Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich dem Kollegen Dr. Nils Diederich , der am 24. Mai seinen 60. Geburtstag feierte, nachträglich die besten Glückwünsche des Hauses aussprechen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung erweitert werden. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:1. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Patentgebührengesetzes — Drucksachen 12/5280, 12/7634,12/7678 —2. Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften der Lehrerbesoldung — Drucksache 12/7521 —b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 1994 — Druckache 12/7706 —3. Beratung des Antrags der Abgeordneten Christoph Matschie, Dr. Ingomar Hauchler, Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Zur Politik der Weltbank und deren Strukturanpassungsprogrammen — Drucksache 12/7691 —4. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Hans Modrow, Andrea Lederer, Dr. Ruth Fuchs, Dr. Ursula Fischer und der Gruppe der PDS/Linke Liste: Anforderungen an die Präsidentschaft der Bundesrepublik Deutschland in der Europäischen Union vom 1. Juli bis 31. Dezember 1994 — Drucksache 12/7687 —Zugleich soll von der Frist für den Beginn der Beratung, soweit dies bei einzelnen Punkten der Tagesordnung und der Zusatzpunktliste erforderlich ist, abgewichen werden.Außerdem soll Tagesordnungspunkt 14 d, Abgeordneten- und Europa-Abgeordnetengesetz, abgesetzt werden.Die Beratungen ohne Aussprache werden heute vor der Fragestunde aufgerufen.Sind Sie mit diesen Änderungen der Tagesordnung einverstanden? — Dies ist offensichtlich der Fall. Dann ist das so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2a bis 2 e auf:a) — Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes
— Drucksache 12/6643 —— Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Schwangeren- und Familienhilfegesetzes an die Vorgaben des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Mai 1993— Drucksache 12/6669 —— Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Manfred Carstens , Norbert Geis, Dr. Walter Franz Altherr und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neufassung des Abtreibungsstrafrechts und zur Regelung der staatlichen Obhut unter Berücksichtigung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Mai 1993— Drucksache 12/6944 —— Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Herbert Werner , Hubert Hüppe, Claus Jäger und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz der ungeborenen Kinder (GSuKi)— Drucksache 12/6988 —
aa) Beschlußempfehlung des Sonderausschusses „Schutz des ungeborenen Lebens"— Drucksache 12/7660 —
Metadaten/Kopzeile:
19960 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Vizepräsident Hans KleinBerichterstattung:Abgeordnete Irmgard KarwatzkiInge Wettig-DanielmeierUta Würfelbb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksachen 12/7661, 12/7676,12/7677, 12/7689 —Berichterstattung:Abgeordnete Irmgard Karwatzki Ina AlbowitzThea Bockb) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Sonderausschusses „Schutz des ungeborenen Lebens" zu dem Antrag der Abgeordneten Christina Schenk, Dr. Klaus-Dieter Feige und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mindeststandards bei der Neuregelung des Abtreibungsrechts nach Maßgabe des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Mai 1993zu dem Antrag der Abgeordneten Herbert Werner , Monika Brudlewsky, Claus Jäger und weiterer AbgeordneterAusbau der sozialpolitischen Maßnahmen zur Förderung der Bereitschaft zur Annahme ungeborener Kinder in Konfliktlagen und zur Förderung der Familie— Drucksachen 12/6715, 12/7098, 12/7660 —Berichterstattung:Abgeordnete Irmgard Karwatzki Inge Wettig-DanielmeierUta Würfelc) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Sonderausschusses „Schutz des ungeborenen Lebens" zu dem Antrag der Gruppe der PDS/Linke ListeSicherung unentgeltlicher Bereitstellung von Schwangerschaftsverhütungsmitteln— Drucksachen 12/490, 12/3208 —Berichterstattung: Abgeordnete Petra Blässd) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Petra Bläss, Andrea Lederer, Dr. Barbara Höll, weiteren Abgeordneten und der Gruppe der PDS/Linke Liste eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
— Drucksache 12/6648 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Frauen und Jugend
— Drucksache 12/7682 —Berichterstattung:Abgeordnete Anni Brandt-Elsweier Ronald Pofallae) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Frauen und Jugend zu dem Antrag der Abgeordneten Petra Bläss, Andrea Lederer und der Gruppe der PDS/Linke ListeSicherung der unentgeltlichen Bereitstellung von Kontrazeptiva— Drucksachen 12/6647, 12/7683 —Berichterstattung:Abgeordnete Maria Eichhorn Hanna WolfZu den Gesetzentwürfen und den weiteren Vorlagen liegen insgesamt fünf Änderungsanträge vor. Außerdem ist ein Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen angekündigt.Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Aussprache zweieinhalb Stunden vereinbart. — Auch dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Darm ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin Irmgard Karwatzki das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach knapp zwei Jahren treten wir heute erneut in eine Abschlußberatung über eine gesetzliche Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs ein. Die Voraussetzungen, nunmehr endlich zu einer dauerhaften und von einer breiten Mehrheit getragenen Lösung zu gelangen, könnten eigentlich nicht günstiger sein. Seit beinahe auf den Tag genau einem Jahr liegt uns ein richtungsweisendes Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vor. Alle Fraktionen haben sich dessen gesetzliche Umsetzung zum Ziel gesetzt. Gleichwohl ist es entgegen einer jedenfalls von der veröffentlichten Meinung vermittelten Erwartungshaltung nicht zu einem parteiübergreifenden Entwurf gekommen. Dies kann man bedauern, ist aber logische Konsequenz des unterschiedlichen Umgangs mit den Vorgaben des Urteils.Wir — und hier spreche ich für die große Mehrheit der CDU/CSU-Fraktion — haben uns entschlossen, den vom Bundesverfassungsgericht vorgezeichneten Weg einer Beratungsregelung zu folgen. Dies hat uns allerhand an Bewegung abverlangt, denn die Beratungsregelung ist eine nicht einfache Lösung für ebensowenig einfache Lebenssachverhalte, die es nämlich — dies sage ich auch mit Blick auf einige Kollegen aus meiner Fraktion — nicht gibt, weder in der einen noch in der anderen Richtung.Wir haben es vielmehr mit einer äußerst komplexen und sorgfältig abgewogenen Entscheidung zu tun. Wir sind der Überzeugung, daß die Karlsruher Entscheidung wie kein anderer Regelungsvorschlag die Chance eröffnet, auf verfassungskonformer Grundlage einen politischen und gesellschaftlichen Konsens herbeizuführen, ohne den es eine Befriedung in dieser schwierigen Frage nicht geben kann und geben wird.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 19961
Irmgard KarwatzkiAber Umsetzung des Urteils heißt für uns vollständige Befolgung der Vorgaben und Auflagen. Das Urteil ist kein Steinbruch, aus dem jeder nach Belieben das ihm Genehme herausnehmen kann. Von daher haben wir es von Anfang an für notwendig erachtet, uns mit einer Neuregelung möglichst eng an das Urteil und die in diesem Zusammenhang ergangene Vollstreckungsanordnung zu halten. Dies vermeidet unnötige Rechtsunsicherheit, wo Rechtsfrieden dringend geboten wäre.
Lassen Sie mich deutlich sagen: Mit der heutigen Entscheidung steht eine Menge Vertrauen auf dem Spiel: das Vertrauen der Bürger in die rechtsbefriedende Funktion unseres höchsten Gerichtes und, noch wichtiger, in die verantwortungsvolle Wahrnehmung von Rechtsetzungsbefugnis des Gesetzgebers in einem so sensiblen Bereich wie dem des Lebensschutzes Es sollte unser aller Anliegen sein, erschüttertes Vertrauen zurückzugewinnen. Es ist ja nicht so, daß es 1992 an warnenden Stimmen gemangelt hätte, die durch das Urteil auch bestätigt wurden.Ich vermag deshalb wenig Verständnis dafür aufzubringen, wenn die SPD mit ihrem Entwurf zum Teil bewußt unterhalb zwingender verfassungsrechtlicher Vorgaben bleibt und damit erneut sehenden Auges verfassungsrechtliche Risiken eingeht.
Sämtliche Verfassungsexperten haben in der Anhörung solche ausgemacht. Zu nennen wären die relativierende Zielorientierung der Beratung, die lückenhafte Umsetzung der vom Bundesverfassungsgericht für erforderlich gehaltenen strafbewehrten ärztlichen Pflichten, der nahezu vollständige Verzicht auf die geforderten zusätzlichen Strafvorschriften für das soziale und familiäre Umfeld der Schwangeren und die sich im rechtsstaatlichen Grenzbereich bewegende Kostenabwicklung über die Krankenkasse für nicht rechtmäßige Schwangerschaftsabbrüche bei Bedürftigkeit.Zusätzliche Fragen werfen die während der Ausschußberatungen vorgenommenen Änderungen auf. Ich erwähne die Schaffung einer erweiterten medizinisch-sozialen Indikation und die Verpflichtung der Länder zur Sicherstellung eines ausreichenden Angebots an ambulanten und stationären Abbrucheinrichtungen. Gerade letzteres wird aus unterschiedlichen Ihnen bekannten Gründen nicht unsere Zustimmung finden können.Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, die Unterschiede zwischen unseren Positionen sind nicht so groß wie in der Vergangenheit, aber sie sind vorhanden. Damit wir uns nicht mißverstehen: Es geht uns nicht um politische Rechthaberei; es geht auch nicht darum, durch sklavische Befolgung des Urteilsspruchs von Karlsruhe dem Gericht die Rolle als Ersatzgesetzgeber zuweisen zu wollen. Nein, oberstes Ziel ist für uns jede Vermeidung verfassungsrechtlicher Experimente. Wir können uns auf keine Regelung einlassen, die erneut erkennbare verfassungsrechtliche Defizite aufweist.
Allein deshalb war eine Verständigung mit der SPD bislang nicht möglich.Lassen Sie mich zu unserem Entwurf einige Anmerkungen zu Punkten machen, die für meine Fraktion wichtig sind.Die unmißverständliche Botschaft des Urteils lautet: Der Schwangerschaftsabbruch ist und bleibt Unrecht, und zwar für die ganze Dauer der Schwangerschaft, also von Beginn an. Aber es gilt auch: Der Schutz des ungeborenen Lebens kann nur mit der Frau und nicht gegen sie erreicht werden.Unser Gesetzentwurf trägt beiden Gesichtspunkten Rechnung. Zum einen wird im Strafrecht ebenso wie bei den Finanzierungsvorschriften sehr deutlich zwischen rechtmäßigen Abbrüchen in engen Ausnahmefällen und lediglich straflosen Abbrüchen nach erfolgter Beratung differenziert. Zum anderen akzeptiert der Entwurf mit der Ergebnisoffenheit der Beratung die Letztentscheidung der Frau, allerdings nicht als Ausdruck eines falsch verstandenen Selbstbestimmungsrechtes, sondern zur Erhöhung der Erfolgsaussichten in der Beratungssituation. Aus strafrechtlicher Sicht läßt sich die Beratungsregelung auf die Formel „rechtswidrig, aber straffrei" bringen. Nur in schweren, für die Frau unzumutbaren Ausnahmesituationen kann ein Schwangerschaftsabbruch gerechtfertigt sein, also im Fall der Indikationen.An dieser Stelle verläuft der entscheidende Unterschied zur Fristenregelung von 1992. Dort bildete das formale Zeitkriterium „Dreimonatsfrist" neben einer unzureichend ausgestalteten Beratungspflicht die rechtliche Legitimation des Schwangerschaftsabbruches. Hier ermöglicht die Beratungsregelung zwar die Straffreiheit von Abbrüchen im Wege des Tatbestandsausschlusses, begründet aber nicht deren Rechtmäßigkeit. Für den Bereich des Strafrechts bleibt die Frage der Rechtmäßigkeit offen, keineswegs aber für die Gesamtrechtsordnung. Dort kann, ja muß das straflos gestellte Verhalten von Verfassung wegen als Unrecht gekennzeichnet werden. Für die Beratungsregelung bedeutet dies: Auch Abbrüche nach einer Beratung bleiben Unrecht, weil sie gegen den Willen der Rechtsordnung erfolgen.Praktische Konsequenz des nicht rechtmäßigen Verhaltens ist die Nichtfinanzierung des Abbruchs durch die Krankenkassen. Dieser, zugegeben, nicht leicht verständliche Zusammenhang würde sich dem unbedarften Gesetzesleser vielleicht leichter erschließen, wenn ein entsprechender Hinweis über den grundsätzlichen Unrechtsgehalt aus der Vollstrekkungsanordnung des Bundesverfassungsgerichtes aufgenommen worden wäre. Wir haben über die Aufnahme dieses Satzes sehr lange diskutiert. Von Rechtsexperten war dies als durchaus wünschenswert, wenngleich nicht als zwingend notwendig angesehen worden. Jedoch konnten insoweit gewisse rechtssystematische Vorbehalte unseres Koalitionspartners nicht ausgeräumt werden.Auf einen Aspekt im Zusammenhang mit dem Tatbestandsausschluß möchte ich besonders hinweisen, weil er für die Beratungspraxis eine nicht unwichtige Rolle spielt. Beratung hat im Gegensatz zu den Indikationen keine legalisierende Wirkung. Sie ist nur Voraussetzung für den Verzicht auf die Strafdrohung.
Metadaten/Kopzeile:
19962 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Irmgard KarwatzkiBeratung allein kann deshalb weder einen Abbruch rechtfertigen, noch trägt sie zu dessen Rechtfertigung bei. Ich meine, daß diese Feststellung gerade für die Beratungsstellen in kirchlicher Trägerschaft hilfreich ist.Damit möchte ich zur sogenannten embryopathischen Indikation überleiten, für die ebenso wie für die kriminologische Indikation eine strafbewehrte Beratungspflicht nicht vorgesehen ist. Ich glaube, wir sind uns alle über die schweren ethisch-moralischen Probleme einig, die sich mit dieser Indikation verbinden. Die Schwierigkeiten und Zweifel sind auch durch die vom Bundesverfassungsgericht vorgenommene dogmatische Einordnung als Rechtfertigungsgrund nicht kleiner geworden.Im Gespräch mit Behinderten und Behindertenverbänden wird immer wieder die innere Hilflosigkeit und Ohnmacht gegenüber der Frage nach dem Warum einer Sonderregelung für behindertes Leben spürbar. Und doch können wir auch diese unendlich schwierigen Konflikte von schwangeren Frauen, aber auch von Vätern gedanklich nachvollziehen, die erfahren müssen, daß ihr Kind mit einer schweren Behinderung zur Welt kommen wird.Es ist nicht die Behinderung als solche, die den rechtfertigenden Grund für diese Indikation bildet. Von daher sehe ich es als eine beachtliche Verbesserung an, wenn im Koalitionsentwurf der Gedanke der Unzumutbarkeit durch eine Präzisierung bei der tatbestandlichen Umschreibung der Indikation deutlicher als bisher zum Ausdruck kommt.Nichtsdestotrotz bekenne ich für mich ganz offen: Ich habe auch damit noch nicht die für mich in jeder Hinsicht überzeugende Lösung finden können. Ich glaube aber auch nicht, daß eine die embryopathische Indikation aufnehmende medizinisch-soziale Indikation, wie sie jetzt von der SPD vorgeschlagen wird, der richtige Weg ist. Dies hätte zwar vordergründig den Vorteil, daß für Behinderte kein Sonderrecht geschaffen würde, aber in der Gesellschaft etwa vorhandene Fehlvorstellungen würden dadurch keinesfalls beseitigt. Tatsächlich wäre behindertes Leben mangels jeder Fristbegrenzung sogar bis zum letzten Tag der Schwangerschaft bedroht — eine nicht akzeptable Konsequenz.
Meine Damen und Herren, es wäre vermessen zu behaupten, wir könnten auf absehbare Zeit das Abtreibungsproblem so weit lösen, — —
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Ich weiß.
Ich habe es mit der Fraktionsführung abgestimmt, daß ich bis zum Ende reden darf.
Aber es ist dem Präsidium nicht mitgeteilt worden.
Ich bitte um Nachsicht, Herr Präsident. Es dauert auch nicht mehr lange.
Es wäre vermessen zu behaupten, wir könnten auf absehbare Zeit das Abtreibungsproblem so weit lösen, daß Schwangerschaftsabbrüche nur noch eine zu vernachlässigende Randerscheinung in unserer Gesellschaft wären. Dazu bedürfte es eines Klimas, in dem das Bewußtsein für den Schutzwert und die Schutzwürdigkeit des ungeborenen Lebens tiefer in unserer Gesellschaft verwurzelt ist, als dies bislang noch der Fall ist. Hier ist noch viel Überzeugungs- und Aufklärungsarbeit notwendig. Der staatliche Schutzauftrag endet nicht an den Türen des Bundestages. Alle die Gesellschaft tragenden Kräfte — ich spreche hier besonders die Schulen und die Medien an — sind gefordert.
Nach meinem Eindruck hat das Urteil vom letzten Jahr bereits wichtige positive Signale zugunsten eines Bewußtseinswandels gesetzt. So hat sich die Diskussionskultur in der letzten Zeit deutlich versachlicht. Die Emotionen sind weitestgehend abgeklungen. Um so bedauerlicher wäre es, wenn diese Entwicklung jetzt durch langanhaltende parteipolitische oder wahltaktische Auseinandersetzungen zunichte gemacht würde.
Deshalb hoffe ich darauf, daß dieser Anlauf nicht vergeblich gewesen ist.
Herzlichen Dank, besonders Ihnen, Herr Präsident.
Frau Kollegin Wettig-Danielmeier, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der § 218 — „eine unendliche Geschichte", so textete eine Zeitung in den letzten Tagen.Richtig ist, seit 75 Jahren kämpft die SPD für eine andere Regelung des Schwangerschaftsabbruchs. Wir wollen eine Regelung, die die Würde der Frau wahrt, die die eigene Entscheidung der Frau respektiert, die aber auch dem werdenden Leben Schutz und Entwicklungschancen garantiert.Richtig ist, daß wir in diesem Kampf in unserer patriarchalischen Gesellschaft nur zentimeterweise vorangekommen sind. Aber ebenso richtig ist, daß wir zu einer befriedigenden Lösung kommen wollen, zu einem Abschluß des Jahrhundertthemas.
Diese befriedigende Lösung ist der Koalitionsentwurf nicht. Er ist meilenweit vom Denken und Fühlen der Frauen entfernt.
Allzusehr hat sich die F.D.P.von der Union einbindenlassen, und allzusehr wird deutlich, daß die Union ihre
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 19963
Inge Wettig-Danielmeierfaktische Niederlage vor dem Bundesverfassungsgericht zu kaschieren versucht.
Deutlich wird aber auch, daß das Bundesverfassungsgericht in seinem Bemühen, es vielen recht zu machen, eine solche Fülle von Widersprüchlichkeiten produziert hat, daß fast für jede Meinung ein Zitatenschatz zur Verfügung steht.Wenn von Union und SPD benannte Rechtssachverständige übereinstimmend feststellen, die Bestrafung des familiären Umfelds sei rechtlich nicht eindeutig faßbar und deshalb vor Gericht nicht durchsetzbar, dann liefert das ebenso einen Hinweis auf die Schwierigkeiten wie die Aussage eines anderen von der Union benannten Sachverständigen, der von guten Gründen sprach, nicht alle Auflagen des Gerichts umzusetzen, aber auch von der Verpflichtung, dann klar zu sagen, warum eine wörtliche Umsetzung nicht möglich bzw. nicht opportun erscheine.Eindeutig ist: Nicht nur mit der Verfassung vereinbar, sondern zwingend geboten für einen wirksamen Lebensschutz bleibt nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Verbesserung der sozialen Lage von Frauen und Kindern,
bleibt das Recht auf Kindergartenplatz und Kinderbetreuung für alle Kinder, bleibt die faktische Gleichstellung von Frau und Mann, denn in dieser Ungleichheit der Geschlechter in unserer Gesellschaft sieht das Gericht eines der schwerwiegendsten Hindernisse für einen wirksamen Schutz werdenden Lebens.Wer sich den unsäglichen, jahrzehntelangen und fortdauernden Streit um Gleichstellung, wer sich aber auch nur den Streit um Kindergarten, Kinderbetreuung, Ganztagsschule vor Augen hält, der kann die positiven Wirkungen des Urteils in dieser Frage nicht hoch genug veranschlagen.
Eindeutig ist aber auch: Das von der Gruppe Wettig-Danielmeier, Würfel, de With und anderen 1992 vorgelegte Beratungsmodell mit eigenverantwortlicher Entscheidung der Frau ist verfassungskonform.
Und mindestens das ist das Gemeinsame in den beiden Gesetzentwürfen heute: Die Mehrheit der Koalition und die SPD gehen von dem Beratungsmodell aus. Die letzte Entscheidung soll die Frau haben.Die Koalition pflastert den Weg zur Entscheidung allerdings mit Einschüchterung und Drohung.
Frau Karwatzki hat das heute belegt. Sie versucht, die Hürden der moralischen Vorverurteilung so hoch wie möglich zu legen.
Gebetsmühlenartig wird wiederholt, daß der Schwangerschaftsabbruch nach Beratung immer rechtswidrig sei, um den rechtsunkundigen Frauen, Ärzten und Ärztinnen ein möglichst schlechtes Gewissen einzubleuen.
Ich zitiere noch einmal Fritz Ossenbühl, den Rechtsanwalt der CDU/CSU: Tatsächlich billigt das Bundesverfassungsgericht, daß derStaat im Beratungskonzept die Letztverantwortung der Frau überläßt . . . er bewertet ihre Entscheidung nicht. Er sagt nicht, ihre Entscheidung im Einzelfall sei rechtmäßig oder rechtswidrig...Mit der eigenen Entscheidung übernimmt sie auch die Verantwortung — und das wollten die Frauen.Die SPD will unter Wahrung des Urteils das Entscheidungsrecht der Frau deutlich machen und sie selbst zur moralischen Instanz aufrufen in dem schwierigen Konflikt zwischen ihrem eigenen Leben und dem werdenden Leben in ihr, ohne den Lebensschutz zu vernachlässigen. Das wird auch bei der Frage der Beratungspflicht und den ärztlichen Pflichten deutlich.Gerade nach den Anhörungen müssen wir sagen: Es geht nicht an, daß die Auflagen für den Arzt oder die Ärztin, die den Schwangerschaftsabbruch vornehmen, höher sind als für die Beratungsstelle. Deshalb verzichten wir auf die Darlegungspflicht der Gründe für den Schwangerschaftsabbruch und beschränken die Verpflichtung der Ärztin und des Arztes darauf, der Schwangeren die Gelegenheit zu geben, ihre Gründe darzulegen.Der Gesetzgeber hat die Pflicht, Unvereinbarkeiten des Urteils zu einem stimmigen Gesamtkonzept zusammenzufügen. Die ergebnisoffene, von Einschüchterung freie Beratung kann nicht beim Arzt in ihr Gegenteil verkehrt und zu einem Hürdenlauf umfunktioniert werden.
Die Anhörungen haben uns bestätigt, daß die Bestrafung des familiären Umfelds rechtlich nicht greifbar ist. Wir halten die Strafandrohung darüber hinaus für eine wirksame Behinderung des Lebensschutzes.
Wenn die Familie der Schwangeren mit Strafe bedroht wird — und sie ist das sogenannte familiäre Umfeld, das allein vom Koalitionsentwurf betroffen ist —, dann zerstören wir damit das Vertrauen in der Familie und die Chance, eine ungewollte Schwangerschaft letztlich doch anzunehmen.
Metadaten/Kopzeile:
19964 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Inge Wettig-DanielmeierWenn ich dann noch höre, die mangelnde Greifbarkeit sei so gewollt, kann ich nur noch den Kopf schütteln. Mit vielen Drohgebärden wird vermeintlich das Bundesverfassungsgerichtsurteil umgesetzt, möglichst ohne tatsächliche Wirkung. Wie leichtfertig gehen da die Verfasserinnen mit den Menschen um? Eines provozieren sie gewiß: Unsicherheit in den Familien und möglicherweise unsinnige Gerichtsprozesse.Ob eine Verdeutlichung über den Nötigungsparagraphen, wie wir sie vorschlagen, eine wirkliche Lösung des Problems ist, mag bezweifelt werden. Eines ist aber klar: Unterhalb der massiven Nötigung, die immer strafbar war, ist die Familie frei von jeder Strafandrohung — und darauf kommt es uns an.
Für die Finanzierung des Schwangerschaftsabbruchs hat uns das Gericht mehrere Vorgaben gemacht: Der Staat muß Vorsorge treffen, daß sich keine Frau gezwungen sieht, aus finanziellen Gründen auf fachkundigen ärztlichen Beistand beim Schwangerschaftsabbruch zu verzichten. Nicht alle Frauen dürfen den Schwangerschaftsabbruch finanziert bekommen, es muß Einkommensgrenzen geben. Ehemänner und Eltern der Schwangeren können nicht gegen den Willen der Schwangeren zur Finanzierung herangezogen werden. Die Schwangere darf nicht wiederholt zur Darlegung ihrer Lebensverhältnisse gezwungen werden.Nach diesen Vorgaben des Gerichts ergeben sich theoretisch drei Finanzierungsmöglichkeiten: erstens über die Sozialhilfe, zweitens über die Krankenkasse und drittens über ein eigenes Leistungsgesetz. Die Auflagen des Bundesverfassungsgerichts führen bei der Sozialhilfe und bei der Krankenkassenlösung zu systemverändernden Eingriffen. Bei der Sozialhilfe wird das Subsidiaritätsprinzip verletzt, weil Eltern und Ehemänner nicht zur Leistung herangezogen werden dürfen; die Schwangere muß ihre Lebensumstände im Detail darlegen. Bei der Krankenkassenlösung müßte systemwidrig mit Einkommensgrenzen gearbeitet werden.Nur mit Hilfe eines eigenen Leistungsgesetzes können die Auflagen des Bundesverfassungsgerichts ohne Beeinträchtigung der Sozialleistungssysteme umgesetzt werden. Ebenso ist die Anonymität der Frau nur so zu wahren und die wiederholte Darlegungspflicht zu verhindern. Das ist für uns der entscheidende Grund für unseren Vorschlag.Allerdings halten wir auch nichts davon, das Sozialhilferecht als Nebenstrafe einzuführen, wie es im Verfassungsgerichtsverfahren angeklungen ist. Die Sozialhilfe ist ein Leistungssystem mit Rechtsanspruch für die Betroffenen und kein Mittel für Strafexpeditionen. Aus diesem Grund habe ich ebenso wie Frau Würfel nach dem Urteil den Frauen versprochen, mit mir gebe es keine Sozialhilferegelung zur Bestrafung der Frau. Ich habe mich an mein Wort gehalten.In einem wichtigen zusätzlichen Punkt gibt es Unterschiede. Neben dem Schwangerschaftsabbruch nach Beratung will die SPD nur eine umfassendemedizinisch-psychische Indikation zulassen. Wir wollen weder eine embryologische noch eine kriminologische Indikation. Wir gehen damit auf unseren Gesetzentwurf von 1991 zurück. Nach langer Diskussion sind wir zu der gemeinsamen Überzeugung gekommen, daß es nur auf die körperliche und seelische Belastbarkeit der Frau in ihren gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnissen ankommt und nicht auf die Behinderung eines Kindes oder wie eine Schwangerschaft zustande kommt.
In dieser Überzeugung sind wir durch die Anhörung bestätigt worden. Insbesondere eine embryologische Indikation gewinnt im Beratungsmodell einen anderen Stellenwert als früher. Gleichwohl versteht sich für uns selbstverständlich, daß eine Frau, die eine Vergewaltigung erlitten hat, unter die medizinisch-psychische Indikation fällt, weil ihre seelische Belastung jedenfalls in aller Regel das Austragen der Schwangerschaft nicht zuläßt.Lassen Sie mich ein paar Worte zu den Vorwürfen aus der Koalition — Frau Schwaetzer, Frau Süssmuth, Frau Würfel und auch heute Frau Karwatzki — sagen, wir wollten keinen Kompromiß, d. h., wir wollten dem Koalitionsentwurf nicht zustimmen, um die ganze Frage in den Wahlkampf zu bringen,
wir verweigerten uns aus wahltaktischen Gründen einem gemeinsamen Beschluß.
Frau Würfel hat dann gestern noch nachgelegt — Frau Karwatzki heute — und behauptet, nur der Koalitionsentwurf sei verfassungskonform, unserer nicht.
Wir stützen uns genauso wie Sie auf den Wortlaut des Bundesverfassungsgerichtsurteils.
Das Urteil läßt viele Spielräume. Wir nutzen sie zugunsten der Frau und damit zum Schutz des werdenden Lebens.
Denn nur wer die Würde der Frau schützt, kann das werdende Leben schützen.
Die überwältigende Mehrheit der Sachverständigen hat unseren wie Ihren Entwurf in den Anhörungen für verfassungskonform gehalten.Es mag viele an einer sachgerechten Lösung interessierte Bürgerinnen und Bürger wundern, warum die Fraktionen des Gruppenantrages nicht erneut einen Gesetzentwurf vorgelegt haben, dem sich die Reformgruppe aus der CDU hätte anschließen können. Die Antwort ist einfach: Verhandlungen dieser Art waren
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 19965
Inge Wettig-Danielmeiervon der F.D.P. nicht gewünscht. Die F.D.P. wollte auch keine Gespräche zwischen Union, F.D.P. und SPD. Was sie wollte, waren Gespräche einerseits mit der Union und andererseits mit der SPD.
Diese Verhandlungen linker Hand mit uns sollten im wesentlichen dazu dienen, uns zu erklären, was die CDU bereit sei mitzumachen und was wir demzufolge akzeptieren sollten. Diese Gespräche haben wir schließlich als fruchtlos eingestellt.Am vergangenen Montag gab es ein erstes gemeinsames Gespräch zwischen Frau Karwatzki, Frau Würfel und mir. Dabei gab es keine Kompromißansätze, noch nicht einmal ein ernsthaftes Ausloten, weil die Koalition so eindeutig festgelegt war. Wir respektieren die Mehrheit der Koalition,
aber Sie können von uns doch nicht ernsthaft verlangen, daß wir allein wegen des Verhandlungserfolgs der Koalition alle unsere Bedenken zurückstellen, über Nacht zur Jubeltruppe der Koalition werden und die Spielräume des Urteils zugunsten der betroffenen Frauen nicht nutzen.
Sie können heute Ihren Gesetzentwurf durchsetzen. Sie wissen aber genau: Die Kohl-Kinkel-Devise „Augen zu und durch, bloß keine Zugeständnisse an die SPD" hilft Ihnen nicht weiter. Sie macht nur deutlich, wie brüchig der Kompromiß zwischen F.D.P. und Union in der Wirklichkeit ist. Spätestens im Bundesrat oder im Vermittlungsausschuß oder im nächsten Bundestag haben wir das Thema wieder auf der Tagesordnung. Bis dahin haben Sie Zeit, über tragfähige Kompromisse mit uns nachzudenken.Wir haben 75 Jahre für ein anderes Abtreibungsrecht gekämpft; wir werden auch diese Wartezeit überstehen. Ob jede und jeder von Ihnen die heutige Entscheidung ihren und seinen Wählerinnen und Wählern glaubhaft erklären kann, darüber sollten Sie nachdenken.
Das Wort hat die Kollegin Uta Würfel.
Verehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Verehrte Frau Wettig-Danielmeier, einige Ihrer Äußerungen waren schlicht falsch, und ich lasse die Legendenbildung über die Art meiner Verhandlungen mit Ihnen und der CDU nicht zu.
Deswegen erkläre ich hier: Es sitzen einige derjenigen, die an den Verhandlungen in der Gruppe mit beteiligt waren, heute hier, und ich bitte mir doch schon aus, daß korrekt dargestellt wird, daß wir Mitte Oktober deshalb auseinandergegangen sind, weil Sie einen Rohentwurf zur Umsetzung des Urteils gefertigthatten, den Sie selbst als „lean production" bezeichneten und der in keiner Weise den Vorgaben des Verfassungsgerichts folgte.
Ich habe Ihnen das nachgewiesen; Sie haben mir zugesichert, diese „lean production" ansehen und anreichern zu wollen, und erst, nachdem Sie Ihren Parteitag überlebt hatten, haben Sie gesagt, daß Sie sich nicht in der Lage sähen, diese Nachbesserungen zu liefern. Daraufhin haben wir uns darauf geeinigt, daß ich Gespräche mit der CDU/CSU führe.
— Nur wegen der Korrektheit.
Bei den Verhandlungen mit der CDU war es so, daß ich Sie auf dem laufenden gehalten habe, um Ihnen die Möglichkeit zu geben, Ihre Forderungen dort noch einzubringen. Sie wollten dies nicht, und Sie folgen der Linie der DGB-Frauen, die veröffentlicht haben, es sei gut, daß es jetzt doch noch das Wahlkampfthema Abtreibung für die Sozialdemokraten gebe.
Ich werde Ihnen verdeutlichen, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß der Koalitionsgesetzentwurf das Urteil sachgerecht und angemessen umsetzt, und ich werde aufzeigen, daß eine Irreführung der Bevölkerung über das Urteil und über die Folgen des Urteils stattgefunden hat.Ich glaube, daß jeder Zuhörer und jeder Zuschauer selbst herausfinden kann, ob es nicht verantwortungslos ist, die Rechtsunsicherheit der Ärzte, der betroffenen Frauen und der Beraterinnen unnötigerweise weiter andauern zu lassen, in dem man sich verweigert, an der Ausgestaltung dieses Gesetzes mitzuwirken, oder den Bundesrat auffordert, dem Gesetz nicht zuzustimmen.
Im Gruppengesetz zur Neuregelung des § 218 von 1992, dem sogenannten Schwangeren- und Familienhilfegesetz, war es, wie eben von Frau Wettig geschildert, fraktionsübergreifend gelungen, für die ungewollt schwangere Frau die eigenverantwortliche Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch zu verankern. Voraussetzung war allerdings auch bereits hierfür — das sage ich jetzt an die PDS gerichtet — die obligatorische Beratung.Ich darf noch an ein Weiteres erinnern. Sowohl die Formulierung der Rechtskonstruktion des § 218 im Gruppengesetz als auch die Ausgestaltung des Inhalts und des Ablaufs der Beratung für Schwangere in Konfliktsituationen waren bereits ein Kompromiß, der nach intensivsten Beratungen zwischen den Mitgliedern der Gruppe ausgehandelt worden war. Damals war uns allen, die wir an diesem Gruppengesetz beteiligt waren, völlig klar, daß die im Gruppengesetz verankerte Finanzierung des Schwangerschaftsabbruchs auch für nichtbedürftige Frauen, d. h. für alle Frauen, der Angriffspunkt für das Bundesverfassungsgericht sein könnte, unserem Gesetz nicht zuzu-
Metadaten/Kopzeile:
19966 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Uta Warfelstimmen, zumal eine Klage des Freistaates Bayern genau gegen die Finanzierung des Schwangerschaftsabbruchs durch die Mitglieder gesetzlicher Krankenkassen vorlag. Das bedeutet: Einerseits war es der Gruppe sehr wohl bewußt, daß wir bei dieser Regelung vor zwei Jahren sehr weit gegangen waren; andererseits waren wir das Risiko eingegangen, daß einzelne Bestimmungen des Gruppengesetzes scheitern könnten, weil sie für nicht verfassungskonform gehalten werden konnten.Allerdings hatten wir gemeinsam ein großes Ziel: Wir wollten auch in Deutschland durchsetzen, daß Frauen in einem Schwangerschaftskonfliktfall auf der Grundlage einer qualifizierten obligatorischen Beratung frei und alleinverantwortlich entscheiden können, wie sie mit ihrer ungewollten Schwangerschaft umgehen. Niemand außer der Frau selbst sollte die Entscheidung darüber fällen, ob sie die Schwangerschaft fortsetzen will oder ob sie sie beenden will. Kein Arzt sollte sich, wenn die Frau den Schwangerschaftsabbruch verlangte und er ihn durchführte, rechtfertigen müssen. Kein Richter sollte jemals mehr — das hatten uns die Vorgänge von Memmingen gelehrt — erforschen können, welche Beweggründe die Frauen hatten, wenn sie einen Schwangerschaftsabbruch haben wollten. Grundlage hierfür war allerdings die Wahrnehmung der obligatorischen Beratung. Dreh- und Angelpunkt des Gruppengesetzes war also die Entkriminalisierung von Frau und Arzt.Unsere Gelassenheit, die von Frau Wettig-Danielmeier und mir, nach Ergehen des Urteils — fast kann man schon sagen: die Zufriedenheit — lag darin, daß die Richter genau diesen für uns wichtigsten Bestandteil des Gruppengesetzes anerkannt hatten und auch sofort in Kraft treten ließen. Sie sagten sogar in ihrem Urteil, warum sie dem Beratungskonzept des Gruppengesetzes den Vorrang geben vor der seit 1976 im Recht festgelegten Indikationenregelung. Sie sagten — ich zitiere —, diese Regelung, die Indikationenregelung, habe nicht zum Schutz des ungeborenen Lebens beigetragen. Folgerichtig ließen sie nun auch diesen Teil unseres Gruppengesetzes in Kraft treten, während andere Bestandteile angegriffen worden sind. Ich darf hier noch einmal sagen, wie glücklich wir alle darüber waren, daß es endlich gelungen war, die freie Entscheidung der Frau durch das höchste deutsche Gericht bestätigt zu bekommen.
Auch der Arzt — darüber ist so viel Ungereimtes geschrieben und gesprochen worden — führt, wenn er jetzt einen Schwangerschaftsabbruch auf der Grundlage der Beratung vornimmt, diesen Abbruch auf der Grundlage eines rechtswirksamen Vertrages mit der Patientin aus. Diese Entscheidung zugunsten der Entkriminalisierung von Frau und Arzt war insgesamt ein ungeheurer Gewinn für uns alle.
Aber, meine Damen und Herren, Freiheit und Verantwortung gehören zusammen, Rechte und Pflichten auch. Das ist der Maßstab, auf dem das Urteilinsgesamt fußt. Es sind auch liberale Grundsätze. Deshalb hatten wir, ich und meine Fraktion insgesamt, keine Schwierigkeiten, auf der Grundlage dieses Maßstabs des Urteils nun die Umsetzung der von uns geforderten Änderungen vorzunehmen.Natürlich gibt es auch bei uns einen erheblichen Anteil von Mitgliedern der Fraktion, die sagen: Eine Regelung auf der Grundlage der Minderheitenmeinung des Gerichtes wäre uns lieber gewesen. Aber das kann nicht der Maßstab unseres Handelns sein. Die Mehrheitsentscheidung und das, was die Richter mehrheitlich befunden haben, ist die Maßgabe für unser Handeln. Das erfordert schon der Respekt vor unserem höchsten deutschen Gericht. Es gibt die beiden Prinzipien Freiheit und Verantwortung, die von allen am Schwangerschaftsabbruch Beteiligten ganz besonders beachtet werden müssen.Ich komme jetzt zur Gruppe der Frauen, die ungewollt schwanger geworden sind und die einen Schwangerschaftsabbruch erwägen. Jedes Land innerhalb der Europäischen Union, in dem schwangere Frauen im Schwangerschaftskonfliktfall die eigenverantwortliche Entscheidung zugestanden bekommen haben, verlangt von der Frau die Wahrnehmung einer Beratung. Was Beratung nun ist, welchen Charakter Beratung in Deutschland hat, das ist durch den Deutschen Arbeitskreis für Jugend-, Ehe- und Familienberatung, in dem die Evangelische Konferenz für Familienfragen oder auch die Katholische Bundesarbeitsgemeinschaft für Beratung Mitglieder sind, folgendermaßen definiert worden — ich zitiere —:Beratung soll die Ratsuchenden in die Lage versetzen, auf ihre Fragen Antworten zu finden und für ihre Konflikte oder Probleme Lösungen zu entwickeln oder die Fähigkeit zu entwickeln, mit ihnen in erträglicher Weise zu leben. Dies erfordert eine Klärung der Lebenssituation der Ratsuchenden und in der Regel die Erhellung der inneren und äußeren Bedingungszusammenhänge.Ich sage Ihnen deshalb hier noch einmal, daß wir im Koalitionsgesetzentwurf die Beratung genau in diesem Sinne geregelt haben.
Es versteht sich von selbst: Die Beraterinnen und die beratenden Ärzte sind für die Durchführung der Beratung besonders qualifiziert und geschult. Maßstab für die Richtung und den Ablauf der Beratung ist im Koalitionsgesetzentwurf der Leitgedanke „Freiheit und Verantwortung gehören zusammen". Die Beratungssachverständigen haben die Verantwortung, die schwangere Frau, die zur obligatorischen Beratung gekommen ist, in ihrer Würde und in ihrem Persönlichkeitsrecht besonders ernst zu nehmen. Im Gespräch soll die Schwangere die Möglichkeit erhalten, ihre Lebenssituation zu reflektieren.Das Urteil enthält nun dezidiert Bestimmungen über den Charakter der Beratung. Danach — Frau Wettig-Danielmeier, ich sage das hier jetzt noch einmal ausdrücklich auch für die Sozialdemokraten —
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 19967
Uta Würfelist jede belehrende Einflußnahme, jede Indoktrinierung, jeder Druck auf die Schwangere unzulässig.
Sie darf nicht das Gefühl bekommen, sich vor der Beraterin rechtfertigen zu müssen, weil sie einen Schwangerschaftsabbruch erwägt. Es liegt in der Verantwortung der Beratungsfachkräfte, daß Frauen eine gute Entscheidungsgrundlage für die Bewältigung ihres Konfliktes bekommen. Ich halte die vom Bundesverfassungsgericht vorgeschriebene Bestimmung, nach der im Verlauf der Beratung auf den Schutz des ungeborenen Lebens in unserer Verfassung hingewiesen und wo die geltende Rechtslage aufgezeigt wird, unter der straflose Schwangerschaftsabbrüche möglich sind, für nachvollziehbar und persönlich auch für angebracht.Seit dem Urteil von 1992 werden 95 % der Schwangerschaftsabbrüche nach der Beratungsregelung ausgeführt, wobei — ich betone das hier noch einmal — deren Rechtmäßigkeit oder Unrechtmäßigkeit nicht durch Dritte festgestellt wird. Es gibt darüber hinaus 5 % Schwangerschaftsabbrüche nach der Indikationenregelung, deren Rechtmäßigkeit unter staatlicher Aufsicht ausdrücklich festgestellt worden ist und die deshalb im nachhinein von jedem deutschen Gericht beurteilt werden können, was für die Schwangerschaftsabbrüche nach der Beratungsregelung eben nicht gilt.Die Frau hat nun das Recht, aber keineswegs die Pflicht, auf das Gesprächsangebot in der Beratung einzugehen. Sie hat das Recht, anonym ihre Beweggründe für den geplanten Schwangerschaftsabbruch darzulegen. Sie hat aber auch die Freiheit, dies zu unterlassen. Sie muß nicht reden, wenn sie nicht will. Die Richter formulierten, daß der Versuch gemacht werden soll, in eine Konfliktberatung einzutreten. Das versteht sich meines Erachtens von selbst; denn die Verantwortung der Beratungsfachkraft liegt ja gerade darin, im Einzelfall zu versuchen, gezielt auf den Konflikt der ungewollt schwangeren Frau einzugehen.Gelingt nun diese Erörterung des Konfliktes nicht, so war das Bemühen der Beraterin vergeblich, und die Bescheinigung über das Beratungsgespräch, das in diesem Fall recht einseitig war, wird ausgestellt. Auch wenn das für manchen nicht selbstverständlich ist: Es ist die logische Konsequenz aus dem Urteil, in dem es heißt, daß die erwartete Gesprächsbereitschaft der Schwangeren nicht erzwungen werden darf und die Beraterin die Freiheit und die Verantwortung hat, darüber zu entscheiden, ob weitere Gespräche Sinn machen. Bei einer Verweigerungshaltung der Ratsuchenden machen sie eben keinen Sinn. Ein Sinneswandel ist nicht zu erwarten.Jetzt kommt etwas, das wahrscheinlich keiner von Ihnen jemals gelesen hat. In der Bayerischen Verordnung von 1988 über die Durchführung von Beratungen heißt es unter Punkt 3.3.3 — ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten —, daß die Beratungsbestätigung nur dann ausgestellt wird, wenn dieSchwangere das Gesprächsangebot und das Informationsangebot entgegengenommen hat. — Ein Angebot entgegennehmen, meine lieben Kollegen von der CSU, heißt nicht, sich auf das Angebot einzulassen.
Der Koalitionsgesetzentwurf setzt die Vorgaben der Richter über Inhalt, Richtung und Charakter der Beratung in dem soeben geschilderten Sinne um. Durch das angestrebte Reflektieren der Lebenssituation der Schwangeren, die umfassende Informierung über das Angebot von staatlicher Seite bereitgestellter Hilfen und die in Aussicht gestellte Unterstützung bei den Behördengängen sollen den Frauen Wege aus dem Konflikt gezeigt werden. Diese Ausrichtung auf die Beratung haben die Richter vorgeschrieben, und den Weg dieser Ausrichtung der Beratung geht der Gesetzgeber, geht der Koalitionsgesetzentwurf.Meine Damen und Herren, das ist die Ausrichtung der Beratung auf den Schutz des ungeborenen Lebens hin. Wenn Sie das jetzt wissen und wenn Sie das jetzt nachlesen, dann gibt es überhaupt keinen Anlaß mehr, die Irreführung der Bevölkerung über Ablauf und Charakter der Beratung fortzuführen.
Von einem Zwangscharakter der Beratung kann nun wirklich keine Rede sein.Den Prinzipien „Freiheit und Verantwortung", „Rechte und Pflichten" gilt es nun auch bei den Ärzten im Falle des Schwangerschaftsabbruchs Rechnung zu tragen. Es ist das Recht eines jeden Gynäkologen, auf der Grundlage eines rechtswirksamen Vertrages zwischen ihm und der Frau den Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen. Er kann sich aber auch das Recht nehmen zu sagen, er mache keine Schwangerschaftsabbrüche. Der andere Kollege kann sich das Recht nehmen, auf der Grundlage seines eigenen Verständnisses von seinem Beruf und von der Konfliktsituation der Frau diesen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen.Nun trifft die Ärzte bei ihrem Handeln, also bei einem operativen Eingriff für den Schwangerschaftsabbruch, eine besonders hohe Verantwortung. Also nicht nur die Frau, sondern auch die Ärzte müssen ihre Entscheidung auf einer guten Grundlage treffen.Jetzt kommt das große Mißverständnis, Frau Wettig-Danielmeier, das Sie hier noch einmal dargestellt haben: Der Arzt oder die Ärztin wird schon aus eigenem Handeln, aus eigener Sicht der Dinge, herauszufinden versuchen, wie gefestigt die Frau in ihrer Haltung zum Abbruch ist. Er oder sie wird auch herauszufinden versuchen, ob sie freiwillig zum Abbruch kommt.
Er wird sie auch über die medizinischen und seelischen Risiken des Eingriffs beraten und informieren.Nun gaben die Richter dem Gesetzgeber auf, gesetzlich zu verankern, daß der Arzt oder die Ärztin versuchen soll, sich die Beweggründe für den Eingriff,
Metadaten/Kopzeile:
19968 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Uta Würfeldessen Folgen durchaus von manchem unterschätzt werden, schildern zu lassen.
— Doch, das steht schon so drin. — Gelingt ihm das nicht, weil die Frau ablehnt, so ist es seine freie Entscheidung,
auch ohne Kenntnis der Beweggründe der Frau im einzelnen den Eingriff vorzunehmen.
Er wird sich jedoch immer, in jedem Fall, schon aus versicherungsrechtlichen Gründen, bestätigen lassen, daß er bemüht war, sich über die Gründe zu informieren.Jetzt noch einmal für alle:
Eine ärztliche Pflichtverletzung, so wie sie im Gesetzentwurf steht, liegt erst dann vor, wenn der Gynäkologe weder versucht, sich die Gründe darlegen zu lassen, wenn er die Ultraschalluntersuchung des Fötus nicht macht und wenn er das Geschlecht des Kindes vor Beginn der 13. Woche bekanntgibt. Ausdrücklich betone ich hier an dieser Stelle für die Koalition, daß es keine Pflicht für die Frau gibt, dem Arzt ihre Beweggründe darzulegen.Nachdem Sie das jetzt zur Kenntnis genommen haben, gibt es auch hier überhaupt keinen Grund, weiterhin zu behaupten, der Koalitionsgesetzentwurf baue durch das Gespräch mit dem Arzt vor dem Eingriff neue Hürden für die Frau auf.
Ich appelliere jetzt an die Verantwortung der Kolleginnen und Kollegen, die Verunsicherung der Bevölkerung nicht weiter zu betreiben. Die Bestimmungen, die wir hier geregelt haben,
die Bestimmungen über die Pflichtverletzungen der Ärzte, die geregelt werden mußten, weil uns das Gericht das aufgegeben hat, haben wir mit der Bundesärztekammer abgesprochen. Es tut mir leid, das muß ich hier an dieser Stelle sagen.Jetzt komme ich noch zur letzten Gruppe — —
— Frau Wettig, einen Moment, das können wir immer noch machen, jetzt möchte ich erst einmal im Zusammenhang darstellen können.Ich komme zur letzten Gruppe, derjenigen Menschen, die mittelbar oder unmittelbar an einem Schwangerschaftsabbruch beteiligt sind, und zwar sind das die Menschen, die ebenfalls eine ganz besondere Verantwortung trifft. Es sind diejenigen,die bewußt im persönlichen Umfeld der Schwangeren aus einem Mangel an Verantwortungsbewußtsein heraus gewollt schwangere Frauen veranlassen — indem sie immens viel Druck auf sie ausüben —, das in ihnen wachsende Leben durch einen operativen Eingriff vernichten zu lassen. In diesen Fällen werden die Frauen ohne Berücksichtigung ihres körperlichen oder seelischen Zustandes gegen ihren Willen dazu bestimmt, eine Tat zu tun, die sie selbst nicht wollen und mit der sie unter Umständen ein Leben lang überhaupt nicht fertig werden.An dieser Stelle darf ich Ihnen sagen: Es gibt nicht nur die selbstbewußte Frau, die auf der Grundlage einer obligatorischen Beratung weiß, was sie will, ob sie die Schwangerschaft fortsetzt oder beendet; es gibt auch die andere Frau, die gegen ihren Willen veranlaßt wird und die sich nicht wehren kann, eine Tat zu tun, die sie nicht will. Sie möchte das Kind austragen, aber man läßt es nicht zu.
Und da haben die Richter gesagt, für diese Fälle muß der Gesetzgeber — verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD — zusätzlich zu dem bereits bestehenden Nötigungsparagraphen zwei neue Strafnormen in das Strafgesetzbuch aufnehmen. Es heißt im Urteil — und ich lese es Ihnen gerne vor —, daß es unerläßlich ist, diese neuen Strafnormen zu regeln. Der Gesetzgeber hatte also keine Alternative. Das Urteil ist eindeutig,
ob uns das gefällt oder nicht.Es ist im übrigen eine Frage des Umgangs mit unserem höchsten deutschen Gericht, ob man etwas nicht tut, was das Gericht vorgibt. Meine Auffassung ist dies nicht. Ich habe Respekt vor dem Verfassungsgericht, und ich setze dies um.
Frau Kollegin Würfel, die Kollegin Hanna Wolf würde gerne eine Frage stellen.
Herr Präsident, ich möchte, weil das Thema sehr schwierig ist, gern erst einmal im Zusammenhang sprechen. Wir können uns nachher immer noch durch Kurzinterventionen austauschen.Liebe Kolleginnen von der SPD, Sie setzen das Urteil nicht so um, daß Ihr Gesetzentwurf verfassungskonform wäre. Sie gehen bewußt und offenen Auges das Risiko ein, daß Ihr Gesetzentwurf — wäre er Gesetz — für nicht verfassungskonform erklärt werden müßte.Sie betonen weiterhin bei der Beratung den Informationscharakter, und genau dies ist vom Verfassungsgericht zurückgewiesen worden. Die klare Vorgabe des Gerichtes, daß möglichst eine auf den konkreten Schwangerschaftskonfliktfall bezogene Beratung stattfinden soll, setzen Sie nicht um.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 19969
Uta WürfelDer SPD-Entwurf enthält auch nicht die vom Bundesverfassungsgericht als unerläßlich bezeichneten Strafnormen für das Umfeld der Schwangeren und nicht die Regelung der ärztlichen Pflichtverletzungen.Der SPD-Gesetzentwurf beachtet nicht, daß das Bundesverfassungsgericht nur bei Bedürftigkeit der Frau nach den Grundsätzen des Sozialhilferechts eine Kostenübernahme für Schwangerschaftsabbrüche durch den Staat für zulässig erachtet hat.
Dies alles hat mich davon abgehalten, mit Ihnen zusammen den Gesetzentwurf auf der Grundlage Ihrer übermittelten Rohvorstellungen erarbeiten zu können. Ich riskiere keine erneute Klage vor dem Verfassungsgericht. Ich möchte, daß endlich die Rechtsunsicherheit der Frauen, der Beraterinnen und der Ärzte beendet wird.Ich möchte vor allen Dingen nicht zulassen, daß dieses schwierige Thema, das so sehr die weltanschaulichen und religiösen Gefühle der Menschen betrifft, zu einem Wahlkampfthema wird.
Zu einer Kurzintervenlion erteile ich das Wort dem Kollegen Claus Jäger.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich zu einer Kurzintervention zu der Rede der Kollegin Würfel gemeldet, weil sie zwar mit Recht darauf hingewiesen hat, daß weder das Urteil des Bundesverfassungsgerichts noch die in den verschiedenen Entwürfen normierte Beratungspflicht im Schwangerschaftskonfliktfall eine Beeinträchtigung der Würde und Eigenständigkeit der Frau bedeutet. Aber, Frau Kollegin Würfel, Sie haben das Haus dann doch nicht ganz vollständig über die Tragweite dieser Beratung und insbesondere der Voraussetzungen informiert, die das Bundesverfassungsgericht für die Wahrnehmung einer eigenverantwortlichen Entscheidung setzt. Das Bundesverfassungsgericht sagt:
Soll die Verantwortung der schwangeren Frau für das ungeborene Leben Grundlage einer gewissenhaften Entscheidung werden, so muß die Frau sich eben dieser Verantwortung bewußt sein, die sie nach dem Beratungskonzept in spezifischer Weise trägt. Dabei muß sie wissen, daß das Ungeborene insbesondere auch ihr gegenüber ein eigenes Recht auf Leben hat, also auch im Frühstadium der Schwangerschaft nach der Rechtsordnung besonderen Schutz genießt. Mithin muß der Frau bewußt sein, daß nur in Ausnahmesituationen nach der Rechtsordnung ein Schwangerschaftsabbruch in Betracht gezogen werden darf, nämlich nur, wenn der Frau eine Belastung erwächst, die so schwer und außergewöhnlich ist, daß sie die zumutbare Opfergrenze übersteigt. Dessen muß sich die beratende Person vergewissern und etwa vorhandene Fehlvorstellungen in für die Ratsuchende verständlicher Weise korrigieren.
Herr Präsident, ich glaube, diese Ergänzung ist notwendig, damit sich alle Kolleginnen und Kollegen über die Tragweite der Entscheidung im klaren sind.
Danke schön.
Frau Kollegin Würfel, wünschen Sie darauf zu antworten?
Das ist nicht nötig.
Dann erteile ich das Wort zu einer weiteren Kurzintervention auf Ihre Rede der Kollegin Niehuis.
Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Würfel, ich denke schon, daß das, was Sie uns hier erzählen, mit dem Gesetzentwurf konform sein muß, den Sie vorlegen.
Ich will nur einen Punkt erwähnen: Sie haben den Eindruck erweckt, als ob die Frau in dem Gespräch beim Arzt entscheiden könne, ob sie ihre Gründe für den Abbruch darlegt oder nicht.
In § 218c Ihres Gesetzentwurfes steht wortwörtlich zur ärztlichen Pflicht:
Wer eine Schwangerschaft abbricht, ... ohne sich zuvor die Gründe für das Verlangen der Frau nach Abbruch der Schwangerschaft darlegen zu lassen, ... wird mit Freiheitsstrafe ... bestraft.
Ich sage Ihnen — das haben auch die Ärztinnen und Ärzte in der Anhörung deutlich gesagt —: Hier zwingen Sie den Arzt dazu, von der Frau die Gründe zu erfahren. Das ist keine Freiwilligkeit, weil der Arzt sonst Schwierigkeiten mit dem Strafrecht bekommt; und die Frau ist gezwungen, ihre Gründe darzulegen. Das hat nichts mit Beratung zu tun, und Sie haben etwas ganz anderes erzählt.
Frau Kollegin Frau Würfel zur Replik.
Frau Niehuis, das ist nicht so. Ich habe dargestellt: Wer sich die Gründe nicht hat darlegen lassen, wer das Geschlecht des Kindes mitteilt, wer ... usw. Es müssen drei Bestandteile an Pflichtverletzungen zusammenkommen. Schauen Sie sich das bitte an.
Es heißt nicht: „Wer sich ... und wer nicht ...", sondern: „Wer ...", und es folgen die drei Bestandteile.
Eine Darlegung der Gründe bedeutet auch, daß dieSchwangere sagt: „Ich teile Ihnen die Gründe nicht
Metadaten/Kopzeile:
19970 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Uta Würfelmil." Auch das ist eine Darlegung in juristischem Sinne; das ist eindeutig.
Als nächste hat die Kollegin Petra Bläss das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Ein Gespenst geht um in der Bundesrepublik: das Gespenst des ungeborenen Lebens" — so charakterisierten die Frauen der „Bundesweiten Koordination gegen den § 218" den Urteilsspruch des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Mai 1993. Lebensschützer aller braunen und schwarzen Schattierungen, Ärztinnen und Ärzte, Verfassungsrichter, CDU/CSU, F.D.P. und nunmehr auch die SPD haben es sich zur Aufgabe gemacht, dieses Ungeborene zu schützen — gegen jedermann und jedefrau, vor allem aber gegen die größte ihm drohende Gefahr, die Schwangere. Diese nämlich ist umständehalber nicht ganz zurechnungsfähig, egoistisch, leichtfertig und verantwortungslos, weshalb das Ungeborene auch gegen sie zu schützen ist.In Ermangelung des Vaters oder Ehemannes, der in früheren Epochen über den Körper, die Sexualität und die Gebärfähigkeit von Frauen entschied, maßt sich heute der Staat, diesmal in Gestalt seines höchsten Gerichts, diese Schutzfunktion an. Mittels der juristischen Fiktion eines der Frau gleichen und freien Rechtssubjekts „ungeborenes Leben", das bereits vor der Geburt Träger von Grundrechten ist, ist es diesem Gericht gelungen, das Selbstbestimmungsrecht der Frau gegen ihre Gebärfähigkeit auszuspielen. Allerdings erlischt die Schutzfunktion des Staates im Moment der Geburt offenbar automatisch,
und die nun wieder allein verantwortliche Frau kann sehen, ob und wie sie ihr Kind aufzieht.Was wie eine kabarettistische Einlage anmutet, ist bundesdeutsche Wirklichkeit anno 1994. Ich fürchte, was diese Entwicklung anbelangt, stehen wir noch nicht am Ende.Das eigenständige Recht des Fötus auf Leben impliziert in der gängigen konservativen Lesart das gegen die Schwangere einklagbare Recht auf Geburt. Die Kollegen Carstens, Geis, Jäger und Werner zeigen das mit aller Konsequenz in ihren Gesetzentwürfen. Die gestrige, 100 000 DM teure Kerzenaktion am Bonner Kunstmuseum zeigte einmal mehr, wieviel Einfluß und Macht die militanten Lebensschützer hierzulande inzwischen haben. Sie dürfen auch heute ungestört vor der Bundestagstür Pamphlete verteilen.Wenn es überhaupt noch eines Beweises für den Rechtsruck bedurft hätte, den die politische Klasse der Bundesrepublik in den vergangenen vier Jahren vollzogen hat — die heute zur Debatte stehenden Gesetzentwürfe demonstrieren hinlänglich, in welchen gesellschaftlichen Verhältnissen wir leben.
Während in nahezu allen westeuropäischen Ländern, bis hin in die katholischen Bastionen Spanien und Portugal, die gewandelten gesellschaftlichen Verhältnisse dazu geführt haben, daß die Entscheidungsfreiheit der Frau verfassungsrechtlich geschützt wird, schützen die Politikerinnen und Politiker der Bundesregierung und in zunehmendem Maße auch der regierungswilligen Opposition um die Wette ein imaginäres ungeborenes Leben.Nach mehr als 20 Jahren gesellschaftlicher Debatte in den alten Bundesländern über die Notwendigkeit einer Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs und nach jahrzehntelanger Praxis einer liberalen Fristenregelung in der DDR wird der Bundestag heute im zweiten Anlauf beschließen, die ganz persönliche Entscheidung einer Frau über Austragen oder Abbrechen einer Schwangerschaft erneut mit den untauglichen Mitteln des Strafrechts zu reglementieren, unabhängig davon — das ist allerdings neu und beunruhigend —, ob letztlich der Gesetzentwurf der Koalition oder der der SPD obsiegen wird, trotz des unterschiedlichen Zugangs in den Entwürfen.Bereits im sogenannten Gruppenantrag und dem daraus resultierenden Gesetz von 1992 waren alle Elemente des heute zur Debatte stehenden Gesetzentwurfs der Koalition in etwas liberalerer Form enthalten. Es gab die Kriminalisierung der Abtreibung und die Zwangsberatung mit der Orientierung auf den Schutz des ungeborenen Lebens sowie die Strafe für Frauen, die diese Beratung umgehen wollten. Bereits mit diesem faulen Kompromiß waren die Weichen für die nachfolgende Entwicklung gestellt. Die Entscheidung darüber, wie die künftige Gesetzgebung auf dem Gebiet des Schwangerschaftsabbruchs aussehen wird, war denn auch gefallen, lange bevor der Sonderausschuß mit dem ergebnisorientierten Namen „Schutz des ungeborenen Lebens" zum erstenmal wieder tagte.Sie war mit der Bereitschaft der großen Westparteien gefallen, den Spruch des Bundesverfassungsgerichts über die grundsätzliche Gebärpflicht der Frau zu respektieren und sich in den damit vorgegebenen Bahnen zu bewegen.Respektieren bedeutet in diesem Zusammenhang Anpassung an eine Interpretation des Grundgesetzes, die von Richtern, also Menschen mit individuellen moralischen Wertvorstellungen, vorgenommen wurde. Es erscheint mir notwendig, daran zu erinnern, daß die von den Verfassungsrichtern zur Begründung ihrer Entscheidung herangezogenen bürgerlichen Grundrechte zuvörderst als Abwehrrechte der Bürgerinnen und Bürger gegen Eingriffe des Staates in ihre Privatsphäre konzipiert waren.Gerichte hatten in diesem Kontext die Aufgabe, die Freiheitsrechte der Individuen gegen den Staat zu schützen, nicht aber die Verfügungsgewalt des Staates über die Mehrzahl seiner Bewohnerinnen durch
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 19971
Petra BlässMißbrauch der Grundrechte juristisch zu legitimieren. Leider sind wir von diesen Grundsätzen inzwischen weit entfernt.Meine Damen und Herren, den uns vorliegenden Gesetzentwürfen der Regierungskoalition und verschiedener Abgeordneter aus der CDU/CSU-Fraktion wie auch dem SPD-Entwurf wird die PDS/Linke Liste nicht zustimmen. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen. Auf einige, die zu unserer generellen Kritik am § 218 hinzukommen, will ich kurz eingehen.Von Regierungskoalition wie SPD wird die Tatsache, daß das Bundesverfassungsgericht das Beratungskonzept des Schwangeren- und Familienhilfegesetzes zum verfassungskonformen Instrument des Lebensschutzes erklärt hat, als großer Fortschritt gefeiert. In Wahrheit blieb den Richtern aber gar nichts anders übrig als anzuerkennen, daß — ich zitiere —:... die Schwangerschaft in ihrer Frühphase oft nur der Mutter bekannt ist und das Ungeborene ihrem Schutz in jeder Hinsicht anvertraut, von ihm aber auch existentiell abhängig ist. Der Staat sieht sich vor die Aufgabe gestellt, Leben zu schützen, von dessen Vorhandensein er nichts weiß.Genau darin liegt das Problem. Das Beratungskonzept wurde nicht aus Prinzip für besser befunden als die bloße Strafe, sondern weil es eine bessere Wirksamkeit verspricht. Die bisherige Strafverfolgung wurde erst nach der Abtreibung wirksam, wenn die sanktionierten Folgen nicht mehr rückgängig gemacht werden können.Um diesen strukturellen Fehler der bisherigen Gesetzgebung zu beheben, soll auf die Frau jetzt mittels Beratung präventiv eingewirkt werden, bevor ein Abbruch erfolgt. Dem Bundesverfassungsgericht ist mit dieser Regelung ein beinahe perfektes Staatsschutzkonzept gelungen, das unter dem Mäntelchen scheinbarer Liberalisierung in Wirklichkeit die fast totale Entmündigung der Frauen betreibt.Mit wirklicher Beratung — das hat die Anhörung der Beraterinnen im Sonderausschuß einmal mehr deutlich gezeigt — hat das natürlich nichts zu tun. Trotzdem folgt die Regierungskoalition und mit einigen Abstrichen auch die SPD diesem Konzept. Unterschiede existieren allein im Umfang der kosmetischen Retuschen. Dies ist nun wirklich unerträglich.Es ist genauso unerträglich wie der Versuch einer indirekten Bestrafung der abtreibenden Frauen per Sozialgesetzgebung. Das Bundesverfassungsgericht hat die Frauen dieses Landes eindeutig wissen lassen, daß die notgedrungene Zustimmung zum Beratungskonzept mit der darin enthaltenen formalen Letztverantwortung der Frau seinen Preis hat, und zwar im wörtlichen Sinn: Frauen, die sich entscheiden, eine Schwangerschaft abzubrechen, sollen für diese Entscheidung zahlen. Können sie das Geld nicht selbst aufbringen, müssen sie den entwürdigenden Gang zum Sozialamt antreten.Angesichts der durch diese Entscheidung hervorgerufenen Irritationen im Lande und der Rechtsunsicherheit für die Frauen hatte die Koalition zwischenzeitlich selbst eine Vorfinanzierung der Abbrüche durch die Krankenkassen vorgeschlagen. Doch nicht einmal diese kleine Erleichterung für Frauen hat sich zum Schluß durchgesetzt.Insgesamt — und das haben in der Anhörung des Sonderausschusses selbst Verfassungs- und Strafrechtler so gesehen — hat weder die Koalition noch die SPD den im Karlsruher Urteil vorhandenen Spielraum ausgenutzt, um frauenfreundlichere Regelungen oder zumindest die Abschwächung des repressiven Urteils zu erreichen.Die PDS/Linke Liste jedenfalls wird sich weder mit dem frauenverachtenden Karlsruher Urteil noch mit den daraus resultierenden Gesetzentwürfen arrangieren, die den § 218 ändern, aber nicht abschaffen wollen.Wir weigern uns, das Menschenrecht auf ein selbstbestimmtes Leben von Frauen zur Disposition zu stellen, nur weil die Richter in Karlsruhe meinen, es mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik nicht in Übereinstimmung bringen zu können.Vielmehr fordert die PDS/Linke Liste eine Änderung des Grundgesetzes durch Hinzufügung eines Abs. 3 in Art. 2, der klarstellt, daß Frauen selbst darüber entscheiden, ob sie eine Schwangerschaft austragen oder nicht.Wir wissen, daß diese Auffassung, die die Meinung des größten Teils der Bevölkerung widerspiegelt, zur Zeit im Bundestag nicht mehrheitsfähig ist. Angesichts des deutlichen Abrückens der SPD von einstigen Prinzipien ist es auch eher unwahrscheinlich, daß sich zu Beginn der neuen Legislaturperiode daran etwas Grundlegendes ändern wird.Sie alle sollten deshalb damit rechnen, daß wir in der nächsten Legislaturperiode unsere Forderung nach Beseitigung des Abtreibungsstrafrechts erneuern werden.
Meine Damen und Herren, ich möchte dem Haus und damit auch den Kolleginnen und Kollegen, die außerhalb des Plenums mithören, mitteilen, daß die Fraktionen der Koalition namentliche Abstimmung beantragt haben. Ich schätze, daß diese gegen 12 Uhr wird stattfinden können, vielleicht ein bißchen früher, aber so wie die Dinge verlaufen, eher ein bißchen später. Es kann sich dann aber nur um Minuten handeln.
Ich erteile als nächstem dem Kollegen Dr. Wolfgang Ullmann das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gehe um das Recht auf Leben und um den Schutz dieses Rechtes, versichern diejenigen, die einen entscheidenden Konsens dieser Legislaturperiode durch ihre Klage vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe haben scheitern lassen. Das Urteil unseres höchsten Gerichtes zeigt, was eintritt, wenn ein Gericht über eine Frage entscheiden muß, die notorisch eine Frage der individuellen Ethik und des Gewissens ist. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes ist widersprüchlich. Das Gericht selbst hat
Metadaten/Kopzeile:
19972 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Dr. Wolfgang Ullmanngespalten geurteilt, wie das Minderheitenvotum zeigt.Aber nun, meine Damen und Herren, stehen wir vor der Frage — das ist für mich die entscheidende Frage —: Können wir denjenigen glauben, die diesen Gesetzentwurf vorgelegt haben, ihnen gehe es um den Schutz des Rechtes auf Leben?
Widersprüchlich, finde ich, ist jedenfalls die Antwort, die ich dem Gesetzentwurf entnehme, den wir heute beraten. Denn schon jetzt ist klar, daß dieser Gesetzentwurf in die Mühlen des Vermittlungsausschusses geraten wird. Schon jetzt ist auch klar, daß eine Reform des § 218, die verfassungskonform ist und zugleich den Frauen Entscheidungsmacht einräumt, zur Zeit nicht zustande kommt.Ich bedaure das. Ich bedaure es eingedenk der Hoffnungen ostdeutscher Frauen, die auf eine Regelung dieser für sie existentiellen Frage warten. Was ihnen präsentiert wird, ist der Zwang zur Heuchelei und die Abkoppelung der Kosten eines Schwangerschaftsabbruches von der Krankenkassenfinanzierung, und dies auch noch mit der Absicht einer moralischen Zensur. Eine solche Gesetzgebung finde ich ethisch anstößig.
Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum § 218 ist die Chance, die Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruches im Sinne des Gesetzes durchzusetzen, in weitere Unklarheit geraten. Frauen wird damit die Möglichkeit einer eigenen, selbstbestimmten Entscheidung über die Frage, ob sie ein Kind wollen oder nicht, weiterhin erschwert.Der Gesetzentwurf der Koalition zeichnet das Bild eines Staates, der Meinungen, und zwar moralische Meinungen, in Gesetzesform bringt und auf Kontrolle statt auf die Entscheidungsfähigkeit der mündigen Bürgerin setzt.
Ihre liberalen und beschönigenden Erläuterungen, Frau Würfel, haben das nicht widerlegen können. Ein Blick in Ihren Gesetzentwurf zeigt, daß es so ist.
Durch die Aufnahme der Erwartungen der Rechtsordnung in den Tatbestand des § 219 StGB und die Formulierung von Vorgaben an die Beratung werden eine Fülle von unbestimmten Rechtsbegriffen in das Gesetz aufgenommen, die eine offene Beratungssituation verunmöglichen. Das geforderte Bekenntnis kommt geradezu einem beamtenrechtlichen Treueschwur gleich. Das vergiftet die Beratungsatmosphäre, denn es obliegt der Beraterin, die betroffene Frau erst einmal für schuldig zu erklären, sie vom Unwert-Urteil der Verfassung zu überzeugen.Die Überwachung der Beratungsstellen ist strenger als die unserer Atomkraftwerke.
Deren Genehmigung wird nämlich nicht alle zwei Jahre überprüft, sondern unbefristet erteilt.Auch bei dem neu geschaffenen Straftatbestand, der schon das Versäumnis eines Arztes, sich die Gründe für den Schwangerschaftsabbruch darlegen zu lassen, mit Freiheitsstrafe oder Geldstrafe bedroht, steht das kontrollierende und disziplinierende Motiv im Vordergrund, und zwar abermals in einem Bereich höchster moralischer und ethischer Sensibilität.Gleiches gilt für den neuen Straftatbestand der Mitverursachung eines Schwangerschaftsabbruchs, von dem jetzt schon klar ist, daß er faktisch keine Bedeutung haben wird und dessen Funktion dann wiederum nur die Kontrolle des Staates sein kann.Im übrigen verstehe ich, Frau Würfel, Ihre Polemik gegen den SPD-Entwurf nicht. Auch er hat in dieser Hinsicht eine Ergänzung in § 240.
Durch die im Gesetzentwurf gewählte Lösung werden bedürftige Frauen diskriminiert. Sie müssen den doppelten Gang machen, nämlich zur Beratungsstelle und zu den Sozialämtern. Verfassungskonform und sinnvoll wäre aber eine Lösung innerhalb der Krankenkassenfinanzierung gewesen. Schon jetzt kennt das Krankenkassenrecht sogenannte Härtefallregelungen, wo Kosten übernommen werden, obwohl kein Anspruch auf Leistungen besteht. Das wäre meines Erachtens auch eine Antwort auf Ihre Probleme mit der Systemfremdheit, Frau Kollegin Wettig-Danielmeier. In Anlehnung an diese Regelungen hätte eine Lösung gefunden werden können.Meine Damen und Herren, wenn ich die Vorstellungen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, die Vorstellungen der SPD und auch die der Koalition vergleiche, stelle ich in der Tat fest: Das Karlsruher Urteil hat eine Spaltung in unserer Gesellschaft vertieft; denn wenn man die Entwürfe anschaut, muß man sagen, es hätte angesichts der uns alle bedrängenden Aufgabe wieder eine Lösung möglich sein müssen, wie sie der Gruppenantrag ehedem zustande gebracht hat.Es müßte doch konsensfähig unter uns sein: Beratung als umfassende Aufklärung über Verhütung, Beratung der schwangeren Frau als ergebnisoffen — Frau Würfel hat soeben ihren eigenen Gesetzentwurf so interpretiert. Die Beratung soll anonym erfolgen. Der schwangeren Frau soll ein Rechtsanspruch eingeräumt werden, die Angabe von Gründen zum Abbruch der Schwangerschaft zu verweigern. Das alles scheint unter uns konsensfähig zu sein.Daraus, daß es bisher nicht zu einem Konsens gekommen ist, schließe ich, meine Damen und Herren, daß es im Hintergrund ideologische Vorbehalte gibt, die das Problem vorläufig gesetzgeberisch nicht lösbar machen. Dann sollten wir endlich suchen, was
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 19973
Dr. Wolfgang Ullmanndas ist. Ich will versuchen, Ihnen meine Vermutung vorzutragen.Ich habe die Frage gestellt: Kann man es glauben, daß es hier wirklich um den Schutz des Lebens und um das Recht auf Leben geht? So, wie Ihr Gesetzentwurf, meine Damen und Herren von der Koalition, vor mir liegt, kann ich es einfach nicht glauben. Ich will Ihnen sagen, warum.Der Gesetzentwurf kommt aus einem gesellschaftlichen Kontext, der so aussieht: In Berlin klingelt es an unserer Wohnung, und vor meiner Frau stehen zwei Achtjährige, die um eine Unterschrift bitten. Meine Frau fragt erstaunt: Wozu denn? — Wir sammeln Unterschriften für unseren Spielplatz mit dem Planschbecken; denn dort soll ein Hochhaus gebaut werden. — Einige Tage später kommt unser eigener Enkel; er sammelt auch Unterschriften. Er sammelt Unterschriften für die Kinderbibliothek in unserem Viertel, die einer Bank weichen soll.Meine Damen und Herren, das ist die kinderfeindliche Gesellschaft, die mit der Brutalität der Immobilienspekulation Lebensqualität der Kinder erzeugt.
Das ist die lebensfeindliche Gesellschaft, in der Frauen sich aus Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes sterilisieren lassen.
— Aber das sehen wir doch alle. Ich verstehe nicht, daß wir dann Gesetzentwürfe machen, die nichts tun, um die Lebensfeindlichkeit, die Kinderfeindlichkeit und dann auch die Frauenfeindlichkeit dieser Gesellschaft zu beseitigen. So, wie dieser Gesetzentwurf vor uns liegt, wird er das jedenfalls nicht leisten. Ich vermute, darum gibt es zur Zeit auch noch keinen Konsens in diesem Hause.
Frau Kollegin Professor Ursula Männle, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Knapp ein Jahr nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird, wie ich sehr hoffe, heute Einigung über die Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs erzielt und damit Rechtssicherheit und Rechtsklarheit geschaffen. In den vergangenen zwölf Monaten gab es sehr unterschiedliche Interpretationen des Urteils. Wir haben es gerade heute auch wieder erlebt. Es gab Streit um enge und weite Auslegungen. Viele Medien folgten, auch von Politikerinnen unterstützt, dem Grundsatz: Am besten verkaufen sich negative Schlagzeilen. Leider stehen auf der Tagesordnung Diffamierung statt Differenzierung, Desinformation statt Information, Manipulation statt Aufklärung. Das Presseurteil über die Neuregelung steht schon fest: Keine überparteiliche Einigung im Bundestag, Blockade im Bundesrat. Stockt also das Ganze wieder in Bonn, obwohl Karlsruhe doch klar und deutlich gesprochen hat?Eindeutig wurden — hier widerspreche ich ganz klar Frau Wettig-Danielmeier — in Karlsruhe wesentliche Bestimmungen des Schwangeren- und Familienhilfegesetzes vom Verfassungsgericht für grundgesetzwidrig und nichtig erklärt und entscheidende Nachbesserungen bzw. Änderungen eingefordert. Gefordert wurde die Klarstellung des Vorrangs des Lebensrechtes des Ungeborenen vor dem Selbstbestimmungsrecht der Frau.
Gefordert wurde die zielorientierte Pflichtberatung. Gefordert wurde die Rechtswidrigkeit beratener Schwangerschaftsabbrüche und damit als Folge, daß es keine Krankenkassenfinanzierung geben wird.Karlsruhe war also eindeutig. Karlsruhe hat uns aber auch in seiner Anordnung eine Beratungsregelung als Schutzmodell vorgegeben, die jetzt im Koalitionsentwurf umgesetzt wird. Es ist ein neuer Weg, um wirksamer als bisher ungeborenes Leben zu schützen. Es ist ein Versuch, den es zu wagen lohnt. Die strafrechtlichen Gewichte im Beratungskonzept verschieben sich. Stärker akzentuiert werden die präventiven Elemente, zurückgenommen werden die repressiven. Verzichtet wird auf die Indikationsfeststellung, um eine offene Gesprächssituation zu schaffen und damit die Lebenschancen für das Ungeborene zu erhöhen. Aufgenommen werden neue strafbewehrte Pflichten für den Arzt und strafbewehrte Verhaltensgebote für das familiäre sowie das soziale Umfeld. Die Mißbilligung des Schwangerschaftsabbruchs erfolgt also nicht nur im Sozialrecht, sondern auch in strafrechtlichen Bestimmungen, allerdings in Bestimmungen, die sich nicht gegen die Frau richten.Zentrale Bedeutung in diesem Konzept kommt einer qualifizierten, zielgebundenen Beratung zu, in der das Lebensrecht des Ungeborenen klar vertreten und das Persönlichkeitsrecht der Frau respektiert wird. Die verpflichtende Beratung im Schwangerschaftskonflikt ist keine bevormundende Belehrung, kein staatlich verordneter Nachhilfeunterricht im Lebensschutz, aber auch keine wertfreie Unterrichtung. Beratung dient dem Leben, indem die Beratenden die Interessen des Kindes vertreten, sein Lebensrecht auch gegenüber der Mutter zum Ausdruck bringen, mit der Mutter nach Konfliktlösungen suchen, ihr umfassende Hilfe und Rat anbieten. Die Beratung soll normative Orientierung und Ermutigung zum Kind geben, darf nicht manipulieren und indoktrinieren. Das Gegenteil von Indoktrination ist aber nicht Indifferenz. Ziel der Beratung ist, in einer Atmosphäre der Offenheit und Angstfreiheit, des Befreitseins von der Notwendigkeit einer Indikationsfeststellung den Schwangerschaftskonflikt durch umfassende Erörterung und praktische Hilfe zu lösen. Von Bevormundung, ja Entmündigung, wie von der SPD unterstellt, kann keine Rede sein.
Wie sieht dagegen das SPD-Konzept der Beratung aus? Bei der SPD fehlen entscheidende Passagen aus der Anordnung des Gerichts, daß das Ungeborene auch gegenüber der Mutter während der gesamten Schwangerschaft ein eigenes Recht auf Leben hat und
Metadaten/Kopzeile:
19974 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Ursula Männledaß nach der Rechtsordnung ein Schwangerschaftsabbruch nur in einer Ausnahmesituation, die die zumutbare Opfergrenze übersteigt, in Betracht kommen darf.Meines Erachtens ist die Frage berechtigt: Warum nimmt die SPD solche elementaren Bestimmungen nicht auf? Ihre Antworten, die Sie bisher gegeben haben, sind gefährlich. Im Hinweis auf den Vorrang des Lebensrechts des Kindes wird eine Einschränkung des Persönlichkeitsrechts, ja eine Entmündigung der Frau gesehen. Da sich die SPD gegen die Aufnahme wehrt, wehrt sie sich gegen das Freiheitsverständnis unserer Verfassung. Freiheit ist verantwortete Freiheit.
Das Freiheitsrecht des einzelnen ist begrenzt durch das Lebens- und Freiheitsrecht der anderen. Die SPD sieht aber in der Erwähnung des Lebensrechts des Ungeborenen einen Störfaktor der Beratung.
Damit interpretieren Sozialdemokraten das Freiheitsrecht als Verfügungsrecht über andere. Verantwortete Freiheit in unserem Sinne setzt Bindung an ethische Maximen voraus. Dietrich Bonhoeffer formulierte dies treffend in seiner „Ethik":Gehorsam ohne Freiheit ist Sklaverei. Freiheit ohne Gehorsam ist Willkür.Welche Konsequenzen hat die neue Beratungsregelung für die Frau? Ich betone es: Ihre Letztverantwortung wird respektiert. Das Angebot einer ergebnisoffenen Beratung ist jedoch für die Frau damit verbunden, daß die Rechtsordnung ihr die Rechtfertigung für den Schwangerschaftsabbruch versagt; denn die Beratung bzw. der Beratungsschein hat keine legalisierende Wirkung. Beratung ist kein Ersatz für eine Indikationsfeststellung, und Schwangerschaftsabbrüche bleiben damit nach der Beratungsregelung rechtswidrig.Wer sich aus Angst vor Mitwirkung an einem Schwangerschaftsabbruch oder aus mangelnder Kenntnis der Rechtslage der Beratungstätigkeit entziehen will, versagt der Schwangeren Hilfe, versagt dem ungeborenen Kind seine Unterstützung, entzieht sich der Mitverantwortung für den Lebensschutz.Soll die Beratung Lebensschutzorientierung bieten und die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft ermutigen, ist aber — und dies sage ich ganz bewußt in Richtung von Frau Würfel — auch von seiten der Frau eine Gesprächs- und Mitwirkungspflicht unabdingbar. Sie ist, ich würde sagen, eine Conditio sine qua non einer erfolgreichen Beratungsregelung. Sie ist — wie das Urteil formuliert — nicht erzwingbar. Aber eine Beratung, die nicht stattgefunden hat, kann auch nicht bescheinigt werden.
Nach den Ausführungen von Frau Würfel habe ich Verständnis für diejenigen, die die Bestimmung des Urteils als problematisch ansehen, wonach eine Beratungsbescheinigung nicht verweigert werden darf,wenn dadurch gesetzlich vorgesehene Fristen für einen Schwangerschaftsabbruch nicht eingehalten werden können. Darin sehen einige die Möglichkeit eines Mißbrauchs. Ich möchte wirklich davor warnen, die Frauen geradezu aufzufordern zu schweigen bzw. mit Fristen zu jonglieren. Sicherlich werden Frauen schon allein aus gesundheitlichen Gründen den Schwangerschaftsabbruch nicht so weit hinauszögern, weil damit ja höhere Risiken verbunden sind. Sie werden die Beratung zu einem möglichst frühen Zeitpunkt annehmen. Es ist auch schwer vorstellbar, daß die Beraterinnen nicht eine Atmosphäre schaffen können, in der sich die Frau öffnet. Ich glaube, gerade die Anhörung hat sehr, sehr eindeutig aufgezeigt, daß Frauen an der Konfliktlösung mitwirken, ja daran interessiert sind, den Schwangerschaftskonflikt zu bewältigen. Deswegen glaube ich nicht, daß es mißbraucht wird. Aber wenn ich einige so höre, befürchte ich, daß vielleicht zu einem Mißbrauch angestiftet werden könnte.Das Beratungskonzept ist vor allem ein Verantwortungskonzept, welches elementar auf Vertrauen aufbaut — Vertrauen in den Staat, daß er seine Pflicht erfüllt, Vertrauen in die Frau, daß sie im Interesse des Kindes handelt, Vertrauen in die Gesellschaft, daß sie die Hilfesuchenden unterstützt. Deshalb werden wir auch im Entschließungsantrag weitere soziale Maßnahmen fordern.Es geht uns um Hilfe, nicht um Abschreckung. Ich sage noch einmal ganz deutlich: Wir Frauen wissen, daß Frauen nicht leichtfertig abtreiben. Aber es muß ein engmaschiges Netz von Verantwortlichkeiten und Verantwortungen geknüpft werden. Träger des neuen Schutzkonzeptes sind Mütter und Väter, Geschwister, Familienangehörige, Nachbarn, Arbeitgeber, Beraterinnen, Ärztinnen und Ärzte, Lehrkräfte,
aber auch die Journalistinnen. Wir alle sind gefordert,
diesem Beratungskonzept zum Erfolg zu verhelfen.
Natürlich haben vor allem Ärzte qua Berufsethos die Pflicht, auf den Schutz des Lebens hinzuwirken. Darum sind die Regelungen, die wir für Ärzte gefunden haben, adäquat. Ich vermisse sie im SPD-Entwurf leider.Ich darf noch ein Wort an die SPD richten. Die SPD streicht einiges bzw. schweigt beim Thema der Lebensschutzorientierung. Aber sie fordert mehr Geld. Sie weicht mit ihrer Forderung nach einem Bundesleistungsgesetz zur Finanzierung von Abtreibungen vom Urteil ab.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 19975
Ursula MännleUnsere Regelung ist bedeutend näher am Urteil.
Die SPD erhöht die Einkommensgrenzen, will weg vom sozialhilferechtlichen Begriff der Bedürftigkeit.Ich möchte behaupten: Der SPD geht es nicht vornehmlich um die bedürftigen Frauen. Nach beiden Gesetzentwürfen werden für sie Abtreibungen bezahlt. Ihr geht es darum, wer die Kosten trägt. Die soll nämlich der Bund tragen. Das ist die einzige Frage, die Sie geregelt haben wollen.
Wahlkampfzeiten verleiten nun einmal zu einer Obstruktionspolitik. Ich weiß nicht, ob das, was hier von der SPD vorgeschlagen und über die Medien angekündigt wird, nämlich im Bundesrat unseren Gesetzentwurf zu kippen, tatsächlich im Interesse der Frauen ist. Hier steht ein wahltaktisches Manöver im Vordergrund. Ihr langfristiges Ziel ist, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu unterlaufen.Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Hartnäckig hält sich das politisch-juristische Gerücht, Karlsruhe habe einer Fristenregelung mit Beratungspflicht zugestimmt. In einer großen Anzeige der gestrigen Ausgabe einer Tageszeitung wird die Neuregelung als Fristenregelung kritisiert. Fristen in Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch machen diese jedoch noch nicht zur Fristenregelung.Für Professor Steiner, den Bevollmächtigten der Bayerischen Staatsregierung im Normenkontrollverfahren in Karlsruhe, besteht die rechtsethische Idee der Fristenlösung darin, daß die Frau ihr Kind auch ohne Indikation abtreiben lassen kann und damit rechtmäßig handelt. Zwei Merkmale sind entscheidend: das Selbstbestimmungsrecht bzw. die Entscheidungsfreiheit der Frau und die rechtfertigende Wirkung des Votums. Auf beides wird aber im Koalitionsentwurf, gestützt auf das Urteil von Karlsruhe, gerade nicht abgestellt.
Damit ist, so Professor Steiner, der Koalitionsentwurf keine Fristenregelung.Einige versuchen, mit dem falschen Etikett „Fristenlösung" das Urteil von Karlsruhe zu revidieren, in ihrem Sinne umzuinterpretieren. Andere wollen die Neuregelung, die eine ethisch vertretbare und praktikable Konzeption darstellt, verhindern. Für sie zählt nur eines: ein Maximum an Strafrecht, auch wenn klar ist, daß dies keine Abtreibung verhindert.
Frau Kollegin, Sie sind ein gewaltiges Stück über Ihre Redezeit.
Ich bin sofort fertig. Das ist mein letzter Punkt.
Heute haben wir die Chance, ein Gesetz zu verabschieden, welches mehr Lebensschutz bieten kann, weil es nicht weniger, sondern mehr Mitverantwortung aller fordert. Der Gesetzgeber nimmt alle staat-
lichen Instanzen, die Gesellschaft und auch die Medien in die Pflicht. Die Frau wird nicht alleingelassen. Die Wirksamkeit der Beratungsregelung beruht nicht nur auf der Qualität der Beratungsstellen, auf der Bereitschaft der Frauen, die Verantwortung für ein Kind zu übernehmen, sondern auch auf dem gesellschaftlichen Bewußtsein für das Recht des Ungeborenen auf Leben.
Das Urteil sagt:
Nur wenn das Bewußtsein von dem Recht des Ungeborenen auf Leben wach erhalten wird, kann die unter den Bedingungen der Beratungsregelung von der Frau zu tragende Verantwortung an diesem Recht ausgerichtet und prinzipiell geeignet sein, das Leben des ungeborenen Kindes zu schützen.
Hinzuzufügen ist: Rechtsbewußtsein wird vor allem durch gelebtes Recht gestärkt.
Ich erteile unserem Kollegen Dr. Hans de With das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei aller Unterschiedlichkeit der Gesetzesentwürfe der Koalitionsfraktionen und der SPD en détail zur Anpassung des Schwangeren- und Familienhilfegesetzes an die Vorgaben des Verfassungsgerichtsurteils — ich darf das Datum noch einmal nennen — vom 28. Mai letzten Jahres dürfen zwei Grundtatsachen nicht außer Betracht bleiben.Erstens. Seit diesem Urteil des Bundesverfassungsgerichts wird erstmals in allen Landesteilen Deutschlands ein Beratungsmodell auf der Basis einer Dreimonatsfrist praktiziert, ohne daß es zu auffälligen Schwierigkeiten gekommen ist. Darüber sollten wir froh sein. Das ist der Erfolg der Gruppeninitiative.
Zweitens. Auch wenn die vom Bundesverfassungsgericht geforderten Anpassungen noch nicht umgesetzt werden konnten, ist die Zahl der Abbrüche in den neuen Ländern — einer gestrigen Zeitungsmeldung zu entnehmen — nicht nachweisbar gestiegen, also gleichgeblieben, obwohl dort seit der Einheit die Zahl der Geburten fast um die Hälfte zurückgegangen ist. Das heißt mit anderen Worten, sagen wir es offen: Die Menschen, insonderheit die Frauen, sind doch gar nicht so schlecht, wie viele Leute uns das glauben machen wollen.Was können wir daraus für einen Schluß ziehen? Wir müssen bei den Beratungen zur Umsetzung der vom Bundesverfassungsgericht geforderten Ergänzungen die seit einem Jahr vorliegenden Erfahrungen einbeziehen. Wir dürfen sie nicht außer Betracht lassen.Frau Würfel, es wird der Öffentlichkeit kaum deutlich zu machen sein, wer nun die Schuld daran trägt, daß es leider nicht wieder zu einem Gruppenantrag gekommen ist, weil die Öffentlichkeit nicht dabeigewesen ist.
Metadaten/Kopzeile:
19976 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Dr. Hans de WithNur, Frau Würfel, eines weiß ich auch: Als wir, die SPD und Sie, in der Parlamentarischen Gesellschaft zusammengesessen haben, haben Sie ganz frank und frei auch erklärt, Sie verhandelten gleichzeitig mit der CDU/CSU und Ihrer eigenen Fraktion, weil es dort zu einem Koalitionsentwurf komme. Für mich kann man doch nicht auf zwei Hochzeiten tanzen. Das geht nicht.
Man kann nicht gleichzeitig für einen Gruppenantrag und für einen Koalitionsantrag verhandeln. Daran kommen Sie nicht vorbei.Ich meine, wir sollten den Streit lassen, warum es dazu nicht gekommen ist. Wir müssen hinnehmen, daß heute strittig entschieden wird. Die Öffentlichkeit wird ihr Urteil darüber fällen.Es bleibt also dabei, daß der Gesetzestext der Regierungskoalition — ich sage das so — detailbesessen etwa vier- bis fünfmal umfangreicher ist als der SPD-Entwurf, wobei wir eine Materie regeln wollen, von der ich glaube, daß sie die Hauptsachen gar nicht mehr umfaßt, weil sie eigentlich schon nach dem Verfassungsgerichtsurteil geltendes Recht sind.Nach wie vor bleibt es aber auch dabei, daß beide Entwürfe grundsätzlich die Schwangere bei einem Abbruch in den ersten drei Monaten straffrei stellen, auch wenn die Formulierungen unterschiedlich sind.Wir haben darüber schon debattiert, aber ich sage es noch einmal: Die größte Schwierigkeit für alle Parteien lag mit Sicherheit darin, die Vorgaben des Verfassungsgerichts bei der Ausgestaltung der Beratungsregelung zu erfüllen und dabei die umfangreichen Erfahrungen einfließen zu lassen, die die Beraterinnen in dem Anhörungsverfahren vor dem Sonderausschuß „Schutz des ungeborenen Lebens" in aller Ausführlichkeit und für viele sicher überraschend dargetan haben.Nach diesem Anhörungsverfahren muß sich das Bundesverfassungsgericht sagen lassen, daß es in seinen über die Maßen detaillierten Urteilsgründen allzusehr theoretisch bestimmte Vorgaben festgelegt hat. Auch zu der Vorgabe „zielorientiert und ergebnisoffen" haben die Beraterinnen in dem Anhörungsverfahren erklärt, daß es zunächst darum gehe, Vertrauen zu gewinnen, die Zukunftsangst der Schwangeren zu erfassen und diese sodann abzubauen zu versuchen. Dem, meine ich, wird die Beratungsregelung der SPD besser gerecht.
Zur Frage der Bestrafung des sozialen und familiären Umfeldes wird mein Fraktionskollege Jürgen Meyer Stellung nehmen.Ich darf daran erinnern, daß erst in dieser Woche der Juristinnenbund noch einmal mit überzeugender Begründung darauf verwiesen hat, daß eine zu detaillierte strafrechtliche Regelung die Ärzte eher zu einem formelhaften Gespräch führt oder überhaupt gar abschreckt. Die Schwangere braucht vielmehr einen einfühlsamen Arzt. Zum Schutz des ungeborenen Lebens durch eine eigenverantwortliche Entscheidung der Frau wird mit Sicherheit ein einfühlsamer Arzt mehr beitragen können als ein Arzt, der sich fast nur unter die Zwänge des Strafrechts gestellt sieht. Die entsprechenden Verpflichtungen des Arztes haben wir in Abs. 2 der zentralen Vorschrift des § 218 a mit wenigen, aber, wie ich meine, ausreichenden Worten geregelt.Es ist richtig, daß wir im Gegensatz zu den Regierungsfraktionen nach wie vor die pflichtwidrige Mitteilung des Arztes über das Geschlecht des Embryos nicht unter Strafe gestellt haben. Denn wir können heute nun einmal feststellen, daß trotz Fehlens einer solchen Vorschrift nach einem Jahr Erfahrung in diesem Bereich Schwierigkeiten überhaupt nicht aufgetreten sind. Das Anhörverfahren hat belegt, daß es dazu einer Strafvorschrift nicht bedarf.
Wir verzichten deswegen darauf, die Mitteilung des Geschlechts mit Strafe zu bedrohen.Gestatten Sie mir, meine sehr verehrten Damen und Herren, noch ein persönliches Wort. Ich sagte eingangs, daß wir alle dazu beitragen sollten, den leidigen Streit um die Reform des § 218 nach nunmehr 25 Jahren Auseinandersetzungen endlich zu einem Ende zu bringen. Ich bin seit 25 Jahren Mitglied des Deutschen Bundestages und habe in den Jahren 1969 bis 1972 die Debatten außerhalb des Parlaments, aber auch die Parlamentsdebatten 1973 und 1974 sowie 1975 und 1976 und die jüngsten aus dem Jahre 1992 noch gut in Erinnerung. Die Bevölkerung — das ist deutlich — will die Reform und steht dahinter.
Der Bundestag hat über die Jahre hinweg eine Mehrheit für diese Reform gefunden. Nunmehr ist in allen Teilen unserer Republik — auch das muß festgestellt werden — eine relative Ruhe eingekehrt.Auch das Bundesverfassungsgericht — das darf nicht übersehen werden — hat seine Auffassung mehr und mehr geändert. Das heißt, wir alle unterlagen und unterliegen einem Erfahrungs- und Lernprozeß. Niemand von uns wird sagen können, daß er bei dieser nicht zu lösenden und nur unter größten Schwierigkeiten zu regelnden Problematik allein das Richtige getroffen hat.
Herr Kollege!
Ich bin sofort fertig. — Es kann nur darum gehen, den Schutz des werdenden Lebens durch Fürsorge für die Schwangere im Sinne einer verantwortungsbewußten, aber freien Entscheidung stärken zu helfen. Werdendes Leben kann nur mit und nicht gegen sie geschützt werden. Wir Männer werden wohl nie wirklich den leidgeprüften Weg einer Schwangeren in ihrer Konfliktsituation nachempfinden können.
Hüten wir uns deshalb — das soll ein Appell an alle, nicht nur an uns hierinnen, sein — vor gegenseitigen Anschuldigungen! Wer kann heute nach der dritten Lesung, wo immer er steht, ein wirklich ruhiges Gewissen haben?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 19977
Dr. Hans de WithVielen Dank.
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Diese Debatte verläuft in einer, wie ich finde, besonders angemessenen Form. Allerdings hätte ich die große Bitte an die parlamentarischen Geschäftsführer, die mir immer zunicken,
ich möge doch die Redezeit erweitern, gleich die richtigen Redezeiten anzumelden. Ich habe bis jetzt pausenlos Überziehungen um zwei bis drei Minuten. Dann kommen wir natürlich aus dem Takt.
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, auf der Tribüne hat der Vorsitzende der lettischen Saeima, Herr Anatolijs Gorbunovs, mit seiner Delegation Platz genommen. Ich begrüße Sie, Herr Vorsitzender, und Ihre Delegation im Namen des Deutschen Bundestages besonders herzlich.
Sie haben nach dem Zusammenbruch des Kommunismus, nach dem Ende der sowjetischen Usurpation in Ihrem Parlament eine besonders schwere und verantwortungsvolle Arbeit zu leisten, jetzt bemüht um eine neue Partnerschaft sowohl mit dem Westen Europas als auch mit dem großen russischen Nachbarn im Osten. Seien Sie unserer Hilfsbereitschaft und Sympathie versichert. Wir wollen auch versuchen, die Gastfreundschaft, die Ihr Haus unserer Präsidentin und zahlreichen Kollegen in den vergangenen Monaten gewährt hat, in einigermaßen vergleichbarer Form zu erwidern. Wir wünschen Ihnen fruchtbare Gespräche in Deutschland.
Ich erteile jetzt dem Kollegen Rainer Funke das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als wir am 2. Februar dieses Jahres hier gemeinsam debattiert haben, habe ich der Hoffnung Ausdruck verliehen, daß es im Laufe der parlamentarischen Diskussion doch noch zu einem breiten Konsens unter Einbeziehung insbesondere auch der Kolleginnen und Kollegen von der SPD kommen möge. Dieser Konsens ist leider nicht zustande gekommen, trotz aller Bemühungen von der F.D.P.-Fraktion, insbesondere von Uta Würfel. Dies ist um so bedauerlicher, als in ganz wichtigen Punkten, Frau Wettig-Danielmeier, die überwiegende Mehrheit dieses Hauses im Grunde genommen einer Meinung ist.Nicht nur der Koalitionsentwurf, sondern auch der Gesetzentwurf der SPD respektiert grundsätzlich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Mai 1993. Nach beiden Entwürfen soll die Frau nach der verpflichtenden Beratung die letzte Entscheidung darüber treffen können, ob sie eine Schwangerschaft abbricht oder fortsetzt. Wir sind uns darüber einig, daß nicht das Strafrecht entscheidenden Anteil am Schutz des ungeborenen Lebens haben soll und kann, sondern die schwangere Frau selbst im Rahmen der Beratungsregelung der beste Garant für den Schutz des Ungeborenen ist.Wir sind uns auch darüber einig, daß der Straftatbestand des Schwangerschaftsabbruchs ausgeschlossen ist, wenn die Voraussetzungen der Beratungsregelung vorliegen. Zwar dürfen wir in diesen Fällen nicht feststellen, daß ein Schwangerschaftsabbruch wie in den Fällen einer durch einen Arzt festgestellten Indikation rechtmäßig ist; wir schreiben aber mit Billigung des Verfassungsgerichts durch den Tatbestandsausschluß fest, daß die Rechtsordnung nach der Beratungsregelung auch die Entscheidung der Schwangeren zum Schwangerschaftsabbruch toleriert.
Denn die Folge ist: Ihre Verträge mit Ärzten oder Kliniken über den Schwangerschaftsabbruch sind rechtswirksam.
Keiner darf sich etwa mit Gewalt ihrer Entscheidung in den Weg stellen, sich dabei gar auf ein Nothilferecht berufen. Dies ergibt sich unmittelbar aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, ohne daß wir dies noch einmal ausdrücklich in das Gesetz hineinschreiben müßten.Es gibt also im wesentlichen Konsens zwischen den Parteien, die hier ganz besonders an einer vernünftigen Regelung interessiert sind.Aber letztlich gibt es in drei Punkten Differenzen zwischen den Koalitionsfraktionen auf der einen Seite und der SPD auf der anderen Seite, und diese haben sich in der bisherigen Diskussion leider nicht überbrücken lassen.Das sind erstens Differenzen bei der Finanzierungsregelung für bedürftige Frauen — Stichwort Bundesleistungsgesetz —, zweitens bei der Ausgestaltung der Regelung der Beratung und drittens Differenzen bei den vom Verfassungsgericht geforderten Strafnormen, insbesondere für das Umfeld der Schwangeren.Letztere hat das Bundesverfassungsgericht ganz klar als unerläßlich bezeichnet; daran kann auch die SPD nicht vorbei. Da kann man sich nicht wie die SPD auf die Strafbarkeit der Nötigung beschränken, die bereits nach geltendem Recht besteht, wenn man nicht das erneute Risiko eingehen will, daß das Gesetz vor dem Verfassungsgericht keinen Bestand hat.Meine Damen und Herren, ich glaube, wir sind in einem Punkt völlig einer Meinung: Einen erneuten Gang nach Karlsruhe und gegebenenfalls eine Aufhebung dieses neuen Gesetzes durch Karlsruhe können wir uns auch politisch nicht leisten. Deswegen wäre es gut gewesen, wenn wir hier einen Konsens gefunden hätten.
Ohne die ausdrückliche Forderung des Bundesverfassungsgerichts würde ich mich — das sage ich ganz offen — sicherlich nicht für diese Strafnorm einsetzen. Schließlich haben wir sie in unserem Gruppenantrag
Metadaten/Kopzeile:
19978 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Rainer Funkeseinerzeit auch nicht für erforderlich gehalten. Gleichwohl bin ich der Auffassung: Diese Norm setzt ein richtiges Signal. Zum Schutze des Ungeborenen soll nicht der Staat, sondern auch das Umfeld der Schwangeren deren verantwortliche Entscheidung respektieren.Ich meine, auch die Kollegen und Kolleginnen von der SPD müßten dieses Signal — mehr ist es ja nicht — letztlich akzeptieren können.Ich habe den Eindruck — diese Einschätzung teilt offensichtlich der Kollege Dr. de With —, daß inzwischen in der Bevölkerung kaum noch einer versteht, warum wir hier im Zusammenhang mit der Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs noch streiten. Man erwartet von uns, daß wir dieses Thema in dieser Legislaturperiode endlich zum Abschluß bringen. Das Bundesverfassungsgericht hat uns mit seiner Entscheidung den Weg gewiesen, wie wir die Standpunkte, die früher ja unvereinbar erschienen, vereinbaren können.Daß viele Kollegen von der CDU/CSU heute den gemeinsamen Antrag mit unterstützen können, liegt ja auch daran, daß sie dem Bundesverfassungsgericht gefolgt sind. Das Bundesverfassungsgericht hat uns ja nicht nur einen Fingerzeig, sondern eine ganze Handvoll davon gegeben, wie wir den Weg zu beschreiten haben, und ich meine, wir sollten diesen Weg gemeinsam, auch mit den Kollegen von der SPD, gehen, damit wir hier ein Gesetz finden, das von allen gesellschaftlichen Kräften in der Bundesrepublik Deutschland getragen werden kann. Gerade für diese wirklich sensible Gesetzesregelung brauchen wir den Konsens der gesamten Gesellschaft.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Kollege Manfred Carstens, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Mit Sicherheit ist die heutige Debatte von besonderer Bedeutung und wird mit darüber entscheiden, in welchem Geiste sich unser Land in Zukunft entfalten und entwickeln wird.
Gestern haben wir in Bonn eine Kundgebung erlebt, an der etwa eintausend Menschen aus allen Teilen Deutschlands teilgenommen haben. Man hat 350 000 Kerzen angezündet und wollte damit der Kinder gedenken, die etwa in dieser Zahl in einem Jahr in Deutschland durch Abtreibung getötet werden. Es war eine friedvolle und eindrucksvolle Kundgebung mit friedfertigen, liebenswürdigen und angenehmen Menschen. Das Ziel der Kundgebung war, auf die Bedeutung des heutigen Tages hinzuweisen.
Um die Bedeutung richtig zu erkennen, ist es zunächst einmal wichtig, zu einer Klarstellung der Begriffe zu gelangen. Der Zeitgeist, überwiegend vom Ungeist geprägt,
verwendet Begriffe wie „werdendes Leben" oder „Schwangerschaftsunterbrechung". Man muß wissen, daß es in jedem Einzelfall um das Leben eines Kindes geht, um das Leben eines Jungen oder eines Mädchens.
Wenn man also diese Begriffsklärung herbeigeführt hat, kann man, sich von Zeitgeist und Ungeist abwendend, sich an das halten, was durch den Heiligen Geist geoffenbart ist, daß nämlich durch das Mitwirken von Mann und Frau, durch Gottes Willen und Gottes Liebe menschliches Leben entsteht, welches dazu berufen ist, ewig zu leben.
Durch das Embryonenschutzgesetz haben wir im Deutschen Bundestag festgestellt, daß es sich bei der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle um menschliches Leben von Anfang an handelt. Durch unser Grundgesetz ist bestätigt, daß das Recht auf Leben das höchste Rechtsgut ist, welches es zu schützen gilt. Dieser Frage haben wir uns zu stellen.
Von daher kann man, wenn man logisch bleiben will, gar nicht anders, als ungeborenes Leben so zu schützen wie geborenes Leben, wobei man diesem Rechtsgut dann nicht zum Durchbruch zu verhelfen braucht, wenn das Recht eines anderen menschlichen Lebens dem entgegensteht. Das wäre z. B. gegeben, wenn das Leben der Mutter gefährdet wäre. Es ist schade, daß dieses ungeborene Leben, dieses ungeborene Kind gerade in der heutigen Zeit im Mutterleib am ungeschütztesten zu sein scheint, dort, wo es eigentlich am geschütztesten sein sollte.
Wir haben zur Milderung der Problematik vorgesehen, daß eine Schwangere, wenn sie ein Leben ohne Kind gestalten möchte, dies durchsetzen kann, aber nicht zu Lasten des Lebens des Kindes, sondern erst nach der Geburt, dadurch, daß der Staat die Verpflichtung übernimmt, das Kind nach der Geburt in Pflegeobhut zu nehmen, und es der eigenen Mutter gestattet wird, das Kind noch sechs Monate nach der Geburt zurückzunehmen oder es ansonsten durch Adoption in eine Familie zu geben —
Herr Kollege Carstens, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
—, wozu Zigtausende von Bürgern unseres Landes bereit sind.
Dies bitte ich bei der Abstimmung, die gleich bevorsteht, zu bedenken. Ich bitte ganz herzlich, das eigene Gewissen wirklich zu befragen. Man wird dann schon die richtige Antwort bekommen.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Edith Niehuis.
Herr Präsident! Kollegen und Kolleginnen! Als der sogenannte Gruppenantrag im Sommer 1992 im Deutschen Bundestag verabschiedet wurde, war dies eine demokratische Sternstunde des Parlamentes. Es war durch eine partei-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 19979
Dr. Edith Niehuisübergreifende Mehrheit gelungen, dem Willen der Mehrheit des Volkes Rechnung zu tragen.
Heute ist die Situation eine andere. Nicht das nach dem Verfassungsgerichtsurteil sachlich Gebotene, nicht der Wille der Mehrheit des Volkes stand bei dem von der CDU/CSU und F.D.P. vorgelegten Entwurf Pate, sondern es hat erneut der Koalitionszwang gesiegt.
Frau Würfel, Sie haben gesagt, die SPD sei nicht verhandlungsbereit gewesen. Während des Oktobers, den Sie hier immer nennen, war die Situation doch so, daß wir zu Ihnen gesagt haben: Wir wollen, daß jetzt alle Parteien an einen Tisch kommen und miteinander reden. Sie wollten das nicht. Sie standen schon unter der Knute von Herrn Schäuble, von Herrn Solms und von wem sonst noch. Sie waren nicht mehr offen für eine Beratung.
Leider hat der Koalitionszwang gesiegt. Verloren hat das Ziel, eine schlüssige, sachgerechte Konzeption vorzulegen. Verloren haben die Frauen. Verloren, Frau Würfel, hat auch die F.D.P., deren liberales Gesicht immer weiter schwindet.
Es ist zu begrüßen, daß Sie im Koalitionsentwurf — das ist etwas, was die SPD immer gefordert hat —ja sagen zur Fristenregelung mit Beratung. Es ist zu begrüßen, daß Sie, wie vom Verfassungsgericht gewollt, die Letztentscheidung über den Schwangerschaftskonflikt den Frauen überlassen. Aber gerade das Letztgenannte, die Letztentscheidung der Frau, setzen Sie konzeptionell so widersprüchlich um, daß das Gesamtkonzept „Hilfen plus Beratung" ins Wanken gerät.
Dies ist Ihnen in zwei Sachverständigenanhörungen auch deutlich gesagt worden. Doch Sie haben versäumt, die Anregungen aufzunehmen.Worum geht es? Nach wie vor bin ich davon überzeugt — nicht nur ich, sondern auch die in der Praxis erfahrenen Beraterinnen —, daß eine freiwillige Beratung besser wäre als eine Pflichtberatung.
Das Bundesverfassungsgericht sah dies anders, und wir haben uns diesem Urteil zu fügen und tun das auch.
Um so mehr kommt es darauf an, daß wir durch unsere gesetzlichen Rahmenbedingungen dem Beratungskonzept die Chance geben, eine gute Beratung zu ermöglichen.Zum Selbstverständnis der Beratung gehört die Ergebnisoffenheit, sagte in der Sachverständigenanhörung — wie im übrigen auch andere — eine Beraterin des Sozialdienstes katholischer Frauen. Indieser Beratung findet dann recht beweglich immer die Auseinandersetzung zwischen den Polen „Schutz des werdenden Lebens" und „Konsequenzen für das Leben der Frau" statt. Die Beraterin ist nicht, Frau Männle, wie Sie meinten, Anwältin des werdenden Lebens, sondern des werdenden Lebens und der Frau, die zu entscheiden hat.
Diesem Auftrag trägt § 219 des SPD-Gesetzentwurfes Rechnung. Die Koalition allerdings vernachlässigt die Ergebnisoffenheit und überbetont die Zielorientierung,
was Sie ja bestätigt haben, insbesondere was den wichtigen § 219 angeht. Ich werfe Ihnen vor, daß Sie einfach ein paar Sätze aus dem Verfassungsgerichtsurteil abgeschrieben und es versäumt haben, sich der Mühe zu unterziehen, den Geist des über 200 Seiten langen Urteils in Sätze zu fassen.
Das hat z. B. zur Folge, daß Sie wagen, die für die Frauen zumutbare Opfergrenze im Gesetz festzulegen, was nicht geht, weil dies im Abwägungsprozeß zwischen Beraterin und Frau erarbeitet wird.
Dies hat zur Folge, daß Sie die Beratung überreglementieren und somit erschweren. Dies hat zur Folge, daß Sie die anerkannte Professionalität der Beraterin in Frage stellen, was nicht einmal das Verfassungsgerichtsurteil tut.
Dies hat zur Folge, daß Sie per Gesetz die Persönlichkeitsrechte der Frau, die Würde der Frau verletzen, was nicht dem Lebensschutz dient.
Dann versuchen Sie — mit ganz einfacher Polemik —, immer wieder zu behaupten, § 219 im SPD-Entwurf entspreche nicht dem Verfassungsgerichtsurteil. Diese Meinung ist billige Polemik und wird nicht einmal von dem von der Koalition bestellten Sachverständigen Professor Keller geteilt, wie Sie in seiner Stellungnahme nachlesen können.Wie unausgegoren Ihr Konzept ist — leider immer zu Lasten der Beratung und der betroffenen Frauen —, zeigt auch Ihr neuer Strafrechtsparagraph zur Kriminalisierung des familiären und sozialen Umfelds. Der Koalitionsentwurf wie der SPD-Entwurf sehen vor, wenn nötig und von der Schwangeren gewollt, Dritte zur Beratung hinzuzuziehen. Dieses ist doch nur dann nötig, wenn man meint, das soziale Umfeld für die Schwangere in ihrem Konflikt noch gewinnen zu müssen. Bei der von Ihnen gewollten Kriminalisierung des sozialen Umfelds bei — so fasse ich Ihre Absicht zusammen — unterlassener Hilfeleistung führen Sie die Beratungsmöglichkeit ad absurdum. Oder glauben Sie allen Ernstes, die Personen des sozialen Umfeldes werden ihre ehrliche Meinung im Beratungsgespräch offenbaren, wenn sie sich damit der
Metadaten/Kopzeile:
19980 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Dr. Edith Niehuisstrafrechtlichen Verfolgung aussetzen, falls es zum Schwangerschaftsabbruch kommt?
Ist es nicht naheliegend, daß sich schon die Schwangere in solchen Fällen im Beratungsgespräch nicht öffnen wird, weil sie die ihr nahestehenden Personen nicht der Gefahr der strafrechtlichen Verfolgung aussetzen will? Das zerstört gute Beratung. Wenn Sie es ernst meinen, sollten Sie diesen Paragraphen — Kriminalisierung des sozialen Umfelds unterhalb der Nötigungsschwelle — schnellstens aus Ihrem Entwurf streichen.
Im übrigen lassen Sie durch sehr viele Unzulänglichkeiten in Ihrem Entwurf die Frau allein. Das hat das Bundesverfassungsgerichtsurteil nicht gewollt, weil es eben dem Lebensschutz nicht dient. Es ist bedauerlich, daß Sie im Koalitionsentwurf dieses Herzstück des ganzen Modells, die Beratung, so schwächen.Ebenso systemwidrig — das war hier schon Gegenstand der Diskussion — ist die zweite Pflichtberatung durch den Arzt. Ohne Zweifel muß der Arzt der Frau Gelegenheit geben, ihre Gründe darzulegen. Ohne Zweifel muß er ein offenes Ohr für ihre Nöte und Sorgen haben. Ohne Zweifel muß er nach ärztlicher Erkenntnis über die möglichen psychologischen und körperlichen Folgen eines Schwangerschaftsabbruchs aufklären. Aber er muß die Frau nicht zwingen, ihre Gründe darzulegen, wie Sie das vorsehen.
Es ist nicht sachdienlich, was Sie hier heute vorlegen, und es ist auch nicht so, wie das Verfassungsgerichtsurteil es möchte. Darum muß man schon überlegen: Welche Gründe sind es eigentlich, die Sie dazu bringen, so zu handeln? Meiner Einschätzung nach ist es nach wie vor das bei der CDU/CSU bestehende Mißtrauen gegenüber einer Fristenregelung mit einem Beratungskonzept bei Letztentscheidung der Frau. Das heißt: Man vertraut den Frauen eben nicht, und man vertraut auch den anerkannten Beraterinnen — das sind ja auch Frauen — nicht.
Für dieses Mißtrauen gibt es keine ernstzunehmenden Gründe, sondern nur ideologische Gründe. Frauen in dieser Republik werden sich mit diesem Mißtrauen gerade in ihrem Verhältnis zum werdenden Leben nicht abfinden können. Schließlich sind sie es, die durch Fürsorge und Arbeit tagtäglich ihr positives Verhältnis zu Kindern beweisen. Davon könnte sich so mancher Mann eine Scheibe abschneiden.
Das, was wir heute hier beschließen werden, wird leider nicht der Abschluß der Diskussion über den § 218 sein. Die Leidtragenden sind wieder einmal die Frauen und damit auch der wirksame Schutz deswerdenden Lebens, der nur mit Frauen, aber nicht gegen sie möglich ist.
Als nächster spricht der Kollege Norbert Geis.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Verfassungsgericht hat mit seinem Urteil vom 28. Mai des letzten Jahres den verzweifelten Versuch unternommen, in der gegebenen Situation angesichts von 350 000 Tötungen ungeborener Kinder jährlich bei uns im Land zu retten, was zu retten ist. Genau das gleiche haben auch die Kolleginnen und Kollegen der Unionsfraktion in ihren Verhandlungen innerhalb der Koalition versucht. Viele von uns sind der Auffassung, daß dies nicht der richtige Weg ist. Deshalb haben wir einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt.Das Verfassungsgericht stellt in seinem Urteil in die Mitte seiner Ausführungen das Beratungskonzept. Am 25. Februar 1975 hat genau dasselbe Gericht dieses Beratungskonzept als verfassungswidrig abgelehnt. Dies klar zu erkennen ist, glaube ich, ein Gebot der Pflicht zur Wahrheit; denn das Beratungskonzept ist nicht erstmals auf dem Tisch, sondern es wurde schon 1970 von einer Gruppe von Strafrechtsprofessoren vorgelegt, und das Gericht von 1975 hat es als verfassungswidrig erachtet.Ich meine, daß die Hoffnung auf die Beratung eine verfehlte Hoffnung ist. Mindestens 75 % aller Schwangeren — so sagen uns die Beraterinnen —, die zur Schwangerschaftsberatung kommen, sind entschlossen, ungeachtet der Beratung ihr Kind abtreiben zu lassen. Deshalb ist es für mich unverständlich, wie allein auf die Beratung die einzige Hoffnung gesetzt werden kann,
wiewohl ich die Beratung für richtig halte.
Das Gericht hat zum weiteren ausgeführt, nach durchlaufener Beratung sei es in die Letztverantwortung der Frau gestellt, ob das Kind leben darf oder nicht leben darf. Ich halte dies für einen semantischen Fehlgriff. Es kann niemals — es sei denn im Falle der vital medizinischen Indikation — eine verantwortbare Tötung eines unschuldigen, ungeborenen Kindes geben, niemals in unserem Rechtsstaat!
Vor wem soll denn eine solche Tötung verantwortet werden? Nicht vor Gott und nicht vor den Menschen, wie es in der Präambel unserer Verfassung heißt, solange die Menschen eine humane Rechtsordnung haben und solange jedes Leben Recht auf Leben hat.Meine sehr verehrten Damen und Herren, einen dritten Punkt hat das Verfassungsgericht angeführt, nämlich die Möglichkeit der nicht rechtswidrigen Tötung eines noch nicht geborenen, aber schon erkennbar behinderten Kindes bis zur 22. Woche. Dies ist ein Fehlgriff, wie er, wie ich meine — bei allem Respekt vor diesem hohen Gericht —, schlimmer nicht
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 19981
Norbert Geissein kann. Auch deswegen kann ich für mich diese Entscheidung, sosehr ich sie auch selbst gesucht habe, nicht akzeptieren.
Ich bitte Sie, dies auch so zu respektieren.
Ich bin der Auffassung, daß der Staat endlich eindeutig und klar nein sagen muß zur Tötungsmentalität, die sich in unserem Land zweifellos — und das nicht zu erkennen, wäre falsch — breitgemacht hat.
Ich bin deshalb der Meinung, daß der Staat die Pflicht hat, sich eindeutig auf die Seite des Schwächsten in diesem Konflikt — den ich nicht beschönigen will und den ich auch nicht vom Tisch wischen will; ich weiß sehr wohl, in welcher Konfliktsituation eine Frau sein kann — zu stellen, und dies ist bislang nicht geschehen. Ich meine, das ist auch in den vorliegenden Gesetzentwürfen nicht geschehen.Der von uns vorgelegte Gesetzentwurf versucht hier eine klare Entscheidung. Deshalb haben wir ihn eingebracht. Wir werden vielleicht keine Mehrheit dafür finden, aber ich halte ihn — als einen klaren Widerspruch zur Tötungsmentalität — für unbedingt notwendig.Danke schön.
Nun hat die Kollegin Christel Hanewinckel das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Alle Jahre wieder debattieren wir über einen Paragraphen, der, solange es ihn gibt, nichts an der Realität geändert hat, nämlich an der Realität, daß Frauen schwanger werden und daß ein Teil der Frauen durch dieses Faktum in einen Konflikt gerät, den in den meisten Fällen die Gesellschaft produziert hat und den die Frauen stellvertretend für die Gesellschaft, in der sie leben, zu erleiden und zu lösen haben.„Gelöst" werden solche Konflikte schon immer durch männliche Vorgaben, durch männliche Moral, Paragraphen und Regelungen, die eines gemeinsam hatten und haben, nämlich bestimmte Machtstrukturen festzuhalten.
Es geht nicht um Zutrauen, sondern Mißtrauen, nicht um Ermutigung, sondern Entmutigung, nicht um Solidarisierung, sondern Distanzierung, nicht um Hilfe, sondern Strafandrohung, nicht um Gleichberechtigung, sondern Entmündigung. All das wurde und wird heute wieder durch Ihren Antrag den Frauen zur Seite gestellt.
Die Aufzählung läßt sich leider noch fortsetzen.In den letzten Jahren der Einheit und der Gemeinsamkeit, über die viel geredet wird, wird die Spaltung auf einer ganz anderen Ebene und in einer ganzanderen Art und Weise greifbar, nämlich als Spaltung für die Frauen, und diesmal gemeinsam im Osten und im Westen. Alle, die mit dem Schwangerschaftskonflikt befaßt sind, werden in diese Spaltung, in diese Irritation und Verunsicherung qua Gesetz einbezogen, ob sie wollen oder nicht: die Beraterinnen, die Familien, die Ärztinnen und die Ärzte.Meine Herren vor allen Dingen in der CDU/CSU und F.D.P.: Haben Sie sich eigentlich einmal vorgestellt, was Frau so zu tun hat, wenn sie feststellt, daß sie schwanger ist, daß sie ungewollt schwanger ist, wie dann der Weg aussieht? Haben Sie sich schon einmal vorgestellt, wie Sie sich verhalten würden, wenn Sie all diese Touren abklappern und all diese Wege gehen müßten mit diesen unendlichen Darlegungen von Gründen, und das auch noch an Stellen, wo sie absolut nicht hingehören?
Dann wird immer noch scheinheilig gesagt: Bei alledem soll Frau Zeit und Ruhe haben, um eine verantwortliche Entscheidung zu treffen. — Sie hat weder Zeit noch Ruhe. Auch diejenigen, die mit ihr arbeiten sollen und das auch möchten, nämlich Beraterinnen und Berater, Ärztinnen und Ärzte, werden in den Termindruck, in die Beschämungen und die Entmündigungen durch Sie mit hineingezogen.
Ärztinnen und Ärzte, die sich als Frauenärzte verstehen, sagen, daß von Hilfe für die Frauen keine Rede sein kann. Sie finden es absurd, sich Gründe für den Abbruch darlegen lassen zu müssen, für deren Beseitigung sie nichts, aber auch gar nichts tim können. Die Ärztinnen und Ärzte reden von Schicksalen, die sie betroffen machen, von Schicksalen von Frauen, denen sie hilflos gegenüberstehen; denn die Gründe für diese Schicksale liegen anderswo.Ärztinnen und Ärzte fühlen sich durch den Gesetzentwurf, den Sie vorgelegt haben, mißbraucht; denn sie sind die falsche Adresse. Sie sind die medizinischen Sachverständigen; sie sind nicht die Moralapostel, auch nicht die Richterinnen und Richter, und sie wollen es auch nicht sein.Zum Schluß noch eine Frage an Sie: Über wen reden wir und rechten wir, vor allen Dingen Sie in der Koalition? In der Mehrzahl der Fälle sind es Mütter, die sich für einen Abbruch entscheiden.
Die Statistik der Dresdener Beratungsstellen macht das deutlich. Von den 1 028 Frauen, die in neun Monaten bei der Schwangerschaftskonfliktberatung waren, hatten 49,5 % — das sind also fast 50 % — zwei und mehr Kinder. 28,8 % der Frauen hatten ein Kind. Das heißt im Klartext, daß sich 78,3 % Mütter für einen Abbruch entschieden haben. Diesen Gründen nachzugehen steht Ihnen in der Tat gut an.
Diejenigen, die keine Kinder haben und sich für einen Abbruch entschieden haben, waren relativ wenige.
Metadaten/Kopzeile:
19982 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Christel HanewinckelEs macht uns mehr als besorgt, wenn wir hören, daß gerade in den neuen Bundesländern zwar die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche nicht gestiegen ist, aber die Zahl der Sterilisationen, und da vor allen Dingen bei jungen Frauen. Wir haben jetzt die Situation, daß wir Frauen zu einer Entscheidung bringen, die sie freiwillig so nicht treffen würden, wenn es nicht die Beweggründe im gesellschaftlichen Umfeld gäbe.Hauptgründe von Frauen, Hauptgründe von Müttern für die Entscheidung zu einem Schwangerschaftsabbruch sind drei Jahre nach der deutschen Einheit im Osten vor allen Dingen die Unsicherheit des Arbeitsplatzes bzw. der fehlende Arbeitsplatz, finanzielle Probleme, Armut und Überschuldung der Familie, persönliche und familiäre Belastbarkeit, die nicht weiter zu erhöhen ist, Zukunftsängste und die Wohnungssituation.Ein Schwangeren- und Familienhilfegesetz haben wir vor knapp zwei Jahren in diesem Hause beschlossen. Ein Teil von Ihnen hat dagegen geklagt. Das Verfassungsgericht hat gesprochen, und jetzt wird es von Ihnen ständig als schwarzer Mann mißbraucht.
Neue Gesetzentwürfe liegen vor. Meiner Meinung nach ist keiner geeignet, Schwangeren und Familien zu helfen. Das Absurde an der Debatte ist, daß an ganz anderen Punkten gesetzliche Neuregelungen fällig sind, nämlich auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt, beim Kinderlastenausgleich, bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, in der Jugendpolitik und nicht zuletzt im Grundgesetz, z. B. in Art. 6 und Art. 20.Sie haben heute einen Entschließungsantrag vorgelegt. Ich kann nur sagen, daß dieser Entschließungsantrag ein Beispiel dafür ist, wie Sie in den letzten zwölf Jahren Ihrer Verantwortung nicht nachgekommen sind, für Familien und Frauen eine Politik zu betreiben, die auch den Frauen, die schon Mütter sind, die Entscheidung für das Kind erleichtert.
Frau Kollegin, würden Sie bitte zum Ende kommen.
Punkt II Ihres Antrags finde ich geradezu peinlich, weil es darum geht, die Zuweisungen an die Stiftung „Mutter und Kind" um 20 Millionen DM zu erhöhen. Das heißt, es geht nicht um Rechtsansprüche, sondern nur um Stiftungsgelder, so daß Frauen wieder in die Rolle von Bittstellerinnen kommen. Das kann es wohl nicht sein.
Nun spricht der Kollege Herbert Werner .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Verfassungsgericht hat deutlich gemacht, daß die Schutzkonzeption für die Mutter und für das ungeborene Kind eine umfassende sein soll. Gerade auch die letzten Worte, die wir soeben gehört haben, weisenauf den wichtigen Sachverhalt hin, daß es nicht genügen kann, nur rechtlichen, strafrechtlichen Schutz auszuüben, um das Lebensrecht des Kindes zu gewährleisten, sondern daß der Mutter — und damit auch dem Kind — entsprechende Hilfen gewährt werden müssen.
Dies ist der Grund, warum Freunde und ich einen sozialpolitisch bezogenen Gesetzentwurf eingebracht haben, in dem wir die Einrichtung eines Lebensschutzbeauftragten fordern, der eine umfassende Bewußtseinsbildung im Hinblick auf das Lebensrecht der Geborenen, aber auch der Ungeborenen schafft. Ich sage „Geborenen", weil wir fürchten, daß die nächste Diskussion uns bevorsteht, die Euthanasiediskussion.
Deswegen wäre diese Einrichtung eine absolute Notwendigkeit.Das zweite. Wir fordern in Übereinstimmung mit allen Freunden innerhalb der Union ein Familiengeld. Wir fordern einen Betreuungsunterhalt für die ledige Mutter. Des weiteren haben wir einen sozialpolitischen Antrag auf Prüfung all dessen gestellt, was familienpolitisch notwendig ist, um Müttern in schwieriger Situation tatsächlich eine Chance zu geben.Lassen Sie mich gleichzeitig darlegen, warum wir aus strafrechtlichen und rechtlichen Gründen dem Koalitionsantrag und dem Koalitionsgesetzentwurf nicht zustimmen können.Das Bundesverfassungsgericht hat eine untere Grenze dessen vorgegeben, was von Verfassungs wegen notwendig und geboten ist. Die Frage, die sich einem jeden von uns stellt, lautet: Kann dies für einen jeden persönlich — das sage ich bewußt — ausreichen oder nicht?Für mich und einzelne meiner Freunde kann dies nicht ausreichen! Deswegen fragen wir — selbstverständlich muß sich ein jeder vor dem Hintergrund der Diskussion um Verantwortungs- und Gesinnungsethik die Frage stellen —: Wie weit kann, wie weit muß ich gehen, damit Handlungsfähigkeit zustande kommt? — Aber ebenso gilt: Wie sich in diesem Raum heute nicht mehr die Frage nach dem größeren oder dem geringeren Übel stellt, so sehr sehe ich eine Grenze bereits überschritten, die zumindest einzelne Freunde und ich von der Ethik her, wie wir sie verstehen, als nicht mehr überschreitbar ansehen. Deswegen lehnen wir auch die embryopathische Indikation ab. Wir lehnen den Tatbestandsausschluß im Rahmen des Beratungsverfahrens ab, wie er auch im Koalitionsentwurf vorgesehen ist.Meine Damen und Herren, wir haben einen Änderungsantrag vorgelegt, urn noch einmal zu versuchen, den Koalitionsentwurf, wie wir meinen, in die bessere Richtung zu schieben, indem wir heute noch einmal die Einführung einer vitalen Indikation und einer erweiterten medizinischen Indikation vorschlagen; also eine strafrechtliche Maßnahme, die aber als Schutz anzusehen ist. Und im Beratungsbereich schlagen wir eine verbesserte Beratungsregelung vor
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 19983
Herbert Werner
— eine bessere, als sie die Koalition beschließen möchte —, die die Mitwirkungspflicht der Schwangeren zum Inhalt hat.Ich habe lange über die Mitwirkungspflicht nachgedacht, liebe Kollegen und Kolleginnen. Ich glaube aber, daß man dort, wo es sich um das Lebensrecht eines Menschen — ob geboren oder ungeboren — handelt, sehr wohl die Darlegungspflicht der Handelnden erwarten kann. Ob das letzte Ausmaß an Vertrauen in einem solchen Beratungsgespräch, das sicherlich sehr viel Einfühlungsvermögen von beiden Seiten, von der Beraterin wie auch der Schwangeren, erfordert, zustande kommt, das vermag auch ich nicht in jedem Fall zu sagen.Für meine Freunde und mich steht fest, daß es sich auch bei dem Koalitionsentwurf heute nicht um das kleinere Übel handelt, sondern daß auch damit die Grenze dessen, was wir für vertretbar erachten, überschritten ist. Deswegen werden wir gegen die eigenen Koalition votieren!Lassen Sie mich aber gleichzeitig sagen: Wir haben in der Koalition, insbesondere in der Union, heftig aber fair miteinander gerungen. Ich möchte auch sagen: Wenn wir heute hier eine eigene Meinung vortragen, dann ist das der Beweis dafür, daß in dieser Koalition, in dieser CDU/CSU die freie Abstimmung Tatsache ist. Gerade deswegen habe ich — ich sage dies mit Nachdruck vor dem Hintergrund der letzten Reden von der SPD — keinerlei Verständnis für parteipolitisches Gezerre und parteipolitisches Nachschlagen, wie es in weiten Teilen vorgekommen ist.
Als nächster spricht der Abgeordnete Dr. Rudolf Krause.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich schließe mich voll inhaltlich dem an, was die Kollegen Carstens, Geis und Werner hier gesagt haben. Diese Meinung habe ich seinerzeit auch als Sprecher des Christlich-Konservativen Deutschlandforums vertreten. Dieselbe Meinung behalte ich uneingeschränkt bei.
Denjenigen, die gestern abend und heute früh die Mühe auf sich genommen und uns dieses Flugblatt verteilt haben — ich weiß nicht, ob man es hier nach der Geschäftsordnung zeigen darf —, möchte ich das Christuswort zurufen: Was ihr getan habt einem meiner geringsten Brüder, das habt ihr mir getan.
An die Adresse grün-roter Pastoren gerichtet, möchte ich sagen: Lesen Sie unser Programm nach! Da steht das drin, was in diesen Entwürfen drinsteht. Lesen Sie unser Republikaner-Programm nach, ehe Sie hier hetzen.
Es gibt die Frau mit einem Rechtsanspruch auf Leben und Würde, und es gibt das Kind mit einem Rechtsanspruch auf Leben und Würde. Diesen Rechtsanspruch hat das Kind vor der Geburt.
Und ich definiere jetzt so: Schwangerschaft ist nicht ein Zustand der Frau, hochgeschätzte Frau Würfel, mit dem die Frau nicht umzugehen weiß oder nicht umgehen soll, sondern Schwangerschaft ist ein Rechtsanspruch eines noch nicht geborenen Kindes auf Fürsorge durch die Mutter, auf Fürsorge durch die Familie und auf Fürsorge durch die Gesellschaft.
Wenn auch in evangelischen Kirchen die Nottaufe eines Frühgeborenen möglich ist und rituell beschrieben wird, wie ich in meiner Thomanerzeit oft im Kirchengesangbuch gelesen habe, dann handelt es sich hier auch um eine menschliche Seele, die einen Rechtsanspruch auf Leben hat.
Selbstbestimmung kann die Frau wahrnehmen, bevor sie die Fürsorgepflicht für ein anderes Leben übernommen hat. Wenn ein Kapitän auf hoher See ist und sagt: Mein Schiff gehört mir, dann mag das vielleicht stimmen. Aber er kann auf hoher See nicht sagen: Runter mit euch! — Das aber tut diejenige, die abtreibt oder abtreiben läßt. Noch ein Vergleich als Tierarzt aus der ehemaligen DDR: Wenn ein Bauer eine wertvolle Kuh hat, dann ist ihm das ungeborene Kalb gleichviel wert und oft auch noch mehr wert.
Was für ein ungeborenes Tier an Ethik gelten darf, muß doch wohl erst recht für einen ungeborenen Menschen gelten. Wir vertreten das Lebensrecht aller ungeborenen Kinder, auch der ungeborenen kranken Kinder.
Wenn es ein Recht geben soll, nach eigenem Befinden wie ein Sklavenhalter Leben zu töten, dann will ich Ihnen ein Wort sagen: Entscheiden Sie sich, ob man Abtreibung und Euthanasie Wohlstandsfaschismus oder Wohlstandsbolschewismus nennen will. Mord ist es allemal; denn es ist und bleibt vorsätzliche Tötung menschlichen Lebens.
Ein Letztes. Bei Walter Ulbricht haben wir damals gelesen: Die KPD hat in den 20er Jahren Abtreibung gefordert, weil „das böse kapitalistische System" menschenunwürdige Bedingungen für Frauen mit Kindern hatte. Aber, so hieß es damals, in einer humanistischen Gesellschaft, wie es die DDR bei Ulbricht nach seinem Verständnis war, war die Gesellschaft reich und stark genug, Abtreibung nicht mehr zuzulassen, sondern jedem Menschen seine Menschenwürde zu erhalten. Sie gehen in Ihren Forderungen —
Herr Abgeordneter, kommen Sie bitte zum Ende.
— hinter das humanistische Verständnis eines Walter Ulbricht zurück. Das kann wohl nicht das Ziel der Entwicklung der letzten vierzig Jahre sein. Treten wir ein für das Recht eines jeden Menschen, —
Herr Abgeordneter, kommen Sie bitte zum Ende.
Metadaten/Kopzeile:
19984 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
— auch des ungeborenen.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Als nächster hat der Kollege Ortwin Lowack das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei meinem Abänderungsantrag geht es um eine Ergänzung zum Antrag Werner und Kollegen „Ausbau der sozialpolitischen Maßnahmen zur Förderung der Bereitschaft zur Annahme ungeborener Kinder in Konfliktlagen und zur Förderung der Familie". Demnach soll der Bundestag beschließen, die Bundesregierung aufzufordern, „umgehend einen Entwurf zur Verbesserung des Bundeserziehungsgeldgesetzes einzubringen, der die Verlängerung der Bezugsdauer des Erziehungsgeldes auf drei Jahre für Geburten ab 1. Januar 1995 beinhaltet. "
Meine sehr verehrten Damen und Herren, angesichts der ungeheuren Hektik, mit der in den letzten Jahren familienpolitische Maßnahmen beschlossen und wieder zurückgenommen wurden, und der vielen Einschränkungen müssen wir uns endlich zu einer klaren familienpolitischen Linie durchringen. Die Familien brauchen Sicherheit. Diejenigen, die eine Familie gründen wollen, müssen wissen, daß der Gesetzgeber von Kurzatmigkeit absieht, daß man sich auf bestimmte Dinge verlassen kann. Deswegen glaube ich, daß ein für die gesamte Laufzeit des Erziehungsurlaubs gezahltes Erziehungsgeld in vielen Konfliktlagen für Schwangere einen entscheidenden Impuls geben könnte, das Kind zu behalten und vor allen Dingen auch, Kinderwünsche entsprechend zu verwirklichen.
Wir befinden uns zunehmend in einer schwierigen Zeit, meine sehr verehrten Damen und Herren, nicht nur, weil die Geburtenrate dramatisch zurückgegangen ist, sondern auch, weil der soziale Kitt in unserer Gesellschaft fehlt. Wir werden uns wundern, was zukünftige Generationen noch bereit sind, an Altersruhegeld für die heute in Arbeit Stehenden zu bezahlen. Wer sich nicht an der Zukunft versündigen will, muß heute bereit sein, entsprechende Konsequenzen zu ziehen. Wir würden haushaltsmäßig 1995 und 1996 kaum belastet werden. Vor allen Dingen würden etwaige Mehrausgaben danach durch die arbeitsmarktentlastenden Wirkungen und vor allen Dingen auch durch die Einsparungen bei Leistungen an Arbeitslose aufgewogen werden können.
Deswegen bitte ich Sie, aus dem Ressortdenken, das heute oft entscheidend ist, herauszukommen, übergeordnet zu denken und sich dem entsprechenden Antrag anzuschließen.
Es fehlt leider bei uns in der Politik immer wieder die ordnende Hand, die einmal zusammenfaßt, was letztlich den Steuerzahler wirklich belastet, und die nicht nur Rücksicht auf die einzelnen Ressorts nimmt. Wenn wir es richtig machen, wenn wir diesen Antrag richtig bewerten, mit den notwendigen gesetzgeberischen Maßnahmen, dann glaube ich sogar, daß wir die
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Familienentlastung richtig einbauen können, zu der wir ohnehin verpflichtet sind. Damit könnten wir zu viele Unkosten für den Bund vermeiden.
Um so weniger Bedenken sollten gegen meinen Antrag bestehen. Ich möchte Sie deshalb, weil es eigentlich ein Anliegen des gesamten Parlaments ist, bitten, diesem Antrag zuzustimmen.
Als nächster spricht der Kollege Dr. Ulrich Briefs.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Angenommen, uns Männern würde auferlegt, bei der Entscheidung über einen Berufs- oder Stellenwechsel zuvor einen Berater aufzusuchen; angenommen, der Berater wäre verpflichtet, für das Verbleiben in der alten Stellung bzw. im alten Beruf zu votieren und uns entsprechend zu beraten; angenommen, es würde dabei eine Strafandrohung im Raum stehen — ich bin sicher, die Empörung unter uns Männern wäre groß. Viele von uns würden toben, daß uns das Recht auf berufliche Selbstbestimmung und Entfaltung abgesprochen oder doch wesentlich eingeschränkt wird.Die Entscheidung, ob eine Frau ein Kind austrägt oder nicht, ist mit Sicherheit noch erheblich folgenreicher für das weitere Leben der betroffenen Frau als die Entscheidung über Berufs- und Stellenwechsel für den Mann. Und doch: Frauen erlegen wir auf, daß sie auf einen wesentlichen Teil ihrer Entfaltung, ihres Rechts auf Selbstbestimmung, ihres Rechts auf persönliche Würde verzichten.Wird in dieser gesellschaftlich einseitigen Abhängigmachung und der damit verbundenen Stigmatisierung von Frauen generell nicht ein abgrundtiefes, geradezu nur tiefenpsychologisch zu verstehendes Mißtrauen gegenüber Frauen und gegenüber der Sexualität in der Gesellschaft überhaupt spürbar? Ist das nicht womöglich ein Reflex einer geradezu zölibatären Hierarchie und von deren Macht- und Herrschaftsansprüchen? Ist dieser Anspruch, in das Leben von Frauen und in ihren Körper hineinzuregieren, nicht im klassischen Sinne ein patriarchalischer Anspruch, ein Ergebnis geradezu perverser patriarchalischer Phantasie?Eben deshalb ist die Auseinandersetzung um die völlige Freigabe der Schwangerschaftsunterbrechung — das muß nach wie vor das Ziel bleiben — eine grundlegende gesellschaftliche Auseinandersetzung. Kein Gebiet des gesellschaftlichen Lebens eignet sich so sehr, repressive und konservativ einschnürende, lebens- und individualitätsfeindliche Praktiken einzuführen, wie das Gebiet der Sexualbeziehungen.Nicht umsonst hat der Faschismus deshalb auch besonders stark die Geschlechterbeziehungen gegängelt und zum Hebel seiner unmenschlichen Politik gemacht. Nicht umsonst spielen auch in der Auseinandersetzung mit Ausländern und Ausländerinnen Sexualphantasien eine Rolle, z. B. die Furcht vor der höheren Fertilitätsrate.Die Auseinandersetzung um die Freigabe des Schwangerschaftsabbruchs wird systematisch benutzt — und das ist nicht das erste Mal in diesem
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 19985
Dr. Ulrich BriefsHause —, um stärker noch als bisher konservativautoritäre Politikmuster zu realisieren. Vermeintliche oder tatsächliche moralische Autoritäten, wie die der katholischen Kirche, wollen oder sollen sich auf diesem Wege in einem zentralen Bereich des gesellschaftlichen Lebens als unübergehbare, als ausschlaggebende Instanz etablieren.Das ist ein Versuch, die Entwicklung zur offenen, halbwegs liberalen, von Westeuropa und seinen Traditionen geprägten Gesellschaft aufzuhalten bzw. in wesentlichen Aspekten rückgängig zu machen. Darin liegt vielleicht eine besondere Gefahr, von der wir alle betroffen sind.Die Auseinandersetzung um die volle Entfaltung von Frauen und Mädchen in dieser Gesellschaft bleibt — das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hin oder her — auf der Tagesordnung.Noch eine kurze persönliche Anmerkung. Was es in dieser Gesellschaft bedeutet, mit Kindern zu leben, habe ich zufällig in dieser Woche ganz persönlich erfahren müssen. Bei der Vermietung einer Wohnung bekam ich einen Anruf der Hauseigentümergemeinschaft — es sind sechs Parteien —, die sich angeblich dafür ausgesprochen hat, daß in diese Wohnung von immerhin 90 m2 keine Familie mit Kind einziehen sollte. Meine Frau, voller Empörung, hat die Wohnung sofort an ein Paar mit einem dreijährigen Töchterchen vermietet. Das als Beispiel, um zu illustrieren, was in dieser Gesellschaft nach wie vor an Kinderfeindlichkeit vorhanden ist.Was Kollege Ullmann gesagt hat, ist ja richtig; aber meine Erfahrung und meine Empfindung ist, daß es nicht nur ein Problem von Immobilienspekulation und sonstigen wirtschaftlichen Faktoren ist, sondern daß es vor allen Dingen ein Problem dieser Menschen und dieser Gesellschaft und dessen ist, was in den Köpfen der Menschen vor sich geht.Frau Präsidentin, ich danke Ihnen.
Nun spricht Frau Ministerin Hannelore Rönsch.
Wir haben gerade geklärt, daß die Abgeordnete Hannelore Rönsch spricht, die allerdings auf dem verkehrten Platz gesessen hat. Ich bitte um Nachsicht.Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Frauen, die von der heutigen Debatte Informationen oder vielleicht sogar Hilfe erwartet haben, müssen bitter enttäuscht sein. Ich habe es sehr bedauert, liebe Kolleginnen von der Opposition, daß Sie auch heute morgen der Versuchung nicht widerstehen konnten, Verunsicherung und Ängste an Frauen heranzutragen, die sich möglicherweise in einer Konfliktsituation befinden.Die heutige Debatte und Abstimmung sollte nach den entsprechenden Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Mai 1993 die wichtige Aufgabe erfüllen, den verfassungsgemäßen Schutz des ungeborenen Lebens herzustellen. Ich hätte mir gewünscht, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, daß Sie unserem Gesetzesvorschlag beigetreten wären. Ich hätte mir gewünscht, daß schon die Debatte aus dem Juni 1992 zu einem Ergebnis geführt und daß es gar nicht zu einem weiteren Beschluß des Bundesverfassungsgerichts hätte kommen müssen. Und ich hätte mir gewünscht, daß Sie sich Ihren Kollegen de With intensiv anhören, denn er hat die Geschichte dieses § 218 und auch die zeitlichen Abläufe deutlich geschildert.25 Jahre besteht nun für Frauen Rechtsunsicherheit, und Sie wollen jetzt nach einem erneuten Beschluß des Bundesverfassungsgerichts diese Rechtsunsicherheit noch verlängern.
Ich appelliere heute noch einmal an Sie: Überlegen Sie, was Sie Frauen in Konfliktsituationen antun. Schauen Sie sich unseren Gesetzentwurf noch einmal an, der sich eng an dem Bundesverfassungsgerichtsurteil orientiert. Sie haben die Chance, im Bundesrat zuzustimmen. Ich würde mir wünschen, daß Sie dies tun. Sie tragen sonst die Verantwortung dafür, wenn Frauen auch in Zukunft mit dieser Rechtsunsicherheit leben müssen. Wir alle tragen Verantwortung für den Lebensschutz, und das Bemühen um einen besseren Lebensschutz sollte nicht mit der Beratung heute im Parlament enden, sondern sollte für uns alle eine dauernde Aufgabe sein.
Ob nämlich schwangere Frauen Kraft und Mut finden, sich für ihr Kind zu entscheiden, hängt von uns allen ab, von unserer Gesellschaft, von den Familien, von den Wohnungsvermietern, von den Arbeitgebern. Nicht zuletzt sind selbstverständlich auch die Bedingungen, die wir in der Politik setzen, ganz entscheidend. Eine schwangere Frau, die sich in einer schwierigen Situation für ihr Kind entscheiden möchte, muß Bedingungen vorfinden, die für sie, für ihre Familie, für ihr Kind auch Perspektiven für die Zukunft eröffnen.
Die Familienpolitik der Bundesregierung hat diesem Anliegen in der Vergangenheit Rechnung getragen.
Ich will heute nicht noch einmal alle Gesetzesinitiativen der letzten zehn Jahre wiederholen. Wir werden an anderer Stelle noch Gelegenheit dazu haben. Ich will aber ganz kurz das Erziehungsgeld, den Erziehungsurlaub und auch die Weiterführung des Familienlastenausgleichs ansprechen. Ich erinnere daran, daß wir 1983 mit einem Kinderfreibetrag von 432 DM begonnen haben und jetzt ein Kinderfreibetrag von 4 104 DM gewährt wird.
Es gilt, die Leistungen für Familien auch in der Zukunft wesentlich auszubauen. Dafür plädiere ich.
Metadaten/Kopzeile:
19986 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Hannelore Rönsch
— Das werden wir tun, Frau Hanewinckel. Wir schauen ganz gespannt auf die Alternativen der Opposition. Alternativen sind mir jedoch bisher nicht aufgefallen und erst recht auch keine Möglichkeiten der finanziellen Realisierung.
Frauen, liebe Frau Matthäus-Maier, die in ihrer Konfliktsituation keinen Ausweg wissen, Frauen, die Rat und Hilfe brauchen, dürfen in keinem Bereich alleingelassen werden. Gleichwohl müssen sich die Frauen, die sich für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden wollen, mit dem verfassungsmäßig garantierten Lebensrecht des ungeborenen Kindes konfrontieren lassen.Die Entscheidungsfreiheit der Frau beinhaltet selbstverständlich auch Verantwortlichkeit für ihr eigenes Handeln. Wer jedoch argumentiert, Beratung dürfe nicht zur Pflicht gemacht werden, oder in der Beratungspflicht gar einen unerträglichen Zwang sieht, der verkennt die staatliche Verantwortung für den Lebensschutz. Verantwortung tragen aber auch alle gesellschaftlichen Gruppen und ganz besonders das persönliche Umfeld der Schwangeren.Ich denke, daß unser Koalitionsentwurf all diesen Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts nachkommt: der Zielorientierung der Beratung auf den Schutz des ungeborenen Lebens hin, die im Ergebnis offen sein und — darauf kommt es uns ganz wesentlich an — auch die Verantwortung der Frau respektieren muß. Dies alles ist in unserem Gesetzentwurf gewährleistet.
Lassen Sie mich zum Abschluß noch auf etwas zu sprechen kommen, bei dem es mir als derjenigen Ministerin, die für die Sozialhilfegesetzgebung verantwortlich ist, ausgesprochen schwerfällt, Sie in Ihrer Argumentation zu verstehen: Sie diskriminieren plötzlich die Sozialhilfe.
Ich möchte diejenigen in unserer Gesellschaft in Schutz nehmen, die Sozialhilfe in Anspruch nehmen müssen und auch in Zukunft in Anspruch nehmen sollen. Ich denke, daß die Frauen, denen der Abbruch über die Sozialhilfe bezahlt wird, nicht durch Äußerungen, daß der Gang zum Sozialamt für sie eine Diskriminierung darstelle, in der Gesellschaft geächtet werden sollten.Ich hoffe, daß Sie auch hier unserem Vorschlag zur Finanzierung beitreten können. Keine Frau, auch nicht die alleinerziehende Mutter mit ein oder zwei Kindern, die zum Sozialamt gehen muß, darf in irgendeiner Weise diskriminiert werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hoffe, daß wir nach derVerabschiedung hier im Deutschen Bundestag keine weiteren Beratungen im Bundesrat haben müssen.
Ich möchte Sie im Namen der Frauen, die Rechtssicherheit wollen und Beistand und Hilfe auch vom Gesetzgeber erwarten,
sehr eindringlich bitten, doch zu überlegen, ob Sie wirklich im Bundesrat als Bremser auftreten wollen. Denken Sie an die Frauen, die endlich Sicherheit haben wollen, und vergeben Sie diese Chance nicht. Begreifen Sie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts als das, was es ist, und orientieren Sie sich an ihm. Wenn wir das alle gemeinsam wollen, dann können wir den Frauen in Konfliktsituationen tatsächlich Beistand leisten.
Als nächster spricht der Kollege Professor Dr. Jürgen Meyer.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine Vorrednerin hat mit großem Nachdruck über die derzeitige Rechtsunsicherheit gesprochen, die zu beenden sei. Dazu stelle ich fest: Rechtssicherheit ohne soziale Gerechtigkeit kann niemals von Dauer sein.
Die hinter uns liegenden Beratungen, bei denen Sie, Frau Ministerin Rönsch, trotz Ihrer Zuständigkeit für Familienpolitik eine eher verborgene Rolle gespielt haben, dienten aus unserer Sicht zwei Zielen: Erstens ging es uns darum, den Geist des Gruppengesetzes, der sich in dem Begriff „Hilfe statt Strafe" zusammenfassen läßt, zu bewahren, denn das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 28. Mai 1993 dieses Schutzkonzept, das zutreffend als „Beratungskonzept" bezeichnet wird, ausdrücklich bestätigt.Zweitens wollten wir den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, den das Gericht uns ausdrücklich einräumen mußte und auch einräumt, so nutzen, daß wir möglichst nahe beim Gruppenkonsens der Bundestagsmehrheit von 1992 blieben. Beide Ziele sind von der neuen Mehrheit leider deutlich verfehlt worden.
Den Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion kann daraus natürlich kein Vorwurf gemacht werden; denn sie waren mit großer Mehrheit gegen den Gruppenantrag. Es ist durchaus legitim, daß sie den Anlaß der Anpassungsberatungen genutzt und möglichst viel von ihren früher in der Minderheit gebliebenen Vorstellungen eingebracht haben. Der Gruppenkonsens war ihre Sache nicht.Ganz anders verhält es sich mit der F.D.P.-Fraktion. Ich muß es leider sehr deutlich sagen: Sie haben mit
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 19987
Dr. Jürgen Meyer
uns nur Scheinverhandlungen geführt, während Sie den Gruppenkonsens längst aufgegeben hatten.
Sie, Frau Kollegin Würfel, haben den Geist des Gruppengesetzes für das Linsengericht des Koalitionsfriedens weggeschenkt.
Ich will das mit einigen Hinweisen begründen. Warum eigentlich schlagen Sie eine Finanzierung von Schwangerschaftsabbrüchen vor, von der Sie ganz genau wissen, daß sie im Bundesrat abgelehnt wird? Wollen Sie als Partei der Besserverdienenden den Frauen mit kleinem oder gar keinem Einkommen überhaupt ehrlichen Herzens helfen?
Warum schlagen Sie ohne Not eine Beratungsregelung vor,
die von der Eigenverantwortung der Frau nur wenig übrigläßt?Und warum verstecken Sie den Tatbestandsausschluß bei Schwangerschaftsabbrüchen in den Gründen Ihres Entwurfes, obwohl z. B. der von Ihrer Koalition benannte Sachverständige Professor Keller bei der öffentlichen Anhörung am 14. April ausdrücklich eingeräumt hat, daß der SPD-Entwurf — ich zitiere — „die klarere Lösung und die klarere Formulierung ist, um das zu bezeichnen, was gewollt ist"? Warum entsprechen Sie dem in Ihrem Entwurf nicht?
Warum schließlich befürworten Sie, wiederum entgegen dem Votum auch Ihrer eigenen Sachverständigen, eine ganze Reihe neuer Straftatbestände gegen Ärzte und gegen das persönliche Umfeld der Schwangeren? Wir erkennen darin wenig Souveränität des Gesetzgebers, viel übereifrige Beflissenheit auch gegenüber äußerst zurückhaltenden Hinweisen aus Karlsruhe und von einem überhaupt nichts: nämlich Liberalität.
Ich will auch dafür zwei Belege nennen. Sie wollen durch einen neuen § 218 c StGB künftig allen Ernstes Ärzten vielerlei Pflichten auferlegen und sie bei Verletzung dieser Pflichten bestrafen, unter anderem auch dann, wenn sie den Eltern des künftigen Kindes das Geschlecht des Ungeborenen mitteilen, bevor seit der Empfängnis zwölf Wochen vergangen sind.Bei der Sachverständigenanhörung hat Professor Eser, ohne daß dem auch nur einer der anderen Sachverständigen widersprochen hätte, festgestellt: Der entsprechende Passus im Gerichtsurteil gehöre zum Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers; Verhältnisse wie in Indien, wo häufig künftige Mädchen abgetrieben werden, gebe es bei uns nicht, und sie seien auch nicht zu erwarten; es handele sich um eine Vorgabe des Gerichts, für die im Unterschied zu anderen Vorgaben im Urteil keine Fristsetzung vorgesehen sei; schließlich könne es nicht angehen, gutwillige Ärzte oder Eltern gewissermaßen mit zu bestrafen, die niemals an einen Schwangerschaftsabbruch wegen des Geschlechts des Kindes denken würden.Der von der Regierungskoalition benannte Sachverständige Professor Steiner hat zu der von ihm so genannten Umfeldbestrafung erklärt, er sei dieser gegenüber außerordentlich skeptisch.Warum, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Regierungskoalition, führen Sie eigentlich Sachverständigenanhörungen durch, wenn Sie dann trotz der durchaus hilfreichen Äußerungen Ihrer eigenen Sachverständigen keinen Millimeter von Ihren einmal gefaßten Vorschlägen und Vorurteilen abrükken? Warum tun Sie das?
Gestatten Sie mir als weiteren Beleg für meine grundsätzliche Kritik am neuen Strafrecht des Koalitionsentwurfs noch zwei Bemerkungen zu der umstrittenen Strafbarkeit des persönlichen Umfelds der Schwangeren.Erstens. Unser Vorschlag, wonach die Nötigung zum Schwangerschaftsabbruch als besonders schwerer Fall der Nötigung eingestuft wird, bedroht keine einzige Handlung, die nicht schon nach geltendem Recht strafbar wäre, neu mit Strafe.Auch der Strafrahmen für schwere Fälle steht längst im geltenden § 240 StGB. Anderslautende Behauptungen, wie sie insbesondere von der Kollegin Würfel in der ersten Lesung und in ihren vielfältigen öffentlichen Äußerungen aufgestellt worden sind, entsprechen nicht der Wahrheit und sind juristisch abwegig. Wir nehmen vielmehr den Hinweis des Gerichts ernst, daß der Gesetzgeber auch für die Anwendung bereits bestehender rechtlicher Vorschriften zu sorgen habe. In diese Richtung setzen wir ein deutliches Signal.Zweitens erinnere ich an die Kritik, die ich in aller Ausführlichkeit bereits in der ersten Lesung zu dem von Ihnen vorgeschlagenen neuen Straftatbestand der Mitverursachung eines Schwangerschaftsabbruchs nach § 218d Strafgesetzbuch vorgetragen habe.Diese Kritik ist bei der öffentlichen Sachverständigenanhörung von allen Strafrechts- und Verfassungsrechtsexperten, die sich dazu geäußert haben, im wesentlichen bestätigt worden. Die Unbestimmtheit der von Ihnen verwandten Begriffe wie „verwerflicher Eigennutz" oder Ablehnung materieller Hilfe, so Ihre Strafnorm, „obwohl diese zur Abwendung eines Schwangerschaftsabbruchs erforderlich und den Umständen nach zuzumuten" ist, läßt bereits an der Gesetzesbestimmtheit und damit der Verfassungsmäßigkeit der Norm zweifeln.
Kollege Meyer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Jäger?
Ich möchte den Gedanken gerade zu Ende führen.
Metadaten/Kopzeile:
19988 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Und dann: ja? Dr. Jürgen Meyer (SPD): Dann gerne.
Nach Auffassung aller Sachverständigen schaffen Sie in der Praxis nicht anwendbares, totes Recht, mit dem Sie nur eines sicher erreichen: Sie verbreiten eine diffuse Angst vor allem bei den Eltern minderjähriger schwangerer Frauen. Wollen Sie das wirklich? Wollten wir nicht mit unserem Gruppengesetz vertrauensvolle Gespräche von und mit schwangeren Frauen statt verängstigter Sprachlosigkeit auf allen Seiten? — Bitte.
Jetzt eine Zwischenfrage des Kollegen Jäger. Herr Kollege Meyer, Sie müssen anschließend aber ziemlich schnell zum Schluß kommen.
Dann sage ich nur noch einen Satz.
Herr Kollege Meyer, wie erklären Sie dem Hause den Widerspruch, der darin liegt, daß Sie und Ihre politischen Freunde auf der einen Seite die Einführung einer neuen Strafnorm propagieren, mit der die Vergewaltigung in der Ehe bestraft werden soll, eine Strafnorm, mit der doch auch in den intimen Kreis der Familie hineingewirkt und eine Abschreckung erzeugt werden soll, während Sie hier Einwirkungen auf die Frau mit doch erheblich kriminellem Charakter, die aus ihrem Umfeld kommen, von Strafe freistellen wollen?
Erstens, Herr Kollege Jäger, trete ich mit Nachdruck — entsprechend unserem Gesetzentwurf — für die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe ein.
Ich weise Sie darauf hin, daß dieses mit ein Motiv dafür ist, daß wir die sogenannte kriminologische Indikation, also die Rechtfertigung eines Schwangerschaftsabbruchs nach einer Vergewaltigung, nicht in unseren Entwurf aufgenommen haben, weil diese Indikation auch von seiten Ihrer Fraktion immer wieder als Argument gegen die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe angeführt worden ist. Dieses Argument wollen wir Ihnen nehmen.
Zweitens. Sie sagen, wir wollen eindeutig kriminelles Verhalten nicht bestrafen. Das ist nicht richtig. Bisher ist das, was in dem neuen Straftatbestand steht, gerade nicht mit Strafe bedroht. Wir wehren uns dagegen, im Übereifer gegenüber dem Gericht derartige Tatbestände einzuführen.
Ich will Ihnen sagen, wie der Freiraum des Gesetzgebers, also unser Freiraum, vom Gericht selbst beschrieben wird. Ein Satz aus dem Urteil:
Ein Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum kommt dem Gesetzgeber auch dann zu, wenn er wie hier verfassungsrechtlich verpflichtet ist, wirksame und ausreichende Maßnahmen zum Schutz eines Rechtsguts zu ergreifen.
Ich meine, davon hat der Koalitionsentwurf nicht ausreichend Gebrauch gemacht. Er betont die Strafe und vernachlässigt die Hilfe.
Darum mein letzter Satz: Wer zu dem Grundsatz Hilfe statt Strafe steht, muß den von der Regierungskoalition vorgelegten Gesetzentwurf ablehnen.
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich der Kollegin Uta Würfel.
Frau Präsidentin, ich danke Ihnen; denn es sind soeben doch sehr schwerwiegende und entscheidende Fragen an mich gestellt worden.Ich möchte etwas zum „Linsengericht", das Herr Meyer soeben erwähnt hat, sagen. Als ich die Gruppe, die das Gruppengesetz von 1992 zustande gebracht hatte, gebeten habe zusammenzukommen, haben mir die damals beteiligten Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU gesagt: In Respekt vor dem Verfassungsgerichtsurteil halten sie es für selbstverständlich, daß zuerst versucht wird, auf der Grundlage eines Koalitionsgesetzentwurfs der Umsetzung zu folgen, die das Gericht verlangt hat.Die SPD hat gesagt: Dann wollen wir versuchen, eigene Vorstellungen zu entwickeln, die dann in ein gemeinsames Vorgehen eingearbeitet werden.Ich möchte einfach, daß hier Gerechtigkeit herrscht, daß die Öffentlichkeit auch richtig informiert wird. Frau Wettig-Danielmeier wird mir bestätigen, daß wir in engem Kontakt über das Ergebnis der Beratungen innerhalb der Koalition gestanden haben und daß ich bis zuletzt ganz wichtige Entscheidungen bei den Verhandlungen offengelassen habe, um der SPD die Gelegenheit zu geben, mit hineinzukommen.
Ich möchte, daß das hier richtig dargestellt wird.Warum nehmen wir die Finanzierung für bedürftige Frauen über die Sozialhilfe nach den Kriterien „Hilfe in besonderen Lebenslagen" vor? Weil dies vom Bundesverfassungsgericht als sachgerecht vorgegeben wird und weil sich die Frau unbürokratisch mit einem Formblatt, das sie bei der Beratungsstelle erhält, an das Landessozialamt wenden kann, eine Anschrift ihrer Wahl angibt und dort unverzüglich die Zusage der Kostenübernahme erhält, mit der sie zum Arzt geht, der dann mit dem Landessozialamt abrechnet. Das erschien uns auch auf der Grundlage der Anhörung das sachgerechteste Vorgehen.Professor Meyer, Sie haben recht, was Ihre Formulierung des Tatbestandsausschlusses angeht. Ich hätte das gerne so gemacht, zumal auf der Grundlage der Anhörung, wo Professor Keller bestätigt hat, daß dies die korrektere und richtigere Form ist.Leider sind hier die Experten des Justizministeriums völlig anderer Ansicht. Offensichtlich handelt es sich wieder einmal um einen Streit der Juristen, wie man drei Wörter an bestimmter Stelle einfügt, damit das herauskommt, was Sie und Professor Keller gewollt
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 19989
Uta Würfelhaben. Sie haben recht. Es ist Ihnen bestätigt worden, daß es bei Ihnen besser formuliert ist.Zur Strafbarkeit des familiären Umfeldes. Da möchte ich jetzt endgültig ausräumen, daß ich etwas Falsches sage, wenn ich sage: Das Gericht hat es als unerläßlich vorgegeben, daß zusätzlich zum bereits bestehenden § 240 im Strafgesetzbuch zwei neue Strafnormen gemacht werden. Mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin, lese ich vor.
Frau Kollegin, nichts erlaube ich, weil Sie die zwei Minuten nämlich schon überschritten haben. Ein längeres Zitat geht nicht.
Gut, dann muß es jemand anderes vorlesen.
Kommen Sie zu Ihrem letzten Satz, und dann ist Schluß.
Okay. Dann lesen Sie bitte nach, daß auf Seite 131 des Urteils steht:
Darüber hinaus
— also zur Nötigung —
sind für Personen des familiären Umfelds strafbewehrte Verhaltensgebote unerläßlich.
Zu einer Erwiderung auf diese Kurzintervention der Kollege Professor Meyer.
Ich versuche, auf diese sehr lange Intervention mit vier Sätzen zu antworten.
Erstens. Die Verhandlungen, wie sie in der früheren Gruppe, die den Gruppenentwurf formuliert hat, versucht worden sind, sind von meiner Kollegin Inge Wettig-Danielmeier völlig zutreffend gewürdigt worden; sie waren nicht auf einen Erfolg angelegt, jedenfalls nicht seitens der Kollegen der F.D.P.; das bedauere ich zutiefst.
Zweitens. Der Tatbestandsausschluß sollte — ich nehme das zur Kenntnis — deshalb im Gesetz stehen, weil dieses klar gewollt ist; ich verstehe überhaupt nicht, warum er in der Begründung des Gesetzes steht, aber nicht im Gesetz selbst.
Drittens. Die Kollegin Würfel und unsere anderen Verhandlungspartner der F.D.P. haben bei den Verhandlungen ein Kunststück versucht, das nicht gelingen konnte; sie haben mit uns als den Partnern des Gruppenantrages über einen Entwurf verhandelt, aber gleichzeitig den festen Vorsatz gehabt, die Koalition zusammenzuhalten, die mehrheitlich — wie Sie wissen — gegen den Gruppenantrag war; dieses konnte nicht gelingen.
Deshalb viertens meine Schlußbemerkung: Es reicht nicht aus, und es ist nicht überzeugend, eine
Reform des § 218, egal, mit welchem Inhalt, mit einem Namen oder einer Fraktion verbinden zu wollen. Es kommt auf den Inhalt an. Dafür streiten wir weiter.
Das Wort hat Kollege Dr. Gregor Gysi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte — ich hoffe, außerhalb der Redezeit — einen Satz zu dem sagen, was Herr Krause von den Republikanern gesagt hat. Ich bin der Meinung, wenn in diesem Haus, im Deutschen Bundestag, schwangere Frauen mit Kühen verglichen werden, ist das Maß des Erträglichen eigentlich so weit überschritten, daß man sich das nicht bieten lassen dürfte.
Aber es bringt immerhin Ihre Einstellung zu Frauen ganz gut zum Ausdruck. Interessant ist übrigens auch, daß Sie mit keiner Silbe erwähnt haben, was Sie eigentlich vom Schutz des ungeborenen Lebens halten, falls es sich um ausländisches Leben handelt. Auch dazu hätte ich gern einmal ein Wort gehört.
Das Grundproblem besteht darin, daß der Bundestag dabei ist, eine Entscheidung zu treffen, die natürlich am Willen der Mehrheit der Bevölkerung vorbeigeht. Das haben wir kürzlich auch in der Bundesversammlung erlebt.
Aus alledem resultiert, daß der Wunsch immer größer wird, unmittelbare Demokratie zu stärken. Wir könnten das Problem lösen. Lassen Sie doch einen Volksentscheid über § 218 durchführen, und er wäre längst beseitigt!
Wenn Sie fair wären, würden wir sogar ausnahmsweise einen Volksentscheid machen, bei dem nur Frauen stimmberechtigt sind, denn es ist ihr Problem und nicht unser Problem, über das wir hier entscheiden.
— Sie dürfen sich gerne aufregen, aber richtig ist es trotzdem.Sie können das Problem auch dadurch lösen, daß Sie sich endlich bereit finden, das Grundgesetz so zu ändern, daß es eben grundgesetzgemäß ist, daß eine Frau selbst entscheidet, ob sie eine Schwangerschaft austragen will oder nicht, ob sie Mutterschaft wünscht oder nicht. Wenn wir gehört haben, daß es in erster Linie sogar Mütter sind, die sich beim zweiten oder dritten Kind für einen Abbruch entscheiden, dann können Sie davon ausgehen, daß diese genügend Erfahrung und Verantwortungsbewußtsein besitzen, um diese Entscheidung selbst zu treffen. Dann brauchen die nicht Herrn Werner oder andere, die ihnen
Metadaten/Kopzeile:
19990 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Dr. Gregor Gysivorschreiben, wie sie diese Entscheidung zu treffen haben.
Wir müssen uns mit einer weiteren Frage beschäftigen. Ich bin ein Anhänger des Bundesverfassungsgerichts, weil ich aus einem Land komme
— ich komme schon darauf —, in dem es kein Verfassungsgericht gab und ich weiß, mit welch großen Nachteilen das verbunden ist. Aber es ist eine Katastrophe, daß ein Senat, der über so etwas entscheidet, aus sieben Männern und einer Frau besteht. Sorgen Sie dafür, daß mindestens die Hälfte der Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts Frauen sind!
Die sollten in einer solchen Frage entscheiden und nicht sieben Männer, wie wir das erlebt haben.
Wie inkonsequent das Ganze ist, sehen Sie auch an folgendem. Selbst die angeblich so marode DDR konnte es sich leisten, allen Frauen die Pille zu bezahlen. An nichts Gleichwertiges ist in der Bundesrepublik zu denken.
Ich füge hinzu: Sie wollen den Frauen die Kosten des Abbruchs und alle Nachfolgekosten auferlegen. Den sozial Schwächsten wollen Sie den demütigenden Gang über die Sozialämter ermöglichen.
Sie sind nicht einmal auf die Idee gekommen, die Erzeuger rechtlich wenigstens zur Übernahme der Hälfte der Kosten zu verpflichten. Das wäre doch wohl das mindeste. Haben die denn überhaupt nichts damit zu tun? Was ist das eigentlich für eine Einstellung gegen die Frauen, die Sie hier zum Ausdruck bringen?
— Das kann man schon feststellen, Frau Würfel.
Glauben Sie mir, da gibt es im Laufe der Jahrzehnte und Jahrhunderte gewisse Erfahrungen.Ich will Ihnen noch eines sagen. Die Heuchelei wird für mich am größten, wenn die, die sich hier so sehr für das ungeborene Leben einsetzen, die gleichen sind, die Flüchtlinge und Asylbewerberinnen aus diesem Land verdrängen, die nicht einmal Rücksicht auf Kinder nehmen, die in ungeklärteste Verhältnisse kommen, und die nicht bereit sind, wirklich Verantwortung für geborenes Leben zu übernehmen. Da verweisen Sie auf die Eltern. Nur das ungeboreneunterliegt Ihrem Schutz. Das ist die eigentliche Katastrophe. Kümmern Sie sich um das geborene Leben, dann hätten Sie viel zu tun!
Ich erteile der Kollegin Professor Dr. Rita Süssmuth das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich komme zunehmend zu der Überzeugung, daß unsere heutige Debatte weder den Müttern noch dem ungeborenen Leben dient, wenn wir sie so führen, wie wir das gegenwärtig tun.
Ich stelle zum ersten fest: Ich gehörte damals zu den Mitstimmenden beim Gruppenantrag, und ich will heute begründen, warum ich der Gesetzesregelung der Koalitionsfraktionen zustimme, ohne mich dem Vorwurf auszusetzen, ich gehörte zu den Umfallern. Ich entscheide danach, was ich nach meiner Überzeugung für richtig halte.Ich halte es für eine Unmöglichkeit, daß wir hier Menschenwürde, Frauenwürde und Achtung den einen zubilligen und den anderen absprechen,
denn auch diejenigen, die in anderer Weise die Umsetzung des Verfassungsgerichtsurteils gewichten — das sage ich auch Ihnen, Frau Wettig-Danielmeier —, haben wie ich nicht weniger als Sie für den Zusammenhang von Schutz des ungeborenen Lebens mit Ansehen und Würde der Frau gestritten, und das gilt für viele, die wir jetzt hier nicht verhetzen sollten.
Zum zweiten: Wie schwierig die Umsetzung des Verfassungsgerichtsurteils ist, liegt in dem Urteil selbst, weil es nämlich für diesen Konflikt keine Lösungen gibt. Es gibt Regelungen, aber keine Lösungen. Die Ambivalenz, die immer wieder in diesem Verfassungsgerichtsurteil enthalten ist, dem Tatbestand gerecht zu werden, daß jeder von uns und die staatliche Gemeinschaft Leben zu schützen haben, ungeborenes und geborenes, und der Würde, der Entscheidungsverantwortung, der Mündigkeit der Frau gerecht zu werden, durchzieht das gesamte Verfassungsgerichtsurteil — mit allen Schwierigkeiten, die dann in der Umsetzung liegen.Zum dritten: Dieses Urteil hat ein neues Konzept an die Stelle des alten gesetzt. Was sind die beiden entscheidenden Punkte? — Es setzt das Beratungskonzept an die Stelle des Indikationskonzeptes, es stellt die Hilfen in den Mittelpunkt und sagt, um dieses Beratungskonzept muß sich der Schutz der Gemeinschaft für Kind und Mutter konzentrieren.Wenn wir von dem ausgehen, dann hat es ganz eindeutig gesagt — auch das ist hier nicht strittig —, daß nach Beratung die letzte Entscheidung, die ver-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 19991
Dr. Rita Süssmuthantwortliche Entscheidung bei der Frau liegt und sie ihr niemand abnehmen kann.Nun streiten wir um drei Punkte. Einer davon ist die Beratung. Jetzt mögen Sie sagen, in unserem § 219 ist der andere Teil der Aussagen des Verfassungsgerichtes stärker zum Ausdruck gekommen, aber in Ziffer 5 auch unseres Gesetzes stehen ganz klar die beiden Teile, zum einen Ermutigung zum Lebenserhalt — es dient dem Lebensschutz — und zum anderen Ergebnisoffenheit. In dieser Bandbreite bewegt sich die Beratung. Wenn wir diesen beiden Anforderungen Rechnung tragen, dann möchte ich fragen: Haben wir jetzt einen Dissens in der Auslegung des Verfassungsgerichtsurteils? Wollen wir etwas Verschiedenes? Oder wollen wir etwas Gemeinsames?Da möchte ich hier noch einmal klar sagen: Ich denke, daß es bei der zentralen Frage der Entscheidung über Leben oder Tötung von Leben eine Verpflichtung aller gibt, gerade auch der Frau als Selbstverpflichtung und Fremdverpflichtung, nichts zu unterlassen, was einen anderen Ausweg als den Schwangerschaftsabbruch ermöglicht.
Wenn wir uns darüber einig sind, dann ist doch wohl selbstverständlich, daß alle Beratung dem Ziel dient, im Konflikt Hilfen anzubieten, zu einem vertrauensvollen Gespräch zu kommen. Wenn wir dann xfach unterstreichen, die Frau müsse an dem Gespräch nicht mitwirken, dann frage ich in aller Bescheidenheit: Was wollen wir denn nun eigentlich,
daß ihr Hilfen und Lösungen angeboten werden oder daß sie dort schweigend und blockiert verharrt? Es ist Aufgabe der beratenden Menschen, daß sie die Frau im Gespräch vertrauensvoll erreichen und Perspektiven aufzeigen können;
sonst macht alles andere keinen Sinn.Ich sage das auch mit gleicher Entschiedenheit für die Situation der Ärzte. Es ist doch lebensfremd anzunehmen, daß sich hier Ärztin oder Arzt und Frau im Schwangerschaftskonflikt schweigend gegenübersitzen. Was soll denn der Arzt anderes tun, wenn nicht herausfinden, ob er in diesem Fall verantwortungsbewußt oder nicht verantwortungsbewußt handelt? Insofern ist die Darlegung der Gründe das Normale. Wenn es dazu gar nicht kommt, ist es für den Arzt schwierig genug, herauszufinden, auf Grund welcher Beweggründe die Frau so handelt, wie sie handelt. Das möchte ich dann nicht zur Erörterung stellen. Ich finde, wir bewegen uns in einem Raum, dessen Erörterung nicht hilfreich ist, sondern mehr zur Konfusion Anlaß gibt, als daß wir damit helfen.Ich finde es wichtig, daß wir die folgende Gemeinsamkeit über das hinaus, was für mich im Verfassungsgerichtsurteil klärend war, im Parlament feststellen und sagen: Es gibt keine embryopathische Indikation; es gibt die Frage, ob der Fall der Behinderung Mütter in so unzumutbare Konflikte stößt, daß sie das Ja zum Kind nicht sagen können. Auch hiersagt das Verfassungsgericht immer wieder: Das Ja kann nicht erzwungen werden. Oder es gilt der Satz, den wir alle miteinander vielfach gesprochen haben: Leben kann nur mit der Frau und nicht gegen sie geschützt werden. Das gilt auch für die embryopathische Indikation.
Ich möchte jetzt zum Sozialhilferecht kommen. Ich selbst habe in meinem Vorschlag nie eine Lösung außerhalb der Krankenkassen vorgesehen. Aber in dieser Beziehung gibt es eine klare Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts. Wovon sollen denn jetzt die Menschen draußen annehmen, daß wir es wollen? Ich habe den Eindruck, daß die einen sagen, daß sie Einkommensgrenzen in einem Leistungsgesetz regeln wollen — auch da muß eine Nachprüfbarkeit gegeben sein —, und die anderen sagen, daß sie den bisherigen Träger Sozialhilfe nehmen wollen. Wenn Sie das Verfassungsgerichtsurteil lesen, werden Sie finden, daß zwar beides möglich ist, aber es trifft doch nun wirklich nicht zu, daß die einen, die eine Regelung innerhalb der Sozialhilfe erreichen wollen, eine erschwerende und die anderen eine erleichternde Regelung haben wollen. Der Unterschied ist: Wer finanziert, Bund oder Lander?
Darüber mag dann der Vermittlungsausschuß weiter entscheiden.Ich komme auch noch zu folgendem Punkt, der mir wichtig erscheint, nämlich die Einführung neuer Straftatbestände. Es wird eine Diskussion entfacht, die für die Menschen, die Betroffenen überhaupt nicht hilfreich ist. Warum nicht? Frau Würfel hat eben noch einmal die einschlägigen Passagen aus dem Verfassungsgerichtsurteil vorgelesen. Nun sagen Sie: Wir nehmen die alten Regelungen; sie reichen aus.
— Gut, wenn Sie das nicht sagen, sondern sagen, der Nötigungsparagraph 240 Strafgesetzbuch werde an dieser Stelle ausdrücklich eingebracht — was Sie ja tun —, dann ist es um so schwieriger nachzuvollziehen, warum wir dann um diesen Punkt in einem großen Dissens kämpfen, wenn es die einen über die Einführung eines neuen Straftatbestandes, die anderen über den Nötigungsparagraphen regeln wollen.
Im Kern läuft es für die Menschen auf dasselbe hinaus. Viel wichtiger ist es, daß wir Konstellationen verhindern, die eine solche Regelung überhaupt erst notwendig machen.
Letzter Punkt. Nach all dem, was hier diskutiert worden ist, vermag ich nicht zu erkennen, daß wir eine Grundlage dafür hätten, eine Regelung noch weiter hinauszuschieben. Ich wiederhole und zitiere noch
Metadaten/Kopzeile:
19992 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Dr. Rita Süssmutheinmal, was die Evangelische Kirche in Deutschland schon im Februar gesagt hat:Die Differenzen zwischen den beiden Gesetzentwürfen rechtfertigen keine längere Verschiebung des Gesetzes. Wenn wir Rechtssicherheit bei allen Beteiligten, Hilfen für die Frauen und Schutz des ungeborenen Lebens wollen, dann ist unverzüglich eine Umsetzung des Verfassungsgerichtsurteils jetzt anstehend.Ich kann mich dem Urteil der EKD und der Katholischen Kirche nur voll anschließen. Entschließen wir uns zu einer Verabschiedung des Gesetzes.
Schließlich und letztlich: Es geht um die Hilfen. Da stimme ich zu. Aber ich möchte daran erinnern, daß in dem Gruppenantrag nicht mehr Hilfen enthalten waren, als heute vorgesehen sind.
Damals reichte das aus. Wir haben damals gesagt: Mehr ist jetzt nicht zu erreichen. Heute sagen wir: Die Hilfen reichen nicht aus. Ich stelle hier auch im Namen meiner Fraktion fest: Es gilt, ganz kräftig am Familienlastenausgleich, an den Hilfen für Familien weiterzuarbeiten.
Aber dies kann heute nicht zum Maßstab dafür gemacht werden, zu sagen, es sei im Familienhilfegesetz nichts durchgesetzt worden.Deswegen noch einmal: Ich glaube, daß wir das erste Mal in diesem Jahrhundert hier im Parlament und vorher beim Verfassungsgericht eine Grundlage haben, die einen bestmöglichen Lebensschutz versucht, indem sie die Verpflichtung gegenüber dem Ungeborenen und die Verpflichtung gegenüber Ansehen, Würde und Mündigkeit der Frau ineinanderschiebt und beiden Rechnung trägt. Ich wünsche mir, daß in gleicher Weise Verantwortung zwischen Frauen und Männern geteilt wird.Wenn wir unser Versagen gegenüber mißhandelten und vernachlässigten Kindern immer wieder deutlich machen und wenn wir angesichts der mörderischen Vorgänge in Bosnien von Versagen sprechen, dann sollten wir uns nicht ständig auseinanderdividieren, wenn es um einen ungeteilten Lebensschutz für die Ungeborenen und die Geborenen geht. Unsere Diskussion muß in allen Teilen einheitlich sein.Ich danke Ihnen.
Ich habe jetzt zwei Wünsche nach Kurzinterventionen vorliegen. Die Kollegin Angelika Barbe möchte eine Kurzintervention zu den Ausführungen des Kollegen Gysi machen. Die Kollegin Inge Wettig-Danielmeier möchte zur Rede der Kollegin Süssmuth Stellung nehmen.
Frau Kollegin Barbe, bitte.
Eine Kurzintervention zu Äußerungen der Herren Werner, Krause und Gysi.
Ich denke, es gibt Dinge, die man nicht befehlen kann, auch Sie und Ihre Freunde nicht, Herr Werner. Ich möchte darauf hinweisen, daß sich die Beratungspraxis, die wir mit diesem Gesetz den Frauen vorschreiben, eindeutig verschlechtert. Ich möchte eine Ermutigung haben und keine Entmündigung, die hier stattfindet.
Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß Frauen nach römischem Recht dann die Strafe erlassen wurde, wenn man ihnen Unzurechnungsfähigkeit unterstellte. So ist das auch mit Ihrem Gesetz. Sie zwingen die Frauen dazu, Gründe darzulegen, und ermutigen sie nicht, Rat und Hilfe zu erbitten. Der Arzt muß der Frau die Gelegenheit zur Darlegung geben; er darf sie nicht dazu zwingen.
Zu dem Punkt, lieber mehr für das geborene Leben zu tun. Wir hatten in der DDR Kindergartenplätze, wir hatten sehr viele soziale Leistungen, die im Laufe der vier Jahre der Geltung des bundesrepublikanischen Rechtes abgebaut worden sind. Nur, es war ganz eindeutig nicht immer so, daß alles allen Frauen zur Verfügung gestellt wurde.
Jetzt meine Intervention zu den Ausführungen von Herrn Gysi. Mir ist es passiert, daß ich trotz guter Gesetze bis 1990 warten mußte, daß ich mit meiner Familie — ich habe drei Kinder — eine vernünftige Wohnung bekommen habe. Auch das muß man deutlich sagen.
Ich bitte das Hohe Haus, darüber nachzudenken: Wie sieht es nach der Änderung mit Art. 6 aus? Wie sieht es mit den Kindererziehungszeiten aus, die man bei der Einreichung der Rente berücksichtigt haben möchte? Wie sieht es mit dem Bundesverfassungsgerichtsurteil von vor zwei Jahren aus, das noch immer nicht umgesetzt wurde und im Hinblick auf das mir noch heute vom Arbeitsministerium gesagt wird: Da tut sich nichts. — Still ruht der See.
Ich bitte Sie, an das geborene Leben zu denken. Ich bitte Sie, daran zu denken, daß Frauen verantwortlich entscheiden. Eines ist ganz klar: Ich werde weiter dafür kämpfen, daß der § 218 fällt — auch wenn das noch ein Weilchen dauert — und das Bundesverfassungsgericht anders besetzt ist, nämlich mit Frauen.
Sie haben jetzt, Frau Kollegin, eine etwas komplizierte Geschäftslage geschaffen, weil Sie sich entgegen Ihrer Ankündigung mit den Ausführungen des Kollegen Gysi nur am Rande befaßt und zwei weitere Kollegen angesprochen haben, die alle das Recht haben zu antworten. Ich bitte, bei Kurzinterventionen künftig wirklich auf die Rede einzugehen, auf die Sie einzugehen ankündigen.
Bitte, Herr Kollege Werner.
Frau Kollegin, nachdem Sie mich angesprochen und so getan haben, als hätte ich von Zwang gesprochen, möchte ich Sie nur daran erinnern, daß es eine Darlegungspflicht doch eigentlich immer dann geben kann, wenn jemand — und sei es die Schwangere — über das
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 19993
Herbert Werner
Lebensrecht eines anderen — in diesem Falle ihres Kindes — die letzte Entscheidung hat. Ist es nicht gerade dann in besonderem Maße geboten, daß diese in diesem Beratungsgespräch ihre Gründe umfassend darlegt? Ich habe nicht davon gesprochen, daß dann letztendlich Zwang im Hinblick auf ihre Entscheidung ausgeübt werden muß. Ich möchte aber darauf hinweisen, daß ich mich sehr wohl von Ihren Auffassungen darin unterscheide, daß ich einen nur engen Rahmen haben möchte, in dem eben die entsprechenden Indikationsmöglichkeiten gegeben sein sollen!Vielen Dank.
Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Gysi.
Ich wollte nur darauf hinweisen, daß ich in meiner Rede überhaupt nicht behauptet habe, daß es keine Schwierigkeiten bei der Wohnraumversorgung in der DDR gegeben hätte.
Sie wissen, daß es beachtliche Anstrengungen gab.
Aber das für mich Entscheidende ist, daß das überhaupt keine Grundlage ist, die Situation noch weiter zu verschlechtern. Ich habe auch nie behauptet, daß die Krippen und Kindergärten in der DDR das Gelbe vom Ei waren. Für mich ist das bloß kein Grund, sie abzuschaffen oder sie zu verteuern, sondern höchstens, sie qualitativ zu verbessern. Das ist das Entscheidende.
Was die Beratung betrifft, so möchte ich gerne wissen: Welchen Fall gibt es eigentlich, wo wir je hier als Gesetzgeber entschieden haben, daß sich ein Mann in irgendeiner komplizierten Lebenssituation zwingend, auch gegen seinen Willen, beraten lassen muß? Sie werden eine solche Vorschrift nicht finden. Sie finden sie nur bei Frauen, und das sagt auch eine Menge über diese Gesellschaft aus.
Frau Kollegin WettigDanielmeier.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Süssmuth, Ihr Beitrag zeigt an einigen Stellen, daß Sie die Diskussion in den letzten Monaten nicht verfolgt haben. Um soziale Hilfen geht es bei unserer Ablehnung überhaupt nicht. Die stehen im Moment gar nicht zur Diskussion. Da steht nur ein Entschließungsantrag von Ihnen zur Diskussion.
Was die Beratung angeht, so müßte Ihnen doch vielleicht zu denken geben, daß in der Anhörung alle Beraterinnen von der Caritas bis zu Pro Familia der Meinung waren: Die Vorgaben sind so stringent, daß es zu dem vertrauensvollen Gespräch nicht kommen kann. Das müssen Sie doch zur Kenntnis nehmen.
Die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtsurteils sind von Ihnen erfüllt und sind von uns erfüllt, aber offensichtlich gibt es Spielräume. Ein Kompromiß in dieser Sache, den wir ja gern wollen, der kann doch nicht dadurch zustande kommen, daß sich F.D.P. und CDU einigen und wir dann zustimmen müssen.
Dieser Gesetzentwurf ist schlechter als die Übergangsregelung des Bundesverfassungsgerichts.
Deswegen sind wir der Meinung, daß wir dem nicht zustimmen können.
Ich sage Ihnen, eine Partei, die 75 Jahre für ein würdevolles Abtreibungsrecht gekämpft hat — ich selber habe 25 Jahre dafür gekämpft —, die wird doch auf den letzten Metern nicht sagen, wenn sie die Situation hat, daß ein Kompromiß nur mit der SPD möglich ist: Wir stimmen Ihnen zu, und es ist uns ganz egal, was für die Frauen dabei herauskommt. Mir kommt es auf die Frauen an, aber mir kommt es auch auf den Schutz werdenden Lebens an, weil ich nur mit der Frau das werdende Leben schützen kann und nicht mit Reglementierungen Ihrer Art.
Zu einer Erwiderung erhält Frau Abgeordnete Süssmuth das Wort.
Zu der Frage, ob ich eine Diskussion verfolgt habe oder nicht verfolgt habe, nehme ich hier nicht Stellung. Das habe ich gar nicht nötig. Genausoviel wie Sie mache ich ja auch.
Frau Kollegin Wettig-Danielmeier, ich gestehe Ihnen und vielen anderen jederzeit zu, daß Sie einem Gesetzentwurf aus Gründen, die Sie soeben vorgetragen haben, nicht zustimmen. Aber was ich noch einmal dagegen geltend mache, ist, daß wir von Anfang an in der Frage der Beratung unseren Dissens gehabt haben und daß wir in dem Punkt, wieviel Verpflichtung zum Lebensschutz da ist, nicht zueinander gekommen sind. Das ist auch ein Punkt, an dem das Verfassungsgerichtsurteil diesen Teil der Korrektur als erforderlich bestimmt hat.
Deswegen muß ich noch einmal sagen: Es geht nicht darum, daß hier etwas erzwungen werden soll, auch nicht darum, daß die Erfahrungen von Beraterinnen und Beratern nicht zunutze gemacht werden sollen, sondern es geht darum, daß wir einen Rahmen zur Verfügung stellen. Die Reglementierungen sind vom Verfassungsgericht gekommen, zunächst nicht vom Gesetzgeber.
Warum hat er das getan? Weil ihm daran gelegen ist, daß das, was aus seiner Sicht zum Lebensschutz erforderlich ist, nicht unterschritten wird.
Metadaten/Kopzeile:
19994 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Dr. Rita SüssmuthNun sammeln wir miteinander Erfahrungen und warten ab, ob denn die Beratungsergebnisse wirklich so negativ sind, wie Sie es sagen. Ich höre jedenfalls aus den neuen Ländern, daß die Beratungsergebnisse ganz überwiegend gut sind. Warten wir es also doch gemeinsam ab!
Das Wort erhält nun Frau Kollegin Regina Schmidt-Zadel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Süssmuth, Ihre Rechtfertigung hat mich nicht überzeugt und mit mir sicher auch viele andere Frauen nicht. Wir hätten uns gewünscht, daß Sie diesmal genauso mutig gewesen wären, wie Sie es vor zwei Jahren bei der Verabschiedung des Gesetzes durchaus waren.
Meine Damen und Herren, es gibt wohl kaum ein Detail aus dem Verfassungsgerichtsurteil vom Mai letzten Jahres, das so einschneidende Konsequenzen hatte wie das von Karlsruhe verhängte Verbot der Kassenfinanzierung von Schwangerschaftsabbrüchen.Die zunächst von Stadt zu Stadt, von Kreis zu Kreis und später dann von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich in die Praxis umgesetzte Karlsruher Übergangsregelung für sozialhilfefinanzierte Abbrüche hat bei den betroffenen Frauen zu erheblichen Verunsicherungen geführt. Ich denke, darauf müssen wir eingehen.Da hängt es plötzlich vom Wohnort ab, welche Einkommensgrenzen für die Bedürftigkeit angesetzt werden, ob das örtliche Sozialamt zuständig ist oder die Frauen in die Kreisstadt fahren müssen.Da gibt es Verwaltungen -- und ich denke, das war der eigentliche Skandal in diesem Jahr —, die lassen die Betroffenen persönlich erscheinen und für jeden und jede sichtbar auf den Gängen der Ämter warten. Andere stellten separate Sachbearbeiter ab oder regelten alles schriftlich. Mal muß die Frau die Anträge selber stellen, mal helfen dabei die Beratungsstellen. Kurzum, es herrschte bisher ein buntes Durcheinander.Das Erfordernis einer bundeseinheitlichen Regelung ergibt sich daher, meine Damen und Herren, nicht nur aus den Auflagen der Verfassungsrichter, die in ihrem Urteil eindeutig festgelegt haben, daß keine Frau aus finanziellen Gründen an der Inanspruchnahme eines Arztes gehindert sein darf. Sie ergibt sich auch aus der gesetzlichen Pflicht, die Finanzierung von nicht indizierten, aber straffreien Schwangerschaftsabbrüchen nach dem Beratungsmodell im Falle der Bedürftigkeit für alle Frauen gleich und mit der gebotenen Rechtssicherheit zu regeln.
Die Parteien haben dazu in ihren vorgelegten Gesetzentwürfen unterschiedliche Modelle gewählt. Dabei ist die Koalition in ihrem Mehrheitsentwurf nach einigen Umwegen offensichtlich zu der Erkenntnis gelangt, es sei am besten, die von Karlsruheverfügte Übergangslösung — die Finanzierung über die Sozialhilfe — künftig zur Regel zu machen und gesetzlich festzuschreiben.Meine Damen und Herren von der Koalition, nach den nun fast einjährigen Erfahrungen mit den verschiedenen Übergangsregelungen, die ja alle auf der Sozialhilfelösung basieren, hatte ich und hatten wir von Ihnen schon ein wenig mehr Phantasie und Gestaltungswillen erwartet, um zu einer für die Frauen akzeptablen und gesetzlich praktizierbaren Regelung zu gelangen.
Daraus ist nun nichts geworden.Bei der Frage der Finanzierung haben Sie das Verfassungsgerichtsurteil auf eine Weise interpretiert und in gesetzliche Regelungen umgesetzt, denen wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten nicht zustimmen können.Der Gang zum Sozialamt ist für bedürftige Frauen weder zwangsläufig Folge des Karlsruher Richterspruchs noch Voraussetzung dafür, daß die Anpassung des Schwangeren- und Familienhilfegesetzes einer kommenden Verfassungsprüfung standhält.Da ist der ausdrückliche Auftrag an den Gesetzgeber, im Falle der Bedürftigkeit der Frau das Persönlichkeitsrecht zu schützen und der Frau möglichst eine wiederholte Darlegung ihrer Lage zu ersparen. Beides sind Auflagen, die Karlsruhe aus dem Grundgesetz nach Art. 2 Abs. 1 ableitet.Nun ist die Sozialhilfe — da will ich meinen Vorrednerinnen, die dazu gesprochen haben, recht geben — an sich nichts Negatives. Aber der Gang zum Sozialamt und die Beantragung sowie Überprüfung der Bedürftigkeit bringen die Frauen in einem Schwangerschaftskonflikt in eine entwürdigende Situation. Ein solches Verfahren ist auch im Hinblick auf die Wahrung der Anonymität problematisch.Eine Finanzierungsregelung für bedürftige Frauen im Sinne des Urteils des Bundesverfassungsgerichts ist bei den vorliegenden Gesetzentwürfen nur im Gesetzentwurf der Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen enthalten.
Wir haben uns für eine Regelung durch ein Leistungsgesetz entschieden und nicht, wie es heute morgen fälschlich gesagt worden ist, Krankenkassenregelungen in unserem Gesetzentwurf vorgesehen. Die Kosten für einen Schwangerschaftsabbruch im Falle der Bedürftigkeit sollen durch den Bund getragen werden und die Leistungsabwicklung als Auftragsleistung durch die gesetzlichen Krankenkassen erfolgen. Das ist das, was wir in unserem Gesetzentwurf wünschen.Eine solche Regelung — davon haben wir uns überzeugt — ist verfassungskonform und hat eine ganze Reihe von Vorteilen. Zum einen entfällt der Gang zum Sozialamt und beseitigt damit Hemmschwellen für viele Frauen. Zum anderen wird die Abwicklung des gesamten Verfahrens auf eine Stelle konzentriert, was eine erhebliche Erleichterung wie-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 19995
Regina Schmidt-Zadelderum für die Frauen, die diesen Gang ja machen müssen, bedeutet.Die Abwicklung über die Kassen macht zudem Sinn, weil die Abrechnung der Leistungen, die ambulant oder stationär vor oder nach einem Abbruch erbracht werden, bei den gesetzlich Versicherten ohnehin über die Kassen läuft. Von der Kassenfinanzierung ausgenommen ist nur der Abbruch selbst.Meine Damen und Herren, die Anpassung des Schwangeren- und Familienhilfegesetzes an die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Mai 1993 darf nicht dazu führen, daß Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch nicht selbst bezahlen können, wieder wie zu unseligen Zeiten zu dubiosen Methoden greifen oder ins benachbarte Ausland gehen müssen, wie das jetzt schon wieder der Fall ist.Uns geht es auch nicht um wahlkampftaktische Manöver,
wie dies heute morgen hier gesagt worden ist. Vielmehr geht es uns darum, daß in einer für die Frau schwierigen Situation die Beratung der Frau nicht auch noch durch die Finanzierungsfrage überschattet wird.
Um dies zu verhindern, muß die Finanzierungsregelung im Fall der Bedürftigkeit so gestaltet sein, daß sie von den betroffenen Frauen auch angenommen und akzeptiert wird. Ein Verfahren über die Sozialhilfe ist daher nicht geeignet.Danke schön.
Nun erhält die Kollegin Dr. Angela Merkel das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Leider hat die Debatte in ihrem letzten Teil einen stark polemischen Charakter dadurch bekommen, daß von einer Seite, und zwar von Ihnen von der SPD, aber ganz besonders auch von Herrn Gysi, bestimmte Eigenschaften wie Mut und Gewissen in die Debatte geworfen wurden, die Sie immer ganz selbstverständlich für sich in Anspruch nehmen und anderen absprechen.
Ich finde, daß dies in unserer Diskussion nicht angemessen ist, wenn wir um Inhalte ringen.
Wir haben uns die gesamte Legislaturperiode mit der Frage befaßt, wie wir die Regelung des Schwangerschaftsabbruchs neu gestalten können. Das war nötig, weil es zwei unterschiedliche Regelungen in der früheren DDR und in der alten Bundesrepublik gab. Die Neuregelung ist eine der Aufgaben aus dem Einigungsvertrag, die wir zu erfüllen haben. Mit dem Gesetzentwurf der Koalition ist uns jetzt ein überzeugender Vorschlag gelungen, der sowohl dem Schutz des Lebens als auch den Gegebenheiten des tatsächlichen Lebens von Frauen, Eltern und Familien in unserer Gesellschaft entspricht.
Das Bundesverfassungsgericht hat uns vor fast einem Jahr den Auftrag gegeben, diese Neuregelung vorzulegen. Heute wurde häufig gesagt, auf Grund der Anhörungen seien keinerlei Änderungen an dem Koalitionsentwurf vorgenommen worden. Dies ist nicht richtig. Wir haben sehr wohl über die embryopathische Indikation nachgedacht, immer wieder überlegt, wie wir dem Recht behinderten Lebens besser gerecht werden können. Wir haben auch über die Kostenübernahme gestritten, allerdings auf der Grundlage des Verfassungsgerichtsurteils. Auch wenn ich anfangs eine Abwicklung über die Krankenkassen vorgezogen hätte, sind wir schließlich dazu gekommen, daß die Kostenübernahme im Rahmen der Sozialhilfe unbürokratisch, schnell und unter Wahrung der Anonymität der Frau zu ermöglichen ist.
Meine Damen und Herren, im Grunde geht es doch um etwas anderes. Sie von der SPD sagen immer wieder, daß der Schutz des ungeborenen Lebens allenfalls gleichrangig mit der Eigenverantwortung der Frau respektiert werden muß. Aber Sie wollen nicht akzeptieren, daß es ein eigenständiges Recht des Kindes auf Leben gibt und daß nur unter bestimmten Ausnahmen ein Schwangerschaftsabbruch rechtlich zulässig ist.
Frau Wettig-Danielmeier, Sie haben gesagt: „Nur wer die Würde der Frau schützt, schützt ungeborenes Leben." Ich habe immer wieder betont: Ungeborenes Leben kann man nicht gegen die Frau, sondern nur mit ihr schützen. — Aber was ist denn die „Würde der Frau"? Die Würde der Frau zu respektieren und zu schützen heißt doch auch, ihr eine eigenständige Entscheidung zu ermöglichen.
Wir wissen doch alle aus vielen Lebenssituationen, daß das für die Frau eben nicht immer möglich ist, daß Eltern Druck ausüben, daß der Arbeitgeber Druck ausübt, daß der Partner Druck ausübt. Es ist die Aufgabe des Staates, alles zu tun, was er vermag, um eine solche Entscheidung der Frau überhaupt erst zu ermöglichen.
Deshalb sagen wir: Die Beratung bietet der Frau die Möglichkeit abzuwägen, in welcher Weise sie sich entscheiden will. Man kann doch nun wirklich nicht der Meinung sein, daß die Ziele der Beratung, die hier definiert wurden — Schutz des Lebens, Ermutigung zur Fortsetzung der Schwangerschaft durch Aufzeigen von Hilfen —, die Frau in eine Zwangssituation bringen. Nein, sie ermöglichen überhaupt erst eine abgewogene Entscheidung.
Frau Kollegin Merkel, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Schmidt?
Nein, im Augenblick nicht.
Metadaten/Kopzeile:
19996 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Dr. Angela MerkelMeine Damen und Herren von der SPD und der PDS, Sie haben immer wieder das Wort von der Zwangsberatung in die Debatte hineingeworfen. Damit haben Sie Frauen verängstigt und Beraterinnen verunsichert.
Ich bitte Sie ganz herzlich, auf diesen Begriff zu verzichten. Als Politiker haben wir auch die Verantwortung, Menschen nicht Angst zu machen, sondern sie zu ermutigen, die Angebote, die wir machen, auch wirklich wahrzunehmen.
Mir ist das insbesondere nach den Ausführungen Ihres Kollegen de With vollkommen klar geworden. Ich sehe nach der heutigen Debatte wiederum keinen Grund, warum Sie sich den Vorschlägen der Koalition in einem solchen Maß verweigern und warum Sie nicht in der Lage sind, heute mit uns einen gemeinsamen Beschluß zu fassen und damit den jahrelangen Kampf um die Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchrechts zu beenden.
Wenn Sie heute nicht zustimmen, dann leisten Sie einen Beitrag dazu — gewollt oder ungewollt —, daß dieses Thema im Wahlkampf wiederum mißbraucht wird.
Ich möchte Sie an dieser Stelle, weil davon heute überhaupt noch nicht die Rede war, gerade auch im Sinne der Beraterinnen bitten, verantwortungsvoll zu entscheiden. Ich habe Beratungsstellen in den neuen Bundesländern besucht. Ich habe immer wieder gehört, daß Frauen nach Beendigung eines Beratungsgespräches zu den Beraterinnen gesagt haben: Wann beginnt die Beratung? Denn Sie dachten, jetzt geht irgendwann die Indoktrination los.
Das ist das Ergebnis dessen, was Sie immer wieder an Angst, Schrecken und Panik verbreiten. Deshalb noch einmal meine Aufforderung: Hören Sie damit auf!
Lassen Sie uns sagen: Es gibt eine respektierte eigene Entscheidung der Frauen nach einer verantwortungsvollen Beratung. Lassen Sie uns in Zukunft um bessere Bedingungen für Familien mit Kindern in unserer Gesellschaft kämpfen! Da können wir gemeinsam noch vieles tun.Herzlichen Dank.
Ich erteile zu einer Kurzintervention als erster der Frau Kollegin Ingrid Matthäus-Maier und anschließend der Frau Kollegin Ulla Schmidt das Wort.
Frau Ministerin Merkel, Sie beklagen Polemik in dieser Debatte und führen dann eine Polemik ein, die ich für unangemessen halte und die dem Thema nicht gerecht wird.
Worum geht es heute morgen? Eines steht fest: Für mich und meine Fraktion ist jede Abtreibung eine zuviel. Wir müssen alles tun, um sie zu verhindern.
Aber wir wissen auch, daß sich seit 120 Jahren Frauen, die zur Abtreibung wirklich entschlossen waren, nie von einem Strafrechtsparagraphen haben abhalten lassen. Deswegen war unser Vorschlag die Idee „Hilfe statt Strafe". Vor zwei Jahren haben wir das auch gruppenübergreifend gemacht.
Heute geht es darum, die Auflagen, die uns Karlsruhe vorgeschrieben hat, umzusetzen. Hinter all dem juristischen Nebel sollten wir klarmachen: Wo liegen die Unterschiede zwischen uns? Es gibt vier.
Der erste Unterschied: Wir wollen den Spielraum des Karlsruher Urteils voll und ganz zugunsten der Frauen ausschöpfen. Sie wollen den Spielraum zu Lasten der Frauen einengen.
Unterschied Nummer zwei: Wir wollen eine Beratung der Frau, die ergebnisoffen ist und die die Entscheidungsfreiheit der Frauen nicht aushebelt. Sie wollen die Frauen in einem ausgeklügelten Netz in einen Hindernislauf von Beratungen schicken, der ihnen die freie Entscheidung am Schluß nicht ermöglicht. Wenn Sie z. B. vorsehen,
daß ein Arzt bestraft werden kann, wenn er einen Abbruch vornimmt, ohne daß er sich von der Frau die Gründe hat darlegen lassen, dann führen Sie die Erpressung der Frau über die Strafbarkeit des Arztes ein.
Frau Kollegin, Sie können Ihre zwei weiteren Punkte nicht mehr nennen. Nein, Sie können sie nicht mehr nennen, weil Sie Ihre Kurzinterventionszeit bereits überzogen haben.
Aber, wenn sie so laut rufen — —
Es geht nicht. Nein.
Einen letzten Satz.
Ja, aber nur einen, aber nicht den dritten und vierten Punkt. Garantiert nicht!
Nein. Den dritten und vierten werden wir an anderer Stelle sagen.Eines will ich hier sagen: Fünf Monate vor Ablauf der Legislaturperiode wollen Sie Ihre Mehrheit zu
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 19997
Ingrid Matthäus-Maiereinem Gesetz zu Lasten der Frauen nutzen. Dem werden wir nicht zustimmen. Wir werden mit anderen Mehrheiten ein Gesetz zugunsten der Frauen machen.
Ich erinnere noch einmal an die Kurzinterventionszeit von zwei Minuten und erteile der Frau Kollegin Ulla Schmidt das Wort.
Auch ich möchte zu dem Stellung nehmen, was Frau Ministerin Merkel hier gesagt hat. Wir gehen davon aus: Das Bundesverfassungsgericht hat ein Urteil gesprochen und einen Rahmen festgelegt. In diesem Rahmen steht, daß das ungeborene Leben geschützt werden muß. Aber das Gericht hat auch festgelegt, daß die Frau nach der Beratung in letzter Entscheidung selbst bestimmen kann, ob sie einen Schwangerschaftsabbruch vornimmt oder nicht.
Wenn die Frau Ministerin hier davon redet, daß vor dieser Entscheidung eine Beratung stattfinden muß, die darauf ausgerichtet ist, der Frau klarzumachen, daß sie sich eigentlich nach unserer Verfassung überhaupt nicht für diesen Schwangerschaftsabbruch entscheiden dürfte, dann kann keine Frau eine eigenverantwortliche Entscheidung treffen. Ich möchte die Ministerin hier fragen, ob sie das als Bürgerin der ehemaligen DDR so sagen kann. Wir können doch den Frauen in der ehemaligen DDR nicht unterstellen, sie hätten keine eigenverantwortliche Gewissensentscheidung getroffen, wenn sie sich zu einem Schwangerschaftsabbruch entschieden haben.
Auch für sie war es jeweils eine Konfliktsituation. Ich finde, daß wir, wenn wir über die Aufarbeitung der Vergangenheit reden, mit diesen Dingen verantwortungsvoll miteinander umgehen müssen und auch hier die Persönlichkeitsrechte der Frauen in der ehemaligen DDR wahren und ihre Eigenentscheidungen respektieren müssen. Wir dürfen nicht im nachhinein sagen: Sie haben Entscheidungen getroffen, die mit einem Rechtsstaat nicht vereinbar sind. Ich glaube, da sollten wir vorsichtig sein.
Eine weitere Kurzintervention der Frau Kollegin Margot von Renesse.
— Herr Kollege, ich darf darauf hinweisen, daß die Kurzintervention lediglich auf zwei Minuten begrenzt, aber ansonsten in der Gestaltung frei ist.
Ich werde auch dafür eintreten, daß in einer Kurzintervention das gesagt werden darf, was die Kollegen für richtig halten, und zwar bei allen Fraktionen.
Von anderen Fraktionen wurde vorhin um eineinhalb Minuten überzogen, so daß ich jetzt die vierzig Sekunden zugestanden habe und ansonsten abbreche. Die Frau Kollegin Schmidt hat ihre Zeit von zwei Minuten um 31 Sekunden unterschritten. Und wenn Sie sich beschweren wollen, machen Sie das bitte nicht hier, sondern an dem gegebenen Platz!
Nun hat die Frau Kollegin Margot von Renesse das Wort.
Frau Ministerin Merkel, Sie haben einen Vorwurf an die Adresse der SPD erhoben, den ich — das sage ich ganz offen — aus Gewissensgründen nicht unwidersprochen lassen kann. Sie haben gesagt, daß der Wert des ungeborenen Lebens bei der SPD als Nichts geachtet werde. Dem widerspreche ich nach unseren Vorstellungen, wie wir das Verfassungsgerichtsurteil verstehen.Das Verfassungsgericht bemüht sich sehr deutlich, die Fristenregelung von jedem Mißverständnis zu befreien, es handle sich um eine nur zeitlich befristete Freigabe. Dafür setzt es das Schutzkonzept in seine Rechte ein, das Beratungskonzept als eine andere Form des Lebensschutzes. Genau als das verstehen wir es.
Es geht um den Schutz, und es geht nicht um Freigabe, auch uns nicht. In diesem Hause sollte endlich aus den Vorwürfen verschwinden, uns sei der Wert des ungeborenen, des werdenden, des im mütterlichen Körper heranwachsenden Lebens gleichgültig. Dem ist nicht so.Zum Schutzkonzept gehört nun einmal unabdingbar — so das Verfassungsgericht — die Erreichbarkeit des von den Frauen gewünschten Schwangerschaftsabbruchs, sowohl medizinisch einwandfrei als auch finanziell und von den Rahmenbedingungen her erreichbar. Denn — so das Verfassungsgericht — in den ersten Monaten der Schwangerschaft ist die Schwangerschaft das Geheimnis der Frau. Und nur der kann mit Rat, Trost und Hilfe schützen, der ihr Vertrauen erwirbt. Darum ist die Erreichbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs, das Angebot des Staates, die Voraussetzung für Schutz. Wenn Sie meinen, den Korb Schwangerschaftsabbruch höher hängen zu müssen, so vergreifen Sie sich an einem Kernkonzept
Metadaten/Kopzeile:
19998 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Margot von Renessedieses alternativen Schutzes. Zumindest gefährden Sie ihn.Darum widerstreiten wir Ihrem Antrag. Denn er dient nicht nur nicht dem Schutze, sondern er macht den Schutz im Rahmen dieses anderen Konzeptes schwerer. Es geht um Schutz, auch uns. Das, bitte sehr, begreifen Sie!
Zu einer weiteren Kurzintervention erhält die Frau Kollegin Uta Würfel das Wort.
Frau Merkel hatte sich zuerst gemeldet.
Darf ich etwas zur Geschäftsordnung sagen. Frau Merkel erhält am Schluß das Wort zur Erwiderung auf alle diese Kurzinterventionen. Weil es so viele waren, werde ich ausgesprochen großzügig sein, genauso großzügig wie vorhin bei Ihnen, Frau Kollegin Würfel.
Ich liebe Sie, Frau Präsidentin, auch deswegen.
Ich bin in 40 Sekunden fertig. Auf Seite 124 des Urteils heißt es:
Strafrechtlicher Sanktionen im Rahmen eines Beratungskonzeptes bedürftig ist, daß der Arzt sich die Gründe der Frau für ihr Abbruchverlangen darlegen läßt, sich der vorausgegangenen Beratung sowie der Überlegungsfrist vergewissert und er seine besondere, dem Lebensschutz dienende Aufklärungs- und Beratungspflicht erfüllt. Außerdem muß die Verpflichtung, das Alter der Schwangerschaft festzustellen und in den ersten zwölf Wochen keine Mitteilung über das Geschlecht des zu erwartenden Kindes zu machen, strafbewehrt sein.
Genau das haben wir getan, und dieses Vorgehen kann nicht dazu führen, daß von den Sozialdemokraten behauptet wird, wir ließen die Frauen und die Ärzte im Stich. Wir machen das, was das Gericht sagt, und Sie tun es nicht.
Nun erhält das Wort zur Erwiderung Frau Abgeordnete Angela Merkel. Ich werde, wie gesagt, nicht auf die zwei Minuten schauen.
Und ich, Frau Präsidentin, werde sie nicht brauchen.
Erstens. Frau Renesse, ich habe nicht gesagt, daß Sie den Schutz des Lebens nicht in Betracht ziehen. Ich
habe gesagt: allenfalls gleichrangig mit der Eigenverantwortung der Frau. Das können Sie im Protokoll nachlesen. Darum geht unsere Diskussion.
Das zweite ist, Frau Ulla Schmidt: Ich kann nicht im Raum stehenlassen, daß der Eindruck erzeugt wird, Frauen in der DDR hätten sich gewissenlos entschieden.
Der Meinung bin ich nicht, der Meinung sind Sie nicht. Aber das geltende Recht in der früheren DDR — das ist jedenfalls meine Überzeugung — hat keinerlei gesellschaftliche Hilfe geboten, um eine verantwortliche Entscheidung sicherzustellen, wenn sie allein nicht getroffen werden konnte.
Das ist der Punkt, und deshalb halte ich die heutige Regelung für besser.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich will Sie über den Geschäftsgang informieren. Wir haben jetzt erst einmal drei persönliche Erklärungen zu den Gesamtgesetzentwürfen. Es liegt eine ganze Reihe von schriftlichen Erklärungen zur Abstimmung vor. Dann haben wir noch eine persönliche Erklärung zur Abstimmung zum Entschließungsantrag der SPD. Es folgen zwei namentliche Abstimmungen, anschließend die übrigen Abstimmungen. Dem folgt der Tagesordnungspunkt 3, und dann kommen wir zur Fragestunde. Ich sage das, damit Sie sich darauf einstellen können.
Nun erteile ich das Wort zu einer persönlichen Erklärung dem Kollegen Hubert Hüppe.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe diese Debatte mit sehr gemischten Gefühlen verfolgt. Zu meiner Urteilsbildung habe ich gestern mit Leuten gesprochen, die 350 000 Lichterzeichen für die 350 000 Tötungen an ungeborenen Kindern aufgestellt haben.Es hat mich beschämt, daß in diesem Parlament eine Kollegin diese Menschen mit braunen und schwarzen Horden in Zusammenhang gebracht hat. Wer gestern dort war, hat gesehen, daß es sich um Menschen handelt, die Religionsgemeinschaften angehören, deren Mitglieder im Dritten Reich in die KZs gebracht und umgebracht wurden, weil sie an keinem Krieg teilnehmen wollten. Wer so etwas über diese Menschen sagt, sollte sich schämen.
Meine Damen und Herren, ich habe 20 Jahre lang gegen die Tötung ungeborener Kinder gekämpft, nicht nur auf rechtlicher Ebene, sondern indem meine Frau und ich versucht haben, den betroffenen Frauen, anderen Betroffenen und den betroffenen Kindern zu helfen. 20 Jahre lang habe ich miterleben müssen, wie der Schutz der Kinder immer geringer wurde und die Abtreibungszahlen immer mehr anstiegen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 19999
Hubert HüppeHeute muß ich erleben, daß eine bestimmte Gruppe von Menschen unter gewissen technischen Voraussetzungen straffrei getötet werden darf. Ich muß erleben, daß in Deutschland wieder selektiert werden darf: Wer behindert ist, darf rechtmäßig getötet werden. Es wird darauf abgestellt, ob der Behinderte eine zumutbare Belastung darstellt oder nicht. Wenn dieses Denken nicht nur beim ungeborenen Leben, sondern vielleicht auch beim geborenen Leben um sich greifen wird, brauchen wir uns nicht mehr zu wundern, wenn auf deutschen Straßen Behinderte wieder brutal zusammengeschlagen werden.
Meine Damen und Herren, oft werden Lebensrechtler als intolerant dargestellt. Ja, ich bin intolerant; genauso intolerant, wie ich denjenigen gegenüber bin, die in Magdeburg Ausländer jagen. Lebensrecht ist für mich unteilbar, ob für Ausländer, ob für Behinderte oder für Ungeborene.
Ich werde heute gegen den SPD-Entwurf und gegen den Koalitionsentwurf stimmen, weil ich den Rubikon des Lebensrechts nicht überschreiten kann.Es wurde gesagt, mit dieser Regelung soll endlich Ruhe einkehren. Es wird wohl eine Friedhofsruhe sein. Solange weiterhin jedes Jahr Hunderttausende von Kindern umgebracht werden — allein in dieser Zeit, in der wir diskutiert haben, wahrscheinlich mehr als 400 —, so lange wird es nicht ruhig werden.Ich — das sage ich für mich ganz persönlich, und das hat mit Partei nichts zu tun; das hat mit meinem Gewissen zu tun — werde mich niemals, egal wie heute die Entscheidung fällt, mit dieser Regelung abfinden können.Herzlichen Dank.
Als nächster erhält der Kollege Horst Eylmann das Wort zu einer Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung.Horst Eylmann ): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als einer der Initiatoren des Gruppenantrages habe ich meine Schwierigkeiten mit einigen Passagen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts, wie viele in diesem Saale aus unterschiedlichen Gründen.
Zwar begrüße ich die Präzisierung des Beratungsziels. Hier hatte der Zwang zum Kompromiß zu unklaren Formulierungen im Gesetz geführt. Was soll denn ein anderes Ziel der Beratung sein, wenn nicht nach Wegen zu suchen, einen Schwangerschaftsabbruch zu vermeiden?
Aber ich habe Zweifel, ob ein Verbot der Finanzierung aus der Krankenkasse das Rechtsbewußtsein zu stärken in der Lage ist, wenn die Krankenkasse zwar zahlen darf, sich nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts das Geld jedoch von der Sozialhilfe wieder holen muß.Trotz dieser Bedenken zögere ich nicht eine Sekunde, dem Koalitionsentwurf zuzustimmen.
Dieser Entwurf hält sich eng an die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Er fügt diesen Vorgaben weder etwas hinzu, noch nimmt er von diesen Vorgaben etwas weg. Es ist ein Gebot der intellektuellen Redlichkeit, das anzuerkennen. Nur indem der Entwurf das tat, war eine Mehrheitsfindung überhaupt möglich.
Für mich sind zwei Gründe maßgebend, diesem Entwurf zuzustimmen. Erstens. Der Respekt vor dem Bundesverfassungsgericht. Man kann ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts kritisieren, aber man muß das Urteil respektieren. Wer das Urteil nicht respektiert, sondern durch ein Gesetz zu unterlaufen versucht, beschädigt die Institution des Bundesverfassungsgerichts. Wer das tut, beschädigt die Verfassung.
Wer entgegen den unmißverständlichen Vorgaben — unmißverständlich sind sie, meine Damen und Herren — über die Strafbarkeit des sozialen und familiären Umfelds dem Nötigungstatbestand lediglich einen Satz hinzufügen will, läßt diesen Respekt vermissen und verstößt gegen das Urteil. Ebenso gut könnte man auch die Tatbestände des Raubes und der Erpressung in den Nötigungstatbestand des § 240 integrieren.Ein zweites ist für mich noch wichtiger. Die betroffenen Frauen leiden seit vielen Jahren unter der Rechtsunsicherheit. Daß die Rechtsunsicherheit eine schlechte Voraussetzung für den Schutz des ungeborenen Lebens ist, darüber sollten wir uns auch alle einig sein. Die Rechtsunsicherheit bestand schon während der Geltung der Indikationenlösung, die auch verfassungsrechtlich umstritten war und der Rechtswirklichkeit überhaupt nicht mehr entsprach.
Jetzt kommt es darauf an, im Interesse der betroffenen Frauen und im Interesse des Schutzes des ungeborenen Lebens Rechtssicherheit und Rechtsfrieden zu schaffen.Es kommt darauf an, dem Beratungskonzept zum Erfolg zu verhelfen. Es gehört auch zur intellektuellen Redlichkeit anzuerkennen, daß dieser Erfolg noch nicht gesichert ist. Wir wissen zwar — deshalb habe ich diesem neuen Konzept zugestimmt —, daß der alte Weg keinen Erfolg gebracht hatte. Aber auch der neue Erfolg steht nach einem Jahr noch nicht fest. Es kommt darauf an, diesen Erfolg durch eine qualitätsvolle Beratung zu sichern.
Metadaten/Kopzeile:
20000 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Horst EylmannEs kommt darauf an, daß unsere Gesellschaft kinderfreundlicher wird.
In der nächsten Woche kämpfe ich in dem Rat meiner Heimatstadt dafür, daß eine Steuermehreinnahme für den Bau eines Kindergartens verwandt wird.
Ich weiß noch nicht, ob ich mich durchsetze.Durch solche Entscheidungen in den Räten unserer Gemeinden und Städte, in den Kreistagen und in vielen anderen Gremien nutzen wir dem Schutz des ungeborenen Lebens und den betroffenen Frauen viel mehr als durch eine Fortsetzung dieses Streits, der um so schädlicher wird, je mehr er wie heute von Wahltaktik und wahltaktischen Argumenten untermischt ist.Vielen Dank.
Nun erhält zu einer Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung der Kollege Claus Jäger das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gemäß § 31 der Geschäftsordnung gebe ich die folgende Erklärung ab. Bei allem Respekt vor den Kolleginnen und Kollegen, die diesen Entwurf erarbeitet haben, kann ich der vorliegenden Beschlußempfehlung des Sonderausschusses nicht zustimmen. Sie verfehlt das Ziel, das uns Art. 31 des deutschen Einigungsvertrages vorgibt, nämlich ungeborenes menschliches Leben besser als bisher zu schützen, in allen wichtigen Punkten. Sie wird auch dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von vor einem Jahr nicht gerecht.
Ich habe den als Beschlußempfehlung vorliegenden Entwurf der Koalitionsfraktionen in zwei Anhörungen und in ausführlichen Diskussionen im Sonderausschuß sowie in der Arbeitsgruppe der CDU/CSU geprüft. Dabei bin ich zu folgendem Ergebnis gekommen:
Erstens. Das vom Bundesverfassungsgericht geforderte Gesamtkonzept aus verschiedenartigen gesetzlichen Maßnahmen einschließlich bewußtseinsbildender Initiativen und sozialer Hilfen sucht man in diesem Gesetzentwurf vergebens. Er beschränkt sich auf das Strafrecht, die Beratung sowie die sozialrechtliche und arztrechtliche Sicherstellung der Finanzierung der Abtreibung. Ich sehe es so: Für das Töten stellt der Staat dann die Finanzen bereit, für die Mütter, die ihr Kind zur Welt bringen wollen, nicht.
Zweitens. Der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktion enthält inhaltlich eine unzweideutige Fristenlösung, auch wenn man ihm das Etikett Beratungskonzept aufgeklebt hat. Noch vor zwei Jahren war es die gemeinsame Überzeugung in meiner Fraktion, daß eine Fristenlösung unbedingt verhindert werden müsse. Es ist eine Irreführung der Öffentlichkeit, wenn heute behauptet wird, von Fristenlösung könne
nur die Rede sein, wenn die Tötung in dieser Regelung für rechtmäßig erklärt werde.
Von Fristenlösung sprach man in meiner Fraktion in Wahrheit längst schon, als der 1992 angenommene Gesetzentwurf noch keine Nicht-rechtswidrig-Klausel, sondern nur eine Strafbefreiung enthielt. Wie unwahrhaftig die Sprachregelung ist, mußte ich auch daran erkennen, daß der Koalitionsentwurf — wie auch der der SPD — ausgerechnet jenen Satz des Bundesverfassungsgerichts aus seiner Übergangsregelung gestrichen hat, in dem die Rechtswidrigkeit der Fristenlösung betont wird.
Drittens. Auch die Diskriminierung der behinderten Kinder gegenüber gesunden durch die sogenannte embryopathische Indikation macht mir eine Zustimmung zu dem Gesetzentwurf unmöglich. Wenn die Indikation durch einen Arzt festgestellt ist, kann das behinderte Kind sozusagen rechtmäßig getötet werden, weil die Abtreibung dann nicht rechtswidrig ist. So will es der Entwurf.
In einem Staat, der es seinen Gerichten verbietet, selbst den nach einem einwandfrei rechtsstaatlichen Strafverfahren überführten Massenmörder zum Tode zu verurteilen, weil sogar das Leben dieses Verbrechers entsprechend hoch bewertet wird, halte ich es für unzulässig, ja für fundamental verfassungswidrig, einem unschuldigen Kind nur deswegen den Schutz des Lebensrechts zu versagen, weil es behindert zur Welt kommen würde.
In einigen Wochen wollen wir das Verbot der Diskriminierung der Behinderten im Grundgesetz verankern. Heute sehe ich den Bundestag massiv gegen dieses Postulat verstoßen, wenn er die Beschlußempfehlung des Ausschusses mit der sogenannten embryopathischen Indikation annimmt.
Obwohl ich noch zahlreiche weitere Bedenken gegen die Beschlußempfehlung habe, will ich mich auf die vorgetragenen beschränken. Sie zeigen eine nach meinem Verständnis so lebensfeindliche Regelung und so schwere Verstöße gegen die Grundsätze der CDU und ihre Programme, daß ich es vor meinem Gewissen nicht vertreten könnte, anders als gegen die Beschlußvorlage zu stimmen. Ich füge hinzu, daß der Gesetzentwurf der SPD für mich ebenso unannehmbar ist.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Es liegen weitere schriftliche persönliche Erklärungen zur Abstimmung gemäß § 31 Abs. 1 der Geschäftsordnung vor, und zwar von dem Kollegen Dieter-Julius Cronenberg, dem Kollegen Ernst Hinsken, dessen Erklärung sich der Kollege Dr. von Stetten angeschlossen hat, dem Kollegen Siegfried Hornung, den Kollegen Kurt Rossmanith und Dr. Erich Riedl, dem Kollegen Heinz Schemken, dem Kollegen Gerhard Scheu, dem Kollegen Dr. Christoph Schnittler, außerdem vom Kollegen Ferdi Tillmann, dem Kollegen Dr. Klaus-Dieter Uelhoff und dem Kollegen Alois Graf von Waldburg-Zeil sowie der Kollegin Monika Brudlewsky.*)*) Anlage 2
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 20001
Vizepräsidentin Renate SchmidtIch erteile jetzt der Frau Kollegin Petra Bläss das Wort zu einer Erklärung nach § 30 unserer Geschäftsordnung. Sie möchte vom Platz aus sprechen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe in meiner Rede nicht, wie der Herr Kollege Hüppe behauptet hat, die gestrige Kerzenaktion vor dem Bonner Kunstmuseum unmittelbar mit dem Begriff „Lebensschützer brauner und schwarzer Schattierungen" in Verbindung gebracht. Auch wenn ich, wie Sie hier im Saal wissen, dazu eine andere Auffassung habe, akzeptiere ich, daß es unterschiedliche Meinungen zu diesem Thema gibt.
Ich bin aber — das möchte ich hier noch einmal erklären — der Auffassung, daß es nicht gut ist, Aktionen wie diese politisch zu instrumentalisieren. Ich glaube, die heutige Debatte hat gezeigt, daß genau dies der Fall war.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. eingebrachten Entwurf eines Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes auf den Drucksachen 12/6643 und 12/7660 Nr. 1. Dazu liegen drei Änderungsanträge vor, über die wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Abgeordneten Herbert Werner, Claus Jäger und weiterer Abgeordneter auf Drucksache 12/7707? — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt.
Wir stimmen nun über den Änderungsantrag der Abgeordneten Manfred Carstens und Norbert Geis auf der Drucksache 12/7718 ab. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Auch dieser Änderungsantrag ist mit deutlicher Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen nun zum Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/7693. Die Fraktion der SPD verlangt dazu namentliche Abstimmung. Ich eröffne diese Abstimmung.
Ich darf fragen, ob noch Mitglieder des Hauses anwesend sind, die ihre Stimme nicht abgegeben haben? — Ja.
Ich darf noch einmal fragen, ob es jemanden gibt, der seine Stimme noch abzugeben wünscht. — Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführer und Schriftführerinnen, mit der Auszählung zu beginnen.
Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der ersten namentlichen Abstimmung unterbreche ich die Sitzung.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung ist wiedereröffnet.Soweit es schnell möglich ist, bitte ich Sie, Ihre Plätze wieder einzunehmen.Ich darf das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD zu dem Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU und F.D.P. eines Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes auf Drucksache 12/7693 bekanntgeben. Abgegebene Stimmen 548. Mit Ja haben gestimmt 196. Mit Nein haben gestimmt 331. Enthaltungen 21. Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 544; davon:ja: 194nein: 329enthalten: 21JaSPDAdler, BrigitteAndres, GerdBachmaier, HermannBarbe, AngelikaBartsch, HolgerBecker , Helmuth Becker-Inglau, Ingrid Bernrath, Hans Gottfried Beucher, Friedhelm Julius Bindig, RudolfBlunck , Lieselott Bock, TheaDr. Böhme , Ulrich Börnsen (Ritterhude), Arne Brandt-Elsweier, Anni Büchler (Hof), HansBüchner , Peter Bulmahn, Edelgard Burchardt, UrsulaBury, Hans Martin Caspers-Merk, Marion Conradi, PeterDr. Däubler-Gmelin, Herta Daubertshäuser, KlausDr. Diederich , Nils Diller, KarlDr. Dobberthien, Marliese Dreßler, RudolfDuve, FreimutEbert, EikeDr. Eckardt, PeterDr. Ehmke , Horst Eich, LudwigDr. Elmer, KonradErler, GernotEsters, HelmutEwen, CarlFerner, ElkeFischer , EvelinFischer , Lothar Formanski, NorbertFuchs , Anke Fuhrmann, ArneGanseforth, MonikaDr. Gautier, FritzGilges, KonradGleicke, IrisDr. Glotz, Peter Graf, GünterGroßmann, Achim Haack ,Karl Hermann Habermann, Michael Hacker, Hans-Joachim Hämmerle, Gerlinde Hampel, Manfred Hanewinckel, Christel Dr. Hartenstein, Liesel Hasenfratz, Klaus Heistermann, Dieter Heyenn, GüntherHiller , Reinhold Hilsberg, StephanDr. Holtz, UweHorn, ErwinHuonker, Gunter Iwersen, Gabriele Janz, IlseDr. Janzen, Ulrich Jaunich, HorstDr. Jens, UweJung , Volker Jungmann (Wittmoldt), Horst Kastner, SusanneKastning, Ernst Kemper, Hans-Peter Kirschner, Klaus Klappert, Marianne Klemmer, SiegrunDr. Knaape, Hans-Hinrich Kolbe, ReginaKolbow, Walter Kubatschka, Horst Dr. Kübler, Klaus Kuessner, Hinrich Dr. Küster, Uwe Kuhlwein, Eckart Lambinus, Uwe Lange, Brigittevon Larcher, Detlev Lörcher, ChristaDr. Lucyga, Christine Maaß , Dieter Mascher, Ulrike Matschie, Christoph Matthäus-Maier, Ingrid Mattischeck, Heide Meckel, MarkusMehl, UlrikeDr. Mertens , Franz-JosefDr. Meyer , Jürgen Mosdorf, SiegmarMüller , Michael Müller (Pleisweiler), Albrecht Müller (Schweinfurt), Rudolf Müller (Völklingen), Jutta Neumann (Bramsche), Volker Neumann (Gotha), GerhardDr. Niehuis, Edith Dr. Niese, Rolf
Metadaten/Kopzeile:
20002 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Vizepräsidentin Renate Schmidt Odendahl, DorisOesinghaus, Günter Opel, ManfredOstertag, AdolfDr. Otto, HelgaPalis, KurtPaterna, PeterDr. Penner, Willfried Peter , Horst Dr. Pfaff, Martin Pfuhl, AlbertDr. Pick, Eckhart Rennebach, Renate Reschke, OttoReuschenbach, Peter W.Reuter, BerndSchanz, DieterDr. Scheer, Hermann Schily, OttoSchloten, Dieter Schluckebier, Günter Schmidbauer ,HorstSchmidt , Ursula Schmidt (Nürnberg), Renate Schmidt-Zadel, ReginaDr. Schmude, Jürgen Dr. Schnell, EmilDr. Schöfberger, RudolfSchöler, WalterSchreiner, Ottmar Schröter, Karl-Heinz Dr. Schuster, R. Werner Schwanhold, Ernst Schwanitz, RolfSeidenthal, Bodo Seuster, LisaSielaff, HorstSimm, ErikaSinger, JohannesDr. Skarpelis-Sperk, SigridDr. Soell, HartmutDr. Sonntag-Wolgast, Cornelie Sorge, WielandSteen, Antje-Marie Steiner, Heinz-Alfred Stiegler, LudwigDr. Struck, Peter Tappe, JoachimDr. Thalheim, Gerald Titze-Stecher, Uta Urbaniak, Hans-Eberhard Vergin, SiegfriedDr. Vogel, Hans-JochenVoigt , Karsten D. Vosen, JosefWagner, Hans Georg Waltemathe, Ernst Walter , RalfWalther , Rudi Wartenberg (Berlin), GerdDr. Wegner, Konstanze Weiermann, Wolfgang Weis , Reinhard Weisheit, Matthias Weißgerber, GunterWeisskirchen , Gert Wester, HildegardWestrich, Lydia Wettig-Danielmeier, IngeDr. Wetzel, Margrit Weyel, GudrunDr. Wieczorek, Norbert Wieczorek-Zeul, Heidemarie Wiefelspütz, DieterWimmer ,HermannDr. de With, Hans Wittich, Berthold Wohlleben, Verena Wolf, HannaZapf, UtaBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENPoppe, GerdSchulz , Werner Dr. Ullmann, Wolfgang Weiß (Berlin), KonradFraktionslosDr. Briefs, UlrichNeinCDU/CSUDr. Ackermann, Else Adam, UlrichDr. Altherr, Walter Franz Augustin, Anneliese Augustinowitz, Jürgen Bargfrede, Heinz-GünterDr. Bauer, WolfBaumeister, Brigitte Belle, MeinradBlank, RenateDr. Blens, Heribert Bleser, PeterDr. Blüm, NorbertBöhm , Wilfried Dr. Böhmer, MariaBörnsen , Wolfgang Dr. Bötsch, WolfgangBohl, FriedrichBohlsen, Wilfried Breuer, PaulBrudlewsky, Monika Brunnhuber, Georg Bühler , Klaus Büttner (Schönebeck),HartmutBuwitt, DankwardCarstens , Manfred Carstensen (Nordstrand),Peter HarryDehnel, Wolfgang Dempwolf, Gertrud Deres, KarlDeß, AlbertDiemers, Renate Dörflinger, Werner Doss, Hansjürgen Dr. Dregger, Alfred Ehlers, Wolfgang Eichhorn, MariaEngelmann, Wolfgang Eppelmann, RainerErler , Wolfgang Eylmann, HorstEymer, AnkeFalk, IlseDr. Faltlhauser, Kurt Feilcke, JochenDr. Fell, Karl H.Fischer , Dirk Fischer (Unna), Leni Frankenhauser, HerbertDr. Friedrich, Gerhard Fritz, Erich G.Fuchtel, Hans-Joachim Ganz , JohannesDr. Geiger , Sissy Geiger, MichaelaGeis, NorbertDr. Geißler, Heiner Gerster , Johannes Gibtner, HorstGlos, MichaelDr. Göhner, Reinhard Göttsching, Martin Götz, PeterDr. Götzer, WolfgangGres, Joachim Grochtmann, Elisabeth Gröbl, Wolfgang Grotz, Claus-PeterDr. Grünewald, Joachim Günther , Horst Frhr. von Hammerstein,Carl-DetlevHarries, KlausHaschke , GottfriedHaschke , Udo Hasselfeldt, Gerda Haungs, RainerHauser , Otto Hauser (Rednitzhembach),HansgeorgHedrich, Klaus-Jürgen Heise, ManfredDr. Hellwig, RenateDr. h. c. Herkenrath, Adolf Hiebing, Maria Anna Hinsken, ErnstHintze, PeterHörsken, Heinz-Adolf Hörster, JoachimDr. Hoffacker, Paul Hollerith, JosefDr. Hornhues, Karl-Heinz Hornung, Siegfried Hüppe, HubertJäger, ClausJaffke, Susanne Janovsky, Georg Jeltsch, KarinDr. Jobst, Dionys Dr.-Ing. Jork, RainerDr. Jüttner, EgonJung , Michael Dr. Kahl, HaraldKalb, Bartholomäus Kampeter, Steffen Karwatzki, Irmgard Kauder, Volker Keller, PeterKittelmann, Peter Klein , Günter Klein (München), Hans Köhler (Hainspitz),Hans-UlrichDr. Köhler , VolkmarDr. Kohl, Helmut Kolbe, Manfred Kors, Eva-Maria Koschyk, Hartmut Kossendey, Thomas Kraus, RudolfKrey, Franz Heinrich Kriedner, Arnulf Kronberg, Heinz-Jürgen Dr.-Ing. Krüger, Paul Krziskewitz, ReinerDr. Lammert, Norbert Lamp, Helmut Lattmann, Herbert Dr. Laufs, Paul Laumann, Karl-Josef Lehne, Klaus-HeinerDr. Lehr, Ursula Lenzer, Christian Limbach, EdithaLink , Walter Lintner, EduardDr. Lippold ,Klaus W.Dr. Lischewski, Manfred Löwisch, SigrunLohmann , WolfgangLouven, JuliusLummer, Heinrich Dr. Luther, Michael Männle, UrsulaMagin, TheoDr. Mahlo, Dietrich Marienfeld, Claire Dr. Mayer ,MartinMeckelburg, Wolfgang Meinl, RudolfDr. Merkel, Angela Michalk, MariaDr. Mildner, Klaus Dr. Möller, Franz Molnar, ThomasDr. Müller, Günther Müller , Elmar Müller (Wadern), Hans-WernerNelle, EngelbertNeumann , Bernd Niedenthal, ErhardNitsch, Johannes Nolte, ClaudiaDr. Olderog, Rolf Ost, FriedhelmOswald, EduardOtto , Norbert Dr. Päselt, Gerhard Dr. Paziorek, Peter Petzold, UlrichPfeifer, AntonPfeiffer, AngelikaDr. Pflüger, Friedbert Dr. Pinger, Winfried Pofalla, RonaldPriebus, Rosemarie Dr. Protzner, Bernd Pützhofen, Dieter Raidel, HansDr. Ramsauer, Peter Rau, RolfRauen, Peter Harald Rawe, Wilhelm Regenspurger, Otto Reichenbach, Klaus Dr. Reinartz, Bertold Reinhardt, Erika Repnik, Hans-Peter Dr. Rieder, NorbertDr. Riedl , Erich Riegert, KlausDr. Riesenhuber, Heinz Ringkamp, Werner Rode , Helmut Rönsch (Wiesbaden),HanneloreRomer, FranzDr. Rose, KlausRossmanith, Kurt J. Roth , Adolf Rother, HeinzDr. Ruck, Christian Rühe, VolkerDr. Rüttgers, Jürgen Schätzle, OrtrunDr. Schäuble, Wolfgang Schell, ManfredSchemken, Heinz Scheu, GerhardSchmalz, Ulrich Schmidbauer, Bernd Dr. Schmidt, ChristaSchmidt , Christian Schmidt (Mülheim), Andreas Schmidt (Spiesen), Trudi Schmitz (Baesweiler),Hans Petervon Schmude, Michael
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 20003
Vizepräsidentin Renate Schmidt Dr. Schneider ,OscarDr. Schockenhoff, Andreas Graf von Schönburg-Glauchau, Joachim Dr. Scholz, Rupert Frhr. von Schorlemer,ReinhardSchulhoff, WolfgangDr. Schulte , DieterSchwalbe, Clemens Schwarz, StefanDr. Schwarz-Schilling, ChristianDr. Schwörer, Hermann Seehofer, HorstSeesing, Heinrich Seibel, WilfriedSeiters, RudolfSikora, JürgenSothmann, Bärbel Spilker, Karl-Heinz Dr. Sprung, Rudolf Dr. Stercken, Hans Dr. Frhr. von Stetten,WolfgangStockhausen, KarlDr. Stoltenberg, Gerhard Strube, Hans-Gerd Stübgen, MichaelDr. Süssmuth, Rita Susset, EgonSzwece, Dorothea Tillmann, FerdiDr. Uelhoff, Klaus-Dieter Uldall, GunnarVerhülsdonk, Roswitha Vogel , Friedrich Vogt (Düren), WolfgangDr. Voigt ,Hans-PeterDr. Waffenschmidt, Horst Dr. Waigel, TheodorGraf von Waldburg-Zeil, Alois Dr. Warnke, JürgenDr. Warrikoff, Alexander Werner , Herbert Wetzel, KerstenWiechatzek, Gabriele Dr. Wilms, Dorothee Wilz, BerndWimmer , Willy Dr. Wisniewski, Roswitha Dr. Wittmann, Fritz Wittmann (Tännesberg),SimonWonneberger, Michael Wülfing, ElkeWürzbach, Peter Kurt Yzer, CorneliaZeitlmann, Wolfgang Zierer, BennoZöller, WolfgangF.D.P.Albowitz, InaDr. Babel, GiselaBaum, Gerhart RudolfDr. Blunk , Michaela Bredehorn, Günther Cronenberg (Arnsberg),Dieter-JuliusEngelhard, Hans A.van Essen, JörgDr. Feldmann, OlafFriedrich, HorstFunke, RainerDr. Funke-Schmitt-Rink, MargretGallus, GeorgGanschow, Jörg Genscher, Hans-Dietrich Gries, Ekkehard Hansen, DirkDr. Haussmann, Helmut Heinrich, UlrichDr. Hirsch, Burkhard Dr. Hitschler, Walter Homburger, Birgit Dr. Hoyer, Werner Irmer, UlrichKleinert , Detlef Koppelin, JürgenDr.-Ing. Laermann, Karl-Hans Dr. Graf Lambsdorff, Otto Leutheusser-Schnarrenberger,SabineLüder, Wolfgang Dr. Menzel, BrunoNolting, Günther Friedrich Dr. Ortleb, RainerOtto ,Hans-Joachim Paintner, Johann Parr, DetlefPeters, LisaDr. Pohl, EvaRichter , ManfredRind, HermannDr. Röhl, KlausSchäfer , Helmut Schmalz-Jacobsen, Cornelia Schmidt (Dresden), ArnoDr. Schnittler, Christoph Schüßler, Gerhard Schuster, HansSehn, MaritaDr. Semper, SigridDr. Solms, Hermann Otto Timm, JürgenTürk, JürgenWalz, IngridDr. Weng , WolfgangWürfel, UtaZurheide, Burkhard Zywietz, WernerFraktionslosDr. Krause , Rudolf KarlLowack, OrtwinSchenk, ChristinaEnthaltenCDU/CSUSkowron, Werner H.SPDAntretter, RobertDr. Klejdzinski, Karl-Heinz Dr. Wernitz, AxelF.D.P.Dr. Guttmacher, KarlheinzPDS/Linke ListeBläss, PetraDr. Enkelmann, Dagmar Dr. Fischer, UrsulaDr. Fuchs, RuthDr. Gysi, GregorDr. Heuer, Uwe-Jens Dr. Höll, Barbara Jelpke, UllaDr. Keller, DietmarLederer, AndreaDr. Modrow, HansPhilipp, IngeborgDr. Schumann , FritzDr. Seifert, IljaBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Köppe, IngridFraktionslosHackel, Heinz-DieterIch darf Ihnen mitteilen, daß jetzt, nachdem die Änderungsanträge der Kollegen Werner und anderer abgelehnt wurden, noch der Kollege Albert Deß eine schriftliche Erklärung zur Abstimmung abgegeben hat.*)Wir stimmen jetzt über den Gesetzentwurf in der Ausschußfassung ab. Die Fraktion der SPD wünscht für eine Reihe von Vorschriften getrennte Abstimmung.Ich rufe als erstes Art. 1 in der Ausschußfassung auf und bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Art. 1 ist damit in der Ausschußfassung angenommen.Ich rufe Art. 2 in der Ausschußfassung auf und bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Art. 2 ist damit mit großer Mehrheit angenommen.Ich rufe Art. 3 in der Ausschußfassung auf und bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist Art. 3 bei wenigen Gegenstimmen angenommen.Ich rufe Art. 4 bis 17, Einleitung und Überschrift mit den vom Ausschuß empfohlenen Änderungen auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen.Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.Wir kommen damit zurdritten Beratungund Schlußabstimmung. Die Fraktionen der CDU/ CSU und F.D.P. verlangen namentliche Abstimmung. Ich eröffne die Abstimmung.Ist noch ein Mitglied anwesend, das seine Stimme abzugeben wünscht?
— Das dachte ich mir schon; immer diese Geschäftsführer und die Vizepräsidenten.*) Anlage 2
Metadaten/Kopzeile:
20004 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Vizepräsidentin Renate SchmidtIch darf noch einmal fragen, ob noch jemand seine Stimme abgeben will. — Das scheint nicht der Fall zu sein. Damit schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführer und Schriftführerinnen, mit der Auszählung zu beginnen.Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung unterbreche ich die Sitzung.
Ich darf die unterbrochene Sitzung wieder eröffnen und bitten, Platz zu nehmen.Das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Schlußabstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. eingebrachten Gesetzentwurf eines Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes auf den Drucksachen 12/6643 und 12/7660 Nr. 1 sieht wie folgt aus: Es wurden 550 Stimmen abgegeben. Mit Ja haben gestimmt 264, mit Nein haben gestimmt 260, enthalten haben sich 26 Kolleginnen und Kollegen. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 546; davon:ja: 262nein: 258enthalten: 26Ja CDU/CSUDr. Ackermann, Else Adam, UlrichAugustin, Anneliese Augustinowitz, Jürgen Baumeister, Brigitte Belle, MeinradBlank, RenateDr. Blens, Heribert Bleser, PeterDr. Blüm, Norbert Dr. Böhmer, MariaBörnsen , Wolfgang Dr. Bötsch, WolfgangBohl, Friedrich Bohlsen, Wilfried Breuer, PaulBüttner , HartmutBuwitt, Dankward Carstensen , Peter HarryDehnel, Wolfgang Dempwolf, Gertrud Deres, KarlDeß, AlbertDiemers, Renate Dörflinger, Werner Doss, Hansjürgen Dr. Dregger, Alfred Ehlers, Wolfgang Eichhorn, Maria Eppelmann, RainerEylmann, HorstEymer, AnkeFalk, IlseDr. Faltlhauser, KurtFeilcke, JochenDr. Fell, Karl H.Fischer , Dirk Fischer (Unna), Leni Frankenhauser, Herbert Dr. Friedrich, Gerhard Fuchtel, Hans-JoachimDr. Geiger , Sissy Geiger, MichaelaDr. Geißler, HeinerGerster , Johannes Gibtner, HorstGlos, MichaelDr. Göhner, Reinhard Göttsching, MartinGötz, PeterGres, JoachimGrochtmann, Elisabeth Gröbl, WolfgangGrotz, Claus-PeterDr. Grünewald, Joachim Günther , Horst Frhr. von Hammerstein,Carl-DetlevHarries, KlausHaschke , GottfriedHasselfeldt, GerdaHaungs, RainerHauser , HansgeorgHedrich, Klaus-Jürgen Heise, ManfredDr. Hellwig, RenateDr. h. c. Herkenrath, Adolf Hiebing, Maria Anna Hinsken, ErnstHintze, PeterHörsken, Heinz-Adolf Hörster, JoachimDr. Hoffacker, PaulDr. Hornhues, Karl-Heinz Jaffke, SusanneJeltsch, KarinDr.-Ing. Jork, Rainer Jung , Michael Dr. Kahl, HaraldKalb, Bartholomäus Kampeter, Steffen Karwatzki, Irmgard Kittelmann, Peter Klein , Günter Klein (München), Hans Klinkert, UlrichKöhler ,Hans-UlrichDr. Köhler , VolkmarDr. Kohl, Helmut Kolbe, ManfredKors, Eva-Maria Kossendey, Thomas Kraus, RudolfKrey, Franz Heinrich Kriedner, Arnulf Kronberg, Heinz-Jürgen Dr.-Ing. Krüger, Paul Lamers, KarlDr. Lammert, Norbert Lamp, HelmutLattmann, Herbert Dr. Laufs, PaulLehne, Klaus-Heiner Lenzer, Christian Limbach, EdithaLink , Walter Lintner, EduardDr. Lippold , Klaus W.Dr. Lischewski, Manfred Löwisch, SigrunLohmann , WolfgangLouven, JuliusMännle, UrsulaMagin, TheoDr. Mahlo, DietrichDr. Mayer , MartinMeckelburg, Wolfgang Dr. Merkel, Angela Michalk, MariaMichels, Meinolf Dr. Mildner, KlausMüller , Elmar Nelle, Engelbert Neumann (Bremen), Bernd Niedenthal, ErhardNitsch, Johannes Dr. Olderog, Rolf Oswald, EduardDr. Päselt, Gerhard Dr. Paziorek, Peter Petzold, UlrichPfeifer, AntonPfeiffer, AngelikaDr. Pflüger, Friedbert Dr. Pinger, Winfried Pofalla, RonaldPriebus, Rosemarie Dr. Protzner, Bernd Pützhofen, Dieter Raidel, HansRau, RolfRawe, Wilhelm Reichenbach, Klaus Dr. Reinartz, Bertold Reinhardt, Erika Repnik, Hans-Peter Dr. Rieder, Norbert Riegert, KlausDr. Riesenhuber, Heinz Rönsch , HanneloreDr. Rose, KlausRoth , Adolf Rother, HeinzDr. Ruck, Christian Rühe, VolkerDr. Rüttgers, Jürgen Schätzle, OrtrunDr. Schäuble, Wolfgang Schell, ManfredSchmalz, UlrichSchmidbauer, Bernd Schmidt , Christian Schmidt (Mülheim), Andreas Schmidt (Spiesen), Trudi von Schmude, MichaelDr. Schneider ,OscarDr. Scholz, Rupert Frhr. von Schorlemer, ReinhardSchulhoff, Wolfgang
Dr. Schwarz-Schilling, ChristianSeehofer, HorstSeibel, WilfriedSeiters, RudolfSikora, JürgenSothmann, Bärbel Spilker, Karl-Heinz Dr. Sprung, Rudolf Dr. Stercken, Hans Dr. Frhr. von Stetten,WolfgangDr. Stoltenberg, Gerhard Stübgen, MichaelDr. Süssmuth, Rita Susset, EgonSzwed, DorotheeTillmann, FerdiUldall, GunnarVerhülsdonk, Roswitha Vogel , Friedrich Vogt (Düren), WolfgangDr. Voigt ,Hans-PeterDr. Waffenschmidt, Horst Dr. Waigel, TheodorGraf von Waldburg-Zeil, Alois Dr. Warnke, JürgenDr. Warrikoff, Alexander Wetzel, KerstenWiechatzek, Gabriele Wilz, BerndWimmer , Willy Dr. Wittmann, Fritz Wittmann (Tännesberg),SimonWonneberger, Michael Wülfing, ElkeWürzbach, Peter Kurt Yzer, CorneliaZeitlmann, WolfgangF.D.P.Albowitz, InaDr. Babel, GiselaBaum, Gerhart RudolfDr. Blunk , Michaela Bredehorn, Günther Engelhard, Hans A.Dr. Feldmann, Olaf Friedrich, HorstFunke, RainerDr. Funke-Schmitt-Rink, MargretGanschow, JörgGenscher, Hans-Dietrich
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 20005
Vizepräsidentin Renate Schmidt Gries, EkkehardHansen, DirkDr. Haussmann, Helmut Heinrich, UlrichDr. Hirsch, BurkhardDr. Hitschler, Walter Homburger, Birgit Dr. Hoyer, Werner Irmer, UlrichKleinert , Detlef Koppelin, JürgenDr.-Ing. Laermann, Karl-Hans Dr. Graf Lambsdorff, Otto Leutheusser-Schnarrenberger,SabineLüder, Wolfgang Dr. Menzel, BrunoMöllemann, Jürgen W. Nolting, Günther Friedrich Dr. Ortleb, RainerOtto ,Hans-Joachim Paintner, Johann Parr, DetlefPeters, LisaDr. Pohl, EvaRichter , ManfredRind, Hermann Dr. Röhl, KlausSchäfer , Helmut Schmalz-Jacobsen, Cornelia Schmidt (Dresden), Arno Schüßler, Gerhard Schuster, HansSehn, MaritaDr. Semper, SigridDr. Solms, Hermann Otto Timm, JürgenTürk, JürgenWalz, IngridDr. Weng , WolfgangWürfel, UtaZurheide, Burkhard Zywietz, WernerNeinCDU/CSUDr. Bauer, WolfBrudlewsky, Monika Brunnhuber, Georg Bühler , KlausCarstens , Manfred Engelmann, WolfgangErler , Wolfgang Ganz (St. Wendel), Johannes Geis, NorbertDr. Götzer, Wolfgang Hauser , Otto Hollerith, JosefHornung, Siegfried Hüppe, HubertJäger, ClausDr. Jobst, Dionys Kauder, VolkerKeller, PeterLaumann, Karl-Josef Dr. Luther, Michael Meinl, RudolfDr. Möller, Franz Molnar, ThomasDr. Müller, Günther Müller , Hans-WernerNolte, ClaudiaOtto , Norbert Rauen, Peter Harald Regenspurger, OttoDr. Riedl , Erich Ringkamp, WernerRode , Helmut Romer, FranzRossmanith, Kurt J. Dr. Schmidt, Christa Schmitz ,Hans PeterDr. Schockenhoff, Andreas Graf von Schönburg-Glauchau, Joachim Dr. Schwörer, Hermann Stockhausen, Karl Strube, Hans-GerdDr. Uelhoff, Klaus-Dieter Werner , Herbert Zöller, WolfgangSPDAdler, BrigitteAndres, GerdAntretter, Robert Bachmaier, Hermann Barbe, Angelika Bartsch, HolgerBecker , Helmuth Becker-Inglau, Ingrid Bernrath, Hans Gottfried Beucher, Friedhelm Julius Bindig, RudolfBlunck , Lieselott Bock, TheaDr. Böhme , Ulrich Börnsen (Ritterhude), Arne Brandt-Elsweier, Anni Büchler (Hof), Hans Büchner (Speyer), Peter Bulmahn, Edelgard Burchardt, UrsulaBury, Hans Martin Caspers-Merk, Marion Conradi, PeterDr. Däubler-Gmelin, Herta Daubertshäuser, KlausDr. Diederich , Nils Diller, KarlDr. Dobberthien, Marliese Dreßler, RudolfDuve, FreimutEbert, EikeDr. Eckardt, PeterDr. Ehmke , Horst Eich, LudwigDr. Elmer, Konrad Erler, GernotEsters, HelmutEwen, CarlFerner, ElkeFischer , EvelinFischer , Lothar Formanski, NorbertFuchs , Anke Fuhrmann, Arne Ganseforth, Monika Dr. Gautier, Fritz Gilges, KonradGleicke, IrisDr. Glotz, PeterGraf, GünterGroßmann, Achim Haack , Karl HermannHabermann, Michael Hacker, Hans-Joachim Hämmerle, Gerlinde Hampel, Manfred Hanewinckel, Christel Dr. Hartenstein, Liesel Hasenfratz, KlausHeistermann, DieterHeyenn, GüntherHiller , Reinhold Hilsberg, StephanDr. Holtz, Uwe Horn, ErwinHuonker, Gunter Iwersen, Gabriele Janz, IlseDr. Janzen, Ulrich Jaunich, HorstDr. Jens, UweJung , Volker Jungmann (Wittmoldt), Horst Kastner, SusanneKastning, Ernst Kemper, Hans-Peter Kirschner, Klaus Klappert, Marianne Klemmer, SiegrunDr. Knaape, Hans-Hinrich Kolbe, ReginaKolbow, Walter Kubatschka, Horst Dr. Kübler, Klaus Kuessner, Hinrich Dr. Küster, Uwe Kuhlwein, Eckart Lambinus, Uwe Lange, Brigittevon Larcher, Detlev Lörcher, ChristaDr. Lucyga, ChristineMaaß , Dieter Mascher, Ulrike Matschie, Christoph Matthäus-Maier, Ingrid Mattischeck, Heide Meckel, MarkusMehl, UlrikeDr. Mertens , Franz-JosefDr. Meyer , Jürgen Mosdorf, SiegmarMüller , Michael Müller (Pleisweiler), Albrecht Müller (Schweinfurt), Rudolf Müller (Völklingen), Jutta Neumann (Bramsche), Volker Neumann (Gotha), Gerhard Dr. Niehuis, EdithDr. Niese, Rolf Odendahl, Doris Oesinghaus, Günter Opel, Manfred Ostertag, AdolfDr. Otto, Helga Palis, KurtPaterna, PeterDr. Penner, WillfriedPeter , Horst Dr. Pfaff, Martin Pfuhl, AlbertDr. Pick, Eckhart Rennebach, Renate Reschke, Otto Reuschenbach, Peter W. Reuter, BerndSchanz, DieterDr. Scheer, HermannSchily, OttoSchloten, Dieter Schluckebier, Günter Schmidbauer ,HorstSchmidt , Ursula Schmidt (Nürnberg), Renate Schmidt-Zadel, ReginaDr. Schmude, JürgenDr. Schnell, EmilDr. Schöfberger, Rudolf Schäler, WalterSchreiner, Ottmar Schröter, Karl-Heinz Dr. Schuster, R. Werner Schwanhold, Ernst Schwanitz, Rolf Seidenthal, Bodo Seuster, LisaSielaff, HorstSimm, ErikaSinger, JohannesDr. Skarpelis-Sperk, Sigrid Dr. Soell, HartmutDr. Sonntag-Wolgast, Cornelie Sorge, WielandSteen,. Antje-Marie Steiner, Heinz-AlfredStiegler, Ludwig Dr. Struck, Peter Tappe, JoachimDr. Thalheim, Gerald Titze-Stecher, Uta Urbaniak, Hans-Eberhard Vergin, SiegfriedDr. Vogel, Hans-JochenVoigt , Karsten D. Vosen, JosefWagner, Hans Georg Waltemathe, Ernst Walter , RalfWalther , Rudi Wartenberg (Berlin), GerdDr. Wegner, Konstanze Weiermann, WolfgangWeis , Reinhard Weisheit, Matthias Weißgerber, Gunter Weisskirchen (Wiesloch), Gert Wester, HildegardWestrich, Lydia Wettig-Danielmeier, IngeDr. Wetzel, Margrit Weyel, GudrunDr. Wieczorek, Norbert Wieczorek-Zeul, Heidemarie Wiefelspütz, DieterWimmer ,HermannDr. de With, Hans Wittich, Berthold Wohlleben, Verena Wolf, HannaZapf, UtaF.D.P.Cronenberg , Dieter-JuliusGallus, GeorgPDS/Linke ListeBläss, PetraDr. Enkelmann, DagmarDr. Fischer, Ursula Dr. Fuchs, Ruth Dr. Gysi, GregorDr. Heuer, Uwe-Jens Dr. Höll, Barbara Jelpke, UllaDr. Keller, Dietmar Lederer, Andrea Dr. Modrow, Hans Philipp, Ingeborg Dr. Schumann ,FritzDr. Seifert, Ilja
Metadaten/Kopzeile:
20006 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Vizepräsidentin Renate SchmidtBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENKöppe, IngridPoppe, GerdSchulz , WernerDr, Ullmann, WolfgangFraktionslosDr. Briefs, UlrichDr. Krause , Rudolf KarlLowack, OrtwinSchenk, ChristinaEnthaltenCDU/CSUDr. Altherr, Walter Franz Bargfrede, Heinz-Günter Böhm , Wilfried Fritz, Erich G.Janovsky, GeorgDr. Jüttner, EgonKoschyk, HartmutDr. Lehr, UrsulaLummer, HeinrichMarienfeld, ClaireOst, FriedhelmDr. Ramsauer, Peter Schemken, Heinz Scheu, GerhardSeesing, Heinrich Skowron, Werner H. Dr. Wilms, DorotheeDr. Wisniewski, Roswitha Zierer, BennoSPDDr. Klejdzinski, Karl-Heinz Dr. Wernitz, AxelF.D.P.van Essen, JörgDr. Guttmacher, Karlheinz Dr. Schnittler, ChristophBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Weiß , KonradFraktionslosHackel, Heinz-DieterWir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. auf Drucksache 12/7719. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Der Entschließungsantrag ist damit angenommen.Wir kommen nun zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/6669. Der Sonderausschuß „Schutz des ungeborenen Lebens" empfiehlt auf Drucksache 12/7660 unter Nr. 2, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf der SPD auf Drucksache 12/6669 abstimmen und bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. —
Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.Wir kommen nun zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Abgeordneten Manfred Carstens , Norbert Geis, Dr. Walter Franz Altherr und weiterer Abgeordneter auf Drucksache 12/6944.
Der Sonderausschuß „Schutz des ungeborenen Lebens" empfiehlt auf Drucksache 12/7660 unter Nr. 3, auch diesen Gesetzentwurf abzulehnen.Weil es hier Irritationen gibt, sage ich: Wir halten uns an die Reihenfolge der Beschlußempfehlungen des zuständigen Ausschusses.
Hätte die Beschlußempfehlung anders ausgesehen und hätte der Ausschuß eine andere, vielleicht sinnvollere Reihenfolge gewählt, hätten wir in anderer Reihenfolge abgestimmt.
Wir müssen der guten Ordnung halber über alle Vorlagen abstimmen. Erlauben Sie mir dann also, so fortzufahren. Ich weiß, daß das der Logik eigentlich nicht ganz entspricht.
Aber diese Logik ist mir vom zuständigen Ausschuß vorgegeben worden. — So, ich habe es nun erklärt.Ich lasse über den Gesetzentwurf auf Drucksache 12/6944 abstimmen und bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit deutlicher Mehrheit abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.Wir kommen nun zur Beschlußempfehlung des Sonderausschusses zu dem Gesetzentwurf der Abgeordneten Herbert Werner , Hubert Hüppe, Claus Jäger und weiterer Abgeordneter. Der Sonderausschuß empfiehlt unter Nr. 4 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 12/7660, den Gesetzentwurf auf Drucksache 12/6988 für erledigt zu erklären.Zu dieser Beschlußempfehlung liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten Herbert Werner , Claus Jäger und weiterer Abgeordneter auf Drucksache 12/7708 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist auch dieser Änderungsantrag mit deutlicher Mehrheit abgelehnt.Wer stimmt für die Beschlußempfehlung, den Gesetzentwurf für erledigt zu erklären? — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Damit ist diese Beschlußempfehlung mit großer Mehrheit angenommen.Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 2 b und zu der Beschlußempfehlung des Sonderausschusses zu dem Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu Mindeststandards bei der Neuregelung des Abtreibungsrechtes auf der Drucksache 12/7660 Nr. 5.
Der Sonderausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/6715 für erledigt zu erklären.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 20007
Vizepräsidentin Renate SchmidtWer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist diese Beschlußempfehlung angenommen.
Wir kommen nun zur Beschlußempfehlung zu dem Antrag der Abgeordneten Herbert Werner , Monika Brudlewsky, Claus Jäger und weiterer Abgeordneter zum Ausbau der sozialpolitischen Maßnahmen auf der Drucksache 12/7660 Nr. 6. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/7098 für erledigt zu erklären.Zu dieser Beschlußempfehlung liegen zwei Änderungsanträge vor, über die wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag des Abgeordneten Ortwin Lowack auf Drucksache 12/7709? — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Der Änderungsantrag ist damit mit deutlicher Mehrheit abgelehnt. Wer stimmt nun für den Änderungsantrag der Abgeordneten Herbert Werner, Claus Jäger und weiterer Abgeordneter auf Drucksache 12/7710? — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt.Wir müssen nun noch über die unveränderte Beschlußempfehlung zu diesem Tagesordnungspunkt abstimmen. Ich darf diejenigen, die für die Beschlußempfehlung des Ausschusses sind, um das Handzeichen bitten. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist die Beschlußempfehlung so angenommen.Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 2 c und der Beschlußempfehlung des Sonderausschusses „Schutz des ungeborenen Lebens" zu dem Antrag der Gruppe PDS/Linke Liste zur unentgeltlichen Bereitstellung von Schwangerschaftsverhütungsmitteln. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/490 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Die Beschlußempfehlung ist damit angenommen.Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 2 d und zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Gruppe PDS/Linke Liste zur Änderung des Art. 2 des Grundgesetzes auf Drucksache 12/6648. Der Ausschuß für Frauen und Jugend empfiehlt auf Drucksache 12/7682, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf der Gruppe PDS/Linke Liste auf Drucksache 12/6648 abstimmen und bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit großer Mehrheit abgelehnt, und damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 2 e und zu der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Frauen und Jugend zu dem Antrag der Gruppe PDS/Linke Liste zur unentgeltlichen Bereitstellung von Kontrazeptiva auf Drucksache 12/7683. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/6647 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Damit ist diese Beschlußempfehlungangenommen, und wir sind mit diesem Tagesordnungspunkt zu Ende.Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 3a bis d sowie den Zusatzpunkt 1 auf:3. a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Kostengesetzen und anderen Gesetzen
— Drucksache 12/6962 —
aa) Beschlußempfehlung und Bericht desRechtsausschusses
— Drucksache 12/7657 —Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Wolfgang Götzer Detlef Kleinert Klaus-Heiner LehneMargot von Renessebb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 12/7658 —Berichterstattung:Abgeordnete Thea BockMichael von SchmudeDr. Wolfgang Weng
b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte— Drucksache 12/4993 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 12/7656 —Berichterstattung:Abgeordnete Horst Eylmann Detlef Kleinert Klaus-Heiner LehneMargot von Renessec) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung der Wirtschaftsprüferordnung— Drucksache 12/5685 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 12/7648 —Berichterstattung:Abgeordneter Josef Grünbeckd) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Schaffung von Partner-
Metadaten/Kopzeile:
20008 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Vizepräsidentin Renate Schmidtschaftsgesellschaften und zur Änderung anderer Gesetze— Drucksache 12/6152 —
Beschlußempfehlung und Bericht desRechtsausschusses
— Drucksache 12/7642 —Berichterstattung:Abgeordnete Joachim Gres Detlef Kleinert Klaus-Heiner LehneDr. Eckhart PickZP1 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Patentgebührengesetzes— Drucksache 12/5280 —
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 12/7634 —Berichterstattung:Abgeordnete Klaus-Heiner Lehne Detlef Kleinert
Ludwig Stieglerb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 12/7678 —Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Konstanze Wegner Michael von SchmudeDr. Wolfgang Weng
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Debatte eineinhalb Stunden vorgesehen. Gibt es dazu irgendwelche anderweitigen Vorstellungen? — Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem dem Kollegen Horst Eylmann das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Bundesverfassungsgericht hat vor sieben Jahren durch Urteil vom 14. Juli 1987 die sogenannten Standesrichtlinien der deutschen Anwaltschaft für verfassungswidrig erklärt mit der Begründung, sie hätten nicht die Qualität von Rechtsnormen.Der Gesetzgeber war daher gezwungen zu handeln. Er muß die sogenannten statusbildenden Normen, also die Normen, die die Rechte und Pflichten regeln und die den Beruf des Anwalts prägen, in die Bundesrechtsanwaltsordnung hineinnehmen. Im übrigen muß er ein demokratisch legitimiertes Organ für die Schaffung von ergänzendem Satzungsrecht schaffen. Mit anderen Worten: Die Bundesrechtsanwaltsordnung, das Grundgesetz der deutschen Anwaltschaft, wird endlich dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland angepaßt; höchste Zeit für ein Gesetz, das die Berufsausübung einer Juristengruppe regelt, deren Tätigkeit ja für ein demokratisches Staatswesen unverzichtbar ist.Die Novellierung bringt aber darüber hinaus eine Neuerung, die von einem Teil der Anwälte und vor allem von den meisten Landesjustizverwaltungen als geradezu revolutionär empfunden wird. Da ich ohnehin nur eine beschränkte Zeit habe, will ich mich damit befassen.Meine Damen und Herren, die deutschen Anwälte können in Strafsachen überall in der Bundesrepublik auftreten. Sie können auch vor allen Arbeitsgerichten bis hinauf zum Bundesarbeitsgericht auftreten, vor allen Verwaltungsgerichten, vor allen Sozialgerichten und auch vor allen Finanzgerichten bis hin zum Bundesfinanzhof. Sie können sogar alle vor dem Bundesverfassungsgericht auftreten.In Zivilsachen dürfen sie auch vor allen Amtsgerichten auftreten. Nur vor drei Gerichten dürfen sie in Zivilsachen nicht auftreten, nämlich vor allen Landgerichten— da sind sie nur bei einem zugelassen —, vor den Oberlandesgerichten und vor dem BGH. Das wird in § 78 der Zivilprozeßordnung festgelegt. Danach ist ein Anwalt nur bei einem Landgericht zugelassen und darf— jedenfalls im Grundsatz — auch nur dort auftreten. Das soll nun geändert werden, und nunmehr bebt die deutsche Gerichtsbarkeit in ihren Grundfesten.Ich habe in alten Papieren geblättert. Ich habe hier die „Juristische Wochenschrift" vom 1. März 1907. Die „Juristische Wochenschrift" war damals schon das Organ der deutschen Anwaltschaft.Dort schlägt ein Anwalt, ein Justizrat Böhm — im Jahre 1907! — vor, doch einem Anwalt zu gestatten, bei jedem Landgericht in Zivilsachen aufzutreten, und er sagt dazu wörtlich:Wie jetzt bei den Amtsgerichten würde sich dann auch bei den Landgerichten sehr bald die Sache regeln. Das Publikum würde davon nur Vorteil haben; denn es würde erheblich an Kosten sparen. Eine wesentliche Verschiebung der Einkünfte der Anwälte würde durch solche Änderung kaum eintreten.Heute, meine Damen und Herren, nach 86 Jahren, wollen wir dem Publikum endlich diesen Vorteil gewähren. Die Mehrzahl der Anwälte sieht das auch ein. Der DAV, der Deutsche Anwaltverein, ist dafür. Bedenken gibt es noch bei den mehr oligarchisch strukturierten Rechtsanwaltskammern.Zwei Gruppen leisten Widerstand, weil sie um ihre Privilegien fürchten. Das sind erst einmal die Anwälte— jedenfalls ein Teil der Anwälte —, die an den Landgerichtsorten sitzen; denn der § 78 hält ihnen natürlich Konkurrenz vom Leib. Nun ist es aber nicht verfassungsgemäß, daß einem Freiberufler Konkurrenz von Staats wegen vom Leib gehalten wird.Die zweite Gruppe sind die Zivilrichter beim Landgericht. Sie haben ja das Privileg, nur mit einer beschränkten Anzahl von Anwälten zu tun zu haben. Dieses Privileg möchten sie sich gern erhalten; denn wenn man die Anwälte kennt, dann kann man mit ihnen besser umgehen. Man kennt sich, und — so hätte ich jetzt beinahe gesagt — man hilft sich, aber das ist ja die Definition des rheinischen Klüngels, die ich hierauf nun nicht unbedingt übertragen will. Aber daß man freundlicher miteinander umgeht und aufeinander mehr Rücksicht nimmt, das ist sicherlich richtig.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 20009
Horst EylmannDer Bundesrat will dieses Privileg, insbesondere unter dem Druck der Landgerichtspräsidenten, erhalten. Ein Satz aus seiner Begründung: Sie — die Beschränkung der Postulationsfähigkeit — ermöglicht rasche Terminabsprachen zwischen Gericht und dem am Ort ansässigen Rechtsanwalt, die auch moderne Kommunikationstechniken nicht sicherstellen können. Das heißt ja wohl, daß der Vorsitzende einer Zivilkammer in Düsseldorf zwar noch mit den Düsseldorfer Anwälten telefonieren kann, aber nicht mit den Anwälten in Köln und Duisburg. Vielleicht stellt man sich vor, daß dort noch die Ladungen durch reitende Boten überbracht werden.Meine Damen und Herren, es besteht nicht der geringste Grund, dieses Fossil überholten Zunftdenkens noch länger aufrechtzuerhalten, und es ist höchst erfreulich, daß wir hier im Bundestag fraktionsübergreifend dieser Meinung sind. Wenn der Bundesrat tatsächlich den Vermittlungsausschuß mit dem Ziel anrufen will, die alte Regelung zu erhalten, dann setzt er sich, so fürchte ich, für eine Regelung ein, die sich über kurz oder lang als verfassungswidrig herausstellen wird, genauso wie das Bundesverfassungsgericht einst die Standesrichtlinien kassiert hat. Über Übergangsfristen kann man reden. Wir haben sie ja ohnehin für die neuen Länder vorgesehen.Ich will noch erwähnen, meine Damen und Herren, um uns nicht zu sehr zu loben, daß wir in zwei Punkten, nämlich bei den Oberlandesgerichten und dem Bundesgerichtshof, nicht den Mut und die Kraft gefunden haben, eine Regelung, die uns allen sehr bedenklich erscheint, zu andern. Wir haben bei den Oberlandesgerichten eine verfassungsrechtliche Merkwürdigkeit. Der Bund hat hier für das Recht der Anwaltschaft nur die konkurrierende Gesetzgebung. Er darf diese nur zur Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit ausüben — das tut er mit der Bundesrechtsanwaltsordnung —, aber nun bei den Oberlandesgerichten mit der höchst unterschiedlichen Regelung, daß in acht Ländern die sogenannte Simultanzulassung gilt und in acht Ländern die sogenannte Singularzulassung. Beide Seiten verteidigen ihr System mit Zähnen und Klauen. Die Rechtseinheit — das können wir jedenfalls feststellen — wird nicht hergestellt.Es geht, wie ich meine, hier nicht in erster Linie um die Interessen des rechtsuchenden Publikums, es geht um die Wahrung von Besitzständen. Auch die bei den Oberlandesgerichten simultan oder singular zugelassenen Anwälte fürchten um ihren Besitzstand. Wir wissen ja, Besitzstände werden als soziale Errungenschaft in unserer Republik mit besonderer Hartnäkkigkeit verteidigt.Um die Widersinnigkeit noch etwas deutlicher zu machen: Ein Schweizer Anwalt oder ein österreichischer Anwalt darf beim OLG München und beim OLG Nürnberg beispielsweise auftreten, er darf bei allen Oberlandesgerichten auftreten, aber der beim OLG Nürnberg zugelassene Anwalt darf eben nicht beim OLG München auftreten. Das verstehe, wer will.Mit dieser Besitzstandwahrung wird ein Prinzip geopfert, das nach meiner Einschätzung zu den wichtigsten gehört, nämlich das Prinzip der freien Anwaltswahl. Wir müssen uns wohl in der nächstenWahlperiode, abgesehen von dieser OLG-Zulassung, auch noch der Rechtsanwaltschaft beim Bundesgerichtshof zuwenden. Auch hier gibt es einige Merkwürdigkeiten und verfassungsrechtliche Bedenken.Was wir heute machen, ist ein erster, allerdings großer Schritt, um die deutsche Anwaltschaft in die Lage zu versetzen, sich in einer gewandelten Dienstleistungsgesellschaft als die für die umfassende Rechtswahrung der Bürger zuständige Institution zu bewähren, sich durchzusetzen und zu behaupten, sowohl gegen andere beratende Berufe als auch gegen internationale Konkurrenz.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Als nächster erteile ich das Wort der Kollegin Margot von Renesse.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es geht also doch. Es geht, daß man in einem Superwahljahr in der zweiten Halbzeit ein doch durchaus großes und grundlegendes Reformwerk gemeinsam verabschiedet, an dem alle gemeinsam gearbeitet haben und dabei zu gemeinsamen Ergebnissen gekommen sind. Ich empfinde das als außerordentlich dankenswert. Auch wie sich die Arbeit vollzogen hat — und ich schließe die Mitarbeiter des Bundesjustizministeriums mit ein —, das hat sich als sehr sachorientiert und alles andere als parteipolitisches Gezänk erwiesen. Ich denke, es ist eine gute Sache für das Parlament, daß wir in der Lage sind — trotz des Streits, den wir ja in vielen Fragen haben; gerade auch beim vergangenen Abstimmungsmarathon hat sich das gezeigt —, zu solchen gemeinsamen Entscheidungen zu kommen.Unsere Gemeinsamkeit, meine Herren Mitstreiter, war ja keineswegs die Gemeinsamkeit aller Interessengruppen. Ich habe lernen müssen, daß es den Begriff „die Rechtsanwälte " offensichtlich nicht gibt. In den verschiedenen Interessengemeinschaften, in denen sie auf Grund ihrer beruflichen Situation verankert sind, brachten sie diametral entgegengesetzte Vorstellungen zum Ausdruck und fochten für sie mit Argumenten, die am großen Ganzen, am Interesse der Rechtsprechung und am Interesse der Rechtsuchenden orientiert waren, wobei das Interesse — das eigene nämlich — deutlich aus allen Knopflöchern schaute.Das betrachte ich nicht als Vorwurf, denn es ist das gute Recht und leider auch die Art von Menschen, die interessenbefangen sind, das eigene Interesse für das allgemeine Wohl in Anspruch zu nehmen. Das ist also nichts Besonderes.Aber die Aufgabe des Gesetzgebers heißt im Ergebnis: entscheiden. Und entscheiden heißt durchaus Inkaufnahme von bestimmten Nachteilen, auch von Verzichten auf Liebgewordenes, auf Traditionelles.Der Vorsitzende des Rechtsausschusses hat an eine Sache erinnert, die mich in meiner Eigenschaft als Richterin natürlich auch ganz besonders trifft: die angenehme, auf Grund von Bekanntheitsintensität
Metadaten/Kopzeile:
20010 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Margot von Renesseanheimelnde Atmosphäre bei Gericht — ich sage noch einmal, einschließlich der Kantine —, die mit Sicherheit einer Vielzahl von Rechtsuchenden auch nicht schadet.Ich wiederhole, was ich in der ersten Lesung gesagt habe: Käme es bei mir zu einem Prozeß, und ich müßte ihn führen — der Himmel verschone mich davor; man wäre ja dann in der Hand der Gerichte, und wer weiß, wie die entscheiden —,
so würde das Argument, das ein Anwalt am Ort für sich hätte, nämlich daß er in der Tat die Bräuche des Gerichts kennt, die sich natürlich längst auch jenseits der ZPO ansiedeln, daß er Fingerzeige des Gerichts, die sich nicht in prozeßleitenden Verfügungen schriftlich sagen lassen, zu verstehen weiß, für mich durchaus ein ernstzunehmender Vorteil sein.Wir haben diesen revolutionären Schritt gewagt. Es gab dazu keineswegs eine einhellige Meinung unter den Anwälten. Ich wage es nicht, die Frage endgültig zu beantworten, ob es eine Mehrheit der Anwaltschaft war, die sich für das Entfallen des fälschlicherweise sogenannten Lokalisationsgebots — in Wirklichkeit ist es die eingeschränkte Postulationsfähigkeit — ausgesprochen hat. Die Anzahl der Seiten, die uns geschrieben wurden, und die Menge der Briefe allein sind dafür wohl kaum ausschlaggebend.Wir Sozialdemokraten hatten einige Sachkriterien: Wir wollen den Rechtsanwalt in der Fläche erhalten, der sich gegenwärtig in einer mehrfachen Konkurrenzsituation befindet. Der Honoratiorenanwalt, der vielleicht Mitglied seines Stadtparlaments, des Stadtrats, ist, der Mitglied in diversen Verbänden und Vereinen ist, der Land und Leute kennt, sieht sich in letzter Zeit einer großen Konkurrenz ausgesetzt, die ihm das Leben immer schwerer macht. Das sind die großen, längst übergreifend gewordenen Sozietäten. Das sind eines Tages auch internationale Anwaltstätigkeiten, die uns jetzt noch nicht so intensiv bedrükken; aber das ist nur eine Frage der Zeit.Er sieht sich im Ergebnis auch dadurch, daß er seinem Mandanten an ein anderes Gericht nicht folgen kann, obgleich sich der Mandant in seiner Aktivität nicht auf den Landgerichtsbereich beschränkt, in der Konkurrenz mit anderen Beratungsorganisationen und -institutionen an die Wand gedrückt.Es geht uns ganz entscheidend um den Anwalt in der Fläche, den das rechtsuchende Publikum dringend benötigt, weil nämlich der kleine Mann, die kleine Frau für den Rotlichtverstoß, für den Unterhaltsprozeß, für die Handwerkerforderung nicht 100, 120 oder 300 km fährt, um in dem „Mayo-Klinik"Anwaltsbüro zu landen. Vielmehr braucht der kleine Mann seinen Anwalt um die Ecke, den er kennt und der ihn kennt, dessen Rat er schätzt. Diesen Anwalt in der Fläche wollen wir erhalten, d. h. in seiner Konkurrenzfähigkeit stärken.Dazu mußten wir ihn von der Beschränkung des § 78 ZPO, der eingeschränkten Postulationsfähigkeit, befreien. Dies ist also ein Konkurrenzvorteil von kleinenund mittleren Anwälten. Denn nach meinem Eindruck, den ich bekam, als ich über Land fuhr und mit Betroffenen sprach, nahm die Liebe zum § 78 ZPO im Quadrat der Entfernung vom Landgericht ab; das war für mich sehr typisch. Es sind die Vier-, Fünfmannkanzleien, die man an den Landgerichtsorten an höchstens zwei Händen abzählen kann, die von dem 78er-Mandat bisher profitiert haben. Es ist eben nicht die Ein-, Zweimann- oder -fraukanzlei, es ist schon gar nicht der Berufsanfänger, der von dieser Möglichkeit der Pfründensicherung im Landgerichtsort profitiert.Nicht allein deswegen — das betone ich sehr —, weil es gerade kleinen Kanzleien zugute kommt, sondern auch, weil es den Rechtsuchenden zugute kommt, diese Verbreitung von anwaltlichem Rat in der Fläche zu erhalten, haben wir uns aus Sachgründen für die Abschaffung des § 78 ZPO entschieden. Wir hätten das nicht getan, wenn wir wirklich davon überzeugt worden wären, daß dies ein Problem ist, das die neuen Bundesländer nach einer Übergangsfrist nicht ertragen können.Meine Damen und Herren, ich bin seit langer Zeit auch in der Enquete-Kommission zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte tätig. Eines ist mir bei der Befassung mit dem Thema Recht, Justiz und Polizei mit aller Deutlichkeit klargeworden. Eines der ganz großen Probleme bei der Bewältigung der Lebenslage der neuen Bundesbürger und -bürgerinnen ist die Erhaltung des Rechtsrats. Leges sunt scriptae vigilantibus— diesen leider ebenso zutreffenden wie scheinbar zynischen Satz kannten schon die Römer.
— Recht ist geschrieben für die, die es kennen. — Dieser böse, aber richtige alte Satz ist eine Realität, an der sich viele neue Bundesbürger und Bundesbürgerinnen wundstoßen. Sie brauchen in allererster Linie Rechtsrat in der Fläche. In Sondershausen, Bad Kösen und den kleinen Orten brauchen wir Anwälte, die sich dort ansiedeln, die die Menschen dort als Menschen beraten, die mit ihnen zusammen leben und arbeiten.Wenn § 78 eine Garantie dafür wäre, daß dies schnell geschieht, wären wir mit behutsamerem Reformeifer an diese Vorschrift herangegangen. Ich glaube das nicht. Denn im Ergebnis geht es nicht darum, daß man einen Anwalt in eine Fläche zwingt; man kann ihn allenfalls in einen Landgerichtsbezirk zwingen. Es geht vielmehr darum, daß er in Bad Kösen, in Sondershausen und anderen Orten leben kann, seine Familie ernähren kann, sein Büro und seine Angestellten bezahlen kann. So haben wir von vornherein ein inneres, wenn auch kein äußeres Junktim zwischen der Abschaffung des § 78 und der massiven Änderung der Gebührensätze gesehen, von denen die Anwälte im Ergebnis leben.Ich bin sehr froh, daß wir auch insofern Einverständnis erzielt haben; denn da waren wir nicht ganz unangefochten. Hier geht es nicht nur um ein Defizit, das sich seit 1987 angehäuft hat, weil seit damals die Gebührensätze unverändert geblieben sind und dadurch objektiv ein Nachholbedarf entstanden ist, ob er nun in die gegenwärtige konjunkturelle Landschaft
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 20011
Margot von Renessepaßt oder nicht. Es ging genau darum, Berufsanfängern und den Anwälten in der Fläche, den Honoratiorenanwälten, die als Bürger unter Bürgern leben, eine vernünftige ökonomische Grundlage für ihren Start oder für ihr Weitermachen zu geben, auch in den neuen Bundesländern. Nur wenn sie davon leben können, wenn es für sie auch wirklich eine ausreichende wirtschaftliche Grundlage gibt, werden sich Anwälte in großer Zahl in den neuen Bundesländern ansiedeln.Abgesehen davon, daß die Gebührensätze — man höre und staune — um durchschnittlich 15 % angehoben worden sind, ist uns noch eine weitere Änderung gelungen, an der uns Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen sehr liegt. Wir haben eine kleine Korrektur bei der klassischen Mischkalkulation der Gebührensätze angebracht, die in ihrer Staffelung davon ausging, also könne der große Prozeß, den natürlich jeder Anwalt führt, den kleinen mitziehen. Wir wissen aber, daß gerade die Anwälte, um die es uns geht, von kleinen und mittleren Streitwerten zu leben haben. So liegt der Löwenanteil der Gebührenerhöhung in der Tat bei den kleinen und mittleren Streitwerten. Das halte ich gerade im Hinblick auf die Verbreitung rechtsanwaltlichen Rats in der Fläche für eine große Veränderung, die sich für die Rechtsuchenden und damit im Ergebnis auch für die Gerichte auszahlen wird.Meine Damen und Herren, natürlich wird dadurch der Prozeß teurer. Er wird teurer für den einzelnen, wenn er ihn bezahlen kann und keine Prozeßkostenhilfe bekommt. Er wird teurer für die Länder, wenn Prozeßkostenhilfe gewährt werden muß. Aber man kann soziale Preise nicht zu Lasten privater Portemonnaies machen. Wenn es denn so sein soll, daß auch der wenig betuchte Rechtsuchende zu seinem Gericht findet, dann kann man von dem Rechtsanwalt, der davon zu leben hat, nicht verlangen, daß er das aus seiner Tasche bezahlt. Dieses geht nicht.Wenn Sie mir erlauben, auch noch einen anderen, wie ich finde, sehr sozialen Gesichtspunkt dafür zu nennen, daß der kleine und mittlere Prozeß durchaus teurer wird: Ich bin nicht der Meinung, daß das Prozeßführen eine soziale Wohltat ist. Das Überlegen vorher, ob das Risiko den Einsatz lohnt, spart im Sinne der Streitvermeidung nicht nur Geld, sondern auch Nerven, Zeit und bis zu einem gewissen Grad den Verlust an Autonomie, der mit jeder Prozeßführung verbunden ist, weil man darauf starrt, ob der Richter gut geschlafen hat und gut drauf ist. Kompetent auf Grund guten Rechtsrats selbst entscheiden, wie man seine Sache weiterführt — das ist etwas, wofür wir Anwälte brauchen, und dafür müssen sie auch verdienen können.Meine Damen und Herren, wir haben noch etwas getan, worüber man sich wirklich freuen kann, auch wenn das wahrscheinlich noch fortgeführt werden muß. Wir haben im Kostenrecht erhebliche Änderungen, Korrekturen vorgenommen, die alle unter einem Gesichtspunkt stehen — das sage ich hier, damit es in den Materialien steht und eine Interpretationsvorgabe für die Rechtsanwender geben kann —: Es geht um Vereinfachung, Vereinfachung und nochmals Vereinfachung.Es kann nicht sein, daß sich im Rahmen der teuren Ressource Gericht bis hin zu OLG-Senaten hochbezahlte und über hohe Könnerschaft verfügende Juristen und Juristinnen mit relativ geringen Beträgen in hoher juristischer Mathematik profilieren, sich wechselseitig von Senat zu Senat, von Gericht zu Gericht ihre jeweilig besseren Erkenntnisse um die Ohren hauen und auf diese Weise das Verhältnis der eingesetzten Ressource zum Ergebnis in keinem Verhältnis mehr steht.Wir brauchen Vereinfachung, denn die Ressource Gericht ist für die Allgemeinheit sonst zu teuer.
Wenn es irgend etwas gibt, was man sagen kann, damit das ein Interpretationskriterium ist, dann dies: Sollten Unklarheiten — wie immer — bei Gesetzen entstanden sein, dann bitte keinen neuen irren Meinungsstreit, sondern der Hauptgesichtspunkt des Gesetzgebers ist: so einfach wie möglich. So ist es gemeint. So sind die vielen verschiedenen Korrekturen und Veränderungen im Kostenrecht gemeint.Ich denke, daß wir damit etwas getan haben, aber im Sinne von Ersparnis, Entlastung und Vereinfachung der Gerichtstätigkeit noch längst nicht genug. In diesen Kontext soll sich alles einordnen, was wir hier entwickelt haben. In diesen Kontext, in die Streitvermeidung, in die Streitverkürzung, nicht im Sinne eines kurzen Prozesses, aber im Sinne der Entlastung von Ballast, der überflüssig ist und im Grunde nur Zeit und Kraft kostet, ohne daß das die möglichen relevanten Folgen rechtfertigen, soll sich auch die anwaltliche Tätigkeit einordnen.Ich denke, daß wir insgesamt ein gutes Werk vollbracht haben, auch wenn — wie der Vorsitzende deutlich zum Ausdruck gebracht hat, darüber herrschte auch bei uns Einverständnis — wir die beiden noch vorzunehmenden Korrekturen, die dringend vorgenommen werden müssen im Bereich der Singular- und Simultanzulassung und im Bereich der Anwälte beim Bundesgerichtshof, noch nicht angegangen sind, weil, wie Sie so hübsch sagten, uns die politische Kraft gefehlt hat. Die Einsicht hat uns nicht gefehlt. Es ist eigentlich traurig, wenn der Gesetzgeber sagt, die politische Kraft fehle ihm. Wer soll sie denn haben, wenn nicht der Gesetzgeber?Es wäre vielleicht an der Zeit, daß die Bundesregierung, was den BGH angeht, einmal eine Untersuchung anstellt, um zu prüfen, was hier möglicherweise zu geschehen hat, um Monopole, denen immer der Verdacht der Verfassungswidrigkeit anhaftet und die sich immer mehr durch Sitte, Brauch, Gewohnheit und Tradition einnisten, zu vermeiden. Wir brauchen eine überzeugende einheitliche Gesetzgebung im Bereich der Singular- und Simultanzulassung.Denn, wenn sich der Bundesgesetzgeber schon im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit die Rechtsanwaltordnung zu eigen nimmt, dann sollte er jedenfalls keinen Flickerlteppich als Ergebnis entstehen lassen, auch nicht unter dem Gesichtspunkt der verfassungsrechtlichen Folklore. Denn das paßt irgendwie nicht zusammen und ist in sich widersprüchlich.
Metadaten/Kopzeile:
20012 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Margot von RenesseDas Erhaltenbleiben der gegenwärtigen Regelung sollte jeder Rechtsanwalt und jede Rechtsanwältin, die damit arbeiten, im Sinne einer Gnadenfrist oder Galgenfrist — wie man will — verstehen. Es bedeutet, daß jedenfalls an diesem Instrument noch einmal gedreht werden muß. So bleiben kann es nicht.Ich bin froh, daß wir auch darin einig sind. Vielen Dank.
Als nächster spricht der Kollege Detlef Kleinert.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es ist wirklich sehr erfreulich, daß wir heute drei Gesetze vorlegen können, die sehr lange gebraucht haben und die darüber hinaus auch gemeinsam haben, daß sie so lange in der Diskussion waren, daß sie überfällig geworden waren. Die gleichzeitige Vorlegung ermöglicht natürlich auch, daß sich jeder der Berufskollegen, die hier angesprochen sind, etwas Angenehmes aussuchen kann, wenn ihm das eine oder andere in dem einen oder anderen Gesetz nicht ganz so gut gefällt, wie es die Hauptverfasser und Berater der Gesetze nach den vielen Mühen, die sie sich gemacht haben, gerne wünschen würden.Das Berufsrecht steht an erster Stelle. Jahrelang ist die Diskussion über die vielen Punkte geführt worden, die keineswegs mit den die Diskussion hauptsächlich bewegenden — die hier bereits angesprochen worden sind — erschöpft sind. Berufsrecht heißt in allererster Linie Berufspflicht: ein Bündel von Pflichten, die geregelt werden und die bisher in einer Weise geregelt waren, die, wie uns bedauerlicherweise erst das Verfassungsgericht mitteilen mußte, nicht so ganz den Regeln einer Demokratie entsprochen haben.Wir kommen nunmehr zu einer Kammerdemokratie, die diesen Namen verdient. Das war dringend notwendig. Wenn man in diesem Bereich zu einer Demokratie, zu einer freieren, insbesondere dem freien Beruf angemessenen Verfassung kommen will, dann mutet es natürlich sehr merkwürdig an, daß im Verlauf der Diskussion der Gedanke aufgetaucht ist, die Satzungshoheit der Kammern hätte da ihre Grenzen, wo ein Ministerium diese Satzung schließlich genehmigt, so daß man in Kenntnis solcher Vorgänge zweckmäßigerweise schon vorher fragt, wie das Ministerium es gern hätte, weil es sonst etwa nicht genehmigt werden würde.An dieser Stelle muß ich zum erstenmal ausdrücklich der Bundesjustizministerin, Frau LeutheusserSchnarrenberger, sehr herzlich danken, daß sie für dieses Argument sofort Verständnis gezeigt hat und daß es jetzt bei einem rechtlich erforderlichen Minimum des Einspruchsrechts des Ministeriums gegenüber den von den Berufskollegen in den dafür jetzt vorgesehenen Gremien zu beschließenden Satzungen bleibt.
Das ist gerade im Hinblick auf einen freien Beruf eine wesentliche Sache.Die anderen Punkte bestimmen sich nach wie vor offenbar — darauf haben die Vorrednerin und der Vorredner schon hingewiesen — ganz wesentlich nach dem Wohnort und nicht so sehr nach besonders hehren und ohne weiteres nachvollziehbaren objektiven Kriterien. Jeder ist zufrieden, wenn die anderen aus seinem Revier bleiben und er möglichst viele Gelegenheiten hat, in anderen Revieren jagen zu gehen. Das ist eine Interessenlage, die verständlich ist, die aber nun wahrlich nicht zu den Gepflogenheiten einer freien Wirtschaft und besonders eines freien Berufes gehört. Deshalb ist es verständlich, daß jetzt ein Teil der notwendigen Änderungen vorgenommen worden ist.Ich gehöre persönlich rein gemüts- und gefühlsmäßig eher zu den Kollegen, die weniger nach den Interessen ihres Wohnortes die Sache beurteilen, sondern danach, daß bisher so schön ordentlich alles geregelt gewesen ist und man sich damit eingerichtet hat. Ich wäre auch durchaus zufrieden gewesen, wenn die anderen aus unserem Landgerichtsbezirk weiterhin draußen geblieben wären und wir im Gegenzug bei der bestehenden Singularzulassung mit den Kollegen am Oberlandesgericht zusammengearbeitet und uns darüber gefreut hätten, daß wir den Mandanten gegenüber die verlorenen Prozesse dem anderen und die gewonnenen uns selbst anrechnen können, was ja bei dieser Teilung der Geschäfte ein nicht zu unterschätzender Vorteil ist.
: Das hat
einen gewissen Charme! Das stimmt!)Es ist aber nicht zu übersehen gewesen, daß mit der Erfindung der sogenannten überörtlichen Sozietäten, die sich in den meisten Fällen als nichts weiter denn Akquisitionskartelle darstellen, der entscheidende Fehltritt getan worden ist, der dazu geführt hat, daß die Lokalisation unterlaufen wird. Dann hatte es keinen Sinn mehr, aus den mehr gemütsmäßigen und weniger verstandesmäßigen Gründen, die ich für mich hier habe anklingen lassen, bei der bisherigen Regelung zu bleiben, zumal es nun wirklich auch an dieser Stelle wieder darauf ankommt, das Wort „frei" beim freien Beruf zu betonen.Wenn das aber so ist, ergeben sich zwei Konsequenzen. Dann ist infolge der Aufhebung der Lokalisation in Zukunft die überörtliche Sozietät allerdings in der Doppelfunktion, die sich dann nur noch werblich auswirkt, wohl auch bei nächster Gelegenheit erneut einer Überprüfung zu unterziehen. Das gleiche gilt für die Frage der Singular- oder Simultanzulassung. Denn es wird uns nicht sehr gefallen, und es entspricht auch gar nicht dem Geist unserer Verfassung, wenn wir uns in absehbarer Zeit vom Bundesverfassungsgericht erneut auf den Pfad der Tugend führen lassen müssen, anstatt als Gesetzgeber selbst das Notwendige zu tun. Das muß an dieser Stelle angemerkt werden.Ich freue mich, daß die Definition des freien Berufs hier durch ein weiteres Gesetz, das Partnerschaftsgesetz, ein Stück gefördert ist. Die angebliche Petitesse, den Anfangsbuchstaben in dem Begriff „Freier Beruf" großzuschreiben, soll doch ein gewisser Hinweis dar-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 20013
Detlef Kleinert
auf sein, daß wir uns alle gemeinsam darüber freuen können.Bei der Gelegenheit sei angemerkt, daß es mir ein zwar fernes, aber nichtsdestoweniger erstrebenswertes Ziel zu sein scheint, in möglichst naher Zeit dazu zu kommen, daß eine bessere Durchlässigkeit zwischen den Berufen des Anwalts und des Richters, vielleicht auch anderen juristischen Berufen und dem des Richters, erreicht wird und die Hemmnisse, die dem bislang entgegenstehen, abgebaut werden. Ich glaube, das wäre für beide Berufe ein großer Vorteil.
— Das wäre zu fein gewogen. Wir haben so schon unsere Last mit Feinwiegerei bei einigen Gerichten und, Herr Apotheker, das ginge dann zu weit.Ein Mangel ist jedenfalls in der steuerlichen Behandlung der Partnerschaft geblieben. Wir wollten aber zunächst dieses Angebot einer Rechtsform für den freien Beruf verabschieden, endlich einmal auf den Weg, d. h. ins Bundesgesetzblatt, bringen und müssen weitere Folgerungen später bedenken und ziehen.Ganz zum Schluß, nach diesen nur andeutungsweise vorgetragenen Bemerkungen zu zwei sehr wichtigen Gesetzen, komme ich zu einem weit weniger wichtigen, aber in der Diskussion dennoch häufig erwähnten Gesetz. Es handelt sich um Kosten und Gebühren; denn umsonst kann die ganze Veranstaltung nun einmal nicht sein.Es ist mit den verfeinerten Methoden der elektronischen Datenverarbeitung inzwischen möglich geworden, sehr genau auszuscheiden, was durch Streitwerterhöhungen im Rahmen inflatorischer Entwicklungen ohnehin an stiller Gebührenerhöhung stattfindet und was dann immer noch im Hinblick auf die gestiegenen Kosten und auf die gestiegenen Einkommen anderer Berufsgruppen fehlt.Danach sieht es so aus, daß zum Ausgleich der inflationären Nachteile seit der letzten Gebührenerhöhung eine Angleichung von durchschnittlich 23 % erforderlich wäre; davon sind nur 15 % erreicht worden. Nach den Gruselzitaten, die vorher gehandelt wurden, und nach den zum Teil ausgesprochen unqualifizierten Äußerungen sogenannter Berufsvertreter — damit meine ich keineswegs alle, sondern nur einige wenige Ausnahmeerscheinungen — hätte man erwarten können, daß das Ganze überhaupt nichts taugt und überhaupt nichts bringt.Das Gegenteil ist der Fall. Jeder, der behauptet hat, die Bundesjustizministerin und ihre Mitarbeiter hätten sich hier quergelegt, irrt sich sehr. Wir haben genau den Entwurf des Bundesjustizministeriums nach einigen Eingriffen von anderer Seite wiederbelebt. Mit diesen anderen Seiten haben wir uns im Verlaufe der Verhandlungen verständigt. Sie haben Einsicht in unsere Argumente gehabt. Deshalb kann man nur allen Beteiligten, Frau Leutheusser-Schnarrenberger und ihren Mitarbeitern, wie natürlich auch besonders den Kollegen Frau von Renesse und Herrn Eylmann, wie Herrn Lehne, aber auch allen anderen,die mit zu diesem Erfolg beigetragen haben, der sich wirklich sehen lassen kann, herzlich danken.Frau von Renesse, zum Schluß sage ich, nicht ohne eine kleine Bemerkung anzubringen, daß die von Ihnen dargestellte Abstufung im Bereich der unteren Gebühren und das notwendige Verständnis gerade für die Bedürfnisse der kleinen Praxen keine sozialdemokratische Errungenschaft ist, sondern, wie alles andere auch, unserer gemeinsamen Einsicht in das Notwendige entspringt, das dies für einen so wichtigen Beruf, der weit über den Durchschnitt hinaus arbeiten und leisten muß, um einigermaßen etwas zu verdienen, geleistet worden ist.Herzlichen Dank.
Als nächster spricht der Kollege Dr. Uwe-Jens Heuer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn wir vom Kostenrecht absehen, das ohnehin von Zeit zu Zeit geändert werden muß, verdanken wir dieses Gesetzespaket zwei Tatsachen: dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Juli 1987 — das ist hier schon mehrfach gesagt worden — und dem Trend bei den freien Berufen, sich zu größeren Einheiten zusammenzuschließen, sich zu spezialisieren, überörtlich tätig zu werden, mit komplementären Berufen zusammenzuwirken und nicht zuletzt mit aller Sachlichkeit und Zurückhaltung auch ein wenig werben zu dürfen. Die BRAO-Novelle stellt sich auf den Boden der Tatsachen — Bundesverfassungsgerichtsurteil, Entstehung überörtlicher Sozietäten, Relativierung des Werbeverbots - und gibt weiteren Entwicklungen zu einem modernen Tätigkeitsbild von Anwälten einen gewissen Spielraum. Die Aufhebung der Lokalisation bei den Rechtsanwälten entspricht einem zeitgemäßeren Bild des Anwalts, als es die BRAO von 1959 haben konnte. Bei der geringen Anwaltsdichte in einigen Teilen Ostdeutschlands ist die Aufhebung der Lokalisation geradezu eine Voraussetzung für eine ausreichende Versorgung mit anwaltlicher Beratung.Die Partnerschaftsgesellschaft ist zumindest ein interessantes neues Element des deutschen Gesellschaftsrechts. Ob allerdings diese Kombination aller Annehmlichkeiten des freien Berufs einerseits mit fast allen Annehmlichkeiten der juristischen Person andererseits durchzuhalten sein wird oder ob hier nicht doch an eine Gewerbesteuer zu denken wäre, muß man doch wohl überlegen.Die hier zur Abstimmung stehenden Gesetze sind nicht nur insofern unterschiedlich, als sie zu unterschiedlichen Rechtszweigen gehören, sondern auch, weil sie ganz unterschiedliche Gruppen mit differenzierten Interessen in höchst unterschiedlicher Weise betreffen. Die zwei Hauptgruppen, wobei innerhalb dieser Gruppen weiter differenziert werden muß — Frau von Renesse hat dazu schon gesprochen —, sind folgende. Einmal sind die Angehörigen der freien Berufe zu nennen, deren Berufsausübung hier geregelt wird und deren Interesse dahin geht, sich
Metadaten/Kopzeile:
20014 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Dr. Uwe-Jens Heuermöglichst uneingeschränkt betätigen zu dürfen, sich zu größeren schlagkräftigen Einheiten zusammenschließen zu können, die Einnahmen zu maximieren sowie Kosten und Haftung möglichst zu begrenzen. Aus diesen Quellen speist sich der Drang zur GmbH, dem der Entwurf des Partnerschaftsgesetzes einen Schritt entgegenkommt. Diese Gruppe ist relativ gut organisiert und kann ihre Interessen via Standesorganisationen auch wirksam artikulieren.Die andere Gruppe sind die Klienten oder Patienten, die die von den Freiberuflern angebotenen Dienstleistungen in Anspruch nehmen müssen, d. h. mehr oder weniger alle Bürger. Diese zweite Gruppe ist an Dienstleistungen interessiert, die möglichst gut und erschwinglich sind. Sie ist, wenn man vom allgemeinen Verbraucherschutz absieht, nicht organisiert und kann sich auch nicht gezielt artikulieren.Die Interessen der beiden Gruppen sind nicht dekkungsgleich und auch nur teilweise zur Deckung zu bringen. Bei der ersten Lesung der BRAO-Novelle ist hier von unterschiedlicher Seite — von Frau von Renesse, Herrn Eylmann, Herrn de With — gesagt worden, das Interesse des rechtsuchenden Bürgers habe im Vordergrund der Überlegungen zu stehen. Es hat hier durchaus Interessenabwägungen gegeben, insgesamt aber haben die Interessen der Klienten und Verbraucher von Dienstleistungen bei der Regelung der hier zur Debatte stehenden Gesetzentwürfe wohl doch eher im Hintergrund gestanden. Das kann auch mit der Zusammensetzung der Sachverständigen und vielleicht auch des Rechtsausschusses selbst zusammenhängen.Für besonders problematisch halte ich das hier zur Beschlußfassung anstehende Kostenrechtsänderungsgesetz 1994. Ich halte es deshalb für problematisch, weil damit Rechtsstaatlichkeit — verstanden auch als die reale Möglichkeit, gegebene Rechte konsequent durch die Instanzen verfolgen zu können — eingeschränkt wird. Ich will das erläutern: Zum einen produziert der Gesetzgeber, also wir, eine große Zahl von Gesetzen, von denen der Vizepräsident des Anwaltvereins meint, sie seien „oft schlecht formuliert" — Anwaltsblatt 2/94 —, und wirft eine Reihe von Rechtsfragen auf, die der Klärung durch die Rechtsprechung überantwortet werden.Zum anderen werden immer mehr Lebensbereiche durchnormiert. Es wächst die Rechtsmasse, ihre Unübersichtlichkeit. Der betroffene Bürger kann seine Rechte, zumindest relativ, immer weniger kennen. Er ist auf den fachkundigen Rat immer stärker angewiesen. Das gilt für die Ostdeutschen durch die Entwicklung in den letzten Jahren natürlich in sehr viel stärkerem Maße; im Prinzip gilt es für alle.Das Problem besteht nun darin, daß der Staat dem rechtsuchenden Bürger das Risiko für diese Entwicklung aufbürdet. Angesichts dessen ist eine wohlfeile, dem rechtsuchenden Bürger wirklich zugängliche Rechtspflege nicht nur ein abstraktes Ideal, sondern eine höchst praktische Frage, von deren Lösung der Charakter des Staates als Rechtsstaat abhängig ist. Ich halte es generell für fragwürdig, daß der Staat diese Risiken, deren Verursacher er schließlich ist, den Bürgern aufbürdet bzw. die Bürger veranlaßt, sichprivat gegen die mit der Rechtsverfolgung verbundenen Risiken abzusichern.Mit der vorliegenden Novelle des Kostenrechtsänderungsgesetzes wird diese Lage aber noch verschärft. Einerseits wird mit der Erhöhung der Gerichtskosten die Zugangsschwelle zu den Gerichten für finanzschwächere Kreise erhöht. Dies bedarf keiner weiteren Erläuterung. Prozeßkostenhilfe, wenn sie denn gewährt wird, kann dies mildern, aber nicht ausräumen.Gleichzeitig sinkt — dazu ist eben schon etwas gesagt worden — bei der nur mäßigen Erhöhung der Anwaltsgebühren die Wahrscheinlichkeit, daß diese Kreise erstklassig oder überhaupt anwaltlich betreut werden. Wenn die Angaben der Anwaltschaft über ihre Kostenentwicklung, wie sie uns gegeben wurden, richtig sind und wenn es richtig ist, daß die Gebühren bei niedrigen Streitwerten ohnehin nicht kostendekkend sind und durch die Einnahmen aus Mandaten mit hohen Streitwerten subventioniert werden müssen, dann wird die Gebührenordnung in diesen Bereichen entweder durch Zeitvergütungen umgangen werden, oder Mandate, die unterdurchschnittliche Erträge versprechen, werden von den Anwälten nicht übernommen.Ein Zustand, bei dem es sich die Anwälte nicht leisten können, bestimmte Mandate zu übernehmen, und es sich die Bürger nicht leisten können, einen Anwalt über die Gebührensätze hinaus zu bezahlen, ist für den Rechtsstaat schon bedenklich. Die gegenwärtigen Regelungen der Prozeßkostenhilfe greifen offenbar in bestimmten Segmenten nicht so, wie das seinerzeit vom Gesetzgeber beabsichtigt war.Ein solches Problem sind heute beispielsweise die Beschaffenheitszuschläge auf die Mieten in Ostdeutschland. Die Regelungen sind teilweise unklar. Sie bedürfen jedenfalls der Präzisierung durch die Rechtsprechung. Diese Beschaffenheitszuschläge sind für die einkommensschwachen Mieter von erheblicher Bedeutung, obwohl es sich absolut um relativ geringe Beträge handelt. Deshalb sind die Streitwerte niedrig, und deshalb lehnen Anwälte in diesen Angelegenheiten die Vertretung häufig ab. Die gegenüber dem ursprünglichen Entwurf hier noch vorgenommenen Änderungen der BRAGO werden in diesen Bereichen wohl keine Änderungen bringen.Die seit den 80er Jahren in fast allen Gerichtszweigen — außer der Verwaltungsgerichtsbarkeit — sinkende Zahl der Verfahren hat unterschiedliche Ursachen. Eine Ursache dürfte aber darin bestehen, daß sich die Zahl derjenigen verringert hat, die ihre Rechte gerichtlich verfolgen können, weil der Rechtsstaat de facto seine Rechtsschutzangebote reduziert hat. Das vorliegende Kostenrechtsänderungsgesetz ist ein weiterer Schritt in diese Richtung. Der Rechtsstaat wird damit zunehmend ein Rechtsstaat für die Besserverdienenden, um diesen der F.D.P. so teuren Begriff zu verwenden.Angesichts des gesamten Ausgabenvolumens des Staates und der für alle möglichen Zwecke ausgereichten Subventionen sind die für die Rechtspflege aufgewandten Summen eher gering. Ich hielte es für
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 20015
Dr. Uwe-Jens Heuerfatal, wenn die Rechtsstaatlichkeit durch die beabsichtigten Maßnahmen eingeschränkt würde.Die Beibehaltung der Differenzierung zwischen Anwaltsgebühren West und Anwaltsgebühren Ost ist übrigens durch keinerlei Tatsachen mehr zu rechtfertigen und führt in Berlin zu der seltsamen Situation, daß Westberliner ihre Anwaltsgebühren um 20 % senken können, wenn sie sich einen Anwalt mit Kanzleisitz in Ostberlin nehmen. Das ist zwar für den Auftragsanfall der Ostanwälte erfreulich, nicht aber für die Ertragssituation. Es ist auch auf diesem Gebiet höchste Zeit für eine Rechtsangleichung.
Als nächster spricht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Reinhard Göhner. — Das scheint doch nicht der Fall zu sein. Dann spricht als nächster der Kollege Klaus-Heiner Lehne.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben heute in der Tat ein ziemlich komplettes Paket unterschiedlicher Gesetze vorliegen, die nicht nur den Bereich der freien Berufe, sondern auch den Bereich einer wesentlichen staatlichen Serviceleistung gegenüber dem Bürger, nämlich die Justiz betreffen.Insbesondere möchte ich hier etwas zu den Kostengesetzen sagen, in denen wir die Gebühren und Kosten der Gerichte, Sachverständigen, Rechtsanwälte und Gerichtsvollzieher, aber auch die Patentgebühren, zu denen ich gleich noch einen Satz sagen möchte, seit 1986 — dort sind die letzten Erhöhungen beschlossen worden; das ist also ca. acht Jahre her — in einer angemessenen Art und Weise erhöht haben. Bei den Rechtsanwälten haben diese Änderungen ein Volumen von etwa 15 %, in den Teilbereichen, in denen die meisten Erhöhungen vorgesehen worden sind — etwa bei den Gerichtskosten und den Gerichtsvollzieherkosten —, betragen sie bis zu 25 %. Dies ist, z. B. verglichen mit den Kostensteigerungen bei den Rechtsanwälten in Höhe von ca. 30 % seit 1986, eine durchaus mäßige, auch eine der gesamten Wirtschaftslage, die ja im Augenblick noch nicht besonders gut ist, entsprechende, angemessene Erhöhung.Dabei haben wir in diese Gesetze auch eine Reihe von Strukturänderungen eingebaut, u. a. beim Gerichtskostengesetz. Dies ist sicherlich auch eine Entlastung der Rechtspfleger, die später über die Kosten zu entscheiden haben, sowie der Kostenbeamten. Ferner schaffen wir eine neue, einheitliche Struktur des Gerichtskostengesetzes und der BRAGO — mit größeren Sprüngen und größeren Einheiten —, die die Handhabung in Zukunft wesentlich erleichtern wird.Darüber hinaus haben wir einige Veränderungen vorgenommen, die im Ergebnis wahrscheinlich auch dazu führen werden, daß die Zahl der Prozesse abnimmt, weil das Risiko, einen Prozeß zu führen und Gebühren tragen zu müssen, in einem angemessenen Rahmen steigt. Ein Beispiel dafür ist die Tatsache der Berechnung einer einheitlichen Gebühr nach dem Gerichtskostengesetz; in Zukunft ist bei einem einzelnen Prozeß nicht mehr die Aufteilung in drei verschiedene Gebühren vorgesehen. Des weiteren haben wir z. B. in der Bundesrechtsanwaltsordnung eine Regelung in § 84 BRAGO gefunden, wonach ein Rechtsanwalt in Zukunft entsprechend gebührenmäßig bevorteilt wird, wenn er das Hauptverfahren in einem Strafprozeß vermeidet. Entsprechende Veränderungen haben wir bei der Vergleichsgebühr vorgenommen.Im Bereich der Patentgebühren waren wir nicht in der Lage, einer Erhöhung der Patentamtsgebi Kren zuzustimmen, auch vor dem Hintergrund der Probleme, die sich um die Diskussion des Standortes Deutschland ranken, sowie vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Entwicklung in unserem Lande. Wir haben in diesem Gesetzentwurf aber die Patentgerichtsgebühren in einem angemessenen Rahmen erhöht.Mir seien noch einige Anmerkungen zum Thema Bundesrechtsanwaltsordnung gestattet. Die Frage der Zulassung zum Bundesgerichtshof ist hier noch nicht angesprochen worden. Weder bei der Singularzulassung noch bei der Simultanzulassung war es möglich, eine einheitliche mehrheitsfähige Auffassung zu erreichen, so daß ich davon ausgehe, daß sich mit dieser Frage wahrscheinlich noch einmal der nächste Deutsche Bundestag zu befassen hat. Wenn wir die Lokalisation, vor allem aus europarechtlichen, aber auch aus verfassungsrechtlichen Gründen, für die erste Instanz abschaffen, dann wird sich diese Frage meines Erachtens auch für die Lokalisation in der zweiten Instanz — das ist nichts anderes als die sogenannte Singular- und Simultanzulassung — stellen. Auch hier wird es Überlegungen in dieser Richtung geben müssen.Ein anderer Aspekt betrifft die Zulassung der BGH-Anwälte. Es kann nicht sein, daß sich die Zahl der Senate beim Bundesgerichtshof seit Existenz des BGH verdoppelt hat, auch weil im Zuge der Wiedervereinigung auf den BGH erhebliche zusätzliche Arbeit zugekommen ist, die Zahl sämtlicher beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwälte inzwischen aber auf 23 verringert worden ist.
Ich meine, hier besteht noch gesetzgeberischer Handlungsbedarf, der sich in dieser Periode aber nicht mehr hat erledigen lassen. Ich erwarte, daß der nächste Bundesgesetzgeber in dieser Richtung tätig wird und zumindest die Zulassungskriterien lockert, damit nicht nur wenige die Möglichkeit haben, in diesen Bereichen mitzuwirken, und gerade durch eine entsprechende Erweiterung der Zulassungsmöglichkeiten eine effektivere rechtliche Beteiligung von Rechtsanwälten möglich wird.Ein letzter Aspekt, den ich im Zusammenhang mit der Novelle zur Bundesrechtsanwaltsordnung ansprechen möchte, betrifft die Tatsache, daß wir den Regierungsentwurf in einem Punkt wesentlich verbessert haben — das betrachte ich als einen wesentlichen Punkt unserer Tätigkeit im Rechtsausschuß —, nämlich in der Frage der demokratischen Beteiligung der Basis der Anwaltschaft. Es war vorgesehen, daß die Kammern die Mitglieder der Satzungsversamm-
Metadaten/Kopzeile:
20016 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Klaus-Heiner Lehnelung nur in Gestalt ihrer Kammerversammlung, zu denen im Schnitt aber vielleicht immer nur 4 oder 5 % der Anwaltschaft erscheinen, wählen. Wir haben durchgesetzt, daß — ähnlich wie bei den anwaltlichen Versorgungswerken — in Zukunft eine Briefwahl vorgesehen wird, so daß jeder Anwalt unmittelbar die Möglichkeit der Mitwirkung an der Satzungsversammlung hat, die durch ihre Satzungsbefugnis ganz entscheidend anwaltliches Berufsrecht im einzelnen quasi durch abgeleitete Gesetzgebungskompetenz regeln wird. Hier, glaube ich, ist es schon sehr wichtig, daß eine Erweiterung der Basis geschaffen wurde.Alles in allem, bin ich der Meinung, haben wir eine Reihe sehr, sehr guter Gesetze auf den Weg gebracht. Sie sind sicherlich in vielen Bereichen noch nachbesserungsbedürftig; aber das ist Aufgabe des nächsten Deutschen Bundestages.Wir haben unsere Aufgabe, ein neues Berufsrecht der Rechtsanwälte zu schaffen und die Kostengesetze entsprechend anzupassen, glaube ich, einvernehmlich und, ich hoffe, auch zur Zufriedenheit der Beteiligten gelöst.Ich darf mich für die Aufmerksamkeit bedanken.
Frau Präsidentin, ich muß noch auf eine Sache aufmerksam machen. Im Rahmen des Berichts hat sich der Druckfehlerteufel etwas eingeschlichen, und zwar hinsichtlich der Kostengesetze. Ich bin seitens des Ministeriums darauf aufmerksam gemacht worden, daß richtigerweise in Art. 1 Abs. 1 Nr. 7 Buchstabe b in der Fassung der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses § 13 Abs. 5 wie folgt gefaßt werden muß:Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 4 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, so ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.Hier ist eine Ziffer verwechselt worden. Im Bericht steht Absatz 3, es muß aber richtig Absatz 4 heißen.
Dies ist vollkommen klar. Das werden wir so berichtigen.
Ich erteile als nächstem dem Kollegen Joachim Gres das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Angehörigen der freien Berufe sind in Deutschland einem verstärkten Wettbewerb ausgesetzt. Große Unternehmen drängen auf Märkte, die bislang überwiegend von freiberuflich Tätigen und unabhängigen Dienstleistern abgedeckt werden. Ich will hier als Beispiel nur den Baubereich nennen, in dem Generalunternehmer mit ihren Angeboten die freiberuflichen und unabhängigen Architekten und beratenden Ingenieure zunehmend bedrängen. Das von Freiberuflern verlangte Wissen und Know-how wird zudem immer komplexer, und die regionale und interprofessionelle Zusammenarbeit spielt eine immer größere Rolle.Außerdem wird der allgemeine Dienstleistungsmarkt nach Abschluß der Uruguay-Runde weiterliberalisiert werden, mit all den Chancen, aber auch Herausforderungen und Risiken für die Angehörigen der freien Berufe in Deutschland. Schließlich ergeben sich auf Grund der notwendigerweise größer werdenden Organisationseinheiten der Freiberufler oftmals nur noch schwer lösbare Haftungsprobleme.Vor dem Hintergrund all dieser Entwicklungen begrüße ich es sehr, daß wir — nach mehreren vergeblichen Anläufen in den vergangenen Legislaturperioden — heute das neue Partnerschaftsgesellschaftsgesetz verabschieden werden.
Das Partnerschaftsgesellschaftsgesetz ist insbesondere aus folgenden Überlegungen wichtig:Erstens. Die möglichen Formen der Zusammenarbeit bei Angehörigen der freien Berufe sind derzeit noch beschränkt. Einerseits gibt es die traditionelle Rechtsform der BGB-Gesellschaft, die allerdings eine rechtlich nur wenig verfestigte und nicht dauerhafte Innenstruktur hat und die insbesondere bei Personenwechsel regelmäßig zu erheblichen Friktionen führt. Die mit ihr verbundene grundsätzlich unbeschränkte persönliche und solidarische Haftung der einzelnen Mitglieder einer BGB-Gesellschaft ist überdies im Hinblick auf die sich bildenden großen Praxen, Kanzleien und sonstigen Zusammenarbeitsformen nicht mehr angemessen.Auf der anderen Seite gibt es die Personenhandelsgesellschaften und die Kapitalgesellschaften, die zwar einzelnen Gruppen von freien Berufen offenstehen, die aber von vielen Freiberuflern nicht gewollt werden, weil sie mit den Wesensmerkmalen ihrer Berufe nicht vereinbar sind.Zweitens. Die Partnerschaftsgesellschaft schließt diese Lücke zwischen dem Zuwenig der BGB-Gesellschaft und dem Zuviel der Kapitalgesellschaft durch eine nur den Angehörigen freier Berufe zugängliche Personengesellschaft.Dabei stellt das Recht der OHG den Rechtsrahmen für diese Partnerschaftsgesellschaft zusammen. Die Partnerschaftsgesellschaft ist vor allem namensrechtsfähig, grundbuchfähig, kann klagen und verklagt werden, und in ihr Vermögen kann vollstreckt werden. Für die Verbindlichkeiten der Partnerschaft haftet das Partnerschaftsvermögen, und neben diesem haften grundsätzlich die Partner als Gesamtschuldner.In Abweichung von den allgemein geltenden OHG-Regelungen hat die Partnerschaftsgesellschaft aber einige Anpassungen an die Besonderheiten der freiberuflichen Tätigkeit erfahren. Das ist auch richtig so.Die Zugehörigkeit zur Partnerschaftsgesellschaft ist auf Freiberufler beschränkt, die ihren Beruf in der Partnerschaft auch aktiv ausüben.Der Rechtsausschuß hat dabei in den im Gesetz ausdrücklich aufgeführten Katalog freier Berufe die hauptberuflich tätigen Sachverständigen aufgenommen. Das sind meiner Meinung nach diejenigen Sachverständigen, die zumindest 70 % ihrer Berufseinkünfte aus der Gutachtertätigkeit erzielen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 20017
Joachim GresBei der Frage der Haftung der Partnerschaftsgesellschaft gegenüber Dritten konnte eine gesetzliche Konzentration der Haftung auf das Vermögen der Partnerschaftsgesellschaft und des verantwortlichen Partners nicht erreicht werden. Das Gesetz sieht daher nur vor, daß mittels vorformulierter Vertragsbedingungen die Haftung — neben dem Partnerschaftsvermögen — auf diejenigen Partner beschränkt werden kann, die innerhalb der Partnerschaft die berufliche Leistung zu erbringen und verantwortlich zu leiten oder zu überwachen haben.Es bleibt abzuwarten, in welchen Berufsbereichen von derartigen vorformulierten Vertragsbedingungen Gebrauch gemacht werden wird oder Gebrauch gemacht werden kann. Insbesondere bei interprofessionellen Partnerschaften oder bei Partnerschaften zwischen räumlich weit voneinander entfernt operierenden Partnern ist diese Haftungskonzentration mittels vorformulierter Bedingungen eine möglicherweise wichtige und brauchbare Hilfe durch das neue Gesetz. Sollte sich in der Praxis allerdings zeigen, daß die jetzt vorgesehenen Haftungskonzentrationsmöglichkeiten nicht ausreichen, wird im neuen Bundestag in der nächsten Legislaturperiode über eine entsprechende Novellierung nachzudenken sein.Es sei nochmals darauf hingewiesen, daß die Rechtsform der Partnerschaftsgesellschaft nur ein Angebot ist, nur eine Ergänzung zu den möglichen Formen der freiberuflichen Berufsausübung, also keineswegs ein Zwangskorsett. Jeder Angehörige eines freien Berufes soll für sich selbst entscheiden können, in welcher Rechtsform er sich mit anderen Partnern zusammenschließen will.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend feststellen: Die freien Berufe haben in Deutschland eine große und steigende Bedeutung. Zur Zeit beträgt in Deutschland die Zahl der freiberuflich Tätigen und ihrer Mitarbeiter in allen Praxen, Kanzleien, Büros und Ateliers zusammengenommen mehr als 2 Millionen Menschen. Das sind 50 % mehr als im Jahr 1977.Mit dem Partnerschaftsgesellschaftsgesetz werden den Angehörigen der freien Berufe neue und angemessene rechtliche Rahmenbedingungen für die interprofessionelle, überregionale und auch grenzüberschreitende Zusammenarbeit angeboten. Damit ist die Möglichkeit eröffnet, daß die freien Berufe ihr Terrain im liberalisierten europäischen Markt nicht nur halten, sondern auch erweitern können. Dies dient der weiteren Verbesserung des Wirtschaftsstandorts Deutschland und seiner mittelständischen Strukturen.Alles in allem: Der heutige Tag ist ein guter Tag für die freien Berufe in Deutschland.Ich danke Ihnen.
Als nächster spricht der Kollege Dr. Bernd Protzner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich darf mich meinem Vorredner anschließen: In der Tat ist es heute einguter Tag für die freien Berufe, gerade wenn man auf die letzte Woche zurückblickt, in der wir bereits das Steuerberatergesetz verabschiedet haben, und wenn wir heute auch das Dritte Gesetz zur Änderung der Wirtschaftsprüferordnung verabschieden.Wir schaffen hier Klarheit für die freien Berufe, Klarheit im Interesse der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes. Denn gerade die Angehörigen der freien Berufe, über deren Berufsordnung wir heute verhandeln, sind damit beschäftigt, dem Bürger in der Auseinandersetzung mit dem Staat und seinen Gesetzen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, ihn bei Steuern, Abgaben, Wirtschafts- und Handelsgesetzen zu beraten.Klarheit für die freien Berufe ist gerade in einer Zeit notwendig, in der in unserer Gesellschaft ein sehr schmaler Grat beschritten wird, was die zukünftige Größe des staatlichen Sektors und der staatlichen Einflußnahme sowie die zukünftige Größe der Freiheit der Bürger, der Bürgervereinigungen und der Unternehmen betrifft.Ziel ist aber nicht nur Klarheit in rechtlichen Fragen — wie der angesprochenen Haftungsfrage oder hier im Bereich der Wirtschaftsprüfer —, sondern vor allem auch in der Frage des Datenschutzes, die mit diesem Gesetz geregelt worden ist. Ziel ist auch eine Stärkung der Wirtschaftsprüfer und der einzelnen Kanzleien durch detaillierte Neuregelungen und Ergänzungen in dem Gesetz.Hier gibt es als erstes Klarheit beim Berufszugang für die Wirtschaftsprüfer. Es gibt zum zweiten endlich auch die Möglichkeit, mit der Tätigkeit der Wirtschaftsprüfer vereinbare Berufstätigkeiten auszuüben. Es gibt drittens die Stärkung der einzelnen Kanzleien, und zwar der Einzelgesellschaften, durch die Unterhaltung von Zweigniederlassungen an anderen Orten, wie es bereits bei anderen freien Berufen möglich ist. Es gibt viertens die Möglichkeit der gemeinsamen Berufsausübung, auch von Wirtschaftsprüfern, mit Angehörigen anderer freier Berufe. Es gibt fünftens die Stärkung der Kommunikation über die Berufstätigkeit, sofern es hier keine standeswidrige Werbung umfaßt. Es gibt sechstens eine klare, auch so vom Verfassungsgericht verlangte Regelung über die Zuständigkeit von statusrechtlichen Fragen über die Berufssatzung, die in der Zuständigkeit der Kammer geregelt wird.Damit wird insgesamt die Position der Wirtschaftsprüfer gestärkt. Mit dem vorliegenden Gesetzespaket wird die Position der freien Berufe gestärkt. Auch der Wirtschaftsstandort Deutschland wird gestärkt, insbesondere als Dienstleistungsstandort. Den Wirtschaftsprüfern und den anderen freien Berufen in Deutschland wird das ermöglicht, was die Kollegen im europäischen Ausland schon länger dürfen und was ihnen ungerechtfertigte Wettbewerbsvorteile verschafft hat. Wir sorgen hier im Interesse starker freier Berufe und damit im Interesse unserer Bürger für Wettbewerbschancen.Herzlichen Dank.
Metadaten/Kopzeile:
20018 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Nun spricht Frau Ministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am Ende dieser Debatte darf auch ich noch einmal hervorheben, daß heute ein wichtiger Tag für die freien Berufe ist, denn mit den drei Gesetzen — sie sind schon unterschiedlich intensiv bewertet und erörtert worden — werden der Rechtsanwaltschaft zeitgemäße berufliche Bedingungen an die Hand gegeben. Aber auch die Möglichkeiten und die Gestaltungsspielräume bei der Berufsausübung für die Angehörigen anderer freier Berufe werden maßgeblich erweitert.Fast sieben Jahre nach der bahnbrechenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1987 bringt der Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte die mit dieser Entscheidung ausgelöste intensive und teilweise auch sehr heftige Diskussion innerhalb der Anwaltschaft zu einem, wie ich meine, guten parlamentarischen Abschluß. Ich darf mich deshalb auch an dieser Stelle bei den Kolleginnen und Kollegen im Rechtsausschuß ganz herzlich bedanken, die dieses Gesetzespaket wirklich sehr intensiv, sehr konstruktiv beraten haben. Ich glaube, es ist das Anliegen deutlich geworden, ein alle zufriedenstellendes Gesetzgebungsvorhaben zum Abschluß zu bringen. Dafür noch einmal mein besonderer Dank.Neben der verfassungsrechtlichen Vorgabe, wonach die statusbildenden Normen vom Gesetzgeber selbst stammen müssen, stehen für mich zwei weitere Zielsetzungen im Vordergrund. Die Rechtsanwaltschaft erhält erstmals in ihrer Geschichte eine eigene umfassende Satzungskompetenz für eine Berufsordnung. Der in unserer Gesellschaft wichtige Gedanke der Selbstverwaltung, der gerade dem Grundsatz der Berufsfreiheit entspringt, wird damit gestärkt. Ich bin der Überzeugung, daß die Anwaltschaft ihre Satzungskompetenz als ein kreatives Gestaltungsinstrument nutzt und gerade dadurch die Institution des freien und unabhängigen Rechtsanwalts im Interesse des rechtssuchenden Bürgers stärken wird.Der Gesetzentwurf hat auch das wichtige Ziel, ein gewandelten Anforderungen und Auffassungen entsprechendes zukunftsweisendes Berufsrecht zu schaffen. Der Trend zu größeren, auch internationalen Sozietäten und die sich intensivierenden internationalen Wirtschaftsbeziehungen erhöhen und verändern die Anforderungen an eine anwaltliche Beratung und Vertretung.Ein modernes Berufsrecht muß deshalb z. B. durch die Regelungen zur überörtlichen und übernationalen Sozietät oder zur Zusammenarbeit mit den Angehörigen anderer Berufe dafür Sorge tragen, daß die Anwaltschaft im Wettbewerb mit anderen rechtsberatenden Berufen, aber auch gerade im internationalen Wettbewerb bestehen kann. Auch deshalb ist es so wichtig, daß wir diese Gesetze heute hier verabschieden und damit nicht in eine neue Legislaturperiode gehen müssen, denn jetzt haben wir die Möglichkeiten, zu gestalten und nicht nur auf Entwicklungen zu reagieren, die sowieso auf uns zukommen werden.Deshalb ist auch die Beseitigung der Beschränkung der Postulationsfähigkeit auf den Landgerichtsbezirk der Zulassung ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Dazu ist hier schon vieles gesagt worden. Frau von Renesse, Sie haben ja gerade auch den so wichtigen Gesichtspunkt betont, wie das mit Anwälten aussieht, die nicht in Ballungsräumen tätig sind. Wie kann auch künftig sichergestellt werden, daß dem rechtssuchenden Bürger hier auch eine Anwaltschaft gegenübersteht, die seinen Anliegen und auch seinen berechtigten Ansprüchen gerecht werden kann?Ich bin nach wie vor davon überzeugt, daß der Weg richtig ist, den wir mit diesem Gesetzentwurf beschritten haben, und ich bin froh, daß eben von seiten der Bundesregierung dieser Vorschlag, der ja nun wirklich zu den umstrittensten gehört hat, in den Gesetzentwurf aufgenommen worden ist.Ich hoffe, daß die Bedenken, die ja in den Ländern zum Teil noch bestehen, doch überwunden werden können und daß dieses Gesetz dann doch im wesentlichen so, wie wir es jetzt hier beraten und verabschieden werden, die notwendige Zustimmung bei den Beratungen und bei der Beteiligung der Länder bekommen wird.Alles haben wir mit diesem Entwurf nicht regeln können. Ich nenne hier nur das Stichwort Singular-und Simultanzulassung beim Oberlandesgericht, auch die gerade von Ihnen, Herr Eylmann, schon dargelegte Problematik. Der Regierungsentwurf ging den zaghaften Weg, hier eine Öffnungsklausel vorzusehen, um den Ländern zu ermöglichen, auf Grund ihrer eigenen Erfahrungen die Zulassungsfrage selbst zu regeln. Dieser Vorschlag hat in den Beratungen des Rechtsausschusses so schnell keine Mehrheit gefunden, aber ich teile die hier schon geäußerte Auffassung, daß die Diskussion zu diesen wie auch zu einigen anderen Punkten noch nicht endgültig abgeschlossen ist.Das kommende Berufsrecht wird sich bewähren müssen. Gleichzeitig wird es aber auch weiterentwikkelt werden können. Das ist bestimmt gerade in den vor uns liegenden Jahren eine wichtige Aufgabe.Im Zusammenhang mit der Berufsrechtsreform steht auch die neue Partnerschaftsgesellschaft, die ja nun für alle freien Berufe von größter Bedeutung ist. Herr Gres, Sie haben schon die wichtigsten Merkmale dieser weiterentwickelten und damit angepaßten, ansprechenden und angemessenen Gesellschaftsreform für die freien Berufe herausgestellt.Wir können es unseren freien Berufen nicht länger zumuten, sich in einer modernen Dienstleistungsgesellschaft im europäischen Binnenmarkt einer auch international schärfer werdenden Konkurrenz mit einer unzureichenden Rechtsform stellen zu müssen, und das ist ja die BGB-Gesellschaft, so wie wir sie in den vergangenen Jahren entwickelt haben. Deshalb ergeht hier das Angebot der Möglichkeit an die freien Berufe, eine rechtsfähige Personengesellschaft zu bekommen, die den persönlichen Charakter der Zusammenarbeit des Freiberuflers mit seinen Mandanten oder Patienten wahrt und zugleich den Anforderungen an eine moderne und flexible Gesellschaftsform entspricht.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 20019
Bundesministerin Sabine Leutheusser-SchnarrenbergerSie haben es genannt, Herr Gres: Diese Partnerschaft ist grundbuchfähig, namensfähig, parteifähig, rechtsfähig, und sie ist nicht nur ein geeigneter, sondern im Grunde der ideale Unternehmensträger für unsere freien Berufe.Angesichts der Pluralität der freien Berufe ist es eine nicht zu unterschätzende Anerkennung, daß wir hier doch breite Zustimmung aus deren Kreisen gerade zu dieser Gesellschaftsform erfahren haben. Es hat mich dabei auch sehr beeindruckt, daß unsere freien Berufe unvermindert an einem hohen Berufsethos festhalten. Gerade von den klassischen freien Berufen wurde deshalb die Personengesellschaft der Kapitalgesellschaft vorgezogen, und das, obwohl damit die grundsätzliche persönliche Haftung aller Partner verbunden ist. Wir haben das respektiert, und wir haben das gerne respektiert.Das persönliche Einstehen für sein Handeln ist gerade für den Anwalt und für den Arzt immer noch eine Selbstverständlichkeit.Die Möglichkeiten, hier auch die Konzentration der Haftung auf den oder die handelnden Partner vorzusehen, ist schon erwähnt worden; ich halte das für den richtigen Schritt und auch für eine notwendige Ausgestaltung dieser Gesellschaftsform.Zu zeitgemäßen beruflichen Bedingungen für Rechtsanwälte gehört allerdings auch — da sind wir uns alle einig — die Anpassung ihrer seit dem 1. Januar 1987 unveränderten Gebühren. Seit sieben Jahren sind gerade die Anwälte von den zwischenzeitlich eingetretenen beträchtlichen Kostensteigerungen betroffen, die kontinuierlich zu Lasten ihres Einkommens gegangen sind.Mit den Anwaltsgebühren sollen aber nicht nur die Entschädigungssätze für Sachverständige, ehrenamtliche Richter und Zeugen, sondern auch die Gerichtsgebühren steigen. Das war ein Kompromiß und notwendig, um die Zustimmung der Länder zu bekommen und um die mit anderen Regelungen einhergehende zusätzliche Belastung für die Länderhaushalte aufzufangen und den Zuschußbedarf für die Justizressorts in den Ländern zu verringern. Die immer knapper werdenden Ressourcen der Justiz, die auch immer wieder Anlaß zu neuen Versuchen geben, durch Änderung verfahrensrechtlicher Vorschriften Entlastungen zu bewirken, müssen sparsam und effektiv genutzt werden. Deshalb haben wir ja auch Vorschläge in die Kostengesetze aufgenommen, die dazu führen sollen, daß nicht nur die Berechnungen vereinfacht, sondern daß auch Anreize geboten werden, häufiger als bisher zu einer außergerichtlichen Streitbeilegung zu kommen.Ich halte die Schaffung einer pauschalen Verfahrensgebühr für Zivilsachen erster Instanz für richtig und für einen ersten Schritt, das Kostenrecht zu vereinfachen. Wenn sich diese pauschale Verfahrensgebühr bewähren sollte, könnte das ja auch ein Vorbild für weitere Überlegungen in anderen Instanzen und bei anderen Verfahrensarten sein.Der Rechtsausschuß ist ja, besonders was die Rechtsanwaltsgebühren betrifft, einstimmig zu demErgebnis gekommen, über die Vorschläge des Regierungsentwurfs hinauszugehen. Er hat Anhebungen genau in der für angemessen gehaltenen Größenordnung des Referentenentwurfs empfohlen, den ich schon im Januar vergangenen Jahres vorgelegt hatte.Ich glaube, am Schluß dieser Debatte können wir sagen, daß wir die wirklich notwendigen gesetzgeberischen Arbeiten jetzt geleistet haben, damit die freien Berufe und die Anwaltschaft den Herausforderungen in den nächsten Jahren auf europäischer und internationaler Ebene gewachsen sind.Vielen Dank.
Das Wort als Berichterstatter zur Korrektur eines weiteren Druckfehlers erhält der Kollege Dr. Bernd Protzner.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Auf Seite 17 der Drucksache 12/7648 hat sich unter Ziffer 6 „Beschlüsse des 9. Ausschusses" offenkundig ein Schreibfehler eingeschlichen. Dort wird von „vereidigten Rechtsprüfern" gesprochen. Es sind natürlich vereidigte Buchprüfer gemeint. Ich bitte, „Rechts" durch „Buch" zu ersetzen.
Darf ich gleich fragen, ob darüber Einverständnis besteht? — Das scheint der Fall zu sein.Nachdem mir weitere Wortmeldungen nicht vorliegen, können wir zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung von Kostengesetzen und anderer Gesetze auf den Drucksachen 12/6962 und 12/7657 kommen. Dazu wurden Berichtigungen von zwei Druckfehlern durch zwei Berichterstatter vorgetragen. Diesen Berichtigungen wurde bereits zugestimmt.Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung mit den gerade erwähnten zwei Änderungen zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung bei einer Stimmenthaltung einstimmig angenommen.Wir kommen nun zurdritten Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist damit auch in dritter Beratung bei einer Stimmenthaltung einstimmig angenommen.Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 3 b und der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte auf den Drucksachen 12/4993 und 12/7656. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
Metadaten/Kopzeile:
20020 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Vizepräsidentin Renate Schmidtschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen.Damit kommen wir zurdritten Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung einstimmig angenommen.Wir kommen mm zum Tagesordnungspunkt 3 c und der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung der Wirtschaftsprüferordnung. — Jetzt habe ich an den Kollegen Berichterstatter Dr. Protzner die Frage, ob die Änderung, die Sie vorhin vorgetragen haben, diesem Gesetzentwurf gilt. — Wir haben im Entwurf also eine Änderung. Anstatt „Rechtsprüfer„ muß es „Buchprüfer" heißen.Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung mit den gerade vorgetragenen Änderungen zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist dieser Gesetzentwurf in zweiter Beratung einstimmig angenommen.Wir kommen zurdritten Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? — Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung einstimmig angenommen.Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 3 d und der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Schaffung von Partnerschaftsgesellschaften und zur Änderung anderer Gesetze auf den Drucksachen 12/6152 und 12/7642. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer möchte sich der Stimme enthalten? — Damit ist dieser Gesetzentwurf in zweiter Beratung bei zwei Stimmenthaltungen angenommen.Wir kommen zurdritten Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? — Wer möchte sich der Stimme enthalten? — Damit ist der Gesetzentwurf auch in dritter Beratung bei zwei Stimmenthaltungen einstimmig angenommen.Wir kommen nun zum Zusatzpunkt 1 und der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Patentgebührengesetzes auf den Drucksachen 12/5280 und 12/7634. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um dasHandzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung bei zwei Gegenstimmen angenommen.Wir kommen zurdritten Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer möchte dagegen stimmen? — Wer möchte sich der Stimme enthalten? — Damit ist der Gesetzentwurf auch in dritter Beratung bei zwei Gegenstimmen angenommen.Damit sind wir am Ende dieser Beratung.Ich rufe den Tagsordnungspunkt 14 a bis c und 14 e bis r sowie den Zusatzpunkt 2a und b auf:14. Überweisungen im vereinfachten Verfahrena) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung arbeitsrechtlicher Bestimmungen an das EG-Recht— Drucksache 12/7630 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Arbeit und Sozialordnungb) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes und anderer Gesetze— Drucksache 12/7686 —Überweisungsvorschlag: Finanzausschuß
InnenausschußAusschuß für Wirtschaft Haushaltsausschußc) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Werbung für Säuglingsanfangsnahrung und Folgenahrung
— Drucksache 12/7620 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Gesundheit Ausschuß für Frauen und Jugende) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 15. April 1994 zur Errichtung der Welthandelsorganisation— Drucksache 12/7655 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Wirtschaft RechtsausschußFinanzausschußHaushaltsausschuß gem. § 96 GO
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 20021
Vizepräsidentin Renate Schmidtf) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 23. April 1993 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über den Autobahnzusammenschluß im Raum Frankfurt/ Oder und Schwetig— Drucksache 12/7495 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Verkehr Auswärtiger AusschußFinanzausschußHaushaltsausschuß gemäß § 96 GOg) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 7. September 1993 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung Seiner Majestät des Sultans und Yang DiPertuan von Brunei Darussalam über den Luftverkehr— Drucksache 12/7496 — Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Verkehr Finanzausschußh) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 26. Mai 1993 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Thailand über die Überstellung von Straftätern und über die Zusammenarbeit bei der Vollstreckung von Strafurteilen— Drucksache 12/7497 —Überweisungsvorschlag: Rechtsausschußi) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 22. September 1992 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Kasachstan über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen— Drucksache 12/7502 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Wirtschaftj) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 31. Oktober 1991 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Albanien über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen— Drucksache 12/7503 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Wirtschaftk) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsunfallstatistikgesetzes— Drucksache 12/7522 —Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Verkehr1) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1995
— Drucksache 12/7647 —
Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitHaushaltsausschußm) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europa-Abkommen vom 4. Oktober 1993 zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften sowie ihren Mitgliedstaaten und der Slowakischen Republik— Drucksache 12/7622 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Wirtschaft
Auswärtiger AusschußFinanzausschußAusschuß für Ernährung, Landwirtschaft und ForstenAusschuß für Arbeit und Sozialordnungn) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europa-Abkommen vom 4. Oktober 1993 zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften sowie ihren Mitgliedstaaten und der Tschechischen Republik— Drucksache 12/7621 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Wirtschaft
Auswärtiger AusschußFinanzausschußAusschuß für Ernährung, Landwirtschaft und ForstenAusschuß für Arbeit und SozialordnungAusschuß für GesundheitAusschuß für Post und Telekommunikationo) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS/ Linke Liste eingebrachten Entwurfs eines
Metadaten/Kopzeile:
20022 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Vizepräsidentin Renate SchmidtGesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes— Drucksache 12/7614 —Überweisungsvorschlag:Innenausschuß Rechtsausschußp) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerhard Neumann , Holger Bartsch, Dr. Eberhard Brecht, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDBezeichnung und Dienstgrad ehemaliger NVA-Soldaten— Drucksache 12/6566 —Überweisungsvorschlag:Verteidigungsausschuß Innenausschußq) Beratung des Antrags des Bundesministeriums der FinanzenEinwilligung gemäß § 64 Abs. 2 Bundeshaushaltsordnung in die Veräußerung des Schul- und Kindergartenareals in München, Perlacher Forst— Drucksache 12/7535 —Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschußr) Beratung des Antrags der Abgeordneten Andrea Lederer und der Gruppe der PDS/ Linke ListeÄnderung der §§ 20 und 22 des Ausländergesetzes — Orientierung am Wohl der Kinder und Jugendlichen— Drucksache 12/7579 —Überweisungsvorschlag:Innenausschuß
RechtsausschußAusschuß für Familie und Senioren Ausschuß für Frauen und JugendZP2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften der Lehrerbesoldung— Drucksache 12/7521 —Überweisungsvorschlag:Innenausschuß
Ausschuß für Bildung und Wissenschaftb) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 1994Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz 1994 — BBVAnpG 94)— Drucksache 12/7706 —Überweisungsvorschlag:Innenausschuß
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GODabei handelt es sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen.Der Gesetzentwurf zur Anpassung arbeitsrechtlicher Bestimmungen an das EG-Recht auf Drucksache 12/7630 — Tagesordnungspunkt 14a — soll dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung überwiesen werden. Der Gesetzentwurf zu dem Abkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation auf Drucksache 12/7655 — Tagesordnungspunkt 14e — soll zur federführenden Beratung dem Ausschuß für Wirtschaft und zur Mitberatung dem Rechtsausschuß und dem Finanzausschuß sowie dem Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen werden.Sind Sie damit einverstanden?
— Das ist ja wunderbar. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Wollen Sie Tagesordnungspunkt 15 jetzt auch noch vor der Fragestunde abschließend beraten?
— Wunderbar.
— Ach, ich mache das lieber schnell. Ihr müßt halt zuhören. Ihr habt ja eure Vorlagen da.Ich rufe Punkt 15a bis k der Tagesordnung auf: Abschließende Beratungen ohne Aussprachea) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Schornsteinfegergesetzes— Drucksache 12/5928 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 12/7649 —Berichterstattung: Abgeordneter Ernst Hinskenb) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Apothekenrechts und berufsrechtlicher Vorschriften an das Europäische Gemeinschaftsrecht— Drucksachen 12/7211, 12/7618 —
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 20023
Vizepräsidentin Renate SchmidtBeschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit
— Drucksache 12/7703 —Berichterstattung:AbgeordneterKarl Hermann Haack
c) — Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 13. Januar 1993 über das Verbot der Entwicklung, Herstellung, Lagerung und des Einsatzes chemischer Waffen und über die Vernichtung solcher Waffen
— Drucksachen 12/7206, 12/7529 —
— Drucksachen 12/7207, 12/7617 —
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses
— Drucksache 12/7712 —Berichterstattung:AbgeordnetePeter Kurt WürzbachKarsten D. Voigt Ulrich Irmerbb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksachen 12/7713, 12/7714 —Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Klaus RoseDr. Sigrid Hoth Ernst Waltemathed) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen über Vergleichs- und Schiedsverfahren innerhalb der KSZE— Drucksache 12/7137 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses
— Drucksache 12/7702 —Berichterstattung:Abgeordnete Peter Kurt Würzbach Markus MeckelUlrich Irmere) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Paul Breuer, Jürgen Augustinowitz, Dr. Karl-Heinz Hornhues, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie den Abgeordneten Günther Friedrich Nolting, Ulrich Irmer, Dr. Werner Hoyer, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Erfassungs- und Musterungsverfahrens— Drucksache 12/7007 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses
— Drucksache 12/7623 —Berichterstattung:Abgeordnete Jürgen Augustinowitz Dieter Heistermannf) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 18. Juni 1993 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Kuba über den Luftverkehr— Drucksache 12/6972 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr
— Drucksache 12/7578 —Berichterstattung: Abgeordneter Ferdi Tillmanng) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 5. April 1993 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Lettland über den Luftverkehr— Drucksache 12/7189 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr
— Drucksache 12/7580 —Berichterstattung: Abgeordneter Ferdi Tillmann
Metadaten/Kopzeile:
20024 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Vizepräsidentin Renate Schmidth) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministeriums für WirtschaftRechnungslegung über das Sondervermögen des Bundes nAusgleichsfonds zur Sicherung des Steinkohleneinsatzes" — Wirtschaftsjahr 1992 —— Drucksachen 12/6533, 12/7441 —Berichterstattung:Abgeordnete Kurt J. RossmanithDr. Wolfgang Weng
Uta Titze-Stecheri) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 85/611/EWG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlage in Wertpapieren— Drucksachen 12/4797 Nr. 3.4, 12/7670 —Berichterstattung:Abgeordneter Dr. Norbert Wieczorekj) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Anlegerentschädigungssysteme— Drucksachen 12/6902 Nr. 2.3, 12/7653 —Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Karl H. Fell Dr. Norbert Wieczorekk) Beratung der Beschlußempfehlung und desPetitionsausschusses
Sammelübersicht 152 zu Petitionen— Drucksache 12/7581 —Es handelt sich um die Beschlußfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 15 a: Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Schornsteinfegergesetzes auf den Drucksachen 12/5928 und 12/7649. Dazu liegt ein Änderungsantrag des Abgeordneten Dr. Fritz Schumann vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Damit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt.Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei einer Gegenstimme angenommen.Wir kommen nun zurdritten Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer möchte dagegen stimmen? — Wer möchte sich der Stimme enthalten? — Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung bei einer Gegenstimme angenommen. Ich wünsche uns allen viel Glück in diesem Fall.Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 15 b: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Anpassung des Apothekenrechts und berufsrechtlicher Vorschriften an das Europäische Gemeinschaftsrecht auf den Drucksachen 12/7211, 12/7618 und 12/7703.Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung bei einer Enthaltung einstimmig angenommen.Ich komme zurdritten Beratungund Schlußabstimmung und bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. —Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme?— Damit ist der Gesetzentwurf auch in dritter Beratung bei einer Enthaltung einstimmig angenommen.Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/7711. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? — Wer stimmt gegen diesen Entschließungsantrag? — Wer enthält sich der Stimme? — Damit ist dieser Entschließungsantrag abgelehnt.Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 15 c: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Chemiewaffenübereinkommen auf den Drucksachen 12/7206 und 12/7529. Der Auswärtige Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/7712 Buchstabe a, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Damit ist dieser Gesetzentwurf einstimmig angenommen.Wir kommen nun zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Ausführungsgesetzes zum Chemiewaffenübereinkommen auf den Drucksachen 12/7207, 12/7617 und 12/7712 Buchstabe b. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen?— Wer enthält sich der Stimme? — Auch dieser Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen.Wir kommen damit zurdritten Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Damit ist auch in dritter Beratung dieser Gesetzentwurf einstimmig angenommen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 20025
Vizepräsidentin Renate SchmidtWir kommen zu Tagesordnungspunkt 15 d: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Übereinkommen über Vergleichs- und Schiedsverfahren innerhalb der KSZE auf Drucksache 12/7137. Der Auswärtige Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/7702, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Auch dieser Gesetzentwurf ist damit einstimmig angenommen.Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 15 e: Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/ CSU und F.D.P. eingebrachten Gesetzentwurf zur Neuordnung des Erfassungs- und Musterungsverfahrens auf Drucksache 12/7007. Der Verteidigungsausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/7623, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Damit ist dieser Gesetzentwurf in zweiter Beratung bei einer Gegenstimme angenommen.Wir kommen zurdritten Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung bei einer Gegenstimme angenommen.Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 15 f: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Übereinkommen mit der Republik Kuba über den Luftverkehr auf der Drucksache 12/6972. Der Ausschuß für Verkehr empfiehlt auf Drucksache 12/7578, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Damit ist dieser Gesetzentwurf einstimmig angenommen.Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 15 g: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Abkommen mit der Republik Lettland über den Luftverkehr auf der Drucksache 12/7189. Der Ausschuß für Verkehr empfiehlt auf Drucksache 12/7580, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Damit ist auch dieser Gesetzentwurf einstimmig angenommen.Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 15 h: Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zur Rechnungslegung über das Sondervermögen des Bundes „Ausgleichsfonds zur Sicherung des Steinkohleneinsatzes" im Wirtschaftsjahr 1992 auf den Drucksachen 12/6533 und 12/7441. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Wer möchte sich enthalten? — Damit ist diese Beschlußempfehlung angenommen.Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 15 i: Beschlußempfehlung des Finanzausschusses zu demRichtlinienvorschlag der EG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für Wertpapiere auf der Drucksache 12/7670. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt gegen diese Beschlußempfehlung? — Wer enthält sich der Stimme? — Damit ist diese Beschlußempfehlung bei einer Enthaltung einstimmig angenommen.Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 15 j: Beschlußempfehlung des Finanzausschusses zu dem Richtlinienvorschlag der EG über die Anlegerentschädigungssysteme auf Drucksache 12/7653. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Damit ist bei einer Stimmenthaltung diese Beschlußempfehlung angenommen.Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 15 k: Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 12/7581. Das ist die Sammelübersicht 152. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Damit ist auch diese Beschlußempfehlung bei einer Stimmenthaltung angenommen.Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 1 auf: Fragestunde— Drucksache 12/7632 —
Mir ist soeben gesagt worden, daß der Zeitraum für die Fragestunde möglicherweise nicht ausgenutzt wird. Dann würden wir den nächsten Tagesordnungspunkt eine Viertelstunde früher aufrufen.
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie und Senioren. Die Beantwortung erfolgt durch die Parlamentarische Staatssekretärin Roswitha Verhülsdonk.
Wir kommen zur Frage 1 der Abgeordneten Christa Lörcher:
Wie viele Ausbildungsplätze für qualifizierte Pflegekräfte gibt es derzeit in den einzelnen Bundesländern/in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt, und gibt es genügend Interessierte für diese Ausbildungsplätze?
Frau Kollegin Lörcher, der Bundesregierung liegen keine gesicherten Zahlen über die Ausbildungsplätze in der Altenpflege vor. 1993 ist das Bundesministerium für Familie und Senioren von der Annahme ausgegangen, daß es etwa 25 000 Altenpflegeschüler gibt, davon etwa 16 000 in den alten und etwa 9 000 in den neuen Bundesländern. Bisher gibt es genügend Interessierte für das vorhandene Ausbildungsangebot der Altenpflegeschulen.Über die Ausbildung in der Heilerziehungspflege, der Haus- und Familienpflege sowie zur Dorfhelferin sind keine Zahlen verfügbar.Nach den dem Bundesministerium für Gesundheit vorliegenden letzten Zahlen befanden sich am 31. Dezember 1992 in der Ausbildung zu Krankenschwestern und Krankenpflegern 55 884 Personen, zu Kinderkrankenschwestern und Kinderkrankenpflegern
Metadaten/Kopzeile:
20026 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Parl. Staatssekretärin Roswitha Verhülsdonk8 033 Personen und zu Krankenpflegehelfern 4 542 Personen.Diese Zahlen stellen allerdings die gesamten Schülerzahlen aller drei Ausbildungsjahre dar, soweit sie sich auf die Ausbildung in der Krankenpflege bzw. Kinderkrankenpflege beziehen. Sie beschränken sich auf Erhebungen in lediglich 12 Bundesländern. Von den Ländern Hessen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen liegen uns keine Zahlen vor. Sie sind also in diesen Zahlen nicht enthalten, so daß eine Gesamtzahl für die Bundesrepublik derzeit nicht genannt werden kann.Frau Kollegin, mir liegt eine Tabelle vor, in der eine Aufstellung von den zwölf Ländern enthalten ist, von denen wir Zahlen über Schüler in der Ausbildung in der Krankenpflege, Kinderkrankenpflege und Krankenpflegehilfe haben. Es würde lange dauern, wenn ich die Tabelle jetzt vorläse. Wenn Sie einverstanden sind, lasse ich sie im Protokoll mit abdrucken.*)Die für die Kinderkrankenpflege genannten Zahlen beziehen sich auf die Gesamtschülerzahlen der jeweils dreijährigen Ausbildungen. Das heißt, sie umfassen die Schüler aller drei Ausbildungsjahrgänge. Man kann also keine Prognose vorhersagen, wie viele von denen tatsächlich die Ausbildung völlig abschließen und hinterher in den Beruf gehen werden.Sie haben auch noch gefragt, wie es mit den freien Ausbildungsplätzen ist. Dazu kann ich Ihnen sagen, daß diese nur gelegentlich in Ballungsgebieten als frei beobachtet werden.Generell ist zur Zeit wieder ein stärkeres Interesse an der Ausbildung im Bereich der Krankenpflege zu verzeichnen. Das hat sicher auch etwas damit zu tun, daß in den letzten Tarifrunden wesentliche Verbesserungen erreicht worden sind.
Danke schön, Frau Staatssekretärin. — Eine Nachfrage: Welche Überlegungen hat es während der Verhandlungen zur Pflegeversicherung gegeben, um die Attraktivität der Pflegeberufe zu steigern, damit eine menschenwürdige Pflege nicht nur heute, sondern auch in Zukunft möglich sein wird?
Frau Kollegin, ich nehme an, daß Sie vom Fach sind. Dann ist Ihnen auch bekannt, daß von vielen Ländern seit langem die Bemühung unterstützt wird, ein Altenpflegegesetz auf Bundesebene als Rahmengesetz zu schaffen. Das ist bisher nicht zustande gekommen, weil es von einigen Bundesländern immer noch verfassungsrechtliche Einwände gibt.
Ich nehme an, daß Ihnen auch bekannt ist, daß in der Sitzung des Bundesrates am vergangenen Freitag ein Gesetzentwurf, der in weiten Teilen mit der Vorlage meines Hauses textidentisch ist, eine Mehrheit in den Bundesländern gefunden hat. Das heißt, das Haus wird mit dieser Frage wieder befaßt werden. Mein Haus wird zu dieser Vorlage der Bundesländer eine Stellungnahme anzufertigen haben.
*) Anlage 3
Zusatzfrage.
Danke schön. — Ich habe noch eine ganz andere Zusatzfrage: Wie hoch ist der Anteil an qualifizierten Fachkräften mit ausländischer Nationalität, und sind Sie mit mir der Meinung, daß da ein großes Potential für zukünftige Pflegekräfte vorhanden ist, daß dann aber gute Sprachkenntnisse und eine qualifizierte Ausbildung notwendig sind?
Ich kann Ihnen die Frage konkret nicht beantworten. Ich habe Ihnen soeben schon über die Datenlage Auskunft gegeben. Sie wissen, daß es im Bereich der Altenpflege auch private Ausbildungsstätten gibt, zum Teil solche, in denen man noch gegen Entgelt ausgebildet werden kann und womit die Länder nicht befaßt sind. Deswegen ist die Datenlage so schlecht.
Sie wissen auch, daß die Qualität der Ausbildung in den einzelnen Ausbildungsstätten unterschiedlich ist, nicht nur hinsichtlich der Dauer, sondern auch hinsichtlich der Inhalte der Ausbildung und der Inhalte der Prüfung. Deswegen ist es notwendig, ein einheitliches Berufsbild für den Beruf der Altenpflege zu bekommen.
Bei der Krankenpflege ist die Lage anders. Da ist Ihnen bekannt, daß wir in Jahren des Mangels an Krankenschwestern hervorragende Erfahrungen mit ausländischen Krankenschwestern gemacht haben, nicht nur solchen aus dem europäischen Sprachraum, sondern auch solchen aus Ostasien, und daß die Sprachbarriere — jedenfalls auf mittlere Sicht — kein so großes Problem gewesen ist. Ich gehe wie Sie davon aus, daß wir künftig mehr ausländische Männer und Frauen in diesen Berufen finden werden.
Während der Beratung des Pflegeversicherungsgesetzes ist von seiten der Bundesregierung nichts unternommen worden, da sie keine eigene Zuständigkeit hat, aber in den Ländern ist das eine oder andere geschehen. Ich weiß auch, daß einige Bundesländer im Warten auf eine bundesgesetzliche Rahmenregelung inzwischen selber Gesetze erlassen haben, z. B. Nordrhein-Westfalen.
Ist damit schon die Frage 2 beantwortet?
Nein, Frau Präsidentin, die richtet sich auf einen anderen Tatbestand. Darf ich gleich mit der Antwort beginnen?
Dann rufe ich die Frage 2 der Abgeordneten Christa Lörcher auf:
Mit welchem zusätzlichen Bedarf an Pflegekräften rechnet die Bundesregierung in den Jahren 1995 und 1996 nach Einführung der Pflegeversicherung im ambulanten und stationären Bereich, und welche Kapazitätserweiterung bei den Ausbildungseinrichtungen ist dafür nötig?
Bitte schön.
Frau Kollegin Lörcher, die Pflegeversicherung wird eine verstärkte Nachfrage nach Pflegekräften vor allem in der ambulanten Pflege auslösen. Sie erreicht mit ihren Sach- oder Geldleistungen oder ihren Kombinations-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 20027
Parl. Staatssekretärin Roswitha VerhülsdonkLeistungen in der ambulanten Pflege etwa 1,2 Millionen Pflegebedürftige, also eine fast verdoppelte Anzahl. Für die bisherigen Bezieher von Pflegehilfe der gesetzlichen Krankenversicherung und für viele Bezieher von Pflegegeld und sonstigen Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz bedeutet die Pflegeversicherung eine beachtliche Erhöhung der Leistungen. Eine erhebliche Zahl von Pflegebedürftigen erhält durch die Pflegeversicherung erstmals Leistungen wegen Pflegebedürftigkeit, etwa 500 000.Diese Leistungen geben den Pflegebedürftigen die Möglichkeit, in wesentlich stärkerem Maße als bisher Hilfe von Sozialstationen oder Pflegediensten in Anspruch zu nehmen. Insbesondere die Kombinationsleistungen — eine nach der individuellen Bedarfslage zusammenstellbare Mischung von Sachund Geldleistung — werden den Trend zur vermehrten Inanspruchnahme von Sachleistungen stärken. Davon geht die Bundesregierung aus.Es ist jedoch sehr schwer abschätzbar, wie viele zusätzliche Pflegekräfte in der ambulanten Versorgung benötigt werden. Dies hängt u. a. davon ab, in welchem Maße sich die Pflegebedürftigen für die Sach- oder Kombinationsleistung entscheiden werden und in welchem Maße auch die Geldleistungen zum „Einkauf" professioneller Pflege genutzt werden. Derzeit ist auch nicht feststellbar, inwieweit künftig Sachleistungen der Pflegeversicherung bisher aus Eigenmitteln finanzierte Pflegeeinsätze ersetzen. — Sicher hat mancher Pflegekräfte aus eigener Tasche bezahlt; d. h., es waren die Pflegekräfte vorhanden, die auch in Zukunft beansprucht werden, dann nur auf Rechnung der Pflegeversicherung. — Dies alles ist noch unüberschaubar. Erst die Erfahrung kann zeigen, wie sich das entwickelt.Auch im stationären Bereich wird der Auf- und Ausbau der pflegerischen Infrastruktur, insbesondere für die Kurzzeitpflege, zu zusätzlichen Arbeitsplätzen in der Pflege führen, jedoch nicht im gleichen Maße wie im ambulanten Bereich. Sie wissen, daß Kurzzeitpflege in Zukunft für eine längere Dauer mit einem höheren Betrag bezuschußt wird, so daß wahrscheinlich mehr professionelle Kurzzeitpflege stattfinden wird. Bisher war es häufig im Kreis von Nachbarn und anderen geregelt.Abschließend möchte ich sagen, daß ich mich derzeit nicht in der Lage sehe, konkrete Zahlen zu nennen. Ich bin jedoch überzeugt, daß der Bedarf in der Größenordnung von Zehntausenden von Pflegekräften liegt und daß es deshalb notwendig ist, die Anstrengungen im Rahmen der Ausbildung, der Umschulung sowie der Rückgewinnung von Pflegekräften weiter zu verstärken. Ich will hinzufügen, daß derzeit in den neuen Ländern eine ganze Reihe von Programmen in Richtung Umschulung oder Weiterbildung läuft. Wir sehen, daß dort eine große Nachfrage herrscht und daß wir zur Zeit sogar in den neuen Ländern ausgebildete oder umgeschulte Kräfte im Westen antreffen, die hierhin abgeworben worden sind.
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, Minister Blüm hat von 150 000 zusätzlichen Pflegekräften gesprochen, die wir im nächsten und übernächsten Jahr brauchen werden. Gestern wurde dem Ausschuß für Bildung und Wissenschaft im Bundesinstitut für berufliche Bildung gesagt, daß zur Zeit etwa 6 000 Altenpflegerinnen und Altenpfleger jährlich ihre Ausbildung beenden, daß aber auch 3 000 jährlich ihre Arbeit niederlegen, weil die Arbeitsbedingungen so hart sind. Wenn man das zugrunde legt, würden wir 50 Jahre brauchen, um den zusätzlichen Bedarf zu decken. Mit dieser Aussicht können wir doch nicht zufrieden sein!
Aus dem, was ich Ihnen soeben gesagt habe, Frau Kollegin, wird deutlich, daß die Zahl, die der Minister genannt hat — eine ähnliche Zahl hat auch der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit genannt —, eine Schätzzahl ist. Jedenfalls haben beide Herren die Öffentlichkeit auf das Problem hingewiesen, das Sie und mich im Augenblick beschäftigt, daß nämlich mehr Ausbildung stattfinden muß und Kapazität und Qualität verbessert werden müssen.
Ich habe gerade von Ihnen gehört, 6 000 Auszubildende werden jährlich fertig. Wir wissen sehr genau, wie sich zur Zeit der Markt darstellt. Von den erstausgebildeten Alten- und Krankenpflegern ist ja die Verweildauer im Beruf bekannt; es ist eine relativ kurze, unter vier Jahre, inklusive der Ausbildungszeit.
Andererseits wissen wir, daß Frauen, die eine Zweitausbildung in den pflegerischen Berufen machen, also im Anschluß an die sogenannte Familienphase einen solchen Beruf erlernen, etwa bis zu 15 Jahren in diesem verfügbar sind. Ich denke — und das hat Minister Blüm auch gesagt —, daß gerade infolge der Pflegeversicherung und des vorhandenen Bedarfs im pflegerischen Bereich hier eine große Berufschance für Frauen gegeben ist, die vielleicht nicht in den früher ausgeübten Beruf zurückkehren wollen, sondern in einen Beruf gehen wollen, der unmittelbar mit Menschen zu tun hat.
Da sehe ich auch Rekrutierungsmöglichkeiten. Es wird sehr wichtig sein, diesen Frauen spezielle Ausbildungswege für eine Zweitausbildung anzubieten, die nicht völlig identisch mit der Erstausbildung ist. Ich denke, in diesem Punkt ist der Gesetzentwurf, den der Bundesrat verabschiedet hat, korrekturbedürftig.
Sie sind aber sicher mit mir der Meinung, daß es gerade auch für die Männer und Frauen in dieser Phase, in der „Nach-FamilienPhase", eine qualifizierte Ausbildung sein muß?
Selbstverständlich. Deshalb kann man über die methodische Frage und über die Frage, wie man Lebenserfahrung und Erfahrung in der häuslichen Pflege bewertet und in eine solche Ausbildung einbaut, sehr wohl diskutieren. Es ist sicher ein großer Unterschied, ob eine lebenserfahrene, im Umgang mit Familie und Krankenpflege erfahrene Frau eine Ausbildung macht oder ein 16jähriger Schüler.
Metadaten/Kopzeile:
20028 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin.
Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr auf. Die Frage 3 des Kollegen Horst Kubatschka wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich komme zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Hier werden die Fragen 4 des Kollegen Horst Kubatschka und 5 des Kollegen Dr. Klaus-Dieter Feige schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich komme zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Forschung und Technologie. Die Frage 6 der Abgeordneten Claire Marienfeld wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich komme zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Die Beantwortung der Fragen erfolgt durch die Parlamentarische Staatssekretärin Michaela Geiger.
Die Frage 7 der Abgeordneten Anke Fuchs wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 8 des Abgeordneten Dr. Peter Eckardt auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß das Panzeraufklärungsbataillon 1 in Braunschweig regelmäßig die rechtskonservative Ludwig-Frank-Stiftung zu sog. Symposien in das Offiziersheim der Husarenkaserne einlädt, letztmalig am 21. April 1994, und dort an wehrpflichtige Soldaten die rechtsextreme Zeitschrift „Europa-Brücke" verteilen läßt, und wie bewertet die Bundesregierung diese Vorgänge unter dem j 15 Abs. 3 und 4 des „Gesetzes über die Rechtsstellung der Soldaten"?
Herr Kollege, regelmäßige Symposien der Ludwig-Frank-Stiftung haben beim Panzeraufklärungsbataillon 1 nicht stattgefunden. Vielmehr haben im Offizierheim der Husarenkaserne in Braunschweig 1993 eine Vortragsveranstaltung mit dem Thema „Sicherheitspolitik im Wandel" und am 21. April 1994 eine Vortragsveranstaltung mit dem Thema „Das Sultanat Oman und Katar" in Absprache mit und unter Beteiligung von Mitgliedern der Ludwig-Frank-Stiftung stattgefunden. Für Interessierte wurden während des Vortrags am 21. April 1994 ca. 10 Exemplare der Zeitschrift „Europa-Brücke" ausgelegt.
Die nach dem jüdischen Reichstagsabgeordneten der sozialdemokratischen Partei Ludwig Frank — der im Ersten Weltkrieg gefallen ist — benannte Stiftung ist als gemeinnützig anerkannt. Es ist nicht zu bemängeln, wenn die Bundeswehr zur Durchführung der politischen Bildung auch auf Unterstützung von zivilen Organisationen und Stiftungen zurückgreift.
Selbstverständlich achtet die Bundeswehr darauf, daß extremistische Vereinigungen keinen Zugang zu dienstlichen Veranstaltungen haben. Erkenntnisse, die in dieser Hinsicht gegen die Ludwig-FrankStiftung sprächen, sind dem BMVg nicht bekannt. Vom Bundesministerium der Verteidigung befragte Teilnehmer der Veranstaltung haben bestätigt, daß keinerlei Äußerungen gefallen sind, die auch nur den
Anschein extremistischen Gedankenguts erweckten.
Herr Abgeordneter Eckardt.
Frau Staatssekretärin, ist Ihnen die Zeitschrift „Europa-Brücke" bekannt, die dort verteilt worden ist, und ebenso, wie dort gegen demokratische Politikerinnen und Politiker besonders der Sozialdemokraten, aber auch der Christlich Demokratischen Union in fast verleumderischer Weise vorgegangen wird?
Herr Abgeordneter, diese Zeitschrift ist mir nicht bekannt. Mir wurde aber berichtet, daß diese Zeitschrift nicht verteilt wurde. Sie lag in zirka zehn Exemplaren aus. Nach der Veranstaltung wurden die restlichen Exemplare eingesammelt und vernichtet.
Ich habe eine Kopie davon.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie sind doch nach wie vor mit der Bundesregierung der Meinung, daß Parteipolitik, auch wenn sie sich unter dem Namen „Stiftung" verbergen sollte, in Kasernen der Bundeswehr, die unser aller Bundeswehr ist, nichts zu suchen hat?
Das ist sicher so, Herr Abgeordneter. Aber es ist nicht bekannt, daß dies Parteipolitik war.
Damit kommen wir zur Frage 9 des Kollegen Peter Eckardt:
Wie bewertet die Bundesregierung den Befehl des Bataillonskommandeurs des 1. Panzeraufklärungsbataillons in Braunschweig, wehrpflichtige Soldaten in Uniform zu einer Veranstaltung der Ludwig-FrankStiftung abzukommandieren, obwohl es bei der Veranstaltung am 21. April 1994 kein offizielles politisches Diskussionsthema gab, sondern der Vorsitzende der Ludwig-Frank-Stiftung, ein Herr Dr. W., lediglich über Schuld und Unschuld der Deutschen im 2. Weltkrieg fabulierte?
Am 21. April 1994 hielt Oberstadtdirektor a. D. Dr. Weber einen Vortrag mit dem Thema „Das Sultanat Oman und Katar", der durch Videoaufnahmen ergänzt wurde. Das Thema „Zweiter Weltkrieg" hat Dr. Weber nur kurz zu Beginn seines Vortrags in der Erwiderung der Begrüßung durch den Bataillonskommandeur angesprochen.Veranstaltungen mit Gastrednern und geladenen Gästen sind im Rahmen der politischen Bildung zulässig. Es ist ebenfalls zulässig, zu solchen Veranstaltungen die Teilnahme in Uniform zu befehlen. Im Befehl zu der Veranstaltung vom 21. April 1994 wird diese allerdings als Veranstaltung der Ludwig-Frank-Stiftung bezeichnet. Zu Veranstaltungen privater Einrichtungen, auch wenn sie innerhalb von Kasernen stattfinden, darf die Teilnahme nicht befohlen werden.Der Befehl hat also einen formalen Fehler. Der Bataillonskommandeur wurde auf die Rechtslage hingewiesen und hat eingesehen, daß dies ein Fehler war.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 20029
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, nach dieser Antwort habe ich keine weiteren Fragen mehr. Danke sehr.
Die Frage 10 des Abgeordneten Gernot Erler wird schriftlich beantwortet, ebenso seine Frage 11. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. — Vielen Dank, Frau Staatssekretärin.
Ich komme damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Die Frage 12 der Abgeordneten Susanne Kastner wird schriftlich beantwortet, ebenso ihre Frage 13. Das gleiche gilt für die Fragen 14 und 15 des Abgeordneten Dr. Walter Hitschler sowie die Fragen 16 und 17 der Abgeordneten Uta Würfel. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich komme zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Post und Telekommunikation. Die Beantwortung erfolgt durch den Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Paul Laufs.
Die Frage 18 des Abgeordneten Dr. Dietrich Mahlo wird schriftlich beantwortet, ebenso seine Frage 19. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zur Frage 20 des Abgeordneten Martin Göttsching:
Ist der Bundesregierung bekannt, wie viele Abhöranlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR — aufgegliedert nach Ländern bzw. früheren DDR-Bezirken — sich in den Einrichtungen der Deutschen Post befanden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Götsching, das Bundesministerium für Post und Telekommunikation hat im November 1990 die Generaldirektion Telekom gebeten, die ihr im Beitrittsgebiet gehörenden oder zufallenden Netze auf technische Manipulationen oder Abhörschaltungen zu überprüfen. Dazu hat sich die Generaldirektion Telekom ein Konzept für die systematische Überprüfung aller Netzteile erstellt. Es wurden fünfzehn Sonderprüfgruppen mit insgesamt etwa hundert Mitarbeitern eingerichtet. Die Überprüfungsaktion ist im Juli 1993 abgeschlossen worden.
Für das Abhören von Fernmeldeverbindungen waren besondere Kabel an speziellen Punkten des Netzes der Deutschen Post, z. B. Endverzweiger und Kabelverzweiger, angeschaltet. Diese Kabel führten dann zu Abhörstudios, wo die gewonnenen Informationen aufgezeichnet und verarbeitet wurden. Die Abhörstudios befanden sich grundsätzlich nicht in Gebäuden der Deutschen Post. Inwieweit der Staatssicherheitsdienst unmittelbar in Räumen der Deutschen Post auch abhörte, war nicht mehr nachvollziehbar.
Insgesamt wurden bei dieser Bereinigungsaktion etwa 300 Sonderkabel und etwa 32 000 Doppeladern, die zum Abhören genutzt werden konnten, gefunden und der Regelnutzung zugeführt.
Es wurden jedoch keine noch in Betrieb befindlichen Abhörschaltungen gefunden.
Herr Göttsching.
Herr Staatssekretär, Sie sprachen von 15 Überprüfungspunkten. Diese befanden sich aber, wenn ich Sie recht verstanden habe, innerhalb des Terrains der Deutschen Post? Oder befanden sie sich auch außerhalb der Deutschen Post? Wie verteilen sie sich auf das Gebiet der ehemaligen DDR?
Dr. Paul Laufs, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Göttsching, ich sprach von 15 Sonderprüfgruppen, die eine Überprüfungsaktion durchgeführt haben.
Gruppen im Sinne von Menschen?
Dr. Paul Laufs, Parl. Staatssekretär: Ja. Martin Göttsching : Alles klar.
Dr. Paul Laufs, Parl. Staatssekretär: Das ganze Beitrittsgebiet wurde flächendeckend bearbeitet.
Danke.
Gibt es Zusatzfragen? — Bitte, Frau Klemmer.
Herr Staatssekretär, könnten Sie uns erläutern, was in diesem Fall unter Regelnutzung zu verstehen ist?
Dr. Paul Laufs, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, bei der Bereinigungsaktion fiel zum Teil noch brauchbares Material an, das man nicht vernichtet, sondern benutzt hat, so wie die Deutsche Bundespost Telekom eben Kabel und andere Einrichtungen in ihrem Netz nutzt.
Herr Hilsberg, bitte.
Herr Staatssekretär Laufs, gibt es noch eine einzige Einrichtung auf dem Gebiet der ehemaligen DDR, die zum Abhören von Telefongesprächen privater Nutzer führen kann?
Dr. Paul Laufs, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es ist nach Abschluß dieser Bereinigungsaktion Mitte vergangenen Jahres davon auszugehen, daß in allen neuen Bundesländern jetzt flächendeckend der gleiche Sicherheitsstandard wie im westlichen Bundesgebiet gegeben ist. Seit Abschluß dieser Aktion sind keine tatsächlichen Vorkommnisse bekanntgeworden, die auf das Abhören von Fernmeldeverbindungen über vom Staatssicherheitsdienst geschaltete Einrichtungen hindeuten.
Frau Titze, bitte.
Herr Staatssekretär, kann ich nach dieser Antwort davon ausgehen, daß Sie dies lediglich behaupten und nicht wissen?Dr. Paul Laufs, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, meine Antwort entspricht exakt dem Stand der Erkenntnisse, die vorliegen.
Metadaten/Kopzeile:
20030 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Wir kommen damit zu der Frage 21 des Kollegen Göttsching:
Was ist aus den Bibliotheken des Instituts für Sozialistische Wirtschaftsführung in Kolberg bei Berlin bzw. des Instituts für Post- und Fernmeldewesen in Berlin, Buchberger Straße, geworden?
Dr. Paul Laufs, Pari. Staatssekretär: Herr Kollege Götsching, die Bibliothek des Instituts für Sozialistische Wirtschaftsführung in Kolberg wurde von der Bibliothek des Instituts für Post- und Fernmeldewesen übernommen. Das Institut für Post-. und Fernmeldewesen wurde einschließlich dieser Bibliothek in das Forschungs- und Technologiezentrum der Deutschen Bundespost Telekom überführt. Der neue Standort der Bibliothek ist das Forschungs- und Technologiezentrum in Berlin, Oranienburger Str. 65. Der Betrieb und die Nutzung der Bibliothek sind gewährleistet.
Im übrigen handelt es sich um einen geringen Bestand von Fachliteratur, der zu DDR-Zeiten von einer Mitarbeiterin betreut wurde. Diese ist in den Personalbestand des Forschungs- und Technologiezentrums übernommen worden.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, könnten Sie diesen Begriff des geringen Bestands im Vergleich zu dem Bestand, der vorher da war, etwas genauer beschreiben? Ist es ein Drittel, sind es 1 000 oder 50 000 Bände? Die Bibliothek ist, wie Sie sagten, jetzt in der Oranienburger Straße. Das heißt, daß die zwei unterschiedlichen Einrichtungen zuerst in einer Einrichtung bei der Deutschen Post zusammengeführt worden sind, um dann in das FTZ verbracht zu werden. Ist das richtig?
Dr. Paul Laufs, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Göttsching, was Ihre Frage nach dem Umfang des Bestands betrifft, muß ich Ihnen leider sagen, daß ich Ihnen nicht angeben kann, wieviel Bände früher in dieser Bibliothek waren und wie der heutige Bestand ist. Wenn Sie einverstanden sind, möchte ich es Ihnen gern schriftlich beantworten.
Gibt es weitere Zusatzfragen? — Nein.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär Dr. Laufs.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Die Beantwortung erfolgt durch den Staatsminister Helmut Schäfer.
Ich rufe die Frage 22 des Abgeordneten Stephan Hilsberg auf:
Vor dem Hintergrund, daß bei dem Massaker gegen Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler in China vor fünf Jahren insbesondere die Studierenden in China die Leidtragenden waren — die ganze Bevölkerung ist von den bis heute andauernden staatlichen Repressalien betroffen —, frage ich die Bundesregierung, in welcher Form und Umfang fördert und unterstützt die Bundesregierung Hochschul- und Wissenschaftskooperationen mit China, und welche Ziele verfolgt sie mit den einzelnen Maßnahmen?
Herr Kollege, auf der Grundlage des Kulturabkommens aus dem Jahre 1979 werden in zweijährigem Abstand Kulturaustauschprogramme einschließlich Hochschul- und Wissenschaftskooperationen ver-
einbart, letztmals im November 1993. Die Umsetzung erfolgt durch die Mittlerorganisationen, wie z. B. den Deutschen Akademischen Austauschdienst, die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Alexandervon-Humboldt-Stiftung sowie Aktivitäten etwa der politischen Stiftungen durch Vergabe von Stipendien.
Von besonderer Bedeutung ist die wachsende Zahl vertraglich vereinbarter Zusammenarbeit. Derzeit gibt es mindestens 228 Partnerschaften —1987 waren es 82 — zwischen 84 deutschen und 117 chinesischen Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen.
Die Förderung umfaßt die Vergabe von Stipendien an Studenten beider Länder, die Unterstützung chinesischer und deutscher Wissenschaftler bei Forschungsvorhaben bzw. Lehrtätigkeit sowie Gerätespenden an ehemalige chinesische Stipendiaten. Außerdem wird die Teilnahme an wissenschaftlichen Tagungen und Kongressen bezuschußt. Ziel der Förderung ist der Ausbau der wissenschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und Wissenschaftlern beider Länder.
Herr Hilsberg.
Herr Staatsminister Schäfer, meine erste Zusatzfrage bezieht sich auf die Kontakte auf dem Gebiet der Nuklearindustrie und der Rüstungsforschung. Gibt es Kontakte zwischen deutschen und chinesischen Hochschulen, die sich auf Sektoren erstrecken, die mit beiden genannten Gebieten zu tun haben?
Helmut Schäfer, Staatsminister: Mir sind solche Kontakte nicht bekannt.
Zweite Zusatzfrage: Erstrecken sich die Kontakte der Hochschulen mit China auch auf Institutionen, die auf dem Gebiet des annektierten Tibets liegen, wo bekanntermaßen zur Zeit welthistorische Kulturgüter durch die chinesische Führung regelrecht geschleift werden?
Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, Sie haben mir in Ihrer Frage im wesentlichen Auskunft über die Zahl der Stipendiaten, die im Austausch zwischen Deutschland und China tätig sind, abverlangt. Die Frage erstreckt sich nicht auf Chinesen, die möglicherweise in Tibet wohnen oder — wie Sie sagen — im „annektierten Tibet". Sie müßten das in eine eigene Frage kleiden, denn darauf bin ich nicht vorbereitet. Ich kann nicht nachprüfen, welche Chinesen möglicherweise in Tibet wohnen.
Weitere Zusatzfrage.
Ich habe eine Frage zu dem, was Sie eben gesagt haben. Meine Frage lautete ganz klar: In welcher Form und in welchem Umfang fördert und unterstützt die Bundesregierung? Zur Frage der Form gehören selbstverständlich auch die Hochschulen, die im gesamten Gebiet Chinas liegen. Ich kann nicht sehen, daß die Zusatzfrage, die ich gestellt habe, nichts mit der von mir gestellten Frage 22 zu tun hat.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 20031
Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, ich kann Ihnen nur Auskunft über das Stipendienprogramm der verschiedenen deutschen Mittlerorganisationen, die Zuschüsse, die von der Bundesregierung gewährt werden, aber nicht über die regionale Zugehörigkeit von Studenten an Hochschulen in China erteilen. Wenn Sie eine Aufteilung nach den Hochschulen dieses sehr großen Landes wollen, dann müssen wir das sehr mühsam erarbeiten. Das kann ich Ihnen möglicherweise schriftlich geben.
Dann kommen wir unmittelbar zur Frage 23 des Kollegen Stephan Hilsberg:
Wie kann ausgeschlossen werden, daß durch diese Kontakte das undemokratische chinesische System weiter unterstützt wird, und wie will die Bundesregierung bewirken, daß in die Kontaktmaßnahmen auch diejenigen Hochschulangehörigen einbezogen werden, die für Demokratie und Menschenrechte offen einstehen?
Helmut Schäfer, Staatsminister: Die Bundesregierung ist überzeugt, daß Kontakte auf wissenschaftlicher Ebene nicht zur Verfestigung eines undemokratischen Systems beitragen. Sie rechnet vielmehr damit, daß durch intensive Kontakte den chinesischen Teilnehmern Einsichten in demokratische Denkweisen, Arbeitsweise und Erfahrungen vermittelt werden. Umgekehrt ist dieser Gedankenaustausch nicht nur für die chinesischen Partner, sondern auch für die deutschen Teilnehmer eine Erfahrung von großer Bedeutung.
Die wissenschaftlichen Förderungsmaßnahmen der Bundesregierung stehen grundsätzlich für alle chinesischen Partner offen. Über eine Stipendiengewährung entscheidet grundsätzlich die fachliche Qualifikation. Die Bundesregierung hatte nicht den Eindruck, daß die häufig besonders qualifizierten Studenten und Wissenschaftler, die für demokratisches Gedankengut offen sind, bei der Gewährung deutscher Stipendien oder im deutsch-chinesischen Wissenschaftleraustausch unterrepräsentiert sind. Die Erfahrung lehrt, daß eher das Gegenteil der Fall ist.
Erste Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, was weiß die Bundesregierung über Auswahlverfahren in der Volksrepublik China, durch die dort die Studenten respektive Wissenschaftler ausgewählt werden, die von seiten Chinas für dieses Austausch- oder Stipendiatenprogramm zur Verfügung stehen?
Helmut Schäfer, Staatsminister: Ich kann Ihnen nicht alle Auswahlkriterien der chinesischen Seite hier vortragen. Das geht mehr in den Bereich des Bundesministers für Forschung. Wir können auch nicht bis in die Einzelheiten hinein nachforschen, nach welchen Gesichtspunkten innerhalb Chinas Studenten ausgewählt werden.
Die Vergabe von Stipendien, die wir vornehmen, ist deutschen Auswahlkriterien unterworfen.
Sie können sicher sein, daß wir Wert darauf legen, daß nicht Funktionäre nach Deutschland kommen, sondern offene, junge, begabte chinesische Studenten, die während ihres Aufenthalts in Deutschland Gelegenheit haben, ein demokratisches System von
innen heraus kennenzulernen, und sicher mit sehr wertvollen Erfahrungen nach Hause zurückkehren.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, trifft es denn zu, daß sich die Bundesregierung keineswegs sicher sein kann, daß in diese Stipendiatenprogramme nicht auch solche Studenten und Wissenschaftler einbezogen sind, die durchaus anschließend in der Volksrepublik China als Verantwortungsträger dem System loyale ideologische Dienste zu leisten verstehen?
Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, wir verfügen nicht über das vorhin von meinem Kollegen in einem Punkt angedeutete raffinierte Verfahren der Erforschung von privaten Vorstellungen einzelner Stipendiaten, wie es die DDR früher angewandt hat. Wir müssen davon ausgehen, daß unsere Kriterien ausreichend sind. Wir nehmen eine sorgfältige Auswahl der vorgeschlagenen Studenten vor. Aber ich kann Ihnen natürlich nicht garantieren, daß keiner von diesen Studenten im Anschluß an seinen Aufenthalt in Deutschland für diese oder jene Tätigkeit in China zur Verfügung steht. Würden wir das versuchen, dann könnten wir das Stipendienprogramm ganz aufgeben.
Die Fragen 24 und 25 des Abgeordneten Ortwin Lowack werden schriftlich beantwortet, ebenso die Frage 26 des Abgeordneten Jürgen Augustinowitz. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Herr Staatsminister Schäfer, ich danke Ihnen für die Beantwortung.
Ich komme jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Die Beantwortung erfolgt durch den Parlamentarischen Staatssekretär Eduard Lintner.
Zunächst zur Frage 27 von Dr. Rainer Jork:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Sächsischen Staatsregierung und der anderen ostdeutschen Landesregierungen, daß die grenzüberschreitende Zusammenarbeit an der deutschen Ostgrenze zur Aussöhnung mit unseren Nachbarn bzw. zur Erfüllung der völkerrechtlichen Verträge mit Polen und der Tschechischen Republik über gute Nachbarschaft nur mit weiterer finanzieller Hilfe des Bundes möglich ist?
Herr Kollege Jork, die Bundesregierung mißt der Entwicklung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit mit unseren östlichen Nachbarn große Bedeutung bei. Bund und Länder arbeiten dabei mit Polen u. a. in der Regierungskommission für regionale und grenznahe Zusammenarbeit zusammen. Auch mit der Tschechischen Republik wird eine entsprechende Intensivierung der bilateralen Zusammenarbeit angestrebt.Der Bund wird sich weiterhin an der Finanzierung grenzüberschreitender Projekte im Rahmen seiner Kompetenzen und der vorhandenen Haushaltsmittel beteiligen. Dies gilt auch für Projekte kultureller Art. Das von den Ländern Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen und Bayern geforderte Regionalförderungsprogramm Kultur für die Kreise und Gemeinden an der deutsch-polnischen und an der
Metadaten/Kopzeile:
20032 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Parl. Staatssekretär Eduard Lintnerdeutsch-tschechischen Grenze könnte hier vorhandene Initiativen besonders nachhaltig unterstützen.
Herr Jork.
Mag sein, daß meine Frage, die ich jetzt stellen möchte, schon auf die zweite Frage zielt.
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Darf ich sie gleich beantworten?
Gut, bitte.
Dann rufe ich auch die Frage 28 auf:
Kann angesichts der deutschlandpolitischen Verantwortung des Bundes aus Artikel 35 des Einigungsvertrags zur weiteren Überwindung der Teilungsfolgen insbesondere auch in den strukturschwachen Grenzregionen an der deutschen Ostgrenze sowie mit Blick auf die besondere europäische Bedeutung einer Politik der guten Nachbarschaft nach Osten davon ausgegangen werden, daß das fachlich und politisch mit den ostdeutschen Bundesländern im Grenzbereich einvernehmlich abgestimmte Regionalförderprogramm Kultur 1995 mit dem erforderlichen Haushaltsansatz versehen wird?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung teilt nach wie vor die Auffassung der genannten Länder, daß den strukturschwachen Regionen an den deutschen Ostgrenzen durch ein Regionalförderungsprogramm Kultur besonders geholfen werden könnte. Sie ist deswegen weiterhin darum bemüht, im Rahmen der Verhandlungen zum Entwurf des Bundeshaushaltsplanes 1995 die finanziellen Möglichkeiten für seine Einführung ab dem 1. Januar 1995 zu schaffen. Offen ist allerdings, ob dies in Anbetracht der äußerst angespannten Haushaltslage des Bundes durchführbar ist und ob auch der Deutsche Bundestag anschließend eine entsprechende positive Entscheidung treffen wird.
Eine Zusatzfrage.
In der Hoffnung, daß die Überprüfung des Haushalts für das nächste Jahr zu einem positiven Ergebnis führt, frage ich Sie, ob angesichts der besonders sensiblen politischen Situation im Hinblick auf den Kontakt Deutschlands zu Osteuropa berücksichtigt wird, daß die aktuelle wirtschaftliche Sogwirkung spezielle Kontakte nach sich zieht, daß angesichts eines gewissen Werteverfalls in diesem Bereich eine neue Werteorientierung notwendig wird und daß angesichts eines bestehenden Strukturverfalls im wirtschaftlichen und im kulturellen Bereich Hilfe durch die Bundesregierung erforderlich ist. Ist das zu erwarten?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jork, ich habe schon darauf hingewiesen, daß wir ein derartiges Programm sehr wohl für wünschenswert und auch für sinnvoll erachten. Allerdings teile ich Ihren Optimismus nicht, was die Realisierbarkeit im Rahmen des Haushaltsjahres 1995 angeht.
Eine weitere Zusatzfrage.
Dann darf ich angesichts Ihres Pessimismus ergänzend fragen, ob
Sie sich bewußt sind, daß das in Relation zu den Anliegen, die ich mit den drei Gedanken angedeutet habe, letztlich nicht allein ein Optimierungsproblem fiskalischer Art sein wird.
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Dieser Einwand gilt für den gesamten Haushalt 1995. Er besteht ausschließlich aus Optimierungsproblemen. Ihr Anliegen gehört selbstverständlich dazu. Wir werden unser möglichstes tun. Aber ich kann Ihnen aus heutiger Sicht keine konkreten Hoffnungen auf Realisierung machen.
Keine weiteren Fragen.
Dann kommen wir zur Frage 29 der Abgeordneten Siegrun Klemmer:
Wann gedenkt die Bundesregierung der Aufforderung der Personal- und Sozialkommission des Ältestenrates nachzukommen, die ressortübergreifende Personalbörse für die Bediensteten der Bundesbehörden und -einrichtungen noch im Haushaltsjahr 1994 einzurichten , um ihrem Versprechen vom Juni 1992 nachzukommen, daß die durch den Umzug entstehenden Belastungen „durch flexible, sozial ausgewogene Maßnahmen aufgefangen bzw. ausgeglichen werden müssen" (Drucksache 12/2850, S. 43), und schließt sich die Bundesregierung der Auffassung an, daß die Personalbörse unverzüglich einzurichten ist, um sowohl die sozialen als die dadurch bedingten haushaltswirksamen Kosten zu minimieren und gleichzeitig die Funktionstüchtigkeit der Verwaltung während des Umzugsprozesses zu gewährleisten?
Herr Staatssekretär.
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Klemmer, das am 10. März 1994 im Deutschen Bundestag verabschiedete Berlin/Bonn-Gesetz sieht vor, sowohl einen Ausgleich für die mit einem Wechsel des Behördensitzes verbundenen Belastungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu schaffen, als auch die Funktionsfähigkeit der Verfassungsorgane und der sonst betroffenen Bundeseinrichtungen zu gewährleisten.
An der Umsetzung dieser Forderungen in einen personalwirtschaftlichen Maßnahmenkatalog wird derzeit mit Nachdruck gearbeitet. Hierbei hält die Bundesregierung engen Kontakt mit der Personal-und Sozialkommission des Ältestenrates sowie der Verwaltung des Deutschen Bundestages. Gemeinsames Ziel ist es, die Zahl der tatsächlich vom Umzug Betroffenen kleiner als die Gesamtzahl der zu verlagernden Arbeitsplätze zu halten.
Derzeit wird das von der Bundesregierung zwischenzeitlich bei allen Bundesressorts und der Verwaltung des Deutschen Bundestages erhobene personalwirtschaftliche Zahlenmaterial ausgewertet. Hierüber wird noch im Juni 1994 ein weiteres Gespräch mit der Personal- und Sozialkommission erfolgen. Erst auf der Grundlage des ausgewerteten Zahlenmaterials und der mit den Bundesressorts und dem Parlament geführten weiteren Gespräche kann der Gesamtkatalog der personalwirtschaftlichen Maßnahmen letztlich festgelegt werden. Eine wie auch immer ausgestaltete Personalbörse kann in diesem Zusammenhang nur ein Element im Rahmen eines umfangreichen Maßnahmenkatalogs sein.
Frau Klemmer.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 20033
Habe ich Sie richtig verstanden, Herr Staatssekretär, daß Sie zum heutigen Zeitpunkt nicht bestätigen können, daß diese Personal- oder Jobbörse — oder wie immer man sie auch bezeichnet; wir wissen ja, was gemeint ist — noch im Jahre 1994 ihre Arbeit aufnehmen wird?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Ich kann das weder bestätigen noch dementieren. Wir werden uns bemühen.
Keine weitere Zusatzfrage von der Frau Kollegin Klemmer. Dann Frau Kollegin Limbach.
Herr Staatssekretär, ist vorgesehen, in diese Jobbörse und die anderen notwendigen Maßnahmen auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fraktionen und der Abgeordneten, soweit das rechtlich möglich ist, einzubeziehen?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Zumindest soll dort analog verfahren werden. Es gibt Kontakte, die das gewährleisten sollen.
Dann kommen wir zur Frage 30 der Kollegin Siegrun Klemmer:
Stimmt die Bundesregierung zu, daß diese Personalbörse ihre Funktion erst dann erfüllen kann, wenn sie ressortübergreifend ausgerichtet ist und von einer unabhängigen Projektgruppe betrieben wird, die die Computersysteme der Bundesanstalt für Arbeit „CoArb" und „CoBer" nutzen könnte und daher bei der Bundesanstalt für Arbeit angegliedert sein sollte, und welche konkreten Pläne zur Einrichtung einer solchen unabhängigen Personalbörse hat die Bundesregierung?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Im Grundsatz muß die personalwirtschaftliche Verantwortung des jeweiligen Ressorts im Vordergrund der Überlegungen stehen. Dies schließt ressortübergreifend ausgerichtete personalwirtschaftliche Maßnahmen nicht aus. Bei der Entwicklung derartiger personalwirtschaftlicher Konzepte werden vorhandene Programme auf ihre Eignung geprüft werden.
Frau Klemmer.
Herr Staatssekretär, können Sie für die Bundesregierung bestätigen, daß die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der von den Entscheidungen der Föderalismuskommission betroffenen Bundesbehörden in jeder Hinsicht denjenigen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen gleichgestellt werden, deren Arbeitsplätze auf Grund des Umzugsbeschlusses von Bonn nach Berlin verlagert werden?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, derart konkrete Fragen kann ich Ihnen erst beantworten, wenn erstens die Auswertung erfolgt ist, von der ich gesprochen habe, und zweitens die notwendigen Abstimmungen auch mit den Personalräten und dergleichen erfolgt sind.
Noch eine weitere Frage? — Bitte, Frau Klemmer.
Ich stimme völlig mit Ihnen überein, Herr Staatssekretär, daß wir die Umzugsbewegungen so gering wie möglich halten wollen, daß also die Zahl der tatsächlich vom Umzug Betroffenen niedriger sein soll, als die Zahl der tatsächlich zu verlagernden Arbeitsplätze. Was können Sie zu der Tatsache sagen, daß im Moment schon latent Arbeitsplatzbesetzungen durch Bonner Beschäftigte in Berlin erfolgen, Berliner Beschäftigte aber keine Gelegenheit haben, sich auf diese Arbeitsplätze zu bewerben?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Die Besetzungen halten sich meiner Kenntnis nach in dem unumgänglich notwendigen Umfang.
An sich gibt es keine Zusatzfragen mehr. War das nicht zufriedenstellend beantwortet? — Bitte.
Es ging mir nicht um den Umfang, sondern es ging um die Möglichkeit einer Bewerbung.
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Soweit Sie meinen sollten, daß derzeit dort Besetzungen stattfinden, wo jetzt schon Stellen besetzt werden müssen, finden natürlich gewisse Vorentscheidungen statt. Das ist gar nicht vermeidbar, weil wir funktionsfähig bleiben müssen. Diejenigen Positionen aber, die erst im Zusammenhang mit dem Umzug besetzt werden können, stehen im Moment noch nicht zur Debatte.
Damit komme ich zur Frage 31 der Abgeordneten Claire Marienfeld:Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor, ob die Bundesländer den Kommunen Kosten für ausländische Flüchtlinge erstatten, wenn ja, wie sehen diese Regelungen aus?Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin: entsprechende Kostenerstattungsregelungen finden sich in den Landesaufnahmegesetzen und -verordnungen, die von den Ländern in Ausführung des Ausländer- und Asylverfahrensgesetzes erlassen worden sind. Die dort jeweils festgelegten Erstattungsregelungen sind allerdings von Land zu Land verschieden und differieren ferner nach der Art der betroffenen Flüchtlingsgruppe, also beispielsweise Asylbewerber, Asylberechtigte, Bürgerkriegs-, Kontingentsoder Übernahmeflüchtlinge.Die Regelungen aller 16 Bundesländer an dieser Stelle detailliert aufzuführen würde den Rahmen dieser Antwort sprengen. Überblickartig läßt sich jedoch folgendes sagen:Erstens. Die Kosten für Asylbewerber werden von den Ländern ganz oder zum größten Teil erstattet, wobei bezüglich bestimmter Kostenarten nur eine Pauscherstattung stattfindet.Zweitens. Für Asylberechtigte, Kontingentsflüchtlinge und Übernahmeflüchtlinge im Sinne des § 33 Ausländergesetz bestehen nicht in allen Ländern Erstattungsregelungen. Soweit vorhanden, sehen diese zudem nur eine befristete Kostenerstattung vor. Die Frist beträgt in der Regel zwischen zwei und vier Jahren seit der Anerkennung als Asylberechtigter bzw. seit Eintreffen im Bundesgebiet.
Metadaten/Kopzeile:
20034 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Parl. Staatssekretär Eduard LintnerDrittens. Die Erstattung der Aufwendungen für Bürgerkriegsflüchtlinge, also Ausländer aus Kriegs-und Bürgerkriegsgebieten, hängt von deren jeweiligem ausländerrechtlichem Status ab. Für Bürgerkriegsflüchtlinge, die einen Asylantrag gestellt haben, gelten die Erstattungsregelungen für Asylbewerber. Im übrigen beteiligen sich einige, aber nicht alle Bundesländer bis zu 53 % an den Kosten der Kommunen für Bürgerkriegsflüchtlinge.
Eine Zusatzfrage? Claire Marienfeld : Danke.
Darm schließe ich den Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär Lintner.
Ich komme zum letzten Geschäftsbereich, dem des Bundesministeriums der Finanzen. Die Beantwortung erfolgt durch den Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Joachim Grünewald.
Die Fragen 32 und 33 des Abgeordneten Dr. Nils Diederich werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Frage 34 des Abgeordneten Benno Zierer und die Frage 36 des Abgeordneten Dr. Egon Jüttner werden ebenfalls schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich komme zur Frage 35 der Abgeordneten Uta Titze-Stecher:
Wann genau hat das Bundesministerium der Finanzen das Bayerische Staatsministerium der Finanzen erstmals zur Berichterstattung zum Steuerfall Zwick aufgefordert?
Frau Kollegin, das Bundesministerium der Finanzen hat das Bayerische Staatsministerium der Finanzen erstmals am 25. Oktober 1993 aufgefordert, zur Niederschlagung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis im Fall Zwick zu berichten.
Gehe ich recht in der Annahme, daß die erste Berichterstattung des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen gegenüber dem Bundesfinanzministerium so unbefriedigend für letzteres und/oder ergänzungsbedürftig war, daß weitere Aufforderungen zu Berichterstattungen erfolgt sind? Warum, und mit welchem Ergebnis?
Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär: Das Bundesministerium der Finanzen hat zunächst nur aus der Presse von den Vorgängen Kenntnis bekommen, ist seinerseits initiativ geworden und hat an jenem 23. Oktober aus Anlaß einer Besprechung der Steuerabteilungsleiter von Bund und Ländern den bayerischen Steuerabteilungsleiter befragt, der daraufhin mit der Vorlage von Korrespondenz mit dem Steuerschuldner reagiert hat. Es ist zutreffend, daß unterwegs der weiteren Entwicklung mehrere Rückfragen erforderlich geworden sind.
Das war nicht meine Fragestellung. Das weiß ich bereits aus der schriftlichen Beantwortung der Kleinen Anfrage. Das hätten Sie mir ersparen können.
Meine Frage war, aus welchem Grund weitere Aufforderungen zur Berichterstattung erfolgt sind und mit welchem Ergebnis.
Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär: Die Aufforderungen unterliegen inhaltlich dem Steuergeheimnis, so daß ich Ihnen darauf keine Antwort geben kann.
Das habe ich mir gedacht.
Eine weitere Zusatzfrage?
Wahrscheinlich bekomme ich dieselbe Antwort auf die nächste Frage. Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, daß das Bayerische Staatsministerium der Finanzen — wie Sie eben bestätigt haben — nach öffentlicher Aufdeckung des Gesamtvorgangs von sich aus keine offizielle Verbindung mit dem Bundesfinanzministerium aufgenommen hat? Sieht die Bundesregierung dieses Verhalten des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen nicht als Diskrepanz an zwischen der Bewertung der Steuerangelegenheit durch das Bundesfinanzministerium selbst und der Bewertung der gleichen Angelegenheit durch das bayerische Pendant?
Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär: Die Schlußfolgerung kann ich nicht bestätigen. Es ist zunächst einmal Sache des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen, darüber zu befinden, wann und mit welchem Inhalt es das Bundesfinanzministerium unterrichtet oder gar einschaltet.
Im übrigen ist das — z. B. was Billigkeitsmaßnahmen anlangt — in einem Erlaß des Bundesfinanzministers an die Länderfinanzbehörden geregelt.
Damit ist Ihr Fragevorrat erschöpft. Als nächster kommt Herr Dr. Pfaff.
Herr Staatssekretär, was veranlaßt Ihr Ministerium zu der Folgerung, daß in diesem Steuerfall die Steuern nicht erlassen, sondern nur niedergeschlagen worden sind? Welche Anhaltspunkte liegen eigentlich dafür vor, daß es sich nicht um einen endgültigen Steuerausfall handelt?
Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär: In der schon von der Kollegin zitierten Antwort auf die schriftliche Anfrage der Kollegin Renate Schmidt habe ich darauf hingewiesen, daß wir zur Stunde davon ausgehen, daß es sich nicht um einen Erlaß, sondern in solchen Fällen üblicherweise um eine Niederschlagung der Forderung handelt.
Entschuldigung, das ist nur eine Wiederholung meiner Tatsachenbeschreibung, aber keine Antwort auf meine Frage, Frau Präsidentin. Ich bitte um eine klare Beantwortung meiner Frage. Worauf gründen Sie dieses Vorgehen?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 20035
Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär: Ich habe gesagt, daß wir in Korrespondenz mit dem Bayerischen Staatsministerium der Finanzen stehen und daß es sich nach unserer Beurteilung dieser Vorgänge nur um eine Niederschlagung und nicht um einen Erlaß — d. h. um ein endgültiges Erlöschen der Steuerforderung — handelt.
Frau Präsidentin, ich bitte um Klarstellung, daß die Frage wieder nicht beantwortet wurde, sondern es war eine Wiederholung der Tatsachenbeschreibung, die Gegenstand meiner Frage ist.
Ich kann das zwar klarstellen, aber ich glaube nicht, daß es der Aufklärung weiterhilft.
Ja, das befürchte ich auch.
Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär: Nein, nein, ich habe schon sehr klar beantwortet, daß der Bundesfinanzminister diesen Vorgang — soweit er ihn kennt — nicht als einen Erlaß der Steuerschuld, sondern als eine Niederschlagung der Steuerschuldforderung bewertet.
Warum? Auf welcher Grundlage?
Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär: Auf der Grundlage der uns zur Verfügung stehenden Erkenntnisse, die wir insbesondere in der auch schon erwähnten Korrespondenz mit dem Bayerischen Staatsministerium der Finanzen gewonnen haben.
Soweit Sie — das ist ja erkennbar — auf eine materiell-rechtliche Aussage hinzielen, bitte ich sehr höflich um Verständnis, daß ich dem strafbewehrten Steuergeheimnis verpflichtet bin. Ich bedaure außerordentlich — Herr Kubatschka steht neben Ihnen, er weiß das; ich habe das hier schon häufig sagen müssen —, daß ich den Kollegen dann so unbefriedigende Antworten geben muß und keine anderen geben kann, die ich als von Hause aus freundlicher Kollege lieber geben würde. Ich bitte Sie höflich, das zu respektieren und sich selber nicht in die Gefahr zu begeben, sich einem strafbewehrten Tatbestand anzunähern.
Herr Kubatschka.
Herr Kollege, bevor wir Sie und den Kollegen Pfaff im Gefängnis besuchen, können Sie mir vielleicht folgende Frage beantworten. Wenn das Bundesfinanzministerium unabhängig von der Höhe eines befürchteten oder eingetretenen Steuerausfalls tätig wird, wie es in der Antwort auf die Kleine Anfrage der SPD-Bundestagsfraktion in der Steuersache Zwick behauptet wird, und wenn nach Ansicht des Bundesfinanzministeriums nur von einer Niederschlagung die Rede sein kann: Wie erklärt die Bundesregierung, daß das Bundesfinanzministerium erst nach Presseberichten vom Oktober 1993 in eigener Sache tätig geworden ist und nicht schon 1990, im Zeitpunkt des Erlasses der Steuerschuld?
Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär: Auch das habe ich schon beantworten dürfen, aber ich will es gerne wiederholen. Wir haben erst durch die Presseberichterstattung Kenntnis bekommen — ich füge in Wiederholung hinzu: Das Bayerische Staatsministerium war wohl auch nicht verpflichtet, uns zu unterrichten — und sind dann unverzüglich tätig geworden.
Ich darf noch einmal bestätigen, was Sie gesagt haben. Natürlich ist niemals die Höhe der Steuerschuld Veranlassung zum Tätigwerden des Bundesministeriums der Finanzen, sondern die Prüfung von Rechtsfragen, Fragen der Steuergerechtigkeit und der Gleichbehandlung von Steuerschuldnern. Im übrigen haben wir das auch getan. Wir haben inzwischen, wie auch Sie wissen, die Bundesbetriebsprüfung eingeschaltet.
Herr Hilsberg.
Herr Staatssekretär, wenn das Bundesfinanzministerium von der Erwartung ausgeht, daß es einen eigenen Anteil an den niedergeschlagenen Steuern im angesprochenen Steuerfall erhält: Wie hoch beziffern Sie Ihren Steueranteil, und in welchem Zeitraum hoffen Sie dieses Geld zu erhalten?
Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär: Auch das durfte ich schon sagen. Im Erlaßwege ist geregelt, wann sich die Länder alleine zu Billigkeitsmaßnahmen entscheiden können. Dabei ist nie die Höhe der Steuerschuld maßgeblich, sondern die Frage der ordnungsgemäßen Besteuerung. Wenn Sie jetzt konkret die Zahlen wissen wollen, muß ich mich leider wieder auf das Steuergeheimnis zurückziehen, denn dies betrifft unmittelbar den strafrechtlich bewehrten Teil des Steuergeheimnisses.
Frau Weyel.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß die Bundesregierung die Betriebsprüfung eingeschaltet hat, und wenn ja, was erhoffen Sie sich davon?
Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär: Es trifft zu, daß die Bundesregierung die Betriebsprüfung, die beim Bundesamt für Finanzen angesiedelt ist, mit dem Auftrag eingeschaltet hat, sowohl dieses spezielle Steuerverhältnis, das allerdings auch schon der Betriebsprüfung der bayerischen Finanzbehörden unterlag, wie auch das ganze Umfeld und die sich aus diesem Steuerschuldverhältnis ergebenden Weiterungen zu überprüfen und uns darüber zu berichten. Ich kann Ihnen versichern, daß einleitende Maßnahmen durch die Bundesbetriebsprüfung bereits vorgenommen worden sind.
Frau Klemmer.
Herr Staatssekretär, in welcher Weise und wann ist das Bundesfinanzministerium tätig geworden oder wird es tätig werden, um dafür zu sorgen, daß die bayerischen Finanzbehörden die unbestrittene Darlehensforderung des Steuerschuldners Zwick gegen den Darlehensnehmer Tandler in Höhe von 200 000 DM bei Fälligkeit in Anbe-
Metadaten/Kopzeile:
20036 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Siegrun Klemmertracht des Bundesanteils daran zugunsten der Staatskasse pfänden werden?Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär: Die Frage, vor allen Dingen mit den Feststellungen zum Tatsächlichen, die ja Wertungen enthalten, die dazu führen würden, wozu Herr Kubatschka mir eben freundlicherweise angeboten hat, er wolle mich im Gefängnis gerne besuchen
— oder Sie waren es; entschuldigen Sie, Frau Kollegin; dieser angekündigte Besuch ist ja noch viel erfreulicher —, möchte ich gleichwohl als treuer und altgedienter Jurist entsprechend meinen rechtlichen Verpflichtungen, nämlich einem uneingeschränkten Festhalten am Steuergeheimnis, nicht beantworten.
Jetzt spricht noch Herr Lambinus.
Herr Staatssekretär, ich habe die Antwort auf unsere Kleine Anfrage zur Kenntnis genommen. Dabei stellt sich mir die Frage, ob Ihr Haus der Auffassung ist, daß es allein vom Verständnis des Steuerpflichtigen abhängt, wie er eine Erklärung der Finanzbehörde zu interpretieren hat und inwieweit er, der Steuerpflichtige, die Begriffe Treu und Glauben auszulegen hat.
Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär: Nein, nein, im rechtlichen Streitfall hat das natürlich nie der Steuerpflichtige allein zu entscheiden, sondern in unserem Rechtsstaat mit all seinen Instrumentarien auch in der Finanzgerichtsbarkeit befinden darüber Gott sei Dank andere.
Meine Damen und Herren, ich danke Herrn Staatssekretär Grünewald für seinen Geschäftsbereich und schließe die Fragestunde.
Ich komme zum Tagesordnungspunkt 4:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Überwachung des Verkehrs mit Grundstoffen, die für die unerlaubte Herstellung von Betäubungsmitteln mißbraucht werden können
— Drucksache 12/6961 —
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit
— Drucksache 12/7704 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Gudrun Schaich-Walch
b) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 12/7705 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Roland Sauer Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen)
Dr. Konstanze Wegner
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. — Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Es beginnt die Kollegin Editha Limbach.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe zu Beginn die Aufgabe, zur Beschlußempfehlung und zum Bericht eine kleine Berichtigung redaktioneller Art vorzutragen. Als wir das Gesetz im Ausschuß abschließend beraten haben, war das Gesetz zur Neuordnung des Bundesgesundheitsamtes noch nicht in Kraft. Nachdem dies aber inzwischen durch den Bundesrat gegangen ist, müssen wir an dem Entwurf eines Gesetzes zur Überwachung des Verkehrs mit Grundstoffen, die für die unerlaubte Herstellung von Betäubungsmitteln mißbraucht werden können , einige redaktionelle Änderungen vornehmen. Mir ist mitgeteilt worden, daß ich Ihnen diese hier mit sämtlichen Paragraphen vorlesen muß. — Muß ich das wirklich alles vorlesen, oder darf ich das zu Protokoll geben? * )
Wenn die Parlamentarier damit einverstanden sind, können Sie das zu Protokoll geben. Kann ich dieses Einverständnis voraussetzen? — Das ist der Fall.
Ich sage jetzt, was passiert. Es werden jeweils die Worte „Bundesgesundheitsamt" bzw. „Bundesgesundheitsamtes" durch „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte" bzw. „Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte" ersetzt. Das gleiche geschieht dann auch noch einmal im Bericht der Kollegin Gudrun SchaichWalch, die heute leider nicht hier sein kann.Meine Damen und Herren, wir haben heute mit dem Grundstoffüberwachungsgesetz, so eigentümlich der Name klingt, einen kleinen Beitrag zum Kampf gegen Drogenmißbrauch, insbesondere auch gegen den Mißbrauch bei Herstellern, Händlern und dergleichen, geleistet, und deshalb ist dieses Gesetz wichtig. Es setzt eine EG-Richtlinie um. Ich lege Wert darauf, auch gerade das noch einmal zu betonen. Denn wenn eine EG-Richtlinie dazu führt, daß es aus dem einen oder anderen Grund Unruhe gibt, ärgern wir uns sehr darüber; es gibt viel Kritik. Deshalb meine ich, ist es wichtig, einmal darauf hinzuweisen, daß es eine ganze Reihe von EG-Richtlinien gibt, die uns auch helfen, sinnvolle Lösungen grenzübergreifend zu bekommen.Die Kontrolle des Verkehrs mit Chemikalien, die dazu genutzt werden können, mißbräuchlich Drogen herzustellen, ist sicherlich eine Sache, die man nicht allein auf nationaler Ebene regeln kann, sondern die grenzüberschreitend geregelt werden muß. Daß das*) Anlage 4
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 20037
Editha Limbachhier jetzt in einem weiteren Schritt passieren kann, ist richtig und wichtig. Es ist richtig, europaweit die Überwachung des Verkehrs mit Chemikalien zu verbessern, mit denen, wenn sie illegal abgezweigt werden, Drogen hergestellt werden können, die dann bei vielen Menschen zu große Schäden gesundheitlicher und psychischer Art, zur Zerstörung von Familien, von Karrieren und von Beziehungen beitragen. Es besteht die berechtigte Hoffnung, daß es über Europa hinausgeht. Es gibt Verhandlungen mit den ASEAN-Staaten, es gibt Verhandlungen mit anderen Gruppierungen, so daß heute ein kleiner Baustein, ein Mosaikstein im Kampf gegen Drogen beschlossen werden kann.Es ist wichtig, daß wir das Thema in diesem Zusammenhang heute ansprechen, auch wegen des Urteils von Karlsruhe, das teilweise in bezug auf Drogen, die Verfolgung und Strafe äußerst mißverständlich kommentiert und von manchen auch genutzt wurde, so zu tun, als sei es ab sofort nicht mehr schädlich und auch nicht mehr verboten, mit Drogen zu handeln, sie zu verbreiten, und als sei es nicht schädlich, solche zu nehmen und zu hoffen, durch einen Rausch, in den man sich versetzt, Probleme des Lebens besser meistern zu können. Wo das endet, sehen wir ja leider an der Zahl der Drogentoten, an dem vielen Kummer und Leid, das über Familien und Menschen gebracht wird.Natürlich sind auch wir von der CDU/CSU-Fraktion — ich darf es, glaube ich, für die gesamte Koalition sagen— der Meinung, daß am Beginn Prävention und Vorsorge stehen müssen, weil natürlich das beste Mittel gegen Drogen ist, daß junge oder ältere Menschen gar nicht erst drogensüchtig werden. Wenn es aber nun doch passiert ist — leider —, wegen des verbrecherischen Tuns von Menschen, die aus Geldgier andere dazu verführen, dann muß natürlich für die Betroffenen das Prinzip „Hilfe statt Strafe" am Anfang stehen. Ich glaube, soweit können wir alle gemeinsam folgen.Die SPD hat im Ausschuß den Antrag gestellt, auch im Betäubungsmittelgesetz Veränderungen vorzunehmen, dem wir nicht gefolgt sind, weil wir glauben, daß unsere derzeitigen Vorschriften ausreichen, um einem Betroffenen, Therapiebedürftigen zu helfen, in die Therapie zu gehen. Auch heute schon können Gerichte von Strafe absehen, wenn Entgiftung, ein Therapieplatz oder die feste Absicht, sich in die Therapie zu begeben, vorhanden sind. Mit anderen Worten: „Hilfe statt Strafe" kann auch heute schon stattfinden.Allerdings muß ich dann auch ein Wort an die Länder richten und sie bitten, dafür zu sorgen, daß das, was Länderkompetenz ist, auch geschieht, daß nämlich in der Tat genügend Therapieplätze zur Verfügung gestellt werden. Ich weiß, daß das ein Kostenfaktor ist, ich weiß aber auch, daß bei den Finanzausgleichsverhandlungen zwischen Bund und Ländern ausdrücklich Rücksicht auf das genommen wurde, was Länder tun müssen, und auf das, was der Bund tun muß. Wenn ich z. B. höre, daß in Nordrhein-Westfalen noch etwa eintausend Therapieplätze fehlen — 950 sind da —, dann, meine ich, wäre es erst einmal wichtig, solche Plätze zu schaffen, statt sich darüber zu unterhalten, welche Drogen in welchen Mengen freigegeben werden könnten. Menschen, die süchtig und krank sind und den Mut und den Entschluß gefaßt haben, mit Hilfe von anderen aus der Sucht herauszukommen, müssen dies auch bewerkstelligen können. Dafür brauchen wir diese Therapieplätze.
— Lieber Herr Kollege Lambinus, da ich eine Bürgerin des Landes Nordrhein-Westfalen bin, habe ich mich auf mein eigenes Bundesland bezogen. Im Bundesland Nordrhein-Westfalen fehlen eben eintausend Plätze. Das heißt, etwas mehr als die Hälfte der Plätze, die eigentlich notwendig wären, fehlen leider noch.Wir wollen unnachsichtig und mit aller Strenge gegen diejenigen vorgehen, die mit Drogen handeln und dadurch anderen schaden. Es wird eben schwierig, wenn man auf die „kleinen Mengen" abhebt. Die Polizeibehörden und auch die Betreuer, die mit Drogensüchtigen zu tun haben, sagen uns, daß die Dealer, jedenfalls die kleineren Dealer, zunehmend dazu übergehen, nur noch kleinste Portionen bei sich zu tragen — sie haben irgendwo ihr Depot —, um, falls sie erwischt werden, der Bestrafung entgehen zu können. Denn sie können sagen: Das ist nur die Droge für meinen persönlichen Bedarf.Das wollen wir nicht. Ich glaube, es ist ganz wichtig, daß wir uns gemeinsam anstrengen, alle möglichen Schritte zu tun, um zum Schutze der Menschen, die betroffen sein könnten oder betroffen sind, voranzukommen. Das Grundstoffüberwachungsgesetz, über das wir heute zu befinden haben, ist ein Schritt, ein Beitrag dazu. Deshalb werden wir dem Gesetz gerne zustimmen.
Als nächster der Kollege Singer.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Grundstoffüberwachungsgesetz, das wir heute zu meiner Verwunderung, aber auch zu meiner angenehmen Überraschung abschließend beraten, ist eines der ganz wenigen Gesetze, das wirklich einen Beitrag zur Bekämpfung der organisierten Rauschgiftkriminalität leistet.Ich habe einmal versucht, mich zu erinnern, wann ich das erste Mal mit den Begriffen Aceton und Äther konfrontiert worden bin. Das sind die beiden Stoffe, die bevorzugt zur Herstellung der Pasta basica cocaina, also der Kokainpaste, benutzt werden. Aceton und Äther werden in besonders starkem Maße gerade in den illegalen Urwaldlabors der südamerikanischen Länder Bolivien, Kolumbien und Peru aufgefunden.Vor fünf Jahren war es das erste Mal, daß mir der amerikanische Botschafter in La Paz mit den an seiner Botschaft stationierten Drogenbekämpfungsbeamten massiv vorgeworfen hat, daß zu viele dieser Grundstoffe von Deutschland nach Südamerika exportiert würden. Die kritische Antwort auf meine kritische Frage, die ich vom Bundeskriminalamt erhielt, hieß, man kooperiere mit der chemischen Industrie in Deutschland. Die informelle Zusammenarbeit zwi-
Metadaten/Kopzeile:
20038 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Johannes Singerschen dem Verband der chemischen Industrie und den deutschen Strafverfolgungsbehörden funktioniere ganz gut. Man werde rechtzeitig unterrichten, wenn Verdächtige Bestellungen dieser Chemikalien in größerem Umfang aufgäben, um die Strafverfolgungsbehörden in den Stand zu setzen, aktiv zu werden.Wir haben aber lernen müssen, daß es mit der informellen Zusammenarbeit alleine nicht geht, daß man ein Gesetz braucht. Ich lobe das Gesetz; das Gesetz war notwendig. Die Sozialdemokraten haben es seit mehreren Jahren gefordert. Aber das zeigt auch, wie wenig wir uns im Grunde genommen um die wirklichen Probleme der Bekämpfung der organisierten Rauschgiftkriminalität bisher gekümmert haben.
Wir haben immer nur Vorschriften geschaffen, mit denen der kleine Konsument und der eine oder andere Straßendealer verfolgt wurden. Aber alle unsere Vorschriften haben die Drogenbosse, die von ihnen geleiteten internationalen Drogenkartelle und die bandenmäßig organisierte internationale Rauschgiftkriminalität nicht sonderlich beeindrucken können. In den letzten zwölf Jahren haben wir an den Strafrahmen herumgedoktert. Auch das hat nicht viel gebracht. Ich habe von dieser Stelle aus schon mehrfach darauf hingewiesen, daß ein Berufsverbrecher Angst vor dem Erwischtwerden, vor der schnellen Strafe hat, aber sich höchst wenig Gedanken über die angedrohte Strafhöhe macht. Das ist das letzte, woran er denkt.Wir müssen also die Polizei in den Stand setzen, die Kartelle zu durchdringen, zu zerschlagen und die Händler aufzuspüren. Dafür wäre es wichtig gewesen, ein wirklich funktionierendes Geldwäschegesetz zu verabschieden, das niedrigere Schwellenwerte als bisher vorsieht, das die Auslandsfilialen deutscher Banken erfaßt und das auch leichter nachweisbare Schuldformen vorsieht und nicht erst die grobe Fahrlässigkeit, wie Sie es ins Gesetz geschrieben haben.Geldwäschegesetz, Grundstoffüberwachungsgesetz, Beweislastumkehr und elektronische Überwachung von verbrecherischen Verabredungen, das sind die zentralen Forderungen der Kriminalpolizei, und das sind die Mittel, die wir ihr an die Hand geben müssen, um wirklich einen Erfolg gegen die internationale Rauschgiftkriminalität zu erzielen. Das Grundstoffüberwachungsgesetz ist nur ein — wenn auch ein begrüßenswerter — Schritt dazu.
Nehmen Sie es mir bitte nicht übel, wenn ich Ihnen vorhalte: Die Initiativen dazu sind bisher nicht von den Koalitionsfraktionen oder der Bundesregierung gekommen.
Das erste Gesetz zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität, Herr Minister Seehofer, kam vom Bundesrat, nicht von der Bundesregierung.
Das Grundstoffüberwachungsgesetz von heute setzt eine EG-Richtlinie um. Das heißt: Wir haben da einen sanften Schubs aus Straßburg oder aus Brüssel — wie Sie wollen — gekriegt.Das Zweite Gesetz zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität enthält spezifisch für die Drogenkriminalität nichts. Es gibt zwar ganz sinnvolle Vorschriften zur Bekämpfung des Rechtsradikalismus und andere Vorschriften, die auch ich begrüßt habe und denen wir zugestimmt haben, aber für die Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität enthält das Verbrechensbekämpfungsgesetz, das wir letzten Freitag hier behandelt haben, eben leider nichts.Deswegen noch einmal mein Appell: Wir müssen uns darauf verständigen, die von mir geforderten Maßnahmen im Strafrecht — dort, wo es um die organisierte Kriminalität geht — ganz erheblich zu verbessern. Es macht keinen Sinn — das wiederhole ich an dieser Stelle —, die Polizei sich verzetteln zu lassen, indem man sie jedem kleinen Kiffer und kleinem Junkie hinterherschickt. Das bringt nichts. Das vergeudet wertvolle Arbeitszeit unserer Polizei. Sie erleben das ja tagtäglich in unseren Großstädten: Wenn Sie die eine Szene am Neumarkt in Köln zerschlagen, dann haben Sie sie wenig später ein paar Straßenzüge weiter. Gleiches gilt, wenn Sie die Szene in der Taunusanlage in Frankfurt oder im Stadtteil St. Georg in Hamburg zerschlagen.Deswegen noch ein kurzer Hinweis zu der Frage der Therapie: Wir müßten tatsächlich eine ganze Menge von dem Geld, das wir zur Zeit bei der Verfolgung der Kleinverbraucher aufwenden, auf die Prävention, auf die Suchtforschung, auf die Vorbeugung, auf die Prophylaxe umlenken. Dafür geschieht viel zuwenig,
ebensowenig wie in der Bereitstellung von Therapieplätzen. Frau Limbach, da gebe ich Ihnen recht. Aber ich kann Ihnen da natürlich die Zahlen nachliefern. Sie stehen wunderbar in der Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage zur Umsetzung des Rauschgiftbekämpfungsplans. Natürlich hat Nordrhein-Westfalen viel zuwenig Therapieplätze. Das gilt allerdings für Bayern und Baden-Württemberg in gleichem Umfange. Ein Therapieplatz kostet nun einmal 150 000 DM.
Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt 6 000 Therapieplätze bei 120 000 Abhängigen von harten Drogen, also richtigen Suchtkranken. 120 000 Betroffenen stehen 6 000 Therapieplätze gegenüber. Daß das vorne und hinten nicht reicht, darüber brauchen wir uns hier nicht lange zu streiten. Wir wissen aber auch die Gründe. Wir wissen, wie leer die Kassen, die Haushalte der Bundesländer sind.Deswegen bedürfte es da schon einer Gemeinschaftsanstrengung von Bund, Ländern und Kommunen, die natürlich mit ihren Drogenberatungsstellen und der Arbeit vor Ort eine ganz erhebliche Last bei der Bekämpfung des Rauschgiftproblems tragen. Das wird, glaube ich, hier auch nicht strittig sein.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 20039
Johannes SingerNur, unsere Position heißt: Verstärkung der Bekämpfung der organisierten Rauschgiftkriminalität und Entkriminalisierung des Konsumenten. Ich kann Sie trösten, Frau Limbach: In der Praxis ist es für einen Dealer gar nicht so einfach, immer nur mit einem Wochenvorrat oder einem Kleinvorrat in der Gegend herumzulaufen. Beim ständigen Aufsuchen des Depots wird er natürlich sehr schnell von der Polizei dabei beobachtet. Wenn ein solcher Dealer das zweite oder dritte Mal sistiert wird — auch wenn er immer nur den Eigenvorrat bei sich hat —, wird für den erfahrenen Kriminalbeamten sehr, sehr schnell klar, daß es sich eben nicht um einen reinen Konsumenten handelt, sondern um jemanden, der auch sein Geld damit verdient, der womöglich seinen eigenen Konsum sogar finanziert.Da ist die Grenze sehr schnell überschritten, bei der die Wohltaten des § 31 a des Betäubungsmittelgesetzes nicht mehr in Anspruch genommen werden können und von einer Einstellungsmöglichkeit keine Rede mehr sein kann, sondern wo verfolgt werden muß.Also: Dem Grundstoffüberwachungsgesetz werden auch wir heute hier zustimmen und hoffen, daß es uns einen Schritt weiterbringt. Wir hoffen weiter auf die Einsicht — zumindest der größeren Koalitionspartei —,
daß sie uns in den zwei zentralen Fragen unterstützt. Beim Geldwäschegesetz hatte sich das angedeutet. Da hätte ich mit dem Berichterstatter aus Ihrer Fraktion eher und schneller Einigkeit erzielen können als mit anderen, die sich da in den Verhandlungen befunden haben. Es gibt von Ihnen auch Äußerungen zur elektronischen Überwachung, die den Vorstellungen der SPD näherkommen als das, was ich von der ganz rechten Seite dieses Hauses bisher dazu zu hören bekommen habe.Aber das werden Auseinandersetzungen sein, die wir in den nächsten Monaten noch einmal intensiv zu führen haben. Die unterschiedlichen Konzepte werden wir einander gegenüberstellen. Dann wird sich eben auch der Wähler zu entscheiden haben, welches Konzept er für das erfolgversprechendere und das bessere hält.Schönen Dank.
Als nächster spricht unser Kollege Dr. Bruno Menzel.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Thema Drogen ist in den letzten Tagen und Wochen auf Grund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts und der darauf folgenden Drogenrichtlinien in NordrheinWestfalen nochmals intensiv diskutiert worden.Es gibt dabei, wie wir alle feststellen konnten, unterschiedliche Auffassungen, wie man dem Problem der Drogensucht am besten beikommen kann bzw. wie es zumindest gelingt, die Zahl der Drogenabhängigen zu reduzieren.Ich glaube, der gemeinsame Bericht des BMG und des BMI zur Rauschgiftsituation und zur Weiterentwicklung der Drogenpolitik macht deutlich, daß wir alle Anstrengungen unternehmen müssen, um das Drogenproblem in den Griff zu bekommen. Die Zahl von 1 738 Rauschgifttoten im Jahr 1993 spricht für sich.Daß in diesem Rahmen der Prävention eine ganz entscheidende Rolle zukommt, ist, denke ich, völlig unbestritten. Daß das Prinzip „Hilfe vor Bestrafung" stärker angewandt werden muß, ist sicherlich ebenfalls zwischen allen Beteiligten konsensfähig.Dazu gehört natürlich auch die Bereitstellung einer ausreichenden Zahl von Therapieplätzen — das ist völlig richtig —, und zwar in ausgezeichneter und guter Qualität. Das gehört ebenso dazu.Darüber hinaus müssen die Voraussetzungen für das Entstehen von Sucht sowie die Auswirkungen des Suchtverhaltens grundlegend untersucht werden. Wir wissen immer noch viel zuwenig über diese Zusammenhänge.Zu einem effizienten Drogenkonzept gehört neben der Prävention, der Therapie und Hilfe sowie der Grundlagenforschung aber auch das Bestreben, gefährliche Rauschgifte nach Möglichkeit gar nicht erst an die Konsumenten herankommen zu lassen.Der Erschwerung der Rauschgiftherstellung dient der nunmehr vorliegende Entwurf eines Grundstoffüberwachungsgesetzes, der die Kontrolle und Überwachung des EG-innergemeinschaftlichen Verkehrs mit Chemikalien vorsieht, die als Grundstoffe für die illegale Rauschgiftproduktion Verwendung finden können.Ich denke, man sollte hier auch einmal darauf hinweisen — Sie haben das ja vorhin angesprochen, Herr Kollege —, daß gerade unser Land nach England und Dänemark das dritte Land ist, das diese EG-Richtlinie umsetzt, und daß es bei uns dazu eines besonderen Gesetzes bedarf. Daraus mögen Sie ersehen, wie schnell die Regierung handelt und wie schnell wir versuchen, diese Dinge in die Praxis umzusetzen, damit alles getan wird, um auch kleine Schritte zur Rauschgiftprävention zu tun; denn die mißbräuchliche Abzweigung und Verwendung dieser Grundstoffe wird ja durch dieses Gesetz zumindest erschwert. Je nach Art der Grundstoffe ist dabei entweder eine Erlaubnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte für die Inverkehrbringung solcher Grundstoffe notwendig oder aber eine Anzeige beim Bundesgesundheitsamt.Die Benennung eines Verantwortlichen in jedem Betrieb, der Grundstoffe herstellt oder in Verkehr bringt, trägt ein übriges zur Sicherheit bei. Der Rekurs auf die allgemeinen Sorgfaltspflichten der Wirtschaftsbeteiligten wird hoffentlich ebenso Erfolge zeigen wie veränderte Strafvorschriften und andere Sanktionen. Sämtliche EG-Mitgliedsländer sind dabei verpflichtet, die gleichen Rechtsvorschriften anzuwenden. Dies ist bei offenen Grenzen im Prinzip auch überhaupt nicht anders machbar, da ansonsten Grundstoffe aus anderen EG-Ländern problemlos in die Bundesrepublik gelangen könnten.
Metadaten/Kopzeile:
20040 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Dr. Bruno MenzelMeine Damen und Herren, Bund und Länder werden zwar infolge der Durchführung dieses Gesetzes mit Kosten belastet — insbesondere betrifft dies einen erhöhten Bedarf an Personal sowie höhere Sachkosten beim Zollkriminalamt und beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte —, diese Mehrbelastung ist jedoch nicht so groß, daß sie tatsächliche Finanzengpässe zur Folge haben würde. Wenn uns hierdurch eine Verminderung des Rauschgiftkonsums gelingt — und sei sie auch noch so klein —, dann sind diese Mehrkosten vollauf gerechtfertigt.Ein solches Grundstoffüberwachungsgesetz ist kein Allheilmittel zur Reduzierung der Drogenabhängigkeit, es ist jedoch ein Steinchen mehr in dem Puzzle, das wir zu legen haben, um diesem gesellschaftpolitisch äußerst brisanten Problem beizukommen.Ich danke Ihnen.
Als nächste spricht die Kollegin Dr. Ursula Fischer.
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Gesetz soll die Verwendung von genau definierten chemischen Grundstoffen, z. B. Äther und Aceton, zur unerlaubten Herstellung von Betäubungsmitteln bekämpft werden. Diesem Ziel dienen u. a. entsprechende Kontrollmaßnahmen wie Erlaubniserteilung, Anzeigepflichten, Verpflichtungen zur Zusammenarbeit mit Behörden und schließlich entsprechende Strafvorschriften.
Die im Gesetz enthaltenen Maßnahmen und Bestimmungen sind inzwischen weitgehend ausgefeilt, ja sogar eher überkompliziert. Sie beziehen nun auch die Industrie in akzeptabler Weise in das zu knüpfende Kontroll- und Überwachungssystem ein.
Mit den getroffenen Regelungen werden — wenn auch ziemlich verspätet — einschlägige EU-Richtlinien von 1992 in nationales Recht überführt, die ihrerseits auf das Suchtstoffübereinkommen der Vereinten Nationen aus dem Jahre 1988 zurückgehen. Das Gesetz ist auch deshalb gerade auf diesem Gebiet der internationalen Kriminalität zu begrüßen, weil sich auf diese Weise alle Mitgliedstaaten der EU den gleichen Rechtsvorschriften unterwerfen.
Aber wenn es auch zweifellos sehr wichtig ist, von diesem Teilsektor der chemischen Grundstoffe aus die Herstellung von Betäubungsmitteln einzudämmen, wird mit diesem Gesetz natürlich nur ein sehr begrenzter Beitrag — das ist hier auch schon gesagt worden — zur Lösung des Drogenproblems geleistet werden können. Um mehr zu erreichen, bedarf es eines grundlegenden Wandels der Drogenpolitik in der Bundesrepublik.
Das gegenwärtige Konzept ist nach übereinstimmender Auffassung aller Fachleute, die wirklich mit seinen Auswirkungen konfrontiert sind, seit langem vollständig gescheitert. Es ist bekanntlich gekennzeichnet durch ein hohes Maß an Ideologisierungen, zum Teil auch an Fehlinformationen. Indem ein verhängnisvoller Kreislauf zwischen Kriminalisierung und Abhängigkeit aufrechterhalten wird, produziert
die regierungsoffizielle Drogenpolitik zu großen Teilen selbst die Probleme, die sie zu lösen vorgibt. Beschaffungskriminalität und Prostitution sind die logische Folge.
Abhängige, die sich einer Therapie unterziehen wollen, haben oft nur geringe Chancen, da es an Therapieeinrichtungen, an Substitutionsprogrammen und vor allen Dingen auch an sozialer Unterstützung fehlt. Strafe und Gefängnisaufenthalt verschärfen in der Regel die Lage.
Die herrschende Drogenpolitik setzt auf das Strafrecht, auf die Mittel der Repression. Kriminalisiert werden jedoch die Konsumentinnen und Konsumenten, nicht die großen Händler und die Drogenbosse.
Wir alle sind durch zahlreiche Anhörungen, Gespräche mit Fachleuten und wissenschaftliche Publikationen sehr wohl über das Fiasko der bundesrepublikanischen Drogenpolitik informiert. Trotzdem verweigert die Bundesregierung hartnäckig die erforderliche Kehrtwendung und trägt damit zur Aufrechterhaltung der schlimmen Situation bei. Angesichts der unbestrittenen Nützlichkeit des vorliegenden Gesetzes, aber auch angesichts der offenkundigen Unfähigkeit der Bundesregierung, z. B. durch entsprechende Änderungen des Betäubungsmittelgesetzes, zu einer humaneren und zugleich wirksameren Politik bei der Bekämpfung des Drogenelends zu kommen, werden wir uns der Stimme enthalten.
Der Minister Seehofer hat — mit Ihrer Genehmigung — seine Rede zu Protokoll gegeben.*) — Damit sind wir am Ende der Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Überwachung des Verkehrs mit Grundstoffen, die für die unerlaubte Herstellung von Betäubungsmitteln mißbraucht werden können, Drucksachen 12/6961 und 12/7704. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung mit den durch die Berichterstatterin vorgelegten Berichtigungen zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung bei zwei Enthaltungen der PDS angenommen.Dritte Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD bei Enthaltung der PDS angenommen worden.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 a bis c auf:a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Claudia Nolte, Ilse Falk, Dr. Maria Böhmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Mar-*) Anlage 5
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 20041
Präsidentin Dr. Rita Süssmuthgret Funke-Schmitt-Rink, Uta Würfel, Ina Albowitz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.Situation der Jugend in Deutschland— Drucksachen 12/4879, 12/6836 —b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Frauen und Jugend zu dem Antrag der Abgeordneten Michael Habermann, Christel Hanewinckel, Angelika Barbe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDFür einen gerechten Lastenausgleich zwischen Bund und Ländern zur Sicherung des Anspruchs unserer Kinder auf einen Kindergartenplatz ab 1996— Drucksachen 12/4127, 12/6792 —Berichterstattung:Abgeordnete Maria Eichhorn Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink Hanna Wolfc) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Frauen und Jugend zu dem Antrag der Abgeordneten Evelin Fischer (Gräfenhainichen), Ralf Walter (Cochem), Robert Antretter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDFörderung und Intensivierung der „deutschdeutschen" Jugendbegegnung— Drucksachen 12/5415, 12/7641 —Berichterstattung:Abgeordnete Ronald Pofalla Dr. Sigfried SemperRalf Walter
Zur Großen Anfrage liegen je ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vor.Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Aussprache zwei Stunden vorgesehen. — Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Wir verfahren so.Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt die Kollegin Claudia Nolte.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Im Entwurf ihrer Regierungserklärung vom Sommer 1944 hatten Ludwig Beck und Carl Friedrich Goerdeler die Mißachtung und den Mißbrauch des Wahrhaftigkeitssinns und mit ihm des Idealismus der Jugend als das wohl größte Verbrechen der nationalsozialistischen Diktatur bezeichnet. Es sei vor allem die deutsche Jugend, die nach der Wahrhaftigkeit riefe, schrieben die führenden Leute des Widerstands gegen Hitler. Das Attentat vom 20. Juli, dessen 50. Jahrestag wir in wenigen Wochen gedenken, scheiterte — und mit ihm viele Hoffnungen.Es gehört zu unserer Geschichte, daß nach dem Krieg in einem Teil Deutschlands wieder eine Diktatur den Idealismus der Jugend für ihre Ideologie mißbrauchte. Dabei ist doch das Wichtigste, was der Staat jungen Menschen bieten kann, daß sie sich frei nachihren Fähigkeiten und Vorstellungen unabhängig von Überzeugungen und Weltanschauungen entfalten können. Deshalb war die Schaffung eines wiedervereinigten freien Deutschlands die wichtigste politische Leistung, gerade für die jungen Menschen der ehemaligen DDR.Chancen sind aber immer auch Herausforderungen. Große Anpassungsleistungen müssen erbracht werden, ohne sich dabei auf gefestigte Strukturen stützen zu können.Liebe Kolleginnen und Kollegen, in einer freiheitlichen Demokratie laufen Prozesse ab, die eine stetige Anpassung verlangen. Wir Politikerinnen und Politiker sind deshalb gefordert, von Zeit zu Zeit innezuhalten und uns die gegenwärtige Situation vor Augen zu führen: Welche Fragen bewegen unsere heutige Jugend? Vor welchen Herausforderungen steht sie? Greifen unsere Instrumentarien der Jugendhilfe? Welche neuen Prozesse bahnen sich an?Dies waren für uns Gründe zu einer Großen Anfrage „Situation der Jugend in Deutschland". Eine solche Analyse ist schwierig, nicht nur weil die Antworten auf eine solche Anfrage oft nur eine Momentaufnahme sein können, sondern auch weil es die Jugend schlechthin nicht gibt. Bedürfnisse, Einstellungen und Verhalten junger Menschen sind mindestens so vielfältig wie die der Erwachsenen. Allen gemeinsam ist, daß sie sich in einem Lebensabschnitt befinden, in dem man Orientierung sucht und Voraussetzungen für den weiteren Lebensweg schaffen will.Deshalb hat das Umfeld, in dem junge Menschen aufwachsen, eine elementare Bedeutung: die positiven Erfahrungen, die Kinder und Jugendliche in ihren Familien machen, die Zuwendung von Eltern, die Gespräche mit ihnen, das Erleben von Solidarität unter den Generationen in der Familie, die Vermittlung von Bindung und Werten, aber auch die negativen Erfahrungen, wenn dies nicht erlebt wird. Ebenso wichtig für junge Menschen ist, welche Perspektiven sie für sich sehen.Ich teile die Auffassung der Bundesregierung, wenn sie in der Antwort auf die Große Anfrage schreibt:Die Interessen junger Menschen fließen in alle Politikbereiche ein: Fragen der Wirtschafts- und Finanzpolitik, der Bildungs- und Technologiepolitik, der Friedens- und Verteidigungspolitik, der inneren Sicherheit und sozialen Gerechtigkeit wirken sich unmittelbar auf die Situation junger Menschen in Staat und Gesellschaft aus.Dabei beobachten Jugendliche die Entwicklungen sehr genau, z. B. ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt, den Umgang mit Umwelt und Natur oder die Probleme der Dritten und Vierten Welt. Entgegen vielfacher anderslautender Behauptungen zeigt die Antwort der Bundesregierung, daß Jugendliche durchaus die Bereitschaft mitbringen, selbst Hand anzulegen. Über 120 000 junge Frauen und Männer haben in den letzten 20 Jahren für ein Taschengeld ein Freiwilliges Soziales Jahr absolviert. Auch für das seit Sommer 1993 bestehende Freiwillige Ökologische Jahr übertrifft das Interesse die angebotenen Plätze. Diese Programme müssen in den nächsten Jahren dringend ausgeweitet werden.
Metadaten/Kopzeile:
20042 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Claudia NolteWir sind stolz auf die vielen ehrenamtlichen Helfer in unserem Land. Sie setzen ein Zeichen für praktische Solidarität und Mitmenschlichkeit. Ich möchte diese Debatte nutzen, um gerade den vielen jungen Menschen, die in ihrer Freizeit Ehrenämter ausüben, unseren Dank und unsere Anerkennung auszudrükken.
Ihr Engagement für die Gesellschaft, für die Gemeinschaft und die Umwelt ist auch ein Zeichen ihres politischen Interesses.Ich bezweifle, daß aus der abnehmenden Bereitschaft junger Menschen, sich in Parteien und Verbänden zu engagieren, auf eine allgemeine Politikverdrossenheit geschlossen werden kann.
Es liegt an uns, wie wir mit Jugendlichen ins Gespräch kommen, und an der Art, Politik zu machen, die überzeugt.Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Aufgabenschwerpunkt für die Jugendhilfepolitik des Bundes liegt derzeit notwendigerweise eindeutig in den neuen Bundesländern. Auf Grund des Verständnisses der Jugendhilfe in der ehemaligen DDR war das Profil der Jugendämter nicht mit den heutigen Anforderungen vergleichbar. Strukturen pluraler, freier Träger waren nicht vorhanden. Es bedurfte großer Kraftanstrengungen, dies in kurzer Zeit aufzuholen. Dabei ist erfreulich, daß der Aufbau der öffentlichen Verwaltung praktisch abgeschlossen ist.Eine wichtige Unterstützung für die Mitarbeiter der öffentlichen Jugendhilfe war dabei das Programm zum Informations-, Beratungs- und Fortbildungsdienst Jugendhilfe. So kam es zu einer engen Zusammenarbeit von Jugendhilfepraktikern aus Ost und West, die einen wichtigen Beitrag zum gegenseitigen Verständnis leisteten.Beim Aufbau freier Träger hat sich in den Jahren 1992 und 1993 mit Hilfe des Bundes vieles weiterbewegt. Darauf sollte aufgebaut werden. Den Jugendverbänden und den freien Trägern der Jugendhilfe muß es nach wie vor Verpflichtung sein, den Schwerpunkt ihrer Arbeit auf die neuen Bundesländer zu verlegen.Jugendarbeit vor Ort ist auf Kontinuität angewiesen. Deshalb appelliere ich an die Kommunalpolitiker, ihrer Verantwortung gegenüber Kindern und Jugendlichen gerecht zu werden. Das neue Kinder- und Jugendhilfegesetz hat sich in der Praxis bewährt. Es bietet geeignete Instrumentarien an, die ausgeschöpft werden müssen.Neue Herausforderungen verlangen darüberaus aber auch neue Wege. Ideen und Modelle existieren. Ich hielte es für sinnvoll, gewonnene Erfahrungen in Zusammenarbeit zwischen kommunalen Spitzenverbänden, Ländern und Bund auszutauschen und gezielt weiter zu entwickeln.Viele der Visionen der Jugendlichen von gestern, der jungen Generation der ersten Hälfte des Jahrhunderts, sind heute Wirklichkeit. Der Traum von einem freien und friedlichen Europa, in dem niemand materielle Not leidet, ist heute realistischer als jemals zuvor.
Wer sich heute mit Jugendlichen in Deutschland unterhält, der spricht ganz überwiegend mit jungen Europäern. Sie sind vielleicht nicht mehr erfüllt von der Begeisterung ihrer Großmütter und Großväter, die von Europa Frieden erhofften, nicht mehr gestärkt vom Elan ihrer Eltern, die von Europa Wohlstand erwarteten. Aber sie begreifen, daß ohne die Europäische Union die großen Aufgaben, vor denen wir heute stehen, die Bewahrung unserer Schöpfung, die Schaffung einer gerechten Weltfriedens- und Weltwirtschaftsordnung, nicht zu bewältigen sind. Es kommt auf die jungen Menschen unseres Jahrzehnts an, daß das Erreichte bewahrt und gleichzeitig erweitert und vertieft wird.Die Ideale unserer damals jugendlichen Großeltern und Eltern sind eine Verpflichtung für die Jugend von heute. Ich bin überzeugt, daß sie ihrer Verantwortung gerecht wird.Danke.
Als nächste spricht die Kollegin Dr. Edith Niehuis.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! Es ist gut, daß uns die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage „Situation der Jugend in Deutschland" noch einmal Gelegenheit gibt, über Jugend und Jugendpolitik zu diskutieren. Es ist gut, obwohl es natürlich leicht zu durchschauen ist, warum gerade die die Regierung tragenden Fraktionen gegen Ende der Legislaturperiode diese Große Anfrage einbrachten.Immer wieder ist öffentliche Kritik an der Jugendpolitik der Kohl-Regierung zu hören. Mit dieser Großen Anfrage sollte sich die Bundesregierung in ein gutes Licht setzen können. Das ist allerdings nicht gelungen, weil Große Anfragen trotz aller wohlwollenden Formulierung nämlich nicht in der Lage sind, eine schlechte Politik zu verkleistern oder gar zu ersetzen.
Weil sie eben nur schönreden wollte, klammert die Bundesregierung in ihrer Antwort Wesentliches, was zur Situation der Jugend in Deutschland gehört, aus. Dazu gehört die Ausbildungs- und Berufsnot vieler Jugendlicher, der man für die nächsten Jahre eine deutlich steigende Tendenz vorhersagt.Man löst doch z. B. das Problem von jungen Erwachsenen ohne Berufsschulabschluß nicht dadurch, daß man es verschweigt. Dahinter stecken ungeheure gegenwärtige und zukünftige Arbeitsmarktprobleme und auch Aufgaben der Jugendhilfe. Was meinen sie wohl, was die betroffenen Jugendlichen, die wegen der Chancenlosigkeit im Osten gen Westen wandern, um überhaupt eine gute Berufsausbildung zu bekommen, empfinden, wenn sie in der Antwort der Bundes-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 20043
Dr. Edith Niehuisregierung lesen, daß diese Mobilität „zur Entwicklung einer wünschenswerten Normalität" gehört? So eine Antwort hat nichts mehr mit diplomatischem Verkleistern zu tun.In ähnlicher Weise umschiffen Sie Fragen der Familienarmut und den Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Wenn über eine Million Kinder in Familien aufwachsen, die von der Sozialhilfe leben, wenn 500 000 Kinder in Wohnungsnot und Obdachlosigkeit leben müssen, dann gehört das auch zur Situation der Jugend in Deutschland und hätte in der Antwort eine entsprechende Berücksichtigung finden müssen. Die Situation von Familien ist für die persönliche und soziale Entwicklung von Kindern und Jugendlichen von großer Bedeutung.In der Antwort auf die Große Anfrage versuchen Sie, die familienpolitische Bilanz nach zwölf Jahren CDU/ CSU- und F.D.P.-Regierung zu verschleiern. Doch bei soviel Mangel an Selbstkritik passieren natürlich auch Eigentore. Sie sagen in Ihrer Drucksache:Die Familienpolitik der Bundesregierung hat es sich zur Aufgabe gemacht, ..., daß jungen Menschen eine Entscheidung für die Familie und für das Leben mit Kindern erleichtert wird, . . .Das ist eine politische Aussage. Wie sieht jedoch die Bilanz aus? Die Geburtenzahl in den neuen Bundesländern ist im Vergleich zu 1989 um 60 % gesunken und im Westen rückläufig. Genau das Gegenteil ist also passiert.
Sie appellieren mit Blick auf problematische Jugendliche gern an Familien und an ihre Erziehungsfähigkeit und Wertorientierung. Das sollte man, denke ich, allerdings erst dann tun, wenn man selbst genug für die Familien getan hat.Kinder und Jugendliche sind eigene Rechtssubjekte, die ein eigenes Recht auf Entwicklung und Entfaltung haben. Dazu brauchen sie die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. So sieht es auch die UN-Kinderrechtskonvention. Wir, die SPD, fordern daher in der laufenden Verfassungsdiskussion, den Art. 6 des Grundgesetzes so zu ergänzen, daß die eigenständigen Rechte von Kindern und Jugendlichen auf Entwicklung und Entfaltung im Grundgesetz abgesichert werden. Doch die CDU/ CSU und die F.D.P. weigern sich, diese notwendige Grundgesetzänderung mitzutragen.Aus gutem Grund ist bei der Gründung der Bundesrepublik Deutschland neben der öffentlichen Jugendhilfe die plurale Struktur mit freien Trägern gewollt worden. Diese im vereinigten Deutschland zu erhalten und in den neuen Bundesländern aufzubauen ist eine große Herausforderung. Daran besteht kein Zweifel. Um so wichtiger ist es, daß man einen erfolgversprechenden politischen Ansatz wählt. Darum war es ein schwerer Fehler, daß Sie das Programm „Aufbau freier Träger", AFT, als jeweils auf ein Jahr befristetes Sonderprogramm gefahren haben. Sie haben Unsicherheiten in der Konzeption, bei den Trägern und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, kurzum: Reibungsverluste produziert, die inder Gesamtbilanz dazu führen, daß das Geld, das investiert wurde, nicht effektiv eingesetzt werden konnte.Wie in den vergangenen zwei Jahren stellt sich wieder die große Frage: Wird der noch geförderte AFT-Rest, d. h. die Arbeit der Tutorinnen und Tutoren, 1995 weitergeführt? Die Forderung nach weiterer Förderung entspringt der Befürchtung, daß das Wenige, das bisher auf dem Sektor der freien Jugendhilfe in den neuen Bundesländern erreicht wurde, beim Auslaufen des Programms, bei Nicht-Weiterförderung gefährdet ist. Es wäre wirklich besser gewesen, die Bundesregierung hätte die wichtige Aufgabe, Strukturen freier Träger in den neuen Bundesländern aufzubauen, mit einer beständigen jugendpolitischen Konzeption durchgeführt.
— Dazu komme ich noch. Sie haben doch das Programm aufgelegt.
— Ja und? Etwas, was schätzungsweise zehn Jahre dauert, mit Einjahreskonzepten bewältigen zu wollen, ist vom Ansatz her falsch, Herr Pofalla.
Mir scheint allerdings das Interesse der Bundesregierung an der freien Jugendhilfe ohnehin nur ein mäßiges zu sein.
Denn mit dem klassischen Förderinstrument für die Jugendarbeit auf der Ebene des Bundes, dem Bundesjugendplan, sind Sie in der Regierungszeit sehr nachlässig umgegangen. Mehrfach mußte ich Sie in den vergangenen Debatten darauf hinweisen, daß Sie durch das Nullwachstum im Bundesjugendplan den Jugendverbänden ein Minuswachstum verordnet haben, weil die steigenden Personal- und Sachkosten nur schwer gedeckt werden konnten.
Wenn die Regierung angesichts der allgemeinen Stellenstreichung jetzt anfängt, Stellen bei Dachorganisationen der Jugendverbände zu streichen, dann fängt sie an, die freie Jugendarbeit stark zu schwächen.Ich halte das für keinen guten, den Problemen der Zeit angemessenen Weg. Er widerspricht auch dem Auftrag des Kinder- und Jugendhilfegesetzes.Was mich in diesem Zusammenhang empört, ist die Art und Weise, wie der Bundeskanzler die Öffentlichkeit an der Nase herumführt. Da ruft der Bundeskanzler Verbände zusammen, um am runden Tisch über die Bekämpfung von Gewalt in der Gesellschaft zu reden. Er bespricht mit ihnen die Notwendigkeit, Jugendarbeit zu fördern, dreht sich um und fängt an, Stellen in der Jugendarbeit zu streichen. Das, Kolle-
Metadaten/Kopzeile:
20044 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Dr. Edith Niehuisginnen und Kollegen, ist nicht der beste Weg, Regierungsverdrossenheit junger Menschen zu beenden.
Mit dem Stichwort Gewalt bin ich bei dem Programm, das uns schon mehrfach beschäftigt hat, auch im Ausschuß für Frauen und Jugend, nämlich bei dem Aktionsprogramm gegen Aggression und Gewalt. 65 Millionen DM hat dieses Dreijahresprogramm gekostet, das zum Ende des Jahres ausläuft. Wir werden schlecht abschätzen können, ob dieses Programm, das gezielt in den Problemregionen der neuen Bundesländer eingesetzt wurde und auf gewaltbereite rechtsextreme Jugendliche reagierte, erfolgreich ist. Ähnliche Projekte in den alten Bundesländern, wie „Hooligan", „Fan" oder „Mobile Jugendarbeit", können nur auf bescheidene Erfolge verweisen. Darum will ich mich auf strukturelle Fragen beschränken.Es ist ein Unterschied, ob man diese Zielgruppenprogramme zusätzlich zu einer ausgebauten Jugendhilfestruktur macht oder, wie in den neuen Bundesländern, häufig anstatt einer allgemeinen Jugendhilfe durchführt. Wenn das Aktionsprogramm gegen Aggression und Gewalt das einzige Angebot der Jugendarbeit ist, dann stigmatisieren Sie Jugendarbeit als eine Arbeit für Problemgruppen, und das ist fatal. Das ist keine Fortentwicklung der Jugendarbeit, sondern ein Rückschritt, weil es dem Präventionsgedanken moderner Jugendarbeit widerspricht und deren Durchsetzung — in diesem Fall in den neuen Bundesländern — auf Jahre erschwert.Gerade bei den Problemen, die wir haben, eine Infrastruktur freier Trager in den neuen Bundesländern zu schaffen, wäre solch eine Auswirkung dieses Sonderprogramms kontraproduktiv. Hinzu kommt, daß vorhandene Träger der Jugendarbeit sich in das Programm gegen Aggression und Gewalt eingeklinkt haben. Auf den ersten Blick ist dies sinnvoll. Auf den zweiten Blick allerdings muß man sehen, daß diese erfahrenen Träger sich damit auch im Sinne der Zielgruppenarbeit wandeln und keine Zeit mehr finden, normale präventive Jugendarbeit durchzuführen.Nun lese ich auf Seite 70 der Drucksache über die Freude des Bundesministeriums für Frauen und Jugend, daß — ich zitiere —alle neuen Bundesländer mittlerweile ergänzende Projekte und Landesprogramme mit entsprechender Zielrichtung und Struktur eingerichtet haben.Ich kann die Freude des Ministeriums nicht teilen; denn ich stelle fest — damit komme ich zu Ihnen, Herr Pofalla —: Die Weiterführung des Programms „Aufbau freier Träger" klappt nicht, weil Länder und Kommunen sich finanziell nicht entsprechend beteiligen. Wohl aber beteiligen sie sich an dem Aktionsprogramm gegen Aggression und Gewalt. Das führt zu einer gezielten strukturellen Vernachlässigung der nicht zielgruppenorientierten Jugendarbeit in den neuen Bundesländern und widerspricht dem präventiven Geist des Kinder- und Jugendhilfegesetzes.Dies bedeutet — wenn ich es pointiert ausdrücke —, daß Bundesministerin Merkel viel Geld ausgibt, um den Aufbau freier Träger zu fördern. Dann gibt sie noch einmal viel Geld aus, um den kleinen Erfolg dieser Arbeit durch ein anderes Programm wieder in Frage zu stellen. Das sieht nicht nach sinnvoller Jugendarbeit aus.Wer dann vergeblich nach Angeboten der Jugendarbeit in den neuen Bundesländern suchen wird: das sind die ganz normalen, unauffälligen Jugendlichen, insbesondere die Mädchen, die nicht zu den gewaltbereiten Jugendlichen gehören.Darum ist das Aktionsprogramm gegen Aggression und Gewalt in der Aufbauphase der neuen Bundesländer meines Erachtens eher ein falsches Programm. Es ist Ausdruck einer kurzatmigen jugendpolitischen Konzeptionslosigkeit.Nun, am Ende der Legislaturperiode, hat diese Bundesregierung keine Chance mehr, es von jetzt an besser zu machen. Darum denke ich, wir überlassen das am 16. Oktober einer anderen Bundesregierung.
Als nächste spricht die Kollegin Funke-Schmitt-Rink.
Frau Präsidentin! Meine Herren! Meine Damen! Die Antwort der Bundesregierung gibt mit einer Fülle von Daten eindrucksvoll Aufschluß über die Situation der knapp 8 Millionen Jungen und 7,5 Millionen Mädchen im Alter von 14 bis 28 Jahren im vereinten Deutschland.Neben umfangreichen Sozialdaten gibt der Bericht auf 123 Fragen Auskunft — über Schulbesuch, Ausbildung und Berufe der Jugendlichen, über Freizeitgestaltung, soziales und politisches Engagement, über Gewalt und Kriminalität, über Fördermaßnahmen für Jugendliche in den unterschiedlichsten Lebensbereichen, über die Situation behinderter Jugendlicher, junger Aussiedler und ausländischer Jugendlicher.Die im Kabinettsbericht enthaltenen Angaben bestätigen die Ergebnisse anderer Jugendstudien. Folgendes ist festzuhalten: Die Jugendlichen in Ost und West sind anders als viele Ältere, insgesamt optimistisch. Sie haben positive Lebenserwartungen trotz aller Krisenerscheinung. Die Jugendforscher führen dieses Ergebnis darauf zurück, daß diese Generation in relativ großem Wohlstand und sozialer Sicherheit aufgewachsen ist. Eine weitere günstige Voraussetzung ist ein relativ entspannter Bildungs- und Ausbildungsmarkt.Insgesamt läßt sich von einer friedfertigen deutschen Jugend sprechen, die Kompetenz und politische Bereitschaft schon in frühen Jahren zeigt. Aber es gibt auch einige Unterschiede zwischen den Jugendlichen in Ost und West. Besonders im Osten ist eine nach dem Mauerfall starke Orientierung nach Westen umgeschlagen in Enttäuschung, die sich auch in der Suche nach Sündenböcken äußert.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 20045
Dr. Margret Funke-Schmitt-RinkAuch im Westen läßt sich ein zurückgehendes gesellschaftspolitisches Engagement ausmachen. So gibt es in unkonventionellen politischen Aktionsformen keine bindende Klammer mehr, keine Protestkultur, die Jugendliche zusammenhält. Nur wenige der jungen Menschen sind heute bereit, aktiv am politischen Leben teilzunehmen.
Erlauben Sie mir, auf zwei Punkte der Großen Anfrage näher einzugehen: zum einen auf die Gewalt in unserer Gesellschaft und zum anderen auf die Suchtproblematik. Beide Bereiche haben gerade für Jugendliche große Bedeutung.Rechtsextreme Gewalttaten sind oft Ausdruck sozialer Angst, Angst vor dem Wettbewerb, um Bildung, Wohnung und Arbeit. Dazu gehört vorrangig der Verlust von Wert- und Normvorstellungen und die Überbetonung der eigenen Person gegenüber der Gesellschaft. Die Ausländer werden zu Sündenböcken für die eigenen Probleme mißbraucht.Politik heißt in erster Linie, darauf hinzuweisen, daß Freiheit nicht Bindungslosigkeit, sondern Verantwortung bedeutet. Zur Freiheit gehört die Verpflichtung, jeden Menschen in seiner Würde zu achten. Friedliche Konfliktlösung und aktive Toleranz müssen aber erlernt werden. Die meist jugendlichen Täter vollziehen das, was viele Erwachsene denken.Wir müssen die Beziehung, die wir den Jugendlichen vorleben, überprüfen. Es ist daher notwendig, daß alle Erwachsenen das Prinzip Verantwortung für die Gemeinschaft zur Richtschnur des Handelns erklären und sich selbst sichtbar zu binden bereit sind.
Wo emotionale Zuwendung von instrumentellem Kalkül abhängig ist — z. B. wer gute Noten nach Hause bringt, wird dafür gelobt und geliebt —, kann der Jugendliche kein stabiles Selbstwertgefühl entwickeln.Alle gesellschaftlichen Kräfte, insbesondere die Politik, sind gefordert, jede Form von Fremdenfeindlichkeit zu ächten und politische Vorstellungen und Konzepte zu entwickeln, mit denen sich Jugendliche aktiv identifizieren können.
Politikerinnen und Politiker auf allen Ebenen müssen sich dafür einsetzen, daß präventive Konzepte zur Bekämpfung von Gewalt durch verstärkte Wert- und Normvermittlung bereits im Kindergarten einsetzen, in der Schule fortgeführt werden und Eltern im Sinne beratender Unterstützung einbezogen werden. Damit wir uns recht verstehen: Auch jugendliche Gewalttäter müssen hart bestraft werden, und es gibt kein Verständnis für brennende Häuser. Mordtaten müssen als Mordtaten verfolgt werden.Deswegen hat sich die F.D.P. dafür eingesetzt, daß Strafrecht und Strafverfahrensrecht geändert werden. Zum Beispiel wird die Verwendung von Symbolen, die nationalsozialistischen Zeichen ähnlich sind, bestraft, das Strafmaß bei Körperverletzung und insbesondere die Höchststrafe bei schwere Körperverletzung wird erhöht, und die Untersuchungshaft bei besonders schwerem Landfriedensbruch wird leichter gegen Wiederholungstäter verhängt.Über eines müssen wir uns bei allen erforderlichen Maßnahmen klar sein: Der Kampf gegen Gewaltakzeptanz und Gewaltbereitschaft bei vielen Jugendlichen, die unseren freiheitlichen Rechtsstaat herausfordern, kann nicht allein von staatlichen Organen, den Bereichen Polizei und Justiz geleistet werden, sondern er ist eine Herausforderung an die gesamte Gesellschaft. Ziel muß eine stärkere gesamtgesellschaftliche Ächtung der Gewalt sein. Die Probleme von gewalttätigen Jugendlichen lassen sich nicht allein mit einer Verschärfung des Strafrechts lösen, sondern sie müssen vielmehr durch eine veränderte Erziehung im Elternhaus, im Kindergarten und in der Schule angegangen werden.
Der Ruf nach einer von traditionellen Werten getragenen Erziehung, so gut er auch gemeint sein mag, reicht nicht aus. Die Erziehung zu Toleranz und Weltoffenheit auf der Grundlage eines demokratischen und rechtsstaatlichen Wertekanons ist eine Aufgabe, der sich niemand in unserer Gesellschaft entziehen darf.
Politik auf allen Ebenen muß sich dafür einsetzen, daß präventive Konzepte zur Bekämpfung von Gewalt durch verstärkte Wert- und Normvermittlung bereits im Kindergarten ansetzen und in der Schule fortgeführt werden und Eltern im Sinne beratender Unterstützung einbezogen werden, daß das Ganztagsschulangebot in allen Schulformen mit dem Ziel einer sinnvoll strukturierten Freizeitgestaltung verstärkt wird, daß für diejenigen, die keinen schulischen Regelabschluß erreicht haben, angepaßte Qualifizierungsmaßnahmen angeboten werden, daß Maßnahmen ergriffen werden, um gezielt die Arbeitslosigkeit von Jugendlichen zu verhindern, daß verstärkt Jugendhäuser und Jugendtreffs eingerichtet werden, daß für verhaltensauffällige Jugendliche eine akzeptierte Jugendarbeit — „street working" — angeboten wird, daß bei der Schaffung von Wohnraum gerade die Situation junger Menschen auch in finanzieller Hinsicht berücksichtigt wird, daß Maßnahmen gegen Gewaltverherrlichung in den Medien umgesetzt werden und daß der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz und die ganztägige Betreuung von Kindern im schulpflichtigen Alter gewährleistet wird.Die Koalition hat hier eine Menge geleistet. Der SPD-Antrag gerade zum letzten Punkt, also was die Kindergartenplätze angeht, ist überflüssig. Die Erhöhung der Mittel an die Länder durch einen geänderten Bund-Länder-Finanzausgleich sollte dazu genutzt werden, die nötigen zusätzlichen 900 000 Kindergartenplätze einzurichten. In jeder Kommune müssen deswegen die Prioritäten im Haushalt zugunsten von Kindergartenplätzen geändert werden, nicht im Sinne von Bürgerhäusern oder Straßen.
Metadaten/Kopzeile:
20046 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Dr. Margret Funke-Schmitt-RinkSonst wird die Neuregelung des § 218, die wir gerade heute beschlossen haben und die einen staatlichen Schutz des ungeborenen Lebens vorsieht und die Frau zum Austragen auffordert, unglaubwürdig. Das sollten wir alle unseren Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern immer wieder sagen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt aus der Großen Anfrage ist die Suchtproblematik. Von allen suchtkranken Jugendlichen zwischen 18 und 24 Jahren sind 23 % der männlichen und 14,7 % der weiblichen Jugendlichen medikamentenabhängig und 4 % alkoholabhängig.
Die F.D.P. fordert eine Antisuchtpolitik, die in gleicher Weise präventiv, repressiv und therapeutisch ist. Alle Maßnahmen müssen gegen das Drogenproblem, nicht gegen die Abhängigen gerichtet sein.
Eine nützliche Drogenpolitik — ich sage Ihnen ganz ausdrücklich: nicht liberal und nicht repressiv, sondern eine Drogenpolitik, die nützlich ist — muß folgende Eckwerte haben:Erstens. Zielgruppenspezifische, kontinuierliche und flächendeckende Prävention ab dem Kindesalter. Ziel der Prävention muß sein, nein zu Suchtmitteln sagen zu können. Hier zeigt eine langfristig angelegte, dauerhafte und im Kindesalter beginnende Stärkung der allgemeinen Lebenskompetenzen auf der lokalen Ebene in Familien, Kindergärten und vor allem in Schulen, Betrieben und Jugendeinrichtungen die beste Wirkung. Drogenkunde und Abschrekkungskonzepte haben sich — das wissen wir heute — als unwirksam erwiesen, weil sie nämlich keine Lebensalternativen bieten.Zweitens. Mehr differenzierte und qualifizierte stationäre und ambulante Entgiftungs-, Entwöhnungsund Entzugstherapieplätze sowie Nachsorgeplätze.Drittens. Substitution als Hilfe zum Ausstieg, vom zuständigen Arzt geregelt und in Begleitung von psychosozialen Betreuungsangeboten, sowohl für die Abhängigen als auch für ihr soziales Umfeld.Viertens. Keine Legalisierung von weichen und harten Drogen aus gesundheits- und aus jugendpolitischen Gründen. Dem Staat obliegt die Aufgabe, Gesundheitspolitik zu betreiben. Verabreichte er nun selbst Drogen, käme dies einer Körperverletzung mit weitreichenden Folgeerscheinungen gleich. Legalisierung würde Abhängigen helfen, nämlich weniger Kriminalisierungsrisiko und Beschaffungskriminalität, aber eine zunehmende Gefährdung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen auf Grund der Verfügbarkeit der Drogen nach sich ziehen.Genau diese Ansicht findet sich auch im HaschUrteil des Bundesverfassungsgerichts. Entgegen allen Irritationen, die gegenteilige Interpretationen in den Medien ausgelöst haben, kann auch künftig der Eigenkonsum bestraft werden, wenn das öffentlicheInteresse dies gebietet, insbesondere im Fall der Fremdgefährdung. Daß Besitz, Erwerb und Einfuhr von kleinen Mengen Haschisch für den gelegentlichen Eigenverbrauch „grundsätzlich" nicht mehr bestraft werden sollen, legalisiert nur die gegenwärtige Praxis von Strafverfolgungsbehörden und Gerichten. Alle Eltern, alle Erzieher und alle Lehrer müssen ihren Kindern weiterhin mitteilen, daß es kein Recht auf Rausch gibt, daß die Strafbarkeit im Umgang mit Cannabisprodukten vom Gericht erneut bestätigt worden ist.Allerdings befürwortet die F.D.P. Modellprojekte wie in Frankfurt und Hamburg, die vorsehen, an Schwerstabhängige Heroin unter Aufsicht des Bundesgesundheitsamtes und einer unabhängigen wissenschaftlichen Begleitung befristet abzugeben. Hier müssen wir neue Ergebnisse abwarten.Also: Wir brauchen zielgruppenspezifische, differenzierte und flexible Hilfesysteme als Überlebenshilfe und als Weg zum drogenfreien Leben. Drogenpolitik muß offensiv präventive und therapeutische Schwerpunkte setzen und sich von einer reinen Defensivstrategie lösen. Sinnvoll dabei ist ein Netz von Stützpunkten zur Hilfe für Jugendliche in Krisensituationen. Dazu ist u. a. die vorbeugende Jugendhilfe weiter auszubauen und die Zusammenarbeit zwischen Gesundheitsämtern, Jugendämtern, Schulen, Sportvereinen, Polizei, gemeinnützigen Initiativen und Selbsthilfegruppen im Sinne einer gezielten Sucht-, Alkohol- und Drogenprävention und -beratung zu verstärken. Hier können wir von Holland lernen. Sucht gilt als eine Krankheit, die nicht mit den Mitteln des Strafrechts geheilt werden kann.Fazit: Die Probleme von Jugendlichen bedürfen, wie die Große Anfrage zeigt, nach einer eingehenden Analyse unterschiedlicher Lösungsstrategien. Vorrangig ist die Vermittlung von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen an Jugendliche. Gleichzeitig müssen die Jugendbildungs- und Jugendhilfeeinrichtungen in Zusammenarbeit mit der öffentlichen Hand, den Spitzenverbänden und den freien Trägern ihre Arbeit verstärken. Auch der Einsatz von mobiler Jugendarbeit, aufsuchender Sozialarbeit und Straßensozialarbeit ist schnellstens voranzutreiben. In allen Politikbereichen müssen die Entscheidungen auf ihre jugendpolitischen Auswirkungen bedacht werden. Jugendpolitik darf nicht Reparaturbetrieb unseres Wirtschaftssystems sein,
sondern muß als ressortübergreifende Gestaltungspolitik begriffen werden.
Jugendliche machen in einer Gesellschaft wie der unseren, nämlich in einer offenen und reizüberfluteten Gesellschaft, einen tiefgehenden Selbstfindungsprozeß durch. Jugend entwickelt eigene Lebensstile und Ausdrucksformen in Freizeitverhalten, Sprache, Musik, Literatur und gemeinschaftlichen Aktivitäten.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 20047
Dr. Margret Funke-Schmitt-RinkJugendliche brauchen Freiheit und stabile Bindungen. Jugendliche müssen durch Erfolgserlebnisse lernen, daß es befriedigender ist, eine Gesellschaft aufzubauen, als sie zu zerstören.
In besonderem Maße brauchen Jugendliche uns Erwachsene als Vorbilder.Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt unserer Frau Kollegin Petra Bläss das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wollten wir der Bundesregierung Glauben schenken, könnten wir uns hier alle ruhig in unsere Sessel zurücklehnen und uns jedes weitere Wort sparen. Oder warum sollten wir uns noch sorgen, wenn 95 % der westdeutschen und 83 % der ostdeutschen Jugendlichen mit ihrem Leben zufrieden sind?
Ein überaus erfreuliches Ergebnis ist das, so ganz der Betrachtungsweise des Bundeskanzlers entsprechend.Nur, leider wollen die Bilder nicht dazu passen, die ich seit jenem Tag immerzu vor Augen habe. Es war ausgerechnet Christi Himmelfahrt, als deutsche Jugendliche in mörderischer Absicht Treibjagd auf andere junge Leute machten — aus einem einzigen Grund: Ihre Opfer hatten die falsche Hautfarbe.Später wird der Polizeipräsident der Stadt Magdeburg der Öffentlichkeit sagen, Sonne und Alkohol seien schuld gewesen, nicht etwa Ausländerfeindlichkeit, Fremdenhaß und Rassismus. Und ein CDU-Abgeordneter kann dazu in der Debatte des Bundestages äußern — Zitat —: „Es gibt Grenzen, was ein Volk an sozialer Integration leisten kann."Das habe nichts mit unserem heutigen Thema zu tun? Für mich gibt es da einen ursächlichen Zusammenhang: Solange die Erwachsenenwelt — Regierende, Politikerinnen und Politiker an erster Stelle — nicht entschieden jede Art von Fremdenfeindlichkeit und rechter Gewalt verurteilt und bekämpft, brauchen wir uns nicht zu wundern, daß Jugendliche immer wieder solche Abscheulichkeiten begehen.Die Regierung hat sich in ihrer Antwort ziemlich ausführlich zu Gewalt und Kriminalität geäußert. Ich las die zehn Seiten mit Zahlentabellen, Fakten, Wissenschaftlerthesen und wurde den Eindruck nicht los: zu viele Allgemeinplätze und Absichtserklärungen, ermüdende Postulate. Wo bleibt die kritische — rich- tiger: die selbstkritische — Sicht und Auseinandersetzung der Regierung? Wo erfahren wir von den Versäumnissen der Regierung und ihrem festen Willen, endlich und entschieden gegen Ausländerfeindlichkeit und rechtsextremistische Gewalt vorzugehen?Die Jugendlichen in der Bundesrepublik sind bis auf eine beinahe verschwindende Minderheit zufriedenmit ihrem Leben, freut sich die Regierung. Doch in ihren eigenen Ausführungen gibt es jede Menge Fakten, die vom Gegenteil zeugen, und Widersprüche wie diese: Im Abschnitt „Ausbildung und Beruf" betont die Regierung, daß die Arbeitslosenquote Jugendlicher unter 25 Jahren erheblich geringer sei als die aller anderen Altersgruppen. Trotzdem sind rund 318 300 junge Leute unter 25 Jahren ohne Erwerbsarbeitsplatz. Wohlgemerkt, das ist nur die Zahl der amtlich registrierten. Die Dunkelziffer ist beträchtlich, ebenfalls die Zahl derjenigen, die sich mit Gelegenheitsjobs durchschlägt oder länger die Schulbank drückt, als ursprünglich gewollt, nur weil es keinen Ausbildungsplatz für sie gibt.Das ist vor allem in den neuen Bundesländern so. Etwa 19 000 Auszubildende aus den neuen Ländern mußten Elternhaus und Heimatort verlassen, weil sie nur im Westen einen Ausbildungsplatz finden konnten. Die Regierung lobt diese Mobilität als „wünschenswerte Normalität" , die allerdings in dieser Weise sehr einseitig nur ostdeutschen Jugendlichen eigen ist. Oft genug ist der Preis, den die Pendlerinnen und Pendler zahlen müssen, hoch und von „wünschenswerter Normalität", gar Freiwilligkeit und selbstbestimmtem Leben weit entfernt.Zufrieden mit ihrem Leben sind wohl kaum die vielen jungen Mädchen, die auf Grund ihres Geschlechts diskriminiert und benachteiligt werden. Auch sie werden wie Frauen generell eher auf die Straße gesetzt als Männer, erhalten schwerer wieder eine Stelle; wenn doch, eine meistens wenig attraktive. Diese Chancenungleichheit beginnt bereits in der Ausbildung, wo die Zahl der Mädchen, die lediglich einen oft perspektivloseren außerbetrieblichen Ausbildungsplatz finden können, wesentlich höher als die der Jungen ist.Das alles sind Tatbestände, die dem Grundgesetz widersprechen. Ich erinnere mich noch lebhaft an das Gezeter im Westen über die vermeintliche Unfreiheit bei der Berufswahl in der DDR. Und jetzt? Wie groß oder — vielleicht treffender — wie klein ist denn die Zahl der jungen Leute, die ihren Traumberuf erlernen und ausüben können?Mit ihrem Leben zufrieden — sind es die jungen Leute, die nicht mehr wissen, wo sie ihre Freizeit sinnvoll verbringen sollen, weil viele ihrer Klubs und Zentren restlos plattgemacht oder zu teuren Kommerzlokalen umfunktioniert worden sind? Ganz sicher nicht, sonst würden z. B. in einer Umfrage nicht 61 % der befragten jungen Leute im Osten und 38 % im Westen unzufrieden mit dem verfügbaren Angebot an Jugendzentren und Jugendklubs sein.Welche Bereiche aus dem Antwortpapier ich auch als Beispiele herausnehme, immer käme ich zu dem gleichen Schluß: Vieles ist aufgeführt, benannt, aber es bleibt doch über weite Passagen allgemein, daher nichtssagend und ohne Wertung. Es fehlen Ideen, Konzepte, Lösungsvorschläge, die aufhorchen lassen und die überzeugen könnten, überzeugen davon, daß die Bundesregierung tatsächlich meint, was sie in ihrem ersten Einleitungssatz verkündet: Politik für junge Menschen sei Politik für die Zukunft.
Metadaten/Kopzeile:
20048 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Petra BlässDeshalb fordert die PDS/Linke Liste die Bundesregierung auf, sich nicht länger einer Politik zu verweigern, die den Interessen und Bedürfnissen junger Menschen gerecht wird. Dazu gehört, daß Kinder und Jugendliche tatsächlich Möglichkeiten und Rechte bekommen, ihr Leben selbstbestimmt zu gestalten. Es muß Schluß sein mit der Denkweise und Praxis, Heranwachsende als Objekte zu betrachten, die ausschließlich nach dem Willen von Erwachsenen zu „formen" sind.Konkret bedeutet das für uns u. a. und vorrangig, wirkliche Teilhabe junger Menschen an den politischen und sozialen Entscheidungsprozessen und Entwicklungen in diesem Lande. Eine Voraussetzung dafür ist nach unserer Meinung, bereits 16jährigen das aktive und passive Wahlrecht zu geben. Die Bundesregierung hat in ihrem Antwortpapier zwar anerkannt, daß Jugendzeit heute schon viel früher beginnt. Schlußfolgerungen zieht sie aber nicht daraus. Die Herabsetzung des Wahlalters wäre ein erster Schritt.Politik für, mit jungen Menschen erfordert neues Denken, neues Herangehen an die Lösung von Problemen. Dafür verantwortlich sind an erster Stelle die Regierung, die Koalitionsparteien, wir Parlamentarierinnen und Parlamentarier. Lassen Sie uns endlich mit dieser Arbeit beginnen, ernsthaft, effektiv und überzeugend.Ganz und gar nicht in diesem Sinne ist die Weigerung, die finanziellen Lasten zwischen Bund und Ländern gerecht zu verteilen, um den Rechtsanspruch jedes Kindes auf einen Kindergartenplatz zu sichern. Insbesondere an die Adresse derjenigen, die sich so vehement für das ungeborene Leben einsetzen, appelliere ich: Werden sie glaubwürdig, halten sie sich an das Gesetz, das von diesem Parlament verabschiedet wurde — zur Hilfe und zum Schutz des geborenen Lebens.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich erteile jetzt dem Minister für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg, Herrn Roland Resch, das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich danke Ihnen zunächst für die Möglichkeit, hier aus der Sicht eines Jugendpolitikers aus den fünf neuen Bundesländern zu Ihnen zu sprechen.Jugendpolitische Debatten zeichnen sich meistens durch zwei Umstände aus: zum einen durch die geringe parlamentarische und öffentliche Aufmerksamkeit, was ich hier im Gegensatz zum Landtag in Brandenburg nicht feststelle, und zum anderen auch durch die gewisse Unklarheit des Debattengegenstandes.Jugend ist zum ersten hierzulande die Realität von etwa 6 Millionen jungen Bürgerinnen und Bürgern mit einigen sehr ähnlichen Problemen beim Übergang von der Kindheit zum Erwachsensein, aber mit sehrunterschiedlichen Lebensbedingungen, Problemen, Perspektiven und vor allen Dingen auch subjektiven Handlungsstrategien.Jugend ist zum zweiten eine Metapher für die Projektionen der Erwachsenengesellschaft auf die Zukunft der Gesellschaft insgesamt. Die Gefährdungen und Probleme, die als Probleme der Gesamtgesellschaft kaum diskutiert werden, eignen sich hervorragend zur Projektion auf die Jugend.Zum dritten ist die Jugend für viele etwas, das man formen und auf den richtigen Weg bringen muß. Nicht zuletzt deshalb findet man in jugendpolitischen Debatten immer wieder die Aussage: Jugendliche sind immer problematischer, sprich: jetzt gewalttätiger; sie sind weniger sozial engagiert, sie sind isolierter. Und natürlich — wie ich es hier vorhin verfolgen konnte — kommt die Problematik der Drogenabhängigkeit sofort zum Zug.
— Über Alkohol, auch in den neuen Ländern, will ich mich hier nicht auslassen. Das schaffe ich in meiner Redezeit nicht. Das ist ein wirklich sehr immanentes Problem, gerade der Alkoholismus unter Jugendlichen.Ich kann nur ganz kurz sagen: Als ich Journalisten vorstellen wollte, was wir mit den Sechskläßlern gerade in dieser Frage machen, kam nicht ein einziger Journalist. Aber beim Übergang von der sechsten in die siebte Klasse war die Aufmerksamkeit sehr groß, als es um die Bereitstellung von Gymnasialplätzen ging.Wenn ich die Frage der Koalitionsparteien, die sie im Rahmen der Großen Anfrage zur Situation der Jugend in Deutschland stellen, und die Antworten der Bundesregierung betrachte, so entsteht bei mir der Eindruck, daß in nur sehr begrenztem Umfang der zugegebenermaßen schwierige Versuch gemacht wurde, die Realität der jungen Menschen in den Blick zu nehmen.Es werden sehr viele wesentliche Ergebnisse von Umfragen und Untersuchungen bei Jugendlichen dokumentiert. Die Jugend erscheint einerseits als ein gefährdetes und andererseits die weitere gesellschaftliche Entwicklung gefährdendes Phänomen. Gefährdet wird sie nach Aussagen der Bundesregierung z. B. durch Sekten und Psychogruppen. Auf die Gesellschaft gefährdend wirken sich das angeblich zurückgehende soziale Engagement und die begrenzten Fähigkeiten, mit dem Medienangebot umzugehen, aus. Ich denke, gegenüber den tatsächlichen Gefährdungen in dieser Gesellschaft und der jungen Menschen, die nicht thematisiert werden, sind dies wohl nicht die Hauptprobleme.Zugleich beschreibt die Bundesregierung die Jugend als Objekt von pädagogischen Vermittlungsbemühungen. So sollen der Jugend ein verstärktes soziales Engagement und mehr Umweltbewußtsein vermittelt werden. Nicht daß ich hier falsch verstanden werde: Ich unterstütze das sehr nachdrücklich, vor allen Dingen im Umweltbereich, aber genauso im sozialen Engagement. Was ich aber bedenklich finde,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 20049
Minister Roland Resch
ist die Perspektive, mit der die Bundesregierung — sicherlich in erster Linie ausgehend von Fragen der Koalitionsparteien — die Jugend zum Gegenstand macht. Diese projektive Sichtweise verhindert die Beschreibung der Jugend in ihrer Auseinandersetzung mit einer spezifischen Realität.Ich denke, es ist richtiger, bezüglich des sozialen Engagements ebenso wie beim Umweltbewußtsein nicht als erstes zu fordern, daß den Jugendlichen Entsprechendes vermittelt wird. Vielmehr ist die Betrachtung der realen sozialen Situation und der realen ökologischen Verhältnisse in den Vordergrund zu stellen.Aus dieser Perspektive ist auch der Entschließungsantrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN formuliert, bei dem die Frage „Was ist mit dieser Gesellschaft los?" im Vordergrund steht und nicht die Frage „Was ist mit der Jugend los?". Der Entschließungsantrag stellt die Frage in den Vordergrund, warum sich die Zielsetzung unserer Vorfahren, daß es ihren Kindern bessergehen solle, in unserer Zeit in die beängstigende Aussage verändert hat, daß es unseren Kindern nicht schlechtergehen soll. Nicht, daß es uns schlechtgeht. Die Perspektivenverschiebung verdeutlicht aber den Verlust an Zukunftsfähigkeit dieser Gesellschaft, wenn die gegenwärtigen Entwicklungstrends unverändert fortgeschrieben werden.Ich will Ihnen jetzt nicht die einzelnen und vielen richtigen Aspekte und Forderungen des Entschließungsantrags der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN referieren. Ich möchte vielmehr aus der Sicht eines Jugendpolitikers, für den die Auseinandersetzung der jungen Menschen mit ihrer spezifischen Lebenswirklichkeit im Vordergrund steht, zwei zentrale Ziele erläutern.Zum ersten: Die Realität muß so gestaltet werden, daß positive Lebensbedingungen für junge Menschen und ihre Familien erhalten und geschaffen werden, wie es auch das Kinder- und Jugendhilferecht fordert. Zum zweiten: Die Voraussetzungen für Jugendliche müssen verbessert werden, sich mit dieser Realität auseinanderzusetzen.Ich will darauf nur kurz eingehen. Wenn es um die Gestaltung positiver Lebensbedingungen für junge Menschen geht, ist die ökologische Zukunftssicherung ein zentrales Thema; das beweisen auch Umfragen. Abgesehen von Proklamationen — ich erinnere nur an die Zusage, den CO2-Gehalt zu reduzieren, um die Weltklimakatastrophe abzuwehren — kann die Bundesregierung hier meines Erachtens zuwenig Erfolge vorweisen.
Als zweiten Aspekt der Lebenswirklichkeit junger Menschen möchte ich auf die Berufsausbildung und die Arbeitssituation hinweisen. Offensichtlich haben wir es mit Problemen des Systems der dualen Berufsausbildung zu tun, die in den neuen Bundesländern besonders deutlich werden. Es ist aber auch für die Altbundesländer zu prüfen, ob die gegenwärtigen Finanzierungsstrukturen langfristig für die Sicherung der Berufsausbildung im dualen System tragfähig sind. Der dortige Rückzug vieler industrieller Großbetriebe aus der Berufsausbildung führt dazu, daß dieberufliche Qualifizierung der jungen Menschen in Zukunft immer schwerer gewährleistet werden kann. Da helfen dann auch die jährlich neu aufgelegten Sonderprogramme nicht mehr, die wir gegenwärtig in den Ostländern erleben. Notwendig ist meines Erachtens eine grundsätzliche Neuordnung der Finanzierung der beruflichen Bildung.Für die neuen Länder müssen in diesem Zusammenhang die besonderen Schwierigkeiten erwähnt werden. Wohl ist es in den letzten Jahren durch verstärkte Anstrengungen des Bundes, der Länder, der Bundesanstalt für Arbeit und, nicht zu vergessen, der vielen kleinen und mittleren Betriebe gelungen, fast jedem Jugendlichen in den neuen Ländern, der dies wünschte, eine Berufsausbildung anzubieten. Ich möchte dies an dieser Stelle ausdrücklich begrüßen, aber gleichzeitig auch darauf hinweisen, daß wir in diesem Jahr erneut die Unterstützung der Bundesregierung benötigen.Dennoch — meine Vorrednerinnen, vor allen Dingen Frau Niehuis und Frau Bläss, haben hierauf ebenfalls hingewiesen — halte ich die Antwort auf die Frage 54 für sehr problematisch. Die Mobilität von 45 000 bis 50 000 Auszubildenden wird grundsätzlich positiv bewertet, wie der Antwort auf Frage 27 zu entnehmen ist. Meines Erachtens müssen die Bindungen von jungen Menschen an eine Region und die Mobilität in einem vernünftig ausbalancierten Verhältnis stehen. Es ist für die neuen Länder schwer hinnehmbar, daß gerade die Flexibelsten wegen der fehlenden Perspektive und der großen Schwierigkeiten beim Aufbau der Wirtschaft diese Länder verlassen.Daß die zweite Schwelle, nämlich der Übergang von der Berufsausbildung in eine Facharbeitertätigkeit, weder als Frage noch dann natürlich in der Antwort irgendwo auftaucht, stimmt mich sehr bedenklich. Ich denke, auch das ist nur eine einseitige Sichtweise. Hier ist besondere Unterstützung erforderlich, um die Ausbildung nicht nachträglich durch Arbeitslosigkeit in einer Sackgasse enden zu lassen.Als dritten Aspekt, der für die Lebensbedingungen junger Menschen eine wichtige Rolle spielt, möchte ich die Jugendhilfe und dabei insbesondere den Aufbau der Jugendhilfestrukturen in den neuen Bundesländern erwähnen. Denjenigen, die sich mit den spezifischen Problemen der Jugendhilfe in Brandenburg genauer auseinandersetzen möchten, empfehle ich unseren Kinder- und Jugendbericht, den wir vor kurzem verabschiedet haben, zur Lektüre.Ich will nur auf einen Aspekt eingehen. Es wurde immer wieder festgestellt, daß die Jugendhilfeeinrichtungen von den Kindertagesstätten über die Heime bis hin zu den Jugendfreizeiteinrichtungen baulich zum größten Teil in einem desolaten Zustand sind und dringend der Instandsetzung bedürfen. Die Jugendministerkonferenz hat 1992 in Potsdam einvernehmlich beschlossen, einen Sonderplan für die neuen Länder mit deutlich investivem Schwerpunkt und zur Verstetigung der Hilfen des Bundes als Bestandteil des Bundesjugendplans aufzulegen. Dem hat sich die Bundesregierung nicht anschließen können. Vom zuständigen Ministerium wird auf die verfassungsmäßige Ordnung und damit die Zustän-
Metadaten/Kopzeile:
20050 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Minister Roland Resch
digkeit der Länder und Kommunen verwiesen. Die verfassungsmäßige Ordnung gilt aber auch im Krankenhausbereich, wo der Bund mit beträchtlichen Mitteln den Aufbau der Infrastruktur unterstützt.Ich verweise nur auf Art. 7 Abs. 6 des Einigungsvertrags, in dem auch etwas über die weiteren Hilfen zum angemessenen Ausgleich der Finanzkraft der Länder ausgeführt ist.
Ohne eine deutliche und verstetigte Bundeshilfe sind wir auf die sehr begrenzten Mittel vor allen Dingen der Kommunen und der Lander angewiesen, womit sich der Erhalt und der Ausbau der Jugendhilfeinfrastruktur kaum bewerkstelligen läßt.Ich sagte, Jugendpolitik muß die Realität und die Lebensbedingungen der jungen Menschen sowie ihre Möglichkeiten, sich damit auseinanderzusetzen, in den Mittelpunkt stellen. Mit letzterem möchte ich mich abschließend befassen und dabei auf meine Erfahrungen als Mitglied der Verfassungskommission von Bundesrat und Bundestag zurückkommen.Über die direkten Auswirkungen, die eine Veränderung des Verhältnisses von Eltern- und Kinderrechten in Art. 6 Abs. 2 des Grundgesetzes haben würde, kann man sicher unterschiedlicher Auffassung sein. Dennoch halte ich es für einen politischen Fehler, daß die Mehrheit der Verfassungskommission jegliche Änderung und damit Verbesserung der Rechtsstellung der Minderjährigen verhinderte.Auch der Beschluß der Konferenz der Jugendminister der Länder von 1992, der darauf zielte, daß ein eigenes Recht der Kinder auf Entwicklung und Entfaltung sowie die Schaffung kindgerechter Lebensbedingungen in das Grundgesetz aufgenommen werden sollte, hatte auf die Mehrheit der Verfassungskommission keine Auswirkungen. Damit wurde meines Erachtens eine wichtige Chance, auf Bundesebene die Subjektstellung von Kindern und Jugendlichen zu betonen und sie aus dem Kontext unmittelbarer Abhängigkeit von Elternrechten zu lösen, vertan.Wir haben dies in unserer Brandenburger Landesverfassung in Art. 27 anders geregelt und haben die eigenen Rechte der Kinder und Jugendlichen verfassungsrechtlich normiert. Dies ist aber im Vergleich zur vertanen Chance auf Bundesebene nur ein sehr schwacher Trost.Ich appelliere an Sie, daß Sie in diesem Hohen Haus abschließend zu einer anderen Haltung kommen.Vielen Dank.
Herr Kollege Hubert Hüppe hat jetzt das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich in meinem Beitrag auf das Thema Drogen und Sucht bei Jugendlichen beschränken.Leider wird die Diskussion über dieses Thema in letzter Zeit nur unter dem Aspekt der Legalisierungoder Nichtlegalisierung geführt, statt daß über Prophylaxe und Hilfsmaßnahmen geredet wird. Dabei handelt es sich — zumindest, wenn es um illegale Drogen geht — entgegen vielfacher Vermutung eben nicht in erster Linie um Jugendliche, sondern im Gegenteil: Es ist uns über Jahre gelungen, das Einstiegsalter der Konsumenten nach oben zu verschieben. Schon aus diesem Grunde ist die immer wieder zu hörende These, die Suchtpolitik der Bundesregierung sei völlig gescheitert, schlicht und einfach falsch.Meine Damen und Herren, wer in den letzten Wochen mit Jugendlichen, Eltern oder Lehrern gesprochen hat, bemerkt allerdings, welch katastrophale Wirkung die Fehlinterpretation des Bundesverfassungsgerichtsurteils zu Cannabisprodukten gerade in den Medien hervorgerufen hat, vor allem auch die Kurzschlußhandlung des nordrhein-westfälischen Justizministers Krumsiek, und dies gerade auch bei Jugendlichen.
Natürlich hat Herr Krumsiek wie im übrigen auch schon vor einem Jahr die Landesregierung SchleswigHolsteins Drogen von Haschisch bis Heroin nicht legalisiert — das kann er Gott sei Dank auch nicht —, aber er hat ein völlig falsches Signal gegeben. Jugendlichen, aber auch anderen wird suggeriert, der Konsum von Heroin könne so gefährlich nicht sein, wenn es grundsätzlich nicht bestraft wird, eine Tagesdosis bei sich zu führen.Jahrelanger beschwerlicher Prophylaxearbeit wurde damit von einem Tag auf den anderen schwerer Schaden zugefügt. Meine Damen und Herren, ich sage es hier ganz deutlich: Jeder, der illegale Drogen verharmlost, muß für eine Zunahme des Mißbrauchs verantwortlich gemacht werden.
— Ich komme dazu, Herr Kollege.Anstatt weitere Drogen in unserer Gesellschaft zu etablieren, sollten wir lieber gemeinsam überlegen, wie wir die viel weiter verbreiteten Drogen wie Alkohol, Tabak und Medikamente stärker bekämpfen können. Ich bin daher dankbar, daß die Bundesregierung in ihrer Antwort auf einen erweiterten Drogenbegriff eingeht und auch einen Schwerpunkt auf Suchtprävention setzt.Prävention, die die Alltagsdrogen außen vor läßt, wirkt auf Jugendliche unehrlich und wird als unglaubwürdig abgetan. Die Werbeaktion „Keine Macht den Drogen" hat sicherlich ihre Wirkung, weil Jugendliche sich von ihren Idolen leiten lassen und weil gerade Spitzensportler die Aktion mittragen. Ich möchte an dieser Stelle all denen, die dabei mithelfen, herzlich danken.
Die Wirkung dieses Spruches wird — das sei einschränkend gesagt — allerdings schnell geringer, wenn dieser Spruch in einem Stadion gleich neben einer Reklame für eine bestimmte Wodkasorte steht. Auch verliert ein Fernsehspot gegen Drogen einiges
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 20051
Hubert Hüppevon seiner Wirkung, wenn einem Jugendlichen, der vielleicht gerade Probleme in der Schule hat, mitgeteilt wird, daß ein bestimmtes alkoholisches Getränk ihn über den Berg bringen kann. Einem Jugendlichen mit Komplexen kann man aber auch kaum übelnehmen, daß er einmal einen weißen Rum trinkt, wenn er jeden Abend und Nachmittag im Fernsehen sieht, wie lustig und locker es an einem Strand mit Alkohol zugeht.
— Er kennt die Reklame.Ich glaube daher, daß schnellstens darüber nachgedacht werden muß, solche Werbung zumindest teilweise einzuschränken.
Aber auch im Jugendschutz muß mehr getan werden. Ich halte es angesichts der Tatsache, daß die deutsche Hauptstelle gegen Suchtgefahren die Zahl der alkoholabhängigen und alkoholgefährdeten Jugendlichen und jungen Erwachsenen auf 500 000 schätzt, für untragbar, daß jemand, der Alkohol an Kinder abgibt, beim ersten Erwischtwerden kaum etwas zu befürchten hat und beim nächsten Mal höchstens mit einer Ordnungsstrafe rechnen muß. Ich meine, wer Schnaps an Kinder verkauft, handelt nicht viel anders als ein Drogendealer.
Ein Zeichen wäre es in diesem Zusammenhang auch, wenn in jeder Gaststätte, vor allem dort, wo sich jüngere Menschen aufhalten, wenigstens ein alkoholfreies Getränk günstiger angeboten würde als ein alkoholisches.
Prävention — darin sind sich die Fachleute einig — funktioniert nicht mehr mit Horrorbildern. Viele von uns erinnern sich noch an den Film „Christiane F. — Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" . Erfolg dieses Filmes war, daß sich alle Schulklassen, die nach Berlin kamen, zunächst aus Neugierde die Orte des Geschehens persönlich anschauten. Weiter steht fest, daß Prävention möglichst früh beginnen muß, sogar schon im Kindergartenalter. Von daher ist auch die Aktion „Kinder stark machen" der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung genau der richtige Weg.
Kinder und Jugendliche müssen so früh wie möglich widerstandsfähig gegen Drogen und Süchte aller Art gemacht werden. Wichtig ist aber auch dabei, daß Eltern, Lehrer und Erzieher informiert und aufgeklärt werden. Untersuchungen haben deutlich gemacht, daß Jugendliche, die von ihren Eltern oder in den Schulen informiert wurden, weniger suchtgefährdet sind als Jugendliche, die von anderen, wie Freunden oder aus dem Fernsehen, von Suchtmitteln gehört haben. Fest steht auch: Je mehr Suchtmittel in der Familie von den Eltern konsumiert werden, um sohöher ist die Gefahr, daß Kinder dies nachahmen. Das wichtigste ist vor allem aber, daß wieder in der Familie gelernt wird, miteinander auch über solche Probleme zu sprechen.Ich möchte an dieser Stelle abschließend allen Jugendverbänden danken. Denn alle Jugendverbände, ob sie nun Gewerkschaftsjugendverbände oder Kirchenverbände sind, bauen durch ihre Erlebnisrealität vieles von dem ab, was Kinder sonst möglicherweise zu einer Sucht verleiten würde. Unser Ziel, das Ziel der Bundesregierung wird bleiben, auch wenn wir es vielleicht nie erreichen werden: Wir werden weiterhin für eine suchtfreie Gesellschaft kämpfen.Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, wir fahren in der Debatte fort. Es hat jetzt das Wort unsere Frau Kollegin Renate Rennebach.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute über die Situation der Jugend in Deutschland debattieren, dann sollten wir dies vor allem unter dem Gesichtspunkt tun, daß wir klare und eindeutige Antworten auf die Fragen geben, die die Jugendlichen unmittelbar angehen und sie interessieren. Denn mit der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Regierungsfraktionen können Jugendliche und ihre organisierten Interessenvertreter nun wirklich herzlich wenig anfangen. Vielmehr hat man den Eindruck, daß sich Regierungsfraktionen und Ministerium wechselseitig den Ball zugespielt haben, um nach außen den Eindruck erwecken zu können, sie würden sich für die Belange der Jugendlichen interessieren oder gar sich dafür einsetzen. Tatsächlich aber haben wir eine Art Bericht präsentiert bekommen, der mit einer inhaltlichen Analyse der Situation der Jugend nun gar nichts zu tun hat, geschweige denn mit einer politischen Konzeption oder dem Aufzeigen von Perspektiven.
Meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, wenn Sie an der Situation der Jugendlichen in unserem Land nicht mehr interessiert als das, was Sie hier abgefragt haben, dann zeugt das von Ignoranz gegenüber den Problemen der jungen Menschen in unserem Land und von Inkompetenz bei der politischen Zukunftsgestaltung. Wenn Frau Merkel als zuständige Ministerin nicht mehr zu diesem Thema zu berichten hat als die aufgeführten Allgemeinplätze, unterlegt mit einigen Statistiken über regierungsfreundlich und oberflächlich ausgewählte Merkmale, dann ist das wahrhaftig ein Trauerspiel, bei dem einem angst und bange werden kann sowohl für die Zukunft unserer Jugend als auch für unsere Gesellschaft allgemein.
Kolleginnen und Kollegen, wir haben in den letzten Jahren immer wieder und notwendigerweise über den Wirtschaftsstandort Deutschland debattiert. Die Bun-
Metadaten/Kopzeile:
20052 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Renate Rennebachdesregierung hat dabei erstaunlich große Kreativität bewiesen, allerdings nur in zwei Punkten, nämlich einerseits, wo man überall im Sozialbereich und bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik kürzen kann, und andererseits, wie man an Spitzenverdiener Steuergeschenke verteilt. Was sie dagegen stets völlig außer acht gelassen hat, ist, daß es bei der Beantwortung der Standortfrage — wenn diese Beantwortung perspektivisch und nicht flickschusterhaft sein soll — in ganz besonderem Maße darauf ankommt, den Jugendlichen wirkliche Zukunftschancen zu eröffnen.
Die Bundesrepublik besaß einmal den Ruf, ein hohes Ausbildungsniveau zu haben. Gerade im gewerblichen Bereich war dies ein unleugbarer Standortvorteil. So ist es eine Binsenweisheit, daß uns alles das, was wir jetzt an der Ausbildung von jungen Menschen versäumen, in Zukunft als Standortnachteil immer wieder einholen wird.Im Gegensatz zur Bundesregierung war und ist für uns Sozialdemokraten Jugendpolitik stets ein eminent wichtiger Bestandteil der Standortpolitik. Deshalb sind wir der Auffassung, daß es Aufgabe einer Bundesregierung wäre, den Jugendlichen mit angemessenen politischen Rahmenbedingungen klare und verläßliche Orientierungshilfen zu geben, und daß eine Bundesregierung die Pflicht hat, die Voraussetzungen zu schaffen, damit die Jugendlichen ihren Anspruch auf ein freies und selbstbestimmtes Leben realisieren können und ohne Zukunftsängste und Existenzangst aufwachsen können.
— Ich weiß nicht, von welchem Parteitag Sie reden. Aber ich rede zum Thema; hören Sie doch zu.Wenn ich demgegenüber dann die Standortkonzeption der Bundesregierung und die heute zur Debatte stehende inhaltsleere und realitätsferne Antwort aus dem Hause Merkel betrachte, dann ist es blanker Zynismus, wenn dort steht:Politik für junge Menschen ist nach Auffassung der Bundesregierung Politik für die Zukunft.Es ist Zynismus, meine Damen und Herren, wenn die zuständige Ministerin angesichts von Zigtausenden fehlender Arbeitsplätze, angesichts von massiver Jugendarbeitslosigkeit, angesichts von Rekordzahlen von Kindern und Jugendlichen unter der Armutsgrenze und angesichts der durch Sozialkahlschlag bewirkten zunehmenden Jugendkriminalität, angesichts der Gewalt an Schulen, des erschreckenden Anstiegs von Rechtsradikalismus bei jungen Menschen und des Booms von gefährlichen Sekten und als solchen getarnten Nepporganisationen, wenn angesichts dieser beispielhaft ausgewählten Tatsachen die zuständige Jugendministerin schreibt — ich zitiere —:Die Politik der Bundesregierung will einen Beitrag dazu leisten, daß junge Menschen befähigt werden, ihr Leben selbständig und verantwortlich zu gestalten. Auch will sie — die Bundesregierung — junge Menschen für unsere Demokratie und ihre Wertentscheidungen stets neu gewinnen.
Ich wiederhole mich: Das ist bitterster Zynismus, meine Damen und Herren, oder bewußte Falschaussage.Konkret möchte ich auf zwei Bereiche eingehen: zum einen auf die Arbeitsplatz- und die Ausbildungssituation von Jugendlichen und zum anderen auf die Problematik im Zusammenhang mit Sekten und sogenannten destruktiven Kulten.Was also die berufliche Situation angeht, so bleiben zunächst folgende Fakten festzuhalten: Trotz aller Schönrederei durch den Bundeskanzler ist die Ausbildungssituation alarmierend, und zwar nicht mehr nur in den neuen Ländern, sondern auf Grund der wirtschaftlichen Talfahrt inzwischen auch in den alten Bundesländern. Es ist Augenwischerei, wenn mit Hilfe von Statistiken versucht wird, den Jugendlichen einzureden, es gebe für sie genügend Ausbildungsplätze. Denn stets handelt es sich dabei um unsachgemäße Pauschalierungen, wie z. B. bundesweite Zahlen. Diese verwischen zum einen die regional bestehenden Unterschiede. Zum anderen geben sie keinerlei Auskunft über das qualitative Ausbildungsplatzangebot, sprich: über ein nach Branchen aufgeschlüsseltes Angebot. Erst daraus aber lassen sich die Möglichkeiten der Jugendlichen zur freien Berufswahl beurteilen.Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen einmal einige wenige differenziert betrachtete Daten dazu nennen. Tatsache ist, daß beispielsweise in den neuen Ländern im Jahre 1993 84 000 betrieblichen Ausbildungsplätzen 145 600 Bewerber gegenüberstanden. In diesem Jahr ist das Verhältnis sogar so unausgewogen, daß der DGB von einer Ausbildungskatastrophe in Ostdeutschland spricht.
Angesichts einer Zunahme der Zahl von unvermittelten Bewerbern um 28 % gegenüber dem Vergleichsmonat des Vorjahres ist das sicherlich auch keine Übertreibung. — Die Freundschaft der F.D.P. zum DGB ist bekannt. Also lassen Sie doch diese Bemerkungen.
Aber auch die differenziert betrachteten Zahlen für den Westen zeigen, daß beispielsweise im Bereich der Organisations- und Verwaltungsberufe sowie bei den technischen Berufen gerade noch ein Verhältnis von 1 : 1 zwischen unvermittelten Bewerbern und offenen Stellen besteht. Von Chancen für eine freie Ausbildungs- und Berufswahl kann also auch hier keine Rede mehr sein.Aber selbst die Jugendlichen, die einen Ausbildungsplatz ergattern konnten, sind dadurch noch lange nicht ihrer Existenzsorgen befreit. Betrachtet man nämlich die Übernahmequoten, und zwar im Osten wie im Westen, so zeigen diese, daß gerade
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 20053
Renate Rennebacheinmal die Hälfte der Auszubildenden anschließend auch von den Betrieben übernommen werden.Wie wichtig jedoch eine Ausbildung nicht nur für das psychische Wohlbefinden von Jugendlichen ist, sondern auch für ihre weiteren Chancen während des gesamten Berufslebens, kann ebenfalls aus den vorhandenen Arbeitsmarktzahlen abgelesen werden, die Frau Merkel wahrscheinlich nicht kennt.
So liegt in der Altersgruppe der 20- bis 24jährigen die Arbeitslosenquote bei denjenigen ohne anerkannte Ausbildung im ehemaligen Westen bei 14 % und im ehemaligen Osten sogar bei 27 %.Alleine diese wenigen Zahlen zeigen, daß es einfach eine ungerechtfertigte und die Perspektive völlig verzerrende Situationsbeschreibung ist, wenn Frau Merkel hervorhebt, daß die Jugendarbeitslosigkeit unterdurchschnittlich sei. Es ist geradezu ein Lehrstück aus dem Bereich „Wie lügt man mit Statistik", wenn Frau Merkel dies dann auch noch als Ergebnis der Politik der Bundesregierung verkaufen will. Damit ist meines Erachtens die Grenze der politischen Seriosität weit überschritten.
Der zweite Bereich, zu dem ich einige Anmerkungen machen möchte, ist der Bereich der sogenannten Jugendsekten und Jugendreligionen sowie der sogenannten destruktiven Kulte; denn hier handelt es sich meines Erachtens um ein Politikfeld, das angesichts seiner Auswirkungen für die einzelnen Betroffenen, aber auch für unsere Gesellschaft viel zuwenig Beachtung und politische Initiative erfährt.Von der breiten Öffentlichkeit und ebenso im politischen Raum nahezu unbemerkt ist nämlich in diesem Bereich ein enorm großer und weiterhin geradezu boomender Markt entstanden. In diesem tummeln sich eine Vielzahl von mehr oder weniger ernstzunehmenden Organisationen, die ihre Klientel letztlich aus den Menschen rekrutieren können, denen unsere Gesellschaft und die jetzige Politik keine Orientierung, Perspektive oder beruflichen wie persönlichen Halt geben.Nun fehlt an dieser Stelle die Zeit für eine angemessene Debatte zu diesem Thema. Man muß hier sicherlich genau differenzieren und darf nicht den Fehler begehen, alle diese Gruppierungen gleichermaßen zu verdammen oder zu verharmlosen. Ich möchte jedoch darauf hinweisen, daß es zweifellos so ist, daß hier wesentlich verstärkter Handlungsbedarf besteht, da zum einen immer mehr dieser Organisationen und Gruppierungen entstehen und zum anderen auch die unstrittig gefährlichen Organisationen, z. B. die Scientology, insbesondere von der Bundesregierung nahezu unbehelligt ihr Unwesen und ihre üblen Geschäfte betreiben können.Die Aufgabe einer Bundesregierung läge hier darin, die Organisationen, die, wie die Scientology, zweifelsfrei vornehmlich jungen Menschen das Leben ruinieren, mit allen staatlichen Mitteln zu bekämpfen. Mit diesen Mitteln meine ich in erster Linie die Aufarbeitung der gesellschaftspolitischen Defizite, die dazu führen, daß solche Vereinigungen überhaupt diesen Zulauf haben können. Zum anderen meine ich damit aber auch konkrete bundespolitische Aktivitäten bei der Bekämpfung der zunehmenden und oft verdeckten Infiltration und Einflußnahme dieser Organisationen in alle Bereiche von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft.
Ich bin froh, daß die Innenminister der Länder vor knapp drei Wochen einstimmig den Beschluß gefaßt haben, daß die Scientology eine Organisation darstellt, die — ich zitiere —:unter dem Deckmantel einer Religionsgemeinschaft Elemente der Wirtschaftskriminalität und des Psychoterrors gegenüber ihren Mitgliedern mit wirtschaftlichen Betätigungen und sektiererischen Einschlägen vereint.Daß dieser Beschluß zustande kam, ist sicherlich nicht auf die Arbeit der Bundesregierung zurückzuführen, obwohl es sich ja zweifelsfrei um eine bundesweite Problematik handelt.
Vielmehr ist es beschämend, wie spärlich sich die Aktivität der Bundesregierung im Bereich der Bekämpfung sogenannter Sekten ausnimmt. Dabei ist die fast eineinhalbjährige Verzögerung bei der Arbeitsaufnahme der großartig angekündigten bundesweiten Dokumentations- und Informationsstelle Jugendsekten nur ein Beispiel.Wenn also die Bundesregierung tatsächlich etwas für die Belange junger Menschen in unserem Lande tun möchte, dann läge auch in diesem Bereich wirklich eine wichtige Aufgabe.Abschließend zu dem Zwischenruf: Nicht die Bundesregierung, sondern einige Bundesländer haben vehement dafür gekämpft, daß sich die Innenminister und die Justizminister mit dem Thema Scientology beschäftigen.
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt das Wort unserem Kollegen Dr. Karlheinz Guttmacher.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn ich nunmehr zu Ihnen über die Situation der Jugend in den neuen Bundesländern spreche, dann sind auch nach eigener Erfahrung vor Ort zwei Tatbestände ganz unbestreitbar: zum einen, daß die Entwicklung der ostdeutschen Jugend einen ganz entscheidenden Faktor unserer zukünftigen gesamtdeutschen Entwicklung darstellt. Die jungen Leute stehen vor Problemen und Herausforderungen, für die es in der deutschen Nachkriegsgeschichte kein Beispiel gibt. Vor allem die Orientierung in einer marktwirtschaftlichen Ordnung fällt vielen nicht leicht. Zukunftsangst und teilweise fehlende Lebensziele sind leider auch bei uns heute noch anzutreffen. Hier
Metadaten/Kopzeile:
20054 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Dr. Karlheinz Guttmacherwirkt verstärkend, daß gerade die Familie in der andauernden Umbruchsituation an stützender und auffangender Kraft verloren hat. Aus dieser Gesamtsituation folgt unmißverständlich der Auftrag, gerade in den jugendpolitischen Anstrengungen nicht nachzulassen, sondern sie weiter zu intensivieren.Als zweiter Tatbestand ist zu vermerken, daß die Koalition in der Jugendpolitik ihre Hausaufgaben gemacht hat. Gerade die Jugendarbeit in den neuen Bundesländern war dabei ein besonderer Schwerpunkt und wird es auch bleiben. Das zahlt sich heute bereits aus und läßt für die Zukunft hoffen.Ich möchte dazu kurz wichtige Fakten nennen. Primäre Aufgabe war und bleibt es, allen Jugendlichen in den neuen Bundesländern Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen. Frau Rennebach, wenn Sie in dieser Situation die Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Ausbildungsplätzen hier beklagen, dann muß ich Ihnen entgegenhalten, daß es von 1991 bis 1993 gelungen ist, immer wieder — trotz Schwierigkeiten — jedem Jugendlichen eine Ausbildungsstelle zur Verfügung zu stellen.
Ich weise auch darauf hin, daß die deutsche Wirtschaft die Berufsbildung — —
— Aber liebe Frau Rennebach, gerade die Bildungspolitik vertrete ich im Bildungsausschuß und kenne mich genau aus mit den Zahlen. Ich weiß, wovon ich spreche, und ich gebe Ihnen ja auch an dieser einen Stelle recht, daß wir 1994 große Schwierigkeiten haben, wirklich genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen. Aber sehen Sie bitte auch die Umstrukturierung in den neuen Bundesländern! Und bitte sehen Sie auch in dieser Frage, daß das Handwerk bisher alle Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt hat, daß es langsam gesättigt ist und der industrielle Mittelstand, die Industrie in Zukunft bei dem Umstrukturierungsprozeß diese Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen muß.
— Haben Sie mir gar nicht zugehört? Ich habe doch gerade gesagt, daß sich der industrielle Mittelstand weiter formieren muß, und er muß dann die Ausbildungsplätze — beginnend jetzt, 1994 — zur Verfügung stellen.
Die Bundesregierung hat darüber hinaus allein 1992 und 1993 75 Millionen DM bereitgestellt, um den Auf- und Ausbau von Trägern der freien Jugendhilfe in den neuen Bundesländern zu unterstützen. Damit wurde auf örtlicher Ebene ein Netz von Trägern der freien Jugendhilfe geschaffen. Auch für das AFT-Programm stehen 1994 nochmals fast 17 Millionen DM zur Verfügung. Damit werden vor allem die wichtigen Bereiche der Beratung, der Qualifizierung,der Fortbildung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der freien Jugendhilfe weitergeführt.Das neue Kinder- und Jugendhilfegesetz hat die Hilfe für junge Menschen und ihre Eltern auf eine neue Grundlage gestellt. Neben dem Kind und dem-Jugendlichen wird stärker die Familie und das soziale Umfeld in die pädagogische Arbeit einbezogen.In den neuen Bundesländern gelang es auch, die quantitativ gute Versorgung im Bereich der Kindergärten und -tageseinrichtungen dem Bedarf angepaßt zu erhalten. In allen Bundesländern muß darüber hinaus der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz bis zum 1. Januar 1996 umgesetzt werden.Auch die Länder — das möchte ich an dieser Stelle erwähnen — investieren in die Jugendförderung. Ich möchte exemplarisch für die Länder Sachsen und Thüringen die wichtigsten Schwerpunkte benennen: infrastrukturelle Hilfen für die Jugendarbeit, Jugendbildung, der Aufbau freier Träger der Jugendhilfe, die Jugendsozialarbeit, der Jugendschutz, Erziehungsberatung und Erziehungshilfen und nicht zuletzt Jugendbegegnungen. Darauf werde ich noch gesondert eingehen.Das trotz aller jugendpolitischen und gesamtwirtschaftlichen, aber auch juristischen und polizeilichen Bemühungen bei einem Teil der Jugendlichen auch in den neuen Bundesländern beträchtliche Aggressions- und Gewaltpotential bereitet allerdings auch mir — wie vielen anderen — große Sorge.Die besonderen Schwierigkeiten der Jugend in den neuen Bundesländern in der gegenwärtigen Umbruchsituation sollte aber nicht den Eindruck erwekken, als ob ihre Lage und insbesondere deren Verarbeitung von derjenigen der Jugendlichen in den alten Bundesländern grundverschieden sei. Teilweise Orientierungsprobleme, Zukunftsangst und fehlende Lebensziele sind schließlich kein ausschließlich ostdeutsches, sondern eher ein gesamtdeutsches Phänomen, gerade bei der Jugend.Die Forschungsergebnisse eines deutschen Jugendinstitutes 1992 und der Shell-Studie 1992 zeigen entsprechend, daß die Grundorientierungen und Zukunftsperspektiven trotz unterschiedlicher Ausgangspositionen und Lebensumstände bemerkenswerte Ähnlichkeiten zwischen Ost und West, hohe Übereinstimmungen in Wertorientierungen aufweisen. Allen gemeinsam ist vor allem die Bejahung demokratischer Werte von Selbstverwirklichung, Kritikfähigkeit und Leistung.Was in meinen Augen vor allem gestärkt werden muß, ist das Gefühl für soziale Verantwortung.Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, nun erhält das Wort unser Kollege Kersten Wetzel.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Förderung und Intensivierung von Begegnungen zwischen Jugendlichen aus den neuen und den alten
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 20055
Kersten WetzelBundesländern sollte über Parteigrenzen hinweg ein wichtiges Anliegen für jeden Politiker sein, der es wirklich ernst meint mit der Gestaltung der deutschen Einheit.Die Mauer und die SED-Diktatur haben auch und gerade bei den Jugendlichen tiefe Spuren hinterlassen. Im Prozeß des Zusammenwachsens zwischen den einst getrennten Teilen Deutschlands brauchen deshalb gerade unsere Jugendlichen unsere besonders starke Zuwendung und Unterstützung.
Im Herbst 1989 waren es vor allem junge Leute gewesen, die in Ostdeutschland auf die Straße gegangen sind und die friedliche Revolution dort mitgetragen haben. Junge Menschen aus den alten Bundesländern gehörten überwiegend zu den ersten, die nach der Öffnung der Grenze spontan in die NochDDR gefahren sind, um Kontakte und Annäherung zu suchen. In der anfänglichen Euphorie bestand ein ganz natürliches Interesse an der neuen und sicherlich auch etwas abenteuerlichen Situation auf der jeweils anderen Seite.Ich selbst kann mich noch sehr gut an diese Zeit erinnern. Nach dem Fall der Mauer habe ich sofort erste Kontakte zu jungen Christen, zu christlichen Jugendorganisationen und zu demokratischen Jugendverbänden, auch zu sozialdemokratischen Jugendverbänden, in den alten Bundesländern gesucht und aufgenommen.Bereits im Frühjahr 1990 konnte ich auf kleiner Schiene erste Begegnungstreffen mitorganisieren. Besonders durch meine Zusammenarbeit mit dem Christlichen Jugenddorfwerk Deutschlands, einem der großen Bildungs- und Ausbildungsträger für Jugendliche in der Bundesrepublik, gelangen schon Anfang 1990 politische Begegnungsseminare und gemeinsame Freizeiten.Als neu gewähltes Mitglied der Volkskammer vom 18. März 1990 und dortiges Mitglied im Ausschuß für Jugend und Sport konnte ich die Idee eines breit angelegten Jugendaustausches politisch unterstützen und konzeptionell mit erarbeiten. Durch die Mithilfe der Bundesregierung wurde damals der „Sommer der Begegnung" geboren. 1990 konnten es aus organisatorischen Gründen nur ein paar tausend sein, die daran teilgenommen haben. Aber bereits ein Jahr später waren es immerhin 85 000 junge Teilnehmer an diesem Sommer der Begegnung.Viele Jugendliche aus den neuen Bundesländern haben damals die Chance zur Ferienbegegnung wahrgenommen. Allerdings stellte sich heraus, daß es Schwierigkeiten gab, aus den alten Bundesländern genügend Teilnehmer für Ferienbegegnungen in den neuen Bundesländern zu gewinnen. So war es erforderlich, nach anderen Formen der Jugendbegegnung zu suchen, die Jugendliche aus allen Teilen Deutschlands gleichermaßen ansprechen und sie für gemeinsame Seminare und Begegnungen interessieren. Gute Erfahrungen haben wir in den letzten Jahren mit verschiedenen von der Bundesregierung und vom Bundesjugendplan geförderten Programmen gemacht.Ein weiteres großes Potential für eine Begegnung von Jugendlichen aus den alten und aus den neuen Bundesländern sehe ich im schulischen und im berufsbildenden Bereich. So könnten Schulen und Berufsbildungseinrichtungen noch viel stärker, als es bis jetzt der Fall ist, analog den damals sehr populären Berlin-Fahrten im alten Bundesgebiet und übrigens auch in der DDR Klassenfahrten in den jeweils anderen Teil der Bundesrepublik unternehmen. Auch Partnerschaften lassen sich auf diese Weise zwischen den Schulen und den berufsbildenden Einrichtungen sicherlich vertiefen oder auch neu herstellen.Im Hinblick auf diesen sehr ausbaufähigen Bereich appelliere ich an die Phantasie und Verantwortung der Kultusministerien in den Ländern. Ich bitte sie, solche Vorhaben der Schulen zu unterstützen oder, wo notwendig, auch neu zu initiieren.
Vor allem aber will ich die zahlreichen Jugendverbände, -organisationen und freien Träger der Jugendarbeit ansprechen. Diese besitzen das mit Abstand größte Potential, Jugendliche aus Ost und West einander näherzubringen. Diese kennen die Wünsche und Bedürfnisse der jungen Leute am besten, besser als jede andere Einrichtung oder irgendwelche verbeamteten Institutionen. Die Jugendverbände und freien Träger sind am ehesten in der Lage, Programme zu realisieren, die von Jugendlichen für Jugendliche gemacht werden und die dann auch von ihnen aufgenommen werden. Deren Engagement bildet eine wesentliche Grundlage für ein besseres Kennenlernen und Verstehen; viel besser, als dies eine nur modellhafte Förderung der Jugendbegegnung jemals sein könnte.Eine wirkliche Zusammenarbeit von Jugendlichen ist gefragt, nicht ein Programm für Jugendbegegnungen, das den heutigen Anforderungen vielleicht gar nicht gerecht werden kann. Das gemeinsame Übernehmen von Verantwortung für dieses Land, das Miteinander-Arbeiten in verschiedenen Projekten und das gemeinsame Erfolgserlebnis sollten den Schlüssel dafür bilden, die Köpfe und Herzen der jungen Menschen aus Ost und West füreinander zu öffnen.Voraussetzung ist aber eine sinnvolle und effiziente Unterstützung dieser Verbände und Organisationen, die sich um Jugendarbeit kümmern wollen oder sollten. Wir müssen die richtigen Rahmenbedingungen im Bund und in den Ländern schaffen, unter denen erfolgreiche Jugendarbeit nur stattfinden kann. Künftig darf von keiner öffentlichen Seite noch nach dem „Hirnrissigkeitsprinzip" entschieden werden; vielmehr müssen die Richtlinien zur Förderung jugendlichen Engagements einmal richtig ausgemistet oder zumindest gründlich überprüft werden. Wir sollten auch kleinen und mittelgroßen Jugendorganisationen und -verbänden eine Chance geben, ihre Ziele und Vorstellungen umzusetzen. Es darf einfach nicht mehr sein, daß Förderrichtlinien dieses Engagement von Jugendlichen in verschiedenen Fällen erschweren oder die große Chance des gegenseitigen Kennenlernens und Verstehens gefährden.Im fünften Jahr der deutschen Einheit brauchen wir neue Anforderungsprofile und Denkansätze für die
Metadaten/Kopzeile:
20056 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Kersten Wetzeldeutsche Jugendarbeit. Wir brauchen in Bund und Ländern und auch in den Kommunen viele Maßnahmen und Projekte, in die sich Jugendliche aus allen Regionen Deutschlands gemeinsam für eine friedliche und glückliche Zukunft Deutschlands, Europas und der ganzen Welt einbringen können. Aufgerufen sind deshalb alle, die in der Jugendarbeit Verantwortung tragen. Lassen Sie uns die vielen Möglichkeiten zum Wohle dieser Menschen ausschöpfen! Die gemeinsame deutsche Jugendarbeit muß als entscheidende Form der Begegnung maßgeblich gefördert und intensiviert werden.Der eingebrachte Antrag der SPD-Fraktion erfüllt diese Ansprüche leider nicht. Ich würde mich aber sehr freuen, wenn wir gemeinsam über alle demokratischen Fraktionen hinweg die Jugendarbeit künftig inhaltlich so interessant und flexibel ausgestalten würden, daß sie die Jugendlichen aus den neuen und den alten Bundesländern gleichermaßen anspricht und dadurch einander näherbringt.
Meine Damen und Herren, jetzt hat unser Kollege Christoph Matschie das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hoffe, Sie nehmen mir es nicht übel, wenn ich sage, daß ich zeitweise den Eindruck hatte, wir reden hier nicht über Jugend, sondern über irgendeine statistische Größe. Jugend —das ist doch eine Eruption von Gefühlen und Ideen. Jugend — das ist Sensibilität, aber auch Härte. Jugend — das ist Unsicherheit, aber auch Mut und Begeisterung. Jugend — das ist Suche, vor allem Suche nach Sinn und Entfaltung.Wir können nicht so über Jugend reden wie über die richtige Anordnung des Tafelgeschirrs.
Schon deshalb bietet die Antwort auf die Große Anfrage zur Situation der Jugendlichen in Deutschland nur sehr begrenzte Antworten. Wir sollten nicht meinen, jetzt wüßten wir über die Jugend und ihre Situation Bescheid.Das Leben Jugendlicher hat so ungeheuer viele Facetten und so viele Lebenswirklichkeiten, daß sie nicht einfach einzufangen sind. Nur ein Teil dieser Lebenswirklichkeit ist auch mit den Mitteln der Politik gestaltbar und beeinflußbar.Ich möchte einige Beobachtungen aus der Situation herausgreifen, weil ich glaube, daß Jugend auch ein Seismograph der gesellschaftlichen Entwicklung ist. Hier zeigen sich die Erschütterungen am deutlichsten und am frühesten.Die erste Beobachtung ist eine Beobachtung aus der Perspektive eines Politikers. Wir sehen, daß die Anzahl von jungen Menschen in den Parteien äußerst gering ist. Nun könnte man mit Homer vielleicht scherzhaft sagen: Ja, natürlich, denn selten ist ein junges Alter verständig. — Aber so einfach sollten wir uns das nicht machen. Denn wenn man sich die Statistik ein wenig genauer ansieht, sieht man, infrüheren Jahren ist das nicht immer so gewesen, sondern die Zahl von Jugendlichen, die bereit sind, sich in Parteien oder Verbänden zu engagieren, nimmt ab.Eine weitere Beobachtung bezieht sich auf eine Befragung der Jenaer Universität unter Jenaern Schülern. Sie wurden nach ihrer Zufriedenheit mit der gesellschaftlichen Entwicklung in Deutschland befragt. 25 % von den Befragten sagten, sie seien überhaupt nicht damit zufrieden, und 52 % sagten: eher weniger.Das bedeutet, insgesamt sind drei Viertel aller Befragten eher weniger oder überhaupt nicht zufrieden mit der gesellschaftlichen Entwicklung in Deutschland. Noch trauriger sieht das Bild bei der Frage aus, wie die Zufriedenheit mit den Möglichkeiten, politische Entscheidungen beeinflussen zu können, sei. Hier sagten 61 %, daß sie überhaupt nicht mit den Möglichkeiten zufrieden sind.
31 % sagten, daß sie eher weniger damit zufrieden sind. Das macht insgesamt 92 %.
— Ich glaube, wir sollten nicht den Vorwurf machen, daß die Jugendlichen nicht nach Möglichkeiten schauen, sondern eher uns fragen, welche Möglichkeiten wir denn anbieten, um Jugendliche an Entscheidungsprozessen zu beteiligen.
Ein zweiter Punkt meiner Beobachtung bezieht sich auf die Stimmungslage und die soziale und wirtschaftliche Situation vor allem in Ostdeutschland. Nur zwei Beispiele: In der „Leipziger Volkszeitung" vom gestrigen Tage stand folgende Überschrift: „Ost- Bevölkerung schrumpft — Elite zieht westwärts".In der „Wochenpost" vom heutigen Donnerstag stand: „Wiesen grün, Häuser grau, Männer blau. Abwanderung der Eliten und Geburtenrückgang — der Osten verdorrt. Jeder vierte Jugendliche will in den Westen. "In der Tat haben wir seit 1989 eine Abwanderung von fast 1,5 Millionen Menschen aus dem Osten Richtung Westen gehabt. Wir haben in dieser Zeit einen Geburtenrückgang in Ostdeutschland um 65 % gehabt. Es ist schon — so glaube ich — ein Alarmsignal, wenn jeder vierte Jugendliche nicht mehr in Ostdeutschland bleiben will.Das Bundesinstitut für Berufsbildung gibt an, daß ca. 115 000 Ostjugendliche zwischen 20 und 25 Jahren innerhalb eines Jahres als Pendler arbeiten oder ganz in den Westen gehen. Der Abwanderungswille wächst.Dahinter steht natürlich auch das gravierende Problem der Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland. Denn auch da, wo zum Teil Ausbildungsplätze verfügbar sind, sind Jugendliche nicht mehr bereit, solche Lehr-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 20057
Christoph Matschiestellen anzunehmen. Wer will gerne da lernen, wo die Eltern gerade entlassen worden sind?Eine dritte Beobachtung bezieht sich auf die zunehmende Gewalt. Auch in den Äußerungen der Bundesregierung wird konstatiert, daß Gewalttoleranz und Gewaltbereitschaft in Deutschland zugenommen haben. Man muß sagen: Leider ist die Situation unter ostdeutschen Jugendlichen noch schlimmer als unter westdeutschen. Bei den 16- bis 17jährigen im Osten ist die Gewaltbereitschaft doppelt so hoch wie bei Jugendlichen im Westen.Nach einer Studie vom Institut für Sozialanalysen in Leipzig über ostdeutsche Jugendliche gaben 28 % der männlichen Lehrlinge und 20 % der Schüler der 8. bis 10. Klasse an, daß sie zu handgreiflichen Auseinandersetzungen mit der Polizei oder mit andersdenkenden Jugendlichen bereit seien.Auf der anderen Seite sehen wir aber auch andere Signale, Wünsche, die sich auch an uns, an die Politik, richten. So lesen wir in der Shell-Studie, daß der am höchsten angesetzte Wert für die befragten Jugendlichen eine Welt in Frieden sei, gefolgt von familiärer und sozialer Sicherheit, Bewahrung der Umwelt, wahrer Freundschaft — für mich ein Ausdruck dessen, daß es an Entfaltungsmöglichkeiten mangelt, an Entfaltungsmöglichkeiten für Jugendliche, ihre Energie, ihre Ideen in diese Gesellschaft einzubringen.In der Entschließung des Bundestages bei der Debatte zum Achten Jugendbericht findet sich der Satz: Jugendpolitik ist eine Querschnittsaufgabe; alles staatliche Handeln muß die Auswirkungen auf die Lebensverhältnisse von Kindern und Jugendlichen berücksichtigen. — Ja! kann man da nur sagen. Doch dies darf keine wohlmeinende, aber paternalistische Hilfe sein: nachdem wir die anderen Aufgaben erledigt haben, auch für die Jugend noch etwas. Vielmehr muß dies in erster Linie die Möglichkeit zur Beteiligung sein, der Beteiligung von Jugendlichen an tatsächlichen Entscheidungsprozessen. Dies muß Einbindung bedeuten und Zuhören: erst zuhören und dann reden über die Gestaltung der Lebensräume von Jugendlichen wie Schule, Ausbildung und Freizeit.
Dies bedeutet aber auch eine stärkere Konzentration auf die Probleme, die immer handgreiflicher auf uns zukommen. Wir dürfen nicht weiter Probleme auf die Zukunft verschieben, die wir jetzt klären können. Auch das belastet die Situation von Jugendlichen. Jugendstudien belegen, daß die Bedrohungsangst bei Jugendlichen sehr ausgeprägt ist.Nicht auf die Zukunft verschieben bedeutet eine andere Finanzpolitik, die nicht unsere Versäumnisse auf zukünftige Generationen weiterschiebt, eine andere Umwelt- und Wirtschaftspolitik, eine andere Politik, um den wachsenden Ungleichgewichten in der Welt zu begegnen. Es bedeutet vor allem auch Glaubwürdigkeit in der Politik.Frau Kollegin Funke-Schmitt-Rink, wenn Sie vorhin gesagt haben, wir sollten Jugendlichen sagen, sie hätten kein Recht auf Rausch, dann ist das, glaube ich, nicht sehr glaubwürdig, da in dieser Gesellschaft sehrviele ihren Rausch beispielsweise im Alkohol suchen und es auch kaum eine offizielle Feier gibt, bei der nicht Sektgläser klingen oder Bierhumpen aneinandergestoßen werden.
— Auch Alkoholrausch ist ein Rausch. An Alkohol gehen sehr viel mehr Menschen in diesem Land zugrunde als an anderen Drogen.Ich möchte noch ein paar Sätze zur engeren Jugendpolitik verlieren, vor allem zur Jugendhilfepolitik. Es ist bekannt, daß die Versorgung mit Einrichtungen der Jugendhilfe im Osten noch sehr defizitär ist. Viele Clubs beispielsweise sind geschlossen oder kommerzialisiert worden. Nur 8 % bis 9 % wurden als Einrichtungen der Jugendhilfe weitergeführt.
Herr Kollege Matschie, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hüppe?
Aber natürlich.
Bitte, Herr Kollege.
Herr Kollege Matschie, darf ich Sie fragen: Wenn Sie gerade sagen, daß durch Alkohol viel mehr Menschen sterben, wäre es dann nicht richtig, daß wir nicht noch eine weitere Droge, die bisher illegal ist, zusätzlich in diese Gesellschaft hereinholen?
Würden Sie mir nicht zugeben, daß ein Bleichhoher Gebrauch z. B. von Heroin wie bei Alkohol — in Höhe von 95 % — noch zu viel mehr Drogentoten führen könnte?
Herr Kollege, meine Aussage bezog sich in erster Linie darauf, daß wir glaubwürdig argumentieren sollten
und nicht sagen sollten: Kein Recht auf Sucht!, dann aber losgehen und die Gläser klingen lassen.Zu Ihrer Frage im engeren Sinne: Ich denke, daß diese Drogen in der Gesellschaft vorhanden sind und daß wir bei der Auseinandersetzung mit diesem Vorhandensein gelernt haben, daß Verbote und polizeiliche Aktionen nur sehr bedingt dazu beitragen, Süchten zu begegnen. Uns allen bleibt die Aufgabe, weiter darüber nachzudenken, wie wir besser damit umgehen können. Diese Debatte können wir hier aber nicht in aller Ausführlichkeit führen.
Zurück zur Situation der Infrastruktur für Jugendliche in Ostdeutschland. Ich hatte von den Clubs gesprochen. Ein Beispiel aus Jena: Von 40 Clubs, die es gab, wurden 20 geschlossen, die anderen 20 kommerzialisiert, was auch für Jugendliche zum Teil
Metadaten/Kopzeile:
20058 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Christoph Matschieeinen erschwerten Zugang bedeutet. Die Sportstättensituation ist ebenfalls nicht besonders gut.Ein paar Sätze zur inhaltlichen Gestaltung der Jugendhilfe. Hier muß zuerst einmal gesagt werden, daß diese Jugendhilfe kein unhistorisches statisches System von Hilfen und Unterstützungsleistungen ist und daß wir in Ostdeutschland versuchen sollten, gemeinsam mit den Jugendlichen zunächst einmal nach einem neuen Konsens zu suchen, wie diese Jugendhilfe genau ausgestaltet werden soll.Wir brauchen — das höre ich von vielen, die mit Jugendlichen arbeiten — eine viel kontinuierlichere Planung in der Jugendarbeit. Die vielen Sonderprogramme und Sondertöpfe nützen wenig. Sie führen dazu, daß die großen Träger als erste den Zugriff haben und daß Programme hingebogen werden, um den Richtlinien zu genügen. Sie führen aber nicht zu einer kontinuierlichen, berechenbaren Arbeit der Organisationen.
Ein ganz großes Problem, dem wir in allen Bereichen begegnen, ist, daß Jugendarbeit, Arbeit mit Jugendlichen, noch immer als etwas Zusätzliches betrachtet wird: Wenn die Straße gebaut und das Rathaus renoviert ist, dann können wir auch noch etwas für die Jugend tun. — Nein, Kinder und Jugendliche sind kein Anhängsel der Gesellschaft, sondern die Zukunft der Gesellschaft.
Das bedeutet für mich: Sie brauchen jetzt ihre Chancen zur Entfaltung und eine gestaltbare Perspektive, die nicht mit uneinlösbaren Hypotheken behaftet ist.
Das Wort hat jetzt unser Kollege Josef Hollerith.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich in dieser jugendpolitischen Debatte auf die Erörterung der beruflichen Perspektiven junger Menschen konzentrieren.Obwohl die Rezession die Unternehmen dazu zwingt, auch im Personalbereich zu sparen, stieg die Zahl der abgeschlossenen Lehrverträge bundesweit um 4,1 % auf rund 207 000 an. Die neuen Bundesländer haben dabei einen besonders großen Anteil am Zuwachs. Hier erhöhte sich die Zahl um beachtliche 21,3 %. In Westdeutschland wird es voraussichtlich keine Lehrstellenlücke geben. In den jungen Bundesländern wird die Lehrstellennachfrage über dem Lehrstellenangebot liegen. Die Bundesregierung wird wie in den vergangenen Jahren bereitstehen, um eine mögliche Lehrstellenlücke durch entsprechende Programme zu schließen.Völlig daneben liegen die Gewerkschaften, wenn sie die Krise auf dem Ausbildungsmarkt ausrufen. Deutschland ist weit davon entfernt, die gleichen Probleme mit der Jugendarbeitslosigkeit zu bekommen wie z. B. Spanien, Frankreich oder Italien. In Italien und Spanien sitzen inzwischen vier von zehn Jugendlichen auf der Straße. Die Arbeitslosenquote von Jugendlichen im Alter von 15 bis 19 Jahren lag 1992 in Italien bei 41 % und in Spanien bei 39 %. In Deutschland liegt sie Gott sei Dank nur bei 5 %.Richtig ist allerdings, daß sich die Konjunktur in diesem Jahr negativ auf die Bereitschaft der Unternehmen auswirkt, junge Facharbeiter nach abgeschlossener Ausbildung zu übernehmen. Richtig ist aber auch, daß die Betriebe der angespannten Situation durch neue, flexiblere Einstellungsstrategien Rechnung tragen. Die betriebliche Ausbildung ist und bleibt ein sicherer und zukunftsträchtiger Ausbildungsweg. Obwohl die Gewerkschaften die tatsächliche Zahl der Arbeitslosen nach Abschluß der Lehre gerne hochrechnen, dürfte sie 1993 bei rund 75 000 gelegen haben. So jedenfalls rechnet das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Dem stehen 294 000 Arbeitslose aus schulischer Ausbildung einschließlich Hochschule gegenüber.Die Ausbildungsbetriebe und auch die Bundesregierung bemühen sich weiterhin intensiv, Lehrlingen eine berufliche Perspektive zu bieten. Dabei handeln wir in enger Zusammenarbeit mit der Wirtschaft. Allein 450 Millionen DM wurden von 1990 bis 1993 in den neuen Bundesländern in Berufsbildungszentren investiert. Die öffentliche Hand trug davon beachtliche 95 %. Aber nicht nur finanziell haben Wirtschaft und Regierung viel geleistet. Die meisten Betriebe bieten inzwischen zur Überbrückung der Beschäftigungsflaute befristete Arbeitsverträge an. Viele Betriebe bieten außerdem durch Teilzeitarbeit ihren Nachwuchskräften eine Chance, in das Berufsleben einzusteigen.Eine ganz auf das eigene Unternehmen zugeschnittene Variante hat z. B. Opel entwickelt. Jungfacharbeiter können bei entsprechender Lohnkürzung im ersten Jahr 25 Stunden pro Woche arbeiten, im zweiten Jahr sind es schon 30 Stunden, und im dritten Jahr erreichen sie die volle tarifliche Arbeitszeit. Ähnlich positive Regelungen praktiziert auch VW.
Selbst wenn die Übernahmemöglichkeiten im Ausbildungsbetrieb erschöpft sind, versuchen viele Unternehmen, ihren Personalüberhang an andere Betriebe zu vermitteln. So haben in den Bildungszentren der Telekom im Januar/Februar 1994 3 600 Kommunikationselektroniker ihre Prüfung abgeschlossen. Von diesen ausgebildeten Lehrlingen wird die Telekom AG lediglich 150 Auszubildende in den neuen Bundesländern übernehmen. Das Unternehmen hat aber inzwischen sichergestellt, daß die nicht übernommenen Lehrlinge in Handwerksbetrieben untergebracht werden können. Eine solche beispielhafte branchenübergreifende Lösung gibt es bereits im Ruhrgebiet, etwa zwischen der Stahlindustrie und Handwerksbetrieben.Auf Grund all dieser Maßnahmen bin ich zuversichtlich, daß auch 1994 für alle Jugendlichen die berufliche Perspektive positiv sein wird. Neue Prognosen zeigen, daß der Bedarf an Arbeitskräften mit beruflicher Qualifikation — darunter fallen nicht nur
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 20059
Josef HollerithFacharbeiter, sondern auch Meister und Techniker — von derzeit 64 % auf 72 % ansteigen wird. Die Nachfrage nach ungelernten Kräften wird — zum Vergleich — von heute 26 % auf 13 % fallen.Die Industrie hat längst verstanden, daß lean management und small education auf Dauer nicht zusammen passen. Jugend in Deutschland hat eine hervorragende Zukunft, eine bessere als in allen übrigen Ländern dieser Welt. Allerdings setzt diese positive Zukunft bei den Jugendlichen die Bereitschaft zur Leistung, die Bereitschaft, mit Mut und Tatkraft das eigene Leben in die Hand zu nehmen, voraus. Wir von der Politik wollen die Jugendlichen dabei unterstützen.
Meine Damen und Herren, nächster Redner ist jetzt unser Kollege Wilhelm Schmidt .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Daß Jugendpolitik mehr in das Zentrum politischer Auseinandersetzungen rücken müßte, ist im Laufe dieser Debatte mehrfach betont worden. Man hört es auch draußen in der Öffentlichkeit immer wieder. Ich muß bekennen, so ganz wohl ist mir bei einer solchen Aussage heute hier nicht; denn weder das Hohe Haus noch die Regierung werden diesem Anspruch ganz gerecht. Ich will das mit aller Vorsicht, auch selbstkritisch, hier sagen.Die Anstrengungen müssen intensiviert werden, um bei den Kindern und Jugendlichen in dieser Gesellschaft ein besseres Standing zu erreichen und zu sichern, daß wir als Erwachsene noch mehr, als das bisher der Fall ist, bei unseren politischen, bei unseren gesellschaftspolitischen Entscheidungen und Entwicklungen an die Kinder und Jugendlichen denken.Deswegen ist im Zusammenhang mit der Beantwortung der Großen Anfrage der SPD die Frage zu stellen, ob die Bundesregierung nicht tatsächlich bei Beschreibungen steckenbleibt und nur mit der Verteilung von Trostpflastern auf die großen Bedrängnisse von Kindern und Jugendlichen antwortet. Nach meiner Einschätzung jedenfalls ist das so.Es ist uns bei den vielen Kontakten mit dieser Bevölkerungsgruppe, mit den Jüngeren in unserer Gesellschaft, nicht nur in Ostdeutschland, sondern auch in Westdeutschland klar geworden, daß wir ihnen viel häufiger und viel intensiver eine Perspektive und vor allen Dingen denjenigen, die sich für sie einsetzen, eine Planungssicherheit bieten müssen.Hier beginnt das Ganze schon beim rechtlichen Rahmen problematisch zu werden, meine Damen und Herren. „Rechtlicher Rahmen" heißt: Wir in der Politik sind aufgefordert, für die Kinder und Jugendlichen in ihrer Entwicklung eine Grundlage zu bieten, auf der sie sich entfalten und entwickeln können.Damit habe ich die beiden Begriffe genannt, die meine Fraktion im Rahmen der Verfassungsdebatte in den vergangenen Monaten als notwendigen neuen Ansatz eines Rechtsrahmens in der Verfassungbezeichnet hat. Ich fordere ihn auch heute noch einmal.Wir stehen ja vor der Verfassungsdebatte, und wir werden Sie alle in der Verfassungsdebatte noch einmal darum bitten und dazu auffordern, diesen Rechtsrahmen in der Verfassung zugunsten von Kindern und Jugendlichen zu erweitern und nicht mehr wie bisher das Recht der Eltern in den Vordergrund zu rücken, wenn es darum geht, Positionen für die Kinder und Jugendlichen in der Gesellschaft zu beschreiben.
Die Kinder und Jugendlichen dürfen nicht mehr Rechtsobjekt unseres Rechtssystems bleiben. Sie müssen mehr als bisher eine eigenständige Grundlage für ihre Entwicklung und Entfaltung bekommen.Dies, meine Damen und Herren, ist auch ein Auftrag der UNO-Konvention fiber die Rechte des Kindes, auf die ich kurz eingehen will. Diese UNO-Konvention, die in Deutschland seit dem 5. April 1992 für Kinder bis zum 18. Lebensjahr gilt — also auch für die von uns als „Jugendliche" bezeichneten jungen Menschen, um Ihnen das noch einmal ins Bewußtsein zu heben —, enthält eine Fülle von Aufträgen, mit denen wir uns viel intensiver als in der Vergangenheit auseinandersetzen müßten. Sie fordert nämlich beispielsweise von uns eine Verbesserung der Rechtsgrundlagen, ein Verlassen der in Deutschland bestehenden Situation, daß das Kind nur ein Objekt der Rechtssystematik ist. Sie fordert von uns allerdings auch, beispielsweise im Ausländerrecht, im Entwicklungshilferecht, in der Frage, wie wir unser Kinder- und Jugendhilferecht gestalten, noch viel mehr zu tun und weiterzuentwikkeln, als das bisher der Fall ist.Dieses Kinder- und Jugendhilferecht, das zu Beginn der Debatte von Frau Nolte, glaube ich, als ausgereift und als gute Grundlage bezeichnet wurde, kann von unserer Fraktion nicht in diesem Maße so apostrophiert werden.
Wir fordern erneut eine Weiterentwicklung dieses Kinder- und Jugendhilferechts.
Hier sind fast keine Rechtsansprüche enthalten.
Diese Rechtsansprüche müssen wir weiterentwikkeln. Es kann nicht sein, daß wir in diesem Bereich fast nur mit Soll-Vorschriften und ähnlichem arbeiten. Hier müssen wir uns noch mehr als bisher fortentwikkeln, und wir müssen für die Arbeit für Kinder und Jugendliche noch mehr als bisher das Rechtssystem ausbauen.Meine Damen und Herren, ich fordere in diesem Zusammenhang auch, um einen Teilbereich herauszugreifen, eine Fortentwicklung unseres. Ausländerrechts. Das Ausländerrecht ist auf Grund der Mehrheitsentscheidungen dieses Hauses nicht nur sehr restriktiv, sondern es nimmt insbesondere keine Rück-
Metadaten/Kopzeile:
20060 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Wilhelm Schmidt
sicht auf die besonderen Interessen von Kindern und Jugendlichen.
Ich will an den Fall des Kölner Jungen Muzaffar Ucar, eines 13jährigen Türken, erinnern, der jetzt immerhin dazu geführt hat — nachdem das Gezerre um die Verhinderung seiner Abschiebung wochenlang die Öffentlichkeit, die Medien und seine private Umgebung beschäftigt hat —, daß inzwischen die Innenminister der Länder und gestern morgen auch der Innenausschuß dieses Hauses eine Umkehr ihrer für meine Begriffe unseligen Ausländerpolitik vorgenommen haben und wenigstens bei den Härtefallklauseln des Ausländerrechts mehr Rücksicht auf die besonderen Interessen der Kinder legen werden. Ich bin sehr froh darüber.
Es ist allerdings bedauerlich, daß es erst einer solchen öffentlichen Kampagne und solcher öffentlicher Auseinandersetzungen bedarf, um dahin zu kommen, wo wir jetzt stehen. Ich denke, daß wir hier, zumindest schrittweise, auf dem richtigen Weg gegangen sind.Ich will kurz einen zweiten Teilbereich ansprechen — in Anbetracht der Zeit ist eine ausführliche Behandlung vieler Dinge nicht möglich —, die Aufgabe der Politik im Zusammenhang mit der Mediensituation andeuten: Ich halte es für unerträglich, daß wir tagtäglich über unsere Fernsehsender — und zwar sowohl von den öffentlichen als auch von den privaten — ein derartiges Ausmaß an Gewalt flimmern sehen und niemand in der Politik versucht, energisch gegen diese Dinge anzugehen.
Ich bin zwar darüber froh, daß durch die Absprache der Länderministerpräsidenten in ihrer Konferenz dazu beigetragen wird, demnächst den Rundfunkstaatsvertrag ein klein wenig weiterzuentwickeln und vielleicht auch damit zu der Durchsetzung der richtigen Richtung beizutragen.Ich wäre sehr froh darüber, wenn wir das, was wir im Ausschuß für Frauen und Jugend und in der Kinderkommission am Rande unserer Diskussionen gemeinsam entwickelt haben, nämlich einen Entschließungsantrag für mehr Medienschutz im Bereich der Kinder und Jugendlichen — oder mehr Kinder- und Jugendschutz im Bereich der Medien; egal, wie herum Sie es sehen —, tatsächlich zu einem fraktionsübergreifenden Antrag entwickelten. Ich biete noch einmal ausdrücklich allen Fraktionen an, diesem jetzt feststehenden Antrag beizutreten und damit dazu beizutragen, daß ein wichtiges Signal gegeben werden kann, damit diese Aufgabe sowohl bei den Ländern, die für die Medienpolitik ja in erster Linie zuständig sind, als auch bei uns noch ernster als bisher genommen wird. Wir brauchen einen wirksamen Kinder- und Jugendschutz in den Medien.
Ich denke, Frau Nolte, wir haben auch diese Dinge zusammen sehr gut entwickelt. Mein Appell an Sie eben war kein Vorwurf, sondern die Bitte, das doch gemeinsam zum guten Ende zu bringen. Denn ich finde wirklich, daß die Öffentlichkeit auch hier— ähnlich dem, wie das jetzt glücklicherweise beim Ausländerrecht umgesetzt worden ist — ein Signal braucht.
— Ich nehme das Signal gerne auf.Ein weiteres, das ich kurz ansprechen will, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist: Wir haben uns ja auch hier noch einmal mit einem besonderen Antrag auf den Rechtsanspruch auf den Kindergartenplatz gemeldet. Ich finde es wirklich sehr wichtig, daß wir diesen vorlegen. Denn wir in der SPD-Fraktion meinen, es darf nicht dabei bleiben, daß auf Bundesseite wieder einmal nur ein die Kommunen und die Länder verpflichtendes Gesetz verabschiedet wird, mit dem die Länder und Kommunen am Ende dann aber alleingelassen werden.Wir brauchen die Beteiligung des Bundes an der Finanzierung der Kindergartenplätze. Deshalb brauchen wir ein Signal aus Ihrer Richtung. Die Umsetzung der Maßnahmen, die im Zusammenhang mit dem Schwangerschaftsabbruch in diesem Hause immer wieder diskutiert worden sind, erfordern mehr als nur das Feigenblatt. Dies ist ein ganz wichtiger Anspruch für Kinder und Jugendliche selbst. Es ist wichtig für ihre Entwicklung, eine solche Gemeinschaftspädagogik erleben zu können.Wir brauchen also die Umsetzung dieses Rechtsanspruches und dürfen dabei Kommunen und Länder nicht alleinlassen.
Das, was wir im Zusammenhang mit den einzelnen Bereichen hier immer wieder ansprechen, muß, so finde ich, einfach ernstgenommen werden. Es werden so viele Teilbereiche des öffentlichen Lebens von dem Recht für Kinder und Jugendliche getroffen, daß wir uns eigentlich jeden Tag, Woche für Woche mit der Politik für Kinder und Jugendliche befassen müßten. Bedauerlicherweise geschieht das viel zu selten.Darum fordere ich noch einmal auf: Rücken wir die Kinder- und Jugendpolitik noch mehr in das Zentrum nicht nur unserer politischen Aussagen, sondern auch unseres Handelns! Diese Aussage gilt nicht nur in Richtung der Mehrheitsfraktionen dieses Hauses, sondern geht natürlich auch an die Adresse der Länder und der Kommunen, denen wir ein gleiches abfordern müssen. Denn dort vor Ort wird eigentlich die wirkliche Politik für die Kinder und Jugendlichen gemacht und umgesetzt.Darum gilt dieser Appell für alle Ebenen. Dazu fordere ich von hier aus noch einmal auf.
Meine Damen und Herren, als nächster Redner hat jetzt unser Kollege Ronald Pofalla das Wort.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 20061
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will, damit ein wenig Dialog zustande kommt und nicht nur die jeweils vorbereiteten Texte hier vorgetragen werden, zunächst versuchen, auf den bis jetzt abgelaufenen Teil der jugendpolitischen Debatte aus der Sicht der Koalitionsfraktionen, aber insbesondere der Unionsfraktion, näher einzugehen.Zunächst in Richtung von Frau Dr. Niehuis. Welches Jugendbild haben Sie eigentlich? Wenn Sie in Ihrer Rede ausschließlich von süchtigen Jugendlichen, von Jugendlichen, die aus kaputten Familien kommen, von obdachlosen Jugendlichen, von arbeitslosen Jugendlichen reden, dann ist das Teil einer zwar vorhandenen Realität, aber wenn Sie den Schwerpunkt ausschließlich — das haben Sie in Ihrer Rede getan — darauf legen, dann sage ich Ihnen ganz offen: Das ist Teil einer Panikmache, die von uns so nicht geteilt wird. Ich werde im Verlauf meiner Rede versuchen, darauf näher einzugehen. Denn Sie versuchen, die gesellschaftliche Realität in einer Weise schlechtzureden, wie sie auch durch statistische Materialien nicht belegt werden kann.
Ich möchte in Richtung des Ministers Resch und des Kollegen Matschie und anderer, die auf die Infrastruktur von Jugendhäusern und Jugendklubs in den neuen Bundesländern eingegangen sind, antworten: Natürlich gibt es die Probleme, und die sind auch bekannt. Aber ich finde, zumindest der Landesminister hätte nicht so einfach argumentieren dürfen, wie er es hier getan hat. Die Länder sind im wesentlichen im Verbund mit den Kommunen für diese Aufgaben zuständig.Der bloße Verweis auf die schlechte Lage und das Hinüberschieben auf die Zuständigkeit der Bundesregierung
wird auch durch häufiges Wiederholen, Herr Kollege Schmidt, nicht richtiger. Da will ich aufgreifen, was Sie, Herr Schmidt, am Ende Ihrer Rede gesagt haben. Die Länder sind vor allem — ich werde versuchen, das in meiner Rede deutlich zu machen — zuständig im Bereich der Jugendpolitik. Wenn hier manche Versäumnisse da sind, liebe Kolleginnen und Kollegen der Sozialdemokraten, dann klopfen Sie bei Ihren Landesregierungen an und versuchen Sie, da die Veränderungen einzuklagen und nicht ausschließlich beim Bund.
Jetzt komme ich zu Ihnen, Frau Kollegin Rennebach. Sie haben die These aufgestellt, wenn Sie sich die Große Anfrage der Koalitionsfraktionen ansehen, daß hier nur einseitige Fragen gestellt worden seien. Ich stelle hier fest: Die Koalitionsfraktionen sind wenigstens imstande gewesen, eine Große Anfrage zur Jugendpolitik zu stellen. Innerhalb der Sozialdemokratie hätten Sie nicht einmal Einigkeit hinsichtlich der Fragestellung erzielen können.
Uns jetzt den Vorwurf hinsichtlich einseitiger Fragen zu machen entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Dann hätten Sie doch, wenn Sie andere Fragen haben, eine Große Anfrage stellen können.Die Kollegin Rennebach hat des weiteren von einem schlechten Stellenwert der Jugendpolitik im Zusammenhang mit der Politik der Bundesregierung gesprochen. Ich will hier ganz offen sagen: Dann schauen Sie sich doch die Länderhaushalte in den letzten zwei Jahren an. Und dann schauen Sie sich die finanziellen Rückführungen in den Länder-Jugendhaushalten an, beispielsweise hier in Nordrhein-Westfalen. Dann vergleichen Sie das mit den finanziellen Erweiterungen, die der Bundeshaushalt im Bereich der Jugendpolitik zu verzeichnen hat.Ich würde Ihnen empfehlen, Frau Kollegin Rennebach, daß Sie den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten auffordern, die aktuellen Rückführungen im Jugendhaushalt im Lande Nordrhein-Westfalen um 17 % nicht vorzunehmen. Dann würden Sie endlich begreifen und begrüßen, daß diese Bundesregierung in dieser Legislaturperiode die Ausgaben im Jugendbereich um 68 % erweitert hat. Das ist Realität. Dann versuchen Sie bitte, die Fragen bei Ihren sozialdemokratischen Länderregierungen anzubringen und nicht ausschließlich und einseitig bei der Bundesregierung.Zum Kollegen Matschie, der, wie ich finde, zu Recht eine Abwanderung von Ostjugendlichen in den Westbereich beklagt hat. Das ist im Grundsatz in der Höhe sicher ein Punkt, der auch bei uns in der praktischen Jugendpolitik weitere Beachtung finden muß.Aber ich möchte doch auf zwei Aspekte hinweisen, die mir in dem Zusammenhang wichtig sind.Der erste Aspekt: Wenn nicht gerade von einer jungen Generation Mobilität in einem breiteren Maße erwartet werden kann als von, sagen wir einmal, älteren Personen unserer Gesellschaft, dann weiß ich nicht, von welcher Personengruppe sie überhaupt erwartet werden kann. Wir leiden in Deutschland ja nicht daran, daß unsere Gesellschaft im Blick auf Arbeitsplätze zu mobil ist, sondern gerade daran, daß die Menschen in Deutschland im Blick auf Arbeitsplätze zu unmobil sind.Der zweite Aspekt: Ich selber komme aus dem ländlichen Raum. Es war immer schon ein Phänomen — fernab der Frage Ost-West auch des ländlichen Raumes —, daß gerade von Jüngeren im Zusammenhang mit Ausbildung und beruflichem Aufstieg eine ganz andere Mobilität erwartet wurde als von den älteren Personen der Gesellschaft, so daß es kein Ost-West-Problem ist, wie es auf Grund der Darstellung möglicherweise den Anschein haben konnte, sondern natürlich ein Problem der Jugend schlechthin, was ich insgesamt allerdings nicht unbedingt für einen Nachteil halte.Zum Kollegen Schmidt, der eine Weiterentwicklung des Kinder- und Jugendhilferechts gefordert hat.
Metadaten/Kopzeile:
20062 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Ronald PofallaErste Anmerkung: Sie haben beklagt, es gebe zuwenig — ich will das hier aufgreifen — verbindliche Vorschriften. Diese Auffassung teile ich, nach all den Änderungen, die wir in den letzten Jahren vorgenommen haben, nicht.Zweite Anmerkung: Wenn Sie verbindliche Regelungen wollen — das Kinder- und Jugendhilferecht des Bundes gibt nur einen rechtlichen Rahmen —, dann sprechen Sie eben wieder mit Ihren Länderregierungen. Sprechen Sie mit Ihren Länderregierungen da, wo Sie glauben, daß konkretes und verbindliches Recht den Rahmen ausfüllen sollte. Da hätten die sozialdemokratisch geführten Landesregierungen Vorbild geben können. Das haben sie an keiner der Stellen getan, wo sie in den Ländern Verantwortung tragen.Dann hinsichtlich — ich komme noch zum Kollegen Schmidt — des gemeinsamen Antrags zur Medienpolitik und zum Jugendschutz im Bereich der Medienpolitik. Ich will Ihnen ganz ehrlich sagen, was bei uns u. a. zu Verstimmungen geführt hat — das muß hier auch an dieser Stelle gesagt werden können —: Sie sind zu einem Zeitpunkt an die Öffentlichkeit gegangen und haben zu einem Zeitpunkt von diesem Antrag geredet, als diese Frage inhaltlich fraktionsübergreifend noch gar nicht abschließend geklärt war. Wir haben uns darauf verständigt, daß wir darüber — ich will das auch positiv signalisieren — noch einmal reden wollen.Eines kann natürlich nicht angehen: Wenn ein gemeinsamer Antrag kommen soll, dann müssen Sie auch den Kollegen der anderen Fraktionen die Möglichkeit geben, nicht aus der Presse zu erfahren, was Sie bei einem gemeinsamen Antrag für richtig halten.
Herr Kollege Pofalla, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja.
Bitte, Kollege Schmidt.
Herr Kollege Pofalla, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß der Antrag von allen Fraktionsvertreterinnen und -vertretern im Bereich der Jugendpolitik und der Medienpolitik erarbeitet worden ist, daß er fertig war, daß er abgestimmt worden ist und daß erst durch das kurzfristige Einwirken einer Kollegin Ihrer Fraktion, nachdem schon ein Pressetermin verabredet worden ist, das Ganze nicht dazu geführt hat, daß Ihre Fraktion beitreten konnte?
Nein, da stimme ich Ihnen nicht zu, weil ich den zeitlichen Ablauf genau vor Augen habe. Sie hatten bereits eine Veröffentlichung zu diesem Bereich in einer — jetzt weiß ich es nicht mehr genau —, ich glaube, evangelischen Kirchenzeitung vorgenommen, wo die Schlußabstimmung, die Sie gerade beschrieben haben, nicht stattgefunden hat. Ich sage das nur deshalb, damit nicht der Eindruck entsteht, als ob das einseitig an den Mitgliedern der Unionsfraktion oder der F.D.P.-Fraktion gelegen hätte. Zu einer gemeinsamen Abstimmung gehört eben auch, daß man so lange mit der Veröffentlichung wartet, bis die Abstimmung auch wirklich wasserdicht ist.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, Herr Kollege Pofalla?
Bitte schön.
Bitte, Kollege Schmidt.
Herr Kollege, sind Sie bereit, darüber hinausgehend ebenfalls zur Kenntnis zu nehmen, daß auch ich das insgesamt als unglücklichen Vorgang empfinde und daß wir gemeinsam versuchen sollten, noch zu einem positiven Beschluß zu kommen?
Dann bedanke ich mich. Dann werden wir vielleicht die Möglichkeit haben, das gemeinsame Ziel zu erreichen.
— Ich bin dafür, Einigkeit da zu zeigen, wo sie möglich ist, aber ich bin auch dafür, Widerspruch da zu zeigen, wo er notwendig ist.
Besonders bedanken möchte ich mich — damit möchte ich zu der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage übergehen — beim Kollegen Schmidt für seine letzte Anmerkung, in der er die Verantwortung der Länderregierungen angesprochen hat. Die Antwort der Bundesregierung — ich will es bei dieser Anmerkung, weil meine Redezeit gleich zu Ende ist, belassen — hat gezeigt, daß es Defizite gibt, aber sie hat eben auch gezeigt, welche großen Leistungen in den letzten Jahren durch die Bundesregierung erzielt worden sind. Ich nenne nur eine einzige Zahl. Unter der Jugendministerin Angela Merkel hat es eine Erweiterung der Jugendausgaben um 68 % im Rahmen dieser Legislaturperiode gegeben.
Da hätten uns gern sozialdemokratische Landesregierungen in den letzten vier Jahren überholen können. Leider waren die Sozialdemokraten dazu nicht in der Lage. An dieser Stelle einen herzlichen Dank an die Jugendministerin!
Lassen Sie mich zusammenfassen. Die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien haben mehr Mittel für die Jugendpolitik zur Verfügung gestellt als jemals eine Bundesregierung zuvor. Unsere Politik war flexibel genug, um auf die gestellten Herausforderungen einzugehen. Wir haben mit den Modellprojekten, die in der Jugenddebatte schon eine Rolle gespielt haben, moderne Jugendarbeit und Jugendpolitik aufgezeigt.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 20063
Ronald PofallaIch bedanke mich dafür, daß die Debatte dies deutlich gemacht hat. Wenn die Sozialdemokraten durch diese Debatte an dieser Stelle etwas schlauer geworden sind, hat es auch seinen Teil gebracht.Herzlichen Dank.
Ich erteile zum Schluß der Debatte der Bundesministerin Frau Dr. Angela Merkel das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich als erstes bei der Arbeitsgruppe Frauen und Jugend der CDU/CSU und auch der F.D.P. bedanken, daß sie die Große Anfrage für die Jugendpolitik gestellt haben, die uns heute die Möglichkeit gibt, über Jugendpolitik zu debattieren. Es ist in der Tat so — auch ich glaube, daß eine noch größere Beteiligung auch hilfreich sein kann, mehr Einsicht in die Politik für Jugendliche zu geben —, daß solche Debatten zu selten geführt werden und daß, was noch viel schlimmer ist, viel zu wenige aus unserem Parlament auch im täglichen und ständigen Kontakt mit jungen Menschen stehen, und es daher sehr dringlich ist, daß wir uns mit diesen Problemen befassen.Die Beantwortung dieser Großen Anfrage gibt uns die Möglichkeit, sachlich über die Dinge zu diskutieren, weil, wie hier, wenn auch meistens kritisch, schon angemerkt wurde, eine Menge von statistischem Material vorliegt. Statistisches Material ist nun erst einmal die Grundlage dafür, bestimmte Schlußfolgerungen zu ziehen.
— Richtig! Wir müssen der Statistik der Kommunen und der Länder trauen, und unseren eigenen trauen wir dann noch am allermeisten. Da ich diesen Spruch aus meiner früheren beruflichen Praxis kenne, bin ich gegenüber allen Statistiken hinreichend kritisch, informiere mich auch immer noch einmal vor Ort und muß dennoch sagen, daß bestimmte Befunde halt so sind, wie sie sind. Sie sind nicht immer so negativ, wie Sie sie uns hier einreden wollen.Ich möchte diese Jugenddebatte nicht vergehen lassen, ohne auf die erschreckenden Ereignisse von Magdeburg, Solingen, Mölln und Rostock hinzuweisen. Ich möchte aber auch betonen, daß dies nicht der prägende Eindruck von der Jugend in der Bundesrepublik Deutschland sein darf und daß gerade wir Jugendpolitiker dafür verantwortlich sind, daß dies nicht an der Jugend dieser Republik hängenbleibt,sondern als ein gesamtgesellschaftliches Problem begriffen wird.
Deshalb sollten wir immer und immer wieder nach außen sagen, daß 95 % der jungen Menschen in Ost und West Gewalt ablehnen, daß sie an einer guten Ausbildung in Schulen und Betrieben interessiert sind, daß sie mit großer Selbstverständlichkeit ihren Wehr- oder Zivildienst leisten, mit einem Wort, daß sie ihren Pflichten und Tätigkeiten gut nachkommen, so wie wir das aus der Erwachsenengeneration kennen.Aber es gibt natürlich auch Ungewöhnlichkeiten, es gibt eigene Wege von Jugendlichen; das gehört zum Jungsein dazu, und ich glaube, es ist eine Aufforderung an uns Erwachsene, hier die notwendige Toleranz und auch Akzeptanz für eigene Jugendwege zu zeigen.Deshalb glaube ich, das allererste, was wir unterstreichen müssen, ist: Die Jugend ist nicht auf einen einfachen Nenner zu bringen. Wir müssen genau hinschauen, was passiert und wo es passiert. Aber das Allerwichtigste, was junge Menschen von uns erwarten, ist, daß wir sie ernst nehmen in ihren Problemen, ihren Sorgen, aber auch ihren guten Seiten.
— Damit fange ich täglich an, das ist mein täglich Brot; da brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Da habe ich mir wenig Vorwürfe zu machen.Deshalb sollten wir auch in dieser Debatte eben nicht so tun, als wäre die Jugend vor allem eine Problemgruppe. Herr Resch hat das auch noch einmal ganz deutlich herausgestellt, und ich bin ihm dafür dankbar.Ich sehe eine Gefahr, daß es eine Entfremdung zwischen der erwachsenen und der jungen Generation in unserer Gesellschaft gibt. Woran liegt das?Erstens liegt es daran, daß die Jugendphase erheblich erweitert worden ist, sowohl zur Kindheit als auch zum Erwachsensein hin. Das heißt also, Entscheidungen über die Lebensperspektiven werden heute häufig erst von jungen Erwachsenen getroffen. Es haben sich ganz eigenständige Jugendszenen, Stilgruppen, Jugendsubkulturen herausgebildet, mit denen wir einfach leben wollen und müssen.Zweitens. Der Kontakt zwischen der erwachsenen Generation und den Jüngeren nimmt schon deshalb ab, weil die Zahl junger Menschen in unserer Gesellschaft kontinuierlich zurückgeht. 1978 gab es in der alten Bundesrepublik noch rund 11,3 Millionen Kinder und Jugendliche; heute sind es 7,5 Millionen. Die Gesellschaft wird älter, das durchschnittliche Lebensalter steigt, die Zahl der Kinder wird geringer. Das bringt ganz andere und neue Probleme.Weiter hat die Entfremdung aus meiner Sicht auch etwas mit dem Wandel der Familienstruktur zu tun. Die Kleinfamilie mit höchstens einem oder zwei Kindern ist heute die Regel. Das heißt, es gibt viel mehr Individualisierung, und Konfliktstrukturen können längst nicht mehr so in der Kleinfamilie aufgefangen
Metadaten/Kopzeile:
20064 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Bundesministerin Dr. Angela Merkelwerden, wie das früher in einem größeren Verbund der Fall war.Eine weitere Änderung in unserer Gesellschaft, die wir diskutieren müssen, ist die, daß die materielle Situation trotz aller Probleme für viele Jugendliche heute besser ist, als sie es vor zehn, zwanzig und dreißig Jahren war. Daraus resultiert eine ganze Reihe von Problemen, die mit der Erziehung, mit der Frage der Orientierung von jungen Menschen zu tun haben, auch mit der Frage der Sorgen.Wir müssen konstatieren — und das ist das dritte —, daß sich trotz eines relativ hohen materiellen Wohlstandes Jugendliche in unserer Gesellschaft nicht recht verstanden fühlen. Sie leiden unter einer Informationsvielfalt, unter konkurrierenden Wahrheiten; sie haben den Eindruck, sie werden nicht unbedingt gebraucht. Sie erhalten zuwenig Aufgaben. Vielen wird auch die Kindheit genommen, indem man sehr viele Probleme schon auf kleine Kinder abwälzt. Deshalb denke ich, hierüber müssen wir uns vor allen Dingen Sorgen machen.Eines möchte ich noch sagen. Das Vorbild der Erwachsenen wird oft verkannt, wenn es um die Erziehung von jungen Menschen geht. Jugendliche halten Elternhaus, Schule und Gesellschaft einen Spiegel vor. Das ist heute hier auch schon gesagt worden: Sie sind ein Seismograph unserer Gesellschaft. Deshalb muß ich noch einmal sagen: Viele Erwachsene täten gut daran, zu fragen, was sie eigentlich mit den Kindern unserer Gesellschaft falsch gemacht haben, anstatt über Jugendliche herzuziehen.
Genau hier setzt auch unsere Jugendpolitik an. Unsere Jugendpolitik sagt nicht, daß wir die Familie entlasten können. Das Kinder- und Jugendhilfegesetz geht ganz eindeutig davon aus, daß die Erziehungsarbeit, wo immer es möglich ist, in der Familie geleistet werden soll.
Ich möchte hier ganz besonders aus vielen Gesprächen in den neuen Bundesländern sagen, daß dieser Gedanke der Erziehung in der Familie in der demokratischen Gesellschaft einen ganz anderen Stellenwert erhält, als er in der früheren sozialistischen Gesellschaft hatte. Ich möchte das überhaupt nicht werten, ich stelle das fest. Wir täten gut daran, neben der Diskussion über mehr Jugendklubs und mehr Jugendbildungsstätten auch über Erwachsenenbildungsstätten und Familienbildungsstätten zu sprechen, weil dies mindestens genauso wichtig ist, denn Kinder können bestimmte Dinge nicht lernen, wenn Eltern und Erwachsene sie nicht verstanden haben.
Weiter, meine Damen und Herren, sind wir uns völlig einig darüber, daß Jugendpolitik vor allen Dingen die Aufgabe der Prävention hat. Deshalb möchte ich an dieser Stelle auch die Gelegenheit nutzen, allen Verbänden, Initiativen und freien Trägern für ihre Tätigkeit gerade auch im Zusammenhang mit der deutschen Einheit zu danken. Sie sind das Rückgrat der Jugendpolitik in einer freien Gesellschaft; sie sollen es bleiben. Ich denke, es eint uns, daß wir hier einen ganz wesentlichen Träger von Jugendarbeit sehen.Wir haben in unserem Bundesjugendplan genau dieser Aufgabe immer wieder Rechnung getragen, und deshalb wurde hier schon von Herrn Pofalla gesagt: Der Bundesjugendplan ist in seinem Umfang beträchtlich gestiegen, mehr gestiegen als der gesamte Bundeshaushalt in vielen anderen Bereichen. Wir haben gezeigt, daß Jugendpolitik eine hohe Priorität hat.Wir haben Sonderprogramme gefahren. Immer wieder wird gesagt, Sonderprogramme seien nicht das richtige Mittel. Ich muß Sie an dieser Stelle darauf hinweisen: In einer Sondersituation, wie es die deutsche Einheit war, denke ich, daß Sonderprogramme eben eine adäquate Antwort auf außergewöhnliche Situationen sind.
Diese Sonderprogramme haben vor allen Dingen die Aufgabe gehabt, daß sie die Erfahrungen auch der alten Bundesländer in die Jugendpolitik einführten und die Länder und die Kommunen befähigen, die ihnen obliegenden Aufgaben langsam selbständig zu übernehmen.
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich möchte noch einen Satz sagen. Dann kann er fragen.
Vizepräsident Helmuth Becker Bitte.
Ich möchte Ihnen das nachher noch an zwei Beispielen erläutern, wie genau diese Aufgaben schrittweise nun auch von Ländern und Kommunen übernommen werden können. — Aber ich will erst die Zwischenfrage stellen lassen und beantworten.
Bitte, Kollege Matschie.
Frau Ministerin, Sie haben deutlich gemacht, welch große Bedeutung die freien Träger für die Jugendarbeit haben. Nun wissen auch Sie ja sicher, daß die Struktur der freien Trager in den neuen Bundesländern längst nicht so ist, wie sie sein sollte und sein könnte und daß viele der freien Träger darauf angewiesen sind, ihr Personal mit ABM-Mitteln zu finanzieren. Können Sie sich nicht vorstellen, daß die Bundesregierung hier noch eine weitergehende Aufgabe hat, freie Träger zu unterstützen, da die Länder die Finanzen noch nicht in ausreichendem Maße aufbringen können?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 20065
Ich muß Ihnen sagen, daß auch ich es bedauere, daß in weiten Teilen, insbesondere im kommunalen Bereich, die Jugendarbeit mit ABM-Kräften geleistet wird. Dies darf kein Dauerzustand sein. Aber ich muß Ihnen ebenfalls sagen, daß ich, wenn ich mich in der alten Bundesrepublik umschaue, finde, daß die Situation auch dort nicht gerade so ist, daß ich den Eindruck gewinnen könnte, daß man jemals im Leben aus dieser Notsituation herauskommen würde.Deshalb sehe ich meine Aufgabe darin, in vielen Gesprächen mit Bürgermeistern und Landräten darauf hinzuweisen, daß man dann, wenn man sagt, daß die Jugend hierbleiben und nicht abwandern soll, an irgendeiner Stelle auch einmal sagen muß: 500 Meter Straße und ein halber Hektar Gewerbegebiet sind uns erst im nächsten Jahr so besonders wichtig; in diesem Jahr sind es die Miete für einen Jugendraum und die eine Stelle.
Diese Entscheidung ist Teil dessen, was wir kommunale Selbstverwaltung nennen. Kommunen können entscheiden. Sie werden in Zukunft auch daran gemessen werden, wie sie sich entscheiden. In manchen Kommunen wird man Jugendhäuser und junge Leute finden; in anderen Kommunen werden wahrscheinlich mehr ältere Menschen leben. Ob das der Attraktivität einer solchen Kommune als Wirtschaftsstandort dann noch dient, wird sich herausstellen.Ich glaube, daß der Bund das Seinige in weiten Teilen getan hat und daß wir keine Kompetenzverschiebungen vornehmen sollten, die letztendlich nur ausgleichen müßten, daß vor Ort bestimmte Gemeindeparlamente einfach nicht die richtigen Prioritäten setzen können.
— Das sage ich denen, und zwar sage ich es nicht nur den jugendpolitischen Sprechern und den Jugenddezernenten — die wissen es genauso gut wie ich —, sondern ich sage es den Bürgermeistern und Landräten, wie ich schon betonte.
Dabei werde ich auch nicht müde. Sie sind teilweise über die Parteigrenzen hinweg auch nicht sehr unterschiedlich. Auch das muß ich an dieser Stelle sagen.Jetzt möchte ich auf eines unserer Sonderprogramme eingehen, nämlich auf das Programm gegen Aggression und Gewalt. Dieses Programm hat neben seiner Aufbauarbeit in den neuen Bundesländern den Effekt gehabt, daß Projekte in diesem Programm neue Wege gegangen sind, als es darum ging, mit gewaltorientierten und problematischen Gruppen von Jugendlichen zu arbeiten. Dieses Programm ist nun wiederholt im Bundestag von den Kolleginnen undKollegen — heute wieder von Frau Niehuis — als der falsche jugendpolitische Ansatz verdammt worden.
Ich möchte an dieser Stelle nur herausheben, daß die Jugendminister der Länder gemeinschaftlich und auch hier über alle Parteigrenzen hinweg — es waren viele von der SPD dabei — gesagt haben, daß genau dieses Programm nicht nur ein Aufbauprogramm für die neuen Bundesländer war, sondern daß es eine Art Modell für ganz Deutschland ist und sein wird. Deshalb waren wir darauf stolz, daß solche Ansätze auch j etzt auf Länderebene und kommunaler Ebene weiterverbreitet werden. Wir können ja durchaus aus solchen Programmen der neuen Bundesländer einmal etwas lernen.
Als zweites möchte ich sagen: Wir haben natürlich nicht nur die Risikogruppen gestützt, sondern wir haben weit mehr Geld in das Programm zum Aufbau freier Träger gegeben. Sie wissen sehr gut, daß die Kontaktstellen und auch die Tutoren hervorragend gearbeitet haben. Da wir hier redlich argumentieren wollen, sage ich Ihnen ganz ehrlich: Auch mir wäre es lieber gewesen, ich hätte nicht Jahr für Jahr bangen müssen, ob wir noch einmal die Mittel dafür bekommen. Aber Tatsache ist, daß wir sie drei Jahre hintereinander bekommen
und ein Übereinkommen mit den Ländern getroffen haben, daß die Kontaktstellen auch in diesem Jahr unter der Zusage weitergeführt werden, daß die Länder sie nächstes Jahr übernehmen. Das passiert gerade jetzt, zu diesem Zeitpunkt.Ähnlich wird es bei dem Programm gegen Aggression und Gewalt geschehen.
— Nein, genauso ist das. Wir haben mit jedem einzelnen Land gesprochen und jedes Land gefragt, welche Kontaktstellen es übernehmen wird. Wir werden darauf achten, daß das geschieht. — Auch bei diesem Programm ist es, weil es gute Projekte sind, die wir gefördert haben, möglich, daß die Landesregierungen diese im nächsten Jahr übernehmen.Da meine Redezeit knapp bemessen ist, möchte ich nur noch ein abschließendes Wort sagen. Neben allem, was wir insbesondere im Bereich des internationalen Jugendaustausches in den letzten Jahren mit den Staaten Mittel- und Osteuropas — zuletzt auch durch ein Jugendabkommen mit der Türkei — geleistet haben, möchte ich auf das Kinder- und Jugendhilferecht und die vielen Soll- und Muß-Bestimmungen eingehen.Als erstes möchte ich bedauernd feststellen, daß viele Länder bis jetzt keine Ausführungsgesetze zu diesem Kinder- und Jugendhilfegesetz gemacht haben. Es gibt sehr viele SPD-Länder, die davon betroffen sind. Es wird — das wissen auch Sie, Herr
Metadaten/Kopzeile:
20066 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Bundesministerin Dr. Angela MerkelSchmidt — zur Zeit natürlich sehr schwierig sein, aus allem und jedem einen Rechtsanspruch zu machen. Ich möchte an dieser Stelle auch sagen: Ich halte das noch nicht einmal für sinnvoll. Die Verhältnisse in Berlin und Demmin, in Görlitz und Wuppertal unterscheiden sich stark. Wenn wir alles und jedes zu einem Rechtsanspruch stilisieren, alles und jedes auf die Einwohnerzahl beziehen, dann berauben wir denen, die vor Ort Jugendpolitik machen wollen, jeder Grundlage, dies überhaupt durchführen zu können. Wenn unsere Politiker im Bund, Land und vor Ort nicht mehr in der Lage sein sollten, die Prioritäten richtig zu setzen, dann wäre dies ein Armutszeugnis. Ich kann sagen: Wir im Bund haben die Prioritäten nach der deutschen Einheit richtig gesetzt. Wir werden diesen Weg fortsetzen.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD. Er liegt Ihnen auf der Drucksache 12/7692 vor. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? — Wer ist dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist dieser Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt worden.Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Er liegt Ihnen auf Drucksache 12/7685 vor. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Keine. Damit ist dieser Entschließungsantrag mit der gleichen Mehrheit abgelehnt.Wir kommen nunmehr zum Tagesordnungspunkt 5 b, und zwar zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Frauen und Jugend zu dem Antrag der Fraktion der SPD zu einem gerechten Lastenausgleich zwischen Bund und Ländern zur Sicherung des Anspruchs auf einen Kindergartenplatz. Sie liegt Ihnen auf der Drucksache 12/6792 vor. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/4127 abzulehnen. Wer der Ausschußempfehlung, den Antrag abzulehnen, folgen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer ist anderer Meinung und stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Keine. Damit ist diese Beschlußempfehlung angenommen.Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 5 c, und zwar zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Frauen und Jugend zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Förderung und Intensivierung der „deutsch-deutschen" Jugendbegegnung. Sie liegt Ihnen auf der Drucksache 12/7641 vor. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/5415 abzulehnen. Wer der Ausschußempfehlung zu folgen wünscht, den Antrag abzulehnen, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer ist anderer Meinung? — Enthaltungen? — Keine. Die Beschlußempfehlung ist angenommen.Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 6a bis p und den Zusatzpunkt 3 auf:6. Entwicklungspolitische Debattea) Beratung der Unterrichtung durch die BundesregierungBericht über die Auswirkungen der OstWest-Entspannung auf die Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern— Drucksache 12/7063 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Auswärtiger Ausschußb) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus-Jürgen Hedrich, Dr. Winfried Pinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU sowie der Abgeordneten Ulrich Irmer, Burkhard Zurheide, Dr. Michaela Blunk (Lübeck), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.Gestaltung der Europäischen Entwicklungszusammenarbeit— Drucksachen 12/6726, 12/7444 —Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Michaela Blunk Dr. Klaus-Jürgen HedrichDr. R. Werner Schusterc) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Volkmar Köhler (Wolfsburg), Karl Lamers, Dr. Hans Stercken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ulrich Irmer, Dr. Michaela Blunk (Lübeck), Günther Bredehorn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.Förderung der regionalen Kooperation, vor allem im Bereich der Wirtschaft, im südlichen Afrika durch die Europäische Gemeinschaft— Drucksachen 12/6034, 12/7407 —Berichterstattung:Abgeordneter Dr. Volkmar Köhler
Hans-Günther ToetemeyerUlrich Irmerd) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Winfried Pinger, Anneliese Augustin, Klaus-Jürgen Hedrich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ingrid Walz, Ulrich Irmer, Dr. Michaela Blunk (Lübeck), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.Vorrang für Eigenverantwortung, Privatinitiative und Selbsthilfe nach dem Subsidiaritätsprinzip in der Entwicklungspolitik
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 20067
Vizepräsident Dieter-Julius Cronenbergdurch Ausbau und Intensivierung der gesellschaftspolitischen Zusammenarbeit— Drucksachen 12/5987, 12/7619 —Berichterstattung:Abgeordnete Christoph Matschie Dr. Winfried PingerIngrid Walze) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu dem Antrag der Abgeordneten Andreas Schmidt (Mülheim), Dr. Winfried Pinger, Jürgen Augustinowitz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ingrid Walz, Ulrich Irmer, Dr. Gisela Babel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.Entwicklung und Aufbau von sozialen Sicherungssystemen in den Entwicklungsländern— Drucksachen 12/4553, 12/7616 —Berichterstattung:Abgeordnete Ingrid Becker-Inglau Andreas Schmidt
Ingrid Walzf) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu dem Antrag der Abgeordneten Verena Wohlleben, Hanna Wolf, Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDFörderung von Frauen in Entwicklungsländern— Drucksachen 12/5229, 12/7628 —Berichterstattung:Abgeordnete Ursula Männle Ingrid WalzVerena Wohllebeng) Beratung des Antrags der Abgeordneten Brigitte Adler, Dr. Uwe Holtz, Dr. Hermann Scheer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDVerstärkung der Agrarförderung in den Entwicklungsländern— Drucksache 12/7423 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forstenh) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. R. Werner Schuster, Hans-Günther Toetemeyer, Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDAfrika hat Zukunft — Für eine neue Afrikapolitik— Drucksachen 12/6053, 12/6790 — Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Michaela Blunk Joachim Graf von Schönburg-Glauchau Dr. R. Werner Schusteri) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten Konrad Weiß (Berlin) und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENDie demokratische, ökologische und entwicklungspolitische Gestaltung der Vergabe von Hermes-Bürgschaften— Drucksachen 12/5949, 12/6878 —Berichterstattung: Abgeordnete Josef Grünbeckj) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu dem Antrag der Abgeordneten Konrad Weiß (Berlin) und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENSchuldenerlaß für Mosambik— Drucksachen 12/4003, 12/6903 —Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Michaela Blunk Dr. Winfried PingerDr. R. Werner SchusterKonrad Weiß
k) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu dem Antrag der Abgeordneten Brigitte Adler, Dr. Ingomar Hauchler, Ingrid BeckerInglau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDDauerhafte Ernährungssicherung in Afrika— Drucksachen 12/3645, 12/7445 —Berichterstattung:Abgeordnete Brigitte AdlerDr. Michaela Blunk
Joachim Graf von Schönburg-Glauchau1) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu dem Antrag der Abgeordneten Brigitte Adler, Dr. Ingomar Hauchler, Angelika Barbe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDDauerhafte Wirtschaftsentwicklung in den Entwicklungsländern— Drucksachen 12/5563, 12/6935 —Berichterstattung:Abgeordnete Brigitte Adler Andreas Schmidt Ingrid Walzm) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. R. Werner Schuster, Dr. Ingomar Hauchler, Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDDauerhafte Zielerreichung in der Entwicklungszusammenarbeit— Drucksachen 12/4269, 12/7216 —
Metadaten/Kopzeile:
20068 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Vizepräsident Dieter-Julius CronenbergBerichterstattung:Abgeordnete Dr. Winfried Pinger Dr. R. Werner SchusterIngrid Walzn) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu dem Antrag der Abgeordneten Christoph Matschie, Brigitte Adler, Ingrid Becker-Inglau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDBeteiligung der Bundesrepublik Deutschland am „Fonds zur Entwicklung der eingeborenen Völker Lateinamerikas und der Karibik"zu dem Antrag der Abgeordneten Christoph Matschie, Brigitte Adler, Ingrid BeckerInglau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDUnterstützung der indigenen Völker bei der Verabschiedung der „Allgemeinen Erklärung über die Rechte eingeborener Völker" in der kommenden 48. Sitzungsperiode oder Generalversammlung der Vereinten Nationen— Drucksachen 12/5739, 12/5740, 12/7577 —Berichterstattung:Abgeordnete Karin JeltschChristoph MatschieArno Schmidt
Joachim Graf von Schönburg-Glauchauo) Beratung des Antrags des Abgeordneten Konrad Weiß und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENKinderarbeit erfolgreich bekämpfen — Drucksache 12/7067 —p) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Ingomar Hauchler, HansGünther Toetemeyer, Brigitte Adler, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Entwicklungspolitik der Bundesrepublik Deutschland— Drucksache 12/5960 —
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit
— Drucksache 12/7603 —Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Ingomar Hauchler Dr. Winfried PingerIngrid Walzbb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 12/7724 —Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Christian Neuling Werner ZywietzHelmut EstersZP3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Christoph Matschie, Dr. Ingomar Hauchler, Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDzur Politik der Weltbank und deren Strukturanpassungsprogrammen— Drucksache 12/7691 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für wirtschaftliche ZusammenarbeitEs liegen drei Änderungsanträge der Fraktion der SPD vor.Interfraktionell wird eine Stunde Debattenzeit vorgeschlagen. Ist das Haus damit einverstanden? — Das ist offensichtlich der Fall. Dann darf ich das als beschlossen feststellen.Ich eröffne die Debatte. Ich erteile zunächst dem Abgeordneten Klaus-Jürgen Hedrich das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 1. Juli wird Deutschland die Präsidentschaft in der Europäischen Union übernehmen. Der angekündigte Abstimmungsprozeß mit den nachfolgenden Franzosen und Spaniern beinhaltet große Chancen und erweckt große Erwartungen für die Entwicklung auf unserem Kontinent, müssen doch in diesem Zeitraum die Weichen für die Erweiterung nach Osten gestellt werden.Aber auch gewisse Risiken sollten nicht übersehen werden. Dies führt uns zu der europäischen Entwicklungspolitik und zu dem sogenannten Lomé-IVProzeß mit seinen vielschichtigen Beziehungen, vor allem zu Afrika.Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion möchte an dieser Stelle noch einmal ihren Standpunkt bekräftigen, daß die Mittel für den 8. Europäischen Entwickungsfonds deutlich unter denen des jetzt laufenden 7. Europäischen Entwicklungsfonds liegen müssen. Da diese Frage Anfang des nächsten Jahres zur Entscheidung ansteht und unsere französischen Freunde diesen Komplex mit unverkennbarer Laxheit behandeln, ist bereits im Vorfeld entscheidende Klarheit geboten.Es darf nicht passieren, daß wir Deutsche uns möglicherweise bis zum Schluß wehren, daß die Mittel gleichbleiben oder gegebenenfalls sogar aufgestockt werden, Deutschland dann aber, wie das bei den letzten Lomé-Verhandlungen der Fall war, in einer — mehr oder weniger — Nacht-und-NebelAktion doch zustimmt und es sich dann andere gegenüber ihren Partnern in Afrika und anderen Teilen dieser Welt auf ihre Fahnen schreiben.Deshalb hier noch einmal ausdrücklich unsere Position: Der Europäische Entwicklungsfonds muß in den zukünftigen Finanzausstattungen unter den lauf enden Haushalten liegen; denn jede Ausweitung des Europäischen Entwicklungsfonds, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Freunde, würde uns dem Ziel entfernen, den multilateralen Anteil am Haushalt des Entwicklungshilfeministeriums zu verringern, und unseren eigenen nationalen Entscheidungsspielraum beschneiden.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 20069
Klaus-Jürgen HedrichImmer wieder stellt sich heraus: Europäische Entwicklungsprojekte unterscheiden sich nicht — und wenn, dann nur unwesentlich — von Projekten der bilateralen Zusammenarbeit. Das aber macht sie letzten Endes unnötig, wenn wir das Prinzip der Subsidiarität wirklich ernst nehmen. Nach unserer Vorstellung wäre es sinnvoll, daß sich die Europäische Union — und wir scheinen hier auf einem vernünftigen Wege zu sein — wirklich auf die wesentlichen Dinge und ihre wesentlichen Aufgaben konzentriert.Dieses findet ja auch gegenwärtig statt in den Gesprächen mit den AKP-Repräsentanten. Ich nenne: erstens, die Wahrung der Menschenrechte; zweitens die Dezentralisierung und Regionalisierung politischer und wirtschaftlicher Entscheidungsprozesse; drittens die Förderung der Privatwirtschaft. Dieser Katalog wäre um eine Reihe von anderen Punkten zu ergänzen. Ich glaube aber, daß wir in diesem Zusammenhang auch noch einmal mit großem Nachdruck als Entwicklungspolitiker darauf bestehen sollten, daß nun wirklich dem Kohärenzgebot, also den Abstimmungsprozessen zwischen der Außenpolitik, zwischen der Sicherheitspolitik, zwischen der Wirtschafts- und Agrarpolitik und der Entwicklungspolitik, ernsthaft Rechnung getragen wird. Nach wie vor sind diese Abstimmungsprozesse nicht befriedigend; denn alles, was wir möglicherweise an Mitteln im finanziellen, im personellen Bereich für die Lander der Dritten Welt, auch für die AKP-Staaten, zur Verfügung stellen, läuft ins Leere, wenn nicht gleichzeitig Handelsbeschränkungen und Wirtschaftsbeschränkungen in den Beziehungen der Länder der Dritten Welt und der Europäischen Gemeinschaft beseitigt oder doch zumindest reduziert werden.Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird sich erlauben — nach dem entsprechenden Workshop, der Mitte des nächsten Monats stattfinden soll —, nach einer Auswertung dieses Prozesses auf das Plenum erneut zuzukommen, weil wir der Auffassung sind: Es gibt eine Reihe von Problemen, die in den Diskussionen zwischen den AKP-Staaten und der Europäischen Gemeinschaft angepackt werden müssen.Wir appellieren hier an dieser Stelle noch einmal an die anderen Partner in der Europäischen Union, insbesondere an die sogenannte Südschiene, also an die Italiener, die Franzosen und die Spanier, bei einer konsequenten Verwendung der Mittel, die die Europäer zur Verfügung stellen, sorgfältig auf die Kontrolle und auf die rentable Durchführung von Projekten zu achten. Hier sollten uns insbesondere die Hinweise des Europäischen Rechnungshofes dienen, um die Effizienz der europäischen Entwicklungspolitik anzuheben. Ich glaube, dann sind wir ein gutes Stück weiter.Ich schließe mit dem Hinweis: Alles, was wir tun, meine sehr verehrten Damen und Herren, läuft ebenfalls ins Leere, wenn wir nicht darauf achten, daß unsere Partner, insbesondere in Afrika, ihre eigenen Anstrengungen intensivieren, um die Rahmenbedingungen für eine vernünftige Entwicklung in ihren Ländern zu verbessern. Dazu gehört eben die Frage der Beachtung der Menschenrechte, dazu gehört der Punkt, den ich angesprochen habe, die Förderung der Privatwirtschaft und vieles mehr. Wenn uns dasgelingt, dann können wir nach mehreren Jahren vielleicht sagen: Wir sind besser dran, als das heute der Fall ist.Herzlichen Dank.
Das Wort hat nunmehr Professor Dr. Ingomar Hauchler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Ältestenrat hat in seiner Weisheit beschlossen, daß das Parlament in einer einstündigen Debatte über 17 parlamentarische Initiativen zur Entwicklungspolitik befindet.
— Ich habe niemanden angesprochen, sondern habe gesagt, der Ältestenrat hat so entschieden. Ich will diese Entscheidung auch gar nicht ausführlich kommentieren. Ich verstehe, daß wir am Ende einer Legislaturperiode unter großem Zeitdruck sind, frage mich aber, ob die Zeit, die sich das Parlament heute für dieses Thema nimmt, der Bedeutung entspricht, die Bevölkerungswachstum, Armut und globale Umweltzerstörung für unser aller Zukunft haben werden.
Wie die Dinge liegen, müssen wir uns in dieser Stunde aber nun auf wenige Schwerpunkte konzentrieren. Meine Fraktion hat mich deshalb gebeten, für sie in erster Linie das von der SPD eingebrachte Gesetz zur deutschen Entwicklungspolitik zu erläutern und zu begründen. Das soll die Wichtigkeit der anderen Anträge, die heute behandelt werden, keineswegs mindern. Es wäre aber unseriös, in 20 Minuten Redezeit, die unserer Fraktion zur Verfügung stehen, über alle hier vorliegenden 17 Initiativen zu sprechen. Das würde der Entwicklungspolitik wirklich die letzte Glaubwürdigkeit nehmen.Ich kann also nicht erläutern, was wir in Afrika zur sozialen Sicherung, zur Beschränkung der Kinderarbeit, zur Frauenförderung, zur Agrar- und Wirtschaftsförderung, zur Nachhaltigkeit der Entwicklungspolitik, zum Schutz der indigenen Völker, zur Frage der Hermes-Versicherung, zur Reform der Weltbank, zum Mosambik-Schuldenerlaß, zur europäischen Zusammenarbeit und Subsidiarität tun wollen. Das alles sind Themen, die heute anstehen. Es ist unmöglich für uns, das alles zu behandeln. Deshalb haben wir den Weg gewählt, einen Schwerpunkt zu setzen. Ich kann vielleicht am Ende dann noch auf die einzelnen Initiativen schwerpunktmäßig eingehen.Meine Damen und Herren, die SPD legt heute im Bundestag zum erstenmal in seiner Geschichte ein Gesetz zur Entwicklungspolitik vor. Anders als in anderen Ländern — wie etwa in den USA, in Skandinavien, der Schweiz und Österreich — ist die Entwicklungspolitik in Deutschland bisher gesetzlich nicht geregelt. Diese Gesetzeslücke hat mit dazu geführt, daß die Entwicklungspolitik bisher von rasch wechselnden Zielen, schwankenden Interessen sowie einem Mangel an öffentlicher Diskussion und parlamentarischer Kontrolle gekennzeichnet war. Sie auf dieser Seite des Hauses, die Entwicklungspolitiker
Metadaten/Kopzeile:
20070 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Dr. Ingomar Hauchlervon F.D.P. und CDU, beklagen das ja auch. Ich glaube, da stimmen wir überein.Die Entwicklungspolitik war bisher mangels gesetzlicher Grundlage zu oft und zu sehr Spielball und Instrument anderer politischer Interessen, die mit entwicklungspolitischen Zielen oft nichts oder jedenfalls wenig zu tun hatten. Dies hat der Entwicklungspolitik geschadet; denn gerade sie bedarf, um wirksam und nachhaltig zu sein, der langfristigen Orientierung, der Stetigkeit und angesichts der sehr begrenzten Mittel, die uns zur Verfügung stehen, klarer Prioritäten.Die Regierungskoalition hat uns entgegengehalten, ein Gesetz beschränke die Flexibilität entwicklungspolitischen Handelns.
Die Welt befinde sich in raschem Wandel, viele Dinge seien im Fluß, man müsse auf neue Anforderungen rasch reagieren. — Das ist wahr. Wir erleben dramatische Veränderungen in der Welt und eine zunehmende Differenzierung vor allem auch in den Entwicklungsländern. Aber trifft dies nicht genauso zu für Umwelt, Arbeitswelt, Gesellschaft, Wirtschaft und Technologie in unserem Lande und um uns herum? Schaffen wir deshalb unsere Arbeits-, Sozial- und Umweltgesetze ab? Brauchen wir nicht gerade in der Hektik des Wandels eine Verpflichtung auf Grundwerte und Prioritäten auch zur Regelung unserer internationalen Zusammenarbeit, wenn sie denn verläßlich, stetig und nachhaltig sein soll?Nichts anderes beabsichtigen wir mit der Vorlage unseres Gesetzentwurfes. Wie im Sozial- und Umweltbereich brauchen wir auch in der internationalen Zusammenarbeit einen Rahmen, und das Parlament muß diesen Rahmen setzen. Um so eher kann dann die Exekutive schnell und flexibel ohne zuviel Hineinreden der Legislative im Detail die entsprechenden Instrumente zielorientiert anpassen. Dagegen haben wir überhaupt nichts.Warum soll in der Entwicklungspolitik alles anders sein als in anderen Politikbereichen? Die Regierungskoalition kann doch nicht wollen, daß jährlich 10 Milliarden DM aus der Tasche des Steuerzahlers ausgegeben werden, ohne daß die Volksvertretung — und damit nicht nur die Regierung und allenfalls der Haushaltsausschuß — die Prioritäten und Grundsätze festlegt, ohne daß eine breitere öffentliche Debatte darüber geführt und ohne daß die Verwendung dieser Mittel an parlamentarisch gesetzten Zielen gemessen wird. Das kann doch auch Ihre Absicht auf der anderen Seite des Hauses nicht sein.Alle Sachverständigen, die wir im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit gehört haben, waren sich darüber einig, daß wir ein Gesetz zur deutschen Entwicklungspolitik brauchen.
Welchen Inhalt hat nun der vorliegende Gesetzentwurf der SPD? Ich fasse die wichtigsten Punkte kurz zusammen:Erstens. Das Gesetz bestimmt, daß die Armutsbekämpfung, der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und die Eindämmung eines sozial und ökologisch nicht vertretbaren Bevölkerungswachstums Priorität unter den entwicklungspolitischen Zielen genießen sollen. Das ist nicht selbstverständlich. Viele Projekte der Vergangenheit wurden ohne Rücksicht auf diese Prioritäten durchgeführt.
Zweitens. Unsere Entwicklungspolitik muß die eigenständigen Entwicklungsziele anderer Länder und insbesondere die Bedürfnisse der breiten Bevölkerung berücksichtigen und an den inneren Potentialen der Entwicklungsländer ansetzen.
— Herr Köhler, Sie stören.
— Sie wollten das auch, bei so einem Thema? Das wundert mich bei Ihnen. — Sie muß sich darauf konzentrieren, die Rahmenbedingungen für eine breite Partizipation und insbesondere für die Förderung der Frauen zu verbessern. Das ist wiederum keine Selbstverständlichkeit. Viele Projekte und Strukturanpassungsmaßnahmen haben die breite Bevölkerung nicht erreicht, ja sogar zur Zerstörung innerer Potentiale, zu sozialer Spaltung, verschärfter Armut, zu vermehrtem Bevölkerungsdruck und zur Umweltzerstörung beigetragen. Wir dürfen die Augen davor doch nicht verschließen.Drittens. Entwicklungspolitische Leistungen dürfen nicht mit der Gießkanne über alle Länder verteilt werden. Vielmehr soll die Zusammenarbeit mit jenen Ländern intensiviert werden, deren Regierungen selbst besondere Anstrengungen unternehmen, um die sozialen und politischen Rechte ihrer Bürgerinnen und Bürger zu befördern und einen wirtschaftlich effizienten, sozial und ökologisch verträglichen Entwicklungsweg einzuschlagen.Wir wollen die Entwicklungszusammenarbeit nicht zum Hebel einer westlichen Interventions- und Sanktionspolitik machen, sondern wir wollen sie zur Unterstützung einer menschenwürdigen Entwicklung in den Ländern selbst. Auch das ist keinesfalls selbstverständlich. Auch deutsche Steuergelder sind an menschenverachtende Diktatoren wie Mobutu und Eyadema, und zwar in nicht zu knappem Maße, und an korrupte Eliten geflossen und sicherten damit deren Prestige und Macht.Viertens. Entwicklungspolitik darf sich in Zukunft nicht auf den Transfer von Kapital und Know-how und auf einzelne Projekte beschränken, sondern muß zur Querschnittsaufgabe der Gesamtpolitik werden. Das heißt, daß wir unseren Einfluß international stärker nutzen müssen, damit Entwicklungsländer in der internationalen Arbeitsteilung gleiche Chancen haben. Auch das haben wir nicht getan. Protektionismus und eine nur an den eigenen Interessen orientierte internationale Finanzpolitik haben den Entwicklungsländern oft mehr geschadet, als wir mit Transfers
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 20071
Dr. Ingomar Hauchlergeholfen haben. Es ist doch ein Skandal, daß immer noch mehr Ressourcen — ich meine nicht Kapital, ich meine Ressourcen — vom Süden zum Norden als vom Norden zum Süden fließen.Querschnittsaufgabe heißt aber auch, daß wir mit unserem eigenen Stil des Konsumierens und Produzierens anderen Ländern nicht länger schaden dürfen. Entwicklungspolitik muß eben auch innenpolitische Konsequenzen haben: im Verbrauch von Ressourcen, vor allem in der Energie- und Verkehrspolitik. Auch das ist bisher nicht geschehen. Wir müssen darangehen, endlich die Beschlüsse von Rio umzusetzen. Herr Töpfer reist durch die Welt,
ist Vorsitzender eines UNO-Ausschusses und vertritt auch in seinen Reden, daß wir das umsetzen wollen. Nur, es geschieht nichts.Fünftens. Wir Deutsche müssen uns noch stärker in eine gemeinsame internationale Anstrengung einbringen, um die Entwicklungspolitik als vorbeugende Friedens- und Sicherheitspolitik durchzusetzen. Wir sollten uns stärker in Initiativen Europas, der Vereinten Nationen und der Weltbank einbringen, gleichzeitig aber dafür eintreten, daß die internationalen Institutionen parlamentarisch und öffentlich stärker kontrolliert werden. Auch hier sage ich: Das ist bisher nicht ausreichend geschehen.Es ist kurzsichtig, wenn in Teilen der Koalition jetzt sogar eine Renationalisierung der Entwicklungspolitik angestrebt wird. Die heutigen Ausführungen des Kollegen Hedrich haben darauf hingedeutet. Statt sich selbst auf die Schulter zu klopfen und zu glauben, die deutschen Initiativen seien die allerbesten der Welt, oder aber blind auf die internationalen Bürokratien zu vertrauen, sollten wir sowohl bessere Unterstützung als auch eine größere Kontrolle sicherstellen.
Sechstens. Entwicklungspolitik ist nicht nur Sache des Staates. Für viele Aufgaben fehlt dem Staat nicht nur das Geld, sondern auch die Kompetenz. Wir müssen deshalb verstärkt entwicklungspolitisch sinnvolle Privatinitiativen ermuntern und unterstützen: von Nichtregierungsorganisationen wie von seiten der privaten Wirtschaft. Auch das ist wiederum keineswegs selbstverständlich. Entwicklungspolitik wird noch zu oft vor den Karren rein nationaler Eigeninteressen gespannt, zu Lasten von Armutsbekämpfung und Umweltschutz. Wir brauchen nicht eine kurzsichtige Unterordnung der Entwicklungspolitik und ein Abschieben in die letzte Reihe, sondern ein konstruktiveres Zusammenwirken des Staates mit privater Initiative — allerdings so, daß Entwicklungspolitik nicht zum Instrument wird, sondern bestimmender Rahmen sein kann.Meine Damen und Herren, dies sind die Absichten unseres Gesetzentwurfes zur Entwicklungspolitik. Damit sie aber nicht Bekenntnisse und Herzensanliegen bleiben, dürfen sie nicht allein in unverbindlichen Anträgen niedergeschrieben werden, so gut, so gut gemeint und so seriös diese Anträge auch sein mögen.Etliche liegen diesem Hause heute vor. Wir haben schon zu vieles diskutiert und beschlossen, was dann nicht in die Tat umgesetzt wurde.Weil das so ist, brauchen wir wie andere Länder, an denen wir uns orientieren — ich denke an die USA —, eine verbindliche rechtliche Grundlage, genauso wie in anderen Politikbereichen. Das ist aber nur mit einem Gesetz zu erreichen. Wir appellieren deshalb an alle Fraktionen in diesem Hause: Stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu! Wer dies nicht tut, könnte in den Verdacht kommen, er meine es mit der Entwicklungspolitik nicht wirklich ernst. Also geben Sie sich einen Ruck, zeigen Sie Solidarität unter den Entwicklungspolitikern und mit der Dritten Welt!Wir Sozialdemokraten wollen, daß wir Entwicklungspolitik aus menschlicher Solidarität betreiben. Dabei verschleiern wir aber keineswegs, daß Entwicklungspolitik auch im eigenen Interesse liegt. Wo wir uns darum sorgen müssen, daß Armut, Umweltzerstörung und zu schnelles Bevölkerungswachstum treibende Ursachen von Krieg, Gewalt und Flucht sind, auch unsere eigenen Lebensgrundlagen gefährden und immer massiver auf uns zurückwirken werden, da sollten wir auch im Dauerwahlkampf des Jahres 1994 nicht schweigen.Es ist richtig, wenn wir uns in der politischen Auseinandersetzung darauf konzentrieren, wie wir Arbeit schaffen, soziale Sicherheit erreichen und eine gerechte Lastenverteilung in schwierigerer Zeit bewirken können. Denn was ist von jemandem, der die Probleme im eigenen Land nicht lösen kann, zu erwarten, wenn es um die noch komplizierteren und schwerwiegenderen Fragen in der Welt geht?So richtig das aber ist, so dürfen wir Deutsche gerade im Wahlkampf nicht wegsehen, wenn wir gefordert sind, einen größeren Teil der Verantwortung für Entwicklung und Frieden in der Welt wahrzunehmen. Meine Damen und Herren, wir alle müssen beweisen: Wir Deutsche sind kein Volk von Egomanen. Die deutschen Parteien sind keine Kartelle bloßer Machterhaltung. Die deutsche Politik dient nicht nur kurzfristigen Eigeninteressen, dem Wohl und Wehe im eigenen Land — das wohl. Sie begreift aber globale Entwicklungen als zentrale Zukunftsaufgabe, die nicht nur den Menschen in den sogenannten Entwicklungsländern dient, sondern unseren eigenen Kindern eine lebenswerte und friedliche Welt hinterlassen soll.Vielen Dank.
Ich erteile nunmehr der Abgeordneten Frau Ingrid Walz das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unlängst bezeichnete ein Journalist in einer süddeutschen Zeitung die Enwicklungspolitiker als die schweigenden Lämmer der Parteien; sie würden es hinnehmen, daß die entwicklungspolitische Diskussion von den Kassenwarten, also von den Haushältern, bestimmt wird. Diese umwerfende Erkenntnis gipfelte in der Überschrift: „Entwicklungspolitik ade?" Ich möchte mich jetzt nicht mit den
Metadaten/Kopzeile:
20072 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Ingrid WalzEinzelheiten dieses Artikels auseinandersetzen, sondern ihn als Synonym dafür nehmen, wie wenig die Entwicklungspolitik derzeit Konjunktur hat — vielleicht war es auch immer so —, sowohl in den Medien als auch in diesem Hohen Haus.Die heutige — viel zu kurze — Debatte belegt dies. Wir haben 17 Punkte in einer Stunde abzuhaken. Das heißt, wir können nicht groß miteinander diskutieren. Dazu reicht die Zeit nicht. Die vorliegenden Initiativen, und zwar die Initiativen aus allen Fraktionen, spiegeln die Erkenntnisse wider, die sich um die immerwährende Diskussion über Glaubwürdigkeit und Nachhaltigkeit der deutschen Entwicklungspolitik ranken.Die Entwicklungspolitik ist politischer geworden, so Minister Spranger. Wir begrüßen dies; denn der Anspruch, nur helfen zu wollen, birgt die Gefahr von Lippenbekenntnissen und der Selbsttäuschung. Unsere Partner erwarten nicht mehr nur Brocken vom Tisch der Reichen und schon gar nicht nur Ermahnung zu Wohlverhalten. Das Selbstbewußtsein in den Ländern des Südens ist gewachsen. Dort werden die Werte der eigenen Kultur entdeckt und münden mit dem wirtschaftlichen Erfolg in die Erkenntnis: Europa ist kein Vorbild mehr.Die sozialen und gesellschaftlichen Probleme, die Schwierigkeiten des Wandels in den Industrienationen werden aufmerksam registriert, werden gewichtet. Auch der Glaube an die Wirksamkeit der Hilfen von außen schwindet mehr und mehr. Das Wunder der Selbsthilfe vollzieht sich nämlich mit der Besinnung auf die eigenen Kräfte. Das heißt für uns: Wir müssen besser zuhören, wir müssen umdenken, und wir müssen falsche Etikette entfernen. Das Geben allein macht nicht selig, es befriedigt höchstens unser Gewissen, nicht unbedingt die Selbstachtung unserer Partner.
Meine Damen und Herren, Entwicklungspolitik ist auf Schwerpunkte zu konzentrieren; darüber sind wir uns in der Zwischenzeit alle einig. Sie ist auf die Bedürfnisse unserer Partner, aber auch auf unsere eigenen Bedürfnisse auszurichten. Falscher Altruismus täuscht uns nämlich alle, vor allem, wenn ein großer Teil der Hilfen in unsere eigene Tasche fließt.Durch den Wandel der weltpolitischen Szene sind Entwicklungen in Gang gekommen, die ganz unterschiedliche Ergebnisse aufweisen. Asien boomt, Lateinamerika folgt, Afrika kämpft — leider — ums Überleben. Diese unterschiedlichen Entwicklungen erlauben uns, die Parameter für Entwicklung genauer zu untersuchen.Warum Entwicklung stattfindet oder unterbleibt, ist nicht mehr Gegenstand von politischen Spekulationen, denn die Praxis hat uns längst eingeholt. Die Mißachtung dieser Erkenntnisse hieße, die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen. Das für uns so unerwartete asiatische Wirtschaftswunder und die damit verbundenen Herausforderungen für uns selbst zeigen, wie wenig wir kulturelle Wesensunterschiede und das sozioökonomische Fundament in unseren Partnerländern wahrgenommen haben.Unsere Modernisierungshandreichungen — ich möchte das einmal so salopp sagen — und Strategien in der Entwicklungszusammenarbeit waren zu lange durch den Dualismus von Geber und Nehmer und Experten versus Laien geprägt. Erst jetzt erkennen wir, welche verhängnisvollen Ergebnisse dies z. B. in Afrika hat. Dort haben wir in sträflicher Weise die sozioökonomischen und soziokulturellen Rahmenbedingungen einfach ausgeblendet.Langsam nehmen wir zur Kenntnis: Weltanschauung, Religion und die überkommenen Wertesysteme sind grundlegend und richtungsweisend für Entwicklung.
Erst die kulturelle Identität und das daraus resultierende Selbstverständnis und Selbstbewußtsein rufen Eigenanstrengungen hervor, die die zentrale Voraussetzung für Entwicklung und wirtschaftliches Wachstum sind.Aber, meine Damen und Herren, die Überwindung von Armut und ihrer Ursachen ist nur möglich, wenn in unseren Partnerländern der Kampf gegen die Armut selbst aufgenommen wird. Wie könnte dies auch anders sein bei ca. 900 Millionen Indern und 1,17 Milliarden Chinesen, von den anderen ganz zu schweigen? Dazu bedarf es eines ordnungspolitischen Rahmens, der den einzelnen zur Verbesserung seiner wirtschaftlichen Lage durch Leistung und Wettbewerb anregt und ihn nicht behindert.Nach dem Scheitern illusionärer sozialistischer Vorstellungen besteht heute weltweit Übereinstimmung: Die Marktwirtschaft bietet den besten Rahmen für Entwicklung. Es kann auch nicht mehr geleugnet werden, daß der freie Welthandel und eine dem gegenseitigen Nutzen dienende wirtschaftliche Zusammenarbeit die besten Entwicklungshilfen sind. Zahlen belegen dies: Der finanzielle Ressourcenfluß in die Entwicklungsländer hat 1993 einen Rekordwert von rund 177 Milliarden US-Dollar erreicht. Die ausländischen Direktinvestitionen stiegen im gleichen Jahr auf ca. 56 Milliarden US-Dollar und sind damit zur Hauptquelle der privaten Kapitalströme geworden.Aber, meine Damen und Herren, wir wissen es: Kapital und damit auch technisches Know-how flossen in diejenigen Länder, die entschlossen marktwirtschaftliche Reformen durchgeführt und eine gute Regierungsführung praktiziert haben. Dort nimmt auch die Zahl der Armen drastisch ab.Afrika konnte von dieser Entwicklung nicht profitieren. Afrika kämpft um seine Zukunft und sucht seinen eigenen Entwicklungsweg. Das Überstülpen westlicher Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme hat die Wurzeln Afrikas mißachtet. Dies tun auch westliche Demokratievorstellungen.Wir sollten ein Wort des vormaligen sambischen Staatspräsidenten Kaunda ernst nehmen, der das afrikanische Dilemma und unsere Hilfe so formulierte: „Der westliche Geist ist darauf fixiert, ein Problem zu lösen, während der des Afrikaners darauf ausgerichtet ist, eine Situation zu erfahren."
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 20073
Ingrid WalzDie Afrikaner denken bis heute, die Europäer bis morgen und die Asiaten bis übermorgen. Ich frage Sie: Respektieren wir dies? — Nein. Das bedeutet, wir müssen Afrika Zeit lassen; denn Entwicklung ist — um mit dem von mir hoch geschätzten Nigerianer Adedeji zu sprechen — eine einzigartige Sache für jedes Land, für jede Gesellschaft. Sie ist das kumulierte Ergebnis einer kulturellen, politischen und sozialen Geschichte und Entwicklung.Die von uns vorgelegten Anträge versuchen, dem gerecht zu werden. Sie pochen auf Eigenverantwortung und das eigene Entwicklungsmodell. Wir versuchen aber auch mit unseren Initiativen, darauf hinzuweisen, daß die Mitwirkung der Bevölkerung auf allen Ebenen Wachstumsdynamik auslöst. Marktwirtschaft allein genügt nicht. Zur Marktwirtschaft gehören die soziale und die ökologische Komponente.
Der Transformationsprozeß in den ehemals sozialistischen Ländern, aber auch in den Ländern des Südens kann nur gelingen, wenn soziale Gerechtigkeit die Marktwirtschaft begleitet. Die Betonung der ökologischen Komponente ist für uns alle überlebenswichtig, um die fortschreitende Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen aufzuhalten. Damit hat die Entwicklungspolitik einen ganz neuen Stellenwert erhalten. Dies ist nicht die Erkenntnis von schweigenden Lämmern. Doch wir werden leider nicht immer gehört.Ich bedanke mich.
Als nächster Redner spricht der Abgeordnete Konrad Weiß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Durch die Hintertür des Haushaltsausschusses hat die Koalition in aller Stille ein neues entwicklungspolitisches Konzept etabliert, das Entwicklungspolitik als Einheit von Wirtschaftsförderung und Außenpolitik begreift, auch zweites Fenster genannt.Entwicklungszusammenarbeit wird zum Instrument der Exportförderung gemacht. Während den Entwicklungsländern unablässig das Credo der Marktwirtschaft gepredigt wird, zeigt sich die industrialisierte Welt erfinderisch in der Schaffung immer neuer indirekter Subventionen. Auch mit dem zweiten Fenster wird nicht vorrangig den Entwicklungsländern geholfen, sondern der deutschen Industrie.Als globale Probleme werden Armut, Flucht und Wanderungsbewegungen und immer wieder das hohe Bevölkerungswachstum genannt. Der hohe Energieverbrauch der Industriegesellschaften, unser rücksichtsloses Ausbeuten der natürlichen Ressourcen und unsere rigide Vorteilnahme in bestehenden Wirtschafts- und Handelssystemen stehen nicht wirklich zur Diskussion. Die kritische Auseinandersetzung mit dem Entwicklungsmodell des Nordens und seinen systemimmanenten Widersprüchen fehlt. Gerade wir, die Bewohner der reichen, verschwenderischen Industrieländer, wollen dem Süden und Osten eine gleichrangige wirtschaftliche Entwicklung mit Hinweis auf die Belastbarkeit der Erde verweigern. Das Recht auf eine eigene Entwicklung wird zwar immer wieder beschworen, doch in der Praxis verweigern die Industriestaaten den dafür notwendigen Spielraum.Das Kriterienkonzept der Bundesregierung, das wir grundsätzlich mittragen, wird zu breit und zu großzügig interpretiert und genügt damit nicht einmal den eigenen Ansprüchen. Notwendig wären eine humane und entwicklungsverträgliche Wirtschafts-, Umwelt- und Außenpolitik, die aufeinander abgestimmt sind und einem gemeinsamen Konzept folgen.Der Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur demokratischen, entwicklungspolitischen und ökologischen Gestaltung der Vergabe von Hermes-Bürgschaften regt Maßnahmen an, die einem solchen integrierenden Konzept entsprechen.1993 mußte der Bund rund 7,5 Milliarden DM für die Deckung von Hermes-Bürgschaften aufwenden. Bei der Vergabe dieser Bürgschaften interessierte sich die Bundesregierung offenbar wenig für die Situation der Menschenrechte in den betreffenden Ländern. Ohne Skrupel wurden und werden Geschäfte mit China, Indonesien, Vietnam, der Türkei, dem Irak und anderen Ländern gemacht, in denen es regelmäßig und unbestritten zu Menschenrechtsverletzungen kommt.
— Natürlich, Frau Kollegin, könnte ich hundert andere Länder aufzählen. Es muß aber doch unser Anliegen sein — darüber besteht letzten Endes in diesem Hause Gemeinsamkeit —, daß bei der Vergabe von Entwicklungshilfen — unseres Erachtens auch bei der Vergabe von Hermes-Bürgschaften — Menschenrechte und ökologische Kriterien mit berücksichtigt werden. Das mit den Hermes-Bürgschaften eigentlich beabsichtigte Versicherungsprinzip hat sich sukzessive zu einem Instrument der dauerhaften Exportsubvention gewandelt.Wir wissen alle, daß die hohe Verschuldung vieler Länder ihre eigenständige Entwicklung verhindert. Die Reduzierung des Bestandes von öffentlichen und privaten Schulden wurde für 1993 auf 9 Milliarden US-Dollar geschätzt. Im Vergleich zum Schuldenstand, 1 770 Milliarden Dollar, liegen diese jährlichen Reduzierungen also im Bereich von einem halben Prozent. Von einer Lösung der Schuldenkrise kann dabei keine Rede sein.Für Länder wie Mosambik wäre eine weitreichende Entschuldung, die sie in die Lage versetzt, einen eigenständigen Weg zu gehen, die beste Entwicklungshilfe. Wir haben die Bundesregierung frühzeitig auf die politische Brisanz der von der DDR übernommenen Schuldeinforderungen aufmerksam gemacht. Eine Zeitlang schien es, als könne in diesem Haus eine gemeinsame, großzügige und für Mosambik hilfreiche Lösung gefunden werden. Die Ankündigung eines vollständigen Schuldenerlasses, so wie wir es uns vorgestellt haben, nach Durchführung freier und demokratischer Wahlen hätte für die Menschen in Mosambik ein wichtiges Zeichen der Ermutigung und
Metadaten/Kopzeile:
20074 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Konrad Weiß
der Solidarität sein können. Leider haben sich die Koalitionsfraktionen bislang nicht dazu durchringen können.Ich wäre dankbar, wenn alle Fraktionen dieses Hauses dem gemeinsamen und im Ausschuß veränderten Antrag heute zustimmten.Lassen Sie mich bitte noch einen letzten Satz zu dem Antrag „Kinderarbeit erfolgreich bekämpfen" sagen: Dieser Antrag ist durch die Ungeduld einer Mitarbeiterin vorzeitig in den Bundestag eingebracht worden; ich bedauere das im nachhinein. Es ist uns klar, daß es ein gemeinsames Anliegen der Fraktion der SPD, der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und auch der anderen Fraktionen ist.Ich hoffe, daß es gelingt, im Verlauf der weiteren parlamentarischen Diskussion diesen Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit den Anträgen der Fraktionen zusammenzuführen; denn ich denke, daß es unser gemeinsames Ziel ist — dabei wende ich mich an das ganze Haus —, gegen Kinderarbeit dort, wo es sie gibt, anzugehen.Ich bedanke mich.
Ich erteile nunmehr der Abgeordneten Frau Dr. Ursula Fischer das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es scheint, daß den Redakteuren der heutigen Tagesordnung speziell in Punkt 6 einige Fehler unterlaufen sind. Konsequent sind die Unterpunkte a bis p mit „Beratung" bezeichnet. Beraten aber heißt in meinem Verständnis, Meinungen über einen Gegenstand oder Sachverhalt darzustellen oder auszutauschen.Über 18 verschiedene entwicklungspolitische Problemkreise in 60 Minuten kompetent und gründlich zu beraten, ist ein Anspruch, dem kein Parlament gewachsen sein dürfte. Ich frage mich natürlich an dieser Stelle schon, warum dieses Lumpensammlerschicksal wieder einmal die Entwicklungspolitik trifft. Ob zu nachtschlafender Zeit angesetzte Debatten oder sinnlos überfrachtete Tagesordnungen, auch auf diese Art und Weise wird illustriert, welchen Stellenwert Entwicklungspolitik nach wie vor in diesem Hause hat. Das liegt im übrigen nicht an den Entwicklungspolitikern.
Wenn es denn so ist, daß die von der Koalition dominierten Ausschüsse mit ihren Beschlußempfehlungen den Ausgang der sogenannten abschließenden Beratung eigentlich vorwegnehmen — warum sparen wir uns dann nicht diese Farce? Beratungen ohne Aussprache würden dann den gleichen Zweck erfüllen. Eines wird für mich bei dieser Hetzjagd durch zum Teil noch druckfrische Anträge, Berichte und Empfehlungen mehr als deutlich: Entwicklungspolitik ist und bleibt ein nachrangiges Politikfeld sowohl für das Parlament als auch für die Bundesregierung.Meine Damen und Herren, wie weit wir davon entfernt sind, Entwicklungspolitik als ressortübergreifenden Bestandteil aller anderen Politikbereiche zu verstehen, zeigt die Behandlung des Antrags zu den Hermes-Bürgschaften. Schon das Ansinnen, die Vergabe von Hermes-Bürgschaften an demokratischen, ökologischen und entwicklungspolitischen Kriterien zu orientieren, wurde vom Rechts- und Haushaltsausschuß rundweg abgelehnt. Allerdings: Das Votum des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit gegen den Antrag ist für mich noch bedenklicher.Aber andererseits ist das auch wieder eine Erscheinung, die ich in den vergangenen vier Jahren als typisch für den Umgang mit entwicklungspolitischen Themen erfahren habe. Es fehlt nicht an fundierten Analysen und am Problembewußtsein, das auch im BMZ durchaus vorhanden ist und auch artikuliert wird. Was fehlt, ist der politische Wille, die Erkenntnis auch umzusetzen.
— Ich will Ihnen einmal etwas sagen: Ich möchte hier nicht zur Arbeit des Parlaments generell sprechen müssen, was meiner Meinung nach verändert werden muß, damit man sachkompetent arbeiten kann. Sie wissen ganz genau, daß ich in mehreren Ausschüssen bin. Da muß ich von Ihnen erwarten, daß bei dieser Thematik hier viel, viel mehr sitzen. Wenn bei uns zwei sitzen, ist das prozentual viel, viel mehr. Dazu will ich mich nicht äußern. Das könnte gefährlich werden.
Meine Damen und Herren, es fehlt nicht, wie gesagt, an fundierten Analysen und am Problembewußtsein, das im BMZ natürlich vorhanden ist und auch artikuliert wird. Was fehlt, ist der politische Wille, diese Erkenntnisse umzusetzen. Meine Damen und Herren, warum ist das so? Warum werden statt der notwendigen Schritte zur Sicherung der globalen Überlebensbedürfnisse der Menschen in dieser einen Welt konsequenzlose Absichtserklärungen und Versprechungen produziert, während in der „richtigen" Politik unbeirrt weitergemacht wird? Warum setzen die Haushälter den Rotstift für 1995 bereits wieder am BMZ-Haushalt an, vorzugsweise bei Titeln wie der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit und der Unterstützung von NGOs und anderen privaten Trägern? Auf diese Art und Weise brechen dann auch noch die Ansätze weg, die den Blick der Menschen über den Tellerrand hinweg auf die gemeinsamen Probleme der Welt lenken.Natürlich ist es — zumal in einem Wahljahr — keine dankbare Aufgabe, von den Veränderungen zu sprechen, die eigentlich notwendig wären. Und es reicht nicht aus, immer und immer wieder die Länder des Südens mit Auflagen zu versehen. Daß auch im Süden Veränderungen stattfinden müssen, ist unbestritten. Aber die Veränderungen, die den drängenden globalen Problemen entsprechen, müssen vom Norden ausgehen. Es geht um die Umgestaltung unserer Produktions- und Lebensweise nach den Kriterien der ökologischen und sozialen Tragfähigkeit und um die Neugestaltung der internationalen Rahmenbedin-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 20075
Dr. Ursula Fischergungen nach entwicklungs-, sozial- und umweltpolitischen Gesichtspunkten.Meine Damen und Herren, wenn die Bundesrepublik Deutschland ihrer immer wieder beschworenen größeren Verantwortung in der neueren Geschichte gerecht werden will, dann nicht durch Militäreinsätze in aller Welt und Konsolidierung der Wohlstandsfestung Europas. Weder die Bundesrepublik noch Europa können ihre Zukunft ohne den Rest der Welt gestalten. Wenn eine Regierung die globalen Zusammenhänge ignoriert, unterschätzt und vernachlässigt, handelt sie verantwortungslos, übrigens auch gegenüber ihrer eigenen Bevölkerung.
— Stellen Sie mir doch eine Frage. Ich bin gerne bereit, sie zu beantworten.Die Bundesregierung hat sich verpflichtet, die Interessen des deutschen Volkes zu wahren und Schaden von ihm zu wenden. Das deutsche Volk besteht aber nicht nur aus Bankern, Unternehmern und Großverdienern, sondern aus etwa 80 Millionen Menschen, deren Lebenspläne legitimerweise über die Amtszeit einer Bundesregierung hinausreichen. Diese 80 Millionen Menschen leben auf einem Planeten mit fast 6 Milliarden Menschen zusammen, von denen jeder einzelne das Recht auf ein menschenwürdiges Leben hat.Meine Damen und Herren, die Bundesregierung ist nicht unfähig, nein, sie ist aber unwillig. Deswegen sage ich Ihnen: Das, was ich in diesen vier Jahren in der Entwicklungspolitik erlebt habe, wird leider Gottes in der Welt nichts ändern.
Das Wort hat nunmehr der Parlamentarische Staatssekretär Hans-Peter Repnik.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Fischer, lassen Sie mich auf Ihren letzten Appell eingehen. Ich freue mich, daß ich Ihnen mit Vehemenz widersprechen kann. Die Bundesregierung ist auch in der Entwicklungszusammenarbeit willig, und ich werde versuchen, in meinen Ausführungen den Beweis dafür anzutreten.
— Und ich vertrete die Bundesregierung.Meine sehr verehrten Damen und Herren, es sind heute abend viele Anträge zu beraten, ein breites Spektrum, das hier angesprochen wird. Deshalb möchte ich mir erlauben, Bilanz zu ziehen, auch weil wir uns dem Ende der 12. Legislaturperiode nähern und dies möglicherweise die letzte entwicklungspolitische Debatte ist, wenn ich die Vielzahl von noch zu erledigenden Punkten sehe.Wenige Jahre nach dem Ende des Ost-WestKonflikts kann die Entwicklungspolitik der Bundesregierung trotz besorgniserregender Entwicklungen — das kann gar nicht bestritten werden, die schrecklichen Ereignisse dieser Tage in Ruanda, wo jede Stunde, jede Minute Hunderte, Tausende von Menschen ihr Leben lassen müssen, die Ereignisse in Burundi, Somalia, Haiti, ich nenne nur ein paar herausragende Beispiele — eine insgesamt positive Bilanz vorweisen. Basierend auf über 30jähriger Erfahrung, hat die deutsche Entwicklungspolitik die sich aus dem Ende des Ost-West-Konflikts — das ist heute leider noch nicht angesprochen worden — erwachsenen Chancen beherzt ergriffen, und wir haben uns mit der Verabschiedung der drei Schwerpunkte Armut, Umwelt, Bildung und der Zugrundelegung der fünf Kriterien für die Entwicklungszusammenarbeit weltweit profiliert.Verehrter Kollege Hauchler, Sie haben vorhin den Kollegen Hedrich kritisiert, weil er unsere Politik zu sehr gelobt habe. Aber wir können uns in dieser Frage, gerade was das konzeptionelle Herangehen angeht — und in vielen Punkten sind wir uns bei dieser Frage ja einig —, doch sehen lassen. Wenn wir wissen, Herr Kollege Hauchler, wie wichtig es ist, daß wir für diesen Politikbereich noch mehr Mitbürger, noch mehr Menschen gerade in einer Zeit gewinnen, in der häufig über andere Dinge als gerade über die Entwicklungszusammenarbeit diskutiert wird, dann meine ich sehr wohl, daß wir dem alten Grundsatz huldigen sollten, der da lautet: Tu Gutes — und das tun wir — und rede auch darüber! Wenn wir von unseren Erfolgen nicht überzeugt sind und dies der Bevölkerung nicht übermitteln, dann dürfen wir uns auch nicht wundern, wenn wir keine Zustimmung erfahren. Deshalb würde ich auch Sie gern in den Kreis derer einladen, die dieser guten Politik zustimmen.Wir haben die Spielräume der deutschen Entwicklungspolitik genutzt und den Dialog sowohl mit den Partnern als auch im Innern stärker politisch akzentuiert.Eines würde ich Ihnen auch gern entgegenhalten, Kollege Hauchler: Sie haben gesagt, die Ergebnisse von Rio würden nicht umgesetzt. Wir diskutieren heute abend über Entwicklungszusammenarbeit. Jeder, der sieht — und das wissen Sie auch, und darum möchte ich das noch einmal bekräftigen, weil ich das nicht so im Raum stehen lassen kann —, was wir im Hinblick auf Rio in den letzten Jahren diskutiert haben, daß wir heute die Agenda 21 als einen Leitfaden nicht nur internationaler, sondern auch bilateraler Entwicklungspolitik haben und Rio ganz konkret umsetzen, nicht mit Sprechblasen und großen Sprüchen, sondern in unseren Regierungsverhandlungen und in den Konsultationen mit unseren Partnern des Südens, wird mir zustimmen. Auch die Protokolle unserer Verhandlungen zeigen: Wir haben Rio ernst genommen, wir lassen uns beim Wort nehmen, wir setzen Rio um!
Leider, meine sehr verehrten Damen und Herren — auch dies möchte ich hier gern herausarbeiten —, konzentriert sich die Diskussion über die Folgen, die der Zusammenbruch des Sozialismus für die Entwicklungspolitik mit sich gebracht hat, viel zu oft auf ein
Metadaten/Kopzeile:
20076 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Parl. Staatssekretär Hans-Peter Repnikquantitatives Element, nämlich die Entstehung weiterer Entwicklungsländer im Osten und die Konsequenzen, die sich daraus für unser Verhältnis zu den traditionellen Partnern im Süden ergeben.
Herr Staatssekretär, entschuldigen Sie bitte, wenn ich unterbreche, aber es gibt die Bitte nach einer Zwischenfrage. Sind Sie bereit, sie zu beantworten?
Gerne, wenn es nicht angerechnet wird.
Nein, natürlich nicht.
Herr Staatssekretär, Sie haben hier so definitiv gesagt: Wir setzen Rio um. Sie wissen sicherlich auch, daß in der Erklärung von Rio darauf abgehoben wird, daß die Industriestaaten ihre Wirtschaft und ihre Lebensweise grundlegend zu verändern haben, damit wir alle eine Chance haben. Würden Sie mir zustimmen, daß wir in dieser Veränderung noch nicht sehr weit vorangekommen sind und deshalb noch nicht so klar behaupten können, wir setzten Rio um?
Herr Kollege Matschie, um das zu beantworten, müßte man jetzt relativ viel Zeit haben. Wir haben zur Vorbereitung der Nachfolgekonferenz von Rio, die in diesen Tagen in New York läuft — Sie wissen, Klaus Töpfer, unser Umweltminister, wurde zum Vorsitzenden dieser Kommission der Vereinten Nationen gewählt —, ein dickes Buch, den Rechenschaftsbericht der Bundesregierung erstellt, in dem wir sowohl unsere innenpolitischen als auch unsere entwicklungspolitischen Schlußfolgerungen, die wir aus Rio gezogen haben, haarfein belegen. Lesen Sie bitte diesen lesenswerten Bericht nach. Sie werden sehen, daß wir auf einen guten Weg sind, wenn auch längst noch nicht am Ziel.Auch dies würde ich bei einem solchen Anlaß gerne einmal sagen: Man zeigt mit dem Finger immer nur auf die Politik der Bundesregierung. Wer Rio ernst nimmt, muß wissen, daß ein Großteil der Verpflichtungen, die dort eingegangen wurden, nicht zuletzt von der Bevölkerung umgesetzt werden muß. Es muß uns gelingen, die Bevölkerung über diesen parlamentarischen Raum hinaus zu überzeugen, daß sie es selbst mit in der Hand hat, ob die Beschlüsse von Rio umgesetzt werden und ob dieser Planet einer künftigen Generation lebenswert übergeben werden kann.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer bei der Analyse der entwicklungspolitischen Folgen des Endes des Ost-West-Konflikts allein fragt, welche neuen Partnerländer eigentlich neu hinzukamen,geht an der wichtigsten Lehre aus dem Scheitern des sozialistischen Gesellschafts- und Wirtschaftsmodells vorbei. Der Zusammenbruch im Osten und die rasanten Aufbauerfolge der Schwellenländer — z. B. in Ostasien, und jetzt auch in Lateinamerika — zeigen, beide auf ihre Weise, daß Erfolg und Mißerfolg im Entwicklungsprozeß nicht allein von Kapitaltransfer, nicht allein von Rohstoffreichtum oder von Tonnenideologien abhängen. Als wichtigstes Kriterium erweist sich vielmehr, ob die politische, die wirtschaftliche und die gesellschaftliche Ordnung im Innern eines Landes Kreativität, Leistungsbereitschaft und Entwicklungspotentiale der Menschen fördert und diese zum Wohl des Ganzen mobilisiert.
Für die Entwicklungspolitik ergibt sich daraus die folgende Konsequenz: Wenn die Entwicklungszusammenarbeit wirksame Hilfe zur Selbsthilfe leisten soll — die Kollegin Walz hat doch überzeugend darauf hingewiesen —, dann darf sie sich nicht darauf beschränken, an den Folgen verfehlter Politik herumzukurieren. Sie muß politisch ansetzen und die Partner dabei unterstützen, durch die Verbesserung der Rahmenbedingungen die richtigen Weichen für einen erfolgreichen Entwicklungsprozeß zu stellen.Stärkere politische Akzentuierung der Entwicklungszusammenarbeit heißt für uns, an den strukturellen, an den ordnungspolitischen Ursachen von Unterentwicklung in Wirtschaft, Politik, Verwaltung und Gesellschaft anzusetzen.
Dies tun wir übrigens nicht zuletzt auch in der Transformationshilfe, die wir in Richtung Osteuropa, in den Bereich der früheren Sowjetunion leisten.Die Ordnungspolitik ist ein wichtiger Ansatzpunkt für eine politisch verstandene EZ, aber nicht der einzige. Dazu gehört auch, daß das entwicklungspolitische Konzept der Bundesregierung dem Aufbau der Privatwirtschaft in den Partnerländern eine besondere Bedeutung beimißt. Wettbewerb und Privatinitiative sind nicht nur die Schlüssel zu wirtschaftlicher Entwicklung, sondern auch Voraussetzung für die Herausbildung eines Mittelstands, ohne den die deutliche Reduzierung der Armut und damit Demokratie und gesellschaftliche Stabilität undenkbar sind.
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, in einer Zeit, in der die Gelder knapp sind und wirtschaftliche Probleme im Inland im Zentrum der Tagespolitik stehen, gibt es vereinzelt Stimmen — dies spreche ich mit großem Nachdruck an —, die eine Verschmelzung der Entwicklungspolitik mit der Außen- oder zumindest mit der Außenwirtschaftspolitik fordern. Dies mag, tagespolitisch betrachtet, durchaus populär klingen. Mittel- und langfristig ist es jedoch für die nachhaltige Sicherung auch des Standorts Deutschland unverzichtbar, die Entwicklungspolitik als eigenständigen Politikbereich auszubauen. Entwicklungspolitik ist das Zukunftsthema.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 20077
P
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Entwicklungspolitik ist kein humanitärer Luxus für Schönwetterzeiten und für Sonntagsreden, sondern ist eine Zukunftsinvestition, die im zentralen Interesse der Menschen unseres Landes liegt. Jeder muß wissen— wir, die wir uns heute abend hier versammelt haben, wissen es alle —, daß Sicherheit und Wohlstand bei uns eben auch davon abhängen, daß wir mit unseren Nachbarn und Partnern im Süden und im Osten dauerhafte Partnerschaften zu beiderseitigem Nutzen aufbauen.
In einer Zeit, in der die grenzüberschreitenden Umweltbedrohungen und der Schutz des Weltklimas gemeinsame Handlungsansätze aller Länder erfordern, bedarf es eigener entwicklungspolitischer Initiativen und Konzepte, die nicht von kurzfristigen bilateralen, außenpolitischen oder wirtschaftlichen Zielen überdeckt werden. Ich hoffe, daß wir hier einen Konsens haben.
Zu einem Zeitpunkt, zu dem Armut, Bevölkerungswachstum und Unterentwicklung wenige Flugstunden von unseren Landesgrenzen entfernt zu mehr als einem halben Dutzend von Konflikten und Flüchtlingsbewegungen in der Größenordnung von mehr als 100 Millionen Menschen geführt haben, von denen Deutschland auch direkt berührt wird — ich erinnere an die Asylproblematik —, ist der Beitrag der Entwicklungspolitik zur Friedenssicherung und Konfliktminderung um unserer eigenen Sicherheit willen unverzichtbar.
Über den engeren entwicklungspolitischen Rahmen hinaus muß die Entwicklungszusammenarbeit aber auch in einem sinnvollen, in einem kohärenten Zusammenhang mit anderen Politikbereichen stehen und deren Potentiale zur Lösung der Entwicklungsprobleme wirksam werden lassen.
Entwicklungszusammenarbeit, liebe Kolleginnen und Kollegen, darf nicht von finanziellen oder politischen Konjunkturlagen und Tagesströmungen abhängig gemacht werden. Entwicklungspolitik hat für die Sicherung unserer Zukunft und für die internationale Verantwortung unseres Landes zentrale Bedeutung.
Dafür lassen Sie uns in Politik und Öffentlichkeit verstärkt zusammenarbeiten. Wir sollten es tun zusammen mit den vielen Menschen, die sich in Nichtregierungsorganisationen und in den Kirchen diesem Thema verschrieben haben.
Ich möchte allen danken, die in dieser Legislaturperiode in allen Fraktionen zusammen mit der Bundesregierung diese Grundsätze so beherzt vorangetrieben haben.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Dr. Volkmar Köhler.
Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bin gehalten, in vier Minuten zu vier Anträgen kurz Stellung zu nehmen.Ich komme zunächst zu dem Antrag, der die regionale Kooperation im südlichen Afrika betrifft und die Kooperation zwischen diesem Raum und der Europäischen Gemeinschaft. Ich möchte Sie daran erinnern, daß dieser Antrag Schlußstein einer mehrjährigen Befassung dieses Parlamentes mit der Frage ist, was geschehen kann, um die Strukturen der Apartheid dauerhaft zu überwinden, was geschehen kann, um Südafrika wieder in die Gemeinschaft der Völker zu integrieren und das Potential, das sich damit ergibt, für die Wohlfahrt des südlichen Afrikas zu erschließen.Kein Parlament hat früher, klarer und umfassender zu diesen Fragen Stellung genommen als der Deutsche Bundestag. Ich glaube, hier ist ein Wort des Dankes an diejenigen angebracht, die hier vorangeschritten sind. Der erste in dieser Hinsicht ganz klare Antrag entstammte der Feder unseres Kollegen Graf Waldburg-Zeil, und ich habe mich ihm damals gerne angeschlossen.Die Entwicklung hat unseren Überlegungen hier recht gegeben. Die Bundesregierung hat 1993 auf der Botschafterkonferenz in Akkra die Einladung ausgesprochen, diese Fragen auf einer Konferenz aller, die es angeht, in Berlin zu behandeln. Diese Konferenz wird in der ersten Septemberwoche in Berlin stattfinden.Verehrte Kolleginnen und Kollegen, bei allem, was uns zeitlich bedrängt, sollten wir den Versuch machen, in irgendeiner geeigneten Form diese Konferenz in Berlin parlamentarisch zu begleiten und zu unterstützen, um dieser Initiative jeden möglichen Nachdruck zu verleihen.
Wir haben zu einigen wichtigen Fragen sehr klare Positionen geäußert, die an anderen Stellen jetzt erst Gegenstand des Nachdenkens sind. Ich verstehe, daß die Führung des ANC teilweise die Gemeinschaft und Geborgenheit in der Gruppe der Lomé-EmpfängerStaaten sucht. Ich verstehe, daß man sich gerne zum Entwicklungsland erklären möchte, um entsprechende Hilfen flüssigzumachen, die es auch auf andere Weise geben kann.Wir glauben allerdings, daß der komplizierte und langfristige Lomé-Verhandlungsprozeß, der auch aus anderen Gründen zur Zeit in Gang gekommen ist — die Begrenztheit der Mittel, auf die Klaus-Jürgen Hedrich hier hingewiesen hat —, bei der Berücksichtigung Südafrikas zu Lasten anderer gehen würde und die zu diskutierenden Fragen hinsichtlich des Verhältnisses der Lomé-Konvention zu den neuen GATT-Vereinbarungen die Folge hätten, daß die dringend benötigte Hilfe für Südafrika verzögert würde. Deswegen haben wir uns für andere Optionen ausgesprochen, nämlich für eine maßgeschneiderte Kooperationsvereinbarung zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Südafrikanischen Republik, besser noch für eine südafrikanische, eine regionale Zusammenarbeit. Dies wollte ich noch einmal klar befestigt haben.
Ich hoffe, daß dieser Antrag hier einmütig angenommen wird.
Metadaten/Kopzeile:
20078 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Dr. Volkmar Köhler
Dagegen ist der Antrag „Afrika hat Zukunft" zu verwerfen. Er greift zu kurz; überflüssige Passagen über historische Schuldsuche prägen ihn. Man kann Konditionalität für richtig halten und unterstreichen; aber wenn man dann von ganz Afrika spricht, muß man auch einmal irgendein Wort darüber sagen: Was machen wir denn mit denen, die darunter leiden, daß nach wie vor Regierungen da sind, die zuviel für Rüstung ausgeben, die keine Marktwirtschaft praktizieren, die keinen Pluralismus einführen und die Demokratie mit Füßen treten? Die Antwort auf die Situation der Menschen da habe ich hier nicht gefunden.Vor allem aber sollten wir nicht so tun, als wären wir allein auf der Welt. Wer afrikapolitisch etwas bewegen will, muß die Verständigung mit Frankreich suchen — Frankreich, das in einer schwierigen Situation zwischen dem Stabilitätsziel und dem Demokratieziel handeln muß, dessen Rückzug aus der Franc-Zone zugunsten der von IMF und Weltbank durchdacht und interpretiert und in den Konsequenzen für uns diskutiert werden muß. Das alles jetzt noch in eine Forderung einzubetten, daß Weltbank und IMF von Grund aus ihre Natur äußern, läuft darauf hinaus, daß wir fordern, daß sich alle nach uns richten; genau das wird nicht geschehen. Wir können unter dem anspruchsvollen Titel „Entwurf einer Afrikapolitik" so über die Dinge nicht reden.Vielleicht sollten wir sogar ein bißchen darüber nachdenken, weshalb unsere hohen Leistungen — 40 % unserer Entwicklungsanstrengungen für Afrika — politisch so wenig Effekt machen, während das Vereinigte Königreich sehr wenig Geld gibt, aber dafür allein durch die Mitgliedschaft im Commonwealth beträchtliche politische Effekte erzielt.Afrikapolitik ist mehr als der hier vorgeschlagene operative Ansatz. Der Antrag dringt nicht zu den Grundfragen vor.Den Antrag „Ernährungssicherung" empfehle ich zur Annahme auf Grund der veränderten Fassung, die im Ausschuß durch die Koalitionsfraktionen erarbeitet worden ist. Hier ließe sich sehr viel sagen. Manchmal wird man dieses Themas müde, wenn man die Diskussion der letzten Monate über Rindfleischexport und den berühmten Schlachthof an der Elfenbeinküste beobachtet.Meine Damen und Herren, im Frühjahr 1986 haben der damalige Entwicklungsminister Warnke und ich in tollkühner Weise vor einer großen Versammlung anläßlich einer Landwirtschaftsausstellung in Hannover dies zum erstenmal selbst in die Öffentlichkeit gebracht. Aber es hat keinen Zweck, die Dinge acht Jahre später noch immer zu beklagen, sondern da müssen wir ganz konkret über europäische Agrarreformen reden. Wir können es nicht mit einer ständigen feindseligen Polemik gegen die Bauern lösen.
Der Antrag „Agrarförderung" ist in vieler Hinsicht interessant. In den Teilen, in denen von Ökologie und dergleichen gesprochen wird, ist er viel zu sehr aus unserer eigenen Befindlichkeit geprägt. Interessanterweise fällt dort, bei Agrarförderung, kein Wort darüber, wie nötig es ist, die Zinsknechtschaft derPächter zu brechen, damit agrarfördernde Maßnahmen Sinn machen.Rätselhaft knapp ist die Rolle der Frau beschrieben. Das wissen wir eigentlich besser. Ich warne bei der weiteren Beratung davor — dieser Antrag wird überwiesen —, zu glauben, daß wir allein durch die Behandlung des ländlichen Raums und der Agrarförderung die Probleme der Überbevölkerung lösen werden. Wir werden notwendigerweise auch zu einer Industrialisierungsstrategie vordringen müssen, wenn wir sachgerecht argumentieren wollen.Ich danke Ihnen für Ihre Geduld. — Herr Präsident, ich bedanke mich.
Ich erteile noch einmal Professor Ingomar Hauchler das Wort.
Meine Damen und Herren! Wir haben in unserer Fraktion vereinbart, daß ich am Schluß noch einmal versuche, auf ein paar wichtige Punkte einzugehen, die in der Debatte vorgebracht worden sind.Ich will kurz etwas zu den Anträgen sagen, die wir vorgelegt haben. Die vielen Initiativen, die vorgestellt wurden, beweisen letzten Endes, daß einiges in der Art, wie wir Entwicklungspolitik im Parlament debattieren, im argen liegt. Wenn ich an den sechs Punkten, die ich zum Entwurf eines Gesetzes zur Entwicklungspolitik vorgetragen habe, entlanggehe, hätte ich in jedem Fall an Hand der heutigen Anträge sagen können, an welcher Stelle wir die deutsche Entwicklungspolitik praktisch nachbessern müssen. Wir müssen mit Anträgen arbeiten, mit vielen, vielen Anträgen, weil wir eben keine verläßliche gesetzliche Grundlage haben. Ich nenne unsere Anträge zu Afrika, zur Frauenförderung, zur Wirtschaftsförderung, zur Agrarförderung, zur Nachhaltigkeit in der Entwicklungspolitik, zur Ernährungssicherung, zur Reform der Weltbank, zu indigenen Völkern. Es ist klar, daß man in einer Debatte nicht über all das reden kann. Deshalb haben wir versucht, noch einmal Wert auf die Grundsätze zu legen.Ich danke den Kolleginnen und Kollegen in meiner Fraktion — Herrn Matschie, Frau Adler, Frau Wohlleben, Frau Becker-Inglau, Herrn Schuster und Herrn Toetemeyer — sehr herzlich, die sich in den jeweiligen Materien unglaublich engagiert haben.
Genauso habe ich auch den Kolleginnen und Kollegen aus anderen Fraktionen zu danken. Auch hinter ihren Anträgen steckt eine Menge Arbeit und vieles, dem auch wir zustimmen können. Einigen Anträgen der Koalition werden wir zustimmen.Ich finde auch, daß der Antrag der GRÜNEN zu Hermes gute Substanz hat. Wir werden allerdings einen eigenen Antrag vorlegen, so daß wir dem vorliegenden Antrag in dieser Form heute nicht zustimmen können. Aber wir teilen das Grundanliegen. Auch die Hermes-Exportversicherung muß ökologisch orientiert sein und kann nicht ohne Rücksicht auf unsere entwicklungspolitischen Prinzipien praktiziert werden. Wir werden auch der Forderung der
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 20079
Dr. Ingomar HauchlerGRÜNEN nach einem Schuldenerlaß für Mosambik zustimmen.Wenn wir über die zukünftige Form der Entwicklungszusammenarbeit nachdenken und diskutieren, sollten wir uns in Zukunft auf die wichtigen Weichenstellungen und Prioritäten konzentrieren und darum ringen, statt zu viele einzelne Anträge zu produzieren. Deshalb brauchen wir eben ein Gesetz.Ich will Herrn Repnik noch kurz etwas sagen. Er ist nicht mehr da; er mußte weg. Er hat mir das vorher erläutert; ich habe dafür Verständnis. Ich will ihm sagen, daß ich mit seiner Forderung, die Entwicklungspolitik stärker als eigenständigen Politikbereich zu behandeln, sehr einverstanden bin, ein Bereich, der endlich stärker als eigenständige Materie ernst genommen werden muß, statt immer wieder zum Instrument für kurzfristige Sonderinteressen gemacht zu werden, für die es im Augenblick wohl da und dort gute Gründe gibt, die aber langfristig den Ansatz der Entwicklungspolitik zerstören.Ich bin nicht damit einverstanden, daß wir uns hier wieder einmal als Deutsche so sehr brüsten, wie großartig wir seien, welchen tollen Einfluß wir in der Welt ausgeübt hätten. Ich mache das nur an ein paar Punkten deutlich. Ich nenne zunächst die Kontrolle der Weltbank. Es gibt hier schwerste Defizite. Wir üben da kaum Einfluß aus. Weiter haben wir Beihilfe zu einer falschen Politik mit zum Teil sozial und ökologisch verheerenden Auflagen geleistet.Und: Zum ständigen Reden des Ministers Spranger, daß Demokratie die primäre Aufgabe seiner Politik sei, kann ich nur sagen: Man kann viel reden. Aber wenn man die höchsten Mittel den Staaten gibt, wo die Menschenrechte und die Demokratie nicht so sehr in Ordnung sind, dann ist das alles nicht mehr glaubwürdig. Man hat keinen Einfluß, wenn man nicht glaubwürdig ist.
Wir sollten ein bißchen bescheidener auftreten, übrigens, Herr Hedrich, auch in Europa. Ein neuer deutscher Hochmut, der sich überall ausbreitet, macht sich nicht gut, ebenso gar ein Rückzug aus gemeinsamem Engagement in Europa, in der UNO oder sonstwo. Wir müssen uns in Europa, in der UNO besser einbinden, aber gleichzeitig die Bürokratien besser kontrollieren. Das ist unser Anliegen.
Sie sehen, unsere Position ist eine Mischung aus Zustimmung zu Ihren Anliegen, die wir gemeinsam teilen, und einer Menge Differenzen — über die es weiter zu diskutieren gilt. Dazu ist das Parlament da. Wir müssen weiter miteinander reden.Vielen Dank.
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Professor Dr. Pinger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie sehen die vielen Bäume und erkennen den Wald nicht mehr. Diesen Eindruck mußte man haben, wenn man einige allzuüberzogene Kritik der letzten Monate gegen die Entwicklungspolitik der Bundesregierung hörte.Deshalb will auch ich es noch einmal wiederholen: Die notwendige Neuorientierung der Entwicklungszusammenarbeit ist durchgeführt worden. Die neue Entwicklungspolitik mit ihren richtigen Akzenten in den Schwerpunkten und den Kriterien ist vorhanden, mit den Schwerpunkten Armutsbekämpfung, Umwelt und Förderung der Bildung und mit den Kriterien Menschenrechte, Partizipation, Rechtssicherheit, Marktwirtschaft und Entwicklungsorientierung, und diese Entwicklungspolitik wird ja auch international und national weitgehend anerkannt.Um so ärgerlicher ist es, wenn da behauptet wird, für die Armutsbekämpfung würden nur 2 % der Mittel ausgegeben und wir stünden unter Berufung auf UNDP am Ende der Leistungsskala. Das verkennt, daß die Leistungen in Wirklichkeit das Mehrfache ausmachen. Da wird mit falschen Zahlen — ich möchte sagen, mit gezinkten Karten — Vorwahlkampf geführt. Das tut der Entwicklungszusammenarbeit nicht gut.Meine Damen und Herren, wir haben einen Antrag, der heute zur Verabschiedung steht und zu dem wir uns im wesentlichen einig sind,
nämlich in der Subsidiarität als Prinzip der Entwicklungshilfe, und das heißt, nicht in erster Linie auf den Staat zu setzen, sondern in erster Linie auf die schöpferischen Kräfte und die Privatinitiative.Das gilt insbesondere auch für Afrika, den Kontinent, auf dem national und international fast über Jahrzehnte die größten Fehler in der Entwicklungszusammenarbeit gemacht worden sind, vielfach unter falscher Federführung der Weltbank, die erfreulicherweise in den letzten zehn Jahren ihre Politik geändert hat. Auch die Weltbank hatte in Afrika auf den Staat gesetzt — mit Investitionslenkung, mit Verstaatlichung, mit der Förderung von Bürokratie. Genau das Gegenteil muß geschehen, und erfreulicherweise geschieht dies auch.Strukturanpassung ist in Afrika angesagt, und das ist ein Punkt, in dem wir uns bei aller Übereinstimmung, die hier immer wieder unter den Entwicklungspolitikern vorhanden ist, nicht immer ganz einig sind. Strukturanpassung ist notwendig, und es ist auch notwendig, daß diese Strukturanpassung durch Einwirkung von außen bewirkt wird. Das mag man als Einmischung bezeichnen; wir bezeichnen das als notwendige Einwirkung im Interesse der Bevölkerung.Die Förderung von Privatinitiativen und Armutsbekämpfung durch Hilfe zur Selbsthilfe, die gerade in Afrika so notwendig ist, dies alles bewirkt durch noch so sinnvolle Projekte nichts, wenn die Rahmenbedingungen nicht stimmen. Was durch Strukturanpassung bewirkt werden kann, zeigt sich an dem Beispiel, daß auch durch Druck von außen die Abwertung der Währungen im Bereich des französischen Franc herbeigeführt worden ist, und dies hatte zur Folge, daß die Erzeugerpreise für landwirtschaftliche Produkte
Metadaten/Kopzeile:
20080 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Dr. Winfried Pingerverdoppelt worden sind. Dies hätte man doch durch noch so gute Projekte nicht erreichen können.Meine Damen und Herren, das Hearing zu Handel und Entwicklung, das wir vor 14 Tagen durchgeführt haben, hat für die afrikanischen Staaten gezeigt: Der Abbau des Protektionismus, so notwendig er ist, hilft diesen Ländern nicht, wenig, oder er verschlechtert sogar ihre Situation. In Afrika ist nicht Handelspolitik angesagt, sondern eine verbesserte Entwicklungszusammenarbeit. Sie findet statt. Daß die Entwicklungszusammenarbeit verbessert worden ist und verbessert durchgeführt wird, ist ein Ergebnis gemeinsamer Anstrengungen.Sie, Herr Kollege Hauchler, haben einen Dank ausgesprochen. Das will ich in gleicher Weise tun. Wir haben viele Gemeinsamkeiten im Parlament bezüglich der Entwicklungspolitik, bezüglich der neuen Akzente, die gesetzt worden sind. Wenn man das etwas zurückverfolgt, dann möchte ich festhalten, daß im März 1982 entscheidende gemeinsame Positionen bezogen worden sind, die heute in Entwicklungspolitik umgesetzt werden. Ein Dank gebührt also gerade auch Ihnen von seiten der Opposition, nicht zuletzt der SPD. Sie haben die neue Entwicklungspolitik kritisch begleitet und haben dadurch natürlich auch Anstöße gegeben.Worauf es jetzt ankommt — damit möchte ich schließen —: Die Mittel, die wir haben, auf Grund dieser Schwerpunkte und Kriterien noch gezielter einzusetzen heißt sektorale und regionale Konzentration. Das heißt auch in Afrika die Mittel dort hingeben, wo Reformbestrebungen vorhanden sind und damit die Projekte wirksam sein können, und dort nichts oder weniger tun, wo es nicht hilfreich ist, und die Sektoren beherzigen, die wir übereinstimmend formuliert haben. Dann, meine ich, können wir am Ende dieser Legislaturperiode feststellen, daß wir ein gutes Stück weiter sind.Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun der Abgeordnete Dr. Ulrich Briefs.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Armut, Hunger und Kriege beherrschen und verwüsten große Teile der sogenannten Dritten Welt. Besonders betroffen ist Afrika südlich der Sahara. Offensichtlich hat die mehrere Generationen währende Ausplünderung und Ausbeutung der afrikanischen Lander durch die europäischen Kolonialmächte ein Erbe hinterlassen, das auch nach der formellen Erringung der Unabhängigkeit weiter wirkt.Ruanda ist dafür ein klassisches Beispiel. Die lange Zeit offensichtlich wenig problematische Symbiose der Hutu und Tutsi scheint erst durch das systematische Ausspielen der beiden Völker durch die belgische Kolonialmacht zerstört worden zu sein. Das Ergebnis ist der brutale wechselseitige Völkermord, der derzeit in dem kleinen schwarzafrikanischen Land stattfindet.Um so unverständlicher ist aber auch die Weigerung der Bundesregierung, Flüchtlinge aus Ruanda in dieses Land zu lassen. Angesichts der Dringlichkeit, Menschen, die davon bedroht sind, abgeschlachtet zu werden, in diesem Land aufzunehmen, muß diese Weigerung den Verdacht wecken, daß dahinter rassisch diskriminierende Motive stehen. Weiße Flüchtlinge aus Jugoslawien nimmt man, wenn auch nicht sonderlich gerne, auf; Schwarze jedoch will man offensichtlich möglichst ganz heraushalten.Ist das ein Triumph für die dumpfen Instinkte in großen Teilen der deutschen Bevölkerung, die unter anderem zu dem Pogrom in Magdeburg geführt haben? Der SPD-Antrag „Afrika hat Zukunft — Für eine neue Afrikapolitik'' ist gegenüber der faktisch inhumanen Politik dieser Bundesregierung ein ausgesprochener Lichtblick. Endlich einmal ein Ansatz, der Maßnahmen der Hilfe und der Selbsthilfe und der Förderung dieser Selbsthilfe zusammenbringt. Endlich wird auch einmal ein Ansatz vorgelegt, der ernst macht mit dem Ziel, 0,7 % des Bruttosozialprodukts für Entwicklungshilfe bereitzustellen. Gegenüber kleineren Nachbarländern wie den Niederlanden oder Norwegen, aber auch gegenüber Frankreich, das mit der Bundesrepublik vergleichbar ist und ähnliche ökonomische und soziale Probleme hat, müssen wir uns nachgerade schämen, daß wir noch nicht einmal die Hälfte dessen leisten, was in der OECD vereinbart und auf der UNCED-Konferenz 1992 in Rio nochmals ausdrücklich bekräftigt wurde.Ich habe bereits vor zwei Jahren vorgeschlagen — das bleibt, meine ich, nach wie vor auf der Tagesordnung —, die UNO-Norm dadurch schnell zu erreichen, daß entsprechende Mittel aus dem Verteidigungshaushalt, der einfach überdimensioniert ist, umgewidmet werden.Verdienstvoll an den SPD-Ansätzen ist insbesondere, daß sie strukturell steuernde Maßnahmen hier bei uns und entsprechende Förderungsmaßnahmen für Kooperation, Integration und regionale Entwicklung in der sogenannten Dritten Welt vorsehen.Eine der nach wie vor zentralen Aufgaben, die Entwicklung angepaßter Technologien — dazu möchte ich hier kurz noch etwas sagen —, also die Entwicklung von Produkten und Verfahren, die unter den spezifischen klimatischen, geographischen, verkehrsinfrastrukturellen usw. Bedingungen dieser Länder zur Steigerung der Produktivität eingesetzt werden können, wird allerdings nur angerissen. Wir brauchen aber für diese Länder und die Dritte Welt insgesamt solche Produkte, schon damit diese Länder nicht immer mehr von ihrer sowieso nur gering entwickelten Produktion für unsere High-Tech-Produkte im Austausch abliefern müssen.Wirkliche und wirksame Hilfe für die Dritte Welt setzt neben massiven Entschuldungsmaßnahmen — das ist ja richtig — und durchgreifenden Verbesserungen der Terms of Trade erhebliche industriepolitische Flankierungsmaßnahmen bei uns voraus. Hier zeigt sich doch eine ganz günstige Entwicklungsmöglichkeit. Diese industriepolitischen Flankierungsmaßnahmen können in den Ländern der Europäischen Union und in Deutschland sogar einen nicht unbeträchtlichen Beitrag zum Abbau der Arbeitsplatzlücke
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 20081
Dr. Ulrich Briefsleisten — und das gerade in Wirtschaftszweigen wie dem Maschinenbau, der Eisen- und Stahlindustrie, dem Anlagenbau, dem Schiffsbau, den Bergbauzulieferindustrien usw.Das scheint mir eine Art von Politik zu sein — sie fehlt mir nach wie vor im Ansatz —, die Hilfe für die sogenannte Dritte Welt bringt und zugleich vielen Menschen hier in diesen Ländern helfen könnte.Herr Präsident, ich danke Ihnen für Ihre Geduld.
Meine Damen und Herren, wir kommen nach dieser von vielen Rednern als zu kurz empfundenen Debatte von einer Stunde zu vielen Abstimmungen. Es steht mir von diesem Platz aus nicht zu, die Redezeit zu bewerten. Aber es steht mir, glaube ich, ohne Verletzung der Neutralität zu, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß Sie alle diese Redezeit beschlossen haben. Das, meine ich, sollte man gelegentlich erwähnen dürfen.Wir kommen nunmehr zum Tagesordnungspunkt 6a und zu dem Bericht über die Auswirkungen der Ost-West-Entspannung auf die Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern. Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlage auf Drucksache 12/7063 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Ist das Haus damit einverstanden? — Das ist offensichtlich der Fall.Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 6 b und zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zur Gestaltung der europäischen Entwicklungszusammenarbeit. Sie liegt Ihnen auf Drucksache 12/7444 vor. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf der Drucksache 12/6726 in der Ausschußfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer ist dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltungen der Gruppe PDS/Linke Liste und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist diese Beschlußempfehlung angenommen.Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 6c und zur Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zur Förderung der regionalen Kooperation im südlichen Afrika. Sie liegt Ihnen auf Drucksache 12/7407 vor. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/6034 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der Gruppe PDS/ Linke Liste ist diese Beschlußempfehlung angenommen.Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 6 d: Beschlußempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zur Eigenverantwortung, Privatinitiative und Selbsthilfe in der Entwicklungspolitik. Sie liegt Ihnen auf Drucksache 12/7619 vor. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/5987 in der Ausschußfassung anzunehmen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Keine. Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ist dies angenommen.Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 6e: Beschlußempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zu den sozialen Sicherungssystemen in den Entwicklungsländern. Sie liegt Ihnen auf Drucksache 12/7616 vor. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/4553 in der Ausschußfassung anzunehmen. Hierzu gibt es einen Änderungsantrag der Fraktion der SPD. Er liegt Ihnen auf Drucksache 12/7697 vor. Über diesen lasse ich zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt.Ich lasse dann über den Antrag in der Fassung der Beschlußempfehlung abstimmen. Wer stimmt für den Antrag in dieser Fassung? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Keine. Dann ist der Antrag in der Fassung der Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen.Tagesordnungspunkt 6f: Die Beschlußempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Förderung von Frauen in Entwicklungsländern liegt Ihnen vor auf Drucksache 12/7628. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/5229 in der Ausschußfassung anzunehmen. Dazu liegt wiederum ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/7696 vor. Über den lasse ich zuerst abstimmen.Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ist dieser Änderungsantrag abgelehnt.Wer stimmt für den Antrag in der Fassung der Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Keine. Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ist diese Beschlußempfehlung angenommen.Tagesordnungspunkt 6g: Antrag der Fraktion der SPD zur Verstärkung der Agrarförderung in den Entwicklungsländern. Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlage auf Drucksache 12/7423 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Ist das Haus damit einverstanden? — Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.Tagesordnungspunkt 6 h: Die Beschlußempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu dem Antrag der Fraktion der SPD zu einer neuen Afrikapolitik liegt Ihnen auf Drucksache 12/6790 vor. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/6053 abzulehnen.Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung der Ablehnung? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Keine. Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen.Tagesordnungspunkt 6 i: Die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Vergabe von Hermes-Bürgschaften liegt Ihnen vor auf Drucksache 12/6878. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/5949 abzulehnen.
Metadaten/Kopzeile:
20082 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Vizepräsident Dieter-Julius CronenbergWer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist diese Beschlußempfehlung mit den Stimmen der SPD-Fraktion und der Koalitionsfraktionen bei einer Enthaltung aus der SPD-Fraktion angenommen.Tagesordnungspunkt 6 j: Die Beschlußempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu dem Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu einem Schuldenerlaß für Mosambik liegt Ihnen vor auf Drucksache 12/6903. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/4003 abzulehnen.Wer folgt der Beschlußempfehlung des Ausschusses? — Wer stimmt dagegen? — Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ist diese Beschlußempfehlung angenommen worden.Tagesordnungspunkt 6 k: Die Beschlußempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu dem Antrag der Fraktion der SPD zu einer dauerhaften Ernährungssicherung in Afrika liegt Ihnen vor auf Drucksache 12/7445. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/3645 in der Ausschußfassung anzunehmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/7695 vor. Über diesen lasse ich zuerst abstimmen.Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt.Ich lasse nunmehr über den Antrag in der Fassung der Beschlußempfehlung abstimmen. Wer ist dafür? — Wer ist dagegen? — Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ist dieser Antrag angenommen.Tagesordnungspunkt 61: Die Beschlußempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu dem Antrag der Fraktion der SPD zu einer dauerhaften Wirtschaftsentwicklung in den Entwicklungsländern liegt Ihnen vor auf den Drucksachen 12/5563 und 12/6935.Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? -- Enthaltungen? — Dann ist diese Beschlußempfehlung einstimmig angenommen.Tagesordnungspunkt 6 m: Die Beschlußempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Entwickungszusammenarbeit liegt Ihnen vor auf Drucksache 12/7216. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/4269 abzulehnen.Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist diese Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen.Tagesordnungspunkt 6 n: Die Beschlußempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu den Anträgen der Fraktion der SPD zur Beteiligung am „Fonds zur Entwicklung der eingeborenen Völker Lateinamerikas und der Karibik" sowie zur Unterstützung der indigenen Völker liegt Ihnen vor auf Drucksache 12/7577. Der Ausschuß empfiehlt, die Anträge auf den Drucksachen 12/5739 und 12/5740 zusammenzufassen und in der Ausschußfassung anzunehmen.Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist diese Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen worden.Tagesordnungspunkt 6 o: Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Bekämpfung der Kinderarbeit. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 12/7067 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Ist das Haus damit einverstanden? — Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist das so beschlossen.Tagesordnungspunkt 6p: Wir kommen zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes der Fraktion der SPD zur Entwicklungspolitik der Bundesrepublik Deutschland auf Drucksache 12/5960.Hier soll es noch zusätzlich einen Änderungsantrag der SPD-Fraktion geben. Mir wird signalisiert, daß Dr. Holtz diesen Antrag begründet, oder Sie, Herr Professor? — Bitte sehr, Herr Professor Hauchler. Ich lasse dann über diesen Änderungsantrag abstimmen. Bitte versäumen Sie nicht, ihn mir schriftlich zu übergeben, weil ich ihn nicht vorliegen habe.Sie haben das Wort, Herr Professor.
Herr Präsident, ich stelle den Antrag, über den SPD-Gesetzentwurf auf Drucksache 12/5960 in der Fassung abzustimmen, wie er im Bericht zur Beschlußempfehlung auf Drucksache 12/7603 auf den Seiten 6 bis 10 abgedruckt ist. Diese zweite Fassung berücksichtigt die Erkenntnisse aus der Anhörung im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit.
Danke schön. — Ich möchte noch einmal bitten, daß Sie mir das schriftlich übergeben.Ich lasse über diesen Antrag abstimmen. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Der Antrag ist abgelehnt.Ich lasse nunmehr über den Gesetzentwurf in der anderen Fassung, Drucksache 12/5960, abstimmen. Deswegen bitte ich diejenigen, die ihm in der zweiten Lesung zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Damit erübrigt sich die dritte Beratung.Jetzt kommen wir zum Zusatzpunkt 3: Antrag der Fraktion der SPD zur Politik der Weltbank und deren Strukturanpassungsprogramm. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 12/7691 an den in der Tagesordnung aufgeführten Ausschuß vorgeschlagen. — Das Haus ist offensichtlich damit einverstanden. Dann ist das so beschlossen.Ich bedanke mich für Ihre Geduld bei diesem Abstimmungsmarathon.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Wilhelm Schmidt , Angelika Barbe, Holger Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 20083
Vizepräsident Dieter-Julius CronenbergGoldener Plan Ost zur Sportstättensanierung in den neuen Ländern— Drucksachen 12/6158, 12/6945 —Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der SPD-Fraktion vor.Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Debattenzeit von einer halben Stunde vor. Ich mache das Haus darauf aufmerksam, daß Sie auch andere Vorschläge machen können. — Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen, und der Abgeordnete Wilhelm Schmidt aus Salzgitter hat das Wort,
wenn wieder Ruhe im Hause eintritt. Ich wäre dankbar, wenn diejenigen, die an der Debatte nicht teilnehmen wollen, den Saal schnell verlassen würden, damit die nötige Ruhe einkehrt. — Ich glaube, Herr Abgeordneter Schmidt, wir können es probieren.
Ich danke Ihnen, Herr Präsident, obwohl — das will ich gleich zu Beginn sagen — ich es gern gesehen hätte, wenn gerade die Entwicklungshilfepolitikerinnen und -politiker hiergeblieben wären.
Denn — ich honoriere das ganz besonders bei der SPD — ich denke, es ist auch ein Teil von Entwicklungshilfepolitik, allerdings von innerdeutscher in diesem Fall.
— Aber es wäre doch vielleicht eine gute Einstellung gewesen, Herr Baum, auch an dieser Stelle so ein wenig Solidarität zu zeigen, wenn es darum geht, ganz besondere Probleme innerhalb Deutschlands aufzuarbeiten und hier zu besprechen.
Der Goldene Plan Ost zur Sportstättensanierung in den neuen Ländern — so hieß die Große Anfrage, die wir gestellt haben und deren Antwort uns vorliegt. Diese Antwort ermöglichte es uns leider nicht, sie einfach so hinzunehmen, weil sie wieder einmal zeigt, daß die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen nicht in der Lage sind, mit einem sportpolitischen Thema hier im Hause so intensiv und so nachdrücklich und vor allen Dingen so ernsthaft umzugehen, wie es die Materie verdient hätte.
Darum legen wir Ihnen heute noch einen entsprechenden Entschließungsantrag vor, über den wir dann anschließend abzustimmen bitten.Seit mehr als drei Jahren geht es nun hier im Hause darum, die Sportstättensituation in den ostdeutschen Bundesländern nachhaltig zu verbessern. Wir sind bedauerlicherweise nicht sehr weit vorangeschritten.Dies gilt übrigens nicht nur für die Frage, wie wir die vorhandenen Sportstätten sanieren und ob wir möglicherweise neue bauen, sondern es geht auch um die Frage — ohne daß das in diesem Antrag und in dieser Anfrage eine tragende Rolle gespielt hätte —, wie wir die Sportstätten an die neuen Eigentümer und Nutzer rückübertragen oder übertragen.Auch bei diesem Thema sind wir im Sportausschuß zum wiederholten Male in einer Auseinandersetzung gewesen. Viele, z. B. die beteiligten Stellen der Regierung oder auch die Treuhand, machen uns an dieser Stelle Kummer, weil sie in dieser Phase und in diesem Zusammenhang nicht zügig tätig und aktiv geworden sind.Wichtig ist für uns — ich glaube, das ist für uns alle hier fraktionsübergreifend eine gute Grundlage —, daß der Deutsche Sportbund selber sein gesteigertes Verantwortungsbewußtsein an den Tag gelegt hat, indem er uns eine Ausarbeitung, eine Analyse vorgelegt hat, in der er sich sehr ausführlich mit der Situation der Sportstätten in Ostdeutschland auseinandersetzt. Er hat das „Goldener Plan Ost" genannt.Eine solche Analyse hätte, wie ich finde, die Bundesregierung sehr viel besser selber machen können, wenn sie sich an dieser Stelle überhaupt engagiert gezeigt hätte. So mußte der freie Sport seine geringen Kapazitäten anstrengen, und er hat im Rahmen seiner Möglichkeiten eine hervorragende Grundlage geliefert.Diese Ausarbeitung „Goldener Plan Ost" ist Handlungsgrundlage und Diskussionsgrundlage seit mehreren Monaten. Wir hoffen, daß sie demnächst endlich konkret in die Tat umgesetzt werden kann.Ich will über den reinen sportpolitischen Rahmen hinaus einige wenige zusätzliche Anmerkungen in diesem Zusammenhang machen. Wenn wir davon sprechen, im Rahmen des Goldenen Plans Ost könnten und müßten Investitionen von rund 25 Milliarden DM auf den Weg gebracht werden, um die Sportstättensituation in den fünfeinhalb neuen Bundesländern in etwa der Situation anzugleichen,
die wir in Westdeutschland seit längerem für uns in Anspruch nehmen, dann, muß ich sagen, ist das für meine Begriffe ein Auftrag, den wir ernst nehmen sollten, lieber Kollege Nelle. Wir sollten ihn dann wenigstens schrittweise und kontinuierlich umsetzen, wie das in den 60er und 70er Jahren in Westdeutschland mit einem ähnlichen Volumen im Sportstättenbau schon geschehen ist. Wer erhebt sich eigentlich jetzt über diese Situation und meint, für Ostdeutschland sei das nicht möglich und machbar, und erinnert sich dann trotzdem daran, daß das alles in Westdeutschland möglich gewesen ist?Es ist auch, wie ich finde, eine Investitionsfrage, eine Frage von Arbeitsmarkt und Sportstättenbau. Ich will daran erinnern, daß wir uns in anderem Zusammenhang in diesem Hause bemüht haben, klarzumachen, daß bei Investitionen in Ostdeutschland jede Milliarde an Investitionen 14 000 Arbeitsplätze
Metadaten/Kopzeile:
20084 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Wilhelm Schmidt
schafft. Warum eigentlich nicht auch im Bereich des Sportstättenbaus?
Hier könnte man mit einem solchen Hintergrund sehr viel für die Menschen tun und damit die Grundlage schaffen, daß wir in den neuen Ländern insbesondere im Freizeit- und Breitensport, aber natürlich auch im Schulsport einen erheblichen Schritt nach vorne tun können.Bei den vielen Besuchen, die ich mit meinen Kolleginnen und Kollegen aus der SPD-Fraktion in den neuen Bundesländern in den letzten Jahren getan habe, und bei den vielen Informationen, die wir von unseren ostdeutschen Kollegen immer wieder kriegen, kann ich nur sagen: Der Handlungsbedarf ist riesengroß und wird immer drängender.Ich will Ihnen auch sagen, was der Deutsche Sportbund selber in diesem Zusammenhang ausgeführt hat, nur um Ihnen einen kurzen Rahmen zu nennen:Der Goldene Plan Ost macht die bedrückende Situation deutlich, der sich die Bürger hinsichtlich der dortigen quantitativen und qualitativen Sportstättenversorgung gegenübergestellt sehen.So der Deutsche Sportbund in seinem Vorwort zum „Goldenen Plan Ost". Es heißt dann weiter:Das Ziel des Goldenen Plans, das Defizit an Anlagen der Grundversorgung auszugleichen, wird anhand der „Richtlinien für die Schaffung von Erholungs-, Spiel- und Sportanlagen" mit maßvoll gestalteten Bedarfsrichtwerten aufgezeigt.Deswegen kann ich überhaupt nicht akzeptieren, daß wir vor einem solchen Volumen zurückschrecken. Es ist niemals und an keiner Stelle davon die Rede, daß dies innerhalb von 1, 2 oder 3 Jahren umgesetzt werden sollte. Vielmehr redet der Deutsche Sportbund selbst von 15 Jahren. Ich denke, auch hier wäre es maßvoll, in dieser Richtung etwas zu unternehmen.Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn man über diese Situation spricht, dann ist es auch angemessen, sich Kronzeugen vor Augen zu führen. Beispielsweise hat der noch amtierende Bundespräsident Richard von Weizsäcker bei der Verleihung der Sportplakette in Rostock am 18. November 1993 sehr dezidiert und sehr nachdrücklich gesagt, er „wünsche sich sehr, daß Bund und Länder bei dieser Aufgabe Solidarität zeigen". Wohlgemerkt: Bund und Länder. Hier dürfen der Sport und alle seine Partner nicht allein gelassen werden.
„Es ist unverständlich, warum der Bund sich nach wie vor seiner Verantwortung entzieht." Dies ist ein Zitat aus einer Präsidiumssitzung des Deutschen Sportbundes von Anfang 1994, also aus jüngerer Zeit. Das Präsidium des Deutschen Sportbundes hält „die Grenzen des Erträglichen" in diesem Zusammenhang „fürweit überschritten". Bei dem im Goldenen Plan Ost dargestellten Bedarf handelt es sich ganz überwiegend um Anlagen für den Schulsport, d. h. um eine staatliche Pflichtaufgabe, von der auch alle anderen Bereiche des Sports gut profitieren könnten.Wir brauchen ein solches Signal. Wir brauchen an dieser Stelle ein energisches Vorangehen, ein konkretes Handeln. Fangen wir endlich damit an! Die kommunale Investitionspauschale, auf die die Länder und Kommunen in Ostdeutschland immer wieder vertröstet werden, kann es wirklich nicht sein. Meine Damen und Herren, lassen Sie uns den Goldenen Plan so schnell wie möglich auf den Weg bringen!
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Karl-Heinz Spilker.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es wird langsam Zeit, daß wir wieder einmal über Sport reden.
Es wird auch Zeit, daß wir wieder einmal ungeheure Forderungen hören, die kein Mensch bezahlen kann, und ich glaube, es wird auch Zeit, an unsere Verfassung zu erinnern, in der Zuständigkeiten festgelegt sind, die man nicht beliebig ändern kann. Lieber Herr Schmidt, das wissen Sie ganz genau.
Man kann nicht ohne weiteres sagen: Bund, du bist dafür da, 25 Milliarden DM, wenn auch auf mehrere Jahre verteilt, zu zahlen; und das übrige, was du sowieso zahlst und noch zu zahlen hast, gilt nicht! — So haben wir nicht gewettet. So kann man im Grunde keine Politik machen, mit Sicherheit auch keine Politik für den Sport.
Daß der Deutsche Sportbund eine Analyse macht ist doch seine Pflicht. Hier so zu tun, als ob wir nur arme Sportverbände hätten, halte ich nicht für richtig, auch nicht in diesem Raum und auch nicht in Anbetracht der Wahlen. Dafür sind die Eigenbeiträge des Sports zu beachtlich, und in dem einen oder anderen Fall könnten sie vielleicht noch größer sein.Ihr Entschließungsantrag ist heute früh auf meinen Tisch gekommen.
Ich habe zunächst einmal überlegt, was eigentlich dahintersteckt. Möglicherweise habe ich es gefunden; dann käme ich noch darauf zurück. Ich habe Ihren Antrag mit einiger Überraschung gelesen, nachdem ich vor etwa zwei Monaten die Antwort der Bundesregierung auf Ihre Große Anfrage las.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 20085
Karl-Heinz SpilkerDie habe ich sogar mehrmals gelesen, weil sie konkreter ist.
— Da ist ganz sorgfältig gearbeitet worden.
— Lieber Herr Schmidt, denken Sie einmal darüber nach, ob es nicht möglich ist, daß Sie das in einem anderen Kreis einmal bestätigt haben! Aber das will ich nicht näher prüfen; das ist hier auch nicht der richtige Platz.Aber ohne Rücksicht auf Verluste — das hat ein anderer Kollege von Ihnen gesagt — reden Sie nun über einen Weg, der so nicht gangbar ist. Ich sage noch einmal: Wenn der Deutsche Sportbund eine Analyse macht, dann ist das seine Sache. Das ist sein gutes Recht — nein, das ist für die große Sportbewegung seine Pflicht, nicht mehr und nicht weniger. Damit hat sich auch die Bundesregierung ausführlich beschäftigt und die Analyse bestätigt.Daß der Bund sich hinstellt und sagt: Na gut, die 25 Milliarden DM sollen es sein, die zahlen wir auch noch, das kann doch nicht sein. Das darf auch nicht sein bei unserer Verfassungslage.Nun habe ich — glaube ich — acht Minuten Zeit. Ich hoffe, bei einem gütigen Präsidenten vielleicht noch zwei mehr herauszuholen.Ich möchte nämlich auf andere Dinge zurückkommen, weil Sie mit gigantischen Redewendungen argumentieren. Sie reden vom Verfassungsauftrag. Sie reden von gleichwertigen Lebensverhältnissen in Ost und West. Ja, wer will die denn eigentlich nicht? Nach dem, was wir in den letzten Jahren hier bei uns in den neuen Ländern erlebt haben, was praktisch jeden Tag von neuem vor uns abrollt, kann das doch nicht Inhalt eines Entschließungsantrages sein.Zuständigkeiten der Länder: In der Verfassungskommission haben wir für klarere Formulierungen in der Verfassung gekämpft, mit Ihnen, oder allein, je nachdem. Immer dann, wenn es um viel Geld geht — hier geht es um viel Geld bei großen Aufgaben, das ist unbestritten —, dann wird versucht, den Bund wieder von neuem anzuzapfen. Das ist in meinen Augen kein Föderalismus. Man kann nicht nach Bedarf den Bund rufen und gleichzeitig die Zuständigkeit der Länder betonen.Aber das ist eigentlich hier nicht das Thema, sondern das Thema lautet z. B., daß Sie — gar nicht so sehr geschickt, aber das ist Ihre Sache — wieder einmal die Situation und die Entwicklung in den letzten Jahren so darstellen, als wenn nichts oder viel zuwenig geschehen wäre.
— Auch auf dem Gebiet des Sports; alles haben wir sowieso nicht machen können.Jetzt bleibe ich zunächst bei unserer eigenen Aufgabe, bei unserer eigenen Zuständigkeit, bei unserem eigenen Haushalt.
Ich habe doch auch gelernt und wie Sie gelesen, daß wir in den letzten Jahren im Spitzensport, also in unserer Zuständigkeit, für die neuen Länder rund 100 Millionen DM pro Jahr ausgegeben haben.
Das ist etwa der gleiche Betrag, den wir früher jährlich für die Bundesrepublik Deutschland ausgegeben haben.
Wir haben nach der Wiedervereinigung den Etat von 100 auf rund 200 Millionen DM — so habe ich es in Erinnerung — erhöht. Für die Olympiade haben wir noch eine kleine Aufbesserung gemacht. Die haben wir aber hinterher auch zurückgeholt — daß das auch klar ist.Das war unsere Pflicht. Das haben wir ohne jeden Lobbyismus getan, Gott sei Dank. In der Zwischenzeit laufen auch andere wichtige Dinge, z. B. die kommunale Investitionspauschale aus diesem Jahr. Das sind 1,5 Milliarden DM.
Ab 1. Januar 1995 gibt es, wie Sie wissen, ein großes Investitionsprogramm, das Investitionsförderungsgesetz Aufbau Ost. Daraus fließen den neuen Ländern 6,5 Milliarden Mark pro Jahr auf zehn Jahre zu, das macht 65 Milliarden DM. Das ist natürlich nicht nur für den Sport. Aber daß der Sport in diesem Programm seinen Platz hat, ist doch wohl unbestritten.
— Ob Sie nee oder nein sagen: Das ist doch Tatsache. Wenn der Bundeskanzler vor wenigen Tagen, am 11. Mai, wenn ich es richtig im Kopf habe — jetzt komme ich vielleicht doch auf die Idee, warum Sie den Entschließungsantrag so schnell noch gemacht haben — schriftlich mitteilt, daß er sich dafür einsetzen wird, daß an diesem Programm, 65 Milliarden DM in zehn Jahren, natürlich der Sport in den Ländern seinen Anteil hat, dann ist das sicherlich mehr als Ihre Forderung mit utopischen Summen, die Ihnen möglicherweise — nicht von mir — sogar den Vorwurf der Unredlichkeit zuträgt. Denn wenn Sie auf der einen Seite vom Sparen reden — ich habe in den letzten Tagen von Herrn Scharping auf dem Gebiet große Sachen gehört —, dann können Sie nicht in der gleichen Stunde 25 Milliarden unvorgesehene Gelder anfordern, wenn auch über Jahre verteilt.
Metadaten/Kopzeile:
20086 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Karl-Heinz Spilker— Nein, Herr Schmidt, das ist auch nicht unser Stil im Sportausschuß gewesen, solange ich im Sportausschuß bin, nämlich von der ersten Stunde an.Wir haben im Sportausschuß über die ganzen Jahre loyal, manchmal sogar freundschaftlich miteinander verhandelt. Ich meine, wir haben ganz hervorragend Erfolg gehabt. Im Grunde waren wir alle mit der Sportpolitik der Bundesregierung zufrieden. Manchmal waren wir mehr als zufrieden. Für mich war es immer wesentlich, über Spitzensport zu diskutieren und uns über Erfolge unserer Sportler zu freuen.
Verehrter Herr Kollege Spilker, ich bin ja sehr großzügig bei Ihnen, besonders großzügig, wie Sie wissen. Aber nun haben Sie Ihre Redezeit schon um 25 % überschritten. Ich wäre Ihnen schon dankbar, wenn wir langsam zum Ende kämen.
Herr Präsident, ich habe ja noch so viel auf dem Herzen.
Aber da ich Sie überhaupt nicht verstanden habe, höre ich jetzt auf.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Gerhart Rudolf Baum.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß, Herr Schmidt, daß dieser Goldene Plan ein Lieblingskind von Ihnen ist. Das haben wir sehr oft gehört. Das ist natürlich ein typischer Oppositionsantrag. Es wird einem Interessenverband, dem Deutschen Sportbund, etwas vorgemacht, und Sie bleiben die Antwort schuldig. Sie sagen uns nicht, wie Sie das finanzieren wollen.Der Antrag ist überhaupt nicht spezifiziert. Es wird davon gesprochen, die Bundesregierung solle eine „Startfinanzierung" im Haushaltsjahr 1995 geben. Vorsichtigerweise nennen Sie keinen Betrag. Sie geben keine Deckung mit.
Es soll ein Signal sein: Sie sind der bessere Anwalt des Sportaufbaus in den neuen Bundesländern als wir —ein durchsichtiges Manöver, das Ihnen nicht viel helfen wird.Denn die Fakten sehen ganz anders aus. Es sind in der Übergangsfinanzierung sehr viele Mittel zur Verfügung gestellt worden, erstaunlich hohe Beträge für Sportstätten über die kommunale Investitionspauschale. Es ist — wie Herr Kollege Spilker gesagt hat — der Sport in das Investitionsförderungsgesetz aufgenommen worden. Es sind besondere Programme für den Behindertensport und für den Spitzensport gemacht worden. Das Bundesinnenministerium gab von 1991 bis 1994 125 Millionen DM für die Finanzierung von Sportleistungszentren in den neuen Bundesländern aus. Es sind also erhebliche Anstrengungengemacht worden, mit denen wir uns sehen lassen können.Nun machen Sie einen ganz großen Fehler, auf den Herr Spilker schon hingewiesen hat. Die großen Transferleistungen, die wir machen, die wir aus dem Bundeshaushalt den Ländern und Gemeinden in den neuen Bundesländern geben, schließen Sie aus der Betrachtung aus. Die 6,6 Milliarden DM jährlich in einem Zehnjahreszeitraum, die Herr Spilker genannt hat, kommen natürlich auch dem Sport zugute.
Den Finanzausgleich ab 1995, der den Ländern und Gemeinden insgesamt erhebliche Mittel gibt, lassen Sie aus dem Blick. Der Bundeshaushalt ist ausgeplündert, u. a. durch diesen Finanzausgleich.Jetzt müssen Sie in den Ländern und Gemeinden in den neuen Bundesländern dafür sorgen, daß der Sport aus diesen großen Tansferleistungen von etwa 140 Milliarden DM im Jahr aus den alten Bundesländem auch etwas bekommt. Dabei haben Sie unsere volle Unterstützung; das muß geschehen.Ich kann nur noch einmal auf die verfassungsrechtliche Lage hinweisen: Wir sind nicht für die Breitensportförderung zuständig. Das ist in der Übergangszeit nach der Wiedervereinigung praktiziert worden. Da war es richtig; das haben wir alle unterstützt. Wir sind jetzt beim Sport in derselben Situation wie im Bereich der Kultur: Mit Inkrafttreten des neuen Finanzausgleichs, also ab 1995, können wir nicht mehr so eintreten, wie es vorher geschehen ist.Übrigens reden Sie in dem Antrag völlig gemischt — er ist offenbar ganz schnell und irgendwie formuliert worden —:Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, die Kürzungsabsichten in der öffentlichen Sportförderung im nächsten Haushaltsjahr auszusetzen.Wie soll das denn geschehen? Welche Kürzungsabsichten haben Sie denn im Auge? Und wie sollen diese ausgesetzt werden? Wie begründen Sie das? — Das ist lediglich ein Wahlkampfantrag: Wir wollen, daß für unsere Klientel nicht gekürzt wird. Das sagen Sie natürlich nur im Sportbereich; in den anderen Bereichen diskutieren wir das gesondert. Jetzt also wollen Sie, daß da überhaupt nicht mehr gekürzt wird. Ich kann nicht beurteilen, welche Kürzungsnotwendigkeiten vorhanden sind. Kann sich der Sport dem entziehen? Das können Sie doch nicht im Ernst verlangen.Dann wird plötzlich, auch ganz unvermittelt, gefordert, „noch vor der Sommerpause" solle von der Bundesregierung „eine langfristige sportpolitische Konzeption" vorgelegt werden. Als ob es diese nicht gäbe, als ob wir diese Konzeption nicht jahrelang, auch in den letzten Jahren, intensiv miteinander erarbeitet hätten! Was wollen Sie denn von uns: eine neue sportpolitische Konzeption?Ein solcher Antrag ist völlig ungeeignet, völlig undurchdacht. Offenbar hat man sich gesagt, man müsse heute abend etwas vorlegen. So aber bitte
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 20087
Gerhart Rudolf Baumnicht. Es gibt ganz andere Probleme im deutschen Sport, auf die ich noch ganz kurz eingehen will.Die Strukturprobleme des deutschen Sports auf allen Ebenen sind nicht gelöst. Es gibt einen verwaltungsmäßigen Überwuchs: Hier wird viel zuviel verwaltet, es kostet alles viel zuviel. Es wird gar nicht mehr auf den Sportler, auf den Verein, auf die Lebensfähigkeit des Sports insgesamt geachtet. Da gibt es ein Verbändesystem, das für sich arbeitet; hier gibt es Riesenstrukturprobleme. Auch ist es immer noch nicht gelungen, ein Marketingkonzept zu entwickeln, in dem sich die drei Spitzenorganisationen koordinieren. Wir müssen dem Sport bei dem Durchdenken der Verbandsstrukturen helfen. Diese sind einmal in bezug auf den Amateursport entstanden. Den aber haben wir heute weitgehend nicht mehr. Es gibt also weitgehende Struktur- und Modernisierungsprobleme im deutschen Sport.Das, meine Damen und Herren, ist nicht Sache des Staates, wie vieles nicht Sache des Staates ist, was Sie hier ansprechen. Das ist in unserer freien Gesellschaft eine Angelegenheit des Sportes selbst. Das muß er uns sagen. Wir sollten ihm hier nichts vorschreiben.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich erteile nunmehr der Abgeordneten Frau Dr. Ruth Fuchs das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit meinem ersten Satz möchte ich nur einmal zum Ausdruck bringen, daß ich es bedauere, daß meine beiden Vorredner nicht bei der letzten Sportausschußsitzung waren, als Herr Hansen zur Situation des Sports in den neuen Bundesländern eine ausführliche Analyse gegeben hat. Vielleicht wäre dann für manche Probleme doch ein bißchen mehr Verständnis vorhanden gewesen.Trotzdem teile ich, wenn auch aus einem anderen Grund, die Auffassung, daß wir uns nach den Informationen der letzten Woche die heutige Debatte zur Anfrage der SPD eigentlich hätten sparen können. Spätestens nach dem erst vor kurzer Zeit realisierten Gespräch des DSB-Präsidenten Hans Hansen mit Bundeskanzler Helmut Kohl ist die Einstellung der Bundesregierung, Ablehnung der Finanzierung des vom DSB erarbeiteten Konzepts „Goldener Plan", auch öffentlich bekanntgeworden. Die Hoffnung auf projektbezogene und zeitbezogene Hilfe ist in den neuen Bundesländern teilweise in Enttäuschung umgeschlagen.Mit Recht wurde zu DDR-Zeiten die dominierende Förderung des Staates für den Hochleistungssport kritisiert. Nach der Einheit sollte ailes anders werden: endlich eine Entfaltung aller Sportbereiche, Gleichbehandlung, gerechte Förderung aller Sportarten. Mit diesen Losungen wurden viele Hoffnungen und Illusionen bei den sportinteressierten Bürgerinnen undBürgern in den neuen Bundesländern geweckt, deren Realisierung nun heute ausbleibt.Sicher, der DDR kann man vorwerfen, daß sie in die sportliche Infrastruktur zuwenig investierte. Das betrifft vor allem die achtziger Jahre.
— Das ist nicht wahr. — Trotzdem wurde der Sportbetrieb mit großem, vor allem ehrenamtlichen Engagement aufrechterhalten. Hier will ich einmal mit einem Vorurteil aufräumen: Es wird immer nur von den 11 000 hauptamtlichen Mitarbeitern gesprochen, die im Leistungssportbereich tätig waren. Es waren aber über 150 000 Ehrenamtliche außerhalb dieses Bereichs tätig.Nach der Wende war dieses Engagement die wichtigste Grundlage für das Meistern der vielen neuen Probleme. Es entstanden neue Vereine, neue Strukturen. Darauf aufbauend sind jetzt ca. 10 % der Bevölkerung im Freizeit- und Breitensport organisiert. Aber diese Entwicklung stagniert bereits. Sie stößt gegenwärtig an die Grenzen der personellen Betreuung und vor allem an die Grenzen des Sportstättenangebots. Viele Aktivitäten an der Basis sind zum Scheitern verurteilt — trotz Engagement vor Ort —, weil die Bundesregierung an ihrem Grundprinzip, nur Verantwortung für die Förderung des Leistungssports zu haben, festhält, obwohl sie verbal und auch inhaltlich der Bestandsanalyse des DSB zustimmt. Sie zieht aber keine praktikablen Schlußfolgerungen.Irgendwie erinnert mich das an alte Zeiten. 1985 wurde z. B. dem Politbüro der SED eine Vorlage des DTSB „Zur Entwicklung des Breitensports" zugeführt. Und obwohl damals von den Regierenden die Notwendigkeit zum Handeln eingesehen wurde denn die Unzufriedenheit und die Kritik über das mangelnde Angebot im Freizeitsport machte sich unter der Bevölkerung immer lauter bemerkbar —, geschah mit dem Verweis auf die Finanzsituation des Staatshaushaltes nicht sehr viel.Was hat sich nun im Erleben der Menschen diesbezüglich geändert? Für sie zeigt sich global gesehen die gleiche Situation. Schöne Worte, gewichtige politische Erklärungen über die sozialpolitische Bedeutung des Sports, aber letztendlich wird er mit seinen Fragen und Problemen zu sehr alleine gelassen. So sind z. B. die neue Vielfalt der sportlichen Angebote für viele Menschen und für zu viele Jugendliche auch nicht mehr bezahlbar. Statt gezielt Maßnahmen zur Unterstützung des Breitensports, zur Prävention von Kriminalität und aktiver Gesundheitsvorsorge einzuleiten, zieht sich die Bundesregierung auf eine angebliche Nichtzuständigkeit zurück. Solange die Förderung des Sports nicht zu einer Pflichtaufgabe auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene gemacht wird, wird sich an diesem Zustand wohl kaum etwas ändern.Eben wurde von der Investitionspauschale gesprochen. Ich war gestern in Halle, wo der Challenge Day stattfand. Dort waren über hunderttausend Menschen. Halle hat in einem Vergleich den ersten Platz belegt. Dort haben wir gemeinsam mit dem Oberbürgermeister von Halle und mit ehemaligen Olympiasiegern eine Sache initiiert. Wir haben einen Fußball mit
Metadaten/Kopzeile:
20088 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Dr. Ruth Fuchsüber 20 Unterschriften versehen. Wir haben dem Behindertensport gestern 10 000 DM übergeben. Wir versuchen dort schon alles Mögliche, aber eine ideale Situation gibt es im Moment nicht.Auch in dem Wissen, daß der Antrag der SPD in diesem Hause mehrheitlich abgelehnt wird, stimmen wir ihm in allen Punkten zu.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Wieland Sorge das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte in meinen Beitrag ganz gezielt auf die Rede von Herrn Spilker eingehen. Herr Spilker, Sie haben am Anfang gesagt, daß dieses Sportprogramm, das mit dem Goldenen Plan verbunden ist, nicht bezahlbar ist. Das heißt also, Sie gehen davon aus, daß es weder für den Bund noch für die Länder, noch für die Kommunen bezahlbar ist und auch nicht durch den Sport. Dann müßten wir in aller Öffentlichkeit sagen, daß dies nicht zu bezahlen ist.
Dann haben Sie gesagt, daß der Bund rund 25 Milliarden DM bezahlen soll. Das ist selbst in dem von der DOG vorgelegten Programm nicht vorgesehen, sondern der Bund soll 50 % bezahlen und die restlichen 25 % jeweils von Bund und Kommunen getragen werden.
Aber ich sehe ein, daß das eine Riesensumme ist und bei der derzeit angespannten Haushaltslage in 15 Jahren sehr schwer aufzubringen ist. Aber wir sollten jetzt davon ausgehen, was eigentlich machbar ist und was nicht machbar ist.
Wenn es nicht machbar ist, dann sollten wir das auch ehrlich sagen, daß wir uns zu dieser Sache, wie es uns von der DOG als Vorlage gegeben ist, bekennen. Das hat die Bundesregierung auch getan, da die Situation in den neuen Bundesländern so ist. Wenn sie so ist, dann müssen wir uns auch damit begnügen, daß es auf Jahrzehnte noch so sein wird, da wir kein Geld haben, um dieses zu korrigieren.
Wenn wir eine Chance sehen, daß in den 15 Jahren insgesamt eine Angleichung erfolgen kann, muß ich sagen: Ich wundere mich, daß die Bundesregierung nur bemüht ist, aus dem Grundgesetz das herauszuarbeiten, was sie nicht darf, nämlich nur den Leistungssport zu unterstützen und den Breitensport nicht, der ja für die Entwicklung der neuen Bundesländer viel wichtiger ist. Ich vermisse auch den Versuch, mit den Kommunen und mit den Ländern einen Weg zu finden, wie der Bund wenigstens den Einstieg schaffen kann, um diesen Goldenen Plan mit Hilfe der Kommunen und der Länder umzusetzen.
Das hat meiner Meinung nach die Bundesregierung bisher versäumt. Sie sprach immer nur davon, daß sie für den Leistungssport verantwortlich sei.
Dann möchte ich noch folgendes hinzufügen: Unter DDR-Bedingungen wurden auch nur die Leistungsportbereiche gefördert. Das heißt, die Einrichtungen, die dem Leistungssport dienten, bekamen eine starke Förderung, der Breitensport wurde total vernachlässigt.
— Ja, aber das muß man zugeben. — In der DDR hat man nicht darüber gesprochen, das war eben so. — Jetzt verstehen die Leute in den neuen Bundesländern wiederum nicht, daß der Bund sagt, er müsse sich da heraushalten und sei nur für den Leistungssport zuständig. Die Leute sagen jetzt: Da hat sich also an der ganzen Sache nichts geändert.
Als die Bundesregierung 1969, als es darum ging, eine Finanzreform durchzuführen, eine Gesetzesänderung versucht hat, war die Situation doch eine ganz andere. Damals befand sich der Goldene Plan in seiner vollen Entwicklung. Die Länder hatten einigermaßen ausgewogene Verhältnisse, was ihre Situation anging. Aber heute haben wir die Einheit Deutschlands. Wir haben Länder hinzubekommen, die eine ganz andere wirtschaftliche, kulturelle und soziale Lage haben. Aus diesem Grunde muß man doch Übergangsmöglichkeiten schaffen, die ihnen eine reale Chance für einen Einstieg in die Förderung des Breitensports geben. Wenn gesagt wird, daß man 1969 nicht die Möglichkeit bekommen habe, das verfassungsrechtlich durchzusetzen, dann muß man in der heutigen Situation, wenn es notwendig ist, erneut rechnen; denn wir haben heute 1994 und nicht mehr 1969.
Deshalb fordere ich noch einmal: Bitte überlegen Sie, ob wir uns mit dieser Situation zufriedengeben oder ob wir alles tun wollen, unseren Worten, die bisher in diese Richtung gingen, auch Taten folgen zu lassen.
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, unserem Kollegen Eduard Lintner, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon mehrfach anerkennend gewürdigt worden, daß die Bundesregierung im Zuge der Zusammenführung des Sports seit der Wiedervereinigung kräftig und auf vielfältige Weise geholfen hat.
Lassen Sie mich noch einige zusätzliche Aspekte nennen, so etwa die Tatsache, daß wir die Sportfördermittel verdoppelt haben und daß diese gezielten Maßnahmen auch Strukturmittel für die Verbände beinhaltet haben, um eben den in der DDR so lange vernachlässigten Breitensport auf eine völlig neue Basis stellen zu können.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 20089
Parl. Staatssekretär Eduard LintnerIn diesen Zusammenhang gehören auch die Bemühungen der Bundesregierung, alle Sportanlagen in den neuen Ländern schnell in Kommunal-, Landes-bzw. Vereinseigentum zu überführen, um so die Sportausübung in den Vereinen überhaupt erst zu ermöglichen.
Auch durch das erweiterte Grundstücksverbilligungskonzept des Bundes vom Oktober 1992 — ich darf daran erinnern — und die entsprechenden Haushaltsvermerke der Jahre 1993 und 1994 ist sichergestellt worden, daß nahezu alle Sportanlagen in den neuen Ländern entweder kostenlos oder zu einem bloß symbolischen Kaufpreis in Landes- bzw. Kommunaleigentum übertragen werden konnten. Gleiches gilt — Herr Schmidt, Sie wissen das — im übrigen auch für die kostenlose Überlassung von Sportgeräten, die von den Vereinen seit der Vereinigung schon kostenlos benutzt werden konnten.
Durch eine Kommission des Deutschen Sportbundes wurde im Jahre 1992 verdienstvollerweise — wie auch wir sagen — ein Goldener Plan Ost erarbeitet, der eine konkrete und präzise Sportstättenbestandsanalyse der neuen Länder darstellt und in seinem Finanzierungsteil Aussagen über die notwendigen Sanierungs-, Neubau- und Ergänzungsmaßnahmen enthält.Der DSB hat seit Vorlage dieses Memorandums immer wieder ein Sonderprogramm für den Sportstättenbau im Osten unter dem Aspekt „Herstellung gleicher Lebensverhältnisse in Ost und West" gefordert. Die Bundesregierung hat diese Forderung nach einem Sonderprogramm stets als nicht erfüllbar zurückweisen müssen, u. a. schon aus verfassungsrechtlichen Gründen.Frau Kollegin Fuchs, Herr Kollege Sorge, wenn Sie so tun, als gäbe es in der politischen Szenerie derjenigen, die sich um den Sport zu kümmern haben, nur den Bund,
so gehen Sie an der Wirklichkeit, den Zuständigkeiten dieser Republik meilenweit vorbei. Selbstverständlich haben die Lander und Kommunen ganz originäre Zuständigkeiten. Ich muß deshalb darum bitten, diese Zuständigkeitsregelungen, wie sie nun einmal existieren, zu beachten.
— Sie kommen gleich zum Zuge, Herr Kollege Sorge. — Die Bundesregierung hat im übrigen stets versucht, bei der Unterstützung des Sports auch unorthodoxe Wege einzuschlagen, und hatte dabei Erfolg.
Herr Staatssekretär, Sie lassen die Zwischenfrage des Kollegen Wieland Sorge zu?
Bitte schön.
Herr Staatssekretär, geben Sie uns recht, daß die kostenlose Rückführung der Sportstätten an die Kommunen und Vereine — ich beziehe mich auf den ersten Teil Ihrer Ausführungen — in erster Linie auf der Grundlage der Anträge der SPD erfolgt ist und daß es ein zähes Ringen darum gab, diese Dinge durchzusetzen?
— Wir haben das gemeinsam geschafft, und das freut mich. Ich wollte das nur hier darstellen, weil das nicht gesagt wurde.
— Nein, darum geht es überhaupt nicht. Es geht um die Realität.
Ich muß zugeben, daß der Herr Staatssekretär Lintner sehr häufig in den neuen Bundesländern ist. Sie haben gesehen, daß es im Bereich der Sportstätten für den Breitensport dort nicht vorangegangen ist, daß es nur einzelne Entwicklungen gegeben hat.
Sie sagen, der Bund sei nicht allein für den Sport zuständig. Das hat auch niemand behauptet. Aber wenn man die Länder und die Kommunen fragt, was zu tun ist, um dieses Defizit zwischen neuen und alten Bundesländern auszugleichen, sagen sie, sie allein könnten das nicht, sie warteten auf ein Signal des Bundes.
Wenn man den Bund fragt, dann sagt der Bund das Gegenteil.
— Deshalb frage ich jetzt: Herr Staatssekretär, können Sie als Regierung nicht ein klares Signal an die Länder und die Kommunen geben dergestalt, daß sich der Bund zumindest beim Einstieg beteiligt, damit sich Länder und Kommunen endlich auch zu dem Goldenen Plan bekennen und diesen umsetzen?
Einen Moment, Herr Staatssekretär.
Ich möchte noch einmal darauf aufmerksam machen, daß Zwischenfragen, nicht aber Vorträge, die zwischendurch gehalten werden, gestattet sind.
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Sorge, wenn Sie mir im weiteren Verlauf dieser Rede aufmerksam zuhören, so werden Sie, analog zu Ihren Vorstellungen, durchaus ein deutliches Signal vernehmen können.Im übrigen ist die Bundesregierung natürlich nie davor gefeit, daß die guten Gedanken, die die Bun-
Metadaten/Kopzeile:
20090 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Parl. Staatssekretär Eduard Lintnerdesregierung entwickelt, auch von der Opposition aufgegriffen werden.
So war das doch wohl bei der Frage der Abgabe der Sportanlagen an die Kommunen.
Meine Damen und Herren, das Bundesministerium des Innern hat in all seinen Initiativen die im Goldenen Plan Ost enthaltene konkrete Bestandsanalyse der neuen Länder positiv gewürdigt und im Rahmen der Möglichkeiten des Bundes auch durchaus Hilfe zugesichert.Die im SPD-Antrag aufgenommenen Forderungen können nur als unerfüllbare Gefälligkeitsinitiative betrachtet werden. Der Antrag enthält viele schöne Wünsche, aber keinen einzigen konkreten und seriösen Hinweis auf die Finanzierungswege. Im übrigen, Herr Schmidt, existiert der Haushalt 1995 doch noch überhaupt nicht, und schon sprechen Sie von Kürzungsüberlegungen zu diesem Haushalt.
Dieses Manöver mit Ihrem Antrag — auch darauf ist hingewiesen worden — wird die Experten des DSB wohl kaum beeindrucken. Der Antrag ist dazu auch einfach zu durchsichtig.Ich kann noch folgendes anführen: Das Bundesministerium des Innern hat seit der Wiedervereinigung im Bereich des Sportstättenbaus für den Hochleistungssport ganz erhebliche Mittel aufgewendet, im Jahre 1993 beispielsweise 54,5 Millionen DM, 1994 64,5 Millionen DM.
Wir haben diese Mittel trotz der übrigen Kürzungen im Haushalt also noch erhöht. Diese Anlagen kommen ja zumeist auch dem Breitensport zugute und sind ja nicht nur in den Händen des Spitzensports.Für den Breitensport sind den neuen Bundesländern zudem aus verschiedenen Förderprogrammen Infrastrukturmittel zugeflossen. Im übrigen ist das Programm Aufschwung Ost zu erwähnen. Die Gemeinden in den neuen Ländern haben ca. 100 Millionen DM, die aus diesen Topf gekommen sind, für Sportstätten investiert.Die Summe der innerhalb der kommunalen Investitionspauschale 1993 verwendeten Mittel für die Sportstättensanierung kann erst nach Rückmeldung durch die Länder etwa im Juni dieses Jahres beziffert werden. Sie dürfte aber ebenfalls ganz erheblich sein. Wir schätzen über 100 Millionen DM.Dann gibt es noch die ausdrückliche Zusicherung der Bundesregierung — Herr Kollege Sorge, das meinte ich mit meinem Hinweis —, allen voran des Bundeskanzlers persönlich, Sportstättensanierung und Ergänzungsmaßnahmen zu den Förderzweckendes § 3 des Investitionsförderungsgesetzes Aufbau Ost zu zählen.Nachdem sich nunmehr auch die Ministerpräsidenten der neuen Länder in ihrer Regionalkonferenz entgegen dem ursprünglichen Votum der Finanzminister der Länder für die Berücksichtigung der Sportstättensanierung im Rahmen des Investitionsförderungsgesetzes ausgesprochen haben,
können ab 1995 weitere Mittel zur Sportstättensanierung aus dem Jahresvolumen von immerhin insgesamt 6,6 Milliarden DM auf kommunaler Ebene in Anspruch genommen werden. Die Bundesregierung wird bei der Unterzeichnung der Verwaltungsvereinbarung zur Durchführung des Investitionsförderungsgesetzes ausdrücklich auf diesen Aspekt achten.
Durch dieses Programm werden in den neuen Ländern in den nächsten zehn Jahren zusätzliche Mittel zur Stärkung der kommunalen Infrastruktur zur Verfügung gestellt. Damit wird ein wirksamer Beitrag zur Verbesserung auch der von Ihnen angezogenen Lebensverhältnisse in den neuen Ländern geleistet.Letztlich, meine Damen und Herren — da sind wir uns einig; da können Sie im übrigen auch Ihren wertvollen Beitrag leisten —, wird es aber von der Förderpraxis der Lander abhängen, inwieweit der Sport davon profitiert. Wenn es in dem Zusammenhang nach dem Bundesinnenminister ginge, hätten Sportanlagen dabei eine ganz, ganz hohe Priorität.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/7694. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Bei einer Stimmenthaltung ist dieser Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt.Meine Damen und Herren, ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf:Zweite und dritte Beratung des von der Gruppe der PDS/Linke Liste eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes gegen Rassismus und die Diskriminierung ausländischer Bürgerinnen und Bürger
— Drucksache 12/6245 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
— Drucksache 12/7659 —Berichterstattung:Abgeordnete Erika Steinbach Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wolfgang Lüder
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 20091
Vizepräsident Helmuth BeckerNach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist dafür eine Aussprache von einer halben Stunde vorgesehen, wobei die Gruppe PDS/Linke Liste 10 Minuten erhalten soll. — Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst der Frau Kollegin Ulla Jelpke das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist natürlich ein reiner Zufall, daß die Debatte um ein Antirassismusgesetz heute fast auf den Tag genau zum Jahrestag der Brandanschläge und Morde von Solingen stattfindet. Ich möchte die Gelegenheit wahrnehmen, an die damaligen Ereignisse zu erinnern. In den Flammen starben fünf Menschen, weitere wurden schwer verletzt, so daß sie bis heute von ihren Wunden gezeichnet sind.Obwohl die Brandanschläge in Solingen nicht aus heiterem Himmel stattfanden, lösten sie heftigere Reaktionen aus als andere rassistische Mordanschläge. Aus allen Parteien, auch aus der Union, aus gesellschaftlichen Organisationen wie Gewerkschaften und Kirchen, Initiativen und Vereinen wurden massive Forderungen nach einer Tendenzwende in der deutschen Innenpolitik erhoben.Im Vordergrund standen mehr, am besten gleiche politische und soziale Rechte für alle hier lebenden Menschen. Mindestforderungen waren die Zulassung der doppelten Staatsbürgerschaft und die Erleichterung der Einbürgerung. Gefordert wurden Klimaveränderung, Aufklärung und Toleranz sowie Maßnahmen gegen die alltäglichen Diskriminierungen und Vorurteile.Heute, ein Jahr später, muß man feststellen, daß nichts dergleichen tatsächlich angepackt worden ist. In diesem Jahr erhielten Ausländerinnen und Ausländer nicht mehr Rechte, ihre Situation wurde ganz im Gegenteil durch Gesetzgebung und administrative Verordnungen trotz alledem verschlechtert.In Solingen selbst wird erst jetzt, ein Jahr nach den Morden, der organisierte Hintergrund des Rechtsextremismus in der Stadt offiziell zur Kenntnis genommen. Glauben Sie mir: Die Situation für die Angehörigen der Opfer im Gerichtssaal wäre nicht so deprimierend, wenn die öffentliche Atmosphäre eine andere wäre.Meine Damen und Herren, wir sind uns völlig darüber im klaren, daß die Aufhebung von diskriminierenden Strukturen durch ein Antirassismusgesetz nicht von heute auf morgen die Ausländerfeindlichkeit und den Rassismus beseitigen wird. Klar war und ist aber auch, daß die Aufhebung dieser Diskriminierung eine wesentliche Voraussetzung dafür schafft, um die Betroffenen und den Widerstand gegen den wachsenden Rassismus zu stärken.In diesem Punkt sind wir uns einig mit einer ganzen Reihe von Interessenverbänden, mit den Kirchen, mit Teilen der SPD und mit dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Forderungen in diese Richtung gibt es schon lange aus den Gremien der Europäischen Union bzw. des Europarates. Die Bundesregierung wurde schondirekt aufgefordert, Antidiskriminierungsrichtlinien zu erlassen.Der Entwurf für ein Antidiskriminierungs- bzw. Antirassismusgesetz, der heute diskutiert wird, geht von diesem Gedanken und diesen Forderungen aus. Er fordert eine erste antirassistische Bereinigung der deutschen Gesetze und Verordnungen, die diskriminierende Folgen haben. Er fordert die Möglichkeit, gegen die Diskriminierung bei Wohnungs- und Arbeitsplatzvergabe vorgehen und gegebenenfalls Entschädigungen für rassistisch motiviertes Unrecht einklagen zu können. Er fordert die Aufhebung der Beschränkungen für Ausländerinnen und Ausländer in den Grundrechten des Grundgesetzes. Er fordert die Erweiterung der Kompetenzen der oder des Ausländerbeauftragten. Er fordert auch die Verbesserung der Unterstützungsmöglichkeiten der von rassistischem Unrecht oder Handlungen betroffenen Menschen durch Initiativen oder Verbände.Ein Blick in jede beliebige Tageszeitung belehrt jeden, der sich noch belehren lassen will, wie dringend notwendig ein derartiges Gesetz ist. Wie viele sogenannte taktische Fehler — wie erst jetzt wieder in Halle — dürfen Polizisten in diesem Land noch begehen, bis man von einer latenten Ausländerfeindlichkeit und der Begünstigung von Rechtsextremisten bei Einsatzleitungen und Personal reden darf?Gerade heute morgen hat Amnesty International zum wiederholten Mal öffentlich rassistische Übergriffe, die von der Polizei begangen wurden, angeklagt. Dabei geht es mir keineswegs darum zu behaupten, Polizei oder Bundeswehr seien rassistischer als der Rest der Bevölkerung. Entsetzlich ist doch, daß sich hier durchschnittlicher Rassismus und durchschnittliche Ausländerfeindlichkeit mit staatlicher Macht paaren können und die berufsübliche Kumpanei das abdeckt.Dasselbe gilt im übrigen auch für Hausbesitzer und Unternehmen, übrigens auch staatliche und kommunale. Es geht auch hier nicht darum, Haus- und Wohnungsbesitzern besonderen Rassismus zuzusprechen, wenn sie ausländische Mieter nicht haben wollen. Schlimm ist doch, daß sie ihre Machtposition diskriminierend einsetzen und einsetzen können und sich dabei offene oder heimliche Zustimmung und Unterstützung erhoffen können. Es gibt bisher keine Grundlage, auf der sich die Betroffenen dagegen zur Wehr setzen können.Ich frage mich, was das für Verhältnisse sind, in denen sich ein Arbeitsamtspräsident aus Nürnberg damit brüsten kann, daß — ich zitiere — ausländische Arbeitskräfte als Neulinge auf dem Arbeitsmarkt kaum noch Chancen haben, weil er einen strikten Kurs der Bevorzugung deutscher Arbeitsloser fährt. Ich muß hinzufügen, daß er diesen Kurs auch fahren muß, weil der sogenannte Blüm-Erlaß diese Praxis bundesweit so vorschreibt. Zu rassistisch bedingten Formen der Arbeitslosigkeit kommt so noch eine ganz besondere Form hinsichtlich nationaler Kriterien hinzu.Ich möchte ergänzen, daß es zur Zeit sehr viele ausländische Kollegen und Kolleginnen gibt, die seit
Metadaten/Kopzeile:
20092 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Ulla Jelpkevielen Jahren hier arbeiten und die zu den Ämtern zitiert werden, wo ihnen mitgeteilt wird: Ein Deutscher bzw. Europäer hat Anspruch auf seinen oder ihren Arbeitsplatz angemeldet.Im letzten Jahr hat sich auch das öffentliche und politische Klima für die genannten Forderungen verschlechtert. Auch die kleinsten Verbesserungen im Ausländerrecht — ich nenne hier noch einmal nur § 19 des Ausländergesetzes und das ganze Problem der Familienzusammenführung und der Abschiebung von Kindern und Jugendlichen — wurde mit gewaltigen Mehrheiten in diesem Hause abgelehnt. Für den Bundesratsentwurf zur Erleichterung der Einbürgerung und der doppelten Staatsbürgerschaft stimmten zuletzt nur noch BÜNDNIS 90 und die PDS/Linke Liste. Versprochen ist jetzt eine grundlegende Reform des Staatsangehörigkeitsrechts für die nächste Legislaturperiode, aber wiederum auf der Grundlage des Abstammungsrechts, und dies ohne Wenn und Aber.Das vorliegende Antirassismusgesetz ist der SPD nicht weitgehend genug, der F.D.P. schießt es dagegen zu weit über das Ziel hinaus. Deshalb wurde es in den Ausschüssen erst einmal verschoben, ohne eine einzige Alternative für diesen Bereich vorzulegen. Dabei hätten diese beiden Fraktionen in den letzten Jahren alle Zeit der Welt gehabt, ausgefeilte Entwürfe vorzulegen. Sie hatten genügend Möglichkeiten, ihren großen Worten auf Tagungen und Konferenzen Ansätze von Lösungen folgen zu lassen. Sie hatten schlicht und einfach andere Schwerpunkte.Besonders die Regierungsfraktionen waren damit beschäftigt, im Asylrecht und im Ausländergesetz die letzten Lücken zu schließen. Die Jagd nach Mißbrauchsmöglichkeiten beim Familiennachzug und beim eigenständigen Aufenthaltsrecht für Frauen ließ keine Luft, um über gesetzliche Möglichkeiten zur Einschränkung von institutioneller, juristischer und sozialer Diskriminierung nachzudenken. Wo kein Wille ist, ist meines Erachtens auch kein Weg.Kollege Schmude hat in der Aktuellen Stunde zu Magdeburg eindrucksvoll davor gewarnt, daß wir „unser Land nicht wiedererkennen", wenn die innere Zerstörung erst Breitenwirkung gewonnen hat. Ich sage Ihnen, diese innere Zerstörung ist mit dem Regierungsprogramm, insbesondere der Asyl- und Ausländerpolitik, erreicht worden. Steigende Hitzegrade in der Öffentlichkeit als Folge der Asyldebatte haben nach Innenminister Kanther der CDU-Politik zum Durchbruch verholfen. Wer so redet und handelt, der nutzt auch weiterhin die verschärfte Diskriminierung von Ausländern und Ausländerinnen zur Erhöhung der Erfolgsaussichten seiner Politik.Die Zustimmung zu unserem Antirassismusgesetz wäre ein Signal gewesen. Gleichwohl weiß ich, daß die meisten Fraktionen dies heute ablehnen werden.Danke.
Frau Kollegin Jelpke, ich glaube nicht, daß Sie in Ihren letzten Sätzen zum Ausdruck bringen wollten, daß ein Mitglied der Bundesregierung Ausländer diskriminieren will. Ich hoffe, daß Sie dies nicht meinen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, nächster Redner ist jetzt unser Kollege Meinrad Belle.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Man kann alle Leute eine Zeitlang zum Narren halten, man kann auch einige Leute eine ganze Zeit zum Narren halten, aber man kann nicht alle Leute die ganze Zeit zum Narren halten. An diese Aussage von Abraham Lincoln wurde ich unwillkürlich erinnert, als ich mich mit diesem Gesetzentwurf und den Unterlagen heute nochmals beschäftigte.Frau Jelpke, Sie gaukeln vor, mit dem Entwurf eines Gesetzes gegen Rassismus und die Diskriminierung ausländischer Bürgerinnen und Bürger würde es Ihnen um eine echte Lösung der Probleme gehen. Tatsache ist, meine Damen und Herren: Bei den für Sie so wichtigen Beratungen im federführenden Ausschuß, im Innenausschuß, und in zwei von vier mitberatenden Ausschüssen war kein Vertreter Ihrer Gruppe anwesend.Sie gaukeln vor, mit diesem Gesetzentwurf könne eine tatsächliche und rechtliche Gleichstellung der ausländischen Bürgerinnen und Barger in der Bundesrepublik Deutschland erreicht werden. Tatsache ist, daß kein Staat der Welt in seiner Rechtsordnung auf eine unterschiedliche Behandlung seiner Staatsbürger und der Ausländer verzichten kann, weil einfach sachliche Gründe, z. B. die öffentliche Sicherheit, auch der Arbeitsmarkt, eine Differenzierung notwendig machen.Sie gaukeln vor, daß mit Gesetzen den bei uns leider immer wieder festzustellenden Fällen von Ausländerdiskriminierung begegnet werden kann. Tatsache ist, daß die Ursachen von Ausländerfeindlichkeit — Unkenntnis, Angst und Diskriminierung — tiefer liegen; sie sind in den Köpfen zu finden. Hier muß mit anderen Maßnahmen entgegengewirkt werden.Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion leimt daher Ihren effekthascherischen Gesetzentwurf ab. Wir gehen gemeinsam mit unserem Koalitionspartner einen anderen, den richtigen Weg:Erstens. Bei jeder Beratung eines Gesetzentwurfes prüfen wir ernsthaft, ob vorhandene unterschiedliche Regelungen für Deutsche und hier lebende Ausländer beibehalten werden müssen oder eine Verbesserung im Sinne einer Integration erreicht werden kann. Positive Veränderungen und Fortschritte, mögen sie dem einen oder anderen auch noch nicht weit genug gehen — ich will hier auch unterschiedliche Auffassungen in der Größe der erforderlichen Schritte und ebenso im notwendigen Tempo gar nicht bestreiten —, können wir in dieser Legislaturperiode auf jeden Fall im Ausländerrecht, im Staatsangehörigkeitsrecht oder auch beim demnächst zu verabschiedenden Ausländerzentralregistergesetz feststellen.Zweitens. Nun hören Sie mir bitte genau zu, weil Sie das vorhin beanstandet haben: Mit der gemeinsamen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 20093
Meinrad BelleOffensive gegen Gewalt und Fremdenfeindlichkeit wollen wir zusammen mit den Bundesländern und allen interessierten Gruppierungen durch Gewaltprävention bei Jugendlichen, mit Aufklärungs- und Integrationsmaßnahmen, aber auch mit einem entschiedenen Vorgehen von Polizei und Justiz die Ursachen bekämpfen, denn helfen kann natürlich nur eine Bündelung aller Maßnahmen.Den Bericht der Bundesregierung vom Januar 1994 zum Stand dieser Offensive, den Sie offensichtlich noch nie gesehen haben, empfehle ich daher Ihrer aufmerksamen Beachtung.Abschließend lade ich Sie alle, meine Damen und Herren, sehr herzlich ein, an dieser Offensive gegen Gewalt und Fremdenfeindlichkeit mitzuwirken, und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Nächste Rednerin ist jetzt unsere Frau Kollegin Dr. Cornelie SonntagWolgast.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß über umfassende Gesetze gegen die Benachteiligung ausländischer Bürgerinnen und Barger nachgedacht wird, halte ich für absolut verständlich und legitim. Schließlich haben wir es mit einer Welle von Gewalttaten und Schmähungen zu tun, wobei die Palette von Geringschätzung und Beschimpfungen bis hin zum Mordanschlag reicht.Die Entwicklungen und Ereignisse der vergangenen Jahre waren es, die das Thema Antidiskriminierungsgesetz — oder wie man es immer nennen mag — auf die Tagesordnung gebracht haben. Menschenrechtsorganisationen, Wohlfahrtsverbände, Kirchen und Gewerkschaften, politische Stiftungen und einzelne Bundesländer befassen sich intensiv mit der Problematik; eine Tagung jagt die andere.Der Gesetzentwurf, über den wir heute abstimmen, enthält durchaus einzelne Vorschläge, die wir nachvollziehen, vielleicht auch unterstützen könnten. Dazu zählen einige Forderungen zur Aufwertung des Amtes der Ausländerbeauftragten, die die SPD schon vor Jahren angemahnt hat, und dazu zählen auch Bemühungen, Ausländern den Zugang zu Beamtentätigkeiten zu öffnen, weiterhin Verbesserungen beim BAföG und im Hochschulrahmengesetz, um nur diese Beispiele herauszugreifen.Die SPD wird dennoch den Gesetzentwurf ablehnen. Sie hält ihn für im Ansatz zu weit und zugleich für zu eng gefaßt, und ich will diesen scheinbaren Widerspruch kurz erläutern.Das fängt schon mit dem Namen an, liebe Kollegen und Kolleginnen. Wir behandeln hier ein Antirassismusgesetz, und ich sage Ihnen: Wenn Sie Benachteiligungen bestimmter Gruppen in dieser Gesellschaft bekämpfen wollen, wären ebenso auch Behinderte, Homosexuelle, Obdachlose und andere zu nennen, gegen die sich ja in jüngster Zeit jenes Gebräu von Feindseligkeit, von sozialem Frust, Vorurteilen und dümmlicher Hochnäsigkeit richtet. Es sind insgesamt die Geschmähten und die an den Rand Gedrängten,die sich schlechter wehren können als andere und deshalb als Zielscheibe der Aggressionen und Vorurteile herhalten müssen.Gesetze aber, liebe Kollegen und Kolleginnen, fegen Gesinnungen nicht weg. Rassismus nistet in den Köpfen und den Fäusten, und ihn schafft man kaum mit Paragraphen ab, sehr viel eher durch eine mutige und engagierte Offensive der gesamten Gesellschaft; und damit meine ich jetzt nicht unbedingt die verordnete, sondern insgesamt eine spontane, von den Bürgern herrührende.
Die PDS/Linke Liste verengt andererseits den Begriff auf die Benachteiligung von Ausländerinnen und Ausländern, und sie will zugleich durch ihr Gesetz eine Reihe ausländerrechtlicher Bestimmungen ändern oder abschaffen. Nun sind wir von der sozialdemokratischen Fraktion wahrhaftig weit davon entfernt, auf das geltende Ausländergesetz, Frau Jelpke, ein Loblied anzustimmen, und das wissen auch Sie. Wir halten es in wichtigen Teilen für zu restriktiv, und deshalb haben wir ja auch eine Reihe von Änderungen in einer Gesetzesnovelle eingebracht. Mangelnde Aktivität können Sie uns, glaube ich, auf diesem Gebiet wirklich nicht vorhalten. Dennoch muß auch ich sagen: Rassismus ist eine schlimme, in unserem Land durchaus vorhandene, um sich greifende Erscheinung. Aber der Behauptung, daß das Ausländerrecht insgesamt rassistisch geprägt sei, kann ich mich so nicht anschließen. Nein, das kann man so wirklich nicht sagen.
Wer im übrigen solche schwerwiegenden Begriffe inflationär benutzt, der verniedlicht ihre wahre Bedeutung, und davor kann ich nur dringend warnen.
Fragen wir uns aber, welche Zielsetzung ein Gesetz haben sollte, das benachteiligten Gruppen wirklich helfen kann. Nach meiner Meinung taugt kaum ein umfassendes Gesetzespaket mit lauter Verboten und Sanktionen, also ein rein negativ gefaßter Katalog. Mir geht es eher um Gebote mit dem Blick nach vorn. Gleichbehandlung fördern nützt der Integration und der Chancengleichheit mehr als die Ahndung abwertender Behandlung.Deshalb auch an dieser Stelle ein Wort zur aktuellen Auseinandersetzung um unsere Verfassungsreform: Es ist ja erfreulich, meine Damen und Herren, daß sich der Bundeskanzler nun der Forderung der SPD nach einem Benachteiligungsverbot für Behinderte im Grundgesetz anschließen will. Es wäre noch sehr viel erfreulicher, wenn er die Identität von Minderheiten nicht nur als achtenswert, sondern als schützens- und förderungswürdig ausdrücklich in der Verfassung verankern würde, wie wir es gefordert haben.
Metadaten/Kopzeile:
20094 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Dr. Cornelie Sonntag-WolgastDenn das wäre wirklich ein Schritt nach vorn und ein positives Zeichen auch für diejenigen, über deren Lage, Situation und Behandlung wir heute debattieren.Was also ist zu tun, um Diskriminierung abzubauen? Wie wir vorgehen, haben wir auf dem Gebiet des Ausländergesetzes mit unseren Initiativen etwa für den eigenständigen Aufenthaltsstatus ausländischer Ehegatten, für die erleichterte Einbürgerung, für einen besseren Status der Geduldeten und der Bürgerkriegsflüchtlinge und für die Einführung des kommunalen Ausländerwahlrechts auch für Menschen aus Staaten außerhalb der Europäischen Union gezeigt. Wir sind außerdem im Moment dabei, gesetzliche Regelungen und Vorschriften daraufhin abzuklopfen, ob sie benachteiligen und diskriminieren.Gefragt sind dabei viele Zuständigkeitsbereiche, die Innen- und die Rechtspolitik, Sozialgesetzgebung, Jugend-, Frauen-, Familien- und Seniorenpolitik. Ein zentrales Amt etwa für Integrations- und Migrationsfragen könnte zugleich als Anlaufstelle und Beschwerdeinstanz für Fragen der Gleichbehandlung von Minderheiten und Randgruppen dienen. Ähnliches könnte auf Länderebene und in den Gemeinden ein Netzwerk leisten, bei dem Betroffene mit Juristen und Politikern, mit den Ausländerbeauftragten und den Ombudsleuten für Behinderte, mit sozialen Diensten und Verbänden im ständigen Dialog und Erfahrungsaustausch stehen.Wir arbeiten auch an Initiativen, mit denen gewisse rechtliche Bestimmungen verbessert bzw. korrigiert werden können. Dafür als Beispiel etwa: erleichterte Zugangsbedingungen für ausländische Bürger zum Beamtenstatus, Mitgliedschaft und passives Wahlrecht in öffentlich-rechtlichen Standes- und Berufsorganisationen, Kommissionen und Beauftragte in Betrieben, die — ähnlich wie wir es ja beim Gleichstellungsgesetz der SPD vorschlagen — mit eventuellen Beschwerden befaßt werden.Es muß auch möglich sein, meine Damen und Herren, Werbung mit offen diskriminierenden Inhalten, auch Wahlspots rechtsextremistischer Parteien, straf- und presserechtlich zu verfolgen. Ich finde, daß Konzessionen an Gaststätten an die Bedingung geknüpft werden sollten, daß die Inhaber nicht etwa Gäste abweisen, weil ihnen deren Hautfarbe, Kleidung oder Nase nicht gefällt.
Die Reihe der Beispiele läßt sich verlängern. Wir jedenfalls arbeiten an einem Konzept, das die Diskriminierung von Menschen ausschaltet, ohne diese wiederum in eine Schutzhülle zu packen; denn die würde die Betroffenen eher isolieren und ausgrenzen.Eine Mahnung zum Schluß: Wir sollten, liebe Kollegen und Kolleginnen, den Menschen keineswegs vorgaukeln, ein Antirassismusgesetz oder auch ein Antidiskriminierungsgesetz oder eine wie auch immer geartete Verbesserung und Korrektur einzelner Bestimmungen seien so etwas wie die Zauberwaffe gegen die fatale Neigung mancher Leute hierzulande, ihren Frust und ihren Haß, ihre Feindseligkeit und ihre Aggressionen an denen auszulassen, diesich mangels einflußreicher Lobbies oder mangels eigener Körperkraft nicht oder nur unzulänglich wehren können. Denn der schlimme Wahn, es gebe Menschen zweiter und dritter Kategorie, die man getrost verächtlich machen, diffamieren und zu Prügelknaben stempeln kann, ist durch Gesetzesmacht leider nicht auszutreiben.Ich fürchte auch, daß er sich andere, versteckte Wege suchen wird. Welcher Wohnungsbesitzer z. B. ist schon so plump, einem Ausländer als Bewerber eine Absage zu geben mit dem Satz: An Ihresgleichen vermiete ich nicht? Welcher Türsteher in der Disko übt sich nicht in raffinierteren Methoden bei der Zurückweisung eines unwillkommenen Gastes als nur mit dem Hinweis auf einen fremdländischen Akzent?Ich finde, die heimliche, die indirekte, die schwer faßbare Diskriminierung ist es doch, die sich der Ahndung entzieht. Gegen diese boshaften, raffinierten Formen der Benachteiligung hilft nun einmal am besten die Wachsamkeit, die Courage der Mitbürger, ihr Gespür für Gerechtigkeit und ihr Mut, immer wieder hinzuschauen, wenn jemand gekränkt und zurückgestoßen wird, und einzugreifen.
Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um eine Gesellschaft, die sich darauf besinnt, daß sie ein Wächteramt für die Würde jedes einzelnen hat und auch wahrnehmen soll. Kein neues Gesetz — sei es noch so klug und gut — nimmt uns diese Aufgabe ab.Ich danke Ihnen.
Herr Kollege Dr. Burkhard Hirsch, Sie haben jetzt das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In weiten Teilen kann ich mich dem, was Frau Sonntag-Wolgast hier gesagt hat, anschließen. Mich widert Rassismus an, mich widert Ausländerfeindlichkeit an. Es ist ganz offensichtlich, daß wir sie in unserer Gesellschaft nicht überwunden haben. Man ist ja manchmal wirklich froh, wenn man nicht am Abend in den Nachrichten wieder von irgendeinem Pogrom hört, das uns beschämt.Es gehört für mich schon zu den negativen Erfahrungen in diesem Haus, daß wir uns bisher über eine Minderheitenklausel in der Verfassung nicht haben einigen können. Es ist ja die nackte Wahrheit, daß die Union sie verweigert. Wenn wir nicht einmal sagen, daß wir Minderheiten achten, mit welchem Recht erwarten wir eigentlich von anderen Ländern, daß sie eine vernünftige Ausländerpolitik betreiben? Wenn der Staat nicht bereit ist, Minderheiten zu achten, mit welchem Recht erwarten wir eigentlich, daß der einzelne Bürger das tut? Ich halte das für eine ganz schlimme und bedauerliche politische Entwicklung.Aber man muß den Verfassern dieses Gesetzentwurfs natürlich auch sagen: Mich irritiert immer
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 20095
Dr. Burkhard Hirschwieder der Gegensatz zwischen dem, was Sie fordern, und dem, was Ihre Partei in der Zeit getan hat, als sie in der DDR eine solche Politik ja hätte machen können. Ein Teil dessen, was wir an Ausländerfeindlichkeit in unserer Gesellschaft erleben, beruht doch auch darauf, daß die Bevölkerung in den neuen Bundesländern gar nicht in die Lage versetzt wurde, Ausländer kennenzulernen und mit ihnen zusammenzuleben. Sie waren ja Arbeitssklaven in dieser Gesellschaft und wurden „Fidschis" und „Briketts" genannt. Auch das sind doch Folgen, denen man sich stellen muß und die man nicht einfach schlankweg übergehen kann.Es ist richtig, daß sich Ausländerfeindlichkeit in unserer Gesellschaft nicht nur in Krawallen äußert, sondern in täglichen Diskriminierungen, im alltäglichen Leben: bei der Wohnungssuche und im Bildungsbereich. Am wenigsten geschieht dies, meine ich, bei der Arbeit, wobei übrigens viel zuwenig beachtet wird, daß die Ausländer von Anfang an das aktive und passive Wahlrecht zu den Betriebsräten und Personalvertretungen hatten und haben. Wir werden über diese Diskriminierungen im Alltag im einzelnen bei der Beratung des Berichtes der Ausländerbeauftragten reden können.Der hier vorgelegte Gesetzentwurf ist auf der einen Seite von demonstrativem Perfektionismus und auf der anderen Seite für meine Begriffe oberflächlich. Er will zahlreiche Anspruchsgrundlagen bei behaupteten Diskriminierungen einführen — natürlich bei Umkehr der Beweislast, mit der Möglichkeit für den Ausländerbeauftragten, den Anspruch dem Kläger wegzunehmen, ihn einem Abmahnverein zu übertragen, den anzuerkennen oder die Anerkennung zurückzunehmen. Dabei sollen Ansprüche nicht nur für rassistische Diskriminierung im eigentlichen Sinn, sondern für jede Benachteiligung eines Ausländers gelten. Damit kollidieren sie natürlich mit dem Vermittlungsvorrang für Deutsche und Unionsbürger.Die Rechtsstellung der Ausländerbeauftragten soll auch nach unserer Meinung gesetzlich geregelt werden. Dem stimmen wir zu. Aber Sie dürfen die heute gegebenen Möglichkeiten nicht unterschätzen, weil die gegenwärtige Ausländerbeauftragte alle Möglichkeiten eines Parlamentariers hat, weil geregelt ist, daß jedes Jahr dem Bundestag ein Bericht erstattet werden darf. Allerdings muß ich sagen, daß die Erfahrung, die sie in ihrer Arbeit gemacht hat, insbesondere bei der mangelnden Beteiligung an gesetzgeberischen Vorhaben, zu einer gesetzlichen Regelung drängt.Sie schlagen in einem Gesetzentwurf die Bereinigung einiger Gesetze von Sonderregelungen für Ausländer vor. Auch das haben wir verschiedentlich angeregt und gefordert, wobei wir aber nicht an ein paar hausgemachte Regelungen denken, sondern an die Einsetzung einer Kommission nach niederländischem Vorbild, die das gesamte Recht daraufhin durchforstet, welche Sonderregelungen für Ausländer wirklich noch notwendig sind und welche nicht. Das wird eine Arbeit sein, die bei seriöser Durchführung ein bis zwei Jahre in Anspruch nehmen muß. Wir beabsichtigen, das in der nächsten Legislaturperiode ins Werk zu setzen.
Zusammenfassend muß ich zu dem Gesetzentwurf sagen, daß er eine Reihe von Ansätzen enthält, die auch wir verfolgen, daß er aber in der vorgelegten Form nicht angenommen werden kann. Wir können und dürfen im übrigen nicht vergessen, daß die Bekämpfung von Rassismus und Ausländerfeindlichkeit eben nicht nur eine Sache des Gesetzes und des Gesetzgebers ist, sondern des täglichen Lebens in der Gesellschaft, die wir bisher nicht in der Weise mobilisiert haben, wie es nötig wäre. Das geht uns alle an. Es ist eine unverzichtbare Daueraufgabe, wenn wir ein moderner und ein demokratischer Staat bleiben wollen.Ich möchte nicht schließen, ohne auch an Teile des Hauses zu appellieren, in der Frage einer modernen Ausländergesetzgebung und -- ich sage es noch einmal — gerade einer demonstrativen Bestätigung des Minderheitenschutzes oder der Achtung vor Minderheiten in unserer Verfassung doch ihre Position zu überdenken, weil das von ganz wesentlicher Bedeutung für das Klima in unserem Land und für unser Ansehen in der Welt sein wird.
Nun hat das Wort unser Kollege Konrad Weiß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mir die Mühe gemacht und einmal im Wahlprogramm der PDS nachgesehen, weil ich wissen wollte: Wie würde denn die PDS, wenn sie denn — was, Gott behüte, nicht geschehe — politische Verantwortung übernähme, dieses Gesetz umsetzen?Ich bin in einem Kapitel mit der Überschrift „Energischer Widerstand gegen Rechtsruck und Rassismus" auf eine interessante Aussage gestoßen, die ich mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, zitiere:Die Entwicklung in der BRD ist durch die Zerstörung politischer Kultur und die Stärke rechtsextremistischer und neofaschistischer Kräfte gekennzeichnet. Der Kampf gegen rechts beginnt mit der Kritik an der konservativ-liberalen Regierung, weil sie für diese Entwicklung hauptverantwortlich ist.Meine Damen und Herren, bei aller Kritik an der Bundesregierung und an der Koalition, die auch ich teile: Diese Aussage ist fahrlässig und gefährlich. Sie ist fahrlässig und gefährlich, weil sie die wirklichen Ursachen verschleiert. Sie ist auch unehrlich, weil sich die PDS wieder einmal aus der Verantwortung herausnimmt, die sie als SED zu tragen hatte.
Um Zwischenrufe vorwegzunehmen: Ich weiß, Frau Jelpke, Sie haben dieses Gesetz eingebracht, und Sie haben mit dem, was in der DDR unter der Verantwortung der SED geschehen ist, persönlich nichts zu tun, aber Sie sind in dieser Partei, und Sie tragen deshalb eben auch Verantwortung dieser Partei mit.Ich möchte Ihnen ein aktuelles Beispiel nennen: Heute wurde in Erfurt der Neofaschist Thomas Dienel
Metadaten/Kopzeile:
20096 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Konrad Weiß
zu viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt — Gott sei Dank —, nicht nur, weil er gegen Ausländer vorgegangen ist, sondern auch, weil er sich auf unglaubliche und empörende Art und Weise rassistischer Äußerungen schuldig gemacht hat. Er hat u. a. zu Simon Wiesenthal gesagt, er wolle dafür sorgen, daß der Ofen in Buchenwald wieder angeheizt wird.Dieser Neonazi Thomas Dienel war von 1979 bis zur Wende Mitglied der SED.
Und dieser Thomas Dienel war Mitglied der FDJ-Bezirksleitung in Gera oder in Suhl, das weiß ich jetzt nicht genau.
Und leider, das muß ich sagen, sind solche ehemaligen SED-Kader, die heute in neofaschistischen Parteien sind, keine Ausnahme.
Ich kann nicht einsehen, inwieweit die Bundesregierung oder irgendein westdeutscher Politiker oder irgend jemand in Westdeutschland für diesen Thomas Dienel verantwortlich ist. Das ist ein Produkt der DDR, und das ein Produkt der SED. Es widerstrebt mir deshalb, über das Antirassismusgesetz einer Partei zu sprechen, die, als sie an der Macht war, Verantwortung trug für den schlimmsten Rassismus und auch für die schlimmste Ausgrenzung.
Auch hierfür will ich Beispiele nennen.
Bis zum Ende der DDR hat es einen massiven Antizionismus und eine massive Feindschaft gegen Israel gegeben. Was war das denn anderes als Antisemitismus und Rassismus? Bis zuletzt hat es eine Zweiklassengesellschaft gegeben, eine Zweiklassengesellschaft von Opfern und Widerstandskämpfern. Die Opfer waren diejenigen, die aus rassischen Gründen verfolgt waren, die in den Konzentrationslagern waren, die dann aber, nur weil sie Opfer waren und weil sie nicht Kommunisten waren, weniger Rente bekommen haben, die diskriminiert und benachteiligt waren usw. usf.Und schließlich hat auch die Isolation— der Kollege Hirsch hat darauf schon hingewiesen — dazu beigetragen, daß sich dieser Rassismus in der DDR ausbreiten konnte.Weder im vorliegenden Antrag noch im Wahlprogramm der PDS findet sich ein Wort des Bedauerns, nicht ein Gedanke der Wiedergutmachung, kein Konzept, wie Recht und Gerechtigkeit geschaffen werden sollen. Deshalb denke ich, dieses Gesetz ist nichts anderes als leere Propaganda.Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, letzter Redner in dieser Debatte ist Staatssekretär Eduard Lintner.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich für die Bundesregierung noch einige zusätzliche Feststellungen treffen.
Der vorliegende Gesetzentwurf der Gruppe PDS/ Linke Liste ist nach unserer Auffassung — und hier stimmen wir ja weitgehend überein — nicht geeignet, aktuelle Probleme im Bereich der Ausländerpolitik sachgerecht zu lösen. Das ergibt sich schon aus der Konzeption des Entwurfs; denn er geht davon aus, daß die Bundesrepublik Deutschland ein Einwanderungsland sei.
Einwanderungsland ist aber nach allgemeingültiger Definition nur ein Land, das eine gezielte, auf Zuwanderung gerichtete Politik betreibt, was bei uns aus guten Gründen nicht der Fall ist. Im Gegenteil, meine Damen und Herren: Wir müssen alles versuchen, um die Zuwanderung aus Drittstaaten soweit wie möglich zu beschränken. Auch danach haben wir — wie Sie alle ja wissen — mehr als genug legale Zuwanderung, die uns schon jetzt vor schwierigste Probleme stellt. Insgesamt lassen wir jährlich zwischen 600 000 und 800 000 Menschen einreisen, was nur — so ist manchmal mein Eindruck — zuwenig bekannt ist. Über diesen Rahmen hinaus gibt es keinen Spielraum für weitere Aufnahmen.
Angesichts dieser Situation macht es keinen Sinn, wenn wir uns dennoch zu einem Einwanderungsland erklären würden, wie Sie es unterstellen. Wir könnten die damit in vielen Teilen der Welt geweckten Hoffnungen ohnehin niemals erfüllen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 20097
Herr Kollege Wartenberg, es gibt offenbar immer noch Aufklärungsbedarf,
sonst hätte ich diese Bemerkungen nicht zu machen. Der Antrag, der heute Gegenstand der Debatte ist, zeigt ja, daß dieser Aufklärungsbedarf noch nicht gedeckt ist.
Die zweite falsche Annahme, die dem Gesetzentwurf zugrunde liegt, ist, in Deutschland werde Rassismus dadurch institutionalisiert, daß Ausländern Rechte verwehrt würden. Es wird dabei vorgeschlagen, die Grundrechte der Vereinigungsfreiheit, der Freizügigkeit, der freien Berufswahl und das Recht auf freien Zugang zum öffentlichen Dienst zu Menschenrechten zu erweitern.
Es ist einfach polemisch und nicht sachgerecht, jede ungleiche Behandlung von Deutschen und Ausländern als rassistisch abzuqualifizieren.
Ein im Sinne des Antrags der PDS/Linke Liste begründeter Rassismusvorwurf müßte dann konsequenterweise gegen jeden Staat dieser Welt erhoben werden, weil natürlich überall bei der Rechtsstellung ein Unterschied zwischen den eigenen Staatsangehörigen und Ausländern gemacht wird.
Dabei geht Deutschland, was die den Ausländern verbrieften Rechte angeht, ohnehin weiter als fast jeder andere Staat. So haben Ausländer bei uns z. B. das Recht, Versammlungen abzuhalten, zu demonstrieren, oder sie können auch Vereinigungen bilden. Das gilt im übrigen natürlich auch für Minderheiten, Herr Kollege Hirsch, die ja bislang, nur weil sie im Grundgesetz nicht erwähnt sind, nicht etwa rechtlos dastehen.
Wollte man aber ein Recht auf Freizügigkeit als Menschenrecht für alle Menschen und in jedem Staat annehmen, dann wäre, ernst genommen, Deutschland gezwungen, seine Grenzen für jedwede Zuwanderung zu öffnen. Das aber kann eigentlich nur verlangen, wer bereit ist, Deutschland zu überfordern und eine gefährliche Destabilisierung zu riskieren.
Niemand, der einigermaßen realistisch denkt, kann deshalb einer derartigen Freizügigkeit das Wort reden. Auch der freie Zugang zu Beruf, zu Arbeitsplatz und Ausbildung ist zu Recht auf Deutsche beschränkt; denn sonst wäre es nicht möglich, den Arbeitsmarktzugang von Ausländern sinnvoll zu steuern.
Ich meine deshalb, daß es geradezu lebensgefährlich für unseren Staat wäre, dem Gesetzentwurf der PDS/Linke Liste näherzutreten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Gruppe PDS/Linke Liste eingebrachten Entwurf eines Antirassismusgesetzes auf Drucksache 12/6245. Der Innenausschuß empfiehlt auf der Drucksache 12/7659, den Gesetzentwurf abzulehnen.
Ich lasse über den Gesetzentwurf der PDS/Linke Liste auf Drucksache 12/6245 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Mit den Stimmen der Koalition, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Ich rufe den letzten Punkt der heutigen Tagesordnung, den Punkt 9, auf:
Beratung der Großen Anfrage des Abgeordneten Dr. Wolfgang Ullmann und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Rentenkürzungen in den neuen Bundesländern
— Drucksache 12/6918 —
Dazu liegt ein Entschließungsantrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist eine Aussprache von einer halben Stunde vorgesehen. Davon soll die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zehn Minuten erhalten. — Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Darm ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort unserem Kollegen Dr. Wolfgang Ullmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist nicht ein gesetzgeberischer Einzelirrtum, eine gerade bei der Kompliziertheit der Rentenberechnungen naheliegende Gesetzeslücke, die der Entschließungsantrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN korrigieren will. Vielmehr handelt es sich um den rechtsstaatlichen Makel der politisch bedingten Rentenkürzungen, eine verfassungsrechtliche Bedenklichkeit, die dem Renten-Überleitungsgesetz von Anfang an anhaftete. Schon bei der Sachverständigenanhörung in den Anfängen des Gesetzgebungsverfahrens war sie auf entschiedene Kritik gestoßen, noch mehr natürlich, als sie bei den Betroffenen wirksam zu werden begann. Auch in der kommentierenden Literatur wurde darauf hingewiesen, daß derartige kollektive Diskriminierungen im deutschen Recht allein in der nationalsozialistischen und der DDR-Gesetzgebung Vorbilder haben.
Metadaten/Kopzeile:
20098 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Dr. Wolfgang UllmannAuch die fundamentale Bestimmung des neuen gesamtdeutschen Rentenrechts in Art. 20 des Staatsvertrags zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion sah derartige Kürzungen nicht vor. Allenfalls auf Anlage II Kap. VIII des Einigungsvertrages könnte in diesem Zusammenhang verwiesen werden.Analog zu dem Konzept des Rentenangleichungsgesetzes der Volkskammer wird hier unter Nr. 9 Abs. b Ziffer 2 festgestellt, daß Kürzungen bzw. Aberkennungen stattfinden sollen, wenn die berechtigte Person gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und der Rechtsstaatlichkeit verstoßen oder ihre Stellung zu ihrem eigenen Vorteil und zum Nachteil anderer mißbraucht hat.Die Volkskammer wollte die hierfür fälligen Einzelprüfungen einer Kommission übertragen. Sie kam nicht mehr zustande, hätte sich wohl auch vor unübersteigbaren Schwierigkeiten befunden, angefangen bei einer einigermaßen handhabbaren Abgrenzung ihrer Kompetenzen.Ganz etwas anderes aber geschah in § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes als Teil der Rentenüberleitungsbestimmungen. Hier werden ganze Berufsgruppen, pauschal eingestuft als „systemnah" oder „staatsnah", einer drastischen Rentenkürzung unterworfen.Zur Verteidigung dieser Maßnahme konnte man von seiten der Regierung immer wieder hören, Sinn dieser Maßnahme sei gewesen, auf dem Boden des neuen Rentenrechts „ungerechtfertigte Leistungen abzuschaffen und überhöhte Leistungen abzubauen", wie es der Einigungsvertrag an der zitierten Stelle ausdrückt. Dem wird nichts hinzuzufügen sein.Aber werden damit auch schon diskriminierende Kürzungen gerechtfertigt? Durch sein mit Recht aufsehenerregendes Urteil vom 30. März dieses Jahres hat das Bundessozialgericht die Verfassungsmäßigkeit dieser Regelungen unter Hinweis auf Art. 20, Art. 14 in Verbindung mit Art. 3 des Grundgesetzes und den analogen Fall des Art. 131 des Grundgesetzes rundheraus bestritten und darum eine verfassungsrechtliche Prüfung des entsprechenden Paragraphen aus dem Ansprüche- und Anwartschaftüberführungsgesetz durch das Bundesverfassungsgericht in die Wege geleitet.Es ist also höchste Zeit für den Gesetzgeber, im Sinne des Entschließungsantrages von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN die umstrittene Regelung in angemessener Weise zu korrigieren.Ich will hinzufügen, daß auch die zur Begründung dienenden Begriffe der „System-" bzw. „Staatsnähe" äußerst problematisch sind, von der fehlenden Normenklarheit ganz zu schweigen.Der politische Gebrauch des Wortes „System" ist in hohem Maße ideologisch vorbelastet. Die Nazis wollten die Weimarer Republik verächtlich machen, wenn sie von ihr als „Systemzeit" sprachen. „System" — das hieß demnach eine als Ganzes zu verwerfende Konstellation politischer Macht, gegen die der Kampf mit allen, auch mit nichtrechtsstaatlichen Mitteln erlaubt ist. Will sich die deutsche Rechtsprechung dieser Tradition anschließen?Nicht weniger problematisch ist der Begriff der „Staatsnähe", wenn er so etwas wie Kollaboration oder Mittäterschaft negativ kennzeichnen soll. Spätestens seit dem Grundvertrag 1972 und dem Karlsruher Urteil von 1973 wurde die völkerrechtliche Tatsächlichkeit der DDR anerkannt oder wenigstens hingenommen. War dieses Hinnehmen, meine Damen und Herren — frage ich Sie —, nicht auch eine Form von „Staatsnähe"?Eine andere Frage als die äußere ist freilich die Frage der inneren Legitimität der DDR. Sie hat ihr immer gefehlt, seit mit der Gründung der Nationalen Front freie Wahlen abgeschafft waren und durch die Verfassung von 1968 das Herrschaftsmonopol der SED Verfassungsprinzip war.Aber weder der Runde Tisch noch die frei gewählte Volkskammer haben sich bereit gefunden, Anträgen, das MfS oder die SED zur verbrecherischen Organisation zu erklären, stattzugeben. Mit gutem Grund! Denn das hätte bedeutet, den Weg der friedlichen Revolution zu verlassen und die Frage nach individueller oder kollektiver Verantwortung — wie etwa im Falle des Politbüros, der Obersten Zentralen Wahlkommission oder des Nationalen Verteidigungsrates — für Menschen- und Grundrechtsverletzungen gar nicht erst zu stellen, sondern summarisch und darum letzten Endes ideologisch für beantwortet zu erklären. Den Makel des Ideologischen haben die beiden Begriffe der System- und Staatsnähe nun einmal an sich. Darum sollten wir unser Rentenrecht von ihnen reinigen.Ganz anders ist es um das Sonderentlohnungssystem des Ministeriums für Staatssicherheit bestellt, das, paramilitärisch organisiert, durch seine überhöhten Bezüge seine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen dafür entschädigen mußte, daß sie in der DDR-Gesellschaft isoliert waren. Diese überhöhten Bezüge den jetzigen Renten zugrunde zu legen würde zu einer nicht hinnehmbaren Privilegierung nach der anderen Seite führen. Sie müssen also denen der entsprechenden Verdienste außerhalb des Ministeriums für Staatssicherheit angeglichen werden.Eine Feststellung freilich bleibt als eine schwere Belastung am Ende unbeantwortet stehen: Wie geringfügig nehmen sich alle SED-Opfer-Entschädigungen aus, vergleicht man sie mit den Stasi-Renten, auch mit den gekürzten? Auf sie kann man nur mit einer Frage antworten: Sind es etwa rechtsstaatliche Prinzipien, die uns dazu zwingen, für die Entschädigung von SED-Unrechts-Opfern etwa 2 Milliarden DM, für die Ausgleichsleistungen zugunsten Enteigneter aber 18 Milliarden DM vorzusehen? Der Kern aller unausgeräumten Ungleichheiten bleibt darum nach wie vor die bis jetzt nicht überwundene Ablehnung des großen Lastenausgleichs zum Ausgleich der Teilungsfolgelasten insgesamt.Ich danke Ihnen.
Nächster Redner ist unser Kollege Heinz Rother.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 20099
Verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir uns heute zum wiederholten Mal mit dem Problem der Renten der Sonder- und Zusatzversorgten beschäftigen, so möchte ich doch zunächst noch einmal die Größenordnung aufzeigen, über die wir hier reden.
Bei den Bestandsrenten fallen etwa 330 000 unter die Regelungen für Sonder- und Zusatzversorgte. Davon sind ca. 45 000 Rentner von den Entgeltpunktebegrenzungen betroffen. Damit möchte ich nicht sagen, daß nicht jedes einzelne Schicksal eines Rentners wichtig ist und mir am Herzen liegt. Aber es zeigt doch die Größenordnung an, um die es hier geht.
Es kann also keine Rede davon sein, daß durch die Rentenüberleitungsgesetzgebung der Bundesregierung viele Rentner in den neuen Bundesländern bestraft und auf das Existenzminimum gedrückt werden, wie auch nicht — das führe ich schon zum wiederholten Male vor diesem Hohen Hause aus — überhaupt von einer Bestrafung der Sonder- und Zusatzversorgten gesprochen werden kann.
In der allgemeinen Aufgeregtheit um diese Problematik sollte man sich doch noch einmal vor Augen führen, worum es eigentlich geht. Es geht hier darum, daß auf Grund des Einigungsvertrages dem Gesetzgeber die Vorgabe gemacht wurde, die Systeme der Sonder- und Zusatzversorgung zum 31. Dezember 1991 zu schließen und die Ansprüche und Anwartschaften in das System der gesetzlichen Rentenversicherung zu überführen. Dies geschah aus dem Grund, daß die Sonder- und Zusatzversorgungssysteme der ehemaligen DDR eine Vielzahl von Alterssicherungssystemen im Westen entsprachen, z. B. den betrieblichen Rentenversorgungen, den berufsständischen Altersversorgungen usw.
Aus rein rechtlichen und tatsächlichen Gründen konnte man die Sonder- und Zusatzversorgungen nicht nachträglich in diese Sondersysteme integrieren. So blieb nur das System der gesetzlichen Rentenversicherung. Insoweit mußte nun geregelt werden, in welchem Umfang in staatlichen Sicherungssystemen außerhalb der Sozialpflichtversicherung gesichertes Einkommen in die gesetzliche Rentenversicherung übernommen und für die Begründung neuer Ansprüche und Anwartschaften berücksichtigt werden konnte.
Dabei wurden Entgeltpositionen der ehemaligen DDR nicht unbesehen übernommen, sondern stärker an Gesichtspunkten der sozialen Gerechtigkeit orientiert. Einkommen aus Tätigkeiten, mit denen bei typisierender Betrachtung ein erheblicher Beitrag zur Stärkung oder Erhaltung des politischen Systems der ehemaligen DDR geleistet wurde, konnte somit schon aus Gründen der Gerechtigkeit den übrigen Bürgern gegenüber nicht in vollem Umfang berücksichtigt werden. Leider beinhaltet eine solche typisierende Betrachtung immer die Gefahr, daß im Einzelfall Ungerechtigkeiten entstehen. Eine andere Lösung aber war und ist auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht möglich.
Jeder, der bei den Anhörungen im Ausschuß dabei war, weiß doch, daß uns die Rentenversicherungsträger eindringlich gebeten haben, ihnen keine zusätzlichen Aufgaben aufzubürden, da sie die bestehenden schon kaum bewältigen können. Insofern war uns die Einführung einer Einzelfallprüfung nicht möglich.
Im übrigen möchte ich auch noch einmal zu den im Raum stehenden Zahlbeträgen etwas sagen. Hier wird häufig, zum Teil fahrlässig, zum Teil bewußt, mit falschen Zahlen operiert. Auch in den Vorbemerkungen zu Ihrer Anfrage ist dies teilweise mißverständlich und falsch wiedergegeben.
Herr Kollege Rother, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Ullmann?
Ja, bitte.
Bitte, Kollege Dr. Ullmann.
Vielen Dank, Herr Präsident.
Herr Kollege Rother, stimmen Sie mir zu, daß die Rentenversicherungsträger durch das Zweite SED-Unrechtsbereinigungsgesetz z. B. auch dazu herangezogen werden, Opferentschädigungen auszuzahlen? Ich frage dies, weil Sie gerade über sachfremde Leistungen gesprochen haben.
Herr Ullmann, das mag sein. Nur, wenn es hier um die Probleme geht, die in Ihrem Antrag stehen, muß ich Ihnen sagen, daß dies in der Art, wie Sie es gern möchten, nicht zu lösen ist. Ich sehe auch darin Probleme, daß an Ärzte, Hochschulprofessoren und ähnliche, die in den alten Ländern eine Pension erhalten, keine Pension aus der Rentenversicherung gezahlt werden kann. Das ist das Problem, das ich hier sehe. Aus diesem Grund läßt sich dies, so meine ich, nicht anders regeln.Bei den von Ihnen genannten Beträgen von 2 700 DM bzw. 2 100 DM handelt es sich nicht um generelle Höchstbeträge für Personen aus den Sonder- und Zusatzversorgungssystemen, sondern um Begrenzungen für vorläufige Berechnungen. Diese Grenzen gelten selbstverständlich bei der endgültigen Berechnung der Renten nicht mehr. Man mußte diese Grenzen jedoch einführen, um zunächst einmal sicherzugehen, im Wege der vorläufigen Berechnung keine überhöhten Beträge zu zahlen und diese danach zurückfordern zu müssen. Im übrigen werden die Differenzbeträge, die sich bei der endgültigen Berechnung ergeben, von Beginn an, d. h. vom 1. Juli 1990, nachgezahlt, so daß durch die vorläufige Begrenzung keine Ansprüche verlorengehen.Wie schludrig hier mit Zahlen umgegangen wird, meine sehr verehrten Damen und Herren vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, beweisen Sie selbst in Ihrer Vorbemerkung. Dort stellen Sie dar, daß die Grundentscheidung, die genannten Ansprüche in der gesetzlichen Rentenversicherung zu integrieren, dazu führe, daß auch hochqualifizierte Berufsgruppen dadurch lediglich eine Rente von höchstens 2 500 DM im Monat erreichen können. Wie unsinnig diese Behauptung ist, können Sie daran erkennen, daß Sie weiter oben selbst die Höchstgrenze von 2 700 DM beklagt haben. Diese Grenze wäre obsolet, wenn man
Metadaten/Kopzeile:
20100 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Heinz Rotherüberhaupt nur Ansprüche in Höhe von 2 500 DM erreichen könnte.Ich darf weiterhin daran erinnern — was leider häufig vergessen wird —, daß das Rentenniveau im Osten erst 75 % des Westniveaus beträgt. Das heißt: Ein Rentner, der jetzt 2 700 DM bekommt, wird nach Angleichung über eine Rente von etwa 3 600 DM verfügen. Dies ist auch im Vergleich zu den momentanen durchschnittlichen Westrenten eine ganz beachtliche Summe. Wir waren uns, so meine ich, immer einig, daß auch im Osten die Höhe der Renten an die Entwicklung der Löhne angepaßt sein muß. Insoweit können wir eben, solange sich das Lohnniveau lediglich auf etwa 75 % des Westniveaus befindet, bei den Renten keine andere Entwicklung haben.
Herr Kollege Rother, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Dr. Otto? — Bitte.
Ich möchte Sie fragen, ob Sie eine Ahnung davon haben, was ein durchschnittlicher ostdeutscher Diplomingenieur, der im Staatsdienst tätig gewesen ist, oder ein durchschnittlicher Arzt, der ebenfalls in staatlichen Diensten tätig gewesen ist — wir konnten ja nicht anders —, für eine Rente erhalten. Gehen Sie vielleicht von einer Rente von über 2 000 DM aus?
Ich muß Ihnen sagen, daß ich eine Ahnung davon habe. Ich habe am Anfang meiner Rede auch davon gesprochen, daß es Ausnahmefälle gibt. Es gibt auch noch Härtefälle. Davon bin ich auch überzeugt. Das weiß ich auch, ist mir auch bekannt. Ich muß Ihnen aber sagen, daß die endgültige Berechnung in vielen Fällen noch nicht abgeschlossen ist. Ich habe darauf hingewiesen, daß auf jeden Fall die Nachzahlung erfolgt, wenn derjenige, der betroffen ist, bis dato zuwenig Rente erhalten hat. Mir ist das bekannt.
— Die sind recht unterschiedlich. Ich kann Ihnen keinen festen Betrag nennen.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Sorge? — Bitte, Herr Kollege Sorge.
Herr Kollege Rother, Sie sprachen davon, daß diese Sache, wie sie hier vom BÜNDNIS 90 vorgeschlagen worden ist, nicht zu bezahlen ist. Was würden Sie denn vorschlagen, wenn das Bundesverfassungsgericht zu dem Urteil kommt, daß die Regelung, wie sie bisher bestand, nicht aufrechterhalten werden kann, weil sie verfassungswidrig ist, und dann diese Renten doch angehoben werden? Wer soll das Ihrer Meinung nach bezahlen?
Ich habe nicht davon gesprochen — Sie werden sich sicherlich verhört haben —, daß es nicht zu bezahlen ist. Diese Worte sind in dieser Rede von mir gar nicht gefallen. Das haben Sie mir jetzt in den Mund gelegt. Nur, die andere Sache ist, das Bundesverfassungsgericht hat noch nicht entschieden. Nach meiner Überzeugung und Auffassung wird es wohl kaum große Änderungen zu diesem Problem geben.
Wenn man sich — das gehört wohl auch dazu — die Gesamtsituation im Rentenbereich der neuen Bundesländer ansieht, so darf ich doch einmal darauf hinweisen, daß die Frauen in den neuen Bundesländern die Frauen in den alten Ländern mittlerweile bei der durchschnittlichen Eckrente sogar überholt haben, und dies, obwohl sich deren Rentenniveau ebenfalls erst auf 75 % des Westniveaus befindet, d. h., der Abstand wird sich hier in Zukunft vergrößern. Dies resultiert vor allem aus der wesentlich höheren Erwerbsquote der Frauen in den neuen Ländern und ist somit auch gerechtfertigt.
Auf der anderen Seite muß man aber sehen, daß sich dadurch bei einem Rentnerehepaar in der Gesamtbetrachtung der Abstand des zur Verfügung stehenden Einkommens im Vergleich zu einem Rentnerehepaar in den alten Ländern weiter verringert. Ich meine deshalb, daß im großen und ganzen, von einigen Ausnahmen abgesehen, die Rentner, auch die Sonder- und Zusatzversorgten, mit dem Erreichten zufrieden sein können.
Dies wird, meine sehr verehrten Damen und Herren, uns aber nicht davon abhalten, uns auch in Zukunft für weitere Verbesserungen einzusetzen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Kollegin Ulrike Mascher, Sie haben jetzt das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Wir beraten heute einmal wieder über die Ergebnisse des Renten-Überleitungsgesetzes, und zwar, Herr Rother, über das Gesetz zur Überführung der Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen der DDR, also das AAÜG. Wir beraten heute nicht darüber, daß sich die Frauenrenten auf Grund der langen Erwerbstätigkeit günstiger gestalten, sondern wir beraten darüber, daß es hier im Bereich dieser Überführung der Ansprüche und Anwartschaften pauschale Kürzungen von Renten und Anwartschaften gegeben hat.
Sie haben den schönen Begriff „bei typisierender Betrachtung von System- und Staatsnähe" verwendet, und nach wie vor wird bei vielen Betroffenen diese pauschale Kürzung als eine Form politisch motivierter Benachteiligung empfunden.Auch für die SPD hat dieser Teil des RentenÜberleitungsgesetzes noch immer nicht die Form gefunden, die befriedigen oder — besser — befriedend wirken kann. Für viele ist die politisch-moralische Neutralität der Rentenversicherung — so formuliert das Bundessozialgericht in einer Entscheidung zu
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 20101
Ulrike Mascherdiesem Anwartschaftsüberführungsgesetz — wegen dieser Kürzungen der Rente aus den Sonder- und Zusatzversorgungssystemen nicht mehr gewahrt.Die SPD hat sich von Beginn der Beratungen zum Renten-Überleitungsgesetz und auch zu diesem Anwartschaftsüberführungsgesetz an gegen pauschale Kürzungen, die über die Entscheidungen der frei gewählten Volkskammer hinausgingen, gewandt, und wir haben dabei ja auch durchaus einiges durchgesetzt.Wir haben uns beim Korrekturgesetz zum RentenÜberleitungsgesetz erneut gegen die Diskriminierung ganzer Berufsgruppen gewandt und erreicht, daß z. B. Schuldirektoren, Leiter bestimmter Bildungseinrichtungen, Beschäftigte auf der Ebene der Kreise, Gemeinden und Städte aus der Entgeltpunktbegrenzung für ehemalige Mitarbeiter des Staatsapparates herausgenommen wurden. Bei der Diskussion am 14. April zu einem Antrag der PDS/Linke Liste habe ich gesagt, daß die SPD weitere Korrekturen am Renten-Überleitungsgesetz und an diesem Gesetz zur Kürzung der Sonder- und Zusatzversorgungssysteme für erforderlich hält.
Ich zitiere aus unserem Regierungsprogramm:Wir wollen das Renten-Überleitungsgesetz erneut mit dem Ziel überprüfen, das Rentenrecht von Elementen des politischen Strafrechts zu befreien. Dabei müssen wir die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts beachten und berücksichtigen, daß Mehraufwendungen bei den Ansprüchen aus Sonder- und Zusatzversorgungssystemen der ehemaligen DDR zwischen dem Bund und den ostdeutschen Ländern zu teilen sind.Ich habe mir bei den Beratungen zum RentenÜberleitungsgesetz und besonders beim AAÜG gewünscht, über mehr Informationen z. B. über Einkommen und Stellung von Menschen im Staatsapparat und im Parteiensystem der DDR zu verfügen. Auch beim Korrekturgesetz waren die Auskünfte und Informationen darüber, ob tatsächlich ganze Berufsgruppen wegen angeblicher Staats- und Systemnähe diskriminiert werden, nicht ganz einfach zu verifizieren. Herr Dr. Ullmann, Sie erinnern sich sicherlich auch daran.Ich gebe Ihnen, Herr Dr. Ullmann, auch recht, wenn Sie sagen, daß dieses Begriffspaar System- und Staatsnähe keine Trennschärfe habe und für eine präzise Bestimmung, worum es hier gehen muß, eigentlich nicht zu verwenden sei.Aber gerade wegen dieser ungenügenden Datenlage und weil eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gerade zu der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Pauschalkürzungen noch aussteht, will die SPD jetzt keine kurzatmigen Korrekturen vornehmen, auch wenn am 16. Oktober die Bundestagswahl stattfindet und dies natürlich sehr verlockend ist.Ich weiß, daß diese SPD-Position, jetzt keine Flickschusterei am Renten-Überleitungsgesetz zu machen, aber eine sorgfältige Prüfung und gründliche Korrektur nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vorzunehmen, bei den Betroffenen wenig Resonanz findet. Aber die SPD hat bei den Beratungen zum Renten-Überleitungsgesetz und zum Korrekturgesetz bewiesen, daß wir es ernst meinen mit unserem Angebot, das Rentenrecht von Elementen der Diskriminierung aus politischen Motiven zu befreien. Ich versichere allen Betroffenen: Sie können uns nach der Bundestagswahl beim Wort nehmen. Ich hoffe, wir haben dann bessere Mehrheiten und eine günstigere Ausgangsposition für eine rechtsstaatliche Korrektur.Danke.
Frau Kollegin Dr. Eva Pohl, Sie haben jetzt das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, Frau Mascher, wir haben diese Verbesserungen an dem Rentenüberleitungs-Korrekturgesetz gemeinsam geschafft.Aber nun zu der Großen Anfrage, die uns heute vorliegt: Die uns hier vorliegende Große Anfrage der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu den Rentenkürzungen in den neuen Bundesländern beleuchtet einen zwar kleinen, aber um so brisanteren Mosaikstein innerhalb der umfassenden Rentengesetzgebung, die in den letzten Jahren auf den Weg gebracht wurde. Die Aussage, daß gerade die Rentner im Osten Deutschlands in ihrer großen Mehrheit zu den eindeutigen Gewinnern der deutschen Einheit gehören, was objektiv fraglos richtig ist, darf jedoch nicht dazu führen, daß der weite Mantel der Wohlgefälligkeit über die gesamte Thematik gebreitet wird. Namentlich die hier vom BÜNDNIS 90 akzentuierte Problematik der Sonder- und Zusatzversorgungssysteme und deren Behandlung im Gesetz zur Überführung der Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen des Beitrittsgebiets hat schon in der Vergangenheit wiederholt zu Handlungsbedarf geführt. Frau Mascher hat dies gerade angeführt.Es bedarf mit Sicherheit keiner seherischen Fähigkeiten, wenn ich hier und jetzt sage, daß jene Problematik dieses Hohe Haus auch in der 13. Legislaturperiode beschäftigen wird. Gerade aus den Reihen der F.D.P. wurde in diesem Zusammenhang schon früh vor einer politisch motivierten pauschalen Absenkung der Renten von sogenannten Privilegierten des DDR-Staates gewarnt.Noch vor fünf Wochen hat an dieser Stelle mein Kollege Christoph Schnittler in einer beachteten Rede gegen die politisch motivierte Absenkung der Rentenzahlungen ohne Einzelfallprüfung akzentuiert Stellung genommen. Betroffen sind ja gleichermaßen Personen — hier zitiere ich sinngemäß einen Satz aus der uns vorliegenden Anfrage —, die mit großer Wahrscheinlichkeit tatsächlich überhöht verdient haben, wie jene im Bereich des Ministeriums für Staatssicherheit, wie auch Personen, deren besonders niedriger Verdienst in der DDR durch die Aussicht auf
Metadaten/Kopzeile:
20102 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Dr. Eva Pohleine gute Altersversorgung ausgeglichen wurde, wie zum Teil in der Verwaltung.Ich denke hierbei auch an meinen Berufsstand — jetzt kommen wir darauf zurück, Frau Otto —, nämlich den der Ärzte, die in der DDR zumeist Staatsangestellte waren und deren Altersversorgung in der normalen Sozialversicherung der DDR integriert war. Seit Anfang der 60er Jahre hatten Ärzte Anspruch auf eine sogenannte Altersversorgung der Intelligenz. So trifft die Absenkung auch viele der damals Staatsangestellten Ärzte, denen eine besondere Unterstützung des SED-Systems aber nicht unbedingt nachgesagt werden kann.Mit anderen Worten: Durch die vielleicht auf den ersten Blick für notwendig und richtig erachtete pauschalisierte Absenkung der Renten des staatsnahen Personenkreises geraten wir beim näheren Hinsehen in eine ungute Gemengelage, bei der tatsächlich privilegierte und offensichtlich benachteiligte Gruppen über einen Kamm geschoren werden.
Durch viele Briefe, die mir als Bundestagsabgeordneter der F.D.P. im Laufe der letzten vier Jahren von Wissenschaftlern, Ingenieuren und Technikern — insbesondere aus Thüringen, aber auch aus anderen Gegenden — zugegangen sind, zog sich der Aspekt der in vielen Fällen als subjektiv ungerechtfertigt durchgeführten pauschalen Absenkung von Rentenansprüchen wie ein roter Faden.Ich möchte nicht verhehlen, daß sich diese Anfrage des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN in ihrer Problemorientiertheit und Sachlichkeit von dem populistischen, nur an ihrer ehemaligen SED-Klientel orientierten Gesetzentwurf der PDS — ich meine das hier am 14. April in erster Lesung beratene Rentenüberleitungs-Korrekturgesetz — wohltuend abhebt.Ich weiß, daß wir sicher noch manchen unbefriedigenden Einzelaspekt in unserer Rentengesetzgebung korrigieren und modifizieren müssen. Ich weiß aber auch, daß diese Koalition den Willen hat, nicht eher zu ruhen, bis ein befriedigendes Gesetzeswerk verabschiedet ist — auch wenn das erst in der nächsten Legislaturperiode möglich sein wird.Ich danke Ihnen.
Frau Kollegin Dr. Ruth Fuchs, Sie haben jetzt das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist gut, daß wir heute wieder über die Überleitung der DDR-Renten in das bundesdeutsche Recht reden. Besser wäre jedoch, wenn der Anlaß nicht die Quantifizierung, sondern die Abschaffung von Unrecht wäre. Bei allem Interesse für die Beantwortung der gestellten Fragen ist es unseres Erachtens fraglich, ob die Betroffenheit durchdas Renten-Überleitungsgesetz überhaupt quantifizierbar ist.Herr Rother, Sie meinten zwar im April bei der ersten Beratung unseres Korrekturgesetzes, daß das nur den Bekannten- und Verwandtenkreis der PDS beträfe. Sie trauen uns ja einen großen Bekanntenkreis zu; denn wenn die neuesten Schätzungen der Bundesregierung auf die Frage von Herrn Dreßler bezüglich der Mehraufwendungen im Falle der Annahme unseres Gesetzes stimmen, dann waren rund vier Millionen Menschen in der DDR den Zusatzund Sonderversorgungssystemen zugeordnet, zumindest zeitweise. Das betrifft ganz sicher noch mehr Menschen; denn es sind ja auch die Überführungslükken bei SV- und FZR-Renten zu schließen.Wir meinen aber, die Betroffenheit läßt sich nicht quantifizieren, weil sie nicht allein auf die vom Strafrecht erfaßten Personen begrenzt und auch nicht nur in Mark und Pfennig abzulesen ist. Das Problem liegt tiefer.Viele tausend empfinden es als Diskriminierung, daß Menschen wegen ihres beruflichen und gesellschaftlichen Engagements in der DDR jetzt in der Bundesrepbulik sozial bestraft werden. Immer mehr tritt wieder solidarisches Verhalten zu Tage. Die ältere Generation läßt sich nicht in Schubkästen von „staatsnah" oder „staatsfern" stecken, denn fast alle fühlen sich mehr oder weniger betroffen. In den Familien empfinden auch die Jüngeren den Umgang mit dem arbeitsreichen Leben der Älteren als beschämend, wie die Älteren das Ausgrenzen der Jüngeren nicht ungerührt hinnehmen.Und so wehren sie sich eben gemeinsam. Zum Beispiel am kommenden Samstag auf einer Kundgebung gegen Sozialabbau, organisiert vom Ostdeutschen Kuratorium der Verbände. Die PDS/Linke Liste wünscht dem Protest gegen Arbeitslosigkeit, Mietwucher, Enteignungen, Lehrstellenmangel, BAföG-Kürzungen, Rentenbetrug, Berufsverbote, Diskriminierungen und Ausländerfeindlichkeit viel Zulauf und Wirkung.Wirkung vor allem hier im Parlament! Tun wir alle endlich etwas, damit das Rentenstrafrecht und die Rentenungerechtigkeiten abgeschafft werden! Denn mit verzögerten und scheibchenweisen Änderungen wird die BfA mit ihrem Antragsstau ins Jahr 2000 gelangen.Ja, Frau Mascher, Sie sagten am 14. April hier sinngemäß: Weil keine Mehrheiten zu erwarten sind, kann seitens der SPD in dieser Legislaturperiode nichts mehr getan werden. — Unserem Verständnis von Politik entspräche es, wenn alle Vorstellungen auf dem Tisch lägen und um die geeignetste Lösung gestritten würde. Das wäre transparent, auch und vor allem für die Wählerinnen und Wähler, bei denen wir alle in Verantwortung stehen.In diesem Sinne unterstützen wir den Entschließungsantrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 24. Mai, der die Bundesregierung auffordert, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die Diskriminierungen von Angehörigen der Zusatz- und Sonderversor-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994 20103
Dr. Ruth Fuchsgungssysteme beseitigt. Doch bis wann soll das geschehen?Deshalb mein Appell: Das RentenüberleitungsKorrekturgesetz der PDS/Linke Liste ist mit dringlichen ergänzenden Anträgen noch im parlamentarischen Geschehen. Erinnern Sie sich, wie viele vor einem Jahr an dieser Stelle beteuert haben, daß es weitergehen müsse mit Änderungen und Korrekturen? Und was ist geschehen? Tun Sie jetzt noch etwas!Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Meine Damen und Herren, zum Schluß hat unser Kollege Rudolf Kraus, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat sich im März dieses Jahres ganz selbstverständlich bereit erklärt, die Große Anfrage „Rentenkürzungen in den neuen Bundesländern" des Abgeordneten Dr. Wolfgang Ullmann von der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu beantworten. Wir gehen davon aus, daß die Beantwortung sicher noch im Juni dieses Jahres möglich sein wird. Die Beantwortung selbst wird das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung vornehmen.
Durch die vielen Detailfragen der Anfrage müssen jedoch zunächst — dafür bitte ich um Verständnis — sehr umfangreiche Ermittlungen angestellt werden, da die erforderlichen Daten nur bei den Versicherungsträgern vorliegen. Diese Ermittlungen stehen kurz vor dem Abschluß, ich sagte es schon, so daß anschließend die Anfrage ausführlich beantwortet werden kann.
Über die Zahl der Betroffenen hat Herr Kollege Rother bereits einige Aussagen gemacht. Ich bin auch ganz sicher, daß sich herausstellen wird, daß bei den meisten gekürzten Renten die Beträge wesentlich geringer sind, als heute angenommen wird, weil sich Kürzungen in der Regel nicht über sehr lange Zeiträume des Arbeitslebens erstrecken.
Ich möchte trotzdem die Gelegenheit wahrnehmen, einige grundlegende Ausführungen zur Rentensituation in den neuen Ländern zu machen. Die Grundlage für ein einheitliches Rentenrecht in ganz Deutschland ist das Renten-Überleitungsgesetz von 1991. Seit dem 1. Januar 1992 haben nunmehr auch die Rentner in den neuen Bundesländern erstmals Anspruch auf eine dynamische Rente.
Zum 1. Juli 1993 sind in den neuen Bundesländern die Renten um effektiv 14,24 % gestiegen. Ein halbes Jahr später, zum 1. Januar 1994, wurden sie um 3,64 % erhöht. Zum 1. Juli dieses Jahres erfolgt ein weiterer Anstieg der Ostrenten um 3,17 %. Das verfügbare Renteneinkommen eines Rentners, der 45 Jahre lang durchschnittlich verdient hat, steigt in diesem Jahr gegenüber dem Jahr 1993 um 12 %.
Entscheidend ist aber nicht nur der Anstieg der Rente, sondern auch das, was man dafür kaufen kann.
Die Preisentwicklung wurde gebremst. Wir rechnen in diesem Jahr mit 4 % bei einem Rentenanstieg von 12 %.
Auch das Verhältnis zwischen Ost- und Westrenten hat sich positiv entwickelt. Nach 45 Versicherungsjahren ist die Standardrente in den alten Bundesländern auf 1 931 DM und in den neuen Bundesländern auf 1 451 DM erhöht worden. Damit erreicht die verfügbare Standard-Ostrente 75,1 % der vergleichbaren Westrente.
Die Versichertenrenten in den neuen Ländern werden mit der Anpassung zum 1. Juli 1994 gegenüber dem Stand von Juni 1990 auf das rund 2,5fache steigen. Ich glaube, man kann feststellen, daß es den Rentnern noch nie so gut gegangen ist, jedenfalls den meisten.
Diese Entwicklung kommt natürlich auch den Rentnern zugute, die in der ehemaligen DDR einem Zusatz- oder Sonderversorgungssystem angehörten. Auch ihre Renten wurden in die gesetzliche Rentenversicherung überführt; auch sie erhalten nicht mehr eine statische sondern eine dynamische Rente.
Weil die Zeit nicht mehr reicht, darf ich nur noch darauf hinweisen, Herr Ullmann, daß wir in diesen Kürzungen selbstverständlich nicht ein Strafrecht sehen.
Wir sind ausdrücklich der Meinung, daß das der Ausgleich dafür ist, um das Wiedereinsammeln, das Fortwirken von Privilegien aus der alten Zeit zu verhindern. Wie schwierig das ist, haben Sie selber in Ihrer Rede — jedenfalls indirekt — damit zum Ausdruck gebracht, daß Sie sich sehr wohl für eine Begrenzung — im jetzigen Sinne — der Stasi-Renten eingesetzt haben, aber eben meinten, in anderen Bereichen Einzelfalluntersuchungen machen zu sollen. Wir denken, daß das rein von der Praktikabilität her, wenn auch zugegebenermaßen Ungerechtigkeiten nicht zu vermeiden sind, schlicht und einfach nicht möglich ist.
Lassen Sie mich abschließend feststellen: Von irgendwelchen Rentenkürzungen, die unterstellt werden könnten, wenn man diesen Antrag nur beiläufig liest, kann natürlich nicht die Rede sein, sondern wir sind sehr damit zufrieden. Ich glaube, auch die Bürger der früheren DDR, der heutigen neuen Lander, können insgesamt — jedenfalls in der Mehrzahl — durchaus damit einverstanden sein.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Ende der Debatte. Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 12/7684. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? — Dafür gibt es drei Stimmen. Wer enthält sich der Stimme? — Es gibt zwei Enthal-
Metadaten/Kopzeile:
20104 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Mai 1994
Vizepräsident Helmuth Beckertungen aus den Reihen der SPD. Wer stimmt gegen diesen Entschließungsantrag? — Das ist die Mehrheit der Koalitionsfraktionen mit Stimmen aus der SPD. Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, 27. Mai, 8.30 Uhr — nicht 9 Uhr — ein.Die Sitzung ist geschlossen.