z. B. durch Beendigung der Dauerförderung, u. a. für die Deutsche Schiller-Gesellschaft, das Wilhelm-BuschMuseum, die Philharmonica Hungarica, das Beethoven-Haus Bonn, die Stiftung Weimarer Klassik usw., und durch die Beendigung der Projektförderung bzw. durch radikale Kürzungen: die Musik, Sprach- und Literaturförderung, Literaturfonds, Fonds für Soziokultur, Kunstfonds usw.Die Beendigung der Förderung von Verbänden und Organisationen, wie Kulturstiftung der Länder, Deutscher Musikrat, Bundesverband Bildender Künstler, Verband Deutscher Schriftsteller, PEN-Zentrum Deutschland, Deutscher Künstlerbund, steht damit ebenso auf der Tagesordnung und reißt Löcher in die deutsche Kulturlandschaft, die nicht so schnell — wenn überhaupt — wieder gestopft werden können.Die Verwirklichung solcher Pläne des kulturellen Kahlschlags würde einschneidende Änderungen in der im Rahmen seiner verfassungsmäßigen Zuständigkeiten gestalteten Kulturförderung des Bundes zur Folge haben. Praktisch wäre damit eine 40jährige Kulturförderung des Bundes zu Ende. Die Einsparungen im Haushalt in Mark sind dabei so minimal und stehen in keinem Vergleich zu dem Schaden, der national wie international damit angerichtet wird.Meine Damen und Herren, niemand wird bestreiten, daß der Bund in den vergangenen Jahren nicht wenig Geld für die ostdeutsche Kultur bei deren Schritt in den offenen Markt bereitgestellt hat. Ohne Übergangsfinanzierung sähe es heute noch schlimmer aus.Meine Damen und Herren, eine Fortsetzung dieser Politik, die Kultur als „Restposten" betrachtet, eineEinstellung der Übergangsfinanzierung, die im Einigungsvertrag zeitlich nicht begrenzt wurde, und generell ein Rückzug des Bundes aus der Kultur unter Berufung auf die Länderkompetenzen und auf Sparen ist nicht tragbar. Ich fürchte und ich denke, eine solche Politik wird ihre Quittung verdienen, möglicherweise durch die Wähler.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zu den Abstimmungen zu Tagesordnungspunkt 4 a. Dazu liegt die Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Zukunft der Bundeskulturförderung, Drucksache 12/7907, vor. Nr. 1: Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der SPD in der Drucksache 12/7047 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Die Gegenprobe! — Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen. Enthaltungen gab es nicht.Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU zur Kulturförderung des Bundes ab 1995, Drucksache 12/7907 Nr. 2. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Koalitionsfraktionen auf Drucksache 12/7231 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen.Tagesordnungspunkt 4 b: Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. auf Drucksache 12/7890. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? —Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ist der Entschließungsantrag angenommen.Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/7886. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt.Tagesordnungspunkt 4 c: Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Stockbildung bei Kulturförderfonds, Drucksache 12/5372. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der SPD auf Drucksache 12/4556 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen.Tagesordnungspunkt 4 d: Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Bericht der Bundesregierung über die Umsetzung der Entschließung des Deutschen Bundestages zum Stand und zur Entwicklung der deutschen Schulen im Ausland, Drucksache 12/7406. Der Ausschuß empfiehlt, den Bericht der Bundesregierung auf Drucksache 12/2675 zustimmend zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Das war einstimmig. Damit ist die Beschlußempfehlung angenommen.
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20246 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1994
Vizepräsident Helmuth BeckerTagesordnungspunkt 4 e: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen über die Gemeinschaftsproduktion von Kinofilmen, Drucksache 12/5836. Der Ausschuß für Wirtschaft empfiehlt auf Drucksache 12/7786, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Auch dieser Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.Zusatzpunkt 2: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Fraktion der SPD zum Erhalt der Buchpreisbindung, Drucksache 12/7891. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der SPD auf Drucksache 12/3388 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Keine Stimmenthaltung, keine Gegenstimmen. Die Beschlußempfehlung ist angenommen.Zusatzpunkt 3: Wir stimmen jetzt noch über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zur Kulturpolitik nach Maastricht ab. Das ist Drucksache 12/7879. Wer stimmt für diesen Antrag? — Auch hier kann ich keine Gegenstimmen und Enthaltungen feststellen. Der Antrag ist einstimmig angenommen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bekomme noch eine Mitteilung: Interfraktionell ist vereinbart worden, die Gesetzentwürfe zur Änderung des Umwandlungssteuerrechts auf den Drucksachen 12/6885 und 12/7263 zusätzlich dem Haushaltsausschuß gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung zu überweisen, weil der Finanzausschuß dazu haushaltswirksame Änderungen beschlossen hat. Sind Sie damit einverstanden? — Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1982
— Drucksache 12/7829 —
Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für VerkehrAusschuß für Forschung, Technologie und TechnikfolgenabschätzungHaushaltsausschuß gemäß § 96 GOAusschuß für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist dafür eine halbe Stunde vorgesehen. — Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist auch das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst unserem Kollegen Klaus Harries das Wort.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Über diesen Punkt der Tagesordnung könnte man mit der Zustimmung der Kollegen, die jetzt hier noch anwesend sind, das Motto stellen: Ende gut, alles gut. Im November 1993 hat bekanntlich der sechzigste Staat, Guayana, das Seerechtsübereinkommen ratifiziert. Vorweg gingen in dem Ratifikationsverfahren — man sollte das wissen und nennen — eine Reihe von kleinen Inselstaaten, ein Großteil Dritte-Welt-Länder und auch einige Schwellenländer. Die Bundesrepublik Deutschland hat in den letzten Jahren nicht ratifiziert. Die Bundesrepublik stand damit überhaupt nicht allein, sondern in einer Reihe mit allen Industrieländem, von den Vereinigten Staaten über die Mitgliedsländer der Europäischen Union bis zur damaligen Sowjetunion, den heutigen GUS-Staaten, und Japan.Man stand nicht abseits, meine Damen und Herren, weil man die Bedeutung des Seerechtsübereinkommens nicht gesehen hat. Wir waren und sind uns darin einig — die Bundesregierung hat es immer erklärt —, daß dieses Gesetzeswerk der Vereinten Nationen eines der wichtigsten Gesetzeswerke der UN überhaupt ist, denn es regelt wichtige aktuelle Fragen, die nicht nur 1982, als die Dritte Seerechtskonferenz das SRÜ formuliert und verabschiedet hat, aktuell waren. Vielmehr hat die ganze Entwicklung seitdem gezeigt, daß diese Fragen an Aktualität zunehmen. Es werden geregelt die Frage der Meeresnutzung, der Überflug, die Piraterie, die Umweltfragen, die Nutzung von Meerengen usw. Es wird das Streitverfahren erstmals systematisiert. Zudem ist in das SRÜ die Bundesrepublik Deutschland mit Hamburg als Sitz eines dritten UN-Organs aufgenommen worden, nämlich des Seegerichtshofs.Meine Damen und Herren, warum standen wir, warum stand die Bundesrepublik Deutschland abseits und hat bis vor kurzem zu einer vorschnellen Ratifikation nein gesagt? Warum haben die anderen Industrieländer das getan? Die Antwort ist: weil man mit Recht — ich unterstreiche das — die Regelungen des berühmt-berüchtigten Teils XI des SRÜ nicht zu akzeptieren bereit war, der konkret die Nutzung des Meeresbodens betrifft. In diesem Abschnitt XI sollte die Regelung dem damaligen Zeitgeist entsprechend sehr planwirtschaftlich, sehr dirigistisch, sehr aufwendig und reglementierend erfolgen. Diese Regelungen ergaben sich aus dem damaligen Zeitgeist. Sie wurden eben ausschließlich im Interesse der Entwicklungsländer gefunden und formuliert, ohne die Interessen auch der Staaten zu bedenken und zu berücksichtigen, die ja die Zeche und die Sache im weiten Umfang zu bezahlen haben.Meine Damen und Herren, wir begrüßen es aber ausdrücklich, daß die Bundesregierung jetzt das Ratifikationsverfahren eingeleitet und uns den Gesetzentwurf zugeleitet hat. Wir stimmen dem zu. Wir wissen, daß in den letzten Jahren gerade durch den Einsatz der Bundesregierung der Teil XI in ganz wichtigen und entscheidenden Punkten überarbeitet und geändert, entschärft worden ist. Die Zähne sind gezogen worden. Es gibt jetzt keine planwirtschaftlich-dirigistische, teure Regelung mehr, sondern das, was die Industriestaaten im Einvernehmen mit den Entwicklungsländern und Schwellenländern — das ist wichtig zu unterstreichen und zu wissen — vereinbart haben, entspricht marktwirtschaftlichen Prinzipien. Wir alle wissen, daß die Nutzung des Meeresbodens heute noch nicht aktuell ist. Aber was heute nicht aktuell ist, kann übermorgen aktuell werden. Man muß rechtzeitig vorsorgen. Wir wissen jetzt, daß es bei Produktionen keine Einschränkung mehr geben wird und daß
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Klaus Harriesdie Industriestaaten die Möglichkeit haben, in bezug auf die finanzielle Regelung ein Veto einzulegen, um mitzubestimmen. Technologietransfer zugunsten der Dritten Welt wird nicht ausgeschlossen. Aber auch diese Punkte werden marktwirtschaftlich geregelt.Meine Damen und Herren, es ist zwar jetzt Geschichte, aber ich nenne es trotzdem: In den letzten Jahren gab es immer wieder, auch in diesem Hause und in den Ausschüssen, Druck der Opposition: Es ist viel wichtiger, Hamburg als Sitz des Seegerichtshofes zu retten. Es ist bei einer Abwägung nicht vorrangig, hier insgesamt einen völkerrechtlichen Gesetzentwurf zu haben, der anwendbar ist, der praktikabel ist, der finanzierbar ist und der auch im Interesse aller zum Erfolg führt.Ich glaube, im nachhinein können wir alle einvernehmlich sagen, daß es richtig war, hier überhaupt nicht zu pokern, aber zu sehen, wo die Interessen liegen, und vor allem die Solidarität mit den Industriestaaten — ich habe sie genannt — nicht aufzugeben, sondern in dieser Solidarität mit der EU, mit den Vereinigten Staaten, mit Rußland, mit Japan — um einige nochmals zu nennen — die richtige Perspektive in Formulierungen zu finden. Das ist gelungen. Die Solidaritätshaltung der Bundesregierung hat sich bewährt.Meine Damen und Herren, einige Kollegen aus diesem Haus hatten in den letzten acht Jahren Gelegenheit, in größeren oder kleineren Abständen die Verhandlungen in ihrem Auf und Ab in New York oder in Jamaika zu verfolgen. Wir sind ständig informiert worden. Wir wußten ständig — und haben das auch entsprechend in den Ausschüssen und bei unseren Kollegen weitergegeben —, was sich hier bei den mühsamen Verhandlungen tat.Ich möchte hier ausdrücklich der deutschen Verhandlungsdelegation unter dem Vorsitz von Botschafter Dr. Eitel danken, der mit den anderen Mitgliedern aus den anderen Ministerien — jeder hat seinen Beitrag geleistet — entscheidend mitgewirkt hat, daß wir heute nun ein Werk, ein SRÜ, vor uns haben, das im Grunde von allen ratifiziert werden kann und — wie ich vorhersage — auch von allen ratifiziert wird.Wir sind in einem festen, klaren Zeitplan. Heute haben wir die erste Lesung und Ende des Monats die dritte Lesung durch den Bundestag. Dazwischen haben wir die Beratungen im Ausschuß. Ende Juli, meine Damen und Herren, ist dann die Generalversammlung in New York, wo die Vollversammlung die Gelegenheit hat, das Verhandlungsergebnis über den Abschnitt XI zu ratifizieren.Wenn wider Erwarten— ich gehe davon nicht aus — die Generalversammlung nein sagen sollte, besteht immer noch die Möglichkeit — auch unter Einbindung des Bundesrates; das wäre in diesem Fall keine Blockade —, so zu verfahren, daß man eben Schlimmeres verhüten kann. Es könnte dann mit Zustimmung des Bundesrates im September zu einer abschließenden Lesung kommen. So könnte man dabeisein, wenn dieses wichtige Völkerrechtswerk in Kraft tritt.Meine Damen und Herren, wir gehen guten Mutes jetzt in die Ausschußberatungen. Wir sind übereinstimmend der Auffassung, daß mit diesem Gesetzeswerk der Vereinten Nationen ein Werk vorgelegt wird, das dem Frieden dienen kann, das den Interessen unseres Landes dient und das schließlich auch hilfreich ist bei unseren Bemühungen, zumindest einen wenn auch nicht ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat der Vereinten Nationen zu bekommen. Bei Abwägung von allem, was hier aktuell und zu beraten ist, sind wir auf dem richtigen Weg.Meine Damen und Herren, ich bedanke mich.
Kollege Dietmar Schütz, Sie haben jetzt das Wort.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Wir begrüßen, daß die Bundesregierung nach langem Zögern jetzt das Vertragsgesetz zum Seerechtsübereinkommen vom 10. Dezember 1982 vorgelegt hat und damit das Beitrittsverfahren einleitet. Die Bundesrepublik Deutschland tritt damit dieser ersten umfassenden Rechtsordnung für den Meeresraum bei, und das ist gut so.Wie bei wenigen anderen internationalen Übereinkommen sind die Verhandlungen über das Seerecht von Anfang an und über die Jahre hinaus vom Parlament sehr eng begleitet worden. Unser Kollege Klaus Harries hat gerade darauf hingewiesen. Das macht den Stellenwert, den viele Kollegen dem internationalen Seerecht eingeräumt haben, deutlich.Ich will hier vor allem meinen schon vor vier Jahren aus dem Parlament ausgeschiedenen Kollegen Horst Grunenberg nennen, der sich große Verdienste um die parlamentarische Diskussion des Seerechts erworben hat.
Es hat bei der Beratung des Seerechtsübereinkommens stets ein großes Maß an Übereinstimmung zwischen den Parlamentariern der CDU/CSU, der F.D.P. und auch meiner Partei gegeben, und das war und ist ebenfalls gut. Es spricht vieles dafür, daß über wichtige außenpolitische Vertragswerke ein grundsätzliches Einvernehmen herrscht.
Daß es bei allem Einvernehmen aber auch Differenzen gab, ist unschwer an der Tatsache abzulesen — darauf wurde gerade hingewiesen —, daß die SPD-Fraktion über beinahe zwölf Jahre hinweg vergeblich gefordert hatte, dem Seerechtsübereinkommen schon früher beizutreten. Diese Tatsache ist es wert, auch heute und an dieser Stelle noch einmal erwähnt zu werden.Die Bundesregierung hatte sich dafür entschieden, das Seerechtsübereinkommen nicht zu unterzeichnen, da sie die Tiefseebergbauregelungen nicht mit ihren ordnungs- und wirtschaftspolitischen Vorstellungen als übereinstimmend ansah und auch unangemessene finanzielle Belastungen befürchtet hatte. Die Bundesregierung hatte dennoch auch in der Folgezeit
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20248 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1994
Dietmar Schützwiederholt ihr Interesse am Inkrafttreten des SRÜ bekundet, dessen Inhalte, mit Ausnahme der Tiefseebergbauregelungen, durchweg von ihr unterstützt wurden.Ein besonderes deutsches Interesse lag dabei natürlich in der Tatsache, daß Hamburg als Sitz des zukünftigen Internationalen Seegerichtshofes vorgesehen ist, vorausgesetzt, die Bundesrepublik ist zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des SRÜ diesem beigetreten.Entscheidendes Argument für die Nichtzeichnung des SRÜ — Klaus Harries hat darauf hingewiesen — war das Kapitel XI mit den Regelungen zum Tiefseebergbau. Diese Problematik ließ Regierung und auch die Koalitionsparteien von einer Zeichnung Abstand nehmen.Die SPD trat stets für eine nüchterne Abwägung des Gewichts der strittigen Fragen des Teils XI mit der Bedeutung der übrigen, allgemein akzeptierten und zum Teil bereits heute in der Praxis angewandten Teile des SRÜ ein. Im Kern ging es bei den problematischen Fragen des Kapitels XI um die Bestimmungen zum Transfer von Tiefseebergbautechnologien an Entwicklungsländer sowie die Finanzierung, Kompetenzen und Zusammensetzung der für die Fragen des Tiefseebergbaus zuständigen Meeresbodenbehörde.Zu den überparteilich positiv wahrgenommenen Regelungen gehörten die Bestimmungen, die das traditionelle Seevölkerrecht beinhalten bzw. weiterentwickeln — die Regelungen zum Küstenmeer, zu den Meerengen, zur Hohen See, zur Schiffahrt und zum Überflug —, sowie Neuregelungen wie z. B. die Einrichtung der 200-Seemeilen-Zone, die wissenschaftliche Meeresforschung, der Meeresumweltschutz usw. Diese Regelungen bedeuten unstrittig erhebliche Fortschritte im Bereich der Verrechtlichung der internationalen Beziehungen und können einen wichtigen Beitrag zum weltweiten Interessenausgleich leisten und so eine konfliktfreiere Nutzung und die Erhaltung der Meeresumwelt sichern.Aus diesen Überlegungen heraus ergab sich für uns Sozialdemokraten bei der Abwägung der positiven und der weniger gelungenen Regelungen des SRÜ in Kapitel XI eine andere Prioritätenfolge. Der Tiefseebergbau erschien uns stets als ein mehr nachgeordnetes Problem, weil seine Realisierung erst sehr spät erkennbar ist und unter Umweltgesichtspunkten nur in begrenztem Umfang gestattet sein kann und auch, wie ich schätze, sein wird. Die Landproduktion an Mineralien wird noch sehr lange keine Konkurrenz aus dem Tiefseebergbau erhalten. Ich sehe im Augenblick noch gar nicht, wie das weitergehen soll.Wir sahen und sehen daher die übrigen Teile des SRÜ als weitaus bedeutender an und haben stets mit einiger Sorge die dilatorische Politik der Bundesrepublik und anderer Industrienationen verfolgt.Zu den von uns nicht voll geteilten inhaltlichen Bedenken der Bundesregierung kam die von uns allerdings wohlverstandene Haltung hinzu, dem SRÜ so lange nicht beizutreten, wie auch die westeuropäischen Industrieländer und vor allem die USA sich zurückhielten. Dieser Gleichklang der Interessen derIndustrienationen mußte aber immer mit dem besonderen nationalen Interesse an der Einrichtung des Seegerichtshofes abgewogen werden.Unsere Position dazu war klar: Solange es zeitlich möglich war, im Konvoi zu bleiben, sollten wir mitfahren. Es hätte allerdings einen Zeitpunkt geben können, wo wir wegen des sich schließenden Korridors nicht länger hätten warten dürfen, weil auf Grund des Inkrafttretens des SRÜ der Zwang eintrat, Mitgliedstaat zu werden, um den Seegerichtshof zu behalten.Zum Glück — Klaus Harries hat schon darauf hingewiesen — ist die Entwicklung so verlaufen, daß die Bundesrepublik den Konvoi nicht verlassen mußte und gleichwohl eine befriedigende Lösung in Kapitel XI erreicht wurde. Wir begrüßen das und finden das gut.Mittlerweile haben die weltpolitischen und wirtschaftlichen Veränderungen sowie die vom UN-Generalsekretär angeregten internationalen Gesprächs- und Verhandlungsrunden zum SRÜ in den strittigen Fragen des Tiefseebergbaus einer weitreichenden internationalen Akzeptanz des SRÜ den Weg geebnet. Entscheidend für den Durchbruch bei den Verhandlungen war die neue, konstruktive Haltung der Clinton-Administration, die sich, wie ich finde, deutlich von der Politik der Enthaltsamkeit der Reagan- und Bush-Administration unterschied.Wir begrüßen den erfolgreichen Abschluß der seit 1990 vom UN-Generalsekretär durchgeführten Konsultationen zur Lösung der Tiefseebergbauproblematik. Der aus dem sogenannten „Boat Paper" hervorgegangene Entwurf eines Übereinkommens zur Durchführung des Teiles XI des Seerechtsübereinkommens wird der UN-Generalversammlung am 29. Juli 1994 — darauf wurde hingewiesen — zur Verabschiedung vorgelegt werden. Wir hoffen, daß er auch verabschiedet wird.Daß wir nun über diese Regierungsvorlage sprechen können, freut mich um so mehr, als wir bereits im Dezember letzten Jahres mit einem eigenen Antrag die Bundesregierung zur Einleitung des Beitrittverfahrens aufgefordert haben.Angesichts der weitreichenden Entschärfung der strittigen Fragen wäre der Verlust des Seegerichtshofs allerdings eine politische Blamage ersten Ranges gewesen. Man kann darüber spekulieren, ob es eingetreten wäre oder nicht.Im Hinblick darauf, daß das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen jetzt endlich von breiter Akzeptanz getragen in Kraft treten kann, möchte ich zwei Aspekte besonders hervorheben, die uns hier sehr interessieren: den Umweltschutz und den Internationalen Seegerichtshof.Der Umweltschutzteil des SRÜ leistet einen wesentlichen Beitrag zur Internationalisierung und wirklichen Globalisierung des Umweltschutzes. Der Schutz der Ozeane ist ein globales Anliegen, das in enger Wechselbeziehung zu dem zweiten großen internationalen Auftrag, dem Klimaschutz, steht. Die Weltmeere sind Klimapuffer ersten Ranges und verschaffen uns einen vielleicht letzten Aufschub zur Korrek-
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Dietmar Schütztur unserer klimabedrohenden, umweltvernichtenden Wirtschaftsweise. Ihre Bedeutung für die Ernährung einer ungebremst wachsenden Weltbevölkerung nimmt ständig zu. In ihrer Funktion als Transportwege sind sie unersetzbar.Mit dem SRÜ wurde zum erstenmal — gut zehn Jahre vor dem Rio-Gipfel — ein umfassendes Vertragswerk geschaffen, das gerade auch zu diesem Teil ausführlich Stellung nimmt und versucht, den Umweltteil der Ozeane mit abzusichern. Ich finde, die Verhandlungen zum Seerecht zeigen, wie man die Umweltbemühungen konkret in internationale Formen gießen kann. Vielleicht mündet auch die RioVerhandlung in ein solches Vertragswerk. Ich würde das begrüßen.
Genauso wichtig ist es, daß wir es schaffen, den Internationalen Seegerichtshof nach Hamburg zu bekommen. Wir werden damit das erste Mal auf deutschem Boden eine derartige Institution haben und kommen damit — man kann es nicht deutlich genug betonen — endlich auch zu einer Konstruktion des Völkerrechts, das sich dem friedlichen Ausgleich gerade im Bereich der Ozeane widmet. Die beiden von mir zuletzt angesprochenen Aspekte legen es uns nahe, hier nachhaltig zuzustimmen. Die SPD begrüßt deshalb das vorgelegte Vertragsgesetz und wird ihm zustimmen.Ich danke Ihnen.
Nächster Redner ist jetzt unser Kollege Manfred Richter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 16. November dieses Jahres, ein Jahr nach der 60. Ratifikation, tritt das VN-Seerechtsübereinkommen in Kraft. Mit dem vorliegenden Vertragsgesetz zum Seerechtsübereinkommen schaffen wir die Voraussetzungen dafür, daß, wie in der Konvention vorgesehen, die Bundesrepublik Deutschland Sitz des neu zu schaffenden Internationalen Seegerichtshofs wird. In der Freien und Hansestadt Hamburg wird damit die erste UNO-Institution, die in Deutschland angesiedelt wird, ihren Sitz bekommen.
Über viele Jahre ist streitig über den Wert oder Unwert des Seerechtsübereinkommens verhandelt worden. Dabei bezog sich die Kritik auf einen einzigen Teil, der allerdings von großer Wichtigkeit ist. Der Teil XI des Seerechtsübereinkommens, der den Tiefseebergbau betrifft, war unter allen Industrienationen kritisiert worden. Es war dieser Teil XI, der dazu geführt hat, daß bis zum heutigen Tage, wenn man einmal Island mit seiner besonderen Interessenlage ausnimmt, keine Industrieländer dem Abkommen beigetreten sind.
Der Generalsekretär der Vereinten Nationen hat es auf sich genommen, in schwierigen informellen Konsultationen eine Übereinkunft zu erreichen, die allgemein akzeptierbar ist. Die schwerwiegenden ordnungspolitischen Bedenken der Industrieländer
konnten so ausgeräumt werden. Damit ist der Weg frei, endlich zu einem Seerechtsübereinkommen zu gelangen, das allgemein akzeptiert wird.
Bei der kontroversen Diskussion über Teil XI ist über einen langen Zeitraum die Tatsache in den Hintergrund geraten, daß die übrigen Teile des Seerechtsübereinkommens von großem Nutzen gerade für einen Staat wie die Bundesrepublik Deutschland sind. Wir sind nun einmal ein Staat mit einer relativ kurzen Küste, haben aber, auch auf Grund unserer spezifischen Außenwirtschaftsaktivitäten, erhebliche maritime Interessen, die wir nicht über eine sogenannte Kanonenbootdiplomatie durchsetzen können und wollen.
Die Seerechtskonvention hat weitreichende Bedeutung für die Freiheit der Schiffahrt und für den Schutz der Meeresumwelt. Einen entscheidenden Beitrag wird hierzu die Einrichtung des Internationalen Seegerichtshofs bieten, der neben dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag verbindliche Streitentscheidungen treffen kann. Die Küstenstaaten erhalten Schutzrechte. Sie dürfen aber die friedliche Durchfahrt durch das Küstenmeer nicht behindern. Passagerechte in Archipelen werden normiert, ebenso Rechte und Pflichten anderer Staaten in einer ausländischen Wirtschaftszone, die sich nicht weiter als 200 Seemeilen von den Basislinien erstrecken darf. Nicht zuletzt wird die internationale Zusammenarbeit bei der wissenschaftlichen Meeresforschung gefördert.
Was lange währt, wird endlich gut, möchte man am Schluß dieser mühsamen Beratungen sagen. Die Bundesrepublik hat jedenfalls in den Konsultationsrunden, aber auch vorher über viele Jahre bei den Tagungen der Vorbereitungskommission einen konstruktiven Beitrag dazu geleistet, daß wir heute ein Ergebnis vorweisen können, das auch unserem Anspruch als marktwirtschaftlich orientiertem Staat mit maritimen Interessen gerecht wird.
Ich glaube, es ist die richtige Stunde, jetzt auch einmal Dank zu sagen an die beteiligten Ministerialbeamten, deren wertvolle, engagierte und geduldige Arbeit manches vorschnelle Vorurteil über Deutschlands öffentlichen Dienst Lügen straft.
Ich möchte auch meinen wenigen Kollegen aus allen Fraktionen des Hauses danken, die über viele Jahre manche Konferenzstunde in der Vorbereitungskommission verbrachten und die sich heute mit mir über das erreichte Ergebnis freuen dürfen.
Vielen Dank.
Ich erteile jetzt dem Herrn Staatsminister im Auswärtigen Amt, unserem Kollegen Helmut Schäfer, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach zehn Jahren Verhandlungen von 1973 bis 1982 auf der
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Staatsminister Helmut SchäferDritten UN-Seerechtskonferenz — das ist schon ausgeführt worden —, nach elf Jahren Sitzungen der Vorbereitungskommission für die im Übereinkommen vorgesehenen Institutionen, darunter der Internationale Seegerichtshof Hamburg, und nach vier Jahren Konsultationen des UN-Generalsekretärs zur Lösung der Tiefseebergbauproblematik und nach zahlreichen Erörterungen der Thematik in verschiedenen politischen Gremien bedeutet der vor uns liegende Gesetzentwurf den deutschen Beitritt zum UN-Seerechtsübereinkommen und damit auch die Errichtung des Internationalen Seegerichtshofs in Hamburg.Es ist zu Recht ausgeführt worden, daß das umstrittene Kapitel des Seerechtsübereinkommens, das den künftigen Tiefseebergbau regeln wird, geändert werden konnte. Es ist, wie Sie wissen, inzwischen das erreicht worden, was seitens der Industrieländer lange kritisiert worden war, wobei insbesondere neue Bürokratien befürchtet worden waren, auch Abgabelasten, Abbaubeschränkungen, Behördenunternehmen usw.Nachdem das nun geschehen ist und diese wirtschafts- und finanzpolitischen Bedenken beiseite geräumt sind, aus der Sicht der Bundesregierung ebenso wie aus der der Industrieländer, kann nun nach den vierjährigen Konsultationen des UN-Generalsekretärs — das ist schon gesagt worden —, die am 3. Juni 1994 formell für beendet erklärt wurden, der Text angenommen werden.Das Übereinkommen soll in der letzten Juliwoche von der UN-Generalversammlung angenommen und am 29. Juli zur Zeichnung aufgelegt werden. Die Vorbereitung für diese Zeichnung durch die Bundesregierung an diesem Tag sind auf gutem Weg, auch die Zeichnung durch die Partnerstaaten in der EU. Eine große Mehrzahl von ihnen wird voraussichtlich auch am 29. Juli zeichnen. Außerdem sind die Vorarbeiten für die zügige Ratifikation bzw. den Beitritt zum Seerechtsübereinkommen samt Durchführungsübereinkommen angelaufen. Der Weg für eine universelle Akzeptanz des bislang umfangreichsten und bedeutendsten Vertragswerks der Vereinten Nationen ist damit frei.Ich möchte hier nochmals die drei Aspekte herausstellen, auf die sich das deutsche Interesse an einem möglichst universellen Inkrafttreten des Seerechtsübereinkommens gründet: Erstens. Als umfassende Ordnung für den Meeresraum, d. h. für über zwei Drittel der Erdoberfläche, schafft das Seerechtsübereinkommen eine solide Grundlage für weltweiten friedlichen Interessenausgleich bei den verschiedenen Meeresnutzungen, also Schiffahrt, Überflug, Fischerei, Meeresbergbau, Meeresforschung. Zweitens. Es verbessert die rechtlichen Voraussetzungen für einen wirksamen Schutz der Meeresumwelt. Drittens. Es begründet ein umfassendes System friedlicher Streitbeilegung, das in dem in Hamburg anzusiedelnden Internationalen Seegerichtshof gipfelt.Mit dem Seegerichtshof wird erstmals eine bedeutende Institution der Vereinten Nationen nach Deutschland kommen. Man kann Hamburg dazu gratulieren, daß sie in dieser bedeutenden Stadt ihren Platz finden wird.
Dies unterstreicht die über das Seerecht hinausreichende UN-politische Bedeutung des deutschen Beitritts zum Seerechtsübereinkommen, der sich als weiteres positives Element in das deutsche UN-Engagement einfügt.Lassen Sie mich abschließend einen Dank der Bundesregierung — nach dem Dank an unsere Beamten — zum Ausdruck bringen, nämlich an das Parlament, an die Mitglieder der Fraktionen, die in den letzten Jahren kontinuierlich mitgearbeitet haben, auch bei den Verhandlungen auf der Seerechtskonferenz, bei den Arbeiten der Vorbereitungskommission — Herr Richter ist gerade zu einer wichtigen kabarettistischen Veranstaltung gegangen, aber er verdient hier das Lob ganz besonders — und schließlich bei den Konsultationen zum Durchführungsübereinkommen.Ich darf zum Schluß sagen: Der Dank der Bundesregierung schließt auch die Anerkennung der besonderen Eilbedürftigkeit der parlamentarischen Behandlung des Beitrittsgesetzes durch Bundestag und Bundesrat ein. Auf diese Weise wird es möglich sein, das Beitrittsverfahren noch in dieser Legislaturperiode und damit vor Inkrafttreten des Seerechtsübereinkommens am 16. November dieses Jahres abzuschließen.Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen zu diesem Tagesordnungspunkt liegen nicht vor. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 12/7829 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Nun rufe ich Tagesordnungspunkt 5 auf:— Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Umweltschutzprotokoll vom 4. Oktober 1991 zum AntarktisVertrag— Drucksache 12/7490 —
— Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausführung des Umweltschutzprotokolls vom 4. Oktober 1991 zum AntarktisVertrag
— Drucksachen 12/7491, 12/7816 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses
— Drucksache 12/7904 —Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Dietrich Mahlo Karsten D. Voigt Ulrich Irmer
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Vizepräsident Helmuth BeckerInterfraktionell war an sich vereinbart worden, eine Debatte von einer halben Stunde zu führen. Nun gibt es aber eine Reihe von Wünschen, die Reden zu Protokoll zu geben.*) Aber das kann nicht jeder, weil nicht jeder eine vorbereitete Rede hat. Nun müssen wir hier Übereinstimmung herstellen. Von der SPD-Fraktion wird zu Protokoll gegeben. Von der CDU/ CSU-Fraktion wird zu Protokoll gegeben. Bei der F.D.P.-Fraktion geht das nicht; darauf kommen wir gleich noch zurück. Von der Gruppe PDS/Linke Liste gibt es keinen Diskussionsbeitrag. Vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gibt es zu diesem Punkt auch keinen Diskussionsbeitrag.Sind Sie alle damit einverstanden, daß die beiden Reden von SPD und CDU/CSU und ebenso die Rede des Herrn Staatsministers zu Protokoll gegeben werden, daß wir aber, damit wir mit dem Protokoll zurechtkommen, Herrn Kollegen Irmer gestatten, daß er ein paar Ausführungen macht? Gibt es Widerspruch dazu? — Nein. Bitte, Kollege Irmer.
Herr Präsident, vielen Dank. Damit von Anfang an klar ist, daß das eine Kurzdarstellung wird, spreche ich gleich vom Platz aus. Es ist immer mißlich, wenn die Kollegen vorschlagen, Reden zu Protokoll zu geben, und man hat keine. Man erscheint dann als Spielverderber.
Ich halte jetzt die kürzeste Rede, die ich in diesem Hause je gehalten habe: Wir Freien Demokraten stimmen beiden Gesetzentwürfen mit Begeisterung zu.
Herr Kollege Irmer, vielen Dank für diese hilfreiche Aktion; so kann ich das mal sagen.Wir bleiben zunächst bei diesem Tagesordnungspunkt. Wir müssen dann noch etwas korrigieren.Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zum Antarktis-Vertrag — Drucksache 12/7490. Der Auswärtige Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/7904 unter Buchstabe a, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Stimmenthaltungen? — Bei Stimmenthaltung der Gruppe PDS/Linke Liste ist dieser Gesetzentwurf angenommen.Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Umweltschutzprotokoll-Ausführungsgesetzes. Das sind die Drucksachen 12/7491 und 12/7816. Der Auswärtige Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/7904 unter Buchstabe b Zustimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der Gruppe PDS/Linke*) Anlage 3Liste ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen.Wir kommen zurdritten Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Mit dem gleichen Stimmenverhältnis ist der Gesetzentwurf angenommen.Nun müssen wir noch einmal, liebe Kolleginnen und Kollegen, auf den vorherigen Tagesordnungspunkt zurückkommen. Das war die Frage der Überweisung an die Ausschüsse. Da ist offenbar ein Fehler passiert, denn das Seerechtsübereinkommen sollte auch an zwei weitere Ausschüsse überwiesen werden, und zwar sind das, Herr Kollege Dietmar Schütz, die beiden Ausschüsse — —
— Nur der Umweltausschuß ist vorgesehen. — Sind wir übereinstimmend der Meinung, daß auch der Wirtschaftsausschuß mitberatend sein soll? Das bietet sich eigentlich an. — Einverständnis? — Dann ist das so beschlossen.Nunmehr rufe ich den Tagesordnungspunkt 24 a und b auf:a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Vera Wollenberger, Gerd Poppe, Werner Schulz (Berlin), weiterer Abgeordneter und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENFür eine Zivilisierung internationaler Beziehungen — Politik nicht-militärischer Konfliktlösung— Drucksachen 12/3014, 12/7559 —Berichterstattung:Abgeordnete Karl Lamers Freimut DuveDr. Olaf FeldmannGerd Poppeb) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses
zu dem Antrag der Abgeordneten Vera Wollenberger und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENNichtmilitärische Unterstützung der Vereinten Nationenzu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Hans Modrow, Andrea Lederer, Dr. Ruth Fuchs, weiterer Abgeordneter und der Gurppe der PDS/ Linke ListeReform der Vereinten Nationenzu dem Antrag der Abgeordneten Gerd Poppe, Werner Schulz , Dr. Wolfgang Ullmann, Vera Wollenberger und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENAufwertung und Demokratisierung der Vereinten Nationen
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20252 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1994
Vizepräsident Helmuth Becker— Drucksachen 12/3779, 12/4568, 12/5728, 12/...—Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Christian Ruck Dr. Eberhard BrechtUlrich IrmerDr. Hans ModrowGerd PoppeNach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die gemeinsame Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10 Minuten erhalten soll. — Ich höre und sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Poppe das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Je höher in letzter Zeit die Erwartungen an die UN als Instanz für die Lösung internationaler Probleme und Konflikte geschraubt wurden, um so weniger konnte sie diese erfüllen. Da die Vereinten Nationen nur Entscheidungen treffen können, die sich am politischen Willen ihrer einflußreichsten Mitgliedstaaten orientieren, ist ihre Handlungsfähigkeit bis heute durch die Möglichkeit der Supermächte und der anderen Staaten mit Veto-Recht eingeschränkt, Entscheidungen zu blokkieren.Viele Mitgliedstaaten — gerade auch die privilegierten — stellen ihre nationalen Interessen immer noch über die der Weltgemeinschaft. Die Behandlung von Konflikten erfolgt meist zu spät, nämlich dann, wenn sie unter Anwendung militärischer Gewalt offen ausgebrochen sind. In diesen Fällen erwecken die Vereinten Nationen vor der Öffentlichkeit mitunter den Eindruck, als wären sie vom Ausbruch der Gewalt völlig überrascht worden. Für die Konfliktbewältigung werden dann häufig nur militärische Optionen in Erwägung gezogen. All das führt zu einem Mangel an Akzeptanz, zur öffentlichen Abwertung der UN.Angesichts der brisanten Lage in vielen Teilen der Welt, von nationalen Konflikten, der Unterdrückung von Minderheiten und von schwersten Menschenrechtsverletzungen ist aber das Gegenteil nötig. Eine national orientierte Politik ist immer weniger zur Lösung dieser Art von Problemen geeignet. Nur Systeme kollektiver Sicherheit sind in der Lage, Konflikte zu behandeln, die durch die Nationalstaaten nicht mehr beherrschbar sind. Erforderlich ist also die Aufwertung der Vereinten Nationen auf der Grundlage einer umfassenden Reform.Die Bundesregierung und die Koalitionsparteien sehen bis heute die Reform der UN vor allem unter einem Aspekt: Ihr Interesse besteht an einer von ihnen so genannten Normalisierung der politischen und rechtlichen Stellung des vereinten Deutschlands. Daraus wird der Anspruch an die UN abgeleitet, in den Kreis der privilegierten Staaten aufgenommen zu werden, der bisher in erster Linie aus den Siegermächten des Zweiten Weltkrieges bestand. Die gegenwärtige Struktur der UN soll dagegen kaum angetastet werden.Das halten wir für den falschen Weg. Dabei unterstelle ich, daß zwischen uns Einigkeit in dem Punkt besteht, daß eine Stärkung der UN zur Lösung der heutigen Probleme alternativlos ist und daß diese Stärkung erst nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation möglich geworden ist.Dazu ist aber nicht eine Fortschreibung überholter Strukturen, sondern ihre Überwindung notwendig. Die Akzeptanz der UN durch ihre Mitgliedstaaten und die Wirksamkeit ihrer Mittel müssen erhöht werden. Dazu aber bedarf es einer Demokratisierung der UN, insbesondere der Demokratisierung des Sicherheitsrates. Statt für Deutschland das gleiche Recht zu verlangen wie für Frankreich oder Großbritannien, sollte sich die Bundesrepublik für eine Einigung innerhalb der Europäischen Union über ein Verfahren zur gemeinsamen Vertretung im Sicherheitsrat einsetzen.Wer im Rahmen der Europäischen Union eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik vertraglich vereinbart hat, sollte nicht seinen eigenen Anspruch auf der Ebene der UN Lügen strafen. Mit einer solchen Initiative, gedeckt durch das politische und ökonomische Gewicht der Bundesrepublik, wäre einer zeitgemäßen Sicht auf die UN jedenfalls angemessen Ausdruck zu verleihen; Deutschland könnte so eine Vorreiterrolle für die Demokratisierung der UN einnehmen. Gerade weil Deutschlands Haltung von so großem Gewicht ist, droht andernfalls das bloße Beharren auf einem ständigen Platz im Sicherheitsrat zum Zeichen für eine verpaßte Chance zu werden.Eine Schlüsselstellung kommt in diesem Zusammenhang der Konfliktvermeidung, -schlichtung und -bewältigung zu, wozu kürzlich eine sehr aufschlußreiche Anhörung des Auswärtigen Ausschusses stattgefunden hat. Der traditionelle Zugang — das äußert sich auch in der Praxis der UN — verengt diesen Problemkreis allzuoft auf militärische Konflikte und auf gelegentliche Versuche zu deren gewaltsamer Beendigung. Es geht deshalb um einen anderen Ansatz, um eine grundsätzliche Wende im Umgang mit Krisen und Krisenherden.Zur Behandlung der Wurzeln statt der Symptome von Krisen gehört nicht zuletzt das Teilen des Reichtums. Nicht zufällig hat einer der Sachverständigen bei der erwähnten Anhörung in diesem Zusammenhang den Begriff der „Mini-Marshallpläne" verwendet, die für Krisenregionen wie in Afrika aufgestellt und realisiert werden sollten.Instrumente wie dieses wären einzuordnen in das Konzept einer Hilfe zur eigenständigen ökonomisch und ökologisch orientierten Entwicklung des Südens. Eine dafür geeignete Institution im Rahmen der UN wäre der Wirtschafts- und Sozialrat ECOSOC, dessen jetzige Verfaßtheit und Stellung dafür allerdings nicht genügen. Auch sie sind Ausdruck der traditionellen Prioritäten innerhalb der UN. Der ECOSOC müßte ebenfalls demokratisiert und vor allem aufgewertet werden. Seine Aufgabe und die seiner Entwicklungs- und Umweltprogramme sind nicht weniger wichtig als die des Sicherheitsrates, und entsprechend sollte seine Einordnung in die Struktur der Vereinten Nationen gestaltet werden.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1994 20253
Gerd PoppeGewaltfreie Konfliktbehandlung ist nach Meinung von Experten — wie dies auch in der Ausschußanhörung deutlich wurde — nicht in erster Linie eine Frage der finanziellen oder technischen Möglichkeiten, sondern eine des politischen Willens. Solange allerdings — zugegebenermaßen nicht nur in Deutschland — nationale Interessen und deren kurzsichtige Auslegung das Verhältnis dazu bestimmen, wird dem Problem nicht beizukommen sein.Es geht vielmehr um die Einsicht, daß wichtiger als die Vorbereitung auf eventuelle Kriege deren Vermeidung durch die Bekämpfung ihrer möglichen Ursachen ist. Ursachenerkennung, dafür zu installierende Informationsmechanismen und gerade auch auf sich anbahnende ökonomische und ökologische Krisen gerichtete Frühwarnsysteme sind bei den UN selbst und hierzulande im Bereich von Auswärtigem Amt und Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit dafür notwendig.Nichtregierungsorganisationen müssen mit ihren Kompetenzen und Erfahrungen dafür hinzugezogen werden. Auf Grund ihrer Strukturen und Kenntnisse vor Ort haben sie oft andere und bessere Möglichkeiten als die offiziellen Institutionen. Ich möchte das betonen, weil immer noch viele Institutionen zur Geringschätzung oder gar Ablehnung der Nichtregierungsorganisationen neigen.Entscheidend — diese Auffassung vertraten die Sachverständigen in der genannten Anhörung übereinstimmend — ist nicht der Mangel an Information über die Konfliktpotentiale. Fast immer sind sie lange vor dem Ausbruch gewaltsamer Auseinandersetzungen erkannt worden. Entscheidend ist die schnelle Umsetzung in koordiniertes politisches Handeln der Völkergemeinschaft. Dies muß vor allem durch die Reform der UN ermöglicht werden.Eine Reihe von Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen wie Australien, Kanada oder die skandinavischen Länder entwickelten bereits vorbildliche Initiativen zur Bewältigung der Ursachen gewaltträchtiger Konflikte. Eine bedeutende Rolle spielt dabei die präventive Diplomatie. Gerade so wichtige Staaten wie Japan und Deutschland könnten zur Stärkung dieser Art von Krisenmanagement wesentlich beitragen. So wäre es möglich, Alternativen gegenüber den oftmals noch heute nach nationalen Interessen handelnden traditionellen UN-Großmächten zu entwickeln.Konfliktbewältigung im weitesten Sinne ist eine der Hauptaufgaben der Vereinten Nationen. Sie müssen sich auf die Konfliktvermeidung, die frühzeitige Erkennung und Eindämmung von Krisen und ihre Beilegung, die auch mit Sanktionen verbunden sein kann, konzentrieren. Nicht zuletzt gehört dazu die Unterstützung bei der Herstellung von stabilen friedlichen Verhältnissen in den betroffenen Staaten, wie sie z. B. im Moment mit Erfolg von UNOSAL in El Salvador praktiziert wird.Deshalb bleibt die Diskussion über eine deutsche Beteiligung an friedenserhaltenden Maßnahmen oder gar an friedensschaffenden Maßnahmen so lange nicht konstruktiv, wie sie auf militärische Einsätze reduziert wird. Wir lehnen Vorstellungen über Outof-area-Einsätze der NATO unter deutscher Beteiligung, wie sie im Gespräch sind, ab. Wir meinen, es muß vor allem um die Ausbildung und Zurverfügungstellung ziviler Kontingente für die Konfliktbewältigung im Rahmen der UN gehen.Blauhelme, die ausschließlich für friedenserhaltende Aufgaben gedacht sind, halten wir für möglich. Aber man kann Frieden nur dort erhalten, wo noch nicht oder wo nicht mehr geschossen wird. Deshalb müssen die der UNO unterstellten Blauhelm-Kontingente entsprechend in der UNO-Charta definiert werden, was bisher nicht der Fall ist. Auch dies ist eine Forderung aus unserem Antrag. Solange diese Forderung nicht realisiert ist, muß Deutschland selber eine entsprechende Definition in sein Grundgesetz aufnehmen; denn erst diese Voraussetzung ermöglicht einen fallweise zu entscheidenden Einsatz deutscher Blauhelme.Demgegenüber ist die phantasielose Vorstellung, deutsche Interessen seien im Zweifelsfall militärisch und unabhängig von den Vereinten Nationen durchsetzbar, nicht nur gefährlich.
— Die Auffassung, daß man eine solche Regelung, wie sie mit den Blauhelmen der Vereinten Nationen möglich ist, auch auf den Bereich der NATO ausdehnen kann, tendiert genau in diese Richtung. — Sie führt vielmehr zu einer Wiederauflage des Gedankens von einem deutschen Sonderweg. Wir halten diese Diskussion, soweit sie außerhalb des Bereichs der Vereinten Nationen geführt wird, für kontraproduktiv im Sinne einer international zu legitimierenden Form des Umgangs mit den Krisen in dieser Welt.
Meine Damen und Herren, nächster Redner ist unser Kollege Dr. Christian Ruck.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die vorliegenden Anträge von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS zur Politik der Vereinten Nationen geben uns noch einmal Gelegenheit, die unterschiedlichen Standpunkte herauszustreichen.Mit großer, zum Teil überwältigender Mehrheit hat der Deutsche Bundestag im Herbst des vergangenen Jahres zwei Anträge der Koalitionsfraktionen zur Reform der Vereinten Nationen und der zukünftigen deutschen Rolle im UN-System verabschiedet. Herr Poppe, ich möchte dabei in Erinnerung rufen, was auch der UNO-Generalsekretär Boutros-Ghali ausdrücklich anerkannt hat, nämlich daß im Mittelpunkt auch unserer Anträge nicht etwa die Out-of-areaEinsätze stehen, sondern Vorstellungen zur Verbesserung der nichtmilitärischen Aktionsbereiche der Vereinten Nationen, insbesondere die bessere Durchsetzung der Menschenrechte, eine bessere Konfliktfrüherkennung, eine effizientere globale Umweltpolitik und eine schlagkräftige internationale Entwicklungspolitik.
Ich hoffe, Herr Poppe, Sie haben unsere Anträge genauso gelesen wie wir die Ihren. Eine klare Absage
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20254 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1994
Dr. Christian Ruckerteilen wir noch einmal auch Ihrer Forderung und der der anderen vorliegenden Anträge nach einer Rundum-Demokratisierung der Vereinten Nationen zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Denn zur Zeit kann ich einfach nicht beides haben — wir haben das im außenpolitischen Ausschuß heute noch einmal diskutiert —: eine höhere Effizienz der Vereinten Nationen und das Prinzip „Ein Land, eine Stimme" . Schon jetzt dauern die Abstimmungsprozesse bei den Vereinten Nationen und bei all ihren Gremien doch viel zu lange — Sie haben das ja auch selber gesagt —, um im Notfall oder zur Verhinderung eines Notfalls erfolgreich eingreifen zu können.Eine Demokratisierung der Vereinten Nationen an Haupt und Gliedern würde die Weltorganisation endgültig lahmlegen. Sie würde sogar zu höchst undemokratischen Zuständen führen, wenn nämlich alle Mobutus, Bokassas und Pol Pots dann die gleichen Rechte erhielten wie die Vertreter demokratisch gewählter Regierungen, wobei letztere dann schnell in eine Minderheitenposition der Demokraten kämen und sich das nicht lange gefallen ließen.
Letztendlich wäre dann das Ende der Vereinten Nationen eingeläutet.Ich plädiere statt dessen — auch das steht ja in den Anträgen — für eine vorsichtige Öffnung des Sicherheitsrates, auch für einige Entwicklungsländer, und zwar ausgewählt von den Entwicklungsländern selbst. Zu den näheren Umständen, etwa einer Modifizierung des Vetorechts, haben wir ebenfalls konkrete Vorstellungen ausgesprochen.Was für die Vereinten Nationen im eigentlichen Sinne gilt, trifft auch auf die in den Anträgen erwähnte Weltbank zu: Kritik an ihr ist berechtigt, und wir müssen ihr strenger — auch als drittgrößter Beitragszahler — auf die Finger sehen. Vor allem geht es nicht an, daß wir etwa die Umwelt- und Entwicklungspolitik der Vereinten Nationen zu straffen und zu koordinieren suchen, wenn die in wesentlichen Teilen effizientere Weltbank konzeptionell in eine ganz andere Richtung marschiert. Dennoch gilt auch hier: Die von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN geforderte Demokratisierung wäre schnell das Ende einer Einrichtung, die wir trotz aller Mängel dringend brauchen.Das Ende des Ost-West-Konflikts hat die UNO überraschenderweise in eine schwere Krise gestürzt. Nach jahrzehntelangem Alibidasein hat sie nun plötzlich wieder eine echte Existenzberechtigung, aber keine entsprechende Ausstattung, und zwar weder finanziell noch administrativ oder politisch, bekommen. Die Euphorie, mit der die Welt jetzt all ihre Konflikte via UNO rasch lösen zu können glaubte, ist verflogen. Aber es wäre falsch, nun in Resignation zu verfallen. Dazu besteht nämlich ebensowenig Anlaß.Boutros-Ghali hat erste Erfolge bei der Straffung seiner Verwaltung. Die konzeptionelle und programmatische Arbeit der Vereinten Nationen hinterläßt unverkennbare Spuren — ich nenne die Agenda für den Frieden, den Umweltgipfel in Rio —; Fortschritte gibt es auch bei der Verzahnung internationaler Institutionen, und zwar z. B. durch die globaleUmweltfazilität, oder bei der Einrichtung neuer internationaler Gerichtshöfe. Der Druck auf reformunwillige Nationalregierungen — das ist zumindest meine Meinung — steigt von innen und von außen, und Widerstand dagegen erscheint mir immer öfter eher hinhaltender als grundsätzlicher Natur zu sein.Schließlich besteht die neue UNO-Bilanz ja auch nicht nur aus Katastrophen wie in Ex-Jugoslawien oder in Ruanda, sondern auch aus den Erfolgen, Herr Poppe, in El Salvador, in Kambodscha und bisher in Mazedonien, und oft lagen Mißerfolg und Erfolg, wie in Somalia, dicht beieinander.Wichtig ist, glaube ich, daß wir uns an dem Aufholprozeß an Lehrstunden, den die Weltgemeinschaft durchleidet, aktiv beteiligen. Sehr aufschlußreich dazu war in der Tat die öffentliche Anhörung über Möglichkeiten und Grenzen nichtmilitärischer Konfliktlösungen vor einigen Wochen im Wasserwerk. Die vielen nützlichen und vertiefenden Anregungen geben genügend Stoff für neue Initiativen des Bundestages auch in der nächsten Legislaturperiode.Einen wichtigen Punkt, der dort ganz deutlich zur Sprache gekommen ist, möchte ich hier herausgreifen. Diesen Punkt haben Sie, Herr Poppe, unter den Tisch fallen lassen, weil dieser für ihre Haltung natürlich unbequem ist. Die Mehrheit der Sachverständigen war nämlich der Überzeugung, daß nichtmilitärische, vorbeugende Politik gegenüber entschlossenen Aggressoren nur dann greift, wenn die Völkergemeinschaft auch mit einer glaubwürdigen Abschreckung und Bestrafung, notfalls mit militärischen Mitteln, drohen kann, wenn politische Verbrecher mit einem notfalls nahtlosen Übergang von Kapitel VI zu Kapitel VII der UNO-Charta rechnen müssen.Nach meiner Überzeugung sind die Katastrophen im ehemaligen Jugoslawien und in Ruanda auch und vor allem dieser mangelnden Abschreckung zuzuschreiben. Weitere solcher Katastrophen werden folgen, wenn die Vereinten Nationen und wir mit ihnen hieraus nicht Konsequenzen ziehen.Deswegen möchte ich für die Koalitionsfraktionen nochmals bekräftigen: Das wiedervereinigte Deutschland muß bald in der Lage sein, einen Teil dieser Abschreckung mitzutragen, und es muß bereit sein, sich im Einzelfall, wenn alle Maßnahmen der friedlichen Streitbeilegung ausgeschöpft sind, nach einem Beschluß des Bundestages an UN-Maßnahmen auch nach Kapitel VII der UNO-Charta zu beteiligen.Wenn wir bereit sind, Verantwortung auch bei so schwierigen Entscheidungen mitzutragen, ist es nur konsequent, als eine der wichtigsten westlichen Industrienationen mehr Einfluß auf die Beschlüsse der UNO — Herr Poppe, auch auf das Ob und Wie von friedensschaffenden Einsätzen — zu gewinnen. Von einer Privilegierung zu sprechen, wie Sie es tun, ist meiner Ansicht nach der falsche Ausdruck für unser Streben nach mehr Verantwortung dort, wo es auch weh tut.Wir im Westen haben mehr als 40 Jahre unter dem Schutz von Verbündeten gelebt, und wir haben gut dabei gelebt. Diese Verbündeten verlangen — meiner Ansicht nach auch zu Recht —, daß wir nun unseren
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Dr. Christian RuckTeil zur Friedensbewältigung, Friedenssicherung und Friedensschaffung, unter Umständen auch in anderen Teilen der Welt, beitragen. Deswegen ist und bleibt es auch in Zukunft fester Bestandteil unserer UN-Politik, daß wir bei einer Erweiterung des Sicherheitsrates einen ständigen Sitz dort anstreben, wenn ein gemeinsamer europäischer Sitz nicht durchsetzbar ist.Ich greife noch einmal das auf, Herr Poppe, was Sie uns unterschwellig vorgeworfen haben. Ich erinnere daran, daß ein europäischer Sitz für uns erste Option ist, daß uns das wichtig ist und ausdrücklich in unseren Anträgen steht. Nur ist die Freude — auch bei unseren westlichen Verbündeten, die einen Sitz im Sicherheitsrat haben — darüber, diese europäische Option wahrzunehmen, sehr begrenzt. Dem haben wir Rechnung zu tragen.Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, nun hat unser Kollege Dr. Eberhard Brecht das Wort.
Herr Präsident! Meine — sehr wenigen Damen — und Herren!
Herr Kollege Ruck hat eben schon auf die Situation, der wir uns nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes gegenübersehen, hingewiesen. Wir hatten die Hoffnung auf ein neues Miteinander in der Welt. Wir hatten die Hoffnung, unter der Ägide der Vereinten Nationen einer friedlicheren Epoche der Menschheit entgegenzugehen. Das Gegenteil ist eingetreten: Die Zahl der Konflikte ist sprunghaft gestiegen, und die internationalen Institutionen haben sich als zu schwach erwiesen, um ihnen wirksam entgegenzutreten. Das gilt leider auch für die UNO.Die vorliegenden Anträge von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN insistieren auf die besonders wichtigen nichtmilitärischen Instrumente der Konfliktbewältigung. Über ihren Vorrang gibt es keinen Streit; der Kollege Ruck hat das eben ausgeführt, auch die Charta sieht das vor.Der Generalsekretär Boutros-Ghali hat in der „Agenda für den Frieden" neue, interessante Vorschläge zur Prävention durch die Vereinten Nationen unterbreitet. Dazu gehören der Ausbau vertrauensbildender Maßnahmen, die Verstärkung der Tatsachenermittlung, Verbesserung der Frühwarnung, vorbeugende Einsätze von friedenserhaltenden Kontingenten und schließlich die Schaffung entmilitarisierter Zonen.Was könnte noch darüber hinaus getan werden? Ich denke, es empfiehlt sich, einen Verbund der verschiedenen Institutionen zu installieren, der zur Frühwarnung geeignet ist. Durch die Vernetzung von UN-Institutionen, NGOs und Regionalabmachungen könnte ein globales Alarmsystem zur weltweiten Beobachtung — „global watch" — eingerichtet werden. Boutros-Ghali hat in der Agenda auch die Hoffnung ausgesprochen, daß es entsprechend Kapitel VIII zu einer engeren Kooperation zwischen UNO und Regionalorganisationen, also z. B. der KSZE, kommt.Es wäre auch sinnvoll, die regionalen UNO-Büros in den GUS-Ländern zu Büros für präventive Diplomatie und Konfliktmanagement umzuwandeln. Das käme der Stockholmer Initiative entgegen, die vorgeschlagen hatte, in Schlüsselregionen ständige politische Vertretungen zu errichten.Schließlich — darauf ist Herr Poppe eben auch schon eingegangen — sollte die wichtige präventive Diplomatie als Form der Konfliktvorbeugung genannt werden. Wenn der Generalsekretär mit stiller Diplomatie und guten Diensten aber erfolgreicher sein soll, muß ihm durch die Weltgemeinschaft auch ein ausreichender Handlungsspielraum eingeräumt werden. Leider wachen die meisten Staaten eifersüchtig darüber, daß der Generalsekretär nicht zu selbständig wird. So sind die praktischen Erfahrungen und Ergebnisse der auf Grund einer deutschen Initiative zustandegekommenen Resolution 43/51 vom Dezember 1988, die in diese Richtung geht, äußerst unbefriedigend geblieben.Bei allen konstruktiven Überlegungen möchte ich allerdings eine einschränkende Anmerkung zum Stellenwert der Konfliktvorbeugung machen. So wichtig und dringend nötig der Ausbau entsprechender Institutionen und Instrumente ist: Er sollte auch nicht überschätzt werden. Schon gar nicht geht es an, für präventive Maßnahmen einen Ausschließlichkeitsanspruch zu erheben. Natürlich kann man immer argumentieren, daß nach dem gewaltsamen Ausbruch eines Konflikts vorbeugende Aktivitäten versäumt oder nicht entschieden genug angewandt worden sind. Dies trifft ja auch häufig zu. Jede Form internationaler Gewaltanwendung beruht auf dem Scheitern von Politik. Nur unterstellt diese Argumentation, daß präventive Maßnahmen in jedem Fall greifen, wenn man sie nur rechtzeitig zur Geltung bringt.Dies widerspricht unseren Erfahrungen. Es gibt Politiker, die sich auf diplomatischem Wege nicht überzeugen lassen — auch nicht von dritter Seite wie der UNO —, weil sie glauben, mit gewaltsamen Mitteln schnell und wirksamer an ihre Ziele zu gelangen. In vielen solcher Fälle können friedenserhaltende Maßnahmen doch noch einen Beitrag zur Konflikteindämmung leisten.Damit komme ich zum Antrag der PDS. Vielleicht haben Sie es schon bemerkt: Die PDS polemisiert derzeit auf einem Plakat gegen einen Träger des Friedensnobelpreises, nämlich gegen die BlauhelmSoldaten der UNO. Da gibt es ein Wahlplakat, das einen Blauhelm mit gebrochenem Gewehr abbildet. Das Ganze ist betitelt mit den Worten: „Die Waffen nieder!" Genau dies stellt die Wirklichkeit auf den Kopf. Die Kriegstreiber sitzen nicht am East River, sondern an anderen bekannten Flüssen, z. B. in Europa oder Afrika. Vielleicht können Sie Ihre geographischen Kenntnisse noch einmal reaktivieren.Blauhelm-Soldaten aus vielen Ländern der Welt haben in den letzten Jahrzehnten geholfen, gefährliche Konflikte zu begrenzen, die gegnerischen Parteien an den Verhandlungstisch zu bringen, Waffen-
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20256 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1994
Dr. Eberhard Brechtstillstände oder Wahlen zu kontrollieren, Nothilfetransporte in Krisengebiete zu sichern und vieles andere mehr. Niemand bestreitet, daß es dabei Pannen und Mißerfolge gegeben hat. Aber es ist doch nicht so, daß Blauhelme kampfeslustig in alle Welt marschieren, interventionistisch; vielmehr ist eher das Gegenteil der Fall: Immer wieder werden Peacekeeper in Bosnien-Herzegowina und anderswo angegriffen, und erst nach umständlichen Abstimmungsprozessen wird in einigen Fällen die Erlaubnis zur Gegenwehr erteilt. Diese Zurückhaltung können viele Bürgerinnen und Bürger unseres Landes nur schwer nachvollziehen. Ich denke aber, daß diese restriktive Politik der UNO ein wichtiger Bestandteil der Philosophie der Friedenserhaltung ist.Im PDS-Antrag wird unter Punkt 5 der Anlage eine Verankerung der friedenserhaltenden Einsätze der UNO-Blauhelme im Kapitel VI der Charta eingeklagt; auf ihren Plakaten fordert sie gleichzeitig, daß Blauhelme ihren Dienst ohne Waffe zu versehen hätten. — Anders kann ich es nicht interpretieren.
— Sie haben natürlich gleich noch die Möglichkeit, das zu interpretieren.
Ich frage die PDS: Reichen der PDS nicht die ca. 900 toten jungen Männer aus aller Welt, die zu einem erheblichen Teil Opfer marodierender Truppenteile einer der jeweiligen Konfliktparteien wurden? Will die PDS allen Ernstes Peacekeeper in Krisenregionen entsenden, ohne ihnen ein Minimum an Selbstverteidigungskapzität zu gewähren?Die PDS versteht ihre aggressive Kampagne gegen die Blauhelme als Anwaltschaft für den Frieden. Doch ich frage mich: Wer ist ihr Mandant? Die erdrückende Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes jedenfalls befürwortet Blauhelm-Aktionen der UNO prinzipiell, und auch in der Generalversammlung, in der die Länder der Dritten Welt die Mehrheit darstellen, würde die Attacke der PDS nur Unverständnis hervorrufen. Für wen und mit wem will die PDS ihre Friedenspolitik betreiben? Der isolationistische Kurs der PDS wird jedenfalls von der SPD-Bundestagsfraktion abgelehnt.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit, auch für Ihre, Frau Lederer.
Unser nächster Redner ist der Kollege Ulrich Irmer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß mich immer wieder wundern, daß es Menschen gibt, die sich die Windmühlen erst aufbauen müssen, gegen die sie dann zu Felde ziehen.
Herr Poppe, Sie und auch Ihre Partei schaffen es jedesmal wieder, einen sehr eindrucksvollen Spagat
zwischen dem Lamento über die Schlechtigkeit der Welt und den Traumgebilden von Lösungsansätzen hinzulegen, die nur funktionieren könnten, wenn die Welt wirklich gut wäre.
Herr Poppe, Sie haben hier in Ihrem Antrag geschrieben:
Die Gefahr ist groß, daß ... der Sicherheitsrat — und damit die VN insgesamt — sich immer mehr zum Instrument westlicher Hegemonialinteressen gegenüber den Staaten des Südens entwickelt. Der zweite Golfkrieg, die Sanktionierung Libyens durch den Sicherheitsrat und der VN-Einsatz in Somalia zeigen, in welche Richtung diese Entwicklung geht.
Wollen Sie ernsthaft behaupten, daß der Einsatz in Somalia ein Ausdruck des Instrumentes westlicher Hegemonialinteressen gegen Länder des Südens war? Wollen Sie bestreiten, daß es legitim ist, daß es eine Aufgabe der Vereinten Nationen ist, organisiertem Terrorismus, der menschenverachtend und bedrohend ist, entgegenzutreten, wie das im Falle Libyen gewesen ist? Sie bauen hier Popanze auf, wenn Sie der Koalition unterstellen, wir legten den ersten Ton auf militärische Konfliktverhütung, noch dazu mit derart unlauteren Motiven, die Sie hier subkutan ansprechen.
Frau Lederer, ich will gar nicht darüber reden, daß Sie in dem einen Antrag selbstverständlich auch die Auflösung sämtlicher nationaler Armeen fordern. Herr Poppe, das tut Ihre Partei auch. Wir sollten angesichts der Schlechtigkeit der Welt, der traurigen Zustände, wie wir sie ringsum haben, und der Gefahrenlage die Bundeswehr nach Hause schicken. Das ist Ihre Logik. Wir sollen die NATO auflösen, in die alle die hineinwollen, die sich erst vor kurzem im Osten ihre Freiheit friedlich erkämpft haben.
Wir treten in allererster Linie für die nichtmilitärische Konfliktlösung ein. Das umfaßt den erweiterten Sicherheitsbegriff; dazu gehören Ökonomie, Ökologie, Entwicklungszusammenarbeit, aber eben auch Konfliktschlichtung — all die Instrumente, die auch Sie im Prinzip für richtig halten.
Nur, Herr Ruck hat es gesagt — meine Redezeit ist zu Ende, ich muß schon wieder abtreten —, als Ultima ratio läßt sich nun einmal auch gewaltsames Eingreifen nicht gänzlich ausschließen, wenn ein anderes Mittel nicht zur Verfügung steht, um einem gewissen- und hemmungslosen Rechtsbrecher in den Arm zu fallen.
Ich danke Ihnen.
Nun erhält unsere Frau Kollegin Andrea Lederer das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die drei Minuten reichen nun wirklich nicht aus,
um auf alles einzugehen, was hier vor allem auch zu unseren Anträgen gesagt worden ist.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1994 20257
Andrea LedererJetzt ist genau das eingetreten, was ich, Kollege Poppe, äußerst bedauerlich finde: Dieses wichtige Thema „Reform der Vereinten Nationen" wird wiederum — daran ist Ihre Gruppe mit schuld, weil das auch aus den Anträgen so hervorgeht — mit der leidigen Debatte um die Frage von Auslandseinsätzen unter Beteiligung der Bundeswehr vermengt. Das halte ich für ein ganz großes Problem, weil diese Diskussion über die Reform eine enorm wichtige ist und fortgesetzt werden muß. Auch wir haben hier einen Antrag mit vielen Vorschlägen. Von anderen Fraktionen gibt es eine Reihe von Vorschlägen, die sich zum Teil sogar decken. Das sollte gesondert diskutiert werden.Kollege Poppe, Sie haben etwas verschwiegen. Ich wundere mich und weiß nicht, ob Sie die Anträge vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wirklich zu Ende gelesen haben, denn sie sind gar nicht so weit auseinander, weil dort nämlich nicht nur von Blauhelm-Missionen die Rede ist, sondern von darüber hinausgehenden begrenzten militärischen Operationen. Das ist genau der Vorwurf, den ich auch an die Vertreter vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hier im Bundestag richte: daß sie entgegen ihrer eigenen Parteitgasbeschlußlage solche Anträge einbringen. In den Anträgen steht mehr als momentan in denen der SPD. Die Antragslage ist klipp und klar und eindeutig; das läßt sich an diesen Texten nachweisen.Ich sage Ihnen ein Beispiel: Die SPD hatte eine herbe Diskussion über den Begriff des „mission defence": Das könne so nicht hingenommen werden. Die SPD hat auf ihrem Wiesbadener Parteitag einen Beschluß gefaßt, in dem das sehr differenziert und abgeschwächt wurde, wo von deeskalierender Wirkung die Rede ist, von absoluter Zurückhaltung. Aber im Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN steht einfach, ohne Wenn und Aber, „Mission defence" drin, auf deutsch Absicherung des Auftrages, ohne daß es eingeschränkt ist.Das nur als ein Beispiel. Die Diskussion haben Sie mit den Anträgen eingerissen, die Sie hier eingebracht haben.Ich will noch einige Anmerkungen zu dem machen, was der Kollege Brecht von der SPD gesagt hat. Ich will noch einmal unsere Position zum Thema Blauhelm-Missionen deutlich machen. Wir lehnen Blauhelm-Missionen nicht prinzipiell ab; aber wir sind der Auffassung, daß Großmächte, wie die Bundesrepublik nach der Wiedervereinigung es allemal ist, nicht geeignet sind, solche deeskalierenden Maßnahmen durchzuführen, nach Waffenstillstand und in Übereinstimmung mit Konfliktparteien — ein Land, das in seinen verteidigungspolitischen Richtlinien die eigenen Sicherheitsinteressen weltweit u. a. auch ökonomisch definiert.Wir halten das für einen eher eskalierenden als für einen deeskalierenden Beitrag; denn wir sind der Auffassung, daß sich dieses potente Land
— Kollege Brecht — genauso engagieren könnte, wieBoutros-Ghali es mehrfach gefordert hat, z. B. Köchestatt Soldaten zu schicken. Sie verschweigen hier inder Regel, daß diese Forderungen nach Beteiligung von Bundeswehrsoldaten natürlich nicht von den UN oder vom Generalsekretär kommen, sondern daß er Alternativen aufzeigt und sagt, er wäre heilfroh, wenn z. B. die Bundesrepublik ihr Engagement vor allen Dingen im nichtmilitärischen Bereich noch einmal erhöhen und verstärken würde.
Wir sind sowieso der Meinung, daß hier viel zuviel über Militär diskutiert wird, auch in Sachen Blauhelme, und daß Sie im Grunde genommen den politischen Willen zu einer Entscheidung verweigern, die tatsächlich den Einsatz von nichtmilitärischen Mitteln zur Konfliktursachenbekämpfung bedeutet.Meine Redezeit ist zu Ende. Vizepräsident Helmuth Becker Längst!
Ich komme zum Schluß. Ich werde dem Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so nicht zustimmen können, unserem Antrag natürlich schon. Ich bin der Meinung, daß Sie sich selbst keinen Gefallen damit getan haben, vor der bevorstehenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe als künftiger angeblicher Reformpartner der SPD solche Anträge eingereicht und eine solche Debatte zur Vermengung von UN-Reform und Militäreinsätzen veranstaltet zu haben.
Ich danke.
Herr Kollege Brecht, es gab keine Möglichkeit mehr, eine Zwischenfrage zuzulassen, weil die Kollegin Lederer ihre Redezeit längst überzogen hatte.
Zum Schluß hat das Wort der Herr Staatsminister im Auswärtigen Amt, unser Kollege Helmut Schäfer.
Zwei Komplimente, Herr Präsident, an Herrn Brecht: Ich bin froh, daß Sie die Einsätze der UN nicht als Interventionismus betrachten und damit Ihrer Kollegin Wieczorek-Zeul entschieden widersprechen, die das ständig behauptet.
Zweitens bin ich sehr überrascht über die PDS, die uns als Großmacht bezeichnet hat. Auf die Idee ist die Regierungskoalition noch nie verfallen. Wir sind keine Großmacht, gnädige Frau. Wir wollen es auch gar nicht werden.Meine Damen und Herren, die Vereinten Nationen sind keine Weltregierung. Sie sind auch keine Weltpolizei. Sie sind so gut, wie es das Engagement ihrer Mitgliedstaaten erlaubt. Gerade in einer Zeit, in der nach dem Ende des Ost-West-Konflikts den UN mehr als je zuvor die Lösung regionaler Krisen weltweit auferlegt wird, bedarf es einer gründlichen Diskussion über die innere Reform und die künftige Rolle der Vereinten Nationen.Aber der Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf nichtmilitärische Unterstützung der UN gründet auf der deutschen Fiktion, es lasse sich grundsätzlich
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20258 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1994
Staatsminister Helmut Schäferzwischen friedenserhaltenden und friedensschaffenden Maßnahmen eine eindeutige Trennlinie ziehen. Selbstverständlich, meine Damen und Herren, geht es den UN grundsätzlich vor allem und zunächst um die Erhaltung von Frieden und um die Prävention von Konflikten, wie das der Generalsekretär in der Agenda für den Frieden zu Recht klargestellt hat. Vor dem Ausbruch von Konflikten muß es darauf ankommen, deren Ursachen an der Wurzel zu bekämpfen.Der Schutz von Menschenrechten, die Bekämpfung von Armut, ethnischer Diskriminierung und anderen Konfliktursachen müssen von den Vereinten Nationen entschiedener angepackt werden, als dies bislang der Fall war. Die internationale Gemeinschaft ist sich aber darüber im klaren, daß im Falle des Scheiterns aller politischen Bemühungen militärische Einsätze für die Einhaltung ihrer Ziele und Prinzipien eben notwendig werden können, nicht müssen.Meine Damen und Herren, der deutsche Beitrag zur Friedenserhaltung und Friedensschaffung in den Vereinten Nationen wird sich auch künftig vor allem auf politische, wirtschaftliche und humanitäre Unterstützung konzentrieren. Die Vereinten Nationen erwarten aber von uns auch bei solchen notwendig werdenden Bewältigungen von Konflikten, friedensschaffenden Maßnahmen also, die gleiche Bereitschaft, wie sie alle UN-Staaten an den Tag legen. Wir können hier unsere Sonderrolle nicht auf Dauer fortsetzen.Wenn wir die Stärkung kollektiver Sicherheit unter dem Dach der UN wollen, dann dürfen wir bei dem Bemühen der UN, dieses Ziel zu erreichen, nicht einfach kneifen. Lassen Sie uns deshalb zügig eine eindeutige Rechtsgrundlage schaffen, die den Einsatz der Bundeswehr bei friedenserhaltenden und friedensschaffenden Maßnahmen ermöglicht.
Meine Damen und Herren, viel von dem, was im Antrag „Aufwertung und Demokratisierung der Vereinten Nationen" gefordert wird, hat die Bundesregierung bereits verwirklichen können. Auf unsere Initiative wurde, wie Sie wissen, das Amt eines Hochkommissars für Menschenrechte geschaffen.Vieles bleibt zu tun. Der Anteil der Menschenrechtsaktivitäten am Haushalt der Vereinten Nationen muß weiter erhöht werden, die Ergebnisse der Weltkonferenz für Menschenrechte in Wien müssen entschlossen umgesetzt werden.Mit der Errichtung eines internationalen Strafgerichtshofs zur Verfolgung schwerer Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht auf dem Territorium des ehemaligen Jugoslawien ist ein wichtiger Vorschlag der Bundesregierung verwirklicht worden.Von der auf Beschluß der Rio-Konferenz gegründeten Kommission für nachhaltige Entwicklung erhoffen wir uns Anstöße für die Umweltpolitik. Die Kommission hat ihre Arbeit insgesamt befriedigend aufgenommen. Die jetzt im Entwurf vorliegende Agenda für Entwicklung ist Ergänzung und notwendiges Gegenstück der Agenda für den Frieden.Verbesserungen des vorliegenden Entwurfs sind erforderlich. Die Bundesregierung wird dabei engagiert mitarbeiten. Für die Bundesregierung bleibt dieVerringerung der Wohlstandskluft zwischen Nord und Süd eine zentrale Friedensaufgabe der Vereinten Nationen in den 90er Jahren. Wir wollen die Stärkung der Vereinten Nationen. Wir müssen sie daher schnell in die Lage versetzen, den gestiegenen Herausforderungen gerecht zu werden. Nötig ist die zügige Stärkung der bestehenden Institutionen und Organe. Es geht bei den Vereinten Nationen nicht um ein Demokratiedefizit, sondern es geht um ein Effizienzdefizit.
Die vorliegenden Anträge der Kollegin Wollenberger und der Kolleginnen und Kollegen vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN weisen in die falsche Richtung. Sie werden den Erfordernissen einer zügigen Stärkung der Vereinten Nationen nicht gerecht.Lassen Sie uns im gemeinsamen Interesse zusammen die Reform der Vereinten Nationen vorantreiben, und lassen Sie uns dafür auch zügig und entschlossen die notwendigen innerstaatlichen Voraussetzungen schaffen.Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.Wir kommen zu den Abstimmungen. Zunächst zum Tagesordnungspunkt 24 a: Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu einer Zivilisierung internationaler Beziehung und einer Politik nichtmilitärischer Konfliktlösung. Das ist Drucksache 12/7559. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/3014 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses gegen den Kollegen Poppe angenommen.Tagesordnungspunkt 24 b: Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu den Anträgen der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu einer nichtmilitärischen Unterstützung sowie zur Aufwertung und Demokratisierung der Vereinten Nationen. Das ist Drucksache 12/7887 Nr. 1. Der Ausschuß empfiehlt, die Anträge auf den Drucksachen 12/3779 und 12/5728 abzulehnen. Die SPD-Fraktion möchte gerne getrennte Abstimmung.Wir stimmen zunächst über die Drucksache 12/3779 ab. Der Ausschuß empfiehlt, sie abzulehnen. Wer stimmt für diese Ablehnung? — Das ist die große Mehrheit.Nun stimmen wir über Drucksache 12/5728 ab. Auch hier ist Ablehnung empfohlen. Wer stimmt für diese Ablehnung? — Wer ist dagegen? — Stimmenthaltungen? Diese Beschlußempfehlung ist bei Zustimmung der PDS und der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und bei Stimmenthaltung der SPD angenommen. — Wenn schon getrennt abgestimmt wurde, sollte das Ergebnis auch protokolliert werden.Noch zum Tagesordnungspunkt 24 b: Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Gruppe PDS/Linke Liste zu einer Reform der Vereinten Nationen. Das ist Drucksache 12/7887
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1994 20259
Vizepräsident Helmuth BeckerNr. 2. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/4568 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer ist dagegen? — Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses gegen Frau Lederer angenommen.Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr den Zusatzpunkt 4 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes
— Drucksache 12/7878 —Überweisungsvorschlag:Innenausschuß RechtsausschußNach einer interfraktionellen Vereinbarung war vorgesehen, eine halbe Stunde zu diskutieren. Inzwischen besteht der Wunsch, daß alle Reden zu Protokoll gegeben werden.') Kann ich feststellen, daß diesem') Anlage 4Wunsch entsprochen wird? — Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Wir kommen dann zu den Überweisungsvorschlägen. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 12/7878 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung, aber noch längst nicht am Schluß der Sitzungen in diesem Hause; das möchte ich betonen. Es tagen noch eine ganze Reihe von Ausschüssen und Gremien. Aber das Plenum ist mit seiner Tagesordnung am Ende.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 16. Juni, 9 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.